GA 311

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE ÜBER ERZIEHUNG

Die Kunst des Erziehens
aus dem Erfassen
der Menschenwesenheit

Sieben Vorträge, gehalten in Torquay
vom 12. bis 19. August 1924
mit einer Fragenbeantwortung vom 20. August 1924

GA 311

1979

Inhaltsverzeichnis


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ERSTER VORTRAG Torquay, 12. August 1924

Meine lieben Freunde! Es gereicht mir wirklich zur tiefsten Befriedigung, daß Sie hier in England nun so weit sind, um an die Begrün­dung einer Schule im anthroposophischen Sinne denken zu können. Es bedeutet dies ja in Wirklichkeit einen außerordentlichen, tiefen Einschnitt in die Geschichte des Erziehungswesens. Spricht man einen solchen Satz aus, so ist es ja sehr leicht, daß man für das Aussprechen eines solchen Satzes der Unbescheidenheit geziehen wird. Aber es liegt bei allem, was aus anthroposophischen Untergründen für die Erziehungs- und Unterrichtskunst hervorgehen soll, auch wirklich heute etwas eigentümliches zugrunde. Und ich möchte es mit allergrößter Freude begrüßen, daß der erste Stamm eines Lehrerkolle­giums hier sich wirklich bereitgefunden hat, aus dem Innersten der Seele heraus anzuerkennen, daß bei dem, was wir anthroposophische Pädagogik nennen, etwas Besonderes zugrunde liegt. Wir sprechen, wenn wir von anthroposophischer Pädagogik reden, wirklich nicht aus einem fanatischen Reformgedanken heraus von der Notwendig­keit einer Erneuerung des Erziehungswesens, sondern wir sprechen aus der Empfindung und dem Erleben der Kulturentwickelung der Menschheit heraus.

Wir sprechen so, daß wir uns bewußt sind, es ist viel, sehr viel vön ausgezeichneten Menschen im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts und namentlich in den letzten Jahrzehnten für die Erziehungskunst geschehen. Allein es ist dasjenige, was aus den besten, aus den aller­besten Absichten hervorgegangen ist, so geschehen, daß man sagen muß: man hat alles mögliche auf dem Gebiete des Erziehungswesens versucht, aber ohne wirkliche Menschenerkenntnis. Es fiel das Den­ken über menschliche Erziehung hinein in eine Zeit, in der es einfach wegen des Materialismus, der auf allen Gebieten herrschte und eigentlich seit dem fünfzehnten Jahrhundert geherrscht hat, keine wirkliche Menschenerkenntnis hat geben können. Und so hat man eigentlich immer, wenn man erzieherische Reformgedanken geäußert

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hat, auf Sand, oder etwas noch mehr ohne Grund Dastehendes ge­baut; man hat aus allerlei Emotionen heraus, aus Urteilen, die man sich bildete über die Art, wie das Leben sein soll, Erziehungsgrund­sätze aufgestellt. Man hat aber durchaus nicht die Möglichkeit ge­habt, den Menschen in seiner Ganzheit zu kennen und sich zu fragen:

Wie muß man dasjenige, was in der Menschenwesenheit gottgegeben drinnensteckt, nachdem der Mensch aus seinem vorirdischen Leben in das irdische Leben herabgegangen ist, im Menschen zur Offen­barung bringen? Das ist im Grunde genommen die Frage, die man zunächst abstrakt aufwerfen kann, die man aber konkret nur dann beantworten kann, wenn man eine wirkliche Erkenntnis des Men­schen nach Leib, Seele und Geist zugrunde legt.

Nun liegt ja für die heutige Menschheit die Sache so: Die Leibes-erkenntnis ist außerordentlich weit ausgebildet. Wir haben aus Bio­logie, Physiologie, Anatomie heraus eine sehr, sehr ausgebildete Leibeserkenntnis des Menschen. Aber schon wenn wir zur Seelen-erkenntnis kommen wollen, stehen wir mit den gegenwärtigen An­schauungen vor einer völligen Unmöglichkeit; denn alles das, was sich auf die Seele bezieht, ist heute Name, Wort. Man greift selbst bei diesen Dingen, wie Denken, Fühlen und Wollen schon - wenn man auf die gewöhnliche Psychologie der heutigen Zeit hinsieht -nicht mehr auf Wirklichkeit. Die Worte sind geblieben: Denken, Fühlen, Wollen; aber eine Anschauung von dem, was eigentlich in der Seele waltet, für das, was man mit Denken, Fühlen und Wollen anspricht, ist nicht vorhanden. Denn, sehen Sie, was heute sogenannte Psychologen über Denken, Fühlen und Wollen reden, das alles ist ja in Wirklichkeit dilettantisch. Sie reden so etwa, wie wenn ein Physio­loge vom Menschen im allgemeinen reden würde, von menschlicher Lunge, menschlicher Leber, und nie unterscheiden würde zwischen kindlicher Leber und Greisenleber. In der Leibeswissenschaft ist man da ja sehr weit. Kein Physiologe wird ermangeln, den Unterschied zu berücksichtigen zwischen einer kindlichen Lunge und einer Greisen-lunge, oder gar zwischen einem kindlichen Haar und dem Haare des alten Menschen. Das wird man alles unterscheiden. Aber bei Denken, Fühlen und Wollen, da spricht man nur Worte aus, man ergreift

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nichts in Wirklichkeit. Man weiß zum Beispiel nicht, daß das Wollen jung ist, so wie es in der Seele auftritt, das Denken alt, daß also das Denken ein altes Wollen, das Wollen ein junges Denken ist in der Seele, so daß man in alledem, was man in der Seele hat, Jugend und Alter gleichzeitig hat beim Menschen.

Gewiß, in der Zeit hintereinander haben wir in der Seele das alte Denken neben dem jungen Wollen schon beim Kinde. Da sind sie gleichzeitig. Ja, solche Dinge, die sind Realitäten. Aber kein Mensch weiß heute irgend etwas über diese Realität der Seele in demselben Sinne. zu sagen, wie über die Realitäten des Leibes. Daher steht man als Erzieher völlig hilflos dem Kinde gegenüber. Denken Sie sich nur einmal, wenn Sie als Arzt nicht unterscheiden könnten zwischen einem Kinde und einem Greis, Sie wären natürlich hilflos. Der Leh­rer aber ist, weil es eine Wissenschaft von der Seele gar nicht gibt, gar nicht in der Lage, über die Seele des Menschen so zu sprechen, wie heute der Arzt sprechen kann vom Leibe des Menschen. Und Geist - ja, da ist überhaupt nichts, davon kann man nicht reden, da sind nicht einmal Worte mehr da. Ein einziges Wort: Geist, aber das besagt nicht mehr viel; mehr Worte dafür sind eigentlich nicht da.

Also von einer Menschenerkenntnis im Sinne unserer Gegenwart kann eigentlich zunächst gar nicht die Rede sein. Da kann man nun leicht fühlen: es geht nicht alles mit rechten Dingen zu in der Erzie­hung. Man muß das oder jenes verbessern. Ja, aber wie soll man etwas verbessern, wenn man gar nichts weiß über den Menschen? Daher sind die Erziehungsreformgedanken, die da aufgetreten sind, alle vom allerbesten Willen beseelt, aber es ist keine Menschen-erkenntnis vorhanden.

Das merkt man selbst bis in unsere Kreise herein. Denn was kann heute dem Menschen zur Menschenerkenntnis verhelfen? Anthro­posophie! Das ist gar nicht aus einem sektiererischen, fanatischen Untergrunde heraus gesagt. Wenn heute einer Menschenerkenntnis haben will, muß er eben Anthroposophie in sich aufnehmen. Wenn man aber aus Menschenerkenntnis - und das ist doch natürlich - un­terrichten soll, muß man sich diese Menschenerkenntnis erwerben. Was ist das Natürliche? Daß man sie sich durch Anthroposophie erwirbt.

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Fragt also heute jemand über die Grundlage einer neuen Päd­agogik, was muß man ihm sagen? Anthroposophie, die ist die Grund­lage einer neuen Pädagogik! Ja, aber nun bestreben sich sehr viele Menschen unter uns selber, Anthroposophie möglichst zu verleugnen, und die Pädagogik ohne Anthroposophie propagieren zu wollen; sie möchten nichts merken lassen, daß Anthroposophie dahinter ist.

Es gibt ein deutsches Sprichwort, das heißt: Wasch' mir den Pelz, aber mache mir ihn nicht naß. So sind sehr viele Bestrebungen, die auf diesem Gebiete unternommen werden. Wahr muß man reden und denken vor allen Dingen. Deshalb müßte man heute, wenn jemand fragt: wie kann ich ein guter Pädagoge werden? sagen: Du mußt von der Anthroposophie ausgehen. Du darfst sie nicht verleugnen, du mußt dir Menschenerkenntnis durch Anthroposophie erwerben.

Menschenerkenntnis haben wir ja im heutigen Zivilisationsleben nicht. Wir haben Theorien, aber wir haben keine lebendige Einsicht, weder in die Welt, noch in das Leben, noch in den Menschen. Wirk­liche Einsicht führt zur Lebenspraxis. Aber wir haben heute keine Lebenspraxis. Wissen Sie, wer die allerunpraktischsten Leute heute sind? Die allerunpraktischsten Leute sind nicht die Wissenschafter, die sind ungeschickt und lebensfremd, nur bemerkt man es bei denen; aber bei denen, die die stärksten Theoretiker sind, die am meisten lebensunpraktisch sind, bei denen bemerkt man das nämlich nicht. Das sind die sogenannten Praktiker, die kommerziellen und indu­striellen Leute, die Bankleute; das sind die Leute, die heute die prak­tischen Lebenszusammenhänge beherrschen aus theoretischen Ge­danken heraus. Eine Bank ist heute ganz aus theoretischen Ge­danken heraus gebildet. Es ist gar nichts Praktisches darinnen. Nur bemerken die Leute das nicht, weil sie sagen: so muß es sein, so machen es die praktischen Leute. Dann schickt man sich halt da hinein. Man merkt nicht, welchen &haden das im Leben wirklich an­richtet, weil es ganz unpraktisch wirkt. Das praktische Leben ist heute ganz unpraktisch; auf allen Gebieten ist gerade das praktische Leben ganz unpraktisch.

Und merken werden es die Leute nur, wenn immer mehr und mehr zerstörende Elemente in die Zivilisation hineinkommen und sie auflösen.

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Der Weltkrieg ist, wenn es so bleibt, nur ein Anfang gewesen, eine Introduktion. Der Weltkrieg ging in Wirklichkeit aus dieser Unpraxis hervor, aber er war nur eine Einleitung. Es handelt sich darum, daß nicht fortgeschlafen werde. Und am wenigsten geht es, daß man auf dem Gebiet des Unterrichts- und Erziehungswesens weiterschläft. Da handelt es sich wirklich darum, daß man eine Er­ziehung aufnimmt, die auf den ganzen Menschen nach Leib, Seele und Geist geht, und daß daher auch wirklich Leib, Seele und Geist zunächst erkannt werden.

Nun kann es sich ja in einem kurzen Kursus, wie er hier gehalten werden soll, nur darum handeln, die wichtigsten Dinge, die sich auf Leib, Seele und Geist beziehen, so zu gestalten, daß sie gerade auf das Unterrichts- und Erziehungswesen hinauslaufen. Das wollen wir tun. Nur ist das erste Erfordernis, das gleich vom Anfang an einzu­sehen ist, daß man wirklich sich bemüht, auch äußerlich die Blicke auf den ganzen Menschen hinzurichten.

Wie bildet man heute Erziehungsgrundsätze? Man schatit auf das Kind, sagt sich, das Kind ist das und das, das Kind soll etwas lernen. Man denkt nach, wie man es am besten unterrichtet, damit es schnell dies und jenes lernt. Ja, was ist denn ein Kind? Ein Kind ist ein Kind doch höchstens zwölf Jahre, meinetwillen auch zwanzig Jahre lang, darauf kommt es mir jetzt nicht an, aber einmal wird es doch etwas anderes, einmal wird es ein älterer Mensch. Das ganze Leben ist eine Einheit, und wir haben nicht bloß auf das Kind zu sehen, sondern auf das ganze Leben; wir haben auf den ganzen Menschen zu sehen.

Nehmen wir nun an, ich habe ein blasses Kind in der &hule sitzen. Ein blasses Kind muß für mich ein Rätsel sein, das ich zu lösen habe. Es können viele Gründe sein, aber es kann der Fall so liegen: das Kind ist noch mit etwas rosigem Gesicht in die Schule gekommen, es ist unter meiner Behandlung blaß geworden. Ich gestehe mir das. Ja, da muß ich jetzt beurteilen können, warum das Kind blaß geworden ist. Ich werde vielleicht darauf kommen, daß ich diesem Kind zuviel Gedächtnismaterial gegeben habe. Ich habe das Gedächtnis des Kin­des zu stark angestrengt. Komme ich nicht ab, bin ich ein pädagogisch Kurzsich tiger und bilde mir ein, eine Methode müsse durchgeführt

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werden, ganz gleichgültig, ob das Kind blaß oder rot wird dabei, dann bleibt das Kind blaß.

Wenn ich aber jetzt in die Lage käme, dieses Kind zu beobachten, wenn es fünfzig Jahre alt sein wird, dann wird dieser Mensch wahr­scheinlich unter einer furchtbaren Sklerose leiden, wird eine Arterien­verkalkung haben, von der man nicht wissen wird, wovon sie kommt. Sie kommt davon, daß ich das Gedächtnis des Kindes mit acht, neun Jahren überladen habe. Ja, sehen Sie, der Fünfzigjährige und der Acht-, Neunjährige gehören zusammen, das ist doch ein Mensch. Wir müssen wissen, was aus etwas, was wir mit dem Kinde machen, nach fünfzig oder vierzig Jahren wird, denn das Leben ist eine Einheit, das Leben gehört zusammen. Bloß das Kind zu kennen genügt nicht; wir müssen den Menschen kennen.

Und wiederum, denken Sie, plage ich mich damit, einer Klasse möglichst gute Definitionen beizubringen, daß die Begriffe ganz fest sitzen, daß das Kind weiß, das ist ein Löwe, das eine Katze und so weiter. Ja, soll das Kind nun immer bis zu seinem Tode diese Begriffe beibehalten können? Wir haben ja heute gar keine Ahnung davon, daß auch das Seelische wachsen muß. Wenn ich einem Kind einen Begriff beibringe, der nun ein für allemal richtig sein soll - was ist nicht alles richtig? -, und es soll ihn das ganze Leben hindurch be­halten können, ist das gerade so, wie wenn ich ihm mit drei Jahren Schuhe kaufe und alle folgenden Schuhe jetzt nur so groß machen will, wie die Schuhe, die ich ihm mit drei Jahren kaufte. Das Kind wächst darüber hinaus. Da merkt man die Sache, und es würde als eine Barbarei angesehen werden, wenn ich ihm so kleine Schuhe kaufen wollte und den Fuß so klein halten wollte, daß er immer in den Schuh des Dreijährigen hineinpaßt! Aber mit der Seele tun wir das. Wir geben dem Kind Begriffe, die nicht wachsen mit dem Kind. Wir geben ihm Begriffe, die bleiben sollen, plagen es mit bestimmten Begriffen, die bleiben sollen, während wir dem Kinde Begriffe geben sollen, die wachsen können. Wir drücken die Seele fortwährend in die Begriffe hinein, die das Kind bekommen hat.

Das sind Dinge, die in der alleroberflächlichsten Weise zusammen-hängen mit der Forderung, man soll den ganzen Menschen, den

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wachsenden, lebendigen Menschen in der Pädagogik ins Auge fassen, nicht irgendeinen abstrakten Begriff des Menschen.

Wenn man die richtige Anschauung hat, daß das ganze Menschen­leben ein zusammenhängendes ist, kommt man erst darauf, wie ver­schieden wiederum die einzelnen Lebensalter sind. Das Kind bis zum Zahnwechsel ist ja ein ganz anderes Wesen, als das Kind nach dem Zahnwechsel. Natürlich darf man dabei nicht grobe Urteile, grobe Anschauungen zugrunde legen. Wenn man sich unter dem Menschen nur ein zweibeiniges Wesen vorstellt, das oben den Kopf und in der Mitte seine Nase hat, wird man sagen, das Kind hat auch vor dem Zahnwechsel zwei Beine und in der Mitte des Gesichtes eine Nase und so weiter. Aber wenn man die Fähigkeit hat, feinere Unter­schiede im Leben zu beobachten, dann wird man vor und nach dem Zahnwechsel im Kinde ein ganz verschiedenes Wesen finden.

Vor dem Zahnwechsel ist an dem Kinde wirklich deutlich noch wahrzunehmen, wie dasjenige nachwirkt, richtig nachwirkt, was das Kind als Lebensgewohnheiten vor der Geburt, beziehungsweise vor der Konzeption in dem vorirdischen Leben in der geistigen Welt hatte. Der Körper des Kindes tut da fast so, als ob er Geist wäre; denn der Geist, der heruntergestiegen ist aus der geistigen Welt, ist noch voll tätig in dem Kinde in den ersten sieben Lebensjahren. Sie werden sagen: Schöner Geist! Der ist ja ganz und gar tobsüchtig geworden, denn das Kind tobt, es benimmt sich ungeschickt, kann doch nichts. Das soll alles der Geist sein vom vorirdischen Leben? Ja, denken Sie nur daran, wenn Sie ganz ausgebildete, geschickte Menschen wären und plötzlich verurteilt wären, fortwährend in einem Raum, sagen wir von 62 Grad Celsius zu leben, Sie könnten es nicht. Sie könnten das noch weniger, als der Geist des Kindes, der heruntergestiegen ist aus den geistigen Welten und sich jetzt in irdischen Verhältnissen benehmen soll, sich da zu benehmen weiß. Weil er in eine ganz andere Welt versetzt ist, weil der Geist plötz­lich, was er vor dem Erdenleben nicht hatte, einen Leib an sich zu tragen hat, benimmt er sich so, wie sich das Kind eben benimmt. Aber dennoch, wer zu beobachten versteht, wie nach und nach aus

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der unbestimmten Gesichtsphysiognomie des Kindes mit jedem Tag, mit jeder Woche, mit jedem Monat mehr das Bestimmte heraus­kommt, wie aus den ungeschickten Bewegungen nach und nach die geschickten Bewegungen werden, wie das Kind sich ganz einlebt in die Umgebung, der weiß, das ist der Geist, der heruntergestiegen ist aus der vorirdischen Welt, der den Körper allmählich sich ähn­lich zu machen versucht. Wir werden begreifen, warum das Kind so ist, wenn wir so beobachten. Wir werden aber auch begreifen, daß es wirklich der heruntergestiegene Geist ist, der in dem Kör­per des Kindes so wirkt, wie wir das eben in dem Kinde wirksam sehen.

Daher gibt es für den, der in die geistigen Geheimnisse eingeweiht ist, eigentlich nichts Reizvolleres, als das Kind zu beobachten. Man lernt ja, wenn man das Kind beobachtet, nicht die Erde, man lernt den Himmel kennen. Und nicht bloß in den sogenannten artigen Kindern. Bei den artigen Kindern ist es meistens so, daß ihnen der Körper schwer wird. Schon im Kindheitsalter wird ihnen der Körper schwer. Der Geist kann ihn nicht recht in Empfang nehmen; die Kin­der sind still, sie schreien nicht. Die Kinder sitzen viel, sie toben nicht. Der Geist ist in ihnen untätig, weil der Körper solchen Wider­stand bietet. Bei sogenannten braven Kindern ist es oftmals so, daß der Körper dem Geiste Widerstand bietet.

In Kindern, die nicht so brav sind, sondern die ordentlich toben, ordentlich sich ausschreien, die einem Mühe machen, in denen regt sich der Geist, natürlich auf ungeschickte Art, denn er ist vom Him­mel auf die Erde versetzt, aber er regt sich eben. Er braucht den Leib. Man kann tatsächlich das wüste Geschrei eines Kindes zuweilen furchtbar entzückend finden, aus dem einfachen Grunde, weil man dabei erfährt, welches Martyrium zunächst der Geist durchmacht, wenn er in einen kindlichen Körper hinunterkommt.

Ja, Erwachsener zu sein, das ist leicht, für den Geist nämlich. Da hat man sich den Körper schon durchaus zubereitet. Da bietet der Körper nicht mehr so viel Widerstand. Erwachsener zu sein ist ganz leicht. Kind zu sein, das ist außerordentlich schwierig. Das Kind merkt es nur nicht, weil das Bewußtsein noch nicht erwacht ist, das

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schläft noch. Aber mit dem Bewußtsein, das vor dem Herunterstieg auf die Erde da war, mit dem würde das Kind es schon bemerken. Wenn das Kind in diesem Bewußtsein darinnen wäre, dann wäre des Kindes Leben eine furchtbare Tragik, eine ganz furchtbare Tragik. Denn se­hen Sie, da steigt man herunter auf die Erde; man ist gewöhnt an eine geistige Substanz, aus der man vor dem Herunterstieg auf die Erde sein Geistleben hatte. Da ist man gewöhnt, diese geistige Substanz zu handhaben. Die hat man sich ganz selbst zubereitet nach seinem Karma, nach den Ergebnissen voriger Erdenleben. Da steckt man drinnen, sozusagen in seinem eigenen geistigen Bekleidungsstück. Jetzt soll man heruntersteigen auf die Erde. - Ich möchte ganz popu­lär reden über solche Dinge, und Sie müssen mir verzeihen, wenn ich sie darstelle, wie sie sich eben dem darstellen, der darüber so redet, wie über die gewöhnlichen Dinge der Erde; man kann so reden, weil sie so sind. - Jetzt soll man heruntersteigen; man soll sich einen Körper auf der Erde wählen.

Ja, dieser Körper ist einem von Generationen zubereitet. Da ha­ben ein Vater und eine Mutter einen Sohn oder eine Tochter bekom­men, diese wiederum einen Sohn oder eine Tochter und so fort. Das gibt dann einen Körper durch Vererbung. Den soll man beziehen. In den soll man einkehren. Da kommt man plötzlich in ganz andere Verhältnisse herein. Man zieht sich solch einen Körper an, der einem durch die Generationenfolge zubereitet worden ist.

Gewiß, man wirkt schon von der geistigen Welt herunter, damit man nicht einen völlig unpassenden Körper bekommt, aber man be­kommt einen ziemlich unpassenden Körper zumeist. Man paßt zu­meist gar nicht hinein in einen solchen Körper. Wenn nur ein klein wenig ein Handschuh auf einer Hand so wenig passen würde, wie in der Regel ein Körper auf eine Seele paßt, so würden Sie diesen Hand­schuh in alle Ecken des Himmels werfen. Es würde Ihnen gar nicht einfallen, den Handschuh anzuziehen. Aber wenn Sie aus der geisti­gen Welt heruntersteigen und einen Körper haben wollen, dann müssen Sie eben einen nehmen. Und diesen Körper haben Sie nun bis zum Zahnwechsel. Denn es ist so, daß eigentlich alle sieben bis acht Jahre unsere äußere physische Materie ganz ausgetauscht wird,

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im Wesentlichen wenigstens, nicht für alles. Die Zähne, die wir zu­erst bekommen, werden gewechselt, dann bleiben sie uns. Es ist das nicht mit allen Gliedern des menschlichen Organismus der Fall. Wichtigere Glieder noch als die Zähne werden alle sieben Jahre ausgetauscht, solange der Mensch auf Erden ist. Würden die Zähne sich ebenso verhalten, dann würden wir wie mit 7 Jahren, so mit 14, mit 21 Jahren und so fort wieder Zähne bekommen, und es gäbe keine Zahnärzte auf der Erde.

Gewisse Organe, die hart sind, bleiben dann. Aber gerade die wei­cheren Organe werden immer erneuert. In den ersten sieben Lebens-jahren hat man ja einen Körper, den einem eben die äußere Natur, die Eltern und so weiter übergibt. Es ist ein Modell. Man ist mit seiner Seele gegenüber diesem Körper, wie der Künstler gegenüber einem Modell, das er nachahmen soll. Der zweite Körper, den man mit dem Zahnwechsel herauszieht aus dem ersten - nach und nach natürlich, es geht durch alle sieben Jahre hindurch -, den hat man sich erst selber gemacht nach dem Modell, das einem von den Eltern gegeben worden ist. Den Körper, den man sich selber macht, hat man erst nach sieben Jahren. Alles, was heute die äußere Wissenschaft von der Vererbung und so weiter sagt, ist ja dilettantisch gegenüber der Wirklichkeit. In Wirklichkeit bekommen wir einen Modellkörper, den wir sieben Jahre an uns haben. Natürlich fängt er schon in den ersten Lebensjahren an, sich abzutöten und abzustoßen. Aber das geht weiter, und wenn wir den Zahnwechsel haben, bekommen wir den zweiten Körper.

Nun gibt es schwache Individualitäten; sie kommen schwach her-unter und bilden sich den zweiten Körper, den sie nach dem Zahn-wechsel an sich tragen, genau nach dem ersten. Wir sagen, die bilden sich genau nach den Eltern. Das ist gar nicht wahr. Den zweiten Körper bilden sie sich nach dem Modell. Nur in den ersten sieben Lebensjahren haben wir Vererbtes in uns. Natürlich sind wir alle schwache Individualitäten und bilden sehr viel nach. Aber es gibt auch starke Individualitäten, die kommen herunter, haben in den er­sten sieben Lebensjahren viel vererbt. Sie können das an den Zähnen sehen. Die ersten Zähne sind noch so, daß man ihnen die Zahmheit

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ansieht in der Vererbung. Die zweiten Zähne, die knacken schon ganz ordentlich, die haben ihre entsprechenden Höcker. Das sind starke Individualitäten, die sich ganz ordentlich ausbilden. Dann haben Sie Kinder, die sind mit zehn Jahren noch so wie andere mit vier, Abbilder. Andere Kinder sind mit zehn Jahren ganz verändert. Die starke Individualität regt sich. Das Modell wird benützt, aber nachher bildet man einen selbständigen Körper aus.

Auf solche Dinge muß man hinschauen. Mit all diesen Dingen von Vererbung kommt man nicht weiter, wenn man nicht hineinsieht, wie die Dinge sind. Vererbung im eigentlichen Sinne, wie sie die Wissenschaft heute vertritt, gilt nur für die ersten sieben Jahre des Menschen. Wenn er nachher etwas erbt, erbt er es freiwillig, könnte man sagen; er macht es nämlich nach dem Modell. In Wirklichkeit wird das Vererbte mit dem ersten Körper, mit dem Zahnwechsel ab­gestoßen.

Wir haben außerordentlich stark das Seelische, das herunterge­stiegen ist aus der geistigen Welt, das ungeschickt ist, weil es sich erst hineinfinden muß in das äußere Naturhafte. Aber in Wahrheit ist alles, ja, das Ungezogenste bei dem Kinde so entzückend. Natür­lich müssen wir schon ein bi&hen Philister sein, daß wir nicht alle Ungezogenheiten durchlassen. Wie der Geist geplagt wird von den Dämonen auf der Welt, die ausarten, das merkt man am meisten am Kinde. Das Kind muß in eine Welt hinein, in die es oft durchaus nicht hineinpaßt. Das ist eine furchtbare Tragik, wenn man das be­wußt durchführt. Wenn man das bewußt durchführen müßte, wenn man etwas von Initiation kennt und mit Bewußtsein sieht, was im Kinde diesen Körper ergreift, muß man sagen: Das ist ja im Grunde genommen etwas ganz Schreckliches, in all dieses Knochengezüchte, in all dieses Sehnengezüchte, das man erst formen muß, sich hinein­zufinden; das ist etwas furchtbar Tragisches. Das Kind weiß nur nichts davon, und das ist gut, weil der Hüter der Schwelle es behütet, daß es etwas davon weiß.

Aber der Lehrer soll davon wissen. Er soll mit einer ungeheuren Ehrfurcht vor dem Kinde stehen und wissen: da ist ein Göttlich-Gei­stiges auf die Erde heruntergestiegen. Daß wir dieses wissen, mit

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diesem unser Herz durchdringen und von da aus Erzieher werden, darauf kommt es an.

Es gibt große Unterschiede zwischen der Art, wie der Mensch im geistig-seelischen-vorirdischen Leben ist, bevor er heruntersteigt auf die Erde, und wie er dann immer weiter werden muß. Der Lehrer soll das beurteilen können, weil er ja in dem Kinde die Nachwir­kungen der geistigen Welt vor sich hat. Nun gibt es etwas, was sich das Kind schwer aneignen kann, weil die Seele es im geistigen Leben gar nicht hat.

Sehen Sie, auf der Erde gelangt der Mensch äußerst wenig dazu, Aufmerksamkeit zu verwenden auf sein körperliches Innere. Das tun ja nur die Naturforscher und die Ärzte. Die wissen, wie es im Innern des Menschen innerhalb der Haut genau beschaffen ist. Bei den mei­sten Menschen findet man, daß sie nicht einmal ordentlich wissen, wo das Herz ist. Sie zeigen gewöhnlich an die unrichtige Stelle. Und wenn man gar von emem Menschen auf Erden im sozialen Leben verlangen würde, er solle einem sagen, wie der rechte Lungenflügel sich vom linken unterscheidet, oder er solle den Zwölffingerdarm beschreiben, dann würde man merkwürdige Antworten bekommen. Dagegen hat der Mensch, bevor er ins irdische Leben heruntersteigt, für seine Außenwelt außerordentlich wenig Interesse; um so mehr Interesse aber für das, was man da sein geistiges Innere nennen kann. In dem Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt hat man fast ausschließlich Interesse für das geistige Innenleben. Man bildet sich nach Erlebnissen der vorigen Erdenleben das Karma aus. Und das bildet man sich ja nach dem geistigen Innenleben aus. Die­ses Interesse, das man da hat, ist von einer irdischen Eigenschaft, von der Wißbegierde, die in ihrer einseitigen Ausbildung Neugierde genannt werden kann, außerordentlich weit entfernt. Wißbegierde, Neugierde, Erpichtsein auf die Erkenntnis des äußeren Lebens hat man nicht vor der Geburt, vor dem Heruntersteigen auf die Erde; man kennt das gar nicht. Das hat daher das Kind auch noch sehr wenig.

Dagegen hat das Kind etwas, was Leben in der Umgebung ist.

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Wenn man noch nicht heruntergestiegen ist auf die Erde, lebt man eigentlich ganz in der Außenwelt. Die ganze Welt ist das Innere. Es gibt keinen solchen Unterschied zwischen Äußerem und Innerem. Daher ist man auch nicht auf Äußeres neugierig. Alles ist Inneres. Aber da ist man nicht neugierig darauf. Das trägt man in sich, es ist eine Selbstverständlichkeit, in der man lebt.

Im Grunde genommen lernt das Kind in den ersten sieben Lebens­jahren Gehen, Sprechen und Denken noch ganz so, wie man sich ver­halten hat, bevor man auf die Erde heruntergestiegen ist. Und legen Sie es daraufhin an, daß das Kind auf irgendein Wort neugierig sein soll, so werden Sie sehen, daß Sie dem Kind die Lust, dieses Wort zu lernen, ganz austreiben. Wenn Sie auf die Wißbegierde, auf die Neugierde rechnen, treiben Sie dem Kinde gerade dasjenige aus, was es soll. Sie dürfen gar nicht auf die Neugierde rechnen, vielmehr auf etwas anderes: daß das Kind naturhaft in Ihnen selber aufgeht, daß Sie in dem Kinde leben. Alles, was das Kind genießt, lebt, muß so sein, als ob es sein eigenes Innere wäre. Sie müssen ganz auf das Kind den Eindruck machen, wie der Arm des Kindes auf das Kind einen Eindruck macht. Sie müssen nur die Fortsetzung seines eigenen Körpers sein. Dann müssen Sie achtgeben, wenn das Kind den Zahn-wechsel passiert, allmählich in das Lebensalter eintritt zwischen dem 7. und 14. Jahre, wie nach und nach die Neugierde, die Wißbegierde herauskommt, und wie man da taktvoll und vorsichtig sein muß, acht-geben muß, wie sich die Neugierde nach und nach regt.

Das kleine Kind ist noch ein Plumpsack, ein Sack, der nicht neu­gierig ist, auf den man Eindruck machen muß dadurch, daß man sel­ber etwas ist. Gerade so wenig, wie ein Mehlsack neugierig ist auf seine Umgebung, gerade so wenig ist das kleine Kind neugierig. Aber wie alles, was Sie in dem Mehlsack an Eindrücken machen, festgehalten wird, insbesondere wenn das Mehl gut gemahlen ist, so bleibt beim kleinen Kind auch alles festgehalten, nicht weil es neugierig ist, sondern so, wie Sie beim Mehlsack mit dem Finger einen Eindruck machen, weil Sie eine Einheit ausmachen mit ihm.

Das wird erst mit dem Zahnwechsel anders. Da müssen Sie acht-geben, wie das Kind fragt: Was ist denn das? Womit gucken die

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Sterne? Warum sind die Sterne am Himmel? Warum hast du eine krumme Nase, Großmutter? Nach allem frägt dann das Kind. Es wird neugierig auf die Umgebung. Aber da muß man eine feine Emp­findung haben, wie nach und nach Neugierde und Aufmerksamkeit herauskommen. Und mit den Zähnen kommen sie heraus. Das sind die Lebensjahre, in denen sie herauskommen. Und dann muß man dem entgegenkommen. Man muß das Kind urteilen lassen über das­jenige, was man mit ihm machen soll; das heißt, man muß das leb­hafteste Interesse haben für dasjenige, was jetzt mit dem Zahnwech-sel im Kinde erwacht.

Und es erwacht außerordentlich viel. Neugierig ist es nun nicht vom Verstande aus - das Kind hat mit sieben Jahren noch keinen Verstand, wer mit dem Verstande rechnen will, rechnet ganz falsch beim siebenjährigen Kinde -, aber Phantasie hat es, und auf die Phantasie muß man rechnen. Es kommt da wirklich darauf an, daß man den Begriff entwickeln kann: «seelische Milch». Denn sehen Sie, nach der Geburt müssen Sie dem Kinde körperliche Milch geben. Das ist ein Nahrungsmittel, das alles übrige für das Kind in Mi­schung enthält. Das Kind nimmt die Milch auf und hat damit die ganze Nahrung. Jetzt müssen Sie dem Kinde nichts Einzelnes geben, alles muß seelische Milch sein. Wenn das Kind den Zahnwechsei durchgemacht hat und in die Schule hereinkommt, muß alles, was man ihm darbietet, eine Einheit sein: seelische Milch. Das Kind ein-mal lesen lernen, einmal schreiben lernen lassen, ist gerade so, wie wenn Sie die Milch erst chemisch in zwei Teile spalten und ihm dann das eine und dann das andere eingeben würden. Lesen, Schreiben, alles muß eine Einheit sein. Seelische Milch - der Begriff muß er­funden werden für die Kinder, wenn sie in die Volksschule herein­kommen.

Das kann nur dann geschehen, wenn man den Unterricht und die Erziehung vom Zahnwechselalter an künstlerisch einrichtet. Da soll das Künstlerische alles durchdringen. Künstlerische Gestaltung des Schreibunterrichts, so daß er aus dem Malen hervorgeht - ich werde das morgen noch ausführlicher beschreiben -, künstlerische Gestal­tung in der Überführung des Schreibens, das aus dem Malen herauskommt

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zum Lesen, künstlerische Gestaltung des Lesens und Schrei­bens mit dem, was das Kind in einfacher Weise errechnen soll - das alles muß eine Einheit sein. Solche Dinge müssen erst herausgebildet werden wie «seelische Milch». Die brauchen wir für das Kind, wenn es in die Volksschule kommt.

Und wenn das Kind geschlechtsreif wird, braucht es «geistige Milch». Die bringen wir der heutigen Menschheit schon ganz be­sonders schwer bei, denn Geist haben wir gar keinen mehr im mate­rialistischen Zeitalter. Wenn wir nun auch noch Milch ausbilden sol­len, geistige Milch, so ist das ganz besonders schwer, und dann müßten wir schon die Boys und Giris in den sogenannten Lümmel­und Flegeljahren sich selbst überlassen, denn wir haben ja nicht geistige Milch.

Damit wollte ich Ihnen heute nur eine Einleitung geben, um Sie zunächst auf den Weg zu bringen. Wir wollen dann morgen in den Betrachtungen fortfahren und uns auf die Einzelheiten einlassen.

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ZWEITER VORTRAG Torquay, 13. August 1924

Gestern wurde von mir darauf hingewiesen, wie wir uns einen völli­gen Umschwung in der Entwickelung des Kindes zu denken haben beim Zahnwechsel. Es ist ja so, daß dasjenige, was man Vererbung, vererbte Merkmale nennt, durchaus nur in der ersten Lebensepoche des Menschen seine unmittelbare Rolle spielt. Im weiteren wird eben in den ersten sieben Jahren nach und nach ein zweiter Lebensorganis­mus in physischer Körperlichkeit auferbaut, der nach dem Modell des vererbten Organismus gestaltet wird, und der dann sozusagen fertig ist, wenn der Zahnwechsel sich vollzieht. Wenn die Indivi­dualität schwach ist, die aus der geistigen, aus der vorirdischen Welt herunterkommt, dann ist der zweite Organismus dem vererbten ähn­lich. Ist die Individualität stark, so sehen wir aber, wie sich zwischen dem 7. Jahre, dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife, also um das 14. Lebensjahr herum, allmählich eine Art Sieg über die ver­erbten Merkmale ausbildet. Die Kinder werden anders, gestalten sich um, selbst in der äußeren Körperform.

Insbesondere aber ist es interessant, die Seelenmerkmale zu ver­folgen, die dann in dieser zweiten Lebensepoche zutage treten. In der ersten Lebensepoche vor dem Zahnwechsel ist das Kind gewisser­maßen ganz Sinnesorgan. Das müssen Sie im allerwörtlichsten Sinne nehmen: ganz Sinnesorgan.

Betrachten Sie zum Beispiel das menschliche Auge oder das menscliliche Ohr. Was ist das Charakteristische eines solchen Sinnes­organes? Das Charakteristische ist dieses, daß das Sinnesorgan fein empfänglich ist für die Eindrücke der Außenwelt. Und wenn Sie das Auge betrachten, so können Sie ja im Auge sehen, was für ein Vor­gang eigentlich stattfindet. Das Kind ist gewissermaßen in den ersten sieben Jahren ganz Auge. Denken Sie daran, daß - ich will alles übrige weglassen - von jedem Gegenstande, der draußen ist, sich im Auge ein Bild bildet, ein umgekehrtes Bild bildet. Das ist ja das­jenige, was die triviale Physik jeden lehrt. Dasjenige also, was

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draußen ist in der Welt, ist bildhaft im Auge drinnen. Nun, dabei bleibt die Physik stehen. Es ist aber eigentlich nur der Anfang dessen, was man in bezug auf das Auge wissen soll, daß sich da drinnen ein Bild bildet, es ist die äußerlichste physikalische Tatsache.

Würde die Physik mit fein beobachtendem Sinn dieses Bild an­schauen, dann würde sie finden: je nachdem dieses Bild ist, geht da drinnen in der Aderhaut die Zirkulation vor sich. Die ganze Ader­haut ist in ihrer Blutzirkulation beeinflußt von der Art und Weise, wie das Bild ist. Das ganze Auge richtet sich ein nach diesen Dingen. Das sind ja feine Vorgänge, die von der gewöhnlichen Physik nicht berücksichtigt werden.

Aber das Kind ist Auge in den ersten sieben Jahren. Wenn in der Nähe des Kindes - sagen wir etwas Eklatantes - ein Zornausbruch stattfindet, wenn jemand wütend wird, dann wird das ganze Kind in seinem Innern ein Bild dieses Zornausbruches haben. Der Äthedeib macht ein Bild. Von dem geht nun in die ganze Zirkulation und in den ganzen Gefäß-Stoffwechsel etwas über, was mit dem Zornaus­bruch verwandt ist.

Das ist in den ersten sieben Jahren so, und danach richtet sich der Organismus ein. Natürlich sind das nicht grobe Dinge. Feine Dinge sind es; aber wenn das Kind in der Nähe eines zornigen Vaters oder einer zornigen Erzieherin aufwächst, dann wird das Gefäßsystem sich auf Zorn einstellen, orientieren. Das ganze Leben hindurch bleibt dann das, was aus dieser eingepflanzten Anlage kommt.

Das sind die allerwichtigsten Dinge beim Kinde. Was Sie dem Kind sagen, was Sie das Kind lehren, das macht noch keinen Ein­druck; es macht den Eindruck, daß es in der Sprache dasjenige imi­tiert, was Sie ihm sagen. Aber wie Sie sind, ob Sie gut sind und diese Güte in Ihren Gesten zum Vorschein bringen, oder ob Sie böse sind, zornmütig sind, und das in Ihren Gesten zum Vorschein bringen, kurz, alles was Sie selber tun, setzt sich in dem Kinde drinnen fort. Das ist das Wesentliche. Das Kind ist ganz Sinnesorgan, reagiert auf alles, was durch Menschen als ein Eindruck in ihm hervorgerufen wird. Daher ist das Wesentliche, daß man nicht glaubt, das Kind könne lernen, was gut, was schlecht ist, könne dies oder jenes lernen,

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sondern daß man weiß: alles, was man in der Nähe des Kindes tut, setzt sich im kindlichen Organismus in Geist, Seele und Leib um. Die Gesundheit des ganzen Lebens hängt ab davon, wie man sich in der Nähe eines Kindes benimmt. Die Neigungen, die das Kind ent­wickelt, hängen ab davon, wie man sich in der Nähe des Kindes be­nimmt.

Alle diejenigen Dinge, die gewöhnlich in den Kindergärten emp­fohlen werden, man solle das oder jenes mit den Kindern machen, taugen nichts. Es ist meistens außerordentlich gescheit, was man so aufbringt als Kindergartenunterricht. Man muß sich, ich möchte sagen, ganz entzückt erklären über die Gescheitheit dessen, was da im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts für die Kindergärten ausge­dacht worden ist. Die Kinder lernen ja da schon soviel, lernen fast schon lesen. Buchstaben bekommen sie, die sie in ausgeschnittene Buchstaben hineinzulegen haben und solche Sachen. Es sieht alles furchtbar gescheit aus, und man kann so leicht versucht sein, zu glauben, daß das etwas ist, was für die Kinder taugt. Nichts nutz ist es! Gar nichts taugt es in Wirklichkeit. Die ganze Seele des Kindes wird dadurch verdorben. Bis in den Leib hinein, bis in die Gesund­heit hinein wird das Kind verdorben. Schwächlinge für Leib und Seele werden im späteren Leben durch solche Kindergartenarbeiten erzeugt.

Würde man dagegen einfach die Kinder hereinnehmen in den Kin­dergarten und sich selber so verhalten, daß die Kinder es nachmachen können, würde man allerlei Dinge machen, die die Kinder nach­machen, aus eigenem Antriebe nachmachen, wie sie es gewohnt sind vom Seelensein her im vorirdischen Dasein, dann würde das zwar bedingen, daß die Kinder uns ähnlich werden, aber es hängt ja dann von uns ab, daß wir so sind, daß sie uns ähnlich werden können.

Sehen Sie, das ist für die ersten sieben Lebensjahre ins Auge zu fassen, nicht das, was Sie im Worte, im Äußeren, als eine Moral-anschauung betrachten.

Es kommt in Betracht, ob Sie ein furchtbar griesgrämiges Gesicht machen, so daß das Kind den Eindruck hat, Sie seien ein Sauertopf; das schadet dem Kinde das ganze Leben hindurch. Daher ist es ge­rade

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für kleine Kinder so notwendig, daß man in demjenigen, was Menschenbetrachtung und Menschenleben ist, als Erzieher ganz auf­geht. Was für Programmpunkte man sich setzt, ist ja ganz gleich­gültig. Was für ein Mensch man ist, das kommt in Betracht. Pro­gramme zu machen ist leicht in unserer Zeit, weil in unserer Zeit alle Menschen so gescheit sind. Ich sage das nicht aus Ironie. In unserer Zeit sind die Menschen eben so gescheit. Wenn sich nur ein paar Menschen zusammensetzen und ausdenken, das oder jenes soll im Unterrichte oder in der Erziehung geschehen, so wird immer was Gescheites herauskommen. Ich habe noch keine dummen Erziehungs­und Unterrichtsprogramme kennengelernt; die sind immer sehr ge­scheit. Es kommt aber nicht darauf an, daß man solche Programme hat, sondern daß man in der Schule Menschen hat, die in der Weise wirken können, wie ich es eben angedeutet habe. Diese Gesinnung muß man entwickeln, denn auf die Gesinnung kommt es eigentlich gerade in der Lebensepoche des Kindes so ungeheuer viel an, in der das Kind ganz Sinnesorgan ist.

Wenn nun der Zahnwechsel sich vollzogen hat, dann ist das Kind nicht mehr in demselben Grade Sinnesorgan wie früher. Es nimmt schon ab von dem Lebensalter zwischen dem dritten und vierten Jahre; aber bis dahin hat ja das Kind ganz besondere Eigentümlich­keiten, die man eigentlich meistens gar nicht kennt. Wenn Sie etwas essen, etwas Süßes oder Saures, so spüren Sie das an Zunge und Gau­men. Wenn das Kind Milch trinkt, spürt es den Milchgeschrnack durch den ganzen Körper hindurch, denn es ist auch Sinnesorgan in bezug auf das Schmecken. Es schmeckt durch den ganzen Körper durch. Und da kann man manchmal ganz merkwürdige Erfahrungen machen.

Es gibt Kinder, sie sind jetzt selten, weil sich ja die Kinder nach den Erwachsenen richten, sie werden dann ja auch meistens mit 15, 16 oder 20 Jahren verwelkte Kinder, verlieren die Frische, aber man kann in unserer Zeit auch noch die Erfahrung machen - es ist nur schwer für solche Kinder -, daß sie wirklich ganz Sinnesorgan sind. Ich lernte zum Beispiel einen kleinen Knaben kennen; wenn man dem etwas vorstellte, was ihm schmecken sollte, wo er schon wahrnahm,

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daß es ihm schmecken würde, näherte er sich nicht bloß mit denjenigen Organen, mit denen man sich sonst der Speise nähert, sondern er ruderte mit Händen und Füßen hin, war ganz Ge­schmacksorgan. Das Merkwürdige ist, daß er dann im 9., 10. Jahre ein ausgezeichneter Eurythmist wurde, für die Eurythmie viel Ver­ständnis bekam. So daß also dasjenige, was sich da in seinem Rudern für das Essen veranlagt hatte, sich ausbildete in den Willensorganen.

Solche Dinge aber führe ich nicht an, um Sie zu erheitern, sondern um an ihnen zu zeigen, wie man beobachten soll. Man findet sehr selten im Leben, daß einem die Leute solche Dinge erzählen, aber sie kommen alle Augenblicke vor. An diesen charakteristischen Äuße­rungen des Lebens gehen die Menschen vorbei, und sie denken sich dann aus, wie man erziehen soll, statt das Leben zu beobachten.

Das Leben ist ja vom Morgen bis zum Abend überall interessant. Die kleinsten Dinge sind interessant. Beobachten Sie nur zum Bei­spiel Menschen, die eine Birne vom Desserttisch nehmen. Nicht zwei nehmen die Birne in gleicher Weise, immer verschieden. Der ganze Charakter eines Menschen lebt sich darinnen aus, wie er eine Birne aus der Schüssel nimmt und auf seinen Teller legt, oder gar nicht auf seinen Teller legt, sondern gerade zum Munde führt und so weiter.

Würde man für solche Dinge im Leben mehr Beobachtungssinn entwickeln, so würde jene Scheußlichkeit in der Schule sich nicht ent­wickeln, die man heute ja nun leider so oft sieht. Man sieht fast kein Kind mehr, das die Feder oder den Griffel ordentlich hält. Irgendwie wird der Griffel oder die Feder falsch gehalten, weil man nicht Sinn dafür hat, richtig zu beobachten. Das ist überhaupt schwer. Das ist auch in der Waldorfschule nicht leicht. Man kommt sehr häufig in eine Klasse hinein, wo man erst ordentlich aufräumen muß in bezug auf Federhaltung, Griffelhaltung und so weiter. Man sollte in dieser Beziehung gar nicht außer acht lassen, daß der Mensch ein Ganzes ist, daß der Mensch also Geschicklichkeit nach allen Richtungen hin erwerben muß. Also Lebensbeobachtung, das ist es, was auch für die Kleinigkeiten des Lebens der Lehrende, der Erziehende braucht. Und wenn Sie durchaus etwas in Grundsätze geformt haben wollen,

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so nehinen Sie das als den ersten Grundsatz einer wirklichen pädago­gischen Kunst: du mußt das Leben in allen seinen Äußerungen beob­achten können.

Man kann ja auch nicht genug nach dieser Richtung lernen. Sehen Sie sich nur einmal Kinder von hinten an. Die einen gehen so, daß sie die Fußsohle ganz aufsetzen, die anderen trippeln auf den Vorder-füßen. Alles mögliche kann dazwischen liegen. Ja, man muß von einem Kinde, das man erziehen will, ganz genau wissen, wie es geht. Denn ein Kind, das mit den Fersen auf den Boden fest auftritt, zeigt in dieser kleinen Eigenschaft des körperlich sich Offenbarens, daß es fest im Leben drinnen steckte in seiner vorhergehenden Inkarnation, daß es sich für alles interessierte im vorhergehenden Erdenleben.

Man wird daher bei einem solchen Kinde darauf sehen müssen, daß man womöglich die Dinge aus dem Kinde herausholt, denn es steckt viel drinnen in Kindern, die mit der Ferse stark auftreten. Da­gegen die Kinder, die trippeln, mit der Ferse kaum auftreten, die haben in flüchtiger Weise das vorige Erdenleben vollbracht. Man wird bei ihnen nicht viel herausholen können; man wird darauf sehen müssen, daß man viel in ihrer Nähe macht, damit sie eben auch viel nachmachen können.

Und so muß man den Übergang im Zahnwechsel beobachtend er­leben. Man wird dann finden, daß das Kind vor allen Dingen die symbolisierende Gabe, die Phantasiegabe herausentwickelt aus dem, daß es vorher ganz Sinnesorgan ist, und darauf muß man rechnen, auch schon im Spiel. Unsere materialistische Zeit sündigt furchtbar dagegen. So bekommt man heute zum Beispiel überall sogenannte schöne Puppen für die Kinder. Oh, die haben ein so schön geformtes Gesicht, wunderbar gestrichene Wangen, sogar Augen, mit denen sie schlafen können, wenn man sie hinlegt, echte Haare, und was nicht alles! Aber damit wird die Phantasie des Kindes totgemacht. Es kann selber nichts mehr in der Phantasie aus dieser Gestalt ma­chen. Das Kind erlebt auch nicht so viel Freude daran. Dagegen macht man selbst eine Puppe aus einer Serviette oder einem Taschen­tuch, mit zwei Tintenklecksen die Augen, mit einem Tintenklecks einen Mund, man kann auch irgendwie Arme formen, dann kann das

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Kind mit der Phantasie sehr viel dazusetzen. Das ist für das Kind ganz besonders gut, möglichst viel dazusetzen zu können, die Phan­tasie, die symbolisierende Tätigkeit entwickeln zu können Das ist dasjenige, was man für sie suchen muß; möglichst wenig Fertiges, Schönes, wie man es nennt, geben. Denn das Schöne solch einer Puppe, wie ich sie vorhin beschrieben habe, mit echten Haaren uno so weiter, ist nur konventionell schön; in Wahrheit ist diese Puppe ja scheußlich, weil sie unkünstlerisch ist.

Darauf kommt es an, daß man genau gewahr wird, wie in dem Lebensalter, das den Zahnwechsel in sich schließt, das Kind in das Phantasieleben übergeht, nicht in das Verstandesleben, in das Phan­tasieleben übergeht. Da müssen Sie nun auch als Lehrer, als Erzieher, das entwickeln können. Phantasieleben können diejenigen Menschen entwickeln, die im Innern ihrer Seele wirkliche Menschenkenntnis haben. Es ist schon so, Menschenkenntnis läßt das innere Seelenleben auftauen, läßt das Lächeln in die Physiognomie des Gesichtes kom­men. Das Griesgrämigsein kommt von der Unkenntnis. Gewiß, man kann irgendein krankes Organ haben und dadurch irgendwelche krankhaften Züge im Gesicht haben. Die machen es aber nicht aus, darüber geht das Kind hinweg. Dasjenige aber, was sich in der Physiognomie ausdrückt von dem Innersten der Seele, die mit Men­schenkenntnis erfüllt ist, das macht den Lehrer fähig, ein wirklicher Erzieher zu werden.

Aus dem Wesen der Phantasie heraus muß also zwischen dem Zahn­wechsel und der Geschlechtsreife erzogen werden. Man möchte sa­gen, dasjenige, was bei dem Kinde in den ersten Jahren da ist, daß es ganz Sinnesorgan ist, das wird mehr verinnerlicht, seelisch. Die Sinnesorgane denken ja nicht. Die Sinnesorgane nehmen Bilder wahr, oder vielmehr sie formen Bilder aus den äußeren Gegenstän­den. Auch wenn dasjenige, was das Kind als Sinnesorgan hervor­bringt, zunächst seelisch wird, so wird nicht ein Gedanke daraus, sondern ein Bild, wenn auch ein seelisches, ein Phantasiebild. Daher muß man in Bildern arbeiten vor dem Kinde.

Nun, am wenigsten kann in Bildern gearbeitet werden, wenn man

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an das Kind von vornherein etwas ganz Fremdes heranbringt. Ganz fremd aber ist für das Kind dasjenige, was wir heute zum Beispiel in unserer Schrift haben, ob in den geschriebenen oder in den gedruck­ten Buchstaben. Das Kind hat ja gar keine Beziehung zu so etwas wie einem A. Warum sollte das Kind eine Beziehung haben zu so etwas, wie ein A ist? Warum sollte das Kind irgendwie sich inter­essieren für ein L? Diese Buchstaben sind ihm ja etwas ganz Fremdes. Dennoch geht man einfach heran an das Kind, wenn es in die Schule kommt, und will ihm diese Dinge vermitteln. Die Folge davon ist, daß das Kind sich ganz und gar fremd fühlt dem, was es nun voll­bringen soll. Und wenn man gar vor dem Zahnwechsel mit diesen Dingen an das Kind herankommt, es in allerlei ausgeschnittene Formen Buchstaben hineinstopfen läßt, beschäftigt man ja das Kind mit Dingen, die ihm ganz ferne liegen, zu denen es nicht das ge­ringste Verhältnis hat.

Dagegen hat das Kind von vornherein künstlerischen Sinn, sinn-bildende Phantasie. An diese muß man appellieren, an diese muß man sich wenden. Und man muß versuchen, zunächst gar nicht an diese konventionellen Buchstaben heranzurücken, die in der Schrift und im Druck der zivilisierten Menschheit gegeben sind, sondern man muß zunächst versuchen, ich möchte sagen, in einer geistvollen Weise - verzeihen Sie, daß ich das Wort anwende - die Kulturent­wickelung der Menschheit mit dem Kinde durchzumachen.

Die Menschen haben ja früher Bilderschrift gehabt, das heißt, sie haben etwas auf das Blatt gemalt, was an den Gegenstand er­innerte. Wir brauchen nicht Kulturgeschichte zu studieren, aber wir können den Sinn und Geist desjenigen, was die Menschen mit der Bilderschrift wollten, vor das Kind hinbringen, dann wird sich das Kind dabei wie zu Hause fühlen.

Man denke nur einmal an folgendes. Nehmen wir das Wort «Mund», im Englischen «mouth». Wenn Sie das Kind veranlassen, einen Mund zu zeichnen, aber malend zu zeichnen, Farbenkleckse hinmachen zu lassen mit roter Farbe, und dann das Kind das Wort aussprechen lassen und sagen: Nun sprich aber nicht das ganze Wort aus, sondern fange es nur an - M, und machen wir aus der Oberlippe

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(siehe Zeichnung) allmählich dieses M, so bekommen wir aus dem Mund, den wir zuerst gemalt haben, das M heraus.

#Bild s. 32a

So ist nämlich in Wirklichkeit die Schrift entstanden, nur sieht man es heute den Worten schwer noch an, daß die Buchstaben Bilder waren, weil die Worte alle im Verlaufe der Sprachentwickelung ver­schoben worden sind. Ursprünglich hatte jeder Laut eben sein Bild, und seine Bildmöglichkeit war eindeutig.

Man braucht nun nicht auf diese ursprünglichen Charaktere zu­rückzugehen, aber man kann erfinden. Erfinderisch muß der Lehrer sein; er muß aus dem Geiste der Sache heraus schaffen.

Nehmen wir das Wort «Fisch», das ja auch im Englischen «fish» ist. Lassen Sie das Kind zeichnend, malend eine Art Fisch darstellen, lassen Sie den Anfang des Wortes sprechen: F, Sie kriegen nach und nach das F heraus aus dem Bilde.

#Bild s. 32b

Und so finden Sie in der Tat für alle Konsonanten, für alle Mit­laute, wenn Sie erfinderisch sind, die Bilder, können sie aus dem malenden Zeichnen, zeichnenden Malen herausholen.

Das ist unbequemer als die Methoden, die man heute vielfach an­wendet. Vor allen Dingen muß man dann, wenn man das die Kinder hat machen lassen zwei oder drei Stunden lang, hinterher das Gemalte

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aufräumen, muß all das, was die Kinder benutzt haben, weg­räumen. Aber das muß eben geschehen, es bleibt nichts anderes übrig.

Daraus ersehen Sie, wie man aus dem Bilde heraus den Buchstaben holen kann, und das Bild wiederum holen kann aus dem unmittel­baren Leben. Und das soll man tun. Ja nicht zuerst lesen lehren, sondern zuerst vom zeichnenden Malen, malenden Zeichnen aus­gehen, daraus die Buchstaben entstehen lassen, und dann erst dazu übergehen, zu lesen.

Für die Konsonanten werden Sie überall etwas finden, wo Sie von Dingen ausgehen können. Sie müssen nur suchen. Sie werden überall so etwas finden, um den Anfangslaut, den Anfangsbuchstaben aus einem Worte entstehen zu lassen. Für die Vokale ist es nicht so leicht. Aber für die Vokale ist vielleicht folgendes möglich. Denken Sie ein­mal, Sie sagen dem Kinde: Sieh einmal die schöne Sonne! Die mußt du doch bewundern. Stelle dich einmal so auf, daß du hinaufschaust, um die schöne Sonne zu bewundern. Nun steht es so da, schaut hin­auf und drückt die Verwunderung aus: Ah! Das malen Sie auch noch

#Bild s. 33a

hinzu. Es ist sogar dann das hebräische A, der Laut der Verwunde­rung. Sie brauchen jetzt das nur klein werden zu lassen und können allmählich auf das A übergehen.

Und so werden Sie - wenn Sie inneres Seelisches, namentlich eurythmische Begriffe vor das Kind hinstellen, es selber in diese Lage versetzen -, so werden Sie auch die Vokale herausbringen. Die Eu­rythmie wird Ihnen da eine ungeheuer starke Hilfe geben können, weil schon die Laute im Eurythmischen gebildet sind. Denken Sie

#Bild s. 33b

Daraus kann man das Lautzeichen 0 bekommen. Man kann tatsäch­lich aus der Geste, aus der Gebärde, die Vokale bekommen.

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So arbeitet man aus dem Anschauen, aus der Phantasie heraus. Man wird es dann erreichen, daß die Kinder nach und nach die Laute, die Buchstaben aus den Dingen gewinnen. Vom Bilde muß man ausgehen. Der Buchstabe, wie er heute fertig in der Zivilisation vorliegt, hat ja eine Geschichte hinter sich. Der ist etwas aus einem Bilde Vereinfachtes, und man erkennt aus dem heutigen Zauber­zeichen nicht mehr, wie das Bild war.

Als die Europäer, diese «besseren Menschen», nach Amerika ge­kommen sind, als noch Wilde da waren, die Indianer - noch in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts haben sich solche Dinge zuge­tragen -, und haben diesen Wilden Schriftzeichen, Gedrucktes vor­gewiesen, da sind die Indianer davongelaufen, weil sie das für kleine Teufelchen hielten, was da als Buchstaben vorhanden war, und sie haben gesagt: die Blaßgesichter - wie man die Europäer unter den Indianern nannte - verständigen sich durch kleine Teufelchen, durch Dämonen.

Aber das sind ja die Buchstaben auch für Kinder. Sie bedeuten ja gar nichts für die Kinder. Das Kind empfindet - und es hat recht -in den Buchstaben etwas Dämonisches; sie sind ja schon ein Zauber-mittel geworden, weil sie Zeichen sind.

Man muß vom Bilde ausgehen. Das Bild ist kein Zauberzeichen, es ist etwas Reales, und so muß man aus dem heraus arbeiten.

Da kommen dann die Leute und sagen: Ja, aber die Kinder lernen dann spät erst Lesen und Schreiben. Das sagt man ja nur, weil man heute nicht weiß, wie schädlich es ist, wenn die Kinder früh lesen und schreiben lernen. Es ist sehr schlimm, wenn man früh schreiben kann. Lesen und Schreiben, so wie wir es heute haben, ist eigentlich erst etwas für den Menschen im späteren Lebensjahre, so im 11., 12. Le­bensjahre. Und je mehr man damit begnadigt ist, kein Lesen und Schreiben vorher fertig zu können, desto besser ist es für die späteren Lebensjahre. Derjenige, der noch nicht ordentlich schreiben konnte mit dem 14., 15. Lebensjahre - ich kann da aus eigener Erfahrung sprechen, weil ich es nicht konnte mit 14, 15 Jahren-, der verlegt sich nicht so viel für die spätere spirituelle Entwickelung, als der­jenige, der früh, mit sieben, acht Jahren schon fertig lesen und

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schreiben konnte. Das sind Dinge, die gerade der Lehrer beobachten muß.

Natürlich wird man heute, da man mit einer Privatschule die Kin­der ja ins öffentliche Leben hineinzustellen hat, nicht so vorgehen können, wie man eigentlich sollte. Aber man kann dennoch viel, viel erreichen, wenn man die Dinge kennt. Ums Kennen handelt es sich dabei. Vor allen Dingen soll man durchdringend wissen, erken­nen, daß man nicht das Lesen-Lehren vor dem Schreiben-Lehren trei­ben soll, denn im Schreiben, insbesondere, wenn es aus dem malen-den Zeichnen, zeichnenden Malen herausgeholt ist, betätigt sich der ganze Mensch. Die Finger sind dabei beteiligt, die Lage des Körpers, der ganze Mensch ist dabei beteiligt. Beim Lesen ist nur der Kopf beteiligt. Und man sollte möglichst spät dasjenige an das Kind heran­bringen, was nur einen Teil des Organismus in Tätigkeit versetzt und den anderen gleichgültig läßt. Das allerwichtigste ist, daß man zuerst den ganzen Menschen in Bewegung, in Regsamkeit bringt und dann einen Teil.

Allerdings, wenn man so vorgehen will, kann man nicht bis ins kleinste gehende Anweisungen bekommen, sondern nur eine Direk­tive, eine Richtung. Daher können Sie gerade bei dieser Unterrichts-methode, wie sie aus der Anthroposophie folgt, mit nichts anderm rechnen, als mit der absoluten Freiheit, aber auch mit der freien, schaffenden Phantasie des Lehrenden und Erziehenden.

In der Waldorfschule sind wir ja, ich möchte sagen, mit einem recht bedenklichen Erfolge gesegnet. Wir haben mit 130, 140 Schü­lern angefangen, die wir noch dazu aus dem Industriebetrieb von Emil Molt bekommen haben, die also damals gewissermaßen Zwangskinder waren, und einigen Kindern von Anthroposophen. In der kurzen Zeit des Bestandes der Waldorfschule ist sie so gewach­sen, daß wir jetzt über 800 Kinder und zwischen vierzig und fünfzig Lehrkräfte haben - also ein bedenklicher Erfolg, weil nach und nach die Dinge unüberschaubar werden. Aus den Einrichtungen der Wal­dorfschule, die ich Ihnen schildern werde, werden Sie schon ersehen, wie schwer das dann noch zu überschauen ist. Es kann natürlich über­schaut werden, aus Gründen, die ich auch später andeuten werde. Da

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haben wir Parallelklassen einrichten müssen, drei nebeneinander­laufende 5. und 6. Klassen, a, b, c. Die sind noch immer überfüllt, haben noch immer mehr Kinder als andere Klassen der Schule.

Da steht also eine Lehrkraft in der einen Klasse a, eine andere in der Klasse b. Denken Sie sich, wie das ist, im «richtig eingerichteten» Leben. Da kommen Sie in die 1. Klasse a hinein; da drinnen wird nach einer bestimmten Methode gedrillt, die man als die beste an­schaut. Jetzt gehen Sie in die 1. Klasse b hinein. Es könnte auch a drauf stehen, nur andere Kinder sitzen drinnen, denn in beiden Klassen geht es ja gleich zu, weil das die «richtige Methode» ist. Natürlich, die Menschen denken das nach Gescheitheit aus. Das In­tellektuelle ist ein Eindeutiges, und so muß es sein.

Bei uns finden Sie das gar nicht in der Waldorfschule. Bei uns gehen Sie in die 1. Klasse a hinein, da sehen Sie einen Lehrer oder eine Lehrerin drinnen, die treibt Schreibunterricht, läßt die Kinder allerlei Formen machen, sagen wir aus Fäden, dann läßt sie diese Formen in Malerisches überführen und es entstehen nach und nach Buchstaben. Einer zweiten Lehrerin gefällt es anders. Wenn Sie in die Klasse b hineingehen, finden Sie, daß diese Lehrerin die Kinder herumtanzen läßt; sie sollen die Formen am eigenen Leibe erleben. Dann läßt sie das fixieren. Niemals werden Sie finden, daß es in der Klasse a, b oder c ganz gleich zugeht. Es geschieht dasselbe, aber auf ganz verschiedene Art. Eine frei schaffende Phantasie waltet da. Es gibt keine Vorschrift, sondern es gibt nur einen Geist der Wal­dorfschule. Das ist sehr wichtig, daß man das erfaßt. Der Lehrer ist autonom. Der Lehrer kann innerhalb dieses Geistes durchaus das­jenige tun, was er für richtig hält. Sie werden sagen: Ja, wenn jeder tun kann, was er will, dann kann ja das Chaotischste in der Schule geschehen. Dann kommt man in die 5. Klasse a hinein, da wird, was weiß ich was für ein Hokus-Pokus getrieben. Dann kommt man in die 5. Klasse b hinein, da wird irgendwo ein Schachspiel getrieben. -Das Wesentliche aber ist wiederum, daß es nicht so ist in der Wal­dorfschule. Sie finden überall Freiheit, und dennoch ist in jeder Klasse der Geist darinnen, der dem Lebensalter der Kinder ent­spricht.

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Wenn Sie die Seminarkurse nehmen, so werden Sie sehen, sie las­sen die größte Freiheit, und dennoch, sie stellen in die Klasse das­jenige hinein, was hineingehört. Und das eigentümliche ist, kein Lehrer hat sich je dagegen aufgelehnt. Alle nehmen den einheitlichen Geist ganz freiwillig auf. Keiner lehnt sich auf, keiner will etwas extra haben. Im Gegenteil, es entsteht sogar oftmals die Sehnsucht, in den Konferenzen nur ja recht viel darüber zu reden, was in den Klassen sein soll.

Warum lehnt sich denn kein Lehrer auf gegen den Lehrplan? Wir haben schon Jahre hinter uns. Was glauben Sie, daß der Grund da­von ist? Jeder hält ihn für vernünftig. Er findet ihn gar nicht unver­nünftig. Er findet ihn in seiner Freiheit ganz vernünftig, weil er mit demjenigen zusammenhängt, was nun wirkliche, echte Menschen-erkenntnis ist.

Aber gerade indem man auf diese Dinge kommt, das Schaffen des Unterrichtsstoffes aus der Phantasie heraus, sieht man, daß Freiheit in der Schule walten muß. Die waltet auch. Und jeder Lehrer hat bei uns das Gefühl, nicht nur daß er auf dasjenige kommt, was er selber wirklich ausdenkt und in seiner Phantasie findet, sondern ich ge­winne immer mehr die Überzeugung - ob ich in den Konferenzen mit meinen Waldorf-Lehrern sitze, ob ich in die Klasse komme -, daß eigentlich jeder vergißt, wenn er in der Klasse ist, daß der Lehr­plan einmal fixiert und aufgestellt worden ist. Er hält ihn eigentlich in dem Momente, wo er unterrichtet, für sein eigenes Werk. Dieses Gefühl habe ich, wenn ich hineinkomme.

Das sind die Dinge, die sich ergeben, wenn wirkliche Menschen-erkenntnis zugrunde gelegt wird. Ich muß es Ihnen sagen, trotzdem Sie glauben könnten, es würde aus Eitelkeit gesagt; aber es wird nicht aus Eitelkeit gesagt, sondern damit Sie es wissen und es ebenso machen können, und sehen, wie dasjenige, was aus echter Menschen-erkenntnis kommt, auch wirklich in das Kind hineingeht.

Auf die Phantasie hin ist der ganze Unterricht, die ganze Erziehung zu bauen. Man muß sich klar darüber sein, daß das Kind vor dem 9. oder 10. Lebensjahr sich nicht als ein Ich von seiner Umgebung zu

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unterscheiden weiß. Aus einem gewissen Instinkt heraus spricht ja das Kind längst von sich in der Ich-Form. Aber in Wahrheit fühlt sich das Kind eigentlich in der ganzen Welt drinnen. Es fühlt die ganze Welt mit sich verwandt. In dieser Beziehung herrschen ja heute recht abenteuerliche Begriffe. Man spricht von primitiven Völ­kern so, daß man sagt, sie haben Animismus als ihre Weltempfin-dung, sie behandeln leblose Gegenstände wie beseelt. Und man glaubt, das Kind zu verstehen, wenn man sagt, es verhält sich auf seinem Gebiete auch so, wie ein Wilder, wie ein primitiver Mensch. Wenn es sich stößt an einem eckigen Gegenstand, so schlägt es ihn, weil es ihn beseelt.

Das ist aber gar nicht wahr. In Wirklichkeit beseelt das Kind nicht, sondern es macht nur noch nicht den Unterschied zwischen dem Lebendigen und Leblosen. Es betrachtet alles als eine Einheit, und sich mit der Umgebung auch als eine Einheit. Erst zwischen dem

9. und 10. Lebensjahre lernt eigentlich das Kind sich von der Um­gebung zu unterscheiden. Das muß man im strengsten Sinne berück­sichtigen, wenn man den ganzen Unterricht planvoll orientieren will.

Es ist da notwendig, daß man alles, was an Pflanzen, an Tieren, selbst an Steinen in der Umgebung des Kindes ist, so bespricht, daß die Dinge miteinander reden, sich wie menschlich miteinander ver­halten, daß sie einander Mitteilungen machen, daß sie einander has­sen und lieben. Anthropomorphismen muß man in der erfinderisch­sten Weise gebrauchen können; alles wirklich so behandeln, wie der Mensch ist. Und nicht in geistvoller Weise etwa beseelen, sondern so, wie das Kind es aufzufassen in der Lage ist, indem es noch nicht unterscheidet zwischen Leblosem und Lebendigem. Für das Kind ist noch kein Grund dazu da, zu denken, daß der Stein keine Seele hat, der Hund eine Seele habe, sondern das Kind macht erst den Unter­schied, daß sich der Hund bewegt, der Stein aber nicht. Aber die Be­wegung schreibt es nicht der Beseelung zu. Es kommt darauf an, daß man in der Tat alles Beseelte und Belebte nun so behandeln kann, wie wenn Menschen miteinander sprächen, dächten, empfänden, wie wenn Menschen gegeneinander Sympathien und Antipathien ent­wickelten. Daher muß alles, was man an das Kind in diesem Lebensalter

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heranbringt, ins Märchenhafte, Legendenhafte, in die beseelte Erzählung gegossen sein. Das Kind empfängt dadurch für sein in-stinktives Seelisch-Phantasievolles die aller-, allerbeste Seelenanlage Und darauf ist zu sehen.

Wenn das Kind in dieser Zeit mit allerlei Intellektualismen ange­füllt wird - und das wird es, wenn man nicht alles, was man an das Kind heranbringt, ins Bildhafte umsetzt -, dann wird das Kind später das an seinem Gefäßsystem, auch an seinem Zirkulations-system zu empfinden haben. Man muß das Kind nach Geist, Seele und Leib - das muß immer wieder gesagt werden - durchaus als eine Einheit betrachten.

Um das zu können, muß der Lehrer eben künstlerischen Sinn in seiner Seele haben, artistisch veranlagt sein; denn dasjenige, was vom Lehrer auf das Kind wirkt, ist ja nicht bloß das, was man aus-denkt, oder was man in Begriffe bringen kann, sondern es sind, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, eben durchaus die Imponderabilien des Lebens. Unbewußt geht ungeheuer viel vom Lehrer, vom Erziehenden, auf das Kind über. Der Lehrer muß sich dessen bewußt sein, namentlich dann, wenn er Märchen, wenn er Geschichten, die durchseelt sind, wenn er Legenden dem Kind er­zählt. Da tritt ja sehr, sehr häufig in unserer materialistischen Zeit die Tatsache auf, daß man zu sehr merkt, der Lehrer betrachtet das, was er erzählt, eben als kindisch; es ist etwas, woran er selber nicht glaubt. Da, sehen Sie, tritt die Anthroposophie, wenn sie die Leiterin und Lenkerin der wahren Menschenerkenntnis ist, wirklich in richtiger Weise auf. In der Anthroposophie werden wir ja ge­wahr, daß man eine Sache unendlich viel reicher ausdrücken kann, wenn man sie ins Bild kleidet, als wenn man sie in den abstrakten Begriff bringt. Ein gesund veranlagtes Kind hat das Bedürfnis, alles ins Bild zu bringen und auch Bilder zu empfangen.

Man darf da immer wiederum auf Goethe hinweisen, der als Knabe Klavier spielen lernen mußte. Er wurde angewiesen, wie er den ersten Finger, den zweiten Finger und so weiter zu gebrauchen habe. Aber das war ihm unsympathisch, und er erfand selber dem trockenen, pedantischen Lehrer gegenüber - denn der alte Vater

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Goethe war ein Urphilister, so ein richtiger Frankfurter Philister, der nahm natürlich auch philiströse Lehrer am liebsten, weil die die guten sind, nicht wahr - nun, das war dem Buben Goethe zuwider, zu abstrakt; da erfand er sich selber den «Deuterling», nicht der Zeigefinger, das ist abstrakt, aber der Deuterling. Das Kind will das Bild, will sich selber als Bild fühlen. Da ist es eben notwendig, zu berücksichtigen, daß der Lehrer Phantasie braucht, artistisch sein muß. Dann tritt er mit der nötigen Lebendigkeit an das Kind heran. Und diese Lebendigkeit wirkt im allerbesten Sinne imponderabel auf das Kind.

Da ist es ja so, daß wir durch die Anthroposophie wieder lernen, an die Legenden, an die Märchen, an die Mythen selber zu glauben, weil sie in der Imagination die höhere Wahrheit ausdrücken. Wir finden uns wieder hinein in die seelische Behandlung des Mythischen, des Legendenhaften, des Märchenhaften. Dadurch strömt unsere Rede, wenn wir zu dem Kinde sprechen, von dem eigenen Glauben an die Sache durchdrungen, an das Kind heran. Das bringt Wahrheit zwischen den Erziehenden und das Kind; während oftmals soviel Unwahrheit waltet zwischen den Erziehenden und den Kindern. Unwahrheit waltet sofort, wenn der Lehrer sagt: Das Kind ist dumm, ich bin gescheit; das Kind glaubt an die Märchen, die muß ich ihm daher erzählen. Das schickt sich so für das Kind. - Da kommt so­gleich der Verstand hinein in das Erzählen.

Dafür hat das Kind gerade zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife das allerfeinste Gefühl, ob im Lehrer der Verstand oder die Phantasie waltet. Der Verstand wirkt verödend, ver­schrumpfend auf das Leben des Kindes, während die Phantasie belebt, anregt.

Diese allgemeinen Dinge müssen wir uns durchaus aneignen. Wir werden dann in den nächsten Tagen auf diese Dinge noch eingehen­der zu sprechen kommen, aber eines möchte ich doch noch zum Schlusse vor Sie hinstellen.

Zwischen dem 9. und 10. Lebensjahre liegt für das Kind etwas außerordentlich Bedeutsames. Das muß der Lehrer bemerken. Ab­strakt ausgesprochen liegt das vor zwischen dem 9. und 10. Jahre,

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daß das Kind sich unterscheiden lernt von seiner Umgebung, sich als Ich, die Umgebung eben als das Äußere, nicht zu dem Ich gehörige empfindet. Das ist aber abstrakt die Sache ausgesprochen. Die Wirk­lichkeit liegt so, natürlich ist das alles approximativ, annähernd, daß das Kind in diesem Lebensalter mit irgendeiner Schwierigkeit an den geliebten Lehrer oder die geliebte Lehrerin herankommt. Mei­stens sogar drückt das Kind gar nicht dasjenige aus, was ihm auf der Seele lastet, sondern etwas anderes. Man muß aber dann wissen, daß das aus dem innersten Untergrunde der Seele kommt. Und da muß man die rechte Antwort, das rechte Verhalten finden. Davon hängt für das ganze Leben des betreffenden Menschen ungeheuer viel ab. Denn, sehen Sie, Sie können gar nicht erziehend, unterrichtend, mit Kindern in diesem Lebensalter arbeiten, wenn Sie nicht die selbst­verständliche Autorität sind, wenn das Kind nicht das Gefühl hat:

etwas ist wahr, weil Sie es für wahr halten, etwas ist schön, weil Sie es schön finden und es bemerklich machen, etwas ist gut, weil Sie es für gut halten. Sie müssen für das Kind der Repräsentant sein für das Gute, Wahre und Schöne. Das Kind muß an Wahrheit, Güte und Schönheit herangezogen werden, weil es an Sie herangezogen wird.

Jetzt, zwischen dem 9. und 10. Jahre, kommt ganz instinktiv im Unterbewußten diese Empfindung über das Kind: Ich habe alles vom Lehrer, vom Erzieher, und woher hat's der? Was steht hinter dem? Das braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Tritt man da in De­finitionen oder in Erklärungen ein, so ist es von Schaden. Aber wich­tig ist, daß man da ein herzliches seelendurchtränktes Wort findet für das Kind, oder Worte - es dauert ja in der Regel länger, die Schwierigkeiten dauern fort, durch Wochen, Monate -, so daß man über diese Klippe hinüber in dem Kinde die Autorität aufrecht er­hält. Da ist die Krisis des autoritativen Prinzipes beim Kinde. Ist man dieser gewachsen; weiß man soviel Seele hineinzulegen in die Art, wie man gerade den Schwierigkeiten, die in diesem Lebenspunkte auftreten, begegnet, kommt man dem Kinde mit der nötigen Inner­lichkeit, Glaubhaftigkeit und Wahrhaftigkeit entgegen, daß man die Autorität bewahrt, dann ist nicht nur deshalb etwas gewonnen, weil das Kind den Autoritätsglauben gegenüber dem Lehrer behält,

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was natürlich gut ist für den weiteren Unterricht, sondern es liegt in der Wesenheit des Menschen, daß er gerade in diesem Lebensalter, zwischen dem 9. und 10. Lebensjahre, nicht wankend werden darf in dem Glauben an den guten Menschen. Sonst wird alle innere Sicher­heit, die im Leben weiterleiten soll, ins Wanken gebracht.

Das ist von ungeheurer Bedeutung, und an solche Dinge müssen wir uns halten. Viel wichtiger, als alle die kniffligen und kleinen Miniaturdinge, die da in den Pädagogiken vorgeschrieben sind, ist es, so etwas zu wissen, was in einem Zeitpunkte des Lebens auftritt, und wie man sich dem gegenüber verhalten muß, damit dann das richtige Licht von solch einem Verhalten auf das ganze Leben des Kindes ausgestrahlt werde.

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DRITTER VORTRAG Torquay, 14. August 1924

Heute wollen wir noch einiges über das Allgemeinere der Erzie­hungskunst während der Lebensepoche zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife charakterisieren, um dann in der nächsten Stunde auf Spezielleres in der Behandlung einzelner Gegenstände und einzelner Lebenszustände eingehen zu können.

Wenn das Kind zwischen dem 9. und 10. Lebensjahr angekommen ist, dann kann es sich zunächst von seiner Umgebung unterscheiden. Der Unterschied zwischen Subjekt und Objekt - Subjekt = das Ei­gene, Objekt = das Andere - tritt eigentlich erst in diesem Zeitpunkt wirklich auf, und wir können dann beginnen, von Außendingen zu sprechen, während wir vorher diese Außendinge so behandeln müssen, als ob sie eigentlich eins wären mit dem Körper des Kindes. Wir sollen die Außendinge wie sprechende, handelnde Menschen behandeln, sagte ich gestern. Dadurch hat das Kind das Gefühl, daß die Außenwelt einfach eine Fortsetzung seines eigenen Wesens ist.

Nun handelt es sich darum, das Kind, wenn es das 9. oder 10. Jahr überschritten hat, in einige elementare Tatsachen, Wesenheiten der Außenwelt einzuführen, in die Tatsachen des Pflanzenreiches und des Tierreiches. Von anderen Gegenständen werden wir noch spre­chen. Aber gerade bei diesen Dingen müssen wir sehen, daß wir das Kind so einführen, wie es die Menschennatur verlangt.

Das erste, was wir dabei tun müssen, ist eigentlich das, daß wir alle Lehrbücher wegwerfen. Denn so, wie heute Lehrbücher beschaf­fen sind, enthalten sie nichts über das Pflanzen- und Tierreich, was man den Kindern eigentlich beibringen kann. Diese Lehrbücher von heute sind gut, um erwachsenen Menschen Kenntnisse von Pflanzen und Tieren beizubringen; aber wir verderben die Individualität des Kindes, wenn wir diese Lehrbücher in der Schule benützen. Und man kann schon sagen: Lehrbücher, Handbücher, welche Anleitung dazu geben, wie man in der Schule vorzugehen hat, sind eben heute nicht vorhanden. Es handelt sich nämlich um folgendes:

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Wenn man dem Kinde einzelne Pflanzen vorlegt, und an einzelnen Pflanzen dies oder jenes behandeln läßt, so hat man ja zunächst etwas getan, was keiner Wirklichkeit entspricht. Eine Pflanze für sich hat keine Wirklichkeit. Wenn Sie sich ein Haar ausreißen und dieses Haar betrachten, als ob es eine Sache für sich wäre, so hat das keine Wirklichkeit. Im trivialen Leben sagt man zu allem, was man mit Augen irgendwie begrenzt vor sich sieht, es habe eine Wirklichkeit. Aber es ist doch etwas anderes, ob man einen Stein, den man beur­teilt, vor sich sieht, oder ob man ein Haar oder eine Rose vor sich sieht. Der Stein wird nach zehn Jahren noch gerade dasselbe sein, was er heute ist, die Rose nach zwei Tagen nicht mehr; sie ist nur eine Realität am ganzen Rosenstock daran. Das Haar hat gar keine Realität für sich, es ist nur eine Realität mit dem ganzen Kopf, am ganzen Menschen. Und wenn man nun hinausgeht auf die Felder und Pflanzen ausreißt, dann ist es so, wie wenn man der Erde die Haare ausgerissen hätte. Denn die Pflanzen gehören zur Erde ganz genau so, wie die Haare zum Organismus des Menschen gehören. Ein Haar für sich zu betrachten, wie wenn es irgendwo für sich ent­stehen würde, ist ja ein Unsinn.

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Ebenso ist es ein Unsinn, eine grüne Botanisiertrommel zu nehmen, Pflanzen nach Hause zu tragen und jede Pflanze für sich zu betrachten. Das entspricht nicht der Realität, und auf diese Weise ist es nicht möglich, daß man richtige Natur- und Men­schenerkenntnis erwirbt.

Wenn Sie hier eine Pflanze haben (siehe Zeichnung I), so ist das allein nicht die Pflanze, sondern zu der Pflanze gehört noch dasjenige, was da als Boden darunter ist, unbegrenzt weit, vielleicht sehr weit. Es gibt

Pflanzen, die lassen noch Würzelchen in sehr großer Weite ausstrah­len. Daß dieses Stück Erde, in dem die Pflanze drinnen ist, in weitem

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Umkreise dazu gehört, das kann Sie die Tatsache lehren, daß man Dünger in die Erde hineingeben muß, wenn man von gewissen Pflan­zen will, daß sie richtig wachsen. Es lebt nicht bloß das Stück Pflanze, es lebt auch dasjenige, was hier ist (siehe Zeichnung I), es lebt mit, gehört zur Pflanze dazu; die Erde lebt mit.

#Bild s. 45

Es gibt Pflanzen, die blühen im Frühling, sprossen auf gegen Mai, Juni und tragen ihre Früchte im Herbst. Dann verwelken sie, ster­ben ab. Sie stecken drinnen in der Erde, aber die gehört zu ihnen dazu. - Es gibt aber auch Pflanzen, die nehmen die Kräfte der Erde aus der Umgebung. Das wäre die Erde (siehe Zeichnung II); jetzt nimmt die Wurzel die Kräfte, die in der Umgebung sind, in sich auf. Weil sie jetzt die Kräfte in sich aufgenommen hat, kommen die Kräfte der Erde da herauf, es wird ein Baum daraus.

Was ist denn ein Baum? Ein Baum ist eine Kolonie von vielen Pflanzen. Ob Sie da einen Hügel haben, der nur weniger lebt, und auf dem viele Pflanzen darauf sind, oder ob Sie den Stamm eines Baumes haben, wo in einem viel lebendigeren Zustand die Erde sich hineingezogen hat, das ist einerlei. Sie können gar nicht sachlich eine Pflanze für sich betrachten.

Fahren Sie über eine Gegend, oder noch besser, gehen Sie in einer

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Gegend, in der bestimmte geologische Formationen sind, zum Bei­spiel rot liegender Sand und schauen sich die Pflanzen an: es sind zumeist Pflanzen darauf mit gelb-rötlichen Blüten. Es gehören die Blüten zum Boden dazu. Boden und Pflanze ist eine Einheit, wie Ihre Kopfhaut und Ihre Haare.

Daher dürfen Sie mit dem Kind nicht einerseits Geographie und Geologie, andrerseits Botanik betrachten. Das ist ein Unsinn. Son­dern Geographie, Beschreibung des Landes und Betrachtung der PfJanzen muß immer eines sein; denn die Erde ist ein Organismus, und die Pflanzen sind so wie Haare an diesem Organismus. Und das Kind muß die Vorstellung bekommen können, daß die Erde und die Pflanzen zusammengehören, daß jedes Stück Erde diejenigen Pflan­zen trägt, die zu diesem Stück Erde gehören.

Es ist also richtig, daß Sie die Pflanzenkunde nur im Zusammen-hange mit der Erde betrachten und dem Kinde eine deutliche Emp­findung davon hervorrufen, daß die Erde ein lebendiges Wesen ist, das Haare hat. Die Haare sind die Pflanzen. - Sehen Sie, man sagt von der Erde, daß sie eine Schwerkraft habe, Gravitation. Die rech­net man zu der Erde dazu. Aber die Pflanzen gehören mit ihrer Wachstumskraft ebenso zu der Erde hinzu. Es gibt gar nicht eine Erde für sich und Pflanzen für sich, gerade so wenig, wie es in der Realität Haare für sich und Menschen für sich gibt. Das gehört zu­sammen.

Und wenn Sie das dem Kinde beibringen, was Sie aus der Botani­siertrommel herausnehmen und es benennen lassen, so bringen Sie ihm eine Unwirklichkeit bei. Das hat Folgen für das Leben; denn das Kind wird niemals von der Pflanzenkunde aus, die Sie ihm so beibringen, ein Verständnis dafür gewinnen, wie man zum Beispiel den Acker behandeln muß, wie man ihn lebendig machen muß mit dem Dünger. Ein Verständnis dafür, wie man den Acker behandeln soll, bekommt das Kind nur, wenn es weiß, wie der Acker mit der Pflanze zusammenhängt. Weil die Menschen in unserer Zeit mehr und mehr keinen Sinn für Realität mehr haben - ich habe Ihnen in der ersten Stunde gesagt, die Praktiker haben ihn am wenigsten, sie sind alle Theoretiker heute -, weil die Menschen von der Realität

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keine Spur mehr hahen, deshalb betrachten sie alles für sich, alles ge­sondert.

Und so ist es gekommen, daß in vielen, vielen Gegenden seit fünfzig, sechzig Jahren alle Feldprodukte dekadent geworden sind. Es hat neulich in Mitteleuropa einen landwirtschaftlichen Kongreß gegeben. Da haben die Landwirtschafter selbst gestanden: die Früchte werden so schlecht, daß man gar nicht hoffen kann, daß in fünfzig Jahren die Früchte noch genießbar sind für die Menschen.

Warum? Weil die Leute nicht verstehen, den Boden mit dem Dänger lebendig zu machen. Aber die Menschen können das nicht verstehen, wenn man ihnen solche Begriffe beibringt wie: die Pflan­zen seien etwas für sich. Gerade so wenig, wie ein Haar etwas für sich ist, ist die Pflanze etwas für sich. Wenn das Haar etwas für sich wäre, gut, dann wäre es ja einerlei, dann könnte man es, damit es wächst, in ein Stück Wachs oder Talg hineinstecken! Aber es wächst eben in der Kopfhaut.

Will man erkennen, wie die Erde mit der Pflanze zusammenge-hört, dann muß man wissen, in welche Art von Erde eine Pflanze hineingehört. Und wie man diese Erde noch düngen muß, das kann man nur dadurch wirklich erkennen, daß man Erde und Pflanzenwelt als eine Einheit betrachtet, daß man wirklich die Erde wie einen Or­ganismus anschaut und die Pflanze als etwas, was innerhalb dieses Organismus wächst.

Dadurch aber bekommt das Kind von vornherein das Gefühl, auf einem lebendigen Boden zu stehen. Dies hat für das Leben eine große Bedeutung. Denn bedenken Sie nur, wie man sich heute vorstellt, daß die geologischen Schichten entstehen. Man stellt sich vor: das hat sich so übereinandergelagert. Aber alles das, was Sie als geo­logische Schichten sehen, sind ja nur verhärtete Pflanzen, verhärtetes Lebendiges. Nicht nur die Steinkohlen waren früher Pflanzen, die mehr im Wasser als in der festen Erde wurzelten, und dazugehörten zur Erde, sondern auch Granit, Gneis und so weiter sind von pflanz­licher und tierischer Natur her.

Auch dafür bekommt man nur Verständnis, wenn man Erde und Pflanzen als Ganzes zusammen betrachtet. Es handelt sich ja bei diesen

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Dingen nicht bloß darum, daß das Kind Kenntnisse erhält, son­dern darum, daß es die richtigen Empfindungen erhält. Das sieht man aber erst wiederum ein, wenn man eine solche Sache geistes-wissenschaftlich betrachtet.

Denken Sie nur einmal, Sie sind von dem besten Willen beseelt, Sie sagen sich: das Kind muß alles anschaulich lernen, also muß es auch die Pflanze anschaulich lernen. Ich halte es früh an, schön in einer schönen Botanisiertrommel Pflanzen hereinzubringen. Ich zeige ihm alles, denn es ist die Realität. Ich glaube nämlich, es ist die Realität, es ist ja Anschauungsunterricht. - Nur - man schaut eben dasjenige an, was keine Wirklichkeit ist. Mit diesem Anschauungs­unterricht treibt nian den ärgsten Unfug in der Gegenwart!

Da lernt das Kind die Pflanze so kennen, als ob es gleichgültig wäre, ob ein Haar in Wachs oder in einer Menschenhaut wächst. In Wachs wächst es ja nicht. Wenn ein Kind solche Begriffe aufnimmt, dann widersprechen sie ganz dem, was das Kind aufgenommen hat, bevor es aus der geistigen Welt heruntergestiegen ist auf die Erde. Denn da hat die Erde ganz anders ausgeschaut. Da trat dem Kinde, das heißt der Seele des Kindes lebendig diese Zusammengehörigkeit des mineralischen Erdreiches und des Pflanzlichen, das herauswächst, entgegen. Warum? Weil das Kind etwas, was noch nicht mineralisch ist, sondern erst auf dem Wege ist, mineralisch zu werden, das Ätherische aufnehmen muß, damit es sich überhaupt verkörpern kann. Es muß sich in das Pflanzliche hineinwachsen. Und das Pflanz­liche erscheint mit der Erde verwandt.

Diese ganze Empfindungsreihe, die das Kind erlebt, wenn es her­untersteigt aus der vorirdischen Welt in die irdische, diese ganze reiche Welt wird ihm konfus gemacht, chaotisch gemacht, wenn man es so anleitet, Pflanzenkunde zu lernen, wie man es gewöhnlich tut; während das Kind innerlich aufjauchzt, wenn es die Pflanzenwelt im Zusammenhang mit der Erde kennenlernt.

In einer ähnlichen Weise muß betrachtet werden, wie man das Kind in die tierische Welt einführt. Beim Tiere wird es ja schon der tri­vialen Betrachtung auffallen: es gehört nicht zur Erde. Es läuft über

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die Erde dahin. Es kann an diesem Orte, an jenem Orte sein. Man hat es also mit ganz anderen Verhältnissen der Erde zu tun, als bei der Pflanze. Aber beim Tiere kann einem etwas anderes auffallen.

Wenn wir die verschiedenen Tiere, die auf der Erde leben, zu­nächst ihren seelischen Eigenschaften nach betrachten, finden wir grausame Raubtiere, wir finden sanfte Lämmer und auch tapfere Tiere. Zum Beispiel unter den Vögeln sind manche ganz tapfere Streiter; auch unter den Säugetieren haben wir tapfere Tiere. Dann finden wir majestätische Tiere, wie die Löwen. Wir finden die man­nigfaltigsten seelischen Eigenschaften. Und wir sagen uns bei jeder einzelnen Tierart, diese Tierart sei dadurch charakterisiert, daß sie diese oder jene Eigenschaft hat. Wir nennen den Tiger grausam, und die Grausamkeit ist seine beträchtlichste, bedeutendste Eigenschaft. Wir nennen das Schaf geduldig. Geduld ist seine beträchtlichste Eigenschaft. Wir nennen den Esel träge, weil er, wenn er auch nicht in Wirklichkeit so furchtbar träge ist, ein gewisses Gebaren hat, das stark an die Trägheit erinnert. Namentlich ist der Esel träge im Verändern seiner Lebeuslage. Wenn er es gerade in seiner Laune hat, langsam zu gehen, kann man ihn nicht dazu bringen, daß er schnell geht. Und so hat jedes Tier seine besonderen Eigenschaften.

Beim Menschen aber können wir nicht so denken. Wir können nicht denken, daß der eine Mensch zahm, geduldig, der andere grau­sam, der dritte tapfer ist. Wir würden es einseitig finden, wenn die Menschen so über die Erde verteilt wären. Sie haben schon auch in gewissem Sinne solche Eigenschaften in Einseitigkeit ausgebildet, aber doch nicht in solchem Maße wie die Tiere. Wir finden viel mehr gerade beim Menschen - und namentlich, wenn wir den Menschen erziehen wollen -, daß wir ihm zum Beispiel gewissen Dingen und Tatsachen des Lebens gegenüber Geduld beibringen sollen, anderen Dingen und Lebenstatsachen gegenüber Tapferkeit, anderen Dingen und Lebenslagen gegenüber vielleicht irgendwie sogar etwas Grau­samkeit, obwohl das in homöopathischer Dosis an die Menschen heranzubringen ist. Gewissen Dingen gegenüber wird der Mensch einfach durch seine natürliche Entwickelung auch Grausamkeiten zeigen und so weiter.

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Aber wie ist es denn da eigentlich, wenn wir diese seelischen Ei­genschaften beim Menschen und bei den tierischen Wesen betrach­ten? Beim Menschen finden wir, daß er eigentlich alle Eigenschaften haben kann, wenigstens die alle Tiere zusammen haben. Diese haben sie einzeln für sich; der Mensch hat immer ein bißchen von allem. Er ist nicht so majestätisch wie der Löwe, aber er hat etwas von Ma­jestät. Er ist nicht so grausam wie der Tiger, aber er hat etwas von Grausamkeit. Er ist nicht so geduldig wie das &haf, aber er hat etwas von Geduld. Er ist nicht so träge wie der Esel - wenigstens nicht alle Menschen -, aber er hat etwas von dieser Trägheit an sich. Das haben alle Menschen. Man kann sagen, wenn man die Sache ganz richtig betrachtet: Der Mensch hat in sich Löwen-Natur, Schaf-Natur, Tiger-Natur, Esel-Natur. Alles hat er in sich. Nur ist alles in sich harmonisiert. Alles schleift sich an dem anderen ab. Der Mensch ist der harmonische Zusammenfluß, oder, wenn man es gelehrter aus­drücken will, die Synthese von all den verschiedenen seelischen Eigenschaften, die das Tier hat. Und gerade dann ist das Rechte beim Menschen erzielt, wenn er in seine Gesamtwesenheit die gehörige Dosis Löwenheit, Schafheit, die gehörige Dosis Tigerheit, die ge­hörige Dosis Eselheit und so weiter richtig einführt, wenn das alles in rechtem Maße in den Menschen eingetaucht ist und mit allem anderen in dem richtigen Verhältnis steht.

Schon ein altes griechisches Sprichwort sagr sehr schön: «Tapfer­keit, wenn sie sich eint mit Klugheit, bringt dir Segen. Wandelt die Tapferkeit jedoch allein, folget Verderben ihr nach.» Wenn der Mensch nur tapfer wäre, wie manche Vögel, die fortwährend streiten, nur tapfer sind, so würde er nicht viel Segensreiches im Leben für sich anrichten. Aber wenn die Tapferkeit so ausgebildet ist beim Menschen, daß sie sich mit der Klugheit vereinigt, so wie wieder­um gewisse Tiere nur klug sind, dann ist es beim Menschen das Rechte.

Beim Menschen handelt es sich also darum, daß eine synthetische Einheit, eine Harmonisierung all desjenigen, was im Tierreiche aus­gebreitet ist, vorhanden ist. So daß wir das Verhältnis so umschrei­ben können: da ist das eine Tier (ich zeichne schematisch), da das

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zweite, eine dritte Tierart, eine vierte und so weiter, alle Tiere, die auf der Erde möglich sind.

Wie verhalten sich die zum Menschen?

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So, daß der Mensch zunächst so etwas hat (es wird gezeichnet) wie die eine Tierart, aber gemildert, er hat es nicht ganz. Und da schließt gleich das andere daran an (siehe Zeichnung), aber wiederum nicht ganz. Da geht das über in ein Stück von dem Nächsten, und dann schließt sich dieses daran an (siehe letzte Zeichnung der Reihe), so daß der Mensch alle Tiere in sich schließt. Das Tierreich ist ein aus­gebreiteter Mensch, und der Mensch ist ein zusammengezogenes Tierreich; alle Tiere sind synthetisch vereint durch den Menschen-Der ganze Mensch analysiert, ist das ganze Tierreich.

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So ist es auch mit der Gestalt. Denken Sie sich einmal, wenn Sie das menschliche Antlitz haben (es wird gezeichnet), und dieses hier wegschneiden (siehe Zeichnung) und etwas nach vorne setzen, wenn das also weiter nach vorne geht, wenn es nicht harmonisiert ist mit dem ganzen Antlitz, wenn die Stirne tiefer geht, wird ein Hundekopf daraus. Wenn Sie in einer etwas anderen Weise den Kopf formen, wird ein Löwenkopf daraus und so weiter.

Auch in bezug auf seine übrigen Organe kann man überall finden, daß der Mensch auch in der äußeren Gestalt gemildert, harmonisiert hat das, was auf die übrigen Tiere ausgebreitet ist.

Denken Sie sich, wenn Sie eine watschelnde Ente haben, etwas von dem, was da watschelt, haben Sie nämlich auch zwischen den Fin­gern, nur ist es da zurückgezogen. Und so ist alles, was im Tierreiche zu finden ist, auch an Gestalt, im Menschenreiche vorhanden. Auf diese Weise findet der Mensch sein Verhältnis zum Tierreich. Er

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lernt erkennen, wie die Tiere alle zusammen ein Mensch sind. Der Mensch ist vorhanden in den 1800 Millionen Exemplaren von mehr oder weniger großem Wert auf Erden. Aber er ist noch einmal als ein Riesenmensch vorhanden. Das ganze Tierreich ist ein Riesenmensch, nur nicht synthetisiert, sondern analysiert in lauter Einzelheiten.

Es ist so: wenn alles an Ihnen elastisch wäre, aber so elastisch, daß es nach verschiedenen Richtungen hin verschieden elastisch sein könnte, und Sie nach einer gewissen Richtung hin elastisch sich aus-dehnen würden, so würde ein gewisses Tier daraus entstehen. Wenn man Ihnen die Augengegend aufreißen würde, würde wiederum, wenn es entsprechend elastisch sich aufdunsen würde, ein anderes Tier entstehen. So trägt der Mensch das ganze Tierreich in sich.

So hat man einmal in früheren Zeiten die Geschichte des Tier-reiches auch gelehrt. Das war eine gute, gesunde Erkenntnis. Sie ist verlorengegangen, aber eigentlich erst verhältnismäßig spät. Zum Beispiel hat man im achtzehnten Jahrhundert noch ganz gut gewußt, wenn dasjenige, was der Mensch in der Nase hat, den Riechnerv, wenn der genügend groß ist, nach hinten sich fortsetzt, so wird ein Hund daraus. Wenn aber der Riechnerv verkümmert, und wir nur ein Stückchen vom Riechnerv haben, und das andere Stückchen sich um­metamorphosiert, so entsteht unser Nerv für das intellektuelle Leben.

Wenn Sie den Hund anschauen, wenn er so riecht, so hat er von der Nase nach hinten die Fortsetzung seines Riechnervs. Er riecht die Eigentümlichkeit der Dinge; er stellt sie nicht vor, er riecht alles. Er hat nicht einen Willen und eine Vorstellung, sondern er hat einen Willen und einen Geruch für alle Dinge. Einen wunderbaren Ge­ruch! Die Welt ist für den Hund nicht uninteressanter als für den Menschen. Der Mensch kann sich alles vorstellen. Der Hund kann alles riechen. Wir haben ein paar, nicht wahr, sympathische und anti­pathische Gerüche; aber der Hund hat vielerlei Gerüche. Denken Sie nur einmal, wie der Hund im Geruchssinn spezialisiert. Polizei­hunde gibt es in der neueren Zeit. Man führt sie an den Ort, wo einer war, der etwas stibitzt hat. Der Hund faßt sogleich die Spur des Menschen auf, geht ihr nach und findet ihn. Das alles beruht darauf, daß es wirklich eine ungeheure Differenzierung, eine reiche Welt

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der Gerüche gibt für den Hund. Davon ist der Träger der nach rückwärts in den Kopf, in den Schädel hin eingehende Riechnerv.

Wenn wir den Riechnerv durch die Nase des Hundes zeichnen, müssen wir ihn nach rückwärts zeichnen (es wird gezeichnet). Beim Menschen ist nur ein Stückchen geblieben da unten, das andere ist umgebildet und steht hier unter unserer Stirn. Es ist ein metamor­phosierter, ein transformierter Riechnerv. Mit dem bilden wir unsere Vorstellungen. Deshalb können wir nicht so riechen, wie der Hund, aber wir können vorstellen. Wir tragen den riechenden Hund in uns, nur umgebildet. Und so alle Tiere.

Davon muß man eine Vorstellung hervorrufen. Es gibt einen deutschen Philosophen, Schopenhauer, der hat ein Buch geschrieben:

«Die Weht als Wille und Vorstellung». Das Buch ist ja nur für Men­schen. Hätte ein genialer Hund es geschrieben, so hätte er geschrie­ben: «Die Weht als Wille und Gerüche», und ich bin überzeugt davon, das Buch wäre viel interessanter, als das Buch, das Schopen­hauer geschrieben hat.

Man sehe sich die verschiedenen Formen der Tiere an, beschreibe sie nicht so, als ob jedes Tier für sich dastehen würde, sondern ver­suche, vor den Kindern immer die Vorstellung hervorzurufen: Sieh einmal, so schaut der Mensch aus. Wenn du dir den Menschen nach dieser Richtung verändert denkst, vereinfachst, vereinigt denkst, kriegst du das Tier. Wenn du zu irgendeinem Tiere, sagen wir zum Beispiel einem niederen Tiere, der Schildkröte, etwas hinzufügst, unten ein Känguruh, die Schildkröte über das Känguruh setzest, so hast du oben etwas wie einen verhärteten Kopf; das ist die Schild­krötenform in gewisser Beziehung. Und unten das Känguruh. das sind die Gliedmaßen des Menschen in einer gewissen Weise.

So kann man überall in der weiten Weht finden, wie man eine Be­ziehung herausfinden kann zwischen dem Menschen und den ver schiedenen Tieren.

Sie lachen jetzt über diese Dinge. Das schadet nichts. Es ist ganz gut, wenn in der Klasse auch gelacht wird, denn nichts ist besser, in die Klasse hineinzubringen, als Humor. Wenn die Kinder auch la­chen können, wenn sie nicht nur immer den Lehrer mit einem furchtbar

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langen Gesicht sehen, und selber versucht sind, solche langen Gesichter zu machen und zu glauben, wenn man auf der Schulbank sitzt, muß man eben ein langes Gesicht machen - wenn das nicht der Fall ist, sondern wenn Humor hineingebracht wird, wenn man die Kinder dazu bringt, zu lachen, dann ist das das beste Unterrichts-mittel. Ernste Lehrer, ganz ernste Lehrer, die erreichen nichts mit den Kindern.

Also, da haben Sie das Tierreich im Prinzip, wie ich es Ihnen zu­nächst darstellte. Von Einzelheiten können wir dann sprechen, wenn Zeit dazu ist. Aber Sie ersehen daraus, daß der Mensch lehrend das Tierreich so behandeln kann, daß das Tierreich ein ausgebreiteter Mensch ist.

Das gibt für das Kind wiederum eine sehr, sehr feine, schöne Empfindung ab. Denn nicht wahr, das Kind lernt, wie ich Ihnen angedeutet habe, die Pflanzenwelt als zur Erde gehörig kennen, und die Tiere als zu sich gehörig. Es wächst das Kind mit dem ganzen Erdenbereich zusammen. Es steht nicht mehr bloß auf dem toten Erdboden, sondern es steht auf dem lebendigen Erdboden und emp-findet die Erde als Lebendiges. Es bekommt allmählich die Vor­stellung, es stehe auf dem Erdboden so, wie wenn es auf einem großen Organismus stünde, wie zum Beispiel auf einem Walfisch. Das ist auch die richtige Empfindung. Das allein führt in die ganze menschliche Weltempfindung hinein.

Und von den Tieren bekommt das Kind die Empfindung, als ob alle Tiere etwas Verwandtes hätten mit dem Menschen, aber auch die Vorstellung, daß der Mensch etwas über alle Tiere Hinausragen-des hat, weil er alle Tiere in sich vereint. All das naturwissenschaft liche Geschwätz, daß der Mensch von einem Tiere abstamme, wird belacht werden von solchen Menschen, die so erzogen worden sind. Denn man wird erkennen, daß der Mensch das ganze Tierreich, die einzelnen Glieder synthetisch in sich vereinigt.

Ich sagte Ihnen, zwischen dem 9. und 10. Jahre kommt der Mensch so weit, daß er unterscheidet zwischen sich als Subjekt und der Au­ßenwelt als Objekt. Er unterscheidet sich von der Umwelt. Früher konnte man nur Märchen, Legenden erzählen, wo die Steine und

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Pflanzen sprechen, handeln wie Menschen. Da unterschied sich das Kind noch nicht von der Umgebung. Jetzt, wo es sich unterscheidet, müssen wir es wiederum auf einer höheren Stufe mit der Umgebung zusammenbringen. Jetzt müssen wir ihm den Boden, auf dem es steht, so zeigen, daß der Boden in selbstverständlicher Weise mit. seinen Pflanzen zusammengehört. Dann bekommt es einen prakti­schen Sinn, wie ich Ihnen gezeigt habe, auch für die Landwirtschaft. Es wird wissen, man düngt, weil man die Erde in einer gewissen Weise lebendig braucht unter einer Pflanzenart. Es betrachtet nicht die einzelne Pflanze, die es aus der Botanisiertrommel herausnimmt, als ein Ding für sich, betrachtet aber auch nicht ein Tier als ein Ding für sich, sondern das ganze Tierreich als einen über die Erde sich ausbreitenden, großen analysierten Menschen. Es weiß dann der Mensch, wie er auf der Erde steht, und es weiß der Mensch, wie sich die Tiere zu ihm verhalten.

Das ist von einer ungeheuren Bedeutung, daß wir in dem Kinde vom 10. Jahre an bis gegen das 12. Jahr hin diese Vorstellungen, Pflanze - Erde, Tier - Mensch erwecken. Dadurch stellt sich das Kind mit seinem ganzen Seelen-, Körper- und Geistesleben in einer ganz bestimmten Weise in die Welt hinein.

Dadurch, daß wir dem Kinde eine Empfindung - und das alles muß eben empfindungsgemäß künstlerisch an das Kind herange­bracht werden -, daß wir ihm eine Empfindung beibringen für die Zusammengehörigkeit von Pflanzen und Erdboden, wird das Kind klug, wird wirklich klug und gescheit; es denkt naturgemäß. Da­durch, daß wir ihm probieren beizubringen - sei es nur im Unterricht, Sie werden sehen, daß es dabei herauskommt -, wie es zu dem Tiere steht, lebt der Wille aller Tiere im Menschen auf, und zwar in Differenzierung, in entsprechender Individualisierung; alle Eigen­schaften, alles Formgefühl, das sich in dem Tiere ausprägt, lebt in dem Menschen. Der Wille des Menschen wird dadurch impulsiert, und der Mensch wird dadurch in einer naturgemäßen Weise seiner Wesenheit nach in die Welt hineingestellt.

Warum gehen denn heute die Menschen in der Welt so, ich möchte sagen, entwurzelt von allem herum? Den Menschen, wenn

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sie heute in der Welt herumgehen, sieht man es schon an, sie gehen nicht ordentlich, sie treten nicht ordentlich auf, sie schleppen die Beine nach. Das andere haben sie im Sport gelernt, aber das ist dann wiederum etwas Unnatürliches. Aber vor allen Dingen, sie denken trostlos! Sie wissen nicht was Rechtes anzufangen im Leben. Sie wissen etwas anzufangen, wenn man sie an die Nähmaschine oder an das Telefon stellt oder wenn eine Eisenbahnfahrt oder eine Reise um die Welt arrangiert wird. Aber mit sich selbst wissen sie nichts anzufangen, weil sie nicht in entsprechender Weise durch die Er­ziehung in die Welt hineingestellt worden sind. Aber das kann man nicht dadurch, daß man die Phrase drechselt, man solle den Men­schen richtig erziehen, sondern das kann man nur dadurch, daß man wirklich im Einzelnen, Konkreten so etwas für den Menschen findet, wie, daß man die Pflanze richtig in den Erdboden hineinsenkt, und das Tier in der richtigen Weise neben den Menschen stellt. Dann steht der Mensch in der richtigen Weise auf dem Erdboden darauf, und dann stellt er sich in der richtigen Weise zur Welt. Das muß man durch den ganzen Unterricht erreichen. Das ist wichtig, das ist wesentlich.

Es wird imme'r darauf ankommen, daß wir für ein jedes Lebensalter dasjenige finden, was nach der Entwickelung des Menschen von die­sem Lebensalter selber gefordert wird. Dazu brauchen wir eben wirk­liche Menschenbeobachtung, wirkliche Menschenerkenntnis. Be­trachten wir noch einmal die zwei Dinge, die ich eben auseinander­gesetzt habe: Das Kind bis zum 9. oder 10. Jahre fordert die Belebung der ganzen äußeren Natur, weil es sich noch nicht unter­scheidet von dieser äußeren Natur. Wir werden dem Kinde eben dann Märchen erzählen, Legenden, Mythen erzählen. Wir werden selber etwas erfinden für das allernächstliegende, um dem Kinde in Form der Erzählungen, Schilderungen, der bildhaften Darstellungen künstlerisch dasjenige beizubringen, was seine Seele aus den ver­borgenen Tiefen, in denen sie in die Welt eintritt, herausholt. Wenn wir wiederum das Kind nach dem 9., 10. Jahre haben, zwischen dem 10. und 12. Lebensjahre, stellen wir es so in die Tier- und Pflanzen­welt hinein, wie wir es eben geschildert haben.

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Nun muß man sich aber klar werden darüber, daß der heute so be­liebte Kausalitätsbegriff, Ursachenbegriff, beim Kinde auch in die­sem Lebensalter, im 10., ii. Jahre noch gar nicht als ein Bedürfnis des Begreifens vorhanden ist. Wir gewöhnen uns ja heute, alles nach Ursache und Wirkung zu betrachten. Die naturwissenschaftliche Er­ziehung der Menschen hat es dahin gebracht, daß man überall nach Ursache und Wirkung alles betrachtet. Sehen Sie, dem Kinde bis zum ii. oder 12. Jahre so von Ursache und Wirkung zu reden, wie man es im alltäglichen Leben tut, wie man es heute gewohnt ist, ist gera­de so, wie man dem Farbenblinden von Farben spricht. Man redet an der Seele des Kindes vorbei, wenn man in dem Stile redet, in dem heute von Ursache und Wirkung geredet wird. Vorerst braucht das Kind lebendige Bilder, bei denen man niemals nach Ursache und Wirkung frägt. Nach dem 10. Jahre soll man wiederum nicht Ur­sache und Wirkung, sondern Bilder nach Ursache und Wirkung hinstellen.

Erst gegen das 12. Jahr hin wird das Kind reif, von Ursachen und Wirkungen zu hören. So daß man diejenigen Erkenntniszweige, die es mit Ursache und Wirkung hauptsächlich zu tun haben, in dem Sinne, wie man heute von Ursache und Wirkung redet, die leblose Naturphysik und so weiter eigentlich erst in den Lehrplan zwischen dem 11. und 12. Lebensjahre einführen soll. Vorher sollte man über Mineralien, über Physikalisches, über Chemisches nicht zu dem Kinde reden. Es fügt sich nicht in das Lebensalter des Kindes ein.

Und weiter, wenn man Geschichtliches betrachtet, so soll das Kind auch bis gegen das 12. Jahr hin in der Geschichte Bilder bekommen, Bilder von einzelnen Persönlichkeiten, Bilder von Ereignissen, über­schaubar schön gemalte Bilder, wo die Dinge lebendig vor der Seele stehen, nicht eine Geschichtsbetrachtung, in der man immer das Folgende als die Wirkung vom Vorhergehenden betrachtet, worauf die Menschheit so stolz geworden ist. Diese pragmatische Geschichts­betrachtung, die nach Ursachen und Wirkungen sucht in der Ge­schichte, ist etwas, was das Kind ebensowenig auffaßt, wie der Far­benblinde die Farbe. Und außerdem bekommt der Mensch eine ganz falsche Vorstellung vom Leben, vom fortlaufenden Leben, wenn

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man ihm alles immer nur nach Ursachen und Wirkungen beibringt. Ich möchte Ihnen das durch ein Bild klarmachen.

Denken Sie sich, da fließt ein Strom dahin (es wird gezeichnet).

#Bild s. 58

Er zeigt Wellen. Sie werden nicht immer richtig gehen, wenn Sie die Welle c aus der Welle b und diese aus der Welle a hervorgehen lassen, wenn Sie sagen, c ist die Wirkung von b, und b von a; es walten da unten in den Tiefen noch allerlei Kräfte, welche diese Wellen aufblasen. Und so ist es in der Geschichte. Da ist nicht immer das, was 1910 geschieht, die Wirkung von dem, was 1909 geschehen ist und so weiter, sondern für diese Wirkungen aus den Tiefen der Strömung in der Entwickelung, was die Wellen aufwirft, dafür muß beim Menschen sehr frühzeitig eine Empfindung eintreten. Sie tritt aber nur ein, wenn man spät erst die Ursachen und Wirkungen ein­führt, gegen das 12. Jahr hin, und vorher Bilder hinstellt.

Es stellt dies wiederum Anforderungen an die Phantasie des Leh­rers. Diesen muß er aber genügen. Er wird schon genügen, wenn er für sich Menschenkenntnis erwirbt. Und darum handelt es sich.

So wie man wirklich aus der Natur des Menschen heraus erzieht und unterrichtet, muß nun dem Unterricht, wie ich ihn eben darge­stellt habe, die Erziehung in bezug auf moralische Qualitäten parallel gehen. Ich möchte da zum Schluß noch einzelnes hinzufügen. Auch da handelt es sich darum, daß man aus der Natur des Kindes abliest, wie man es zu behandeln hat. Wenn man dem Kinde schon mit sieben Jah­ren den Ursachen- und Wirkungsbegriff beibringt, handelt man gegen die Entwickelung der menschlichen Natur. Wenn man aber das Kind durch gewisse Dingestrafen will, so handeltman oftmals mitgewissen Strafen auch gegen die Entwickelung der menschlichen Wesenheit.

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In der Waldorfschule konnten wir dabei ganz schöne Erfahrungen machen. Wie wird in gewöhnlichen Schulen oftmals gestraft? Kinder haben in der Stunde etwas nicht ordentlich gemacht, man läßt sie nachsitzen, und sie müssen zum Beispiel Rechnungen machen. Da hat sich in der Waldorfschule etwas Sonderbares herausgestellt mit drei oder vier Kindern, denen man gesagt hatte: Ihr wart unordent­lich, ihr müßt nachsitzen und Rechnungen machen! Da sagten die anderen: Da wollen wir aber auch dableiben und Rechnungen ma­chen! Denn sie sind so erzogen, daß das Rechnungenmachen etwas Gutes ist, nicht etwas, womit man bestraft wird. Man soll beim Kinde gar nicht die Meinung hervorrufen, daß Rechnungenmachen im Nachsitzen etwas Schlimmes ist. Deshalb wollte die ganze Klasse auch dableiben und nachsitzen und Rechnungen machen. Man soll also nicht Dinge wählen, die gar nicht eine Strafe darstellen können, wenn das Kind im geraden Seelenleben erzogen werden soll.

Oder ein anderes Beispiel: Dr. Stein, ein Lehrer in der Waldorf­schule, hat sich manches sehr Gute, manchmal im Momente ausge-sonnen in bezug auf die Erziehung. Er bemerkte einmal, daß seine Schüler sich unter der Bank Briefchen zureichten. Sie schrieben sich Briefe, gaben also nicht acht, und steckten die Briefe unter der Bank dem Nachbar zu, und der wieder die Antwort zurück. Nun hat Dr. Stein nicht angefangen zu schimpfen über das Briefeschreiben und gesagt: Ich will euch bestrafen! oder so etwas, sondern er hat ganz plötzlich angefangen, einen Vortrag über das Postwesen zu halten. Die Kinder waren frappiert, daß plötzlich über das Post-wesen gesprochen wurde; aber sie sind dann doch darauf gekommen, weshalb über das Postwesen gesprochen wurde. Und diese feine Art, Übergänge zu finden, die beschämt dann. Die Kinder waren be­schämt, und das Briefeschreiben hat aufgehört, einfach wegen der Gedanken, die er eingeflochten hat über das Postwesen.

Und so muß man Erfindungsgabe haben, wenn man eine Klasse leiten will. Man muß nicht stereotyp durchaus auf dasjenige gehen, was so hergebracht ist, sondern man muß sich tatsächlich in das ganze Wesen des Kindes hineinversetzen können und wissen, daß eine Bes­serung - und mit der Strafe will man ja schließlich eine Besserung -

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unter Umständen viel eher eintritt, wenn auf diese Weise eine Be­schämung hervorgerufen wird, aber ohne daß man sich an den Ein­zelnen wendet, daß das ganz unvermerkt vor sich geht, als wenn man im groben Sinne straft. Gerade auf diese Weise, wenn man mit einem gewissen Geist in der Klasse drinnen steht, richtet sich so manches ein, was sonst gar nicht ins Gleichgewicht zu bringen ist.

Vor allen Dingen fordert ja das Erziehen und Unterrichten von dem Lehrer Selbsterkenntnis. Er darf zum Beispiel nicht so erziehen wollen, daß er ein Kind, das Tintenkleckse gemacht hat auf das Blatt oder auf die Schulbank, weil es ungeduldig oder zornig geworden ist uber etwas, was der Nachbar gemacht hat, nun anschreit wegen der Tintenspritzer: Du darfst nicht zornig werden! Zornig werden ist keine Eigenschaft, die ein guter Mensch haben darf! Ein Mensch muß nicht zornig werden, sondern in Ruhe alles ertragen! Wenn du mir noch einmal zornig wirst, dann, dann schmeiße ich dir das Tin­tenfaß an den Kopf!

Ja, wenn in dieser Weise erzogen wird, wie es sehr häufig ge­schieht, dann wird sehr wenig erreicht werden. Der Lehrer muß sich immer in der Hand haben; er darf vor allen Dingen nie in die Fehler verfallen, die er an seinen Schülern rügt. Da muß man aber wissen, wie das Unbewußte der Kinder wirkt. Das, was der Mensch an be­wußtem Verstand, Gemüt, Wille hat, ist nur ein Teil des seelischen Lebens; im Untergrund waltet schon beim Kinde eben der astralische Leib mit seiner ungeheuren Klugheit und Vernünftigkeit.

Nun ist es mir immer ein Greuel gewesen, wenn ein Lehrer in einer Klasse drinnensteht, das Buch in der Hand hat und aus dem Buch heraus unterrichtet, oder wenn er ein Heft hat, worin er sich aufnotiert hat, was er fragen will, und immer hineinschauen muß. Gewiß, das Kind denkt nicht gleich daran mit seinem Oberbewußt­sein; aber die Kinder sind gescheit in ihrem Unterbewußtsein und man sieht, wenn man solches zu sehen vermag, daß sie sich sagen:

Der weiß ja das gar nicht, was ich lernen soll. Warum soll ich das lernen, was der nicht weiß? Das ist immer das Urteil im Unter­bewußten bei Kindern, die aus einem Buch oder Heft vom Lehrer unterrichtet werden.

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Man muß auf solches Imponderable, auf solche Feinheiten im Unterricht außerordentlich viel geben. Denn sobald das Unterbe­wußtsein des Kindes, das Astralische, bemerkt, der Lehrer weiß etwas selber nicht, er muß erst ins Heft hineinschauen, dann findet es unnötig, daß es selber dies lerne. Und der Astralleib wirkt viel sicherer als das Oberbewußtsein des Kindes.

Ich wollte diese Bemerkungen einmal in diesen Vortrag einflech­ten. Wir werden spezielle Fächer und Erziehungsetappen beim Kinde dann in den nächsten Tagen einfügen.

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VIERTER VORTRAG Torquay, 15. August 1924

Ich habe ausgeführt, wie man versuchen soH, in schildernder, in Bil­der darstellender Form in den Jahren zwischen dem Zahnwechsel und dem 9. und 10. Lebensjahre alles dasjenige an das Kind heran-zubringen, was die Seele des Kindes dann aufnehmen soll, so auf­nehmen soll, daß das Aufgenommene dann in naturgemäßer Weise weiterwirkt, weiterwirken kann durch das ganze Leben. Es ist das natürlich nur dann möglich, wenn man nicht tote Vorstellungen und Empfindungen in dem Kinde wachruft, sondern solche Vorstellun­gen und Empfindungen, die leben.

Um das zu können, muß man sich selber erst das Gefühl für das Leben des Seeleninhaltes aneignen. Man wird Geduld haben müssen als Lehrender und Erziehender mit der eigenen Selbsterziehung, mit dem Erwecken dessen in der Seele, was wirklich keimen und wachsen kann in der Seele. Man wird in dieser Beziehung an sich selbst die schönsten Entdeckungen machen können. Man darf nur nicht, um solche Entdek­küngen machen zu können, den Mut gleich beim ersten Anhub verlieren.

Der Mensch sollte, wenn er irgendeine Tätigkeit beginnt, die eine geistvolle Tätigkeit sein soll, es eigentlich unter allen Umständen ertragen können, ungeschickt zu sein. Wer nicht ertragen kann, ungeschickt zu sein, die Dinge zuerst dumm und unvollkommen zu machen, der wird sie aus dem Innern heraus eigentlich niemals voll­kommen machen können. Und insbesondere im lehrenden und er­ziehenden Beruf müssen wir erst dasjenige in unserer eigenen Seele entzünden, was wir eigentlich ausüben sollen; richtig entzünden. Wenn es uns gelingt, ein- oder zweimal bildhafte Darstellungen zu ersinnen, bei denen wir sehen, daß sie bei den Kindern einschlagen, dann werden wir nämlich eine merkwürdige Entdeckung an uns selber machen: Wir werden sehen, daß uns dann das Erfinden von solchen Bildern immer leichter und leichter wird, daß wir nach und nach so erfinderische Menschen werden, wie wir uns das von uns gar nicht vorgestellt hätten.

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Aber dazu gehört eben, mutvo'l zunächst vielleicht sehr weit neben dem Richtigen danebenzutapsen. Man kann ja sagen, dann sollte ich gar nicht Erzieher werden, wenn ich zunächst ganz unge­schickt an die Kinder herantrete! Ja, da muß Sie eben die anthro­posophische Weltanschauung weiterbringen. Da müssen Sie sich sagen: Irgend etwas führt mich karmisch zu den Kindern, so daß ich auch als ungeschickter Erzieher einmal bei ihnen sein kann. Und diejenigen, bei denen ich nicht ungeschickt sein darf, die werden mir eben durch das Karma in späteren Jahren erst gebracht.

Dieses mutvolle sich Hineinwagen in das Leben braucht der Leh­rer und Erzieher - wie überhaupt die Erziehungsfrage gar nicht eine Lehrer-, sondern eine Kinderfrage ist.

Und so möchte ich Ihnen gewissermaßen ein Beispiel geben für etwas, was so sich in die Seele des Kindes senken kann, daß es mit dem Kinde wächst, und daß man auch später noch in der Lage ist, darauf zurückzukommen, und spätere Empfindungen und Gefähle aus den ursprünglich gegebenen hervorzuholen.

Nichts ist nützlicher und fruchtbarer im Unterricht, als wenn Sie dem Kinde zwischen dem 7. und 8. Lebensjahre etwas in Bildern geben, und später, vielleicht im 13., 14. Lebensjahre, wieder in irgendeiner Form darauf zurückkommen können. Gerade aus dem Grunde wird bei uns in der Waldorfschule versucht, die Kinder mög­lichst lange bei einer Lehrkraft zu lassen. Die Kinder werden, wenn sie in die Schule kommen, mit dem 7. Lebensjahre einer Lehrkraft übergeben. Die steigt dann mit den Klassen auf, soweit es eben geht. Das ist deshalb gut, damit die Dinge, die einmal keimhaft in dem Kinde veranlagt werden, immer wieder und wiederum den Inhalt der Erziehungsmittel abgeben können.

Denken wir uns nun, wir bringen einem sieben- oder achtjährigen Kinde eine Bilder enthaltende Erzählung. Das Kind braucht die Bil­der nicht sogleich zu verstehen. Warum das ist, werde ich Ihnen nachher sagen. Es handelt sich nur darum, daß das Kind angemutet wird dadurch, daß der Erzieher die Sache, ich möchte sagen, in gra­ziöser Form vorbringt. Nehmen wir an, ich erzähle dem Kinde fol­gendes:

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«Da war einmal in einem Walde, wo die Sonne durch Bäume drang, ein Veilchen, ein bescheidenes Veilchen unter einem Baume, der große Blätter hatte. Und das Veilchen konnte durch eine Öff­nung, die durch die Baumkrone entstanden ist, hindurchschauen. Und das Veilchen sah, indem es hindurchschaute durch die weite Öffnung in dem Walde, den blauen Himmel. Das kleine Veilchen sah zum ersten Male den blauen Himmel, denn es war an dem Mor­gen dieses Tages eben erst aufgeblüht. Nun erschrak das Veilchen, als es den blauen Himmel sah und geriet in große Angst. Aber es wußte noch nicht, warum es in so große Angst geraten war.

Da lief ein Hund vorbei, ein Hund, der nicht gut aussah, der etwas bissig und böse aussah. Und das Veilchen fragte den Hund: Sag mir einmal, was ist denn das da oben, das Blaue, das so ist wie ich? denn es war der Himmel auch blau, wie das Veilchen blau war.

Und der Hund in seiner Bosheit sagte: Oh, das ist ein riesengroßes Veilchen, wie du, und dieses riesengroße Veilchen ist so groß ge­worden, daß es dich mächtig schlagen kann.

Und das Veilchen bekam eine noch viel größere Angst, denn es glaubte, dieses Veilchen da oben wäre so groß gewachsen, weil es da sein sollte zum &hlagen von ihm selber. Und das Veilchen zog seine Blütenblätter ganz zusammen und wollte nicht mehr hinaufschauen zu dem großen Veilchen und verbarg sich unter einem großen Blatt des Baumes, das gerade durch einen Windstoß heruntergefegt wurde. Und so blieb es den ganzen Tag, indem es sich in seiner Angst ver­steckt hatte vor dem großen Himmelsveilchen.

Und als der nächste Morgen kam, da hatte das Veilchen die ganze Nacht noch nicht geschlafen, denn es hatte immer nur nachgedacht, wie es sich verhielte mit dem großen blauen Himmelsveilchen, von dem es geschlagen werden sollte. Und immer erwartete es, daß jetzt und jetzt der erste Schlag kommen sollte, und er war nicht gekom­men.

Und am Morgen, da kroch das Veilchen hervor, weil es jetzt gar nicht müde war, denn es hatte die Nacht hindurch immer nachge­dacht und war frisch und nicht müde - Veilchen werden müde, wenn sie schlafen und werden nicht müde, wenn sie nicht schlafen - und

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das erste, was das Veilchen sah, war die aufgehende Sonne und das Morgenrot. Und als das Veilchen das Morgenrot sah, da wurde es gar nicht ängstlich. Und es war innerlich erfreut und froh über das Morgenrot.

Nach und nach kam wiederum, als das Morgenrot sich verlor, der weißlich-blaue Himmel hervor. Er wurde immer blauer und blauer. Und das Veilchen mußte wieder denken, was der Hund gesagt hatte, daß das ein großes Veilchen wäre, was es selber schlagen würde.

Und siehe da, da kam ein Lamm vorbei. Und jetzt wollte das Veil­chen wiederum fragen, was das da oben wäre. Was ist denn das da oben? sagte das Veilchen. Da sagte das Lamm: Das ist ein großes Veilchen, blau wie du selber. Jetzt wurde das Veilchen schon wieder­um ängstlich und meinte, es würde von dem Lamm nur wieder die­selbe Auskunft bekommen wie von dem bösen Hund. Aber das Lamm war gut und fromm. Und weil es so gute und fromme Augen machte, da fragte das Veilchen noch einmal: Ach, mein liebes Lamm, wird mich denn das große Veilchen da oben schlagen?

O nein, antwortete das Lamm, das wird dich nicht schlagen, das ist ein großes Veilchen, und seine Liebe ist so vielmal größer als deine eigene Liebe, als es mehr blau ist, als du mit deiner kleinen Gestalt blau bist.

Und da verstand das Veilchen gleich, daß das ein großes Veilchen ist, das gar nicht schlagen wird, sondern das so viel Blau hat, um so viel mehr Liebe zu haben, und daß das große Veilchen das kleine Veilchen schützen wird vor allem, was feindlich ist in der Welt. Und da fühlte sich das kleine Veilchen so wohl, weil alles, was es sah als Blau in dem großen Himmelsveilchen, ihm vorkam wie die göttliche Liebe, die ihm von allen Seiten zuströmte. Und es schaute das kleine Veilchen immer auf, wie wenn es beten wollte zu dem Gott der Veilchen.»

Wenn man so etwa den Kindern erzählt, dann werden sie zweifel­los zuhören. Sie hören immer zu bei solchen Dingen. Nur, man muß aus einer solchen Stimmung heraus erzählen, daß die Kinder, wenn sie nun die Erzählung gehört haben, ein wenig das Bedürfnis haben, diese Erzählung auch innerlich seelisch zu verarbeiten. Das ist sehr

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wichtig. Und das hängt alles davon ab, wie man in der Lage ist, durch sein eigenes Fühlen die Kinder in Disziplin zu halten. Deshalb muß man sogleich, wenn man so etwas bespricht, wie das, was ich eben besprochen habe, das Disziplinhalten daneben hinstellen.

Wir bekamen einmal eine Lehrkraft in die Waldorfschule, die konnte ausgezeichnet erzählen, ganz ausgezeichnet erzählen, aber sie machte auf die Kinder nicht den Eindruck, daß die Kinder in ganz selbstverständlicher Liebe zu ihr hinsahen. Was war die Folge? Wenn die eine anregende Erzählung gegeben worden war, dann wollten die Kinder sogleich eine zweite haben. Und die Lehrkraft gab nach, hatte eine zweite vorbereitet. Jetzt wollten die Kinder gleich eine dritte haben; die Lehrkraft gab nach, hatte eine dritte vorbereitet. Und so kam es zuletzt, daß diese Lehrkraft nach und nach nicht mehr genügend vorbereiten konnte. - Es ist ja auch notwendig, daß man nicht unausgesetzt wie mit einer Dampfpumpe fortwährend in die Kinder hineinpumpt - wir werden gleich hören, wie man abwechseln soll -, sondern es handelt sich darum, daß man jetzt weiter geht, daß man das Kind zunächst fragen läßt, daß man einem Kinde ansieht an seinem Gesichte, an seinen Mienen, es will einen etwas fragen. Man läßt es fragen und unterhält sich dann über die Frage mit dem Kinde in Anlehnung an die eben gegebene Erzählung.

So wird einen ein kleines Kind wahrscheinlich fragen: Warum hat denn der Hund eine so böse Antwort gegeben? Da wird man dem Kinde dann schon in der ganz kindlichen Weise beibringen können:

der Hund ist ein Wesen, das zum Wachedienst bestimmt ist, der den Leuten graulich machen soll, der gewöhnt ist, die Leute vor sich fürchten zu machen. Und man wird dem Kinde erklären können, warum der Hund diese Antwort gegeben hat. Man wird ihm auch erklären können, warum das Lamm jene Antwort gegeben hat, die ich angegeben habe. Man wird in dieser Beziehung, nachdem man die Erzählung gegeben hat, lange mit den Kindern fortsprechen können, und man wird finden: eine Frage bringt bei den Kindern gerade die andere. Alle werden zuletzt auf alles Mögliche und Un­mögliche übergehen. Da handelt es sich darum, daß man in der Tat jene selbstverständliche Autorität, von der wir noch viel sprechen

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werden, in die Klasse hineinbringt. Sonst geschieht es, daß, während man sich mit einem Kinde unterhält, fangen gleich die anderen an Allotria, allerlei Unfug zu treiben. Und wenn man dann genötigt ist, sich umzudrehen und Verweise zu geben, so hat man schon ver­loren. Man muß gerade bei kleineren Kindern die Gabe haben, viel unbemerkt zu lassen.

So zum Beispiel konnte ich einmal einen unserer Lehrer sehr be­wundern. Da war ein richtiger Range in der Klasse - jetzt ist er schon ganz ordentlich geworden nach ein paar Jahren - und siehe da, während der Lehrer sich etwas in der ersten Bank mit einem Kinde beschäftigt hat, springt er flugs aus der Bank heraus und gibt dem Lehrer eins hinten drauf. Ja, wenn der Lehrer nun eine große Ge­schichte gemacht hätte, wäre der Junge immer ungezogen geblieben. Aber der Lehrer tat, als hätte er es nicht bemerkt. Gewisse Dinge muß man eben gar nicht bemerken und da durch das Positive wirken, durch die Art und Weise wiederum, wie man sich mit diesem Kinde im Positiven beschäftigt. In der Regel ist das Bemerken von Nega­tivem etwas sehr Schlimmes.

Wenn man nicht Disziplin halten kann, wenn man nicht die selbst­verständliche Autorität hat - wodurch man sie erwirbt, werde ich ja noch besprechen -, dann kommt eben das heraus, was bei jener Leh­rerin herausgekommen ist: die betreffende Lehrkraft konnte eine Erzählung an die andere fügen, die Kinder waren immer in Span­nung, nur durfte die Spannung nicht nachlassen. Wenn diese Lehr­kraft nun übergehen wollte, zu entspannen, was ja auch da sein muß - denn sonst werden die Kinder zuletzt vollständige Nerven-bündel-, da ging das eine Kind aus der Bankreihe heraus, fing an zu spielen, das andere ging, um einige Tonübungen zu machen, das dritte machte Eurythmie, das vierte prügelte sich mit einem andern; ein anderes lief hinaus zur Türe, und so war bald ein Getriebe, daß man die Kinder nicht wieder zusammenbringen konnte, um die wei­tere spannende Erzählung zu hören.

Es handelt sich eben überall darum, aus welchem Milieu heraus auch das Gute in der Klasse behandelt wird. In diesen Dingen kann man wirklich die sonderbarsten Erfahrungen machen. Da handelt es

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sich dabei durchaus um so etwas, wie, ob die Lehrkraft selber Selbst-vertrauen genug hat zu sich oder nicht.

Die Lehrkraft muß mit einem solchen Gemüte, in einer solchen Seelenstimmung in die Klasse hereinkommen, daß sie geeignet ist, sich wirklich in die Seele der Kinder ganz zu vertiefen. Wodurch er­reicht man dieses? Dadurch, daß man seine Kinder kennt. Sie werden sehen, daß sich darinnen in verhältnismäßig kurzer Zeit eine Praxis erringen läßt, selbst wenn man fünfzig oder noch mehr Kinder in der Klasse hat. Man lernt seine Kinder kennen; man lernt seine Kinder vorstellen; man weiß, welches Temperament das einzelne Kind hat, welche Begabung es hat, welche Physiognomie es hat und so weiter.

Bei unseren Lehrerkonferenzen, die die Seele des ganzen Unter­richtes sind, werden gerade diese einzelnen Kinderindividualitäten sorgfältig besprochen, so daß das Hinschauen auf die Kinderindivi-dualitäten das Wesentliche desjenigen bildet, was im Laufe der Leh­rerkonferenzen die Lehrer selber lernen. Dadurch vervollkommnen sich die Lehrer. Das Kind gibt eigentlich eine große Anzahl von Rätseln auf, und im Lösen dieser Rätsel entwickeln sich die Empfin­dungen, die man in die Klasse hineintragen muß.

Daher kommt es, daß wenn eine Lehrkraft in der Klasse ist - man kann es manchmal erfahren -, die nicht innerlich selber erfüllt ist von dem, was in den Kindern lebt, so balgen sich die Kinder in der Klasse, wenn sie kaum fünf Minuten angefangen hat, geben gar nicht acht, treiben nur Späße. Man kann erleben, daß es dann nicht weiter geht mit einer solchen Lehrkraft; man muß sie durch eine an­dere ersetzen. Musterhaft ist die ganze Klasse vom ersten Tage an bei der anderen Lehrkraft!

Diese Dinge können Sie erleben. Es hängt lediglich davon ab, wie die Seelenverfassung der Lehrkraft ist; ob die Seelenverfassung wirk­lich so ist, daß die Lehrkraft geneigt ist, morgens meditierend sich die ganze Schar der Kinder mit ihren Eigentümlichkeiten durch die Seele ziehen zu lassen.

Sie werden sagen: Dazu braucht man ja eine Stunde. Das braucht man nicht. Wenn man eine Stunde braucht, so kann man es eben nicht. Wenn man dazu zehn Minuten oder eine Viertelstunde braucht,

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dann kann man es. Gewiß, anfangs wird es schwierig gehen, aber nach und nach muß dieser innerliche psychologische Blick erworben werden, der es möglich macht, daß die Lehrkraft schnell die Dinge überschaut.

Sehen Sie, man muß, um die Stimmungen zu erzeugen, die not­wendig sind, um dieses bildhaft Erzählerische in die Kinder hinein­zubringen, vor allen Dingen einen guten Blick haben für die Tem­peramente der Kinder. Deshalb gehört es schon zur Methodik des ganzen Erziehungs- und Unterrichtsbetriebes, zunächst die Tempera­mente der Kinder entsprechend zu behandeln. Und es stellt sich her­aus, daß die beste Behandlung für die Temperamente diese ist: zu­nächst einmal die Kinder gleichen Temperamentes zusammen-zusetzen. Erstens ist es für den Lehrer übersichtlich, wenn er weiß, da drüben hat er die Choleriker, dort drüben hat er die Melan­choliker, da die Sanguiniker. Er hat dadurch einen Anhaltspunkt zum Erkennen der ganzen Klasse.

Einfach schon dadurch, daß man das Kind nach seinem Tempera­ment studiert, und es nach seinem Temperament setzt, hat man wie­derum an sich selber etwas getan, um in der Klasse die nötige selbst­verständliche Autorität zu halten. Die Dinge kommen gewöhnlich aus anderen Untergründen, als man meint. Und innere Arbeit muß der Lehrende und Erziehende schon an sich verrichten.

Wenn Sie die Phlegmatiker zusammensetzen, so üben sie gegen­seitige Selbstkorrektur. Sie werden sich nämlich so langweilig, daß sie mit der Zeit gegen das Phlegma Antipathie bekommen; dann wird es immer besser und besser. Die Choleriker prügeln sich und puffen sich und werden zuletzt der Prügel und Püffe der andern Choleriker überdrüssig. Und so schleifen sich die einzelnen Tempera­mente, gerade wenn sie zusammensitzen, außerordentlich gut an­einander ab.

Aber auch der Lehrende selber soll, indem er mit den Kindern etwa solche Dinge, wie die eben gegebene Erzählung durchspricht, die selbstverständliche instinktive Gabe in sich entwickeln, das Kind nach seinem Temperament zu behandeln.

Habe ich ein phlegmatisches Kind, so behandle ich, wenn ich

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irgendwie im Anklange an eine solche Erzählung mit dem Kinde spreche, das Kind selber mit einem noch größeren Phlegma, als es selber hat. Ein sanguinisches Kind, das immer von einem Eindruck zum anderen läuft, bei keinem festhalten kann, bei dem versuche ich, die Eindr ücke noch schneller wechseln zu lassen, als es selber sie behandelt. Einem cholerischen Kinde versuche man, möglichst in stößiger Weise, so daß man selber ins Cholerische hineinkommt, die Dinge beizubringen, und Sie werden sehen, wie es nach und nach sich abstößt in seiner Cholerik an der dargestellten Cholerik des Erziehers. Gleiches muß mit Gleichem behandelt werden. Nur darf man dabei nicht lächerlich werden. Und so bringt man es allmählich dahin, wirklich die Stimmung zu erzeugen, in der solch eine Erzäh­lung nicht bloß gegeben, sondern auch besprochen werden kann. Aber man bespreche eine Erzählung zuerst, ehe man sie wieder­holen läßt. Die schlimmste Methode ist diese, eine solche Erzählung zu geben und dann zu sagen: Du, Edith Müller, mußt mir das jetzt wieder erzählen. Das hat gar keinen Sinn. Ein Sinn kommt nur in die Sache, wenn über dieselbe gescheit oder töricht - man braucht in der Klasse nicht immer gescheit zu reden, es kann auch töricht geredet werden, man wird das zumeist zuerst tun - eine Zeitlang gesprochen wird. Dadurch wird dem Kinde die Sache zu eigen. Und dann kann man sich es eventuell wieder erzählen lassen. Das ist aber das weni­ger Wichtige. Denn zunächst ist nicht das das Wichtige, daß das Kind sich eine solche Sache gedächtnismäßig aneignet. Darauf kommt es sogar in diesem Lebensalter zwischen dem Zahnwechsel und dem 9. oder 10. Jahr, von dem ich jetzt spreche, sehr wenig an; es ist sogar besser, wenn man so rechnet, daß das Kind sich dasjenige gedächtnismäßig aneignen kann, was ihm bleibt, und das, was es ver­gißt, mag es eben vergessen. Auf die Ausbildung des Gedächtnisses kann man bei anderen Unterrichtsstoffen sehen, als bei diesen Er­zählungen, wie ich auch noch ausführen werde.

Nun wollen wir einmal ein klein wenig die Frage behandeln:

Warum habe ich denn gerade eine solche Erzählung mit einem solchen Inhalte gewählt? Das ist aus dem Grunde geschehen, weil die Vorstellungen, die in dieser Erzählung spielen, mit dem Kinde

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wachsen können. Sie haben alles mögliche in der Erzählung, worauf Sie später zurückkommen können: das Veilchen wird ängstlich, weil es das große Veilchen am Himmel sieht. Das braucht man mit dem kleinen Kinde noch nicht zu erörtern. Später, wenn man nötig hat, kompliziertere Lehrstoffe durchzunehmen, kann bei Gelegenheit, wenn irgendwo die Angst auftritt, auf dieses zurückgekommen wer­den. In dieser Erzählung tritt Kleines und Großes auf. Kleines und Großes kommt wiederholt, immer wieder und wieder im Leben vor und wirkt aufeinander; man kann später darauf zurückkommen. Vorkommt in dieser Erzählung aber vor allen Dingen zunächst der bissige Rat des Hundes, nachher der wohlwollende, liebevolle Rat des Lammes. Was kann da später, wenn das hervorgeholt wird, nachdem das Kind so etwas in der Seele liebgewonnen hat und reif ist dazu, an Betrachtungen angeknüpft werden über das Gute und das Böse, über die entgegengesetzten Empfindungen, die in der Seele wurzeln! Noch bei einem sehr reifen Kinde kann man auf diese einfache kindliche Erzählung wieder zurück­kommen, kann ihm klarmachen, daß man ja oftmals nur Angst hat vor einer Sache, weil man sie mißversteht, weil sie schlecht dar­gestellt wird. Dieses Zwiespältige im Empfindungsleben, das man vielleicht später bei diesem oder jenem Lehrstoffe zu besprechen hat, kann in der wunderbarsten Weise gefunden werden, wenn man im späteren Leben auf diese Erzählung zurückkommt.

Und im Religionsunterricht, der ja erst später auftreten muß, wie schön ist diese Erzählung gerade zu benützen, indem man zeigt, wie das Kind die religiösen Gefühle entwickelt an dem Großen, das der Beschützer des Kleinen ist, und wie man das echte religiöse Gefühl entwickeln muß dadurch, daß man in sich dasjenige findet, was an dem Großen beschützend auftritt. Das kleine Veilchen ist ein kleines blaues Wesen. Der Himmel ist ein großes blaues Wesen. Daher ist der Himmel der blaue Gott des Veilchens.

Es wird das auf mehrfacher Stufe im Religionsunterricht zu be­nützen sein. Wie schön kann man später anknüpfen, vergleichen, wie das menschliche Innere selbst ein Göttliches ist! Man kann später zu dem Kinde sagen: Sieh einmal, dieses große Himmelsveilchen, der

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Veilchen-Gott, der ist ganz blau, in alle Weiten. Jetzt denkst du dir ein kleines Stück herausgeschnitten, das ist das kleine Veilchen. So ist Gott überhaupt groß wie der Welten-Ozean. Deine Seele ist ein Tropfen von Gott. Aber so, wie das Wasser des Meeres, wenn es einen Tropfen bildet, dasselbe Wasser ist wie das große Meer, so ist deine Seele dasselbe, was der große Gott ist, nur eben ein kleiner Tropfen.

Und so wird man es, wenn man die richtigen Bilder findet, für das ganze kindliche Alter einrichten können, daß man später auf diese Bilder wiederum zurückkommen kann, wenn das Kind reifer ist. Aber es handelt sich darum, daß der Lehrer selber Gefallen und Sympathie für diese Bildhaftigkeit findet. Und Sie werden sehen:

wenn Sie ein Dutzend solcher Erzählungen durch Ihre Erfindungs-gabe ausgebildet haben, dann können Sie sich gar nicht mehr retten; sie kommen überall, wo Sie gehen und stehen. Denn die menschliche Seele ist ein unversieglicher Quell, die es hervorbringen kann, wenn ihr nur einmal das Hervorzubringende auf der ersten Stufe ent­lockt ist.

Der Mensch ist nur so träge, daß er die ersten Anstrengungen nicht machen will, um dasjenige, was in der Seele drinnen sitzt, aus sich hervorzubringen.

Wir wollen uns nun einen anderen Zweig des bildhaften Lehrens und Erziehens einmal vor die Seele führen. Dabei wird es sich darum handeln, daß gerade bei dem ganz kleinen Kinde der Intellekt, der Verstand, der abgesondert in der Seele wirkt, noch nicht eigentlich ausgebildet werden soll, sondern alles Denken soll am Anschau-lichen, am Bildlichen entwickelt werden.

Nun wird man schon mit etwa achtjährigen Kindern ganz gut Übungen der folgenden Art machen können, wenn sie auch zunächst ungeschickt sind: Man stelle zum Beispiel vor das Kind diese Figur hin (Fig. 1, das Dunklere). Und nun versuche man auf alle Weise, das Kind dahin zu bringen, daß es aus sich selbst heraus das Gefühl bekommt: das ist nicht fertig, da fehlt etwas. Man wird natürlich nach der Individualität des Kindes vorgehen müssen, um das Gefühl

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#Bild s. 73a

dieses Fehlens hervorzubringen. Man wird zum Bei­spiel zu dem Kinde sagen müssen: Sieh einmal diese linke Hälfte, die geht doch bis da herunter, und die rechte nur bis dahin. Das ist doch nicht schön, wenn das eine ganz bis da herunter geht, das ander nicht, nur bis daher. Und so wird man das Kind allmäh­lich dazu bringen, daß es diese Figur ergänzt, daß es wirklich empfindet: die Figur ist nicht fertig, die muß ergänzt werden. Und es wird das Kind dazu gebracht werden können, dieses zu der Figur hinzuzusetzen. Ich zeichne das rot, was das Kind natürlich auch weiß zeichnen kann; was von dem Kinde er­gänzt werden soll, ist von mir durch eine andere Farbe angedeutet (Fig. I, heller). Das Kind wird sich zunächst höchst ungeschickt be­nehmen, aber es wird nach und nach im Ausgleichen von etwas ein denkendes Anschauen und ein anschauendes Denken entwickeln. Das Denken wird ganz im Bild bleiben.

Und habe ich einmal ein paar Kinder in der Klasse dazu gebracht, in dieser einfachen Weise die Dinge zu ergänzen, dann werde ich weiter vordringen können. Dann werde ich vielleicht noch diese Fi­gur dem Kinde vorzeichnen (Fig. II). Nun werde ich diese kompli­zierte Figur als unfertig von dem Kinde empfinden lassen und das Kind veranlassen, nun dasjenige, was geschehen kann zur Fertigstellung, zu machen (Fig. II, heller). Auf diese Weise werde ich in dem Kinde Form-gefühl hervorrufen, Formgefühl, durch welches das Kind veranlaßt wird, Symmetrie, Harmonie zu emp­finden.

#Bild s. 73b

Das kann nun wiederum weiter ausgebildet werden. Ich kann zum Beispiel dem Kinde ein Gefühl davon hervorrufen, welches die innere an­geschaute Gesetzmäßigkeit dieser Fi­gur ist (Fig. III). Ich bringe dem

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#Bild s. 74

Kind diese Figur vor. Das Kind be­kommt schon ein Gefühl davon, daß diese Linie hier zusammengeht, die andere Linie hier auseinandergeht. Dieses Sichschließen und Auseinan­dergehen, das ist dasjenige, was ich dem Kinde gut beibringen kann.

Jetzt gehe ich dazu über und mache folgende Figur dem Kinde vor (Fig. IV): ich mache die krummen Linien zu geraden mit Ecken, und ich veran­lasse das Kind, nun selber diese in­nere Linie in der entsprechenden Weise zu machen. Man wird manche Mühe haben mit acht­jährigen Kindern; aber gerade bei Achtjährigen ist dann der Erfolg ein außerordentlich großer, wenn man sie veranlassen kann, auch wenn man es vorher gezeigt hat, bei weiteren Figuren das selber zu machen. Man muß das Kind dazu bringen, nun sei­nerseits die inneren Figuren nachzu­machen, mit demselben Charakter, nur in der Eckigkeit vorzugehen.

Auf diese Weise erzieht man das Kind zum wirklichen Formgefühl, zum Empfinden in der Harmonie, in der Symmetrie, in dem Sich-Entspre­chen und so weiter. Und dann kann man von solchen Dingen dazu über­gehen, bei dem Kinde eine Vorstel­lung davon hervorzurufen, wie sich etwas spiegelt. Wenn hier (Fig. V) eine Wasseroberfläche ist, hier irgendein

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Gegenstand, ruft man in dem Kinde die Vorstellung hervor und zeigt ihm, wie sich das spiegelt. - Auf diese Weise kann man das Kind nach und nach in die Harmonien hineinführen, die sonst auch in der Welt herrschen.

Man kann dann auch dazu übergehen, das Kind an sich selber geschickt werden zu lassen im anschaulichen bildhaften Denken:

Zeige mir mit deiner linken Hand das rechte Auge! Zeige mir mit deiner rechten Hand das rechte Auge! Zeige mir mit deiner rechten Hand das linke Auge! Zeige mir von rückwärts aus mit der rechten Hand die linke Schulter! mit der linken Hand die rechte Schulter! Zeige mir mit der rechten Hand dein linkes Ohr! Zeige mir mit der linken Hand das linke Ohr! Zeige mir mit der rechten Hand deine rechte große Zehenspitze und so weiter. Man kann also das Kind an sich selber die kuriosesten Übungen machen lassen. Zum Beispiel auch: Beschreibe einen Kreis mit deiner rechten Hand um die linke! Beschreibe einen Kreis mit deiner linken Hand um die rechte! Be­schreibe zwei Kreise, die die Hände ineinander bilden! Beschreibe zwei Kreise, mit der einen Hand nach der einen Seite, mit der ande­ren Hand nach der anderen Seite! Man lasse es immer schneller und schneller machen. Bewege schnell den mittleren Finger deiner rech­ten Hand! Bewege schnell den Daumen der rechten Hand! Bewege schnell den kleinen Finger!

So läßt man am Kinde selber mit rascher Geistesgegenwart allerlei Übungen machen. Was ist der Erfolg solcher Übungen? Wenn ein Kind solche Übungen um das 8. Lebensjahr herum macht, so lernt es durch solche Übungen denken, und zwar denken für das Leben. Wenn man direkt denken lernt durch den Kopf, so ist das nicht den­ken für das Leben, dann wird man später denkmüde. Dagegen wenn man in dieser Weise am eigenen Körper in schneller Geistesgegen­wart auszuführende Bewegungen macht, bei denen nachgedacht wer­den muß, dann wird man später lebensklug; man wird einen Zusam­menhang bemerken können zwischen der Lebensklugheit eines Men­schen im 35., 36. Jahre und dem, was man an solchen Übungen hat machen lassen im 7. und 8. Jahre. So hängen eben die verschiedenen Epochen des Lebens zusammen.

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Und aus dieser Menschenkenntnis heraus muß man versuchen, wirklich das einzurichten, was man an das Kind heranzubringen hat.

So kann man auch gewisse Harmonisierungen in den Farben er­reichen. Nehmen wir an, ich mache zunächst mit dem Kinde die Übung, daß ich solch eine Malerei bringe (siehe Zeichnung I). Jetzt bringen wir ihm bei, indern wir sein Gefühl erregen, daß neben die­ser roten Farbfläche (innen) eine grüne Farbfläche sich harmonisch

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gut fühlen läßt. Das muß natürlich mit Farben ausgeführt werden, dann sieht man es besser. Jetzt versucht man dem Kinde klarzu­machen: Ich werde die Sache einmal umdrehen. Schau, ich mache hier (innen) das Grün (Zeichnung II); was wirst du mir da rund­herum machen? Dann wird das Kind rundherum rot malen. Man bekommt dadurch, daß man diese Dinge macht, das Kind dazu, all­mählich die Harmonik der Farben zu empfinden. Das Kind lernt wissen: wenn ich hier in der Mitte eine rote Fläche habe, ringsherum Grün (Zeichnung I), so muß ich, wenn nun das Rot grün wird, das Grüne rot machen. Dieses Sich-Entsprechen von Farbe und Form auf das Kind wirken lassen, das ist von einer ungeheuren Bedeutung ge­rade in diesem Lebensalter gegen das 8. Jahr hin.

Was man braucht, um mit einem solchen innerlich zu gestaltenden Unterricht vorwärtszukommen, das ist - ja, ich muß es durch ein Ne­gatives ausdrücken -, das ist: kein Stundenplan! In der Waldorf­schule haben wir sogenannten Epochenunterricht, keinen Stunden­plan. Die Beschäftigung mit einem Gegenstande wird vier bis sechs Wochen fortgesetzt. Wir haben nicht von 8-9 Uhr Rechnen, von

9-10 Uhr Lesen, von 10-11 Uhr Schreiben, sondern wir nehmen eine Materie, mit der wir uns fortlaufend im Hauptunterricht beschäftigen,

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Morgen für Morgen vier Wochen lang. Erst dann wech­seln wir, wenn die Kinder entsprechend weit gekommen sind. Wir wechseln niemals so ab, daß wir von 8-9 Uhr Rechnen und von 9-10 Uhr Lesen haben, sondern wir treiben Rechnen sechs Wochen lang für sich, wir treiben ein anderes Fach auch vier oder sechs Wochen lang für sich, je nachdem was es ist. Wir haben nur in einzelnen Fällen, von denen ich noch sprechen werde, Stundenpläne. In der Hauptsache, bei dem sogenannten Hauptunterricht haben wir strenge den Epochenunterricht eingeführt. Diese Epochen hindurch nehmen wir nur Gleichartiges, wie eines aus dem anderen hervorgeht.

Dadurch entheben wir das Kind des ungeheuer innerlich seelisch Störenden, daß es in einer Stunde Dinge auf seine Seele wirken las­sen muß, die in der nächsten Stunde wieder ausgelöscht werden. Diese Dinge können nicht vermieden werden, wenn nicht dieser so­genannte Epochenunterricht eingeführt wird.

Gewiß, es wird gegen diesen Epochenunterricht vielfach einge­wendet, daß die Kinder die Dinge wieder vergessen. Allein das ist ja eine Sache, die nur für einzelne Unterrichtsfächer, zum Beispiel für das Rechnen in Betracht kommt, und da kann man durch kleine Wiederholungen die Sache ausbessern. Für die meisten Unterrichts­fächer kann überhaupt dieses Vergessen keine große Rolle spielen, jedenfalls nicht im Verhältnis zu dem, was gewonnen wird, an Un­geheurem gewonnen wird dadurch, daß das Kind konzetitriert eine gewisse Epoche hin bei einer Materie festgehalten wird.

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FÜNFTER VORTRAG Torquay, 16. August 1924

Wenn man einem Kinde etwas beibringen will, muß man schon et­was von dem eigentlichen Wesen der Sache verstehen, um nicht sich im Unterrichte und in der Erziehung in Dingen zu bewegen, die dem Leben fernliegen. Alles, was dem Leben naheliegt, kann man ver­stehen. Man könnte auch sagen: was man in Wirklichkeit versteht, muß dem Leben naheliegen. Die Abstraktionen liegen dem Leben nicht nahe.

Nun ist es heute so, daß der Lehrende, der Erziehende, von ge­wissen Dingen von vornherein nur Abstraktionen hat, daß er mit ge­wissen Dingen dem Leben nicht nahesteht. Das macht für die Er­ziehung und den Unterricht die allergrößten Schwierigkeiten. Be­denken Sie nur das folgende: Sie wollen einmal darüber nachdenken, wie Sie dazu gekommen sind, Dinge zu zählen; was eigentlich damit getan ist, daß Sie zählen. Sie werden wahrscheinlich finden, daß der Faden Ihrer Untersuchungen irgendwo abreißt, daß Sie wohl Zählen gelernt haben, aber nicht recht eigentlich wissen, was Sie tun mit dem Zählen.

Nun werden allerlei Theorien für die Pädagogik ersonnen, wie man den Begriff der Zahl, wie man das Zählen einem Kinde beibrin-gen soll, und gewöhnlich richtet man sich dann auch nach solchen Theorien. Wenn man damit auch äußerlich Erfolge erzielen kann, an den ganzen Menschen kommt man mit diesem Zählen oder mit solchen Dingen, die dem Leben fernliegen, nicht heran. Die neuere Zeit hat ja gerade dadurch bewiesen, wie sie in Abstraktionen lebt, daß sie solche Dinge wie die Rechenmaschine für den Unterricht er­funden hat. Im kaufmännischen Büro mögen die Leute Rechenma­schinen benützen, wie sie wollen, das geht uns jetzt nichts an, aber im Unterricht verhindert die Rechenmaschine, die sich ausschließlich an den Kopf wendet, von vorneherein, daß man in einer wesensge­mäßen Weise mit der Zahl an das Kind herankommt.

Es handelt sich darum, daß man das Zählen wirklich aus dem Leben

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heraus gewinnt. Dabei wird vor allen Dingen wichtig sein, daß man von vornherein weiß: es kann sich gar nicht darum handeln, daß das Kind restlos alles versteht, was man ihm beibringt. Das Kind muß vieles auf Autorität aufnehmen, aber es muß es naturgemäß, sachgemäß aufnehmen.

Daher können Sie finden, daß das, was ich Ihnen nun über das Bei­bringen des Zählens sagen werde, vielleicht noch schwierig ist für das Kind. Aber das schadet nichts. Es ist außerordentlich bedeutsam, daß im Leben des Menschen solche Momente eintreten, wo man sich im 30., 40. Jahre sagt: Jetzt verstehe ich etwas, was ich damals im 8. oder 9. Jahre oder sogar noch früher in mich auf Autorität hin aufgenommen habe. - Das belebt. Wer dagegen all die Dinge be­trachtet, die man heute als Anschauungsunterricht in den Unterricht einführen will, der kann tatsächlich ins Verzweifeln geraten, wie trivial die Dinge gemacht werden, um sie, wie man sagt, dem Ver­ständnis des Kindes näherzubringen.

Denken Sie einmal, Sie nehmen selbst das kleinste Kind, das sich noch recht ungeschickt dabei benimmt, und Sie sagen ihm: Sieh ein­mal, du stehst jetzt da. Hier nehme ich ein Stück Holz. Da habe ich ein Messer. Ich zerschneide nun dieses Stück Holz. Kann ich das auch mit dir machen? Da wird das Kind doch selber darauf kommen, daß ich das mit ihm nicht machen kann. Und nun kann ich dem Kinde sagen: Sieh einmal, wenn ich das Holz zerschneiden kann, dann ist das Holz also nicht so wie du, und du nicht so wie das Holz, denn dich kann ich nicht zerschneiden. Es ist also ein Unterschied zwischen dir und dem Holz. Der Unterschied besteht darinnen, daß du eine Einheit bist. Das Holz ist keine Einheit. Du bist eine Einheit. Dich kann ich nicht zerschneiden. Dasjenige, was du bist, deshalb, weil ich dich nicht zerschneiden kann, das nenne ich eine Einheit.

Nun, man wird jetzt allmählich dazu übergehen, dem Kinde ein Zeichen für diese Einheit beizubringen. Man macht einen Strich: I. Man bringt also dem Kinde bei, daß es eine Einheit ist, und man macht dafür diesen Strich.

Nun kann man abgehen von dem Holz und dem Vergleiche mit dem Kinde, und kann jetzt zu dem Kind sagen: Sieh einmal, da hast

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du deine rechte Hand, da hast du auch deine linke Hand. Und man wird dem Kinde beibringen können: Wenn du nur diese eine Hand hättest, dann könnte sich diese eine Hand überall hin bewegen, wie du selber. Aber wenn du so weitergehst, dann kannst du dir nicht begegnen, du kannst dich nicht angreifen. Wenn sich aber diese Hand und diese Hand bewegen, dann können sie sich angreifen, dann können sie zusammenkommen. Das ist etwas anderes, als wenn du bloß allein gehst. Weil du allein gehst, bist du eine Einheit. Aber die eine Hand kann der anderen Hand begegnen. Das ist nicht mehr eine Einheit, das ist eine Zweiheit. Siehst du, du bist einer, aber du hast zwei Hände. Das bezeichnest du dann so: II.

Auf diese Weise bringen Sie den Begriff der Einheit und der Zwei­heit aus dem Kinde selbst heraus zustande.

Nun gehen Sie weiter, rufen ein zweites Kind heraus und sagen:

Wenn ihr aber geht, könnt ihr euch auch begegnen, könnt ihr euch auch berühren. Ihr seid eine Zweiheit. Es kann aber noch einer dazu­kommen. Das kann bei den Händen nicht der Fall sein. So kann man übergehen beim Kinde zur Dreiheit: III.

Auf diese Weise kann man aus dem, was der Mensch selber ist, die Zahl ableiten; Man kommt vom Menschen zu der Zahl. Der Mensch ist etwas Lebendiges, nichts Abstraktes.

Und man kann übergehen und sagen: Sieh einmal, du hast noch irgendwo eine Zweiheit. Man treibt das so lange, bis das Kind zu seinen beiden Beinen und Füßen kommt. Jetzt sagt man: Aber du hast schon des Nachbars Hund gesehen, ist der auch nur auf zwei Füßen? Dann wird das Kind dazu kommen,in den vier Strichen II II das sich Aufstützen von des Nachbars Hund kennenzulernen, und es wird so aus dem Leben heraus allmählich die Zahl aufbauen lernen.

Da ist es nun gut, wenn der Lehrer wieder überall offene Augen hat und alles mit Verständnis anschaut. So könnte ganz gut, weil man zuerst, wie es ja auch natürlich ist, diese sogenannten römischen Zah­len anfängt zu schreiben - denn das ist dasjenige, was das Kind selbstverständlich gleich auffaßt - nun der Übergang gefunden wer den von der Vier mit Hilfe der Hand zu der Fünf: V. Da wird man dem Kinde sagen: Das ist so, wenn du das (den Daumen) zurückhältst,

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so kannst du diese vier so benützen wie der Hund: I I I I . Dann aber kommt noch der Daumen dazu, jetzt sind es fünf: V.

Ich stand einmal einem Lehrer gegenüber, der in der Erklärung der römischen Zahlen bis zu vier gekommen war, aber nicht darauf kommen konnte, warum es den Römern eingefallen ist, nun nicht fünf Striche nebeneinander zu machen, sondern dieses Zeichen V zu machen für die Fünf. Bis zu I I I I konnte er es ganz gut bringen. Da sagte ich: Nun, machen wir es einmal so, legen wir die fünf Finger so auseinander, daß sie zwei Reihen bilden, und dann haben wir es:

da haben wir in der römischen Fünf die Hand drinnen. Das ist auch die Entstehung der römischen Fünf. Die Hand ist da drinnen.

In einem so kurzen Kurs kann man natürlich nur das Prinzip er­klären. Aber auf diese Weise bekommt man die Möglichkeit, die Zahl selber unmittelbar aus dem Leben abzulesen. Und dann erst, wenn man in dieser Weise unmittelbar aus dem Leben die Zahl her-ausgewirkt hat, versucht man, das Zählen durch Anführen der Zah­len nacheinander durchzunehmen. Aber man versuche dieses so durchzunehmen, daß es den Kindern nicht gleichgültig bleibt. Ehe man ihm sagt: Jetzt sage mir einmal die Zahlen hintereinander auf:

i, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 usw., gehe man zunächst vom Rhythmus aus. Sagen wir, wir gehen von 1 zu 2 = 1 2, 1 2, 1 2; wir lassen das Kind stärker auftreten bei dem 2, gehen zu 3 auch so ins Rhythmische hin­über = 1 2 3, 1 2 3. Auf diese Weise legen wir den Rhythmus in die Zahlenreihe hinein und bilden so auch die Fähigkeit beim Kinde, die Dinge zusammenzufassen. Wir gelangen so wirklich in einer natur­gemäßen Weise dazu, dem Kinde aus dem Wesen der Zahl heraus die Zahlen beizubringen.

Der Mensch glaubt gewöhnlich, er habe die Zahlen ausgedacht, indem er immer eins zum andern hinzugefügt hat. Das ist aber gar nicht wahr, der Kopf zählt überhaupt nicht. Man glaubt im gewöhn­lichen Leben gar nicht, welch ein merkwürdiges, unnützes Organ für das Erdenleben dieser menschliche Kopf eigentlich ist. Er ist zur Schönheit da, gewiß, weil das Antlitz den anderen gefällt. Er hat noch mancherlei andere Tugenden, aber zu den geistigen Tätigkei­ten ist er eigentlich gar nicht so stark da, denn dasjenige, was er geistig

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in sich hat, führt immer zurück in das frühere Erdenleben; er ist das umgestaltete frühere Erdenleben. Und einen richtigen Sinn hat es eigentlich nur dann für den Menschen, einen Kopf zu haben, wenn er etwas weiß von seinen früheren Erdenl eben. Alles andere kommt gar nicht aus dem Kopf. Wir zählen nämlich in Wirklichkeit im Unter­bewußten nach den Fingern. In Wirklichkeit zählen wir 1-10 an den Fingern und 11, 12, 13, 14 an den Zehen weiter. Das sieht man zwar nicht, aber man macht das so bis 20. Und dasjenige, was man im Körper auf diese Weise tut, das spiegelt sich im Kopfe nur ab. Der Kopf schaut nur bei allem zu. Der Kopf im Menschen ist wirk­lich nur ein Spiegelungsapparat von dem, was der Körper macht. Der Körper denkt, zählt; der Kopf ist nur ein Zuschauer.

Dieser Kopf hat eine merkwürdige Ahnlichkeit mit etwas ande­rem. Wenn Sie hier ein Auto haben (es wird gezeichnet) und Sie sitzen bequem darinnen, so tun Sie gar nichts, der Chauffeur da vorne muß sich plagen. Sie sitzen drinnen und werden durch die Welt gefahren. So ist es auch mit dem Kopf; der plagt sich nicht, der ist einfach auf Ihrem Körper, läßt sich ruhig durch die Welt tragen und schaut allem zu. Dasjenige, was getan wird im geistigen Leben, das wird alles vom Körper aus gemacht. Mathematisiert wird vom Körper aus, gedacht wird auch vom Körper aus, gefühlt wird auch vom Körper aus. - Die Rechenmaschine entspringt eben dem Irrtum, als ob der Mensch mit dem Kopf rechnete. Man bringt dann dem Kinde mit der Rechenmaschine die Rechnungen bei, das heißt, man strengt seinen Kopf an, und der Kopf strengt dann damit den Körper an, denn rechnen muß doch der Körper. Man berücksichtigt nicht, daß der Körper rechnen muß. Das ist wichtig. Deshalb ist es richtig, daß man das Kind mit den Fingern und auch mit den Zehen zählen läßt, wie es überhaupt ganz gut wäre, wenn man möglichste Ge­schicklichkeit bei den Kindern herausfordern würde. Es ist zum Bei­spiel nichts besser im Leben, als wenn man den Menschen im ganzen geschickt macht! Das kann man nicht durch Sport; der macht nicht eigentlich geschickt. Aber geschickt macht es zum Beispiel, wenn man den Menschen einen Griffel zwischen der großen und der nächsten Zehe halten läßt und ihn schreiben lernen läßt mit dem

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Fuß, Ziffern schreiben läßt mit dem Fuß. Das ist etwas, was durchaus Bedeutung haben kann, weil in Wahrheit der Mensch mit seinem ganzen Körper seelendurchdrungen, geistdurchdrungen ist. Der Kopf ist der sich anlehnende und nichtstuende Fahrende, während-dem der Körper überall der Chauf feur ist; der muß alles tun.

Und so muß man von den verschiedensten Seiten her versuchen, dasjenige, was das Kind als Zählen lernen soll, aufzubauen. So ist es wichtig, daß man, wenn man eine Zeitlang so gearbeitet hat, auch dazu kommt, das Zählen nicht bloß durch Zulegen von einem zum anderen - das ist sogar das allerwenigst wichtigste Zählen - hervor­ruft, sondern man bringt dem Kinde bei: das ist die Einheit. Jetzt teilt man das ab (siehe Zeichnung):

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das ist die Zweiheit. Es ist da nicht eine Einheit neben die andere gelegt zur Zweiheit, sondern da ist die Zwei­heit aus der Einheit hervorgegangen. Das ist die Einheit (siehe oben), das ist nun die Dreiheit. Auf diese Weise kann man die Vorstellung hervorrufen, daß die Einheit eigentlich das Umfas­sende ist, dasjenige, was die Zweiheit, die Dreiheit, die Vierheit zu­sammenfaßt. Wenn man auf diese Weise zählen lernt (siehe Schema) i, 2, 3,4, usw., werden dieBegriffe desKindes lebendig. Dadurch ent­steht in dem Kinde ein innerliches Durchdringen des Zahlenmäßigen.

In gewissen Zeiten des Altertums hat man überhaupt unsere Be­griffe des Zählens, wo immer nur eine Bohne neben die andere ge­legt oder eine Kugel an der Rechenmaschine neben die andere ge­setzt wird, gar nicht so gekannt, sondern man hat eben gesagt: Die Einheit ist das größte; jedes zwei ist nur die Hälfte davon und so weiter. Auf diese Weise kommen Sie in das Wesen des Zählens hin­ein, anschaulich, am Außending. Man soll das Denken des Kindes immer nur am Außending, am Anschaulichen entwickeln, die Ab­straktion möglichst fernhalten.

Das Kind bekommt dann nach und nach die Möglichkeit, die Zah­lenreihe zu haben bis zu einem gewissen Grade, meinetwillen zuerst

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bis 20, dann 100 usw. Aber man gehe auf diese Weise vor, um dem Kinde das Zählen lebendig beizubringen. Ein Kind kann dann zäh­len. Wirklich zählen soll das Kind zuerst lernen - ich sage das aus­drücklich -, nicht gleich rechnen, sondern zählen. Das Kind soll zählen können bevor man ans Rechnen geht.

Wenn man nun dem Kinde das Zählen nahegebracht hat, so wird es sich darum handeln, ans Rechnen heranzudringen. Auch das Rechnen muß aus dem Lebendigen herausgeholt werden. Das Lebendige ist immer ein Ganzes und als Ganzes zuerst gegeben. Man verübt Schlechtes an dem Menschen, wenn man ihn dazu veranlaßt, immer aus den Teilen ein Ganzes zusammenzusetzen, wenn man ihn nicht dazu erzieht, auf ein Ganzes hinzuschauen und dieses Ganze dann in Teile zu gliedern. Dadurch, daß man das Kind veranlaßt, auf ein Ganzes hinzuschauen, es zu gliedern und zu teilen, dadurch führt man das Kind an das Lebendige heran.

Man bemerkt ja vieles nicht, was die materialistische Zeit eigent­lich mit Bezug auf die Menschheitskultur getrieben hat. Heute wird man gar keinen besonderen Anstoß daran nehmen, sondern es als etwas Selbstverständliches betrachten, Kinder mit dem Baukasten spielen zu lassen, einzelne Steinchen zu haben und aus denen so ein Gebäude zusammenzusetzen. Das ist von vornherein ein Wegführen des Kindes vom Lebendigen. Das Kind hat aus seiner Wesenheit her­aus gar nicht das Bedürfnis, aus Teilen ein Ganzes zusammenzu­setzen. Das Kind hat viele andere, allerdings unbequemere Bedürf­nisse. Das Kind hat, wenn es nur einmal darauf kommt, gleich das Bedürfnis, wenn man ihm eine Uhr gibt, sie gleich zu zerteilen, das Ganze in die Teile zu zerlegen, und das entspricht viel mehr der Wesenheit des Menschen, nachzusehen, wie sich ein Ganzes in die Teile gliedert.

Das ist dasjenige, was nun auch beim Rechenunterricht berück­sichtigt werden muß. Daß das auf die ganze Kultur einen Einfluß hat, mögen Sie aus folgendem Beispiel ersehen.

So bis ins dreizehnte, vierzehnte Jahrhundert herein legte man gar keinen so großen Wert darauf, im menschlichen Denken ein Ganzes

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aus seinen Teilen zusammenzusetzen. Das kam erst später auf. Der Baumeister baute viel mehr aus der Idee des Ganzen heraus, und gliederte in die Teile, als daß er aus Teilen ein Gebäude zusammen­gesetzt hätte. Das Zusammensetzen aus Teilen kam eigentlich erst später in die Menschheitszivilisation hinein. Und das hat dann dazu geführt, daß die Menschen überhaupt angefangen haben, alles aus kleinsten Teilen sich zusammengesetzt zu denken. Daraus kam die atomistische Theorie in der Physik. Die kommt nur aus der Erzie­hung. Unsere hohen Gelehrten würden gar nicht so sprechen von diesen winzigen kleinen Karikaturen von Dämonen - denn es sind Karikaturen von Dämonen -, von den Atomen, wenn man sich nicht in der Erziehung daran gewöhnt hätte, aus Teilen alles zusammen-zusetzen. So ist der Atomismus gekommen. Wir kritisieren heute den Atomismus; aber eigentlich sind die Kritiken ziemlich überflüssig, weil die Menschen nicht loskommen von dem, was sie sich seit vier bis fünf Jahrhunderten angewöhnt haben verkehrt zu denken: statt von dem Ganzen in die Teile hinein zu denken, von den Teilen auf das Ganze zu denken.

Das ist etwas, was man sich besonders beim Rechenunterricht sagen sollte. Wenn Sie von ferne auf einen Wald zugehen, haben Sie doch zuerst den Wald, und dann erst, wenn Sie nahekommen, glie­dern Sie den Wald in die einzelnen Bäume. So müssen Sie auch beim Rechnen vorgehen. Sie haben ja niemals in Ihrer Börse, sagen wir, i, 2, 3, 4, 5, sondern Sie haben einen Haufen Geldstücke. Sie haben die 5 zusammen. Das ist ein Ganzes. Das haben Sie zuerst. Sie haben auch gar nicht, wenn Sie sich eine Erbsensuppe kochen, i, 2, 3, 4, 5 bis 30, 40 Erbsen, sondern Sie haben einen Haufen. Sie haben auch nicht, wenn Sie ein Körbchen Äpfel haben, i, 2, 3, 4, 5, 6, 7 usw. Äpfel, sondern einen Haufen Äpfel in Ihrem Körbchen. Sie haben ein Ganzes. Was geht es uns zunächst an, wieviel wir haben, wir haben einen Haufen Äpfel (es wird gezeichnet). Jetzt kommen wir mit diesem Haufen Äpfel nach Hause. Drei Kinder sind da. Wir wollen zunächst gar nicht darauf ausgehen, die Teilung gleich so vorzunehmen, daß jedes das gleiche bekommt. Vielleicht ist das eine Kind klein, das andere groß. Wir greifen hinein, geben dem größeren

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Kind einen größeren Haufen, dem kleineren Kind einen kleineren Haufen; wir gliedern den Haufen Äpfel, den wir haben, in drei Teile.

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Beim Teilen ist es ohnehin so eine merkwürdige Geschichte! Da hatte einmal eine Mutter ein großes Stück Brot und sagte zu dem einen Kind, das Heinrich hieß: Du mußt jetzt teilen, aber christlich teilen. Da fragte der Heinrich: Was heißt denn das, christlich teilen? Nun ja, sagte die Mutter, du mußt das Brot in ein kleineres und ein größeres Stück schneiden, das größere gibst du deiner Schwester Anna, du behältst das kleinere. Darauf sagte Heinrich: Nein, dann soll nur die Anna christlich teilen!

Da muß man noch andere Begriffe zu Hilfe nehmen. Wir machen das so, daß wir zum Beispiel dem einen Kind das geben (siehe Ab­grenzung bei der Zeichnung), dem zweiten Kind diesen Haufen, und dem dritten Kind diesen Haufen. Damit wir es ordentlich über­schauen können, zählen wir zunächst den ganzen Haufen, denn zäh­len kann das Kind schon. Es sind 18 Äpfel. Jetzt habe ich es zu zäh­len. Wieviel hat das erste Kind? 5. Wieviel hat das zweite Kind? 5. Wieviel hat das dritte Kind? 8.

Somit bin ich vom Ganzen ausgegangen, vom ganzen Haufen Äpfel, und habe ihn in drei Teile aufgeteilt.

Sehr häufig macht man es im Unterricht so, daß man sagt: Du hast 5 und noch einmal 5 und 8; die zählst du zusammen, dann gibt das 18. Da gehen Sie vom Einzelnen aus und kommen zum Ganzen. Aber das gibt dem Kind tote Begriffe, keine lebendigen Begriffe. Gehen

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Sie vom Ganzen aus, von den 18, und teilen Sie es auf in die Summanden, so bekommen Sie die Addition.

Unterrichten Sie also nicht so, daß Sie ausgehen von dem einzelnen Addenden oder Summanden, sondern gehen Sie von der Summe aus

- die ist das Ganze - und gliedern Sie sie in die einzelnen Addenden. Dann können Sie dazu kommen, nun zu sagen: Aber ich kann jetzt auch anders aufteilen. Ich kann so teilen -ii ich habe nun andere Ad­denden, das Ganze bleibt immer gleich. Dadurch, daß Sie die Addi­tion nicht so nehmen, wie man sie sehr häufig nimmt, indem man zuerst die Addenden hat und dann die Summe, sondern zuerst die Summe gibt und dann die Addenden, kommen Sie zu ganz lebendi­gen, beweglichen Begriffen. Sie kommen auch darauf, daß da, wo es nur auf die Zahl ankommt, das Ganze eben etwas Gleichbleibendes ist; die einzelnen Summanden, Addenden, können sich ändern. Dieses Ei­gentümliche der Zahl, daß man sich die Addenden in verschiedener Art gruppiert denken kann, das kommt dabei sehr schön heraus.

Dann können Sie übergehen und sagen: Wenn aber etwas nicht nur Zahl ist, sondern die Zahl in sich hat, wie der Mensch, dann kann man nicht in verschiedener Weise teilen. So zum Beispiel wenn Sie den menschlichen Rumpf nehmen und dasjenige, was daran hängt, Kopf, Arme und Füße - da können Sie nicht in beliebiger Weise das Ganze aufteilen, da können Sie nicht sagen: ich schneide den einen Fuß so heraus, die Hand so heraus und so weiter, sondern das ist in bestimmter Weise schon von der Natur aus gegliedert.

Wo es bloß auE das Zählen ankommt, da ist nicht von der Natur aus gegliedert, da kann ich in verschiedener Weise aufteilen.

Das ist dasjenige, wodurch Sie überhaupt die Möglichkeit bekom­men, Leben und lebendiges Fließen in den Unterricht hineinzubrin­gen. Alle Pedanterie fällt heraus aus dem Unterricht, und Sie wer­den sehen, es kommt etwas in den Unterricht hinein, was das Kind außerordentlich gut braucht: es kommt in gesundem Sinne, nicht in kindischem Sinne, Humor in den Unterricht hinein. Und Humor muß in den Unterricht hineinkommen.

Übersetzen Sie das Wort «Humor» gut; das wird immer im Unter­richt mißverstanden!

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So müssen Sie überhaupt im Unterricht vorgehen: überall von dem Ganzen ausgehen. Nehmen Sie einmal an, Sie wollen, ganz aus dem Leben heraus, folgendes machen. Die Mutter hat das Mariechen geschickt, Äpfel zu holen. Das Mariechen hat 25 Äpfel bekommen. Das hat die Kaufmannsfrau auf einen Zettel aufgeschrieben. Das Mariechen kommt nach Hause und bringt nur 10 Äpfel. Die Tat­sache liegt vor, die ist aus dem Leben: das Mariechen hat 25 Äpfel bekommen und hat nur 10 nach Hause gebracht. Das Mariechen ist ein ehrliches Mariechen, hat wirklich keinen einzigen Apfel auf dem Wege aufgegessen, hat aber doch nur 10 Äpfel nach Hause gebracht. Jetzt kommt jemand nachgelaufen, der auch ehrlich ist, und bringt alle die Äpfel nach, die das Mariechen auf dem Weg verloren hat. Jetzt wird die Frage entstehen: Wieviel bringt der nach? Man sieht ihn erst von ferne kommen. Jetzt will man vorher wissen, wieviele er nachbringt. Nun, das Mariechen ist angekommen, 10 Äpfel hat es gebracht, 25 hatte es bekommen, das sieht man auf dem Zettel, auf dem die Frau es aufgeschrieben hat. Es hat also 15 Äpfel verloren.

Sehen Sie, jetzt haben Sie die Rechnung gemacht. Gewöhnlich macht man es so: etwas ist gegeben, man soll etwas abziehen, und dann bleibt etwas übrig. Aber im Leben - Sie werden sich davon überzeugen - kommt es viel häufiger vor, daß man dasjenige, was man ursprünglich bekommen hat, und dasjenige, was übriggeblieben ist, weiß, und man muß dasjenige, was verlorengegangen ist, auf­suchen. Man soll also die Subtraktion, damit man die Sache lebendig treibt, so machen, daß man vom Minuend und vom Rest ausgeht, und den Subtrahend sucht; nicht vom Minuend und Subtrahend aus­gehen und den Rest suchen. Das ist tot. Lebendig ist es, vom Minuend und vom Rest auszugehen und den Subtrahen den zu suchen. Dadurch bekommen Sie Leben in den Unterricht hinein.

Sie werden das schon sehen, wenn Sie die Sache von der Mutter und dem Mariechen ins Auge fassen und den, der den Subtrahenden bringt. Das Mariechen hat vom Minuend den Subtrahend verloren, und das will man so rechtfertigen, daß man von dem, der da nach­kommt, den man herankommen sieht, wissen will, wieviel er bringen muß. Da kommt in die ganze Subtraktion Leben, wirkliches Leben

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hinein. Wenn man nur danach fragt: wieviel bleibt übrig - bringt das nur Totes in die Seele des Kindes hinein. Sie müssen immer darauf bedacht sein, überall das Lebendige, nicht das Tote in das Kind hin­einzubringen.

Und so können Sie dann weitergehen. Sie können die Multipli­kation so treiben, daß Sie sagen: Das Ganze, das Produkt ist vor­handen; wie kann man finden, wievielmal irgend etwas in diesem Produkt drinnensteckt? Sehen Sie, da kommen Sie auf Lebendiges. Denken Sie einmal, wie tot es ist, wenn Sie sagen: Ich teile mir diese ganze Gruppe von Menschen ab, da sind drei, da sind noch einmal drei usw., und ich frage jetzt: wievielmal drei sind da? Das ist tot, da ist kein Leben drinnen.

Wenn ich umgekehrt vorgehe und das Ganze nehme und frage, wie oft irgendeine Gruppe drinnen stecke, dann kann ich Leben hin­einbringen. Ich kann zum Beispiel zu den Kindern so sagen: Seht, ihr seid hier in der Klasse eine gewisse Zahl. Zählen wir es ab. Ihr seid 45. Jetzt suche ich mir 5 heraus, i, 2, 3, 4, 5, die stelle ich daher. Nun lasse ich abzählen, wievielmal sind diese 5 da drinnen in diesen 45? Sehen Sie, da gehe ich wieder aufs Ganze, nicht in den Teil. Wie­viel solcher Fünfer-Gruppen kann ich noch machen? Da komme ich darauf, es sind noch acht Fünfer-Gruppen da drinnen. Also ich mache die Sache umgekehrt, gehe vom Ganzen aus, vom Produkt, und suche, wie oft ein Faktor da drinnen steckt. Dadurch belebe ich mir die Rechnungsarten und gehe vor allen Dingen vom Anschau­lichen aus. Und darauf kommt es an, daß wir das Denken nie, nie, nie loslösen von dem Anschaulichen, sonst kommt an das Kind früh der Intellektualismus, die Abstraktion heran, und wir verderben das ganze Kind. Wir machen es trocken, und außerdem züchten wir in ihm - wir werden noch sprechen von der geistig-seelisch-physischen Erziehung -, wir zuchten in ihm die Austrocknung auch des physi­schen Leibes, die Sklerose.

Wiederum hängt viel davon ab, daß wir so rechnen lehren, wie es hier beobachtet worden ist, damit der Mensch im Alter noch beweg­lich bleibt, noch geschickt ist. Wenn Sie am menschlichen Körper, so wie ich es beschrieben habe zählen lehren, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9,

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10 und dann weiter mit den Zehen - ja es wäre schon ganz gut, wenn man die Kinder gewöhnen würde, bis 20 wirklich mit Fingern und Zehen zu zählen, nicht mit der Rechenmaschine -, wenn Sie das die Kinder lehren, dann werden Sie sehen, durch dieses kindliche Medi-tieren - denn wenn man an den Fingern zählt, wenn man mit den Zehen zählt, so muß man auch an die Finger und Zehen denken, das ist ein Meditieren über den eigenen Körper, und zwar ein gesundes Meditieren -, da bringt man Leben hinein in den Körper. Man ist dann im Alter mit den Gliedern noch geschickt; sie behaupten sich, weil sie am ganzen Organismus das Zählen gelernt haben. Wenn man nur mit dem Kopfe denkt, nicht mit den Gliedern und dem übrigen Organismus denkt, dann können sie sich später auch nicht behaupten, und man kriegt die Gicht.

Wie man aus dem Anschaulichen heraus, nicht aus dem, was man heute oftmals «Anschauungsunterricht» nennt, alles in Erziehung und Unterricht besorgen muß, das möchte ich Ihnen nun an einem bestimmten Fall zeigen, der ja tatsächlich im Unterricht eine ganz besondere Rolle spielen kann. Es ist der Fall des pythagoreischen Lehrsatzes, den Sie ja wohl alle kennen, wenn Sie unterrichten wer­den, den Sie vielleicht schon in einer ähnlichen Weise durchschaut haben, aber wir wollen ihn heute doch noch besprechen. Sehen Sie, der pythagoreische Lehrsatz bedeutet etwas, was man sich tatsäch­lich im Unterrichte so als ein Ziel hinstellen kann für die Geometrie. Man kann schon die Geometrie so aufbauen, daß man sagt: man will alles so gestalten, daß sie gipfelt in dem pythagoreischen Lehrsatz, daß das Quadrat der Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks gleich ist der Summe der beiden Kathetenquadrate. Es ist etwas ganz Grandioses, wenn man das so recht ins Auge faßt.

Ich habe einmal einer Dame, die dazumal schon älter war, weil sie das so liebte, Geometrie beibringen sollen. Ich weiß nicht, ob sie alles vergessen hatte - aber vermutlich hatte sie nicht viel gelernt gehabt in den Mädchenerziehungsinstituten, in denen man so als Mädchen erzogen wird -, jedenfalls wußte sie nichts von Geometrie. Ich fing nun an und gipfelte das Ganze bis zum pythagoreischen

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Lehrsatz hin. Nun hatte der pythagoreische Lehrsatz für die Dame in der Tat etwas außerordentlich Frappieren des. Man ist nur gewöhnt an dieses Frappierende. Aber nicht wahr, man soll einfach das ver­stehen, daß, wenn ich hier ein rechtwinkliges Dreieck habe (es wird gezeichnet), die Fläche, die als Quadrat über der Hypotenuse er­richtet wird, gleich ist der Summe dieser beiden Quadratflächen über den Katheten (Fig. I). Daß, wenn ich also Kartoffeln pflanze,

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und sie überall in den gleichen Entfernungen anordne, ich, wenn ich dieses Feld und dieses zusammen mit Kartoffeln bepflanze, genau soviel Kartoffeln anpflanzen werde, wie hier auf diesem Felde. Das ist etwas Frappieren des, etwas ganz Frappierendes, und wenn man es so ansieht, kann man es nicht eigentlich durchschauen.

Und gerade das, daß man es nicht durchschauen kann, daß es etwas so Wunderbares ist, sollte man zum inneren Beleben des Seelischen im Unterricht benutzen; man sollte darauf bauen, daß man da etwas nicht so furchtbar Durchsichtiges hat, das man doch immer wieder zugeben muß. Man möchte sagen: beim pythagoreischen Lehrsatz ist es so: man kann an ihn glauben, aber man muß den Glauben im­mer gleich wieder verlieren. Man muß immer von neuem wieder

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daran glauben, daß das Hypotenusenquadrat gleich ist der Summe der beiden Kathetenquadrate.

Nun kann man ja allerlei Beweise finden, und der Beweis sollte eigentlich ganz anschaulich geliefert werden. Er ist leicht zu liefern, solange das Dreieck gleichschenklig ist. Wenn Sie hier ein gleich­schenklig-rechtwinkliges Dreieck haben (es wird gezeichnet, Fig. II),

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so ist dieses hier die eine Kathete, dies ist die andere Kathete, das ist die Hypotenuse. Das, was ich jetzt orange zeichne (1, 2, 3, 4), ist das Quadrat über der Hypotenuse. Das, was ich blau zeichne, sind die Quadrate über den beiden Katheten (2, 5; 4, 6).

Nun ist es wiederum so, wenn ich in der richtigen Weise hier über diesen beiden blauen Feldern (2, 5; 4, 6), Kartoffeln anpflanze, be­komme ich gleichviel, wie wenn ich in dem orangen Feld (1, 2, 3, 4) Kartoffeln anpflanze. Das orange Feld ist das Quadrat über der Hypotenuse, die beiden blauen Felder (2, 5; 4, 6) sind die Quadrate über den beiden Katheten.

Nun können Sie ja den Beweis einfach machen, indem Sie sagen:

Die zwei Stücke (2, 4) von den beiden blauen Quadraten, die fallen da (ins Hypotenusenquadrat) herein, die sind schon drinnen. Das da (5) können Sie hier heraufsetzen (auf 3). Wenn Sie sich das Ganze ausschneiden, können Sie das Stück (6) hier darauflegen (auf i), und Sie haben es gleich. Also, da ist die Sache ganz durchsichtig, wenn man ein sogenanntes rechtwinklig-gleichschenkliges Dreieck hat. Aber hat man nicht ein rechtwinklig-gleichschenkliges Dreieck, sondern eines von verschiedenen Seiten (wie Fig. I), da kann man das folgende machen: Zeichnen Sie sich dieses Dreieck noch einmal

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heraus (Fig. III: ABC). Zeichnen Sie jetzt das Quadrat über der Hy­potenuse ABDE. Nun können Sie in folgender Weise zeichnen: Sie

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können das Dreieck ABC, das Sie hier haben, hier daran zeichnen:

BDF. Dann können Sie dieses Dreieck ABC, respektive dieses BDF, was dasselbe ist, noch einmal hierher zeichnen: AEG. Dadurch, daß Sie dieses Dreieck hier noch einmal haben, können Sie sich das Qua­drat über dieser einen Kathete so herzeichnen (rot) CAGH. Jetzt ist das, was ich rot gezeichnet habe, das Quadrat über der einen Kathete (CAGH).

Ich kann nun auch, wie Sie sehen, das Dreieck hierher zeichnen:

DEI. Hier habe ich es auch. Dann habe ich in dem, was ich hier jetzt grün zeichne, das Quadrat über der anderen Kathete: DIHF; dann habe ich da zwei, das Quadrat über der einen Kathete, das Quadrat über der anderen Kathete. Ich benutze nur bei dem einen diese Kathete AG, bei dem anderen diese Kathete DI. Die Dreiecke sind da (AEG) und da (DEI); aber gleich (d.h. kongruent). Wo habe ich das Quadrat über der Hypotenuse? Das will ich nun violett hin-einzeichnen, damit wir es gut unterscheiden können: ABDE. Das Quadrat über der Hypotenuse habe ich hier. Jetzt soll ich an der Figur selber zeigen, daß rot (1, 2) und grün (3, 4, 5) zusammen violett (2, 4, 6, 7) gibt.

Nun werden Sie ja leicht einsehen können: ich nehme dieses rote Quadrat (1, 2) hier zuerst; dasjenige, was die beiden Quadrate gemeinschaftlich

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haben (2), das fällt ja übereinander. Nun kommt da noch das Stück vom grünen Quadrat (4) herein. So habe ich also diese Figur (2, 4), die Sie da gezeichnet sehen, und die nichts an­deres ist als ein Stück von dem violetten Quadrat ABDE, richtig ein Stück von dem violetten Quadrat. Dieses Stück von dem violetten Quadrat DE enthält dieses Stück von dem roten Quadrat (2); bleibt davon nur noch der Zipfel hier übrig (1); den enthält es noch nicht. Aber außerdem enthält diese Figur diesen Zipfel von dem grünen Quadrat (4). Jetzt muß ich nur noch darauf kommen, das unter­zubringen, was mir da übriggeblieben ist (1, 3, 5).

Nun müssen Sie einmal sehen: da ist Ihnen ein Stückchen vom roten Quadrat übriggeblieben (1), da ein Stückchen vom grünen Quadrat (3), und da ist Ihnen dieses ganze Dreieck (5) übriggeblie­ben, das auch zum grünen Quadrat DIHF gehört. Jetzt nehmen Sie das, was Sie hier haben, was Ihnen da noch übriggeblieben ist, und setzen es da an: dasjenige, was Ihnen hier noch übriggeblieben ist (5), nehmen Sie und setzen es da an (6). Jetzt haben Sie auch noch die Zipfel da (1, 3). Wenn Sie das ausschneiden, kommen Sie richtig darauf, daß diese beiden Flächen (1, 3) in diese Flächen (7) hinein-gefallen sind. Es kann natürlich noch deutlicher gezeichnet werden, aber ich denke, Sie werden die Sache durchschauen. Es handelt sich jetzt nur noch darum, daß es sich durch die Sprache noch näher mit­teilt. Auf diese Weise haben Sie einfach durch das Flächen-überein­anderlegen gezeigt, daß der pythagoreische Lehrsatz richtig ist. Wenn Sie gerade diese Art des Übereinanderlegens nehmen, so wer­den Sie etwas finden. Sie werden zwar sehen, wenn Sie die Sache aus­schneiden, statt daß Sie es aufzeichnen, daß sie sehr leicht überschau­bar ist; trotzdem, wenn Sie später darüber nachdenken, wird es Ihnen wieder entfallen. Sie müssen es immer wieder von neuem suchen. Sie können es sich nicht ganz gut im Gedächtnis merken, daher muß man es immer wieder aufs neue suchen. Und das ist gut. Das ist näm­lich ganz gut. Das entspricht dem pythagoreischen Lehrsatz. Man soll immer wieder von neuem darauf kommen. Daß man ihn ein­sieht, soll man immer wieder vergessen. Das entspricht dem Frap­pierenden, was der pythagoreische Lehrsatz hat. Dadurch bekommen

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Sie das Lebendige in dieSache hinein. Sie werden schon sehen, wenn Sie dieses von den Schülern wieder und wieder machen lassen, die müssen es herausdrucksen. Sie kommen nicht gleich wieder darauf, sie müssen jedesmal nachdenken. Das entspricht aber dem Innerlich-Lebendigen des pythagoreischen Lehrsatzes. Es ist gar nicht gut, wenn man den pythagoreischen Lehrsatz so beweist, daß er platt philiströs einzusehen ist; es ist viel besser, daß man ihn immer wie­der vergißt und immer wieder von neuem suchen muß. Das entspricht dem Frappierenden, daß es doch etwas Sonderbares ist, daß das Hypotenusenquadrat gleich ist der Summe der beiden Katheten­quadrate.

Nun können Sie ganz gut mit elf- oder zwölfjährigen Kindern die Geometrie so weit bringen, daß Sie den pythagoreischen Lehrsatz in einem solchen Flächenvergleich erklären; die Kinder werden eine ungeheure Freude haben, wenn sie das eingesehen haben, und sie be­kommen Eifer. Das hat sie gefreut. Jetzt wollen sie es immer wieder machen, besonders, wenn man sie es ausschneiden läßt. Es wird nur ein paar intellektualistische Taugenichtse geben, die sich das ganz gut merken, die es immer wieder zustandebringen. Die meisten, ver nünftigeren Kinder, werden immer wieder sich verschneiden und daran herumdrucksen, bis sie herausbekommen, wie es sein muß. Das entspricht aber dem Wunderbaren des pythagoreischen Lehr-satzes, und man soll nicht aus diesem Wunderbaren herauskommen, sondern drinnen stehen bleiben.

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SECHSTER VORTRAG Torquay, 18. August 1924

Wir wollen nun im Anschlusse an die gemachten Ausführungen noch einiges, was auf die Methode Bezug haben kann, besprechen, und dazu möchte ich bemerken, daß man natürlich in den wenigen Vor­trägen, die hier gehalten werden können, nicht so vorgehen kann daß einzelne pädagogische Winke, möchte ich sagen, die ich gegeben habe, weiter ausgeführt werden, sondern wir können ja nur Prinzi­pielles erörtern. Und Sie werden ja dann auch die Seminarkurse der Waldorfschule studieren und sie wohl durchgreifend verstehen kön­nen, wenn Sie diese Winke hier empfangen.

Wir müssen das Kind noch einmal recht ins Auge fassen zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife, müssen uns klar sein darüber, daß in den Jahren vor dem Zahnwechsel durchaus die ver­erbten Merkmale in dem Kinde das Maßgebende sind: das Kind er­hält sozusagen von Vater und Mutter einen Modellkörper, der bis zum Zahnwechsel vollständig abgeworfen wird, und der wird wäh­rend der ersten siebenjährigen Lebensepoche durch einen neuen Kör­per ersetzt. Der Zahnwechsel ist ja nur der äußere Ausdruck dieses Ersatzes durch einen neuen Körper, an dem das Seelisch-Geistige nun arbeitet. Ich habe Ihnen gesagt: Ist das Seelisch-Geistige stark, dann wird unter Umständen das Kind während der Schulperiode vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife sich sehr ändern gegenüber den Eigenschaften, die es vorher gehabt hat. Ist die Individualität schwach, so wird etwas zustandekommen, was den Vererbungsmerk­malen sehr ähnlich ist. Und noch bei dem volksschulmäßigen Kinde werden wir auf tiefgehende Ähnlichkeiten mit den Eltern oder Vor­eltern hinzusehen haben.

Nun müssen wir uns darüber klar sein, daß mit dem Zahnwechsel eigentlich erst die selbständige Tätigkeit des Ätherleibes des Men­schen beginnt. Der Ätherleib hat in den ersten sieben Lebensjahren mit allem, was er an selbständiger Betätigung aufbringen kann, zu tun, um den zweiten physischen Körper wirklich zu bilden. So daß

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dieser Ätherleib in den ersten sieben Lebensjahren ein ausgesproche­ner innerer Künstler im Kinde ist, ein Plastiker, ein Bildhauer. Diese bildhauerische Kraft, die da vom Ätherleib auf den physischen Leib angewendet wird, wird frei, emanzipiert sich mit dem siebenten Le­bensjahre mit dem Zahnwechsel Sie kann sich dann seelisch be­tätigen.

Daher hat das Kind durchaus den Drang, Formen plastisch oder auch malerisch zu bilden. Der Ätherleib hat ja die sieben ersten Le­bensjahre hindurch an dem physischen Leib plastiziert und gemalt. Jetzt will er diese Tätigkeit, da er an dem physischen Leib nichts weiter oder wenigstens nicht so viel zu tun hat, außen ausführen. Wenn Sie daher als Lehrer selber recht gut kennen, welche Formen am menschlichen Organismus vorkommen, und daher wissen, was das Kind aus plastischen Stoffen heraus gern formt, oder was es mit Farben gerne hinmalt, dann werden Sie dem Kinde eine gute An-leitung geben können. Sie müssen aber selber eine Art künstlerischer Anschauung haben vom menschlichen Organismus. Daher ist es schon wichtig für den Lehrer, weil die heutige Seminarbildung dar­innen noch gar nichts tut, daß er versucht, sich selber plastisch zu betätigen. Sie werden sehen, wenn Sie noch soviel gelernt haben über eine Lunge oder über eine Leber, oder sagen wir, irgendwelche verwickelten Zusammenhänge von Gefäßen, Sie wissen nicht soviel, als wenn Sie das Ganze einmal in Wachs oder in Plastilin nachbilden. Da fangen Sie plötzlich an, ganz anders über die Sache zu wissen. Bei der Lunge müssen Sie ja die eine Hälfte anders bilden als die andere. Sie ist ja nicht symmetrisch. Die eine hat deutlich zwei, die andere sogar drei Abschnitte. Bevor Sie das lernen, vergessen Sie überhaupt immer wiederum, was links und rechts ist. Wenn Sie diese merkwürdigen asymmetrischen Formen in Wachs oder Plastilin her-ausbilden, dann bekommen Sie das Gefühl, Sie können nicht das Linke rechts und das Rechte links herumstellen, gerade so wenig, wie Sie das Herz auf der rechten Seite machen können. Sie bekom­men auch das Gefühl, das sitzt darinnen in seiner Form im Organis­mus. Sie bekommen das Gefühl, wenn Sie es richtig ausbilden, daß es garnicht anders möglich ist, als daß die Lunge nach und nach in eine

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aufrechte Stellung geht, daß sie sich aufrichtet beim Gehen. Wenn Sie dann Lungenformen von Tieren bilden, so werden Sie sehen, oder Sie greifen es der Form an, daß die Lunge horizontal liegt. Und so auch bei anderen Organen.

So müssen Sie versuchen, wirklich plastisch Anatomie zu treiben, um etwas, was gar nicht den menschlichen Körper nachahmt, son­dern nur Formen hat, um das beim Kinde formen oder auch malen zu lassen. Und Sie werden sehen, das Kind hat den Drang, Formen zu machen, die an das Innere des menschlichen Organismus anknüpfen. Man bekommt da sogar ganz merkwürdige Erfahrungen im Laufe des Unterrichts.

Wir haben ja, weil das für eine solche Methode, wie die Waldorf­schul-Methode selbstverständlich ist, überall den Menschenkunde-unterricht angefügt, namentlich so in der 4., 5., 6., 7. Klasse. Die Kinder malen bei uns schon vom Anfange an, und von einem ge­wissen Lebensalter an bildhauern sie auch. Nun ist es sehr inter­essant, wenn man die Kinder einfach so darauflos arbeiten läßt, nach­dem man ihnen etwas erklärt hat vom Menschen, die Lunge oder ein anderes Organ, dann fangen sie an, solche Formen aufzubauen, wie die Lunge oder die dem ähnlich sind, und zwar ganz von selber. Das ist sehr interessant zu sehen, wie das Kind aus seiner eigenen Men­schenwesenheit heraus formt. Und deshalb ist es so notwendig, daß Sie sich auf diese plastische Methode wirklich einlassen, sich Mittel suchen, wodurch Sie in die Lage kommen, die Formen der mensch­lichen Organe sinngemäß wirklich nachzubilden, mit Wachs oder in Plastilin, oder meinetwillen, wie es oftmals auch unsere Kinder machen - in Straßenschmutz. Nun ja, wenn man anderes Material nicht hat, so ist das ein sehr gutes Material.

Das ist der innere Drang, die innere Sehnsucht des Ätherleibes so plastisch-malerisch tätig zu sein. Daher kann man sehr leicht an diesen Drang, an diese Sehnsucht anknüpfen und so die Buchstaben aus den Formen hervorholen, die das Kind malt, oder auch aus den Formen, die das Kind plastisch ausbildet, weil man wirklich aus Menschenerkenntnis heraus dann den Unterricht gestaltet. Das muß auf jener Stufe geschehen.

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Nun weiter. Der Mensch besteht ja nicht nur aus seinem physi­schen Leib und dem Ätherleib, der dann mit dem siebenten Jahre sich emanzipiert und frei wird, sondern auch noch aus dem astrali­schen Leib und dem Ich. Was ist denn mit dem astralischen Leib bei dem Kinde zwischen dem 7. und 14. Lebensjahre? Der kommt zur vollen Tätigkeit eigentlich erst mit der Geschlechtsreife. Da wirkt er erst ganz im menschlichen Organismus drinnen. Aber während zwischen der Geburt und dem Zahnwechsel der ätherische Leib ge­wissermaßen aus dem physischen herausgezogen wird, selbständig wird, zieht man zwischen dem 7. und 14. Jahre den astralischen Leib nun nach und nach an; und wenn er ganz angezogen ist, wenn der astralische Leib nicht mehr bloß lose verbunden ist, sondern den physischen und Ätherleib ganz innig durchdringt, dann ist der Mensch auf dem Lebenspunkt der Geschlechtsreife angelangt.

Beim Knaben sieht man an der Verwandlung der Stimme, daß der astralische Leib nun ganz im Kehlkopf drinnen ist; bei der Frau an der Ausbildung anderer Organe, Brustorgane und so weiter, daß der astralische Leib nun ganz eingezogen ist. Der astralische Leib zieht langsam in den menschlichen Leib hinein von allen Seiten.

Die Linien und die Richtungen, die er verfolgt, das sind die Ner­venstränge. Den Nervensträngen nach, von außen nach innen, zieht der Astralleib ein. Er fängt da an, von der Umgebung, von der Haut aus allmählich und dann sich innerlich zusammenz'u:iehen, den gan­zen Körper auszufüllen. Vorher ist er eine lose Wolke, in der das Kind lebt. Dann zieht er sich zusammen, ergreift innig all die Or­gane, verbindet sich, wenn wir grob sprechen, chemisch mit dem Organismus, mit dem physischen und ätherischen Gewebe.

Aber dabei ist etwas Besonderes der Fall. Wenn da von der Kör­perperipherie aus der astralische Leib nach innen vordringt, dann dringt er den Nerven nach vor, die sich da dann im Rückgrat ver­einigen. (Es wird gezeichnet.) Da oben ist der Kopf. Langsam dringt er auch durch die Kopfnerven vor, krabbelt sich da an den Nerven gegen die Zentralorgane, gegen das Rückenmark, gegen den Kopf hinein, kommt so nach und nach hinein und füllt alles aus.

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Was nun besonders in Betracht kommt, das ist die Art, wie die Atmung mit dem ganzen Nervensystem zusammenwirkt. In der Tat, dieses Zusammenwirken der Atmung mit dem ganzen Nervensystem ist etwas ganz Besonderes im menschlichen Organismus. Dafür sollte man als Lehrer, als Erzieher das allerfeinste Gefühl haben. Nur dann, wenn man dieses feine Gefühl hat, wird man richtig unter­richten können. Es geht da also die Atemluft in den Körper hinein, breitet sich aus, geht durch den Rückenmarkskanal da hinauf (siehe Zeichnung), breitet sich im Gehirn aus, kommt immer zusammen mit den Nervensträngen, geht wieder herunter und verfolgt die Wege, wodurch sie dann als Kohlensäure ausgestoßen werden kann, So daß wir fortwährend das Nervensystem von der eingeatmeten Luft bearbeitet haben, die sich ausbreitet, durch den Rückenmarks­kanal hinaufgeht, sich ausbreitet, mit Kohlenstoff sich durchdringt, wiederum zurückgeht und ausgeatmet wird. Dieses ganze Atmen, wie es längs der Nervenstränge geht, wird erst im Laufe. der Zeit. in der

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das Kind gerade schulpflichtig ist, zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife ganz eingeschaltet von seiten des astralischen Leibes in den physischen Leib. So daß der astralische Leib in dieser Zeit, indem er sich nach und nach mit Hilfe der Atemluft hinein­schaltet, auf demjenigen spielt, was da wie Saiten aufgespannt ist, in der Mitte auf dem Rückenmarkskanal. Es ist wirklich eine Art von Leier, ein Musikinstrurnent, unsere Nerven, richtig ein innerliches Musikinstrument, das da in den Kopf hinauftönt.

Und wenn der Zahnwechsel beginnt - es ist natürlich schon früher der Fall, aber da ist der Astralleib noch lose -, aber mit dem Zahn­wechsel beginnt der astralische Leib deutlich sich mit der Atemluft der einzelnen Nervenstränge wie Saiten einer Violine zu bedienen.

Das alles aber wird befördert, wenn Sie dem Kinde dasjenige bei­bringen, was gesanglich ist. Und Sie müssen ein Gefühl haben, das Kind ist ein Musikinstrument, indem es singt; müssen vor der Klasse stehen, wo Sie Gesangunterricht, Musikunterricht erteilen, mit dem deutlichen Gefühl: jedes Kind ist ein Musikinstrument und fühlt in­nerlich das Wohlgefühl des Tönens.

Denn das Tönen wird durch diese besondere Zirkulation des Atems bewirkt. Das ist innerliche Musik. Und daher muß man, wäh­rend das Kind anfangs, in den ersten sieben Lebensjahren, alles durch Nachahmung nur lernt, nun versuchen, daß das Kind jetzt nach inne­rem Wohlgefühl, das es bekommt beim Melodienbilden, beim Rhythmenbilden, den Gesang lernt. Wenn Sie vor der Klasse stehen und Gesanguriterricht erteilen, müssen Sie eine Vorstellung haben, für die ich einen Vergleich gebrauchen möchte, der etwas ins Grobe geht, aber der Ihnen das, was ich meine, deutlich machen wird. Ich weiß nicht, wie viele von Ihnen, aber hoffentlich werden die meisten es schon dahin gebracht haben, einmal eine Kuhherde sich anzu­schauen, wenn die Kuhherde gefressen hat und daliegt auf der Weide und nun verdaut. Solch ein Verdauen einer Kuhherde ist tat­sächlich etwas ganz Wunderbares. Da ist in der Kuh etwas wie ein Abbild der ganzen Welt vorhanden. Die Kuh empfindet in ihrem Verdauungsapparat, in ihrem Ernährungsapparat, wenn da verdaut wird, wenn da die verarbeiteten Speisen übergehen in Blutgefäße,

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Lymphgefäße, wenn das alles vor sich geht, empfindet die Kuh ein solches Wohlgefallen, das zu gleicher Zeit Erkenntnis ist. Jede Kuh hat eine wunderbare Aura beim Verdauen, in der sich die ganze Welt spiegelt. Es ist das Schönste, was man sehen kann, solch eine Kuh-herde, auf der Wiese liegend, verdauend und im Verdauen die ganze Welt begreifend. Bei uns Menschen ist das alles ins Unterbewußte hinuntergerückt, damit der Kopf das spiegeln kann, was der Körper sich erkennend verarbeitet.

Wir sind tatsächlich schlecht daran als Menschen, weil der Kopf es nicht dazu kommen läßt, die schönen Dinge wirklich zu erleben, die zum Beispiel die Kühe erleben. Wir würden viel mehr von der Welt wissen, wenn wir zum Beispiel den Verdauungsvorgang er­leben könnten. Wir müßten ihn dann natürlich nur wirklich mit dem Gefühl des Erkennens erleben, nicht mit dem Gefühl, das der Mensch hat, wenn er im Unterbewußten bleibt im Verdauungsvorgang. Nun, das sollte uns klarmachen, was ich eigentlich sagen will. Ich will damit nicht sagen, der Verdauungsvorgang sei in der Pädagogik nun ins Bewußtsein heraufzubringen, aber ich will sagen, daß etwas auf einer höheren Stufe wirklich beim Kinde vorhanden sein muß: dieses Wohlgefühl des inneren Verlaufes eines Tönens. Denken Sie nur, wenn die Violine fühlen würde, was in ihr vorgeht! Wir hören der Violine nur zu, die ist draußen, wir sind fremd dem ganzen Ent­stehen des Tones, wir hören nur den äußeren Sinnesschein davon. Wenn die Violine empfinden könnte, wie jede Saite vibriert mit der anderen, die würde ja Seligkeiten erleben - vorausgesetzt, daß das Stück gut ist. So müssen Sie das Kind diese kleinen Seligkeiten er­leben lassen, müssen wirklich Musikgefühl im ganzen Organismus hervorrufen, selber richtig Freude daran haben.

Natürlich muß man etwas von Musik verstehen. Aber zum Unter-richten gehört dieses künstlerische Element, das ich eben jetzt aus­einandergesetzt habe.

Daher ist es notwendig, weil das der wirkliche Verlauf der Vor­gänge im Menschenwesen zwischen dem Zahnwechsel und der Ge­schlechtsreife fordert, ganz von Anfang an mit den Kindern auch Musikunterricht zu treiben und möglichst zunächst das Kind gewöhnen,

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ganz empirisch, ohne Theorie, kleine Liedchen zu singen. Ja nichts anderes als kleine Liedchen singen lassen, und die aber gut singen! Und nach und nach erst zum Einfacheren übergehen, damit das Kind erst nach und nach sich aneignet, was Melodie, Rhythmus, Takt ist und so weiter. Zunächst aus dem Ganzen heraus die Kinder gewöhnen, einfache Liedchen zu singen, einfach zu spielen auch, so gut es nur geht. Wenn nicht die Anlage ganz dagegen spricht, be­ginnen wir in der Waldorfschule sogleich, wenn die Kinder in die Schule kommen, sie auch auf irgendeinem Instrument spielen zu las­sen, ein Instrument gleich handhaben zu lernen, wie gesagt, so gut es die Möglichkeiten gestatten. Aber man sollte die Kinder veranlassen, möglichst früh zu fühlen, wie das ist, wenn das eigene musikalische Wesen nun hinüberfließt in das objektive Instrument. Dazu ist das Klavier, das ja eigentlich nur eine Art Memorierinstrument sein sollte, natürlich am schlechtesten anzuwenden für das Kind. Man sollte ein anderes Instrument bei dem Kinde verwenden, womöglich ein Instrument, auf dem geblasen werden kann. Aber natürlich muß man dabei sehr viel künstlerischen Takt haben und sehr viel auch, ich möchte sagen, Autorität haben. Also womöglich solch ein In­strument, wo geblasen werden kann. Davon haben die Kinder am allermeisten, wenn sie irgendein einfaches Blasinstrument handhaben lernen und allmählich Musik verstehen lernen. Natürlich kann man die allerschlimmsten Erfahrungen machen, wenn die Kinder zu bla­sen anfangen. Aber es ist auf der anderen Seite etwas Wunderbares im Erleben des Kindes, wenn es diese ganze Konfiguration der Luft, die es sonst umwebt, innerlich längs der Nervenstränge hält, nun fortsetzen muß und hineinleiten muß. Da fühlt der Mensch seinen Organismus vergrößert. Vorgänge, die sonst nur im Organismus drinnen sind, werden auf die Außenwelt übergeleitet. Ähnlich ist es auch, wenn das Kind Violine spielen lernt, wo die Vorgänge, die Musik, die da lebt, direkt übertragen wird, wo der Mensch fühlt, wie das Musikalische in ihm durch den Bogen auf die Saiten übergeht und so weiter.

Aber möglichst früh gerade diesen Unterricht im Musikalischen und im Gesanglichen bei den Kindern beginnen! Das ist etwas, was

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von einer ganz besonderen Bedeutung ist, daß man nicht nur arti­stisch allen Unterricht erteilt, sondern auch mit dem eigentlich Arti­stischen, mit dem Malen, mit dem plastischen Arbeiten und mit dem Musikalischen sogleich beginnt, wenn das Kind in die Volksschule kommt, und darauf sieht, daß das alles wirklich inneres menschliches Eigentum wird.

Es ist von besonderer Wichtigkeit, daß wir den Punkt in der Lebens-entwickelung des Kindes zwischen dem 9. und 10. Jahre mit Bezug auf die Erlernung des Sprachlichen ins Auge fassen. Ich habe Ihnen ja diesen Punkt zwischen dem 9. und 10. Jahre charakterisiert, wo das Kind eigentlich erst lernt, sich von seiner Umgebung zu unterschei­den. Bis dahin fühlt es sich eins mit seiner Umgebung. Wir werden also sachgemäß mit dem Kinde so beginnen, wie ich es angedeutet habe, wenn es in die Schule kommt. Es sollte eigentlich nicht in die Schule kommen, bevor der Zahnwechsel beginnt. Alles frühere schul­mäßige Lernen ist im Grunde genommen Unfug; wenn wir durch die Gesetze gezwungen werden, müssen wir es ja tun, aber sachgemäß pädagogisch-künstlerisch ist es nicht. Sachgemäß pädagogisch-künstlerisch ist, das Kind erst mit dem Zahnwechsel in die Schule hereinzubekommen. Dann hat man es zunächst, wie ich angedeutet habe, mit dem Künstlerischen beginnend, damit zu tun, die Buch­stabenformen aus dem Künstlerischen herauszuarbeiten; daß man auch in dieser Weise mit dem selbständig Künstlerischen beginnt, wie ich es auseinandergesetzt habe, daß man alles dasjenige, was sich auf die Natur bezieht, in der märchenhaften, legendenhaften, my­thenhaften Art behandelt, wie ich es auch auseinandergesetzt habe. Aber wichtig ist, in bezug auf den Sprachunterricht, Rücksicht zu nehmen auf diese Lebensepoche zwischen dem 9. und 10. Lebensjahr.

Der Sprachunterricht darf unter keinen Umständen, bevor dieser Lebenspunkt eingetreten ist, irgend etwas enthalten von intellek­tueller Betrachtung der Sprache, also nichts von Grammatik, nichts von Satzbau und dergleichen. Das Kind muß bis zu diesem Lebens-punkt im 9. oder 10. Lebensjahre ganz so sprechen, wie es sonst irgendwelche Gewohnheiten sich aneignet; gewohnheitsmäßig muß

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es sich das Sprechen aneignen. Erst wenn das Kind sich unterscheiden lernt von der Umgebung, darf auch dasjenige, was das Kind selber vollbringt, also das Sprechen, betrachtet werden. Erst von da ab sollte man von Hauptwort, Eigenschaftswort, Verbum und so weiter spre­chen, nicht früher. Vorher soll das Kind einfach sprechen und im Sprechen erhalten sein.

Wir haben ja in der Waldorfschule Gelegenheit, dies durchzu­führen, weil sogleich, wenn das Kind zu uns in die Volksschule, in die Elementarschule kommt, es außer seiner Muttersprache zwei fremde Sprachen lernt.

Wir nehmen das Kind in die Schule herein. Es hat zunächst seinen epochenmäßigen Unterricht - ich habe das charakterisiert, was Epochenunterricht ist - in den ersten Schulstunden am Morgen, und daran schließt sich dann gleich für das kleine Kind ein Unterricht im Englischen und Französischen. Dabei versuchen wir diesen Sprach­unterricht so zu erteilen, daß gar nicht das Verhältnis der einen Sprache zur anderen dabei in Betracht kommt. Wir sehen vor dem Lebenspunkt, den ich charakterisiert habe, zwischen dem 9. und 10. Jahre ganz ab davon, daß, sagen wir, der Tisch im Deutschen Tisch, im Englischen table heißt, daß essen im Deutschen essen> im Englischen eat heißt. Wir knüpfen jede Sprache nicht an Worte einer anderen Sprache an, sondern an die unmittelbaren Gegenstände. Das Kind lernt benennen, sei es im Französischen, sei es im Englischen, die Decke, die Lampe, den Stuhl. Es wird also im 7., 8., 9. Jahre noch nicht irgendwie Wert aufs Übersetzen gelegt, das heißt aufs Um­setzen eines Wortes aus einer Sprache in die andere, sondern das Kind lernt einfach in der Sprache sprechen in Anlehnung an die außeren Gegenstände, so daß das Kind gar nicht zu wissen braucht, oder nicht daran zu denken braucht, daß, wenn es im Englischen table sagt, das im Deutschen Tisch heißt und so weiter. Das gibt es nicht für das Kind; es kommt gar nicht darauf während der Stunde, denn es wird bis dahin keinerlei Sprachvergleich oder so etwas mit dem Kinde getrieben.

Dadurch bekommt das Kind die Möglichkeit, die Sprache aus dem Elemente heraus zu lernen, und jede Sprache aus dem Elemente, aus

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dem sie stammt, aus dem Gefühlselemente. - Was ist denn die Sprache in ihren Lauten?, denn aus Lauten besteht ja die Sprache Sie ist entweder der Ausdruck von innerem Seelischem, dann steht der Vokal da; oder sie ist der Ausdruck von Äußerlichem, dann steht der Konsonant da. Aber das muß man zuerst fühlen. Nehmen wir an, das Kind soll dasjenige fühlen, was zum Beispiel in dem Worte water liegt. Wir werden das, so wie ich es jetzt sagen werde, nicht im Unterricht gebrauchen, sondern wir sollen nur den Unterricht so ein-richten, daß das Kind wirklich mit dem Vokal Gefühl verbindet, und mit dem Konsonanten die Nachahmung von etwas Äußerem emp-findet. Es tut das Kind das schon, weil das in der menschlichen We­senheit liegt; aber wir sollen das nicht austreiben, sondern wir sollen daran anknüpfen.

Denn, sehen Sie, was ist A? - Also das gehört nicht zum Unter­richt, das dient nur dazu, daß Sie es wissen! - Was ist A? Ich stehe, wenn die Sonne aufgeht, bewundernd vor der aufgehenden Sonne:

Ah! A ist immer der Ausdruck des Erstaunens, der Verwunderung. Eine Fliege setzt sich auf meine Stirne, ich mache: E. Das ist der Ausdruck des Abwehrens, des Wegmachens: E. Im Englischen ver­schiebt sich das gegenüber dem Deutschen, es ist aber doch in jeder Sprache, auch hier der Ausdruck des Erstaunens, des Verwunderns da.

Jetzt nehmen Sie ein charakteristisches Wort: rollen, das Rollen einer Kugel, im Englischen: roll. Da haben Sie das R. Wer sollte da nicht fühlen (siehe Zeichnung I), daß ich es weitergebe, das L. R wäre nur so (Zeichnung II). L geht weiter. L ist immer das Wei­terfließen. Roll, da haben Sie einen äußeren Vorgang in den Konso­nanten nachgeahmt (siehe Zeichnung III).

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So ist die ganze Sprache entweder aus dem Gefühl des inneren Er­staunens, Verwunderns, Sichwehrens, Sichbehauptens und so weiter und aus dem Nachahmegefühl bei den Konsonanten zu verstehen. Das soll man dem Kinde nicht austreiben. Es soll fühlen lernen an den Gegenständen und an seinem Gefühlsverhältnis zu den Gegen­ständen, den Laut zu entfalten. Es soll alles aus dem Sprachgefühl heraus geholt werden. Das Kind soll wirklich bei dem roll fühlen:

r-o-l-l. So ist es bei jedem Worte.

Das hat ja der moderne zivilisierte Mensch ganz verloren. Er glaubt, das Wort ist etwas Aufgeschriebenes oder irgend etwas ganz Abstraktes. Der Mensch kann sich ja gar nicht mehr eigentlich in die Sprache hineinleben. Primitive Sprachen, die haben noch überall das Gefühl in der Sprache; die zivilisiertesten Sprachen, die machen die Sprache abstrakt. Sehen Sie nur einmal in der eigenen englischen Sprache, wie die zweite Hälfte der Worte weggeworfen, weggeschleu­dert wird, wie man da über das eigentliche Fühlen in den Lauten weg-springt! Aber das Kind muß im Gefühl der Sprache erhalten bleiben.

Und dieses Sprachgefühl sollte man, indem man charakteristische Worte nimmt, an denen man dies Gefühl erörtern kann, geradezu pflegen. Im Deutschen haben wir für das, was der Mensch da oben hat, das Wort Kopf. Im Englischen haben wir head, im Italienischen haben wir testa. Nun, was tut man, wenn man sich zu der Sprache so abstrakt verhält, wie man das gewöhnlich tut? Man sagt, im Deut­schen heißt der Kopf: Kopf, im Italienischen testa, im Englischen head. Aber das ist ja alles nicht wahr, das ist ja alles Unsinn.

Sehen Sie, Kopf, was ist das? Kopf ist dasjenige, was geformt ist, so rundlich geformt ist. Da drückt man die Form aus, wenn man Kopf sagt. Sagt man testa, Sie sehen das in dem Worte Testament, testieren, so drückt man aus, daß der Kopf etwas feststellt. Man drückt etwas ganz anderes aus. Man sagt zu dem, was da droben sitzt: das ist der Feststeller, der Testierer = testa. Im Englischen ist man der Ansicht, daß der Kopf das Hauptsächlichste des Menschen ist. Sie wissen ja, diese Ansicht ist nicht ganz richtig. Man sagt also im Englischen head, das Wichtigste, dasjenige, wohin alles zielt, worinnen alles zusammenkommt.

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Man drückt also Verschiedenes aus. Es wird in den verschiedenen Sprachen Verschiedenes ausgedrückt. Wollte man dasselbe bezeich­nen, würde der Engländer und der Italiener ebenso Kopf sagen. Aber er bezeichnet nicht dasselbe. In der menschlichen Ursprache wurde überall dasselbe bezeichnet. Daher ist die menschliche Ur­sprache für alle dieselbe gewesen. Dann haben sich die Menschen ge­trennt, haben die Dinge verschieden bezeichnet; dadurch kamen die verschiedenen Worte. Wenn man Verschiedenes als «gleich» be­zeichnet, dann wird nicht mehr gefühlt, was drinnen ist. Und das ist sehr notwendig, daß man das Sprachgefühl nicht heraustreibe; das muß drinnen bleiben. Deshalb darf man auch eine Sprachbetrachtung nicht vor dem 9. oder 10. Jahre eintreten lassen.

Da erst sollte man übergehen zu dem, was Hauptwort, Zeitwort ist, Substantiv, Adjektiv, Verbum und so weiter, nicht früher, nicht vor dem 9. oder 10. Jahre; sonst betrachtet man am Kinde etwas, was an ihm selber ist. Das kann es aber nicht fassen, weil es sich noch nicht unterscheidet von seiner Umgebung. Und das ist sehr wichtig, unmittelbar ins Auge zu fassen: nichts von Grammatik, auch nichts von Sprachvergleichung vor dem 9. oder 10. Lebensjahr eintreten zu lassen! Dann bekommt das Kind etwas Ähnliches beim Sprechen, wie es beim Singen bekommt.

Ich habe versucht, dieses innere Wohlgefühl beim Singen zu ver­anschaulichen durch das innere Wohlgefühl, welches aufsteigt aus den Verdauungsorganen der Kühe auf der Weide, wenn sie ver­dauen. Und ein solches inneres Wohlgefühl, oder wenigstens Sach­gefühl, so daß die Kinder fühlen, was in einem Worte ist, daß sie das innerliche «Rollen» fühlen, das muß vorhanden sein. Es muß inner­lich die Sprache erlebt werden, nicht bloß mit dem Kopf gedacht werden. Heute denken zumeist die Menschen die Sprache nur noch mit dem Kopf. Daher nehmen sie eben einfach, wenn sie wissen wollen, was in einer Sprache richtig ist, was von einer Sprache in die andere übersetzt werden soll, ein Wörterbuch. Die Wörter sind da so zusammengestellt, daß da «testa» oder oder «Kopf» steht. Und so bildet sich das Gefühl, als ob das gleich wäre. Es ist aber nicht gleich. Es ist immer etwas anderes bezeichnet. Und das kann nur aus dem Gefühl

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heraus bezeichnet werden. Das ist notwendig zu berücksichtigen beim Sprachunterricht. Dazu kommt noch ein anderes - geistiges Element. Wenn der Mensch stirbt, oder bevor er auf die Erde her­untersteigt, hat er zum Beispiel gar keine Möglichkeit, sogenannte Substantiva zu verstehen. Der sogenannte Tote weiß gar nichts von Substantiven. Was da von Gegenständen benannt wird, davon weiß er nichts. Er weiß noch etwas von Eigenschaften. Man hat also eine Möglichkeit, sich mit den Toten zu verständigen über Eigenschaften. Das hört auch bald auf. Am längsten dauert das Verständigen über Verben, über Tätigkeitsworte, aktive und passive Bezeichnungen, und am allerlängsten die Bezeichnung der Empfindungen: Oh! Ah! I, E; diese Interjektionsbezeichnungen bewahrt sich der Tote am allerlängsten.

Daraus können Sie auch sehen, wie die menschliche Seele darauf angewiesen ist, wenn sie nicht ganz ungeistig werden soll, in den Interjektionen wirklich zu leben. Interjektionen sind ja in Wirklich­keit alle Vokale. Und die Konsonanten, die ja ohnedies sehr bald auch als solche verlorengehen nach dem Tode, oder nicht vorhanden waren vor dem Herabsteigen zur Erde, die sind Nachahmungen des Äußeren. Das sollen wir im Gefühl wirklich erleben, und darauf sehen, wo das beim Kinde liegt, und es nicht austreiben durch einen frühzeitigen Unterricht in Substantiven, Adjektiven und so weiter, sondern den eigentlich erst zwischen dem 9. und 10. Jahr beginnen lassen.

Wir haben nun in der Waldorfschule vom Anfange des Volksschul­unterrichtes an die Eurythmie eingeführt, diese sichtbare Sprache, in der der Mensch durch Bewegungen, die er an sich selbst und in Gruppen ausführt, sich so offenbart, wie er sich sonst durch die Sprache offenbart. Nun ist es tatsächlich so, wenn das Kind nicht im Sprachunterricht verdorben wird durch einen das Sprachgefühl nicht berücksichtigenden Erzieher, wenn es also im Sprachgefühl erhalten wird, dann empfindet das Kind den Übergang zur Eurythmie gerade so selbstverständlich für den Menschen, wie das ganz kleine Kind es selbstverständlich findet, die Lautsprache zu lernen. Man hat nicht

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die geringste Schwierigkeit, Eurythmie an die Kinder heranzubrin­gen. Sie wollen sie, wenn sie gesund entwickelte Kinder sind. Man kann immer nachforschen, wie irgendwo etwas Pathologisches sitzt, wenn die Kinder nicht an die Eurythmie herankommen wollen. Sie wollen ebenso selbstverständlich eurythmisieren, wie sie als ganz kleine Kinder sprechen lernen wollen, wenn die Organe alle gesund sind. Das ist aus dem Grunde, weil das Kind besonders kräftig den Drang fühlt, das innerlich Erlebte auch willensgemäß an sich zum Ausdruck zu bringen. Das äußert sich ja schon dann, wenn der Mensch als Kind frühzeitig zum Lachen und Weinen übergeht, in den besonderen physiognomischen Äußerungen für Gefühle.

Sie werden schon recht sehr in Metaphern, in Vergleichen sprechen müssen, wenn Sie von einem Hund oder einem anderen Tier sagen wollen, es lache. Es lacht jedenfalls nicht in derselben Weise wie der Mensch, weint auch nicht wie der Mensch. So aber sind beim Tiere überhaupt Gebärden, Bewegungen, die das innerlich Erlebte in das Willenselement hineintragen, etwas ganz anderes als beim Menschen.

Nun, so gesetzmäßig, wie der Mensch spricht, ist auch dasjenige, was in der Eurythmie zum Ausdrucke kommt. Sprechen ist ja nichts Willkürliches. Man kann nicht, wenn es im Englischen zum Beispiel water heißt, an Stelle des a auch einen anderen Vokal hersetzen, man kann nicht sagen: wuter und dergleichen. Es ist gesetzmäßig, das Sprechen. So ist auch das Eurythmische gesetzmäßig. Bei den ge­wöhnlichen Gebärden des Leibes ist man noch in gewissem Sinne frei, obwohl der Mensch auch da manches aus einem Instinkt heraus macht. Wenn er nachdenkt, dann greift er mit den Fingern an die Stirn; wenn er andeuten will, daß etwas nicht wahr ist, macht er so.. . , er schüttelt den Kopf und die Hand, löscht es aus. Das innere und äußere Erleben in so gesetzmäßigen Bewegungen überführen in das Bild, wie die Sprache das innere Erleben in den Laut überführt, das ist eben die Eurythmie; und das Kind will Eurythmie lernen. Deshalb ist die Tatsache, daß in der heutigen Erziehung nicht schon Eurythmieunterricht ist, ein Beweis dafür, daß man gar nicht darauf bedacht ist, die menschlichen Fähigkeiten aus der Natur, aus dem

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Wesen des Menschen herauszuholen; denn dann kommt man ganz von selbst auf die Eurythmie, wenn man das tut.

Dadurch wird dem Turnunterricht, dem Unterricht in den Leibes­übungen kein Abbruch getan, aber es ist etwas anderes, und man soll diesen Unterschied als Lehrer, als Erzieher gut einsehen. Es ist der gymnastische Unterricht, wie er heute getrieben werden kann, und alles sportliche Treiben und so weiter etwas anderes, als Eurythmie. Beide können nebeneinander sehr gut bestehen. Denn sehen Sie, der Begriff des Raumes wird ja von den Menschen sehr häufig ganz abstrakt gefaßt, die Menschen nehmen keine Rücksicht darauf, daß der Raum etwas Konkretes ist. Nicht wahr, die Menschen haben sich heute so daran gewöhnt, die Erde rund zu denken, daß sie sich vor-stellen: Derjenige, der hier wohnt, sagt, wenn er springt, er springt hinauf. Sein Gegenfüßler, der da unten die Beine und da oben den Kopf hat, der springt hinunter, so denkt sich der Mensch. Aber das ist ja nichts Erlebbares. - Ich habe einmal ein Buch gelesen, An­schauungen über Naturphilosophie, da wollte der Autor dieses, daß der Himmel oben ist, dadurch lächerlich machen, indem er sagte: Da unten bei den Antipoden ist dann der Himmel unten! - Aber so arm sind die Dinge nicht. Wir urteilen nicht so über die Welt und den Raum, daß wir uns ganz ausschalten und den Raum als irgend etwas Abstraktes hinstellen. Das tun bestimmte Philosophen, Hume und Mill und Kant. Aber das ist ja alles nicht wahr, ist eigentlich ein Unsinn. Der Raum ist etwas ganz Konkretes und vom Menschen Empfundenes. Und der Mensch fühlt sich im Raume drinnen und fühlt die Notwendigkeit, sich in den Raum hineinzustellen. Wenn er sich ins Gleichgewicht des Raumes, in die verschiedenen Lagen des Raumes hineinstellt, so entsteht das Sportliche, das Gymnastische, das Turnen. Da will der Mensch sich hineinlagern in den Raum.

Wer zum Beispiel diese gymnastische Bewegung macht (Arme gestreckt), der hat das Gefühl, er legt seine beiden Arme in die horizontale Richtung hinein. Wer springt, der hat das Gefühl, seinen Körper durch dessen eigene Kraft nach aufwärts zu bewegen. Das ist Turnen. Das sind gymnastische Übungen.

Wer das Gefühl hat, er hält etwas innerlich Empfundenes, i, sinnend,

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der macht vielleicht auch diese Bewegung, aber da wird das innere Seelische in die Bewegung hineingelegt. Da offenbart der Mensch sein Inneres. Das tut er in der Eurythmie. Eurythmie ist also die Offenbarung des Inneren. In der Eurythmie wird dasjenige, was der Mensch erleben kann beim Atmen, bei der Blutzirkulation, in­sofern diese seelisch werden, zum Ausdruck gebracht. Beim Turnen, bei Gymnastik, Sport fühlt der Mensch, als ob der Raum überall Richtungen und Stellagen und alles mögliche hätte. In die springt er hinein, nach denen richtet er sich, macht sich auch solche Geräte zurecht. Er klettert auf einer Leiter hinauf, er zieht sich an einem Seil hinauf und so weiter. Da richtet sich der Mensch nach dem äußeren Raume.

Das ist der Unterschied zwischen der Gymnastik und der Euryth­mie. Die Eurythmie läßt das seelische Leben nach außen fließen und wird dadurch zu einer wirklichen Äußerung des Menschen, wie die Sprache; sie ist eine sichtbare Sprache.

Durch das Turnen, die Gymnastik, den Sport fügt sich der Mensch in den äußeren Raum hinein, paßt sich der Welt an, probiert, ob er so und so in die Welt hineinpaßt. Das ist nicht eine Sprache, das ist nicht eine Offenbarung des Menschen, sondern das ist eine Forde­rung der Welt an den Menschen, daß er für die Welt tüchtig sein kann, daß er sich in die Welt hineinfinden kann. Und diesen Unter­schied muß man merken.

Dieser Unterschied drückt sich darinnen aus, daß der Turnlehrer, der Gymnastiklehrer die Kinder dazu veranlaßt, solche Bewegungen zu machen, wodurch sie sich der Außenwelt anpassen.

Der Eurythmielehrer drückt dasjenige aus, was im Innern des Menschen ist. Das muß man wiederum fühlen, empfinden; dann werden Eurythmie-, Turn- und Gymnastikunterricht, meinetwillen auch Sportübungen, die richtige Stellung im Unterrichte haben. Dar­über wollen wir dann morgen weitersprechen.

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SIEBENTER VORTRAG Torquay, 19. August 1924

Wir wollen noch aus dem Methodischen einiges herausgreifen. Es können ja natürlich während dieser kurzen Zeit wirklich nur heraus­gegriffene Beispiele gegeben werden.

Wenn wir die Zeit, die der Mensch zwischen seinem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife zubringt, überblicken, so gliedert sie sich uns wiederum in drei Teile, und diese drei Teile sind zu berücksich­tigen, wenn es sich darum handelt, das Kind durch die Elementar­schule durchzuführen.

Da haben wir zunächst das Lebensalter bis zu dem Lebenspunkt hin, den ich charakterisiert habe, in welchem sich das Kind von seiner Umgebung zu unterscheiden beginnt, wo es den Unterschied macht zwischen Subjekt, das es selbst ist, und den Dingen der Außenwelt, die ihm Objekt sind. Bis zu diesem Zeitpunkte müssen wir durchaus das Kind so erziehen, daß alles, was im Kinde ist und alles, was außerhalb des Kindes ist, einen einheitlichen Charakter trägt. Ich habe Ihnen ja charakterisiert, wie man das artistisch machen kann. Dann haben wir ja beim Hinweis auf das Pflanzen- und Tierreich schon gesehen, wie man zu der Beschreibung der Außenwelt über­geht. Und man kommt dann, wenn man diese Dinge ganz elementar gestaltet, bis gegen das 12. Lebensjahr heran. Von diesem 12. Lebensjahr bis zu der Geschlechtsreife ist dann der dritte Abschnitt, in dem wir eigentlich erst zu der leblosen Natur übergehen können, wo das Kind im Grunde genommen erst anfängt, wirklich das Leblose zu fassen.

So können wir sagen: Vom 7. Jahre bis etwa 9 1/2 oder 9 1/3 Jahren nimmt das Kind alles seelisch. Es ist nichts da, was das Kind nicht seelisch aufnehmen würde. Die Bäume, die Sterne, die Wolken, die Steine, alles wird seelisch aufgenommen. Von 9 1/3 etwa bis etwa 11 2/3 Jahren nimmt das Kind allerdings schon den Unterschied zwi­schen Seelischem, das es in sich selber erblickt, und bloß Lebendigem wahr. Und wir können von Lebendigem, von der ganzen Erde als

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Lebewesen sprechen. Also Seelisches und Lebendiges. Dann von 11. bis etwa zum 14. Jahr unterscheidet das Kind Seelisches, Leben­diges und Totes, also alles dasjenige, was nach Ursachen und Wir­kungen zusammenhängt.

Wir sollen dem Kinde gar nicht sprechen von Leblosem, bevor es gegen das 12. Lebensjahr hingeht. Dann erst sollen wir anfangen, von Mineralien, von physikalischen Erscheinungen, von chemischen Erscheinungen und so weiter zu sprechen. Man muß sich nur klar­machen, daß die Dinge wirklich so sind, daß beim Kinde zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife durchaus noch vorwie­gend nicht der Intellekt, sondern die Phantasie tätig ist, und daß man überall auf die Phantasie zählen muß. Daher muß man selber in sich, wie ich schon öfter sagte, die Phantasie besonders entwickeln. Wenn man das nicht tut, wenn man früh zu alledei Verstandes­mäßigem übergeht, dann kann das Kind auch körperlich-physisch seine Entwickelung nicht in ordentlichem Sinne durchmachen. Und manches, was an Pathologischem in unserer Gegenwart ist, rührt eben davon her, daß man in der materialistischen Zeit bei den Kin­dern zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife zu stark auf den Intellekt gesehen hat.

Wir dürfen erst leise anfangen mit dem Toten - denn das Tote muß eben mit dem Intellekt begriffen werden -, wenn das 12. Jahr heranrückt. Da können wir mit Mineralien, mit physikalischen, mit chemischen Erscheinungen und so weiter an das Kind herankommen. Aber auch da sollen wir womöglich überall an das Leben anknüpfen; nicht einfach, sagen wir, von der Mineraliensammlung ausgehen, sondern von dem Erdboden, vom Gebirge ausgehen, so daß wir das Gebirge zunächst beschreiben, wie es die Erde konfiguriert; dann davon sprechen, wie das Gebirge unten mit Erde umzogen ist. Je höher wir kommen, desto kahler wird das Gebirge, desto weniger finden sich dort Pflanzen. Nun fangen wir an, von dem Kahlen des Gebirges zu sprechen und dann darauf aufmerksam zu machen, daß da Mineralisches ist. Wir gehen also vom Gebirge aus und kommen an das Mineralische heran.

Dann, wenn wir das Gebirge so recht anschaulich beschrieben

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haben, dann nehmen wir irgendein Mineral und zeigen es und sagen:

Das also würde man finden, wenn man diesen Weg hinaufginge auf dieses Gebirge. Dort findet man das. Hat man das für ein paar Mine­ralien gemacht, dann kann man übergehen, die Mineralien selbst zu behandeln. Aber das erste muß sein, daß man auch hier wiederum von dem Ganzen ausgeht und nicht von dem Teil. Das ist von einer außerordentlichen Wichtigkeit.

Und ebenso ist es wichtig auch für physikalische Erscheinungen, vom Leben auszugehen. Nicht einfach Physik, so wie man sie heute in den Lehrbüchern findet, zu lehren anfangen, sondern etwa davon ausgehen, daß man einfach ein Zündholz anzündet und nun zunächst das Kind anschauen läßt, wie da das Zündholz anfängt zu brennen. Man soll das Kind auf alle Einzelheiten aufmerksam machen, wie die Flamme aussieht, wie die Flamme mehr nach außen aussieht, wie sie im Innern aussieht; wenn man die Flamme auslöscht, daß da ein schwarzer Fleck zurückbleibt, eine schwarze Kuppe; dann erst davon anfangen, wie das Feuer an dem Zündholz zustandegekommen ist. Das Feuer an dem Zündholz ist dadurch zustandegekommen, daß Wärme entwickelt worden ist und so weiter. Überall die Dinge an das Leben anknüpfen!

Also zum Beispiel nicht vom Hebel ausgehen und sagen: Ein Hebel besteht darin, daß man einen Balken hat, der unterstützt ist, am einen Arm eine Kraft hat und am andern Arm eine Kraft, so wie man es in den Physikbüchern sehr häufig ausgeführt findet. Man soll das nicht so machen, sondern von der Waage ausgehen. Man soll das Kind in Gedanken zu irgendeinem Geschäft hinführen, wo mit der Waage abgewogen wird, und von da aus erst zum Gleichgewicht übergehen, ebenso zu dem Begriff des Gewichtes, der Schwere über­gehen. Also überall aus dem Leben heraus das Physikalische ent­wickeln. Und so auch bei chemischen Erscheinungen.

Das ist das Wesentliche, daß man vom Leben ausgehend, die ein­zelnen physikalischen, mineralischen Erscheinungen betrachtet. Geht man anders vor, geht man von der Abstraktion aus, dann geschieht ja etwas sehr eigentümliches mit dem Kinde: dann wird das Kind leicht müde durch den Unterricht. Das Kind wird dann nicht müde,

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wenn man vom Leben ausgeht; es wird müde, wenn man von der Abstraktion ausgeht.

Nun ist es überhaupt die goldene Regel für den Unterricht, daß das Kind absolut nicht müde werde. Es ist etwas sehr eigentümliches mit der sogenannten experimentellen Pädagogik von heute. In der experimentellen Pädagogik stellt man fest, wann ein Kind durch irgendeine geistige Tätigkeit müde wird. Daraus schließt man dann, wie lange man ein Kind beschäftigen soll mit irgendeinem Gegen-stande, damit es eben nicht müde werde.

Diese ganze Anschauung ist falsch, durch und durch falsch! Denn sehen Sie, die Sache ist so - Sie können das in meinen Büchern nach­lesen, namentlich in Zyklen, aber auch in meinem Buch «Von Seelen-rätseln» -: Der Mensch besteht ja aus den drei Gliedern, aus dem Nerven-Sinnes-Menschen - ich will das nur in Ihr Gedächtnis zu­rückrufen -, das ist alles dasjenige, was den Menschen geistig in seiner Tätigkeit stützt, dem rhythmischen Menschen, worinnen aller Atmungsrhythmus, alle Blutzirkulation und so weiter enthalten ist, und dem Stoffwechsel-Gliedmaßen-Menschen, worinnen alles ent­halten ist, was durch die Stoffe umgewandelt wird.

Wenn man die Entwickelung des Kindes von der Geburt bis zum Zahnwechsel nimmt, so ist es insbesondere die Kopforganisation, die Nerven-Sinnes-Organisation, die da wirkt. Das Kind entwickelt sich vom Kopf aus in der ersten Zeit seines Lebens. Das müssen Sie nur genau durchschauen. Sehen Sie sich zuerst einmal einen mensch­lichen Emhryo an, also das noch ungeborene Kind. Da ist der Kopf mächtig. Das andere alles ist noch verkümmert. Dann wird das Kind geboren. Sein Kopf ist noch immer äußerlich das Mächtigste, und vom Kopfe geht überhaupt das ganze Wachstum und alles aus.

Das ist nicht mehr der Fall beim Kinde zwischen dem 7. und 14. Lebensjahre. Der Atmungs-Rhythmus, der Blut-Rhythmus, der ganze Rhythmus herrscht zwischen dem Zahnwechsel und der Ge­schlechtsreife des Kindes. Nur der Rhythmus!

Wie ist es aber mit dem Rhythmus? Denken Sie doch nur einmal, wenn ich viel nachdenke, namentlich wenn ich viel studieren muß, werde ich müde, kopfmüde. Wenn ich viel gehen muß, also den

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Gliedmaßenorganismus anstrenge, werde ich auch müde. Der Kopf-Organismus, der Nerven-Sinnes-Organismus, und der Stoffwechsel-Gliedmaßen-Organismus können müde werden, aber der rhythmische Organismus kann gar nicht müde werden.

Denken Sie doch, während des ganzen Tages müssen Sie atmen. Ihr Herz schlägt während der Nacht auch, es darf gar nie aufhören zwischen der Geburt und dem Tode. Es muß fortwährend im Rhyth­mus gehen. Der darf nicht müde werden, der wird überhaupt nicht müde.

Nun müssen Sie sich in der Erziehung und im Unterricht an das­jenige System wenden, welches den Menschen beherrscht. Also zwi­schen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife müssen Sie sich mit Bildern an den Rhythmus wenden. Sie müssen alles, was Sie beschreiben, was Sie betreiben, so gestalten, daß der Kopf möglichst wenig dabei beteiligt ist, daß das Herz, der ganze Rhythmus, alles, was künstlerisch, rhythmisch ist, daran beteiligt ist. Was ist die Folge? Daß durch einen solchen Unterricht das Kind überhaupt nicht müde wird, weil man auf das rhythmische System und nicht auf den Kopf abstellt.

Die Leute sind ja so furchtbar gescheit, und sie haben in der ma­terialistischen Zeit ausgedacht, daß man die Kinder zwischen den Stunden immer herumtollen lassen muß. Nun ist das ja gut, wenn man sie herumtollen läßt, aber freilich durch das Seelische, durch die Freude, die sie daran haben. Man hat dann auch Experimente ge­macht und hat gefunden, daß wenn die Kinder ordentlich unter­richtet werden, sie während des Unterrichts weniger müde werden, als wenn sie draußen herumtollen. Das Bewegen der Glieder ermüdet mehr; während das, was Sie in richtiger Weise in dem Unterricht heranbringen, überhaupt nicht ermüden darf. Und je mehr Sie das Bildhafte vor den Kindern entfalten, je weniger Sie den Intellekt an­strengen, je mehr Sie lebendig schildern, desto mehr nehmen Sie bloß das rhythmische System in Anspruch, desto weniger ermüdet das Kind. Wenn also die Experimental-Psychologen kommen und untersuchen, wie stark das Kind ermüdet wird, was haben sie denn da eigentlich untersucht? Wie schlecht Sie unterrichtet haben! Wenn

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Sie gut unterrichtet hätten, würden sie gar keine Ermüdung konsta­tieren können.

Man muß dazu kommen, für das Kind in der Volksschule nur das rhythmische System zu beanspruchen. Und für dieses rhythmische System, das nie ermüdet, das gar nicht angestrengt wird, wenn man es in der entsprechenden Weise beschäftigt, braucht man nicht das Intellektuelle, sondern das Bildhafte, das, was aus der Phantasie kommt. Daher müssen Sie in der Schule unbedingt die Phantasie walten lassen. Auch noch in den letzten Jahren, von 112/3 bis zum 14. Jahre, auch da noch das Tote durch die Phantasie lebendig machen, an das Leben anknüpfen! Man kann durchaus die Möglich­keit gewinnen, alle physikalischen Erscheinungen an das Leben an­zuknüpfen. Dazu muß man eben Phantasie haben; das ist dasjenige, was notwendig ist.

Weiter wird es sich darum handeln, daß man diese Phantasie vor allen Dingen in dem walten läßt, was man den Aufsatz nennt, wenn das Kind einen Aufsatz schreiben soll, selber etwas ausarbeiten soll. Da handelt es sich darum, daß man nichts von dem Kinde aufsatz-mäßig verarbeiten läßt, was man nicht zunächst wirklich genau durchgesprochen hat, so daß das Kind mit der Sache bekannt ist. Und man soll über die Sache von sich aus als Lehrer- und Erzieher-autorität gesprochen haben. Dann soll das Kind unter dem Einfluß dessen, was man selbst gesprochen hat, seinen Aufsatz liefern. Davon soll man auch nicht abgehen in den letzten Jahren vor der Ge­schlechtsreife. Auch da soll man nicht das Kind blind darauflos schreiben lassen, sondern in ihm das Gefühl erwecken: es sollte nichts in dem Aufsatz stehen, was ihn nicht in der Stimmung erhält, die dadurch in ihm hervorgerufen worden ist, daß der Gegenstand des Aufsatzes mit dem Lehrer oder Erzieher besprochen worden ist. Auch da muß Lebendigkeit walten. Die Lebendigkeit des Lehrers muß auf die Lebendigkeit des Kindes übergehen.

Der ganze Unterricht und die ganze Erziehung müssen, wie Sie ja aus alledem ersehen, aus dem Leben geholt werden. Das spricht man auch heute oftmals aus. Man sagt, es muß so unterrichtet werden,

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daß die Sache lebendig ist, wirklichkeitsgemäß ist. Aber man muß sich erst wirklich ein Gefühl dafür aneignen für das, was wirklichkeits-gemäß ist.Wie man da, auch wenn man guten theoretischen Erziehungs-grundsätzen huldigt, manchmal in der Praxis verfährt, das möchte ich Ihnen an einem Beispiel erörtern, das ich selber erlebt habe.

Ich kam einmal in eine Schulklasse, ich will jetzt nicht sagen wo, da wurde ein Rechenexempel aufgegeben. Es wurde aufgegeben aus dem Grunde, um an das Leben eine Addition anzuknüpfen. Man sollte nicht einfach 14 2/3 und 16 5/6 und 25 3/5 addieren, sondern man sollte etwas aus dem Leben haben. Nun, das Rechenexempel lautete ungefähr so: Ein Mensch ist geboren am 25. März 1895, ein zweiter am 27. August 1898, ein dritter am 3. Dezember 1899. Wie alt sind diese drei Menschen zusammen? So wurde gefragt. Und es wurde nun ernsthaft auf folgende Weise gerechnet: von 1895 bis zum Jahre 1924 sind 29 3/4. So alt ist der eine. Der andere ist bis 1924 ungefähr 261/2 Jahre, und der dritte, da er am 3. Dezember erst geboren ist, können wir sagen, ist 25 Jahre. Nun wurde gesagt, wenn man das zusammenrechnet, so kommt heraus, wie alt sie zusammen sind.

Nun möchte ich aber fragen, wie die das machen sollen, daß sie überhaupt zusammen in irgendeiner Summe alt werden können? Wie stellt man das an? Nicht wahr, die Zahlen ergeben ganz gut eine Summe; aber wie stellt man das an, daß diese Summe irgendwo in der Wirklichkeit ist? Die leben ja alle zu gleicher Zeit. Also, sie können unmöglich das zusammen irgendwie erleben! Das ist gar nicht aus dem Leben, wenn man solch eine Rechnung aufstellt.

Man konnte mir zeigen, daß dies eine aus einem Schulbuch ent­nommene Rechnung war. Ich sah mir dann dieses Schulbuch an. Da standen mehrere solche geistreiche Dinge.

Ich habe in manchen Gegenden gefunden, daß das nun wiederum ins Leben zurückwirkt, und das ist das Wichtigste.

Also dasjenige, was wir in der Schule treiben, geht wiederum in das Leben zurück! Wenn wir in der Schule falsch lehren, wenn wir so unterrichten, daß wir irgend etwas, was gar keine Wirklichkeit ist, in eine Rechnung hineinbringen, dann wird diese Denkweise auf­genommen von den jungen Menschen und ins Leben hineingetragen.

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Ich weiß nicht, ob es in England auch so ist, aber in Mitteleuropa ist es überall so, daß wenn, sagen wir, mehrere Verbrecher zusammen angeklagt und verurteilt werden, man in den Zeitungen manchmal angegeben findet: alle fünf zusammen haben Gefängnisstrafen be­kommen von 751/2 Jahren. Der eine hat 10, der andere 20 Jahre be­kommen und so weiter, aber man rechnet das zusammen. Das können Sie in den Zeitungen immer wieder finden. Nun möchte ich wissen, was solch eine Summe in Wirklichkeit für eine Bedeutung hat. Für den einzelnen, der verurteilt ist, haben die 75 Jahre zusammen gewiß keine Bedentung; aber alle zusammen werden auch früher fertig. Also es hat keine Realität.

Sehen Sie, das ist das Wichtige, daß man überall auf die Realität losgeht. Sie vergiften geradezu ein Kind, dem Sie eine solche Addition aufgeben, die ganz und gar nicht möglich ist in der Wirklichkeit.

Sie müssen das Kind anleiten, nur solche Dinge zu denken, die auch im Leben vorhanden sind. Dann wird auch wieder vom Unter­richt aus die Wirklichkeit in das Leben hineingetragen. Wir leiden in unserer Zeit geradezu furchtbar unter dem unwirklichkeitsge­maßen Denken der Menschen. Der Lehrer hat nötig, das sich wirk­lich zu überlegen.

Es gibt in unserer Zeit eine Theorie, die, obwohl die Menschen, welche diese Theorie aufgestellt haben, als außerordentlich geist-reich gelten, rein aus der Erziehung hervorgegangen ist; es ist die sogenannte Relativitätstheorie. Ich hoffe, Sie werden auch schon etwas von dieser Theorie gehört haben, die sich an den Namen Einstein knüpft. An ihr ist vieles richtig. Ich will das Richtige gar nicht anfechten, aber sie wird in der folgenden Weise ausgedehnt. Sagen wir also, irgendwo wird eine Kanone losgelassen. Jetzt sagt man: nach so und so viel Zeit hört man den Knall der Kanone, wenn man so und so viele Meilen entfernt ist. Wenn man nun nicht still-steht, so sagt man, sondern mit dem Schall mitgeht, in der gleichen Richtung geht, so hört man den Ton später. Man bekommt den Knalleindruck später, und je schneller man sich entfernt, desto spätet kommt der Schalleindruck. Macht man es umgekehrt, geht man dem Schall entgegen, so kommt er immer früher und früher.

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Nun, wenn man den Gedanken fortsetzt, so kommt man zu der Denkmöglichkeit, die aber keine Wirklichkeitsmöglichkeit ist, daß man schneller dem Schall entgegenkommt, als er selber geht. Und wenn man das zu Ende denkt, dann kommt man dazu, sich zu sagen:

Es gibt auch eine Möglichkeit, den Schall früher zu hören, bevor die Kanone losgelassen ist!

Das ist dasjenige, wozu solche Theorien führen, die vom nicht­wirklichkeitsgemäßen Denken kommen. Wer richtig in der Wirk­lichkeit denken kann, der kann manchmal ungeheure Schmerzen aus­stehen. In den Büchern von Einstein finden Sie sogar angeführt, wie man eine Uhr nimmt, sie mit Lichtgeschwindigkeit in den Welten-raum hinausgehen läßt, und dann kommt sie wiederum zurück; es wird erklärt, wenn sie mit Lichtgeschwindigkeit hinausgeht und wie­derum zurückkommt, wie es dann mit dieser Uhr zugeht. Aber nun möchte ich einmal wirklichkeitsgemäß diese Uhr anschauen, wie die aussieht, wenn sie mit dieser Geschwindigkeit hinaussaust und wie­der zurückkommt. Es handelt sich darum, daß man niemals in seinem Denken von der Wirklichkeit abkommt.

Darin besteht das Ur-Übel unseres Unterrichtes, daß sich so vieles von der Wirklichkeit entfernt. Darauf beruht auch sehr vieles, was heute in den mustergültigen Kindergärten gemacht wird. Da hat man Arbeiten ausgedacht, die das Kind machen soll. In Wirklichkeit soll man das Kind nichts anderes, auch im Spiele, machen lassen, als was Nachahmung des Lebens ist. Also alle Fröbelarbeiten und so weiter, die ausgedacht sind, sind eigentlich vom Übel. Es handelt sich durchaus darum, daß man das Kind nur dasjenige machen läßt, auch im Spiel, was Nachahmung des Lebens ist. Das ist von ungeheurer Wichtigkeit.

Und deshalb soll man auch nicht, wie ich Ihnen schon gesagt habe, Spielwaren ausdenken, die kunstvoll, wie man sagt, gestaltet sind, sondern man soll womöglich bei Puppen oder bei irgend etwas dem Kinde noch möglichst viel für die Phantasie übriglassen. Das ist von einer großen Bedeutung.

Das ist dasjenige, was ich auch hier besonders erwähnen will, daß Sie tatsächlich darauf sehen, daß nichts in den Unterricht und die

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Erziehung hineinkommt, was nicht in irgendeiner Weise an das Leben anknüpft. Das muß auch immer berücksichtigt werden, wenn das Kind dazu angehalten wird, selber irgend etwas zu beschreiben. Man soll dem Kinde jederzeit bemerklich machen, wann es von der Wirklichkeit abirrt. Der Verstand geht niemals so tief in die Wirk­lichkeit hinein wie die Phantasie. Die Phantasie kann irren, aber sie geht in die Wirklichkeit hinein; der Verstand bleibt eigentlich immer an der Oberfläche haften. Und daher ist es für den Lehrer so unend­lich notwendig, selbst wirklichkeitsgemäß in der Klasse drinnen zu stehen. Damit der Lehrer selbst wirklichkeitsgemäß in der Klasse drinnenstehen kann, haben wir in der Waldorfschul-Pädagogik die Lehrerkonferenz als Seele des ganzen Unterrichtes. In dieser Lehrer-konferenz, wo die Lehrer vereinigt sind, bringt jeder dasjenige, was er selbst an seiner Klasse, an der Summe seiner Kinder gelernt hat, so daß jeder vom andern lernen kann. Und keine Schule lebt, in der nicht in dieser Weise die Konferenz, die Versammlung der Lehrer von Zeit zu Zeit das Allerwichtigste ist.

Man kann da tatsächlich ungeheuer viel lernen. Wir haben in der Waldorfschule gemischte Klassen, Mädchen und Knaben nebenein­ander. Nun, ganz abgesehen von dem, was sich die Knaben und Mäd­chen sagen, oder was sie mit ihrem Bewußtsein miteinander aus-tauschen, kann man einen deutlichen Unterschied bemerken zwischen Klassen, in denen mehr Mädchen als Knaben sind, und Klassen, in denen mehr Knaben als Mädchen sind, oder in denen Knaben und Mädchen gleich verteilt sind. Jahrelang bin ich dem nachgegangen, und immer hat es sich gezeigt: es ist etwas ganz anderes, eine Klasse, wo mehr Mädchen als Knaben sind.

In einer Klasse, wo mehr Mädchen als Knaben sind, findet man sehr bald, daß man selber als Lehrer verhältnismäßig weniger müde wird, weil die Mädchen leichter auffassen, aber auch mit einem größeren Eifer auffassen als die Knaben. Aber man findet auch zahl­reiche andere Unterschiede. Vor allen Dingen findet man sehr bald heraus, daß die Knaben selber in der Leichtigkeit ihrer Auffassung gewinnen, wenn sie in der Minderzahl sind, während die Mädchen verlieren, wenn sie selbst in der Minderzahl sind Und so sind zahlreiche

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Unterschiede da, die nicht durch das Mitteilen, nicht durch das gegenseitige Behandeln bestehen, sondern die im Imponderablen bleiben, Imponderabilien sind.

Auf alle diese Dinge muß man ungeheuer aufmerksam sein. Alle die Dinge, sowohl diejenigen, die sich auf ganze Klassen beziehen, wie diejenigen, die sich auf die einzelnen Schüler beziehen, werden bei uns in der Konferenz durchaus behandelt, so daß eigentlich jeder Lehrer die Möglichkeit hat, auf charakteristische Schülerindividuali-täten besonders hinzusehen.

Eines ist natürlich bei der Waldorfschul-Methode schwierig: man muß viel mehr als sonst beim Klassenunterricht nachdenken, wie man die Schüler wirklich vorwärtsbringt. Denn man will ja so unter­richten - und alles, was ich Ihnen auseinandergesetzt habe, ist dar­auf berechnet, so zu unterrichten -, daß man vom Lebensalter des Kindes abliest, was in diesem Lebensalter an es herangebracht wer­den soll.

Nun denken Sie, wenn man leichten Herzens ein Kind, das gerade zwischen dem 9. und 10. Jahre ist, also in der Klasse ist, die dem Alter entspricht, wie man sagt, sitz enbleiben läßt, nicht mitkommen läßt, dann wird es ja im nächsten Jahre für ein Lebensalter unter­richtet, das es gar nicht hat. Daher vermeiden wir das unter allen Umständen, daß wir Kinder, wenn sie, wie man sagt, nicht das Lehr-ziel erreichen, zurückbleiben lassen. Es ist das unbequemer, als wenn man einfach die Kinder sitzenbleiben läßt, sie die Klasse repetieren läßt; aber wir vermeiden das. Wir haben nur das eine Korrektiv, daß wir diejenigen, die ganz schwach sind, in eine Klasse für geistig minderbegabte Kinder zusammenfassen. Und die sind dann unter­richtet von Dr. Karl Schubert, der ja in diesem Gebiete seine ganz besondere Aufgabe und Geschicklichkeit hat.

Da werden aber auch von allen Klassen diejenigen zusammen­gefaßt, die nun in irgendeiner Weise minderbegabt sind. Wir können natürlich, da wir so viele Kinder haben, nicht auch noch viele Klassen für Schwachsinnige errichten.

Wir lassen, wie gesagt, die Kinder in der Klasse nicht zurück, sondern suchen sie unter allen Umständen mitzunehmen, so daß die

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Kinder wirklich dasjenige finden, was ihrem entsprechenden Lebens­alter gemäß ist.

Diejenigen Kinder, die nicht weiterschreiten können, nicht weiter teilnehmen können an allem Schulunterricht, als bis sie geschlechts-reif sind, bis sie also die Volksschule verlassen müssen, versuchen wir durch die ganze Anlage des Unterrichtes nach zwei Richtungen hin zu einer lebensgemäßen Weltempfindung zu bringen: dadurch, daß wir auf der einen Seite allen naturkundlichen und geschichtlichen Unterricht so anlegen, daß das Kind zuletzt eine gewisse Erkenntnis der menschlichen Wesenheit hat, also ungefähr weiß, welche Stel­lung der Mensch in der Welt einnimmt. Menschenkunde ist daher dasjenige, worauf wir alles hinorientieren. So daß wir wirklich eine Art von Abschluß von Menschenkunde herbeiführen können, wenn die Kinder so in der 7., 8. Klasse, das heißt also im 13., 14. Jahr ange-kommen sind. Da hat das Kind also dann durch alles das, was es bis dahin gelernt hat, die Möglichkeit, sich eine Vorstellung davon zu machen, was für Gesetzmäßigkeiten, Kräfte, Stoffe an dem Men­schen selbst beteiligt sind, wie der Mensch zusammenhängt mit allem Physischen, mit allem Seelischen, mit allem Geistigen in der Welt. So daß das Kind weiß, in seiner Art natürlich, was ein Mensch ist innerhalb des ganzen Kosmos. Das ist es, was wir versuchen auf der einen Seite mit dem Kinde zu erreichen.

Auf der anderen Seite versuchen wir mit dem Kinde das zu er­reichen, daß wir es überleiten zu einem Lebensverständnis. Es ist ja wirklich heute so, daß die meisten Menschen, die namentlich in der Stadt aufwachsen, keine Ahnung davon haben, wie, sagen wir, irgendein Stoff, zum Beispiel das Papier, zustande kommt und so weiter. Zahlreiche Menschen wissen nicht, wie das Papier zustande kommt, auf dem sie schreiben. Zahlreiche Menschen wissen nicht, wie irgendwie ein Stoff entsteht, den sie sich anziehen, oder wenn sie Lederschuhe haben, wie das Leder zustande kommt.

Denken Sie nur, wie unzählige Menschen Bier trinken und keine Ahnung davon haben, wie das Bier gemacht wird. Das ist eigentlich im Grunde genommen etwas Ungeheuerliches. Nun, es läßt sich natürlich

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nicht alles in dieser Richtung tun, aber wir versuchen soviel als möglich darauf hin zu arbeiten, daß das Kind ungefähr weiß, wie gearbeitet wird in den verschiedenartigsten Gewerben, und daß das Kind auch wirklich lernt, Arbeiten zu verrichten, die im Leben drinnenstehen.

Es ist nur außerordentlich schwierig, gegenüber dem, was heute von den Behörden an Anforderungen gestellt wird an die Kinder, mit einer Erziehung aufzukommen, die wirklich lebensgemäß ist. Man macht da die bösesten Erfahrungen. So zum Beispiel mußten wir einmal, da die Verhältnisse der Eltern das notwendig machten, einen Schüler entlassen, der eben die zweite Klasse vollendet hatte und in der dritten Klasse war. Er sollte nun in einer anderen Schule weiterlernen. Da machte man uns die bittersten Vorwürfe, denn so weit hatte er es im Rechnen nicht gebracht, als man dort wollte, so weit nicht im Lesen, nicht im Schreiben. Und man schrieb uns, mit der Eurythmie und mit dem Malen und mit all dem, was er da kann, weiß man nichts anzufangen.

Man muß also die Kinder, wenn man sie lebensgemäß, der Men­schenerkenntnis nach erzieht, schon zu einer Zeit zum fertigen Lesen, Schreiben und so weiter bringen, wie man es heute verlangt. Und so ist auch eine ganze Menge notwendig, an die Kinder heranzubringen, was einfach den heutigen Gewohnheiten gemäß verlangt wird.

Daher sind wir natürlich auch in der Waldorfschule genötigt, manches an die Kinder heranzubringen, was wir nicht für so geartet halten, daß es aus einer wirklichen Menschenerkenntnis fließt. Aber trotzdem versuchen wir so weit als möglich, die Kinder an das Leben heranzubringen.

So hätte ich, wenn das durchführbar wäre, sehr gerne einen Schu­ster als Lehrer angestellt. Das läßt sich nicht durchführen, weil sich das nach den heutigen Anforderungen nicht in den Lehrplan ein-gliedern läßt. Aber zum Exempel, damit das Kind auch wirklich lernt, einmal Schuhe machen, und weiß, nicht theoretisch, sondern aus dem Handgriffe, was dazu gehört, Schuhe zu machen, hätte ich sehr gern vom Anfange an in der Waldorfschule unter der Lehrer-schaft auch einen Schuster gehabt. Es ging eben nicht, weil man mit

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den Behörden nicht zurechtkommt. Mit dem Leben würde man da-durch gerade zurechtkommen. Aber wir versuchen doch, die Kinder zu praktischen Arbeitern machen zu können.

Sie können sehen, wenn Sie in die Waldorfschule kommen, wie die Kinder ganz schön Bücher einbinden, allerlei Kartonarbeiten machen, auch wie sie angeleitet werden, wirklich kunstlerisch Hand­arbeiten zu machen. Bei uns wird der weibliche Handarbeitsunter­richt nicht so erteilt, wie man heute im allgemeinen die Dinge sieht. Betrachten wir zum Beispiel, was von Frauen als Kleider getragen wird. Da wird kein Unterschied gemacht, sehen Sie, zwischen irgend etwas, was man hier oben trägt, als Gürtel oder unten als Besatz trägt. Es wird nicht darauf gesehen, daß in der entsprechenden Weise etwas, was man oben am Hals trägt, den Charakter dessen tragen muß, daß es oben am Hals getragen werden muß (siehe Zeichnung 1);

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es ist nur schematisch gezeichnet. Es wird nicht darauf gesehen, daß man etwas, was man am Gürtel trägt, ansieht, da ist oben etwas, da ist unten etwas und so weiter (siehe Zeichnung II).

Oder man läßt Kinder niemals bei uns, sagen wir, ein Kissen machen, was auf der einen und auf der anderen Seite gleich ist, son­dern man sieht dem Kissen an, wo man sich darauflegt. Man sieht es dem Kissen auch an, daß ein Unterschied ist zwischen rechts und links und so weiter. Also es wird auch in alles, was da gemacht wird, das Leben hineingewirkt und hineingewoben. Und daran lernen die Kinder sehr viel. So suchen wir auch wiederum die Kinder in das Leben hineinzustellen.

Das versuchen wir in allen Einzelheiten, zum Beispiel auch durch das Zeugniswesen. Ich habe niemals im Leben mir einen Begriff ver­schaffen können davon, was das heißt, die Fähigkeiten eines Kindes

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entsprechen 2 oder 3 oder 2 1/2. Ich weiß nicht, ob man das auch in England macht, daß man bei den Zeugnissen Zahlen oder Buchstaben gibt, die andeuten sollen, was das Kind kann. In Mitteleuropa gibt man 3 oder 4. Solche Zeugnisse geben wir nicht, sondern bei uns kennt jeder Lehrer jedes Kind und beschreibt es im Zeugnis, be­schreibt, was es in seinen Fähigkeiten wirklich leistet, mit seinen eigenen Worten, mit seinen Fähigkeiten und mit seinem Fortschritt. Und dann geben wir jedem Kinde jedes Jahr in das Zeugnis hinein einen Lebensspruch, der ihm im nächsten Jahr ein Geleitwort sein kann. So sieht das Zeugnis aus: Zunächst steht da der Name des Kin­des und dann ein Lebensspruch; dann charakterisiert der Lehrer, ohne stereotype Buchstaben oder Zahlen, einfach wie das Kind be­schaffen ist, wie es in den einzelnen Lehrgegenständen vorwärts­gekommen ist. So daß das Zeugnis immer eine Darstellung ist. An diesen Zeugnissen haben die Kinder immer eine große Freude, und es bekommen auch die Eltern eine richtige Vorstellung von dem, wie das Kind sich in der Schule verhält.

Großen Wert legen wir darauf, daß wir in bezug auf jedes Kind wirklich mit dem Elternhaus in Kontakt stehen, so daß man von der Schule aus durch das Kind auf das Elternhaus hinaussieht. Dadurch wird einem das Kind erst verständlich; dadurch weiß man auch, wie man jede Eigenschaft bei dem Kinde zu behandeln hat. Es ist nicht so, daß, wenn man an dem Kinde eine Eigenschaft bemerkt, das das­selbe ist, wie wenn man diese Eigenschaft an einem anderen Kinde bemerkt; denn dieselbe Eigenschaft bedeutet bei dem einen Kinde etwas ganz anderes als bei dem anderen Kinde.

Sagen wir zum Beispiel, ein Kind zeigt eine gewisse Aufgeregt­heit; ein anderes Kind zeigt auch Aufgeregtheit. Ja, es kommt gar nicht darauf an, daß man bloß weiß, das Kind ist aufgeregt, und man soll etwas beitragen zu seiner Beruhigung, sondern es kommt dar­auf an, daß man bei dem einen Kinde findet: das ist aufgeregt, weil es einen aufgeregten Vater hat und den imitiert; das andere Kind ist aufgeregt, weil es ein schlechtes Herz hat, herzkrank ist. So muß man überall auf dasjenige eingehen können, was den Eigenschaften zugrunde liegt.

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Und dazu sind gerade die Lehrerkonferenzen da. Die sind dazu da, wirklich den Menschen zu studieren und dadurch in der Men­schenkunde, ich möchte sagen, einen fortlaufenden Strom durch die Schule fließen zu lassen. Man studiert die Schule in den Lehrer­konferenzen. Dadurch ergibt sich das andere, was man braucht, schon von selber. Das Wesentliche ist, daß die Lehrerkonferenzen ein fort-laufen des, ein fortdauerndes Studium sind.

Das sind so die Bedingungen, die ich Ihnen für die praktische Ein­richtung sagen wollte.

Nun würde sich natürlich manches noch sagen lassen, wenn wir diesen Kursus mehrere Wochen hindurch fortsetzen könnten. Aber das können wir ja nicht. Daher werde ich Sie bitten, morgen, wenn wir hier zusammenkommen, dasjenige, was Sie auf dem Herzen haben, in Form von Fragen zu stellen, so daß wir dann die morgige Stunde dazu benützen, daß Sie Fragen stellen, und ich Ihnen diese Fragen beantworten kann.

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FRAGENBEANTWORTUNG Torquay, 20. August 1924

Die erste Frage, die gestellt ist, lautet:

Was ist in dieser Unterricbtsmethode eigentlich der Unterschied zwischen Multipli­zieren und Dividieren? Oder soll es in den ersten Schuljahren überhaupt keinen solchen Unterschied geben?

Die Frage geht ja wahrscheinlich daraus hervor, daß ich sagte, man solle das Multiplizieren so treiben, daß zum Vorschein kommt der sogenannte Multiplikand, ein Faktor, nicht das Produkt, und daß der andere Faktor gesucht werde. Das gibt natürlich eigentlich im gewöhnlichen Sinne des Wortes eine Division. Das sieht man ge­wöhnlich als Division an. Man kann, wenn man sich nicht zu stark an Worte hält, dann dem ganz entsprechend das Dividieren in der folgenden Weise auffassen.

Man kann sagen: Wenn man ein Ganzes in einer gewissen Weise teilt, wieviel beträgt dann der Teil? Und man hat nur in anderer Auf­fassung dasselbe wie bei der Frage: Mit was muß man eine Zahl ver­vielfältigen, multiplizieren, damit man eine gewisse Zahl bekommt?

Wenn man also die Frage hinorientiert auf das Teilen, hat man es mit einer Division zu tun. Wenn man die Frage hinorientiert auf das Vervielfältigen, hat man es mit einer Multiplikation zu tun. Und gerade die innige Verwandtschaft im Denken, die zwischen der Multiplikation und der Division besteht, die kommt dabei durchaus zum Vorschein.

Nun aber sollte das Kind frühzeitig darauf hingewiesen werden, daß es eigentlich eine zweifache Möglichkeit gibt, die Division auf-zufassen. Die eine Möglichkeit ist die, die ich jetzt angedeutet habe. Da untersucht man, wie groß der Teil ist, wenn ich ein Ganzes in eine bestimmte Anzahl von Teilen gliedere. Da gehe ich von dem Gan­zen aus und suche den Teil. Das ist eine Art der Division.

Die andre Art ist diese, wenn ich von dem Teil ausgehe und suche, wie oft der Teil in dem Ganzen drinnen steckt. Dann ist die Division nicht ein Teilen, sondern ein Messen. Und dieser Unterschied zwischen

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Teilen und Messen sollte womöglich bald, ohne daß man eine pedantische Terminologie braucht, dem Kinde auch beigebracht werden. Dann hört das Dividieren und das Multiplizieren bald auf, etwas bloß formal Rechnerisches zu sein, wie es sehr häufig ist, und wird angelehnt an das Leben.

So werden Sie eigentlich mehr nur an der Ausdrucksweise für die ersten Schuljahre schon einen Unterschied zwischen Multiplizieren und Dividieren haben können; aber man sollte eben auch durchaus bemerklich machen, daß dieser Unterschied im Grunde genommen ein viel kleinerer ist als der zwischen Subtrahieren und Addieren. Und gerade darauf kommt es sehr stark an, daß solche Dinge dem Kinde eingehen.

Man kann also nicht sagen, daß in den ersten &huljahren über­haupt kein Unterschied gemacht werden soll; aber er soll eben so gemacht werden, wie ich ihn eben jetzt angedeutet habe.

In welchem Alter und wie soll man in der Rechnung vom Konkreten zum Ab­strakten übergehen?

Über diese Frage ist so zu denken: Man soll zunächst versuchen, alles im Rechnen im Konkreten zu halten und vor allen Dingen ganz absehen von aller Abstraktion bis zu dem Lebenspunkt zwischen dem 9. und 10. Jahre. Bis dahin soll man womöglich versuchen, so weit im Konkreten zu bleiben, als es nur irgendwie möglich ist, also alles an das Leben unmittelbar anzuknüpfen.

Dann, wenn man das durch 2 bis 21/2 Jahre getan hat, und wirklich darauf gesehen hat, nicht mit abstrakten Zahlen zu rechnen, sondern mit konkreten Tatsachen, die in Rechenform gebracht werden, dann wird man sehen, daß gerade beim Rechnen der Übergang ins Ab­strakte außerordentlich leicht ist. Er ist leicht aus dem Grunde, weil man in dem Kinde durch eine solche Behandlungsweise der Zahl solches Leben in den Zahlen hervorgebracht hat, daß man dann leicht zu der abstrakten Behandlung von Addition, Subtraktion und so weiter übergehen kann.

Es wird sich also darum handeln, daß man den Übergang vom Konkreten zum Abstrakten möglichst verschiebt bis zu dem Lebenspunkt,

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den ich da zwischen dem 9. und 10. Lebensjahre angegeben habe.

Eine große Hilfe für den Übergang vom Konkreten ins Abstrakte beim Rechnen ist das Rechnen da, wo man es ja am meisten im Leben braucht, beim Zahlen, beim Geldausgeben; und da sind Sie hier in einer günstigeren Lage als wir drüben auf dem Kontinent, denn wir drüben auf dem Kontinent haben in bezug auf alles das Dezimal­system. Sie haben hier mit Ihrem Gelde noch ein sympathischeres System als das Dezimalsystem. Ich weiß nicht, ob Sie es als sym­pathischer empfinden; aber wenn Sie es nicht als sympathischer emp­fänden als das Dezimalsystem, so wäre das krankhaft. Gesund ist lediglich dies, ein möglichst konkretes Zahlensystem im Gelde zu haben. Sie zählen hier noch nach dem 12er- und 20er-System, was wir, wie man sagt, schon überwunden haben auf dem Kontinent. Das Dezimalsystem werden Sie ja wohl beim Messen auch schon haben?

(Ein Teilnehmer sagt, daß man es im allgemeinen Leben nicht habe, nur im Wissenschaftlichen.)

Also auch da haben Sie noch das sympathischere Meßsystem! Das sind Dinge, die alles eigentlich im Konkreteren erhalten. Nur im Zahlenschreiben haben Sie auch das Dezimalsystem.

Worauf beruht dieses Dezimalsystem? Es beruht darauf, daß man es ursprünglich eigentlich naturgemäß hat. Ich habe Ihnen gesagt, nicht der Kopf bildet die Zahl, sondern der ganze Körper bildet die Zahl. Der Kopf spiegelt nur die Zahl ab, und es ist natürlich, daß man 10 oder höchstens 20 als Zahl wirklich hat. Nun hat man zu­nächst die Zahl 10, weil man 10 Finger hat. Wir schreiben ja über­haupt nur von 1 bis 10, dann beginnen wir wieder die Zahlen wie ein konkretes Ding zu behandeln.

Schreiben wir zum Beispiel einmal: 2 Esel. Da ist der Esel ein konkretes Ding und 2 ist die Zahl. Ich könnte ebensogut 2 Hunde sagen. Aber wenn Sie 20 schreiben, so ist das auch nichts anderes als 2 mal 10. Da ist 10 behandelt wie ein konkretes Ding. Und so beruht unser Zahlensystem darauf, daß wir von da an, wo uns die Geschichte schwummelig wird, wo wir die Sache nicht mehr überschauen, anfangen,

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die Zahl selber als etwas Konkretes zu behandeln, und sie dann wieder abstrahieren. Wir würden gar nicht vorwärtskommen im Rechnen, wenn wir nicht die Zahl selber, gleichgültig was sie ist, als ein konkretes Ding behandeln würden und wieder abstrahieren würden. 100 ist ja nur 10mal 10. Ob ich nun 10mal 10 habe und als 100 behandle, oder ob ich 10mal 10 Hunde habe, es ist eigentlich dasselbe, einmal die Hunde, das andre Mal die 100 als konkretes Ding. So ist gerade das Geheimnis des Rechnens, daß man die Zahl selber wiederum als etwas Konkretes behandelt. Und wenn Sie dies bedenken, so werden Sie finden, daß da ja auch im Leben ein Über­gang stattfindet. Man spricht von 2 Zwölfen, 2 Dutzend, gerade so wie man von 2 Zehnern spricht. Nur hat man für die Zehn nicht eine solche Benennung, weil das Dezimalsystem schon unter den Auspi­zien der Abstraktheit gefaßt worden ist. Alle anderen Systeme, die fassen noch in viel konkreterer Weise eine Quantität auf, ein Dut­zend, einen Schilling. Wieviel ist ein Schilling? Ein Schilling ist 12 Penny hier.

Ein Schilling ist aber unter Umständen eine Quantität von 30 Stück und das faßt man als eine Einheit auf. Sehen Sie, in dem Dorf, wo ich lange Zeit gelebt habe, da war es so, daß längs der Dorfstraße auf beiden Seiten Häuser waren. Überall waren Nußbäume davor. Und wenn der Herbst gekommen ist, haben die Buben die Nüsse herabgeworfen und sie für den Winter aufbewahrt. Und wenn sie dann in die Schule kamen, dann renommierten sie. Der eine sagte:

«Ich habe schon 5 Schilling», der andere sagte: «Ich habe schon 10 Schilling Nüsse». Sie betrachteten die konkreten Dinge. Ein Schil­ling, das waren immer 30 Stück. Die Bauern, die mußten nur sehen, daß sie noch ihre Nüsse einernteten, bevor die gesamten Bäume von Nüssen befreit waren. Ein Nuß-Schilling, so sagte man auch, also eine Einheit. Diese sich zu erkaufen, war ein Recht, es geschah unter aller Augen.

Und so kann man gerade, indem man dieses Zählen benützt mit Konkretem, ein Dutzend, zwei Dutzend, ein Paar, zwei Paar und so weiter, den Übergang vom Konkreten ins Abstrakte finden. Man sagt ja auch nicht vier Handschuhe, sondern zwei Paar Handschuhe, nicht

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vier Schuhe, sondern zwei Paar Schuhe. Indem man das benützt, kann man den Übergang vom Konkreten ins Abstrakte machen, und auf diese Weise alles langsam vorbereiten. Und man geht dann eigentlich erst zu der abstrakten Zahl über zwischen dem 9. und 10. Lebensjahre.

Wann und wie sollte man Zeichenunterricht erteilen?

Beim Zeichenunterricht handelt es sich wirklich darum, daß man die Frage ein wenig ins künstlerische Licht rückt. Sie müssen beden­ken, daß Zeichnen eigentlich zunächst eine Art von Verlogenheit ist. Was bedeutet denn Zeichnen? Zeichnen bedeutet etwas darstellen durch Striche.

Nun, in Wirklichkeit gibt es eigentlich gar keine Striche. Es gibt in Wirklichkeit das zum Beispiel: Hier ist das Meer (siehe Zeich­nung I). Es stellt sich als Farbe dar (grün); darüber ist der Himmel.

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Er stellt sich wiederum dar als Farbe (blau). Bringt man die beiden Farben hin, dann hat man unten das Meer, oben den Himmel (siehe Zeichnung I). Der Strich macht sich selber da, wo die Farben aneinandergrenzen. Zu sagen, hier (siehe Zeichnung, Horizontlinie) grenzt Himmel an Meer, ist eigentlich schon eine sehr bedeut­same Abstraktion. Daher wird man künstlerisch zunächst das Gefühl haben, man sollte die Wirklichkeit so darstellen, daß man sie in Farben oder meinetwillen auch in Hell-Dunkel erfaßt.

Was ist denn vorhanden, wenn ich ein Gesicht darstelle? Ist denn jemals das vorhanden? (Die Umrisse eines Gesichtes werden ge­zeichnet. Zeichnung II.) Gibt es denn so etwas? So etwas gibt es ja

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gar nicht. Dasjenige, was es gibt, ist dieses (es wird schraffiert, Zeichnung III). Nun, und so weiter, es gibt gewisse Flächen in Hell-Dunkel, und daraus wird dann ein Gesicht. Linien hinzumachen und daraus ein Gesicht zu bilden, ist ja eine Verlogenheit. Das gibt es ja gar nicht.

Wenn man künstlerisch empfindet, wird man überall das Gefühl bekommen, aus dem Schwarz-Weiß oder aus der Farbe herauszu­arbeiten, was da ist. Die Linien kommen dann von selber. Erst wenn einer hergeht und demjenigen, was sich ihm im Hell-Dunkel oder in den Farben zeigt - Grenzen der Farben, die sich von selbst ergeben -, wenn er diesem nachfährt, dann entstehen die zeichnerischen Linien.

Daher darf jedenfalls der Zeichenunterricht nicht ausgehen von dem Zeichnen, sondern er muß ausgehen von dem Malen, von dem Farbegeben, vom Hell-Dunkel.

Und der Zeichenunterricht als solcher hat einen realen Wert ei­gentlich nur dann, wenn er mit dem Bewußtsein entwickelt wird, daß er nichts Reales gibt. Es hat ja ungeheuren Unfug bewirkt in unserer ganzen Denkweise, daß die Menschen so viel aufs Zeichnen gegeben haben. Dadurch ist all das entstanden, was man, sagen wir, in der Optik hat, wo man ewig Linien aufzeichnet, die Lichtstrahlen sein sollen. Ja, wo gibt es denn solche Lichtstrahlen in Wirklichkeit? Nirgends nämlich. Was man hat in der Wirklichkeit sind Bilder. Man macht irgendwo ein Loch in der Wand; die Sonne scheint her­ein, auf einem Schirm bildet sich ein Bild. Man kann höchstens im Staub im Zimmer die Bilder sehen-und je schmutziger das Zimmer ist, desto mehr kann man nach der Richtung sehen -, wiederum die

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Bilder sehen, die das Licht hervorruft aus den Staubkörnchen. Aber was man da gewöhnlich als Linien, als sogenannte Lichtstrahlen, zeichnet, das ist ja nur hinzugedacht. Alles, was eigentlich gezeichnet wird, ist gedacht. Und erst wenn man beginnt, so etwas wie Per­spektive dem Kinde beizubringen, wobei man direkt ja schon in der Art und Weise des Erklärens die Abstraktheit hat, kann man an­fangen, das Visieren, das Sehen in Linien darzustellen.

Aber ja nicht das Kind lehren, durch Striche ein Pferd zu zeichnen oder einen Hund, sondern das Kind soll den Pinsel nehmen und soll den Hund malen, hinmalen. Also jedenfalls nicht zeichnen. Diese Grenze vom Hund ist ja gar nicht vorhanden. Wo ist sie? Sie ergibt sich ja von selber, wenn man das zu Papier bringt, was da ist. Unsere Waldorfschule wird jetzt nicht nur von den Kindern gesucht, son­dern sogar von den Lehrern. Es möchten sehr viele Menschen, die in der Welt draußen Lehrer sind, auch in der Waldorfschule angestellt werden, weil es ihnen da besser gefällt. Nun, da kamen in der letzten Zeit wirklich recht viele Leute an mich heran und produzierten sich in der Art, wie sie durch die Seminare eben vorbereitet sind, um nun Lehrer zu sein. Man bekommt ja schon einen geringen Schreck auch vor den Geschichtslehrern und den Sprachlehrern und so weiter, aber das Schrecklichste sind die Zeichenlehrer, denn die betreiben ein Handwerk, das es überhaupt nicht gibt für ein künstlerisches Emp­finden; das gibt es gar nicht.

Und die Folge davon ist - ich nenne ja keine Namen, deshalb kann ich auch unbefangen sprechen -, daß man mit den Zeichenlehrern kaum reden kann, denn das sind so vertrocknete Menschen, so schrecklich unmenschliche Menschen. Sie haben gar keine Idee von einer Wirklichkeit. Dadurch, daß sie das Zeichnen als Beruf haben, sind sie herausgekommen aus jeder Wirklichkeit. Es ist schrecklich mit ihnen zu reden, ganz abgesehen davon, daß sie Zeichnen lehren wollen in der Schule, das wir in der Waldorfschule gar nicht ein­geführt haben. Aber auch die Seelenkonfiguration dieser Menschen, die diese unwirkliche Kunst des Zeichnens treiben, ist eben eine ganz merkwürdige. Die Leute haben nie Flüssigkeit auf der Zunge, im­mer eine ganz trockene Zunge. Schrecklich ist es, wie die Zeichenlehrer

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allmählich werden, bloß weil sie etwas ganz Unwirkliches treiben. Die gestellte Frage möchte ich schon dadurch beantworten, daß gesagt werde: es soll womöglich überall vom Malen und nicht vom Zeichnen ausgegangen werden. Das ist das Wesentliche.

Ich will die Frage noch etwas deutlicher erläutern, damit Sie die Sache nicht mißverstehen. Sie könnten sonst glauben, daß ich etwas persönlich gegen Zeichenlehrer hätte. Ich möchte einmal folgendes sagen: Da sitzt irgendeine Kinderschar. Da scheint von dieser Seite, so sage ich zu dieser Kinderschar, die Sonne herein. Diese Sonne, die fällt da auf etwas auf, macht allerleiLichter, überall Lichter (es wird gezeichnet, siehe Zeichnung Seite 137). Ich sehe lichte Flecken. Das Sonnenlicht fällt da überall auf, überall. Weil die Sonne so her-scheint, sehe ich da überall lichte Flecken (in der Zeichnung weiß). Da drüben, da sehe ich keine lichten Flecken, da sehe ich Dunkles (blau). Das Dunkle sehe ich aber auch da unter den lichten Flecken, nur so, ganz wenig. Dann sehe ich auf etwas, was, wenn das Licht so drauffällt, sich darstellt im Grünlichen. Grünlich stellt es sich dar. Da fällt das Licht darauf, das wird weißlich. Aber dann, bevor der richtige schwarze Schatten kommt, da sehe ich es grünlich, und hier unter dem schwarzen Schatten ist auch Grünliches, und dann sind solche merkwürdige Dinge dazwischen. Da will das Licht nicht recht hinein.

Sehen Sie, jetzt habe ich von Licht und Schatten gesprochen, und daß da etwas ist, wo das Licht nicht angreift, und ich habe einen Baum gemacht. Ich habe nur vom Licht gesprochen, von Farbe ge­sprochen, und ich habe einen Baum gemacht. Man kann doch den Baum nicht malen; man kann nur Licht und Schatten und Grün, und höchstens noch, wenn die Früchte schöne Äpfelchen sind, Gelbes da hineinsetzen meinetwillen. Aber man soll von Farbe und Licht und Schatten sprechen. Und so soll man tatsächlich von dem sprechen, was wirklich da ist, nur von Farbe und Licht und Schatten. Zeichnen soll man nur in der Geometrie und in dem, was mit der Geometrie zusammenhängt. Da hat man es mit Linien zu tun. Das ist aber auch Gedachtes. Währenddem man Realitäten, konkrete Realitäten, nicht mit der Feder zeichnen soll, sondern einen Baum zum Beispiel entstehen

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lassen soll aus Hell-Dunkel und aus den Farben. Das ist das­jenige, was wirklich im Leben darinnensteht.

Es wäre zum Beispiel eine Barbarei, wenn nun ein richtiger Zei­chenlehrer käme und den gemalten Baum hier mit den Linien nach­machen ließe. In Wirklichkeit sind da helle Flecken und dunkle Flek­ken. Das macht die Natur. Würde einer da Linien zeichnen, so wäre das eine Verlogenheit.

Soli man die direkte Methode ohne Übersetzen auch für Latein und Griechisch anwenden?

Mit Latein und Griechisch ist allerdings in dieser Beziehung eben eine Ausnahme zu machen. Lateinisch und Griechisch brauchen doch nicht unmittelbar an das Leben angepaßt zu werden, denn diese Sprachen leben ja nicht mehr, und wir haben sie ja eigentlich nur als tote Sprachen unter uns vorhanden. So daß beim Unterricht im La­teinischen und Griechischen - eigentlich sollte man ja mit dem Grie­chisch en beginnen und ins Lateinische hinein fortsetzen -, so daß bei diesem Unterricht, der übrigens nicht gleich beim Kinde eintreten kann, sondern erst im späteren Lebensalter, die Übersetzungsmethode durchaus in einer gewissen Weise berechtigt sein kann.

Wir haben es ja nicht damit zu tun, daß wir uns im Lateinischen und Griechischen unterhalten, sondern um die alten Autoren zu ver­stehen. Wir wenden diese Sprachen an im eminentesten Sinne, um gerade das Übersetzen zu betreiben. Wann gebraucht man Latein? Als Arzt braucht man Latein. Und warum heute noch? Das ist ja hervorgegangen aus dem Fortsetzen eines alten Gebrauches. Alte Gebräuche erben sich fort, ohne daß man weiß, was für einen Sinn sie haben.

So ist es mit vielen Dingen, zum Beispiel mit Orden und Ehren­zeichen. Sie hatten seinerzeit eine große Bedeutung, waren auch tief symbolische Zeichen. Aber heute kann man das nicht mehr sagen. Sie haben sich fortgeschleppt als Gewohnheiten. Und so ist es auch damit, daß zum Beispiel der Arzt immerhin ein Interesse daran hat, daß er sich am Krankenbett mit einem anderen unterhalten kann und die Dinge benennen kann, ohne daß er den Kranken beunruhigt, also

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eine Sprache gebraucht, die der andere nicht verstehen kann. Da denkt man ja nur daran, das ins Lateinische umzusetzen, was man denkt. Und so ist es auch, daß wir diese selbe Methode im Griechi­schen und Latein nicht gebrauchen, die wir aber bei allen lebenden Sprachen anwenden.

Nun kommt wieder die Frage, die ja jedesmal bei meiner Anwesen­heit in England, wenn irgendwie von Pädagogik die Rede ist, gestellt wird.

Wie soll man Turnunterricht treiben, und soll man in einer englischen Schule Sport treiben, zum Beispiel Hockey, Cricket und so weiter, und Wie?

Es ist durchaus nicht die Absicht der Waldorfschul-Methode, diese Dinge zu unterdrücken. Sie können schon betrieben werden, einfach weil sie im englischen Leben eine große Rolle spielen und das Kind ins Leben hineinwachsen soll. Nur soll man sich nicht der Illusion hingeben, daß das eine andre Bedeutung hat, als eben diese, daß man das Kind nicht weltfremd machen soll. Zu glauben, daß Sport rür die Entwickelung einen furchtbar großen Wert hat, das ist ein Irrtum. Er hat nicht den großen Wert für die Entwickelung; er hat nur einen Wert, weil er eben eine beliebte Mode ist, und man soll durchaus das Kind nicht zum Weltfremdling machen und es von allen Moden ausschließen. Man liebt Sport in England, also soll man das Kind auch in den Sport einführen. Man soll nicht irgendwie sich philiströs gegen dasjenige stemmen, nun ja, was vielleicht philiströs ist.

Und in bezug auf das Eigentliche «wie das gelehrt werden soll», da wird ja außerordentlich wenig zu sagen sein, denn das ergibt sich bei diesen Dingen wirklich mehr oder weniger dadurch, daß man es vormacht und das Kind nachmachen läßt. Da auch noch besondere künstliche Methoden auszusinnen, das wäre doch etwas, was zu wenig sachgemäß wäre.

Im Turnen, also Gymnastikunterricht - da handelt es sich danim, daß man tatsächlich aus der Anatomie und der Physiologie erfährt, in welche Lage irgendein Glied des Organismus gebracht werden soll, damit es der Leichtigkeit des Organismus dient. Da handelt es

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sich darum, daß wirklich auch gefühlt werde, was den Organismus geschickt, leicht, beweglich macht. Und dann, wenn man das fühlt, dann handelt es sich auch nur ums Vormachen. Nehmen Sie an, Sie haben ein Reck. Gewöhnlich werden alle möglichen Übungen daran gemacht. Die fruchtbarste Übung am Reck wird gewöhnlich nicht gemacht. Sie besteht darinnen, daß man am Reck hängt, so einge­häkelt, und dann schwingt, und nun das Reck so erfaßt, wiederum zurück, wiederum erfaßt. Man springt ja nicht, sondern man hängt am Reck, fliegt durch die Luft, macht die verschiedenen Bewegun­gen, faßt das Reck so und so, und dadurch kommt eine Abwechslung in der Konfiguration der Armmuskeln zustande, die tatsächlich auf den ganzen Organismus in gesundender Weise einwirkt.

Man muß studieren, welche Bewegungen, welche inneren Be­wegungen der Muskeln auf den Organismus gesund wirken, und dann bekommt man heraus, welche Bewegungen man lehren soll. Und dann braucht man sie einfach vorzumachen; denn die Methode besteht da eben im Vormachen.

Wie soll der Religionsunterricht in den verschiedenen Lebensaltern erteilt werden?

Da ich immer nur vom Praktischen aus spreche, so muß ich sagen, die Waldorfschul-Methode ist eine Erziehungsmethode, nicht irgend etwas, was eine Weltanschauung oder etwas Sektiererisches in die Schule hineintragen soll. So kann ich auch da nur von dem Leben in dem Waldorfschul-Prinzip selber sprechen.

Wir haben es verhältnismäßig leicht gehabt in Württemberg, wo noch ein ganz liberales Schulgesetz war, als die Waldorfschule ein­gerichtet worden ist. In Württemberg hat man uns wirklich großes Entgegenkommen gezeigt von seiten der Behörden. Es war sogar möglich, daß ich darauf bestehen konnte, die Lehrer selber anzustel­len, ohne Rücksicht darauf, ob sie irgendein staatliches Examen ge­macht hatten oder nicht. Ich will ja nicht sagen, daß jeder ungeeignet wird zum Lehrer, der ein staatliches Examen macht! Ich will das nicht sagen. Aber immerhin, ich sah in einem staatlichen Examen keine Bedingung, daß man in der Waldorfschule Lehrer werden konnte.

Und so ist es immer in dieser Beziehung eigentlich recht gut

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gegangen. Aber eines war doch notwendig, schon bei der Einrichtung, daß wir ganz entschieden uns auf den Standpunkt stellten: Wir ha­ben eine Methodenschule. Wir mischen uns nicht hinein in das, wie das soziale Leben gegenwärtig nun einmal ist. Sondern wir finden durch Anthroposophie die beste Methode, zu lehren, haben also eine reine Methodenschule.

Daher habe ich die Sache so eingerichtet, daß der Religionsunter­richt von vornherein nicht in unseren Schullehrplan einbezogen wor­den ist, sondern daß der katholische Religionsunterricht dem katho­lischen Priester, der evangelische Unterricht dem evangelischen Pfar­rer und so weiter übergeben wurde.

In den ersten Jahren kamen die meisten Schüler aus einer Fabrik, aus der Moltschen Fabrik zunächst; da kamen viele Dissidenten-kinder, Kinder von religionslosen Eltern. Da verlangte aber natür­lich unsere pädagogische Gewissenhaftigkeit, ihnen auch einen ge­wissen Religionsunterricht zu geben. Für diese Kinder haben wir einen freien Religionsunterricht eingerichtet. So daß wir eine Me­thode zunächst haben für diesen freien Religionsunterricht.

Für diesen freien Religionsunterricht lehren wir zunächst Dank­barkeit beim Betrachten aller Dinge der Natur. Während man sonst in Legenden, Mythen, einfach erzählt, was die Dinge treiben, Steine, Pflanzen und so weiter, handelt es sich da darum, überall den kind­lichen Blick auf das Empfinden des Göttlichen in allen Dingen hin­zulenken. Also wir beginnen in einer gewissen Weise mit einer Art, ich möchte sagen, religiösem Naturalismus in kindlicher Form.

Das Kind versteht von den Evangelien wiederum nichts vor dem Zeitpunkte zwischen dem 9. und 10. Jahre, den ich angegeben habe. Erst da kann man dann auf die Evangelien übergehen, später auf das Alte Testament. Also es kann sich nur darum handeln, den Kindern zunächst im allgemeinen eine Art Naturreligion beizubringen. Für die haben wir dann unsere Methode. Eine vorgeschriebene Religion würde natürlich auch in ähnlicher Weise vorgehen müssen. Sie würde das benützen müssen, was diese vorgeschriebene Religion positiv hat, um es in einer allgemeineren Weise, noch ohne Anlehnung an die biblische Geschichte, dem Kinde zunächst beizubringen.

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Dann, zwischen dem 9. und 10. Jahre erst sollte man auf die Evan­gelien, und gar erst viel später auf das Alte Testament übergehen, erst vom 12., 13. Jahre an.

So würde man sich etwa den freien Religionsunterricht zu denken haben. Um den katholischen und evangelischen Unterricht kümmern wir uns nicht. Den lassen wir halt den katholischen und evangeli­schen Pfarrer erteilen. Für den freien Religionsunterricht haben wir auch an jedem Sonntag eine Art Kultus. Ein besonderer Kultus ist vorhanden für alle, ein besonderer Kultus ist für diejenigen vorhan­den, die dann die Schule mit dem 14. Jahr verlassen. Dasjenige, was da an Kultus gemacht wird, hat sich wirklich praktisch ergeben im Laufe der Jahre; er dient außerordentlich gut zur Vertiefung des religiösen Gefühls, wird von den Kindern außerordentlich weihevoll empfunden.

Wir lassen bei diesem Kultus auch die Eltern beiwohnen, und es hat sich herausgestellt, daß das in einer außerordentlich günstigen Weise zur Wiederbelebung des Christentums dient, dieser freiwil­lige Religionsunterricht. Und es ist gutes Christentum in der Wal­dorfschule, weil durch diese naturalistische Religion in den ersten Jahren das Kind allmählich hinaufgehoben wird zum Begreifen des Christus-Geheimnisses in den höheren Klassen.

Es ist unser freier Religionsunterricht allmählich wirklich über­laufen von Teilnehmern. Es kommen alle möglichen Kinder auch herüber von dem evangelischen Pfarrer und dem katholischen Prie­ster. Aber wir treiben keine Agitation. Wir können ohnehin schwer gerade Religionslehrer finden, und deshalb sehen wir es nicht ein-mal besonders gern, wenn zu viele Kinder herüberkommen, auch schon deshalb nicht, damit die Schule nicht in den Geruch kommt, eine anthroposophische Konfessionsschule zu sein. Das wollen wir durchaus nicht. Nur unser pädagogisches Gewissen hat uns gedrängt, diesen freien Religionsunterricht einzuführen. Aber die Kinder lau­fen davon im katholischen und evangelischen Religionsunterricht, kommen immer mehr herüber und wollen den freien Religionsunter­richt haben. Er gefällt ihnen besser. Das ist nicht unsere Schuld, daß sie dort davonlaufen. Ich weiß nicht, ob es unsere Schuld ist, daß sie

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zu uns kommen. Aber wie gesagt, prinzipiell war die Einrichtung so:

der Religionsunterricht wurde von den betreffenden Pfarrern zu­nächst gegeben. Wenn Sie also fragen, was wir für einen Religions­unterricht haben, so kann ja nur dasjenige von mir vertreten werden, was als freier Religionsunterricht bei uns ist, und was ich eben ge­schildert habe.

Sollen die Gegenstände des Epochenunterrichts in einer bestimmten Reihenfolge genommen werden?

Das ist natürlich etwas, worüber viel diskutiert werden könnte, aber einen großen praktischen Wert würde das nicht haben. Es wird sich in den ersten Klassen ja um nicht viel anderes handeln, als daß man Epochen abwechseln läßt mehr für den Unterricht, der im Schreiben, dann beim allmählichen Übergang in das Lesen erteilt wird, dann Rechnen und weniges andere. Man wird finden, ob man die Dinge in der einen oder in der anderen Reihenfolge nimmt, daß es keine übergroße Bedeutung hat. So daß wir bisher wenigstens in unseren Erfahrungen nicht irgendwie Veranlassung genommen ha­ben, auf eine solche Reihenfolge besonders Rücksicht zu nehmen.

Soll man in einer englischen Schule Französisch und Deutsch vom Anfang an unterrichten? Wenn die Kinder mit 5 oder 6 Jahren in die Schule kommen, in eine Art Kindergartenklasse, soll man diesen auch Sprachunterricht erteilen?

Da möchte ich zunächst bemerken, ob man in einer englischen Schule Französisch und Deutsch von Anfang an unterrichten soll, das ist, glaube ich, nur aus reinen Opportunitätsgründen zu entscheiden. Wenn man eben findet, daß das Leben es notwendig macht, gerade diese Sprache zu betreiben, so soll man es tun. Wir haben in der Waldorfschule Französisch und Englisch eingeführt aus dem Grun­de, weil am Französischen noch viel innerlich gelernt werden kann, was an einer anderen Sprache nicht gelernt werden kann, ein ge­wisses rhetorisches Gefühl, was ganz gut ist, wenn es da ist. Und Englisch aus dem Grunde, weil es eben Weltsprache ist und immer mehr und mehr Weltsprache werden wird.

Nun, ich möchte das nicht unbedingt entscheiden, ob in englischen

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Schulen Französisch und Deutsch gelehrt werden soll, sondern man soll sich eben danach richten, wie es die Lebensverhältnisse notwen­dig machen. Es wird gar nicht so wichtig sein, welche anderen Spra­chen man wählt, sondern daß überhaupt andere Sprachen getrieben werden.

Ebenso wird es gut sein, wenn man die Kinder im 5. und 6. Jahre schon in die Schule bringt - was man eigentlich nicht tun sollte -, wenn man mit ihnen dann schon Sprachen treibt. Das gehört in dieses Lebensalter. Sprachen kann man auch vor dem Zahnwechselzeitalter etwas betreiben. Schulmäßig es betreiben sollte man aber erst nach dem Zahnwechsel. Wenn schon die Kinder in eine Art Kindergarten-klasse gebracht werden, sollte man dies dazu benützen, um ihnen gerade Sprachunterricht beizubringen und womöglich den anderen Unterricht hinausschieben, bis der Zahnwechsel eintritt.

Ich möchte, was Ihnen selbstverständlich klingen wird, zum Schluß noch aussprechen, daß es mich tief befriedigt hat, daß Sie ein so tätiges Interesse daran haben, die Waldorfschul-Methode hier in England fruchtbar werden zu lassen, daß Sie mit solcher Energie daran arbeiten, hier eine Schule nach unserer anthroposophischen Methode einzurichten. Und ich möchte die Hoffnung aussprechen, daß es Ihnen gelingen möchte, dasjenige, was Sie lernen konnten aus unseren Seminarkursen in Stuttgart, was Sie gehört haben in den ver­schiedenen anderen Kursen, die auch hier in England gehalten wor­den sind, und was ich zuletzt hier an einzelnen aphoristischen Be­merkungen geben konnte - daß Sie all das benützen können, um eine recht gute Schule nach anthroposophischer Methode hier in England zu begründen.

Sie müssen nur bedenken, wieviel davon abhängt, daß wirklich der erste Versuch, der gemacht wird, gelingt. Gelingt er nicht, dann ist ja viel verloren, denn dann wird nach dem ersten Versuch alles übrige beurteilt. Und es hängt sehr viel davon ab, daß Sie den ersten Ansatz in einer Weise machen, daß die Welt merkt: es ist etwas, was weder in abstrakten, dilettantischen Schulreformplänen schweigt, noch irgend etwas, was sonst Laienhaftes ist, es ist etwas, was wirk­lich

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aus dem Erfassen der Menschenwesenheit hervorgeht, was dann übergehen soll in die pädagogische Kunst, und was tatsächlich neben vielem anderen von unserer in so schwieriger Lage befindlichen Zi­vilisation gefordert wird.

Damit möchte ich Ihnen recht gute Gedanken mitgeben auf den Weg zur Begründung der hiesigen Schule nach anthroposophischer Methode.

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HINWEISE

Der Titel dieses Vortragskurses stammt nicht von Dr. Steiner. Er war angekündigt als «Pädagogischer Kursus für die Lehrer der in London neu zu begründenden Schule mit Waldorfschul-Pädagogik». Die Vorträge wurden - mit einer Ausnahme - in drei Teilen gehalten. Jeder Teil wurde anschließend in englischer Sprache wiedergegeben.

Zu Seite

35 EmilMolt, 1876-1936, Kommerzienrat, Inhaber der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik in Stuttgart. Als solcher ergriff er 1919 die Initiative zur Gründung der Freien Waldorfschule in Stuttgart, zunächst für die Kinder der Arbeiter und Angestellten seiner Fabrik. Auf seine Bitte hin übernahm Rudolf Steiner die Einrichtung und Leitung der Schule.

39 Johann Wolfgang Goethe, 1749-1832. Über seinen Klavierunterricht siehe «Dichtung und Wahrheit», 4. Buch.

59 Dr. Stein: Walter Johannes Stein (1891 Wien - 1957 London), Lehrer an der Waldorfschule in Stuttgart, Schriftsteller und Vortragender.

96 Seminarkurse der Waldorfschule: «Allgemeine Menschenkunde»; «Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches» und «Erziehungskunst. Seminarbesprechungen und Lehrplanvorträge», gehalten in der Zeit vom 21. August bis 5. Sep­tember 1919 in Stuttgart.

116 in meinem Buch: «Von Seelenrätseln» (1917), GA 21.

123 Dr. Karl Schubert: (1889 Wien - 1949 Stuttgart) von Rudolf Steiner 1920 an die Waldorfschule berufen zur Leitung einer Hilfsklasse für zurückge­bliebene Kinder.

129 Zur Fragenbeantwortung: die Fragen waren Dr. Steiner schriftlich übergeben worden,

144 Die andern Kurse, die auch hier in England gehalten worden sind: «Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst». 9 Vorträge, gehalten in Oxford vom 16. bis 25. August 1922 «Gegenwärtiges Geistesleben und Erziehung». 14 Vorträge, gehalten in Ilkley vom 5. bis 17. August 1923

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.