GA 291a

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DER EINSATZ FÜR EINE GEISTGEMÄSSE WISSENSCHAIT DER FARBEN

#G291a-1990-SE010 Farbenerkenntnis

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DER EINSATZ FÜR EINE

GEISTGEMÄSSE WISSENSCHAIT DER FARBEN

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Dort stehenbleiben zu wollen, wo Goethe stand, ist unsinnig, aber ohne ihn im Leibe zu haben und ohne mit den von ihm in die Welt gesetzten Triebfedern sich ganz durch und durch auszuspannen, ist kein Fortschritt möglich. (Brief Rudolf Steiners aus Wei­mar vom 18.Juli 1891, in «Briefe» II, GA 39)

... wir brauchen durchaus, wenn wir auch nicht Phy­sikergläubige sind, auch nicht wieder Goethegläubige zu werden, denn Goethe ist 1832 gestorben, und wir bekennen uns nicht zu einem Goetheanismus vom Jahre 1832, sondern zu einem vom Jahre 1919, also zu einem fortgebildeten Goetheanismus. (Vortrag Stutt­gart, 27. Dezember 1919, GA 320)

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Die Farbenerkenntnis im Lebenswerk Rudolf Steiners

Werkbiographische Skizze von Hella Wiesberger

Seit den 80er Jahren bemühe ich mich, die Goethe­sche Farbenlehre gegen die moderne Physik zum Durchbruch zu bringen. Das kann nicht verstan­den werden. Warum? Weil das materialistische Prinzip bei Newton, den Goethe bekämpfen mußte, den Sieg davongetragen hat über das, was bei Goethe aus dem Geist entsprungen ist.!

Dem, was die Goethesche Farbenlehre in sich schließt, liegt zugrunde das Geheimnis des Zu­sammenwirkens von Licht und Finsternis als zweier polarischer wesenhafter Entitäten in der Welt.2

Goethes Farbenlehre steht nicht nur äußerlich biographisch, sondern in erster Linie ihrem ideellen Werte nach am Ausgangspunkt von Rudolf Steiners Wirken. Denn in dem von Goethe entdeckten Urphänomen der Farbenentstehung - Farben entstehen durch das Zusammenwirken von Licht und Finsternis, von Rudolf Steiner oft auf die einfache Formel gebracht: Finsternis durch Licht gesehen = Blau, Licht durch Finsternis gesehen = Rot3 - fand er seine eigene zentrale Erkenntnis bestätigt, daß alle Erkenntnisfindung voraussetzt, anzuerkennen, daß sowohl die Na­tur- wie auch die Menschen- und Geistesordnung auf Polaritäten aufge­baut ist, daß alles Leben in Gegensätzen verläuft und nur der Gleichge­wichtszustand zwischen Gegensätzen angestrebt werden kann.4

So wie Goethe in diesem Sinne seine Naturanschauung, insbesondere seine Farbenlehre ausbildete, so Rudolf Steiner seine anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft. Wenn er einmal äußerte: «Die Farbge­danken, die Farbanschauungen, lassen sich auf alles anwenden»,5 so steht

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dahinter die Erkenntnis, daß unter Licht und Finsternis nicht die sinn­lich wahrnehmbaren Wesenhaftigkeiten, sondern geistige Entitäten zu verstehen sind, die nicht nur der Entstehung der Farben, sondern allen Erscheinungen - sei es im Physischen, Seelischen oder Geistigen - zu­grunde liegen. Denn in der «kosmischen Tätigkeit» gebe es keine Mög­lichkeit des Bestandes, ohne daß überall in die Lichtkraft zugleich Dun­kelkraft hineinverwoben wird: «Und in dem Ineinanderweben, gleich­sam in dem Netz-Weben von Lichtkraft und Dunkelkraft liegt eines der Geheimnisse des kosmischen Daseins, der kosmischen Alchemie.»6 Es sei dies Mysterienwissensgut in uralten Menschheitszeiten gewesen und etwas davon bewahrt geblieben in der altindischen Sankhya-Philosophie, insofern sie fundiert ist auf der Lehre von den drei Gunas, den drei Grundbildekräften, und deren möglichen Verbindungen: Sattwa (Licht), Tamas (Finsternis), Rajas (Ausgleich). Ein Nachklang davon findet sich dann noch bei Aristoteles, wenn er die Farben in diesem Sinne gliedert:

Nach dem Rotgelben hin überwiegt das Licht das Finstere, nach dem Blauvioletten hin das Finstere das Licht, im Grün halten sich beide das Gleichgewicht.

Darin, daß in den auf Aristoteles folgenden Zeiten dieses Erkenntnis-prinzip verlorenging, und, nachdem es lange verschüttet gewesen war, durch Goethe «mitten aus unserer wissenschaftlichen Kultur heraus» neu aufleuchtete, liegt für Rudolf Steiner die eigentliche Bedeutung von Goethes Farbenlehre. Darum werde man wohl verstehen können, warum er sich im Beginne der 80er Jahre die Aufgabe gestellt habe, die Goethesche Farbenlehre als eine «physische Wissenschaft», aber auf «okkulten Prinzipien» beruhend, zur Geltung zu bringen. Denn man könne sachgemäß sagen: Goethe gliedert die Farbenerscheinungen so, daß er sie darstellt nach den drei Zuständen Sattwa, Tamas, Rajas. Und so trete nach und nach wie aus einem Geistesdunkel heraus in die neue Geistesgeschichte herein, «mit den neuen Mitteln erforscht», was einmal durch ganz andere Mittel der Menschheit errungen worden sei.7

Goethe selbst muß von diesem in graue Zeiten Zurückreichenden seiner Farbenerkenntnis ein Bewußtsein gehabt haben, denn er äußerte einmal zu Eckermann (am 18. März 1831): «Meine Farbenlehre ist so alt wie die Welt und wird auf die Länge nicht zu verleugnen und beseite zu bringen sein.» Und ein andermal (am 19. Februar 1829): «Auf alles, was ich als Poet geleistet habe, bilde ich mir gar nichts ein. Es haben treffliche Dichter mit mir gelebt, es lebten noch trefflichere vor mir und es werden

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ihrer nach mir sein. Daß ich aber in meinem Jahrhundert in der schwieri­gen Wissenschaft der Farbenlehre der einzige bin, der das Rechte weiß, darauf tue ich mir etwas zugute, und ich habe daher ein Bewußtsein der Superiorität über viele.»

Rudolf Steiner aber sah die Bedeutung von Goethes Farbenlehre nicht nur darin, daß ihr Erkenntnisprinzip in weite Vergangenheit zurück­reicht, sondern vor allem in ihrer Zukunftsbedeutung. Darüber äußerte er einmal:

«Ich beschäftige mich seit 1879/80 eigentlich immer mit Goethes Natur-anschauung. Und ich habe in dieser Zeit die Anschauung gewonnen: in dem Impuls, den Goethe der Naturanschauung gegeben hat - von dem die heutigen Naturgelehrten, Naturwissenschaftler, Naturdenker eigent­lich nichts verstehen - liegt etwas, das ausgebildet werden kann, aber erst in Jahrhunderten... Manche Dinge ahnt man heute noch gar nicht, die in Goethes Naturanschauung liegen... So daß man schon sagen kann:

Goethe mit seiner Naturanschauung trägt etwas in sich, das in weite, weite Horizonte hinausweist.»8

Dieses Zukünftige lag für ihn konkret darin, daß «Goethe durch die Naturerkenntnis die Brücke zu bauen sucht zwischen Selbsterkenntnis und Welterkenntnis»:

«Wenn man dasjenige betrachtet, was von Goethes Art in der Naturan­schauung ist, findet man, daß die einzelnen Ereignisse dieser Forschung und seine Entdeckungen gar nicht die Hauptsache sind. Die Art und Weise, wie er sich die Entwickelung dachte, ist es, worauf es ankam. Wie war sie? So war sie, daß Goethe nach ganz anderen Begriffen und Ideen suchte, als man sie gewöhnt ist. Wenn man nicht sein Augenmerk auf diesen Punkt wenden will, wird man niemals Goethes Naturanschauung verstehen. Bis in die Farbenlehre hinein versteht man Goethe nicht, wenn man nicht ins Auge faßt, was Goethe wollte. Er wollte mit seiner metaphysischen Lehre zu solchen Begriffen kommen, die nicht von Vorstellung zu Vorstellung, von Begriff zu Begriff in äußerlicher Weise vorgehen, sondern wollte, daß man in die Wirklichkeit selber unter-taucht, daß die Idee im Selbsterleben entwickelt wird, welches aber selbstlos genug ist, um gleichzeitig Welterleben zu sein. Er wollte mit dieser seiner Naturanschauung dasjenige erreichen, was wirklich in die Wirklichkeit untertaucht: er wollte verbinden Selbsterkenntnis und

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Welterkenntnis. Goethe konnte nicht, indem er sich in dasjenige, was ihm wissenschaftlich entgegentrat, vertiefte, eine ihn befriedigende Na­turanschauung schaffen; er mußte aus seinem eigenen Wesen heraus zu einer Weltanschauung kommen; die mußte er sich redlich erringen, und dann erst war ihm die Möglichkeit gegeben, Selbsterkenntnis an Welt-erkenntnis zu knüpfen.»9

Goethes Farbenlehre - Ausgangspunkt des öffentlichen Wirkens

Zum Ansatzpunkt für sein Bestreben, «die Brücke zu bauen von den Einsichten in die geistige Welt zu denen, die aus der naturwissenschaft­lichen Forschung kommen», wurde für Rudolf Steiner die im Beginn seiner Studienjahre an der Technischen Hochschule in Wien (1879-1883) gewonnene Erkenntnis, daß das Licht eine «Zwischenstufe» bilde zwi­schen den sinnlich faßbaren und den im Geiste anschaubaren Wesenhaf­tigkeiten. Licht, obwohl eine wirkliche Wesenheit in der Sinneswelt, werde doch nicht sinnlich wahrgenommen, sondern offenbare sich im­mer und überall in der Farbenwahrnehmung. Auch weißes Licht sei nicht Licht, sondern bereits Farbe. So berichtet er in seiner Autobio­graphie.10

Später erzählte er in einem Vortrag, daß er sich schon als Realschüler für die Erklärung des Lichtes interessiert habe:

«Ich weiß noch, als ich ein ziemlich junger Bursche war, da hatte ich einen ehemaligen Kameraden aus der Dorfschule gefragt: Wie lehrt man denn bei euch über das Licht? - Ich hatte dazumal schon mit einer etwas kindlichen Skepsis gehört von der sogenannten realen Ursache des Lichts, nämlich von all den tanzenden kleinen Atomkügelchen und Licbtwellen; aber der Junge, der dazumal auf dem Seminar ausgebildet war, der hatte davon noch nichts gehört und sagte: Wir haben immer nur sagen hören, wenn die Frage entstand, was ist das Licht?: Licht ist die Ursache des Leuchtens der Körper. - Damit ist selbstverständlich etwas gesagt über das Licht.»11

Experimente, die er auf der Technischen Hochschule durchführen konnte, erhärteten ihm seine grundlegende Erkenntnis vom Wesen des Lichtes. Nun drängte es ihn von der physikalischen Schulanschauung weg zu Goethes Farbenlehre hin, und er fand seine eigenen Erkenntnisse

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mit dieser übereinstimmend. Begeistert studierte er daraufhin ebenso gründlich auch alle anderen naturwissenschaftlichen Schriften Goethes.

Dieses intensive Goethe-Studium führte dazu, daß er mit dem Sprach- und Goetheforscher Karl Julius Schröer (1825-1900), der an der Technischen Hochschule Literaturgeschichte vortrug und gerade an der Kommentierung von Goethes «Faust» arbeitete, bald persönlich bekannt wurde. Darüber schrieb er einem Freund am 13.Januar 1881:12

«Ich danke es Gott und einem guten Geschicke, daß ich hier in Wien einen Mann kennenlernte, der - nach Goethe selbstverständlich - sich als der beste Faustkenner rühmen darf, einen Mann, den ich hochschätze und verehre als Lehrer, als Gelehrten, als Dichter, als Menschen. Es ist Karl Julius Schröer.»

Schröer seinerseits wurde dem jungen Steiner ebenfalls sehr gewogen. Er hatte bisher nur erlebt, daß Goethes Naturanschauung, insbesondere die Farbenlehre, von den Fachgelehrten schroff abgelehnt wurde. Da er, selbst den Naturwissenschaften fernstehend, nicht sachgemäß zu entgeg­nen vermochte, kam er dem von Goethes Naturforschungen begeisterten jungen Naturwissenschaftler mit besonderem Wohlwollen entgegen.

Die Beziehung zu Schröer brachte es mit sich, daß der erst 2ljährige Student Steiner zum Herausgeber und Kommentator von Goethes na­turwissenschaftlichen Schriften innerhalb des großen Sammelwerkes «Deutsche National-Litteratur» wurde. Dieses bedeutende verlegerische Werk mit insgesamt 221 Bänden, darunter 36 Goethe-Bänden, war im Frühjahr 1882 von Joseph Kürschner13 ins Leben gerufen worden. Schröer hatte im April die Herausgabe von Goethes Dramen übernom­men und schrieb am 13. Mai 1882 an Kürschner unter anderem: «Was die Farbenlehre anlangt, habe ich meine eignen Gedanken. Hier könnte Großes geschehen! Unsere Physiker werden erzogen dazu, sie nicht zu verstehen, alle ihre Instrumente sind danach eingerichtet, und Goethe hatte doch recht! Wenn sich da ein Kundiger fände! Ich habe darüber einst mit Rosenkranz14 in Königsberg gesprochen, der mit mir derselben Überzeugung war. Alles hängt davon ab, daß ein philosophisch gebilde­ter Geist ersteht, der die Forschungen der Physik zu überschauen ver­möchte...» Kürschner antwortete darauf am 22. Mai: «Die novellisti­schen und wissenschaftlichen Arbeiten harren noch ihres Bearbeiters. Wissen Sie betr. der letzten namentlich, den philosophischen Kopf noch zu finden, der uns not tut, so bin ich Ihnen für Mitteilung des Fundes

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wahrlich dankbar.» Am 4.Juni schrieb Schröer daraufhin zurück: «Ein Student in höheren Semestern, der Physik, Mathematik und Philosophie betreibt, bei mir aber auch seit Jahren Vorlesungen hört, befaßt sich eingehend mit Goethes naturwissenschaftlichen Schriften. Ich gab ihm die Anregung, sich in einem populären Aufsatze über Goethe und New­ton zu versuchen und denselben Ihrem Journal zuzusenden.15 Wenn dieser Aufsatz gelänge, da hätten wir den rechten Mann für die Heraus­gabe der naturwissenschaftlichen Schriften. Von diesem Gedanken sagte ich ihm nichts; ich weiß auch nicht, wie er schreibt. Aus Gesprächen aber erfahre ich, daß er den Stoff beherrscht und eine selbständige, mir richtig erscheinende Anschauung hat. Er heißt Steiner.»

Kürschner übertrug daraufhin mit Brief vom 9. Oktober 1882 dem jungen, noch völlig unbekannten Rudolf Steiner die Herausgabe von Goethes sämtlichen naturwissenschaftlichen Schriften innerhalb der «Deutschen National-Litteratur». So wurde tatsächlich die Farbenlehre zum Ausgangspunkt seines Wirkens. Der erste Band mit den morpholo­gischen Schriften erschien zum Jahresende 1883 (mit dem Eindruck «1884»); der zweite mit den Schriften zur Mineralogie, Geologie, Meteo­rologie und so weiter 1887; der dritte Band, die Farbenlehre, 1890; der vierte und fünfte Band mit den «Materialien zur Geschichte der Farben­lehre» und den Sprüchen in Prosa 1897. Später äußerte sich Rudolf Steiner darüber: «Ich verfaßte innerhalb dieses Sammelwerkes Einfüh­rungen in Goethes Botanik, Zoologie, Geologie und Farbenlehre. Wer diese Einführungen liest, wird darin schon die theosophischen Ideen in dem Gewande eines philosophischen Idealismus finden.»16

In der Einleitung zum ersten Band wurde die Bedeutung der Meta­morphosenanschauung als kopernikanisch-keplerische Tat Goethes im Bereich der Organik herausgearbeitet und mit den Worten gewürdigt:

«Lange vor Kepler und Kopernikus sah man die Vorgänge am gestirnten Himmel, diese fanden erst die Gesetze; lange vor Goethe beobachtete man das organische Naturreich, Goethe fand dessen Gesetze. Goethe ist der Kopernikus und Kepler der organischen Welt.»

Namhafte Gelehrte anerkannten es damals als Verdienst Rudolf Stei­ners, die zentrale Bedeutung Goethes für die Wissenschaft der Organik erabeitet zu haben.

Einige Monate nach dem Erscheinen des ersten Bandes trat er in einem Artikel, den er für eine Wiener Tageszeitung schrieb («Goethes Recht in der Naturwissenschaft - Eine Rettung»17) - in der «Deutschen

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Zeitung» vom 6.Juni 1884-, nun auch erstmals öffentlich für Goethes Farbenlehre ein. Darin heißt es:

... Nichts liegt Goethe ferner als das willkürliche Erschaffen leerer Himgespinste, die nicht in der Wirklichkeit wurzeln. Nur sucht er den allein für den Geist erreichbaren Kern dieser Wirklichkeit, das innere Wesen derselben, das wir voraussetzen müssen, wenn sie uns erklärlich sein soll.

Dieses Wesen zu fassen, dazu gehört Produktivität des Geistes. Es ist noch mehr hierzu nötig als die Beobachtung der Zufälligkeit einzelner Fälle. Die Gesetze gehören der Wirklichkeit an, aber wir können sie aus ihr nicht entlehnen, wir müssen sie an der Hand der Erfahrung schaffen. Allen Bahnbrechern auf dem Gebiete der engeren Wissenschaft war dieses schöpferische Vermögen des Geistes eigen. Die Erscheinungen der Pendelbewegung und des Falles waren erst begreiflich, als Galilei die Gesetze dieser Erscheinungen geschaffen hatte. Wie Galilei die Mecha­nik durch seine Gesetze begründet hat, so Goethe die Wissenschaft des Organischen. Das ist sein wahres Verhältnis zur Wissenschaft. Goethes Organik ist ebenso ein Reflex der Erscheinungen dem organischen Welt, wie die theoretische Mechanik der Reflex dem mechanischen Naturer­scheinungen ist. Die organische Wissenschaft kann ins Unendliche neue Tatsachen entdecken, selbst ihre wissenschaftliche Grundlage erweitern, der Wendepunkt, an dem sie sich von einem unwissenschaftlichen zu einer wissenschaftlichen Methode erhoben hat, ist bei Goethe zu suchen.

Kein anderer als dieser Geist beherrscht aber auch das physikalische Kapitel, dem Goethes Bestrebungen zugewandt waren: die Farbenlehre. Nur von dieser Seite kommt man diesem merkwürdigen Werke näher. Der Kampf gegen Newton war nur im Anfang die Hauptsache für Goethe, war nur Ausgangspunkt, nicht Ziel seinem optischen Arbeiten. Das Ziel war kein anderes als das, die reiche Mannigfaltigkeit der Fam­benwelt auf ein systematisches Ganzes zurückzuführen, so daß uns aus diesem Ganzen jedes Fambenphänomen ebenso verständlich wird, wie es irgendein Zusammenhang von Raumgrößen aus dem System der Mathe­matik wird. Dem Jahrhunderte überdauernde, wohlgegliederte, sich selbst tragende Bau der Mathematik stand Goethe bei dem Aufbau der Farbenlehre als Ideal vom Augen. Wenn man dieses hohe Ziel übersieht und den Streit mit Newton in den Vordergrund rückt, erweckt man von vornherein nur Mißverständnisse. Denn es gewinnt die Sache dann den

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Anschein, als ob Goethe gegen eine von Newton gefundene Tatsache gekämpft hätte, während doch sein Streben nichts anderes im Auge hatte, als eine sich selbst mißverstehende Methode, eine hypothetische Emklärung einer Tatsache zu korrigieren. Daß so betmachtet der in Rede stehende Gegensatz eine ganz andere Bedeutung gewinnt als die, die man ihm gewöhnlich beilegt, wurde wiederholt von geistvollen Denkern wie Joh. Müller, Karl Rosenkranz anerkannt. Newtons Behauptungen tra­gen eigentlich den Charakter des Aphoristischen an sich. Sie dehnen sich bloß über einen Teil der Farbenlehre, über die bei der Brechung des Lichtes entstehenden Farben aus. Sie modifizieren sich sogleich von selbst, wenn man sie in das System einfügt, das die Totalität der Farben-erscheinungen behandelt. Was hier schwer einzusehen ist, ist eigentlich nur, daß nicht Behauptung gegen Behauptung steht, sondern ein Ganzes gegen ein einzelnes Kapitel. In einer Harmonie hat man nicht bloß das Ganze aus seinen Teilen mechanisch zusammenzufügen, sondern es werden auch die Teile durch die Natur des Ganzen bestimmt.»

Es war noch kein volles Jahr nach dem Erscheinen dieses Artikels vergangen, da starb am 15. April 1885 der letzte Goethe-Nachkomme. Erbin des Nachlasses wurde die Großhemzogin Wilhelmine Marie Luise Sophie von Sachsen-Weimar (1824-1897), Tochter des Königs Wilhelm

II. der Niederlande, verheiratet mit Großherzog Karl Alexander (1818-1901), der seine Knabenjahre noch unter Goethe selbst verlebt hatte. Die Großherzogin veranlaßte sogleich die Gründung einer Goe­the-Gesellschaft und die Einrichtung eines Archivs, damit der bisher unzugänglich gewesene Nachlaß Goethes dem Welt erschlossen und eine kritische Ausgabe sämtlicher Werke in Angriff genommen werden könne. Das Goethe-Archiv, 1889 zum Goethe-Schiller-Archiv erweitert, stand unter ihrem Protektorat. Rudolf Steiner äußerte über sie später, daß man «einen wirklich unbegrenzten Respekt gewinnen [konnte] vor der Art und Weise, wie diese Oranierin, die Großhemzogin Sophie von Sachsen, den Goethe-Nachlaß pflegte, wie sie sich widmete allen Einzel­heiten, die eingerichtet wurden».18 Zum ersten Direktor des Archivs berief sie auf Vorschlag des damals in der Literaturwissenschaft tonange­benden Germanisten Wilhelm Scherer (Schönborn/Niederösterreich 1841-1886 Berlin), dessen Schüler Erich Schmidt Jena 1853-1913 Ber­lin). Am 21. November 1885 richtete an ihn die Großherzogin aus Gries bei Bozen brieflich die Frage, «wie die Publikation [von] Goethes Naturwissenschaftlichen

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Schriften durch Rudolf Stein er in dem maßgeben­den Kreise der wissenschaftlichen und der Goethe-Forschung angesehen und beurteilt wird».19

So kam es, daß durch Protektion der Großhemzogin, die Schröer sehr gewogen und sicher von ihm auf Rudolf Steiner hingewiesen worden war, Rudolf Steiner auch für die Herausgabe der Farbenlehre und der Geschichte der Farbenlehre für die Weimarer Ausgabe in Betracht gezo­gen wurde. An demselben Tag (26.Juni 1886), an dem Rudolf Steiner dem Archivdirektor Schmidt für die ihm übertragene Aufgabe dankt:

..... Besonders erfreulich ist, daß Sie mir gerade die Farbenlehre übertra­gen. Ich glaube nämlich, gerade zu diesem Teile die umfassendsten Vorarbeiten mitzubringen»,20 frug Wilhelm Scherer bei Erich Schmidt an, ob man nicht dem Direktor der Berliner Sternwarte, Förster, die Bearbeitung der Farbenlehre übertragen könnte, worauf Schmidt an­derntags, den 27.Juni 1886, antwortete: «Die Farbenlehre ist Schröers Genossen Steiner angeboten, der das Werk für Kürschners Nationallite­ratur fleißig bearbeitet hat und dessen Beteiligung die Großherzogin wünschte. >

Nachdem im Oktober desselben Jahres 1886 durch Vermittlung Kürschners im Verlag Spemann, Berlin, Rudolf Steiners erste eigene Schrift «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltan­schauung mit besonderer Rücksicht auf Schiller, zugleich eine Zugabe zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften in Kürschners Deutscher Na­tionalliteratur» sowie in der ersten Nummer dem von Schröem begründe­ten Zeitschrift «Chronik des Wiener Goethe-Vereins» (Nr.1 vom

17. Oktober 1886) der Aufsatz «Das Verhalten Thomas Seebecks zu Goethes Farbenlehre»21 erschienen waren, folgte im April 1887 der kurze Aufsatz «Hundert Jahre zurück. Zum Farbenlehre», in dem -offensichtlich im Hinblick auf die ihm übertragene Herausgabe der Farbenlehre in der Weimarer Ausgabe - die Punkte festgelegt wurden, die nach seiner Auffassung die Grundlage zur richtigen Beurteilung von Goethes Farbenlehre bilden müßten:

«Außer dem zweiten Teile des ist über kein Werk Goethes so geringschätzend geurteilt worden wie über seine Farbenlehre. Seine poe­tischen Schöpfungen werden immer mehr zur Grundlage unserer ganzen Bildung und seine gewaltige Naturauffassung mit ihren wunderbaren Konsequenzen im Reiche des Organischen erfreut sich immer mehr der

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Anerkennung derer, die Tiefhlick genug besitzen, einzusehen, daß ge­rade sie das geistige Band bildet für die Unzahl der heute auf naturwis­senschaftlichem Boden bekannten Tatsachen. Nur die Farbenlehre gilt als der mißlungene Versuch eines Mannes, dessen ganzer Geistesrich­tung die Denkweise fremd war, die in der Physik maßgebend ist. Dieser schroffen Ablehnung steht die voliwichtige Tatsache gegenüber, daß gerade die Farbenlehre die reifste Frucht von Goethes Forschen ist, daß also gerade in ihr seine Naturauffassung sich bewähren mußte. Das genügt allein schon, die Akten hierüber noch einmal zu prüfen. Viel­leicht ist die Fragestellung bisher nicht die rechte gewesen. Wir wollen uns bemühen, dieselbe wenigstens in einem Punkte zu berichtigen: was Goethes Verhältnis zur Mathematik betrifft. Gerade der Umstand, daß er kein Mathematiker gewesen, steht ja einer unbefangenen Beurteilung seiner Farbenlehre störend im Wege. Wer aber das von Goethe über Mathematik Gesagte eingehend erwägt, wird sehen, wie der Dichter bemüht war, die Grenze zu finden, wo in der Naturwissenschaft Mathe­matik am Platze ist, wo nicht. Damit wollte er zugleich das Reich seines Forschens begrenzen. Mit Rücksicht darauf ergeben sich in bezug auf diesen Punkt folgende Hauptfragen: 1. Hat Goethe diese Grenze richtig bestimmt? 2. Hat er sie gebührend berücksichtigt? und 3. Hätte er bei genauer Bekanntschaft mit der Mathematik seiner Farbenlehre eine an­dere Gestalt geben können, ohne zugleich seiner ganzen Naturauffas­sung untreu zu werden? Diese Fragen müssen künftig die Grundlage bilden, wenn es sich um die Beurteilung von Goethes Farbenlehre han­delt. Mindestens, so scheint es uns, sollte man über Goethes Farbenlehre nicht weiter den Stab brechen, ohne früher diese Fragen zu erledigen.»

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Goethes Farbenlehre in der Weimarer Ausgabe

und in der Deutschen Nationalliteratur.

Stille Auseinandersetzung mit dem Physiker Salomon Kalischer.22 «Und die Frage wurde Erlebnis: Muß man verstummen?»23

Im Herbst 1890 war Rudolf Steiner zur ständigen Mitarbeit an der großen Weimarer Goethe-Ausgabe nach Weimar übergesiedelt. Aber die Freude, die ursprünglich ihm zugedachte Farbenlehre nicht nur inner­halb der Deutschen Nationalliteratur, sondern auch innerhalb der un­gleich gewichtigeren Weimarer Ausgabe herausgeben zu können, war ihm doch nicht zuteil geworden. Nachdem der erste Archivdirektor Erich Schmidt zu Beginn des Jahres 1887 eine Berufung nach Berlin angenommen hatte und an seine Stelle Bernhard Suphan (Nordhausen 1845-1911 Weimar) getreten war, wurde im Laufe des Jahres 1888 in bezug auf die Herausgeber der 13 Bände naturwissenschaftlicher Schrif­ten umdisponiert.24 Die Farbenlehre (Band 1-5) wurde dem Fachphysi­ker Salomon Kalischer übertragen, Rudolf Steiner dafür die übrigen Gebiete (Band 6, 7, 9-12, 8 Karl von Bardeleben unter Mitarbeit Rudolf Steiners, 13 als Supplement zu 6-12 Max Morris).

Der Grund für die Umdisponierung ließ sich bisher nicht eruieren.25 Denkbar wäre, daß Kalischer die Farbenlehre für sich beansprucht hatte, da er zur gleichen Zeit wie Rudolf Steiner - nur ohne nähere Angabe -zur Mitarbeit eingeladen worden war und außerdem schon innerhalb der im Verlag Gustav Hempel, Berlin, erschienenen Ausgabe von Goethes Werken die naturwissenschaftlichen Schriften mit der Farbenlehre kom­mentiert herausgegeben hatte.

Die Hempelsche Ausgabe galt als erste kritische und hatte seinerzeit große Beachtung gefunden. Auch Rudolf Steiner hat für seine Editionen innerhalb der Deutschen Nationalliteratur von Anfang an diejenigen Kalischers berücksichtigt.26 Kalischer hatte zwar die Bedeutung der morphologischen Forschungen Goethes für die Naturwissenschaft ver­treten, aber die Farbenlehre konnte er als Newtonianer nur als Irrtum Goethes werten. In seiner mit «Berlin im Juli 1878» datierten Einfüh­rung heißt es darüber:27 «Goethe ... hatte bereits im Jahre 1780 die Überzeugung gewonnen, daß Newtons Lehre falsch sei, zwar aufgrund einer irrtümlichen Auffassung der aus dem Fundamentalsatze der New­ton'schen Optik von der verschiedenen Brechbarkeit des Lichtes sich ergebenden Folgerungen, aber eben weil er von vornherein einen falschen

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Gesichtspunkt eingenommen und sofort eine andere Anschauung über die Entstehung der Farben bei sich festgesetzt hatte, so vermochte keine Überredungskunst unterrichteter Physiker ihn von seinem Irrtume zu überzeugen...»

Wie klar sich Rudolf Steiner darüber gewesen sein muß, daß er mit seiner Auffassung von der Richtigkeit der Goetheschen Farbenlehre ganz allein stand, spricht beispielsweise aus dem Brief vom 2. November 1890, den er kurz nach seiner Übersiedlung von Wien nach Weimar und kurz nach der Fertigstellung seiner Arbeiten an der Farbenlehre an den Verleger Joseph Kürschner schrieb:

.... Je mehr ich von dem wissenschaftlichen Nachlasse hier in Weimar kennenlerne, desto klarer bestätigt sich mir alles, was ich in meinen Einleitungen ausgeführt habe. Wenn die hinterlassenen Schriften von mir redigiert erscheinen werden, dann werden sie Stück für Stück schwerwiegende Beweisgründe für meine Auffassung sein. Das gewagte­ste Stück innerhalb dieser Auffassung ist jedenfalls die Einleitung zum dritten Bande [Farbenlehre]. Aber ich sehe allen Angriffen mit gutem Mute entgegen, denn ich glaube, die Gegner dieser Auffassung werden sonderbare Augen machen, wenn ihnen der Nachlaß vorliegen wird. Dieser kann nur in der allergünstigsten Weise auf unsere Ausgabe zu­rückwirken. Ich werde mich ja auch sachlich durchaus immer auf meine Einleitungen in der Nationalliteratur beziehen müssen. Dies werde ich gegen alle Einwände durchsetzen.»28

Kurze Zeit nach diesem Brief, noch im Jahre 1890, erschien zuerst Kalischers und dann Rudolf Steiners Edition. Vergleicht man Rudolf Steiners Einleitungen mit denen Kalischers in der Hempelschen Ausgabe

- die Weimarer Ausgabe selber ist unkommentiert-, dann wird «jede Seite zu einer Auseinandersetzung zwischen einer spirituellen und einer materialistisch orientierten Weltauffassung».29 Schon in der «Vorrede» Rudolf Steiners zu seiner Einleitung heißt es in diesem Sinne:

«Wer diese Erwägungen für richtig findet, der wird diese Farbenlehre mit ganz anderen Augen lesen, als die modernen Naturforscher dies tun können. Er wird sehen, daß hier nicht Goethes Hypothese der Newtons gegenübersteht, sondern daß es sich hier um die Frage handelt: Ist die heutige theoretische Physik zu akzeptieren oder nicht? Wenn nicht, dann aber muß sich auch das Licht verlieren, das diese Physik über die

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Farbenlehre verbreitet. Welches unsere theoretische Grundlage der Phy­sik ist, mag der Leser aus den folgenden Kapiteln der Einleitung erfah­ren, um dann von dieser Grundlage aus Goethes Auseinandersetzungen im rechten Lichte zu sehen.»

Die darauf folgende «Einleitung» («I. Goethe und die moderne Na­turwissenschaft») beginnt mit den Worten:

«Gäbe es nicht eine Pflicht, die Wahrheit rückhaltlos zu sagen, wenn man sie erkannt zu haben glaubt, dann wären die folgenden Ausführun­gen wohl ungeschrieben geblieben. Das Urteil, das sie bei der heute herrschenden Richtung in den Naturwissenschaften von Seite der Fach-gelehrten erfahren werden, kann für mich nicht zweifelhaft sein. Man wird in ihnen den dilettantenhaften Versuch eines Menschen sehen, einer Sache das Wort zu reden, die bei allen längst gerichtet ist. Wenn ich mir die Geringschätzung all derer vorhalte, die sich heute allein berufen glauben, über naturwissenschaftliche Fragen zu sprechen, dann muß ich mir gestehen, daß Verlockendes im landläufigen Sinne in diesem Versuche allerdings nicht gelegen ist. Allein ich konnte mich durch diese voraussichtlichen Einwände doch nicht abschrecken lassen. Denn ich kann mir alle diese Einwände ja selbst machen und weiß daher, wie wenig stichhaltig sie sind.»

Im Folgenden wird auseinandergesetzt, daß es überhaupt nicht um die Frage geht, ob Goethe oder Newton recht habe, denn Goethes Farbenlehre bewege sich in einem Gebiet, «welches die Begriffsbestim­mungen der Physiker gar nicht berührt». Er sah in der Wellentheorie, ebenso wie Goethe, der sie noch selbst erlebte, nichts, was mit der Goetheschen Überzeugung von dem Wesen der Farbe nicht in Einklang zu bringen wäre. Die Physik dagegen kenne die Grundbegriffe der Goetheschen Farbenlehre nicht, weil Goethe Licht und Finsternis nicht als reale Wesenheiten, sondern als «bloße Prinzipien, geistige Entitäten» verstehe. Mit den Worten: «Goethe beginnt eben da, wo die Physik aufhört» schließt die Einleitung.

Aus den Reihen der Fachgelehrten kam sozusagen überhaupt kein Echo.30 Es scheinen keine Besprechungen erfolgt zu sein. Lediglich in der Bremer «Weser Zeitung» vom 3. November 1891 findet sich in dem Bericht über einen am 2. November im Naturwissenschaftlichen Verein

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gehaltenen Vortrag von einem Dr. Grosse: «Die Grundlagen der heuti­gen Farbenlehre im Gegensatz zu den Ansichten Goethes» Rudolf Stei­ners Herausgabe wie folgt erwähnt:

«Der Umstand, daß seit dem ersten Erscheinen von Goethes Farben­lehre hundert Jahre verflossen sind und daß kein Gebiet der Physik sich heute einer gleich vollkommenen wissenschaftlichen Ausbildung rüh­men kann, gibt dem Vortragenden Veranlassung zur Wahl seines The­mas. Welchen Wert der Dichter selbst auf seine Leistungen gerade auf diesem Gebiet der Naturwissenschaft gelegt hat, ist bekannt und ebenso auch, daß bedeutende Physiker, wie Dove, Du Bois-Reymond und Helmholtz, das Wort ergriffen haben, um das größere Publikum vor einer Annahme der Irrlehren Goethes zu warnen... Doch hat es dem Dichter auch nicht an Verteidigern seiner Farbenlehre gefehlt, von denen namentlich Grävell («Goethe im Recht gegen Newton») und Rudolf Steiner (Vorwort in der Kürschner'schen Goetheausgabe) zu nennen sind. Ersterer macht den als mißlungen zu bezeichnenden Versuch, die Goetheschen Ansichten in das Fahrwasser der herrschenden Undula­tionstheorie zu lenken, indem er den polaren Gegensatz von Hell und Dunkel, aus welchem Goethe die Farben ableitet, als und der Wellen zu deuten sucht, durch deren Interferenz (bei Goethe ) die Farben entstünden.31 Steiner geht von dem Gedan­ken aus, daß Goethe der Physik eine ganz andere Aufgabe zugewiesen habe als die Naturforscher. Von seinem Standpunkt aus habe Goethe recht und Steiner würde es als schönste Lebensaufgabe betrachten, die Optik in Goethes Sinne auszubauen. Es erscheint sehr zweifelhaft, ob das mit Erfolg geschehen kann, wenn auch, wie vom Vortragenden näher ausgeführt wird, der heutigen Äthertheorie noch manche Mängel anhaf­ten. Die heutige Forschung läßt aber hoffen, daß eine allgemeine Theorie gefunden wird, welche jene Mängel zu heben im Stande ist.»

So wiederholte sich für Rudolf Steiner die Erfahrung Goethes: «Man kann in der Naturwissenschaft über manche Probleme nicht gehörig sprechen, weil man die Metaphysik nicht zu Hilfe ruft; aber nicht jene Schul- und Wortweisheit: es ist dasjenige, was vor und nach der Physik war, ist und sein wird.»32 Aufgrund dieser Erfahrung begann Rudolf Steiner, als er zwei Jahre nach dem Erscheinen der von ihm edierten Farbenlehre, im Sommer 1893, eingeladen worden war, zu Goethes Geburtstag im Freien Hochstift zu Frankfurt am Main über Goethes Weltanschauung zu sprechen, seinen Vortrag damit, daß er sagte, er

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werde nur über Goethes Anschauungen vom Leben sprechen, denn seine Ideen über das Licht und die Farben seien solche, daß in der Physik der Gegenwart keine Möglichkeit vorläge, zu diesen Ideen eine Brücke zu schlagen.

Anschließend an diesen Bericht in seiner Autobiographie (Mein Le­bensgang Kap. XXIII) führt er ein Gespräch an, das er mit Kalischer geführt haben muß. Er nennt zwar selbst den Namen Kalischer nicht, aber es kann sich nur um Kalischer gehandelt haben. Das Gespräch dürfte bei dem Arbeitsaufenthalt Kalischers in Weimar zwischen Mai und Oktober 1895 stattgefunden haben.33 In der Autobiographie wird dieses Gespräch mit den Worten erwähnt: «Etwas später» - gemeint ist der Frankfurter Vortrag im Sommer 1893 - «hatte ich mit einem Physi­ker, der in seinem Fach bedeutend war und der auch intensiv sich mit Goethes Naturanschauung beschäftigte, ein Gespräch, das darin gipfelte, daß er sagte: Goethes Vorstellung über die Farben ist so, daß die Physik damit gar nichts anfangen kann, und daß ich - verstummte.»

Wie bedrückend dieses Gespräch auf Rudolf Steiner im Hinblick auf sein damaliges Anliegen, von der Naturwissenschaft her die Brücke zum Geistigen schlagen zu können, gewirkt haben muß, läßt sich daran ermessen, daß er es nicht nur in seiner Autobiographie, sondern auch in verschiedenen Vorträgen anführt, am ausführlichsten im Vortrag Stutt­gart, 18.Januar 1921 (GA 323). Darin erzählt er es so:

«Ich sprach einmal mit einem Hochschulprofessor der Physik über die Goethesche Farbenlehre. Der Mann hat sogar die Goethesche Farben­lehre herausgegeben und einen Kommentar dazu geschrieben. Ich sprach mit ihm über die Goethesche Farbenlehre und er sagte mir, nachdem wir uns auseinandergesetzt hatten, er wäre ein strenger Newtonianer. Er sagte: Bei der Goetheschen Farbenlehre kann sich ja überhaupt kein Mensch etwas denken, ein Physiker kann sich dabei nichts vorstellen. -Also der Mann ist durch seine physikalische Erziehung dazu gebracht worden, sich nichts vorstellen zu können bei der Goetheschen Farben­lehre. Ich konnte das begreifen. Es kann sich eigentlich der heutige Physiker, wenn er ehrlich ist, bei der Goetheschen Farbenlehre nichts vorstellen. »

In der Beziehung zwischen Rudolf Steiner und Salomon Kalischer gab es einige merkwürdige Koinzidenzen. So traf zum Beispiel das Manuskript Kalischers für die beiden ersten von ihm bearbeiteten Bände

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der Farbenlehre innerhalb der Weimarer Ausgabe im Goethe-Archiv an demselben Tag ein, an dem Rudolf Steiner zu seinem ersten Arbeitsbe­such dort eintraf. Und der Druck dieser beiden Bände erschien zu der gleichen Zeit wie Rudolf Steiners Farbenlehre-Edition in der Deutschen Nationalliteratur. Außerdem geschah in dem gleichen Jahr, in dem das für Rudolf Steiner so bedrückende Gespräch geführt wurde, etwas, das am Ende wiederum zu einer inneren Konfrontation führte. Es war 1895

- Rudolf Steiner war also noch in Weimar-, da wurde er mit Brief vom 17.Juni von dem ihm persönlich bekannten Literaturforscher Albert Bielschowsky (1847-1902) aufgefordert, für den zweiten Band von des­sen Goethe-Biographie «Goethe - Sein Leben und seine Werke» (2 Bände 1895-1903) das Kapitel «Goethe als Naturforscher» zu überneh­men. Aus Briefen Bielschowskys geht hervor, daß Rudolf Steiner das Manuskript zugesagt, aber erst einige Jahre später geliefert hat. Biel­schowsky hatte an seinem zweiten Goethe-Band selbst mehrere Jahre gearbeitet und ist noch vor der Fertigstellung gestorben. Der Band wurde daraufhin mit Hilfe anderer Autoren fertiggestellt. Dabei war nun das Kapitel « Goethe als Naturforscher» plötzlich Kalischer übertragen worden! In der Vorbemerkung des Verlegers (Beck'sche Verlagsbuch­handlung München) mit «Anfang Oktober 1903» datiert, heißt es: «Pro­fessor S. Kalischer erfüllte einen lang gehegten Wunsch Bielschowskys, indem er das Kapitel beisteuerte.» - Daß dies wirklich der Wunsch Bielschowskys gewesen sein soll, ist aufgrund seiner durch Jahre sich hinziehenden sehr freundschaftlichen Anmah­nungen des versprochenen Manuskriptes bei Steiner unglaubhaft. Einige Wochen nach Bielschowskys Tod wurde Rudolf Steiner von der Beck­,schen Verlagsbuchhandlung sein Manuskript mit den Worten zurückge­schickt: «Im Nachlaß Dr. Bielschowskys hat sich auch das mitfolgende kleine Manuskript über Goethes naturwissenschaftliche Arbeiten [mit einem Abschnitt über Goethes Farbenlehre, siehe Seite 49] vorgefunden, das Ew. Hochwohlgeboren die Güte hatten, zwecks Verwendung im 2. Band der Goethe-Biographie des verstorbenen Verfassers zu bearbei­ten. Zu unserem lebhaften Bedauern vermögen wir jedoch für den ge­dachten Zweck von dem Manuskript keinen Gebrauch zu machen und sehen uns daher veranlaßt, es Ew. Hochwohlgeboren zur eventuellen anderweitigen Verwertung wieder zurückzustellen.»

Jahre später äußerte sich Rudolf Steiner über den Vorfall wie folgt:

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«Eines Tages wurde ich aufgrund meiner Goethe-Schriften aufgefordert, das Kapitel über Goethes Verhältnis zur Naturwissenschaft zu schrei­ben. Das Werk erschien lange Zeit nicht, das Manuskript lag lange beim Herausgeber. Es war damals fast eine Selbstverständlichkeit, daß mir dieses Kapitel übertragen worden war, und es zweifelte auch keiner der in Betracht kommenden Menschen daran, daß dieses Kapitel gerade von mir geschrieben werden sollte. Aber da geschah etwas Merkwürdiges:

Ich hatte angefangen, das Wort Theosophie auszusprechen, ja, ich war sogar offiziell innerhalb der theosophischen Bewegung aufgetreten - und die Abhandlung wurde mir als unbrauchbar zurückgeschickt!»34

So war auch hier wieder zu Ungunsten einer spirituellen Naturan­schauung entschieden worden.

*

1896 war Rudolf Steiners Herausgabetätigkeit an den naturwissen­schaftlichen Schriften für die Weimarer Ausgabe beendet und 1897 mit den «Materialien zur Geschichte der Farbenlehre» auch für die Deutsche Nationalliteratur. Mit der ebenfalls 1897 erschienenen eigenen Schrift «Goethes Weltanschauung» mit einem Kapitel über Goethes Farbenan­schauung wurde seine l5jährige Periode als Goethe-Herausgeber abge­schlossen. Vielleicht war er damals schon zu der später geäußerten Auffassung gelangt, daß Goethes Farbenlehre von der Physik erst in der zweiten Hälfte des 20. oder sogar erst in der ersten Hälfte des 21.Jahr-hunderts verstanden werden würde.35

Der Weg führte nun von Weimar nach Berlin, wo er die Redaktion der Wochenschrift «Magazin für Litteratur» übernahm und sich als freier Schriftsteller und Vortragender betätigte. Bald darauf eröffnete sich ihm eine ganz anders geartete Möglichkeit, seine Farbenerkenntnis weiterzuführen, als er vom Beginn des neuen, des 20. Jahrhunderts an für seine anthroposophisch orientierte Geisteserkenntnis zu wirken begann.

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Der Schritt in die Darstellung

der übersinnlichen Farbenwahrnehmung

Wenn die hellsichtige Erkenntnis davon spricht:

«ich sehe rot», so bedeutet dies: ich habe im See­lisch-Geistigen ein Erlebnis, welches gleichkommt dem physischen Erlebnis beim Eindruck der roten Farbe. Nur weil es der hellsichtigen Erkenntnis in einem solchen Falle ganz naturgemäß ist, zu sa­gen: «ich sehe rot», wird dieser Ausdruck ange­wandt. Wer dies nicht bedenkt, kann leicht eine Farbenvision mit einem wahrhaft hellseherischen Erlebnis verwechseln.36

Nachdem am Anfang des Jahrhunderts mit der geisteswissenschaftlichen Lehrtätigkeit begonnen worden war, kam es auch schon bald zur Schil­derung übersinnlicher Farbenwahrnehmungen, da diese ein wesentliches Element auf der ersten Stufe der höheren Erkenntnis bilden. In den öffentlichen Schriften «Von der Aura des Menschen» (Aufsatz 1904 37), «Theosophie» (1904) und «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» (Aufsätze 1904-08, 1. Buchausgabe 1909) findet sich darge­stellt, wie das geistige Auge ebenso wie das physische Farben wahr­nimmt. Doch immer wird dabei ausdrücklich betont, daß man, was hier als Farben bezeichnet wird, nicht so sieht, wie physische Augen die Farben sehen, sondern daß man durch die geistige Wahrnehmung Ähn­liches empfindet wie bei einem physischen Farbeneindruck.

Goethe charakterisiert einmal das, was er unter «Urphänomen» ver­stand, mit den Worten:

«Urphänomen: Ideal-real-symbolisch-identisch.

Ideal, als das letzte Erkennbare;

real, als erkannt;

symbolisch, weil es alle Fälle begreift;

identisch, mit allen Fällen.»38

In diesem Sinne ist das Urphänomen der Entstehung der übersinnli­chen Farben identisch mit dem Urphänomen der Entstehung der physi­schen Farben. Denn ebenso wie die physischen Farben durch das Zu­sammenwirken von Licht und Finsternis entstehen, so auch die über­sinnlichen Farben. Gleich wie die Gegenstände der physischen Welt erst

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durch das auf sie fallende Sonnenlicht sichtbar werden, so werden auch die Gegenstände der geistigen Welt nur sichtbar, wenn sie beleuchtet werden. Dieses Licht kommt jedoch nicht von außen, sondern wird von dem geistig Schauenden selber ausgestrahlt. Es ist die durch innere Schulung erlangte Betätigung des Bildekräfteleibes, die sich mit ausstrah­lendem Licht vergleichen läßt. Wenn es auf ein sich offenbarendes Geist­wesen trifft, so wird es von diesem zurückgestrahlt. Zeigt sich zum Beispiel ein Wesen in einem blauen sternenbesetzten Kleid, so deshalb, weil Finsternis durch Licht gesehen blau erscheint, während die Sterne nicht rückstrahlende, sondern von dem Wesen aufgenommene Teile des von dem geistig Schauenden ausgestrahlten Licht sind.39

Die Schilderungen von übersinnlichen Farbenwahrnehmungen in der 1904 erschienenen Schrift «Theosophie - Einfuhrung in ubersinnliche Welt- und Menschenbestimmung» sind damals auf Mißverständnisse gestoßen und offenbar auch angefochten worden. Darum muß es für Rudolf Steiner eine gewisse Befriedigung bedeutet haben, als im Jahre 1917 durch Experimente des Wiener Arztes, Naturforschers und Krimi­nalanthropologen Moritz Benedikt eine Art Beweis erbracht wurde.40 Die Emanationswahrnehmungen seiner sogenannten dunkelangepaßten Versuchspersonen wurden von Rudolf Steiner sofort als außerordentlich interessante Phänomene besprochen.41 Insbesondere hielt er die von den Versuchspersonen wahrgenommene Rot-Blau-Polarität für so wesent­lich, daß er sie in der zu dieser Zeit von ihm neu überarbeiteten «Theoso­phie» (9. Auflage 1918 unter «Einzelne Bemerkungen und Ergänzun­gen») als zu den »interessantesten der modernen Naturlehre» gehörig anführte. Er wies aber auch gleichzeitig darauf hin, daß es sich bei den Benediktschen Untersuchungen nicht um die »geistige» Aura handle. Diese sei nicht ein »mit naturwissenschaftlichen Mitteln zu Er­forschendes», sondern nur dem geistigen Schauen zugänglich. In sei­nem in Dornach am 13.Januar 1918 gehaltenen Vortrag fügte er seinen Ausführungen darüber hinzu: »Aber eine Berührung ist doch da, so daß gerade derjenige Teil meiner , der am meisten Anfech­tungen erfahren hat, über den man am meisten geschimpft hat, jetzt schon seine Berührungspunkte mit der äußeren Wissenschaft erwiesen hat.» (GA 180).

Beschreibungen übersinnlicher Farbenwahrnehmungen ziehen sich durch das ganze weitere der anthroposophisch orientierten Geisteswis­senschaft gewidmete Werk Rudolf Steiners

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Neuer Ansatz zur experimentellen Weiterbildung

der Goetheschen Farbenlehre

Erst nach einer 2ljährigen Aufbautätigkeit für die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft mit einer Fülle von neuen Erkenntnissen über das Wesen der Farben bot sich eine Möglichkeit, an die experimen­telle Weiterbildung von Goethes Farbenlehre heranzutreten. Vor 30 Jahren, 1890, hatte er in der Einleitung zu Goethes Farbenlehre geschrie­ben: «Es fällt mir natürlich nicht ein, alle Einzelheiten der Goetheschen Farbenlehre verteidigen zu wollen; was ich aufrechterhalten wissen will, ist nur das Prinzip. Aber es kann auch hier nicht meine Aufgabe sein, die zu Goethes Zeit noch unbekannten Erscheinungen der Farbenlehre aus seinem Prinzipe abzuleiten. Sollte ich dereinst das Glück haben, Muße und Mittel zu besitzen, um eine Farbenlehre im Goetheschen Sinne ganz auf der Höhe der modernen Errungenschaften der Naturwissenschaft zu schreiben, so ware in einer solchen allein die angedeutete Aufgabe zu lösen. Ich würde das als zu meinen schönsten Lebensaufgaben gehörig betrachten. »42

In gleichem Sinne äußerte er sich auch noch im Jahre 1903 gegenüber Marie von Sivers, als er ihr in einer Reihe von Stunden mit einer Kerzen-flamme und einem Bogen Papier die Entstehung des Farben-Urphäno­mens aus Licht und Finsternis demonstrierte. Sie berichtet, daß er ihr sagte: «Wenn ich jetzt 10000 Mark hätte, um die nötigen Instrumente anzuschaffen, würde ich der Welt die Wahrheit der Goetheschen Far­benlehre beweisen können.»43

Es fehlten aber damals nicht nur die Mittel und die nötige Muße, sondern auch das notwendige Verständnis, sowohl von seiten der Physik wie auch von seiten des ihm nun verbundenen Menschenkreises. Dazu äußerte er einmal: «Ich weiß nicht, ob einige von Ihnen wissen, daß ich mich nun seit dreißig Jahren etwa immer wieder bemühe, zu zeigen, weiche tiefe Bedeutung und welchen inneren Wert die Goethesche Far­benlehre hat. Allerdings, wer sich heute für die Goethesche Farbenlehre einsetzt, der muß sich ganz klar darüber sein, daß er das. Ohr seiner Zeitgenossen nicht haben kann. Denn diejenigen, welche durch physika­lische Erkenntnisse fähig wären einzusehen, was damit eigentlich gesagt wird, wenn man von der Goetheschen Farbenlehre spricht, die sind heute ganz und gar unreif, überhaupt das Wesen der Goetheschen Far­benlehre zu verstehen. Die physikalische Phantasterei mit ihren Ätherschwingungen

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und so weiter ist heute absolut unfähig, irgendwie den Wesenskern dessen, was die Goethesche Farbenlehre ausmacht, einzuse­hen. Da muß man einfach noch einige Jahrzehnte warten. Wer über diese Dinge spricht, weiß das. Und die anderen wiederum - verzeihen Sie, wenn ich diesen Ausspruch tue-, die vielleicht vom Okkultismus her oder sonstwie anthroposophisch schon reif wären, das Wesenhafte der Goetheschen Farbenlehre einzusehen, die wissen viel zu wenig von Physik, als daß man sachgemäß über diese Dinge sprechen könnte. So ist also heute ein rechter Boden für diese Sache nicht vorhanden.»44

Dies schien anders zu werden, als mit dem Ende des ersten Weltkrie­ges sich immer mehr und mehr auch junge Wissenschaftler der Anthro­posophie zuwendeten. Als er von den Lehrern der im Herbst 1919 begründeten Freien Waldorfschule in Stuttgart gebeten wurde, ihnen zur Verlebendigung des Physikunterrichtes Vorträge über Licht- und Wär­meerscheinungen zu halten, gab er drei naturwissenschaftliche Kurse und hoffte, daß nun von seiten der jungen anthroposophischen Wissen­schaftler eine entsprechende Licht- und Wärmelehre erarbeitet werden könnte. In dem damals in Stuttgart entstandenen wissenschaftlichen Forschungsinstitut mit einer physikalischen Abteilung wurde u. a. nach seinen Angaben versucht, die Schließung des Farbenspektrums zum Kreis mit Hilfe eines Elektromagneten zustande zu bringen. Aber auch diesen Versuchen waren wiederum die Zeitverhältnisse nicht günstig. Infolge der allgemeinen schlechten Wirtschaftslage in den damaligen Nachkriegsjahren konnte das Institut nur kurze Zeit arbeiten.

Im Dezember 1923, wenige Wochen nach dem ersten Versuch, das siebenfarbige Spektrum zum Zwölffarbenkreis zusammenzuschließen, um Lebenswirkungen zu erzielen (vgl. Seite 73 und 74), begann Rudolf Steiner in der Wochenschrift «Das Goetheanum» mit der Darstellung seines Lebensganges und kam dabei nun ausführlich auf seine ersten Licht- und Farbenstudien zurück. Im Winter 1924/25 wurde ein Sonder­druck seiner Einleitungen zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften aus Kürschners Nationalliteratur vorbereitet. Seine Absicht, am Schluß dieses Sonderdruckes eine große Anzahl von Anmerkungen auch zur Farbenlehre zu schreiben, konnte er wegen seines am 30. März 1925 eingetretenen Todes nicht mehr verwirklichen.

So stand am Ende seines Wirkens genauso wie am Anfang der Einsatz für Goethes Farbenlehre als Prototyp einer geistgemäßen Naturwissen­schaft.

Verteidigung von Goethes Farbenlehre

#G291a-1990-SE033 Farbenerkenntnis

#TI

Verteidigung von Goethes Farbenlehre

Vorbemerkungen der Herausgeber

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Bei Goethe war es einfach die Verteidigung der Wahrheit, was ihn dazu getrieben hat, gegen die Newtonsche und die ganze moderne Physik sich aufzulehnen... Und deshalb ist es ganz natürlich, daß in einem Goetheanum auch die Goethesche Farbenlehre verteidigt wird.1

Die in der folgenden chronologischen Übersicht angegebenen Äußerun­gen Rudolf Steiners bezeugen seinen unermüdlichen Einsatz, die Bedeu­tung und Richtigkeit der Goetheschen Farbenlehre zu verteidigen. Die­ses umfangreichste der naturwissenschaftlichen Werke Goethes, an dem dieser über 40 Jahre lang gearbeitet hat, wird seit Goethes Zeiten von der Schulphysik als nicht wirklich wissenschaftlich abgelehnt.

Die prinzipiellen Einwände der Schulphysik lassen sich in die drei Punkte zusammenfassen: Erstens verwende Goethe in seiner Wissen­schaft von der Farbe nicht die Mathematik. Zweitens sei er «naiver Realist» geblieben, d.h. er habe die Unterscheidung zwischen den «ob­jektiv»-unfarbigen Vorgängen in der Außenwelt als Verursacher und der Sinnesempfindung als deren Wirkung im Subjekt nicht durchschaut. Drittens sei für ihn das, was die Physik als bloße «Abwesenheit von Licht», als «Nichts» bezeichnen müsse, die Finsternis, eine wesentliche Realität, nämlich die wirkende Polarität zum Licht, die für ihn auch in jeder Farbe enthalten sei.

Aus den erkenntnistheoretischen Einleitungen Rudolf Steiners zu Goethes Farbenlehre kann diesen Einwänden entgegnet werden: Bei der Mathematik muß zweierlei unterschieden werden. Einmal ihre Inhalte, das sind Großen, zum andern die mathematische Methode. Erstere, auf

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die Sinneswelt angewendet, erfassen in dieser nur das Quantitative des Weltinhaltes. Farben sind aber Qualitäten, die durch bloße Größen-Begriffe nicht erreicht werden können. - Die mathematische Methode dagegen wendet Goethe strenger an als die Physiker, indem er zum Urphänomen zurückgeht - das dem Axiom in der Mathematik ent­spricht - und von diesem aus solche Phänomene wie etwa die prismati­schen Farben - als schon kompliziertere Erscheinungen des Grundphä­nomens - schrittweise ableitet und verständlich macht, nicht aber mit ihnen beginnt, wie es Newton getan hat. (Siehe dazu Rudolf Steiners Aufsatz «Goethes Recht in der Naturwissenschaft - Eine Rettung» (1884) und die Einleitungen zu Band II von Goethes naturwissenschaft­lichen Schriften in Kürschners Deutsche Nationalliteratur, Abschnitt:

«Goethe und die Mathematik».)

Zur Frage der «Subjektivität der Sinnesempfindung» zeigt Rudolf Steiner auf, wie die Gedankenfolge, die zu dieser Annahme geführt hat, sich selbst aufhebt, wenn sie konsequent zu Ende gedacht wird. Wenn nämlich alle Sinneswahrnehmungen nur Produkte des Gehirns sind, wie behauptet wird, denen als solche keine «objektive» Realität zukomme, so kommt auch dem Gehirn selbst keine Realität zu, denn auch dieses muß wahrgenommen werden! Es wäre demnach auch das Gehirn nicht «objektiv» existent, womit der ganze Gedankengang und alle seine Fol­gerungen hinfällig werden. Was an die Stelle des falsch Gedachten als neue theoretische Grundlage von Physik und Physiologie zu treten hat und Goethe instinktiv richtig handhabte, bringen die genannten Einlei­tungen als sicheres Erkenntnisfundament hinzu (siehe hierzu namentlich die Einleitungen zu Band III, IV und V). Aus diesen geht hervor, daß ein prinzipieller Denkfehler gemacht wird, indem die meßbaren Vorgänge, sowohl in der Außenwelt als im Leibe des Menschen, als die «Ursachen» der Sinnesempfindung betrachtet werden, da sie in Wirklichkeit nur Vermittlungsvorgänge sind, gewissermaßen Transportmittel für die ob­jektiven Qualitäten der Welt ins Bewußtsein des Menschen. (Siehe das Kapitel «Das Urphänomen» in den Einleitungen zum III. Band «Farben­lehre».)

Und zur Realität der Finsternis verweist Rudolf Steiner auf die Zu­stände unseres Bewußtseins, das durch Licht geweckt, durch die Finster­nis wie eingeschläfert, wie ausgesaugt wird, so daß alles dasjenige, was dieses Bewußtsein herabmindern will: optische Dunkelheit, aber auch Druck, Schwere und ganz allgemein Stofflichkeit, als Finsternis dem

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Licht - verwandt mit «Leichte»-, dem «Imponderablen», polar gegen­übersteht und sich dem Bewußtsein entziehen will.2

Goethes starkem Bewußtsein offenbart sich die Weltmacht Finsternis als eine ebenso wesenhafte Realität wie die des Lichtes Aus ihrem Zusammenwirken erstehen die Farben, wie es Goethe als Urphänomen darlegt. Als echte «Polarität» formuliert Rudolf Steiner für Rot: «die Aktivität des Lichtes in der Finsternis», für Blau: die «Aktivität der Finsternis in der Helligkeit» (GA 320).

Ein weiterer gegen Goethes Farbenlehre oft gemachter Einwand be­zieht sich auf seine erste Beobachtung: daß eine weiße Wand, durchs Prisma betrachtet, weiß bleibt. Aus dieser Tatsache mußte Goethe ent­nehmen, daß die Farben nicht im Licht enthalten sein können. Das wird ihm von den Physikern zumeist als Irrtum ausgelegt. Dabei stützt man sich auf eine Erklärung von Hermann Helmholtz, die aber unzutreffend ist: «Betrachtet man eine breitere helle Fläche [durchs Prisma], so fallen, wie eine leichte geometrische Untersuchung zeigt, die Spektra der in ihrer Mitte gelegenen Punkte so übereinander, daß alle Farben überall in dem Verhältnisse, um weiß zu geben, zusammentreffen. Nur an den Rändern werden sie teilweise frei.»

Dagegen muß gesagt werden, daß es diese «Spektra der in ihrer Mitte gelegenen Punkte» in Wirklichkeit gar nicht gibt, sie sind nur gedanklich konstruiert, könnten auch gar nicht so «zusammentreffen», daß sie «Weiß ergeben». Würden doch die Spektra «der in ihrer Mitte gelegenen Punkte», die ja alle in ihrer Mitte wieder das Grün hätten, indem sie übereinanderfallend gedacht werden müßten, nur ein um so stärkeres Grün ergeben, niemals aber das tatsächlich gesehene Weiß.

Durch Rudolf Steiners grundlegende Aufklärung und Fortführung dessen, was Goethe in seiner Farbenlehre begonnen hat, ist der Weg zu weiteren Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet freigelegt worden. Schon am Schluß seiner Einleitung zum ersten Band von Goethes natur­wissenschaftlichen Schriften heißt es: «Möchten jugendlich strebende Denker und Forscher, namentlich jene, die mit ihren Ansichten nicht bloß in die Breite gehen, sondern direkt dem Zentralen unseres Erken­nens ins Auge schauen, meinen Ausführungen einige Aufmerksamkeit schenken und in Scharen nachfolgen, um vollkommener auszuführen, was ich auszuführen bestrebt war.»

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Chronologische Übersicht der Äußerungen Rudolf Steiners

A. Schriften

1890 J. W. Goethe. Naturwissenschaftliche Schriften. 3. Band: Beiträge zur Optik. Zur Farbenlehre. Enthüllung der Theorie Newtons, mit Einleitungen, Fußnoten und Erläuterungen im Text herausgegeben von Rudolf Steiner. GA 1 c

1896 Goethes Weltanschauung (Kap.: Die Betrachtung der Farbenwelt). GA 6

1897 J. W. Goethe. Naturwissenschaftliche Schriften, 4. und 5. Band:

«Materialien zur Geschichte der Farbenlehre«. Mit Einleitungen, Fußnoten und Erläuterungen im Text herausgegeben von Rudolf Steiner. GA ld + le

1914 Die Rätsel der Philosophie (Kap.: Reaktionäre Weltanschauungen) Vom Gegensatz zwischen Goethe und Newton. GA 18

1916 Vom Menschenrätsel (Kap.: Ausblicke). Vom Gegensatz zwischen Goethe und Newton. GA 20

1923 1925 Mein Lebensgang (Kap. V XXXII, XXXVI). GA 28


B. Aufsätze

1884 Goethes Recht in der Naturwissenschaft. Eine Rettung. GA 30

1886 Über das Verhältnis Thomas Seebecks zu Goethes Farbenlehre. GA 30

1887 Hundert Jahre zurück. Zur Farbenlehre. GA 30

1889 Goethes Erkenntnisart und seine Farbenlehre. (In diesem Band Seite 41.)

1895 Goethes Verhältnis zur Naturwissenschaft. (Auszug (über Farben­lehre) in diesem Band Seite 49.)

1900 Von der modernen Seele. Über den Gegensatz Goethe/Newton. GA 32

1923 Der notwendige Wandel im Geistesleben der Gegenwart. (Über Herman Grimms unstatthafte Stellungnahme gegenüber Goethes Farbenlehre). GA 36

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C. Vorträge

1903

Sommer Komplementärfarben, farbige Schatten, objektive und subjektive Farbempfindungen. (In diesem Band Seite 54 f.)

1904

28. April In nicht zu ferner Zeit wird man alles, was heute als Einwand gegen Goethes Farbenlehre existiert, als veraltetes Vorurteil erkennen.

GA 52

1906

2.Juni Goethe über die Wahrnehmung von Farbe und Licht. GA 94

1910

21. Aug. Die Physik hat noch kein Organ, das Wesen der Goetheschen Farbenlehre zu verstehen und die, die von Okkultismus oder An­throposophie etwas verstehen, wissen zu wenig von Physik. GA

122

1911

28. Aug. Goethes Farbenlehre wird man in der Physik vielleicht erst in der zweiten Hälfte des 20. oder in der 1. Hälfte des 21.Jahrhunderts verstehen. GA 129

1912

29. Dez. Die Notwendigkeit, okkulte Prinzipien mit wirklicher Wissen-schaft zu verbinden, forderte von Rudolf Steiner das Eintreten für Goethes Farbenlehre. GA 142

1914

12. Dez. Goethes Farbenlehre wird zur rechten Geltung kommen in demsel­ben Maße, in dem die Geisteswissenschaft die Menschen durch­dringt. GA 156

1915

7. März Goethes Farbenlehre wird man begreifen, wenn man die Zusam­menhänge des Physischen mit dem Geistigen erkennen wird. GA

159

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12. März Der Wert der Farbenlehre Goethes gegenüber derjenigen Newtons.

GA 64

18. Mai Der Kampf Goethes gegen Newton - ein Kampf des geistigen mit dem materialistischen Prinzip. GA 159

1916

16. Febr. Über die sinnlich-sittliche Wirkung der Farben. GA 168

25. Febr. Seit 35 Jahren bemühe ich mich, die ganze Bedeutung der Goethe­schen Farbenlehre darzustellen. Goethe/Newton. Grävells Schrift «Goethe im Recht gegen Newton». GA 65

12. März Goethes Farbenlehre geht aus dem tiefen Verwachsensein der Seele mit der Welt hervor, die Newtons aus der mechanischen Weltbe­trachtung. GA 1 74b

9. Okt. Goethes großes Verdienst, die physikalischen und physiologischen Erscheinungen bis an das menschliche Seelenleben heranzuführen (sinnlich-sittliche Wirkung der Farben). Bisher nur in der Zeit­schrift «Die Menschenschule», Jg. 1962.

28. Nov. Goethe erobert in seiner Farbenlehre für die Wissenschaft, was bei Dürer und Rembrandt als Hell-Dunkel-Weben künstlerisch zum Ausdruck kommt. Auch die Wissenschaft wird noch einmal so weit kommen anzuerkennen, daß «in dem Hell-Dunkel ein elementari­sches Weben zu sehen ist, auf dessen Wogen der Ursprung der Farben zu suchen ist». GA 292

1917

26. Dez. Goethes Farbenlehre liegt zugrunde, daß er das Kombinieren und Interpolieren der Tatsachen aus der Wissenschaft ausmerzen und die Phänomene auf die Urphänomene zurückführen wollte. GA

280

1918

18. Jan Goethe kannte die Fraunhofer'schen Linien. GA 180

5. Mai Über die moralische Wirkung der Farben in Goethes Farbenlehre.

GA 271

29. Sept. Goethes Farbenlehre als Beispiel für das Grundwesen des Urphä­nomens. GA 273

15. Okt. Mit dem Urphänomen steht man unmittelbar vor dem Übersinnli­chen. GA 73

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1919

22.Juni Goethes Farbenlehre im Gegensatz zur Atomtheorie der Physik.

GA 192

30. Nov. Goethe strebte nicht nach dem Naturgesetz, sondern nach dem S. Dez. Urphänomen. GA 194

25. Dez. Goethes erster Versuch mit dem Prisma. GA 320

1920

1. Febr. Im Westen können Religion und Naturwissenschaft zweigeteilt nebeneinander bestehen, nicht in Mitteleuropa: «Nicht immer geht es ja so, daß in einer so scharfen Opposition dieser Denkergesin­nung opponiert wird, wie von Goethe dem Newtonismus oppo­niert wurde.» GA 196

6. Febr. «Heute gilt es noch als Wahnsinn, wenn man auf Seiten Goethes gegen Newton steht, wenn man sich mit Goetheschen Vorstellun­gen über physikalische Erscheinungen beschäftigt.» GA 196

22. April Goethes Farbenlehre ist ein erster Anfang zu einer vernünftigen Betrachtung des seelisch-physischen Lebens. Sie wird in kurzer Zeit vor den Augen der Physiker anders dastehen. GA 301

23. April Wie am 22. April; ferner über Nachbild und Erinnerung. GA 301

17.Juni Über die Einleitungen zu Goethes Farbenlehre. GA 198

14., 20. Über die Gültigkeit der Kommentare zu Goethes Farbenlehre. GA

August 199

21. Sept. Annäherung von Farben- und Tonerlebnissen im Sinne von Goe­thes Farbenlehre. GA 302a

28. Sept.- Goethes Farbenlehre: ein strenges Stehenbleiben innerhalb des

2. Okt. Phänomenalismus (28.9.) - Goethe verlangt ein Hineintragen der Mathematik in die Phänomene; die Urphänomene sollen die empi­rischen Axiome sein, was in der Farbenlehre durchgeführt ist (29. und 30.9.). GA 322

1921

S. April Goethes berechtigte Ablehnung des Mathematischen in der Far­benlehre. GA 76

8. August Goethes Farbenlehre. Die Rot-Blau-Polarität als Urphänomen. -Diskussionen mit Physikern heute durchaus noch unfruchtbar. GA

320

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15. Okt. Nicht Licht, sondern nur Farben werden wahrgenommen. Nur eine Farben-, nicht eine Lichtlehre hat Hand und Fuß. Es brauchte den gesunden Natursinn Goethes, damit nicht eine Optik, sondern eine Farbenlehre zustande kam. GA 207

1922

20.-23. Okt. Farben sind Taten und Leiden des Lichtes. GA 218

27. Dez. Goethe und Newton. GA 326

1923

21. Febr. Das Urphänomen der Goetheschen Farbenlehre in Morgen- und Abendröte und der Himmelsbläue. «Man kann nicht wirklich die Natur verstehen, ohne daß man auch zur Goetheschen Farbenlehre kommt. Deshalb ist es ganz natürlich, daß in einem Goetheanum auch die Goethesche Farbenlehre verteidigt wird.« GA 291

1924

4.Jan. Man muß wirklich von der geistigen Welt gar nichts mehr wissen, wenn man im Sinne der Newtonschen Farbenlehre sprechen kann. Goethe stand nach außen hin allein da, aber es gab doch auch noch am Ende des 18.Jahrhunderts Wissende, die wußten, wie innerhalb des Geistigen die Farbe erquillt. GA 291

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TEXTE VON RUDOLF STEINER

Über Goethes Erkenntnisart und Seine Farbenlehre

Stenographische Aufzeichnungen aus einem Notizbuch aus demjahre 1889 3

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Was Goethe unter Erkennen eigentlich versteht, wird uns klar, wenn wir die drei Stufen geistiger Tätigkeit betrachten, durch die sich in seinem Sinne der Mensch zur höchsten uns möglichen Auffassung der Dinge erhebt.

Ich habe bereits vor mehreren Jahren darauf hingewiesen, daß Goethe diese seine Anschauungen in einem eigenen Aufsatz nie­dergelegt haben müsse, den er 1798 an Schiller geschickt hat, und ich habe damals versucht, nach dem Briefwechsel den Inhalt dieses Aufsatzes, der möglicherweise verlorengegangen sein könnte, möglicherweise aber auch sich noch finden könnte, zu rekon­struieren.4

Ich sagte damals, Goethe unterscheide drei Stufen des Natur-erkennens: erstens den Standpunkt der gemeinen Empirie, die es mit dem empirischen Phänomen zu tun hat. Dieser Standpunkt sammelt die einzelnen Erscheinungen, beschreibt und ordnet sie für den Geist.

Der zweite Standpunkt ist der des gewöhnlichen wissenschaft­lichen Erkennens, der es mit dem wissenschaftlichen Phänomen zu tun hat. Hier werden die Erscheinungen, wie sie uns in der Natur entgegentreten, zum Versuch gesteigert. Der Mensch beob­achtet die Natur nicht nur, er richtet die Bedingungen selbst so ein, daß die Natur auf bestimmte Fragen, die er an sie stellt, Rede und Antwort steht. Durch eine von ihm zusammengestellte Reihe von Bedingungen erscheint ein Phänomen, das sonst gerade in

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dieser Weise in der Natur nicht erscheinen würde. Aber es bleibt immer ein einzelnes Phänomen.

Der Geist muß sich nun über dieses Einzelne hinaus erheben, es nicht mehr als Einzelnes ansehen, sondern als Glied einer Kette.5 Er muß das Wesentliche sondern vom Zufälligen, das Dauernde von dem Vorübergehenden, er muß in dem einzelnen Phänomen nur ein Beispiel, nur ein Symbol für ein Naturgesetz, für eine Idee sehen. Dann hat die Natur zu ihm gesprochen. Dann hat er aber gar nicht mehr dieses einzelne Phänomen vor sich, sondern ein höheres allgemeines Phänomen. Das Einzelne ist nur ein Beispiel, durch welches sich das Allgemeine ausspricht. Dann hat er das rationelle Phänomen, und damit ist es ihm gelungen, die dritte Form der Erkenntnis zu erklimmen.

Wem das Verständnis für diese dfitte Art des Erkennens ab­geht, der wird Goethe nie verstehen. Und die ganze moderne Naturauffassung ist leider weit entfernt von derselben. Wir müs­sen nur den Mut haben, uns das zu gestehen trotz der großartigen Entwicklungen im einzelnen, welche dieselbe gemacht hat. Wir müssen den Mut haben, es offen und frei herauszusagen: die Naturwissenschaft versteht Goethe nicht. Und wie wenig gerade von dieser Seite zu einer Würdigung seines Wesens beigetragen worden ist, das eben wird die Weimarer Ausgabe zeigen.

Die moderne Naturwissenschaft bleibt leider bei der zweiten Stufe des Erkennens stehen. Und wenn, wie es zum Beispiel jüngst von Jordan geschehen ist, wie es vor Jahren von Du Bois­Reymond geschehen ist 6 und wie es immer wieder nachgebetet wird, Goethe überhaupt der wissenschaftliche Sinn abgesprochen wird, so heißt das in unsere Sprache übersetzt nichts anderes als:

Jene, welche diesen Vorwurf machen, haben einfach kein Organ für die dritte Stufe des Erkennens; ihnen sind die Offenbarungen dieser Stufe verschlossen. Was hier gefunden wird, das verstehen sie nicht. Sie betrachten es deshalb als unwissenschaftliche An­schauungen des Dichters.

Diese Meinung wird nun durch die Weimarer Schätze gründ­lich widerlegt. Wir sehen hier, wie Goethe sich eingehend mit dem

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gesamten Geistesschatz seiner Zeit befaßt, wir sehen ihn mit Che­mie, Physik, Astronomie, Geologie, Botanik, Mineralogie be­schäftigt. Kein Problem, das in diesen Wissenschaften die Geister eben beschäftigt hat, bleibt außerhalb seines Kreises. Mit gründli­cher Umsicht arbeitet er sich durch alles durch. Selbst die Mathe­matik, für die Goethe nur zu oft vollständig der Sinn abgespro­chen wird, wird studiert.

Man bekommt angesichts dieser Schätze unbedingt die Über­zeugung, daß Goethe auf der vollen wissenschaftlichen Höhe seiner Zeit stand. Angesichts dieser Tatsache, die durch die gei­stige Hinterlassenschaft Goethes über allen Zweifel sichergestellt ist, erscheinen jene Behauptungen von dem Goethe abgehenden wissenschaftlichen Sinn in ihrer ganzen Nichtigkeit. Wir haben am Weimarer Goethe-Archiv den Beweis für die ernste, solide wissenschaftliche Größe der Goetheschen Weltansicht, und ich sage ausdrücklich für die wissenschaftliche Größe der Goethe­schen Weltansicht.

Denn was uns in seinen wissenschaftlichen Werken vorliegt, das ist durchaus ein Bekenntnis zu jener dritten Stufe des Erken­nens, von der ich gesprochen habe; hier schon hat er die zweite Stufe überwunden. Er gibt uns nur die höchste Frucht seiner Studien. Dem Tieferblickenden war freilich bei einer Betrachtung dieser Schriften jene Größe klar. Wer sich aber zu diesem Stand­punkt nicht aufschwingen konnte, der verstand Goethes Schriften nicht.

Und hierin sehe ich einen Hauptteil der Aufgabe des Goethe-Archivs. Es muß seine Aufgabe darinnen erblicken, uns die Durchgangspunkte zu zeigen, durch welche sich Goethe durchge­rungen hat, und es muß auf diese Weise uns erheben zu jenen Höhen, die Goethe erstiegen hat.

Wir wissen, daß Goethe einmal zu Eckermann gesagt hat:7 seine Werke können nicht populär werden. Sie sind für wenige Gebildete, die gleiche Empfindungen, gleiche Anschauungen ha­ben, verständlich. - Aber diese Wenigen werden immer mehr werden, wenn uns durch Erkenntnis des Weges, wodurch Goethe

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auf seine geistige Höhe gekommen ist, wenn uns seine geistige Hinterlassenschaft Führerdienste auf diesem Wege leistet.

Ich sehe nun den Hauptgewinn gerade in dem, was dem Ver­ständnis seiner wzssenschafthchen Anschauung von Weimar aus neu erwächst. Glauben Sie aber nicht, daß da nicht auch gleich neues Licht auf seine poetischen Leistungen fallen wird. Aber ein großer Teil der Überzeugungen, Empfindungen und Gedanken, die den organischen Bau seines dichterischen Werkes durchdrin­gen, ist in seinen wissenschaftlichen Leistungen zu finden.

Ich habe so mit gutem Mut und voller Zuversicht auf die bestimmte Richtung eines wissenschaftlichen Zweckes schon vor einer Reihe von Jahren Goethes wissenschaftliche Schriften zum Gegenstand meiner eingehenden Betrachtungen gemacht; denn ich erwartete davon eine Förderung der ganzen Auffassung von Goethes Wesen. Ich habe auch alle meine Studien in den Dienst dieser Arbeit gestellt und habe die Freude manchen Zuspruchs erlebt, wiewohl auch entschiedener Widerspruch nicht ausblieb.

Dieser Widerspruch ist gerade dem Gegenstand gegenüber eine selbstverständliche Sache. Denn von Goethes wissenschaftlichen Leistungen ist nur die Farbenlehre als vollständig in allen Teilen systematisch durchgeführtes Werk vorhanden. Dann liegt uns noch der Versuch über die Metamorphose der Pflanzen vor, der ja als ausgeführte Monographie gelten kann. Alles andere ist frag­mentarisch.

Großartige Ideen wechseln zum Beispiel in der Anatomie, Bot­anik, namentlich in der Geologie und Mineralogie mit Andeutun­gen oder wohl gar bloßen Schematisierungen. Da war mancher ergänzende Gedanke notwendig, da mußten die Übergänge selbst geschaffen werden. Es mußten oft die Voraussetzungen zu den von Goethe ausgesprochenen Konsequenzen selbständig festge­stellt werden. Es mußte auf ein Ganzes Goethescher Weltauffas­sung hingearbeitet werden, dem die fragmentarischen Bestandteile widerspruchslos eingereiht werden konnten.

Aber gerade wegen des fragmentarischen Charakters der Goe­theschen Schriften haben wir eine Reihe einander vollständig zuwiderlaufender

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Auffassungen seiner Anschauungsweise. Von der Partei, die in ihm den reinen Platoniker sieht, der in abstrakten ideellen Schemen das «Um und Auf» der Wissenschaft sucht, bis herab zu jenen, die ihn als Materialisten und Realisten im Sinne der modernen physikalischen Schule einerseits, der Darwinianer andererseits erklären, haben wir alle Zwischenstufen. Ein jeder sucht sich sodann jene Stellen der Goetheschen Schriften heraus, die ihm zur Bestätigung seiner vorgefaßten Meinung dienen.

Wer auf eine direkte Erfassung Goethes selbst geht, der findet, daß Goethe über alle diese Standpunkte eben erhaben ist. Wer etwas tiefer in das Getriebe des menschlichen Geistes hineinge­schaut hat, der findet schließlich, daß niemand etwas so Verkehr­tes und Unlogisches sagt, daß es nicht seine gewisse, wenn auch eingeschränkte Wahrheit hätte. Aber es besteht eben der Mangel vieler Geister, daß sie über diese Beschränkung nicht hinauskom­men können.

Wer könnte zum Beispiel sagen, daß die mechanische Natur-auffassung falsch sei. Sie hat für gewisse niedere Stufen des Natur-daseins ihre volle Berechtigung und bietet für dieses Gebiet eine ausreichende Erklärung. Aber schon wenn wir heraufkommen in das Reich der Sinnesempfindungen, da, wo sich der Mensch, dieser nach Goethes Ausspruch vollkommenste physikalische Ap­parat,8 der Welt gegenüberstellt, da hört das bloß Mechanische auf, da erscheint die mechanische Auffassung als eine völlig un­genügende.

Hieran liegt es, warum sich Goethe mit einer eigenen Farben­lehre der Newtonschen gegenüberstellte. Von da aus muß die Würdigung der Goetheschen Farbenlehre ausgehen. Sie wird uns dann in einem völlig neuen Licht erscheinen als Ergänzung des­sen, was der bloß physikalischen Newtonschen Farbenlehre eben fehlt. Es ist gewiß, daß Goethe besser getan hätte, wenn er die etwas leidenschaftliche Polemik gegen Newton und seine Schule unterlassen hätte. Durch Hervorkehrung des Widerspruches wur­den die Gegner nur verbittert. Das hat Goethe später auch einge­sehen. Deshalb finden wir eine letztwillige Verfügung, wonach

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der polemische Teil der Farbenlehre eigentlich aus seinen Werken weggelassen werden sollte. Der systematische sollte für sich allein sprechen. Wir sind nun freilich nicht in der Lage, diese Verfügung auszuführen.9 Denn es hat niemand ein Recht, ein Goethesches Werk den Augen der Welt zu entziehen. Aber unsere Auffassung können wir wenigstens in dem Sinne gestalten, daß der von Goe­the in seinem Testament angedeuteten Absicht Rechnung getragen wird.

Was Weimars Goethe-Archiv uns ist auf Grund persön licher Erfahrung

Kurzer Bericht über einen Vortrag Rudolf Steiners

im Goethe-Verein in Wien, 22. November 188910

Freitag, den 22. November 1889, eröffnete Herr Rudolf Steiner die Reihe der Goethe-Abende mit einem hochinteressanten Vor-trage über das «Goethe-Archiv in Weimar».

Herr Steiner ist mit der Herausgabe der naturwissenschaftli­chen Schriften Goethes betraut und hatte im Sommer Gelegen­heit, das Goethe-Archiv eingehend zu studieren. Er schilderte ausführlich die im Goethe-Hause ausgestellte naturhistorische Sammlung und wies ausdrücklich auf den hohen Wert des wissen­schaftlichen Nachlasses hin. Aus ihm werde klar werden, auf welchem Wege der Dichter die Höhen des Lichtes erklommen und daß der Meister auf jedem Gebiete ein unermüdlicher For­scher gewesen und als geistiger Mittelpunkt des Zeitalters gegol­ten habe.

Der Vortragende ging von dem Gedanken aus, daß wir Goethe gegenüber eine zweifache Aufgabe zu erfüllen haben. Die eine bestehe darin, die großartige Erscheinung des Dichters allseitig zu

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erfassen und zu würdigen, die Entstehung seiner Schriften aus seinem Seelenleben zu begreifen und die Beziehungen seiner Werke zueinander in das gehörige Licht zu setzen. Mit dieser rein historischen Seite der Sache sei aber nur der geringste Teil dessen erreicht, was wir Goethe gegenüber zu erreichen haben. Der weit wichtigere sei darin zu suchen, daß wir, soweit es Aufgabe eines jeden einzelnen von uns ist, an der Fortentwicklung unserer Kul­tur in dem Sinne teilnehmen, der uns durch Goethe erschlossen worden ist. - Die Kulturperspektive, die er für die Zukunft eröff­net hat, müsse die unsere sein. Wir haben den Gedankengängen, die bei ihm einen großartigen Anfang finden, nachzugehen; wir haben die Fragen der Wissenschaft, der Kunst, des Staates von seinem Standpunkte aus der Lösung zuzuführen. Wir müssen uns emporarbeiten zu jener Art des Schauens, durch die ihm so ein­dringende Erkenntnisse aufgegangen sind, durch die er aber auch gegenüber allen Disharmonien des Lebens die selige Ruhe des wahrhaft Weisen gefunden hat. Darinnen aber müsse Weimars Goethe-Schiller-Archiv Führer werden. Wer diese klassische Stätte betritt, den überkomme ein Hauch jenes gewaltigen Ethos, das von Goethe ausgehend sich über all seine Werke ausbreitet. Wer da hineinblickt in die Werkstätte des Goetheschen Dichtens und Denkens, wer an der Hand der hinterlassenen Schätze die Wege nachzugehen in der Lage ist, die jener Geist gewandelt, um die Höhe seines Schaffens zu erreichen, dessen Inneres wird mächtig emporgehoben unter der Einwirkung des ideellen Ernstes und der hohen Sittlichkeit der Goetheschen Lebensführung und Weltauffassung. Er sehe, wie jede Idee dieses Genius zurück­geht auf geistige Kämpfe, die er in seinem Innern durchgemacht hat, wie jede Überzeugung, die er ausgesprochen, der Abschluß eines Geistesprozesses ist, den wir in sehr vielen Fällen genau verfolgen können. Wir können an den hingeworfenen Notizen oft ganz genau den Augenblick sehen, wo eine Idee in seinem Geiste aufblitzt, die dann fruchtbringend auf sein Schaffen ein­gewirkt hat.

Namentlich werde Goethes wissenschaftliche Bedeutung durch

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die Weimarer Publikationen klarer vor unseren Blicken stehen, als das bis jetzt der Fall sein konnte. Die bare Flachheit, die sich bis nun noch immer richtend an Goethe heranwagt, werde verächt­lich abgewiesen werden von allen Gebildeten, denen aus Weimars handschriftlichen Schätzen neue Einsichten aufgehen werden.

Wichtiges haben wir auch von den Tagebüchern zu erwarten. Sie werden uns ja genaue Aufschlüsse nicht nur über das äußere Leben des Dichters, sondern auch über den Entwicklungsprozeß seines Innern bringen, sie werden zeigen, wie er von Stufe zu Stufe fortschreitet bis zu jenem «geistigen Montserrat», wo er sich zwar unverstanden und einsam, aber dafür von den tiefsten Ideen er­leuchtet fühlt. Goethe habe nicht nur über sein äußeres, sondern vor allem über sein inneres Leben Buch geführt.

Von besonderer Bedeutung sei aber auch der Briefwechsel. Das geistige Leben in Deutschland von 1790 bis 1832 nehme sich wie ein gewaltiger Organismus aus, dessen Seele Goethe ist. Von ihm geht ein unmittelbar persönlicher Einfluß auf die bedeutendsten Zeitgenossen aus, und diese wirken wieder auf ihn zurück. Dieses großartige Netz geistiger Interessen wird der Briefwechsel erst klarmachen.

Die Veröffentlichung der wissenschaftlichen Schriften, Tage­bücher und des Briefwechsels Goethes werden vor allem ein un­sterbliches Denkmal sein, das sich Weimars hochsinnige Fürstin setzt.11 Damit sei der Beweis geliefert, daß man in Weimar mit ebensoviel Verständnis die Hinterlassenschaft des großen Deut­schen zu fördern weiß, wie man einst verstanden hat, dem Manne die Grundlage zu schaffen, auf der er seinen Bau zu den Höhen der Menschheit aufführen konnte.

Es sei das Verdienst Professor Suphans,12 des humanen, lie­benswürdigen Direktors des Archivs, und der edlen Nachkom­men Schillers, daß seit etwas mehr als einem Jahre auch Schillers Nachlaß dem Archiv einverleibt ist. Schiller gehöre zu Goethe. Durch Schiller sei ja der Nation der Weg zu Goethe erst recht eröffnet worden. Wie er den großen Freund betrachtete, das sei das Ideal aller Goethe-Forschung.

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Über Goethes Farbenlehre

Aus einem Manuskript «Goethes Verhältnis zur Naturwissenschaft»

aus dem Jahre 139513

Goethe wollte alles zur Erklärung der Naturerscheinungen Not­wendige aus der Natur selbst entnehmen. Dies hat sich bei Be­trachtung seiner Studien über die organische Welt gezeigt. Nicht weniger klar kann man diese Grundanschauung seines Geistes an seiner Farbenlehre beobachten. Dieses Gebiet der Naturwissen­schaft wurde zu Goethes Zeit auf Voraussetzungen gebaut, die nicht aus der Natur entnommen sind. Und auch heute trägt es noch diesen Charakter. Die Anschauung des Auges liefert Hell und Dunkel und die Mannigfaltigkeit der Farben. Die Beziehun­gen zwischen diesen Anschauungselementen sucht die Farben­lehre zu entdecken. Das Licht ist das absolut Helle; sein Gegen­satz das absolut Dunkle. Goethe mußte, gemäß seiner ganzen Naturanlage, bei der sinnlichen Wahrnehmung des Lichtes ste­henbleiben. Newton, der Begründer der neueren Farbentheorie, tat das nicht. Er war der Ansicht, daß das Licht noch etwas anderes sei, als was es sich dem Auge unmittelbar darstellt, und zwar ein außerst feiner Stoff. Was sich der Wahrnehmung als Licht darstellt, soll außerhalb der Wahrnehmung in der Wirklich­keit Stoff sein. Und zwar soll das weiße Licht, wie es z. B. von der Sonne zur Erde gelangt, ein zusammengesetzter Stoff sein. Durch das Prisma wird dieser zusammengesetzte Stoff in seine einzelnen Bestandteile, welche eben die sieben Hauptfarben sind, zerlegt. Es wird also von dieser Theorie ein anschaulicher Vorgang, nämlich das Auftreten von Farben im beleuchteten Raume, durch einen nicht anschaulichen, hypothetischen Vorgang erklärt. Die gegen­wärtige Naturwissenschaft steht auf einem ähnlichen Stand­punkte. Nur hat sie an die Stelle des Stoffes eine Wellenbewegung dieses Stoffes gesetzt. Mit einer solchen Ansicht konnte Goethe nichts anfangen. Innerhalb der Welt des Auges sind weder Stoffe noch Bewegungen gegeben, sondern lediglich Licht- und Farbenqualitäten.

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Mit ihnen allein will er operieren, nicht mit hypotheti­schen Wesenheiten, die innerhalb der Erfahrung nicht gefunden werden können. Er beobachtet, wie sich die sinnlichen Wahrneh­mungselemente des Auges zueinander verhalten. Er bemerkt, daß da, wo Hell und Dunkel aneinanderstoßen, Farbe entsteht, wenn die Stelle durch ein Prisma oder durch eine Glaslinse angesehen wird. Diese unmittelbar sinnlich-wahrnehmbare Tatsache hält er fest. Er stellt Versuche an, die geeignet sind, über die Erscheinung aufzuklären. Wird eine weiße Scheibe auf schwarzem Grunde durch eine konvexe Glaslinse angesehen, so erscheint sie größer, als sie in Wirklichkeit ist. Durch die Ränder der vergrößerten Fläche sieht man auf den darunter befindlichen schwarzen Grund. Der Teil desselben, der von der vergrößerten weißen Scheibe überdeckt wird, erscheint blau gefärbt. Anders stellt sich die Sache dar, wenn man auf dieselbe Weise eine schwarze Scheibe auf einem hellen Grund beobachtet. Der Rand, der dort blau erschien, erscheint jetzt gelb. Über diesen wahrnehmbaren Tatbestand geht Goethe nicht hinaus. Er sagt: Wenn ein Helles über ein Dunkles geführt wird, entsteht die blaue, wenn ein Dunkles über ein Helles geführt wird, die gelbe Farbe. Auch durch das Prisma entstehen diese Farben auf ähnliche Weise. Durch die Neigung der Prismen-flächen gegeneinander wird ebenso wie durch die Linse ein Dunk­les über ein Helles geführt oder umgekehrt, wenn eine Stelle betrachtet wird, an der das Dunkle und Helle aneinanderstoßen. Eine weiße Scheibe auf schwarzem Grunde erscheint beim Durch­blicken durch das Prisma verschoben. Die oberen Teile der Scheibe schieben sich über das angrenzende Schwarz des Unter­grundes; während sich auf der entgegengesetzten Seite der schwarze Untergrund über die unteren Partien der Scheibe hin-schiebt. Man erblickt also durch das Prisma den oberen Scheiben-teil wie durch einen Schleier. Den unteren Teil dagegen sieht man durch das übergelagerte Dunkel hindurch. Der obere Rand er­scheint deshalb [blau], der untere gelb. Das Blau nimmt gegen das Schwarze zu einen violetten, das Gelbe nach unten einen roten Ton an. Bei einer Entfernung des Prismas von der beobachteten

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Scheibe verbreitern sich die Ränder. Bei hinreichend großer Ent­fernung breitet [sich] das Gelb von unten über das Blau von oben; und es entsteht in der Mitte Grün. Um sich weiter über die Sache aufzuklären, betrachtet Goethe eine schwarze Scheibe auf weißem Grunde durch das Prisma. Dadurch wird oben ein Dunkles über ein Helles, unten ein Helles über ein Dunkles geschoben. Oben erscheint Gelb, unten Blau. Durch Entfernung des Prismas von der Scheibe entsteht in der Mitte Pfirsichblüt. Goethe war nun der Ansicht, daß dasjenige, was für die weiße Scheibe richtig ist, auch für die schwarze gelten muß. «Wenn sich dort das Licht in so vielerlei Farben auflöst, so müßte ja hier auch die Finsternis als in Farben aufgelöst angesehen werden.»14 Goethe nennt diese Art von Versuchen subjektive, weil sich die Farben nicht irgendwo im Raume fixiert zeigen, sondern nur dem Auge erscheinen, wenn es durch ein Prisma auf einen Gegenstand blickt. Er will diese Versu­che durch objektive ergänzen. Er bedient sich dazu eines Wasser­prismas. Er läßt das Licht durch dieses Prisma hindurchscheinen und fängt es hinter demselben durch einen Schirm auf. Dadurch daß das Sonnenlicht durch Öffnungen ausgeschnittener Pappen hindurchscheinen muß, erhält man einen begrenzten erleuchteten Raum, der rings von Dunkelheit umgeben ist. Der begrenzte Lichtkörper wird durch das Prisma von seiner Richtung abge­lenkt. Fällt das also abgelenkte Licht nun auf einen Schirm, so entsteht auf demselben ein objektives Bild, das am oberen Rand blau, am unteren gelb gefärbt ist, wenn der Querschnitt des Pris­mas von oben nach unten schmaler wird. Gegen den dunklen Raum zu geht das Blau in Violett, gegen die helle Mitte zu in Hellblau über; das Gelbe nimmt gegen die Dunkelheit zu einen roten Ton an. Goethe erklärt sich diese Erscheinung auf folgende Weise. Oben strahlt die helle Lichtmasse in den dunklen Raum hinein; sie erhellt ein Dunkles und läßt es als Blau erscheinen. Unten strahlt der dunkle Raum in die Lichtmasse hinein; er verdunkelt die Helle, die dadurch gelb erscheint. Wird der Schirm von dem Prisma entfernt, so verbreitern sich die Ränder; und bei genügend großem Abstand strahlt in der Mitte das Blau in das

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Gelb hinein, und es entsteht Grün. Durch solche Versuche findet Goethe die Ansicht, die er an den subjektiven Versuchen gewon­nen hat, durch die objektiven bestätigt. Die Farben werden des­halb, seiner Ansicht nach, durch das Zusammenwirken von Hell und Dunkel hervorgebracht. Das Prisma dient dazu, ein Helles über ein Dunkles und ein Dunkles über ein Helles zu schieben. Gelb ist durch Dunkelheit gedämpftes Licht, Blau durch Licht abgeschwächte Finsternis. Wo Gelb durch überlagerte Finsternis weiter getrübt wird, entsteht Rot; wo Blau durch Finsternis ge­dämpft wird, erscheint Violett. Dies sind für Goethe die Grundge­setze der Farbenlehre. Sie sind nichts weiter als der Ausdruck der dem Auge gegebenen Erfahrung. Und weil sie durch die einfach­sten Bedingungen herbeigeführt werden, nennt Goethe sie die Urphänomene der Farbenwelt. Alle übrigen Erscheinungen inner­halb dieser Welt entstehen, wenn zu den einfachen Bedingungen weitere hinzugefügt werden. Man erhält dann die abgeleiteten Erscheinungen, die aber auf eine Summe von einfachen sich zu­rückführen lassen. Durch diese Vorstellungsweise bleibt Goethe mit seiner Farbentheorie streng innerhalb des erfahrungsgemäß Gegebenen stehen. Weil Newton und die Physiker nicht in glei­cher Weise verfuhren, wurde er ihr Gegner. Er hat Newton so heftig angegriffen, weil er fühlte, daß dieser in einer ganz anderen Begriffswelt lebte, als es die seinige war. Allerdings ist ihm dieser grundsätzliche Gegensatz nicht in seiner ganzen Klarheit zum Bewußtsein gekommen. Er hätte es sonst dabei bewenden lassen, seine Ansicht einfach zu entwickeln und hätte sich um die andere, auf ganz verschiedenen Voraussetzungen beruhende nicht geküm­mert. Statt dessen ist er die einzelnen Versuche, die Newton angestellt hat, im einzelnen durchgegangen und suchte bei einem jeden den Irrtum im besonderen nachzuweisen. Auf diese Weise ist der «polemische» Teil seiner Farbenlehre entstanden.

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Aus den Notizen von einem Einführungskurs in Farbenlehre

für Marie von Siv ers

Berlin, Sommer 1903

Notizen von Marie von Sivers

#Bild s. 53

Die ersten fünf Zeilen der verkleinert wiedergegebenen Handschrift sind von Marie von Sivers, die folgenden vier Zeilen von Rudolf Steiners Hand.

Weiss u. schwarz sind die beiden Lichtpole / Gelb und blau die beiden Farbenpole / Grün ist die Mischung von gelb u. blau / Grau ist die Mischung von weiss u. schwarz / Alle anderen Farben sind Nuancen.

Die Farbe entsteht, indem Hell und Dunkel / an ihren Grenzen zusammenwirken, ohne / sich zu vermischen. / Beim Vermischen entsteht bloß grau oder trüb.

Zu dem Satz «Weiß und Schwarz sind die beiden Lichtpole»: Weiß und Schwarz nennt Goethe in seiner Farbenlehre die »Repräsentanten« von Licht und Finsternis. Licht und Finsternis selbst sind sinnlich nicht wahrnehmbar. Siehe Goethes Farbenlehre, Band III der Kürschner-Ausgabe («Beiträge zur Chromatik (Optik)» § 29 und Fußnote zu §§ 22, 23), auch als Taschenbuchausgabe erschienen im Verlag »Freies Geistesleben», Stuttgart.

»Gelb und Blau»: sind die Mutterfarben für alle anderen. Siehe «Versuch, die Elemente der Farbenlehre zu entdecken» in »Goethes Farbenlehre», § 17 f.

»Die Farbe entsteht»: So z. B. bei den prismatischen Farben, auch bei Goethe. - Uber den Unterschied von Grau und Farbe siehe auch Rudolf Steiner, Vortrag Stuttgart, 24. De­zember 1919, GA 320

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Über Komplementärfarben

Das Auge nimmt Farben wahr, weil es so konstruiert ist, daß es Farben erzeugt. Wenn das Auge auf weißem Grunde einen roten Gegenstand wahrnimmt und nun fortsieht, so wird derselbe Ge­genstand als Grün auf weißem Grunde erscheinen. Das Auge, das Rot gesehen, verlangt nach Grün, Gelb verlangt Indigo, Gelbgrün Violett. Man nennt diese Farben, die nach Ergänzung verlangen, Komplementärfarben.15 Es sind Farben, die zusammen Weiß er geben (das heißt, wenn man sie übereinanderfallen läßt, sich ge­genseitig zur Farblosigkeit aufheben), sie fordern sich gegenseitig. Ein Auge, das keine blaue Farbe erzeugen kann, würde den Wald gelb sehen, und Violett würde ihm rot erscheinen. Jede Farbe fordert ihren Gegenpol; und ergänzende Farben üben eine ästheti­sche Wirkung aus.

Über Objektivität und Subjektivität

Es entspricht alle subjektive Gesetzmäßigkeit unserer Organe der objektiven, aus der sie extrahiert ist.16 Seetiere, bei denen das Auge noch nicht entwickelt ist, empfinden nur Licht und Dunkel­heit. Sie haben Lichtempfindung durch einen Nervenknoten; erst allmählich entwickelt sich der Sehnerv, der die Lichtempfindung zum Gehirn führt, wodurch sie als Farbe wahrgenommen wird. Unsere astralen Vorfahren hatten noch keine ausgebildeten Sehor­gane. Sie hatten nur ein astrales Wahrnehmungsorgan, mit dem sie die Farbe unmittelbar fühlten. Sie waren noch eins mit dem, was sie wahrnahmen und lebten mit der Farbe, die sie fühlend wahr-nahmen. Alle Entwicklung ist Absonderung. Zuerst ist Auge und Rot in ungetrennter Einheit. Dann sondert sich das Leben in Wahrnehmung und Sein. Der Mensch kann nicht objektiv wahr­nehmen, was er subjektiv nicht als Illusion aus sich heraus wieder produzieren kann. Alles, was außerhalb ist, ist auch in dem Men­schen. Er ist nur ein abgesonderter Teil der Außenwelt, der das, was außen ist, in sich hineingezogen hat.

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Über farbige Schatten,17 subjektive und objektive Farbempfindung, Farben als Ergebnis des Wechselspiels von Licht und Materie

Wenn die Lichtstrahlen einer Kerze von einem Objekt zurückge­worfen werden, so entsteht von dem Objekt ein dunkles Schatten­bild auf der Fläche. Läßt man durch die Kerzenstrahlen die Son­nenstrahlen hindurchgehen, so färbt sich der dunkle Schatten blau, man sieht den dunklen Schatten durch das Hell des Sonnen-lichtes blau, nach dem Gesetz, daß Dunkles durch Hell gesehen Blau ergibt. Die apparenten Farben kommen zustande nach dem Gesetz, daß Hell und Dunkel an ihren Grenzen, wo sie aneinan­der treffen, Farben erzeugen.

Das Auge erzeugt aber auch selbst Farben, wo objektiv gar keine vorhanden sind. Man kann das Experiment mit einer Scheibe machen,18 deren verschiedene Kreise zum größten Teil schwarz gefärbt sind, so daß schwarze Zacken in die weißgeblie­bene Hälfte hineinragen, deren Halbkreise dadurch von unglei­cher Länge sind. Dreht man diese Scheibe sehr rasch, so werden Farben in verschiedenen Nuancen entstehen. Bei großer Genauig­keit der Scheibe könnte man alle Regenbogenfarben hervorrufen. Die Farben werden nur durch die schnellen Aufeinanderstöße von Hell und Dunkel subjektiv im Auge als Farbnuancen empfunden. Das Auge hält einen Farbeneindruck eine Weile fest, es hat eben Weiß empfangen und reagiert nicht so schnell auf Schwarz, wie das gedrehte Rad es verlangt, es wird bald Schwarz durch Hell, in allen Nuancen blau sehen und bald durch den schwarzen Ein­druck Weiß in allen Nuancen gelb sehen. So hat das Auge Farben-empfindungen, die nicht objektiv vorhanden sind.

Was uns jetzt gesetzmäßig als Farbe erscheint, wurde einst vor ungezählten Zeiträumen wirklich erlebt. Die Farben, die wir an den Stoffen wahrnehmen, sind nur Differenzierungen der Mate­rie, sie sind lebendiges Kama [Astrales], das Ergebnis von Arbeit. Prana [Lebenskraft] schuf sie, indem sie den Lichtstrahlen alles entnahm,19 was sie zur Verarbeitung ihrer Stoffe brauchte, und die sie nicht verwenden konnte, warf sie zurück, und diese von dem Stoffe zurückgeworfenen Strahlen, die nicht absorbiert wurden,

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wurden uns sichtbar als apparente Farbe. Zum Beispiel: Prana braucht die Wärme, absorbiert ihre roten Strahlen und ihre chemi­schen Strahlen für chemische Zwecke und warf die grünen als unbrauchbar zurück, und nun sehen wir die Pflanzenwelt grün. Als weiße Farbe erscheint uns nur ein Gegenstand, wenn er alle Strahlen zurückwirft, als schwarz, wenn er alle Strahlen aufsaugt, absorbiert.20 Darum wird ein weißes Gewand als kühlend emp­funden, ein schwarzes als wärmend.

Als der Mensch vor unzählbaren Zeiträumen nur im Kami­schen [Astralen] lebte, konnte er noch nicht die Dinge gesondert von sich betrachten. Er war in ihnen, er verband sich mit ihnen. Er fühlte das Rot unmittelbar, es durchströmte ihn als Wärme. Und so erweckt wie eine Erinnerung die rote Farbe das Gefühl von Wärme; die blauen und violetten als farbiger Gegenpol, das Ge­fühl von Kälte. Unwillkürlich verlangt nun das Auge, wenn es eine Farbe wahrnimmt, ihre Kontrastfarbe, ihre Komplementär-farbe: Rot fordert Grün, Gelb Indigo etc. Es sind die Farben, die sich in Weiß auflösen; solche Farben sind dem Auge wohlgefäl­lig.21 Die ästhetische Wirkung der Farbe ist tiefbegründet in der menschlichen Natur. Was wir kamisch als gesetzmäßig subjektiv empfinden, ist Erinnerung an ein objektives Gesetz im äußeren Dasein, an dem der Teil teilhat, den er in sich trägt aus Zeiten, wo er selbst noch nicht ein Sonderwesen war, sondern eins mit dem ganzen Kosmos.

Die Materie ist nichts Totes, sondern etwas in sich Lebendiges, und man wird dieses Lebendige erst dann bemerken, wenn man sie tatig, in Wechselwirkung mit einer anderen Materie sieht. Wenn man einen Kalkspatkristall betrachtet,22 so wird man seine eigentliche Natur ebensowenig erkennen als die eines vorüberge­henden Menschen. Beide müssen in Zuständen beurteilt werden, wo sich ihre innerste Natur in ihren Wirkungen zeigt. So wird der Kalkspat, zwischen zwei Turmalinblättchen gebracht, wovon das eine in paralleler Stellung mit dem Lichte schwingt und es wider­spiegelt und das andere in senkrechter es auslöscht, die Licht-schwingungen durch seine eigenen Vibrationen wiederum beein­flussen,

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so daß in dem Kalkspat regelmäßige Figuren in den schönsten Farbenspielen hervorgerufen werden. Das beruht auf dem Gesetz, daß Hell durch Dunkel gesehen gelb erscheint und Dunkel durch Hell blau. Wenn nun Hell und Dunkel sich ab­wechselnd decken durch Vibrationen nach verschiedenen Rich­tungen und an ihren Grenzen zusammentreffen, so kommen die Farben und Figuren zustande, die man beobachtet hat. Auf das­selbe Gesetz sind die Beugungserscheinungen des Lichtes zurück­zuführen.23 Das Licht flutet durch den Raum, und alles, was wir in demselben wahrnehmen, empfängt Licht und wirft es wieder zurück. Nur dadurch können wir die einzelnen Objekte wahrneh­men. Wir sehen nur das, was Licht zurückstrahlt, und diese Strah­len empfängt unser Auge und wirft sie wiederum zurück auf das Objekt, das seinen Schatten wirft, der oft gelbe und blaue Nuan­cen zeigt, weil das Licht von allen Seiten sich überstrahlt. Wenn das Licht durch eine Öffnung in die Dunkelkammer fällt, so entsteht erst eine weiße Scheibe auf der gegenüberliegenden Wand und im Halbschatten rings umher Farbenringe.24 Das kommt daher, weil an den beiden Punkten der Öffnung die Strahlen aufgefangen und zurückgeworfen werden und Überstrahlungen stattfinden. Auf die dunklen Schattenumgebungen wird helles Licht fallen und Dunkel durch Hell farbig durchscheinen lassen, und ebenso werden da, wo Strahlen auf Strahlen fallen, die helle­ren Lichtstrahlen durch die dunkleren polarisierten Überstrahlun­gen durchleuchten und auch Farben erzeugen. Die Materie hat auch die Eigenschaft, Licht zu verändern, und Licht im Wechsel­spiel mit der Materie erzeugt die Farben. Der Kalkspat hat die Eigenschaft, das Licht, das durch ihn hindurchgeht, in doppelte Strahlen zu spalten und diese Strahlen zu verändern und verschie­den zu polarisieren. Der eine Strahl wird senkrecht zu den paralle­len Schwingungen des anderen schwingen, und ein durch den Feldspat gesehener Punkt wird dem Auge doppelt erscheinen. Geht das Licht durch einen Körper mit parallelen Wänden, so entstehen keine Farben; geht es durch einen Körper mit geneigten Wänden, so entstehen Farben. Zum Beispiel ein Prisma, das sich

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oben verjüngt, wird die Strahlen kürzere oder längere Zeit aufhal­ten, und immer verhältnismäßig nach den verschiedenen Breiten des Prismas wird der eine Strahl früher als der andere durchkom­men.25 Durch die verschiedenen Zeiträume bei der Brechung wird auch Hell durch Dunkel und Dunkel durch Hell wechseln und die Abwechslung von Blau und Gelb in verschiedenen Nuancen das Farbenspiel ergeben. So hat wiederum das Anilin die Eigenschaft, die prismatischen Farben in einer anderen Reihenfolge erscheinen zu lassen. Diese gegenseitige Beeinflussung der Materie in ihren Wirkungen beweist das lebendige Leben im Stoff. Die verschie­densten Ätherschwingungen bringen in ihm eine unaufhörliche Bewegung hervor, und Anziehen und Abstoßen bestimmen sein Verhalten.

Brief von Arnold Brass an Rudolf Steiner aus dem Jahre 1904, Goethes Farbenlehre betreffend 26

Hochverehrter Herr Doctor! Wernigerode, den 11. Februar 1904

Durch Ihre Ausgabe der Goethe'schen Farbenlehre haben Sie mir so manche Freude bereitet, daß ich auch Ihnen eine solche bereiten möchte und hoffentlich eine recht große.

Goethe wird nun wohl wieder zu Ehren kommen und das jammervolle Wort meines Ober-Collegen Du Bois-Reymond über ihn und seine Forschungen soll nicht mehr so oft wiederholt werden, wie es seit seiner Geburt von so vielen Unberufenen vorgebracht worden ist.

Ich habe mich nun 25 Jahre mit der Wissenschaft herumgezerrt, oft allerdings nur in einem heißen, stummen Ringen, daß ich viele Verhältnisse klar durch-schaue, die anderen tief verborgen liegen. Eine Reihe angesehener Physiker, Chemiker, Biologen und Physiologen und von Philosophen besonders W. Wundt sind meine Lehrmeister gewesen. Mit Ausnahme Wundts waren es alle - glücklichster Weise! - ruhige, ernste Denker und Arbeiter, die mit der Hypothese vorsichtig umgingen und mich an das strenge Experiment banden.

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Da unternahm ich es denn schon 1883 ganz kühn, «den Physikern, welche, gestützt auf die Wellen-Hypothese des Lichtes, andere Wissenschaften maßre­geln wollen und den Physiologen, denen die Wissenschaft nur vom Frosch bis zum Menschen reicht», den Handschuh hinzuwerfen. Ich habe es bitter büßen müssen, denn die eben zitierten Worte waren gefallen und ich wurde an den deutschen Hochschulen gehetzt wie ein Stück Wild. 27 Not, Sorge und Kummer habe ich mit Frau und Kind reichlich durchkosten müssen, aber die beiden grauen Schwestern haben mich nicht der dritten zugejagt und haben mir das Streben zum Ziele nicht verleidet. Nun stehe ich vor dem abgeschlossenen 50. Jahre und habe es doch erreicht, daß ich die stolzen Vertreter törichter Hypothe-sen niederzwingen kann. Lichtwellen gibt es nicht und der Äther existiert nur in der Phantasie unserer «Forscher».

Goethe hat recht, wenn er das Licht bipolar nennt, er hat recht, wenn er die Farben gelb-rot/violett-blau angibt, er hat recht, wenn er Newton als einen wissenschaftlichen Taschenspieler hinstellt, sobald es dieser unternimmt, Experi­mente anzustellen. Goethe hat recht an allen Ecken und Enden und ich staune oft über den scharfen, alles durchdringenden Blick dieses genialsten «Forschers» der damaligen Zeit.

Die Fraunhofer'schen Linien haben mit Farben und Metalldämpfen gar nichts zu tun. Ich spiele mit den Dingern jetzt wie mit Würfeln, hexe die D Linie in's Violett und Blau hinein und die XY Linien in's Gelb. Goethe würde sicher seine helle Freude daran haben!

Wie ich die 20 Lieferungen, in denen meine Resultate und die einfachen, klaren, ruhigen Experimente niedergelegt werden sollen, allerdings herausbrin­gen soll, weiß ich nicht. Kein Verleger will die Arbeit nehmen, und die Vertreter der Wissenschaft werden jetzt ein Stein-Werfen anfangen, gegen das die Treibe­reien vor und seit 20 Jahren ein wahres Kinderspiel gewesen sind. -Ich habe so still meine Hoffnung auf die Legion Goetheverehrer gesetzt und

hoffe doch, daß der eine oder andere Stein etwas abgefangen wird. - Ihnen möchte ich so gerne die Experimente, die ich erst später in meiner Arbeit ausbreiten kann, jetzt schon vorlegen, denn ich freue mich immer wieder an der Courage, mit der Sie den sogenannten modernen (Orden-Titel- und Collegien­geld-Strebern) Wissenschaftlern den Spiegel vorhalten.

Ich habe schon die verwegensten Pläne gemacht, habe aber leider nicht dic Mittel zu einer Reise nach Berlin; ob ich Sie eventuell durch einen öffentlichen Vortrag - die ich früher gern und oft gehalten habe - decken könnte, kann ich nicht beurteilen. - Jedenfalls sind die Experimente einwandfrei und so mannig­faltig, daß es nicht leicht sein soll, mich zu widerlegen. - Hätte Goethe nicht den Dichter mit dem Wissenschaftler zusammen reden lassen, hätte er seine Experi­mente ganz schlicht vorgetragen, so würde er weniger Gegner und mehr Erfolg gehabt haben. Gerade das Experiment, woran ich anknüpfe, hat er, wahrschein­lich im Ärger über Wöllaston, nur ganz kurz angedeutet (Bd. 35, pg 206, Ihre Ausgabe). Einen Schritt weiter und er hätte die unwiderlegbare Tatsache gefun­den, daß der «Linien-Flor» die Spektralfarben erzeugt und die Notiz über Fraunhofer (Bd. 36, pg 419) hätte anders gelautet.

#SE291a-060

Doch für heute sei es genug. Lesen Sie eventuell einiges von meinen beifol­genden Mitteilungen [nicht mehr vorliegend]. Was Ihnen unklar ist, will ich dann gerne auf Anfrage hin klarstellen. Ich denke, Sie werden mir das Zeugnis jetzt schon nicht verweigern können, daß ich die Hypothese meide und das vielseitige Experiment - oft bis zur Ermüdung der Lesenden - reden und bezeugen lasse. Was ich vorbringe sind erst die einleitenden Experimente, spater komme ich mit ganz anderen Sachen hervor.

Der Witz mit dem Regenbogen hat mir viel Spaß gamacht. Ich gönne diese Ohrfeige den Mathematikern von Herzen. Beim Drehen eines Nicols vor dem Auge verschwindet oder verstärkt sich der Regenbogen je nach dem Drehungs-winkel. Das Verschwinden ist ein derart totales, daß ich selbst ganz verblüfft war. Ich kann außerdem den Regenbogen jetzt mit Prismen derartig elegant nachmachen, daß ich ihn noch zu anderen Zwecken wissenschaftlich ausnutze.

Mich bestens empfehlend verbleibe ich

Ihr ergebenster

A. Brass

Weiterführungen der Goetheschen Farbenlehre

#G291a-1990-SE061 Farbenerkenntnis

#TI

Weiterführungen der Goetheschen Farbenlehre

#TX

Zu den von Rudolf Steiner entwickelten Weiterführungen der Guetheschen Farbenlehre gehören - außer den gegebenen Grundlagen zu einer Farbenlehre für künstlerisches Schaffen (siehe Teil II) - vornehmlich die Schließung des siebenfarbigen Spektrums zum Zwölffarbenkreis und die Erklärung von Licht-und Farbenwirkungen in Erdenstoffen und in Himmelskörpern, wie sie sich nachfolgend beschrieben finden.

I. Der Zwölffarbenkreis

und eine Aufgabenstellung Rudolf Steiners

zur Gewinnung von Lebenstherkräften aus dem Pfirsichblüt

des zusammengeschlossenen Farbenspektrums

Vorbemerkungen der Herausgeber

... wenn es uns gelingen würde - ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß gerade nach dieser Richtung eine der ersten Versuchsanordnungen in unserem physikalisch-wissenschaftlichen Institut gemacht werden soll-, das Spektrum in gewisser Weise in sich zu biegen, dann würden auch diejenigen, die zunächst aus den Gedanken heraus die Sache nicht begreifen wollen, sehen, wie man es tatsächlich auch hier mit Qualitäten zu tun hat.1

Es wird Pfirsichblüt als neue Farbe erscheinen. Es werden Veränderungen auftreten, nämlich An­fänge von Lebenswirkungen.2

Der Farbenkreis Goethes

Kennt die Physik im allgemeinen nur ein Spektrum, nämlich dasjenige, das durch einen Lichtspalt entsteht und in seiner Mitte das Grün hat, so fand Goethe, indem er das Entstehen dieses Spektrums aus den Randfar­ben (den sogenannten Kantenspektren) Rot-Gelb, Blau-Violett (beim

#SE291a-062

breiten Spalt) aufzeigte, auch das zweite, dem ersten komplementäre Dunkelsteg-Spektrum. An einem breiteren Dunkelsteg in hellem Umfeld entstehen durchs Prisma die Randfarben Gelb-Rot und Violett-Blau. Wird der Dunkelsteg verengt, wie beim ersten Spektrum der Spalt, so entsteht dieses zweite Spektrum, das in seiner Mitte (aus Rot und Violett entstanden) das dem Grün des ersten Spektrums genau komplementäre Pfirsichblüt zeigt,3 in seinem verdichteten Zustand Puipur genannt.

Mit dieser Entdeckung Goethes, daß nämlich auch im physikalischen Bereich, durchs Prisma, im Zusammenwirken mit Hell (Spalt) und Dun­kel (Steg) das Gesetz der Komplementärfarben, die Totalität, herrscht, war aber auch die Identität der physikalischen mit den physiologischen Farben grundsätzlich nachgewiesen: Das Grün des Spektrums mit den Augen einige Sekunden fixiert, ruft im physiologischen Bereich das genau entsprechende Pfirsichblüt des Stegspektrums hervor. Umgekehrt erzeugt das Pfirsichblüt des Steg-Spektrums im Auge das Grün des Spalt-Spektrums. Das Rot des Spektrums erzeugt im Auge das spektrale Blau, das Gelb das Violett und umgekehrt. Darauf weist das Xenion:

Im eignen Auge schaue mit Lust,

Was Plato von Anbeginn gewußt;

Denn das ist der Natur Gehalt,

Daß außen gilt, was innen galt. Goethe, Zahme Xenien

Entsprechend stellt Goethe in seiner Farbenlehre die physiologischen Farben an den Anfang. In ihnen waltet der genau gleiche Farbenkreis wie in den beiden komplementären physikalischen Spektren.

#Bild s. 62

#SE291a-063

Der Zwölffarbenkreis Rudolf Steiners

Einen weiteren Schritt, anknüpfend an das noch kaum erforschte zweite Spektrum, vollzog Rudolf Steiner. In seinem im März 1920 gehaltenen zweiten naturwissenschaftlichen Kurs entwickelte er aus dem sechsteili-gen Goetheschen Farbenkreis einen zwölfteiligen, indem er zwischen Gelb und Rot noch Orange, zwischen Blau und Violett noch Indigo unterscheidet und weiter zwischen Rot und Pfirsichblüt sowie zwischen Violett und Pfirsichblüt noch je zwei Zwischennuancen einsetzt: «Stelle ich die beiden Spektren zusammen, so bekomme ich zwölf Farben, die sich genau unterscheiden lassen in einem Kreis: Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo, Violett. Hier wird das Violett immer mehr und mehr der Pfirsichblüte ähnlich, hier sind zwei Nuancen zwischen Pfirschblüte und Violett, hier wiederum zwei Nuancen zwichen Pfir­sichblüte und Rot, und Sie bekommen dann, wenn Sie die Gesamtheit dieser Farbennuaneen verfolgen, gewissermaßen zwölf Farbenzustände, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf.»4

#Bild s. 63

Damit haben wir erst die eigentliche Totalität auf dem Gebiet des Farbigen. Das im allgemeinen bekannte Farbenspektrum ist nur ein Teil des Ganzen: «Daraus können Sie ersehen, daß das, was man gewöhnlich als Spektrum schildert, auch dadurch entstanden gedacht werden kann, daß Sie sich denken, ich könnte durch irgend etwas diesen Farbenkreis hier entstehen lassen und würde ihn immer größer und größer machen nach der einen Seite hin; dadurch würden mir diese oberen fünf Farben immer mehr und mehr hinausrücken, bis sie mir zuletzt entschwänden; die untere Biegung ginge nahezu in die Gerade über, und ich bekäme dann die gewöhnliche Spektrumfolge der Farben, indem mir nur die anderen fünf Farben nach der anderen Seite entschwunden sind.»5

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In seinem Vortrag vom 9.Januar 1921 im Rahmen des dritten natur­wissenschaftlichen Kurses kommt Rudolf Steiner noch auf weitere Ge­sichtspunkte zu sprechen, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind:

«Ich möchte nur auf eines hinweisen, wie Sie sich erziehen können methodologisch, das Qualitative in einer ähnlichen Weise zu denken wie das Quantitative. Es ist Ihnen allen bekannt die gewöhnliche Erschei­nung des Sonnenspektrums, des gewöhnlichen kontinuierlichen Spek­trums. Sie wissen, da gehen wir von der Farbe des Rot zu der Farbe des Violett. Nun wissen Sie ja alle, daß Goethe mit dem Problem gerungen hat, wie dieses Spektrum in gewissem Sinne das umgekehrte Spektrum ist von dem, was entstehen muß, wenn man gewissermaßen die Dunkel­heit geradeso behandelt durch das Prisma, wie man gewöhnlich die Helligkeit behandelt. Man bekommt dann eine Art umgekehrten Spektrums,

#Bild s. 64

das Goethe ja auch angeordnet hat. Nicht walir, beim gewöhnli­chen Spektrum haben wir das Grün, hier nach dem Violetten gehend, auf der andern Seite nach dem Rot gehend, und bei dem Spektrum, das Goethe bekommt, wenn er ein schwarzes Band auflegt, hat er hier das Pfirsichblüt und wiederum auf der einen Seite das Rot, auf der andern Seite das Violett. Man bekommt gewissermaßen zwei Farbbänder, die in der Mitte einander entgegengesetzt sind, qualitativ entgegengesetzt sind und die beide zunächst für uns, man möchte sagen, nach der Unendlich­keit verlaufen. Aber man kann sich zunächst einfach denken, daß diese Achse, die Längsachse des gewöhnlichen Spektrums, nicht eine einfache Gerade ist, sondern ein Kreis ist, wie ja jede Gerade ein Kreis ist. Wenn diese Gerade ein Kreis ist, dann kehrt sie in sich selbst zurück, und dann können wir einfach diesen Punkt hier, in dem das Pfirsichblüt erscheint, als den anderen Punkt betrachten, in dem sich trifft das Violett, das nach rechts geht, und das Rot, das nach links geht. Es trifft sich ja links und

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rechts in unendlicher Entfernung. Aber wenn es uns gelingen würde -ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß gerade nach dieser Richtung eine der ersten Versuchsanordnungen in unserem physikalisch-wissenschaftli­chen Institut gemacht werden soll-, das Spektrum in gewisser Weise in sich zu biegen, dann würden auch diejenigen, die zunächst aus den Gedanken heraus die Sache nicht begreifen wollen, sehen, wie man es tatsächlich hier auch mit Qualitativem zu tun hat.»

Für die eurythmische Darstellung der 12 Stimmungen des Tierkreises hat Rudolf Steiner den gleichen Farbenkreis der Farben für die Schleier zu den einzelnen Sternbildern angegeben: für die Sommerbilder die sieben Farben von Rot bis Violett, für die Wintersternbilder die Farben-nuancen vom Violett über das Pfirsichblüt bis zum Rot.6

Auch in der Entwicklung des Farbensinnes des Menschen waltet dieser Farbenkreis. War das Interesse des jugendlichen griechischen Volkes während der vierten nachatlantischen Kulturperiode vorwiegend auf die aktiven Farben Rot und Gelb gerichtet, so fühlte sich der mehr verinnerlichte, nachdenkliche Mensch des Mittelalters vom Blau angezo­gen. Das Zeitalter der Bewußtseinsseele, also unsere Neuzeit, die in ganz neuer Weise den Willen in das Denken einströmen lassen kann, wird im Blau das Rot suchen, sich also der so geheimnisvollen, aber sehr emp­findlichen Farbe Violett immer mehr nähern.7 Und so wird verständlich, daß eine Erweiterung des Bewußtseins durch die geisteswissenschaftli­che Schulung immer mehr für jene Farbennuancen erwachen wird, die als Übergänge zwischen Violett und Pfirsichblüt einerseits und Pfirsich­blüt und Rot andererseits feine Differenzierungen des Pfirsichblüt bil­den, wobei man diese Farben auch in der Inkarnatsfarbe des Menschen beobachten kann. So wird die Erweiterung des Goetheschen Farbenkrei­ses, wie sie Rudolf Steiner vollzogen hat, auch durch die Entwicklung des Bewußtseins der Menschheit gefordert.5

Die Aufgabe, das Farbband zum Kreis zu schließen

Für das Farbenwesen, das sich im zwölfteiligen Farbenkreis in seiner Totalität offenbart, sind die physiologischen als auch die physikalischen Zusammenhänge nur Erscheinungsgebiete, in denen es sich manifestiert

- wie es Goethe nennt. Dabei offenbaren sich bestimmte Kräftewirksam­keiten, die, dem Wesen der einzelnen Farben eng verbunden, hinter

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ihnen stehen. Daß man diese bei den Spektralfarben experimentell tren­nen kann, zeigen Versuche, die Eugen Dreher schon im Jahre 1882 angestellt hat und auf die Rudolf Steiner bereits in einem Kommentar zur Farbenlehre Goethes in der Kürschner-Ausgabe (1890)9 und wie­derum Jahrzehnte später innerhalb eines Diskussionsvotums am 8. Au­gust 1921 hingewiesen hat.

In dem erwähnten Kommentar zur Farbenlehre schreibt Rudolf Stei­ner über einen Versuch Drehers das Folgende10:

>

Hier zeigen sich die drei Kräftewirkungen, die das Spektrum enthält, deutlich trennbar und können nach den Ausführungen Rudolf Steiners in seinem zweiten naturwissenschaftlichen Kurs (GA 321) dem Wärme-äther, dem Lichtäther und dem chemischen Äther zugeschrieben werden.

Daraus wird die von Rudolf Steiner gestellte Aufgabe, wie sie in den nachfolgenden Texten beschrieben wird, verständlich: Daß nämlich eine vierte Kraft, der Lehensäther, dort wirksam werden könne, wo das Spektrum mit Hilfe eines starken Elektromagneten zum Kreis geschlos­sen, das heißt, Rot und Ultrarot mit Violett und Ultraviolett zu Pfirsich­blüt vereinigt werden.

Die Aufgabe, das experimentell auszuführen, wurde von Rudolf Stei­ner gestellt, nachdem neben der Bewegung für eine Neugestaltung des sozialen Lebens, der Bewegung für «Dreigliederung des sozialen Orga­nismus», in Stuttgart im Jahre 1919 die «Freie Waldorfschule» und im Frühjahr 1920 die Aktiengesellschaft zur Förderung wirtschaftlicher und geistiger Werte, «Der Kommende Tag», gegründet worden waren. Der «Kommende Tag» war als ein weitverzweigtes Unternehmen angelegt, in dem sich die verschiedensten Wirtschaftsbetriebe zusammengeschlossen hatten. Die Überschüsse sollten dem freien Geistesleben zufließen, zum Beispiel der Freien Waldorfschule und einem mit dem «Kommenden

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Tag» verbundenen wissenschaftlichen Forschungsinstitut. Aufgrund der schwierigen Zeitverhältnisse war dem ganzen Unternehmen nur eine kurze Lebensdauer vergönnt.

Die physikalische Abteilung des wissenschaftlichen Forschungsinsti­tutes leitete Dr. Rudolf E. Maier'11 der bereits im Jahre 1913 seine Beobachtungen über die Anwendung des Prinzips der Goetheschen Farbenlehre zur Erklärung der Linienspektren Rudolf Steiner vorgelegt und auf weitere Aufgaben hingewiesen hatte. Als dann Rudolf Steiner für die Lehrer der Stuttgarter Waldorfschule zur Jahreswende 1919/20 und im Frühjahr 1920 zwei naturwissenschaftliche Kurse hielt, an denen Rudolf E. Maier teilnehmen konnte, skizzierte er diesem die genannte Aufgabenstellung.

Rudolf Steiner hoffte, daß in dem auf diese Weise entstehenden Pfirsichblüt als Farbe des Ätherischen Lebenswirkungen erfaßt werden könnten, um sie im Weiterexperimentieren fruchtbar zu machen. Das Experiment wurde dann von Rudolf E. Maier und dessen Assistenten Hans Buchheim zunächst in Stuttgart durchgeführt. Hans Buchheim berichtet von dem ersten Besuch Rudolf Steiners im Juni 1923. Vermut­lich war es am 22.Juni, an dem die Generalversammlung des «Kommen­den Tages» stattgefunden hat. Mit Rudolf Steiner waren noch andere Persönlichkeiten zur Besichtigung der Versuchsanordnung ins For­schungsinstitut gekommen. So berichtet zum Beispiel Hans Kühn, daß, während Rudolf Steiner sagte: Man sieht es genau, dieser Effekt ist viel wichtiger als Einsteins Relativitätstheorie - Emil Leinhas, der dabei gewesen ist, gesagt habe, er sehe nichts.12 Nachdem Rudolf Steiner geraten hatte, den Versuch mit einem 20fach stärkeren Elektromagneten zu wiederholen, der im Forschungsinstitut nicht zur Verfügung stand, wurde die Versuchsanordnung in der einem Bruder von Rudolf E. Maier gehörenden Fabrik in Einsingen bei Ulm nochmals aufgebaut. Am 14. Oktober 1923 telegraphierte Rudolf E. Maier an Rudolf Steiner in Dornach: «Habe Spektrum mit Magnet zwanzigfacher Stärke als Stutt­garter in Fabrik Einsingen bei Ulm beobachtet. Glaube deutlichen Effekt wahrgenommen zu haben. Anfrage ob Reise heute über Ulm möglich, solange Versuchsanordnung noch stehen kann, da Rat sehr erwünscht, weil nicht weiß, wie fortsetzen... » (siehe Seite 80). Dieser Aufforderung kam Rudolf Steiner sofort nach, da er ohnehin am 15. Oktober in Stutt­gart einen Vortrag zu halten hatte. Vermutlich kam er Ende November nochmals nach Einsingen.

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Chronologische Übersicht der Äußerungen RudolfSteiners

Vorträge

1919

27. Dez. Das Lichtspektrum und das Finsternisspektrum. GA 320

1920

8., 9. März Der Zwölffarbenkreis. GA 321

13. März Eine Versuchsanordnung sollte gefunden werden, durch die das l2teilige Spektrum aufgezeigt wird. GA 32 / GA 321

20. April Skizzierung der Aufgabe, das Spektrum zum Kreis zu schließen. (Notizen in diesem Band Seite 72 f.)

30. Sept. Anordnung der Farben im Kreis entspricht Goethes Farbenlehre.

GA 283

5. Dez. Das wirkliche Spektrum. Der Farbenkreis. Warum man das Pfir­sichblüt nicht wahrnimmt. GA 202, GA 291

18. Dez. Zwölffarbenkreisskizze für W. van Zeylmans: Die sieben Farben des Sonnenspektrums sieht man, weil da der Astralleib sozusagen in den Farben schwimmt; das Purpur aber ist so zart, daß es draußen in der Natur kaum in Erscheinung tritt; aber da lebt das Ich im Ätherischen. Purpur ist nämlich die Farbe des Ätherischen. (Skizze und Gesprächsbericht in diesem Band Seite 69/70.)

1921

9. Jan. Die Biegung des Farbbandes zum Farbkreis als methodologisches Beispiel, das Qualitative ähnlich wie das Quantitative zu denken.

GA 323

9. März Der Zwölffarbenkreis gebildet durch Regenbogen und Nebenre­genbogen. GA 321

7. Mai Darstellung mit Schema, wie sich das Farbband zum Kreis schließt und dadurch das Pfirsichblüt erscheint. GA 291

1923

12. April Durch die experimentelle Schließung des Spektrums zum Kreis muß eine ganz eigentümliche Farbe entstehen, die stark vitalisie­rend wirkt; das müßte an Bakterien ausprobiert werden. Angabe für Dr. F Kauffungen, St. Gallen. (In diesem Band Seite 74.)

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#TI

TEXTE VON RUDOLF STEINER UND ANDEREN

Rudolf Steiner: Skize des Zwolffarenkreisses

fur Dr.Willem Zeylmans van Emmichoven

Dornach, Dezember 1920

#TX

#Bild s. 69

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Bericht von der Entstehung der Skizze auf Seite 69

von Willem Zeylmans van Emmichoven

Der junge holländische Arzt und Farbpsychologe Willem Zeylmans van Emmi­choven suchte am 18. Dezember 1920 Rudolf Steiner in seinem Dornacher Atelier auf, um ihm von seinen Farbexperimenten zu berichten. Wie es zu der vorstehenden Skizze Rudolf Steiners gekommen war, schilderte er so:

«Meine Frage bezog sich nun auf folgendes. Ich hatte bei meinen Versuchen in Leizig herausgefunden, daß die sogenannten aktiven oder warmen Farben das Willensmäßige im Menschen aufrufen, die passiven oder kalten Farben dagegen eine psychische Verlangsamung bewirken. Wenn ich die Versuchspersonen sich äußern ließ, sie fragte, was sie dabei erlebten, war es tatsächlich so, daß nach dem Anblick aktiver Farben Ausdrücke gebraucht wurden, die der Wil­lens- oder Leidenschaftssphäre entstammten; während sie nach Ein-drücken der blau-violetten Seite mehr aus dem Gedanklichen, Be­schaulichen oder Mystischen kamen. Das Grün lag in der Mitte und ergab neutrale Gefühlsqualitäten, reine Lust- und Unlust-Nuancen; beim Purpur, das auf der andern Seite in der Mitte des Spektrums lag, auch in einem Nullpunkt, ergab sich eine Art synthetischer Steige­rung, es kamen alle Qualitäten von rechts und links zusammen. Das Grün war ein Nullpunkt, weil sich hier die Gefühle im Gleichge­wicht befanden; das Purpur, weil höchste Willensaktivität der höch­sten Steigerung von Denk- und Betrachtungsqualitäten die Waage hielt. Dieses hatte ich experimentell herausgefunden, aber manches war mir noch unklar; besonders hatte ich noch eine Reihe von Fragen, die sich auf das Purpur bezogen.

«Haben Sie das alles wirklich gefunden?» sagte Dr. Steiner mit einem Lächeln.

«Ja, Herr Doktor, das ist bei den Versuchen herausgekommen.»

«Dann haben Sie Glück gehabt. Das hätten Sie nach der Art, wie Sie experimentieren, eigentlich gar nicht finden sollen. Denn» - er nahm Block und Bleistift - «sehen Sie, das ist mit den Farben so: Das Spektrum mit den sieben Farben ist nur ein Teil des ganzen, nur das,

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was im Sonnenspektrum sichtbar wird. Um das ganze Spektrum zu verstehen, muß man einen Kreis ziehen und dann sind hier die sieben Farben vom Sonnenspektrum und auf der anderen Seite die fünf Purpurfarben. Und von diesen zwölf hätten Sie eigentlich ausgehen sollen. »

Dann sagte er weiter:

«Diese sieben Farben, die sieht man, weil da der Astralleib sozusa­gen in den Farben schwimmt. Das Purpur aber ist so zart, daß es draußen in der Natur kaum in Erscheinung tritt; aber da lebt das Ich im Ätherischen. Purpur ist nämlich die Farbe des Ätherischen.»

Er erklärte das alles ganz ruhig, riß das Blatt ab und legte es mir auf die Kniee; es war ganz grob ein Kreis gezeichnet, um ihn herum hatte er auf der einen Seite die sieben Farben mit Buchstaben ver­merkt, auf der anderen Seite die Purpurfarben.

Ich saß wie verzaubert da und fand es unglaublich, daß man so über die Farben sprechen könne; damit waren alle Fragen, die ich gar nicht stellen konnte, die ich aber unbewußt das letzte halbe Jahr in mir getragen hatte, beantwortet. »13

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Angaben Rudolf Steiners zur Aufgabenstellung,

das Farbband zum Kreis zum schließen

Dornach am 20. April 1920

aufgezeichnet von Dr. Rudolf E. Maier

Dienstag, 20. April 1920

Zur Unterredung (von 12 Uhr bis 3/4 1 Uhr) mit Dr. Steiner über Forschungsinstitut. Dr. Steiner schrieb Notizen auf zwei Blätter, welche er mir mitgab...

[Von den 6 skizzierten Aufgaben bezieht sich die erste auf die Biegung des Farbbandes:]

#Bild s. 72

Zu 1: Geht aus auf die Entdeckung der vier Ätherarten auf physi­kalischem Wege.

Es war von der Zusammenschließung des Spektrums zum ge­schlossenen Kreis die Rede, des roten und violetten Endes zur Pfirsichblütfarbe mittels magnetischer Kraft. Ich fragte: Wo soll die magnetische Kraft zur Wirkung gebracht werden, an der Lichtquelle, am Prisma oder sonst wo? Die große Intensität der magnetischen Kraft würde am besten erreicht, wenn der Luftraum zwischen den Polschuhen klein sei. Daher würde es zweckmäßig sein, die magnetische Kraft in der Nähe des Spaltes zur Wirkung zu bringen.

#SE291a-073

Dr. Steiner: Das wird wohl der Fall sein, vielleicht würde die hohe Intensität des Magnetismus durch die schnelle Drehung bei einer Dynamomaschine zu erreichen sein.

Ich fragte, ob er eine Drehstrommaschine meine, ich dachte näm­lich an das rotierende Magnetfeld zwischen den Polschuhen einer solchen.

Dr. Steiner: Ja, am besten zwei Dynamomaschinen.

(Ich versäumte, noch genauer zu fragen, wie er die Anordnung mit der Dynamomaschine gedacht hatte.)

Reagenzien zur Beobachtung der Natur des Pfirsichblüt (Lebens-äther).

[Unter Ziff. 6 hatte Rudolf E. Maier unter anderem notielt:]

... Industrielle Verwertung: Pflanzenfarbstoffe. Der Zusatz von Gift so gering, daß sie unschädlich. Ferner Bestreichen mit Lösun­gen der Gifte und ungiftigen Pflanzenstoffen des Pfirsichblüt Es werden Veränderungen auftreten, nämlich Anfänge von Lebens-wirkungen.

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Weitere Angabe Rudolf Steiners in einem Gespräch

mit Dr. E Kauffungen in St. Gallen am 12. April 1923

aufgezeichnet von Dr. E Kauffungen

Dr. Steiner: ... Ich lasse in Stuttgart Versuche machen - leider kommen die Leute nicht rasch genug vorwärts-, das Spektrum so zu schließen, daß Ultraviolett auf Ultrarot zu liegen kommt. Es muß dann dort eine ganz eigentümliche Farbe entstehen, die stark vitalisierend wirkt. Das müßte an Bakterien ausprobiert werden.

Berichte über das Experiment in Stuttgart und Einsingen,

das Farbband zum Kreis zu schließen

von Rudolf E. Maier und Hans Buchheim

Rudolf E. Maier*

... Die von Rudolf Steiner gemachten Angaben können ungefähr wie folgt wiedergegeben werden: Es muß möglich sein, das ge­wöhnlich in der Form eines Bandes auftretende kontinuierliche Spektrum durch einen Elektromagneten großer Stärke so zu be­einflussen, daß das Band sich zum Kreise schließt. Das gewöhnli­che Spektrum ist am einen Ende rot, am anderen Ende violett. Bei der Zusammenschließung durch den Elektromagneten muß daher Rot und Violett zusammentreten, und es wird Pfirsichblüt als neue Farbe erscheinen.

- - -

*Aus dem Aufsatz Über einen durch Anthroposophie gefundenen Zusammenhang zwi­schen Licht und Magnetismus« in «Gäa Sophia. Jahrbuch der naturwissenschaftlichen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum Dornach 1926

#SE291a-075

Es wurde zunachst folgende Anordnung gewahlt:

#Bild s. 75

Mit einem weißglühenden Körper als Lichtquelle, welche das kontinuierliche Spektrum ergibt, konnten zunächst mit Sicherheit Veränderungen im Beobachtungsfernrohr nicht festgestellt wer­den. Auch wurde zunächst mit verhältnismäßig kleinerem Elek­tromagneten, der für kurze Einschaltung höchstens zwanzig Kilo­watt vertrug, gearbeitet. Das wurde anders, als man überging, an Stelle der Verwendung eines kontinuierlichen Spektrums mit dem diskontinuierlichen des Quecksilberdampflichtes zu arbeiten. Eine Quarzquecksilberlampe, welche von einer besonderen Ak­kumulatorenbatterie gespeist wurde, fand hierzu Verwendung. Man sagte sich: Die einzelnen bei der Verwendung dieses Lichtes auftretenden Linien treten an ganz bestimmten Orten auf, und sie besitzen eine ganz bestimmte Farbe. An diesen farbigen Linien wird eine Veränderung durch Einwirkung des Magneten leichter und sicherer konstatierbar sein als bei einem kontinuierlichen Spektrum, wo die Farbennuancen völlig ineinander übergehen und es nicht leicht ist, eine bestimmte Nuance herauszugreifen und festzuhalten. Es bot sich eine Gelegenheit, mit einem großen Elektromagneten und sehr großer elektrischer Energie zu arbeiten (bei 220 Volt, bis zu 1800 Ampere). Und da konnten in der Tat Veränderungen beobachtet werden, welche dem gewünschten Er­folg entsprachen.

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Es ist einleuchtend, daß bei einer Erscheinung wie der vorlie­genden der endgültige Erfolg nicht so leicht mit einem Schlag zu erreichen ist. Denn es sind doch schon eine ganze Anzahl von Beobachtungen gemacht worden, welche auf einen bestimmten Zusammenhang zwischen den Erscheinungen des Lichtes und des Magnetismus in der unverkennbarsten Weise hinweisen. Infolge­dessen wurden experimentell auch naturgemäß schon unzählige Anordnungen ausprobiert, von welchen noch weitere bisher un­bekannte Beobachtungen in der Weise erhofft wurden, daß durch sie in die Zusammenhänge zwischen Licht und Magnetismus noch weitere Klarheit geschaffen würde. Da hierbei der Zusammen­hang, von welchem im vorliegenden Falle die Rede ist, nicht gefunden wurde, mußte es sich um eine Erscheinung handeln, welche unter Verhältnissen und Versuchsbedingungen auftritt, die seither aus irgendwelchen Gründen nicht zur Anwendung gelangt sind. Soviel bis jetzt zu übersehen ist, handelt es sich aber für die hier zu beobachtende Erscheinung um die Anwendung von er­stens einem stark streuenden Magneten (gewöhnliche Hufeisen­form, nicht Ringform, wie sie bisher fast ausschließlich für ähnli­che Zwecke in physikalischen Laboratorien mit größerer Strom­stärke gebaut wurden) und zweitens um Aufwendung einer we­sentlich höheren Stromstärke zur Speisung des Elektromagneten, als man bisher zu ähnlichen Experimenten zu verwenden gewohnt war. Jedenfalls ist in der Anwendung von solch wesentlich höhe­rer elektrischer Energie zur Speisung des Magneten, wozu eine günstige Gelegenheit in der elektrischen Zentrale einer Fabrik zur Verfügung gestellt wurde, der Hauptgrund für den vorläufigen Erfolg in dieser Sache zu sehen. Dieser Erfolg besteht in Fol­gendem:

Man denke sich von den hellsten Linien des Quecksilber­dampfspektrums, etwa von den beiden dicht aneinanderliegenden gelben Linien, die eine derselben, welche dem Rot zu liegt, her­ausgegriffen. Würde es gelungen sein, die Erscheinung schon in ihrem endgültigen Erfolg herbeizuführen, so hätten die Linien des Q uecksilberdampflichtes, welche normalerweise ungefähr in einer

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Ebene liegen, sich so zu verändern, daß die äußeren, die rot­gelben und blau-violetten sich nach außen ziehen, und zwar der­art, daß sie ungefähr die Mantellinien eines Zylinders bilden, dessen Mittelpunkt ungefähr mit dem Mittelpunkt des Elektroma­gneten zusammenfällt. Beim Licht eines weißglühenden Körpers würde dann das rote und das violette Ende rückwärts zusammen­treten und zusammen die neue Farbe hervorbringen. Bei Vorstu­fen dieser letzten Endes zu erwartenden Erscheinung kann man aber dann bei einem Linienspektrum mit zweierlei Veränderungen rechnen. Erstens mit Ortsveränderungen dieser Linien. Zweitens mit Änderungen der Farbe dieser Linien (qualitative Änderun­gen). Eine räumliche Änderung in der Anordnung der Linien konnte noch nicht bemerkt werden. Dagegen, und das bildet den vorläufigen Erfolg in dieser Sache, ist es gelungen, qualitative Änderungen in der Farbe der Quecksilberlinien festzustellen. Bei der genannten gelben Linie bestand diese Änderung darinnen, daß sie eine Nuance in das Orange erhielt, sobald der Magnet einge­schaltet wurde. Es war also so, wie wenn sie nach außen gerückt worden wäre. Ähnlich war bei der roten Linie zu beobachten, daß sie eine deutliche Nuance mehr in das Karminrot erhielt, bei den violetten Linien war es so, daß sie unverkennbar ebenfalls noch mehr in tieferes Violett hinübergingen, das heißt, sie erschienen um eine Nuance rötlicher als vorher. Verständlicherweise beru­higte man sich bei der bloßen Beobachtung mit dem Auge nicht, sondern man suchte, die Beobachtung mit der photographischen Platte festzuhalten. Man verwendete eine Schiebekassette, welche gestattete, fünf Aufnahmen nacheinander auf dieselbe Platte zu bringen und machte die Aufnahme unter Beibehaltung von genau derselben Belichtungszeit so, daß die erste Aufnahme ohne einge­schalteten Magnet erfolgte, die zweite mit Einschaltung, die dritte wieder ohne, die vierte mit, die fünfte wieder ohne eingeschalteten Magnet. Man erhielt also auf derselben Platte zwei Aufnahmen des Quecksilberspektrums mit eingeschaltetem Magnet, und diese Aufnahmen lagen zwischen solchen Aufnahmen, die ohne Ein­schaltung gemacht wörden waren. Die Veränderungen waren

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auch da in der Tat so bedeutend, daß sie schon mit bloßem Auge dem Beschauer auffielen. Die photographische Platte kann ja keine Unterschiede von Farbennuancen wiedergeben, sie kann nur Verringerungen der Helligkeit anzeigen.14 Die Tendenz in allen Linien, sich in den Raum hinaus zu verdünnen, kann sich daher auch auf der photographischen Platte nur so äußern, daß die Linien schwächer und von geringerer Intensität bei eingeschalte­tem Magnet erscheinen. Das war es auch, was ohne Mühe beim Beschauen der photographischen Platte zu bemerken war.

Die vorliegende Veröffentlichung des durch die Anthroposo­phie für die Magnet-Optik gestellten Problems kann naturgemäß nur eine vorläufige, das heißt eine solche sein, welche weitere Kreise mit dem Problem bekannt machen und davon berichten möchte, in welch vielversprechender Weise es gelungen ist, auf dem beschrittenen Wege im Experiment wiederzufinden, was als Einsichten über Zusammenhänge von Naturerscheinungen aus der anthroposophischen Geistesrichtung gegeben worden ist, so wie diese durch Rudolf Steiner für die Menschheit geschaffen wurde. Um Kräfte des Lichtes und solche des Magnetismus han­delt es sich hier in diesem Falle und um die faktischen realen Zusammenhänge derselben.

Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis es, auf dem bereits Gefundenen weiterbauend, glücken wird, die Erscheinung des gesuchten Zusammenhangs vollends in der Form experimentell darzustellen, welche den durch die Anthroposophie vermittelten allgemeinen physikalischen Einsichten ebenso voll entspricht wie den speziellen Angaben, welche Rudolf Steiner noch für den vorliegenden Fall zu machen die besondere Güte hatte.

Das vorstehende Problem ist ein Teil von einer Reihe von Aufgaben, welche aus der anthroposophischen Erkenntnis von Rudolf Steiner gestellt worden sind. Die Lösung dieser Aufgaben gehört zu den Zielen, welche auf physikalischem Gebiet man sich in der Institution «Der Kommende Tag. Wissenschaftliches For­schungsinstitut, Stuttgart» gestellt hat...

#SE291a-079

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Hans Buchheim15

Als Rudolf Steiner im Juni 1923 das Forschungsinstitut des «Kommenden Tages» in Stuttgart aufsuchte, kam er gegen 1 Uhr mittags in die physikalische Abteilung.

Ich hatte gerade den Spektrum-Versuch mit dem Magneten aufgebaut, weshalb die Fenster alle verdunkelt waren. Er stand in der Tür und begrüßte mich. Ich schlug vor, noch jemanden von der Leitung per Telefon zu holen, aber er meinte: «Wir können uns doch auch allein unterhalten.» Mit großem Interesse sah er den Aufbau des Magnetversuches an und wollte den Fortgang der Arbeiten kennenlernen. Nachdem ich die Hg-Lampe gezündet hatte, zeigte ich ihm das Fernrohr, von dem man die einzelnen Linien beobachten konnte. Im Okular war ein Fadenkreuz mit horizontaler m/m Teilung eingesetzt. - Er nahm Platz, um sich von mir den Elektromagneten mehrfach ein- und ausschalten zu lassen, ca. vier bis fünfmal. Dann sagte er mit sichtlicher Freude:

«Sie haben es ja, es verändert sich ganz offensichtlich. Sie sollten nicht nach quantitativen Veränderungen suchen, sondern mehr auf qualitative Änderungen achten! Die rote Linie geht mehr ins Dunkle hinein.» Wir stellten dann die «D»-Linie gelb ein, und dabei sah er eine Veränderung mehr nach Rot oder Orange hin! Bei der violetten Linie waren seine Feststellungen mehr nach dem Dunkelwerden!

Er war sehr erfreut über diese Beobachtungen und riet mir, mich zu schulen, um diese seine Beobachtungen auch feststellen zu können, und sagte dabei: «Wenn Sie das linke Auge nehmen, werden Sie es bald auch sehen, denn mit dem linken Auge können Sie besser Farbveränderungen erkennen, mit dem rechten Auge kann man schärfer sehen, aber weniger farbig!»

Die kommenden Wochen waren damit ausgefüllt, mich dieser Schulung zu unterziehen und nach etwa 3-4 Wochen konnte ich mit Sicherheit ebenso die Farbänderungen sehen. - Um ganz sicher zu sein, daß ich keiner Selbsttäuschung unterliege, polte ich den Magneten um, so daß der Nordpol mit dem Südpol vertauscht

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war! Das Ergebnis war, daß mit einer Ausnahme der gelben Linie alle Farbveränderungen umgetauscht waren. Diese Beobachtun­gen machte ich ca. 14 Tage lang bei dieser Polung. In den ganzen Wochen meiner sog. «Schulung» hatte ich immer das Bestreben, diese Farbänderung mehr technisch festzuhalten. Zu dem Zwecke suchte ich Möglichkeiten, mit einem Bolometer zurechtzukom­men. Doch dazu kam es nicht mehr, weil die Apparatur abgebaut wurde, um mit einem stärkeren Magneten in Ulm-Einsingen eine bessere und eindeutigere Farbänderung zu erzielen. Und das war eine Täuschung, denn es war trotz mehrfacher größerer magneti­scher Kraft fast dasselbe!

Das Spektrum im Magnetfeld

Zu Abbildung 1: Aufbau Stuttgart 1923

Anordnung für die Beeinflussung des Spektrallichtes durch Ma­gnetismus mittels eines starken Elektromagneten vom Juni 1923 in Stuttgart im Forschungsinstitut des «Kommenden Tages», früher Kanonenweg, heute Haußmannstraße, Gelände der Waldorf­schule.

Rudolf Steiner hat Spektrallinien des Hg-Lichtes mit dieser Anordnung im Juni1923 beobachtet und dabei festgestellt, daß qualitativ Farbänderungen auftraten, während ich als Erstbeob­achter quantitative Veränderungen im üblichen Sinne als Linien-aufspaltung gesucht habe. Rudolf Steiner bemerkte dabei, daß man seinen Sehsinn schulen muß, um die qualitativen Farbverän­derungen wahrnehmen zu können.

Auf der Zeichnung ist links eine Quecksilberdampf-Lampe, 24 Volt, dargestellt. Sie hat eine getrennte Stromquelle, damit nicht eine Beeinflussung des Elektromagneten auf die Stromquelle er­folgt. Die Quecksilberdampf-Lampe beleuchtet den Spalt eines Steinheil-Spektroskopes, so daß in einer größeren Entfernung von etwa 6,5 Metern ein scharfes Bild der Spektrallinien entsteht und

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durch ein kleines Beobachtungsrohr von 30 cm Länge beobachtet werden kann.

In einer Entfernung von ca. 5 Meter vom Spektroskop geht das Licht durch einen Elektromagneten hindurch, so daß an seinen beiden Polen das scharfe Bild des Spektrums entsteht. Es muß betont werden, daß nicht die Lichtquelle vom Magneten beein­flußt wird, sondern erst das durch das Prisma entstandene Licht. Rudolf Steiner nannte das «Lichtraum». Er gab mir den Rat, meine Augen daraufhin zu schulen und bemerkte dabei, daß man die qualitativen Farbänderungen mit dem linken Auge besser se­hen könne als mit dem rechten Auge.

Zu Abbildung 2: Einsingen, 15.116. Oktober 1923

Ich hatte in den Monaten Juli, August, September 1923 die ange­ratenen Beobachtungsübungen gemacht, mir aber überlegt, ob man nicht durch Feinmessungen (Fotoeffekt-Messungen) der Sa­che objektiv näherkommen könnte. Jedoch die Entscheidung des Forschungsinstituts (Leiter: Herr Dr. Rudolf Maier) ging dahin, mit einer Verstärkung des Elektromagneten stärkere Effekte zu erzielen.

Die Energieversorgung in Stuttgart war nicht in der Lage, eine Verstärkung der elektrischen Energie zu gewährleisten. Aus die­sem Grunde sollte dieser ganze Versuch nach Einsingen bei Ulm gebracht werden, weil dort die Möglichkeit einer größen Gleich-stromquelle zur Verfügung stand. Es wäre die Möglichkeit vor­handen gewesen, bis zu 1000 Ampére Stromstärke zu gehen.

Anfang Oktober 1923 wurde die Versuchsanordnung, wie Ab­bildung 2 zeigt, dort aufgebaut. Infolge der räumlichen Verhält­nisse mußten gewisse Änderungen in den Abmessungen der Ver­suchsanordnung vorgenommen werden. Zum Beispiel wurde die Entfernung zwischen Spektroskop und Magnet von 5 Meter auf 1,5 Meter verkürzt und die Beobachtung der entsprechenden Spektrallinien auf 6 bis 8 Meter vergrößert. Aus diesem Grunde wurde ein 80-cm-Fernrohr anstelle des früheren 30-cm-Fernrohres

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verwendet. Die Stromstärke konnte von 70 Ampére auf 200 Ampére erhöht werden.

Die Maßangaben dieser beiden Anordnungen stammen aus Notizbüchern, die ich im Jahre 1923 während meiner Arbeiten im Institut geführt habe. In der Anordnung, wie auf Abbildung 2 dargestellt, hat Rudolf Steiner noch einmal am 15./16. Oktober 1923 die Phänomene beobachtet und das gleiche wie in der ersten Anordnung festgestellt. In diesem Falle hat er die D-Linie (gelbe Linie) beobachtet und die Veränderung mehr nach Rot hin festge­stellt. Frau Marie Steiner war dabei und hat versucht, das Phäno­men zu beobachten. Sie gab an, daß sie keine Farbveränderung gesehen hat.

Die Anordnung auf Abbildung 1: Magnet und Spektroskop in Stuttgart standen je auf einem Holzblock etwa 1,10 m hoch, so daß der Beobachter bequem vor dem Fernrohr sitzen konnte. Die Anordnung (Abbildung 2) in Einsingen lag auf dem Boden eines Maschinenhauses, so daß der Beobachter nicht auf einem festen Untergrund vor dem Okular des 80-cm-Fernrohres sitzen konnte, sondern auf einem nicht sehr stabilen Gestell Platz nehmen mußte, um mit dem Auge nur etwa 40 cm über dem Fußboden zu beobachten. In dieser Anordnung haben auch andere Angehörige des Forschungsinstitutes die Veränderung der Spektrallinien mit mehr oder weniger Erfolg beobachtet.

Rudolf Steiner gab jedem Beöbachter einen Zettel; man sollte seinen Namen darauf schreiben und die beobachtete Veränderung angeben. Mir sind in Erinnerung noch die Namen Dr. von De­chend, Alexander Strakosch, Dr. Rudolf Maier, dessen Bruder Erwin Maier. Rudolf Steiner ließ die Zettel in seinen Hut werfen und sagte dabei in Abwandlung des Faust-Zitates: «Durch vieler Zeugen Mund wird allerwegs die Wahrheit kund.» («Faust 1», Der Nachbarin Garten. Mephistopheles zu Frau Marthe: «Ja, gute Frau, durch zweier Zeugen Mund wird allerwegs die Wahrheit kund.»)

Das Ergebnis war, daß die meisten Beobachter keine Verände­rungen feststellen konnten. Dr. Rudolf Steiner, Dr. Rudolf Maier

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und ich hatten bei mehreren Farben übereinstimmende Beobach­tungen festgestellt. - Das war die Beobachtungsserie in Ulm­Einsingen. Dort konnten die Beobachtungen fast nur bei Nacht oder in der Dämmerung gemacht werden, da das Maschinenhaus nicht verdunkelbar war. Die Magnetspulen wurden von dem vie­len Ein- und Ausschalten sehr heiß, so daß die Beobachtung etwa gegen 22 Uhr aufhören mußte. Rudolf Steiner fragte dann sofort:

«Wann können wir morgen früh weitermachen?» Ich nannte die Zeit 7 Uhr früh. Am nächsten Morgen war er noch vor dieser Zeit wieder zur Stelle.

In der Nacht vom 15./16. Oktober 1923, nachdem Rudolf Stei­ner seine Beobachtungen wegen zu starker Erwärmung des Ma­gneten unterbrechen mußte, hat man eine Änderung des Magne­ten vorgenommen. Aus einem Drehstromtrockentransformator hat man zwei Spulenkerne herausgenommen und durch Hinzufü­gung eines Eisenjochs einen stärker belastbaren Magneten erstellt. Die Kerne waren 180 mm im Quadrat und mit Flachkupferband bewickelt; alle Abmessungen waren fast gleich, jedoch ließ der andere Aufbau eine Belastbarkeit von 400-500 Ampére zu. Die optische Einrichtung und Beobachtung blieben unverändert. Ru­dolf Steiner konnte so am anderen Morgen die Versuche mit einem wesentlich stärkerem Magnetfeld fortsetzen.

In der Zeit bis zum 25. Oktober 1923 wurden mit diesem Magneten etwa 30 fotografische Aufnahmen mit einer Schiebekas­sette gemacht. - Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind teils mit Hauff Ultrarapid oder Perutz Perochrom Platten vorgenommen worden. Auf jeder Platte sind 5 Aufnahmen, je 2 mit Magnet und 3 als Kontrolle ohne Magnet.

Dieser Magnet wurde am 25. Oktober 1923 wieder abgebaut.

Dr. Maier und ich haben auch Rudolf Steiner gefragt, ob wir nicht einen Magneten speziell für diesen Zweck bauen sollten. Wir schlugen vor, um die Wärme wegzuleiten, die Bewicklung des Magneten mit Kupferrohren zwecks Kühlung zu machen. Rudolf Steiner aber war absolut dagegen, die Wärme, die bei einem sol­chen Versuch entsteht, abzuleiten. Er war eher dafür, Unterbrechungen

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der Beobachtungen in Kauf zu nehmen, als die Wärme künstlich wegzuleiten.

Zu Abbildung 3:

Der Magnetkern, von mir am 30. November 1923 fotografiert

Rudolf Steiner fuhr von Ulm-Einsingen nach Dornach. Dr. Ru­dolf Maier und ich überlegten, wie wir diesen Magneten bauen könnten, wobei der Grundsatz war, ihn mit mindestens 3 mm starkem Kupferdraht zu bewickeln, der außerdem mit Asbest­Umspinnung zu Isolationszwecken versehen sein sollte. Wir lie­ßen vom Tischler ein Holzmodell herstellen, das der Ausführung auf der Fotografie (vgl. Abbildung 3) etwa ähnlich war.

Als Rudolf Steiner zum zweiten Male in Einsingen war (ver­mutlich im November 1923), war das Holzmodell des geplanten Magneten fertig. Abends frug er mich, warum das Modell hinten so dick wäre. Ich antwortete ihm, daß auf Grund der allgemeinen

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Anschauungen über diese Art Elektromagneten, die hinten keine Bewicklung haben, man ihn hinten dicker mache wegen der Sätti­gung. Rudolf Steiner sagte dazu im Augenblick gar nichts.

Am nächsten Morgen kam er auf mich zu, begrüßte mich und sagte sofort: «Ich habe es mir überlegt, Sie können den Magneten ohne weiteres hinten schwächer machen, sogar dünner als normal. Denn was wollen wir erreichen? Wir wollen doch haben, daß der Magnetismus nach vorn herausströmt (wobei er mit beiden Ar­men und den geöffneten Handflächen die Stoßbewegung vom Körper weg machte), und das ist nur erreichbar, wenn Sie beim Magneten hinten durch eine Verschwächung des Querschnittes einen Stau erzeugen.» So ist der Magnet, wie auf dem Foto abge­bildet, entstanden: das ist die eiserne Ausführung.

Abmessungen: Gesamtlänge 250 mm, Querschnitt eines Schen­kels 88 x 95 mm, äußerster Abstand der Schenkeiquerschnitte 315 mm. Die Verschwächung hinten beträgt 50 % des Schenkel­querschnittes.

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Der Magnet bestand aus dünnem Dynamo-Blech, 0,5 mm stark. Und zwar waren es 160 Blätter. Hinzu kam auf beiden Seiten ein 5 mm starkes Eisenblech, das auf diese Bleche aufgenie­tet worden war. Sie wurden auf einer Presse mit großem Druck zusammengepreßt und vernietet. Die 160 verschieden geformten Bleche habe ich alle mit einer Blechschere von Hand ausgeschnit­ten. Das Foto zeigt den unbewickelten, aber bearbeiteten Körper. Er wurde bewickelt mit 3 mm starkem Kupferdraht und mit Asbestgarn

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umsponnen. Im ganzen waren es etwa 1000 Windungen mit insgesamt 460 m Kupferdraht.

Mir kommt es darauf an festzuhalten, daß Rudolf Steiner den Magnetismus völlig anders betrachtet hat, als die Naturwissen­schaftler es sonst gewohnt sind. Für ihn war der Magnetismus eine Druckkraft.

Bei seinem vermutlich dritten Besuch sagte Rudolf Steiner, daß man die Bemühungen jetzt beenden sollte, weil der eine Ast des Spektrums bei dieser Anordnung nach oben und der andere Ast nach unten verlaufe.

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Aus diesem Grunde müßte der Magnet um eine Längsachse drehbar gemacht werden, um die gewünschte Verbindung von Rot und Violett zu bekommen. - Aber die jetzt erhaltenen Ver­suchsergebnisse seien vergleichbar einer Kette, bei welcher sich auch ein Glied an das andere ans chließe. -

Nachdem der Magnet bewickelt war, habe ich ein Feilspanbild des Magneten gemacht. (Abbildung 4)

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Zu Abbildung 5 und 6

Sie stellen Entwürfe für Änderungen dar, die 1947 in Rendsburg entstanden sind.

Zu Abbildung 5

Magnet

nach den Gesichtspunkten der Goetheschen Farbenlehre / und dem Lichtkurs Dr. Steiners müssen die / Veränderungen im Spektralgebiet wie «Biegung» des / Spektrums (1922-25) in folgenden Ansätzen gesucht / werden.

Anordnung Maier 1922

1) Wenn in der Farbentstehung nach dem Lichtkurs wichtig ist, / daß der unmittelbar hinter dem Prisma liegende Raum, in welchem / die Dunkelheit und die Helligkeit in verschiedener Weise mit der / selbst-strahlenden Trübe des Prismas zusammenwirkt u. so entweder / gelb rot od. blau violett zur Erscheinung bringt, dann muß der Magnet ausschließlich auf diesen Raum wirken. Den / Wellencharakter elek­tromagnetischer Art, als phys. Basis angenommen / also so:

ruhender Magnet

Gleichstrom

langsam übergehend in Wechselstrom

von V =- 0> lO0/pcc oder langsam räumlich Drehung um achse.

Abbildung 5

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Zu Abbildung 6

2) Magnetfeld ändernd

a) ruhender Magnet

b) räumlich drehend um Achse a - a

c) ruhender Magnet. / Gleichstrom dann übergehend / in Wechsel-

strom von / V = 0> 100

d) räumlich drehend um / Achse b - b

3) Magnetfeldänderung / wie bei 2

P S. Diese Anordnungen / sind Überlegungen ganz allgemeiner / Art

u. haben mit dem Versuch R. Steiners / nicht unmittelbar zu tun! / Ob dabei Effekte zu erwarten / sind, müßte geprüft u. / untersucht werden!

4) Erzeugung magnetischer / Wechselfelder durch / Gleichschalten der Magnete / im Gleichstrom von / verschiedener Frequenz / auch durch wechsel / seitiges Versetzen der / Polarität der einzelnen Spulen u. / Erzeugung von / langsamen / Gleichstrom Wechsel- / feldern. bei gleichzeitiger Drehung des Systems

u. langsamem, steigendem Gleichstromwechselfeld

im gleichlaufenden Sinne od. gegenlaufenden Sinne Drehfelder be­sonders wirksam

Abbildung 6

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Zusätzliche Bemerkungen von Hans Buchheim:

Sowohl in Stuttgart als auch in Einsingen wurde der Magnet mit 220 Volt Gleichstrom beschickt. Die Spektral-Linien wurden mit der Mattscheibe gesucht und dann mit dem Auge direkt beobach­tet. Die Hg-Lampe wurde mit 24 Volt Batteriestrom betrieben. In Stuttgart wurde mit 70 Amp. und in Einsingen mit bis 600-800 Amp. gearbeitet.

In Stuttgart wurde der Gleichstrom aus dem öffentlichen Netz, das voll mit Gleichstrom beliefert wurde, ent­In Ulm-Einsingen stand ein Gleichstromgenerator, mit Dampfmaschine betrieben, zur Verfügung (1000 Amp. und 220 Volt!).

Die Drehachse war nach Angaben von Dr. Steiner parallel den Schenkeln des Magneten, also die Längsachse; andre müßten er­probt werden!

Kommentar zu den Versuchen von 1923

Man muß von der Hg-Lampe abgehen und auf weißes Licht übergehen! Um die Drehung des Magneten, was mit großem Aufwand nur ermöglicht werden kann, zu umgehen, sollte man versuchen, das Spektrum zu drehen. Dabei bleibt die Lichtquelle fest, so daß nur das Spektroskop drehbar gemacht wird. Bei Verwendung eines Geradsicht-Spektroskops wird das Spektrum vor die Pole des Magneten zur Beobachtung gebracht, wobei das Mittelfeld des grünen Gebietes besonders bevorzugt sein muß!

Bei einer solchen Anordnung kann der Magnet um 1800 ge­dreht werden, damit die Beobachtung des Spektrums auf der rückwärtigen Seite der Pole erfolgen kann. Auf diese Weise ent­steht das Spektralband auf der Vorderseite der beiden Pole. Diese Variabilität läßt eine systematische Untersuchung der verschiede­nen Bedingungen und ihrer Beeinflussung auf das Spektrum er­kennen. Wenn diese Elemente klar liegen, dann kann man auch an die Drehbarkeit des Magneten herangehen.

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Denn nur im Gebiet der grünen Farbe kann eine qualitative Aktivität erwartet werden. Das muß «keine» Farbänderung zur Folge haben, vielmehr eine Qualität zwischen Ultra-Rot und Ul­tra-Violett, die absolut «neu» sein wird und deren Feststellung mit anderen Mitteln als der bloßen visuellen Beobachtung erfolgen muß! Man denke dabei an Bakterien oder ähnliche Wirkungen auf niedere Lebewesen oder auf Pflanzen!

Rudolf Steiner hat auf diesem Gebiet keine Rezepte angegeben, sondern Richtlinien für eine Forschung aufgezeigt, welche erst durch eine individuelle Ausprägung ihre Bedeutung erlangen wird.

Versuch in Rendsburg 1953

In Rendsburg habe ich die Sache teilweise realisieren wollen, ohne

Messungen anstellen zu können, weil inzwischen bekannt gewor­den war, daß Freunde in Amerika (Pfeiffer) den erstgenannten Versuch aufgebaut und die beiden Enden des Spektrums durch Spiegelung übereinander gedeckt hatten, was nach den Äußerungen

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Rudolf Steiners und meinen bisherigen Erfahrungen zu kei­nem Erfolg führen konnte.

Es trat in der t)irektion der Stromversorgung in Rendsburg ein Wechsel ein. Um zu verhindern, daß diese Arbeiten in irgendeiner Weise in fremde Hände geraten, habe ich den Aufbau wieder vernichtet.

Nachklänge zu dem Experiment in Einsingen

Aus den Aufzeichnungen von Ernst Lehrs16

So anfänglich das vorhandene Ergebnis auch war, so erfreut war Rudolf Steiner. Ja, er ließ die am Ort befindlichen Angehörigen und Freunde des Leiters der Fabrik, der seine Einrichtung hierfür zur Verfügung gestellt hatte, herbeirufen und einen nach dem anderen durch das Spektroskop schauen. Unter ihnen befand sich die Malerin Margarita Woloschin.17 Selten, so wußte sie später zu erzählen, habe sie Rudolf Steiner so strahlend aussehend erlebt. Sie selber mit ihrem Malerauge habe die Veränderung unmittelbar wahrgenommen. Sie erinnerte sich, daß er die auftretende Farbe als «Karmesin» bezeichnete...

Es ist einleuchtend, daß, wenn es einmal gelingen wird, das dergestalt Begonnene voll zu erreichen, dies von größter Bedeu­tung für das Heil des ganzen Erdorganismus sein wird. Denn im Gegensatz zur Abkoppelung der Erde vom Leben tragenden Kos­mos, wie dies durch die bisher gebräuchliche Verwendung der Elektrizität und sonstiger technischer Mittel geschieht, wird hier im Erdbereich selber ein Quellort geschaffen für verstärktes Her-einwirken außerirdischen Lebens - und dieses gerade mit Hilfe zweier Kräfte der Unternatur: der Elektrizität und des ihr ver­wandten Magnetismus.

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II. Weiterführungen der Goetheschen Farbenlehre

durch die Erkenntnis von Licht- und Farbenwirkungen

in Erdenstoffen und in Weltenkörpern

Vorbemerkungen der Herausgeber

... wir haben in der Welt die Körper so, daß sie zum Teil strahlen und dadurch die hellen Farben zeigen, die auf der einen Seite vom Regenbogen sind, und daß sie auf der anderen Seite nicht strah­len, sondern solche Wellen aussenden. Dadurch bekommt man die bläulichen Farben, die auf der anderen Seite des Regenbogens sind.18

Schon im ersten naturwissenschaftlichen Kurs «Geisteswissenschaftliche Impulse zur Entwickelung der Physik» (Vortrag Stuttgart, 26. Dezember 1919) hatte Rudolf Steiner im Sinne einer goetheanistischen Anschau­ungsweise das Entstehen der sogenannten Absorptionslinien im Spek­trum durch den Versuch mit dem glühenden Natriumgas ausführlich dargelegt: daß nämlich ein glühendes Gas auf eine Farbe im Spektrum, die es selber hat, «unter Umständen das eine Licht trübend auf das andere Licht, auslöschend auf das andere Licht, wie das Prisma selber trübend wirkt». In der heutigen Physik kommt diesen dunklen Linien im Spektrum eine große Bedeutung zu. Sie gaben aber auch Veranlas­sung, die Theorien über die Natur des Lichtes in spekulativer Weise auszubilden. Durch komplizierte Apparaturen und Instrumente hat man diese Erscheinungen in den physikalischen Laboratorien weiter verfolgt. Demgegenüber bemerkt Rudolf Steiner aber: «Es wird sich ja durchaus darum handeln, daß wir nicht in unseren Forschungsinstituten das Ideal verfolgen, möglichst tadellose Instrumente von den Instrumentenver­käufern zu erwerben und die hinzustellen und da auch so zu experimen­tieren, wie die anderen experimentieren. Denn nach der Richtung hin ist ja wirklich überall Außerordentliches geleistet worden. Dasjenige, was für uns notwendig ist, ist durchaus, wie ich schon erwähnt habe, das Herstellen neuer Versuchsanordnungen. Wir müssen nicht von einem fertig eingerichteten physikalischen Kabinett, sondern möglichst von

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einem leeren Zimmer ausgehen und hineingehen nicht mit den heutigen fertigen Instrumenten, sondern mit den in unserer Seele werdenden neuen physikalischen Gedanken. Je leerer die Zimmer und je voller unsere Köpfe, desto bessere Experimentatoren werden wir nach und nach werden.»19

Und zu der für die Betrachtung der Farben von Himmelskörpern angewandten Methode, wie sie in dem Fragenbeantwortungs-Vortrag für die Arbeiter am Goetheanum-Bau in Dornach vom 9.Juni 1923 entwickelt wird, gehört noch, was er im Vortrag Stuttgart, 18.Januar 1921, seinem Bericht von seinem auf Seite 25 angeführten Gespräch mit jenem Physiker (Salomon Kalischer) hinzufügte:

«Es kann sich eigentlich der heutige Physiker, wenn er ehrlich ist, bei der Goetheschen Farbenlehre nichts vorstellen. Er muß einfach die Grundlagen des heutigen physikalischen Denkens überwinden, muß abkommen können von ihnen. Dann wird er aber eben jenen Übergang finden, der zu finden ist von den Erscheinungen zu jener Interpretation, die in der Goetheschen Farbenlehre liegt und die zu gleicher Zeit sein kann ein wichtiger Ausgangspunkt für sonstige physikalische Betrach­tungen, für physikalische Betrachtungen, die bis zum Astronomischen hinreichen. »

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Chronologische Übersicht der Äußerungen RudolfSteiners

Vorträge

1908

26. März Goethes Farbenlehre wird man richtig verstehen, wenn man ver­steht, daß die Spektralanalyse zwar die mineralisch-chemischen Bestandteile der Sonne, aber nicht die auf die Erde herunterströ­menden geistigen Lebenskräfte erkennen kann. GA 56

1910

21. Aug. Der Farbenlehre Goethes liegt das Geheimnis des Zusammenwir­kens von Licht und Finsternis als zweier polarischer Entitäten der Welt zugrunde. Im Netz-Weben von Licht- und Dunkelkraft liegt eines der Geheimnisse des kosmischen Daseins. der kosmischen Alchemie. GA 122

1911

I. Okt. Licht hat im Gegensatz zur dreifachen Ausdehnung der Wärme eine vierte: Innerlichkeit. GA 130

1912

29. Dez. Zusammenhang der Farbenlehre bei Aristoteles und Goethe mit dem altindischen Sankhya-Wissen. GA 142

1913

6. Nov. Die Finsternis hat kein Zentrum, sondern eine mittelpunktslose Expansion. (In diesem Band Seite 105)

1916

20. Aug. Was Goethe eigentlich will, ist eine astronomische Erklärung des Farbengeheimnisses. GA 272

1917/18

26.Juni 1917 Goethes Farbenlehre im Zusammenhang mit den Dunkelkammer

­13.Jan.1918 experimenten von Moritz Benedikt: Rot-Blau-Ausstrahlungen der

physischen Aura. GA 176 und GA 180

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1919/20

23. Dez.- Die Entstehung von Licht-Finsternis-Farbe. Goethes Farbenlehre

2.Jan. und ihre Weiterbildung. GA 320

1.-14. März Der Zwölffarbenkreis aus der Totalität des Licht- und Dunkelheit-Spektrums. GA 321

24. Mai Goethes Farbenlehre als ein Anfang zur Frontänderung des schola­stischen Denkens zur Naturwissenschaft hin. GA 74

1920

30. Sept. Goethes Farbenlehre als Quelle seiner Tonlehre. Beziehungen zwi­schen Vokalen der Sprache und Farben. GA 283

2. Okt. Goethe war in seinem Kapitel über die sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe auf dem Wege zur Imagination. GA 322

5. Dez Die Wärmeseite des Lichtspektrums (rot) hängt mit Vergangenheit, chemische Seite (blau) mit Zukunft zusammen. So wie die Welt draußen, kann auch unser eigenes Inneres als Zusammenklang von Licht und Finsternis angesehen werden. GA 202

29. Dez. Durch gesteigerte Aufmerksamkeit wächst man mit dem Rot und Blau zusammen als weitere Ausbildung dessen, was Goethe als sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe ausgebildet hat. Bisher nur abgedruckt in der Zeitschrift «Die Menschenschule» Jg. 1945, Nr.1 und in «Gegenwart» 1965/66. Nr.4/5

1921

9. und Die Biegung des Farbbandes zum Farbenkreis als methodologi­

18. Jan. sches Beispiel, das Qualitative ähnlich wie das Quantitative zu behandeln. Das Spektrum kann im Sinne Goethes nicht mit den heutigen Instrumenten studiert werden. Im Spektrum ein Bild des Gegensatzes Erde/Sonne. GA 323

22. März Verstandesmäßige Behandlung der Phänomene unterdrückt die imaginative Kraft. Goethe gebraucht in der Farbenlehre den Ver­stand anders und kommt dadurch zum Urphänomen. GA 324

6., 7., 8. Mai Das innere objektive Wesen der einzelnen Farben. Farbenband und Farbenkreis. Die Physik sollte es bei dem im Raume ausgebreiteten Licht belassen. Das Farbige kann überhaupt nicht betrachtet wer­den, ohne in das Seelische heraufgehoben zu werden. GA 291

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1923

14. März Die Farbgedanken, die Farbanschauungen lassen sich auf alles an­wenden. GA 291/349

9.Juni Licht- und Farbwirkungen in Erdenstoffen und Weltenkörpern. Die Spektralanalyse. Goethes Urphänomen der Farbenlehre in be­zug auf die Farben der Planeten Saturn und Mars. (In diesem Band Seite 107)

20. Aug. Farben und Äther. GA 227

1924

4. Juni Die Wahrnehtnung der Himmelsbläue ist Wahrnehmung des sonst unsichtbaren Athers. GA 236

I. Juli Farben sind der an der Außenwelt fixierte Gemütsinhalt. GA 279

Über Goethes Farbenlehre - Licht und Finsternis Fragenbeantwortung Berlin, 6. November 1913

#G291a-1990-SE105 Farbenerkenntnis

#TI

TEXTE VON RUDOLF STEINER

Über Goethes Farbenlehre - Licht und Finsternis

Fragenbeantwortung Berlin, 6. November 1913

#TX

Erste Frage: Das Licht hat sein physisches Zentrum in der Sonne. Nach Goethe ist die Farbe die Folge der Wechselwirkung zwischen Licht und Finsternis. Wo ist nun der physische Impuls für die Finsternis? Im Zentrum der Erde?

Antwort: Etwas Prinzipielles darüber soll im Zusammenhang mit der folgenden Frage gegeben werden.

Zweite Frage: Die Farben Geibrot, Blauviolett als Farbensäume geben zusam­men Grün. Wenn man sie aber aus dem Spektrum für sich nimmt, sagt Magnus, so ergeben sie kein Grün? 20

Antwort: Goethes Farbenlehre muß aus seiner ganzen Weltan­schauung heraus verstanden werden und kann nicht so ohne wei­teres angewendet werden innerhalb der Physik, so wie diese heute unter dem Einfluß einer bestimmten Theorie geworden ist.21 Goe­the selber machte den Fehler, daß er das tat. Denn man muß die Experimente mit einer ganz anderen Seelenverfassung anstellen, dann kommt das Richtige schon heraus.22 Es ist heutzutage noch nicht ganz fruchtbar, auf diese Dinge einzugehen.

Was das Entstehen von Grün aus Gelb und Blau betrifft, so ist das nicht so einfach. Man sehe darüber Franz Brentano «Zur Theorie der Sinnesphysiologie», Leipzig 1907.23 Es ist heute noch lange nicht ausgemacht, wie sich das Grün aus dem Gelb und Blau entwickelt. Vieles hängt von der Anordnung eines Experimentes ab; manche Spektral-Experimente sind schon eingerichtet, daß dasjenige herauskommt, was man sich vorstellt.

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Was Licht und Finsternis betrifft: 24 Das Licht braucht ein Zentrum, aber wenn man schon von einem Ausbreiten der Fin­sternis sprechen will - was anfechtbar ist-, als ob man von einem «Zentrum des Nichts» spreche, dann muß man sagen: Ein Zen­trum gibt es eigentlich nicht, es gibt eine mittelpunktslose Ex­pansion; daher wird die Finsternis von dem Lichte überall angetroffen.

Und in einem Diskussionsvotum, anstelle eines Vorwortes in dem angeführten ersten naturwissenschaftlichen Kurs (GA 320) heißt es, gewissermaßen als Ver­gleich:

«... . die Helligkeit würde schematisch dadurch bezeichnet, daß eine Ausbreitung stattfindet. Sie können dann die Dunkelheit nicht dadurch bezeichnen, daß ein Ausbreiten stattfindet, sondern müssen die Dunkelheit so bezeichnen, daß gewissermaßen von dem Unendlichen her so etwas wie ein Saugen stattfindet. Sie würden also von einem Raum, den Sie mit schwarzen Wänden ausgekleidet haben, nicht sagen dürfen: Es findet da ein Ausbrei­ten statt, eine Emission oder dergleichen, sondern es findet ein Saugen statt, Saugwirkungen, ... und Sie werden in dem Blau etwas haben vom Saugenden - es ist eigentlich nur approximativ gesprochen - und werden bei dem Roten etwas haben vom Sich­Ausbreitenden, im Grünen gewissermaßen die Neutralisierung, . . so daß wir, wenn wir es subjektiv machen und zum Beispiel das Blau sehen, wir das Auge im Grunde genommen einer Saug­wirkung exponieren, im Rot einer Druckwirkung in einem gewis­sen Sinne, was aber nun nicht mechanisch, sondern intensiv zu denken ist.»*


* Für diese Zusammenhänge bildet die Fragenbeantwortung vom 6. Novem­ber 1913 (auf Seite 105) eine bedeutende Ergänzung.

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Licht- und Farbenwirkun gen

in Erdenstoffen und in Weltenkörpern

Fragenbeantwortungs Vortrag für die Arbeiter am Goetheanumbau

Dornach, 9.Juni 1923 (GA 350)


Nun, meine Herren, auf was haben Sie sich besonnen?

Frage: Die verschiedenen chemischen Stoffe haben die Eigenschaft, gewisse Farben zum Beispiel der Flamme zu geben. Andererseits haben aber auch viele Sterne einen Farbenschimmer, wie der Mars. Ich hätte gern einiges gewußt über diese Sache. Zum Beispiel der Mars hat einen rötlichen Schimmer. Das Eisen, wenn es oxydiert, der Rost, hat auch eine rötliche Farbe. Ob da Zusammenhänge sind?

Dr. Steiner: Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage. Zu­nächst müßte man sich erinnern an das, was wir schon über die Farben besprochen haben. Wir haben ja schon verschiedenes über die Farben besprochen. 25 Sie müssen bedenken, daß die Farbe eines Körpers doch zusammenhängt mit der ganzen Art und Weise, wie er in der Welt drinnensteht. Denken wir uns also, wir haben irgendeinen Stoff. Der Stoff, der hat eine ganz bestimmte Farbe. Nun meinen Sie, daß diese Farbe unter Umständen ganz anders sich äußern kann, wenn man diesen Stoff an die Flamme bringt, so daß man also dann eine gewisse Färbung der Flamme bekommt? - Da muß man sich klar sein darüber, daß ja, wenn die Flamme für sich entsteht, die Flamme auch schon eine bestimmte Farbe hat und daß dann, wenn wir einen Stoff in die Flamme bringen, zwei Farben zusammenwirken, die des Stoffes und die der Flamme. Nun ist es aber überhaupt etwas höchst Eigentümli­ches, wie sich die Farben in der Welt verhalten. Darüber will ich Ihnen jetzt einiges erzählen.

Sie kennen ja den gewöhnlichen Regenbogen. Der Regenbogen hat ein rotes Band, dann geht das über in Orange und Gelb, dann wird das Band grün, dann blau, dann wird das Band etwas dunkler blau, indigoblau, und dann wird das Band violett. So bekommen wir eine Anzahl von sieben Farben ungefähr, die der Regenbogen

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an sich hat (siehe Zeichnung). Diese sieben Farben haben natür­lich die Menschen immer beobachtet und in der verschiedensten Weise erklärt, denn eigentlich sind diese sieben Farben, die man da vom Regenbogen bekommt, die allerschönsten Farben, die man überhaupt in der Natur sehen kann. Und außerdem müssen Sie ja wissen, daß diese Farben so sind, als ob sie ganz frei schweben würden. Sie entstehen ja, wie Sie wissen, wenn ir­gendwo die Sonne scheint und vor der Sonne Regenwetter ist. Dann erscheint der Regenbogen auf der anderen Seite am Him­mel. Wenn Sie also irgendwo einen Regenbogen sehen, so müssen Sie sagen: Wo ist nun das Wetter? Ja, auf der entgegengesetzten, auf der abgewendeten Seite vom Regen muß die Sonne sein. - So muß die Ordnung sein. So entstehen diese sieben Farben des Regenbogens.

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Nun kommen aber diese sieben Farben auch noch anders vor. Denken Sie sich, wir verbrennen einen metallartigen Körper, brin­gen ihn immer mehr und mehr zur Erhitzung, so daß dieser metallartige Körper sehr heiß wird. Dann wird dieser metallartige Körper zunächst, wie Sie ja wissen, rotglühend, zuletzt weißglü­hend, wie man sagt. Also denken Sie sich, wir haben eine Art von Flamme dadurch hervorgerufen, daß wir, ich möchte sagen, ei­gentlich eine Metallflamme da haben. Aber es ist nicht eine eigent­liche Flamme, es ist ein glühendes Metall, ein Metall, das ganz glüht. Wenn man nun ein solches Metall, das ganz glüht, durch ein sogenanntes Prisma anschaut, dann sieht man nicht eine weißglü­hende Masse, sondern man sieht dieselben sieben Farben wie beim Regenbogen.

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Ich werde das jetzt schematisch zeichnen (siehe Zeichnung). Denken Sie sich, da hier wäre dieses glühende Metall, und nun habe ich hier ein solches Prisma. Sie wissen ja, was ein Prisma ist. Da ist es von der Seite gezeichnet, so ein dreieckiges Glas. Da ist mein Auge. Jetzt schaue ich da durch. Da sehe ich jetzt nicht einen weißen Körper, sondern ich sehe die sieben Farben des Regenbo­gens, die sieben aufeinanderfolgenden Farben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigoblau, Violett. Also durch das Prisma sehe ich dasjenige, was eigentlich weiß ist, was weißglühend ist, in sieben Farben. Daraus geht Ihnen hervor, daß man dasjenige, was weiß­glühend ist, in den Regenbogenfarben schimmern sehen kann.

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Nun kann man noch etwas anderes machen, was ganz außeror­dentlich interessant ist. Sehen Sie, eine solche weißglühende Masse kann man nur hervorrufen, wenn man ein Metall, überhaupt einen festen Körper, glühend macht. Wenn ich aber ein Gas habe und verbrenne das Gas, dann bekomme ich, wenn ich durchs Prisma schaue, nicht die sieben Farben, nicht ein solches Siebenfarben­band, sondern etwas ganz anderes.

Sie können nun sagen: Wie bekommt man denn ein glühendes Gas? - Ja, ein glühendes Gas kann man sehr einfach bekommen. Denken Sie sich zum Beispiel, ich habe das gewöhnliche Koch­salz. In dem gewöhnlichen Kochsalz sind zwei Stoffe drinnen, erstens ein metallartiger Stoff, den man Natrium nennt, und dann ist noch Chlor drinnen. Das ist ein Gas, das, wenn man es ir­gendwo ausbreitet, wenn es irgendwo ist, einem gleich scharf in

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die Nase faucht. Das ist dasselbe Gas, das man zum Beispiel zum Bleichen von Wäsche verwendet. Die Wäschestücke werden ge­bleicht davon, wenn man Chlor darüberstreichen läßt.

Wenn man also Natrium und Chlor zusammen hat, als einen Körper, ist es unser gewöhnliches Kochsalz, mit dem wir unsere Speisen salzen. Wenn man das Chlor wegnimmt und das Natrium, das dann weißlich ist, in eine Flamme gibt, so wird die Flamme ganz gelb. Woher kommt das? Ja, meine Herren, das kommt davon her, weil das Natrium, wenn die Flamme heiß genug ist, zum Gas wird, und dann verbrennt das Natriumgas gelb, gibt eine gelbe Flamme. Wir haben also jetzt nicht nur einen richtig glühen­den Metallkörper, sondern wir haben eine gasige Flamme. Wenn ich jetzt dieses durch mein Prisma anschaue, dann wird das nicht in derselben Weise siebenfarbig, sondern es bleibt im wesentlichen gelb. Nur auf der einen Seite hat es - da muß man aber schon sehr, sehr scharf zuschauen - etwas Bläuliches und etwas Rötliches. Aber im ganzen bemerkt man das eigentlich nicht; man sieht da auch nur das Gelbe.

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Aber das ist nun alles noch nicht das Interessante. Das Allerin­teressanteste ist das: Wenn ich die ganze Geschichte hier aufstelle, die gelbe Flamme hier hereingebe (Zeichnung Seite 109) und nun wieder durch mein Prisma gucke, was werden Sie sagen? Sie werden sagen: Wenn ich da durchgucke, habe ich da Rot, Orange, Gelb, Grün und so weiter. Da ist auch Gelb, werden Sie sagen. Also wenn ich da durchgucke, wird das Gelbe hier besonders

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stark sein, werden Sie sagen, es wird ein besonders helles Gelb sein, ein recht leuchtendes Gelb. - Ja, sehen Sie, das ist nicht der Fall. Was da ist, das ist, daß gar kein Gelb erscheint, daß das Gelbe ganz ausgeschieden wird, weggelöscht wird und eine schwarze Stelle da ist. Geradeso wie es eine gelbe Gasflamme geben kann, so gibt es ja auch zum Beispiel eine blaue. Man kann auch Stoffe finden, wie zum Beispiel Lithium, das eine rote Flamme hat. Kalium und ähnliche EStoffe] haben eine blaue Flamme. Wenn Sie nun zum Beispiel eine blaue Flamme hier hereinstellen, so ist es nicht etwa so, daß das Blau hier stärker erscheint, sondern wie­derum ist hier eine schwarze Stelle. Das Eigentümliche ist also:

Wenn man etwas glühend macht, wenn etwas als fester Körper ganz glüht und nicht Gas ist, sondern glüht, dann bekommt man dieses Farbenband von sieben Farben. Wenn man aber nur ein brennendes Gas hat, dann bekommt man mehr oder weniger eine einzelne Farbe, und diese einzelne Farbe löscht dann dasjenige aus in dem ganzen Farbenband, was sie selber als Farbe hat.

Das, was ich Ihnen jetzt erzähle, das wissen die Menschen verhältnismäßig noch nicht seit sehr langer Zeit, sondern das ist erst 1859 gefunden worden. 1859 hat man erst gefunden: In einem siebenfarbigen Farbenband, das von einem glühenden festen Kör­per ausgeht, löschen einzelne Farben, die von glühenden Gasen, brennenden Gasen herkommen, die entsprechenden Farben aus.

Daraus sehen Sie schon, wie außerordentlich kompliziert eine Farbe auf die andere wirkt. Und damit hängt es jetzt zusammen, daß, wenn man gewöhnlich die Sonne anschaut, sie ja so beschaf­fen ist, als wenn sie ein weißglühender Körper wäre. Es ist richtig so: Wenn man oberflächlich durch ein Prisma schaut, so sieht man auch an der Sonne diese sieben aufeinanderfolgenden Farben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo, Violett. Aber wenn man ge­nauer zuschaut, dann sind in der Sonne, in der Sonnenscheibe nicht diese sieben Farben, sondern nur annähernd sind die sieben Farben, und dazwischen sind lauter schwarze Linien, eine ganze Menge schwarze Linien. Also wenn man genau hinschaut auf die Sonne, so hat man nicht ein siebenfarbiges Band, sondern man hat

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die sieben Farben, aber die sind überall unterbrochen von lauter schwarzen Linien.

Was muß man sich denn da sagen? Wenn einem nicht das richtige, ununterbrochene Farbenband von der Sonne entgegen-scheint, sondern das von lauter schwarzen Linien unterbrochene Farbenband, ja, da muß man sagen: Zwischen uns und der Sonne sind lauter brennende Gase, die immer unterwegs die entspre­chenden Farben auslöschen. - Also wenn ich statt auf ein glühen­des Metall auf die Sonne schaue und die schwarzen Linien sehe, so muß ich überall, wo ich die schwarzen Linien sehe, mir sagen: Da, also immer an der betreffenden Stelle, wird ausgelöscht zum Bei­spiel hier vom Natrium das Gelb. Wenn ich in die Sonne schaue und im Gelb drinnen eine schwarze Linie ist, so muß ich sagen:

Zwischen mir und der Sonne ist Natrium. - Und so bekomme ich für alle Metalle schwarze Linien im Sonnenlicht. Also ist zwischen mir und der Sonne alles mögliche an Metallen im Weltenraum gasförmig ausgebreitet.

Was geht daraus hervor? Meine Herren, daraus geht hervor, daß der Weltenraum, wenigstens die Umgebung der Erde zu­nächst, angefüllt ist mit lauter nicht nur glühenden, sondern bren­nenden Metallen. Wenn man das bedenkt, dann muß man sich ja überhaupt klar sein, daß im Grunde genommen nirgends von dem geredet werden kann, daß wir da auf der Erde stehen und da oben die glühende Sonne ist, sondern das, was wir sehen, das hängt eigentlich von dem ab, was zwischen uns und der Sonne ist. Und die Physiker, die würden sehr überrascht sein, wenn sie einmal wirklich in die Sonne kommen könnten, denn da würde es nicht so ausschauen, wie sie es vermuten, sondern dasjenige, was man sieht, rührt eigentlich her von dem, was zwischen dem Menschen und der Sonne ist. Da sehen Sie schon an einem Beispiel, wie kompliziert eigentlich der Zusammenhang zwischen Substanzen und Farben ist.

Wenn Sie also irgendwo eine Flamme haben, und die Flamme, etwa eine Kerzenflamme, hat eine bestimmte Färbung, so müssen Sie zunächst fragen: Ja, was ist denn in der Kerze drinnen? - In

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der Flamme haben Sie diejenigen Stoffe gasförrnig - sie werden zumeist durch die Hitze der Flamme gasförrnig-, die in festem Zustande in der Kerze drinnen sind. Blicken wir dann, wie ich es hier mit der Flamme getan habe, durch ein Prisma: Ein Stoff, der gasförmig ist, färbt die ganze Flamme. Durch das Natrium zum Beispiel wird die Flamme gelb. Wenn Sie irgendwo, zum Beispiel in diesem Raume, eine Flamme hätten und dann durch ein Prisma schauten - die Natriumschwärze haben Sie fast überall. Man braucht gar nicht das Natrium erst irgendwie hinzutun. Wenn die Apparate ganz genau angeordnet sind, so daß man richtig schauen kann, findet man überall diese schwarzen Linien, die eigentlich gelb sein sollten und die im Grunde genommen davon herrühren, daß überall ganz kleine Spuren von Natrium sind. Es gibt eigent­lich kaum irgend etwas auf der Erde, wo nicht kleine Spuren von Natrium sind. Das beweist Ihnen aber, daß das Natrium über­haupt notwendig ist in der Natur. Wo es nicht ist, könnten wir nicht leben. Wir müssen auch ein bestimmtes Quantum, eine bestimmte Menge Natrium immer in uns selber haben, müssen das Natrium verarbeiten. Und es verrät sich eigentlich nur da­durch, daß es überall die gelben Linien auslöscht und sie zu schwarzen macht.

Nun, jetzt müssen Sie sich an das erinnern, was ich Ihnen schon einmal gesagt habe: Wodurch entstehen blaue und violette Far­ben? Wodurch entstehen rote und gelbe? - Nun, blau, das habe ich Ihnen gesagt, erscheint der weite Weltenraum, denn da drau­ßen, wo wir das Firmament sehen, da ist nichts. Es ist der weite, schwarze Weltenraum. Wir sehen also den weiten, schwarzen Weltenraum. Aber wir sehen ihn ja nicht, indem er einfach vor uns ist. Zwischen uns und diesem weiten, schwarzen Weltenraum sind die Wasserdünste, die fortwährend aufsteigen. Auch wenn die Luft rein ist, sind fortwährend Wasserdünste in der Luft. Wenn hier (es wird gezeichnet) die Erde ist, hier die Wasserdünste sind und ringsherum der schwarze Weltenraum ist, so scheint dann die Sonne durch diese Dünste durch. Wenn Sie da unten stehen und hinaufschauen, sehen Sie nicht Schwarz, sondern Blau.

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Durch das Beleuchtete sehen Sie den dunklen Raum nun in einem Blau. Das heißt, wenn ich ein Dunkles, ein Finsteres durch ein Beleuchtetes sehe, sehe ich es blau.

Die Morgen- und Abendröte ist ja, wie Sie wissen, gelblich oder gelblich-rötlich. Wenn das hier (es wird gezeichnet) die Erde ist, da die Dünste ringsherum sind und nun die Sonne hier herauf-kommt, sehe ich das hier beleuchtet. Ich sehe da hier ein Helles, aber ich sehe es zunächst durch die dunklen Dünste. Dadurch wird es für mich gelb. Wenn ich ein Helles durch ein Dunkles sehe, wird es gelb. Wenn ich ein Dunkles durch ein Helles sehe, wird es blau. Blau ist die Dunkelheit, die durch Helles gesehen wird, Gelb ist die Helligkeit, die durch Dunkles gesehen wird. Das ist doch zu verstehen!

Wenn ich nun das Gelb durch die gelbe Natriumflamme habe, so bedeutet diese gelbe Natriumflamme, daß das Natrium ein Stoff ist, der, wenn er verdunstet, sehr hell wird, aber zugleich um sich etwas Dunkles erzeugt. Also das Natrium brennt eigentlich so: Wenn hier das Natrium verbrennt, so schießt in der Mitte das weiße Licht in die Höhe (Zeichnung Seite 115 links) und rings-herum schießt die Dunkelheit in die Höhe, und dadurch sehe ich das Ganze gelb. Also das Natrium strahlt Licht aus, aber rings-herum, weil es gar so stark Licht ausstrahlt, erzeugt es die Dun­kelheit.

Das braucht Sie nicht zu verwundern, daß das stark Licht ausstrahlende Natrium Dunkelheit um sich erzeugt, denn wenn Sie ein Schnelläufer sind und recht schnell rennen und ein anderer mitkommen will mit Ihnen, so bleibt er eben dann zurück. Das, was da herausspritzt, das ist eben ein Schnelläufer; es erscheint also leuchtend durch die Dunkelheit, es erscheint mir gelb.

Bei der gewöhnlichen Kerzenflamme ist es so, daß die Teilchen so zersplittern. Dadurch wird es hier ringsherum hell, und in der Mitte bleibt es dunkel. Wenn Sie daher eine gewöhnliche Kerzen-flamme haben, so sehen Sie das Dunkel durch das Helle. Hier spritzen die hellen Pünktchen (siehe Zeichnung, rechts). Hier in der Mitte bleibt es dunkel, es erscheint daher blau. Wenn man also

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eine gelbe Flamme hat, wie beim Natrium, so bedeutet das, daß das außerordentlich stark spritzt. Wenn man eine blaue Flamme hat, bedeutet das, daß es eigentlich nicht stark spritzt, sondern sich zersplittert.

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Das ist überhaupt in der Welt der Unterschied zwischen den Wirkungen der Substanzen. Denken Sie sich, ich hätte hier eine Glasröhre; die schmelze ich an beiden Ende zu. Jetzt pumpe ich aber außerdem die Luft aus, so daß ich eine ganz luftleere Glas­röhre bekomme. Jetzt mache ich folgendes: Ich leite hier einen elektrischen Strom herein, der da endet, und hier [auf der anderen Seite] auch einen; das ist ein Strom, der dann hier geschlossen ist. Also da stehen sich jetzt die zwei Pole der Elektrizität gegenüber. Zwischen ihnen ist der luftleere Raum. Da entsteht jetzt etwas sehr Sonderbares: Auf der einen Seite spritzt die Elektrizität und auf der anderen Seite, indem es bläulich erscheint, bilden sich solche Wellen (Zeichnung Seite 116), und das geht dann zusam­men. Da spritzt fortwährend sozusagen das Helle in das Dunkle hinein, die helle Elektrizität in das Dunkle hinein. Da haben Sie also die beiden Flammen, die ich Ihnen gezeigt habe, getrennt. Diese haben Sie auf dem einen Pol der Elektrizität und die da auf dem anderen Pol. Was die Natriumflamme macht, wird hier auf der einen Seite gemacht, was die gewöhnliche Kerzenflamme macht, wird auf der anderen Seite gemacht. Wenn man in der richtigen Weise verfährt, bekommt man hier verschiedene Strahlenarten,

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unter anderem auch die Röntgenstrahlen, durch die man ja, wie Sie wissen, die festen Bestandteile, Knochen und so weiter, oder fremde Bestandteile, die der Körper in sich hat, sehen kann.

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Also die Sache ist so, daß es in der Welt Substanzen gibt, die ausstrahlen. Andere Substanzen gibt es, die strahlen nicht aus, sondern, man kann sagen, die glimmen und überziehen sich an der Oberfläche mit solchen Wellen. Die Substanzen, die sich an der Oberfläche mit solchen Wellen überziehen, sind bläulich; die Substanzen, die ausstrahlen, sind gelblich. Wenn dann vor das Gelbliche ein dunkler Körper tritt, wird das Gelbliche rötlich. Also wenn man das Gelbliche wiederum dunkler macht, kann es rötlich werden.

Sie sehen also, meine Herren, wir haben in der Welt die Körper so, daß sie zum Teil strahlen und dadurch die hellen Farben zeigen, die auf der einen Seite vom Regenbogen sind, und daß sie auf der anderen Seite nicht strahlen, sondern solche Wellen aus­senden. Dadurch bekommt man die bläulichen Farben, die auf der anderen Seite des Regenbogens sind.

Wenn Sie das wissen, dann werden Sie sich sagen: Es gibt solche Sterne wie zum Beispiel den Mars, der strahlt gelblich­rötlich, oder wie zum Beispiel den Saturn, der strahlt bläulich. Jetzt kann man aus dem, wie der Stern beschaffen ist, sehen, wie er sich verhält. Der Mars ist einfach ein Stern, der viel ausstrahlt, dadurch muß er gelblich-rötlich erscheinen. Er ist ein Stern, der viel ausstrahlt. Der Saturn ist ein Körper, der sich ruhiger verhält und sich mit Wellen überzieht. Man sieht fast die Wellen um ihn herum. Wenn man den Saturn hat, so kann man noch die Wellen

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um ihn herum als Ringe sehen. Er erscheint blau, weil er sich mit Wellen umgibt.

Nun, das, was man da an den Erdenkörpern beobachtet, das zeigt uns ja, wenn man diese nur nicht stumpfsinnig, sondern richtig beobachtet, wie die Körper draußen im Weltenraume sind. Nur muß man sich klar sein darüber, daß eben der ganze Welten­raum ausgefüllt ist, wie ich Ihnen gesagt habe, mit allen möglichen Substanzen, die immer eigentlich in einem verbrennlichen Zu­stande sind.

Nehmen Sie nun einen Körper, zum Beispiel das Eisen: es rostet. Das haben Sie ja wohl mit der Frage gemeint? Das Eisen rostet, und dadurch wird es rötlicher, als es sonst ist. Wir haben also einen Körper, der verhältnismäßig dunkel ist, der rostet und der dadurch rötlich wird. Nachdem wir jetzt die Farben studiert haben, werden wir uns Aufschluß darüber geben können, was denn das eigentlich heißt: Das Eisen wird durch das Rosten, also wenn es fortwährend der Luft ausgesetzt ist, rötlich. - Machen wir uns das ganz klar, was das heißt. Ich habe hier natürlich nicht alle Farben, aber Sie werden sich schon vorstellen können, was ich meine. Nehmen wir also an, wir haben das blaue Eisen. Jetzt ist es der Luft ausgesetzt. Jetzt wird es dadurch, daß es der Luft ausge­setzt wird, rötlich durch das Rosten.

Nun können Sie sich sagen, daß das Rötliche dadurch entsteht, daß man ein Helles hat, das man durch Dunkelheit sieht. Also ein Helles, durch Dunkelheit gesehen, wird rötlich. Wenn ich das Eisen, wie es in seinem gewöhnlichen Zustand ist, anschaue, so ist es zunächst dunkel, das heißt, es wirft Wellenlinien aus. Wenn ich aber das Eisen der Luft lange Zeit aussetze, wenn das Eisen lange in der Luft ist, dann kommt die Luft an das Eisen heran; und das Eisen wird allmählich so an der Luft, daß es anfängt, sich innerlich gegen die Luft zu wehren. Es wehrt sich gegen die Luft, fängt an zu strahlen. Und dasjenige, was strahlt, wie hier die Natrium-flamme, wo dann ringsherum das Dunkle ist, das wird gelblich oder rötlich. So daß Sie also sagen können: Das Verhältnis zwi­schen dem Eisen und der Luft ist ein solches, daß das Eisen

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innerlich anfängt kribbelig zu werden und strahlt. Das Eisen wird kribbelig und strahlt.

Nun wissen Sie ja, daß das Eisen auch im menschlichen Körper vorhanden ist, und zwar als ein sehr wichtiger Stoff. Das Eisen ist im Blut des Menschen enthalten, und das Eisen ist ein sehr wichti­ger Bestandteil des Blutes. Wenn wir zu wenig Eisen im Blut haben, dann sind wir Menschen, die nicht ordentlich gehen kön­nen, die rasch müde werden, die also schlapp werden. Wenn wir zuviel Eisen im Blut haben, dann werden wir aufgeregte Men­schen und schlagen alles zusammen. Wir müssen also gerade die richtige Menge von Eisen im Blut haben, sonst geht es uns eben schlecht. Nun, meine Herren, heutzutage beschäftigt man sich ja weniger mit diesen Dingen, aber ich habe Sie schon einmal darauf aufmerksam gemacht: wenn man nachforscht, wie der Mensch zusammenhängt mit der ganzen Welt, so findet man heraus: Das Blut hängt beim Menschen zusammen mit dem Einwirken vom Mars. Der Mars, der sich ja bewegt, regt eigentlich in uns immer die Tätigkeit des Blutes an. Das ist durch seine Verwandtschaft mit dem Eisen. Daher haben schon alte Gelehrte, die das gewußt haben, dem Mars dieselbe Natur zugeschrieben, die das Eisen hat. Man kann also den Mars in gewissem Sinne anschauen als etwas, was gleich ist unserem Eisen. Aber zugleich schimmert er rötlich­gelb, das heißt, er wird fortwährend strahlend in seinem Inneren. Im Mars sehen wir also einen Körper, der fortwährend im Inneren strahlend wird.

Diese ganze Sache begreift man nur, wenn man eben aus diesen Studien heraus sich sagt: Der Mars hat eisenähnliche Art, ist eine eisenähnliche Substanz; aber es kribbelt fortwährend, er will fort-während strahlig werden. Wie das Eisen durch den Einfluß der Luft, so will der Mars durch den Einfluß seiner Umgebung fort­während strahlen. Er hat also eigentlich eine Natur, die fortwäh­rend innerlich kribbelig, das heißt, lebendig werden will. Der Mars will fortwährend ins Leben übergehen. - Das kann man an seiner ganzen Färbung und an seiner ganzen Art und Weise, wie er sich verhält, sehen. Hat man es mit dem Mars zu tun, so muß

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man wissen, daß das ein Weltenkörper ist, der eigentlich fortwäh­rend ins Leben übergehen will.

Mit dem Saturn ist es anders. Der Saturn ist von bläulichem Schimmer, das heißt, er strahlt nicht, sondern er umgibt sich mit einem Welligen. Er ist gerade das Gegenteil vom Mars. Der Saturn will fortwährend in das Tote übergehen, fortwährend Leichnam werden. Man sieht am Saturn, daß er sich gewissermaßen mit Helligkeit umgibt, so daß wir dann seine Dunkelheit durch die Helligkeit bläulich sehen.

Nun mache ich Sie aufmerksam auf etwas: Sie können eine ganz nette Erscheinung haben, wenn Sie einmal in einer nicht ganz dunklen, aber in einer stark dämmerigen Nacht durch einen Wei­denforst gehen, durch einen Wald gehen, wo Weiden sind. Da können Sie ab und zu etwas sehen, was Sie veranlaßt, sich zu fragen: Donnerwetter, was leuchtet denn dort so? Was ist das, was so leuchtet? - Dann gehen Sie nahe hin, und das Leuchtende stellt sich heraus als verfaulendes Holz. Also das Verfaulende wird leuchtend. Wenn Sie dann sehr weit weggehen und das anschauen würden, und Sie würden dahinter, hinter diesem Leuchtenden, ein Dunkles haben, dann würde Ihnen das Leuchtende nicht mehr leuchtend, sondern blau erscheinen. Und so ist es beim Saturn. Der Saturn, der verwest eigentlich fortwährend. Der Saturn ver­west. Dadurch hat er ringsherum ein Helles, aber er selber ist dunkel, und dadurch erscheint er blau, weil wir seine eigene Dunkelheit, ich möchte sagen, durch seine Verwesungsstoffe, die er um sich herum hat, anschauen. Beim Mars sieht man also, wie er fortwährend leben will, beim Saturn sieht man, wie er fortwäh­rend sterben will.

Das ist das Interessante, daß man Weltkörper so betrachten kann, daß man von ihnen sagen kann: Die Weltkörper, die einem in bläulichem Schimmer erscheinen, gehen zugrunde, und diejeni­gen, die einem in rötlichem, gelblichem Schimmer erscheinen, das sind erst entstehende. Und so ist es ja in der Welt: An einem Orte ist etwas, was entsteht, am anderen Ort ist etwas, was vergeht. Wie auf der Erde an einem Orte ein Kind ist, an dem anderen Orte

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ein Greis, so ist es im Weltenall. Der Mars, der ist noch ein Jüngling, der will fortwährend leben. Der Saturn ist schon ein alter Greis.

Sehen Sie, das haben die Alten studiert. Wir müssen es wieder studieren. Wir können es aber erst verstehen, was die Alten ge­meint haben, wenn wir es wieder finden. Daher ist es, wie ich schon das letzte Mal gesagt habe, so dumm, wenn die Leute sagen, man schreibe in der Anthroposophie nur dasjenige zusammen, was man in alten Schriften finde. Denn das kann man gar nicht verstehen, was man in alten Schriften findet! Sehen Sie, man versteht das, was in alten Schriften steht und aus einer richtigen alten Weisheit heraus ist, erst, wenn man es wieder gefunden hat. So gab es noch im Mittelalter, bevor Amerika entdeckt worden ist, einen Spruch. Der war sehr interessant; den sagte fast jeder ein­zelne Mensch. Wenn Sie damals gelebt hätten, hätten Sie auch den Spruch gewußt. Im Mittelalter sagten den Spruch alle möglichen Menschen, denn man lernte den Spruch noch so, wie man heute, ja, was weiß ich, einen Agitationsspruch etwa lernt.

Dieser Spruch heißt:

O Sonn', ein König dieser Welt!

Luna dein Geschlecht erhält.

Luna ist der Mond.

Merkur kopuliert euch fix.

Ohn' Venus wäret ihr alle nix,

Die Marten sich zum Mann erwählt.

Also den Mars.

Da wird also in dem Spruch angedeutet: Die Venus, die auch eine junge Gestalt ist, hat sich Marten zum Mann erwählt, den Mars. Es wird also angedeutet, wie der Mars ein Jüngling ist da

draußen im Weltenall.

Ohn' Jupiters Macht euch alles fehlt.

Also auch von jupiter wird angedeutet, wie er überall eingreift.

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Und dann wird zuletzt gesagt:

Damit Saturn, alt und greis,

In vielen Farben sich erweis'.

Denken Sie, wie schön in diesem mittelalterlichen Spruch die Jugend vom Mars entgegengestellt ist dem Alter von Saturn!

O Sonn', ein König dieser Welt!

Luna dein Geschlecht erhält.

Merkur kopuliert euch fix.

Ohn' Venus' Gunst erreicht ihr alle nix,

Die Marten sich zum Mann erwählt.

Ohn' Jupiters Macht euch alles fehlt.

Daß Saturn, alt und greis,

In vielen Farben sich erweis'.

Also Sie sehen, verstehen wird man das nicht, und das zeigen ja auch die Leute. Denn wenn ein heutiger Gelehrter einen solchen Spruch liest, dann sagt er: Nun ja, das ist ein dummer Aberglaube!

- Er lacht darüber. Wenn man wieder findet, was in einem solchen Spruch Wahrheit ist, dann sagt er, man habe das abgeschrieben. Also, nicht wahr, es ist gar nicht auszudenken, wie töricht eigent­lich sich die Leute verhalten, denn sie können das ja nicht verste­hen. Kein heutiger Gelehrter versteht das, was in einem solchen Spruch liegt. Aber wenn man geistig forschen kann, dann kommt man wieder darauf, dann versteht man das erst. Man muß ja diese Sachen erst wieder selber finden, sonst bleiben diese alten Sprü­che, die Volksweisheit sind, wirklich ganz wertlos. Aber es ist auch wunderschön, wenn man diese Sachen durch geistige For­schung findet, und dann entdeckt man in einfachen Volkssprü­chen diese ungeheure Weisheit! Das bezeugt eben, daß die alten Volkssprüche genommen sind von dem, was in alten Weisheits­schulen gelehrt worden ist. Von da stammen diese Sprüche her. Heute kann das Volk nicht in der Weise zu seinen Gelehrten gehen, denn aus der Wissenschaft von heute werden keine Sprü­che! Man kann nicht viel nehmen, was man anwenden kann im

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Leben. Aber es gab eben einmal eine Zeit, wo die Menschen solche Dinge, wie ich sie Ihnen auch heute wieder gesagt habe, gewußt haben. Die haben sie dann in solche schönen Sprüche hineingewebt. Und dann natürlich ist allerlei daraus entstanden, manchmal natürlich auch Mißverständnisse. Nun, dieser Spruch, den ich Ihnen gerade angeführt habe von all den Planeten, ja, der ist vergessen worden, aber andere Sprüche, die sind dann entstellt worden.

Natürlich ist es ja so, daß es auch etwas bedeutet, wenn, sagen wir, die Tiere das oder jenes vornehmen. Sie stehen im Zusam­menhang mit dem Weltenall. Vom Laubfrosch können wir schon wissen, daß irgend etwas mit dem Wetter los ist, wenn er hinauf-steigt. Nicht wahr, man verwendet ja den Laubfrosch als Wetter-propheten, wenn er hinauf- oder herunterkraxelt an seiner Leiter. Das ist, weil alles das, was lebt, mit dem ganzen Weltenall in Beziehung steht. Nur ist das dann später entstellt worden, und es ist natürlich nicht ganz unberechtigt, wenn man auch wiederum solche Sprüche hat, über die man sich lustig machen kann, wenn man die anhört, weil sich die Dummheit ihrer bemächtigt hat. Denn wenn einer zum Beispiel sagt: Kräht der Hahn auf dem Mist, so ändert sich das Wetter oder bleibt, wie es ist - nun ja, das zeigt eben wiederum, daß man nicht alles durcheinandermischen und auch das Dumme nicht mit dem Gescheiten mischen soll.

Der Spruch, den ich Ihnen angeführt habe, der ist natürlich schon ein solcher, der hinweist auf Geheimnisse im Weltenall, die mit Licht und Farbe zusammenhängen. Dagegen was die Leute oftmals sagen von demjenigen, was der Hahn tut und dergleichen, über das kann man natürlich spotten, wie das in dem Ausspruch selber geschieht, den ich Ihnen angeführt habe. Aber auf der anderen Seite liegt manchmal gerade in Bauernaussprüchen heute noch - sie werden ja nach und nach vergessen - etwas außeror­dentlich Tiefes, etwas sehr Weises. Und der Bauer ist nicht um­sonst traurig, wenn es im März noch schneit, denn gewisse Zu­sammenhänge zwischen dem Getreidesamen und dem Märzen-schnee gibt es halt einmal.

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So können wir gerade an solchen Dingen sehen, wie man an dem, was man beobachtet auf der Erde, eben die ganze Welt verstehen kann. Es wäre schon besser, wenn man sich mehr an das hielte, was der Laubfrosch kann, der hinaufkraxelt und herunter­kraxelt, je nach dem Wetter, als daß man sich heute mehr, ich möchte sagen, an das Murmeltier hält, das schläft, und man alle Geheimnisse des Weltenalls verschläft.

Hoffentlich ist Ihnen verständlich geworden, was ich entwik­kelte in bezug auf Ihre Frage. Das ist natürlich kompliziert, und man kann das nicht in ein paar Worten sagen. Ich mußte also alles das sagen, aber Sie werden sich das schon zusammenfassen kön­nen. Es ist doch ganz interessant, nicht wahr, in dieser Weise den Zusammenhang zu sehen.

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Der Farbwahrnehmungsprozeß

Vorbemerkungen der Herausgeber

Die Farben kann man eigentlich nicht verstehen, wenn man nicht das menschliche Auge versteht, denn der Mensch nimmt die Farbe ganz und gar nur durch das Auge wahr.'

Die grundsätzliche Auffassung Rudolf Steiners vom Farbwahrneh­mungsprozeß findet sich schon im Jahre 1890 sowohl in seiner Einlei­tung zu Goethes Farbenlehre als vor allem auch in der Fußnote zu § 1 von Goethes Abteilung «Physiologische Farben» auseinandergesetzt. Letztere lautet:

«In den physiologischen Farben, d. i. jenen Farben, für die man den Grund nicht in objektiven Vorgängen, sondern in der Natur des Sehor­ganes zu suchen hat, sieht Goethe das Fundament der ganzen Farben­lehre. Dies beruht auf seiner unumstößlichen Voraussetzung, daß wir nur dann ein Objekt in der uns umgebenden Welt wahrnehmen können, wenn diese Wahrnehmung in unseren Organen vorgebildet ist. Nur weil das Auge vermöge seiner Natur aus sich selbst die Farbe erzeugen kann, erscheint uns die Welt als eine farbige. Goethe sucht daher zunächst festzustellen, inwieweit das Auge farbige Erscheinungen aus sich selbst hervorzurufen vermag. Erst auf Grund dieser Untersuchung kann mit Erfolg an die Feststellung jener objektiven Vorgänge geschritten werden, welche die Farbenwahrnehmung im Auge bewirken. Man würde aber trotzdem unrecht haben, wenn man wegen der entschiedenen Betonung der physiologischen oder subjektiven Farben bei Goethe ihm zumutete, daß er die objektive Natur der Farbenwahrnehmung geleugnet habe. Das ist ein Irrtum unserer alle Wissenschaft in Materialismus auflösenden Zeit, daß sie als objektiv nur mechanische (in räumlich-zeitlicher Form

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sich abspielende) Vorgänge gelten läßt. Es ist allerdings wahr, daß die Farbenempfindung uns nicht zum Bewußtsein käme, wenn die Natur unseres Sehorgans sie nicht aus sich selbst zu erschaffen vermöchte; das sagt aber nur, daß wir imstande sein mussen, die in dem objektiven Weltgetriebe begründeten Vorgänge nachzuschaffen, damit die Welt an sich eine Welt für uns werde. In jedem menschlichen Subjekte wird eben die objektive Welt eine subjektive. Das Wahrnehmen und Erkennen als ein subjektives Nachschaffen der objektiven Welt aufzufassen und die­sen Grundgedanken allen wissenschaftlichen Fragen zugrunde zu legen, ist ein Fortschritt, der namentlich auf Kants philosophischen Arbeiten beruht.»

An dieser grundsätzlichen Auffassung hat sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte nichts geändert. Sie findet sich vielmehr 33 Jahre später (im Vortrag Dornach, 1.Januar 1923, GA 326) noch bekräftigt, insofern als nach der Auseinandersetzung des Verhältnisses von Subjektiv-Objektiv im Wahrnehmungsprozeß noch ausgeführt wird:

<<... Uber alle diese Dinge, sage ich, kann die hellseherische Anschauung intensivere Einsichten geben, aber sie ist nicht nötig. Eine Selbstschau, eine wirkliche gesunde Selbstschau kann fühlen, im richtigen Gefühl erkennen, daß Mathematik auch etwas innerlich Menschliches ist, Ton, Farbe und so weiter auch etwas Äußerliches sind. Ich habe das, was einfach ein gesundes Empfinden, das aber zu wirklichen Erkenntnissen führt, nach dieser Richtung haben kann, in den 80er Jahren in meinen Einleitungen zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften dargestellt. Da ist auf keine hellseherische Erkenntnis Rücksicht genommen, aber es ist gezeigt, inwieweit der Mensch ohne hellseherische Erkenntnis zur Anerkennung der Realität von Farbe, Ton und so weiter kommeri kann.»

Die Frage nach dem Wahrnehmungsprozeß ist somit von grundsätzli­cher Bedeutung nicht nur für die Farbenforschung, sondern vor allem für die Wissenschaft der Wissenschaft: die Erkenntnistheorie. Wie sehr Rudolf Steiner damit die entscheidende Frage einer materialistischen oder spiritualistischen Weltanschauung verknüpft sah, geht aus seiner Äußerung zu Walter Johannes Stein im Zusammenhang mit dessen Dissertation hervor.2 Im gleichen Sinne sagte er auch in einer Konferenz mit den Lehrern der Freien Waldorfschule in Stuttgart: «Es gibt so

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wenig Verständnis für das Spirituelle, weil eine wirkliche Erkenntnis­theorie nicht besteht, sondern nur abstrakte Spintisierereien. Warum ist keine wirkliche Erkenntnistheorie da? Weil, seit Berkeley sein Buch über das Sehen geschrieben hat, keiner mehr richtig das Sehen mit dem Erkennen zusammengebracht hat.»3

Der Grundirrtum der heutigen Auffassung vom Farbwahrnehmungs-prozeß sowie vom Zustandekommen jeder Sinnesempfindung besteht nach Rudolf Steiner darin, daß die raum-zeitlichen Vorgänge in der Außenwelt sowie im Nervensystem des Menschen, die sich dabei abspie­len, als Ursache der Empfindungen angesehen werden. So werden zum Beispiel die Schwingungen der Luft bei der Tonwahrnehmung oder die elektromagnetische Strahlung, die sich bei der Farbwahrnehmung fest­stellen läßt, als diese Sinnesempfindung bewirkend, verursachend ge­dacht. Rudolf Steiner dagegen führt aus, daß es sich bei diesen mit einem messenden und zählenden Denken erfaßbaren Vorgängen um Vermitt­lungsvorgänge, gewissermaßen Vehikel der objektiven Qualitäten han­delt, keineswegs um ihre Verursacher. So wie die elektrischen Vorgänge beim Telegraphieren nur die notwendigen Vermittler des Gedankenin­halts eines Telegramms sind, aber doch nicht die Verursacher seines Inhaltes, so etwa verhalten sich die Schwingungen der Luft und so weiter zum Inhalt der Tonempfindung. Dazu heißt es in dem Aufsatz «Die Atomistik und ihre Widerlegung» (1890):4

«Nehmen wir einmal an, jemand gibt in dem Orte A ein Telegramm an mich auf. Wenn mir das Telegramm überbracht wird, habe ich nichts vor mir als Papier und Schriftzeichen. Indem ich diese Dinge mir aber gegenüberhalte und zu lesen verstehe, erfahre ich wesentlich mehr, als was Papier und Schriftzeichen sind, nämlich einen ganz bestimmten Gedankeninhalt. Kann ich nun sagen: ich habe diesen Gedankeninhalt erst in meinem Gehirne erzeugt und das einzig Wirkliche seien nur Papier und Schriftzeichen? Gewiß nicht. Denn der Inhalt, den ich jetzt in mir habe, ist genau ebenso auch im Orte A enthalten. Dieses Beispiel ist sogar das treffendste, das man wählen kann. Denn es ist doch auf sichtbare Weise nicht das allergeringste von A herüber zu mir gekom­men. Wer wollte behaupten, daß die Telegraphendrähte wirklich die Gedanken von einem Orte zum andern tragen? Genau ebenso ist es mit unseren Sinnesempfindungen. Wenn eine Reihe von Ätherteilchen, die in einer Sekunde 589billionenmal hin- und herschwingen, an mein Auge

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kommen und den Sehnerv erregen, so tritt bei mir allerdings zum Bei­spiel die Empfindung des Grün auf. Aber die Ätherwellen sind, wie oben beim Telegramm Papier und Schriftzeichen, nur die Träger des Grün, das an dem Körper wirklich ist. Der Vermittler ist ja doch nicht das Wirkliche der Sache. So wie beim Telegramm Draht und Elektrizität, so wird hier der schwingende Äther als Vermittler benützt. Man darf aber doch deshalb, weil wir durch und vermittelst des schwingenden Äthers das Grün erfassen, nicht sagen: Grün sei einfach dasselbe wie der schwingende Ather.»

Das bedeutet aber, daß die Qualität, die Empfindung, nicht erst am Ende des Wahmehmungsvorganges steht, sondern auch an seinem An­fang, daß im gesunden Sinnesorganismus wieder auflebt, was die raum-zeitlichen Vorgänge erst erregt, bewirkt hat, selbst aber als Qualität gewissermaßen darübersteht, wie die zeit- und raumlose Qualität des Tons zu den vermittelnden Luftschwingungen. Darum heißt es in der Einleitung Rudolf Steiners (Das Urphänomen) zur Farbenlehre:

«Weit entfernt, daß ein solcher räumlich-zeitlicher Vorgang die Ursache ist, der in mir die Empfindung auslöst, ist vielmehr das ganz andere richtig: der räumlich-zeitliche Vorgang ist die Wirkung der Empfindung in einem räumlich-zeitlich ausgedehnten Dinge. Ich könnte noch belie­big viele Dinge einschalten auf dem Wege von dem Erreger bis zu dem Wahrnehmungsorgane: in jedem wird hierbei dasjenige vorgehen, was in ihm vermöge seiner Natur vorgehen kann. Deshalb bleibt aber doch die Empfindung dasjenige, was sich in allen diesen Vorgängen auslebt. -Man hat also in den longitudinalen Schwingungen der Luft bei der Schallvermittelung oder in den hypothetischen Oszillationen des Äthers 5 bei der Vermittlung des Lichtes nichts anderes zu sehen als die Art und Weise, wie die betreffenden Empfindungen in einem Medium auftreten können, das seiner Natur nach nur der Verdünnung und Verdichtung bzw. der schwingenden Bewegung fähig ist.»

Was sich beim Farbwahrnehmungsprozeß im Menschen und seinen Wesensgliedern weiterhin abspielt, ist in den Aufzeichnungen für Walter Johannes Stein dargelegt.

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Chronologische Übersicht der Äußerungen RudolfStein ers

A. Schriften

Grundsätzliche Untersuchungen über das Wesen der Wahrneh­mung:

1886 GA2

1890 GA 1

1894 GA4

1897 GA 6

1910 GA 45

1914 GA 18

1917 GA 21


B. Auflätze

1882 Vergleich eines Wahrnehmungsvorganges mit der Übermittlung

eines Telegramms: Aufsatz «Die Atomistik und ihre Widerlegung»

in «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe» Nr.63 Michaeli

1978

1910 Schematische Übersicht des Wahrnehmungsvorganges In «Bei­

träge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe» Nr.34 Sommer 1971

1911 Am Verhältnis von Subjektiv-Objektiv, verdeutlicht durch das Bei

8. Apr. spiel Wesen und Spiegel, wird Geistesforschung erkenntnistheore-

tisch denkbar nachgewiesen (Autoreferat). GA 35

1917 Der Farbwahrnehmungsprozeß als Ganzes: GA 291a

20. Dez. Aufzeichnung für Walter Johannes Stein siehe in diesem Band Seite

141ff.

1918 Farben werden auch im Übersinnlichen durch das Zusammenwir­

ken von Licht und Finsternis wahrgenommen: Aufsatz «Die chy­

mische Hochzeit des Christian Rosenkreutz anno 1459» GA 35

1925 Farbe und Auge gehören nicht dem Menschenwesen, sondern der

Welt an: Aufsatz «Des Menschen Sinnes- und Denk-Organisation

im Verhältnis zur Welt«. GA 26

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C. Vorträge

1903

Sommer Subjektive und objektive Farbempfindungen: Notizen aus dem Einführungskurs in Farbenlehre für Marie Steiner-von Sivers, siehe Seite 54.

1904

28. Apr. Die physikalische Auffassung vom Subjektiven in der Farbwahr­

nehmung und vom Objektiven der Ätherschwingung im Gegensatz

zur Goetheschen und geisteswissenschaftlichen Auffassung. GA 52

1906

19. Okt. Der physische Sehvorgang ist der Farbwahrnehmung des Hellse­hers verwandt. GA 96

1909

29. Aug. Unterschied von Farb- und Tonwahrnehmungen. GA 113

25. Okt. Farbe entsteht an der Grenze, wo das aus dem Menschen ausströ­mende Astralische mit dem Astralischen der Dinge zusammentrifft.

GA 115

1914

4. Okt. Wie die Wahrnehmung zustande kommt. GA 156

1916

12. Aug. Das Auge in der alten Mondenzeit eine Art Farbenatmungsorgan (im Blau ausdehnen, im Rot zusammenziehen). GA 170

1918

15. Febr. Beispiele für psychologische Farbwirkungen. GA 271

1919

30. Nov. Das Licht als allgemeiner Repräsentant der Sinneswahrnehmung muß beseelt gedacht werden (Lichtseelenprozeß). GA 194

Dezember Muskel und Auge im Verhältnis zum Astralleib (24.12.) - Organi­sation des Auges (25.12.) - Astralische Beziehung zur Farbe im Wahrnehmungsvorgang (27.12.) - Subjektives und Objektives in bezug auf Auge und Ätherisches (30.12.). GA 320

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1920

23. Apr. Nachbild und Erinnerung. GA 201

1921

18. März Die Lehre von der Subjektivität der Sinneswahrnehmung GA 324

4. Apr. Farbwahrnehmung beim normal Sehenden und partiell Farbblin­den und die Frage nach dem Subjektiv-Objektiven im Wahrneh-mungsvorgang GA 76

7. Mai Das Nachbild als totes Bild des Lebendigen im Innern. GA 291

1922

22. Aug. Auge und Sehvorgang. GA 214

20., 22., 23. GA 218 Okt.

1923

1. Jan. Das wahre Verhältnis von Subjektiv und Objektiv im Wahrneh­mungsprozeß. GA 326

21. Febr. Farben kann man nicht verstehen, wenn man nicht das menschliche Auge versteht. Farbempfinden Blinder. Verschiedenartigkeit der Farbwirkungen auf das Leben (Blut und Nerv). GA 291 + GA 349

30. Aug. Das hinter dem Sinnensein liegende weit ausgebreitete geistige Dasein ist auch in allen Farben-, Tönen-, Wärme- und Kältewahr­nehmungen tätig. GA 227

28. Nov. Farbwahrnehmungen bei Insekten, insbesondere Bienen. GA 351

1924

2. Febr. Das menschliche Auge. Der Sehprozeß. Albinismus. GA 352

27. Juni Licht liegt nicht nur dem Sehen, sondern allen Sinneswahrnehmun­gen zugrunde. GA 317

4. Juli Blaublindheit - Rotblindheit. GA 317

19. Aug. Sehnerv und Farbempfindung. GA 243

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TEXTE VON RUDOLF STEINER

UND ANDEREN


Die im Folgenden wiedergegebenen Aussagen Rudolf Steiners zum Wahrnehmungs-, insbesondere zum Farbwahrnehmungsprozeß aus dem Jahre 1917, erfolgten im Zusammenhang mit der Dissertationsarbeit von W.J. Stein. Siehe «W.J. Stein/Rudolf Steiner. Dokumentation eines wegweisenden Zusammenwirkens», Verlag am Goetheanum, Dornach 1985. Darin berichtet Stein, daß er im Frühjahr 1914 Rudolf Steiner um ein Thema für seine Dissertation gebeten und er ihm geantwortet habe:

Schaffen Sie eine Erkenntnistheorie der spirituellen Erkenntnis, knüpfen Sie dabei an die erkenntnistheoretischen Arbeiten an, die ich geschrieben habe, lesen Sie zu diesem Zweck Locke und Berkeley. - Ihm, Stein, sei später der Grund für diesen Hinweis klar geworden, da Locke einseitig die objektive Seite und Berkeley einseitig die subjektive Seite der Welt betrachte, während Rudolf Steiner beide in Harmonie verbinde. Weiter berichtet Stein, wie er in zwei Gesprächen mit Rudolf Steiner in Berlin (am 17. und 18. Juli 1917) seine inzwischen entstandene Arbeit durch­sprechen konnte und Rudolf Steiner bei dieser Gelegenheit ihm folgen­des klarlegte:

«Die ganze Differenz zwischen der Naturwissenschaft und Goe­thes Anschauung, wie ich sie vertrete, liegt darin, daß die Natur­wissenschaft einen objektiven Vorgang erdichtet und diesen dann irgendwie darstellt: z. B. als Atomismus. Aber Goethe hat recht, wenn er sagt, alles faktische sei schon Theorie. Man kann, wenn man die Gesetze einer Uhr studiert, zwar die Uhr verstehen, aber den Uhrmacher kann man durch Betrachtung der Uhr nicht fin­den, weil von ihm nichts mehr in der Uhr enthalten ist. Ganz ebenso ist die Naturwissenschaft, da sie gewissermaßen die Uhr betrachtet, sich ganz auf das Gebiet der Fakta beschränkt.

Die Wahrnehmung kommt nun so zustande, daß der lebendige Vorgang (der physisch-ätherische Vorgang) z. B. aufs Auge stößt. Im Auge wird das Ätherische abgestreift, es bleibt ein rein physischer

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Vorgang, der des Ätherischen entkleidet ist. In diesen er­gießt sich der menschliche Äther- und Astralleib. Was wir wahr­nehmen, ist dieses Eigene. z. B. strömt ein als physisch­ätherischer Vorgang. Das Auge aber ergießt in den Hohl­raum, d.h. in den des Ätherischen entkleideten physischen Vor­gang. Blickt das Auge gegen eine weiße Wand, so kommt zum Bewußtsein, was immer da ist, das subjektive Grün. Rot wahr­nehmen heißt Grün ergießen.

Beim Hören ist es so, daß die ganze Subjektivität beteiligt ist. Wahle hat das richtig erkannt. Wir hören mit der ganzen Seele; wenn der Ton ertönt, so ist ausgeschaltet, und wir sind es, die nun alle Töne der Tonleiter erzeugen, aber in dem, was wir erzeugen, fehlt gerade der Ton , und dadurch kommt g zur Wahrnehmung.

Beim Sehen mit zwei Augen tastet das linke das rechte und umgekehrt. Das ergibt dann die Ichwahrnehmung. Die Ichwahr­nehmung kommt zustande durch das Linke und Rechte am Men­schen. Die Tiere haben eine andere Art des Sehens. Sie können die beiden Augenbilder nicht zur Deckung bringen. Die wahre Funk­tion der Augendoppelbilder beim Menschen ist, daß durch das Übereinanderfallen derselben die Ichwahrnehmung entsteht. Das ist die psychologische Ergänzung zu Goethes Farbenlehre, die er noch nicht berücksichtigt hat. Goethe hat seine Farbenlehre nur bis zur Ästhetik fortgeführt, noch nicht aber bis zur Psychologie. Auch der normale Mensch hat bei falscher Stellung der Augenach­sen Doppelbilder. Durch das richtige Übereinanderfallen der Doppelbilder entsteht die Ichwahrnehmung. Sowohl Rickert6 als auch Stockmeyer in ihrem [seinem] Artikel in der Zeitschrift ,7 haben richtig die Zweiteilung erkannt, die Spaltung zwi­schen dem Denker und dem, der dem Denken zusieht. Dies ist ja auch dargestellt in der . Das Ich ist nicht im Denken, sondern im Erwachen zum Denken; im Übergang vom Nicht-Denken zum Denken ist es garantiert. In der Ichwahr­nehmung wird das Ich ausgelöscht wie der blinde Fleck im Auge, gerade so wird das Ich ausgelöscht.

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Beim Tasten ist alles noch primitiver. Sehen Sie, wenn ich mit meinem Finger den Tisch berühre, da schiebt sich meine Finger-spitze nach rückwärts, durch den Druck; sie wird da abgeplattet, da fehlt mir gewissermaßen ein Stück Finger. Dieses Negative, dieses fehlende Stück Finger, das ist es, was getastet wird, nicht der Tisch. Das Negative ist es, was wahrgenommen wird. Immer das Negative bei aller Wahrnehmung. Das objektiv Ätherische wird ausgelöscht. »

Dr. Steiner kam dann auf die Relativitätstheorie zu sprechen und sagte, an das Licht, über das wir sprachen, anknüpfend: «Das Licht hat keine Geschwindigkeit, es ist als geistiger Vorgang über­all gleichzeitig. Aber wir beobachten ja in der Sinneswelt niemals das Licht selbst, wir beobachten das Licht in irgendeinem Me­dium, und das Licht im Medium, das hat eine Geschwindigkeit. Das Licht bekommt also seine Geschwindigkeit durch die hem­mende Wirkung des Mediums.

Wenn c die Schallgeschwindigkeit ist und v meine Geschwin­digkeit ist, mit der ich mich bewege, so muß, wenn ich etwas wahrnehmen soll, c weniger v gleich a sein, wobei a immer größer sein muß wie Null (0). Ist v größer wie die Schallgeschwindigkeit, bewege ich mich also schneller wie der Schall, dann kann man nicht mehr davon reden, daß ich etwas höre, im Gegenteil, ich töne dann, ich erzeuge durch meine Bewegung einen Ton, ich übertöne dann den Ton, den ich hören soll, und höre nichts mehr als meinen Eigenton. Die Relativitätstheorie begeht den Fehler, daß sie Erscheinungen betrachtet, die nur unter gewissen Bedin­gungen gelten, dann aber glaubt, die Erscheinungen dauern auch dann fort, wenn die Bedingungen nicht mehr fortdauern. Wer sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, ist Licht geworden, wird zum Lichterreger.»

Ferner sagte Dr. Steiner: «Wenn Sie den Wahrnehmungspro­zeß studieren wollen, müssen Sie die Nachahmung studieren. Zum Beispiel: Warum ahmt der Affe nach? Nun sehen Sie, das ist so: Außer dem Affen ist irgend eine Figur. In dem Affen entsteht nun, wenn er diese Figur wahrnimmt - und zwar entsteht er im

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Ätherischen - ein Hohlraum. In diesen Hohlraum ergießt der Affe seine Astralität, und das ist es, was seinen Willen anregt. Dadurch kommt er zur Nachahmung. Alles Nachahmen ist nam­lich eigentlich ein Saugeprozeß. Die Astralität wird in den ätheri­schen Hohlraum hineingesogen, und daraus entsteht die Willens-aktion. Berkeley, der betrachtet nur das Subjektive, das, was wir selbst erzeugen. Die Physiologen und Psychologen, die haben heute eine nur subjektive Erkenntnistheorie. -

Locke wiederum glaubt in bezug auf die Wahrnehmung, es müsse etwas in die Subjektivität von außen hereingehen bei der Wahrnehmung, das ist der andere Fehler. Diesen anderen Irrtum findet man wiederum bei den Physikern. So haben Sie bei Berke­ley den Irrtum vorgebildet, den die Physiologen und Psychologen begehen, und bei Locke den Irrtum vorgebildet, den die Physiker begehen.» Dr. Steiner sagte dann noch: «Berücksichtigen Sie bei allem, was sie in Ihrer Dissertation schreiben werden, ganz genau die okkulten Realitäten, aber machen Sie die Darstellung so, daß Sie, indem Sie die okkulten Details vermeiden, doch die ganze okkulte Realität darstellen. Das können Sie, wenn Sie den okkul­ten Tatbestand restlos in Begriffe verwandeln. Es wird Ihnen dann gelingen, auf dem Felde der Erkenntnistheorie zu bleiben.»

Dr. Steiner gab mir dann ein Buch in losen Blättern und sagte:

«Sehen Sie, da habe ich ein Buch geschrieben, das ist jetzt bis zu Seite 64 gedruckt, ich kann es aber nicht fertig schreiben.» Auf mein sprachloses Staunen sagte Dr. Steiner: «Ja, ich kann wirklich nicht, es gelingt mir nicht, die Sache so zu formen, daß es jemand verstehen könnte. Das Buch wird Fragment bleiben. Aber ich möchte, daß Sie dieses Buch, soweit ich es eben geschrieben habe, heute nacht lesen, und morgen früh kommen Sie wiederum zu mir. Aber Sie dürfen das Buch nicht ganz wortwörtlich abschrei­ben. Sie dürfen sich nur Notizen daraus machen.8

Zwei Monate nach den im Juli mit Rudolf Steiner gehabten Gesprä­chen schrieb W.J. Stein an Marie Steiner:

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Hochverehrte Frau Dr. Steiner!

In diesem Schreiben spreche ich eine Bitte aus, welche nicht in Unbescheidenheit gemeint ist. Sie werden, hochverehrte Frau Doktor, meinen Brief einfach unbeantwortet lassen, wenn Sie es so für richtig halten, und ich werde dann wissen, daß dies aus einem auch für mich maßgeblichen Grunde geschehen ist.

Ich bitte nämlich, Ihnen fortlaufend Bericht erstatten zu dürfen über die Gedanken, welche in mir lebendig sind, und das, was ich mir selbst zu beantworten nicht imstande bin, als Frage ausspre­chen zu dürfen; damit Sie mir entweder selbst antworten oder mir Herrn Dr. Steiners Antwort vermitteln.

Ich beginne also damit zu sagen, daß ich gegenwärtig Goethes naturwissenschaftliche Schriften studiere und bereits bis zur Far­benlehre vorgedrungen bin. Im Mittelpunkt meiner Untersu­chung steht das Organ des Sehens, das Auge, und seine Tätigkeit, die dem Gesichtssinn zugrunde liegt. Ich weiß, daß beim Wahr­nehmen die Vorgänge so ablaufen, daß ein lebendiger Vorgang als ein Physisch-Ätherisches an das Organ heranströmt, beim Ein­dringen in die Sphäre der Sinnesorgane in ein Gebiet kommt, in welchem ein Übergewicht des Physischen über das Ätherische statthat (weshalb die Sinnesorgane gleichsam als tote, physische Apparate in dem lebendigen Körper eingelagert sind). Hier in dieser Sphäre wird das Ätherische zurückgewiesen. Es spielt sich ein rein physischer Vorgang ab. In diesen ergießt der Mensch sein Astralisches, indem er gleichsam den Hohlraum, der entstand durch das Zurückweisen des Ätherischen, mit seiner Astralität ausfüllt. Wahrnehmen ist also ein subjektives Nachschaffen eines objektiven Vorganges.

Diese allgemeine Erkenntnis habe ich für den Fall des Auges zu besondern. Es strömt also an das Auge ein lebendiger Vorgang:

die lebenerfüllte Farbe. Sobald diese das Auge berührt, geschieht etwas wie ein Prozeß des Verwelkens, Absterbens. Es ist, als hätte die schöne Lilie aus dem Goethemärchen dies Lebendige getötet. Es liegt hier eine Wirksamkeit zum Grunde, wie sie der zweiten Erdschicht eigen ist. Was nachher übrig bleibt, ist ein Vorgang,

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der gleichartig ist dem, was an einer Camera obscura beobachtet werden kann. Das Resultat dieses rein physikalischen Geschehens ist das Netzhautbild. Dieses ist «Bild», aber nur für ein anderes Auge. Für das wahrnehmende Auge ist es ein chemischer Prozeß in demselben. Aber das Auge ist etwas Lebendiges, und ein che­mischer Prozeß in einem Lebendigen ist ein Absterbens- oder ein Reorganisationsprozeß. Hier ist er das erstere. Sofort versucht aber der Astralleib, das Zerstörte wieder herzustellen, indem er einen polaren, chemischen Prozeß hervorruft. War also etwa das Heranströmende «Gelb», so antwortet der Astralleib damit, daß er «Blau» erzeugt.

Was wir nun in unserem Bewußtsein haben, ist der Zerstö­rungsprozeß. Der Aufbauprozeß erscheint aber in unserem Be­wußtsein, wenn wir gegen eine weiße Wand blicken, nachdem wir ein Gelbes betrachtet haben. Wir sehen ein komplementäres Blau.

Nun ergeben sich, abgesehen davon, daß in dem Bisherigen Fehler sein dürften, Fragen:

1. Wie geschieht dieses Hinauswerfen des Ätherisch-Lebendigen? Also wie ist das: Die schöne Lilie tötet das Lebendige. Das Tote wandelt der Mann mit der Lampe um, und dann erst kann es die schöne Lilie wieder lebendig machen. Dieser Zwischen-prozeß des Mannes mit der Lampe fehlt mir. Auch verstehe ich nicht, wie die Lilie wirkt.

2. Während ich weiß, daß die Farbe Gelb am gelben Gegenstand wahrgenommen wird, weiß ich nicht, an was das komplemen­täre Blau wahrgenommen wird. Erzeugt wirklich das Auge ein objektives Blau? Dann müßte man es auf einem Schirm, nicht nur für das Auge selbst, sondern objektiv darstellen können, also für andere Augen. Es fragt sich also: Ist der Wahrneh­mungsprozeß umkehrbar? Kann das Auge Farben erzeugen, die auch für andere Augen sichtbar sind?

3. Das Buch «Anthroposophie» sagt (bei Besprechung des Se­hens): «Das Ich bringt nicht sein eigenes ursprüngliches Erle­ben, sondern solche Wesenheit, die es von außen aufgenommen hat, dem äußeren Dasein entgegen; nun wird von außen her

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eine Eigenheit einem Innenerlebnis eingeprägt, das selbst ur­sprünglich von außen in das Innere hineingekommen ist. Inner­halb der Ich-Erlebnisse hat es die Außenwelt mit sich selbst zu tun. Erst hat sie ein Glied ihrer Wesenheit in den Menschen hineingeschickt. Nun prägt sie ihre Eigenheit diesem Glied ein.» Was ist das für eine Wesenheit, die das Ich von außen aufgenommen hat, also er-«innert» hat? Hier ist ein Punkt, der mir klarmacht, daß das Sehen etwas mit dem Gedächtnis zu tun hat; denn.

a. dieser Passus (siehe Punkt 3);

b. die Erinnerungen sind visuell, bildhaft;

c. eine Beobachtung: Betrachte ich einen Gegenstand und erin­nere ich irgend ein Sinnenerlebnis, so fühle ich deutlich, wie ich für den Moment, in dem ich der Erinnerung habhaft werde, für einen Augenblick blind werde. Ich kann entwe­der sehen oder erinnern. Entweder-oder. Das Sehen verhält sich anders zum Ätherleib wie alle anderen Wahrnehmun­gen. Es ist auch im Zeichen der Budhi: Steinbock (Krebs -Ätherleib, indische Kultur; Zwillinge - Astralleib, persische Kultur; Stier - Empfindungsseele, ägyptische Kultur; Wid­der - Verstandesseele, griechisch-lateinische Kultur; Fische

- Bewußtseinsseele, gegenwärtige Kultur; Wassermann -Manas; Steinbock - Budhi). Wie also verhält sich der Äther-leib beim Sehen? Welche Rolle spielt er insbesondere beim Zustandekommen der Komplementärfarben?

d. sagt das Buch «Anthroposophie»: «Für die Deutung des Gesichtssinnes ist an die Umkehrung des Geschmackserleb­nisses zu denken. Wenn das Gesichtserlebnis durch eine äußere Tätigkeit eines Wesens, wie das oben hypothetisch angenommene» (ein Wesen, welches das Ich nicht im Innern erlebte, wie der Mensch, sondern von außen beobachtete -was ist das für ein Wesen? Höheres Selbst?) «so zustande käme, daß z. B. die Farbe dieses Wesen erfüllte, dabei aber ganz durchsetzt wäre von einer Tätigkeit, die ein umgekehr­tes Schmecken darstellt» [«umgekehrtes Schmecken» - heißt

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das ein vom Ich aus hervorgerufener Vorgang im chemi­schen Äther?], «so könnte diese geschmack-ausstrahlende Tätigkeit als organbildende Kraft des Gesichtssinnes gedacht werden.» (Auch die Komplementärfarbe wäre ein vom Ich aus auf der Netzhaut im Sehpurpur bewirkter chemischer Prozeß, welcher das Zerstörte wieder reorganisiert.) «Es müßte sich die Sache so verhalten, daß nicht wie im Ge­schmackserlehnis die Wirkung eines äußeren Stoffes emp­funden wird, sondern, daß jenes Wesen von dem menschli­chen Innern her sich selber strahlenden Geschmack entge­genströmt. Wie beim Geschmack eine durch den Menschen bewirkte Veränderung des Stoffes vorliegt, so müßte jenes äußere Wesen mit dem menschlichen Inneren eine Verände­rung vornehmen. Eine solche ist aber in inneren Lebensvor­gängen zum Beispiel der Wärmung gegeben.» (Ist hier nicht das fehlende Glied, wo der Mann mit der Lampe, der Was­sermann, der Wärmesinn, das, was die Lilie getötet hat, umwandelt? Aber wie ist das konkret?)

Nehmen Sie, hochverehrte Frau Doktor, für alle Fälle meinen innigen Dank. Sagen Sie bitte auch Herrn Doktor, wie reich ich durch seine Güte bin. Ich fühlte, daß ich mich an Sie wenden sollte. Hat mich mein Gefühl getäuscht, so werde ich Notwendig­keiten mutig tragen.

[Auf diese Frage vermittelte Marie Steiner am 20. September 1917 die Antworten von Rudolf Steiner:]

Sehr geehrter Herr Stein,

es wird mich freuen, wenn ich als Vermittlerin dienen kann und dasjenige, was ich in günstigen Augenblicken von Dr. St. erha­schen kann, Ihnen weiterreiche. Ich selbst würde es recht anma­ßend von mir finden, wenn ich meine eigene Weisheit zum besten geben wollte, da ich im höchsten Maße das Frauenschicksal teile, mich zersplittern zu müssen und für das Studium, das Sie treiben,

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nicht die Muße hätte. Wenn es also die Verhältnisse gestatten, hin und wieder mich über einige Punkter von Dr. St. belehren zu lassen, will ich das weitergeben. Zunächst mußte ich Dr. St. die Möglichkeit geben, sein Buch [«Von Seelenrätseln»] zu enden und mit all meinen Angelegenheiten zurückzuhalten. Dann gab es eine kleine Übergangspause, wo laufendes abgewickelt werden konnte. Und so wurden auch einige Punkte Ihres Briefes berührt. Doch mit anderen Fragen muß ich noch warten. Jetzt schreibt Dr. St. s. Artikel fürs «Reich», der Gefahr läuft, zu verspäten, dann muß vieles abgewickelt werden, um die Reise nach Dornach anzutre­ten. Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Hilfe, die Sie uns mit Papier angedeihen lassen.* Ich glaube, es könnte uns damit aus großer Not geholfen werden. Darüber schreibt Frl. Mücke alles Nähere.

Mit bestem Gruße und guten Wünschen für Ihre Arbeit

M. Steiner


[Im folgenden gibt sie die Antworten Rudolf Steiners wieder. Faksimile der Originalhandschrift siehe Seiten 144-146]

Führen Sie sich den Wahrnehmungsprozeß in seiner Ganzheit vor

Augen. Was geschieht, wenn ich «gelb» wahrnehme?

1. Im Auge selbst ist vom Objektiven her: belebtes Gelb.

2. In dieses belebte Gelb dringt von innen vor der Ätherleib des

wahrnehmenden Subjekts; dadurch wird das vom äußeren

Äther durchsetzte und eben deshalb belebte Gelb: totes Gelb.

Es ist also im Auge totes Gelb, weil dessen Leben vom inneren

Leben (Ätherleib) verdrängt ist. Dadurch hat das Erkenntnis-

Subjekt statt des äußeren belebten Gelb - das von innen belebte

Bild des Gelb, aber dieses Bild mit dem Einschlag des Leichnams

* Ich konnte durch einen einjährig Freiwilligen, der mein Schüler war, Papier für das Buch Dr. Steiners zu verschaffen suchen. - Es erwies sich jedoch als unnötig. [W. J. Stein]

#SE291a-142

des Gelb. Soweit ist der Vorgang objektiv - subjektiv. Es wäre damit aber nur ein innerlich lebendiges Gelb erzeugt, von dem das Erkenntnis-Subjekt nicht wissen könnte. Es könnte sein eigenes subjektiv-objektives nur erleben, nicht bewußt erleben.

3. In das subjektiv-objektive neu belebte Gelb dringt der Astral­leib des Frkenntnis-Subjektes ein. Dieser erzeugt an dem be­lebten Gelb das belebte «Blau>; dieses Blau wird tatsächlich innerhalb des Organismus geschaffen, geht aber nicht über den Organismus räumlich hinaus. Es ist also vorhanden:

1. das astralisch erzeugte Bild «blau»,

2. die Wirkung dieses astralischen Bildes auf den Ätherleib -als subjektiver Lebensvorgang,

3. physiologisch der physische Vorgang im Auge - der nach innen, nicht nach außen blau wirkt.

Alles dieses aber wird nicht Gegenstand des Ichbewußtseins,

das Ich weiß erst, wenn innerlich das erst im Auge belebte

«Gelb» abgedämpft (abgelähmt) wird - dann ist vorhanden:

1 . Abdämpfung des Lebens im Gelb durch das Ich,

2. bewußtes Auftreten des nicht mehr lebendigen Gelb im Astralleib,

3. das vom toten Gelb überleuchtete, daher unbewußt blei­bende astralisch erzeugte Bild «blau»,

4. dessen Wirkung im eigenen Ätherleib,

5. der physiologische Vorgang im Auge.

Wird nun das Objekt, von dem das Gelb kommt, wegge­nommen, so hört die Auslöschung des vom Astralischen erzeugten Bildes «blau» auf - und dieses klingt ab, bis der innere - geistig-seelisch-physische Organismus sich wieder hergestellt hat. Man kann aber den Wahrnehmungsprozeß nicht umkehren, weil das «Blau» nicht eine räumliche Enti­tät ist, sondern vom Astralleib kommt, und seine physische Wirkung nur innerhalb des Organismus bleibt.

So wie das durch das objektive Gelb subjektiv in der Innenwelt ausgelöste Blau nicht objektiv auf einen Schirm

#SE291a-143

geworfen werden kann, so kann ja auch nicht umgekehrt der objektive Vorgang, der auf ein wirkliches Wollen folgt, wie­der auf das Subjekt zurückwirken. Man müßte sonst, wenn man vorwärts geht von A nach B - durch die beim Zurückle­gen des Weges in der Außenwelt erzeugte Wirkung auch wieder von B nach A zurückgebracht werden können.


Die Originalniederschrift Rudolf Steiners wird im folgenden im Faksi­mile verkleinert wiedergegeben:

#SE291a-144

#Bild s. 144

#SE291a-145

#Bild s. 145

#SE291a-146

#Bild s. 146

Die geschichtliche Entwicklung der Farbwahrnehmung

#G291a-1990-SE147 Farbenerkenntnis

#TI

Die geschichtliche Entwicklung der Farbwahrnehmung

Vorbemerkungen der Herausgeber

#TX

Der Grieche war vorzugsweise empfänglich in dem Rot, er lebte in dem Rot..., indem wir in einer gewissen Weise immer mehr und mehr lieb gewinnen die blaue und blau-violette Farbe, müs­sen sich ja unsere Sinnesorgane völlig ummeta­morphosieren, umwandeln.1

In der Mitte des 19.Jahrhunderts entdeckte man auf dem Wege der Sprachforschung, daß der Farbensinn der Menschheit in der geschichtli­chen Entwicklung Veränderungen erlebt haben muß. Charles von Stei­ger faßte in seinem Aufsatz «Über die Farbwahrnehmungen der Men­schen in früheren Kulturen und die auf diesem Gebiet gemachten Ent­deckungen» den Gang dieser Entdeckungen wie folgt zusammen:2

Der englische Premierminister und Homerforscher Gladstone hatte im Jahre 1858 (in «Studies on Homer») darauf aufmerksam gemacht, wie wenige Farbwörter sich in der Homerischen Sprache befinden und wie unbestimmt ihr Gebrauch, namentlich bei Blau und Grün ist. Diese Beobachtung wurde von Lazarus Geiger, einem deutschen Sprachfor­scher, weiterverfolgt, der nachwies, daß die Ausdrücke für Farben in der Bibel, den Veden, dem Zend-Avesta und anderen Werken früheren Datums mit der gleichen Unbestimmtheit gegenüber unserem festen Gebrauch auftreten (in «Zur Entwicklungsgeschichte der Menschheit», 1871). Der Entdeckung dieser Tatsachen folgte sogleich der Versuch, sie zu deuten, und zwar im Sinne der damals blühenden Entwicklungslehre, dem Darwinismus. Dabei entstanden, entsprechend der Allgemeinheit dieser Lehre und der daraus folgenden Schwierigkeit ihrer Verbindung mit den konkreten Beobachtungen, zwei sehr verschiedene Auslegungs­arten, die sich aber beide auf den Darwinismus stützten.

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Die eine vertrat, neben Geiger selbst, hauptsächlich der deutsche Ophtalmologe Hugo Magnus in zwei Broschüren: «Die geschichtliche Entwicklung des Farbensinns», 1877 und in «Preyers physiolog. Ab­handlungen» 1, IX, worin er darzutun versucht, daß die Farbenwalir­nehmung des Kulturmenschen eine Eigenschaft ganz neuen Datums sei und daß vor kaum 3000 Jahren der Mensch unfähig gewesen, zwischen Violett, Grün, Blau und Gelb zu unterscheiden. Dieser Ansicht schlos­sen sich später auch Gladstone, A. R. Wallace, einer der Mitbegründer der Theorie von der natürlichen Auslese, sowie andere Wissenschaftler an (Gladstone: «The colour sense» in «Nineteenth Century», 1877; Wallace:

«Colour in animals and plants» in «Macmillan's Magazine», 1877).

Im gleichen Jahre erschien in Deutschland in der Zeitschrift «Kos­mos» (Bd. 1, S.264ff.) erstmalig die andere Deutung von Carus Sterne (Ernst Krause), einem der bekanntesten Verbreiter des Darwinismus in Deutschland. Sterne stützt sich auf die Vorstellung Darwins von der geschlechtlichen Zuchtwahl, nach der die Schönheit, namentlich die Farbenschönheit, von Pflanzen und Tieren ein bedeutender Vorteil im Kampf ums Dasein sein soll, was allerdings voraussetzt, daß der Farben­sinn eine sehr früh auftretende, also längst vor dem Menschen in der Tierwelt vorhandene, gut ausgebildete Fähigkeit sein muß; seine Ausbil­dung jedenfalls keineswegs erst in die historische Zeit des Menschenge­schlechts fallen könne.

Die von Gladstone und Geiger entdeckten Tatsachen deutet Sterne so, daß nicht ein Mangel an Empfindungsfähigkeit vorliege, sondern nur ein Fehlen von entsprechenden Worten und Farbnamen in den unausge­bildeteren Sprachen. - Diese Ansicht gewann rasch eine große Anhän­gerschaft und A. R. Wallace zog später seine Zustimmung zu der von H. Magnus entwickelten Auffassung zurück (in «Tropical Nature», S.246). W Schultz gibt in seinem Werk «Das Farbenempfindungssystem der Hellenen» (Leipzig, 1904) eine reichhaltige Zusammenstellung von Q uellennachweisen im Urtext, aus denen sich ergibt, daß die Hellenen «blaublind» waren. dagegen aber sehr viele Ausdrücke hatten für die warmen Farben.

Ferner erschien im Jahre 1879 in Wien eine Schrift von Anton Marty «Die Frage nach der geschichtlichen Entwickelung des Farbensinnes», die sich in der Bibliothek Rudolf Steiners befindet und ihm vom Verfas­ser im Jahre 1903 zukam mit der Widmung: «Möge Ihr freundliches

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Interesse für diese meine Arbeit nicht ganz unbelohnt bleiben! Prag 28. Febr. 1903. A. Marty.»

Auf die Arbeiten von Gladstone und Magnus weist Rudolf Steiner in seinen Fußnoten zu Goethes Farbenlehre hin.

In den Jahren 1919 bis 1921 kommt er in seinen Vorträgen verschie­dentlich vom geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkt auf diese Tatsache einer Entwicklungsmetamorphose der Menschheit zu sprechen. Bei­spielsweise heißt es im Dornacher Vortrag vom 20. März 1920, daß man auf das, «was in dieser Beziehung Geistesschau mit voller Klarheit an die Oberfläche bringt, kann man auch schon durch die äußere Erkenntnis der physischen Tatsachen kommen, wenn man in der griechischen Lite­ratur Umschau hält... Die Geistesschau zeigt es mit aller Deutlichkeit, daß der Grieche sein ganzes Farbenspektrum nach der Rotseite hin verschoben hatte und nicht empfand nach der blauen und violetten Seite hin. Das Violett sah er viel röter als wir es sehen... In der Zeit, in der noch aus den Emotionen, aus den Sympathien und Antipathien, selbst aus dem Körperlichen, wie Hunger und Durst und Sättigung, aufstiegen spirituelle Kräfte, da ergossen sich diese spirituellen Kräfte bis in die Sinnesorgane hinein. Und die gewissermaßen aus dem Unterleiblichen heraufströmenden, sich in die Sinnesorgane hineinergießenden Kräfte, sie sind für den Sinn des Auges diejenigen, die vorzugsweise die gelben und die roten Farbennuancen beleben, die Fähigkeit beleben, diese Far­bennuance wahrzunehmen. Wir sind heute in das Zeitalter eingetreten, wo das Umgekehrte zu einer wichtigen Aufgabe der Menschheit wird .. bei uns muß das Umgekehrte stattfinden. Wir müssen das Geistig-Seelische ausbilden, die Strömung muß sich von diesem Geistig-Seeli­schen nach der Organisation des Menschen erstrecken, und wir müssen vom Geistig-Seelischen die Strömungen in das Auge und in die anderen Sinne hineinbekommen. Der umgekehrte Weg muß derjenige der Zu­kunftsmenschheit werden gegenüber dem, der bis in die Mitte der vier­ten nachatlantischen Kultur der Weg der Menschheit war. Dann wird aus dem nachdenklichen Menschen wiederum der geisterkennende, der in einer anderen Form geist-erkennende Mensch, der von oben angelegt wird. Wir sind hineingewachsen in die Empfänglichkeit für den blauen Teil des Spektrums... Aber indem wir uns in diesen Teil des Spektrums hineinleben, indem wir in einer gewissen Weise immer mehr und mehr lieb gewinnen die blaue und blau-violette Farbe, müssen sich ja unsere Sinnesorgane völlig ummetamorphosieren, umwandeln.»

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Chronologische Übersicht der Äußerungen Rudolf Steiners


Vorträge

1919

30. Nov. In der universalen Gesamtanschauung der urpersischen Kultur lebte ein Bewußtsein vom Durchdrungensein alles Anschaubaren vom Licht und dessen Abschattierungen in Dunkelheiten. GA 194

1920

12. März Farbensinn und Sehen der Griechen. Bisher in «Die Völker der Erde im Lichte der Geisteswissenschaft. Die Geschichte det Menschheit im Lichte der Geisteswissenschaft», Domach 1950.

20. März Blaublindheit der Griechen. Unterschieden nicht Gelb und Grün, erlebten das Spektrum mehr nach dem roten Teil. Heute mehr Empfänglichkeit für den blauen Teil. Man muß immer mehr die blaue und blauviolette Farbe liebgewinnen. GA 198

24. März Der Grieche hatte Interesse nur für helle, warine Farben. Sein Schauen war ähnlich dem blaublinden Beobachten. Nach den grie­chischen Geschichtsschreibern malten die Griechen nur mit den vier Farben: Weiß, Schwarz, Rot und Gelb. Bisher in: «Anthropo­sophie und gegenwärtige Wissenschaften. Methodologisches der naturwissenschaftlichen Weltanschauung>, Dornach 1950.

24. März Blaublindheit der Griechen und Chinesen. Fragenbeantwortung. (in diesem Band, Seite 151).

25. Dez. Dadurch, daß immer mehr die Wahrnehmungsfähigkeit für die dunkleren Farben heraufkam, verwandelte sich die aktiv farbenrei­che Astrologie der Alten in die graue farblose Himmelsmechanik unseres Weltbildes im kopernikanisch-galileisch-keplerischen Sinne. GA 202

1921

7. April Zusammenhang von Blausehen und Sinn für Abstraktion. GA 76

31. Dez. Die Griechen haben den Himmel nicht so blau gesehen wie wir

heute, dafür sahen sie helle Farben noch lebendiger, noch heller.

Die Blaufärbung läßt das äußere Geistige zurücktreten. GA 209

Siehe auch das geisteswissenschaftliche Forschungsergebnis über den kosmi­schen Ursprung des Bilder-Farbenbewußtseins auf dem alten Mond und die Metamorphose zu einem bewußten Bilderbewußtsein in der Zukunft des Jupi­terbewußtseins in «Aus der Akasha-Chronik» (Kap.: Die Erde und ihre Zu­kunft), GA 11, sowie «Die Geheimwissenschaft im Umriß», GA 13.

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TEXTE VON RUDOLF STEINER



Veränderungen der Farbenwahrnehmung und des

Denkprozesses im Laufe der Geschichte

Aus einer Fragenbeantwortung, Dornach, 24. März 1920

Frage: Wie hängt die Veränderung der Sinneswahrnehmung zusammen mit der

Denkveränderung bei den Griechen, die gemäß dem Buch «Die Rätsel der

Philosophie» noch eine viel bildhaftere Wahrnehmung hatten?

Antwort: Der Denkprozeß, wie er sich bei den Griechen äußert -ich versuchte ihn darzustellen in meinen «Rätseln der Philoso­phie» -, der Denkprozeß der Griechen war auch ein etwas ande­rer, als unser Denkprozeß ist. Unser Denkprozeß ist der, daß wir uns einer gewissen Aktivität der Gedanken, mit denen wir die äußeren Tatsachen begleiten, bewußt sind, daß wir durch diese Aktivität der Gedanken, der wir uns bewußt sind, uns zuschrei­ben die Bildung der Gedanken und dem Objektiven nur zuschrei­ben den Sinneseindruck. Das war bei den Griechen anders. Im griechischen Bewußtsein lebte durchaus - Sie können das leicht, wenn Sie mit unbefangenem Urteil auf die griechischen Philo­sophen hinsehen, nachweisen - ein deutliches Bewußtsein davon, daß der Grieche, ebenso wie er Farben sieht, auch die Gedanken als an den Dingen seiend sieht, daß er die Gedanken wahrnimmt. Der Grieche erlebte den Gedanken als etwas Wahrgenommenes, nicht als etwas bloß aktiv Ausgebildetes. Und daher waren die Griechen eigentlich nicht in dem Sinne, wie wir es sind, ein nachdenkliches Volk. Nachdenklich sind die Menschen eigentlich erst seit der Mitte des 15.Jahrhunderts geworden. Der Denkprozeß

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hat sich verinnerlicht. Er hat sich gleichzeitig mit dem Gang des Sinnesprozesses verinnerlicht. Die Griechen sahen, ich möchte sagen, mehr auf den aktiven Teil des Spektrums, auf die rote, warme Seite hin und empfanden nur undeutlich die kalte, blaue Seite des Spektrums. Und wir haben ganz gewiß eine ganz andere Vorstellung von der roten und warmen Seite des Spek­trums, die wir außerdem viel mehr gegen das Grüne hin zusam­mengeschoben vorstellen als die Griechen, die es über unser äu­ßerstes Rot hinaus noch sensitiv verfolgten. Es war das griechische Spektrum ganz nach der roten Seite verschoben. Die Griechen sahen daher auch den Regenbogen anders als wir. Dadurch, daß wir unsere Sensitivität mehr nach dem chemischen Teil des Spek-trums hin verschoben haben, wenden wir gewissermaßen unsere Aufmerksamkeit dem Dunklen zu. Und das ist schon etwas wie das Eingehen in eine Art von Dämmerung; da wird man nach­denklich. Wenn ich es jetzt mehr bildhaft und durch Analogien vorstelle, so stoßen Sie sich nicht daran. Es liegt dem eben doch ein sehr realer Vorgang der menschheitlichen Entwickelung zu­grunde. Mit dem Hinüberschieben der Sensitivitat von dem war­men nach dem chemischen, dem dunklen Teil des Spektrums, tritt etwas ähnliches in der ganzen Menschheitsentwickelung ein wie bei einem Menschen, der aus dem vollen Hellen heraus die Däm­merung erlebt, wo er anfängt, mehr auf sich angewiesen zu sein, den inneren Gedankenweg zu verfolgen und nachdenklich wird. Es denkt sich, möchte ich sagen, in der Dämmerung, im Dunklen aktiver, als es sich denkt, wenn die Sensitivität auf die lebendigen, auf die lebhaften, warmen Farben hingerichtet ist, wo man mehr in der Außenwelt lebt, mehr miterlebt dasjenige, was in der Au­ßenwelt ist. Der Grieche ging mit seinem ganzen Denken mehr in der Außenwelt auf. Er sah daher auch seine Gedanken in der Außenwelt. Der moderne Mensch, der das ganze Spektrum-An­schauen mehr nach dem dunklen Teile hin verlegt hat, der kann seine Gedanken nicht in der Außenwelt sehen. Geradeso, wie wenn man in der Nacht wach liegt und es ringsherum finster ist, man nicht irgendwie behaupten wird, daß dasjenige, was die Seele

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belebt, äußerlich gesehen wird, sondern man weiß, das geht in der Seele vor - geradeso geht das, was der Mensch erlebt seit der Verschiebung des Spektrum-Anschauens mehr nach dem dunklen Teile hin, in der Seele vor und man kann sagen: Es ist eine Verschiebung des Denkens eingetreten seit der griechischen Zeit. Solche Dinge ergeben sich der Forschung der Geisteswissenschaft.



Zur so genannten Blaublindheit der Griechen

Aus einer Fragenbeantwortung, Dornach, 24. März 1920

Frage: Ist die Blaublindheit der Griechen etwas, was nur mit der individuellen Entwickelung dieses Volkes zu tun hat, oder ist es vielleicht etwas, was im allgemeinen Entwickelungsgang einer Rasse oder eines Volkes auftritt, also was einem gewissen Alter dieser Rasse entsprechen würde? Wie ist es zum Beispiel mit den Chinesen, von denen man doch aus sehr früher Zeit schon Darstellungen hat in blauen Farben? Kommen da andere Dinge noch in Frage?

Antwort: Was die Blaublindheit der Griechen betrifft, so bitte ich vor allem zu berücksichtigen, daß ich wirklich nur auf eine soge­nannte Blaublindheit hinweisen möchte. Es ist mehr ein Sensitiv-sein der Griechen für die hellen, warmen Farben und ein weniger Interesse haben für die dunklen, für die blauen, kalten Farben. Und man muß sich klar sein darüber, daß der Prozeß selber, der da stattfindet, für das griechische Volk ein viel seelischerer gewe­sen ist als bei den heutigen partiell Blaublinden. Es ist nur ein Analogon, aber es ist eben doch durchaus bei den Griechen diese seelische Blaublindheit so stark vorhanden gewesen, daß wir es in der griechischen Sprache nachweisen können. Das haben Sie aber wohl schon aus dem Vortrage entnehmen können, daß ich das

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nicht als eine individuelle Eigenschaft des griechischen Volkes anzuschauen bitte, sondern als etwas, was in einem bestimmten Zeitraum einer Volksentwickelung überhaupt auftritt. Selbstver­ständlich muß da genau ins Auge gefaßt werden, daß ja dasjenige, was als Völker auf der Erde nebeneinander lebt, nicht in absolut gleichen Zeiträumen auch seine entsprechende Epoche hat. Man muß sich klar darüber sein, daß zum Beispiel das chinesische Volk längst über den Zeitraum der Blaublindheit hinaus war, als es in die Geschichte eintrat. Also man muß gewissermaßen die Zeit­räume nebeneinander geschichtet empfinden; dann wird man das, was ich gesagt habe, im richtigen Lichte sehen.

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Der Regenbogen

Seine Entstehung in der Erdgeschichte



Vorbemerkungen der Herausgeber

Wir brauchen überall eine Unterlage, wenn wir Farben sehen wollen, mit Ausnahme der atmo­sphärischen Erscheinung des Regenbogens. Des­halb ist nicht mit Unrecht die Erscheinung des Regenbogens als etwas angesehen worden, was den Himmel, das Geistige, mit der Erde verbindet, weil wir in dem Regenbogen nicht den Himmel farbig sehen, sondern wirklich das Farbige als sol­ches.'

Die Darstellungen über den Regenbogen lassen sich in naturwissen­schaftliche und geisteswissenschaftliche gliedern.

Unter den geisteswissenschaftlichen Darstellungen ragt besonders diejenige hervor, wonach das Erscheinen eines Regenbogens in der Erd­geschichte erst infolge der durch die atlantische Flut veränderten Luft-und Wasserverhältnisse möglich geworden ist. Diesem Forschungser­gebnis kommt eine besondere Bedeutung deshalb zu, weil es Rudolf Steiner veranlaßte, seinen erkenntniskultischen Arbeitskreis zu begrün­den, dessen Sinn, gleich einem Regenbogen, darauf gerichtet war, die «Vereinigung des Irdischen mit dem Himmlischen, des Sichtbaren mit dem Unsichtbaren» zu bewirken.2 Als sprechendes Symbol für kultische Zusammenhänge tritt der Regenbogen auch auf in den kultischen Tex­ten, wie sie für die «Christengemeinschaft» gestaltet wurden. Die Ad­ventsstrophen der »Menschenweihehandlung» klingen aus mit dem Hin­weis auf das Heil, «das im Weltenschoße verheißend keimt», das «pro­phetisch spricht im Glänzen des Sonnenwagens, im Leuchten des Far­benbogens, der den Himmel umspannt».3

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Im gleichen Sinne erscheint der Regenbogen auch auf den Bildern okkulter Siegel, wie sie für den Münchner Kongreß Pfingsten 1907 entstanden sind. Auf dem vierten und dem siebten Siegel leuchtet der Farbenbogen als Bild des siebenfachen schöpferischen Prinzips, wie es in den dazu gegebenen Erklärungen heißt.4 Zu diesem Hinweis fügt sich ergänzend, daß Rudolf Steiner, als er einmal gefragt wurde, ob es richtig sei, daß die sieben Farben des Farbenspektrums den Charakter der sieben Elohim ausdrücken, dies bejahte. Und auf die weitere Frage, wo denn dann im Farbenspektrum der Christus zu finden sei, habe er geantwortet: Er ist hinter dem Grün.5 Dies weist wohl auf die Auffas­sung vom Grün als Ausgleich der beiden Hauptfarben Gelb und Blau, wie sie schon Goethe hatte.

Auch in die Kuppelmalerei des ersten Goetheanum war der Regenbo­gen von Rudolf Steiner hineingeheimnißt worden. In der großen Kuppel sollten die einzelnen Motive aus den farbigen Kurven der Farbengrund­lage, die in den sieben Farben des Regenbogens strömten, herauserblü­hen; in der kleinen Kuppel stand das Mittelmotiv in den Farben des Regenbogens.

Von besonderer Bedeutsamkeit sind noch die beiden Vorträge vom 24. September 1921 (GA 207) und 4.Januar 1924 (GA 233a). Im ersteren werden Regenbogen und Inkarnatfarbe einander gegenübergestellt, im zweiten die Entstehung des Regenbogens erklärt aus der Tätigkeit von Geistwesenheiten. Im Vortrag vom 18. September 1924 aus einer der allerletzten Vortragsreihen (GA 282) findet sich dann, wie eine Art Abschluß, die Regenbogen-Meditation. (In diesem Band, siehe Seite 230)

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Chronologische Übersicht der Äußerungen Rudolf Stein ers


Ai Naturwissenschaftlicher Art

Schriften

1897 Anmerkungen zu Goethe «Materialien zur Geschichte der Farbcn­lehre». GA lc, ld, 291a

Vorträge

1920

9. März Die gewöhnliche Erklärung des Regenbogens durch die Regen­tropfen als eine atomistische Auffassung einer doch einheitlichen Erscheinung. Regenbogen und Nebenregenbogen gehören not­wendigerweise zusammen und bilden so den Zwölffarbenkreis. GA

321

5. Dez. Jeder Regenbogen würde als Kreis erscheinen, wenn man das Pfir­sichblütige des Ätherischen wahrnehmen würde. GA 202 und 291


Bi Geisteswissenschaftlicher Art

Vorträge

1905

5. Mai, Die Entstehung des Regenbogens in der Erdgeschichte. (In diesem

22. Okt. Band Seite 163 f.)

1907/08

21. Mai Der Regenbogen als Bild des siebenfachen schöpferischen Prinzi­pes. GA 284

25.Juni In der Atlantis konnte man noch keinen Regenbogen wahrnehmen

27. Mai Die physikalischen Voraussetzungen dazu ergaben sich erst durch

23.Juni die Veränderung der Luft- und Wasserverhältnisse nach der atlanti­schen Flut. GA 100 / GA 103 / GA 104

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1910

6. Dez. Der Regenbogen als okkulter Vergleich mit dem Menschen: ein Scheinbild, durch äußere Kräfte zusammengehalten. GA 124

1915

Sommer Angaben für die eurythmische Darstellung eines Regenbogenge­dichtes. In diesem Band Seite 373 f.

1920

4. März Der Mensch als ein lebendiger Regenbogen. GA 321

9. März Zur Totalität des Regenbogens gehört der Nebenregenbogen (in diesem Band Seite 162)

1921

24. Sept. Regenbogen und Inkarnat. GA 207

1923

21. Febr. Die sieben Regenbogenfarben. GA 349

9. Juni GA 350, GA 291a

27. Okt. GA 351

1924

4. Jan. Die Entstehung des Regenbogens durch geistige Wesenheiten. GA

233a, GA 291

18. Sept. Regenbogenmeditation, um zum seelischen Farberleben zu kom­men. CA 282 (in diesem Band Seite 230)

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TEXTE VON RUDOLF STEINER


Über den Regenbogen


Anmerkungen zu Goethes «Materialien zur Geschichte der Farbenlehre» in Band IV und V von Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften innerhalb der »Deutschen National-Litteratur»

Welches geringe Interesse auf den ersten Kulturstufen die Farbe erregt, mag daraus hervorgehen, daß selbst der Name für den Regenbogen nicht von dessen Farben, sondern von der Rundung her genommen wurde (engl. rain-bow, franz. arc-enciel, lat. arcus coelestis, isländisch regenbogi). Die Farbenbenennungen waren in den ersten Kulturstadien der Völker stets schwankend. Mehrere Farben, die wir heute streng unterscheiden, führten den gleichen Namen, oder umgekehrt: eine Farbe hatte mehrere Namen. (Band

IV, Seite 17)

Lucius Annäus Seneka, der Philosoph und Lehrer Neros (2-62 n.Chr.), kommt für die Farbenlehre insofern in Betracht, als wir bei ihm eine Theorie des Regenbogens finden. (Band IV Seite 98)

Die Ableitungen, die unser Text über den Regenbogen gibt, sind auch heute noch als richtig anzusehen. Der erste, der die Theorie des Regenbogens aufstellte, ist der Perser Al Schirasi (1236-1311). Er behauptet. bereits, daß der Hauptregenbogen durch zweimalige Brechung und einmalige Reflexion in einem Tropfen, der Nebenregenbogen durch zweimalige Brechung und zweimalige Reflexion entstehe; die Bogenform aber dadurch be­wirkt werde, daß alle Tropfen, die auf einer Kegelfläche liegen, deren Spitze im Auge ist, sich gleich verhalten. Von ihm über­nahm die Theorie Al Hazen, aus dessen von AI Farisi kommentiertem

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Werke sie auf den sächsischen Predigermönch Theodorich von Freiberg überging, der sie 1311 in einer Schrift verteidigte. Diese Erklärungen wurden aber wieder vergessen und im 16.Jahr-hundert stellten der Prediger Fleischer in Breslau, der Kanonikus Clichthove und der Abt Maurolykus verfehlte Theorien auf. Die Erklärungen des De Dominis stimmen aber im wesentlichen mit denen des Al Schirasi überein. (Band IV Seite 187)

Im Goetheschen Sinne darf der Regenbogen nicht durch eine umständliche Theorie erklärt werden, sondern einfach dadurch, daß man die Umstände, wodurch Farben entstehen, Stück für Stück in einer solchen Komplikation zusammenführt, daß die Regenbogenerscheinung sich daraus von selbst ergibt. Dargestellt kann das nicht mit Linearzeichnungen werden, denn man hat es nicht mit Lichtstrahlen und dgl. hypothetischen Gebilden zu tun, sondern mit Bildern, die im Raume scheinen, somit nur perspekti­visch veranschaulicht werden können. - Vitellio war ein Zeitge­nosse Roger Bacons. Die einzige Schrift von ihm, von der wir wissen, handelt über Optik. Sie ist 1572 mit dem optischen Werk des AI Hazen von Risner in Basel herausgegeben. Vitellio lehnt sich in seinen Angaben über die Lichtbrechung von Al Hazen an und gibt auch Ausführungen über den Regenbogen. Auf De Do­minis sind seine Ansichten von Einfluß gewesen. (Band IV S.189)

Versuche mit einer mit Wasser gefüllten Glaskugel führten Descartes zu dem Schlusse, daß der Regenbogen durch Brechung und Zurückwerfung des Sonnenstrahles am und im Regentropfen entstehe, und zwar der Hauptregenbogen durch zweimalige Bre­chung und einmaliges Zurückwerfen und der Nebenregenbogen durch zweimalige Brechung und zweimaliges Zurückwerfen. Diese Einsicht bedeutete aber durchaus keinen Fortschritt, wie aus unserer Anmerkung zu Seite 187 hervorgeht. Aus dem um­ständlichen Bericht, den Descartes von der Art gibt, wie er zu seiner Entdeckung gekommen ist, geht allerdings hervor, daß er seine Vorgänger nicht gekannt hat. (Band IV Seite 199)

Bezüglich des dunklen Zwischenraumes zwischen Haupt- und Nebenregenbogen ist zu dem dort [s. 0.1 Gesagten noch hinzuzufügen:

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Da 420 2' bei einmaliger Reflexion und zweimaliger Bre­chung (Hauptregenbogen) der größte Winkel ist, unter dem noch Licht ins Auge gelangt, so kann von Tropfen, die jenseits des äußeren roten Ringes liegen, kein Licht ins Auge gelangen. Fer­ner: Da 500 58" der kleinste Winkel ist, unter dem Licht bei zweimaliger Reflexion und zweimaliger Brechung (Nebenregen­bogen) ins Auge gelangt, so kann auf diesem Wege von Tropfen innerhalb des inneren roten Ringes des Nebenregenbogens kein Licht ins Auge gelangen. Zwischen den beiden Bogen können die Tropfen also nur reflektiertes Licht von ihrer Oberfläche senden; das in sie eindringende geht verloren, daher der dunkle Raum. (Band V Seite 213)

Das Prinzip, das Goethe dabei über die Entstehung des Regen­bogens zugrunde legte, war, Bedingungen herzustellen, die eine solche Komplikation der einfachen Farbenphänomene hervor­bringen, daß das natürliche Phänomen des Regenbogens künstlich wiederholt erscheint. Er nennt das: die Beobachtung zum Versuch steigern. Das zusammengesetzte Phänomen erklären heißt, die Komplikation der einfachen Phänomene aufzeigen, aus denen es sich zusammensetzt. - Die Glaskugel ist der Repräsentant eines Regentropfens. Was in ihr vorgeht, muß auch im Tropfen vorge­hen. Der Regenbogen ist die Summe aller von den einzelnen Regentropfen bewirkten Erscheinungen. (Band V Seite 329)

Fußnote zu Goethes Feststellung: Der Regenbogen ist ein Re­fraktionsfall und vielleicht der komplizierteste von allen, wozu sich noch Reflexion gesellt.

Der Regenbogen ist das Resultat der einzelnen Erscheinungen, die in den Regentropfen bewirkt werden. Das Licht muß durch den Tropfen gehen, d. i. es wird gebrochen (Refraktion), dann aber muß es, da wir zwischen der Sonne und dem Tropfen stehen, wieder zu uns zurückgelangen, also reflektiert werden. (Band V Seite 333)

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Zur Totalität des Regenbogens gehört der Nebenregenbo gen

Aus Vortrag Stuttgart, 9. März 1920 (GA 321)

Ich glaube, wenn Sie die gebräuchlichen Darstellungen der Optik in den Physikbüchern zur Hand nehmen und vorrücken zu dem, was da gewöhnlich gegeben wird als Erklärung einer speziellen Spektralerscheinung, nämlich des Regenbogens, wird Ihnen doch, wenn Sie es gerne haben, bei klaren Begriffen zu bleiben, etwas unbehaglich zu Mute werden. Denn die Erklärungen des Regen­bogens sind wirklich so gehalten, daß man ganz ohne Boden dasteht. Man ist genötigt, zum Regentropfen seine Zuflucht zu nehmen und da allerlei Gänge der Lichtstrahlen im Regentropfen drinnen zu verfolgen, und man ist dann genötigt, sich dieses ziemlich einheitliche Bild des Regenbogens zusammenzufügen aus lauter kleinen Bildern, die noch besonders abhängig sind von der Art, wie man dazu steht, Bildern, die eigentlich durch Regen­tropfen entstehen. Kurz, Sie haben in diesen Erklärungen etwas von einer atomistischen Auffassung einer Erscheinung, die ziem­lich als Einheit in unserer Umgebung wirkt. Aber noch unbehagli­cher als gegenüber dem Regenbogen, also dem Spektrum, das die Natur selbst vor uns hinzaubert, kann uns werden, wenn wir gewahr werden, daß eigentlich dieser Regenbogen, von dem wir sprechen, gar niemals in Wirklichkeit allein auftritt. Er mag noch so sehr sich verbergen, es ist immer der zweite Regenbogen da. Und was zusammengehört, läßt sich einmal nicht auseinanderhal­ten. Die beiden Regenbögen, von denen der eine nur undeutlicher ist als der andere, die gehören notwendigerweise zusammen, und im Gebiet der Erklärungen für das Entstehen des Regenbogens darf man nicht einmal versuchen, nur den einen Farbenstreifen erklären zu wollen, sondern man muß sich klar sein darüber, daß die Totalität der Erscheinung - die relative Totalität - eben etwas ist, was nun in der Mitte etwas anderes ist und zwei Randbänder hat. Das eine Randband ist der etwas deutlichere Regenbogen, das

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andere der undeutlichere Bogen. Man hat es zu tun mit einem Bild, das uns in der großen Natur erscheint und das in der Tat sich hineinstellt fast in das ganze All. Wir müssen das ansehen als etwas Einheitliches. Nun, wenn wir genau zusehen, so werden wir ja ganz gut gewahr werden, daß der zweite Regenbogen, der Nebenregenbogen, eigentlich eine Umkehrung des ersten ist, daß der zweite tatsächlich in einer gewissen Weise aufgefaßt werden kann als eine Art Spiegelbild des ersten, daß er gewissermaßen den ersten, deutlicheren Regenbogen spiegelt. Wir haben also da, so­bald wir übergehen von den Teilerscheinungen, die in unserer Umgebung auftreten, zu einer relativen Totalität, der wir gegen­überstehen, wenn wir unsere ganze Erde als im Verhältnis zum kosmischen System auffassen, etwas, was eigentlich sein Antlitz ganz verändert.



Die Entstehung des Regenbogens

in der Erdgeschichte

Aus Vortrag Berlin, 5. Mai 1905 6

Der Regenbogen hat eine besondere Bedeutung in der okkulten Weisheit. Sie kennen den Regenbogen, der als Friedenszeichen nach der Sintflut erscheint.7 Jetzt finden wir dies Symbol wieder­holt in den nordischen Mythen.8 Es bedeutet den Übergang aus der atlantischen in die nachatlantische Zeit. In jener Zeit war die Luft viel dichter, das Wasser viel dünner als heute. Ein Regenbo­gen war in jener Zeit nicht möglich. Die Atlantis war in Wahrheit ein Nebelreich, ein Niflheim. In unseren Gegenden, im Norden, wächst das Menschengeschlecht aus Nebelmassen heraus. Aus

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diesem Nebeireich sollten sich die Wassermassen zusammenbal­len, die den atlantischen Ozean bildeten, die den Kontinent Atlan­tis überfluteten. Einen Regenbogen gab es also nicht im atlanti­schen Zeitalter. Die okkulte Forschung hat es erforscht, was diese Erscheinung bedeutet. In der Bibel, im Sintflut-Regenbogen, wie in der Regenbogenbrücke der nordischen Mythe, der Verbindung zwischen Menschen und Göttern, tritt uns etwas entgegen, was den Übergang von der atlantischen zur nachatlantischen Zeit dar­stellt.


Aus einer Fragenbeantwortung

Berlin, 22. Oktober 1905


Die Frage bezüglich Noah hängt zusammen mit meinen allerletz­ten okkulten Forschungen. Niemand wird im «Luzifer»9 etwas finden, was ich dazumal, als ich die Artikel schrieb, noch nicht gewußt habe. Jetzt aber weiß ich etwas mehr. Jetzt sind mir die klimatischen Verhältnisse klar und anschaulich geworden. Ich habe etwas verstehen gelernt, was ich dazumal schon angeführt hätte, wenn ich es dazumal schon verstanden hätte. Die Stelle von Noah habe ich damals allegorisch genommen. Sie war mir ein Bild für die tiefe seelische Bedeutung. Nun aber weiß ich, daß dieser Regenbogen in der Bibel einer wirklichen Tatsache entspricht.

Auf der alten Atlantis waren andere klimatische Verhältnisse. Die Verteilung von Luft und Wasser war anders..., so daß man findet, daß auf der alten Atlantis die Bildung eines Regenbogens noch nicht möglich war. Solche Verhältnisse sind erst möglich geworden, als die Atlantis überflutet wurde und die neuen Konti­nente emporstiegen. Nun wird [in der Bibel] angedeutet, wie der Regenbogen hervorgeht aus der Sintflut.

Die Inkarnatfarbe

#G291a-1990-SE165 Farbenerkenntnis

#TI

Die Inkarnatfarbe

Vorbemerkungen der Herausgeber

#TX

Man muß die Fleischfarbe verstehen, das Inkarnat, dann kann man auch die anderen Farben verste­hen.1

Über das Inkarnat, die menschliche Fleischfarbe, äußerte Rudolf Steiner verhältnismäßig wenig. Aber dieses Wenige weist auf das tief Rätselhafte dieser Lebenserscheinung.

Sicherlich ist es nicht zufällig, daß die erste ausführliche Darstellung geisteswissenschaftlicher Erforschung des Inkarnates in dieselbe Zeit fällt, in der Rudolf Steiner im Mittelmotiv der kleinen Kuppel an dem Antlitz des Menschheitsrepräsentanten malte. Es ist, wie wenn in dieser malerischen Darstellung dasjenige noch eine unsichtbar-sichtbare Erhö­hung erfahren hätte, was er als das Grundgesetz sowohl der Natur- wie Geistesordnung in allen Lebensbereichen erforschte und das im ganzen Bau und im besonderen noch in der Holzgruppe und im Mittelmotiv der kleinen Kuppel seinen künstlerischen Ausdruck fand: das Gesetz der Polaritäten in den Welterscheinungen und ihres Ausgleiches. Denn die «wahre» Wirklichkeit kann nur gefunden werden, wenn man «in den Geist selber sich hineinzuvertiefen vermag und die dem Geist entspre­chenden Polaritäten da findet».2 In bezug auf das Inkarnat heißt es darum: «Der Seher schaut das Inkarnat nicht in Ruhe, sondern in oszil­lierender Bewegung... Das Inkarnat, wie es uns im Äußeren entgegen­tritt, ist nur ein Mittelzustand.»3

Nach einem ersten Hinweis auf die Inkarnatfarbe im Zusammenhang mit Sinnes- und Lebensprozessen,4 wonach gerade im Inkarnat das Phänomen vorliegt, daß das Geistig-Seelische das Physische voll durch­dringt und im Inkarnat alle Farben enthalten sind, kommt das Inkarnaträtsel

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recht eigentlich erst im Jahre 1918 zur Darstellung, charakteristi­scherweise dann, nachdem Rudolf Steiner selbst das Antlitz des Mensch­heitsrepräsentanten im Mittelmotiv der kleinen Kuppel gemalt hatte. Zuerst in Berliner Vorträgen, dann in den Münchner Kunstvorträgen.5

Nachdem im ersten von drei zusammenhängenden Vorträgen in Ber­lin über die Erdenaura in ihrer Farbpolarität Blau-Rot und der grünen Ausgleichsmitte gesprochen wurde und im zweiten Vortrag über den Zusammenhang von Blut und Nerv, wird im dritten Vortrag das Inkar­nat ebenfalls vom Aspekt der oszillierenden Polarität in dreifacher Weise erklärt:

Erstens als Wahrnehmung von außen hängt «diese eigentümliche Tingierung» ab von «zwei gegeneinanderwirkenden Kräften», von «in der Form» einander entgegenwirkenden Druckkräften, die im Menschen wirksam sind. «Und zwar wirkt in einer gewissen Weise der Äther- oder Bildekräfteleib drückend nach außen, der astralische Leib in entgegenge­setzter Art drückend nach innen, und dies an allen Stellen. Will der astralische Leib sich zusammenziehen, von außen nach innen drücken, so will der Äther- oder Bildekräfteleib von innen nach außen drücken, sich ausdehnen. Und was dadurch entsteht, daß sich an des Menschen Oberfläche diese beiden Druckkräfte von außen und innen begegnen, das ist mitwirkend in dem, was sich im menschlichen Inkarnat offenbart. Was der ätherische Leib und der astralische Leib sich gegenseitig zu sagen haben, das drückt sich auf geheimnisvolle Weise im Inkarnat aus.»

Zweitens als hellseherische Wahrnehmung, von innen nach außen, würde das Inkarnat ganz anders erscheinen; zum Beispiel dasjenige des «durchschnittlichen Mitteleuropäers» nicht fleischfarbig rosig, sondern grün-bläulich.

Drittens nach dem Tode wirke das Inkarnat so nach, daß es, «wie auf einen Teppich aufgemalt», die gesamte Erinnerungswelt zeigt. Bildlich gesprochen müßte man sich diesen Inkarnatteppich wie ein umgewende­tes Kleid oder einen umgewendeten Handschuh vorstellen. Und die «Grundtingierung ist gewissermaßen die Farbe des Teppichs, auf wel­chem dem Toten seine Erinnerungen erscheinen: für die weiße Mensch­heit grünlich, grünlich-bläulich; für die Japaner violett-rötlich; für die Schwarzen nach dem Tode gerade fleischfarbig». Und Rudolf Steiner betont, daß der Mensch durch sein Inkarnat mehr als durch irgend etwas anderes ein Mikrokosmos ist gegenüber dem Makrokosmos.

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Diese Darstellungen vom Inkarnatgeheimnis in dem Berliner Vortrag vom 9. April 1918 erscheinen wie eine Vorwegnahme derjenigen, die kurz darauf in dem Vortrag vom 5. Mai 1918 in dem Münchner Kunst­haus «Das Reich» gegeben wurden. In diesem Vortrag, der infolge des großen Andrangs am 6. Mai wiederholt und am 1.Juni auch in Wien gehalten wurde, wird das Inkarnaträtsel wiederum von drei Aspekten aus charakterisiert.

Einmal wird die seherische Wahrnehmung des Inkarnates als «großes heliseherisches Problem», als das «schwierigste» hellseherische Problem bezeichnet.

Zum anderen wird die gewöhnliche Wahrnehmung des Inkarnates im Zusammenhang mit der Wahrnehmung eines anderen Menschen-Ichs charakterisiert als der einzige Fall im Leben, wo sozusagen jedermann hellsehend ist, was nur nicht richtig erkannt würde: «Das ist ein Hellse­hen, das im Leben immer und überall vorhanden ist.» (München, 6. Mai 1918)

Zum dritten wird das Inkarnat, das für die äußere Anschauung wie etwas Ruhendes, Fertiges wirkt, im Hellsehen wie ein Mittelzustand wahrgenommen, indem es zwischen den zwei Gegensätzen von Erblas­sen und Erröten hin und her pendelt: «Das sind die beiden Grenzzu­stände, zwischen denen die Tingierung des Menschen pendelt und in deren Mitte das Inkarnat liegt. Das wird ein Hin- und Hervibrieren für den Seher. Durch das Erblassen versteht der Seher, wie der Mensch im Innern, im Gemüt und Intellekt ist, und durch das Erröten erkennt man, wie der Mensch als Willensimpuls-Wesen ist, wie er im Verhältnis zur Außenwelt ist... Das Daraufkommen auf das Innere des Menschen hat das Erlebnis des Inkarnates zu seinem Hauptproblem.» (München, 6. Mai 1918)

Nach der Darstellung des malerischen Aspektes der Inkarnatfarbe in den drei Dornacher Vorträgen «Das Wesen der Farben» - dem Inkarnat als dem lebendigen Bild der Seele entspricht die Farbe des Pfirsichblüt (6. Mai 1921) - folgt im Vortrag Dornach, 24. September 1921, ein neuer Polaritäts aspekt in der Betrachtung des Inkarnats: Das Inkarnat als Zeichen des Sohnesgottes gegenüber dem Regenbogen als Zeichen der Vatergottschöpfung. Gleichzeitig gibt Rudolf Steiner in diesem Vortrag auch noch eine Ergänzung zu der allerersten Angabe über das Inkarnat im Vortrag yom 3. September 1916, wonach im Inkarnat alle Farben enthalten sind, indem er dies nun konkretisiert. Denn nun heißt es, wenn

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die Farben des Farbenspektrums, des Regenbogens, in einer gewissen Weise durcheinandertingiert würden, dann würden sie Leben annehmen und zum Inkarnat werden, das aus des Menschen Inneren dringt: «Aber der Mensch muß in seinem Inneren auch die Quelle des Farbigen, das, was den Regenbogen zum Inkarnat, was den Regenbogen zu einer lebendigen Einheit macht, in seinem Inneren erblicken... Da sprießt dann neues Leben auf.» Dadurch komme man zu einem innerlichen Verstehen des Mysteriums von Golgatha.

Rudolf Steiners letzte Ausführungen über das Inkarnat fallen in das Jahr 1923, hervorgerufen durch die Fragen der Arbeiter am Goethe­anumbau. Am 21. Februar 1923 beantwortet er Fragen, die nach den Farben gestellt wurden, und betont dabei sehr stark den therapeutischen Gesichtspunkt im Zusammenhang mit dem Inkarnat. Beim nächsten Vortrag am 3. März 1923 werden die Betrachtungen von ihm weiter fortgesetzt, indem er die Entstehung der Farben der Menschenrassen erklärt. Darauf wurde schon am Schluß des Vortrages vom 17. Februar 1923 hingeführt mit den Worten: «Nun, das ist ja das Eigentümliche, daß man überall vom Leben ausgehen muß, wenn man etwas verstehen will. Und so muß man ja auch für die Farben sogar vom Leben ausgehen. Sehen Sie, wenn Sie heute manchmal Bilder anschauen, so ist das so, daß sie bemalt sind; aber man hat das Gefühl, dahinter ist kein Fleisch, sondern Holz, das angestrichen ist. Die Fleischfarbe, das Inkarnat, brin­gen eben die heutigen Maler gar nicht zustande, weil sie auch im Leben gar nicht das Gefühl haben, daß die Fleischfarbe aus dem Menschen heraus erzeugt wird. Sie kommt nirgends an einem anderen Stoff vor. Aber man muß die Fleischfarbe, das Inkarnat verstehen, und dann kann man auch die anderen Farben verstehen.»

Im Oktober des Jahres 1923 behandelt Rudolf Steiner dann den. Zusammenhang des Inkarnates mit dem menschlichen Ich und den Wir­kungen des Planeten Saturn.

Im Vortrag vom 8. Oktober 1923 für die Arbeiter am Goetheanum­bau, in dem das Wesen der Schmetterlinge behandelt wird, heißt es: Der Schmetterling, der die Erdenschwere überwunden hat und ganz dem Licht folgt, ist «zum Ich herangereift». «Ein Ich ist es, in dem wir sozusagen den Schmetterling herumflattern sehen. Wir Menschen haben unser Ich in uns. Der Schmetterling hat es außer sich. Das Ich ist

eigentlich Licht. Das färbt ihn... Dieses selbe Licht, das den Schmetter­ling in Farben färbt, das rufe ich in mir auf, wenn ich zu mir Ich sage.»

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Aber der Schmetterling könne nicht zu sich Ich sagen, wie auch nicht einmal das höhere Tier, weil das Ich von außen wirkt. «Wenn Sie einen Löwen ansehen in seiner semmelfarbenen Gelbheit, dann ist es die semmelfarbene Geibheit, die vom Ich des Löwen von außen bewirkt wird. Der Löwe wird selber gedacht von der ganzen Natur, die Färbung kommt dadurch zustande. Weil wir von innen heraus denken, bekom­men wir nicht von außen die Färbung, sondern wir bekommen die Hautfärbung von innen, die man sehr schwer in der Malerei nachmachen kann. Aber unser Ich färbt eigentlich mit Hilfe des Blutes unseren ganzen Körper zu dieser wunderbaren Menschenfarbe, die man in der Malerei nur nachmachen kann, wenn man alle Farben in der richtigen Weise miteinander mischen kann, richtig mischen kann.» (Dornach, 8. Oktober 1923)

Aber «nur mit dem Saturn zusammen», heißt es zwei Wochen später im Mitglieder-Vortrag Dornach, 26. Oktober 1923, «kann die Sonne das Licht so in die Luft senden, daß der Falter in der Luft erglänzen kann in seinen mancherlei Farben... Saturn gibt die Farben der Schmetter­linge...»

Daß auch die menschliche Inkarnatfarbe mit dem Saturn zusammen­hängt, findet sich schon angedeutet im vierten Mysteriendrama «Der Seelen Erwachen» (1913), 6. Bild, in den Worten des Hüters:

«Erkennet eure Weltenmitternacht!

Ich halte euch im Bann gereiften Lichts,

Das jetzt Saturn euch strahlt, bis eure Hüllen

In stärkerem Wachen, durch des Lichtes Macht

Euch selbst erleuchtend, ihre Farbe leben.»

Verdeutlicht wird dies im Vortrag Dornach, 3. September 1916, in dem es heißt, daß es gerade durch die Saturnkraft bewirkt wird, daß das Geistig-Seelische des Menschen das Physische voll durchdringen kann, was sich im Inkarnat ausdrückt. Und es wird zitiert ein mittelalterlicher Spruch, an dessen Schluß es heißt: «Damit Saturnus, alt und greis, in vielen Farben sich erweis», und Rudolf Steiner fügt hinzu: «Seele erweist sich in uns durch die Saturnkraft, welche die älteste ist, , denn unser Inkarnat hat das Seelisch-Geistige ausgedrückt im Physi­schen. In unserer Hautfärbung, in unserem Inkarnat sind in der Tat alle Farben.»

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Chronologische Übersicht der Äußerungen Rudolf Steiners

Vorträge

1914

5. .Juli Weil der Mensch mit seinem Bewußtsein aus dem Farben- und Lichtmeer des Astralen hinausragt, geschieht die Färbung bei den Rassen nicht durch Licht und Farbe, sondern durch die Wärme der klimatischen Verhältnisse. GA 286

1916

3. Sept. Im Inkarnat sind alle Farben, weil hier mit Hilfe der Saturnkraft das Geistig-Seelische das Physische voll durchdringt. GA 170

1918

9. April Die Inkarnatfarbe wird bewirkt durch die einander entgegenwir­kenden Druckkräfte von Äther- und Astralleib. Hellseherisch und nach dem Tode wird sie komplementär wahrgenommen. GA 181 (in diesem Band Seite 171)

5.., 6. Mai Die seherische Wahrnehmung des Inkarnates das schwierigste hell-

1. Juni seherische Problem. Die gewöhnliche Inkarnatwahrnehmung am anderen Menschen ist der einzige Fall im Lehen, wo jedermann hellsehend ist. Das Inkarnat ist ein Mittelzustand. GA 271

1921

6. Mai Das Seelische lebt sich im Physischen in der Inkarnatfarbe aus. Dem Inkarnat als lebendigem Bild der Seele entspricht am ehesten die Farbe der jungen Pfirsichblüte. GA 291

24. Sept. Zusammenhang von Regenbogen und Inkarnat. GA 207 (in diesem Band 174)

1923

17. Febr Die Fleischfarbe, das Inkarnat, bringen die heutigen Maler gar nicht zustande. Sie wird aus dem Menschen heraus erzeugt, kommt an keinem andern Stoff vor. Man muß das Inkarnat verstehen, dann kann man auch die anderen Farben verstehen. GA 349

21. Febr. Inkarnat und Gesundheit und Krankheit. GA 349

3. März Farben der Menschenrassen. GA 349

18. Mai Inkarnatfarbe (Pfirsichblüt) als lebendiges Bild der Seele. GA 276

8. Okt. Inkarnatfarbe: Ausdruck des Ich. Zusammenhang von Ich, Licht und Schmetterlingsfarben, in der Malerei nur mit Hilfe des Blutes nachzuahmen, wenn man alle Farben in der richtigen Weise mi­schen kann. GA 35.1

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TEXTE VON RUDOLF STEINER

Über das Geheimnis des Inkarnats

Aus Vortrag Berlin, 9. April 1918 (GA 181)

... Da muß ich auf etwas hinweisen, was in unserer trockenen, nüchternen, papierenen Zeit schon wirklich gar nicht mit der nötigen Ehrfurcht behandelt wird, trotzdem es immer und überall vor uns steht. Es ist etwas, was innerhalb der physischen Welt eigentlich als das Allermysteriöseste wirkt, was für jeden da ist innerhalb der physischen Welt, was nur in seinem mysteriösen Charakter nicht empfunden wird Es ist das menschliche Inkar­nat, dasjenige, was in der menschlichen Fleischesfarbe nach außen sich am Menschen offenbart. Sie brauchen sich nur erinnern, welche Fülle des Individuellen darin sich ausspricht, daß uns der Mensch mit seinem Inkarnat entgegenkommt, wie im Grunde genommen diese Fleischesfarbe doch bei jedem Menschen eine andere ist, in so vielen Schattierungen uns entgegentritt, als es Menschen gibt. Wer sich mit der Enträtselung des Inkarnats be­schäftigt, wie es auch schon versucht worden ist, der wird schon ein Gefühl für das bekommen, was in der Fleischesfarbe, in der Tingierung der menschlichen Haut zum Ausdruck kommt. Es ist etwas ungemein Geheimnisvolles, was in dem Inkarnat sich aus­spricht. Für den, der geistesforscherisch an die Betrachtung heran­geht, gewinnt die Frage: Wie steht es eigentlich mit dem Inkarnat?

- eine sehr große Bedeutung. Denn diese eigentümliche Tingie­rung im Inkarnat hängt ab von zwei gegeneinander wirkenden Kräften, man könnte sagen: von in der Form einander entgegen­wirkenden Druckkräften, die im Menschen wirksam sind. Und zwar wirkt in einer gewissen Weise der Äther- oder Bildekräfte­leib drückend nach außen, der astralische Leib in entgegengesetzter

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Art drückend nach innen, und dies an allen Stellen. Will der astralische Leib sich zusammenziehen, von außen nach innen drücken, so will der Äther- oder Bildekräfteleib von innen nach außen drücken, sich ausdehnen. Und was dadurch entsteht, daß sich an des Menschen Oberfläche diese beiden Druckkräfte von außen und innen begegnen, das ist mitwirkend in dem, was sich im menschlichen Inkarnat offenbart. Was der ätherische Leib und der astralische Leib sich gegenseitig zu sagen haben, das drückt sich auf geheimnisvolle Weise im Inkarnat aus.

Wenn man auf den Menschen hinschaut, wie er hier auf dem physischen Plan ist, so sieht man sein Inkarnat auch. Aber dieses Inkarnat würde anders erscheinen, wenn man es anschauen könnte von innen nach außen. Von innen nach außen gesehen, wären Sie als durchschnittliche Mitteleuropäer mit Ihrem Inkarnat nicht fleischfarbig, rosig, sondern Sie wären grün-bläulich. Diese Farbe des Grün-Bläulichen zeigt sich auch in der Nachwirkung nach dem Tode. Wenn des Menschen Bildekräfte - oder ätheri­scher Leib sich ausdehnt im Sinne der drei vorhin charakterisier­ten Kräfte, und der Tote auf dieses Gebilde hinschaut, so sieht er sein Inkarnat gewissermaßen in der Nachwirkung von der andern Seite. Es schimmert nach dem Tode grünlich-bläulich ihm nach.

Aber es enthält noch etwas wesentlich anderes, als was uns entgegentritt, wenn wir es im physischen Leben von außen an­schauen. Streng genommen ist dieses Inkarnat in seiner Mysterio­sität nicht nur individuell verschieden für die verschiedensten Menschen, sondern es ändert sich auch bei einem und demselben Menschen im Laufe des Lebens, wenn auch in kleinen Nuancen. Nicht, daß wir in gewissen krankhaften Zuständen manchmal blühend, manchmal käsig aussehen, denn das ist natürlich eine Abnormität, aber von diesen großen Veränderungen abgesehen, ändert sich das Inkarnat fortwährend. Wenn es aber von der andern Seite gesehen wird, wie es der Tote sieht, dann zeigt es noch etwas anderes. Dann zeigt es, wie auf einem Teppich aufge­malt, unsere gesamte Erinnerungswelt. Wenn wir also bildlich sprechen wollen, müssen wir uns diesen Inkarnatteppich wie ein

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Kleid vorstellen, wie ein ganz feines Kleid, und dieses jetzt gewen­det, wie man ein Kleid wendet, nach der andern Seite dreht, oder wie man einen Handschuh umdreht. Dann würden wir auf der andern Seite sehen, was sonst nach innen gewendet ist, und dessen wir uns, weil es nach innen gewendet ist, nur dadurch bewußt werden können, daß es, wenn es ins Bewußtsein hineingekommen ist, als Erinnerung auftritt, nicht als Inhalt der Gedanken, aber die Gedanken aurisch verschieden charakterisiert, schwingende Ge­danken. Was wir in unser Unterbewußtsein hinunterschicken, lernen wir nur in seinem Außenleben kennen. Wie es durch unser Inkarnat durchglitzert, das lernen wir nicht kennen, das lernt aber der Tote dadurch kennen, daß das Inkarnat nachwirkt. Wenn der Tote auf die Auflösung des Bildekräfteleibes zurückschaut, dann hat er ihn als Erinnerung hinter sich, und er weiß dann: Das ist er, das bin ich!

Die geisteswissenschaftliche Forschung zeigt, daß das, was na­turwissenschaftlich weniger in Betracht kommt: die große Diffe­renzierung zwischen dem Menschen und dem Tier, die aufrechte Haltung, die Sprachfähigkeit, artikulierte Sprache, die Denkfähig­keit, daß das die Kräfte sind, welche den Menschen nach dem Tode ins Universum tragen, und daß das Inkarnat im Menschen der diesseitige physische Ausdruck ist für das, was als Erinne­rungsrest nach dem Tode nachwirkt. So teilen wir uns selbst nach dem Tode dem Universum mit und tragen in dem, was wir hier in unserem physischen Leibe an uns haben und an uns zeigen, die äußeren Zeichen unserer kosmischen Wesenheit an uns. Deshalb das Gefühl, das wir namentlich mit so etwas Mysteriösem verbin­den wie mit dem Inkarnat, dieses Gefühl, denn es ist das Gefühl von der universellen Bedeutung dessen, was uns im Menschen entgegentritt: Noch mehr als durch irgend etwas anderes ist der Mensch durch so etwas wie durch sein Inkarnat ein Mikrokosmos gegenüber dem Makrokosmos. Und die Grundtingierung hat eine große Bedeutung, denn sie ist gewissermaßen die Farbe des Tep­pichs, auf welchem dem Toten seine Erinnerung erscheint: für die weiße Menschheit grünlich, grünlich-bläulich, für die Japaner violett-rötlich,

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für die Schwarzen nach dem Tode gerade fleischfar­big.

Das sind Dinge, die mit dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt innig zusammenhängen, bedeutungsvoll zusammenhän­gen; bereiten sie doch die neue Inkarnation vor. In diesen Dingen liegt ungeheuer viel. Es liegt in ihnen das Bestimmende, das einen Menschen in einer neuen Inkarnation einer bestimmten Rasse und so weiter zuführt.

Über den geistigen Zusammenhang von Regenbogen

und Inka rnat

Aus Vortrag Dornach, 24. September 1921 (GA 207)

... Wir sehen draußen in der Natur, sagen wir, die Farben, die Farben im Sinne des Farbenspektrums, von dem äußersten Rot bis zu dem äußersten Violett, mit den Zwischennuancen. Wenn wir nun in einer gewissen Weise diese Farben durcheinander tingieren würden, dann würden sie Leben annehmen. Dann werden sie gerade zu dem, was als die menschliche sogenannte Fleischfarbe, das Inkarnat, aus dem Menschen herausdringt. Wo wir in die Natur hineinblicken, erblicken wir gewissermaßen den ausgebrei­teten Regenbogen als das Zeichen des Vatergottes. Blicken wir aber auf den Menschen: Das Inkarnat, es spricht aus des Men­schen Inneren heraus, indem sich alle Farben durchdringen, aber Leben annehmen, lebendig werden in ihrem Sich-Durchdringen. Fort ist dasjenige, was da Leben annimmt, wenn wir nur den Leichnam ansehen. Da wird wiederum zurückgeworfen in den Regenbogen, in die Schöpfung des Vatergottes, was der Mensch ist. Aber der Mensch muß in seinem Inneren auch die Quelle des Farbigen, das, was den Regenbogen zum Inkarnat, was den Re­genbogen zu einer lebendigen Einheit macht - er muß dieses in seinem Inneren erblicken...

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Farben der Aura des Menschen

und Farben der übersinnlichen Welt

Vorbemerkungen der Herausgeber

Die dem «geistigen Auge» wahrnehmbaren Far­benwirkungen, die um den physischen Menschen herumspielen und ihn wie eine Wolke (etwa in Eiform) einhüllen, heißen die menschliche Aura. Sie muß zu der menschlichen Wesenheit ebenso gerechnet werden wie der physische Leib.1

Die grundlegenden öffentlichen Darstellungen über die menschliche Aura finden sich in dem Aufsatz «Von der Aura des Menschen» (Januar bis April 1904 in der Zeitschrift «Luzifer-Gnosis»), in der Schrift «Tllieo­sophie» (Kapitel: Von den Gedankenformen und der menschlichen Aura), in den von 1904 bis 1908 erschienenen fortlaufenden Aufsätzen «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» (1. Buchausgabe 1909) und in dem Werk «Die Geheimwissenschaft im Umriß» (1910). In letzterem (Abschnitt «Einzelheiten aus dem Gebiet der Geisteswissen­schaft. Der Ätherleib des Menschen») heißt es über die Art des übersinn­lichen Farbwahrnehmens:

«Da muß unterschieden werden zwischen der Farbe, die am äußeren Gegenstand ist, und dem innerlichen Empfinden der Farbe in der Seele. Man vergegenwärtige sich die innere Empfindung, welche die Seele hat, wenn sie einen roten Gegenstand der physisch-sinnlichen Außenwelt wahrnimmt. Man stelle sich vor, man behalte eine recht lebhafte Erinne­rung an den Eindruck; aber man wende das Auge ab von dem Gegen-stande. Was man da noch als Erinnerungsvorstellung von der Farbe hat, vergegenwärtige man sich als inneres Erlebnis. Man wird dann unter­scheiden zwischen dem, was inneres Erlebnis ist an der Farbe, und der

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äußeren Farbe. Diese inneren Erlebnisse unterscheiden sich inhaltlich durchaus von den äußeren Sinneseindrücken. Sie tragen viel mehr das Gepräge desjenigen, was als Schmerz und Freude empfunden wird, als die normale Sinnesempfindung. Nun denke man sich ein solches inneres Erlebnis in der Seele aufsteigen, ohne daß die Veranlassung dazu durch einen äußeren physisch-sinnlichen Gegenstand oder die Erinnerung an einen solchen gegeben sei. Der übersinnlich Erkennende kann ein sol­ches Erlebnis haben. Und er kann auch in dem entsprechenden Falle wissen, daß es keine Einbildung, sondern der Ausdruck einer seelisch-geistigen Wesenheit ist. Wenn nun diese seelisch-geistige Wesenheit denselben Eindruck hervorruft wie ein roter Gegenstand der sinnlich-physischen Welt, dann mag sie rot genannt werden. Beim sinnlich-physischen Gegenstand wird aber stets zuerst da sein der äußere Ein­druck und dann das innere Farbenerlebnis; beim wahren übersinnlichen Schauen des Menschen unseres Zeitalters muß es umgekehrt sein: zuerst das innere Erlebnis, das schattenhaft ist wie eine bloße Farbenerinne­rung, und dann ein immer lebhafter werdendes Bild. Je weniger man darauf achtet, daß der Vorgang so sein muß, desto weniger kann man unterscheiden zwischen wirklicher geistiger Wahrnehmung und einge­bildeter Täuschung (Illusion, Halluzination usw.). Wie lebhaft nun das Bild wird bei einer solchen seelisch-geistigen Wahrnehmung, ob es ganz schattenhaft bleibt, wie eine dunkle Vorstellung, ob es intensiv wirkt, wie ein außerer Gegenstand, das hängt ganz davon ab, wie sich der übersinnlich Erkennende entwickelt hat. - Man kann nun den allgemei­nen Eindruck, welchen der Schauende von dem menschlichen Ätherleib hat, so beschreiben, daß man sagt: wenn ein übersinnlich Erkennender es bis zu einer solchen Willensstärke gebracht hat, daß er, trotzdem ein physischer Mensch vor ihm steht, die Aufmerksamkeit von dem ablen­ken kann, was das physische Auge sieht, so vermag er durch übersinnli­ches Bewußtsein in den Raum, welchen der physische Mensch ein­nimmt, zu schauen. Es gehört selbstverständlich eine starke Steigerung des Willens dazu, um nicht nur seine Aufmerksamkeit von etwas abzu­wenden, woran man denkt, sondern von etwas, das vor einem steht, so daß der physische Eindruck ganz ausgelöscht wird. Aber diese Steige­rung ist möglich und sie tritt durch die Übungen zur übersinnlichen Erkenntnis auf. Der so Erkennende kann dann zunächst den allgemeinen Eindruck des Ätherleibes haben. In seiner Seele taucht auf dieselbe Innere Empfindung, welche er hat beim Anblick etwa der Farbe einer

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Pfirsichblüte; und diese wird dann lebhaft, so daß er sagen kann: der Ätherleib hat die Farbe der Pfirsichblüte. Dann nimmt er auch die einzelnen Organe und Strömungen des Ätherleibes wahr. Man kann aber den Ätherleib auch weiter beschreiben, indem man die Erlebnisse der Seele angibt, welche Wärmeempfindungen, Toneindrücken und so wei­ter entsprechen. Denn er ist nicht etwa bloß eine Farbenerscheinung. In demselben Sinne können auch der Astralleib und die andern Glieder der menschlichen Wesenheit beschrieben werden. Wer das in Betracht zieht, wird einsehen, wie Beschreibungen zu nehmen sind, welche im Sinne der Geisteswissenschaft gemacht sind. »

Sind in dem Aufsatz «Von der Aura des Menschen» und in den Schriften «Theosophie» und «Die Geheimwissenschaft im Umriß» die verschiedenen Farbentöne, die entsprechend den verschiedenen Seelen-regungen, Temperamenten und Gemütsanlagen als Aura wahrgenom­men werden, beschrieben, so wird in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?« auch von den geistigen Farbenwirkungen gesprochen, die im Stein-, Pflanzen- und Tierreich wahrzunehmen sind: «Jeder Stein, jede Pflanze, jedes Tier hat seine ganz bestimmte Farbennuance.» Ange­deutet wird auch, wie die Wesen der höheren Welten, «die niemals sich physisch verkörpern«, oft wundervolle, oft auch gräßliche Farben zeigen und daß der Farbenreichtum in diesen höheren Welten viel größer ist als in der physischen Welt.

Weitere Aspekte zu den aurischen Farben ziehen sich durch das ganze Vortragswerk. Im Vortrag Dornach, 18. April 1918, skizzierte Rudolf Steiner außerdem mit Farbkreiden an der Wandtafel eine «Normalaura des Menschen im Profil, also von der rechten Seite aus gesehen.»

Inwiefern auch für die vom geistigen Auge wahrnehmbaren Farben das Goethesche Urphänomen der Farbenentstehung gilt, ergibt sich aus dem Aufsatz «Die chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz»

(1917/18).2

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Chronologische Übersicht der Äußerungen Rudolf Steiners

A. Schr'ften

1904 Theosophie (Kap.: Von den Gedankenformen und der menschli­chen Aura) GA 9

1904 Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? Grundfarbe des menschlichen Ätherleibes eine andere als die im Regenbogen enthaltenen sieben Grundfarben. Sie läßt sich höchstens mit der Farbe der jungen Pfirsichblüte vergleichen. (Kap.: Über einige Wirkungen der Einweihung)

Geistige Farben im Mineral-, Pflanzen- und Tierreich (Kap.: Die Erleuchtung). GA 10

B. Auflätze

1904 Die Aura des Menschen und ihre Farben. Drei Gattungen: Aura des Physischen, des Seelischen und des Geistigen. Aufsatz »Von der Aura des Menschen». GA 34

1917/18 Geistiges Wahrnehmen nur möglich durch die Erregung von aus­strahlendem Geisteslicht durch den Bildekräfteleib. Aufsatz «Die chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz anno 145.9». GA 35.

C. Vorträge

1904

12., 19. Jan. Die menschliche Aura und ihre Entstehung in der Entwicklungsge­

schichte der Menschheit (in diesem Band Seite 183).

1905

6. Aug. Gliederung des Farbenwesens nach Außenfarben in der physi­schen, Innenfarben in der astralischen und strahlende Farben in der geistigen Welt. Notizen siehe Seite 188.

5.. Okt. Die Entwicklung des aurischen Eies. Farben des Astralkörpers. GA

93a

9. Okt. Farben und Töne. Notizen aus einer Fragenbeantwortung (in die­sem Band Seite 190).

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23. Okt. Farben von Gedankenformen in der Astralwelt als Spiegelbilder von moralischen Empfindungen: Verehrung blau; Egoismus rot. Die Grundfarbe des menschlichen Astralleibes äußert sich nach

außen als Temperament. GA 93

1906

6.Juni Jede menschliche Aura hat ihre speziellen Farbennuancen. Der Hellseher sieht seine eigene Aura verkehrt, das Äußere als das Innere und umgekehrt, weil er von außen sieht. GA 94

28.Juni Die seelische Konfiguration in den Farben der Aura. GA 94

9.Juli Wahrnehmung der Auren in der Imagination. GA 94

22. Aug. Farben der menschlichen Aura: Ätherleib rötlich-bläuliche Licht-form, etwas dunkler als junge Pfirsichblüten. Astralleib: eiförmige Lichtwolke mit innerer Beweglichkeit; jeder Trieb, jede Begierde usw. als Farbe. Ich: eiförmig bläuliche Kugel. Temperament und Grundfarbe. Aura nervöser Menschen. GA 95.

22., 31. Aug. Grundfarben der Tiergattungen. Farben in der astralischen Welt stets mit geistigen Wesenheiten verbunden. GA 95.

19. Okt. In der Aura des Menschen prägt sich seine astrale Natur aus. Hinter der ganzen Farben- und Lichtwelt, hinter der Welt des Gesichtssinnes lebt die äußere astrale Natur. GA 96

1907

12. Juni Die Abspiegelung der Persönlichkeit in der Aura. Die Bedeutung von Gelb, Rot, Orange, Blau, Indigo in der Aura. Die gesunde Wirkung des Rot. GA 284

1. Nov. Über Farben von Sonne und Mond. Notizen von einer esoterischen Stunde (in diesem Band Seite 191).

1908

23.Juni Die Änderung der Aura der Erde durch das Mysterium von Golga tha. GA 104

1909

15.. Sept. Die Farbengestalt einer Pflanze als Beispiel für das imaginat i a Erleben. GA 114

1910

24. März Licht-Finsternisverhältnis im Seelischen. GA 119

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5..Juni Einfluß seelischer Vorgänge auf die Aura. GA 125.

12. Sept. Die Sonnenaura in der Erdenaura. GA 123.

1911

20. März Aurenfarbe der Gehirnpartie: violettblau (Pfirsichblüt), untere Par­tien des Rückgrates: grün. GA 128

23. März Lichtströmungen des Ätherleibes. GA 128

15.. Okt. Günstige und ungünstige Wirkungen auf den menschlichen Äther-leib durch Elementarwesen je nach der farbigen Umgehung (Bei­spiel Rot). GA 128

29., 31. Dez. Farbenerleben und Ätherleib. Aura und Nervensystem (Intuition). GA 134.

1912

15. Jan. Ätherische Farben sind in der physischen Welt nicht vorhanden (in diesem Band Seite 192).

1913

23. März Farbstruktur der menschlichen Ätheraura im Zusammenhang mit den Temperamenten. GA 145.

1914

5..Juli Färbung der Tiere (Fell, Pelz, Federn usw.) als tieferes Ergebnis jenes Bewußtseins, das entsteht zwischen Astralleib und Umge­bung. GA 286

26.Juli Der rote-blaue Farbenwirbel der zweiblättrigen Lotosblume. GA

286, GA 291

1915.

7. Febr. Licht- und Farberleben nach dem Tode. GA 161

2. Mai Schulung der Seelenkräfte an Farbeindrücken. GA 161

26. Aug. Lebensstimmungen in Farben erleben. GA 277a

26. Aug. Städtefarben: Basel gelb, Zürich grün. In Notizbuch Marie Steiners (Archivnummer 138)

27. Aug Luzifer vernichtet das Aura-Bewußtsein. Im Schlaf erlebt der Mensch die Materie als Hohlraum, um die herum sich eine Aura ausbreitet. GA 163

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1916

3. Sept. Farben und Saturn. GA 170

1917

8. Mai Dichtungen und Musikwerke als Farbenerlebnisse. GA 175

26. Juni Annäherung von Natur- und Geisteswissenschaft durch die Auren-

untersuchungen von Moritz Benedikt. GA 176

1918

13. Jan. Ebenso wie am 26.Juni 1917. GA 180

1. April Die Farben der Erdenaura in der Wahrnehmung nach dem Tode:

Östliche Halbkugel: bläulich-violett; westliche Halbkugel: bren­nend rot; Mitte: grünlich; innerhalb der blauvioletten Aura der Osthälfte leuchtet Jerusalem als goldglänzendes Kristallgebilde.

GA 181

18. Aug. Die Aura als Ausdruck des menschlichen Seelenwesens. GA 183

1920

20. März Durch das Auge muß Imagination ausgebaut werden. GA 198

24. Dez. Aus den vielfältigen aurischen Farben, die aus dem Weltenall her­einglänzen, setzt Luzifer das einheitliche weiße Licht zusammen, gegen das sich Goethe in seiner Farbenlehre gewendet hat. GA 202

1923

6. Juni Die Augenlinse als Konzentrationsort für geistiges Wahrnehmen

GA 350

3. März Farben der Menschenrassen. GA 349

29.Juli Die freischwebende Röte und Gelbe als Schlaferlebnis. GA 228

21. Aug. Farbwahrnehmen in der geistigen Welt. GA 25.9

30. Sept. Die Wahrnehmung des Seelischen des Lichtes durch die Druiden-priester. GA 223

8., 24. Okt. Der Schmetterling als Schöpfung aus dem Licht, das ihn in vielen Farben schafft. GA 351

26. Okt. Schmetterlingsfarben und ihr Zusammenhang mit den Saturnkräf­ten. GA 230

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23. Nov. Durch das lebendige Farbenerlebnis kann das Wesen der ersten Hierarchie erfahren werden. GA 232

1924

4.Jan. Die Farben im alten Mondendasein hervorgezaubert von der drit­ten Hierachie. GA 233a

Seelisches Licht- und Finsterniswirken. Seelisches Farbenwirken. GA 233a

13. Febr. Sinn für Farben heißt Sinn für Übersinnliches haben. GA 352

4.Juni Farben der Äther- und Astralatmosphäre. GA 236

1. Juli Farbig zu empfinden war eine Eigentümlichkeit der Menschen in den Zeiten des alten Heilsehens und ist verlorengegangen. Man sollte es sich wieder aneignen. Jede Stadt, ebenso jeder Mensch haben eine charakteristische Grundfarbe. Farbe ist der an der Au­ßenwelt fixierte Gemütsinhalt. GA 279

11. Juli Aurisches Farbenweben über der Pflanzen- und Tierwelt. GA 237

18. Aug. Die geisteswissenschaftliche Einordnung derjenigen Aurenfarben, die Moritz Benedikt durch seine Untersuchungen dunkelangepaß­ter Personen gefunden hat. GA 243

9. Sept. Über Gesteins- und Pflanzenfarben. Die Farbe der Pflanze wird von Sonne und Mond gebildet; um einem Stein Farbe zu geben braucht die Sonne mehr als 25000 Jahre. GA 354

18. Sept. In der Farbe lebt die ganze Menschenseele (mit konkreten Beispie­len). GA 282

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TEXTE VON RUDOLF STEINER

Von der Aurenbildung des Menschen

Auszüge aus mangelhaften Notizen von zwei Vorträgen

in Berlin, 12. und 19.Januar 1904

I.

Berlin, 12. Januar 1904

Außer dem physischen Körper hat der Mensch den sogenannten Ätherleib, sichtbar für denjenigen, der das Äthersehen hat, ein getreues Doppelbild des gewöhnlichen physischen Körpers. Dann durchdringt diese beiden Körper ein Seelenleib, der sogenannte Astralleib. Dieser ragt über den physischen Leib hinaus; er ist etwas größer und hat die Form eines Ovals, eines Eies, da er über das Haupt etwas hinausragt und dort etwas schmäler ist. In ihm sind alle Leidenschaften, Gefühle, Begierden, welche vom physi­schen Leben bewirkt werden, als dunkle Wolkengebilde sichtbar. Je reiner er ist, desto mehr erinnert er an die Sterne. Er hat eine Farbe, die von Orange ins Gelb spielt. Also wenn Sie sich den physischen Leib wegdenken, so haben Sie eine Art längliche Kreisform, welche als Grundton die Orangefarbe hat, worin die verschiedenen Wolkengebilde flimmern. Die groteskesten Figuren kann man darin spielen sehen; es ist dies für den Seher sichtbar.

Diesen Astralleib finden Sie dann durchdrungen mit dem, was wir Mentalleib nennen, der erst seit der Mitte der lemurischen Zeit vorhanden ist. Die Lemurier hatten im Anfang ihrer Entwicke­lung noch keinen Mentalleib.3

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Je mehr sich nun die lemurische Rasse entwickelte, desto mehr zeigte sich im Innern des Astralleibes an einer bestimmten Stelle eine dunkle, schwarze, kugelförmige Stelle. Dieser schwarze Punkt, diese kugelförmige Stelle, bedeutet innerhalb des Astrallei­bes dasjenige, was man eigentlich als das Ich des Menschen be­zeichnet. Das ist die äußere Gestalt des Ich. Innerhalb dieses Punktes sitzt der Anfang dessen, was ich Mentalleib genannt habe. An diesem Punkte beginnt ein Ausstrahlen, das immer größer und größer wird, die Aura durchdringt und von innen heraus belebt. Bei den Lemuriern war der Punkt noch sehr klein. Er wurde dann immer größer und größer und ragt jetzt beim Durchschnittsmen­schen über den Astralleib hinaus, in dem Maße, als der Mensch durch sein Denken, seinen Verstand, seine sittlichen Gefühle ein Übergewicht über die Leidenschaften und Triebe gewinnt.

Also erst seit der lemurischen Rasse tritt im Menschen dasje­nige auf, was man eigentlich Geist zu nennen berufen ist. Seitdem findet das Herausdringen des Mentalleibes beim Menschen statt.

Nun bitte ich Sie zu berücksichtigen, daß die treibende Kraft, die den Mentalleib herausquellen läßt, das höhere Selbst ist: Atma, Budhi, Manas.

Wenn wir den Mentalleib allein sehen könnten in seinem Auf-quellen, so würde es eine blaue Masse sein, die, je weiter sie nach auswärts kommt, immer mehr und mehr nach dem Violetten zu geht. Dadurch, daß es sich vermischt mit den früheren Gebilden des Astralleibes, bekommt es verschiedene andere Nuancen.

Dasjenige, was des Menschen Ich ist, ist nur im Zeitpunkte der lemurischen Rasse dieser Punkt gewesen, denn im weiteren wird dieser Punkt dann die Grenze der menschlichen Aura. So daß Sie sich vorstellen müssen, daß dasjenige, was zuerst bloß ein schwar­zer Punkt war, eine Geisthaut bildet, die immer größer und grö­ßer wird. In der Haut befindet sich das Ich.

Gehen wir jetzt in der Entwickelung bis dahin zurück, wo der lemurische Mensch sozusagen noch vollständig im absoluten Dunkel schwebte, bis der schwarze Punkt auftrat und dadurch der Astralleib zu strahlen begann, leuchtend wurde. Vordem war der

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Astralleib von außen umgeben von einer blauen Hülle. In einem Astralleibe von außen umgeben sein von einer blauen Hülle heißt:

Diese ist nicht für sich vorhanden, sondern setzt sich fort bis zur nächsten blauen Hülle des nächsten Lemuriers. Diese blaue At­mosphäre stellt den gemeinsamen Menschengeist vor, der von außen her zusammenhält, was da organisiert ist. Die Entwicke­lung besteht darin, daß die gesamte blaue aurische Masse eingeso­gen wird, bis sie ganz absorbiert ist. Das, was eingesogen wurde, kommt nun in dem Punkte, den ich erwähnt habe, wieder zum Vorschein und quillt von innen heraus. Der Astralkörper leuchtet nun im Dunkeln. (...)

Alles, was in diesen Astralauren ist, stammt von den Pitris 4 her, die von der lunarischen Epoche herübergekommen sind auf die Erde. (...)

Wenn die irdische Entwickelung beginnt, ist die Erde in einem rötlichen Zustande. Sie leuchtet rötlich auf, hat aber die blaue Atmosphäre um sich. Die rötliche Erdkugel ist dasjenige, was aus den Pitrisamen sich gebildet hat. Diese bilden die rötliche Arupa­kugel,5 und das, was Geist ist, umgibt diese Arupakugel als blaue Atmosphäre. Dieser Geist ist aber als solcher in sich differenziert. Das heißt, er trägt für jeden später entstehenden Menschen den Keim bereits in sich, wie unsere Seele einzelne Gedanken enthält.

(... )

II.

Berlin, 19.Januar 1904

In der Aura ist für den Seher alles, unbedingt alles zu sehen. Das einzige, was er nicht sieht, wo kein Seher etwas sehen kann, ist das Wesenhafte des Dunklen, das das Ich bedeutet, sei es nun der schwarze Punkt oder schwarze Reif. Sichtbar ist, was von außen und was vom Innern heraus gebildet wurde. Das, was des Men­schen eigentliches Ich ausmacht, ist für keinen Seher zu sehen. Man kann genau verfolgen, was die Natur als Ich hervorgebracht

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hat, aber man kann es niemals in seiner Seibsteigenheit schauen, ebensowenig wie einer zu einem anderen «Ich» sagen kann. (...)

Bei dem Lemurier ist das Ich ein dunkler Punkt, bei dem Atlantier ein Kreis oder eine Eiforin innerhalb der Aura, bei uns deckt sich dieses Schwarze ungefähr mit der Grenze der Aura, beim Adepten 6 geht die mentale Aura über die astrale hinaus, und da, wo sie das tut, wird sie im schönsten Sinne glänzend; sie spielt dann ins Blaue oder Violette hinein. Das Rosenrot ist das eigent­lich Schöpferische, das, wo das Ego an den schöpferischen Kräften der Welt auf geistige Weise mitzuarbeiten beginnt, und wo der Adept ein wirklicher Planetengeist zu werden beginnt.

Wenn ein Geist so groß ist, daß er ein Sonnensystem baut, dann ist sein Ego nicht in der Sonne, sondern am äußersten Rand des Systems zu suchen. Das Sonnensystem ist dadurch scheinbar ein unlebendiges, weil es das Ich schon hinausgestellt hat. Wenn wir an die Grenze des Sonnensystems kommen könnten, würden wir das Ego dort auffinden. Das ist der esoterische Grund der Him­melsbläue. Der Weltenraum erscheint deshalb blau, weil er nichts anderes darstellt als die schwarze Hülle draußen, durch die -verschieden hell gefärbt - der Geist hindurchscheint, so, wie wenn Sie eine schwarze Fläche durch ein Glas, das erhellt ist, sehen. Da erscheint sie Ihnen blau. Es erscheint zum Beispiel auch die Mitte einer Flamme blau. Da, wo die Flamme blau ist, ist ein dunkler Raum, da brennt nichts. In einer Kerzenflamme ist das gut zu sehen. In Wahrheit ist es schwarz. Jede Flamme ist hell. Das Blau des Himmels ist wirklich anzusprechen als eine «Feste», wie die Genesis sagt (1.Buch Mose, 1. Kap., Vers 6-8). Es ist dies mög­lichst wörtlich zu verstehen, genauso, wie außerhalb des Jch der allgemeine Geist ist. Nichts in der Welt ist ohne Geist. Der allgemeine Geist ist der, der noch nicht zum Ich geworden ist und innerhalb ist der Geist, mit dem das Ich sich bereits erfüllt hat.

Das Ich ist die Grenze zwischen dem Geist von außen und dem Geist, der im Menschen lebt. Die «Feste» der Genesis ist das Ich des betreffenden Sonnensystems. Die Genesis ist ein inspiriertes Buch, nicht etwas, was von Menschen ausgedacht ist. (...)

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#Bild s. 187

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Über Außenfarben in der physisch en, Innenfarben in der

astralischen und strahlende Farben in der geistigen Welt

(Berlin?), 6. August 1905

Notizen von einem Privatvortrag für Marie von Sivers

Die Farben sind uns in der physischen Welt nur an räumlichen Dingen bekannt. Selbst wo sie ohne Gegenstand vorhanden sind, werden sie nur durch diese bemerkbar. Nur in den Grenzfällen physischen Lebens kann man Farben ohne Gegenstand sehen, zum Beispiel den Regenbogen.

Die Farben in der Astralwelt sind nicht an eine feste, räumliche Grenze gebannt. Sie sind noch seelisch, der Ausdruck eines We­sens, an dem sie sich befinden. Eine sinnliche Leidenschaft drückt sich anders aus als ein hochs trebender Gedanke. Hier ist unmittel­barer Zusammenklang; sie schwebt frei, aber sie ist verbunden mit dem, was sie ausdrückt. Sie ist nicht Außen-, sondern Innenfarbe.

Der Glocke zum Beispiel ist es gleichgültig, ob sie gelb oder grün ist, es beeinträchtigt nicht ihren Ton. Wenn man über die astralische Welt hinauskommt, gibt es auch Farben; diese sind aber nicht nur Innenfarben, sondern sie sind schöpferisch, bringen sich selbst hervor, es sind strahlende Farben.

Wenn nun der Mensch sich in den mentalen Raum erhebt, verliert er zunächst die Fähigkeit, die mentalen Farben gleich wahrzunehmen, deshalb spricht man von der tönenden Welt. Die Fähigkeit tritt auf, Schall und Ton wahrzunehmen. Erst wenn man wiederum höher kommt, dann nimmt man die strahlenden Farben wahr. Wenn sich der Mensch wieder zur Farbe durchge­rungen hat, ist er im Arupa. Wenn wir von einem physischen Gegenstand Farbe abnehmen und sie wie ein Häutchen mitneh­men und nach Devachan mitbringen könnten, so würde die Farbe dort erstrahlen. Daher nennt man Devachan auch die Welt der strahlenden Farben. Wenn man hier einem Mitmenschen etwas mitteilen will, sagt man es ihm durch den Ton; im Devachan würde es in entsprechender Farbe erstrahlen.

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Eine solche Welt, wo alle Wesen in strahlenden Farben leben, nennt man das erste Elementarreich. Wenn die Materie dieser Wesen etwas dichter wird, ins Rupische hinuntersteigt, fangen sie an, durch Töne sich bemerkbar zu machen: Das ist das zweite Elementarreich. Die Wesen, die darin leben, sind sehr beweglich. Im dritten Elementarreich kommt zu dem übrigen die Gestalt hinzu. Die Innenfarbe ist gestaltet. Leidenschaft zeigt sich in Blitzform, erhabene Gedanken in Pflanzenform. In höheren Ge­bieten sind es Funken und Scheine, hier sind es Formen von einfarbiger und tönender Welt.

Alle unsere Wesen sind durch drei Elementarreiche gegangen. Gold, Kupfer und so weiter sind jetzt ins Mineralreich übergegan­gen. Gold sah in der Mondrunde nicht so aus wie jetzt, sondern wie ein nach vgerschiedenen Seiten strahlender Stern, durch den man durchgreifen konnte. Durch einen ähnlichen Prozeß wird Wasser, wenn es zu Schnee gefriert, zu einem kleinen Kristall. Die Metalle sind die verdichteten Formen des dritten Elementarrei­ches. Deshalb ist Metall nicht innerlich gleichförmig, sondern innerlich gestaltet (Chladnische Klangfiguren). Nach Linien und Figuren ist das ganze Mineralreich belebt, und im dritten Elemen­tarreich wird es gefärbt. Dadurch, daß die Formen erstarren, wird Oberfläche, und nun entsteht die Farbe an der Oberfläche.

Wir haben also:

1 . Elementarre ich der strahlenden Farben

2. Elementarreich der freien Töne

3. Elementarreich der farbigen Formen

4. Mineralreich der farbigen Körper.

Die physische Welt enthält alle drei Elementarreiche wie ge­ronnen in sich. Der Ton hängt mit dem Innern eines Wesens viel mehr zusammen als die Farbe, letztere ist mehr Oberfläche. Noch innerlicher hängen die strahlenden Farben zusammen.

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Über Farben und Töne

Aus einer Fragenbeantwortung Berlin, 9. Oktober 1905

Frage: Sind Farben der Pflanzen hörbar? Bei Stifter habe ich einen Satz gelesen:

Ich hörte die blaue Farbe der Blume.

Antwort: Einer nicht sehr weit verbreiteten Sensitivität erschei­nen auch die Töne als Farben und nicht nur die Farben in Tönen. Das geht noch weiter. Zum Beispiel, wenn ein anderer «1» aus­spricht, haben gewisse Personen eine bestimmte Farbe in ihrem Bewußtsein. Der Anfang der neunten Symphonie von Beethoven ist schon in Farben umkomponiert. Der Physiologe Nußbaumer hat sich mit diesem Studium befaßt, auch französische Physio­logen.7

Frage: Haben auch die Städte gewisse Farben?

Antwort: Ja, Berlin ist grau, Wien rot. Die gotische Kirche ist astral ein Musikstück, mental ein Tongebilde.

Ziehen bestimmte Farben bestimmte Geister an?

Aus einer Fragenbeantwortung Nürnberg, 28.Juni 1906

Frage: Ziehen bestimmte Farben bestimmte Geister an?

Antwort: Ja, es besteht eine gewisse Anziehungskraft zwischen ganz bestimmten Farben mit bestimmten Wesenheiten. Es ist das

sogar etwas, was auf tieferen Gebieten zu den wichtigen Dingen gehört, daß man unterscheiden lernt, wie einzelne Farben mit einzelnen Wesenheiten in Zusammenhang stehen. Aber man muß nun nicht glauben, wenn einmal gesagt wird, daß zwischen Violett und den geistigen Wesen ein gewisser Zusammenhang besteht, daß das in jedem einzelnen Falle so sein muß. Schablonenmäßige Ausdehnung können diese Sachen nicht vertragen.

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Über Farben von Sonne und Mond

Notizen von einer esoterischen Stunde

Berlin, i. November 1907

Alles, was geschaffen wurde von der Gottheit, war erst im Bilde da, wie auch der Maler ein geistiges Bild vor Augen hat, ehe er es auf die Leinwand bringt.

Wenn man zum Beispiel mitempfindet, wie die Sonne nur Geist und Schaffensfreude ist und der Mond das Kalte, Herbe, Zusam­menziehende, Verknöcherte, so wird dies letztere eine Lichter­scheinung hervorrufen, die vom Orange durch Rot ins Braune geht, während bei der Sonne sich das Gefühl zu einer Lichter­scheinung verdichtet, die von Blau durch Blauviolett in Rotviolett übergeht. Wird diese Erscheinung immer intensiver, dann treten schließlich Gestalten, Weisheiten als Träger des Lichtes und der Farben auf; sie bekommen Form und Gestalt.

Über das Erleben von Farben in der geistigen Wahrnehmung

Aus einer Fragenbeantwortung Zürich, 15.Januar 1912

Frage über Farben im geistigen Schauen.

Antwort: Nicht die Komplementärfarben sind es, die der Hellse­her sieht, sondern andere, wenn auch ähnliche Farben. Wenn man die ätherischen Farben schildern will, so zeigt sich, daß in der physischen Welt diese Farben nicht vorhanden sind.

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Farben blin dheit und okkulte Entwickelung

Aus einer Fragenbeantwortung München, 11. März 1913

Frage: Ist Farbenblindheit bei okkulter Selbstentwicklung störend?

Antwort: Siehe «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Wel­ten?». Das Hineinschauen ist nicht abhängig von unseren Sinnes-Organen, wir werden von ihnen ja frei. Es ist in keiner Weise störend, wenn irgendein Sinnesorgan mangelhaft ausgebildet ist, nicht einmal Blindheit. Es ist ein Irrtum, das, was in der Geistes­wissenschaft sich zeigt, mit gewöhnlichem Hellsehen gleichzuset­zen. Das gewöhnliche Hellsehen ist kein Heilsehen, das wirklich in übersinnlichen Welten verläuft. Das gewöhnliche Helisehen ist eine gewisse Stimmung in den Sinnesorganen oder wenigstens mit deren Mittätigkeit. Zwei Hellseher, von denen der eine blind ist, haben dasselbe Erlebnis, wenn sie das Gleiche treffen. Wenn von blauem oder rotem Erleben gesprochen wird, so meint man ein Erleben, das zu vergleichen ist mit dem, was man im Physischen als blau oder rot erlebt. Deshalb bezeichnet man es so, aber es ist nicht dasselbe. Weil die meisten Menschen eine normale Entwik­kelung haben, geht man von diesem Standpunkt aus. Bei einem Blindgeborenen müßte man einen anderen Ausgangspunkt wäh­len, kommt aber zu demselben Ergebnis.

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Aus einer Fragenbeanrwortung nach dem öffentlichen Vortrag

«Anthroposophie und ihre Ziele» in Solothurn, 28.Januar 1921

Frage eines Zuhörers: Handelt es sich bei den Licht- oder Farbenerscheinungen, von denen man in der anthroposophischen Literatur liest, daß sie vor dem Auge derjenigen auftreten, die sich mit der anthroposophischen Wissenschaft beschäf­tigen, um Ekstase oder ist das etwas wie eine geistige Ahnung, die noch mit

Logik, Verständnis und Vernunft wissenschaftlich geprüft werden kann?

Rudolf Steiner: Wenn man vorgeschritten ist zu dem, was ich heute als das Schauen charakterisiert habe und man es darstellen will, so ist es eben einmal notwendig, es in irgendeiner Weise zu benennen. Wenn Sie meine Schriften nehmen, von denen ja einige bereits in sehr hohen Auflagen erschienen sind, so werden Sie ja sehen, wenn Sie die einzelnen Auflagen verfolgen, wie ich mich bestrebt habe, von Auflage zu Auflage oder wenigstens immer über einige Auflagen hin, die Fassung der Sätze so zu bilden, daß dasjenige, was ja zunächst, nicht wahr, sehr schwer in Worte zu fassen ist, aber doch in Worte gefaßt werden muß, zu einer gewissen Klarheit und Deutlichkeit zu bringen. Man darf nämlich nicht vergessen, daß unsere Sprache, besonders wie sie bei den zivilisierten Völkern heute ausgebildet ist, in hohem Maße schon etwas außerordentlich Konventionelles hat; daß sie vor allen Din­gen mitgemacht hat, was in die Weltanschauung hineingekommen ist durch den Materialismus der letzten Jahrhunderte. Daher ist es heute, wenn man Worte anwendet, schon außerordentlich schwie­rig, sie der materialistischen Bedeutung zu entkleiden und etwas, was geistig gemeint ist, mit dem adäquaten Ausdruck zu belegen. Dennoch habe ich es immer wieder und wiederum versucht, und insbesondere in den grundlegenden Büchern werden Sie ein Rin­gen um den Ausdruck finden, womit ich selbstverständlich durch­aus nicht sagen will, daß in den letzten Auflagen schon überall dieses Ringen zu einem Ideal geführt hat.

Aber nun zu der besonderen Charakteristik, die ich von demje­nigen, was man schaut, dadurch gegeben habe, daß ich Farbenvor­stellungen verwendet habe. Nicht wahr, ich sagte, man hat es mit Imaginationen zu tun. Diese Imaginationen sind völlig anders als

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dasjenige, was man in der Sinnenwelt haben kann. Damit wir uns verstehen können, möchte ich folgenden Anklang wählen.

Wenn Sie Goethes Farbenlehre studieren - vielleicht wissen einige von Ihnen, daß ich seit 40 Jahren mir Mühe gebe, die Goethesche Farbenlehre gegenüber der heutigen Physik in ihrer Bedeutung darzustellen-, so finden Sie am Schluß der Goethe­schen Farbenlehre ein außerordentlich bedeutsames Kapitel über die sinnlich-sittliche Wirkung der Farben. Dieses Kapitel wird ja vielleicht bei den Physikern am wenigsten Widerspruch erleben, und es ist, wenn es gelesen wird, eine außerordentlich anregende Lektüre. Man kann das, was da steht, auch anderwärts finden, aber so wunderbar schön zusammengestellt findet man es eigent­lich nur bei Goethe.

Was finden wir nun da, indem die äußeren Farben charakteri­siert werden? Wir finden da auch das seelische Farbenerlebnis angeführt, beispielsweise das Erlebnis, das man bei dem Gelb hat:

dieses eigentümlich Attackierende des Gelben, das Aufregende des Gelben, dem des Roten ähnlich. Wir finden dann das Ausglei­chende des Grün, das Hingebungsvolle des Violetten. Diese seeli­schen Erlebnisse, die haben wir, wenn wir die sinnlichen Farben auf uns wirken lassen. Wenn Sie einmal Dornach besuchen, so werden Sie sehen, daß dort im Goetheanum der Versuch gemacht worden ist, ganz aus der Farbe heraus zu malen, das Bild ganz aus der Farbe herauszuholen. Insbesondere in der Kleinen Kuppel werden Sie finden können, wie da ganz aus dem Farbenerlebnis heraus versucht worden ist, das zu gestalten, was dann zum Bild

führt.

Nun, wir haben also auf der einen Seite das sinnliche Farbener­lebnis, auf der anderen Seite das innerliche seelische Erlebnis, das aber ganz eindeutig zu dem sinnlichen Farbenerlebnis hinzuge­hört. Wir können nicht, wenn wir ein Vollmensch sind, das sinnli­che Farbenerlehnis haben ohne auch das entsprechende seelische Erlebnis. Das hat Goethe in seiner Farbenlehre geschildert.

Wenn man nun eintritt in die geistige Welt, so hat man Erleb­nisse, die wahrhaftig keine Ekstase sind, so wenig Ekstase sind wie

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das Leben in den geometrischen Vorstellungen. Würde das Erle­ben nicht in vollem Wachbewußtsein da sein, so daß die Seelen-verfassung genau so ist wie beim mathematischen Vorstellen, dann würde man nicht auf dem rechten Wege sein. Also man erlebt etwas, das ganz nach dem Muster des mathematischen Erlebens in der Seele ist, aber man erlebt eine reale geistige Welt. Und indem man diese reale geistige Welt erlebt, erlebt man zunächst nicht Farben, sondern diejenigen Erlebnisse, die wir innerlich an den sinnlichen Farben erleben. Man muß nun natürlich mit der ent­wickelten Seele so weit sein, daß man überhaupt auf diese Erleb­nisse achtgibt.

Sehen Sie, zum geistigen Erleben gehört eine gewisse Geistes­gegenwart. Also man muß dieses innere Erlebnis haben, das sonst an der Farbe erlebt wird. Dabei charakterisiert man dieses Erleb­nis am besten dadurch, daß man sich an die Farbe erinnert, daß man die Farbe auch wirklich vor sich hat. So wie man, sagen wir, das Dreieck-Erlebnis dadurch hat, daß man das Dreieck innerlich zeichnet, so hat man dasjenige, was man innerlich erlebt, am besten vor sich, nicht indem man eine geometrische Figur zeich­net, sondern ein farbiges Bild malt. Dieses farbige Bild ist dann so adäquat dem seelischen Erlebnis, wie ein aufgemaltes Dreieck mit seinen 180 Grad und Winkeln mit dem Dreieck-Erlebnis identisch ist. Währenddem man wissen muß, daß es eine Art Versinnli­chung ist, so ist das Erleben in Farben, wenn man es in Goethe­scher Ausdrucksweise ausspricht, übrigens auch eine übersinn­lich-sinnliche Darstellung desjenigen, was in Wirklichkeit erlebt wird.

Damit ist natürlich auf so subtile Erlebnisse hingedeutet, daß man sie nicht ins Grobe ziehen darf, sondern wirklich auf sie eingehen muß. Dann wird man aber finden, daß in der Tat da ein Reales in Erscheinung getreten ist, indem man in Farben schildert. Das habe ich sehr präzise herauszugestalten versucht in den letz­ten Auflagen meiner grundlegenden Bücher. Man kann nicht an­ders, als das, was man erlebt, in solcher Art zu schildern, sonst würde man noch viel materialistischer werden und würde zu stark

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symbolisch schildern. So aber verfährt man in der Schilderung so wie beim Mathematischen, indem sich wirklich das Farbenerleb­nis und dasjenige, was innerliches Erlebnis ist, deckt. Dessen ist man sich immer bewußt, und es ist nichts irgendwie von Ekstase vorhanden.

Ich bin dem Herrn Vorredner außerordentlich dankbar, daß er diese Frage berührt hat, denn ich habe es ja erleben müssen, daß mir von mancher Seite gesagt worden ist: Dasjenige, was da erlebt wird an den Imaginationen, das seien zurückgestaute Vorstellun­gen, zurückgestaute Nervenkräfte, die dann heraufkommen und die irgend etwas Phantastisches, Ungesundes darstellen. Sehen Sie, wenn jemand solch eine Behauptung aufrechterhalten wollte, dann müßte höchstens der Beweis erbracht werden, daß derjenige, der von solchen Dingen spricht, nicht ebenso wie der andere, der ihm so etwas vorwirft, in streng wissenschaftlichem Sinne reden kann. Wenn man seinen wissenschaftlichen Sinn auf der einen Seite nicht verloren hat, sondern durchaus auf dem Boden des wissenschaftlichen Sinnes steht, und dann konsequent hinausgeht zu etwas anderem, dann kann solch ein Vorwurf nicht erhoben werden.

Ebensowenig kann der Vorwurf gemacht werden, daß man es bloß mit einer Suggestion zu tun habe. Ich habe es ja heute schon angedeutet, wie es im wesentlichen zu der Geistesschulung ge­hört, daß man auf alle die besonderen Vorgänge des unterbewuß­ten Seelenlebens eingehen kann, so daß man jede Fehlerquelle, die sich einem ergibt, ausgleichen, ausschließen kann. Sie werden sehen, wenn Sie mein Buch «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» durchlesen, wie versucht worden ist, auch alle Vorsichtsmaßnahmen zu schildern, die etwas damit zu tun haben mussen.

Nun wurde mir doch oftmals gesagt: Wie kann man leicht Suggestionen von Nicht-Suggestionen, von der Wahrheit unter­scheiden? Es kann im Leben zum Beispiel vorkommen, daß je­mand nur an Limonade zu denken braucht, und er hat den Limo­nadengeschmack im Munde. Ich gebe das ohne weiteres zu, da

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man diese Dinge ja kennt. Aber wer Erkenntnistheoretiker ist, der weiß, daß man ein reales Erlebnis nur durch das Leben feststellen kann. Man kann nur durch das Leben und den Zusammenhang des Lebens feststellen, ob irgend etwas, das wir uns vorstellen, einem Realen entspricht. So ist es auch in bezug auf die höheren Welten; man kann auch da nur aus dem Zusammenhang des Lebens heraus sicher sein, ob etwas einem Realen entspricht. Wenn man bei der Suggestion des Limonadegeschmacks überge­hen will zu der Totalität des Erlebens, so kann der Vergleich nicht mehr gelten. Jetzt muß man sagen: Schön, wenn man durch Suggestion dazu gelangt, den Limonadegeschmack im Munde zu haben, so kommt die im Grunde berechtigte Frage hinzu, ob schon jemand sich mit einer solchen Vorstellung der Limonade den Durst gelöscht hat? Das werden Sie nicht behaupten können. Da haben Sie den Übergang zu der Totalität der Erscheinungen. Und das ist es, was immer beachtet werden muß: Die Wirklichkeit kann nicht entschieden werden, indem man bei der partiellen Erscheinung bleibt, sondern die Erscheinungen des Lebens haben immer etwas, was ihren Übergang zur Totalität bedeutet.

Ich will noch auf etwas aufmerksam machen, was vielleicht ferner liegt, was aber doch ganz gut zur Versinnlichung der Sache hinzugezogen werden kann. Sehen Sie, wenn Sie einen Salzkri­stall, einen Saizwürfel haben, so ist er in gewisser Weise eine abgeschlossene Realität. Die kann durch eine gewisse Zeit, eine sehr lange Erdenzeit hindurch bestehen. Nehmen Sie eine Rosen-knospe. Eine Rosenknospe ist eigentlich, so wie wir sie vor uns haben, keine Realität. Denn nur im Zusammenhang mit der Tota­lität des Rosenstocks, den Wurzeln und so weiter, kann sie eigent­lich als Realität gedacht werden. Die Realitäten haben eben durch­aus verschiedene Grade, verschiedene Bedeutung. Wenn wir auf das nicht eingehen, so kommen wir nicht zu in sich klaren, licht-vollen Begriffen.

Und so ist es auch nötig, daß man gegenüber solchen Schilde­rungen, wie sie der verehrte Herr Vorredner angeführt hat, beach­tet, daß durchaus das zugrunde liegt, daß die Totalität des Erlebnisses

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ins Auge gefaßt wird. Dann wird man schon merken, wie solche Farbenerscheinungen gemeint sind. Man verliert durchaus nicht den Zusammenhang mit dem gewöhnlichen Bewußtsein, geht nicht ins Närrische über, sondern das Gegenteil ist der Fall für die Wege, die gewählt werden, um in die Anthroposophie hineinzukommen. Diese Wege liegen gerade entgegengesetzt von denen des Pathologischen, sie führen gerade vom Pathologischen weg, sie machen den Menschen gerade innerlich konsolidiert. Daher kann er dann nicht nur gerade in Formen mathematischer Art Zeichnungen machen, sondern auch in Farben gewisse Zeich­nungen sehen desjenigen, was ein übersinnliches Erlebnis ist.

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Komplementärfarben und Farbenmeditationen

Vorbemerkungen der Herausgeber

#TX

Alles um uns herum sehen wir in seinem Spiegel­bilde. Alles müssen wir umgekehrt denken, den Menschen und seine ganze Umgebung. . . . Auch die Farbe des Gesichtes müssen wir uns in Kom­plementäifarben vorstellen. . . . Wenn wir uns da so recht hineinleben, werden uns die Farben etwas verkünden von den Eigenschaften des betreffen­den Menschen.'

Im Laufe seiner geisteswissenschaftlichen Lehrtätigkeit hat Rudolf Stei­ner zahlreiche Anregungen auch zum Meditieren mit Farben gegeben. Auffallend dabei ist, daß den Komplementärfarben ein großes Gewicht zukommt. Wiederum wird hier Goethes Farbenlehre weitergeführt, der in seinem gesunden Streben nach Totalität und Harmonie die Farben-welt nicht als eine einfache lineare Reihe, sondern als in sich zurücklau­fenden geschlossenen Kreis darstellt, in dem sich je zwei Farbenpaare polar gegenüberstehen, die sich als Komplementärfarben erweisen, das heißt, wenn man sie als farbige Lichter übereinanderfallen läßt, heben sie sich gegenseitig zur Farblosigkeit auf. Rudolf Steiner gibt dazu in seiner Herausgabe von Goethes «Materialien zur Geschichte der Farbenlehre» in Kürschners Nationalliteratur, Band IV/1, die Erklärung:

«Die (Physik) versteht unter einem komplementären Farbenpaar zwei Farben, die miteinander vereinigt Weiß geben. Für den im Goetheschen Sinne denkenden Physiker sind das Farben, die durch gewisse Bedingun­gen am Lichte entstehen und zwar so, daß dieselben Bedingungen, die die eine erzeugen, auch die andere hervorrufen. Beseitigt man die Bedin­gungen, so tritt natürlich wieder Weiß auf. Dies letztere nicht deshalb, weil es durch Vereinigung des Farbenpaares entstanden ist, sondern

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darum, weil die Umstände fehlen, die am Weiß Farbe erzeugen; somit muß dies letztere wieder in seiner Reinheit erscheinen. »2

Im Vortrag Stuttgart, 15. September 1907 findet sich dazu die fol­gende geisteswissenschaftliche Erklärung:

«Das Wesentliche der Einheit ist die Unteilbarkeit. In der Wirklichkeit kann man freilich die Einheit auch wieder teilen, zum Beispiel in 1/3 und 2/3. Nun gibt es aber etwas sehr Bedeutsames und Wichtiges, das Sie in Gedanken vollziehen können: In der geistigen Welt bleibt das Drittel, wenn Sie zwei Drittel wegnehmen, dazugehörig. Gott ist ein einheitli­ches Wesen. Wenn etwas von Gott herausgeteilt wird als Offenbarung, so bleibt der ganze Rest vorhanden als etwas, was dazugehört. Im pythagoreischen Sinne: Teile die Einheit, aber teile die Einheit nie an­ders, als daß du im Untergedanken den Rest dazu hast.

Was heißt das eigentlich, die Einheit zu teilen? Nehmen Sie zum Beispiel ein Goldplättchen, und schauen Sie hindurch, dann erscheint Ihnen die Welt grün. Das Gold hat nämlich die Eigenschaft, wenn weißes Licht darauf fällt, die gelben Strahlen zurückzuwerfen. Wo aber kommen die anderen Farben hin, die noch im Weiß enthalten sind? Sie gehen in den Gegenstand hinein und durchdringen ihn. Ein roter Gegen­stand ist deshalb rot, weil er die roten Stralilen zurückwirft und das übrige in sich aufnimmt. Man kann das Rot nicht aus dem Weißen herausziehen, ohne daß das übrige zurückbleibt. Damit streifen wir den Rand eines großen Weltgeheimnisses. Sie können die Dinge in einer bestimmten Weise anschauen. Wenn zum Beispiel das Licht auf ein rotes Tischtuch fällt, das über einem Tisch ausgebreitet ist, so empfinden wir die Farbe Rot. Die anderen im Sonnenlicht enthaltenen Farben werden «aufgesaugt», die grüne Farbe zum Beispiel wird von dem Tischtuch aufgenommen und nicht wiedergegeben. Wenn wir uns nun bemühen, gleichzeitig mit der Farbe Rot auch die Farbe Grün in unser Bewußtsein aufzunehmen, dann haben wir die Einheit wieder hergestellt. Wir haben im pythagoreischen Sinne die Einheit geteilt, so daß der Rest erhalten bleibt. Wenn man das meditativ durchführt, daß man das Geteilte stets wieder zur Einheit verbindet, so ist das eine bedeutungsvolle Arbeit, durch die man in der Entwickelung hoch aufsteigen kann. Es gibt in der Mathematik einen Ausdruck dafür, der in den okkulten Schulen überall gilt:

1 = (2 + x) - (1 + x)

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Das ist eine okkulte Formel, welche ausdrücken soll, wie man die Eins teilt, und wie man die Teile so darstellt, daß sie wieder die Eins ergeben. Der Okkultist soll die Teilung der Einheit so denken, daß er die Teile immer zur Einheit wieder zusammenfügt.

So haben wir heute das, was man Zahlensymbolik nennt, einer Be­trachtung unterworfen und daraus gesehen, daß, wenn man die Welt meditativ unter den Gesichtspunkt der Zahlen rückt, man tief in die Weltgeheimnisse eindringen kann.»

Aus dieser und den weiteren Darstellungen dieses Abschnittes wird verständlich, warum Rudolf Steiner anregte, in der Kleinen Kuppel des ersten Goetheanumbaues, deren Südhälfte er selbst ausgemalt hatte, die spiegelbildlichen Motive der Nordhälfte in Komplementärfarben auszu­führen. Da sich dadurch auch die Formen hätten entsprechend wandeln müssen, wie es von ihm an den beiden komplementärfarbigen Engelge­stalten, dem blauen und dem orangefarbigen Engel, durchgeführt wor­den war, sahen sich die Maler dieser Aufgabe nicht gewachsen. Und so wurde die Nordhälfte lediglich ein Spiegelbild der Südhälfte.

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Chronologische Übersicht der Äußerungen RudolfStein ers

A. Schriften

1910 Die Rosenkreuz-Meditation mit den Farben Schwarz, Grün, Rot. GA 13

B. Vorträge

1906

19. Okt. Meditation einer Farbenfläche (z.B. das Grün eines Laubblattes) kann zur Wahrnehmung der Wesenheit führen, die hinter dem Grün steht. GA 96

1907

21 . Mai Rot für Kultstätten der Esoteriker, weil das Auge auf eine rote Umgebung mit der Konträrfarbe grün-blau antwortet. GA 284

15. Sept. Komplementärfarben und die Unteilbarkeit der Einheit. GA 101 (Auszug in diesem Band siehe Seite 200)

29. Nov. Farben der Planetenprinzipien im Zusammenhang mit den Wesens-gliedern des Menschen. Teilnehmer-Gedächtnisnotizen von einer esoterischen Stunde. GA 264 (in diesem Band Seite 213 f.)

28. Dez. Farbenmeditation am Merkurstab (in diesem Band Seite 209).

1908

7. Jan. Meditieren mit Komplementärfarben vertieft die Menschener­kenntnis. Teilnehmer-Gedächtnisnotizen von einer esoterischen Stunde. GA 264 (in diesem Band Seite 216 f.)

1909

15. Sept. Farbenübung an einer Pflanze kann zur Erkenntnis der imaginati­ven Welt führen. GA 114

1911

10., 14. Okt. Meditieren mit Komplementärfarben bedeutet den Anfang des Hellsehens. Teilnehmer-Gedächtnisnotizen von einer esoterischen Stunde. (Auszüge in diesem Band Seite 221 f.)

28. Dez. Moralisches Erleben von Grün, Pflanzenblatt, Baumrinde, Werden und Vergehen. GA 134

#SE291a-203

1912

3. April Himmelsbläue, Grün der Pflanzenwelt, Weiß der Schneedecke als

Übungsbeispiele, um die Welt moralisch zu empfinden: Blau -

Frommsein; Grün - ich erfühle in mir die Denkkraft; Weiß -

Verständnis für das, was die Welt als Stoff erfüllt. GA 136

1914

26. Juli Die rot-blaue Farbenwirbel-Meditation. GA 286

1915

2. Mai Über meditatives Leben mit Blau und Gelb zur Schulung der seelischen Kräfte. GA 161

1916

16. Febr. Durch Seelenübungen am Farbenerleben (rot, blau, grün) entsteht die Möglichkeit, den kleinen Zeitraum zwischen Wahrnehmen und Bewußtwerden eines Sinneneindruckes zu benützen, den man sonst nicht benützen kann. Aus dem Erleben dieses kleinen Zeit­raumes ist die Farb und Formgebung des ersten Goetheanums entsprungen. GA 168

1923

20. April Grün-Rot-Übung. Kann zum Anschauen des Bildekräfteleibes führen. GA 84

23. Nov. Durch meditatives Gestenerlebnis wird das Farbenerlebnis leben­dig, seelisch, geistig, löst sich von allem Materiellen los, verläßt den Raum, führt zur Erfahrung, wie die Wesen der ersten Hierarchie wirken. GA 232

1924

18.Sept. Regenbogenmeditation, um zum seelischen Farberleben zu kom men. GA 282 (in diesem Band Seite 230).

Drei Meditationssprüche zum Farbenerleben Aus einem Notizbuch aus dem Jahre 1904

#G291a-1990-SE205 Farbenerkenntnis

#TI

TEXTE VON RUDOLF STEINER

Drei Meditationssprüche zum Farbenerleben

Aus einem Notizbuch aus dem Jahre 1904

(Notizbuch-Archivnummer 117)

#TX

Ich opfere die Empfindung - grün

Ich opfere die Luft - indigo

Ich opfere mich - gelb

Ich will den Gedanken - rot

Ich will die Liebe - orange

Ich will das Sein - violett

#SE291a-206

#Bild s. 206

#SE291a-207

In der Finsternis finde ich Gottes=Scin

2

Im Rosenrot fühl ich des Lebens Quell

3

Im Ätherblau ruht des Geistes Sehnsucht

4

Im Lebensgrün atmet alles Lebens Atem

5

In Goldesgeib leuchtet des Denkens Klarhcit

6

In Feuers Rot wurzelt des Willens Stärke

7

Im Sonnenweiß offenbart sich meines Wesens Kern.

Weiß - Ich / Finsternis - Gott

#SE291a-208

Aus einem Notizbuch aus dem Jahre 1919 3

(Notizbuch-Archivnummer 299)


Im Farbenschein des Äthermeeres

Gebiert des Lichtes webend Wesen

Der Menschenseele Geistgewebe;

Und geistbefruchtet reifend strebt

In Farbendunkels Raumestiefe

Hinaus die Lichtes-durst'ge Seele.

Bedürftig ist Natur des Geistes,

Der aus dem Seelensein ihr kraftet;

Bedürftig auch die Menschenseele

Der Kraft des Lichts im Weltenäther.

#SE291a-209

Farbenmeditation am Merkurstab

Aus dem Vortrag Köln, 28. Dezember 1907 (GA 101)

Alle Dinge, die wir uns in der physischen Welt mit unserem Verstande erdenken, haben einen geistigen Hintergrund; und wir können in der geistigen Welt diese Dinge sehen. Ich möchte nun ein Beispiel anführen, wie etwas, was man sich auf dem physi­schen Plan ausdenkt, im Geistigen sich als Figur ausdrückt: der Caduceus, der Merkurstab.

Unser Bewußtsein, das wir heute haben, ist das sogenannte helle Tagesbewußtsein, wo wir durch die Sinne wahrnehmen, durch den Verstand kombinieren. Dieses Tagesbewußtsein hat sich zu seiner heutigen Höhe erst entwickelt. Ihm ging ein anderes Bewußtsein voraus, ein traumhaftes Bilderbewußtsein. Zu Beginn der atlantischen Zeit nahm der Mensch die Welt und ihre geistigen und seelischen Wesenheiten noch hellseherisch wahr in astralen und ätherischen Bildern. Der heutige Traum ist noch ein letzter Rest dieses atavistischen Bilderbewußtseins. Zeichnen wir uns das einmal auf. Zuerst haben wir das helle Tagesbewußtsein. Voraus ging das Bewußtsein, das heute nur noch die Pflanzen haben, das wir beim Menschen Schlafbewußtsein nennen können. Dann gibt es ein noch dumpferes, wie es heute unsere physischen Mineralien haben; ein Tieftrancebewußtsein können wir es nennen. (Wäh­rend dieser Ausführungen wurde an die Tafel geschrieben, von unten nach oben: Tagesbewußtsein, Bilderbewußtsein, Schlafbe­wußtsein, Tieftrancebewußtsein. Siehe Zeichnung Seite 210). Wir können diese vier Bewußtseinsarten durch eine Linie verbinden (es wird gezeichnet: gerade Linie von oben nach unten). So wie diese Linie entwickelt sich der Mensch aber nicht. Wenn der Mensch sich so entwickeln würde, wie die gerade Linie verläuft, würde er ausgehen von einem Tieftrancebewußtsein, stiege dann hinunter zum Schlafbewußtsein, dann zum Bilderbewußtsein und zuletzt zum heutigen Tagesbewußtsein. So einfach ist es dem Menschen aber nicht gemacht, sondern er muß verschiedene

#SE291a-210

Durchgangsstadien durchmachen. Der Mensch hat ein Tieftrance­bewußtsein gehabt auf der ersten für uns verfolgbaren Erdenver­körperung, auf dem Saturn; dort hat er dieses Bewußtsein in verschiedenen Graden ausgebildet. Wir zeichnen das hier so, daß wir das Bewußtsein in dieser Linie sich entwickeln lassen.

#Bild s. 210

Der Mensch trennt sich von der geraden Linie ab und verbindet sich mit ihr wieder auf der Sonne, wo er das Schlafbewußtsein durchmacht, geht dann weiter wie diese Spirallinie zeigt, um auf dem Monde das Bilderbewußtsein zu erreichen. Und heute steht der Mensch, wiederum nach verschiedenen Wandlungen, auf der Stufe des hellen Tagesbewußtseins. Das helle Tagesbewußtsein behält der Mensch nun für alle folgenden Zeiten bei und erobert sich bewußt jene Bewußtseinszustände hinzu, welche er auf frü­heren Stufen dumpf gehabt hat. So erobert er sich das Bilderbe­wußtsein wieder hinzu auf dem Jupiterzustand der Erde; das wird ihn befähigen, wieder um sich herum Seelisches wahrzunehmen. Diese Entwickelung geschieht aber so, daß sein helles Tagesbewußtsein

#SE291a-211

nicht abgeschwächt, nicht dumpf wird, sondern daß er auf dem Jupiter zu seinem Tagesbewußtsein das Bilderb ewußts ein hinzu haben wird. Man könnte sagen: Das Tagesbewußtsein hellt sich auf zum Bilderbewußtsein (siehe Zeichnung: unterbrochene Linie). Dann bekommt er das Schlafbewußtsein, das er auf der Sonne hatte, wiederum auf dem Venuszustande der Erde; dies wird ihn befähigen, tief hineinzuschauen in die Wesenheiten, wie es heute nur der Eingeweihte kann. Der Eingeweihte macht den geraden Weg durch, er entwickelt sich in gerader Linie, während die normale Entwickelung des Menschen die ist, die in Windun­gen verläuft. Und aufsteigend erlangt der Mensch dann auf dem Vulkan auch das erste Bewußtsein wieder, das Trancebewußtsein, wobei er aber alle die anderen Bewußtseinszustände behält. So macht der Mensch eine Entwickelung in absteigender und eine in aufsteigender Linie durch. Diese Linie können Sie immer wieder­kehren sehen. Es ist dieser Weg des Absteigens und des Aufstei­gens eine real vorhandene Linie, die ihren Ausdruck gefunden hat im Caduceus, in dem Merkurstab.

[Der folgende Abschnitt ist in allen Mitschriften nur lückenhaft wiedergegeben.] So sehen wir, wie die Symbole, die wir auf diese Weise bekommen, tief begründet sind in dem ganzen Wesen unseres Weltengeschehens. Und eine solche Linie wie der Cadu­ceus hat auch eine erzieherische Bedeutung für den Menschen, wenn er sich dieser Figur meditativ hingibt. Niemand kann sich diese Figur einprägen, ohne daß sie eine tief innerliche erzieheri­sche Wirkung auf ihn ausübt. Der Seher hat diese Linie herausge-holt aus den geistigen Welten, um den Menschen etwas zu verlei­hen, das sie zu künftigen Sehern macht. Was man beim Meditieren über diese Linie entwickeln muß, sind bestimmte Empfindungen. Zuerst empfinden Sie dumpfe Finsternis. Sie starren hinein in die Finsternis, nach und nach fängt sie an sich aufzuhellen und nimmt violette Farbe an, dann Indigo, Blau, Grün, Gelb, Orange, Rot, und nun zurück, wobei eine gewisse Spiegelung der Entwickelung stattfindet, bis Sie wiederum zum Violett aufgestiegen sind. Beim Verfolgen dieser abgetönten Linie werden Ihre Empfindungen

#SE291a-212

übergehen vom Qualitativen der Farbnuancen zu moralischen Empfindungen. Wenn Sie diese Linie nicht bloß als Kreide- oder Bleistiftlinie empfinden, sondern, indem Sie ins Schwarze hinein­schauen, versuchen, sich das Düstere vor die Seele zu stellen, beim Violetten sich das Hingebende vorstellen, und so weiter durchge­hend durch die anderen Farben, das Blau, Grün, Gelb, Orange, sich dann beim Roten das Freudige vor die Seele rufen, dann wird Ihre Seele eine ganze Skala von Empfindungen durchmachen, die zuerst Farbempfindungen sind und dann moralische Empfindun­gen werden. Dadurch, daß in der Seele sich abspiegelt die Form des Merkurstabes in Empfindungen, gliedert sich ihr etwas ein, was die Seele befähigt, die höheren Organe auszubilden. Durch das reale Symbol wird sie so umgestaltet, daß sie die höheren Organe in sich aufnehmen kann.

Wie einst die Einwirkung des äußeren Lichtes aus gleichgülti­gen Organen die Augen hervorgezaubert hat, ebenso zaubert die Hingabe an die Symbole der geistigen Welt die Organe für die geistige Welt hervor. Ganz unmöglich ist es zu sagen: Ich sehe ja noch gar nicht, was da entstehen soll. - Das wäre ebenso, wie wenn der Mensch, der noch keine Augen hatte, gesagt hätte: Ich will nicht das Licht auf mich wirken lassen. - Wir müssen erst unterrichtet werden, was zur Entwickelung der inneren Organe führen kann, dann können wir die Geheimnisse der geistigen Welt um uns wahrnehmen.

#SE291a-213

Farben meditationen

mit Pentagramm- und Hexagramm-Übung

Teilnehmer-Gedächtnisnotizen von zwei esoterischen Stundcn


I. Berlin, 29. November 1907

Gedächtnisnotizen von Günther Wagner

In Form eines Pentagramms geht eine Strömung durch den Äther-körper. Von dem Punkt des Ich in der Stirn nach den beiden Füßen, von dort zu den antipolarischen Händen und von einer Hand zur andern durch das Herz hindurch. Mit der Beugung des Körpers und der Glieder beugen sich auch die Strömungen. Mit den verschiedenen Teilen der Strömungen stehen die verschiede­nen Planeten wie angegeben in Verbindung. Man hat die Planeten mehr als Prinzipien zu fassen, die eigentlich immer und auf allen Globen wirken, nur auf den einzelnen in hervorragender Weise.

Das Prinzip des Saturn ist die physische Grundlage

der Sonne ewiges Wachsen, ewiger Fortschritt

des Mondes Festhalten, Retadieren, Erstarren ma­

chen

des Mars Mut, das Aggressive hineinzuführen in

das Sinnenleben, das rote Blut

des Merkur das Herausführen aus dem Sinnesleben

des Jupiter die Befreiung des Ichs

der Venus das Aufgehen in Liebe.

Es entsprechen die angegebenen Farben diesen Planeten re­spektive den Prinzipien:4

Saturn - Grün Merkur - Gelb

Sonne - Orange Jupiter - Blau

Mond - Violett Venus - Indigo

Mars - Rot

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Das Hexagramm entspricht Strömungen im Astralkörper, doch ist dies nicht als Linienfigur aufzufassen, sondern das Doppel-Dreieck ist nur ein Durchschnitt. (Während die Strömungen im Ätherkörper die Linien eines Pentagrammes bilden, stellt das Hexagramm den Astralkörper in ganz anderer Weise, nicht linien-artig, sondern flächenhaft körperlich dar.) Wenn die Figur in ihre senkrechte Achse gedreht wird, kommt etwa die wirkliche Figur heraus, wenn auch der waagrechte Durchschnitt nicht ganz einem Kreis entspricht (Oval). Die waagrechten Linien bilden also ei­gentlich eine Fläche; die obere in der Höhe der Arme, die andere in der Höhe der Kniee.

Das nach unten weisende Dreieck hat es mit den Leibern zu tun: dem Astralleib (Mond), Ätherleib (Sonne), physischen Leib (Saturn-Prinzip). Das andere Dreieck mit den höheren Teilen:

Empfindungsseele (Mars), Verstandesseele (Merkur) und Bewußt­seinsseele, die erst im Anfang ihrer Entwicklung ist (Jupiter). Dementsprechend die Farben.

Man soll über diese Figuren und die Bedeutung ihrer Einzelhei­ten meditieren, um sich seines wirklichen inneren Lebens und seiner Beziehung zum Kosmos bewußt zu werden. Man wird dann eigenartige Gefühle in sich erwecken.

Gedächtnisnotizen aus derselben Stunde von Alice Kinkel

Das Prinzip des Saturn (Oriphiel - Grün-Blei) ist die physische Grundlage, aber geistig.

Leben (Michael. Sonne. Orange-Gold) Ewiges Wachsen, ewi­ger Fortschritt. Erscheinung in der Maja (Gabriel. Mond. Violett-Silber) Festhalten, Retardieren, Erstarren machen.

Bewußtsein (Samael. Mars. Rot-Eisen) Mut. Das Aggressive. Hineinführen in das Sinnenleben durch das rote Blut.

Göttliche Intelligenz (Raphael. Merkur. Gelb-Quecksilber) Hin-Heiliger Geist

ausführen aus dem Sinnenleben.

#SE291a-215

Macht (Zachariel. Jupiter Blau-Zinn) Befreiung des Ich.

Vater

Liebe. Sohn. Übergang von

Gott zum Menschen (Anael. Venus. Indigo-Kupfer) Das

Mittler Aufgehen in reiner Liebe

Das Pentagramm (Figur siehe Beilage) Das Hexagramm (Figur siehe Beilage)

Das Hexagramm entspricht Strömungen im Astralleib. Aber es ist nur ein Durchschnitt. Wenn die Figur um ihre senkrechte Achse gedreht würde, käme die wirkliche Figur heraus, deren waagrechter Durchschnitt nicht ganz einem Kreis entspricht. Die obere Fläche ist in der Höhe der Arme, die untere in der Höhe der Kniee zu erleben.

Das nach unten weisende Dreieck hat zu tun mit dem physi­schen Körper, Saturn. Mond: Astralleib. Sonne: Ätherleib. Das nach oben strebende Dreieck mit den höheren Teilen: Empfin­dungsseele - Mars. Verstandesseele - Merkur. Bewußtseinsseele -Jupiter

Durch starkes Meditieren über diese Figuren erlangt der Mensch Kenntnis von sich und seinem Zusammenhang mit dem Makrokosmos. Das Pentagramm stellt dar die Strömungen des Ätherkörpers und deren Zusammenhang mit den Planeten.

Der physische Körper steht mit allen Kräften im Universum in Verbindung. Er ist Mittelpunkt der Einstrahlung von allen Kräf­ten des Tierkreises.

Der Ätherkörper steht mit dem Mittelpunkt der Erde zunächst in Verbindung.

Der Astralkörper mit dem Mittelpunkt des Mondes.

Das Ich ist nicht nur ein Punkt, der sich allmählich durch Herauswachsen der Stirnpartie und das Einziehen des Ätherkör­pers an der oberen Nasenwurzel vereinigt hat, sondern es existiert noch ein zweiter Punkt von ihm. Die Verbindungslinie zu diesem

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wechselt, die Richtung dieser Linie weist nach dem Mittelpunkt der Sonne. Je mehr sich der Mensch entwickelt, desto näher kommen sich die (beiden) Punkte. Der sich entwickelnde Mensch muß sich in diesen zweiten Punkt versetzen, das heißt nach außen, und er muß lernen, auf seinen Körper zu blicken wie auf sonst etwas Physisches außer ihm (Tat tvam asi [= Das bist Du! Be­rühmte Formel des Veda]); das löst den Menschen aus dem Egois­mus. Ein lebhaftes Nacherleben des Mysteriums von Golgatha und der Tatsache, daß da das überflüssige, egoistische Blut der Menschheit geflossen ist, ist Hilfe dazu.

Die Meditation soll sein wie ein Opferrauch, der zu den Göt­tern aufsteigt.


II. Berlin, 7. Januar 1908 (Fortsetzung vom 29. November 1907)

Gedächtnisnotizen von unbekannter Hand

Wenn wir eine derartige okkulte Figur (das Hexagramm) wie in der vorigen Stunde mit Nutzen betrachten wollen, so genügt es nicht, wenn wir sie fortwährend anstarren. Vielmehr müssen wir sie uns in stillen Stunden immer und immer wieder vor die Seele malen und über die Bedeutung der einzelnen Farben meditieren. Erst auf diese Weise werden wir den Vorteil und Nutzen gewin­nen, den derartige okkulte Zeichen haben können, wenn man sie in der rechten Weise betrachtet. Denn die ganze Weltenweisheit ist uns gegeben in einigen wenigen derartigen okkulten Figuren. Und durch Vertiefung in dieselben werden uns nach und nach die geistigen Zusammenhänge der höheren Welten klar.

Nehmen wir aus dem Hexagramm zwei Farben, die sich gegen­überstehen, heraus: Rot und Grün. In voller Absicht stehen diese beiden Farben einander gegenüber. Was mag die rote Farbe be­deuten, was die grüne? Wir finden die grüne Farbe in der Pflan­zenwelt draußen, die mit ihrer Decke die Erde überzieht. Und in welcher Beziehung steht der Mensch zur Pflanze? Wir wissen, daß der Mensch auf dem Saturn ein Dasein führte, das in gewisser

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Beziehung unseren heutigen Mineralien entspricht. Nicht, daß der Mensch jemals Mineral gewesen sei! Unser heutiges Mineralreich ist sogar das jüngste der Naturreiche. Wir wissen ferner, daß der Mensch auf der Sonne ein pflanzenähnliches Dasein führte. Heute fließt in den Pflanzen ein grünlicher Saft. Ein ähnlicher Saft durchströmte das damalige Menschenwesen. Könnte man heute durch ein Zauberwerk in die Pflanzen astrale Bestandteile hinein­pressen, so würde er rot werden! Dadurch, daß der Mensch auf dem Monde den Astralkörper hinzubekam, färbte sich der innere Saft rot - es wurde das rote Blut aus ihm.

Bedenken Sie, die Pflanze ist keusch, sie hat keine Begierden, Leidenschaften: Zorn, Angst, Furcht. Dadurch, daß der Mensch in gewisser Beziehung schlechter als die Pflanze wurde, erhielt er etwas, das ihn über die Pflanze erhob: das wache Tagesbewußt­sein. Die Pflanzenwelt von heute schläft. Eine Pflanze ist der umgekehrte Mensch. Eine Pflanze weist mit ihren Wurzeln nach dem Mittelpunkt der Erde, dort wo ihr Ich sich befindet. Eben­dieselbe Kraft, die in der Pflanze nach unten wirkt, wirkt umge­kehrt beim Menschen nach oben. Die Tatsache, daß der Mensch das Blut erhielt, drückt aus die Aufnahme des Ichs. Der Ausdruck des Ichs ist das rote Blut.

Wenn Sie mit geistigen Augen die Innenfläche eines grünen Blattes betrachten, so erscheint Ihnen dieselbe als rot. Diese rote Kraft ist sozusagen geistig. Wenn man gegen einen weißen Hin­tergrund eine rote Fläche sieht, dieselbe scharf anblickt und dann auf die weiße Fläche schaut, so wird ein grüner Fleck erscheinen. Und umgekehrt ist dasselbe der Fall. Man nennt diese Farben Ergänzungsfarben. Also auch in einer solchen physikalischen Er­scheinung spricht sich der innere geistige Zusammenhang aus.

Oder nehmen wir zwei andere Farben: Blau und Orange, die sich gegenüberstehen. Sie müssen wissen, daß Orange zwei Aspekte hat: Orange und Gold.

Wo finden wir in der Natur das Blau? Wenn wir hinaufsehen in die unbegrenzten Fernen des gewölbten Himmels! Und wo das Gold? Auf Gemälden der alten Meister erblicken wir goldige

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Hintergründe. Diese alten Meister malten noch nach einer Tradi­tion, die einiges Wissen von den Erscheinungen und Wesenheiten höherer Welten besaß. Wenn wir mit geistigen Augen hinausse­hen in den Himmelsraum, so erscheint er in goldgründigen Tie­fen. Deshalb erblicken wir auf den alten Gemälden Engelsköpfe auf goldigem Hintergrund, weil, wenn Sie (geistig) hinausschau­en in den Himmelsraum, Ihnen derselbe in goldigen Farben erscheint.

So müssen wir suchen, das zusammensuchen, was dem Sinne nach zerstreut im ganzen Kosmos liegt, zum Aufbau unserer Seele. Denken Sie nur einmal, wie über die Erde zerstreut alle die Nahrungsmittel liegen, die zum Aufbau unseres Körpers dienen. Stellen Sie sich das recht lebhaft vor! Genauso ist dies in geistiger Beziehung. Aus dem Chaos muß auch die Seele das Geeignete zu ihrem Aufbau zusammensuchen.

Wenn eine Seele derartig zu meditieren beginnt, so fängt ein Organ im physischen Körper an, sich zu entwickeln: die Schleim-drüse. Die Schleimdrüse ist beim normalen Durchschnittsmen­schen ein kaum kirschkerngroßes Organ hinter der Zirbeldrüse. Aber es enthält unverhältnismäßig große Kräfte. Es reguliert näm­lich den richtigen Aufbau des Köpers bezüglich seiner Größe. Bei den sogenannten Riesen, die herumgezeigt werden, liegt eine Er­krankung der Schleimdrüse vor. In irgendeiner Weise müssen sich durch sie in Bewegung gesetzte Kräfte ausleben. Wenn der Medi­tand an sich zu arbeiten beginnt, so werden in der Schleimdrüse Kräfte wachgerufen. Von der Schleimdrüse aus vollzieht sich der organische Aufbau aus dem Chaos der Empfindungen zum Astralkörper. Wenn die Schleimdrüse die Zirbeldrüse mit golde­nen Fäden umströmt, dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo die Umwandlung des Astralkörpers zum Geistselbst, zum Manas, so weit fortgeschritten ist, daß nun der Ätherkörper in die Budhi verwandelt werden kann.

Wer in dieser Weise über derartige okkulte Zeichen meditiert, wird an dem Aufbau seiner höheren Körper zweckmäßig arbeiten. Manchmal wächst in aller Stille während ganz kurzer Zeit die

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Seele ungeheuer rasch. Man könnte sagen: Es bedarf zur Entwik­kelung gar nicht der Zeit, sondern nur der tiefinnerlichen Ruhe.

Von derselben Stunde. Gedächtnisnotizen von Günther Wagner

Über das Hexagramm meditieren. Spitze nach oben rot, nach unten grün. Gegensätze: Komplementärfarben. Grün die Farbe der Pflanzen. Rot die Farbe des Blutes der Menschen.

Den Fortschritt konnten die Menschen nur dadurch erreichen, daß sie auch Begierden und Leidenschaften mit in Kauf nahmen. Der Teil des Astralleibes der Erde, der zur Pflanzenwelt gehört, ist rot. Also physisch grün, geistig rot: die Pflanze. Bei den Pflanzen weisen die roten astralen Kräfte nach unten zum Mittel­punkt der Erde hin, während dieselben Kräfte bei dem Menschen sich umgekehrt haben und nach oben weisen.

Grün und Rot: Gegensätze. Ebenso Blau und Orange respek­tive in einem der zwei Aspekte: goldfarben [Zusatz von anderer Hand: violett und goldfarben]. Auch dieses sind Komplementär-farben. Im Physischen der Himmel blau, im Devachanischen gold, wie noch auf alten frühmittelalterlichen Bildern gemalt. So die anderen Gegensätze.

Durch Betrachtung solcher uns von den Meistern gegebenen Symbole ordnen und gestalten wir unseren Astralkörper, beson­ders die Aura, um (zum Manas). Alle möglichen geringfügigen äußeren Erfahrungen können uns auf diese Farbenverhältnisse hinweisen, und so wird unser geistiger Körper geformt, gestaltet und entwickelt durch Nutzbarmachung aller möglichen zerstreu­ten Erfahrungen wie unser physischer Leib durch Assimilation aller möglichen vom ganzen Erdboden gesammelten physischen Nahrungsmittel.

Und indem sich so unser Astralkörper ordnet und organisiert, wirkt er speziell auf die Schleimdrüse oder Gehirnanhang (Hypo­physis) ein, ein kleines, kaum kirschkerngroßes Organ, das zu­nächst mit dem Wachstum des Körpers zu tun hat. Durch solche

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Organisation des Astralkörpers fängt die Schleimdrüse an, immer leuchtender und leuchtender zu werden; sie sendet Strahlen aus, und allmählich umgibt sie mit ihren Strahlen die vor ihr liegende Zirbeldrüse, regt diese an; infolgedessen dehnen sich die Wirkun­gen auf den Astralkörper aus, und sie fangen an, diesen zu beein­drucken und umzuorganisieren.

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Über Komplementärfarben

im Zusammenhang mit Wirklichkeitserkenntnis

Teilnehmer-Gedächtnisnotizen von zwei esoterischen Stunden

I. Karlsruhe, 10. Oktober 1911

... Wir haben auch schon exoterisch gehört, daß es drei Wege gibt, um in die geistige Welt einzudringen: durch die Imagination, Inspiration und Intuition. Es sind uns in Verbindung mit unseren Meditationen und so weiter gewisse Imaginationen gegeben, die uns helfen sollen zur Erreichung unseres Zieles und zur Stärkung unserer Seele. Nun können wir aber auch Bilder dazufügen, die uns gewisse Kräfte geben. Gehen wir zurück auf ein Wort, das wir oft gehört, wohl auch als Wahrheit anerkannt haben, uns aber doch nicht immer genügend ins Bewußtsein rufen, nämlich das Wort: «Die ganze Welt um uns herum ist Maja!» Was heißt das streng genommen?

Wir nehmen mit unseren Sinnen die Außenwelt wahr. Nehmen wir eine Rose, die vor uns steht. Sie sagt uns: Ich bin da, du nimmst mich wahr mit deinen Sinnen; du mußt mich vorstellen. -Ist dieser Vorgang aber auch richtig so? Nehmen wir die Rose so wahr, wie sie wirklich ist? Schon die äußere Wissenschaft kann uns da weiterhelfen. Wir wissen, daß die Sehnerven sich hinter dem Auge kreuzen. Dort rufen sie ein umgekehrtes Bild des Gegenstandes hervor, was nach außen projiziert den Gegenstand in der Gestalt zeigt, wie wir ihn draußen sehen. In uns entsteht das wirkliche Bild der Rose - nämlich umgekehrt: unten die Blüte, oben die Wurzel. Ist aber die äußere Welt Maja, so ist sie ein Spiegelbild ihrer wahren Gestalt. Es ist so, als ob wir uns das Spiegelbild einer Landschaft in einem stillstehenden Gewässer vorstellten. Alles um uns herum sehen wir in seinem Spiegelbilde. Alles müssen wir uns umgekehrt denken, den Menschen und seine ganze Umgebung. Also die Rose, die vor mir steht, muß ich hinter mir denken, die Wurzel nach oben, die Blüte nach unten. Wenn

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wir meinen, mit dem rechten Ohr zu hören, so ist das Maja; die Kraft dringt von links auf uns ein und kommt uns im rechten Ohr zum Bewußtsein. Was vor uns zu liegen scheint, ist nur Maja, nur Spiegelbild einer Kraft, die hinter uns ist und sich durch uns offenbart und so die Dinge vor uns hinzaubert. Wie das wahre Bild der Dinge von innen heraus entsteht, so muß es auch mit der wahren Moral gehen. Denn die wahre Moral muß aus der inneren Überzeugung entspringen, nicht aber aus einem äußeren Antrieb. Alles müssen wir umgekehrt denken: Den Sternenhimmel, der sich vor meinem Blick ausbreitet, muß ich hinter mir denken. Wir müssen noch weiter gehen: Wo Finsternis herrscht, da ist gewalti­ges geistiges Licht; nicht wo physisches Licht dem Auge er­scheint, ist geistiges Licht. Damit hängt zusammen, was schon früher gesagt worden ist, daß der Mensch, wenn er anfängt zu «schauen», leicht als erstes in seinem eigenen Schatten das Licht seines Atherleibes sehen kann.

Wenn wir also die Welt betrachten, nicht in ihrem Spiegelbilde der äußeren Maja, sondern uns bemühen, sie in ihrer wahren Gestalt zu sehen, so tun wir damit etwas ganz Bestimmtes. Wir versetzen dadurch gleichsam alles in Bewegung und bringen uns dadurch in Berührung mit der geistigen Hierarchie, die über den Geistern der Form steht, mit den Geistern der Bewegung.

Alles, was wir um uns sehen, ist, wie wir es sehen: Maja. Alles, was wir sehen, hören, fühlen und so weiter. Nur eines ist uns von der Weltenweisheit gegeben worden, was wirklich real ist: das Wort - der Logos. Eines haben wir, was nicht von außen auf uns eindringt und als Maja sich uns zeigt, sondern was aus unserm Inneren herausströmt, unser innerstes Wesen offenbarend: die Sprache, das Wort. Auch die Luft ist nicht real. Und so sollte uns dieses Göttergeschenk heilig sein und nicht mißbraucht werden. Nichts anderes sollte hinaustönen als in aller Aufrichtigkeit unser Seeleninhalt. Denn wir finden im Akasha die Tatsache, daß alles sich auflösen und vergehen wird, und nur das, was die Menschen gesprochen haben, bleibt als ein Ewiges erhalten, formgebend für die nächste planetarische Gestaltung unserer Welt. - Im Urbeginn

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war das Wort, und göttlich ist die Kraft des Wortes. Wir müssen nach und nach die Kraft bekommen, die Welt zu betrachten, wie sie ist - und dabei die Kraft, nicht uns selbst zu verlieren.

II. Karlsruhe, 14. Oktober 1911

Wir haben neulich gehört, wie wirksam es für unsere Seele ist, die Imagination auf sich wirken zu lassen, daß die äußere Welt um uns nur «Maja» ist, daß uns erst das umgekehrte Bild die Wahrheit bringt. Wir können in dieser Imagination noch weitergehen.

Schauen wir das Gesicht eines Menschen an, so müssen wir es uns umgekehrt denken: überall, wo eine Erhöhung ist, eine Ver­tiefung; dunkle Haare hell, helle dunkel und so weiter. Aber auch die Farbe des Gesichtes müssen wir uns umgekehrt denken, und zwar nicht nur statt der hellen eine dunkle Farbe, sondern die einzelnen Farbenflecke, die uns entgegentreten, müssen wir uns in Komplementärfarben vorstellen. So zum Beispiel einen roten Fleck grün und so weiter. Wenn wir uns da recht hineinleben, werden uns die Farben etwas verkünden von den Eigenschaften des betreffenden Menschen. Ein helles Grün, schon als Komple­mentärfarbe gedacht, würde bedeuten, daß der Mensch nicht los-kommt von allem, was mit seiner Leiblichkeit eng verknüpft ist. Ein dunkles Grün deutet ein Streben nach dem Geistigen an; blau ein besonders starkes Streben nach dem Geistigen. Diese Farben werden dann wie durchsichtig für uns; es sind die Farben des Ätherleibes.

Das alles wirkt nur, wenn wir es innerlich empfinden. Dann werden wir dazu kommen, die wahren Eigenschaften der Men­schen zu erkennen, viel mehr als es sonst auf irgendeine Art geschehen kann. Unser Verstand kann höchstens so weit kommen zu sagen: Die äußere Welt ist eine Maja, im umgekehrten Bilde sehe ich sie in ihrer wahren Gestalt. - Hier an diesem Punkt muß der Verstand stillstehen, sonst gerät er in Wirrnis und verliert den Boden unter seinen Füßen. Unsere Gedanken sind Spiegelbilder

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der Außenwelt. Denken wir uns einen Spiegel und einen Gegen­stand, der sich darin spiegelt. Stellen wir dem einen andern Spiegel gegenüber, so bekommen wir bis in verschwommene Fernen Spie­gelbilder der Spiegelbilder. So erginge es uns, wenn wir, statt die okkulten Tatsachen einfach nachzudenken, darüber spintisieren wollten und Schlüsse ziehen, um neue Sachen zu finden. Das müßte uns zu einer gewissen Wirrnis führen; wir müssen diese Dinge vielmehr mit unserem Empfinden erleben.

So wie der Mensch darinnensteht zwischen seinem ätherischen Bilde und seinem physischen Majabilde, ergibt sich uns erst ein richtiges Bild von dem Menschen. Wenn der Mensch in seinem physischen Leibe häßlich erscheint, so würde sich jenes Mittelbild als schön zeigen und umgekehrt. Es gab eine gewisse Strömung in der Kunst, die das andeutet; es gibt Christusbilder, die die Chri stusgestalt durchaus nicht als schön zeigen...­5

Von einem andern Teilnehmer sind Rudolf Steiners Ausführungen wie folgt festgehalten worden:

Wir haben in der vorigen Stunde eine gewaltige Meditation vor unsere Seele gestellt und besprochen, und einige von Euch werden vielleicht versucht haben, sich das, was sich ihnen in der Sinnen-welt darstellt, als Maja, als Illusion anzusehen.

Wir können diese Meditation auch noch weiter verfolgen, in­dem wir bei den Menschen, die uns gegenüberstehen, die Ge­sichts- und Haarfarbe, auch die Augen, etwaige Röte der Wangen in den Komplementärfarben zu empfinden versuchen; auch das, was als Erhöhung sich darstellt, als Vertiefung sehen und umge­kehrt. Hat ein Mensch zum Beispiel sehr rote Backen, so werden sie in hellgrün empfunden werden müssen, und es ist ein Zeichen, daß derselbe noch sehr im vitalen Leben steht. Empfinden wir darüber einen bläulichen Schimmer, so wird der Hellseher an dieser mehr oder weniger intensiven Färbung den Grad der Gei­stigkeit erkennen können. Es ist dies der Anfang, wo der Mensch eine Aura zu sehen beginnt.

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Alle diese Dinge können nur empfunden und gefühlt werden. Das Bindeglied zwischen dem Äther- und dem physischen Leib ist stets das Gegenstück des äußeren, sichtbaren Menschen. Er­scheint der Mensch äußerlich häßlich, so ist das Verbindungsglied schön. (In mancher Kunstrichtung heutzutage (?) können wir beobachten, daß oft dieses Geistige, dem Künstler selbst unbe­wußt, in den Werken ausgedrückt ist; zum Beispiel die vielen Kreuzigungsbilder mit den unschönen, häßlichen, schmerzver­zerrten Zügen.)

Wollen wir Maja und Illusion mit dem Verstande begreifen und diese Übungen des Umkehrens durchdenken, so wird der Ver­stand, wenn er gesundes Denken entwickelt hat, nur bis zur Tatsache des Umdrehens mitgehen können; im andern Fall würde es nur ein fortwährendes und wieder zurückgeworfenes Spiegeln seiner eigenen Gedanken werden, die dann krankhaft ausarten können.

(. . .)

Eine gute Imagination ist auch, sich eine Pflanze vorzustellen, wie sie grün aussieht, aber in der Tat Maja oder Illusion ist. Man soll sie sich so vorstellen, daß die Blätter eine violett-rote Färbung haben, den Stengel blau, und so weiter, und auch die Stellung verkehrt denken; dann wird man beim richtigen Fühlen sich selbst fühlen als die Pflanze, in sie hineinwachsen und so mitwachsen in die geistigen Höhen. Dasselbe ist auch angegeben in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?». Alle Imaginationen werden uns in der rechten Weise erscheinen, wenn wir die Welt in uns selbst als Maia vorstellen. Sehr gut ist diese Übung bei Tieren zu machen.

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Regenbogen-Meditation

Aus dem Vortrag Dornach, 18. September 1924

So soll man . . . durch das Himmeiswunder des Regenbogens in das seelische Farbenerle­ben hineinkommen.6

Die verschiedenen Äußerungen Rudolf Steiners über das «Himmels-wunder» des Regenbogens gipfeln in einer Art Meditationsanweisung für das seelische Erleben der Farben. Sie findet sich in einem seiner allerletzten Vorträge. «Rechte Hingabe zu haben für den Regenbogen», heißt es dort, entwickle ungemein den «Blick» und das «innere Kön­nen». Es ist dies zwar im Hinblick auf die Szenengestaltung im Zusam­menhang mit der Bühnenkunst gesagt, kann aber gleichwohl allgemein und insbesondere für den Farbkünstler gelten. Dann heißt es, daß die Menschen vom Regenbogen aber nur den Körper sehen: «Wie sie ihn anschauen, den Regenbogen, das ist nur so, wie wenn man einen Men­schen aus Papiermaché vor sich hätte und zufrieden ware: eine unbe­seelte Menschenform. Das andere sehen und fühlen die Menschen alle aus dem Regenbogen nicht heraus.» Aber man sollte die Möglichkeit suchen, ihn zu erleben und dabei zu empfinden:

Der Regenbogen . . . Ich möchte beten: da fängt der Regenbogen an, in dem äußersten Violett, das hinausschimmert bis in die intensive Unermeßlichkeit. Es geht in Blau über = die ruhige Seelenstimmung. Es geht über in Grün = es ist so, wie wenn unsere Seele ausgegossen wäre, wenn wir hinaufblicken zu dem Grünrund des Regenbogens, über alles Wachsende, Sprossende, Blühende. Und als ob wir von den Göttern kämen, an die wir betend hingegeben waren, wenn wir vom Violett, Blau her kom­men vom Regenbogen zum Grün. Dann aber wiederum lebt im Grün alles, was uns wie die Tore öffnet zum Bewundern, zur Sympathie und Antipathie mit allen Dingen. Haben Sie das Grün des Regenbogens eingesogen, so lernen Sie alle Wesen der Welt bis

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zu einem gewissen Grade verstehen. Und gehen Sie herüber zum Gelb: Sie fühlen sich innerlich gefestigt, Sie fühlen, Sie dürfen Mensch sein in der Natur; es ist mehr als die übrige Natur. Gehen Sie herüber zum Orange: Sie fühlen Ihre eigene innere Wärme, Sie fühlen manche Mängel und Vorzüge Ihres Charakters. Gehen Sie über zum Rot, so wie die andere Seite des Regenbogens wiederum übergeht in die Unermeßlichkeit der Natur, da fühlen Sie, was aus Ihrer Seele herauskommt an jauchzender Freude, an begeisterter Hingebung, an Liebe zu den Wesen.

FARBENERKENNTNIS UND KÜNSTLERISCHES SCHAFFEN

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II

FARBENERKENNTNIS UND

KÜNSTLERISCHES SCHAFFEN

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Es handelt sich darum, daß die Erkenntnis der Farbe herausgeholt werde aus der abstrakten Physik, daß die Erkenntnis der Farbe wirklich heraufgeholt werde in ein Gebiet wo durchaus zusammenwirkt die Phan­tasie, die Empfindung des Künstlers, der das Farben-wesen begreift, und ein geisteswissenschaftliches Hineinschauen in die Welt... so daß tatsächlich eine Farbenlehre begründet werden kann, die allerdings weit wegliegt von den Denkgewohnheiten der heuti­gen Wissenschaft, die aber durchaus eine Grundlage sein kann für das künstlerische Schaffen. (Vortrag Dornach, 13. Mai 1921, GA 204.)

Rudolf Steiners Weg zum Malen aus der Farbe heraus



Werkbiographische Skizze von Hella Wiesberger

Der Seher könnte selber ein Maler sein.. .1

Rudolf Steiners Künstlertum kann vielleicht nicht treffender charakteri­siert werden als durch das Goethe-Wort: «Der Stil ruht auf den tiefsten Grundfesten der Erkenntnis.» Es war wohl erst ein 3ojähriges Leben und Arbeiten als Geistesforscher auch auf dem Gebiet der Kunsterkenntnis erforderlich, bis er sein geistiges Schauen nicht nur wissenschaftlich, sondern auch in den verschiedenen Kunstmitteln zu gestalten ver­mochte.

Mit Fragen über Malkunst hatte er seit den 80er Jahren des 19. Jahr-hunderts gelebt. Bis er drei Jahrzehnte später die ihm notwendig schei­nende Maiweise zur Darstellung geistiger Geheimnisse verwirklichen konnte, muß er sich gleich dem Maler Johannes Thomasius in seinen Mysteriendramen oftmals gefragt haben:

Wie kann man webend Geistessein,

Das allem Sinnesschein entrückt,

Sich nur dem Seheraug' erschließt,

Mit Mitteln offenbaren,

Die doch dem Sinnenreich gehören?2

Diese Frage begleitete ihn sein Leben lang, seitdem er in einer Kunst-ausstellung in Wien, in den Tuchlauben, vermutlich im Jahre 1882, zum erstenmal Bilder des damals heiß umstrittenen, einerseits hymnisch ver­ehrten, andererseits vernichtend kritisierten Arnold Böcklin (1827-1901) gesehen hatte.3 Die vier Bilder, die dort ausgestellt waren - «Pieta», «Im Spiel der Wellen», «Frühlingsstimmung», «Quellnymphe» -, hatten ihn außerordentlich beeindruckt, vor allem deshalb, weil er sie als lebendi­gen Protest gegen das damalige Modellmalen empfand, das er als eine

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durch die materialistische Weltanschauung entstandene künstlerische Fehlentwicklung wertete. Nun sah er, daß in Böcklin etwas auftrat, was vom Modellmalen wieder wegführen könne. Und das war es, was ihn dazu bestimmte, sich von nun an «auch bleibend mit den Ideen über Malerei» zu beschäftigen, sich «ganz besonders» auch auf das Gebiet der malerischen Kunst einzulassen.4 Was so in Wien begonnen hatte, wurde später in Weimar verstärkt weitergeführt.

Weimar und Weimarer Malerfreunde

Weimar, wo Rudolf Steiner vom Herbst 1890 an sieben Jahre am Goe­the- und Schiller-Archiv mitarbeitete, war durch die Kunstakademie, das Theater und die musikalischen Veranstaltungen eine echte Kunststadt. Ebenso wie in Wien nahm er auch hier lebhaften Anteil am künstleri­schen Leben. Persönliche Kontakte verbanden ihn bald mit den verschie­densten Künstlern, Musikern, Schauspielern und Malern. Unter den malenden Lehrern und Schülern der Kunstakademie lernte er viele als im echten Sinne Suchende kennen, die aus älteren Traditionen heraus- und nach einer neuen unmittelbaren Anschauung und Wiedergabe von Natur und Leben hinstrebten. (M. L.) «Denjenigen, denen ich nahetrat, war allen anzumerken, welch tiefgehenden Einfluß ein neuer künstlerischer Impuls hatte, wie er zum Beispiel in dem Grafen Leopold von Kalck­reuth 5 lebte, der dazumal eine allerdings allzu kurze Zeit gerade das künstlerische Leben von Weimar in einer außerordentlichen Weise be­fruchtet hat».6 Im Kreise jener jungen Maler, mit denen er verkehrte, erlebte er mit, wie intensiv die Frage erörtert wurde, wie dasjenige, was der Maler als Farbe auf seiner Palette oder in seinem Farbentopf hat, auf die Malfläche zu bringen ist, damit, was der Künstler schafft, ein berech­tigtes Verhältnis habe zu der im Schaffen lebenden und vor dem mensch­lichen Auge erscheinenden Natur. Von sich selbst sagt er, daß er, auch wenn er in seiner Kunstempfindung damals noch nicht so weit schon gewesen wäre wie in dem Verhältnis zu seinen Erkenntnis-Erlebnissen, doch immer nach einer «geistgemäßen» Auffassung des Künstlerischen gesucht habe. (M. L.) Das spricht auch aus den Zeugnissen, die von der freundschaftlichen Verbindung mit einigen dieser Weimarer Maler-freunde, wie zum Beispiel Curt Liebich, Otto Fröhlich und Joseph Rolletschek, sich erhalten haben.

Gurt Liebich (1868-1937), dem er die von einem Weimarer Künstlerphotographen

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aufgenommene Porträtaufnahme widmete (siehe Bild), wurde später ein bekannter Schwarzwaldmaler. In Erinnerungen an seine Weimarer Zeit berichtet er, daß er damals fast täglich mit Rudolf Steiner beisammen war, mit ihm Schach spielte und spazierenging, wobei er von ihm mehr und mehr in seine Gedankenflüge «eingeweiht» worden sei: «Viel verdanke ich ihm in der Erklärung Goethes, besonders seiner Auslegungen von Faust 2. Teil, des Märchens von der schönen Lilie und der grünen Schlange, von denen ich heute noch eine Abschrift besitze.

Kurzum: er bereicherte mich mit der Vielseitigkeit seines eminenten Wissens.» 7

Aus dem folgenden Brief Rudolf Steiners geht hervor, daß er Liebich dazu angeregt hatte, Goethes Märchen zu illustrieren:

Weimar, am 5.Januar 1891[2]

Lieber Freund!

Voran meinen herzlichsten Gruß zum Beginne des neuen Jahres.

Sehr gefreut hat mich in Ihrem Schreiben die Mitteilung, daß Sie am 8. oder 10.Jänner wieder in Weimar eintreffen werden. Sie dürfen es mir glauben, daß ich mich oft nach Ihnen gesehnt habe. Ich konnte es kaum glauben, daß Sie, als ich nach l4tägigem Aufenthalt in Wien wieder in Weimar eintraf, noch immer nicht da seien. Ihr schöner Idealismus ist etwas, wonach ich mich ja stets sehne; ich habe ihn aber in Weimar sonst nirgends gefunden. Besonders dankbar bin ich Ihnen für Ihre Reiseschil­derungen, die mir eben diesen Idealismus wieder von neuem in einem so sympathischen Lichte erscheinen lassen. Ich werde gewiß auch mit vieler Spannung Ihren mündlichen Mitteilungen, die Sie ja so freundlich wa­ren, mir in Aussicht zu stellen, folgen. Kommen Sie doch ja recht bald. Auch auf Ihre Studien und das Bild freue ich mich. Was Sie mir von Ihrem Verkehr mit den Bewohnern des Schwarzwaldes erzählen, ist herzerhebend. Sie haben schöne Zeiten durchgemacht, da Sie nicht nur eine volle Natur in dem genießen konnten, was man gewöhnlich so nennt, sondern auch darinnen, was Sie als ursprüngliche, treue und wahre Natur im einfachen Menschenherzen beobachten konnten. In Weimar werden Sie wenig verändert finden. Der Maler Böhm hat sich verlobt.8 Sonst wüßte ich Ihnen nichts zu erzählen.

Ich war während Ihrer Abwesenheit zweimal je 14 Tage in Wien, um mir Erfrischung zu holen gegen die geistige Verödung in Weimar, die Sie

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nun, da Sie so viel des Herzlichen und Schönen gesehen haben, auch rücklialtlos zugeben. Die zweite Reise nach Wien habe ich unternom­men, um im Wiener Goetheverein einen Vortrag zu halten über das Goethesche «Märchen» von der grünen Schlange und der schönen Lilie, das die tiefsten Lebensweisheiten enthält, zu denen der Goethesche Geist vorgedrungen ist. Sie wären vielleicht der Maler dazu, um einige der hier vorkommenden, wunderbar malerischen Scenen im Bilde fest­zuhalten. Das wäre eine Aufgabe, die Sie auch im tiefsten Innern befrie­digen müßte. Denn Sie würden damit etwas malen, das einen tiefen geistigen Gehalt hätte wie Raffaels oder Leonardos tiefsinnige Komposi­tionen. Und meiner Ansicht [nach] liegt doch erst hier der höchste Gipfel der malerischen Kunst. Was Goethe in dem Märchen ausspricht, läßt sich nur vergleichen mit dem tiefen Mysterium des h. Abendmahls. Wir wollen noch davon sprechen.

Für heute herzlichen Gruß und den Ausdruck freudiger Erwartung eines frohen Wiedersehens

Ihr

Dr. Rudolf Steiner


In einem Brief Liebichs an Rudolf Steiner vom 30. Dezember 1892 findet sich die Bemerkung: «Ich hoffe, bald Ihnen die erste Skizze zum Märchen, wo die Irrlichter, eben im Begriff aus dem Kahn zu steigen, dem Fährmann das Gold hinwerfen, zusenden zu können.»9

Jahrzehnte später, anläßlich des Brandes des ersten Goetheanum­Baues, schrieb Liebich noch einmal an Rudolf Steiner. Das darin ange­regte Wiedersehen dürfte bei der damaligen Überbelastung Rudolf Stei­ners kaum zustande gekommen sein:

Gutach, 14.1.1923

Sehr verehrter Herr Doktor!

Lange Jahre sind vergangen, als wir in Weimar zusammen täglich uns trafen, zusammen speisten, zusammen im Café Raumer [?] Schach spiel­ten, im Park spazierten, als ich unter Ihrer Obhut eingeführt wurde in ein Leben, das so weit entfernt war von dem, was die Um- und Mitwelt Leben hieß. Ein Menschenalter ist darüber hin. Mich zog mein Denken und Fühlen in die stille, träumerische Bergwelt des Schwarzwaldes, in

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die Erhabenheit der Alpen, Sie Ihr rastloses Forschen, Können und Wissen in das Getriebe der Menschheit. Jeder von uns ging seinen Weg, seine Bahn, die ihm das Fatum vorzeichnete. Im Jahre 93 war es, als ich über Weimar fahrend Ihr Gast in Frau Eunikes Hause war.10 Dort sahen wir uns das letzte Mal. Aber vergessen habe ich Sie nie, vergessen niemals das, was ich Ihnen als junger Mensch zu verdanken habe. Oft schon hatte ich mir vorgenommen, wieder ein Lebenszeichen von mir zu geben, aber ich strauchelte darüber, daß ich mir einbildete, Sie würden sich Ihres damals jugendlichen Genossen mit all seinen Torheiten und seinem Übermut nicht mehr erinnern wollen.

Nun tue ich es doch, nun möchte ich doch wenigstens mit einigen Zeilen Ihrer gedenken, wo das Unglück Ihnen ein Werk vernichtete, an welchem Sie wohl Ihr ganzes Leben hindurch im Stillen gearbeitet haben, wo das Goetheanum Ihnen vernichtet wurde.

Seien Sie meines tiefsten Mitfühlens versichert.

Sie wohnen nun unweit von meiner Heimat. Vielleicht führt Sie der Weg hierher. Wenn Sie auf der Strecke Basel-Freiburg-Offenburg um­steigen auf den Zug der Schwarzwaldbahn nach Konstanz, so sind Sie in einer Stunde bei mir in meinem stillen Schwarzwaldheim, wo ich Sie herzlich willkommen heißen würde, ebenso meine Frau, die eine große Verehrerin von Ihnen ist. Platz haben wir. Hier können wir dann austau­schen all das, was wir seit Weimar erlebt und durchgemacht. Viel Leid ist dabei, was ich zu vermelden hätte, aber auch viel Schönes.

Ihr Weg, Ihre Arbeit sind mir bekannt. Ich habe sie verfolgt seit Jahren. Ob Ihnen die meinen? Wohl ist meine Kunst gesucht und begehrt, aber ich bleibe für mich, begebe mich wenig in den verwirren­den Strudel kulturkränkelnden Ausstellungswesens. Es genügt mir, das zu leisten, was ich für gut halte.

Eine Reihe von Jahren ist es her, als Sie in Freiburg einen Vortrag hielten. Ich schrieb an den Ort Ihres Vortrages eine Karte und lud Sie ein, aber nie erfolgte eine Antwort, und so glaube ich, daß Sie diese Zeilen nie erhalten haben.

Ich würde es mit Freuden begrüßen, die alte Weimarer Freundschaft

wieder fortsetzen zu dürfen und begrüße Sie als Ihr

Curt Liebich

Adresse: Prof. C. Liebich. Gutach, Schwarzwaldbahn, Baden

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Ein anderer junger Weimarer Maler, Otto Fröhlich (Schleiz 1869-1940 Weimar), hatte sich Rudolf Steiner ebenfalls freundschaftlich angeschlossen. Auch sie waren oft zusammen und machten gemeinsam Spaziergänge und Ausflüge. Fröhlich, der nur in Farbe und Licht gelebt habe, habe dabei immer neben ihm «im Geiste» gemalt: «Man konnte neben ihm vergessen, daß die Welt noch einen andern Inhalt hat als Licht und Farbe.» Fröhlich hätte es auch wirklich dahin gebracht, daß seine Bilder bis zu einem hohen Grade ein Abglanz seiner lebend-üppigen Farbenphantasie wurden: «Wenn er einen Baumstamm malte, dann war auf der Leinwand nicht die Linienform des Gebildes, wohl aber, was Licht und Farben aus sich heraus offenbaren, wenn der Baumstamm ihnen die Gelegenheit gibt, sich darzuleben.» (M. L.)

Noch eines anderen jungen Weimarer Malers gedenkt Rudolf Steiner in seiner Autobiographie:

«Eines Freundes muß ich gedenken, der ziemlich früh während meines Weimarer Aufenthaltes in meine Kreise trat, und der intim freundschaft­lich mit mir verkehrte, bis ich wegging, ja auch noch dann, als ich später hie und da zu Besuch nach Weimar kam. Es war der Maler Joseph Rolletschek. Er war Deutsehböhme, und nach Weimar, angezogen von der Kunstschule, gekommen. Eine Persönlichkeit, die durch und durch liebenswürdig wirkte, und mit der man im Gespräche gerne das Herz aufschloß. Rolletschek war sentimental und leicht zynisch zu gleicher Zeit; er war pessimistisch auf der einen Seite und geneigt, das Leben so gering zu schätzen auf der andern Seite, daß es ihm gar nicht der Mühe wert erschien, die Dinge so zu werten, daß zum Pessimismus Anlaß sei. Viel mußte, wenn er dabei war, über die Ungerechtigkeiten des Lebens gesprochen werden; und endlos konnte er sich ereifern über das Un­recht, das die Welt an dem armen Schiller gegenüber dem schon vom Schicksal bevorzugten Goethe begangen habe.»

Joseph Rolletschek (Gießau/Böhmen 1859-1934 Weimar), der unter dem Pseudonym J. Rollet malte und schrieb, gedachte nach Rudolf Steiners Tod in einem Erinnerungsaufsatz «Begegnungen mit Rudolf Steiner»11 der gemeinsamen Zeit mit den Worten:

.... In Weimar wars, zu Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhun­derts... In seinem Äußeren hatte Steiner schon damals etwas Dämo­nisch-Faszinierendes. Aus dem mageren, wohlgeformten Gesicht, dessen

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Züge ganz auffallend an die des Dichters Robert Hamerling12 erin­nerten, blickten zwei unnatürlich große, tiefschwarze Augen, in seltsa­mem Glanze. Ich habe nie wieder solche Augen gesehen... Als Lands­mann wurde ich mit Rudolf Steiner bald bekannt und wir schlossen schnell Freundschaft. Wie selten einer besaß er die Gabe, zuzuhören und sich für das zu interessieren, was der andere sagte. ... Wenig erbaut war Steiner immer über meine - damaligen - Ansichten über die Frauen und die Liebe, und es kam oft zu düsteren Prophezeiungen seinerseits. In seinen Lebenserinnerungen apostrophiert er diese Unterhaltungen mit den Worten: .... R. konnte gleichzeitig zynisch und sentimental sein.> Wirklich entzweit haben wir uns aber niemals, gewöhnlich setzten wir am kommenden Abend die Unterhaltung von gestern in gemilderter Form wieder fort. Dann kam der Sommer - mein erster in Weimar - und die abendlichen Spaziergänge mit Steiner. In lebhaftester Erinnerung sind mir besonders die Sonntagnachmittage geblieben. Es war die Zeit des Vogelschießens. Auf einer Wiese beim an der Jenaer Bahnstrecke lagen wir und hörten gedämpft die Musik und den Lärm aus den Buden am nahen Schießhausplatz. Rote Kinderballons stiegen hinter dem Bahndamm auf. Steiner lag da, mit unter dem Kopf gekreuzten Armen, sprach tiefsinnige Philosopheme - der Wahrheit die Ehre: ich habe sie nicht immer ganz verstanden - und blickte mit leuchtenden Augen den Kinderballons nach, bis sie am blauen Firmament verschwan­den.

In den Sommermonaten des nächsten Jahres hielt sich Otto Erich Hartleben13 wegen Herausgabe seiner Auswahl Goethescher Gedichte längere Zeit in Weimar auf. Allabendlich saßen wir in der Glasveranda des Hotels Chemnitus und Hartleben erzählte dort seine ersten Serenis­simuswitze. Dann begann er mit Steiner zu philosophieren und stets wiederholte sich das gleiche: je vorgerückter die Stunde, desto umwölk­ter wurde Otto Erichs Stirne, desto unsachlicher seine Erörterungen, und Steiner übernahm ruhig und sachlich die Führung... »

Rudolf Steiner wurde damals sowohl von Fröhlich wie auch von Rolletschek porträtiert (siehe Bilder). Fröhlich schickte sein Ölporträt zur Jahresausstellung 1892 nach Wien. Für diese wurde es zwar nicht angenommen, jedoch im Frühjahr 1893 im Wiener Österreichischen Kunstverein ausgestellt. Fröhlich berichtete darüber Rudolf Steiner aus Schleiz am 12. April 1893:

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... . Jetzt will und muß ich Ihnen eine unangenehme Nachricht zukom­men lassen: Ihr Bild, welches ich zur Jahresausstellung nach Wien sandte, ist zurückgewiesen worden. Es hat die zur Aufnahme nötige Stimmenzahl nicht erhalten. Ich habe es jetzt im Österreichischen Kunstverein zu Wien ausstellen lassen. Was auch schon geschehen ist. Nachdem ich die dortigen Verhältnisse erfahren, ist es mir ganz begreif­lich, wie es durchfallen mußte, vielmehr konnte. Ich finde, es ist eher ein Erfolg als ein Durchfall. Diese Kunstgesellschaft, welche ihre Hände nie reinigt vom Schablonengeschwür und den Rückschrittszopf festhält, ist so und so nicht zu bessern. Es ist mir scheußlich unangenehm zumute, aber ich bin schon erlöst von diesem Mißvergnügen... ».

Rudolf Steiner beschreibt in seiner Autobiographie, wie er auf seiner stetigen Suche nach dem «Geistgehalt des Farbenwesens» in Otto Fröh­lich gewissermaßen das personifizierte « Geheimnis des Farbenwesens» erlebte. Fröhlich habe «instinktiv» als Erleben in sich getragen, was er selbst für das «Ergreifen der Farbenwelt durch die menschliche Seele» suchte. Und so empfand er es als beglückend, daß er diesem jungen Ma­lerfreund manche Anregung geben konnte. Zum Beispiel habe er Fröhlich zu einem bestimmten Bild angeregt. Damals stark mit Nietzsches Gedan­kenwelt beschäftigt, erlebte er das «intensiv Farbige» in dem Zarathustra-Kapitel vom häßlichsten Menschen in einem hohen Maße. Das von Nietzsche «dichtend gemalte» Tal des Todes enthielt für ihn «vieles von dem Lebensgeheimnis der Farben». Darum gab er Fröhlich den Rat, er möge doch Nietzsches dichtend gemaltes Bild von Zarathustra und dem häßlichsten Menschen nun malend dichten. «Fröhlich führte Rudolf Steiners Anregung aus. Das Bild kam im Frühjahr 1895 in Weimars «Ständige Ausstellung» . Rudolf Steiner machte in einem kurzen Zeitungs­aufsatz darauf aufmerksam und äußerte seine damaligen Gedanken zu diesem Versuch Fröhlichs, «die Kulturelemente unserer Zeit bildlich zur Darstellung zu bringen» (Seite 281). In seiner rund drei Jahrzehnte später niedergeschriebenen Autobiographie heißt es weiter:

«Es kam nun eigentlich etwas Wunderbares zustande. Die Farben konzentrierten sich leuchtend, vielsagend in der Zarathustra-Figur. Diese kam nur nicht als solche voll zustande, weil in Fröhlich noch nicht die Farbe selbst bis zur Schöpfung des Zarathustra sich entfalten konnte. Aber um so lebendiger umwellte das Farbenschillern die

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im Tal des häßlichsten Menschen. In dieser Partie des Bildes lebte der ganze Fröhlich.

Nun aber der . Da hätte es der Linie bedurft, der malenden Charakteristik. Da versagte Fröhlich. Er wußte noch nicht, wie in der Farbe gerade das Geheimnis lebt, aus sich, durch ihre Eigen-behandlung, das Geistige in der Form erstehen zu lassen. Und so wurde der eine Wiedergabe desjenigen Modells, das unter weimarischen Malern der hieß. Ich weiß nicht, ob dies wirk­lich der bürgerliche Name des Mannes war, den die Maler immer be­nützten, wenn sie werden wollten; aber ich weiß, daß Häßlichkeit schon keine bürgerlich-philiströse mehr war, sondern etwas vom hatte. Aber ihn so ohne weiteres als den in das Bild hineinzusetzen, als Modellkopie, da, wo Zarathustras Seele leuchtend in Antlitz und Kleid sich offenbarte, wo das Licht wahres Farbenwesen aus seinem Verkehr mit den grünen Schlangen hervorzauberte, das verdarb Fröhlich das malerische Werk. Und so konnte das Bild doch nicht das werden, was ich gehofft hatte, daß es durch Otto Fröhlich zustande käme.»

Diese Schilderung Rudolf Steiners wurde Otto Fröhlich durch einen Freund zugebracht, worauf Fröhlich demselben antwortete:

.... Auch stimmt alles in bezug auf das Zarathustrabild. Nach seiner [Steiners] Meinung war die Arbeit gescheitert daran, weil in den einzel­nen Partien, namentlich im häßlichsten Menschen, das Modell noch als akademischer Studienkopf triumphierte. Es hatte sich dichtende Malerei mit Naturstudium nicht zu einem Ganzen zusammengefunden. Die Reife fehlte, um so einen Gegenstand künstlerisch zu gestalten. Damals wollte ich illustrieren, ein Irrtum, den ich später einsah. Anstatt vom Standpunkt des Malers die Dinge zu entwickeln, ging ich vom Stand­punkt des Dichters aus. (...) Ich weiß nicht, ob sich schon ein anderer Maler damit beschäftigt hat, wahrscheinlich schlechte Illustratoren oder gar moderne Stilisten. Böcklin hätte wohl was draus machen können oder ihm verwandte Meister.»

Was Rudolf Steiner damals in Weimar als Problem des Häßlichen in der Kunst bewegte, hat er später verstärkt als eine Aufgabe künstlerischer Gestaltung betrachtet. Es gehe im heutigen Zeitpunkt der Menschheits­entwicklung nicht mehr an, nur einseitig das Schöne, so wie es in der

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Griechenzeit berechtigt war, zu kultivieren, denn heute bedeute das Flucht aus der Wirklichkeit, in der man es mit einem Ineinanderspiel, mit einem harten Kampf der Schönheit gegen die Häßlichkeit zu tun habe:

... . Und wollen wir Kunst wirklich fassen, so dürfen wir niemals ver­gessen, daß das letzte Künstlerische in der Welt das Ineinanderspielen, das Im-Kampfe-Zeigen des Schönen mit dem Häßlichen sein muß.» Die anschließenden Worte: «Denn allein dadurch, daß wir hinblicken auf den Gleichgewichtszustand zwischen dem Schönen und dem Häßlichen, stehen wir in der Wirklichkeit drinnen»,14 weisen darauf hin, daß das spirituelle Erkenntnisprinzip, die zusammengehörigen Polaritäten und ihren Ausgleich zu erkennen, für Rudolf Steiner auch in der Kunster­kenntnis maßgebend war.

Hohe Schule des Kunststudiums

Nachdem auf die sieben Weimarer Jahre einige Jahre intensivster Aktivi­täten im Berliner Kulturleben gefolgt waren, begann die Wirksamkeit für die Anthroposophie. Bis dahin hatte Rudolf Steiner an originalen Kunst­werken nur kennengelernt, was sich in Wien, Berlin und einigen anderen Orten Deutschlands befindet. Im Zusammenhang mit den Reisen im Dienste der Anthroposophie traten ihm jedoch die Schätze der Museen «im weitesten europäischen Umkreise» entgegen. «Und so machte ich vom Beginne des Jahrhunderts ab, also in meinem fünften Lebensjahr­zehnt, eine hohe Schule des Kunststudiums, und im Zusammenhang damit, eine Anschauung der geistigen Entwickelung der Menschheit durch. Überall war da Marie von Sivers mir zur Seite . . . Das Stehen vor dem Abendmahl des Lionardo in Mailand, vor den Schöpfungen Raffaels und Michelangelos in Rom und die im Anschlusse an diese Betrachtun­gen mit Marie von Sivers geführten Gespräche müssen, wie ich glaube, gerade dann gegenüber der Schicksalsfügung dankbar empfunden wer­den, wenn sie erst im reiferen Alter zum ersten Male vor die Seele treten.» (M. L., XXXVII. K.)

Auf seinen ersten beiden London-Besuchen in den Sommern 1902 und 1903 begeisterten ihn die Farbschöpfungen von William Turner,15 jenes «herrlichen Malers», der ihm «noch bedeutungsvoller» schien als Böcklin.16 Später äußerte er einmal, daß Turner durch sein intensives Erleben der Licht-Finsternis-Phänomene ganz aus der Farbe heraus zur

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Formgestaltung vorgedrungen sei.17 Besonders tief beeindruckt wurde er damals auch von einem Bild von Antoine Wiertz, das er auf der Rück­reise von London im Sommer 1902 im Wiertz-Museum in Brüssel gese­hen hatte. Als er wieder in Berlin war und in einem kleinen Kreis eine private ästhetische Vorlesung über einige der Gemälde hielt, die er gesehen hatte, habe er über zwei Stunden lang und insbesondere über jenes Bild von Wiertz gesprochen.18

Es muß ihm gerade in dem damaligen Zeitpunkt, da er im Begriff stand, öffentlich für seine Geist-Erkenntnisse zu wirken, einen beson­ders nachhaltigen Eindruck gemacht haben, denn er stellte die Beschrei­bung davon an den Anfang seines wohl unmittelbar darauf geschriebe­nen Vorwortes zu der im Herbst 1902 erschienenen ersten geisteswissen­schaftlichen Schrift «Das Christentum als mystische Tatsache», wohl als eine Art Begründung für diesen Schritt in geistiges Neuland:

«Im Brüsseler Wiertz-Museum ist ein Bild: . Der interessante Künstler (Antoine Wiertz, geb. 1806, gest. 1865) stellt einen Riesen dar, der in seiner Hand winzige Dinge hält und sie seiner Frau und seinem Kinde zeigt: unsere Kanonen, unsere Szepter, unsere Ehrenzeichen und Triumphbogen und die Fahnen unserer Parteien. - Winzig erscheinen diese , gesehen von dem Gesichtspunkte einer zukünftigen Gedankenwelt und einer Zivilisation, die der unsern gegenüber ein gei­stiger Riese ist. - Von der eigentlichen prophetischen Idee dieses Bildes sei hier abgesehen: Dem Beobachter des geistigen Fortschrittes kann aber, wenn er vor dem Bilde steht, eine andere Idee aufsteigen. Könnten nicht etwa auch unsere Gegenwarts-Vorstellungen über Welt und Leben ähnlich winzig vor der Gedankenwelt der Zukunft erscheinen? Und welche welthistorische Sühne würde sich dann vollziehen für den Hoch­mut, mit dem mancher unserer Zeitgenossen auf die Vor­stellungen blickt, die sich unsere Vorfahren über das Wesen der Welt und des Menschen gemacht haben, und die wir doch durch unsere auf die gestützten so sehr . - - -

Man kann wohl zu diesem Gedanken kommen, auch wenn man nicht in einer der herrschenden Kirchenlehren befangen ist, sondern in jeder Beziehung auf dem Boden der gegenwärtigen Naturerkenntnis steht. Oder vielleicht gerade dann, wenn man solchen Standort einnimmt.»

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Mit der Frage, wie man über die Künste reden soll, hat Rudolf Steiner sein ganzes Leben lang gerungen.19 Als einen ersten Meilenstein auf diesem Weg verstand er seinen Vortrag von 1888 über «Goethe als Vater einer neuen Ästhetik», in dem er seine Auffassung begründete, daß die Ästhetik der Zukunft davon ausgehen müsse, daß das Schöne «ein sinnli­ches Wirkliches [ist], das so erscheint, als wäre es Idee». Als einen zweiten Meilenstein wertete er seinen 21 Jahre später gehaltenen Vortrag «Das Wesen der Künste» (Berlin, 28. Oktober 1909), mit dem er ver­suchte, nicht in philosophischer, sondern rein imaginativer Weise über die einzelnen Künste zu sprechen.20 Hier wurde im Vortragswerk zum erstenmal angedeutet, daß dem Farbigen Innerlichkeit und seelische Bewegung eignen müsse, was dann in dem im Sommer darauf (1910) uraufgeführten ersten Mysteriendrama «Die Pforte der Einweihung» einen gewissermaßen formelhaften Ausdruck fand in dem Wort, daß die Form der Farbe Werk sein soll.


Das erste eigene Gemälde

Wenn in den beiden ersten Mysteriendramen die Seelendramatik eines die Einweihung suchenden Menschen gerade an einer Malergestalt dar­gestellt ist, so dürfte dies damit zusammenhängen, daß für Rudolf Stei­ner das Besondere der Malerei darin lag, daß sich in ihr Seherisches und Künstlerisches engstens berühren. Das Seherische gehe genau bis dahin, wo man, wenn man es nach außen fortsetzen wollte, anfange zu malen:

«Wenn man eine konkrete seherische Vorstellung hat, weiß man: da müßte man mit dem Pinsel diese Farbe malen, daneben die andere.»21 Dieser Hintergrund ermöglichte ihm offenbar sein malerisches Können. Es trat erstmals im Sommer 1911 in Erscheinung bei den Vorbereitungen zur Uraufführung des zweiten Mysteriendramas «Die Prüfung der Seele». Dort steht im dritten Bild die Malergestalt Johannes Thomasius vor seiner Staffelei und spricht die Worte:

Ich lernte mit dem Lichte leben

Und in der Farbe des Lichtes Tat erkennen,

Wie echter Mystik wahre Schüler

Im Reich des form- und farbenlosen Lebens

Die Geistestaten und das Seelensein erschauen.

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Vertrauend solchem Geisteslicht,

Erwarb ich mir die Fähigkeit,

Zu fühlen mit dem flutenden Lichtesmeere,

Zu leben mit den strömenden Farbengluten;

Erahnend waltende Geistesmächte

Im stoffentrückten Lichtesweben,

Im geisterfüllten Farbenleben.

Wie Ursprungskräfte sich in Sehnsucht dichten,

Und Schöpfungsmächte geistend sprühen,

Und schon, den Menschen fühlend, seinbedürftig,

Als Götter sich im Zeitbeginn erschaffen,

Dies hat der Freundin Seele oft mit edler Rede

In unsichtbarer Art mich greifen lassen.

Im zarten Ätherrot der Geisteswelt

Versucht ich, Unsichtbares zu verdichten;

Empfindend, wie die Farben Sehnsucht hegen,

Sich geistverklärt in Seelen selbst zu schauen.

Wie überliefert ist, stellte die Darstellerin des Johannes Thomasius bei den Proben an Rudolf Steiner die Frage nach einem diesen Worten entsprechenden Bilde. Rudolf Steiner nahm darauf einen Pinsel und malte, wahrscheinlich mit den für die Kulissenmalerei bereitstehenden Farben, sein erstes Bild, in dem nun malerisch zur Erscheinung kommt, wovon Thomasius spricht. Der Weg zu einer aus dem Wesen der Farben geschöpften Malweise war damit beschritten.

Doch blieb dieses Bild, heute reproduziert unter der Bezeichnung «Lichtesweben», damals nur im Blickfeld der engstens Beteiligten. Dies wurde anders, als vom Herbst 1913 an auf dem Dornacher Hügel mit dem Bau des ersten Goetheanum begonnen wurde.

Die Kuppelmalereien des ersten Goetheanum

Das Zentralmotiv: «Der Menschheitsrepräsentant

zwischen Luzifer und Ahriman»

Architektur, Plastik und Malerei des ersten Goetheanum sollten nun Ausdruck einer geistgemäßen Kunstanschauung werden. Die beiden Kuppeln wollte Rudolf Steiner mit mächtigen Imaginationen ausgemalt

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haben. Die große Kuppel mit zwölf Motiven: im Westen und im Osten je ein dreifaches, im Norden und im Süden je eines, die übrigen dazwi­schen, zur Kuppelmitte hin orientiert. In der kleinen Kuppel sollte das Zentralmotiv im Osten «Der Menschheitsrepräsentant zwischen Luzifer und Ahriman» die sechs Motive der südlichen und der nördlichen Kup­pelhälfte spiegelbildlich trennen.

Während die Skizzen für die Motive der Großen Kuppel bis Oktober 1914 entstanden und an die Maler gegeben worden waren, lag für die kleine Kuppel noch keine einzige Skizze vor. Die Malerin Margarita Woloschin berichtet, daß sie seit ihrer Ankunft in Dornach im April 1914 wußte, daß sie in der kleinen Kuppel malen soll, aber bis in den November hinein auf ihr Motiv warten mußte. Sie habe Rudolf Steiner öfters gefragt, wann sie mit dem Malen beginnen könne, aber er habe ihr jedesmal geantwortet, sie musse sich noch gedulden: «Ich muß auch warten, bis ich es habe.»22 Erst als das Zentralmotiv konzipiert war, entstanden auch die anderen sechs Motivskizzen für die kleine Kuppel in rascher Folge.

Für das von allen Mitarbeitern als Krönung des Baues empfundene Zentralmotiv gab Rudolf Steiner folgende Begründung. Die Geisteswis­senschaft müsse auf die größte spirituelle Anforderung unserer Zeit hinweisen: die Erkenntnis von dem Walten der dreifachen Wesensgestal­tung Christus-Luzifer-Ahriman in der Welt und im Menschen. Es ge­nüge in unserer Zeit nicht mehr, den Blick allein auf Christus zu richten, sondern darauf, wie Christus als der Repräsentant des höchsten Mensch-liehen in der Erdenentwicklung das Gleichgewicht wahrt zwischen den beiden retardierenden Mächten: dem luziferischen als dem einseitig nach dem Freiwerden von dem Materiellen strebenden Prinzip und dem ahri-­manischen als dem einseitig nur nach dem Materiellen strebenden Prin­zip. - Die mittlere Gestalt wurde darum von ihm sowohl «Menschheits­repräsentant» als auch «Christus» genannt, insofern Christus, als Reprä­sentant «des Menschen», des «kosmischen Menschen», im zeitlich-ge­schichtlichen Leben ausgedrückt war in der irdischen Persönlichkeit des Jesus von Nazareth. Und Rudolf Steiner fügte hinzu: «Es ist von mir versucht worden, diese drei Gestalten möglichst porträtgetreu so zu gestalten, daß man wirklich einen Eindruck bekommen wird von der Form, die Ahriman annimmt, wenn er in einem solchen Zusammenhang dem Menschen erscheint, und auch von der Physiognomie des Luzifer, die er annimmt, wenn er dem Menschen erscheint.»23

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Wäre das erste Goetheanum nicht durch das Feuer der Silvesternacht 1922/23 vernichtet worden, so hätte man im Innern diese Komposition in drei verschiedenen Kun starten gearbeitet schauen können: als Schnitzwerk in der 9 1/2 Meter hohen Holzskulptur, die im Osten der kleinen Kuppel hätte zu stehen kommen sollen; als Farbgestaltung in dem sich darüber wölbenden Mittelmotiv der kleinen Kuppel; als Glas-gravur in dem pfirsichblütfarbenen Nordfenster. Jede Ausführung mit einem anderen Aspekt: in der Holzskulptur ertragen Luzifer und Ahri-man die von der Mittelfigur ausströmende Liebekraft nicht: Luzifer stürzt sich in den Abgrund und Ahriman fesselt sich selbst. In der malerischen Darstellung steigt Luzifer als ein Erlöster auf; im Fenster-motiv wird auch Ahriman von dem sich ihm mitleidvoll neigenden Christus von seinen Fesseln befreit.

Diese Komposition für die drei Darstellungsarten wurde, wie der Maler Arild Rosenkrantz berichtet,24 an ein- und demselben Tag konzi­piert. Es war im Spätherbst 1914. Bis dahin, und man arbeitete immerhin schon ein ganzes Jahr, war noch keine Rede von einer Zentralkomposi­tion gewesen. Es ist besonders charakteristisch für Rudolf Steiners Schaffensweise, daß erst eine bestimmte Frage eines bestimmten Men­schen ihm die äußere Veranlassung gegeben hat. Durch den kriegsbe-dingten Mitarbeitermangel war im Spätherbst 1914 der in England le­bende dänische Maler Arild Rosenkrantz nach Dornach gekommen. Wie alle neu Hinzukommenden schnitzte auch er zuerst an den Formen des Baues mit. Aber schon nach wenigen Tagen wurde er durch Rudolf Steiner, der fand, daß diese Arbeit für seine Malerhände nicht gut sei, den Arbeiten an den Glasfenstern zugewiesen. In diesen Tagen zeigte er Rudolf Steiner eine Skizze: den gekreuzigten Christus von Engeln um­geben, die er für eine Kirche in London malen wollte. Rudolf Steiner habe die Darstellung zu traditionell gefunden und ihm erklärt, wie er sie machen solle. Als er ihm die daraufhin gemachte zweite Skizze zeigte, habe er gesagt: «Das müssen Sie in der kleinen Kuppel malen. Ich korrigiere Ihre Skizze; Sie können sie morgen bei mir abholen.» Am anderen Tag habe ihm Rudolf Steiner von der neuen Christus-Darstel­lung, die für die Menschheit der Zukunft notwendig sei, gesprochen, sich von seinem Stuhl erhoben, den linken Arm über den Kopf gestreckt und den rechten hinunter und dabei gesagt: «Sie müssen die Mittelfigur des Christus ganz aus der gelben Farbe entstehend denken; über seinem Kopf in Nuancen von Rot und Purpur Luzifer, der Befreiung vom

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Gebundensein an die Erde sucht, darunter in Orangen Tönen, Ahriman gebunden. - Diese imaginative Beschreibung wurde sofort in eine Skizze verwandelt . . . er schien in einem einzigen Augenblick eine Komposition zu konzipieren, die eine ganze Weltanschauung enthielt. »

So entstand die Pastellskizze für das Mittelmotiv der kleinen Kuppel. Am gleichen Tag erhielt auch Edith Maryon die erste Skizze für die Holzskulptur, die dann von Rudolf Steiner und ihr gemeinsam gearbei­tet wurde.25 Und es entstand gleichentags die Skizze für das pfirsichblüt­farbene Nordfenster. Das genaue Datum der Entstehung der Zentral-komposition ist zwar nicht bekannt, doch kann dafür nur die zweite Novemberhälfte in Frage kommen.*

Nun konnten die Maler - in jeder Kuppel malten sechs - an die Ausführung ihrer Motive gehen. Sie waren vor eine besonders schwere Aufgabe gestellt. Allein schon technisch hatten sie große Anforderungen zu bewältigen, da der Flächeninhalt der beiden Kuppeln rund 650 m2 betrug. Jedes Motiv hatte eine Größe von sechs bis acht Metern. Wohl kaum einer hatte schon in solchen Dimensionen, noch dazu mit flüssiger Aquarellfarbe, gearbeitet. Aber nicht nur an das technische, sondern auch an das künstlerische Verständnis und den künstlerischen Wand­lungswillen wurden hohe Anforderungen gestellt. Waren doch alle ihrer Zeit gemäß im Naturalismus geschult und sollten sich nun in eine Kunst des Imaginativen und eine dafür notwendige Malweise hineinfinden. Rudolf Steiner sprach zwar in seinen Vorträgen viel über das innere Wesen, die moralischen Qualitäten der Farben, aber er respektierte streng die künstlerische Freiheit der einzelnen. «Uns Malern verursachte die Behandlung der Farben große Schwierigkeiten; keiner verstand recht, was Dr. Steiner verlangte», berichtet Arild Rosenkrantz.


* Margarita Woloschin hat in ihrem Tagebuch a. a. O. festgehalten, daß ihr der Entwurf für das erste von ihr auszuführende Motiv im November von Rudolf Steiner übergeben wurde und einige Tage später auch die anderen Motivskizzen für die Kleine Kuppel vergeben wurden. Außerdem hielt Rudolf Steiner vom 20.-22. November drei Vorträge über dasjenige, was das Wesen der neuen Trinitätadarstellung ausmacht: die Welt als Ergebnis von Gleichgewichtswirkungen zwischen luziferischer und ahrimanischer Wirksamkeit. (Siehe GA 158 «Der Zusammenhang des Menschen mit der elemantari-sehen Welt».) Das Thema wurde ganz offensichtlich im Zusammenhang mit der damals entstamdenen Zentralkomposition behandelt.

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Das neue Christusbild

Die konventionellen Bilder des Christus sind ja eigentlich erst Schöpfungen des 5., 6.Jahrhunderts und sind wahrhaftig nicht . . . porträtgetreu. Das ist versucht worden: einen porträtgetreuen Chri­stus zu schaffen, der der Repräsentant sein soll des nach Gleichgewicht strebenden Menschen.26


In einem als Mensch zu verstehenden Bau - lautet doch das Wort für das dem pfirsichblütfarbenen Nordfenster gegenüberliegende Südfenster «Und der Bau wird Mensch» - alles gipfeln zu lassen in der künstleri­schen Gestaltung des Repräsentanten des höchsten Menschlichen, in dem alles Luziferische und Ahrimanische ausgelöscht ist, kann für Ru­dolf Steiner nicht nur eine künstlerische Aufgabe bedeutet haben, son­dern es muß dies auch in seinen geschichtlichen Erkenntnissen begrün­det gewesen sein. Denn in demjenigen Vortrag, in dem er zum erstenmal offiziell davon sprach, daß für den Bau ein Christus-Bildwerk geschaffen werde, stellte er dar, wie von unserer Zeit an das vorchristliche Myste­rienbewußtsein, das in einem höheren Naturschauen, einem Hellsichtig-werden innerhalb der Natur, in dem «Schauen der Sonne um Mitter­nacht» bestanden habe, sich für den Christen der Gegenwart durch die bewundernde Ehrfurcht gegenüber dem Ostermysterium zu einem «Hellsichtigwerden innerhalb des geschichtlichen Lebens der Erden-menschheit» steigern könne.27

Durch solches geschichtliches Hellsichtigsein hatte Rudolf Steiner als größtes geistiges Ereignis des 20.Jahrhunderts erkennen können, daß Christus von nun an wieder auf Erden wandeln wird, aber nicht in physischer, sondern in ätherischer Gestalt und daß er so von den natur­gemäß wieder mehr und mehr hellsichtig werdenden Menschen wird geschaut werden können.

Unermüdlich hat er darauf immer wieder hingewiesen und sogar den Zeitpunkt angegeben, von dem an sich dieses Ereignis in deutlich wahr­nehmbarer Weise vorbereitet habe: «Der Okkultist kann geradezu dar­auf hindeuten, wie seit dem Jahre 1909 ungefähr, in deutlich wahrnehm­barer Weise sich vorbereitet dasjenige, was da kommen soll; daß wir seit dem Jahre 1909 innerlich in einer ganz besonderen Zeit leben. »28

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Von diesem Jahre 1909 an datiert auch Rudolf Steiners Bemühen, das Verhältnis der drei Weltprinzipien Christus, Luzifer, Ahriman und ihre Wirksamkeiten im Menschen von immer neuen Aspekten klarzulegen, und er deutete in diesem Jahre erstmals auf eine zukünftige neue Trini­tätsdarstellung hin.29 Es war anläßlich der Einweihung des neuen Zweig-raumes in Berlin, der nach seinen Angaben gestaltet worden war. In die Gestaltung waren Raffaels «Schule von Athen» und «Disputa» als zwei der bedeutendsten Bilder der Welt einbezogen worden, weil sie zugleich prophetisch auf ein «drittes» Bild hinweisen, das als ein «großes Ideal» vor der Seele eines jeden Theosophen stehen könne. *

Als eine in moderner Zeit entstandene Prophetie einer zukünftigen Christus-Darstellung wertete er das letzte Gemälde des 1901 verstorbe­nen griechischen Malers Nikolaus Gysis. Er ließ es sogar reproduzieren, um es bekannt zu machen. Auch hielt er darüber eine kleine Anspra­che. * Dieses in seiner Art einmalige Vorgehen fiel in die Zeit der Uraufführung des ersten Mysteriendramas «Die Pforte der Einweihung» im Sommer 1910, vielleicht deshalb, weil in diesem Drama das den Menschen in Zukunft bevorstehende Schauen des im Ätherischen wiedererscheinenden Christus verkündigt wurde.

Auf die ihm selbst vorschwebende zukünftige Christus-Darstellung kam er erstmals im Mai 1912 zu sprechen, einige Tage vor der vorgesehe­nen Grundsteinlegung für den «Bau», der zu der Zeit noch in München erstellt werden sollte. Ob ihm damals schon vor Augen stand, ein «wirkliches» Christusbild im Zusammenhang mit dem Bau zu schaffen? Jedenfalls schilderte er in zwei Vorträgen in der ersten Maihälhe 1912, wie ein solches Bild der Christusgestalt, «wie sie wirklich ist», zu gestal­ten sein würde. Im Vortrag Köln, 8. Mai 1912 (in GA 143) führte er dazu erstmals Folgendes aus:

«Warum können wir jetzt gerade diese Dinge sagen? Weil einmal ein großes Problem gelöst werden wird für die Menschen, nämlich die

* Jahre später, ala dieaea dritte Bild im Entatehen war, wiea er auf einen gewissen Unter-schied zu Raffaels »Schule von Athen» hin. Raffael - entaprechend der Zeit der Renaia­aance - hätte die Geste hinauf zum himmliachen Reich und die Geste hinunter zur materiellen Welt noch auf zwei Gestalten verteilen müssen; heute müsse dies als eine höhere Synthese in ein- und derselben Gestalt dargestellt werden. Darum zeige der Menachheitarepräsentant sowohl die eine wie die andere Geste. Allerdings brauche man dann dazu das Luziferische und Ahrimanische, einander kontrastierend. (Vortrag Dorn­ach, 16. September 1916 in GA 171.)

** Ansprache Seite 283, Abbildung siehe Beilage.

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Christus-Gestalt auf den verschiedensten Gebieten des Lebens darzu­stellen, wie sie wirklich ist. Dann erst wird man sie schauen, wie sie ist, wenn man mancherlei von dem berücksichtigt, was Geistesforschung zu sagen hat. Wenn man nach langem Vertiefen in die geisteswissenschaftli­che Christus-Idee einmal versuchen wird, den Christus darzustellen, da wird man eine Gestalt bekommen, an der man erkennt, daß in seinem Antlitz etwas enthalten ist, woran sich alle Kunst abmühen kann, aber auch abmühen muß und wird: in seinem Antlitz wird dann etwas enthal­ten sein von dem Sieg der Kräfte, die nur im Antlitz sind, über alle anderen Kräfte der menschlichen Gestalt. Wenn die Menschen werden bilden können ein Auge, das lebt und nur Mitleid strahlt, einen Mund, der nicht geeignet ist, zu essen, sondern nur zum Sprechen jener Wahr­heitsworte, die das auf des Menschen Zunge liegende Gewissen sind, und wenn eine Stirn gebildet werden kann, die nicht schön und hoch, son­dern die in der deutlichen Ausgestaltung dessen schön ist, was sich nach vorn spannt zu dem, was wir die Lotusblume zwischen den Augen nennen - wenn einmal dies alles gebildet werden kann, dann wird gefunden werden, warum der Prophet sagt: «Er ist ohne Gestalt und Schöne.» Dies heißt nicht Schönheit, sondern es ist das, was siegen wird über die Verwesung: die Gestalt des Christus, wo alles Mitleid, alles Liebe, alles Gewissenspflicht ist.»

Den Wortlaut für den Kölner Vortrag hat Rudolf Steiner sich sogar handschriftlich aufgezeichnet (verkleinerte Wiedergabe nächste Seite).

Wenn man, nach langem Vertiefen in die theoaophische / Christusidee einmal versuchen wird, den Christus darzustellen, I da wird man eine Gestaltung bekommen so, daß in seinem / Antlitz etwas enthalten ist, woran sich alle Kunst abmühen kann, / aber auch abmühen muß und wird, in seinem Antlitz wird /

dann etwas enthalten sein von dem Siege der Kräfte, die nur im / Antlitz sind, über alle andern Kräfte der menschlichen Gestalt. Wenn / die Menschen werden bilden können ein Auge, das lebt, das nur / Mitleid strahlt und doch Kraft, um jeden Widerstand zu besiegen, / einen Mund, der nicht nur geeignet ist zu essen, sondern der in / seiner Form von der Wahrheit spricht, der die innere Kraft der / Wahrheitgeberde hat, die die auf der Zunge liegende Weisheit offenbart, / und wenn eine Stirn wird gebildet werden können, die nicht / eine sogenannte »schöne hohe» Stirn ist, sondern die in der / deutlichen Ausgestaltung dessen schön ist, was sich nach vorn spannt / zu dem, was wir die Lotusblume zwischen den Augen nennen - wenn einmal dies alles wird gebildet sein, dann wird Christi

Antlitz gebildet sein, wie der Prophet sagt: «von Gestalt und Schöne».

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# Bild s. 254

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Wenige Tage später, in dem Berliner Vortrag vom 14. Mai 1912 (in GA 143) gab Rudolf Steiner die folgende Schilderung einer künftigen

Christus-Darstellung:

.... auch die äußere bildhafte Darstellung des Christus, wie er äußerlich bildhaft vorgestellt werden soll, ist eine Frage, die erst noch gelöst werden soll. Es werden viele Gefühle durch die Menschenseelen auf der Erde gehen müssen, wenn zu den vielen Versuchen, die im Laufe der Epochen gemacht worden sind, derjenige kommen soll, der einigerma­ßen zeigen wird, was der Christus ist als der übersinnliche Impuls, der sich in die Erdenentwickelung hineinlebt. Zu einer solchen Christus-Darstellung sind in den bisherigen Versuchen nicht einmal die Ansätze vorhanden. Denn es müßte das hervortreten, was die werdende Äußer­lichkeit darstellt des Herum-sich-Gliederns der Impulse des Erstaunens, des Mitgefühles und des Gewissens. Was sich darin ausdrückt, muß sich so ausdrücken, daß das Christus-Antlitz so lebendig wird, daß dasjenige, was den Menschen zum Erdenmenschen macht, das Sinnlich-Begierden-hafte, überwunden wird durch das, was das Antlitz vergeistigt, verspiri­tualisiert. Es muß höchste Kraft in dem Antlitz sein dadurch, daß alles, was als höchste Entfaltung des Gewissens zu denken ist, sich in dem eigentümlich geformten Kinn und Mund zeigt, wenn er vor einem steht, wenn ihn der Maler oder der Bildhauer formen wird, ein Mund, an dem man fühlen kann, daß er nicht zum Essen da ist, sondern dazu, um auszusprechen, was als Sittlichkeit und Gewissen in der Menschheit jemals gepflegt worden ist, und daß dazu das ganze Knochensystem, sein Zahnsystem und Unterkiefer als Mund geformt ist. Das wird zum Aus­druck kommen in einem solchen Antlitz. Mit dieser Unterform des Gesichtes wird eine solche Kraft verbunden sein, die ausstrahlt, zerstük­kelt und zerpflückt den ganzen übrigen menschlichen Leib, daß dieser zu einer anderen Gestalt wird, wodurch andere gewisse Kräfte überwun­den werden, so daß es unmöglich sein wird, dem Christus, der einen solchen Mund zeigen wird, irgendwie eine Leibesform zu geben, wie sie der heutige physische Mensch hat. Dagegen wird man ihm Augen geben, aus denen alle Gewalt des Mitgefühls sprechen wird, mit der nur Augen Wesen ansehen können - nicht um Eindrücke zu empfangen, sondern um mit der ganzen Seele in ihre Freuden und Leiden überzugehen. Und eine Stirn wird er haben, wo man nicht vermuten kann, daß die Sinnes­eindrücke der Erde gedacht werden, sondern eine Stirn, die etwas vorn

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über den Augen vorstehen wird, sich wölben wird über jenem Gehirn-teil: aber nicht eine «Denkerstirn», die wieder verarbeitet, was da ist, sondern es wird sich Verwunderung aussprechen aus der Stirn, die über die Augen hervortritt und sanft sich wölbt nach rückwärts über den Kopf, dadurch ausdrückend, was man Verwunderung über die Myste­rien der Welt nennen kann. Das wird ein Kopf sein müssen, den der Mensch nicht in der physischen Menschheit antreffen kann.

Jenes Nachbild des Christus müßte eigentlich etwas sein wie das Ideal der Christus-Gestalt. Und das ist das Gefühl, das diesem Ideal zustrebt, wenn man es in der Entwickelung anstreben wird: immer mehr und mehr muß für die Menschheitsentwickelung, insofern sich die Mensch­heit künstlerisch betätigen wird in der Darstellung des höchsten Ideals durch die spirituelle Wissenschaft, das Gefühl entstehen: Du darfst nicht hinschauen auf etwas, was da ist, wenn du den Christus bilden willst, sondern du mußt in dir kraften und wirken lassen und dich innerlich durchdringen mit alledem, was eine geistige Versenkung in den geistigen Werdegang der Welt durch die drei wichtigen Impulse: Erstaunen, Mit­gefühl und Gewissen hindurch, dir geben kann.»

In den im Spätherbst 1914 entstandenen Skizzen für die dreifache Ausführung der Zentralkomposition war das Christus-Antlitz noch nicht ausgestaltet. Das geschah erst durch die von Rudolf Steiners Hand in der Vorosterzeit modellierte Christusbüste (60cm hoch).

Kurz vorher spielte sich ein in diesem Zusammenhang noch Bemer­kenswertes ab. Bis Ende März 1915 war Rudolf Steiner wochenlang zu Vorträgen in Deutschland gewesen, u. a. auch in Nürnberg. Der damals dort lebende Pfarrer Friedrich Rittelmeyer konnte bei dieser Gelegenheit mit ihm sprechen und stellte ihm merkwürdigerweise gerade zu diesem Zeitpunkt die Frage, wie Christus ausgesehen habe. Rittelmeyer hat dieses bedeutsame Gespräch in seinem Erinnerungsbuch «Meine Le­bensbegegnung mit Rudolf Steiner» so überliefert:

Ich fragte Rudolf Steiner: «Ist es eigentlich möglich, durch bloße Medi­tation der Christusworte dahin zu kommen, daß man etwas darüber sagen kann, wie Christus ausgesehen hat?» «Wie glauben Sie denn, daß er ausgesehen hat?» war die ruhige Gegenfrage. Als ich nun anfing, einiges zu sagen, nahm Rudolf Steiner meine Schilderung auf und führte sie, ich kann nur sagen: zur Klarheit. Es war dasselbe Bild, das er hernach in seinen Vorträgen gab: Eine Stirn, die nicht einer modernen

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Denkerstirn glich, auf der aber die Verwunderung über die tiefen Ge­heimnisse des Daseins geschrieben stand; ein Auge, das nicht beobach­tend auf die Menschen blickte, sondern in Glut der Hingebung gleich­sam in sie eintauchte; ein Mund: «Als ich ihn zum erstenmal sah, hatte ich den Eindruck, dieser Mund sieht aus, als ob er nie gegessen, sondern von Ewigkeit her göttliche Wahrheiten verkündigt habe.» Erstaunt fragte ich: «Ja, wenn Sie wissen, wie Christus ausgesehen hat, müßte man dann nicht dies Christusbild der Menschheit irgendwie zugänglich machen?» «Jawohl», erwiderte Dr. Steiner, «darum habe ich auch einer Künstlerin in Dornach Auftrag gegeben, ein Christusbild nach meinen Angaben herzustellen.»

Dann habe er noch davon gesprochen, «welchen Entschluß es ihn gekostet habe, sich zu gestehen, daß selbst der Christus Michelangelo's luziferische Züge trage, daß ein neues Christusbild gewagt werden müsse, das der Wirklichkeit, wie sie sich geistig darstellt, besser ent­spricht» .

Als Rudolf Steiner von seiner Vortragsreise wieder nach Dornach zurückgekehrt war - es war zwei Wochen nach dem Gespräch mit Rittelmeyer in Nürnberg - ging er daran, selbst den Christuskopf zu modellieren. Dieses Modell dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Vorosterwoche entstanden sein. Diese Annahme liegt nahe, weil er am Karsamstag, der 1915 auf den 3. April fiel, der nach seinen okkulten Forschungen der Todestag Christi ist, erstmals offiziell vor dem Dorna­cher Mitgliederkreis darüber sprach, daß, wenn der Bau einstmals fertig werden sollte, an einer bestimmten Stelle in Holz geschnitzt zu stehen kommen soll der Sieg der Christus-Wesenheit über Luzifer und Ahri-man, darstellend, was sich bei dem Durchgang der Christus-Wesenheit durch das Mysterium von Golgatha in bezug auf das Erdenverhältnis zwischen Christus, Luzifer und Ahriman abgespielt hat. Auf die darauf­folgende Beschreibung der geisteswissenschaftlichen Christus-Auffas­sung gegenüber derjenigen, wie sie in Michelangelo's großer Schöpfung «Das jüngste Gericht» in der Sixtinischen Kapelle in Rom zum Aus­druck kommt, wird nun die Zentralkomposition in den folgenden Wor­ten gemalt:30

«Denken Sie sich, ein Maler, mit der ganzen malerischen Kunst der Gegenwart ausgerüstet, würde das Symbolum des Mysteriums von Gol­gatha auf sich wirken lassen und malerisch die Frage beantworten wollen:

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Was erscheint mir, wenn ich von dem Symbolum des im Grabe liegenden Christus Jesus ausgehe und mit dem, was ich dadurch gewon­nen habe, den Blick ins Innere vertiefe? Was erscheint mir? Der Christus erscheint mir in seiner Jupiterherrlichkeit, in seiner zukünftigen Herr­lichkeit, Ahriman durch die Bande des Lichtes im Unterirdischen fes­selnd, so daß er den Menschen nicht erreichen kann, und überwindend den Luzifer, daß er auf seine Pfade nicht führen kann die menschliche Seele. »

Dieses Imaginationserlebnis des hypothetisch angenommenen Malers dürfte sein ganz persönliches Erlebnis gewesen sein, wie es sich in seiner Autobiographie mit den Worten angedeutet findet: «Auf das Gestanden-haben vor dem Mysterium von Golgatha in innerster ernstester Erkennt­nis-Feier kam es bei meiner Seelenentwickelung an.»

Was seit dem Mysterium von Golgatha als Christus-Impuls in der Erdenmenschheit wirkt, war von Rudolf Steiner als so tief mit dem weltgeschichtlichen Geschehen verbunden erkannt worden, daß er sogar die Auffassung vertrat, daß eine Weltgeschichte seit dem Mysterium von Golgatha auch geschrieben werden könnte, indem man einzig und allein die Wandlungen der Christus-Abbildungen beschreiben würde; denn alles, was sich in Wirklichkeit zugetragen habe, würde sich darin aus-drücken.31


Rudolf Steiner malt selber in der kleinen Kuppel

Da das Modell für die Holzskulptur in Originalgröße von 91/2 m, von Rudolf Steiner selber in Zusammenarbeit mit der englischen Bildhauerin Edith Maryon erst entstand, nachdem die malerische Ausführung durch Arild Rosenkrantz bereits vollendet worden war, zeigte sich eine gewisse Diskrepanz zwischen der malerischen und der plastischen Ausführung, insbesondere des Christus-Antlitzes, das in der Pastellskizze, die Rosen­krantz erhalten hatte, ja noch nicht ausgestaltet war. Das veranlaßte die Maler der kleinen Kuppel Rudolf Steiner zu bitten, doch selbst die gemalte Ausführung der plastischen anzugleichen. Nachdem Arild Ro­senkrantz, der Dornach bereits verlassen hatte, von den Malern um seine Zustimmung gebeten worden war, was Rudolf Steiner zur Bedingung gemacht hatte, begann er, ausgehend vom Antlitz des Menschheitsrepräsentanten,

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zu malen. Nun staunten die Maler, wie er, der eigentlich noch nie und schon gar nicht in solchen Dimensionen gemalt hatte, mit den fließenden Farben, die ihnen solche Schwierigkeiten bereiteten, fertig wurde und seine Technik von Mal zu Mal vervollkommnete. Von seiner Arbeitsweise wird berichtet, daß er auf der hohen Treppenleiter, die von den bereits 30 m hohen Gerüsttreppen - die jedesmal hinauf- und hinun­tergeklettert werden mußten, und er war schon nahezu 60 jährig - noch zur Kuppelwand hinaufführte, manchmal nur für eine Viertelstunde zu stehen pflegte, um zu malen, zumeist in seinen Pelzmantel gehüllt. Es war in der kalten Jahreszeit, in der die Temperatur im Kuppelraum nur mittels dreier elektrischer Öfen über dem Gefrierpunkt gehalten werden konnte. Die Stellung in der gewölbten Kuppelwand war recht unbequem für den pinselführenden Arm, die flüssigen Farben liefen ihm oft am Ärmel herunter. Eine der Malerinnen, Louise Clason,32 berichtet: «Es war immer ein großes Erlebnis zuzusehen, wenn er malte. Es war so ganz anders, als man es bei anderen Malern gewohnt war. Manchmal kam er nur für eine viertel oder eine halbe Stunde herauf: schnurstracks ging er zu der Fläche, an der er den Tag zuvor gemalt hatte, ergriff den Pinsel, tauchte ihn ein in die flüssige Farbe und setzte große Farbenkur­ven über die ganze gemalte Fläche hin. Den folgenden Tag kam er wieder und setzte eine neue Farbenschicht in Kurven quer über die früheren hinüber, und so immer wieder, Schicht auf Schicht, bis das ganze Far­benmeer in Bewegung kam, die Malfläche vor dem Blick wich und ein dreidimensionaler Raum vor uns erstand, erfüllt von gewaltigen, leben­digen Farbenfluten mit Höhen und Tiefen, in die sie verschwanden, um an anderen Stellen wieder aufzutauchen. Und inmitten dieser Farbenflu­ten schwebten Gestalten, wie physische Augen sie noch nie geschaut, blickten Augen uns an und sprachen von Geheimnissen, die darauf warteten, verstehenden Menschen geoffenbart zu werden. »

In dieser Zeit äußerte er einmal, daß man es «indem wir den geistigen Inhalt der Welt gemalt haben», mit Gestalten zu tun habe, die man sich nicht von einer Lichtquelle aus beleuchtet denken muß, sondern daß es sich um «selbstleuchtende» Gestalten handle, so wie man es zum Beispiel auch bei der Aura eines Menschen mit einem selbstleuchtenden Objekt zu tun habe. Das verlange eben eine ganz andere Art der malerischen Auffassung.33

Kurze Zeit vor dieser Äußerung hatte er in München Vorträge gehal­ten, die er als dritten Meilenstein auf seinem Wege, wie man über die

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Künste reden soll, bewertete. Er war dazu von dem Schriftsteller und Dichter Alexander von Bernus eingeladen worden, der damals in Mün­chen das Kunsthaus «Das Reich» eingerichtet hatte, durch das eine «Academia libera» als Stätte für lebendigen Goetheanismus geschaffen werden sollte. So kam es, daß Rudolf Steiner dort vor öffentlichem Publikum - Bernus hatte vor allem viele Münchner Künstler eingeladen

- «die inneren Impulse unserer hier [in Dornach] betätigten Kunstan­schauung» vortragen konnte. Die Themen lauteten: «Das Sinnlich-Übersinnliche in seiner Verwirklichung durch die Kunst» und «Die Quelle der künstlerischen Phantasie und die Quelle der übersinnlichen Erkenntnis.» Die beiden Vorträge wurden so gut besucht, daß jeder zweimal gehalten werden mußte und wie Bernus versicherte, jeder sogar viermal hätte gehalten werden können. Während des letzten Vortrages am 6. Mai 1918 entstand von der Hand des Münchner Malers Friedrich August von Kaulbach die wiedergegebene Porträtzeichnung.

In bezug auf die Malerei führte Rudolf Steiner in diesen Vorträgen vieles Konkrete über die Behandlung von Farbe und Figuralem aus und prägte auch zum erstenmal gewissermaßen als Quintessenz seiner Kunstanschauung das Wort: «Weder das Sinnliche noch das Übersinnli­che, sondern allein das Sinnlich-Übersinnliche kann sich durch die Kunst verwirklichen. »

Einige Wochen nach diesen Münchner Vorträgen sprach er auch noch in Wien im Atelier der Malerin Maria Strakosch-Giesler vor ungefähr 60 geladenen Gästen.34


Warum Rudolf Steiner nicht auch in der großen Kuppel malte

Seit dem Herbst 1917 malte Rudolf Steiner, wann immer er dafür Zeit erübrigen konnte, in der kleinen Kuppel. Am 3. November 1918 berich­tete Hermann Linde, Maler und zweiter Vorsitzender des Bauvereins, in dessen Jahresversammlung über den Fortgang der künstlerischen Arbei­ten im vergangenen Arbeitsjahr und bemerkte:

«In der kleinen Kuppel ersteht uns ein Kunstwerk von einzigartiger Bedeutung, indem Herr Dr. Steiner auch dort selbst Hand anlegt und

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aus der Tiefe des zukünftigen Wissens und Schauens das Übersinnliche in Form und Farbe wandelt . . . und ich möchte hier einer Hoffnung Ausdruck geben, die vielleicht manche mit mir hegen, daß es Herrn Dr. Steiner auch noch möglich sein würde, hier [in der großen Kuppelj helfend mit einzugreifen, damit die beiden Kuppeln ein künstlerisches Ganzes werden.»

Rudolf Steiner reagierte darauf keineswegs unbedingt ablehnend, wie aus seiner folgenden Antwort hervorgeht:

«Meine lieben Freunde! Was unser sehr lieber Herr Linde mit Bezug auf meinen Anteil an der kleinen Kuppel gesagt hat, das schätze ich selbst nicht so ganz besonders hoch und stehe auch da sehr auf dem Boden, daß es recht sehr ein Anfang - ein Anfang, der ein bißchen eine malerische Schmierage, aber ein Anfang vielleicht doch darinnen ist, daß man sehen kann gerade, was eigentlich gewollt wird, vielleicht besser an dem als man es sonst hätte sehen können. Und ich darf Ihnen vielleicht das Geständnis ablegen, daß ich dasjenige ja vielleicht erreichen würde, was ich will, wenn ich nicht heute 58 Jahre alt wäre, sondern wenn ich noch 35 Jahre lernen könnte, um dann ungefähr dasjenige auszuführen, was ich gerne ausführen möchte, und wovon ich gern möchte, daß es in der kleinen Kuppel ist. Das wird Ihnen auch begreiflich machen, daß ich selber nicht so ungeheuer stark lechze, auch nun in der großen Kuppel etwas zu tun. Ich werde natürlich gegenüber jedem einzelnen Teil des Baues dasjenige tun, was im gegebenen Fall wünschenswert ist, was ich für meine Pflicht erachten darf, und will durchaus überall da Hand anlegen, wo es nur irgendwie möglich ist. Aber ich möchte auch da, daß jeder weiß, wie ich selber denke über die Dinge, die ich auf der einen Seite recht bescheiden betrachte, aber auf der anderen Seite ein bißchen stark unbescheiden, weil ich allerdings glaube, daß dasjenige, was nach langer Zeit in selbständiger Arbeit von den Menschen - nach langer Zeit, wenn wir selber nicht mehr dabei sein können - geleistet werden könnte, in einer in der Zukunft fruchtbaren Weise, daß das allerdings intendiert, inauguriert, initiiert werden soll durch diesen Bau. So daß man von dem, was hier gewollt wird, doch sehr viel haben könnte, wenn man's gerade nach dieser Richtung hin auffaßte.

Ob es freilich äußere Möglichkeiten gibt, auch in der großen Kuppel einzugreifen, das hängt ja jetzt von Mächten ab, meine lieben Freunde, die ich natürlich nicht gerade geneigt bin, die weisen Weltenmächte zu

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nennen, aber die einem gegenwärtig sozusagen aufnötigen, von Tag zu Tag zu leben, in deren Treiben - na, ich nenn's eben nicht die weisen Weltenmächte - man nicht so unmittelbar eingreifen kann. * Ich werde selbstverständlich alles tun, um so viel als möglich bei diesem unserrn Bau zu sein, aber man kann ja nicht einmal wissen, ob man in den nächsten Wochen nicht verhindert sein könnte durch die jetzigen Ereig­nisse, wiederum eine Zeitlang abwesend sein zu müssen. Nun, auf ir­gendeine Art wird es ja vielleicht sich machen lassen, daß die Morgenröte einer neueren Zeit auch hier eine größere Freiheit bringt. Aber vorläufig kann man ja in dieser Beziehung schon aus diesem äußeren Grunde nichts gerade besonders Bestimmtes sagen. Ich kann nur sagen, daß ich alles dasjenige tun werde, was nötig ist, um diesen Bau so zu machen, wie er werden soll und wie er nach dem, was angefangen ist, werden kann. »

Einen Tag nach diesen Ausführungen vom 3. November 1918 schrieb ihm die Malerin Hilde Pollak, die mit ihrem Mann zusammen das Lemurien- und Atlantismotiv in der Großen Kuppel malte, folgendes:

.... Gestern stellte Herr Linde den Antrag, Herr Doktor möchten die Große Kuppel in den Bereich Ihrer Arbeit ziehen. Es war schon vor Monaten die Rede davon, ich selbst aber machte mir Gedanken darüber, die nicht in der Linie dieses Antrages liegen. Natürlich spreche ich nur für mich. Ich bin der Meinung, daß, wenn der Bau einmal der Öffent­lichkeit zugänglich gemacht werden sollte, jedermann wissen muß, daß Sie, verehrter Herr Doktor, der geistige Schöpfer alles Künstlerischen, was sich im Bau befindet, sind. Daß es aber für die Bewegung auch von Vorteil ist, daß einige Menschen als Ihre Mitarbeiter die künstlerischen Intentionen, die Sie gegeben haben, auch in Ihrem Sinne umzusetzen sich bemühen und es auch einigermaßen erreicht haben.

Wie würde es wirken, wenn es nach viereinhalbjähriger Arbeit keiner Ihrer Mitarbeiter so weit gebracht hätte, das, was Sie uns, verehrter Herr Doktor, vor dieser Zeit in den Skizzen gegeben haben, einigermaßen brauchbar auszugestalten. Hätte da nicht die Welt Recht, wenn sie sagt: Dr. Steiner ist der Einzige, alles andere sind Puppen ohne jede Initiative.

* Man stand unmittelbar vor dem Ausbruch der deutschen Revolution, die zur Kapitula­tion und damit zum Ende des Krieges führte.

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Ich selbst würde in Wien keinen Standpunkt finden, der eine Erklä­rung abgeben und meinen Freunden verständlich machen könnte, daß meine Arbeit, die ich versucht habe in richtigen Intentionen zu leisten, eine vergebliche war. In Verehrung Ihre ergebene Hilde Pollak.»

Daraufhin fühlte sich Rudolf Steiner genötigt, im Anschluß an seinen Vortrag vom 10. November sich wie folgt zu äußern:

«Ich kann nicht anders, als Sie noch fünf Minuten heute hinziehen, meine lieben Freunde, weil ich doch etwas sagen möchte, was mir in den letzten Tagen eine prinzipielle Wichtigkeit gewonnen hat. Es ist notwen­dig, weil ich weiß, daß eine Anzahl von hiesigen Mitgliedern über die Sache nachgedacht, sich mit dieser Sache beschäftigt haben. Wenn es sich nicht um eine prinzipielle Sache handeln würde, so würde ich sie selbst­verständlich nicht hier besprechen. Aber man wird dann da und dort gefragt, und man kann nun doch wirklich nicht die Zeit dazu verwenden, um die Dinge, die solche interne Verhältnisse betreffen, 20 oder 30mal auseinanderzusetzen. Es ist schon notwendig, daß man sich bei uns darüber von hier aus verständigt. Es ist ja auch besser, wenn solche Sachen, ich möchte sagen, als gewußt werden. Sehen Sie, meine lieben Freunde, es handelt sich darum, daß neulich bei der Generalversammlung des Vereins des Goetheanum eine Anspielung darauf gemacht worden ist, ob ich nicht auch - mehr oder weniger oder überhaupt - mitarbeiten könnte an der Ausmalung der Großen Kuppel dieses Goetheanum. Sie erinnem sich ja an die Anspielungen, die wäh­rend der Generalversammlung am Sonntag gemacht worden sind.

Nun, ich möchte nicht so sehr über diese Einzelheit, sondern prinzi­piell über solche Sachen sprechen, denn wenn wir nicht wenigstens unter uns anfangen, verrenktes Denken, verkehrtes, überzwerchgehendes Denken abzuschaffen, wie sollen wir denn hoffen, daß wir mit unseren anthroposophisch geisteswissenschaftlichen Bestrebungen irgendeine Bedeutung in der Welt bekommen? Ich kann die Gutwilligkeit, die Wohlmeinung einsehen, die diejenigen unserer lieben Mitglieder haben, die aus irgendeinem Grunde es mir zudenken, daß ich nun, nachdem ich mich in der Ihnen bekannten Weise an der Ausmalung der kleinen Kuppel beteiligt habe, mich auch beteilige an der Ausmalung der großen Kuppel. Aber, meine lieben Freunde, ich will wirklich nicht über den einzelnen Fall, sondern prinzipiell über solch eine Sache sprechen: Es ist

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mir zum Beispiel die Bemerkung gemacht worden, die Hauptsache wäre doch bei dieser Sache der Umstand, daß diese große Kuppel so gemalt sei

- also ich fälle kein Urteil, weder ein kritisches, noch irgendein anderes, sondern ich bespreche nur Tatsachen, um sie in das Fahrwasser zu rücken, in das sie gerückt werden müssen -, daß man damit sein könne. heißt ja bei künstlerischen Dingen, daß eben so und so viele Leute zufrieden, andere unzufrieden damit sind; denn man muß sich bemühen, auch über diese Dinge wirklichkeitsgemäß zu den­ken und nicht sich Illusionen hinzugeben.

Ich mache mir zum Beispiel keine Illusion darüber, daß folgendes absolut möglich wäre. Setzen wir den Fall, es könnte das eine oder andere, was ich jetzt in der kleinen Kuppel gemalt habe, aus dieser kleinen Kuppel herausgenommen und einer Anzahl von Mitgliedern, sehr lieben Mitgliedern, gezeigt werden, ohne daß sie es vorher schon gesehen haben, also ohne daß sie eine Ahnung davon hätten, daß ich das gemalt habe. Ich bin voll davon überzeugt, daß zahlreiche Persönlichkei­ten, die die Sache jetzt loben, sie einfach als scheußlich, als eine scheußli­che Schmiererei ansehen würden, wenn sie gar keine Ahnung davon hätten, daß ich sie gemalt habe. Das, meine lieben Freunde, ist etwas, was ich mir sagen kann. Denn ich bemühe mich, mir über gar keine Dinge irgendwelche Illusionen zu machen. Ich sage ja nicht, daß die ganz recht haben, die so urteilen werden, aber, meine lieben Freunde, ich möchte damit nur charakterisieren, wie stark die Urteile, die abgegeben werden, von Nicht-Sachlichem, Nicht-Wirklichem eben beeinflußt wer­den. Denn das ist keine Wirklichkeit in meinem Sinn, daß man sich danach richtet, daß ich so irgend etwas gemacht habe. Also man stellt die Sache auf eine ungesunde Basis, wenn man sie auf solch eine Basis stellt.

Nun, nicht wahr, kommt folgendes in Betracht. Man kann vielleicht sagen, für so und so viele sei es wünschenswert, daß auch ein gewisser Zusammenklang zwischen der ganzen Architektur des Baues und dem, was da in der großen Kuppel gemalt wird, in ähnlicher Weise angestrebt werde, wie es von mir in der kleinen Kuppel angestrebt worden ist, soweit ich mich jetzt schon daran beteiligt habe, was ja noch nicht viel ist. Und es könnte manchem - ich urteile jetzt wieder nicht selbst, ob das der Fall ist oder nicht -, aber es könnte manchem scheinen, das sei nicht erreicht in der großen Kuppel, und sollte erreicht werden.

Meine lieben Freunde, ich stehe selbstverständlich mit Bezug auf diese Frage auf folgendem Standpunkte: Ich weiß wirklich ziemlich

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genau, wie ich dasjenige zu beurteilen habe, was ich in der kleinen Kuppel male, und Sie können mir glauben, meine lieben Freunde, daß ich auch an meine eigenen Sachen schon in gewisser Beziehung scharfe Maßstäbe anlegen kann, und daß es mir durchaus möglich ist, wenn ich einen recht scharfen Maßstab anlege, ganz ohne alle Illusion zu sagen:

ich habe nicht das Ideal, daß der zunächst , der in der kleinen Kuppel von mir gemalt worden ist, um eine künstlerische Anre­gung zu geben, nun über die ganze Fläche der großen Kuppel ausge­dehnt werde. Diese Dinge sind ja alle relativ, meine lieben Freunde; worauf es aber ankommt, das ist, was ich eigentlich wollte mit einer solchen Sache. Ich wollte vor allen Dingen nicht so sehr den Laien etwas sagen, denn von den meisten Laien weiß ich eben, daß sie es für eine malerische Schmierage nehmen würden, wenn sie nicht wüßten, daß ich es gemalt habe; sie würden es für so Futuristisches oder solches Zeug halten und für möglichst überflüssig, daß man so malt. Von den meisten Laien weiß ich das. Es handelt sich mir also weniger darum, mich mit den Laien zu verständigen, denn das, meine ich, sollten die Maler ma­chen, mit denen ich mich über verschiedene künstlerische Anregungen, die ich in der Malerei der kleinen Kuppel zu geben versucht habe, ausgesprochen habe. Und dazu erscheint es mir absolut genügend, wenn auf einer kleinen Fläche diese Anregung gegeben wird. Also für mich handelt es sich um die Anregung und wirklich nicht darum, daß immer und immer wiederum unsere Bewegung unmöglich gemacht wird da­durch, daß mit einem gewissen Recht gesagt wird: Na, wozu bringt's denn diese Bewegung? - Daß der Eine alles machen muß zuletzt und daß er gerade das nicht erreichen kann, was sein eigentliches Ziel ist: daß er sich Mitarbeiter erwirbt, daß Mitarbeiter kommen.

Aber meine lieben Freunde: Nicht, daß ich etwas mache, sondern daß die Anregungen weitergebildet werden, das ist mein eigentliches Ziel. So daß ich es geradezu sagen muß: Das Prinzip, das manche haben - ob nun mit Recht oder mit Unrecht - die große Kuppel sollte anders gemalt sein, das kommt viel weniger in Betracht als das Interesse der Anthroposophi­schen Gesellschaft als solcher, die nicht geschädigt werden darf dadurch, daß nun an diese Sache anknüpfend auch wiederum gesagt wird: Es ist überhaupt nur der Eine da, der etwas machen kann; die andern sind doch nur diejenigen, die nichts machen können. - Dieses Urteil darf nicht in die Welt kommen. Denn wenn zu den vielen anderen Dingen auch noch durch diese Sache solch ein Urteil in die Welt käme. dann wäre das

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wirklich wiederum einer der Nägel zum Sarge unserer anthroposophi­schen Bewegung. Und das darf nicht sein. Es handelt sich immer darum, aus welcher Ecke heraus man solche Dinge beurteilt. Das ist es, worauf es mir ankommt. Ich gestehe jedem zu, ein Urteil, ein kritisches Urteil über eine Sache zu haben, ob das nun berechtigt ist oder nicht. Aber wenn aus dem Urteil eine Handlung folgen soll, irgend etwas Tatsächli­ches folgen soll, dann bin ich der Meinung - und ich bin hauptsächlich dieser Meinung, seit ich selber pinsle und andere Dinge hier noch künst­lerisch ergriffen habe -, daß nur derjenige ein Recht hat, etwas zu beseitigen und durch etwas anderes zu ersetzen, der es selbst besser machen kann. Das ist dasjenige, was immer dahinter stehen muß. Man muß es nicht auf einmal gleich besser machen können, meine lieben Freunde, sondern man muß nur in sich den Impuls, den Impetus haben, es nach und nach, wenn auch nach langen Versuchen, dazu zu bringen, es besser machen zu können.

Nicht wahr, das bezieht sich nicht darauf, daß einer kritisieren kann, wenn die Kritik keine tatsächlichen Folgen hat. Aber wenn sie tatsächli­che Folgen hat, so kann eine solche Kritik eigentlich nur von denjenigen ausgehen, die dann die Arbeit übernehmen wollen. Dann ist die Sache aber gleich auf eine andere Basis gestellt. Von mir ist die Kritik nicht ausgegangen. Ich habe mich überhaupt an der ganzen Sache nicht betei­ligt. Und ich betrachte wahrhaftig dem gegenüber, was jetzt in der Welt heranrückt, für mich etwas anderes für wichtiger, als daß ich vielleicht mehr als ein volles Jahr meines Lebens dazu verwenden soll, in der großen Kuppel zu malen. Das ist ein Gesichtspunkt, der recht sehr für die Anthroposophische Gesellschaft in Frage kommen kann, und ich möchte, daß es auch unter Ihnen recht viele gibt, die einsehen, daß es wirklich sündhaft sein könnte, wenn ich mich in der nächsten Zeit anderen Dingen entziehen sollte dadurch, daß ich eine Arbeit leisten sollte, die durchaus nicht in den Bereich dessen, was ich in dieser Inkarnation noch leisten will, eben gezogen worden ist.

Aber nachdem ich mich nicht selber daran beteiligt habe, daß an solchen Dingen, die ich ja selbst eingeleitet habe, etwas geändert werden soll, ergibt sich daraus die Notwendigkeit, noch über einen anderen Zusammenhang zu sprechen.

Es ist nun schon einmal - was ich schon oft hervorhob - in der Anthroposophischen Gesellschaft so Sitte, so Tatsache geworden, daß das verschiedenste eingerührt wird - na, eben eingerührt wird - von

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allerlei Differenzen und Taten, die in der Gesellschaft getan werden. Dann sind sie da, führen zu dem oder jenem. Ich will nur sagen: In dem vorliegenden Falle würde es sicher dazu führen, daß zweierlei entstünde. Erstens würde das Urteil entstehen: Hier muß der Steiner alles machen, die andern sind nur seine Puppen. - Das zweite Urteil, das daraus entstehen würde, das mich die ganzen Jahre verfolgt hat, das gleich im ersten Jahre an mich herangetreten ist, würde sein: Der ist so albern, daß er das Künstlerische überall herauswirft und den Dilettantismus überall hineinsetzt - beides tödliche Urteile für unsere Bewegung. Qb mehr oder weniger richtig, darauf kommt es nicht an, sondern darauf, daß unsere Bewegung prosperiert.

Nun, es ist schon manches Tödliche für unsere Bewegung inauguriert worden und der weitere Fortgang war dann der, daß die, die es inaugu­rierten, sich zurückgezogen haben und alles sich immer auf mich abgela­den hat. Der Angegriffene war dann ich. Der Angegriffene würde auch in diesem Falle ich sein. Das ist aber etwas, worauf ich nicht mehr eingehen kann. Sehen Sie, wenn man in einer Gesellschaft ist, muß man sehr viel tun, ganz gleichgültig, was die eigene Meinung ist. Das habe ich bisher in vielen Fällen getan. Aber nachdem das genug ist, sich genug auf mich abgeladen hat an gegnerischen Angriffen, die entstanden sind da­durch, daß die Mitglieder untereinander etwas eingerührt haben, habe ich mich nun einmal entschlossen, auf nichts dergleichen mehr einzuge­hen, und ich werde künftighin auf nichts mehr eingehen, wovon ich ganz deutlich weiß: Das führt wiederum dazu, daß innerhalb der Mitglied­schaft das eine oder andere eingerührt wird und alles, was daraus wird, sich auf mich ablädt. Denn ich bin schon einmal mit der Gesellschaft verknüpft, und was sich auf mir ablädt, das lädt sich schon auch unter den heutigen Verhältnissen auf die Gesellschaft ab. Das ist etwas, was ich nicht aus persönlicher Albernheit, sondern vielleicht auch aus der Ob­jektivität heraus besprechen muß.

Sehen Sie, das sind die Gesichtspunkte, die in Betracht kommen, die ich Ihnen nun ohne alle Färbung, ohne das, was drum- und dranhängt, auseinandergesetzt habe. Aber ich möchte wirklich einmal dasjenige aus der Welt schaffen, was so, wie es eben besprochen wurde, weitergehen würde. Meine lieben Freunde, wie oft höre ich das Urteil: Ja, ich kann das oder jenes nicht, was ja gewiß gut wäre, wenn ich es machte inner­halb unserer Bewegung; ich kann das oder jenes nicht. - Oder wie oft höre ich auf rein spirituellem Gebiete sagen: Wenn ich nur selber schon

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Erkenntnisse haben könnte. - Ja, meine lieben Freunde, wenn diese Urteile alle berechtigt wären, dann hätte unsere Gesellschaft das völligste Fiasko gemacht. Sie sind nur auf einem Umwege berechtigt, nämlich dadurch berechtigt, daß allerdings nach dem, was geschehen ist, viele viel mehr, vieles können, mehr als die Leute wollen. Derer sind gar nicht wenige, die nach dem Maße ihrer Entwickelung heute in die geistige Welt sehr tief hineinschauen könnten, wenn sie nur wollten. Und so ist es auch mein fester Glaube, daß es gar nicht nötig ist, dieses Vorurteil hervorzurufen, daß hier nur gearbeitet wird von Einem für die Puppen; denn es handelt sich bei vielen einfach um das Wollen. Es gibt viele unter uns, die viel mehr können, als sie zu können vorgeben, wenn sie nur wollen. Beim Wollen handelt es sich natürlich um die Entwickelung mancher Eigenschaften, zum Beispiel namentlich eines intensiven Inter­esses an irgendeiner Sache und so weiter, um Ausdauer und dergleichen. Nach dem, was eigentlich hier am Bau geschehen ist, könnten viele vieles können, und können es auch in dem Augenblicke, wenn sie wirklich wollen.

Das ist es, meine lieben Freunde, was ich auch einmal aussprechen möchte. Ich hoffe, daß ich mit dem, was ich gesagt habe, und durch die Tatsache, daß ich etwas, was scheinbar in einem kleinen Kreise sich abgespielt hat, hier vor Ihnen auseinandergesetzt habe, erreichen kann, daß über diese Dinge ein richtiges Denken angestrebt wird. Aber es würde doch zu unzähligen Mißverständnissen führen, nach dem, was geschehen ist, wenn ich nicht wenigstens ein bißchen dafür sorgte, daß man, ganz abgesehen von dem einzelnen Fall, prinzipiell über eine solche Sache richtig denkt.

Das ist dasjenige, was ich gerade in Anknüpfung an die heutige Auseinandersetzung habe sagen wollen, meine lieben Freunde. Denn wollen wir wirklich daran denken, daß dasjenige geschehe, was vor allen Dingen geschehen muß, daß Einsicht verbreitet werde in der Zeit, damit die schweren Zeiten in die rechten Bahnen gelenkt werden können, die da kommen, dann müssen wir unter uns selber nicht den Usus fortset­zen, daß hier von allen möglichen, aber sehr realen, aus spirituellen Grundlagen herauskommenden Impulsen immer und immer wiederum geredet wird, und in der Struktur unserer eigenen Gesellschaft doch nur die ganze gewöhnlichste, spießbürgerlichste Cliquenwirtschaft und so weiter getrieben, alles nach persönlichen Verhältnissen geregelt und gerechtet wird; sondern dann müssen wir unter uns selbst gewissermaßen

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über dieses Persönliche hinauskommen, müssen gewissermaßen nachkommen mit der Struktur unserer Gesellschaft, mit unserem gegen­seitigen Verhalten, dem, was die Forderung unserer Geisteswissenschaft ist, müssen mit unserem Verhalten der Ethik unserer Geisteswissen­schaft nachrücken, und dürfen nicht dasjenige, was der Unfug unseres Bourgeoistums ist, hereintragen gerade . in unsere anthroposophische Bewegung. Hätten wir dies wirklich pflegen können, hätten wir den guten Willen dazu gehabt: es wäre zu manchem nicht gekommen, zu dem es gekommen ist. Darum muß man sich wirklich bestreben, wenig­stens innerhalb der Gesellschaft anzufangen, hinauszuwerfen den Unfug desjenigen, was in der Welt draußen so großes Unheil angerichtet hat.

Wir müssen auch innerhalb der Gesellschaft achtgeben auf all die unterbewußten Regungen, die immer wieder und wiederum dazu füh­ren, daß da einer oder ein anderer sagt: Aber ich will ja gar nichts Persönliches, ich will ja rein Sachliches -, weil er zur Beurteilung der Sachlage vergißt, wie viel Persönliches in der ganzen Sache drinnen-steckt. Denn nur dadurch kommt man zu einer Urteilsrichtung, die einigermaßen wirklichkeitsgemäß ist, und zu einem Herausholen eines Urteils aus der richtigen Ecke, wenn man sich bemüht, die unbewußten Widerstände gegen die sachlichen Unternehmungen zu überwinden. Könnten wir sie innerhalb unserer Gesellschaft überwinden, so würde uns das ungeheuer weit führen. Ich werde gewiß der Allerallerletzte sein, meine lieben Freunde, der irgendwie einen Riegel vorschiebt dem, was innerhalb der Gesellschaft geschieht, auch wenn ich nicht damit einver­standen bin. Ich werde mich jederzeit fügen. Deshalb sagte ich am Sonntag: Ich werde meine Pflicht tun - trotzdem ich mir nicht habe träumen lassen, [was daraus geworden ist]. Aber so, wie die Sache gemacht worden ist, und wie mir erst nachher aus den Zusammenhängen klar geworden ist, so konnte ich nicht anders, als die Sache so beurteilen, wie ich sie heute dargelegt habe.

Das besagt durchaus nicht, daß ich nicht eingehe auf alles dasjenige, was aus dem Kreise der Mitglieder kommt, auch wenn ich selbst durch­aus gar nicht damit einverstanden bin. Aber es darf nicht so sein, wie das ganz gewiß geworden wäre, daß die Aufmerksamkeit zuletzt nur gefal­len wäre darauf, daß mir die Verantwortung zugeschoben worden wäre, die ich gar nicht tragen kann, weil ich nicht die Initiative dazu ergriffen habe, - daß sich auf mich alle Verantwortung abgeladen hätte. Mir wäre die Verantwortung zugeschoben worden, und man hätte den Beweis

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liefern können, daß in der Sache die einzelnen aufeinanderfolgenden Handlungen nicht so betrieben worden sind, wie sie eben in einer solchen Sache betrieben werden müßten, wenn man nicht - ich will sagen: ob berechtigt oder nicht - dann sagen würde: Da ist eine Intrige geschehen. Die Sache hätte ganz anders gemacht werden müssen, wenn nicht das Urteil berechtigt sein könnte, tatsächlich berechtigt sein könnte, - ich sage ja nicht, daß es inhaltlich berechtigt ist - da ist eine Intrigue geschehen. - Das kann ich nicht mehr, daß ich in solchen Dingen mitgehe, wenn sie dann in dieser Weise in die Welt hinauskom­men könnten. Denn ich habe so oft gesehen, auf welche Weise solche Dinge in die Welt hinausgehen.»

Wenn auch die Reaktion von Hilde Pollak von ihrem Standpunkt aus verständlich ist und Rudolf Steiner vielleicht gar nicht die Zeit hätte aufbringen können, so bedeutet es objektiv doch einen künstlerischen Verlust, daß er nicht auch in der großen Kuppel malte.

Nach diesem Vorfall wurde noch fast ein ganzes Jahr lang in beiden Kuppeln gemalt. Dann fielen die Gerüste. Es war im Oktober 1919. Besonders für die Maler, die über vier Jahre in den Kuppeln gearbeitet hatten, wurde dies ein ihr Leben veränderndes Ereignis: «Wir liebten die Welt dort oben und ließen uns nur mit Gewalt vertreiben, als man uns die Bretter unter den Füßen wegzog, da die Gerüste abgebaut werden mußten. Ein verlorenes Paradies! . . . Auch Rudolf Steiner empfand unsere Stimmung, als er bei einer ersten Begegnung unten nachdrücklich sagte: Ja, das ist nun vorbei! Ein Abschnitt, ja, selbst schon ein großer Ahschnitt!»35

Nun wurden auch von den Kuppelmalereien photographische Auf­nahmen gemacht und Rudolf Steiner begann, an den verschiedensten Orten Lichtbildervorträge über den Bau zu halten. Er wollte damit Verständnis, aber auch Hilfsbereitschaft erwecken, um den Bau vollen­den zu können; denn in der damaligen schweren Nachkriegszeit lebte man in einem täglichen Ringen um die notwendigsten Mittel zum Wei­terarbeiten. In diesen Lichtbildervorträgen kam nie die Rede auf die Malereien der großen Kuppel und zwar nicht nur deshalb, weil da, wie er sich einmal in einem persönlichen Gespräch äußerte,36 mit unzulängli­chen Mitteln etwas versucht worden war, was so nicht ginge, sondern vor allem deshalb, weil die photographischen Aufnahmen nichts gewor­den waren. Und dies mutet fast wie eine Schicksalsantwort an auf den

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Protest von Hilde Pollak gegen den Wunsch der anderen Maler, Rudolf Steiner möge doch auch in der großen Kuppel malen.

Beim Vorführen der Aufnahmen von seinen Malereien in der kleinen Kuppel begründete er den Gesichtspunkt, alles aus der Farbe selber herauszuholen, in dem dritten der drei ersten zusammenhängenden Lichtbildervorträge so :37

«Man wird, wenn man die Geschichte der Malerei verfolgt, finden, wie dieser Grundsatz, alles Malerische aus der Farbe hervorzuholen, im Grunde genommen jetzt erst im Anfange seiner Durchführung stehen kann. Das Malerische wurde ja, weil es ganz besonders dazu verführt, auch in Glanzperioden der Malerei, in dem Ausdruck, in der Wieder­gabe, in der naturalistischen Wiedergabe irgendwelcher Motive gesucht. Wenn man allerdings zugeben muß - und wer wollte das nicht gegen­über Raffael'schen, Leonardo'schen, Michelangelo'schen und so weiter, Schöpfungen zugeben -, daß ein höchstes Malerisches auf diese Weise erreichbar ist, indem man nach Ausdruck strebt - wenn man auch zugeben muß, daß die ganze neuere Weltanschauung, die ungeistig ist, kaum etwas anderes tun konnte, als irgendwie nach [naturalistischem] Ausdruck zu streben, so muß doch jetzt, da gesucht werden muß nach einer Vergeistigung unserer Weltanschauung, ein anderer Grundsatz, eine andere künstlerische Gesinnung gerade im Malerischen sich auch Geltung verschaffen können.»


Grundlagen zu einer Farbenlehre für malerisches Schaffen

Die von Rudolf Steiner in der kleinen Kuppel versuchte Malweise und seine Ausführungen darüber in seinen Lichtbildervorträgen machten den am Bau tätigen Malern nun erst so richtig bewußt, daß für das Malen aus der Farbe heraus eine neue Technik erarbeitet werden müßte, und so baten sie Rudolf Steiner um entsprechende Vorträge. Daraufhin hielt er im Mai 1921 den kleinen Kurs von drei Vorträgen über das Wesen der Farben. Darin führte er mit der Unterscheidung von Bild- und Glanzfar­ben und der Umwandlung von Glanz- in Bild-, und von Bild- in Glanz-farben nicht nur völlig neue Begriffe in die Farbenlehre ein, sondern zeigte auch praktische Wege zu der Technik, ganz aus der Farbe heraus zu malen.

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Mit diesem kleinen Kurs wollte er zeigen, daß die Erkenntnis der Farbe aus der für Künstler unbrauchbaren abstrakten Physik herausge­holt und eine Farbenlehre begründet werden könne, die allerdings weitab liegt von den Denkgewohnheiten der heutigen Wissenschaft, aber durchaus eine Grundlage für künstlerisches Schaffen sein könne.38 Ein damals für später in Aussicht gestellter weiterer Kursus für Maler kam nicht mehr zustande; doch finden sich in den Vorträgen der folgenden Jahre noch manche neue Aspekte zur Erkenntnis des Farbenwesens.


Ein praktischer malerischer Lehrgang wird entwickelt

Vermutlich war es aufgrund des kleinen Vortragskurses über das Wesen der Farben vom Mai 1921, daß Henni Geck (1884-1951), eine Malerin, die seit dem Beginn der künstlerischen Arbeiten am Bau als Schnitzerin tätig war, Rudolf Steiner eine ihrer damaligen malerischen Arbeiten zeigte, worauf er spontan mit den Worten reagierte: Da machen wir ein Eurythmieprogramm daraus! - Gemalte Programme waren ein fester Bestandteil der künstlerischen Veranstaltungen, seitdem für die erste eurythmisch-dramatische Aufführung von Fausts «Himmelfahrt» im Jahre 1915 die Malerin Hilde Pollak die Initiative dazu ergriffen hatte. So kam es, daß außer verschiedenen anderen nun auch Henni Geck Pro-gramme malte. Da sie daraufhin von Freunden gebeten wurde, ihnen Malunterricht zu geben, gab sie seit 1921 am Goetheanum Malunterricht für Erwachsene. Aufgrund der dabei gemachten Erfahrung, daß jeder zu sehr in seinem Persönlichen steckenbleibe, wandte sie sich - es war am 1.Juni 1922 - an Rudolf Steiner und fragte ihn, ob es nicht für das Malen ebenso wie für die Eurythmie einen objektiven Lehrgang geben könne? Rasch skizzierte er ihr mit Pastellkreiden auf einem Stück herumliegen­den Papiers einen Sonnenaufgang und sagte: Fangen Sie doch mit so etwas an! - Nachdem Sie das Motiv in flüssiger Aquareilfarbe ausgeführt hatte, gab er ihr eine zweite Skizze und noch weitere. So entstanden in der sich entwickelnden dreijährigen Zusammenarbeit bis zu seiner Er­krankung 23 Pastellskizzen (9 Naturstimmungen und 12 weitere Motiv-skizzen) als methodisch-didaktischer Schulungsweg. Er habe die Skizzen für die lebendige Unterrichtsvermittlung gedacht und wollte sie in flüssi­ger Aquarellfarbe durch Lasieren und Schichten weitergebildet haben.

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Daraus ist zu verstehen, daß er ihr, als sie einmal eines seiner Pastelle bewunderte, antwortete: Aber Pastell ist unkünstlerisch !39

In dem gleichen Zeitraum entstanden bei dem Malunterricht in der Fortbildungsschule (später «Friedwartschule») am Goetheanum, an dem er manchmal teilnahm und vormalte, sieben Pastellskizzen und ein Eu­rythmie-Programm.40


Steigerung und Abschluß

von Rudolf Steiners malerischem Schaffen

Henni Gecks größter Wunsch war es geworden, daß Rudolf Steiner doch einmal die Zeit finden möge, selbst in Aquarell zu malen und hielt ihm ständig alles dafür Nötige bereit. Er ging offenbar gern, trotz seiner Beanspruchung durch Vorträge, Kursveranstaltungen und Vortragsrei­sen, auf ihre Bitte ein, und so entstanden zwischen Januar und August 1924 in wenigen dafür ausgesparten Stunden fünf große Aquarellbilder:

Der Mondenreiter (Das Traumlied vom Olaf Ästeson), Neues Leben (Mutter und Kind), Ostern (Drei Kreuze), Die Urpflanze, Urmensch oder Urtier.41 Letzteres beendete er nur wenige Wochen vor dem Beginn seines Krankenlagers. Und so wurden diese fünf Gemälde in der neuen Aquarelliertechnik, da die Kuppelmalereien zugrunde gegangen sind, sozusagen zu seinem malerischen Testament: wie Formen als Werk der Farben selber erstehen können.

Grundlagen zu einer Farbenlehre für künstlerisches Schaffen Malen aus der Farbe heraus

#G291a-1990-SE275 Farbenerkenntnis

#TI

Grundlagen zu einer Farbenlehre für künstlerisches Schaffen

Malen aus der Farbe heraus

Vorbemerkungen der Herausgeber

#TX

Wenn man in der richtigen Weise erkennend vor­geht, erhebt sich das, was man erkennt, aus dem Abstrakten in das konkrete Künstlerische herauf, und insbesondere ist das bei einem so fluktuieren­den Elemente der Fall, wie es die Farbenwelt ist.

Dornach, 8. Mai 1921, GA 291

Mit dem kleinen Kurs über das Wesen der Farben vom Mai 1921, um den Rudolf Steiner von Malern am Goetheanum gebeten worden war, bahnte er gewissermaßen «ideell experimentierend» einen für Künstler gangbaren Weg, wie durch das Wissen um das Eigenwesen der einzelnen Farben, ihre Unterscheidung in Bild- und Glanzfarben und eine ihrem Wesen gemäße technische Behandlung das Geistige in der Form erste­hen kann. Er hatte sich dafür ungewöhnlich viele Notizen gemacht, die noch Aspekte geben, die in den Vorträgen nicht auftreten. Diese Notiz­buchaufzeichnungen finden sich mit noch anderen Aufzeichnungen in Faksimilewiedergabe auf Seite 312 ff.

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Chronologische Übersicht der Äußerungen Rudolf Steiners


A. Schnften

1910 Die Form soll der Farbe Werk sein. GA 14

1911 Wie die Farben Sehnsucht hegen, sich geistverklärt in Seelen selbst zu schauen. GA 14


B. Vorträge

1906

22. Aug. Die Aura kann nicht gemalt werden. GA 95

12. Nov. Malerei als Schatten der astralischen Welt. GA 283

1908

1l.Juni Malerei als Kunst der Empfindungsseele. GA 102

1909

28. Okt. Das Wesen der malerischen Phantasie: Innerlichkeit und seelische Bewegung. GA 271

1911

26. Aug. In der alten Malerei hat man die Färbungen der Aura in den Gewändern nachgebildet. GA 129

1913

29. Aug. Malerei im Verhältnis zu luziferischen und ahrimanischen Impul­sen. GA147

1914

5. Juli Das unterschiedliche Verhältnis von Mensch und Tier zur Farbe.

GA 286

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26.Juli Die schöpferische Welt der Farbe. Das flutende Farbenmeer. Über-gehen von Ruhe in Bewegung. Tier und Farbe, Mensch und Farbe. Der rot-blaue Farbenwirbel. Farbe ist lebendige Substanz der Seele, ist Seele der Natur und des ganzen Kosmos und der Mensch kann Anteil nehmen an dieser Seele. GA 286

25. Okt. Die Probleme von Farbe und Malerei, wie sie im ersten Goethe­anum verfolgt wurden. Der zeichnerische und der koloristische Pol in der Malerei. Das Loslösen der Farbe vom Gegenständlichen, um das Schöpferische der Farbe freizubekommen. Aus innerlicher Farberfassung wird zugleich Formerfassung. GA287

28., 29., 30. Musikalisches Erleben als neues Prinzip auch in der bildenden

Dez. Kunst. Malerei im Verhältnis zu den menschlichen Wesensgliedern. Malerei als Widerschein der eigenen astralischen Innerlichkeit, zu­rückgehend auf das alte Mondendasein. Vertiefung in das Mond-hafte ermöglicht Inspiration für das malerische Schaffen. Die Dar­stellung des alten Mondendaseins in der «Geheimwissenschaft» in malerischer Stimmung, des Sonnendaseins in bildhauerischer, des Saturndaseins in architektonischer Stimmung. GA 275

1915

1. Jan. Das Erleben einzelner Farbqualitäten (mit Beispielen) geht über in moralisches Erleben, führt zu Weiterleben. Das Sich-Gestalten der Form aus der Farbe heraus. GA275, GA291

27. Aug. Nachahmung der Aura in den Gewändern der alten Malerei.

GA163

1916

16. Febr. Die Farben in ihrer sinnlich-sittlichen Wirkung (mit Beispielen). Der sittliche Eindruck ist im Menschen früher da als der sinnliche, darum muß auch der Maler das sittliche, das geistig-seelische der Farben zuerst haben und dann das Sinnliche dazu «bilden». GA 168

1917

8. Mai Kunst besteht heute in etwas anderem als in dem bewußten Verar­beiten hellsichtiger Eindrücke. GA 175

1918

15., 17. Kunst im Verhältnis zu Sinnlichem und Übersinnlichem. Exprcs­

Febr. sionismus und Impressionismus. Porträt- und Freilichtmalerei. Koloristisches und Figurales. Farbenperspektive. Geheimnis der

278

hellen und der dunklen Farben. Aus der Farbe kann Leben geschaf­fen werden, das in der Natur verzaubert an die Dinge gebunden ist. GA 271. Handschriftliche Aufzeichnungen siehe Seite 299ff.

5., 6. Mai, Das besondere Verhältnis zwischen Malerei und Sehertum. Malerei

1. Juni wird innerlich erlebt, da wo Nerven- und Blutwelle sich begegnen. GA271 (in diesem Band Seite 290 f.).

3. Juli Im Geistigen hat man es mit selbstleuchtenden Objekten zu tun. In der Kuppelmalerei wurde dieses aurische Selbstleuchten der Ge­stalten angestrebt. GA 1 81

18. Aug. Beispiel wie der Inhalt eines Vortrages durch Farbe und aus der Farbe heraus sich entwickelnder Form unmittelbar anschaulich werden kann. GA 183

1919

9. Nov. Landschaftsmalerei: Symptom materialistischer Gesinnung.

GA 191

23. Nov. Das letzte Künstlerische in der Welt besteht darin, den harten Kampf der Schönheit gegen die Häßlichkeit zu zeigen. GA 194

1920

12. Sept. Im Schlaf lebt man in den Farben der Astralwelt, im Malen offen­baren sich diese Farben im Sinnlichen. GA271

9. Okt. Aus dem lebendig flutenden der Farben, nicht aus dem Linienhaf­ten die Form erstehen lassen. GA 288. Noch nicht erschienen.

5., 10. Dez. Grün, Rot und Blau in der Natur als Ergebnis des Licht- und Finsternis-Wirkens im Zusammenhang mit Vergangenheits- und Zukunftskräften. Das Pfirsichblütfarbige des menschlichen Äther-leibes und der Farbenkreis. GA202, GA291

1921

6., 7., 8. Das unmittelbare Farberlebnis. Die neuen Begriffe «Bildwesen»

Mai und «Glanzwesen» der Farben und ihre Beziehungen. Farbe und Materie. Das Malen aus der Farbe heraus. Der Goldgrund in der alten Malerei. GA 291. Handschriftliche Aufzeichnungen siehe Seite 311ff.

9.Juni Tizians «Himmelfahrt Mariä». Alte Kirchenfresken. GA291

13. Mai Die Vorträge vom 6.-8. Mai waren gemeint als Grundlage einer Farbenlehre für künstlerisches Schaffen. GA 204

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30. Dez. Das Farbige als das eigentlich Malerische. Die Honzonthnie als Grenze zweier Farbflächen. GA 288


1922

13., 15. Okt. Praktische Anweisungen zum Malen aus der Farbe heraus. Notizen von zwei Malstunden in diesem Band Seite 352


1923

21. Febr. Farbenlehre und Malerei. Über Malerfarben. GA 349

18., 20. Mai Malerei, Bild- und Glanzfarben. GA276

1. Juni Farberleben im Vorgeburtlichen. Die Seele will das Farbige aus der geistigen Welt in die räumliche hineintragen. GA 276

2. Juni Malerei. Reine Farbe Fläche, Raum- und Farbenperspektive. Durch Farbendynamik' gewinnt die Malerei wieder ihre Beziehung zum Geistigen. Naturalismus ein verfälschtes plastisches Verständ­nis. GA 276, GA291

9. Juni Das moderne Ausstellungswesen. Farbe, Licht, Hell-Dunkel, Pa­lettfarben und flüssige Farben. Zeichnen und Malen. GA 276, GA 291

29. Juli Im Schlaf erleben wir die freischwebende Röte, Gelbe usw. Der

Goldhintergrund in der alten Malerei (Ikona). Die schwerelose

Farbe als Forderung der neuen Malentwicklung (Versuch in den

Programm-Malereien). GA228, GA291

24. Nov. Für die Mal er der alten und noch der Zeit von Leonardo und Raffael trug die Farbe noch das Geistige. Sie empfanden noch, daß man die Muse anrufen müsse, datnit sie den Pinsel führe. GA 233


1924

13. Febr. Farben in der Bekleidung bei ursprünglichen Völkerschaften, bei Kultusgewändern, in der alten Malerei, in der modernen Kleidung.

GA352

22. Aug. Das Musikalische als Zukunftselement in den bildenen Künsten. Der Dornacher Bau war im Musikalischen gehalten, darum wurde er als Architektur, Plastik und Malerei so wenig verstanden.

GA243

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TEXTE VON RUDOLF STEINER



Aus Nie tzsch es «Zarathustra»

Aufsatz zu Otto Fröhlichs Zarathustra-Gemälde,

erschienen in »Deutschland. Weimarische Ländeszeitung»

vom 31.März 1895

Gegenwärtig befindet sich in der hiesigen Ständigen Ausstellung ein Bild, dem eine besondere Bedeutung nicht nur als Kunstwerk, sondern namentlich als Verkörperung eines der neuesten Epoche geistiger Entwickelung entstammenden Gedankens zukommt. Otto Fröhlich, ein hier lebender Maler, ist der Schöpfer des Bildes. Es stellt eine Szene dar aus der interessantesten geistigen Schöp­fung unserer Zeit, aus Friedrich Nietzsches «Zarathustra». Der bedeutungsvolle Gedanke, der in Darwins und Haeckels Naturer­klärung feineren Ohren schon vernehmlich war, ist der Gegen­stand dieser berückenden Gedankendichtung. Es ist der Gedanke, daß der Mensch, der sich auf sich selbst besinnt, sich die Freude und das Verständnis seiner natürlichen, wirklichen Welt nicht mehr verkümmern lassen will durch den Glauben an übernatürli­che jenseitige Ideale, die ihn für dieses Leben schwach machen, um ihm Stärke für ein anderes zu geben. Kampf allen idealisti­schen Trostmitteln, die uns das Leben nur verleiden, dies ist Zarathustras Losung. Es ist eine kriegerische Stimmung, die ihn beherrscht. Kein Mitleid mit den Traditionen vergangener Zeiten, kein Erbarmen für das, was wert ist, zu Grunde zu gehen: Dies ist Zarathustras hervorstechendste Eigenschaft. Hart und unbarm­herzig will er sein gegen alles, was seinen Hoffnungen in den Weg tritt. Fröhlichs Bild stellt eine «letzte Versuchung» Zarathustras

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dar. Er, der Härte predigt und mitleidslose Strenge, wird selbst noch einmal von Mitleid überfallen, als er in das Tal des Todes tritt, wo der «häßlichste Mensch» haust, der Gott getötet hat, weil er diesen einzigen Zeugen seiner Häßlichkeit nicht ertragen konnte. Der Augenblick, in dem Zarathustra - der Typus des starken, nicht durch weichliches Mitleid beirrten Verkündigers einer neuen welt- und lebensfrohen Weltansicht - noch einmal schwach wird, wollte Fröhlich im Bilde festhalten.

Ich frage heute nicht, was an dem Bilde von ästhetisch-künstle­rischem Standpunkte aus zu bemängeln ist, sondern freue mich, daß es noch begabte Menschen gibt, die nicht bloß zusammenge-stellte Modelle kopieren und langweilige Landschaften langweilig malen, sondern die Kulturelemente unserer Zeit bildlich zur Darstellung bringen.

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Über das Bild von Nikolaus Gysis «Aus dem Licht die Liebe»

Abbildung siehe in der Beilage

Ansprache, München 25. August 1910

Die folgende Ansprache wurde bei einer Matineeveranstaltung inmitten der Münchner Sommerfestspielveranstaltungen des Jahres 1910 gehalten. Rudolf Steiner legte bei dieser Gelegenheit eine Farbreproduktion von dem letzten Gemälde des griechischen Malers Nikolaus Gysis (1842-1901) vor, die er bei der Firma C. Kuhn in München im Format von 42,5 x 42,5cm hatte herstellen lassen. Gysis, von 1882 an Lehrer an der Kunstakademie München, zu dessen Schülern Anna May-Richter zählte, die später am ersten Goetheanumbau mitarbeitete, hatte gegen Ende seines Lebens den Entwurf zu einem Monumentalgemälde ge­schaffen, «das, wenn es hätte vollendet werden können, mindestens der Konzeption nach das Bedeutendste des 19. Jahrhunderts in einem gewis­sen Sinn hätte genannt werden dürfen». (C. S. Picht.)42 Es war unter dem Eindruck der Vertiefung in die Evangelien und in die Offenbarung des

Johannes entstanden und wurde daher bald als «Vision aus dem Evange­lium», bald als «Der himmlische Bräutigam» bezeichnet. Rudolf Steiner nannte es «Aus dem Licht die Liebe». Das Original ist heute in der National-Pinakothek Athen und hat die Größe von 2 x 2 m.

Wenn Sie ihren Herzensblick schweifen lassen über das, was wir in den letzten Tagen versucht haben als theosophische Veranstal­tung Ihnen vor die Seele zu stellen, als etwas, was ein in sich Zusammenhängendes ausmachen kann - wenn Sie versuchen, dies so zu betrachten, so werden Sie sehen, wie sehr wir immer mehr bemüht sind, das theosophische Leben hineinströmen zu lassen in alle verschiedenen Kulturverzweigungen, deren der Mensch teil­haftig werden kann. Und wenn wir auch gerade in unserem Be­streben bisher wirklich nur Weniges haben leisten können, dann müssen Sie den Blick auch auf mancherlei richten, was gerade in unserer Zeit wie schwere Hemmnisse sich ausnimmt für ein sol­ches Bestreben. Oftmals kann man sich fühlen, wenn man ver­sucht, das, was Theosophie geben kann, hineinzulenken wie einen Strom in die übrigen Kulturbestrebungen der Gegenwart, wie mit

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dichten Wänden umgeben, durch die nur schwer durchdringt irgend etwas von dem, was die Kraft der Theosophie zunächst ist. Da gibt es eines, das sich der Theosoph immer mehr und mehr aneignen muß: es ist die innere Sicherheit, das Verwachsensein mit alledem, was man theosophischen Weisheits- und Liebesinhalt nennen kann. Das unerschütterliche Verwachsensein damit, das ist es dann, was den Menschen mit Sicherheit vorwärts führen kann, was ihn sagen läßt, wenn auch scheinbar noch so viele Hindernisse und Hemmnisse sich uns in den Weg stellen, noch so schwarze Wolken dräuen: Das, was wir im Inneren fühlen, es hat selbst die Kraft, uns vorwärts zu bringen, und wenn auch die Hindernisse so stark sind, daß schier der Mut uns verlassen könnte. - Wenn er uns verläßt, dieser Mut, dann haben wir noch nicht die Kraft der theosophischen Weisheit und Liebe so zum Feuer entfacht, daß wir in äußeren Hindernissen, in der Mutlosig­keit, die uns befallen könnte, wenn sich da und dort Hindernisse auftürmen, alles dieses besiegen.

Wir brauchen keinen Glauben an irgendwelche Dogmen und Autoritäten, auch keinen Personenkultus, aber wir brauchen ei­nen Glauben, einen Kultus. Dann erst werden wir in uns selber die Kraft finden und die Kräfte wieder entzünden in unserer Umgebung. Jenen Glauben, jenen Kultus brauchen wir, der er­wachsen kann aus den Worten, die der Hierophant spricht in unserem Rosenkreuzermysterium: Es gibt eine Kraft der Geistes-weisheit, die wirken kann in unserer Seele so stark, daß man selbst die Zweifel, die wir an uns selber haben, ja an allem bewußten Sein, besiegen kann und sicher durchleiten durch alle Labyrinthe und Wirrnisse des Lebens.43

Wenn wir diesen Glauben, diesen Kultus haben, dann mag der Augenblick kommen, wo wir niedergedrückt zweifeln an aller Wahrheit, an aller Schönheit der Welt, wo wir zweifeln an uns selber. Aber wir werden, wenn wir in richtigem Maße diesen Glauben, diesen Kultus, dieses Vertrauen gewonnen haben, wenn wir durchgeschritten sind durch das Labyrinth des Zweifels an aller Wahrheit, an aller Schönheit, an uns selbst, durch die innere

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Macht der Weisheit, die in uns wirkt, in uns lebt, doch ankommen an jenem Punkte, wo uns ein Licht entgegentritt, das unauslö­schlich ist, das wohl das Auge blenden kann und dadurch unsicht­bar wird, aber niemals in sich selbst verlöschen kann.

Wenn außer dem rein künstlerischen Impuls, der geherrscht hat in den ersten Tagen Ihres Hierseins bei den beiden Aufführungen, noch etwas damit verknüpft war, wenn hier - wie alles im Leben, so auch die Kunst in einen Opferdienst gestellt werden sollte, so war es der Opferdienst, der da gipfelt darinnen, daß wir diese Stärke, diesen Mut, diese unbesiegliche Kraft in uns selber finden. Und wenn manches der Worte, welche Ihnen entgegentönen konnten aus unserem Rosenkreuzermysterium, gerade in diesem Sinne gewirkt haben, wenn es in diesem Sinne entzündet hat das innere Feuer des Herzens, das da dringen soll zum Lichte, das unauslöschlich ist, dann ist mit diesem Rosenkreuzerdrama einer der ersten Schritte getan, welche getan werden müssen, zu seiner Aufgabe in der geisteswissenschaftlichen Bewegung. Das ist es, was so gerne die führenden Mächte unserer Begegnung uns in die Seelen und Herzen gießen möchten, womit sie so gerne unsere Teilnehmer und Bekenner befeuern möchten in ihren Seelen - das ist die Kraft, der Mut, der aus dem Geisteslichte selber kommt. Und erst, wenn dieses Geisteslicht eine solche Kraft ist, daß es uns trägt, daß es uns leuchtet, wenn Finsternisse im Umkreise aufstei­gen wollen, dann sind die Worte von dem rechten Gewichte. Und im Grunde genommen sollen Sie dieses Ziel sehen auch da, wo der Blick gelenkt wird hinauf zu dem Höchsten, zu dem, was alter Seherblick den Menschen verliehen hat als geistige Wahrheiten, nicht bloß um Theorien zu entwickeln.

Wahrlich, nicht wird versucht, dasjenige, was Geistesforschung geben kann, zu verwenden nur zur Enträtselung der monu­mentalen Urworte, die am Ausgangspunkte der Bibel stehen.44 Theosophie hat die Aufgabe, in bezug auf ihr Wirken auf die menschlichen Seelen, Keuschheit des Wortes zu bewahren -Keuschheit! Dann, wenn man ein wenig wird verstehen, was Keuschheit des Wortes ist, wird man so manchen inneren, seelischen

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Prozeß, der uns bei großen Menschen entgegentreten kann, mit der richtigen Ehrerbietung und Hochschätzung betrachten. [ch will Sie auf eines dabei hinweisen, was einem jeden in diesem Augenblick vor der Seele stehen kann.

Denken Sie an das herrliche Gedicht Goethes, das Sie heute gehört haben, «Mahomets Gesang».45 Lassen Sie auf sich wirken ein Faktum, das Ihnen in der äußeren Welt so oft entgegentreten kann, versuchen Sie sich ganz zu versetzen in das, was der aus dem Felsen strömende Quell in Goethes Vision geworden ist. Versu­chen Sie sich zu vergegenwärtigen, wie diese abstrakte Erschei­nung des herabquellenden Bächleins, des sich vergrößernden Bächleins, des Stehens des Baches innerhalb seiner Brüder, des Wohltäters für Menschen und Werke, des Aufgenommenseins in den großen Weltenvater, des Hintragens des Seins und der Schätze zum Weltenvater, denken Sie sich, daß das alles geworden ist in Goethes Vision, wie da leben Quellen und Flüsse so, daß sie alles, was sie zuletzt zum großen Vater zu bringen haben, in lebendiger Anschaulichkeit sich aufladen, und versuchen Sie, sich zu verge­genwärtigen, was notwendig war für eine Seele, die also eine abstrakte Vorstellung umsetzen konnte in solche lebendige Vi­sion. Versuchen Sie, sich einmal zu vergegenwärtigen, daß in einer solchen Seele leben muß umfassendster, universellster Anteil an allem Weltengeschehen, an den Geheimnissen des Alls, daß in einer solchen Seele leben muß Erkenntnis der Dinge, versuchen Sie sich zu vergegenwärtigen, was solche Erkenntnis in Goethes Seele geworden ist, bevor er in innerer Keuschheit aus dieser Seele ausströmen hat lassen diese Dichtung «Mahomets Gesang», von der man sagen kann, daß in ihr kein Wort zuviel, kein Wort weggelassen ist, nichts Phrase, alles vollsaftiges, an der richtigen Stelle glühendes, an der richtigen Stelle klärendes Wort ist. Dann werden Sie das erlangen, was wir auch theosophisches Gewissen nennen können: die große Ehrfurcht, Schätzung, Achtung und Anbetung wird kommen jener schönheitsvollen Offenbarungen, die keusch aus den Weltentiefen erquellen und dennoch nichts sein wollen als einfache, elementar wirkende, künstlerische

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Schönheit. In den Seelen derer, in denen bewußt oder unbewußt die Weltentiefen wirken von der Weisheit, die wir so gerne er-gründen möchten, in denen werden wir, wo sie auch auftreten, allüberall Geister erblicken, die zu uns gehören. Man nehme uns nur nicht übel, wenn wir nicht können mit jedem, was man so leicht als «theosophisch» nennt, mitgehen, aus tieferem theoso­phischen Gewissen heraus, wenn wir gewissenhaft fragen: Quillt wirklich die Quelle des Weltenseins da, wo äußerlich die Kunst sich ankündigt? - Man werfe uns aber nicht vor, daß wir es mangeln lassen an Anerkennung, wo sie wirklich am Platze ist. Nur ist unsere gegenwärtige Zeit leider so wenig geeignet, daß wir das hingebungsvolle «Ja» immer sprechen können, wo es so leicht verlangt wird von den Menschen unserer Gegenwart. Aber wir möchten anerkennen, wir haben unsere Liebe zur Anerkennung und erkennen gerne an.

Aus solchen Gefühlen heraus ist es entsprungen, daß wir Ihnen eine Skizze vorlegen, die wiedergeben soll eine künstlerisch wun­derbare Vision des verstorbenen Künstlers Nikolaus Gysis. Ich glaube gerne, daß mancher, der dasjenige, was hier wiedergegeben ist, vor das Auge bekommt, es zunächst mit einem etwas skepti­schen Blick anschaut und sich sagt: Ach, wieviel netter wäre es doch, wenn da alles hübsch mit feinen Linien gezeichnet wäre und man sich so recht auskennen, so recht wissen würde, was alles einzelne bedeutet! - Darauf kam es nicht an bei dem Gefühle, das uns beseelte, als wir die Skizze der Öffentlichkeit durch unsere Theosophische Gesellschaft übergaben. Dasjenige, was in diesem Bilde uns vor die Seele treten sollte, das ist: Wir sollen fühlen jene Kraft und Wesenheit, von der wir auf dem theosophischen Felde so oft gesprochen haben, der gegenüber wir auf dem theosophi­schen Felde Bescheidenheit lernen und Demut, und die wir uns mit zwei- oder dreitausenden von Worten und Hunderten von Seelenfähigkeiten, die wir gebrauchen, kaum nahebringen kön­nen. Wenn im Rosenkreuzerdrama die Theodora verwendet wor­den ist, um den Hinweis zu bringen auf den Christus der Vergan­genheit in den alten germanischen Heidenzeiten und auf den

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Christus der Gegenwart - wenn das alles dieser Persönlichkeit in den Mund gelegt wird, dann nehmen Sie das nicht nur als Worte, die gesprochen werden, sondern als eine Tatsache, die von Bedeu­tung ist, daß aus dem Munde der Theodora diese Worte im Drama ertönen.46 Wir möchten nicht nur, daß auf viele, viele Weise diese Worte ertönen, sondern daß die Weisheit, die Kraft der Liebe, die in jenem Wesenhaften liegt, uns mannigfach erscheine. Wenn Sie gefühls- und empfindungsmäßig manche meiner Worte aufzufas­sen versuchten, die ich an diesen Abenden über den Schöpfungs­bericht der «Genesis» sprach,47 werden Sie fühlen, daß in dem Weltenwerden der Erde schon liegt auch das Durchdrungensein mit der Christuskraft, die nur wartet bis zu dem entsprechenden Zeitpunkt, um sich durch die Person des Jesus von Nazareth zu offenbaren. Aber sie lebt und webt schon in denjenigen elementa­ren Kräften, die wir aufrufen, um den Schöpfungsbericht zu ver­stehen. So etwas fühlen wir; aber wir mussen vergessen alle Theo­rie, alle Lehre. So etwas fühlen wir, wenn wir heraus sich winden fühlen aus der durchleuchteten Wärme, die hier in der Mitte des Bildes mit dem keuschen, wunderbaren Rot uns erglüht, die Mit­telgestalt aus dem webenden, wärmehaft Leuchtenden. Es muß uns ergreifen, wenn aus dem keuschen Rot in das zur Andacht stimmende Blau mit seiner Seelen- und Geistestiefe, das klare Gold hineingetragen erscheint, das die Gestalten zum Teil um­flimmert, zum Teil umgibt, und wir ahnen, daß in diesem Hinein-tragen des Goldes in das entsprechende Rot,48 in das zur Demut stimmende Blau tiefe, tiefe Herzensgeheimnisse zum Ausdruck kommen. Wir können fühlen, daß an diesem Bilde nicht ein einziger der Strahlen, die angebracht sind, und die wir keusch und noch skizzenhaft erblicken, ausstrahlend von der Mittelgestalt, zwecklos und bedeutungslos ist, und wir fühlen die Nachwirkun­gen jenes Geistes, von dem im Schöpfungsbericht gesagt wird:

«Der Geist der Elohim brütet über den elementaren Stoffansammlungen», 49 wenn wir die Engelsgestalt über dem Rot in ganz wunderbarer Kraft und Vollendung betrachten, und wir fühlen durch diejenigen Gestalten, welche mit so sachlicher Richtigkeit

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gemalt sind, die Harmonien der Hierarchien, der Throne; wir fühlen die Feuer der Weisheiten der Hierarchien in den lichtblim­kenden Schwertern dieser Gestalten. Fühlen, empfinden müssen wir das und keusch zurückhalten mit einer Erklärung, weil der Künstler gefühlt hat, wohin er solche Strahlen senden soll, und fühlen müssen wir Stufen der Menschheitsevolution in den Stufen, die aus dem eigentümlich Blau-Indigohaften in das Rot hinein sich öffnenden unteren Plan uns entgegentreten; im Verlauf, im sich Öffnen der Farbe fühlen wir, daß dadurch etwas für unsere Emp­findung gesagt wird. Und endlich sehen wir oben hineingeheim­nist aus tiefer künstlerischer Empfindung heraus zwei Weltku­geln. Wir fühlen, daß in Farbe, in Beleuchtung, in der ganzen Art des Auftragens der Farbe, in diesen zwei Weltkugeln* wiederge­geben ist etwas ähnlich Kosmisches wie auf dem Bilde von Mi­chelangelo in der Sixtinischen Kapelle, wo die eine Gottesgestalt heranschwebt zum Weltenschaffen und die andere abzieht, nur zurücklassend den Gedanken an untergehende Weltenschalen, die zerbrochen werden mußten,50 damit jene Gestalt hereinwirken konnte, die uns in der Mitte entgegentritt - die Gestalt des Chri­stus. Dieses Gefühl muß man haben; es lebte in dem Künstler, als er das wie zum Leben heranziehende leuchtende Rot und das wie aus dem Leben abziehende Indigoblau keusch anbrachte und er durch die Gestalt des Christus in der Mitte, die zwar äußerlich nicht stark hervortritt, aber dem Tieferblickenden doch erkennbar genug ist, uns die gewaltige kosmische Tatsache im Bilde vor die Seele zu zaubern sich bemühte, daß «aus dem Lichte die Liebe» geboren wird!-

Wenn es mir gelungen ist, zum künstlerischen Verständnis des Bildes etwas in Ihre Seele zu legen wie ein Samenkorn, das sich selber zerbricht und zerstört, um als neue Frucht aufzugehen, dann können Sie in der richtigen Weise diesem theosophischen Wirken gegenüber fühlen lernen.

* Dieser Hinweis dürfte sich darauf beziehen, daß die linke Weltkugel stark durch Gewölk verdeckt gemalt ist, während die rechte in stärkerem Rot leuchtet.

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Über die besondere Beziehung

des seherischen Bewußtseins zu der malerischen Kunst

und über das Problem des Jnkarnats

Aus Vortrag München, 5. Mai 1918 (GA 271)


... In eigentümlicher Lage, in besonders bezeichnender Lage ist das Sehertum gegenüber der Malerei. Da ist die Sache so, daß weder das eine noch das andere eintritt, aber etwas anderes, noch Charakteristischeres. Der wirklichen Malerei gegenüber hat der Seher das Gefühl - und er könnte selber ein Maler sein, denn wir werden hören, daß künstlerisches Schaffen und übersinnliches Erkennen nebeneinander bestehen können -, der Maler komme ihm aus unbestimmter Gegend der Welt entgegen, bringt eine Welt der Linie und Farbe ihm entgegen, und er kommt von der entgegengesetzten Richtung dem Maler entgegen. Er ist genötigt, dasjenige, was der Maler mitbringt, was er aus der äußeren Welt in seine Kunst hineinverlegt hat, als Imaginationen hineinzuverset­zen in das, was er in der Geisteswelt erlebt. Nur sind die Farben, die der Seher erlebt, andere Farben als die des Malers und doch dieselben. Sie stören sich nicht. Wer sich davon eine Vorstellung machen will, der nehme einmal den sinnlich-sittlichen Teil der Goetheschen Farbenlehre über die moralische Wirkung der Far­ben vor. Darin ist das Elementarste enthalten. Da ist mit innerem Instinkt geschildert, was für Gefühlswirkungen bei einzelnen Far­ben in der Seele aufleben. Bis zu diesem Fühlen kommt das Sehertum aus der Geisteswelt heraus, bis zu diesem Gefühl, das man wirklich alle Tage in der höheren Welt erlebt.

Man soll nicht glauben, der Seher spreche beim Schildern der farbigen Aura so, wie der Maler von den Farben spricht. Er erlebt das Gefühl, das man sonst an Gelb und Rot erlebt, aber es ist geistig erlebt, ist nicht zu verwechseln mit physischen Visionen. In diesem Punkte besteht das ärgste Mißverständnis. Es ist das Erlebnis mit der Malerei für den Seher wie etwas, was man be­zeichnen kann als Begegnung mit einem Gleichen, das von entgegengesetzter

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Richtung kommt, wo Verständigung möglich ist, weil von Außen herein dasselbe kommt, was von innen heraus geschaffen wird. Ich setze dabei immer voraus, daß es sich um künstlerisches Schaffen handelt, mit dem Verständigung möglich ist, wenn vorher nicht Naturalismus, sondern Kunst da ist. Der Seher ist genötigt, was er erlebt, zu imaginieren, grob gesprochen zu illustrieren. Das geschieht, indem er in Farben und Formen zum Ausdruck bringt, was er erlebt: Da begegnet er sich mit dem Maler. Und wieder muß man sagen, wenn er den Maler fragen würde, wie stehen wir zueinander? - so müßte der Maler antwor­ten: In mir lebt etwas! Indem ich mit meinem gewöhnlichen Auge durch die Welt ging und Farbe und Form sah, sie künstlerisch umgestaltete, habe ich in mir etwas erlebt, das früher in den Tiefen meiner Seele wogte; es ist ins Bewußtsein heraufgekommen und zur Kunst geworden. - Der Seher würde zum Maler sagen: Was in den Tiefen deiner Seele lebt, das lebt in den Dingen. Indem du durch die Dinge durchgegangen bist, lebst du mit der Seele im Geist der Dinge darinnen. Nur mußt du dir - um die Kraft für das Malen zu behalten und um bewußt zu erleben, was du erlebtest, indem du draußen durch die Dinge gingst, auf daß in dir nicht ausgelöscht werde, was an die Sinne herankommt - im Unterbe­wußten die Impulse lebendig erhalten, welche die Malerei schaf­fen. - Es handelt sich darum, daß die unbewußten Impulse nun ins Bewußtsein heraufwogen. Der Seher sagt: Ich ging durch dieselbe Welt, gab aber acht auf das, was in dir lebt. Ich schaute das an, was bei dir im Unterbewußtsein aufging, habe das dir Unterbewußte zum Bewußtsein gebracht.

Gerade bei solcher Auffassung wird als großes, bedeutsames Problem der Menschenseele etwas gegenübertreten, was vielleicht sonst nicht immer richtig beobachtet wird. Wenn man das eben Charakterisierte in innerer Erfahrung kennen lernt, dann tritt einem etwas entgegen, was das Leben tief berührt. Das ist das Rätsel des Inkarnats, dieser wunderbaren menschlichen Fleisch-farbe, die eigentlich ein großes heilseherisches Problem ist. Sie erinnert einen so recht daran, daß ein solches Hellsehen, wie ich es

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meine, eigentlich dem gewöhnlichen Leben nicht so ganz fremd und unbekannt ist; es wird nur nicht beachtet. Ich möchte den paradoxen, aber wahren Satz aussprechen: Jeder Mensch ist Hell-seher, aber man verleugnet das theoretisch auch da, wo man es praktisch nicht verleugnen kann. Würde man es praktisch verleug­nen, so würde das alles Leben zerstören.

Es gibt heute Käuze, welche denken: Wie komme ich dazu, das Ich eines fremden Menschen vor mir zu haben? - Sie wollen ganz im Gebiete des Naturalistischen bleiben, sie wollen echte Natura-listen bleiben, deshalb sagen sie sich: Ich habe da das Gesichtsoval und sonstiges in Erinnerung, und weil ich an verschiedenen Erleb­nissen erfahren habe, daß sich in solchen Gestalten ein Mensch verbirgt, so schließe ich, da wird hinter dieser Nasenform ein menschliches Ich sein. - Man findet heute bei den «gescheiten Leuten» solche Auseinandersetzungen. Das entspricht aber nicht der Erfahrung, zu der man kommt, wenn man das Leben aus der eigenen Teilnahme am Leben beobachtet. Ich schließe nicht durch die Gesichtsform und so weiter auf ein Ich. Ich habe das Bewußt­sein von einem Ich, weil die Wahrnehmung dessen, was einem als physischer Mensch entgegentritt, auf anderem beruht als die Wahrnehmung an Kristallen oder Pflanzen. Es ist nicht wahr, daß unbelebte Naturkörper denselben Eindruck machen wie ein Mensch. Beim Tier ist das anders. Das, was als sinnliches Menschenobjekt vor einem steht, hebt sich selbst auf, macht sich ideell durchsichtig, und man sieht durch wirkliches Helisehen jedesmal unmittelbar, wenn man vor einem Menschen steht, sein Ich. Das ist die wirkliche Tatsache. Dieses Hellsehen besteht in nichts anderem, als daß man diese Art, wie man mit seinem eigenen Subjekt dem Menschen gegenübersteht, ausdehnt auf die Welt, um zu schauen, ob es noch etwas anderes zu durchschauen gibt in solcher Art wie den Menschen.

Man kann da nicht die wirklichen Eindrücke vom Hellsehen bekommen, ohne ins Auge zu fassen, worauf die Auffassung des anderen Menschen beruht, die so differenziert ist, weil sie auf Hellsehen der anderen Seele beruht. In diesem Hellsehen spielt

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das Inkarnat eine besondere Rolle. Für das äußere Anschauen eines Menschen ist es ein Fertiges, für den, der übersinnlich schaut, ändert sich dem Inkarnat gegenüber das Erleben irrt Be­trachten. Es ist da für ihn ein Mittelzustand. Es kommt, indem man das Helisehen, das sich auf die übrigen Gebiete der Welt erstreckt, so auf die menschliche Gestalt hinwendet, daß das so ruhige Inkarnat pendelt zwischen Gegensätzen und dem Mittel-zustand. Man nimmt Erblassen wahr und Erröten, das so ist, wie wenn es Wärme ausstrahlte. In diesem, daß man den Menschen erblassen und erröten sieht, ist der Mittelzustand drinnen. Mit solchem In-Bewegung-Erleben ist verbunden, daß man weiß, man taucht unter auch in das äußere Wesen des Menschen, nicht nur in seine Seele, in sein Ich. Man taucht unter in das, was er durch seine Seele ist in seinem Leib durch das Inkarnat. Das ist etwas, was einen hinführt in die Beziehung zwischen künstlerischem Auffas­sen und übersinnlicher Erkenntnis. Denn das, was so beweglich wird im Auffassen des Inkarnats, liegt unbewußt im künstleri­schen Schaffen des Inkarnats. Der Künstler braucht sich dessen nur subtil bewußt zu sein. Nur dadurch aber, daß er dies zu erleben vermag, wird ein Künstler in die Lage kommen, das feine, lebendige Vibrieren in die Mitte des Inkarnats zu legen...

Aus Vortrag München, 6. Mai 1918 (GA 271)


... In eigentümlicher Weise erlebt die übersinnliche Erkenntnis die Malerei. Sie steht für die übersinnhche Erkenntnis einzig da. Und weil der Seher - ich werde einen trivialen Vergleich gebrau­chen - so wie der Geometer genötigt ist, mit Strichen und mit dem Zirkel, um es sich zu veranschaulichen, das auf die Fläche zu bringen, was er in der bloßen Vorstellung haben könnte, sich die Vorstellung zu versinnlichen, ist auch der Seher genötigt, das Erleben der geistigen Welt, das, was er gestaltlos erlebt, in gestal­tete, in dichte Welt umzusetzen. Es geschieht, indem er das, was er in dieser Weise erlebt, so miterlebt, daß er es umsetzt in innere

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Anschauung, in Imagination und es ausfüllt, wenn ich so sagen darf, mit Seelenstoff. Das tut er so, daß er gewissermaßen im innerlichen, schöpferischen, seherischen Zustand das Gegenstück zur Malerei schafft. Der Maler bildet seine Phantasie durch An­lehnung der inneren gestaltenden Kräfte an sinnliche Anschauung, die er erlebt, wie er sie braucht. Er kommt von außen herein bis dahin, wo er das im Raum Lebende so umgestaltet, daß es in Linien, Formen, Farben wirkt. Das bringt er bis zum Flächen-haften der malerischen Anschauung. Von entgegengesetzter Seite kommt der Seher. Er verdichtet das, was in seiner seherischen Tätigkeit ist, bis zum seelischen Färben; er durchtränkt das, was sonst farblos ist, wie innerlich illustrierend mit Farben, er bildet Imaginationen aus. Man muß sich nur in richtiger Weise vorstel­len, daß dasjenige, was von der einen Seite der Maler bringt, von entgegengesetzter Seite kommt in dem, was der Seher von innen nach außen schafft.

Um sich das vorzustellen, lese man einmal die elementarsten Grundbegriffe in den letzten Kapiteln von Goethes «Farbenlehre» über die sinnlich-moralische Wirkung der Farben, wo er sagt, daß jede Farbe einen Gemütszustand auslöse. Diesen Gemütszustand, den erhält der Seher als letztes, mit dem tingiert er das, was sonst farb- und gestaltlos wäre. Wenn der Seher von Aura und derglei­chen spricht und Farben anführt bei dem, was er schaut, soll man klar sein, daß er das tingiert, was er innerlich mit diesen Gemüts­zuständen erlebt. Wenn der Seher sagt, was er schaut sei rot, erlebt er das, was man sonst an der roten Farbe erlebt; das Erleben ist das gleiche wie beim Sehen von Rot, nur geistig.

Es ist dasselbe, was der Seher schaut und was der Künstler auf die Leinwand zaubert, aber von verschiedenen Seiten geschaut. Mit dem Maler begegnet sich so der Seher. Diese Begegnung ist ein bemerkenswertes, bedeutsames Erlebnis. Sie läßt die Malerei als besondere Eigenart der übersinnlichen Erkenntnis erscheinen. Das zeigt sich besonders bei einer Erscheinung, die für jede Seele ein besonderes Problem werden muß: beim Inkarnat, der mensch­lichen Fleischfarbe, die eigentlich für den, der in solche Dinge

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innerlich eindringen will, etwas ebenso Geheimnisvolles wie Reiz­volles hat, das in tiefe Natur- und Geistverhältnisse hineinschauen läßt. Dieses Inkarnat erlebt der Seher auf besondere Weise. Ich möchte da auf eines aufmerksam machen.

Wenn man vom Seher, vom Hellsehen spricht, denken die Menschen, daß da etwas gemeint ist, was nur ein paar verdrehte Menschen haben, was ganz außerhalb des Lebens steht. So ist es nicht. Das, was ernsthaftes Schauen ist, ist im Leben immer vor­handen. Wir könnten nicht im Leben stehen, wenn wir nicht alle für gewisse Dinge hellsehend wären. Darauf kommt viel an, daß der ernsthaft zu nehmende Seher nicht etwas meint, was außer­halb des Lebens steht, sondern was nur Erhöhung des Lebens ist nach gewissen Seiten hin. Wann sind wir im gewöhnlichen Leben hellsehend? Wir sind in einem Fall hellsehend, der heute deshalb so verkannt wird, weil man aus der materialistischen Anschauung heraus allerlei Spintisiererei sich gebildet hat über die Art, wie man ein fremdes Ich erfaßt, wenn man einem fremden Körper gegenübersteht. Es gibt heute schon Menschen, die sagen: Man nimmt nur durch einen unterbewußten Schluß die Seele eines anderen Menschen-Ich wahr. Wir sehen das Oval des Gesichtes, die sonstigen menschlichen Linien, seine Gesichtsfarbe, die Form der Augen, wir sind gewöhnt worden, wenn wir so etwas Leibli­ches sehen, uns einem Menschen gegenüberstehend zu finden, darum ziehen wir den Analogieschluß, daß das, was in einer solchen Form ist, auch einen Menschen birgt. - Es ist nicht so; das zeigt die übersinnliche Erkenntnis. Das, was uns am Menschen erscheint in der menschlichen Gestalt und Tingierung, das ist eine Art Wahrnehmung, wie die Wahrnehmung von Farbe und Form an einem Kristall. Farbe, Form und Fläche an einem Kristall drängen sich auf als sie selbst. Fläche, Tingierung am Menschen heben sich selbst auf, machen sich, ideell gesprochen, durchsich­tig. Die sinnliche Wahrnehmung des andern Menschen löscht sich geistig aus: Wir nehmen die andere Seele unmittelbar wahr. Es ist ein unmittelbares Sich-Versetzen in die andere Seele, ein geheim­nisvoller, wunderbarer Prozeß in der Seele, wenn wir dem anderen

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Menschen gegenüberstehen in unserem eigenen Menschenwe­sen. Da geschieht ein wirkliches Heraustreten der Seele, ein Hin-übertreten zum anderen. Das ist ein Heilsehen, das im Leben immer und überall vorhanden ist. Innig hängt zusammen diese Art des Hellsehens mit dem Geheimnis des Inkarnats. Das wird der Seher gewahr, wenn er zum schwierigsten seherischen Pro­blem aufsteigt: seherisch das Inkarnat wahrzunehmen. Das Inkar­nat hat für die gewöhnliche Anschauung etwas Ruhendes, beim Seher wird es etwas in sich Bewegtes. Der Seher nimmt das Inkarnat nicht als etwas Fertiges wahr, er nimmt es wahr als einen Mittelzustand zwischen zwei anderen. Konzentriert sich der Se­her auf die Tingierung des Menschen, dann nimmt er ein fortwäh­rendes Schwanken des Menschen wahr zwischen Erblassen und einer Art Erröten, was höheres Erröten ist als das gewöhnliche Erröten, und was für den Seher übergeht in eine Art Wärmeaus­strahlung. Das sind die beiden Grenzzustände, zwischen denen die Tingierung des Menschen pendelt und in deren Mitte das Inkarnat liegt. Das wird ein Hin- und Hervibrieren für den Seher. Durch das Erblassen versteht der Seher, wie der Mensch im In­nern, im Gemüt und Intellekt ist, und durch Erröten erkennt man, wie der Mensch als Willens-Impulswesen ist, wie er im Verhältnis zur äußeren Welt ist. Es vibriert das, was in höherem Grade im Inneren Charakter des Menschen ist.

Man darf sich nicht vorstellen, das Sehertum bestehe darin, daß man sich «entwickelt» und dann alle Menschen und alle Dinge geistig sieht. Der Weg in die geistige Welt hinein ist ein vielgestal­tiger, komplizierter Weg. Das Daraufkommen auf das Innere des anderen Menschen hat das Erlebnis des Inkarnates zu seinem Hauptproblem...

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Handschnftliche Aufzeichnungen

Vorbemerkungen der Herausgeber

Im Vortrag Dornach, 13.Januar 1924 (GA 233a) findet sich die Bemer­kung: «Ich habe viele Notizbücher, in denen ich aufschreibe oder auf­zeichne das, was sich mir ergibt. Ich schaue sie dann gewöhnlich nicht mehr an. Aber dadurch, daß man nicht den Kopf, sondern Ldurch das Niederschreiben] den ganzen Menschen betätigt» - denn der ganze Mensch solle mit innerer Tätigkeit beim Produzieren der geistigen Er­kenntnisse dabei sein - «dadurch kommen diese auch den ganzen Men­schen ergreifenden Erkenntnisse heraus.»

Diese Aufzeichnungen sind somit schnell festgehaltene wesenhafte Ausblicke in die Bereiche, in denen die Sinnesqualitäten urständen. Sie sprechen aber auch vom Ringen des Geistesforschers, um die Fülle übersinnlicher Vorgänge und Wahrheiten ins Denken, ins Wort zu brin­gen. Eröffnen die einen ganz neue, dem künstlerisch Schaffenden und Empfindenden anregende und befeuernde Einsichten, so kann man mit den anderen den Weg verfolgen, auf dem höhere Wahrheiten sich inkar­nieren, sich dem geöffneten Geistesauge wahrnehmbar machen, im Den­ken Form gewinnen. Darum wird man weder die einen noch die andern Aufzeichnungen verstandesmäßig pressen, noch zu Theorien und Spe­kulationen mißbrauchen dürfen. Handelt es sich doch überall um sinn­lich-übersinnliche Erfahrungen, die sich immer neu und anders, je nach der Blickrichtung des Beobachters und der Aufhellung des Objektes zeigen. Daraus echte Widersprüche ableiten zu wollen, lehnte Rudolf Steiner mit der Begründung ab: .... So wie man in irgendeiner Sprache sprechen lernt und die Worte anwendet, um das auszudrücken, was man will, kann man das, was man als seherisches Schauen hat, nicht ausdrük­ken. Die Worte sind nicht geprägt dafür. Daher hat der Seher die Notwendigkeit, manches ganz anders auszudrücken. Er ringt immer mit der Sprache, um sagen zu können, was er sagen will. Er muß den Weg wählen, daß er irgendeine Sache in einen Satz kleidet, der annähernd das ausdrückt, was er sagen will; er muß einen zweiten Satz sagen, der etwas Ähnliches bringt. Er muß auf den guten Willen seiner Zuhörer rechnen, damit der eine Satz den anderen beleuchte. Wenn dieser gute Wille fehlt, dann wollen ihm die Leute verschiedene Widersprüche aufmutzen. Derjenige,

#SE291a-298

der wirklich Seherisches auszudrücken hat, muß in Widersprü­chen wirken, und ein Widerspruch muß den anderen beleuchten, da die Wahrheit in der Mitte liegt.» (Wien, 1.Juni 1918, GA 271.)

Um dem Wesen dieser handschriftlichen Aufzeichnungen gerecht zu werden, erfolgt die Wiedergabe faksimiliert in Originalgröße. Der leich­teren Lesbarkeit wegen, ist der Text auch gedruckt wiedergegeben. Die Aufzeichnungen sind in ihrer ursprünglichen Reihenfolge aufgeführt.

#SE291a-299

Handschriftliche Aufzeichnungen

zu den zwei doppelt gehaltenen Vorträgen

München, 15./17. Februar, 5./6. Mai 1918

Notizzettel-Archivnummern 2531-2537

#SE291a-300-310

#Bild s. 300-310

Handschriftliche Aufzeichnungen zu den drei Vorträgen «Das Wesen der Farben» Dornach, 6., 7., 8. Mai 1921

#G291a-1990-SE311 Farbenerkenntnis

#TI

Handschriftliche Aufzeichnungen

zu den drei Vorträgen

«Das Wesen der Farben»

Dornach, 6., 7., 8. Mai 1921

Notizbuch-Archivnummer 306

#TX

#SE291a-312-341

#Bild s. 312-341

#SE291a-342

Handschriftliche Aufzeichnungen

ohne bestimmbare Zuordnung

Notizzettel-Archivnummern 856-858

Seiten 343 bis 345

Zu den zwei Vorträgen in Kristiania (Oslo),

18., 20. Mai 1923 in

«Das Künstlerische in seiner Weitmission» (GA 276)

Notizbuch-Archivnummern 281 (verkleinert)

Seiten 346 bis 349

#SE291a-343-349

#Bild s. 343-349

#SE291a-350

Fragenbeantwortung Dornach, 26. August 1921


Frage: Soll Farbe in moralischer Hinsicht in der Malerei verwendet werden?

Antwort Rudolf Steiners:

Wenn ich die Frage richtig verstehe, so wird gemeint, ob man, wenn man eine moralische Intention hat, diese versuchen soll in Farbe oder auch in Farbenharmonik zu übersetzen.

Ich glaube, daß derjenige, der in dieser Weise menschlich-moralisch Gedachtes in der Farbe zu verkörpern versucht, eigent­lich unkünstlerisch schafft. In der Farbe läßt sich nur dasjenige Geistige verkörpern, was in der Farbenwelt selbst als Geistiges erlebt werden kann. In demselben Maße, in dem man die morali­sche Intention vorher hat und nachher dieses moralisch Konzi­pierte künstlerisch bilden will, verfällt man ins Symbolisieren. Und Symbolisieren und Allegorisieren ist immer unkünstlerisch.

Ich will, um das zu illustrieren, was ich eigentlich meine, das Folgende sagen. Ich war einmal genötigt, zum Behufe einer Faust-Aufführung hier die Formen der Kabiren, der Götter der samo­thrakischen Mysterien, nachzukonstruieren. Sie mußten gezeigt werden, während der Goethesche Text gesprochen wurde. Ich glaube, daß es mir möglich war, aus geistigem Anschauen heraus diese Kabiren, so wie sie wirklich waren, nachzukonstruieren. Dann ist - ich sage das nicht aus Unbescheidenheit, sondern weil eine Tatsache mitgeteilt werden soll - bei jemandem von unseren Mitgliedern der Wunsch aufgetreten, von diesen Kabiren, die gefallen haben, Photographien zu haben. Nun, mir ist das Photo­graphieren eines plastisch geformten Werkes so schauderhaft, daß ich vor jeder Photographie einer Plastik eigentlich davonlaufen möchte, weil dasjenige, was wirklich künstlerisch geschaffen wird, eben aus dem geistig erlebten Materialgefühl heraus geschaffen wird, und weil man dasjenige, was in Raumformen gedacht ist, unmöglich unmittelbar in der Flächenform erleben kann. Ich habe es daher damals vorgezogen, weil ich diesen Wunsch gerne berücksichtigen

#SE291a-351

wollte, in Schwarz-Weiß-Manier noch einmal das zu machen, was ich als die drei Kabiren herausgebracht hatte und dann konnte man es photographieren.

Derjenige, der meinen würde, man könnte moralische Intentio­nen in Malerei umsetzen, der denkt daran, daß man überhaupt irgendeinen Inhalt, ich will sagen, «novellistisch» verarbeiten kann und dann in jedes beliebige Material hineingießen. Das ist nicht wahr. Es ist künstlerisch unwahr. In einem Material kann irgendein Künstlerisches nur auf eine Weise gebildet werden.



Frage: Wenn wir schöne Farben aus der Natur nehmen, warum sollen wir nicht schöne Formen aus der Natur nehmen können?

Antwort Rudolf Steiners:

Das würde ich auch nicht einsehen können. Nur bitte ich wieder zu berücksichtigen, wie ich wiederholt in Anknüpfung an diesen Bau über die Farben gesprochen habe und wie ich in meinem Vortrage über die Kunst über die Formen gesprochen habe. Es handelt sich nicht darum, das Unkünstlerische, das einer unkünst­lerischen Zeit in der Gegenwart eigen ist, nachzuahmen, sondern daß die Farbe der Natur nicht nachgeahmt, sondern nacherlebt wird. Wir erleben ja die Farbe innerlich und schaffen aus der Welt der Farbe dann heraus. Ebenso können wir selbstverständlich auch die Form aus sich selbst erleben, und dann werden wir uns Formen schaffen, wie sie uns auch in der Natur entgegentreten. Aber das muß man berücksichtigen, daß wenn wir zeichnen, wir eigentlich fordern, die Formen der Natur nicht nachzuahmen, sondern nachzufälschen. Wir müssen die Flächen zeichnen.

#SE291a-352

Es ist ja in der Natur selbst so, daß die Horizontallinie, wenn wir sie zeichnen, eine Fälschung ist - ich sagte vor ein paar Tagen:

eine Lüge ist. Dasjenige, was zu sehen ist, ist der blaue Himmel, das grüne Meer, und die Form ist das Ergebnis der Farbe. Das ist schon in der Natur, und wenn wir aus der Farbe heraus künstle­risch wirken, so ergibt sich eben die Form, so wie sich die Form in der Natur selber ergibt.

#SE291a-353

Über das Malen

Hörernotizen aus zwei Vorträgen über Malerei anläßlich des

«Pädagogischen Jugendkurses» in Stuttgart, Oktober 1922

Stuttgart, 13. und 15. Oktober 1922

In der Kunst muß erworben werden ein Können, --- erworben werden durch Arbeit. - Alle Kunstmittel sind erschöpft (beson­ders durch den Naturalismus).

Grieche: Seine Plastik ist aus dem eigenen Erleben heraus ge­holt (ohne Modell). - Unterschied im Erleben des gestreckten und gebeugten Muskels.---

Man muß lernen, in den Farben zu leben, so daß Farbe Mittel werden kann der Malerei. Farben-Erleben muß durchseelt wer­den; es muß aus der Farbe heraus gemalt werden. - Aber nicht symbolisch, denn das wäre begrifflich. - Begriffe haben mit Kunst nichts zu tun, sie wirken ertötend auf alle Kunst. - Begriffe = Passivität. - Der Künstler aber muß aktiv sein. ---

Ausgangspunkte des Malens:

Weiße Fläche - 1. Fläche, 2. weiß

Pinsel und Farben

Eine «Fläche» heißt seelisch: da ist der Wille nicht auszudrücken.

- Denn: Willensentfaltung = dreidimensional. - Fläche = zweidi­mensional, - Leben, das ursprünglich nur Fühlen. - Wille also durch Gefühl in die Fläche bringen. - Wille in die Farbe bringen.

Gedanken lassen sich nicht in der Fläche bringen; - denn Gedanken sind nur eindimensional. - (Othello gedanklich statt bildhaft aufgefaßt, gestaltet ihn zur unendlichen Linie.) ---

Fläche «weiß», d. h. man hat das auf der Fläche, worin alle Farben ersterben. - Tod des Farbigen. - Durch Weiß dringen wir wie durch ein Tor in die Farbenwelt; es ist aber noch nicht die Farbenwelt selbst. ---

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Wenn Gelb gemalt werden soll - nicht Gelb aufstreichen, son­dern im Gelb selbst leben. ---

Malen einer Stimmung in Blau: --- man muß die weiße Fläche jeden Augenblick seelisch matt blau erleben können. Nicht grundieren mit mattem Blau, sondern Farbe muß in mir sein, im Erleben, und zufällig bringt es die Hand eventuell auf die weiße Fläche. - Die Seele lebt aber bereits im matten Blau, aus dem sie etwas herausholen kann.

Fläche ist eines der Mittel, die zum Malen gehören. ---Raum-Perspektive ist erst entstanden mit dem Zeitalter des Intellektua­lismus. -- Heute muß man Perspektive im Farbigen erleben [Farb-Dynamik] -- Beim Blau empfindet man: da ist jemand hinter der Fläche, der saugt einem die Fläche weg. Beim Rot: da kommt jemand von vorn heran. Die Farbe muß auf der Fläche gleichsam aufgefangen werden.-- Man muß viel reicher erleben, als man nachher auf die Fläche bringen kann.---

Jedes Malen nach dem Modell ist unkünstlerisch. --- Unsere Seele muß hineinwachsen in das völlig freie Gestalten. Die Welt des Farbigen ist in sich ein Schöpferisches, Schaffen­des. - Blau liegt zurück, Rot liegt vorne durch innere Farbenquali­tat. Das ist die wahre Farbenperspektive [Farben-Dynamik]. Wir empfinden uns in der Fläche; nur der Wille kann im Raume leben.

Die Form muß der Farbe Werk sein. Daher Schöpfen aus dem Farbigen heraus. Zeichnen für Malerei ist unwahr, da nicht da.

Lernen, mit der Farbe zu spielen. Im Spielsinn ist der Mensch am meisten Mensch (Schiller). Dürer wollte in seiner «Melancho­lia» eine Studie in Hell-Dunkel machen ---, eine Studie über die Offenbarungen des Lichtes.---

Goethes Farbenlehre ist eine Fundgrube für den Maler, beson­ders das Kap. über die sinnlich-sittliche Wirkung der Farben. Es geht in die Finger. - Phantasie ist immer kopflos, es muß durch die Hände geschaffen sein. (Streitfrage: Raffael ohne Hände.) Malerei ist nichts, wenn man nicht darin den Menschen ahnt im Streichen des amorphesten Fleckes, sonst unmenschlich. ---

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Rahmen-Frage: sich ein Bild an die Wand hängen hat eigentlich nur Sinn, wenn aus der Wand herauswachsend. - Cimabue läßt Gestalten aus dem Goldgrund erwachsen; letzter Rest davon: der Goldrahmen. Rahmen nsuß farbig sein, mit Bild harmonisierend.

«Beleuchtetes» malen: ist Malen der Reflexe des Sonnenlichtes auf das Objekt, das man hinstellte zum Abbilden. Stilleben erlebt man nur äußerlich, indem man sich hinstellt und anschaut. Woge­gen Pflanze und Tier, die müssen wir innerlich miterleben.

An der Pflanze zweierlei: Richtung nach aufwärts, und Rich­tung im Kreise.

Richtung nach aufwärts: unschön, unbelebt, verdorrend, endet in dem Fruchtpunkt; der schließt das Leben der Pflanze ab. Fruchtknoten verlogen, - wird ja erst wahr im nächsten Jahr, wenn sich entfaltend zu neuer Pflanze.

Das Aufwärtsstreben rührt vom vorigen Jahr her. - Blätter, Ranken sind eine Gabe dieses Jahres. Blüte etc. - ist einhüllend in Schönheit, wie demonstrierend gegen ihre Nützlichkeit.---Natur, schön, wenn sie das Unnützliche an sich anrankt. ---Farbegebe-Prozesse der Blume muß man miterleben innerlich. (Mohn behält sein Rot im Zimmer, Zichorie verliert ihr Blau sehr bald im Zimmer.)

[Es wird empfohlen, das zu verarbeiten, was in der «Theoso­phie» als das Geisterland beschrieben ist.] Da ist künstlerisches Empfinden---. Wir haben beim Anorganischen: Sonnenreflexe von außen. Bei der Pflanze muß man schon ins Innere gehen, beim Tier noch mehr, beim Menschen aber ganz. Durch die Farbe [das menschliche Inkarnat, Pfirsichblüt] muß man das Innere des Men­schen erleben. --- Beim Tier kann man nicht das Innere durch die Farbe erleben. --- Wenn man das Menschenantlitz malt, wird man die Farbe des Antlitzes zu durchdringen suchen, und rings um dasselbe wird man den farbigen Astralleib geben. --- Es gibt nichts in der Natur, das dem menschlichen Inkarnat ähnlich wäre, es ist das allermenschlichste. Das Inkarnat, als äußere Offenba­rung des Inneren, ist ganz Schöpfung des Menschen selbst, aber

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eigentlich nur im Antlitz. - Das Antlitz ist das Ich. - Menschlich am Menschen ist nur das Antlitz, und zwar seiner Farbe nach. -Am menschlichen Haupte ist das Äußere das Wertvollste, was offenbar wird, mehr als sein Gehirn.--- Das menschliche Haupt ist wahr nach außen, aber auch nicht irdisch. --- Die Füße z.B. sind nicht wahr gestaltet [menschlich wahr], sondern im Sinne der Schwerkraft von der Erde aus gestaltet, -- sind der Erde ange­paßt.---

Das Inkarnat wird nicht mehr erlebt gemalt heute, sondern meist von außen gemalt --- [stillebenhaft, siehe oben]. In Paris (Louvre) Leonardos Bild: Dionysos und Johannes: Farbe noch gut empfunden. Bei Dionysos: alle Farben von innen heraus; bei Johannes: alle Farben von außen abprallend.---

Mathematik kommt aus den Gliedmaßen, im Schreiten usw. Sofern es sich projiziert ins Gehirn, erleben wir Mathematik. Geometrie nicht aus Nervensystem, - sondern das Nervensystem nur Spiegel-Apparat für unser seelisches Leben.

Mit dem Material leben lernen: Rodin lebt nie im Material, sondern es ist ihm nur Mittel zur Darstellung. --- Man muß empfinden können, wie es z. B. besser war, die plastisch gebilde­ten Kabyren (Dornach) zeichnerisch noch einmal neu zu gestal­ten, anstatt sie photographieren zu lassen. Photographie von Pla­stik gibt ein Ertötetes. Auch der Mensch ist photographiert wie im Starrkrampf. ---

#SE291a-357

Farbe im dramatischen Bühnenbild



Vorbemerkungen der Herausgeber

Im Farben- und Lichtgeben ruht das Wesentliche desjenigen, was man braucht, um die Szenen in der richtigen Weise als Beigabe zur Darstellungskunst des Schauspielers auszubauen.1

Rudolf Steiner hatte lebenslang eine aktive Beziehung zur Schauspiel­kunst. In seinen Wiener, Weimarer und Berliner Jahren kannte er per­sönlich namhafte Künstler, gab «Dramaturgische Blätter» heraus und schrieb zahlreiche Theaterkritiken.2 Vereinzelt führte er auch schon damals Inszenierungen durch. Aber erst als Marie von Sivers, später Marie Steiner, die in der Kunst der Rezitation und dramatischen Darstel­lung geschult war, seine Mitarbeiterin wurde und auch auf diesem Ge­biet seine Intentionen aufgriff, konnte er damit beginnen, das, was ihm auf diesem Gebiet vorschwebte, zu verwirklichen.3 Im Hinblick auf die Gestaltung des Bühnenbildes sollte dies sein: ein bis auf den letzten Farbfleck hin gestalteter Gesamteindruck im Sinne eines von wirklich religiösem Geiste durchhauchten Bühnenbildes. Mit dieser Intention inszenierte er in den Jahren 1907 bis 1913 zwei Dramen von Edouard Schuré - «Das heilige Drama von Eleusis«, «Die Kinder des Luzifer» -, seine eigenen vier modernen Mysteriendramen und die Weihnachtsspiele aus altem Volkstum, die Oberuferer Spiele. In den Jahren 1915-19 inszenierte er zusammen mit Marie Steiner zahlreiche Szenen aus Goe­thes «Faust» I und II, hauptsächlich solche, in die ganz besonders stark das Übersinnliche hereinspielt, was mit Hilfe der Eurythmie dargestellt wurde. Wie die Erkenntnis vom innerlichen Wesen der Farben im Büh­nenbild angewendet werden kann, wurde in den im September 1924 gehaltenen 19 Vorträgen über «Sprachgestaltung und Dramatische Kunst» vermittelt.

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Chronologische Übersicht der Äußerungen Rudolf Stein ers

1910-13

Farbangaben für Bühnenbilder und Kostüme der «Vier Mysterien-dramen», wie sie den Seeleneigenschaften der einzelnen Gestalten entsprechen. GA 14.

Siehe auch Hilde Boos-Hamburger in «Aus Gesprächen mit Ru­dolf Steiner über Malerei und einige Erinnerungen an die Zeit des ersten Goetheanum», Basel 1954.

1910

16. Aug. Anzustreben ist ein Gesamtkunsteindruck bis auf den letzten Farh­

fleck hin. GA 122.

1915-19

Farbangaben für die Inszenierung eurythmisch-dramatisch darge­stellter Szenen aus Goethes »Faust» I und II.

Siehe Lea van der Pals in »Rundbrief der Sektion für redende und musizierende Künste. Goetheanum Dornach», Nr.8 und 10.

1924

16.-18. Kostümfarben sollen im Einklang mit der Rede sein (Beispiele).

Sept. Stilisierung im Bühnenbild nicht nach Form und Linie, sondern nach dem Farb- und Lichtgeben. Der Grundton einer Dekoration und die farbige Bühnenbeleuchtung sollen eine Harmonik der Far­benstimmungen ergeben. Für die Entwicklung des dekorativen Sinnes gibt es nichts Schöneres als die rechte Hingabe an den Regenbo gen. GA 282.

28. Sept. Über das Bühnenbild und die Regiekunst. Schriftlicher Bericht über den Kursus »Sprachgestaltung und Dramatische Kunst». GA26Oa (in diesem Band Seite 361).

o. Datum Anregung einer musikalisch begleiteten, sich metamorphosieren­

den Bildgestaltung für eine Marionettenbühne.

In diesem Band Seite 364.

#SE291a-361

TEXTE VON RUDOLF STEINER



Das Bühnenbild und die Regiekunst4


Für die Gestaltung der Dichtung auf der Bühne bedarf die Regie-kunst des Einlebens in die Welt der Farbe. Das kommt für die Kostümierung der Personen ebenso in Betracht wie für das deko­rative Bühnenelement. Denn für den Zuschauer muß das, was er als Wort hört, als Geste sieht, mit der Gewandung des Schauspie­lers und mit dem plastisch-malerischen Bühnenbild zu einem Ganzen sich verweben.

Da kommt es auf die Möglichkeit an, in der Farbentönung Stil zu entfalten. Deshalb muß die Bühnenkunst sowie die Malerei jenen Übergang verstehen, der von dem Anschauen (Wahrneh­men) der Farbe an den Dingen und Vorgängen der Außenwelt zu dem Erleben des Inneren der Farbe führt.

Eine tragische Stimmung in einem rötlich oder gelblich gehalte­nen Bühnenbild ist unmöglich. Eine heitere Seelenverfassung auf blauem oder dunkelviolettem Hintergrund ebenso.

In der Farbe lebt das Gefühl auf räumliche Art. Wie der An­blick des Roten eine heitere Grundstimmung der Seele, des Blauen eine ernste, des Violetten eine feierliche auslöst, so fordert das liebend-hingebende Verhalten einer Person zu einer andern die räumliche Verkörperung in der rötlich gehaltenen Gewandung und in der ebenso gehaltenen Tönung der dekorativen Umge­bung. Das verehrend-andächtige Erleben einer Person fordert für beides eine bläulich gehaltene Tönung.

Ein ähnliches gilt für den zeitlichen Ablauf der dramatischen Handlung. Geht diese von dem allgemeinen Interesse, das man im

#SE291a-362

Anfange an Charakteren und Handlung nimmt, zu tragischen Katastrophen über, so entspricht dem ein Übergang in der Tö­nung von den hellen gelblich-roten, gelblich-grünen Farben zu den grünlich-blauen und blau-violetten. - Der Fortgang in der Stimmung zu einem heiter-befriedigenden Lustspiel-Ende fordert den Übergang in der Farbentönung vom Grünlichen zum Gelb-roten oder Rötlichen.

Doch damit ist nur ein Gesichtspunkt angedeutet. Zu diesem kommt der andere, daß in dem Nebeneinanderstehen der Charak­tere diese in der Farbentönung sich offenbaren.

Man wird einen zornmütigen Menschen nicht in blauer Ge­wandung auftreten lassen, sondern in einer solchen mit heller Farbentönung, wenn man es mit einer tragischen Grundstimmung zu tun hat. Man kann aber einen zornmütigen Menschen, wenn die Dichtung es fordert, auch im ernst-feierlichen Blau erscheinen lassen. Er wird dann humoristisch wirken.

Ein freudig erregter Mensch auf einem blauen Hintergrunde, ein traurig gestimmter auf einem gelben wirken so, wie wenn sie in ihrer Umgebung nicht am rechten Platze wären; man lächelt über den ersteren und bemitleidet den zweiten.

Diese feinen Wirkungen spielen sich zwischen Bühne und Zu­schauern ab. Ihre künstlerisch-phantasievolle Erkenntnis gehört zu dem, was die Regiekunst ausmacht.

In der Licht- und Farbentönung dessen, was gleichzeitig auf der Bühne erscheint, kombiniert und harmonisiert mit derjenigen, die sich auf das in der Zeit Verlaufende bezieht, wird sich der ganze Fortgang der dramatischen Handlung von einer Seite aus offenbaren lassen.

Man wird bei einer richtigen Auffassung der Sache gegenüber dem Angedeuteten nicht den Vorwurf erheben, daß die Künste hier in ungehöriger Art miteinander vermischt werden sollen. Denn in der praktischen Ausführung der Sache wird man finden, daß der Regisseur ein ganz anderes Einleben in die Farbe braucht als der Maler. Das beruht darauf, daß der Maler seine Gestaltun­gen aus der Farbe heraus geboren werden läßt, während die Regiekunst

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Charakter und Handlung in das leuchtend-farbige Bühnen­bild hineinstrahlen läßt. Ein Maler, der das letztere tut, wird dekorativ im üblen Sinne; ein Regisseur, der in ersterem sich ergehen würde, ertötete das Leben auf der Bühne.

Bei einer Darstellung im Freien, bei der man mit der Ausstrah­lung im Farbigen nicht rechnen kann, wird man eine viel kolorier­tere Sprachgestaltung und eine dem Innen-Erleben der Personen deutlicher entsprechende Gewandung brauchen als in dem künst­lich hergestellten, geschlossenen Bühnenbilde. Das kommt aber nicht in Betracht, wenn es sich um die Darstellung der freien Natur im geschlossenen Bühnenbilde handelt. Da gilt durchaus, was in bezug auf die Farbentönung hier gesagt worden ist.

So wird man für das Bühnenbild nach Stilisierung von Licht und Farbe streben. Dagegen wird die Stilisierung des Linienhaf­ten, Formhaften, Plastischen gemacht, maniriert erscheinen. Ein stilisierter Wald, eine stilisierte Architektur sind etwas Karikatu­renhaftes. Da wird der Übergang zur realistischen Darstellung notwendig sein. Da setzt sich, was sich im Drama aus der Natur im übrigen heraushebt, in diese hinein wieder fort.

Wenn die rechte Sprachgestaltung durch die rechte Geste in­nerhalb des rechten Bühnenbildes sich offenbart, dann wird der Geist, der im Drama lebt, als Seele sich von der Bühne herab kundgeben. Und in einem solchen Kundgeben ist nur allein das Künstlerische möglich.

Der Naturalismus entsteht nur aus der Ohnmacht gegenüber dem künstlerischen Gestalten. Er tritt auf, wenn der Stil den Geist verloren hat und zur Manier ausgeartet ist; er wird aber auch mit dem Geiste wieder gefunden.

#SE291a-364

Zum Marionettentheater

Eine Anregung Rudolf Steiners für das Marionettentheater

und eine der Marionettenbühne verwandte Kleinkunst

aus der Zusammenarbeit mit Jan Stuten, überliefert von H. O. Proskauer5


Rudolf Steiner hatte in den Jahren der Zusammenarbeit mit Jan Stuten öfter vom Puppentheater in der Art gesprochen, als ob es sich von selbst verstünde, daß auch dieser kleine, aber bedeu­tungsvolle Kunstzweig durch die Goetheanum-Kunst neu zu be­leben wäre. Jan Stuten erzählte unter anderem, wie er in den Jahren, als am Goetheanum die Kunst der Eurythmie entwickelt wurde, Kostümentwürfe für Humoresken von Christian Morgen­stern gezeichnet hatte und Rudolf Steiner, als er sie ihm vorlegte, dazu sagte: «Das geht nicht für die Eurythmie, das können Sie für das Puppentheater gebrauchen.» Auch hatte Rudolf Steiner zum Beispiel geraten, beim Puppentheater drei Vorhänge in verschie­denen Farben nacheinander aufgehen zu lassen, um das Gesche­hen auf der Bühne den irdisch-prosaischen Zusammenhängen ganz zu entrücken.

Rudolf Steiner hatte ihm ganz neuartige Aufgaben gestellt, die wegleitend sein sollten für eine der Marionettenbühne nahe ver­wandte Kleinkunst.

So sollte ein reiner Seelenvorgang, zum Beispiel die Furcht, in ihren inneren Entwicklungsstadien und Verwandlungen zum Mo­tiv einer musikalischen Komposition und dazu gleichzeitig sich bewegender, farbig geformter Bildgestaltungen gemacht werden. Auf einer kleinen Bühne hätte sich ein imaginativ-bewegtes, ge­heimnisvoll sich verwandelndes Leben abspielen sollen, nach den Tönen einer entsprechenden Musik gewissermaßen magisch sich entfaltend, beides die Phasen von Spannungen, Bewegungen, Er­starrungen und Lösungen der Furcht, sinnlich-künstlerisch gestal­tet vor Auge und Ohr ausbreitend. In den sich verändernden, aufglühenden und verblassenden farbigen Bildern hätten sich nach Art von Marionetten gespenstische Wesen zur Musik, einzeln und

#SE291a-365

in Gruppen, charakteristisch bewegen sollen. Diese Vorgänge hät­ten sich abspielen sollen, nicht um Furcht zu erzeugen, sondern um den Vorgang in der menschlichen Seele im Zustande der Furcht - wie er sich einer durch die anthroposophischen Metho­den vertieften Innenschau ergibt - aus der rein seelischen Empfin­dung über die Musik bis ins bewegte Bild in ein wacheres Bewußt­sein hinaufzuheben.

Man stelle sich also zuerst die Furcht, diese die Welt heute so zerklüftende Seelengewalt, in dieser Weise gestaltet vor und dar­auf folgend etwa die wärmenden und erhebenden Seelenkräfte des Mitleids in die Welt der Sinne projiziert: eine ganz neue Art der Katharsis würde durch diesen Kontrast, eine Läuterung der ent­seelenden Stumpfheit des Materialismus müßte die Folge sein. Seelische Vorgänge und Beziehungen, die sich heute immer mehr zu verflüchtigen drohen, würden durch diese Kunstart dem Be­wußtsein wieder wie greifbar nahegerückt werden. Ihre intimsten Regungen müssen erforscht und beobachtet werden, wenn ihre Dramatik in dieser völlig unintellektuellen Art ausgebreitet wer­den soll.

Wie die Metamorphosen der plastischen Formen im ersten Goetheanum die geheimen Gesetze des Lebendigen offenbarten, so hätte sich hier das Reich der Gemütsbewegungen in seiner ganzen Dramatik farbig-tönend dargelebt als eine bedeutende Erweiterung der Künste.

Jan Stuten hatte sich mit Begeisterung an die Arbeit gemacht und fünfzehn zum Teil farbige Skizzen geschaffen. Rudolf Steiner hatte ihnen sehr gut zugestimmt. Doch der Weg zur Realisierung durch eine geeignete Technik für eine Kleinbühne - bis die Welt des Seelenraumes sich des äußeren Raumes bemächtigt hat - ist begreiflicherweise kein einfacher. Der Brand des ersten Goethe­anum, Rudolf Steiners Tod, der neue Goetheanum-Bau und die dadurch an Jan Stuten in immer vermehrtem Maße herantretenden Aufgaben ließen ihm weder Zeit noch Kraft für die Verwirkli­chung des Gewonnenen.

Farbe in der Eurythmie

#G291a-1990-SE367 Farbenerkenntnis

#TI

Farbe in der Eurythmie

Vorbemerkungen der Herausgeber

#TX

... so daß man, ebenso wie aus den Lauten heraus man aus den Farben heraus arbeitet.

... Daher sollte schon sowohl beim künstlerischen Eurythmielehren wie auch bei dem bloß vom Päd­agogischen bestimmten Eurythmielehren... das Farbige drinnen leben.1

Die von Rudolf Steiner inaugurierte neue Bewegungskunst Eurythmie als sichtbare Sprache und als sichtbarer Gesang ist zugleich eine durch und durch farbige Kunst. Er gab dafür eine Fülle spezifischer Angaben:

für die Bewegungen, für die Farben von Kleidern und Schleiern sowie für die Beleuchtung als eine eigentliche «Lichteurythmie». Durch das Zusammenspiel dieser verschiedenen, farbigen Elemente soll ein in sich bewegtes Farbenfluten, eine Art Farbenraum entstehen.

Schon zu den allerersten Angaben im Jahre 1912 gehörte der Hinweis, man müsse versuchen, die Sprachlaute, das heißt die Bewegung, die dem einzelnen Laut entspricht, farbig zu erleben. Im Kurs vom Sommer 1915 wurde dies konkretisiert. Im Zusammenhang dieses Kurses entstand auch die erste Angabe des Zwölffarbenkreises (eurythmischer Tierkreis). Da es von diesem Kurs nur Notizen gibt,2 wurden Aufzeichnungen von Angaben über Farben von den beiden Eurythmistinnen Tatiana Kisseleff und Lea van der Pals, die an diesem Kurs teilgenommen haben, in diese Sachgruppe eingegliedert.

Im Verlaufe der Weiterentwicklung der Eurythmie entstanden die Eurythmiefiguren als eine Art Bild-Alphabet: jeder Laut eine in flachem Holz geschnittene, stilisierte menschliche Gestalt, bemalt mit den dem Laut entsprechenden Grundfarben für Bewegung, Gefühl und Cha­rakter.3

#SE291a-369

Chronologische Übersicht der Äußerungen Rudolf Steiners


Vorträge

1912

Sept. Die Sprachlaute sollten farbig erlebt werden. GA 277a

1915

Aug. Farben werden in der Eurythmie ausgedrückt durch Bewegungen. GA 277a (in diesem Band Seite 374f.)

Aug. Farbangaben für die eurythmische Darstellung von Rudolf Steiners

Tierkreisdichtung »Zwölf Stimmungen».

In Rudolf Steiner, «Beleuchtungs und Kostümangaben für die

Laut-Eurythmie III»

1915-19

Farbangaben für die Eurythmie in «Faust»-Szenen.

Lea van der PaIs in «Rundbrief der Sektion für redende und musi-zierende Künste», Goetheanum Dornach. Nr.8, Februar 1978

1917-24

Angaben für die farbige Beleuchtung bei Eurythmie-Aufführun­gen. Die Aufeinanderfolge der farbigen Beleuchtungswirkungen ergibt eine eigene Licht-Eurythmie. Farbangaben für Kleider und Schleier. In Rudolf Steiner, »Beleuchtungs- und Kostümangaben für die Laut-Eurythmie» I-1V, und »Beleuchtungs- und Kostürn-angaben für die Ton-Eurythmie»

1922

24. Aug. Über den Zusammenklang von Kleid- und Schleierfarbe. GA 305

Eurythmiefiguren

1922-23

Eurythmiefiguren als farbiger Ausdruck für Bewegung, Gefühl und Charakter. GA K 26, GA K 26a

#SE291a-371

ÜBERLIEFERTE ANGABEN

RUDOLF STEINERS


Farban gaben beim Eurythmiekurs vom Sommer 1915 Tatiana Kisseleff

Von dem Eurythmiekurs, den Rudolf Steiner im August 1915 gegeben hat, gibt es nur Notizen. Siehe diese in dem Band GA 277 a. Ergänzend dazu berichtet die Teilnehmerin Tatiana Kisseleff, daß dieser Kurs in gewissem Sinn ein Farbenkurs war:4

In dem Kurs 1915 gab Dr. Steiner an, auf welche Weise die menschliche Hand in ihrem Verhältnis zum Arm die Farbenskala ausdrücken könne. Bei der Behandlung von dieser oder jener Farbe ging der Demonstration einer Reihe von farbigen Gedich­ten immer ein theoretischer Teil voran. Es wurden einige Kapitel aus der Goetheschen Farbenlehre und ganz besonders ausführlich das Kapitel über die Sinnlich-Sittliche Wirkung der Farben durch-genommen, und es wurde auch auf die Erweiterung und Vertie­fung der Grundidee der Goetheschen Farbenlehre durch Rudolf Steiner hingewiesen; hauptsächlich anhand von: «Das moralische Erleben der Farben- und Tonwelt» wie auch der Vorträge über die

5

Bhagavad-Gita...

Diese Arbeit an den Farben fand ihren Abschluß durch die Demonstration von einigen Regenbogengedichten.

Unter anderem wurde das Gedicht von Schiller aus «Rätsel» gezeigt:

Wir stammen, unsrer sechs Geschwister,

Von einem wundersamen Paar,

Die Mutter ewig ernst und düster,

Der Vater fröhlich immerdar.

#SE291a-372

Von beiden erbten wir die Tugend,

Von ihr die Milde, von ihm den Glanz;

So drehn wir uns in ewger Jugend

Um dich herum im Zirkeltanz.

Gern meiden wir die schwarzen Höhlen

Und lieben uns den heitern Tag;

Wir sind es, die die Welt beseelen

Mit unsers Lebens Zauberschlag.

Wir sind des Frühlings lustge Boten

Und führen seinen muntern Reihn;

Drum fliehen wir das Haus der Toten,

Denn um uns her muß Leben sein.

Uns mag kein Glücklicher entbehren,

Wir sind dabei, wo man sich freut,

Und läßt der Kaiser sich verehren -

Wir leihen ihm die Herrlichkeit.

Dr. Steiner veränderte die erste Zeile auf folgende Weise:

«Wir sieben, wir sind Weltgeschwister... »

Die Grundidee der Goetheschen Farbenlehre: Die Entstehung der Farben aus dem Zusammenwirken von Licht und Finsternis, konnte besonders dadurch zur Offenbarung kommen, daß Rudolf Steiner das Bühnenbild ergänzte, indem er zu den sieben Euryth­mistinnen, welche die sieben verschiedenen Farben darstellten, noch zwei andere Gestalten hinzufügte: auf dem vorderen Plan der Bühne links die ganz schwarz bekleidete Mutter und vorne rechts den ganz in weiß gekleideten Vater.

Die Mutter mußte die dunklen Vokale, der Vater nur die hellen Laute in den sich auf sie beziehenden Zeilen eurythmisieren. Mitten zwischen den beiden spielte sich der bewegliche Tanz der sieben Geschwister ab. (Die Anfangsstellung der neun Gestalten mit den dazugehörigen Farben und Vokalen nach Angabe von Dr. Steiner. Siehe Zeichnung.)

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#Bild s. 373

Auch Goethes Gedicht «Regen und Regenbogen» wurde eurythmisiert:

3. Regen und Regenbogen 6

Auf schweres Gewitter und Regenguß

Blickt' ein Philister zum Beschluß

Ins weiterziehende Grause nach,

Und so zu seinesgleichen sprach:

Der Donner hat uns sehr erschreckt,

Der Blitz die Scheunen angesteckt,

Und das war unsrer Sünden Teil!

Dagegen hat, zu frischem Heil,

Der Regen fruchtbar uns erquickt

Und für den nächsten Herbst beglückt.

Was kommt nun aber der Regenbogen

An grauer Wand herangezogen?

Der mag wohl zu entbehren sein,

Der bunte Trug! der leere Schein!

Frau Iris aber dagegen sprach:

Erkühnst du dich zu meiner Schmach?

Doch bin ich hier ins All gestellt

Als Zeugnis einer bessern Welt,

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Für Augen, die vom Erdenlauf

Getrost sich wenden zum Himmel auf

Und in der Dünste trübem Netz

Erkennen Gott und sein Gesetz.

Drum wühle du, ein andres Schwein,

Nur immer den Rüssel in den Boden hinein

Und gönne dem verklärten Blick

An meiner Herrlichkeit sein Glück.

Während der Generalprobe habe Rudolf Steiner die Darstelle­rin des Philisters - welcher schlechter Laune und schimpfend über die Nutzlosigkeit des Regenbogens philosophiert - «aufgefordert, seinen Mantel, Hut und Gummischuhe anzuziehen und ihre Rolle mit Hilfe seines Regenschirms auf dem Fond der grauen Kulissen, die extra dafür aufgehängt wurden, herumspazierend, zu euryth­misieren. Der Effekt dieses Auftretens am nächsten Tag bei der Aufführung war eklatant. Die anderen sieben Damen stellten den Regenbogen dar, wobei jede Eurythmistin eine Farbe darstellte und entsprechend mit einem der sieben farbigen Schleier drapiert war.»


Farben in der Eurythmie

Frühe Angaben Rudolf Steiners,

aufgezeichnet von Lea van der Pais für den vorliegenden Band

Zu den frühesten Angaben für die Eurythmie gehört diejenige über das Strecken und Beugen der Muskeln im Bilden der Ge­bärde. Das Strecken ruft ein Ausstrahlen der Ätherkräfte hervor, das Beugen zieht die Kräfte des Ätherleibes zusammen, führt sie herein ins Innere, verbraucht, verbrennt sie im Innern.

Die sich streckende Bewegung gibt ätherische Kräfte ab an die Umgebung und bewirkt Erhellung des umgebenden Raumes. Die Beugung entzieht Ätherkräfte dem umgebenden Raum und be­wirkt Verdunklung.

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Diese nach innen ziehende Bewegung wird so zum Ausdruck für Schwäche, Trauer, Schmerz. Sie ruft die Empfindung hervor, die in der passiven Seite der Farbenskala zum Ausdruck kommt in Blau, Indigo, Violett; während die ausstrahlenden, aktiven Far­ben: Gelb, Orange, Rot mit der erhellenden, gestreckten Bewe­gung zum Ausdruck für Freude, Mut, Tatkraft werden.

Das Grün hält dazwischen das Gleichgewicht.

So können die Farbstimmungen zum Erscheinen gebracht wer­den durch streckendes Anspannen der Muskeln, indem vom hori­zontal ruhenden Grün die Hand aufwärts gewinkelt wird bis zum Rot, abwärts passiver hängengelassen wird bis zum Blau, zum Beugen gebracht wird mit der Empfindung Dunkelblau, Indigo, und schon wieder mit beugender Spannung bei dem Violett. Die geballte Faust kann dann zum Ausdruck für Schwarz werden.

Das Weiß hingegen kommt zur Darstellung durch die flach gehaltene Hand mit gespreizten Fingern, mit dem Gefühl der Lichtdurchlässigkeit, wobei die Hand sachte flächig bewegt wer­den kann. «Pfirsichblüt»-Farbe würde zum Ausdruck kommen, wenn jemand den Handrücken so weit zurückbiegen könnte, daß die Finger den Unterarm berühren würden.

Mit solchen Handstellungen könnten im Laute-Bilden die für die Schleier angegebenen Farben, zum Beispiel bei den Wochen-sprüchen oder bei den Planeten- oder Tierkreis-Darstellungen, sichtbar gemacht werden. Auch die Stimmung einer Strophe oder eines ganzen Gedichtes läßt sich dadurch ausdrücken.

Diese Kräfte-Gegensätze wurden in der griechischen Zeit in der Form des «Sonnen-Motivs» resp. des «Erden-Motivs» als auf­gefächerte «Palmette» oder als zusammengefaltete «Knospe» mehrfach verwendet, zum Beispiel im feierlichen Umzug auf Stä­ben abwechselnd getragen, oder als Fries-Schmuck an den Tem­peldächern, oder als Bekrönung von Stelen. Im Zusammenwirken erscheinen sie als das Motiv des «Akanthusblattes» an den korin­thischen Säulen-Kapitälen.

Die Teilnehmer an den Eurythmiekursen trugen damals in den ersten Jahren weiße, lockere Gewänder, mit einer Kordel

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oder einem Gürtel gehalten. Die Kinder bekamen hellgrüne Kleider.

Der Bühnenraum sollte blau umkleidet sein. Soweit es möglich war, wurde der Jahres-Festeszeit entsprechend gewechselt: Zu Weihnachten weiße Vorhänge, zu Ostern rote Vorhänge, zu Pfingsten dann ein helles Lila.

Schon im Sommer 1915 wurden die ersten Szenen aus Goethes «Faust», in welchen Engel oder andere geistige Wesen zu erschei­nen und sich eurythmisch zu bewegen hatten, einstudiert. Das machte wieder farbige Bühnenumkleidung notwendig.

Auch für die Bekleidung der verschiedenen Gestalten gab R. Steiner die Farben für Kostüme, Perücken, ja sogar oft für die Schminke an neben vielen Angaben für die Bewegungsgestaltung. Zum Beispiel für die Chöre der Trojanerinnen in der «Helena-szene» in Goethes «Faust» II war die Gruppe geteilt: die eine Hälfte war rot bekleidet, die andere Hälfte blau. Die Roten be­wegten sich vokalisch, die Blauen konsonantisch, Helena als leuchtend gelbe Gestalt sprechend in der Mitte. Dazwischen agierte in grauen Schleierfetzen Mephisto als Phorkias. Viele wei­tere Angaben gab es für die Gestalten der «Klassischen Walpurgis-nacht» und auch für die Teufel der «Grablegung» Fausts sowie für die «Himmelfahrt» am Schluß. Bis 1918 ging diese Arbeit am «Faust» weiter.

Bald kam noch die farbige Bühnenbeleuchtung hinzu. Hierbei besonders für eurythmische Darstellungen gab Rudolf Steiner auch die Wechsel der Farben an. Er legte besonderen Wert auf das Gestalten der Übergänge von einer Farbstimmung zur nächsten:

Es sollte als Bewegung erlebt werden. Er sprach öfter von der «Farbeurythmie», durch welche der ganze Bühnenraum verändert erscheinen könnte: vergrößert, verengt, - auch war es für die Eurythmiebeleuchtung wesentlich, ob eine Farbe von oben oder von unten (Fußrampe) aufleuchtete. Nichts sollte «naturalistisch» erscheinen. Alles war in erster Linie «Bewegung».

Ganz zu Anfang dieser Bemühungen nahm Rudolf Steiner diejenigen, die für den Bau einer Beleuchtungsanlage für die

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Bühne in der Schreinerei die geeigneten Personen waren, mit auf die Bühne und machte sie aufmerksam auf die subtilen Verände­rungen des Sonnenlichtes mit den Schatten-erzeugenden Wolken-Einwirkungen, indem er die Oberlichter der Decke öffnen ließ und sie einfach beobachten ließ, was da vorging.

Alles, was Rudolf Steiner über das erlebende Handhaben der Farben sagte, war im Zusammenhang mit dem im Aufbau befind­lichen Ersten Goetheanum gesagt. Die Farbe sollte losgelöst von der Fläche, strömend durch den Raum wahrgenommen werden. Diese zweifache Fähigkeit, die Farbe als Bewegung zu empfinden, zu ertasten, gleichsam zu hören, andererseits sie als Differenzie­rung dessen, was der Mensch tätig äußert, sei es als Wort, sei es als Gebärde zu erleben, kulminiert dann im Jahre 1922 in den Anga­ben, die als «Eurythmie-Figuren» bekannt sind und zur wichtigen Arbeitsgrundlage der eurythmischen Gebärdenbildung der Laute gehören. So steht für jeden Laut und für viele «Stellungen» vor uns eine Gestalt, in eine spezifische Farbe «gekleidet», die Rich­tung und Intention der Gebärde zeigt, umhüllt von einem «Schleier», der die verdichtete «Empfindung» zeigt, welche «von außen» her der intendierten Bewegung begegnet und sie entweder verändert, abbiegt, oder ihr erstes Vorhaben verstärkt. Um die Verschmelzung der Bewegungsimpulse zur eindeutigen Gebärde zu bilden, kommt dazu als drittes der «Charakter», der als An­spannung der Muskeln die Lautbildung fixiert, artikuliert. In die­sem Farben-Dreiklang ist alles enthalten, was als Sprach-Elemente vom Menschen geäußert werden kann.

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RudolfSteiner als Schöpfer

einer neuen ßühnenbeleuchtungskunst

Ehrenfried Pfeiffer 7


Es sind etwa zwanzig Jahre her, daß von Dr. Rudolf Steiner einige Angaben gemacht wurden, welche zur Ausgestaltung jenes far­benvollen Wechselspiels führten, das jeder Besucher der Euryth­mieaufführungen kennt. Während vordem die Eurythmiepro­gramme eine nur durch wenige Nuancen unterbrochene gleichför­mige Beleuchtung, rotweiß, rotweiß-blau, weißgelb für ganze Programmteile aufwiesen, wurde nach jenen Angaben eine techni­sche Lösung der Bühnenbeleuchtung gesucht, die sehr rasche Wechsel und Übergänge erlaubte.

Rudolf Steiner äußerte dem Schreiber dieser Zeilen gegenüber, daß er sich für die Bühnenbeleuchtung am Goetheanum eine Anlage denke, die einen möglichst diffusen, dem Weichen des Tageslichtes ähnlichen Licht- und Farbenwechsel ermögliche. Er wies auf ein Oberlicht-Fenster der alten Schreinereibühne und forderte auf zu beobachten, wie sich die Bühne verändere, wenn die Sonne durchscheine oder eine Wolke an der Sonne vorbeiziehe oder ein trüber Tag sei. «Sie sollten das Farbenspiel studieren, das entsteht, wenn die Sonne plötzlich durch eine Wolke verhüllt wird oder hinter dem Wolkenschleier wieder hervorbricht.» Die Beleuchtung der Bühne sollte dem nachgebildet werden, mög­lichst «gestreutes» Licht haben. Künstlich durch Linsen gerichte­tes, konzentriertes Licht, wie es etwa der Linsen-Scheinwerfer hervorbringe, habe den Charakter von etwas Unnatürlichem. Für die Bühne des ersten Goetheanumbaues, die zugleich der kleine Kuppelraum mit seinen Architraven, Säulen und der Kuppelmale­rei war, sollte eine möglichst von allen Seiten kommende vielfar­bige Durchleuchtung erzielt werden. Die Gestalten sollten in eine Licht- und Farbenwolke gehüllt sein. Zu diesem Zwecke wäre mit besonderen Beleuchtungsintensitäten und sechs Farben zu arbeiten

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(weiß, rot, gelb, blau, grün, violett). Zweckmäßig, um diese Helligkeitsfülle zu erreichen, würden die Beleuchtungskörper in sechs Meter Höhe seitlich, hinter den Säulen angebracht, sowie eine Rampenbeleuchtung über die ganze Länge der Rampe (Fuß­licht).

Auf Grund dieser wenigen Angaben wurde der Ausbau der Bühnenbeleuchtung am Goetheanum begonnen. Die dem Tages­licht abgelesene Streuung wurde erreicht, indem man die gewohn­ten Bahnen der Bühnentechnik verließ. Dort wurde seinerzeit vorwiegend mit Soffitten (mehrfarbige Reihen-Oberlichter), Scheinwerfern und ähnlichem gearbeitet, d. h. mit gerichtetem, durch Reflektoren und Linsen gebrochenem oder geordnetem Licht. Statt dessen wurden besondere Beleuchtungskörper gebaut mit konvexen statt konkaven Reflektoren, mit mattem aber rei­nem Kreideweiß bestrichen. Hierdurch konnte eine besonders weiche und innige Durchmischung der Farbtöne erreicht werden. Die Beleuchtungskörper waren hinter den Säulen des kleinen Kuppelraumes aufgestellt, so daß sie vom Zuschauerraum aus nicht gesehen werden konnten. Da hinter jeder Säule ein Körper stand, war der ganze Raum von der Seite, aber auch schräg von hinten, völlig gleichmäßig mit Licht durchflutet. Eine intensiv farbige und doch weiche Stimmung konnte erzielt werden. Die nur sechs Meter hohe Anordnung ermöglichte eine Fülle, die sich bei den hohen Schnürböden der gewöhnlichen Bühnen nicht er­zielen läßt. Auf der gewöhnlichen Bühne würden etwa die Geräte der Rundhorizontbeleuchtung diesem Effekt noch am nächsten kommen.

Die Anwendung von sechs Farben ergibt noch ganz andere farbige Effekte als nur die Durchmischung von Blau und Rot zu Violett oder Blau und Gelb zu Grün. Ein intensives Grün ist z. B. nie durch Mischung zu erzielen. Es kommt dies besonders deut­lich heraus, wenn man nicht nur eine Raumdurchleuchtung durchführt, sondern auf jene kleinen Veränderungen achtet, die durch verschiedenartige und gemischtfarbige Beleuchtung an ei­nem farbigen Gewand und Schleier z. B. in der Eurythmie entstehen.

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Ein aus Blau und Gelb gemischtes «Grün» würde auf einem gelben Grund und hellrotem Schleier ganz anders das Gelb z. B. herausholen, als eine rein grüne Beleuchtung, die dann mehr dämpfend wirkt. Während ein hellblauer Schleier im selben Falle durch «Grün» mehr die Resultante mit Grün bildet, wird durch «Blau + Gelb» zwar das Blau verstärkt, aber durch das Gelb fast ins Grau abgedämpft. Unzählige Variationen sind dabei möglich, wenn man auf das Zusammenspiel der Beleuchtung mit den Far­ben der Gewänder und Schleier achtet. Die Beleuchtung kann hervorheben, dämpfen und auslöschen. Je nach dem Wechsel kann dasselbe Gewand fast plastisch aus dem Raume hervortreten oder wie ein Bild auf der Fläche erscheinen oder gar in einer intensiveren Farbenfülle sich verlieren, auflösen.

Nachdem die technische Anlage so weit gediehen war, daß alle Beleuchtungskörper ihren günstigsten Platz gefunden hatten, eine Schaltanlage jedes Mischen und Einstellen auf jedwede Intensität erlaubte, veranstaltete Dr. Steiner in aller Stille eine besondere Beleuchtungsprobe, um die Farbeffekte zu studieren. Ein Stuhl wurde auf die Mitte der Bühne des kleinen Kuppelraumes gestellt, verschiedenfarbige Schleier und Gewänder daraufgelegt, die ein­zelnen Farben in voller Stärke gebraucht. Dabei ergaben sich wichtige Gesichtspunkte für die Intensität. Intensive rote Be­leuchtung von allen Seiten kann ein hellrotes Gewand fast weiß erscheinen, ein gleichrotes aber verschwinden lassen. Dasselbe mit Blau auf Blau, Grün auf Grün. Ein plötzlicher Wechsel von intensivstem Rot nach Grün kann ein rotes Gewand für Augen­blicke schwarz färben, solange die Nachwirkung im Auge anhält. Ja, durch plötzliche abgestimmte Wechsel kann das Auge durch seine aktiven Fähigkeiten noch allerhand «subjektive» Effekte dazu erzeugen. All dies wurde in jener Probe im Spätsommer 1920 erforscht und es wurden endgültige Angaben für die Farbintensi­täten gemacht. Wer die Beleuchtungen im ersten Goetheanum sah, wird sich erinnern, in welcher Lichtes-Farbenfülle der ganze Raum erglänzen konnte. Ein unvergeßliches Erlebnis für den, der das Wesen der sich dauernd ändernden Farben auf sich wirken

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ließ. 54000-60000 Hefnerkerzen leuchteten z.B. beim Prolog im Himmel (60000 Hefnerk. = ca. 40000 Watt).

Eine der wesentlichsten Neuerungen auf dem Gebiet der Büh­nenbeleuchtung waren zweifellos die Angaben Rudolf Steiners für eine Farbintensität, wie sie bis dahin nicht angestrebt wurde. Man kann schon sagen, gegenüber den früheren konventionellen Be­leuchtungen der naturalistischen Schauspielbühne gehörte Mut, diese Wandlung ins reine Reich der Farben anzutreten.* Gegen­über der rein stimmungsmäßigen Abendrot- oder Nachmittags-oder Mitternachtsbeleuchtung begann Rudolf Steiner mit einer Durchleuchtung der Eurythmiebühne, die dem seelisch-geistigen Charakter des aufgeführten Stückes gerecht wurde. Was seinerzeit manche Zuschauer noch befremdete, war der oft rasche Wechsel -ohne allmähliche Übergänge. Kontraste scheinen aber nicht nur im Geistig-Seelischen vorhanden und berechtigt. Sie ergeben sich auch aus und in der Natur. Man denke nur an die eingangs erwähnte Anregung, das Farbenspiel beim Vorbeigang einer Wolke vor der Sonne zu beobachten. Es kommt dabei nicht so sehr darauf an, auf Sonne und Wolke zu sehen, sondern zu studie­ren, wie sich die Gegenstände auf der Erde oder in einem von der Sonne erleuchteten Raum verändern. Da gibt es in einem solchen Falle oft ganz rasche, kontrastreiche Übergänge. Die bläulichen Farben verlieren sich plötzlich ins Ungewisse, Dunkle. Nur die hellen, gelben und weißen Lichter blitzen noch hervor; während im Momente, wo die Sonne hervortritt, mit einem Schlage Blau und Violett wieder zu ihrer ursprünglichen Geltung kommen, die Lichter sich dagegen etwas verlieren.

So ist auch die Tatsache der raschen Farbenwechsel dem reinen Wesen des Lichts abgeschaut. Überhaupt ist die Art der Anwen­dung der Bühnenbeleuchtung durch Rudolf Steiner der konse­quente künstlerische Ausdruck für das, was man etwa aus der Goetheschen Farbenlehre oder aus Rudolf Steiners Farbvorträgen

* Seit jener Zeit ist der Gebrauch einer »Farbensymphonie» mehr und mehr auch an anderen Bühnen bekannt geworden.

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als Erkenntnis über das Wesen von Licht und Farbe entwickeln kann.

Es wäre nun müßig zu denken und zu spekulieren, die Farb­wechsel der Eurythmie wären auf Grund all dieser Beobachtun­gen ausgeklügelt oder Effekte im Zusammenklang von Gewand, Schleier und Beleuchtung vorausberechnet. Dies konnte schon gar nicht sein, weil die Beleuchtung von Rudolf Steiner oft spontan in das Textbuch geschrieben wurde; es wurde niemals auf der Bühne ausprobiert, ob dies oder jenes nun besser passe. Die Beleuchtung lag in ihren Farbnuancen fest in dem Moment, als der betreffende Text oder das Musikstück Rudolf Steiner zur Beleuchtung gege­ben wurde. Sie war ein Bestandteil der Dichtung und Komposi­tion a priori. Dies kam zum Ausdruck in der Art, wie die Beleuch­tungen angegeben wurden, z. B. bei Musikstücken. Oft nur mit einer Handbewegung: «Wenn die Musik so macht (eine weit ausholende, langsam steigende Handbewegung), müssen Sie diese Farbe nehmen, wenn sie so macht (eine horizontal schwebende Geste), dann jene Farbe.» Der Beleuchter hatte die Aufgabe, Stimmführung und Gang der Melodie entsprechend der Geste und Angabe farbig mitzuempfinden. «Bei jenen Tönen (eine mar­kante Staccatobewegung) kommt noch Rot dazu» usw. Als zum ersten Male die Eurythmiefiguren in einem Vortrag vorgestellt und von Bewegung, Charakter und Gefühl im Zusammenhang mit Gewand und Schleier gesprochen wurde, war es naheliegend, die Frage an Rudolf Steiner zu stellen, ob die zu den Eurythmiefi­guren gegebenen Farben auch der Beleuchtung zugrundeliegen. Rudolf Steiner verneinte dies, führte dann aber aus, daß jede Strophe eines Gedichtes eine gewisse Grundstimmung habe; die eine sei ganz auf A, eine andere auf I, wieder eine andere konson­antisch gestimmt. Diese Grundstimmung komme in der Beleuch­tung zum Ausdruck. Beim Beleuchten der Vor- und Nachtakte (ob stumm oder mit Musik) werden diese Grundstimmungen nacheinander vor- oder rückwärts wiederholt. Manchmal schrieb Rudolf Steiner auch eine Lautfolge mit Farben auf. Ich kann hier nur gleichsam als Beobachtung aussprechen, daß dann die Farbengebung

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in intensivstem Zusammenhang weniger mit dem Schleier und Gewand war, sondern oft mehr mit der Lautfolge der Eu­rythmieform, die im Raume gelaufen wurde, zusammenhing.

Der Beleuchter mußte dann selber Eurythmist werden, um den Formen zu folgen und im rechten Moment den Wechsel vorzu­nehmen. Rudolf Steiner überließ es auch dem Beleuchter, die rechten Mischungsnuancen selber zu finden. Er appellierte damit an den künstlerischen Impuls. Es wurde so vermieden, daß die Beleuchtung etwas Starres, Schematisches bekam. Auf der ge­wöhnlichen Theaterbühne steht der Beleuchter inmitten seiner Maschinerie, in einem Textbuch sind mit Zahlen und Buchstaben die Apparate, bzw. die Widerstands- und Stromstärken angege­ben. Der Mann sieht oft die Bühne gar nicht oder unvollkommen. Dies wäre für die neue Beleuchtungskunst ein Unding. Hier gilt es, mit gespannter Aufmerksamkeit zu folgen und durch Farben­eurythmie die Bewegungen auf der Bühne zu begleiten. Der Be­leuchter wird so aktiv Mitspieler, an seinen Effekten vom Publi­kum wahrgenommen. Ein wesentlicher Teil der harmonischen Wirkung des Ganzen stellt sich so dar.

Will man sich von den Beleuchtungseffekten der alten Goethe­anumbühne eine entfernte Vorstellung machen, so kann man zwei Photographien betrachten, die den kleinen Kuppelraum darstel­len. Die eine ist mit der Bühnenbeleuchtung, d. h. dem allseitig gestreuten Licht aufgenommen, die andere mit der zentralen, 12000 Kerzen (ca. 8000 Watt) starken Deckenbeleuchtung.* Im ersten Falle wird man noch an der «farblosen» Photographie die weiche Stimmung und gleichmäßig harte Schatten vermeidende Durchleuchtung des Raumes, die sanften und doch plastischen Übergänge der Architrave und Säulen beobachten. Besonders fällt die «farbentreue» natürliche Wiedergabe des Kuppelgemäldes auf, die dadurch möglich wurde. Bei der Anwendung der sechsfarbi­gen Beleuchtung konnte jede Farbe der Kuppelmalerei (wie bei

* Siehe hierzu die Abbildungen Seiten 116/117 und 118/119 in »Das Gortheanum als Gesamtkunstwerk», Verlag am Goetheanum, Dornach 1986.

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der Aufführung die bewegten Gestalten auf der Bühne) zu ihrem Rechte kommen. Die zentrierte, punktförmige Beleuchtung hin­gegen selektiert, ist parteiisch und erzeugt harte Schatten. Das Versöhnende des farbigen Raumes fehlt und man fühlt sich einer kantigen Materie gegenüber.

Das Wesen der Beleuchtungsangaben Rudolf Steiners ist uns erhalten geblieben. In einer eurythmisiert dargestellten Szene aus den Mysteriendramen wies Rudolf Steiner den Beleuchter an, für jede Person eine bestimmte Grundbeleuchtung zu nehmen. Jede Person sollte gleichsam in den ihr zugehörigen Farbenmantel eingehüllt sein, dazu aber, wenn sie hervortrat, dem ganzen Büh­nenbild zeitweilig ihren Farbcharakter geben. Vieles hätte viel­leicht noch gestaltet werden können, insbesondere für die Myste­riendramen, da jene Periode von 1920 bis 1924 vorwiegend der Ausbildung der Eurythmiebeleuchtung gewidmet war. Ein großes Feld künstlerischer Betätigung war hier noch offen. Der Brand des ersten Goetheanums zerstörte viel auch hier. Der harmonische Zusammenklang von Architektur am Holz reflektiertem Licht, Malerie der Kuppel und intensivster Farbenfiut mit dem Gesche­hen auf der Bühne konnte nicht wieder hergestellt werden. Wer dies seinerzeit miterlebte, sah für kurze Jahre Möglichkeiten im Reiche der Farbe, welche nun wie die Königstochter im Märchen der Auferweckung harren. Manches konnte aus rein technischen Gründen an der neuen Goetheanumbühne nicht so ausgebaut werden, wie es vordeni war. Hier mußte mit den Gegebenheiten des reinen Bühnen-Zweckbaues gerechnet werden. Vor allem läßt sich jener Zusammenklang innerhalb des kleinen Kuppelraumes natürlich nicht wieder erreichen. Was jedoch erhalten ist, ist die lebendige Erinnerung, auf Grund deren die neue Beleuchtungs­kunst weiterentwickelt werden kann.

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Eurythmie-Beleuchtung

Aus einem Referat von Ehrenfried Pfeiffer

gehalten am 22. Februar 1955 im Goetheanum 8


Vielleicht ist es ganz gut, einmal rein biographisch sich zu erin­nern, wie die ganze Bühnenbeleuchtung zustande gekommen ist. Zunächst war die Bühne in der Schreinerei, die hatte eine Rampe und zwei Oberlichter, ähnlich wie hier im Grundsteinsaal, und ein kleines Schaltbrett mit alten Schaltern, die man mit der Hand dreht. Fräulein Mitscher hat die Schalter gedreht. Sie hatten eine gute alte Konstruktion und es gab jedesmal einen kleinen Knall. Bei den Umschaltungen war das öfters wie ein Maschinengewehr-feuer und gut hörbar überall im Saal. Dann die Beleuchtungen. Der erste Teil des Programms hatte eine Farbstimmung, der zweite Teil eine andere. Das war alles, einerseits. Andererseits bestand die Situation, daß ich Student war und Elektrotechnik und Physik studierte. Und da man sich das Studium verdienen mußte, habe ich in der Freizeit in verschiedenen Firmen gearbeitet und Kenntnisse in der Bühnenbeleuchtung erworben. Als Rudolf Steiner davon hörte, fragte er, ob ich nicht nach Dornach kommen wolle und sie einrichten. Sicher ist, daß er schon vorher definitive Vorstellungen hatte, aber mit niemandem darüber gesprochen hatte, weil die technischen Fragen nicht gelöst waren. Unsere erste Beratung verlief in der Richtung rein technischer Probleme...

Wir gingen gleich daran, die Beleuchtungsprobleme des ersten Goetheanum zu erläutern. Man hatte den Kuppelraum, den Platz für die Statue und die Säulen. Die Architektur des Raumes sollte erhalten bleiben und trotzdem sollte eine Beleuchtung da sein, die den Raum völlig mit Licht erfüllt. Es bestand die Schwierigkeit, daß im Kuppelraum ganz wenig Platz vorhanden war für Beleuch­tungskörper. Man konnte dies nur oben aufhängen und es gab nur einen einzigen Platz, das ist der Vollschatten der Säule, und zwar nur insoweit, als er von keinem Platz des Zuschauerraumes gesehen

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wird. Das ist ein Problem, das man auf dem Zeichenbrett lösen und nachprüfen kann.

Nun spielt aber das Licht eine gewisse Rolle, es nimmt im Quadrat der Entfernung ab, ein sehr wichtiger physikalischer Lehrsatz, ohne den man in der Bel euchtungs technik nicht arbeiten kann. Wenn ich eine Entfernung habe von hier bis zum Boden, ist das Quadrat der Entfernung die Lichtabnahme. Wenn sich der Abstand vergrößert, braucht man also nicht die doppelte Menge, sondern das Licht im Quadrat. Auf dem Papier ist das sehr schön, in der Wirklichkeit begegnet das großen Schwierigkeiten. Die elektrische Stromversorgung war gar nicht genügend, um Dr. Steiners Ideal zu erfüllen. Es war nicht genügend Elektrizität vorhanden, um eine intensive Beleuchtung durchzuführen.

Die Situation war also, daß man die Beleuchtungskörper im Volischatten der Säulen hatte, gleichgültig von welchem Platz das Licht kam, denn Rudolf Steiner hatte die Ansicht, daß das Licht auch von hinten kommen könne, nicht nur von vorne. Von vorne wirkt es zweidimensional, Schattenbilder bekommt man dann, während er wollte, daß die Gestalt eingehüllt ist in eine Lichtaura, wie in der Natur der Baum, der von einer Seite das volle Licht bekommt, aber auch auf der Schattenseite ein diffuses Licht. Und Rudolf Steiner war in diesen Dingen außerordentlich genial und hat sich über Einwände in einer sehr genialen Weise hinweg gesetzt. Er sagte: Es soll das Licht verteilt sein. Man warf ein, die Beleuchtungskörper sind hier und da, das geht doch nicht. «Nun, Sie werden schon herausfinden, wie das geht», war die Antwort. Es ist natürlich schön, wenn man so arbeiten kann, nur daß man das Ziel erreicht. Ich habe solche Antworten eigentlich immer sehr gerne gehabt, wenn es auch im ersten Moment sehr schockie­rend war.

Man mußte nun einen Abstand finden im ersten Goetheanum, wo die Lichtintensität von unten und oben gleich war. Man mußte eine Mitte finden, daß nicht die Säulen in der Mitte von ungeheu­rer Helligkeit überglänzt würden. Das konnte ich nicht mit Be­rechnung finden, das hat man ausprobiert. Es waren 6 m Höhe

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über dem Fußboden. Sie sehen hier einen der Beleuchtungskör­per, der zu meiner großen Überraschung noch lebt. Was für ein gräßliches Ding, wird jeder denken. Rudolf Steiner wollte ein diffuses Licht, das den Wirkungen des Sonnenlichtes entspricht. Es gibt auf der Erde aber keine elektrische Einrichtung irgendwel­cher Art, die Licht erzeugt, das dem Sonnenlicht entspricht. Es war mir sofort klar und das betone ich aus pädagogischen

Gründen: man konnte noch so dumm sein, was er sagte, hat in einem etwas angeregt, die Lösung stand als Bild vor einem, man wußte, was er wollte. Man könnte also, mußte ich mir sagen, nicht mit den üblichen vorhandenen Beleuchtungskörpern arbeiten, man müßte einen Beleuchtungskörper haben, der streut, nicht sammelt, und für die Streuwirkungen müsse man die geeigneten Reflektoren haben, auch die geeignete Substanz, die wiederum nicht konzentriert. Damals hatten wir auf diesen Dingern nicht Emailfarben, nicht etwas, das glänzt, sondern was -Da muß man einiges von der Sonne wissen. Nach den Vorstel­lungen der Physik gibt es auf der Sonne verschiedene Sphären. Die lichtausstrahlenden Sphären enthalten Calziumdämpfe, weil sich diese entgegen der Schwerkraft bewegen, entsprechend den Vor­stellungen der Physik. Das war mir bekannt und es entstand der Gedanke, eine Calziumverbindung mit einem durchsichtigen Leim aufzustreichen, der dann eine ungeheuer diffuse Reflektion ergab. Es war eine Aufschlemmung von allerfeinster Kreide. Man würde denken, daß das Licht verschluckt würde, das war aber nicht der Fall. Die Beleuchtungskörper wurden damit angestri­chen, und der Anstrich hat sich nicht wie eine Farbe benommen. Man konnte beobachten, daß mit violetter Beleuchtung der ganze Raum violett war. Nach zahlreichen Versuchen ist es gelungen.

Dann kam der Tag, an dem die Einrichtung fertig war, diese Beleuchtungskörper an den strategischen Punkten in richtigem Abstand aufgestellt waren und richtige Intensität hatten. Und dann die Generalprobe. Dr. Steiner wollte niemanden dabei ha­ben, sie war allein zwischen ihm und mir, und Fräulein Mitscher 9, die sehr aktiv war und überall herumlief und auch ein bißchen

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neugierig war darauf, was da geschieht, wurde dann hinausge­schickt. Sie hatte irgendeinen Grund gehabt, warum sie zufällig hereinkommen mußte.

Die Generalprobe war absolut ein Zwiegespräch, nicht so sehr zwischen ihm und mir, als zwischen Bühne und Beleuchtung. Es war um 1/2 12 Uhr nachts. Dr. Steiner ist von der Villa Hansi [seinem Wohnhaus] herauf gekommen. Alle Möglichkeiten dieser technischen Apparatur wurden da durchgenommen. Rudolf Stei­ner äußerte sich, daß es befriedigend war. Er wollte dann auch alles eingeschaltet sehen, ob man die Kapazität erreichen konnte. Er guckte es sich an und sagte: Mehr Licht. 24000 Hefner-Kerzen waren eingeschaltet, das ist eine ungeheure Lichtkapazität, die man auch nur für kurze Momente haben konnte, denn die Anla­gen waren nur für die Hälfte gebaut. Es war schon ein intensives Licht, wenn Sie bedenken, daß es nicht konzentriertes, sondern gestreutes Licht war.

Das war das Problem. Es war einfach nötig, daß die techni­schen Fragen alle gelöst worden sind. Rudolf Steiner wollte eine Lichtintensität, wie wir sie später nie erreicht haben. Das war im ersten Goetheanum einzigartig. Die Streuung können Sie sehen in dem Lichtbild vom ersten Bau. Es war aufgenommen worden ohne Oberlicht, nur mit der Bühnenbeleuchtung. Die Streuung war eigentlich auch befriedigend, nicht ideal, will ich sagen, aber das Problem der Lichtintensität, so wie sie Rudolf Steiner vor­schwebte, noch nicht. Ich muß betonen, daß sie nie wieder er­reicht worden ist, weder in der Schreinerei, noch hier oder auf der großen Baubühne, weil die Raumverhältnisse usw. nicht so wie im ersten Goetheanum gegeben sind.

Es wurde ein Stuhl auf die Bühne gestellt und ein Schleier daraufgelegt. Das war das Stichwort für Fräulein Mitscher, um Schleier zu holen. Dr. Steiner wollte eine Beleuchtung haben, daß der Stuhl mit den Schleiern vollständig verschwindet. Das ist nun ein interessantes Problem, das es in der Mathematik gibt, daß sich Gleiches aufhebt und Ungleiches anzieht. Und man kann tatsäch­lich mit rotem Licht einen roten Schleier oder eine rote Farbe, je

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nachdem man es mit den Intensitäten macht, schwarz werden, hell aussehen oder verschwinden lassen, ebenso blau mit blau und grün mit grün. Das war die nächste Aufgabe, eine Kombination der Lichtintensität herauszufinden, daß eine solche Gestalt ver­schwindet und wieder auftaucht nur durch die Beleuchtung. Nur auf der Bühne des ersten Goetheanum ist es gelungen, - (zu Fräulein Savitch10 gewendet) Sie erinnern sich? Ein roter Schleier ist nicht sichtbar gewesen, trotz aller Bewegungen.

Nun gab Dr. Steiner nicht die Angabe: es soll verschwinden und erscheinen, sondern es sollte das Farbenspiel in sich selber etwas hervorrufen. Bei den außerordentlich starken Übergängen werden die Farben der Gestalten und des Schleiers dann etwas Lebendiges. Die Farbe macht dann eigentlich Eurythmie, sie lebt, und durch die verschiedenen Nuancierungen entsteht etwas zu der Eurythmie dazu. - Ich sage das mit eigenen Worten. - Rudolf Steiner wollte die Lichtintensität so haben, daß die Gestalt in eine Farbenaura eingehüllt ist. Wenn sie gemischt-farbige Schleier hat, verändert sie sich dauernd, es ist etwas völlig Relatives, Dynami­sches, nichts Statisches, weil die Farbe des Schleiers nur den Hintergrund bedeutet, den das Licht verändert.

Rudolf Steiner wollte auch, daß man die 7 Spektralfarben an­wendet. Ich glaube, wir sind strikte nach dem Spektrum vorge­gangen und hatten das Weiß in der Mitte. - In der Beleuchtungs­technik ist es wichtig, die Mischung zu finden, daß man nicht alles Rot und alles Weiß losläßt, sondern das Mischungsverhältnis fin­det. Das hat Dr. Steiner mir völlig überlassen. Mitunter heißt es:

«halbes Licht», das war dann «unten halb» und «oben voll». Die Angaben für Eurythmie und Musik waren äußerst gering. Einmal:

«mäßig weiß unten», das heißt die Farben oben waren dominant und das Weiß unten nur wie ein Kontrapunkt, ohne die Farben zu zerstören. «Alles weiß»: alle Farben ausgelöscht und nur Hellig­keit.

In solchen Sachen ist notwendig, daß der Techniker und Künstler zusammenarbeiten. Der Künstler muß wissen, was er will. Das war Rudolf Steiner klar, daß er mehr Licht wollte, als

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wir geben konnten; aber er hat das auch verstanden, daß er den Effekt angab, den er erzielen wollte, und der Techniker sollte die technischen Mittel schaffen, um den Effekt zu erzielen. Rudolf Steiner gab eine gewisse Hilfe; er sagte: Gehen Sie nicht zu den Theaterbeleuchtern, fragen Sie nicht um Rat, finden Sie selber etwas.

Bezüglich der Beleuchtungen selber kann ich eigentlich nicht viel sagen. Sie sind ja bekannt und erhalten. Es vollzog sich meistens so, daß Dr. Steiner auf dem Stuhl saß bei der General­probe. Unmittelbar vorher hat er sie mir gegeben und es war mein Problem, wie ich es fertig bringe, meine Aufgabe in den wenigen Minuten, die übrig blieben, bis die Generalprobe anfing, die Sache in die Technik zu übersetzen. Man hatte das Buch mit dem Gedicht oder dem Spruch oder das Notenblatt und er schrieb einfach hinein mit einem dicken Bleistift, was es sein sollte: «blau oben, rot unten» usw. Also die Lichtstärken sind ganz selten angegeben, das war mein Problem, da war ich vollkommen frei, und da hat er fast nie dreingeredet. Man mußte schon irgendwie mit der Eurythmie mitempfinden, um die richtige Lichtstärke zu wählen und die Effekte zu erzielen, die Rudolf Steiner wollte. In die Musikstücke hat Dr. Steiner auch eigentlich - möchte ich sagen - sehr genial hineingeschrieben in die Absätze von den Takten. Darüber, was für eine Beleuchtung ist von dieser oder dieser Stelle, hat er überhaupt nichts gesagt, er machte nur Hand­bewegungen, eine solche für blau, eine solche für rot, für grün, für gelb. Insbesondere bei Chopin war das sehr beliebt, daß die Beleuchtungen nur in Handbewegungen angegeben wurden. Was Sie in den Noten finden, ist von mir hineingeschrieben worden im Anschluß an das, was von Rudolf Steiner vorgeführt wurde, denn ich konnte nicht zu meinem Nachfolger sagen mit der Hand: «So oder so.» Diese Bewegungen gaben ein sehr tiefes Verständnis für die Musik.

Was Rudolf Steiner tat, war absolut nicht dogmatisch. Einmal war bei Dur eine Farbe, bei Moll eine andere, das nächste Mal war das schon gemischt; bei einem Crescendo wurde es dunkler, bei

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einem Diminuendo heller. Es war durchaus nicht der Fall, was man denken würde. Vorausgesetzt war natürlich, daß man das Musikstück kennt, versteht, sich eingelebt hat und es ausführt. Dazu gab es dann keine Vorbereitung. Die Eurythmie hat unend­lich geprobt, die Generalprobe war aber die einzige Übungsmög­lichkeit für die Beleuchtung.

Jetzt kam das Problem: worauf ist eigentlich die Beleuchtung abgestimmt? Da habe ich schon viele Spekulationen gehört, und ich glaube, diese Spekulationen muß man doch alle reduzieren auf das, was tatsächlich gesagt wurde. Ich fragte einmal Rudolf Stei­ner: wieso finden Sie eigentlich die Beleuchtung? Hat es mit dem Inhalt zu tun oder etwas mit den Gewändern, mit den Schleiern? Und er sagte: «Mit den Gewändern und Farben der Schleier hat es uberhaupt nichts zu tun, aber etwas mit der inneren Stimmung des Gedichtes, einer Zeile, einer Strophe». Und es ist etwas ganz ähnliches, wie bei der Musik, füge ich hinzu. Hören Sie doch auf die Stimmung des Gedichtes. Es handelt sich darum, daß in jedem Vers oder Strophe, auch nur in einer Zeile eine Grundstimmung da ist. Er sagte: «Diese hier ist ganz auf U, F, M gestimmt.» Ich erinnere mich noch sehr gut, daß in der Strophe, die auf F ge­stimmt war, kaum ein F vorkam. Man stand da wie der Ochs vor dem Scheunentor. Und es bedurfte eines ungeheuren Studiums, um das zu verstehen, was ihm vorschwebte. Mit Gedanken- oder Gefühlsinhalten des Gedichtes, mit den Farben der Schleier und Gewänder hat es überhaupt nichts zu tun, sondern mit der selb­ständigen Stimmung, die er in sich erlebt, wenn er auf diese Strophe hinsieht und sie vergegenwärtigt. Soweit Rudolf Steiner.

Nun möchte ich Ihnen etwas helfen, um das besser zu verste­hen, und werde deshalb ein Beispiel gebrauchen, das aber nicht von Rudolf Steiner gegeben wurde, sondern es ist nur ein Beispiel, das ich mir selber dann zum Verständlichmachen klarmachte. Es bezieht sich auf Goethe (?), der beschreibt, wie er bei einem Gedicht, das er schreibt, eine gewisse Melodie hört und diese Melodie in Worte umsetzt. So ist es auch bei dem Ausfindigma­chen der Beleuchtung im Zusammenhang mit dem Gedicht und

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der Eurythmie, daß aus dieser Strophe etwas herandringt an das Ohr, das man zuerst hört und dann in Farben- und Lichtintensität umsetzt. Nun, das ist möglich. Und ich möchte mich nicht dar­über verbreiten, wie das möglich ist, ich will nur sagen, daß jemand, der wirklich Ernst gemacht hat mit Rudolf Steiners Werk und speziell mit seinem Schulungsweg, daß das dem überhaupt nicht schwerfallen könnte, diesen sogenannten Stimmungsinhalt, der eine objektive Realität ist, zu empfinden und daraufhin die entsprechende Farbe zu finden.

Ich muß nun sagen, später war es nicht immer ganz leicht, denn als Rudolf Steiner nicht mehr da war, hat man doch verschiedene Meinungen gehabt, und wir haben uns auch tüchtig gerauft. Die eine dachte, das müßte so beleuchtet sein, mein eigenes An­schauen, geübt an Rudolf Steiners Beleuchtungen, mußte etwas anderes empfinden. Und ich habe immer den Schluß gezogen, daß ich zunächst einmal tüchtig aufgebockt habe - daß ich auch immer nachgegeben habe. Das war aber sehr schmerzhaft, so daß ich am Schluß beschlossen habe, keine Eurythmie mehr zu beleuchten.

Als Aufgabe stelle ich vor Sie hin, daran zu arbeiten, unter allen Umständen den lautlichen Stimmungsgehalt in Farbe zu überset­zen durch das Hinhören auf die Sprache, die die Grundlage der Eurythmie ist, umzusetzen in etwas, was in einem entsteht im Hören. Man müßte hören lernen und für das, was man hört, die entsprechende Farbenqualität finden. Das ist das Problem. Es gibt da nicht viele Möglichkeiten, denn da ist Gesetzmäßigkeit, und man wird eine objektive Beleuchtung finden. Es ist gewiß nicht etwas Subjektives.

Dr. Pfeiffer bittet, eventuell Fragen zu stellen.

Es wird gefragt, wie man den Weg von der vielleicht gefunde­nen Lautstimmung zur Farbe finden könne. Könnten da nicht die farbigen Eurythmiefiguren eine Hilfe sein, aber welche von den drei vorhandenen Farben ist dann maßgebend? Oder das, was über die Planetenfarben gesagt ist?

Dr. Pfeiffer: An Planeten- und Tierkreisfarbenbezeichnungen habe ich ganz bestimmt nie gedacht. Es kam mir schon darauf an,

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um das zu verstehen, ohne jedwedes Denken, das mitzuempfin-den und mitzuhören. Irgendeine gedankliche oder intellektuelle Beziehung herzustellen sollte man unter allen Umständen vermei­den. Schon wenn man darüber redet, kommt man in das Gedank­liche hinein. Der Fisch im Wasser denkt auch nicht über das Schwimmen nach. Wenn man so in dem Gedicht lebt, das man hört, dann kann man diese Empfindung in Farbe umsetzen - ich kann mich nicht anders ausdrücken - daß wenn man imstande ist, alles subjektive Empfinden und Denken auszuschalten und nur sich objektiv dem hingibt, daß man dann ohne weiteres die Farbe hat. Es ist schwer auszudrücken. Damals wäre es für mich eine gewisse Selbstverständlichkeit gewesen. Es ist z.B. auch interes­sant: Rudolf Steiner hat nicht gern etwas zweimal gesagt. Wenn man einmal eine Beleuchtung verloren hatte, oder ich das Buch vergessen hatte, dann ist man mit einem gewissen Zagen gekom­men und hat gebeichtet, und er sagte: Nun, dann machen Sie es eben selber. Ich glaube, ich habe ihn niemals dazu gekriegt, eine Beleuchtung ein zweites Mal zu geben. Das war ausgeschlossen.. Dann hat er gerade vielleicht auch eine Korrektur gemacht, aus der für mich herausgekommen ist, was ich jetzt sage: daß man eben nicht denken oder klügeln soll. Wenn der Techniker und der Künstler zusammenarbeiten und sie Verschiedenes empfinden, dann muß einer nachgeben. Das geht nicht anders. Natürlich, wenn jemand mal kam und sagte: Es muß alles ganz rot sein, viel Rot, habe ich natürlich protestiert. Es ging dann nicht, paßte gar nicht.

Weitere Frage: Ob Rudolf Steiner nicht noch für das Schau­spiel Angaben gemacht habe, die vielleicht noch weiter gehen als diejenigen für Eurythmie-Beleuchtung

Dr. Pfeiffer: Rein für das Schauspiel nichts, nur für den «Pro­log im Himmel» (Goethe, Faust I), aber das ist eigentlich auch für Eurythmie. Als einige Stellen aus den Mysteriendramen eu­rythmisiert wurden, war die Beleuchtung typisch für Eurythmie. Im ersten Goetheanum hätten auch die Mysteriendramen aufge­führt werden sollen. Die Gestalten hätten in die Licht- und Farbenfülle

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eingehüllt sein sollen. Wenn man heute die technischen Mittel schaffen würde, um das zu erreichen, müsse man sicher auch von der Stimmung des Wortgehaltes, den der einzelne Dar­steller ausspricht, die Beleuchtung bestimmen. Man müßte Nuan­cierungen finden. Bei der Eurythmie liebte Rudolf Steiner vielfäl­tigen und raschen Wechsel, er hatte gern Kontraste. Beim Schau­spiel könnten die Wechsel aber nicht so häufig sein wie in der Eurythmie, wo manchmal z.B. in einem ganz kurzen Vortakt 4 Beleuchtungen geforderten werden.

Zur Anordnung der Beleuchtungskörper in der kleinen Kuppel des ersten Goetheanum

#G291a-1990-SE395 Farbenerkenntnis

#TI

Zwei Skizzen Rudolf Steiners für Ehrenfried Pfeiffer

Zur Anordnung der Beleuchtungskörper in der kleinen Kuppel des ersten Goetheanum

#Bild s. 395

III

ANWENDUNGEN DER FARBENERKENNTNIS

AUF PRAKTISCHEN GEBIETEN

#TX

Wendet an den alten Grundsatz «Geist niemals ohne Materie, Materie niemals ohne Geist», in der Art, daß ihr sagt: Wir wollen alles Materielle im Lichte des Geistes tun, und wir wollen das Licht des Geistes so suchen, daß es uns Wänme entwickelt für unser prak­tisches Tun. (Vortrag Stuttgart. 24. September 1919)1

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Farbgebung für Raumwände

Vorbemerkungen der Herausgeber

Raumfarben «sind von der denkbar größten Be­deutung» .1

Rudolf Steiners ganzes Bestreben war darauf gerichtet, daß die Anthro­posophie immer mehr das ganze Kulturleben durchdringen möge, damit auch das Alltäglichste geistgemäß gestaltet werde. Denn vieles, «Sitten, Gewohnheiten, Seelenneigungen, gewisse Beziehungen des Guten und des Bösen eines Zeitalters» hängen davon ab, wie die Dinge um uns herum beschaffen sind. Darum hielt er es für wesentlich, zum Beispiel für Raumwände solche Farben zu wählen, mit denen dasjenige harmo­nisch zusammenklingt, was in den betreffenden Räumen getan wird. Bei sich bietenden Gelegenheiten hat er die Farbgebung in diesem Sinne bestimmt.

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Chronologische Übersicht der Äußerungen Rudolf Stein ers

Vorträge

1907

21. Mai Über Rot und Blau bei der Wandgestaltung des Münchner Kon­greßsaales. GA 284

12. Juni Rote Farbgebung löst in der gesunden Seele die aktiven Kräfte aus. Rot ist Feind gegen retardierende Stimmungen, gegen Sündenstim­mungen. Rot für Wohnräume heißt die rote Farbe profanieren, bedeutet, daß man keine Feiertagsstimmung kennt. GA 284

1908

Rote Wände und blaue Decke im Modellbau Malsch. GA 284

1909

5. Mai Farbgebung für den Zweigraum in Berlin: einheitlich blau: Wände in gesättigtem Blau, Türe, Fußboden, Fensterrahmen und Stühle in dunklerem Blau; Vorhänge in hellerem Blau; Decke hellblau, auch die Beleuchtungikörper blau. GA 284

1910-1913

Angaben für verschieden geartete Räume in den Mysteriendramen.

GA 14

1911

15. Okt. Blaue Raumfarbe: günstig für sich wiederholendes Arbeiten. Rot darf für vorübergehende festliche Gelegenheiten verwendet wer­den. - Unterschied zwischen Farben an einer undurchsichtigen Wand und durchsichtigen Farben. GA 284

ohne nähe- Farbige Deckenflächen für den in München geplanten Zentralbau:

res Monats- »Im Anfang der Vorarbeiten hatte Rudolf Steiner die Absicht, die

und Tages- Decke aus drei Flächen des Pentagondodekaeders zu bilden. Diese

datum stoßen bekanntlich in einer Ecke zusammen, sie sollte die Spitze der Decke bilden. An Malerei dachte er damals noch nicht, die Flächen sollten glatt angestrichen werden in den Farben Lila, Orange, Indigo.» (Alexander Strakosch, »Das heilige Maß» in «Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutsch­land», Weihnachten 1958).

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1914-1919

Malereien in der großen und kleinen Kuppel des ersten Goethe­anumbaues. GA K 14

1914

Farbige Glasfenster für den ersten Goetheanumbau. GA K 12

1915

Farbangaben für die Wohnräume von Haus Duldeck, Dornach (Familie Grosheintz):

Erdgeschoß: Warteraum orange; Diele gelbrot; Eßzimmer hellro­sarot; Wohnzimmer blau, nicht allzu dunkel; Bibliothekizimmer blau, etwas dunkler als das Wohnzimmer; Mädchenzimmer violett. 1. Stock: Zimmer von Frau Grosheintz blau, nicht allzu hell; von Herrn Grosheintz rosarot, etwas dunkler als das darunter befindli­che Eßzimmer; Zimmer für Sohn Hansi violett, ziemlich hell; für Sohn Pierre hellblau, nicht allzu hell. Studierzimmer blauviolett; Mädchenzimmer violett: Gastzimmer blau.

1918

15., 17. Febr. Künstlerisch-psychologische Wirkung eines roten und eines blauen

5., 6. Mai Zimmers, von rotem oder blauem Eßgeschirr. GA 271

1919-1924

Farbangaben für Schulräume.

Siehe den Abschnitt «Farbe in Erziehung und Unterricht» Seite 440

1923/24

Farbangabe für ein persönliches Arbeitszimmer:

Von Dr. Guenther Wachsmuth mehrfach erzählt, daß er Rudolf Steiner gefragt habe, welche Farbe er für sein Arbeitszimmer neh­men solle, worauf Rudolf Steiner zurückgefragt habe: Welche Farbe meinen Sie denn? Wachsmuth: Er habe an Gelb gedacht. Antwort Rudolf Steiners: Wenn Sie mit den Leuten streiten wollen, können Sie es gelb malen; ich würde es blau malen.

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Herstellung von Malfarben aus Pflanzenstoffen



Vorbemerkungen der Herausgeber

In einer lebendig gewordenen Chemie muß ich den Blütenprozeß der Pflanze nachmachen und bekomme die helle Farbe; ich muß den Wurzel­prozeß der Pflanze nachmachen und erhalte da die dunkle Farbe.'

Der erste überlieferte Hinweis Rudolf Steiners auf Pflanzenfarben er­folgte während der Münchner Sommerfestveranstaltung des Jahres 1911. In einer Ansprache vom 22. August 1911 zu einer von ihm eingerichteten kleinen Ausstellung von Bildern der Malerin Maria Strakosch-Giesler habe er darauf hingewiesen, daß es notwendig wäre, beim Malen ein anderes Material als die käuflichen Tubenfarben zu verwenden.2

Es wird heute vielfach angenommen, daß Rudolf Steiner, weil ja damals auch Pflanzenfarben in den Farbfabriken hergestellt wurden, mit der Qualität dieser Farben unzufrieden gewesen wäre. Ein Blick auf die damalige Farbenproduktion läßt jedoch eine andere Erklärung zu. Um die Mitte des 19.Jahrhunderts bestand die Herstellungspalette aus­schließlich aus Mineral- und Pflanzenfarben sowie einigen Farben aus dem Tierreich. Erst im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts wurde mit der Entwicklung der synthetischen Farben aus Verbindungen, die ihren Ursprung in dem Teer hatten, eine Revolution im Bereich der Farbstoffe eingeleitet. Durch die Geschicklichkeit der Forscher wurde eine solche Menge von Farben entdeckt und entwickelt, wie man noch nie gesehen hatte. Tausende von verschiedenen Farben kamen auf den Markt und verdrängten innerhalb kurzer Zeit die bis dahin benutzten Naturfarben. Um das oben erwähnte Jahr 1911 waren diese Farben gänzlich am Verschwinden. Und so ist es bemerkenswert, daß es Rudolf Steiner war, der damals die Weiterentwicklung der Pflanzenfarben angeregt

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hat Die Zeit hat die Richtigkeit dieser Anregung bestätigt. Die Herstellung der Pflanzenfarben wurde von den Farbfabriken ganz aufge­geben und nur in den anthroposophisch orientierten Laboratorien wei­terentwickelt.

Im Jahre 1912 richtete der junge österreichische, in München studie­rende Chemiker Oskar Schmiedel (Wien 1887-1959 Schwäb. Gmünd) in München ein kleines Laboratorium ein. Ihn hatte schon seit einiger Zeit der Gedanke beschäftigt, daß es wohl gut wäre, wenn sich ein chemisch­theosophisches Laboratorium realisieren ließe. Und als ihm von der Malerin Imme von Eckhardtstein (Lunéville 1871-1931 Dornach) be­richtet wurde, Rudolf Steiner habe angeregt, Farben aus Pflanzen herzu­stellen, und sie ihm deshalb nahelegte, er als Chemiker solle sich doch mit der Herstellung von Pflanzenfarben beschäftigen, ergab sich daraus, daß beide beschlossen, ein kleines Labor einzurichten.

Über das Entstehen dieses ersten Labors berichtete Schmiedel in seinem Brief an Rudolf Steiner vom 13. März 1913 folgendes:

«Ostern 1912 erstand in mir durch Zusammentreffen von mancherlei (Alkahest etc.) die Überzeugung, daß es wohl gut wäre, wenn sich ein chemisch-theosophisches Laboratorium realisieren ließe. Gerade zu der Zeit sah ich eines angeboten, und schon damals war ich beinahe ent­schlossen, es zu mieten, doch fand ich einstweilen niemanden, der die Kosten mit mir teilen wollte. Eines Abends kam die Baronin Eckhardt­stein zu mir und sagte, ich sollte mich als Chemiker doch mit der Herstellung von Pflanzenfarben beschäftigen. Im Laufe des Gespräches kam die Rede auf das Laboratorium und sie sagte, sie wolle sowieso einen Arbeitsraum mieten, da könnten wir es ja gemeinsam tun. Am nächsten Tage besichtigten wir es, doch gefiel es ihr nicht. In mir jedoch befestigte sich der Entschluß immer mehr und mehr, nur, wenn es ihr weiter nicht gefallen sollte, einen anderen Partner zu suchen. Am näch­sten Tage faßte die Baronin doch den Entschluß, das Laboratorium mit mir zu mieten. Wir kamen überein, alle Kosten halbpart zu tragen, was bis 1.Januar 13 geschah, dann wurde es der Baronin zu teuer, und sie bezahlte nur ca. 20% der Unkosten von da ab. Ab 1.Juli 1912 wurde das Laboratorium eingerichtet, was, wie es ja selbstverständlich war, von meiner Braut und mir fast ausschließlich geschah. September reiste die Baronin ab und da die bisherige Zeit von den Mysterienspielen und dem Zyklus in Anspruch genommen [war], konnte da erst die eigentliche Arbeit beginnen. Ich stellte meine ganze Kraft in den Dienst unserer

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Sache und hatte nur den Gedanken, das Laboratorium möglichst auszu­bauen, um es zu einem Faktor in unserer Gesellschaft zu machen. Die äußeren Zeichen waren anscheinend günstig, da von verschiedenen Sei­ten wieder die Notwendigkeit eines chemischen Laboratoriums betont wurde und außerdem viele Dinge angeregt wurden, die Bedürfnisse in der Gesellschaft befriedigen sollten. Ich beabsichtigte nach meiner Pro­movierung neben den fortlaufenden Versuchsarbeiten für Farben (die, wie ich glaube, nur noch eines Zusatzmittels zur Haltbarmachung be­dürfen) diesen Ausbau ernstlich in Angriff zu nehmen. U. a. käme fol­gendes in Betracht: Harnanalysen, Nahrungsmitteluntersuchungen, div. Artikel (wie Weihrauch, Kohle, Seife, Zahnpulver, Brillantine, Eukalyp­tusbonbons etc.) Vorlesungen etc. Nun, wo der Moment eintritt, daß einerseits dieser Ausbau in Angriff genommen werden kann und wo andrerseits die Blumenzeit kommt, in der endlich die Farben in größe­rem Maßstab hergestellt werden können, will die Baronin das Laborato­rium mehrere Monate allein haben, mit der Begründung, daß sie für Sie, verehrter Herr Doktor, Dinge zu machen hat, die Geheimnis für mich bleiben müssen,3 und ferner, weil ich das Laboratorium bisher solange für mich allein gehabt, sie es nun auch allein haben will. Ich bat sie um Bedenkzeit und machte ihr außerdem den Vorschlag, daß wir für sie ein neben dem Laboratorium liegendes Zimmer (mit Küche) noch mieten könnten, wo sie, wenn sie es wünscht, ungestört durch mich arbeiten kann. Dies wäre nach meiner Meinung wohl die beste Lösung. Daß ich mich nicht so plötzlich entschließen kann, die einmal übernommene Arbeit liegen zu lassen, ist ja nur selbstverständlich, wenn man weiß, wie sehr ich mit dem Laboratorium und mit der Arbeit in diesem verknüpft bin und wie mir die Zukunft des Laboratoriums am Herzen liegt.»

Schmiedel entschloß sich dann doch, auf Anraten von Sophie Stinde, der Leiterin der anthroposophischen Arbeit in München, Imme von Eckhardtstein das Laboratorium zu überlassen. Bald darauf erhielt er von einer französischen Malerin, M me Peraké, die später in der Großen Kuppel des Baues mitmalte, finanzielle Unterstützung, um an der Far­benherstellung weiterzuarbeiten. Daraufhin richtete er von Mai 1913 an wieder mit Hilfe seiner Braut, die bald darauf seine Frau wurde (Thekla Schmiedel-Michels 1886-1963), ein neues, das «Chemische Laborato­rium Dr. Oskar Schmiedel» ein. Er erhielt von Rudolf Steiner manche Ratschläge für die Pflanzenfarbenbereitung, auch für die Herstellung des «Alkahest», von dem er sich vor allem für die Haltbarkeit der Farben

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etwas versprach, aber auch Anregungen für die Herstellung von hygie­nisch-kosmetischen und medizinischen Mitteln. Zu Beginn des Jahres 1914 bat Rudolf Steiner telegraphisch, ihm Muster von den bisher ge­machten Pflanzenfarben nach Dornach zu senden. Schmiedel fuhr damit selbst nach Dornach. Im Laufe des Gespräches fragte ihn Rudolf Steiner, ob er nicht Lust hätte, mit seinem Labor nach Dornach überzusiedeln, da ja die beiden Kuppeln des Baues mit Pflanzenfarben ausgemalt wer­den sollten. Schmiedel sagte sofort zu, und schon vom 1. März 1914 an -im April kamen die Künstler, die am Bau arbeiten sollten - konnte er mit seiner Frau in einer inzwischen für ihn erstellten Baracke die Arbeit weiterführen. Und da er die aus München mitgebrachte Laboreinrich­tung dem Goetheanum abgetreten hatte, wurde sein Labor die erste wissenschaftliche Forschungs- und Arbeitsstätte des Goetheanum.

Die Hauptarbeiten galten den drei Grundmaterialien: einer Grundie­rung als Malgrund für die Farben; den Farbpigmenten (Pflanzenfarben in Pulverform) und dem Bindemittel, um die Farbpulver als Malfarbe auf die zu bemalende Fläche auftragen zu können.

Der Malgrund bestand aus zwei verschiedenen Schichten: einem Un­tergrund - bestehend aus Kasein-Leim, Kreide und einem sehr großen Anteil verseiftem Bienenwachs (sog. Punisches Wachs) - sowie einem durchsichtigen Obergrund - zusammengesetzt aus Tragant (einem Pflanzenschleim), Punischem Wachs und einem im Labor hergestellten Zell-Leim (Xantogenat, eigentlich Viskose). Schmiedel war es schon in München gelungen gewesen, «flüssiges Papier», Papier in streichfähiger Form, herzustellen, das er als Obergrund auf den Malgrund aufstreichen konnte. Es war dieses flüssige Papier, das als Obergrund für die Kuppel-malereien verwendet wurde und das Aquarellmalen ermöglichte. Der Untergrund hatte wegen des hohen Wachsgehaltes große plastische Ei­genschaften, wodurch sich durch Tupfen mit einem Pinsel sogar ganz grobe Strukturen herstellen ließen. Leider war die Haftung nicht sehr gut, so daß das Auftragen des Malgrundes eine sehr heikle Aufgabe war. Die für die Grundierungsarbeiten zuständig gewesene Malerin Hilde Boos-Hamburger (Ludendorf/Niederösterreich 1887-1969 Basel) er­zählt darüber folgendes:4

«Folgende Episode soll berichtet werden, weil sie für manche weg­weisend sein kann. Wir hatten im Frühsommer 1915 die große Kuppel bis zu einem gewissen Grade fertig grundiert. Der damalige Malgrund bestand - wie schon erwähnt - aus zwei Hauptschichten. Die erste aus

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Kreide, punischem Wachs und Kaseinleim, mußte dreimal auf Korkplat­ten, die auf Sperrholzplatten aufgeschraubt waren, aufgestrichen wer­den. Schon diese Korkplatten, die der Akustik halber genommen wur­den, waren vorher zweimal mit einer scharfen Lösung von essigsaurer Tonerde abgewaschen worden, zur Bindung der Gerbesäure. Diese wäre sonst durch den weißen Grund durchgeschlagen und hätte ihn ganz fleckig gemacht. Zwischen jedem dieser drei Kreideaufstriche mußte jeweils zwei Wochen gewartet werden, damit der Kaseinleim sich völlig binde. Wir ließen jedoch aus Vorsicht jede Schicht noch länger trocknen, denn wie viel hing davon ab, daß unsere Kuppeln gut und haltbar grundiert waren! Wie schon erwähnt, war man in der Lage, mit dem letzten Anstrich diesem Malgrund jegliche Art von Korn geben zu können. Fleißig waren die bezüglichen Wünsche der Künstler erforscht worden, und wir hatten ihnen beizeiten Musterproben gemacht. Selbst den anspruchsvollsten Wünschen schien Genüge getan, wie es schien! Als ich jedoch nach heißer Tagesarbeit, von oben bis unten bespritzt, Auge, Nase und Ohren mit dem kostbaren Weiß besprenkelt, mit wel­chem an einem Tage 450 m2 gestrichen worden waren, die Gerüsttreppen 30 Meter in die Tiefe hinabstieg, begegnete mir einer der Künstler, verlangte den Schlüssel für die Kuppelbeleuchtung, mit der Mitteilung, den Malgrund an seiner Bildfläche mit Glaspapier gleich glätten zu wollen. Erschrocken erklärte ich, daß wir uns bemüht hätten, alles nach Wunsch zu machen und solches Vorhaben könne auf alle Fälle erst nach acht Tagen, nach vollständigem Austrocknen vorgenommen werden. Zu meinem Erstaunen bekam ich die Antwort: «Der Herr Doktor hat es erlaubt!» Ein Mißverständnis annehmend, stieg ich ganz herunter, traf Herrn Doktor vor der Schreinerei und versuchte, den Sachverhalt aufzu­klären. «Und warum soll N. N. das an ihrem Platze nicht tun?» fragte er. «Wir haben nun Monate daran gearbeitet, um diesen Grund ordentlich und allen Wünschen gemäß vorzubereiten und auf mir liegt die Verant­wortung dafür», entgegnete ich. «Aber, wenn Sie Ihre Arbeit gut abge­liefert und beendet haben, tragen Sie keine Verantwortung mehr, son­dern der Maler selbst», versetzte Herr Doktor Steiner. Das wollte mir nicht einleuchten. «Das kann ich nicht verstehen», rief ich aus, «sind denn die Menschen nicht für das Goetheanum da? Geht es an, daß die Arbeit daran wissentlich geschädigt werde?» Außerordentlich ernst klang es aber zurück: «Nein, das Goetheanum ist für die Menschen da!»

- Freilich klärten dann erst die nächsten Monate diese Antwort auf. Jene

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Persönlichkeit war in etwas labilem Zustande, und es war daher wichtig gewesen, den Menschen selbst allem voranzustellen. Ein solches Wort Rudolf Steiners wirkt das ganze Leben hindurch und in bestimmten Situationen wird es dann führend.

Rudolf Steiner hatte das Ideal, nur organisch-pflanzliche Materie für den Bau des Innenraumes zu verwenden. So wollte er auch nur Pflanzen-farben hergestellt haben, und es sollte nicht mit den üblichen minerali­schen gemalt werden. Jene wurden nach seinen Ratschlägen von Frau und Herrn Dr. Schmiedel im eigenen Laboratorium hergestellt. Schon die alten Meister hatten Wert darauf gelegt, die Farbpulver möglichst lange zu reiben, weil dadurch die Leuchtkraft der Farben beträchtlich erhöht werden kann. So fanden sich auch manche fleißigen Hände, die bis zu 100 Stunden eine Portion auf der Glasplatte feinrieben. Dies waren schon betagtere Freunde, denen es an Kraft zum Schnitzen fehlte und die nun mit Begeisterung sich dieser notwendigen Arbeit widme­ten.»

Die Rezepturen, nach denen die Farben für den Bau hergestellt wur­den, waren der Arbeit von Oskar und Thekla Schmiedel zu verdanken. Rudolf Steiner gab zwar immer wieder Anregungen, aber nicht alle konnten verwirklicht werden, vor allem nicht die auf Seite 424-432 wiedergegebenen Rezepte. Sie wurden bis heute für von ihm stammende Originalangaben gehalten, bis erst kürzlich herausgefunden wurde, daß er sie offensichtlich entnommen hatte dem in seiner Bibliothek befindli­chen alten Werk: «Der zu vielen Wissenschafften dienstlich-anweisende und von neuem wieder aufgelegte Curiose Künstler vorgestellet in einem neu-verfertigten und in zwey Theil gerichteten Kunst- Hauß- Arztney­und Wunder-Buch», erschienen 1710 in Nürnberg. Vielleicht wollte Rudolf Steiner mit diesen Angaben auf den Weg der «praktischen Phä­nomenologie» verweisen, wie er dies in einer Sitzung in Stuttgart am 31.Januar 1923 genannt hat.5

Die Hauptaufgabe bei der Herstellung von Farben aus Pflanzenstof­fen besteht ja darin, die flüssigen Farbauszüge in ein Festes überzufüh­ren. Dies geschieht durch gewisse Absorbiermittel, hauptsächlich mine­ralischer Herkunft, die imstande sind, die Farbe an sich zu binden und von der wässerigen Lösung zu trennen. Da die Auswahl brauchbarer Absorbiermittel äußerst klein ist, waren die Schmiedelschen Farbrezep­turen den damals bei Pflanzenfarben üblichen sehr ähnlich. Doch gab es einige Ausnahmen. Zum Beispiel wurde versucht, die Farben auf Cellu­lose

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zu fixieren, um einen Farbträger aus dem pflanzlichen Bereich zu bekommen.6

Für die benötigten Farben wurden von Schmiedels folgende Pflanzen verwendet:

Gelb: Gelbbeeren und Stechapfel.

Orange: Coreopsis-Blüte.

Rot: Krappwurzel und Lac-Lac.

Violett: Sandelholz (Alkoholauszug mit Cellulose und Eisensalz ver­setzt).

Braun: Catechu-Akazie.

Blau: Indigo. Diese Farbe wurde dadurch gewonnen, daß man Seide mit Indigo färbte, wonach die angefärbte Seide morsch gemacht und zu Pulver verrieben wurde. Ebenfalls wurde ein Blau aus Wegwarte Blüten hergestellt.

Das hergestellte Bindemittel war das Ergebnis von Schmiedels Ringen um Verständnis eines der ihm von Rudolf Steiner übergebenen Rezepte, das lautet:

6 Teile Fichtenharz

2 Teile Terpentin

2 Teile Neuwachs

2 Teile Leinöl

3 Teile Griechisches Pech

werden gemischt, in einem unglasierten Topf erwärmt, mit Farbe und Wasser gemischt.7 Die Masse ließ sich jedoch nicht mit Wasser mischen, wie man es auch probierte. Auch darüber, was «Griechisches Pech» sein soll, konnte man nur rätseln. Mit solchen Problemen konfrontiert, war man dann genötigt, die Harz/Wachs/Öl-Masse mit Tragant zu mischen, damit sie mit Wasser emulgiert werden konnte. Thekla Schmiedel hat später das «Griechische Pech» dahin gedeutet, daß es eventuell Trigo­nella-Leim (Schleim der Bockshornsamen) sein könnte. Im nachhinein ist es bestaunenswert, daß aufgrund dieses Rezeptes überhaupt ein Bin­demittel entwickelt werden konnte, das in verschiedenen Varianten mit guten Maleigenschaften für die Kuppelmalereien verwendet wurde und bis heute noch verwendet wird.

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In den 5 Jahren (1914-1919) bis zur Vollendung der Kuppelmalereien wurde von den beiden Schmiedels und ihren Helfern eine erstaunliche Leistung erbracht, allein schon durch die benötigten Mengen an Farben (gewisse Farbpulver mußten nach einer Angabe Rudolf Steiners bei guter Besonnung auf Glasplatten bis zu 100 Stunden von Hand verrieben werden), Lacken, Modellierwachs usw. Da Oskar Schmiedel bei Aus­bruch des Ersten Weltkrieges am 1. August 1914 zum Militär eingezogen wurde - zwar konnte er öfters Urlaub erhalten und nach Dornach kommen, so daß er seiner Frau immer wieder mit Rat und Tat zur Seite stehen konnte-, lag doch die Hauptarbeitslast auf ihr.

Nachdem die Ausmalung der beiden Kuppeln vollendet war, wurde die Pflanzenfarbenherstellung aus wirtschaftlichen Gründen nicht wei­tergeführt. In einer Konferenz mit den Lehrern der Waldorfschule in Stuttgart am 29. Juli 1920 sagte Rudolf Steiner: «Die Dornacher Farben können aus geldlichen Gründen nicht realisiert werden.»8 Oskar Schmiedel wurde, als er nach dem Krieg (Ende 1918) wieder nach Dornach kam, für den Aufbau des pharmazeutischen Laboratoriums der späteren «Weleda» tätig. Er selbst verfaßte noch einen kurzen mit «26. März 1924» datierten Bericht über die Gewinnung von Pflanzenfar­ben, der von Thekla Schmiedel in den von ihr später verfaßten Bericht eingebaut wurde.

Da die hergestellten Farben damals noch nicht voll befriedigend waren, waren auch die Künstler, die mit ihnen malen mußten, damit unzufrieden. Darum machte Rudolf Steiner bei der Generalversamm­lung des Bauvereins am 21. Oktober 1917 die Bemerkung:9

«Die Schwierigkeiten, die von den einzelnen Künstlern übernommen werden mußten, sind wirklich ungeheure. Nicht wahr, wir brauchen zum Beispiel auf der einen Seite die Verwirklichung dieses Prinzips, mit Pflanzenfarben zu malen. Nun, man kann schon sagen: Natürlich würde man sehr viel leichter gewisse Effekte herauskriegen, wenn man mit den traditionellen Malmitteln und Farben malen könnte. Viele Dinge lassen sich, weil die Bereitung der Farben noch nicht so weit ist, wie wir eigentlich mit ihr sein müßten, nicht so ausdrücken. Man muß das selbstlos auf sich nehmen, schlechter zu malen, als man eigentlich malen könnte. Es hängt nicht nur davon ab, wie gut einer malt oder malen kann, sondern davon, wie weit unsere Mittel schon ausgestaltet sind.»

Einige Jahre später äußerte er in Stuttgart am 31.Januar 1923 rück­blickend auf die im Schmiedelschen Farbenlabor geleistete Arbeit:

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«So haben wir zum Beispiel in Dornach praktische Phänomenologie getrieben, da wir vor die Aufgabe gestellt waren, in der Arbeit bestimmte Probleme zu lösen. Wir haben doch Farben zustande gebracht, mit denen wir die Kuppeln ausmalen konnten. Bisher haben sich diese Farben gehalten. Wir sind eben von einem klar zutage liegenden Gedan­ken ausgegangen. Wir haben flüssiges Papier gemacht und haben auf flüssiges Papier die Farben aufgetragen. Davon sind wir ausgegangen, Stück für Stück uns vortastend an den Tatsachen. Das war eine Art phänomenologisches Experimentieren.» (GA 259)


Von der Arbeit des zweiten Pflanzenlabors (Dr. Johann Simon Streicher, Stuttgart)

Im Sommer 1921 konnte die Arbeit an den Pflanzenfarben im Stuttgarter wissenschaftlichen Forschungsinstitut, das der Aktiengesellschaft zur Förderung wirtschaftlicher und geistiger Werte «Kommende Tag» ange­schlossen war, neu aufgegriffen werden. Wie der mit dem Institut ver­bundene Techniker Alexander Strakosch berichtet,10 habe er Rudolf Steiner gefragt, ob er bereit wäre zu helfen, wenn die Farbenbereitung wieder aufgegriffen würde. Er habe erfreut reagiert und ihm sogleich einen ihm bekannten jungen tüchtigen Chemiker genannt, mit dem er für diese ihm am Herzen liegende Sache zusammenarbeiten könnte. Es handelte sich um Dr. J. S. Streicher, der daraufhin seine aussichtsvolle Stellung in einem der größten deutschen Chemiekonzerne aufgab und mit sehr bescheidenem Gehalt in den Dienst des Instituts trat.

Nachdem er rekonstruiert hatte, was in Dornach erarbeitet worden war, gelang es ihm, einige Schritte weiterzukommen. Er entwickelte eine kleine Reihe von Farben und ein eigenes Absorbiermittel, womit er imstande war, für die Lichtbeständigkeit vor allem bei der Indigo­Herstellung einen anderen Weg einzuschlagen. Wichtiger aber noch war ihm das Einbetten der Farbe im Bindemittel. Dafür hat er ähnlich wie in Dornach seine Farben im prallen Sonnenschein mit der Hand 6-8 Stun­den auf einer Glasplatte gerieben. Das Bindemittel wurde in Zusammen­arbeit mit Rudolf Steiner weiterentwickelt, indem die Proportionen von Harz, Wachs und Öl so aufeinander abgestimmt wurden, daß mehrere Bindemittel für verschiedene Zwecke hergestellt werden konnten.

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Rudolf Steiner, über die Ergebnisse erfreut, versuchte die Maler für die Verwendung der Pflanzenfarben zu gewinnen, was offenbar nicht so einfach war, wie aus dem folgenden Bericht Streichers hervorgeht:

.... 1922, es war während des Schweizer Lehrerkurses, Ostern, ging ich mit den Farben und Malmitteln nach Dornach. Dr. Steiner wollte alles, was bis dahin erreicht war, Frl. Geck zeigen. Die Demonstration fand im Atelier statt. Dr. Steiner machte dieselben Strichproben auf Papier, wie er sie in meinem Stuttgarter Laboratorium fast bei jedem Besuche gemacht hatte. Dr. Steiner fragte schließlich Frl. Geck, wie sie die Farben finde? Frl. Geck antwortete: Ach, was Herr Doktor machen, ist ja immer so schön. Dr. Steiner lächelnd zu mir: Nun, Herr Doktor, Sie zeigen Frl. Geck die Anwendung der Farben zusammen mit dem Malmittel. - Als ich am nächsten Vormittag zur verabredeten Zeit ins Atelier kam, hatte Frl. Geck keine Zeit - auch zu einem anderen Datum war keine Zeit zu finden...»11

Nachdem infolge der damaligen allgemeinen Wirtschaftskrise das Forschungslaboratorium im Jahre 1924 geschlossen werden mußte, ver­faßte Streicher für Rudolf Steiner noch einen zusammenfassenden Be­richt über seine Arbeit an den Pflanzenfarben.

Über die Odyssee dieses Berichtes schrieb er später:

«Über die Ergebnisse meiner Stuttgarter Arbeit machte ich einen längeren Bericht, den Dr. Palmer an das Krankenbett Dr. Steiners ge­bracht hat. Nach dem Hinscheiden Dr. Steiners war der Bericht zu­nächst völlig verschwunden. Nach Jahren tauchte er plötzlich auf; auf jeden Fall hatte ihn Herr Pyle eines Tages. 1931 hatte ihn Dr. Eckstein. In dem Bericht ist, soweit es möglich war, rekonstruiert, was im wesent­lichen beim ersten Bau versucht worden ist. Dr. Steiner gab jedoch an wesentlichen Punkten neue Angaben. Er entschuldigte sich oft, daß er für diese ihn sehr interessierenden Probleme nun (1922/23) so ganz wenig Zeit hatte.» Und bei Gelegenheit einer letzten Strichprobe, die er mit den von Streicher in den «gewünschten flüssigen Zustand und Ver­dünnungsgrad» gebrachten Farben im Juni 1924 noch machte, habe er auf die Frage, ob die Künstler nun mit diesen Farben arbeiten könnten, geantwortet: «Ja, natürlich, ich könnte schon viel damit anfangen; dies müßte nun alles künstlerisch herausexperimentiert werden; dazu habe aber ich keine Zeit. Doch die Künstler wollen sich nicht der Mühe unterziehen, zu experimentieren. - Das ist eine weitere schwere Auf­gabe, die Künstler zu diesem Experimentieren zu bringen.»12

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Streicher charakterisierte später seine Arbeit allgemein zusammenfas­send mit den Worten: «Es war norwendig, die Farben aus dem Pflanzen­körper zu gewinnen, im Prozeß der Extraktion aber möglichst wenig von den ihnen innenwohnenden, von den Pflanzen ihnen verliehenen Ätherkräften zu nehmen und das Quantum von Ätherkräften, was ihnen bei dieser Extraktion verlorengegangen ist, ihnen wiederzugeben bei der Zubereitung (Reiben etc.). Im Malprozeß mit Hilfe des Malmittels, so daß die Farbstoffe schließlich im Gemälde weiterleben können, lichtecht bleiben, genau so, wie ja der Farbstoffkörper im Blumenblatt jeder lebenden Blume lebt und lichtecht ist.»13


Von der Arbeit des dritten Pflanzenfarbenlabors

«Anthea-Institut für Rudolf Steiner-Pflanzenfarbenherstellung»

in Dornach

(M. E. Pyle-Waller und William Scott Pyle-Waller)

Nachdem die Stuttgarter Versuche eingestellt werden mußten, betraute Rudolf Steiner das Dornacher Malerehepaar Pyle mit der Pflanzenfar­benbereitung, da er sich mehr davon versprach, die Sache nunmehr in die Hand von Künstlern zu geben. So wurde im Jahre 1930 von dem Malerehepaar Pyle und Marie Steiner ein Verein zur Pflanzenfarbenher­stellung gegründet, der den Namen «Anthea-Institut für Rudolf Steiner­Pflanzenfarbenherstellung» trug. Diesem Institut kamen die Arbeitser­gebnisse von Streicher und die Stuttgarter Laboreinrichtung zugute. In dem neuen Dornacher Labor arbeitete anfänglich wieder Thekla Schmie­del mit, dann der Chemiker Dr. E. O. Eckstein und der holländische Arzt Dr. Degenaar. Nach Bericht des letzteren mußte das Institut Ende der dreißiger Jahre hauptsächlich auch wegen mangelnder Finanzen, aber auch infolge des zu geringen Interesses der Maler geschlossen werden. Degenaar bemerkte zu letzterem: «Man müßte einsehen, daß man nicht Vollkommenheit fordern kann am Anfang der Arbeit und daß die Weiterentwicklung nur geschehen kann in den fortwährenden Versu­chen, damit zu arbeiten, auch wenn im Anfang ein paar Malereien mal mißlingen sollten. Das riskieren die Maler eben nicht, und das ist ein zu behebender Grund des Unfruchtbarwerdens der Arbeit.»14

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Immerhin waren damals die Versuche so weit gediehen, daß ein Malmittel und 16 Farben vertrieben werden konnten: Blau-Rot, Rosen­Rot, Rot, Rot-Orange, Gold-Gelb, Gelb, Grünlich-Gelb, Gelb-Grün, Blau-Grün, Grünlich-Blau, Blau, Violett, Rötlich-Braun, Braun, Neu­tral-Ton, Moos-Grün. Diese 16 Farben wurden laut Prospekt «aus na­türlichen organischen Farbstoffen unter Verwendung einer neuartigen Emulsion» hergestellt, jedoch nach Degenaar nicht wirklich nach den Angaben Rudolf Steiners, da man diese als ungenügend und unbegreif­lich empfunden hätte.

Obwohl die Anthea-Pflanzenfarben wegen ihrer geringen Lichtbe­ständigkeit sich keinen guten Ruf erwerben konnten, wurde die dort geleistete Arbeit doch bisher zu Unrecht unterschätzt. Dem Arbeitsbe­richt von Dr. Degenaar ist zu entnehmen, daß eine große Forschungstä­tigkeit geleistet wurde. Da sowohl Schmiedels wie auch Dr. Streicher zwangsläufig genötigt waren, sich an schon vorhandene Herstellungs­weisen zu halten (viel Wissen über Pflanzenfarbenherstellung war da­mals noch zugänglich), könnte man die im Anthea-Institut geleistete Arbeit diesbezüglich die Krönung nennen. Innerhalb von wenigen Jah­ren wurden von dem Chemiker Dr. Eckstein und dem Arzt Dr. Dege­naar alle nur denkbaren bekannten Prozesse und Möglichkeiten auspro­biert. Aber nicht nur wurden alle bekannten Wege sorgfältig ausgelotet, sondern ebenso die echten wie die sogenannt echten Angaben Rudolf Steiners. Aber auch Dr. Degenaar war es nicht vergönnt, den Weg zu einer neuen Herstellungsart von Pflanzenfarben zu finden.

Im Jahre 1934 mußte auch das Anthea-Institut aus finanziellen Grün­den geschlossen werden. Die damaligen Dornacher Maler bedauerten dies jedoch sehr (vgl. Seite 418).

Mit dem im Jahre 1939 ausgebrochenen Zweiten Weltkrieg wurde dieser Arbeitsepoche ein Ende bereitet. Es gehört zwar nicht zu der hier gestellten Aufgabe, auch die späteren Entwicklungen darzustellen, aber es soll doch erwähnt werden, daß ungefähr mit dem Jahr 1960/61 die Arbeit an den Pflanzenfarben wieder aufgegriffen wurde, sowohl am Goetheanum in Dornach durch Günther Meier als auch in der «Weleda» in Schwäb.-Gmünd durch Thekla Schmiedel, die ihre Mitarbeiterin Mechtild Werner (Hannover 1920-1971 Wien) beauftragte, die Arbeit an den Angaben Rudolf Steiners wieder aufzunehmen. Mechtild Werner war es als bisher einziger gelungen, die Blaufärbung an der Zichorien­wurzel in kleinen Mengen zu erreichen.* Inzwischen wird auch in

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verschiedenen anderen anthroposophisch orientierten Laboratorien an der Herstellung von Pflanzenfarben gearbeitet.

*

Aus verschiedenen Äußerungen Rudolf Steiners geht hervor, daß er sich von der Pflanzenfarbenherstellung mehr erhofft hatte, als erreicht wer­den konnte. Einmal soll er, wie Streicher überliefert, gesagt haben: Wenn ich nur Zeit hätte, so würde ich die Pflanzenfarben-Angelegenheit selbst in die Hand nehmen. - Die Schwierigkeiten waren eben insbesondere anfänglich sehr groß, vor allem das Problem der Lichtbeständigkeit. Alexander Strakosch berichtet a. a. 0., daß Rudolf Steiner bezüglich der Lichtechtheit darauf hingewiesen habe, daß hierfür die Einbettung der Farbteilchen wichtig ist und nicht zuletzt die Malweise selbst, nämlich das Übereinanderlegen von Schichten verschiedener Farben statt der unmittelbaren Mischung. Auch hätte er am liebsten gesehen, wenn alle Vorgänge, besonders das Verreiben, mit der Hand ausgeführt worden wären. Da dies jedoch unerschwinglich war, wurden Maschinen ange­schafft, welche bei der Herstellung homöopathischer Verreibungen in Gebrauch waren und die Bewegung der Hand nachahmten. Nur ein Arbeitsgang - die stundenlange Verreibung auf matten Glasplatten im grellen Sonnenschein - sei von Hand ausgeführt worden.

In welcher Richtung Rudolf Steiner diese Entwicklung gerne gesehen hätte, ist der Erinnerungsschilderung von Heinz Müller zu entnehmen. Demnach habe Rudolf Steiner davon gesprochen, «wie mühevoll es gewesen sei, aus den Blüten der Wegwarte den immer wieder sich verflüchtigenden Farbstoff an das Malmittel zu binden und vor allem, ihn vor dem Ausbleichen zu bewahren. Endlich sei es dann geglückt, und nun lohne diese zarte Farbe alle Mühe. Leider sei es noch nicht möglich, sich für alle Farbnuancen der Pflanzenblütensäfte zu bedienen. Um Imaginationen darzustellen, müßte man sich auf eine ganze Reihe weiterer solcher ätherischer Farbstoffe stützen können. Da sei es aber nötig, Verfahren auszuarbeiten, mit deren Hilfe man gerade die Blüten-säfte konservieren könne; denn bei Verwenden von Wurzelsäften, wie zum Beispiel beim Krapp, bekäme man eben zu leicht etwas Erdiges mit, wodurch das Rot ins Bräunliche tingiert würde und dadurch zu schwer wirke.. »15

* D. h. die an sich weiße Zichorienwurzel konnte durch Zusatz von Sanddorn-Ursaft blau gefärbt werden.

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Außer diesem überlieferten Hinweis gibt es nur eine einzige authenti­sche Angabe Rudolf Steiners, die konkret beschreibt, wie die Pflanzen­farbenherstellung der Zukunft aussehen könnte. Gemeint sind die Äuße­rungen in dem Vortrag für die Arbeiter am Goetheanumbau vom 21. Fe­bruar 1923, in dem eine Farbpflanzenchemie angedeutet wird, die, auf Goethes Farbenlehre fußend, das blau-violette Spektrum durch Sauer­stoff und das gelb-rote Spektrum durch Kohlenstoff-Verbindungen ge­winnen könnte. Aber obwohl dies sowohl im Anthea-Institut wie auch in später entstandenen Pflanzenfarbeninstituten versucht wurde, ist bis jetzt nur wenig herausgekommen. Gleichwohl bleiben aber gerade diese Angaben Ziel und Aufgabe der heutigen Pflanzenfarbenforschung.

Zur Schließung des Anthea-Instituts

Die unterzeichneten Maler am Goetheanum haben die neuesten, Herrn Pyle nach Amerika übersandten Farbenproben von Doktor Eckstein auf dessen Wunsch erneut geprüft und sind auf Grund ihrer hiebei persön­lich gemachten Erfahrungen zu folgendem Ergebnis gekommen:

Die künstlerischen und technischen Eigenschaften dieser Farben las­sen eine Schließung des Anthea-Instituts auf Grund ihrer angeblich mangelhaften Qualität als nicht berechtigt erscheinen.

Im Gegenteil, sie geben ein deutliches Bild einer während der letzten Jahre fortlaufend gesteigerten Qualitätsverbesserung, die, wenn ihr jetzt nicht bedauerlicherweise die äußere Möglichkeit ungestörten Fortganges genommen worden wäre, unter der bisherigen wissenschaftlichen Lei­tung des Instituts ganz bestimmt auch noch die letzten Vervollkomm­nungen herausgearbeitet und zu restlos befriedigenden Resultaten ge­führt hätte.

Wenngleich auch im gegenwärtigen Stadium die Möglichkeit noch weiterer Verbesserung dieser Farben durchaus besteht, so muß doch gesagt werden, daß sie den Anforderungen, die von Malern an Künstler-farben gewöhnlich gestellt werden, weitgehend entsprechen.

Dornach, 10.Juni 1934

Carl Bessenich

Louise van Blommestein

W. R. Nedella

Theodor Ganz

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#Bild s. 419

Die Anthea Farben sind Aquarellfarben, die aus natürlichen organischen Farbstoffen unter Verwendung einer neuartigen Emulsion hergestellt werden.

Gleich anderen Aquareilfarben sind sie mit destilliertem oder filtrier­tem Regenwasser zu verdünnen und auf neutraler Fläche (gutem Aqua­rellpapier z.B., Green, Whatmann, Schöller-Hammer oder Anthea-Mal­grund) aufzutragen. Es empfiehlt sich unsere Malmittel-Emulsion nach künstlerischem Bedarf und als letzte Schicht anzuwenden. Nähere Anga­ben siehe Gebrauchsanweisung.

Wegen ihres lebendigen Ursprungs harmonisieren diese Farben ebenso miteinander wie die Farberscheinungen im Pflanzenreich. Der Versuch, solche Farben herzustellen, wurde durch Rudolf Steiner am Goetheanum in Dornach angeregt und für die Kuppelmalerei des ersten Goetheanum angewendet.

Bezugstelle:

Frl. Hilde Langen Dornach/Schweiz

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Chronologische Übersicht der Äußerungen RudolfSteiners


1914 Handschriftliche Aufzeichnungen (in diesem Band Seite 422f.)


Vorträge

1918

3.Juli Verwendung von Pflanzenfarben im Goetheanumbau aus reinen Pflanzenstoffen mit bestimmter Leuchtkraft. GA 181

1920

29. Juli Die Dornacher Farben können aus geldlichen Gründen nicht reali­siert werden. GA 300a

1921

8. Mai Pflanzenstoffe sind am leichtesten dazu zu bringen, das aus künst­lerischen Gründen notwendige innere Leuchten zu entwickeln, deshalb Pflanzenfarben im Bau verwendet. Dieses innere Leuchten wird man niemals in richtiger Weise entwickeln können, wenn man nicht mit flüssiger Farbe malt. GA 291

1923

17. Febr. Die lebendige Wirksamkeit gehört zur Farbe dazu. Deshalb wurdc versucht, für die Ausmalung des Goetheanums das weniger Tote, Pflanzen, für die Farbenherstellung zu verwenden, weil die mehr aus dem Lebendigen heraus kommen. GA 349

21. Febr. Gewinnung von Malerfarben: Gelb aus der Pflanzenblüte, Blau aus der Pflanzenwurzel, Rot in Verbindung mit Kohlenstoff, Blau mit Sauerstoff. GA 291

9. Juni Man kann eigentlich nur mit der flüssigen Farbe malen, denn das schwer Materielle widerstrebt im Grunde genommen der Farbc, wenn man sie künstlerisch gebrauchen will. GA 276 und 291

5. Dez. Die Pflanzenfarben in der Kuppel des Baus wären, wenn sie dem Sonnenlicht ausgesetzt gewesen wären, in einiger Zeit verblaßt; durch die elektrische Beleuchtung sind sie geblieben, weil elektri­sches Licht auf das Stoffliche ganz anders wirkt als Sonnenlicht, viel erhärtender, nicht auflösend. GA 354

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1924

l0.Juni Pflanzenfarben im Zusammenhang mit Planetenwirkungen. GA

327

9. Sept. Die Farben der Pflanzen hängen zusammen mit Sonne und Mond

(grüne Pflanzen im Keller dem Sonnenlicht entzogen werden farb­

los; schwerer durschaubar der Zusammenhang mit dem Monden­

licht, durch Versuche würde man aber dahinterkommen können).

Um einer Pflanze Farbe zu geben, braucht die Sonne 1 Jahr, um

einem Stein Farbe zu geben, 25915 Jahre, d. i. ein Durchgang durch

den ganzen Tierkreis. - Die wilde Rose und ihre Ölentwicklung.

GA 354

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TEXTE VON RUDOLF STEINER



Handschriftliche Aufzeichnungen

zur Herstellung von Malfarben aus Pflanzenstofren

aus Notizbuch Archivnummer 184

und die den schriftlichen Angaben Rudolf Steiners entsprechenden Rezepte

aus dem Werk «Curiose Künstler« (Nürnberg 1710)

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#Bild s. 424

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Gelb: junges Birkenlaub - mit Lauge und / Alaun in geringer Menge darin

Grün: Kreuzbeerensaft - mit Wasser und Alaun

Rot: Bresill 1/8 Kilo und Fernebock 1/8 Kilo 4 Liter Wasser/ dann zum Sieden bringen, so daß / /4 versiedet, dann 5 Gramm Galläpfel / + 5 gr. weißen Alaun / + etwas Stärke







« Curiose Künstler», Nürnberg 1710

(Entsprechungen für Gelb und Grün konnten nicht festgestellt werden.)

Rot

Nimm Bresill und Fernebock / jedes ein viertel Pfund / thue darein drey

Maas Wasser / laß das vierdte Theil einsieden / seyhe es ab in ein sauber

Geschirr / thue darein ein Messerspitz voll Galläpfel / und ein Loth

weissen Alaun / rühre weisse Stärck darein / biß genug und dick wird.

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#Bild s. 426

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Blau (besonders schön) / Blauholz oder Pflanzenblau / mit Eierweiß in /

ein Kuhhorn gestopft / oben zugeschlossen / 16 Tage unter warmen /

Pferdemist gelegt, / dann herausgenommen und / mit Honig vermengt.







«Curiose Künstler», Nürnberg 1710

Blau

Thue die Farbe mit zerklopfften Eyerklar vermischt in ein dünn und zart Kühe/Horn / stopfft dasselbige oben wohl zu / lege es 16. Tage also miteinander in oder unter einen warmen Pferde-Mist / nimms / wann solche Zeit vorüber / von dannen wiederum und endlich mit allem Fleiß waschen I so ist es gethan.

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#Bild s. 428

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Violett: 1 Kilo Bresilholz 15 Liter Wasser /1 1/2 Stunde sieden /

abseihen- / dann Alaun, so viel die Finger halten / können. 5 gr. Grünspann / mit Wasser anrühren.

Inkarnat: ¼ Kilo Mennig 5 gr. Lackkugeln / + etwas Leinöl +

Terpentin

oder: 1 Kilo Alaun darin Cellulose / sieden / durch Wasser abgezogen sieden dann Fernebock / /4 Stunde sieden / dies mit ersten zusammen / dann mit Salmiak angemacht.


«Curiose Künstler», Nürnberg 1710

Violett

Nimm ein halb Pfund Bresillspähn / laß mit zwölff Maas Wasser sieden eine gute halbe Stund / darnach seyhe es ab / thue darein Alaun / so viel du mit fünff Fingern halten kanst / nebst ein halb Loth Grünspan / den du zuvorher mit ein wenig Wasser abgerühret hast / so ists recht / hernach thue die Sach zu färben hinein.

(Incarnat) Leibfarb

Nimm ein viertels Pfund Meng / ein Loth Lackkugeln / angemacht mit Ferniß und Leinöl / als die andern auch.

(zu oder:) Inkarnat

Nimm zwey Pfund Alaun / siede das Garn zwey Stunden miteinander / darnach zeuch es durch ein sauber Wasser / damit die Schärffe ein wenig heraus kommt / hänge es auf eine Stangen / laß es verseyhen / und leere den Kessel aus. Mache einen neuen Sud / thue in ein Säcklein zwey- oder dritthalb Pfund Fernebock / lasse ihn nicht länger / dann nur eine gute viertel Stund sieden / alsdann thue die Späne davon. Ferner / nimm anderthalb Loth klein gestossen Salmiac / thue es in die Farbe / rühre es fein um / biß er zergangen ist. Darnach färbe das Garn daraus / so wird es bald anfallen / dann wasche es aus / so wirst du es schön Leibfarb haben.

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#Bild s. 430

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Eierschalen brennen- / dann Sal amoniac / beides vermischt mit Wein­Essig / das wird blau

bleibend machen: in Gefäß zugedeckt / in Wärme gesetzt. / Roß-Mist darum / geschlagen- / 4 Tage so stehen.

Rotholz 6 / wenig Potasche / sieden Regenwasser / Alaun / Weinstein




«Curiose Künstler», Nürnberg 1710

Nimm Eyerschalen / und brenne die wie einen Kalch / darnach nimm so viel Sal armonica, doch daß des Kaiches von Eyerschalen so viel ist / als der zwey andern Stucke / temperire das untereinander mit einem guten Wein-Essig / so wird es gut blau Lasur / wilt du dann / daß dieselbe Farbe stets bleibe / so thue sie in einen neuen Hafen / und decke ihn wohl zu / daß kein Dunst daraus mag / und setze ihn an eine warme Statt / und schlage Roß-Mist darum / und laß stehen biß an den vierten Tag / darnach so nimm es heraus / so ist es gut.

«Schön Violet zu färben»

Alaunet euer Wercke / als gebräuchlich / mit halb Krafft-Wasser / auf jedes Pfund 4. Loth Alaun / 2. Loth Weinstein / und zusammen eine Stunde sieden lassen; darauf anderes sauberes Wasser übergehaben / und wann es warm ist / auf I. Pfund Waare S. Loth Presilien-Spähne / mit einer guten Bohnen-groß Potaschen / solches eine Viertel-Stunde zusammen sieden lassen / und darauf deine Waare darein gethan / bis sie dir gefället / hernach gekühlet und ausgespühlet.

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#Bild s. 432

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Bindemittel: Fichtenharz 6 / Terpentin 2 / Neuwachs 2 / Leinöl 2 /

Griechisch Pech 3 / warm werden in / unglasiertem Topf / mischen bis

Teig.

die Farbe damit mischen / in Wasser / immer abgießen





«Curiose Künstler», Nürnberg 1710

Bindemittel

Nimm Fiechten-Hartz 6. Loth / Terpentin / frisch neu Wachs und Leinöl / jedes 2. Loth / Griechisch Pech 3. Loth / lasse alles in einem neuen unverglasurten Hafen mit Wasser warm werden / misch so lang untereinander / biß es gleichsam zu einem Teig wird / und lasse dir es also zu einem Pastillo dienen.

Nachmals nimm der Himmel-blau von Farbe / misch mit diesem Teig wohl untereinander / wirffs in ein frisch lauter Wasser / wasch von der Erden so wohl und fleissig du immer kanst ab / mache den gemeldten Pastillum wiederum warm / oder gieß warm Wasser darüber / misch wohl untereinander / gieß das Wassr / so bald du siehest / daß es das Blaue angenommen / in einen andern Napff darvon ab / und ein anders darüber / und wiederhole dasselbige so offt und viel / biß du siehest / daß alles Blaue heraus kommen; derowegen lasse es alsdann an der Sonne trocken werden / so ist es gethan und verrichtet.

435

Farbe in Erziehung und Unterricht



Vorbemerkungen der Herausgeber

Man fange möglichst früh an, das Kind mit Farbe zusammenzubringen ... und solche Empfindun­gen im Kinde hervorzurufen, wie sie aus der gei­steswissenschaftlichen Auffassung der Farbenwelt entstehen können.1

Es gibt die Möglichkeit, gerade durch Form und Farbe stark in das Leben hineinzuführen.2

In dem starken Zug unserer Zeit zur Sozialisierung sah Rudolf Steiner den Grund für die immer stärker auftretenden Abstraktheiten, die der Kultur kein Schönes mehr, sondern nur noch Nützliches bringen und denen man nur mit Künstlerischem begegnen könne. Darum soll in Erziehung und Unterricht von früh an das Malerische, Plastisch-Bildne­rische, Musikalisch-Dichterische und auch das Kunstgewerbliche geübt werden. Aber nicht aus einer pädagogisch besonders zurechtgestutzten Methode, sondern aus der lebendigen Malkunst heraus müsse unterrich­tet werden, individuell von Kind zu Kind. Dann wird, wenn der «rich­tige künstlerische, artistische Kontakt» zwischen Lehrer und Schüler da ist, «auf dem Blatt Papier, auf dem das Kind mit den Farben arbeitet», bei jedem Kind etwas anderes entstehen.3 «In der Waldorfschule und auch in Dornach wird so gemalt, daß die Kinder zunächst das Farbener­leben malen. Es kommt überall auf die Nebeneinander-, Übereinander-stellung der Farben an. So lebt sich das Kind in die Farbe ein und dann kommt es schon nach und nach von selbst dazu, aus der Farbe die Form zu holen. Da wird, allerdings bei fortgeschrittenen Kindern - ohne daß man auf das Zeichnen ausgeht - schon hervorgeholt aus der Farbe ein Geformtes, ein Gestaltetes. Aber nach demselben Prinzip wird auch bei den kleinen Kindern unterrichtet. Wir haben hier zum Beispiel solche

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Blätter, welche das Farbenerleben anstreben. Da wird nicht etwas ge­malt, sondern da wird aus der Farbe heraus gelebt. Das Etwas-Malen kann erst viel später kommen. Wenn man zu früh anfängt, etwas zu malen, dann verliert sich der Sinn für das Lebendige, dann kommt der Sinn für das Tote herauf. »4

Diese kunstpädagogische Erkenntnis praktizierte er selbst, als zu Beginn des Jahres 1921 in Dornach eine «Fortbildungsschule am Goe­theanum» (später «Friedwart-Schule») eingerichtet worden war. Da griff er des öfteren aktiv in den Malunterricht ein. Beim erstenmal gab er den Schülern die Aufgabe, eine rote und eine blaue Kugel zu malen, die sich drehend in den Regenbogenfarben aufeinander zubewegen sollen.5 Wäh­rend der ersten Zeit wurden Farbenklänge (gegenstandslos) mit den in Tiegeln aufgelösten Aquarellfarben gemalt: «Die anfänglichen Schüler-versuche fielen durchweg noch sehr ungeschickt-stümperhaft aus. Durch das fortwährende tägliche Weiterüben kam es indessen mit der Zeit auch zu besseren Gestaltungen. Erst einige Zeit später bildete sich langsam die Schichttechnik heraus. Oft erlebten wir im Malen Rudolf Steiner uns stumm zuschauend. Die anfänglichen Malversuche der Schüler kann man weder als reine Naß-in-Naß-Übungen noch als Trockenschichten kennzeichnen; vielleicht am ehesten als eine Zwischenstufe von beiden. Erwähnenswert erscheint auch folgendes Ereignis: als einmal eine Schü­lerin in tiefes Nachsinnen versunken vor ihrem leeren weißen Malblatt saß, trat Dr. Steiner mit der Frage auf sie zu, ob sie denn auch wisse, was sie eigentlich wolle. Sie verneinte, woraufhin er bemerkte: das sollte man aber wissen. - Zur Lehrerin gewandt, äußerte er später: .»6

In einer Konferenz mit den Lehrern der Waldorfschule in Stuttgart äußerte er sich darüber so:7

«Bei jüngeren Kindern ist beim Malen das Schöpfen aus der Seele heraus schon das Richtige, aber bei den älteren Kindern muß man schon von rein malerischen Gesichtspunkten ausgehen; muß zeigen, wie ein Licht, das auffällt, malerisch wirkt und so weiter. Alles praktisch malerisch! Schon vom zehnten Jahr an sollte man gar nicht Gegenstände malen lassen, denn man verdirbt viel. Um so mehr sollte man von solchen malerischen Gesichtspunkten ausgehen, je älter die Kinder werden. Man sollte ihnen klarmachen: Dort ist die Sonne. Das Sonnenlicht fällt auf den Baum. Nun sollte man nicht vom Baum ausgehen und zeichnen,

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sondern man muß ausgehen von den Lichtflächen und den Dunkelflä­chen, so daß der Baum herausentsteht aus dem Licht-Dunkel der Farbe, aber der Farbe, die vom Licht kommt. Nicht daß man von der Abstrak­tion ausgeht: der Baum ist grün. Nicht die Blätter grün malen lassen; Blätter soll man überhaupt nicht malen, Lichtflächen soll man malen. Das soll man durchführen, das kann man machen.

Dann würde ich, wenn ich genötigt wäre, mit den Dreizehn-, Vier­zehnjährigen erst anzufangen, dann würde ich die Dürersche vornehmen, würde zur Anschauung bringen, wie wunderbar die Licht- und Schattenverteilung ist. Das Licht am Fenster, die Lichtvertei­lung am Polyeder und der Kugel, das würde ich umsetzen lassen in Farben. Dann das Licht am Fenster des und so weiter. Dieses Ausgehen von der , das ist überhaupt etwas sehr Fruchtbares. Man sollte dieses Schwarz-Weiß in Farbenphantasie umsetzen lassen. Von allen Lehrern ist nicht zu verlangen, daß sie Übung haben im Malen. Es kann Lehrer geben, die nichts übrig haben für das Malen, weil sie es nicht können. Es muß das möglich sein, daß ein Lehrer Kinder unterrichtet, ohne zu malen. Wir können nicht alle Kin­der in sämtlichen Künsten und Wissenschaften bis zur Vollkommenheit ausbilden.»

Zur Zeit dieser Ausführungen hatte er bereits mit den Schülern der Dornacher Fortbildungsschule in diesem Sinne gearbeitet. Er skizzierte vor den Schülern in Pastell bestimmte Motive und ließ sie von ihnen in Aquarell ausführen. So entstanden von Februar 1923 bis Ostern 1924 von seiner Hand die sogenannten sieben «Schul-» oder «Friedwart»­

Skizzen: Sonnenaufgang; Sonnenuntergang; Bäume in sonniger Luft / Bäume im Sturm; besonnter Baum am Wasserfall; Kopfstudie; Ma­donna; Eurythmie-Programm.8

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Chronologische Übersicht der Äußerungen Rudolf Stein ers


A. Aufsatz

1907 Die organhildende Wirkung der Farben in der Kindererziehung.

GA 33

B. Vorträge

1919

11. Mai Zeichenunterricht in Verbindung mit Geographie und Astronomie.

GA 192

23. Aug. Über das Einführen des Kindes in das Farbenmalen. GA 294

25. Aug. Unterscheidung von Schönem und weniger Schönem beim Malen.

GA 29#SE291a-4

2. Sept. Die ersten Elemente des Zeichnens, Malens und des Musikalischen müssen dem Lese- und Schreibunterricht vorangehen. GA 293

6. Sept. Über perspektivisches Zeichnen. GA 295

22. Dez. Mit Aquarelifarben malen, nicht mit Kreidestiften. GA 300a

1920

12.Juni Mit Wasserfarben anfangen. GA 300a

16.,21. Sept. Über Mal- und Zeichenunterricht. GA 302a

15. Nov. Über Farbenaufbau, Farbenerleben, Malen von Plakaten. GA 300a

22. Nov. Über das Aufhängen von Bildern. GA 300a

1921

17. Juni Abwechseln von Malen und Plastizieren. GA 300b

16. Nov. Farbenaustausch- und Veränderungsübungen. GA 300b

1922

3.Jan. Malen aus dem Tiegel mit aufgelöster Farbe. Farbenaustausch- und Veränderungsübungen. GA 303

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28. Apr. Die Kinder malen bis zur Geschlechtsreife aus ihrem eigenen Stoff­wechselsystem heraus. GA 300b

22. Aug. Behandlung von gedächtnisarmen und gedächtnisreichen Kindern im Malunterricht mit Beispiel an der Wandtafel. GA 305

23. Aug. Malen von Landkarten. GA 305

12. Okt. Malerische Übungsaufgabe für das Kind zum Farberleben. GA 217

15. Okt. Malunterricht im Zusammenhang mit vergleichender Anatomie. GA 300b

1923

18. Apr. Übungsaufgabe mit Rot und Blau. Schreibenlernen aus dem malen-den Zeichnen heraus. GA 306

19. Apr. Farbenperspektive. Aus dem Farbenempfinden heraus bilden sich

geschmeidige Vorstellungen, Empfindungen, Willensaktionen. GA

306

25. Apr. Über das Malen von Naturstimmungen an der Fortbildungsschule

in Dornach. GA 300c

3., 17. Juli Nur auf aufgespanntes Papier malen lassen. GA 300c

8. Aug. Über Farbenerleben, praktisch erläutert an der Wandtafel. GA 307

16. Aug. Der malerisch-zeichnerische Unterricht. GA 307

17. Aug. Hinweis auf lebendige Malkunst. GA 307

11. Nov. Das Kind Farbenformen malen lassen, die Gefühle wie Freude, Schmerz etc. ausdrücken. GA 230

18. Dez. Spezielle Malaufgaben für einen Schüler. GA 300c

1924

5. Febr. Malen in der Oberstufe. (Malen eines Baumes. Umsetzen von Schwarz-Weiß in Farbenphantasie). GA 300c

15. Aug. Über Farbenharmonik bei Kindern. Farbenumkehr- und Aus­tauschübungen. GA 311

20. Aug. Zeichen- und Malunterricht. (Beispiel: Baum). GA 311

#SE291a-440

Farbangaben für Schulräume und Schulbänke*

1919-1924

Freie Waldorfschule, Stuttgart

1., 2., 3. Klasse (keine spezielle Angabe, siehe Goethe-Schule, Hamburg)

4. Klasse hellgrün (gelbgrün)

5. Klasse blaugrün

6. Klasse blau

7. Klasse indigo

8. und 9. Klasse violett

10. Klasse lila

11. Klasse lila (heller als Turnsaal)

Turnsaal rötlich-lila

Eurythmiesaal malvenfarbig

Handwerksraum orange

Handarbeitsraum helles violett, wobei Rot überwiegt

Physiksaal blau

Arztzimmer rötlich

Gänge rötlich-lila

Gänge (Baracke) gelb

Gesangssaal Indigo-blau

Goethe-Schule, Hamburg

1., 2., 3. Klasse rot, stufenweise heller

4., 5., 6. Klasse orange, stufenweise heller

7. Klasse gelb

8., 9. Klasse grün, 9. heller als 8.

10., 11. Klasse blau, bei 11. schon ins Violette gehend

12. Klasse violett

Physiksaal grün

Gesangssaal lila

* Siehe hierzu Anke-Usche Clausen/Martin Riedel, #SE291a-441

New School, London

5 6 jährige Kinder rot, orange, gelb

7-8jährige Kinder grün

9jährige Kinder dunkler grün

10-1 Ijährige Kinder blau

Eurythmiesaal hellviolett

Gänge gelb

1920

29.Juls Farbangaben für Schulbänke. GA 300 a

1923

31.Jan. Angaben für die künstlerische Gestaltung der verschiedenen Leh­

rerräume durch reine Farbenwirkungen. GA 300 b

Wie kann man auf die Temperamente durch die Farben wirken? Fragenbeantwortung Dornach, 8. Oktober 1920

#G291a-1990-SE443 Farbenerkenntnis

#TI

TEXTE VON RUDOLF STEINER

Wie kann man auf die Temperamente

durch die Farben wirken?

Fragenbeantwortung Dornach, 8. Oktober 1920

#TX

Frage: Wie kann man auf die Temperamente durch die Farben wirken?

Ich verweise dabei auf das Büchlein «Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft», das vor vielen Jah­ren erschienen ist. Ich werde versuchen, Ihnen einiges darüber auszuführen.

Nehmen wir also an, ein Kind tritt einem im frühen Lebensal­ter als ein cholerisches Kind gegenüber. Es wird nicht erst ein Frage- und Antwortspiel brauchen, um darauf zu kommen, daß es sich um ein cholerisches Kind handelt, sondern es wird sich vielleicht dadurch schon zeigen, daß es furchtbar strampelt bei jeder Gelegenheit, daß es sich auf den Boden wirft, um sich schlägt. Alle diese Äußerungen sind die entsprechenden bei dem cholerischen Kinde.

Nun wird man, wenn man Laie ist, wahrscheinlich glauben, daß man ein solches Kind bändigen kann, indem man es möglichst in eine beruhigende farbige Umgebung bringt. Das ist aber nicht wahr. Wenn Sie das cholerische Kind mit Blau umgeben oder mit blauen Kleidern anziehen, dann wird es gerade dadurch, daß es diese beruhigende blaue Farbe um sich hat, die es nicht stößt, sein cholerisches Temperament da hinein ausleben; es wird gerade noch z'widerer, polternder werden. Dagegen in einer Umgebung, in der es überall mit roter, mit der aufregenden roten Farbe umgeben sein wird - Sie wissen ja aus anderen Vorträgen, daß die

#SE291a-444

Gegenfarbe die grüne ist, daß die grün-bläuliche Gegenfarbe her­vorgerufen wird -, da muß sich das Kind innerlich, indem es fortwährend mit Rot umgeben wird, anstrengen, um innerlich die Gegenfarbe zu erleben und wird gerade nicht äußerlich aufgeregt. Also das Gleiche, das ist dasjenige, was bändigend auf ein aufge­regtes Kind wirkt.

Auf der anderen Seite wird man auf ein melancholisches Kind gut wirken, wenn man es gerade veranlaßt, indem man es in eine blaue, grünlich-blaue Umgebung bringt, aus sich herauszugehen, also nicht etwa sich davor fürchtet, daß wenn man ihm eine beruhigende, eine zur Verehrung herausfordernde blaue oder blaugrüne Umgebung gibt, daß man es dadurch noch melancholi­scher macht. Hier handelt es sich darum, wirklich einzusehen, wie aus der Wesenheit des Menschen es folgt, daß man Gleiches mit Gleichem bekämpft. Sie sehen, es handelt sich überall darum, von der Wesenheit des Menschen auszugehen und mit der Erkenntnis, die man da gewinnt, ans Leben heranzukommen.

Ich möchte aber ausdrücklich bemerken, daß es im allgemeinen nicht zu einer Schematisierung kommen soll, wenn man das Er­ziehungswesen als Kunst betrachtet, und daß daher schon diese Denkweise, die da auftritt, wenn man sagt: Wie kann man die Temperamente durch Farben beeinflussen und dergleichen - daß das schon wiederum so eine intellektuelle Systematisiererei zeigt. Wird das Erziehungswesen zur Kunst, dann kommt man nicht zu solchem intellektualistischen Schematisieren. Da wird man nicht, wenn es sich um die Farbe handelt, auf die Temperamente blicken, sondern da wird man im allgemeinen mehr darauf bedacht sein, ob das Kind ein aufgeregtes oder ein abgeregtes Kind ist. Es kann zum Beispiel auch vorkommen, daß ein unter Umständen phleg­matisches Kind auch in derselben Weise wie ein melancholisches Kind mit den Farben und dergleichen behandelt werden muß. Kurz, es wird sich darum handeln, daß man aus einer lebendigen Erziehungswissenschaft auch eine lebendige Erziehungskunst ent­wickle.

#SE291a-445

Muß man den Kindern nicht

Formen, bestimmte Motive geben?

Lehrerkonferenz Stuttgart, 15. November 1920 (GA3OO a)

Dr. Steiner: Die Kinder kriegen schon Formen, wenn Sie die Phantasie wirken lassen. Sie müssen die Formen aus der Farbe herauswachsen lassen. Sie können in der Farbenwelt mit den Kindern reden. Denken Sie nur, wie anregend es ist, wenn Sie mit den Kindern bis zum Verständnis dessen es brächten: Da ist dieses kokette Lila, und im Nacken sitzt ihm ein freches Rötchen. Das ganze steht auf einem demütigen Blau.

Sie müssen es gegenständlich kriegen - das wirkt seelenbil­dend -, so daß die Farben auch etwas tun. Das, was aus der Farbe heraus gedacht ist, das kann man auf fünfzigerlei Weise machen. Man muß das Kind zum Darinnenleben in der Farbe bringen, indem man sagt: «Wenn das Rot durch das Blau hindurchguckt», und das wirklich schaffen läßt vom Kinde. Ich würde versuchen, viel Leben gerade in dies hineinzubringen. Sie müssen sie etwas aus dem Klotzigen (Klätzigen?), aus dem Lässigen herausbringen. Es muß Feuer hinein! Es ist im allgemeinen notwendig, daß in der jetzigen Zeit dieses Farbengefühl, das nicht so korrumpiert ist wie das Musikalische, entwickelt wird. Es wird auf das Musikalische günstig zurückwirken, wenn das Farbenleben entwickelt wird.

Wie Rudolf Steiner in einer Malstunde

der Fortbildungsschule

am Goetheanum (Friedwartschule)9 vormalte

Hilde Boos-Hamburger

Eines Tages kam Rudolf Steiner - wie zumeist ganz unerwartet -wieder in die Malstunde. Er besah sich die Arbeiten der Kinder, und auf das Blatt eines älteren Mädchens weisend, machte er

#SE291a-446

einige Bemerkungen, die ich gar nicht verstehen konnte. Als ich mich dafür entschuldigte, wiederholte er alles noch einmal. Doch blieb es mir ganz unverständlich und auch eine dritte und vierte Wiederholung mit der ihm eigenen endlosen Geduld war frucht­los. So sehr, daß ich mir nicht einmal den Wortlaut merken konnte. Verzweifelt und beschämt bat ich ihn um die Güte, mir das Mitzuteilende durch Vormalen erläutern zu wollen, hier seien ja Papier, Farbe und Pinsel. Sofort ergriff er letzteren, tauchte ihn in einen Farbtopf mit Mittelgelb, versuchte erst den Ton auf einer Papierpalette, was er immer so handhabte (er empfahl dazu vom gleichen Papier zu nehmen wie das aufgespannte Blatt); dann nuancierte er die Farbe, bis sie zu einem kräftigen, fast goldigen Gelb wurde. Dieses legte er breit auf die Fläche und gab der Form eine spiralige Tendenz. Dazu sagte er:' «Wenn dieses Gelb nun so da ist, so muß hier hinein ein rötlicher Ton kommen.» Wieder mischte er auf der Palette einen exakten Ton, etwas ins Bräunlich-Rötliche gehend, und fügte ihn der gelben Form ein. Dann fuhr er fort: «Wenn dies nun so ist, so muß da ein solches Blau hin.» Und

- ich sehe es noch vor mir - er tauchte den Pinsel in dunkles Ultramarin und mit einem zweiten nahm er einen Tropfen Orange, mischte diesen ins Blau, - jedoch nur so viel, daß das Blau zwar noch ganz rein war, aber die Giftigkeit, welche den Fa­brikfarben anhaftet, verloren und sogar eine gewisse Wärme er­halten hatte. Er legte diesen Farbenton wie stützend unter das Gelbe, welches dadurch (Farbenperspektive, kalte und warme Töne!) plötzlich besonders aufzuleuchten begann! «Dann», sagte er, «muß da noch außen ans Gelb etwas mattes Grün kommen», welches er etwas bläulich mischte, - «und nun muß noch Violett das Ganze abschließen!» Dieses nuancierte er in mittlerem Bläu­lich-Violett, etwas gebrochen. Nun legte er den Pinsel hin.

Im Augenblick wußte ich nichts Konkretes damit anzufangen. Hingegen stieg während des Zuschauens durch das intensive Ge­fühl des Miterlebens der Gedanke auf: Rudolf Steiner kennt bis in die feinsten Gesetzmäßigkeiten hinein das Farbenleben! Wie kei­ner sonst! Im Lauf der Jahre wurde diese Frage, dazu den Weg zu

#SE291a-447

finden, immer brennender, und ich bemühte mich lange Zeit hindurch darum. - Die Frage wollte sich nicht formulieren lassen! In meiner damaligen Hilflosigkeit bat ich noch Dr. Steiner, ob er mir einen Kopf aus der Farbe heraus malen wolle? Er nahm den Pinsel und machte aus einem mehr gelblichen, matten Grün eine Gesichtsfläche (ohne Züge), dazu aus bläulichem Grün die Haar­fläche und sagte lächelnd: «Das ist ein Kopf!» Enttäuscht erwi­derte ich: «Entschuldigung, aber das ist nichts Neues für einen Maler, Herr Doktor, - ich meinte einen Kopf mit Gesichtszü­gen!» Er nahm den Pinsel und begann mit einigen differenzierten Farben einige Flecke auf das gleiche Blatt zu setzen, legte aber nach kurzer Zeit den Pinsel hin und nahm Abschied.

Er hat etwa zwei Jahre später Louise van Blommestein 10 dann einen Profilkopf auf blauem Grund gemalt, der noch in der Fried­wartschule zu sehen ist. Dies war wiederum ein Beispiel dafür, wie Rudolf Steiner sich mit der praktischen Ausarbeitung einer Frage beschäftigte, bis er sie dann aus der vollen Tiefe heraus löste. Es ist auch ein Beispiel dafür, wie er jeweils auf Fragen und Streben der Schüler einging.

Viele Jahre später begann ich eines Tages das Kapitel der Goe­theschen Farbenlehre «Die sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe», auf welche Rudolf Steiner so oft als auf eine Fundgrube für den Maler hingewiesen hatte, erneut durchzuarbeiten. Es geschah, mit der farbigen Kreide in der Hand, durch alle Farbenzusammenstel­lungen hindurch. Dies wurde dann wiederholt unter Einbezie­hung der Aspekte, die Rudolf Steiner aufgezeigt hatte: der inneren Farbbewegung und des Qualitativen des Bild- und Glanzelemen­tes. Da merkte ich endlich, daß hier der Schlüssel gefunden war zur eigentlichen Schulung des Farbensinnes bis in die Einzelheiten der farbigen Gesetzmäßigkeiten. Die ersten Früchte dieser Stu­dien wurden später niedergelegt in dem Buch «Die schöpferische Kraft der Farbe».11

Die Aquarellskizze Rudolf Steiners aus dem Malunterricht der Fortbildungsschule am Goetheanum (Friedwartschule) im Mai 1921 ist in der Beilage zu diesem Band wiedergege-ben

#SE291a-449

Farbe in der Therapie



Vorbemerkungen der Herausgeber

Man muß von der Farbenlehre aus Gesundheit und Krankheit begreifen können.1

Ein Wissen um die Heilwirkung der Farben muß es schon immer gege­ben haben. Rudolf Steiner hat sich zwar darüber selber nicht geäußert, jedoch der Begründer der Lichttherapie, der Däne Niels Finsen (1860-1904), führt in seiner Schrift «Über die Bedeutung der chemischen Strahlen des Lichtes für Medizin und Biologie» (1896) Beispiele an, wonach noch im 18.Jahrhundert in Frankreich, Rumänien, Japan und Indochina (Tonkin) Pockenkranke durch Einwirkung mit roter Farbe geheilt wurden. Die Kranken wurden durch Verhängen des Raumes mit roten Tüchern, Vorhängen, Teppichen und so weiter ganz in Rot einge­hüllt. In einem Aufsatz aus der «Vossischen Zeitung» aus dem Jahre 1895 von Garus Sterne (Pseudonym für Ernst Krause, 1838-1903), einem der bekanntesten Vertreter des Darwinismus in Deutschland, über «Der Farbenreiz bei Mensch und Tier - eine Betrachtung zu Goethes Farben­lehre» wird angeführt, daß diese Heilweise schon im 14. Jahrhundert bei Pockenseuchen nutzbringend angewendet worden sei; auch von Farb­therapieversuchen in der Psychiatrie wird berichtet. Dieser Aufsatz be­findet sich unter den nachgelassenen Papieren Rudolf Steiners. In seiner Bibliothek befindet sich ferner das Werk «The Principles of Light and Color» von dem amerikanischen Arzt und bahnbrechenden Chromothe­rapeuten Edwin D. Babitt und zwar die 1896 erschienene zweite Auflage (Erstdruck 1878).

In neuerer Zeit wendet man sich wieder vermehrt der Heilkraft des Lichtes und der Farben zu. Aber alle bisherigen Versuche und Erfolge bewegen sich fast ausschließlich auf dem Gebiet der Farbstrahlung (farb­lose

#SE291a-450

und farbige Lichtstrahlung). Rudolf Steiner bezeichnet dies als «objektive» Farbwirkung im Unterschied zur «subjektiven», die über die Bewußtseinsorgane vermittelt wird. In der von ihm angegebenen Farb­therapie sollte vor allem durch die subjektive Wirkung über den Be­wußtseinsweg heilend gewirkt werden.

Der erste Ansatz dazu ergab sich durch den Nervenarzt Dr. Felix Peipers.2 Dieser führte in den Jahren 1906/07 bis 1914/15 in München eine kleine Privatklinik und unterbreitete Rudolf Steiner im Jahre 1908 den Gedanken einer Farbentherapie. Daraufhin schlug ihm Rudolf Stei­ner vor, mit Farbkammern, zunächst einer roten und einer blauen, zu arbeiten. Und bereits in dem öffentlich gehaltenen Berliner Vortrag vom 14.Januar 1909 weist er auf diesen «kleinen Anfang», den wir mit einer «bestimmten Heilweise» gemacht haben, und auf den Unterschied zwi­schen Licht- und Farbkammern-Therapie hin. Über die Versuche von Dr. Peipers in dieser Zeit siehe die nachfolgenden Berichte.

Bei dem Münchner Bauprojekt der Jahre 1911-1913 war auch ein Therapeutikum eingeplant, dessen Leitung Dr. Peipers übernehmen sollte. Für dieses Therapeutikum waren von Rudolf Steiner nun nicht mehr nur zwei, sondern sieben verschiedene Farbkammern vorgesehen (vgl. die Skizze). Als 1913 das Bauprojekt von München nach Dornach verlegt wurde, hatte Rudolf Steiner vorgesehen, das Therapeutikum in Baunähe, aber bereits auf Arlesheimer Boden, zu errichten. Es ließ sich dies nicht realisieren, weil Dr. Peipers als Deutscher und ohne Schweizer Diplom nicht die Leitung einer Klinik hätte übernehmen dürfen. So mußte damals der Plan einer anthroposophischen Klinik fallen gelassen werden.

Die ersten anthroposophischen Klinikgründungen im Jahre 1921 (in Arlesheim und in Stuttgart) erfolgten aufgrund des ersten Kurses, den Rudolf Steiner im Frühjahr 1920 für Ärzte und Medizinstudierende gehalten hat und in dem er auch auf die Farbentherapie hinwies und dazufügte, daß diese «wohl in der Zukunft etwas mehr berücksichtigt werden sollte, als sie in der Vergangenheit immerhin schon berücksich­tigt worden ist» (Dornach, 5. April 1920). Wenn in diesem Vortrag nur auf die Rot-Blau-Therapie verwiesen wird, obwohl für das nicht zu­stande gekommene Therapeutikum sieben Farbkammern geplant waren, so dürfte der Grund dafür in dem Schwergewicht liegen, das der Rot-Blau-Polarität als Urphänomen des Ineinanderwirkens von Licht und Finsternis zukommt. Rudolf Steiner hat dies einmal knapp so formuliert:

«Aktivität des Lichtes, der Helligkeit im Finstern liegt dem Rot zugrunde;

#SE291a-451

Aktivität der Finsternis im Hellen, im Lichte, liegt dem Blau zugrunde» (Dornach, 8. August 1921). Wie das Ineinanderwirken von Licht und Finsternis mit Krankheit und Heilung zusammenhängt, führt Rudolf Steiner im Vortrag in Hamburg, am 27. Mai 1910, und in Vorträ­gen für die Arbeiter am Goetheanumbau aus (vgl. Register auf S.452 f.)

Die Farbausstrahlungen der physisch-ätherischen menschlichen Aura waren schon im 19.Jahrhundert von dem deutschen Chemiker Karl von Reichenbach mit Hilfe von Medien erforscht worden, die diese Farbaus­strahlungen zwischen den beiden Grundfarben Blau und Gelbrot wahr-nahmen. Reichenbach meinte, die blauen und gelb-rötlichen Farben deuteten an, daß die «odische» Energie polarisiert sei.3 Die Reichenbach­schen Studien wurden später von dem Wiener Arzt, Naturforscher und Kriminalanthropologen Moritz Benedikt neu aufgegriffen und weiterge­führt. Jedoch nicht durch Medien, sondern durch Versuchspersonen, die er «farbwahrnehmende Dunkelangepaßte» nennt, weil sie in der Dun­kelkammer die Emanationsfarben wahrnehmen können. Er veröffent­lichte den Bericht über seine Versuche im Jahre 1917 in der Schrift «Ruten- und Pendellehre». Darin heißt es: «Farbenwahrnehmende Dun­kelangepaßte sehen nun an der Vorderseite die Stirne und den Scheitel blau, die übrige rechte Hälfte ebenfalls blau und die linke rot oder mancher, wie z. B. Herr Ingenieur P6ra, orangegelb. Rückwärts findet dieselbe Teilung und dieselbe Färbung statt.» Eine andere Stelle: «Ich will hier anführen, daß eine geschlossene elektrische Batterie in der Dunkelkammer an der Anode rot, an der Kathode blau leuchtet, also analog der linken und rechten Körperhälfte» hat sich Rudolf Steiner in seinem Exemplar mit einem dreifachen Strich angemerkt.4

In den Benediktschen Untersuchungen über die Rot-Blau-Emana­tionswahrnehmungen sah Rudolf Steiner einen Anfang dazu, um zu einem therapeutischen Resultat zu kommen.5 Von Benedikt könne man lernen, wie er die farbige Lichtausstrahlung der physischen und ätheri­schen Menschennatur - nicht zu verwechseln mit der geistigen Aura -sichtbar gemacht hat, so daß man die linke Seite «mit dem gelb-rötlichen» Lichte, die rechte in «blauem Lichte» sehen kann.6

Es sei noch erwähnt, daß in den 60er Jahren im Westen die sogenannte Kirlian-Methode bekannt wurde, durch die die aurischen Ausstrahlungen

- ebenfalls in den gelb-rötlichen und blauen Grundfarben - auf Hochfre­quenzphotographien sichtbar werden. Russische Wissenschaftler be­zeichnen diese Methode u. a. auch als wertvoll für Diagnosen.7

#SE291a-452

Chronologische Übersicht der Äußerungen RudolfSteiners

Vorträge

A. Zu Farbe und Therapie

1907

25. Juni Die komplementäre Farbenerzeugung im Kind: ein unruhiges Kind wird beruhigt durch Rot, ein zu ruhiges aktiviert durch Blau in der Umgebung. GA 34 und GA 100

1908

17. Dez. Aulbau und Zerstörung des Nervensystems durch das Geistige des Sonnenlichts einerseits und andererseits durch den Gegensatz, den Astralleib als negativen Lichtleib. GA 57

1909

14.Jan. Farbkammerntherapie im Unterschied zu Lichttherapie. GA 57

1910

27./28. Mai Licht- und Finsternis (bzw. Licht und Liebe) im Zusammenhang mit Krankheit und Therapie. GA 120

1911

20. März Farben der Aura: Gehirnpartie violettblau (Pfirsichblüt), untere Partien des Rückgrates grün. GA 128

15. Okt. Die Wirkung der roten und blauen Raumfarbe und der damit verbundenen Elementarwesen. GA 284

30./31. Dez. Blut- und Nervenmaterie. GA 134

1913

21. Febr. Der Gegensatz von Blut und Nerv. GA 221

1914

26.Juli Das verborgene Farbenfluten im menschlichen Organismus: Haupt blau, übriger Organismus rot; bei Tag flutet die blaue, bei Nacht die rot-gelbe Hälfte stärker. GA 286

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1915

2. März Die organbildende Farbigkeit des Kosmos und die Farben der Äther- und Astralorgane (Gehirn- und Verdauungsapparat). GA 157

1916

13., 27. Blut und Nerv. Abbauprozeß im Wachen durch Farb- und Licht-

Juni wahrnehmung. Aufbauprozeß im Schlafen. GA 169

1918

2. April Der Wechselprozeß von Zerstörung und Wiederbelebung in Nerv und Blut durch Farbwahrnehmungen. GA 181

1919

26. Aug. Das Element des Sympathischen und Antipathischen in der Far­benbetrachtung im Zusammenhang mit Blut und Nerv. GA 293

1920

5. April Der rhythmische Wechsel in der Rot-Blau-Therapie. GA 312

1921

8. Aug. Die rote und die blaue Entität. Rotwirkung ausdehnend, Blauwir­kung saugend. GA 320

28. Aug. Malen als Therapiehinweis bei Kleptomanie: («Was im Geistigen erlaubt ist, alles in sich aufzusaugen - gerade bei den Farben tut man dies -, hatte bei einem Kleptomanen auf das Physische überge­griffen. Die Hände konnten durch die Malerei von ihrer Gier geheilt werden»). Ungedruckte Notizen von einer Bauführung

1922

20.-23. Das Ineinandergreifen von Ich, Astralleib, Ätherleib, physischer

Okt. Leib, dargestellt an Auge und Sehvorgang - altes und neues Ver­hältnis zum Licht in bezug auf Gesundheit und Krankheit. GA 218

1923

17. Febr. Vom Inkarnat eines kranken Kindes der Waldorfschule und seine Behandlung. GA 349

#SE291a-454

21. Febr. Farbwirkung auch auf den Blinden. Blut und Nerv im Zusammen­hang mit der Rot- und Blauwirkung. Gesunde und kranke Inkar­natsfarbe. GA 349

7. Mai Das Blut- und Nervensystem - Lebens- und Todes- bzw. Verjün­gungs- und Altersprozesse im Menschen - im Ausgleichsuchen besteht das Christliche in der Heilkunst. GA 349

2. Juni Grauer Star. GA 350

9. Juni Das Farbenurphanomen in Erdenstoffen (ausstrahlende Substan­zen, z.B. Eisen/Blut = rötlich, nicht ausstrahlende Substanzen =

bläulich) und in Weltenkörpern im Zusammenhang mit Lebens-

und Sterbeprozessen (Mars = rötlich, Saturn = bläulich). GA 350

16. Juni In den Tropen wird auch das venöse Blut rötlich, weil der Astral­leib durch die Tropenhitze nicht so tief in physischen und ätheri­schen Leib eindringt - der astralische Leib färbt das Blut bläulich.

GA 350

20. Okt. Licht- und Finsterniswirken in Stoffen (insbesondere Wasserstoff und Soda) im Zusammenhang mit Lebensentstehung. GA 351

9. Nov. Jede Geschwulstbildung ist ein metamorphosierter Nervenprozeß an unrechter Stelle - Ursprung der inneren Krankheiten im Stoff­wechselsystem: jeder Stoffwechselvorgang, wenn er zu Ende kommt, ist krankmachend. GA 230

1924

9. Jan. Licht und Schwere (Finsternis) im Menschen und Krankheit. GA

316

18. Aug. Die Rot-Blau-Ausstrahlung des physischen Organismus, wie sie Moritz Benedikt in seinen Dunkelkammerexperimenten untersucht hat. GA 234

Aufsatz

Weihnacht Göttin Natura - Erdengöttin - Persephone-Mythos. GA 26


B. Zu dem in die Farbentberapie einbezogenen Madonnenbild

Vorträge

1905

25. Nov. Wenn man die Geburt des Seelischen aus dem Wolkenäther der Sixtinischen Madonna wirklich verstehen kann, gibt es keine geist­lose Materie mehr. GA 262

#SE291a-455

1908

4./5. Aug. Die heilende Isis der Ägypter, das gesund wirkende Madonnenbild. GA 105

2.-14. Sept. Isis mit dem Horuskind: ein Bild okkulter Anatomie und Physio­logie. GA 106

22. Dez. Das Madonnenbild als Bild der ganzen Menschheitsevolution -Raffaels Sixtina. GA 108

1909

29. April Isis und Madonna: eines der tiefsten Menschheitsgeheimnisse in der künstlerischen Darstellung, insbesondere Raffaels Sixtina und in Goethes «Faust». GA 57

1912

8. Mai Raffaels Sixtina: «Das Kind in den Armen der Mutter, dem wir das ungemeine Heilsehen in den Augen ansehen». GA 143

1913

30. Jan. Raffaels Sixtina - Madonnenimagination. GA 62

1914

6. Jan. Das Isis-Madonna-Geheimnis und Parzifal. GA 148

1918

6. Jan. Die alte und die neue Isislegende und ihr Zusammenhang mit der plastischen Holzgruppe. GA 180

29. Dez. Die Göttin Natura im Mittelalter - eine riesige Frauengestalt bei Brunetto Latini - die verwandelte Isis/Proserpina. GA 187

1919

16. März Raffaels Sixtina kann aus der heute notwendigen malerischen Ge­sinnung nicht mehr so gemalt werden. GA 189

1920

24. Dez. Die Isis-Mysterien und ihre Erneuerung für die heutige Zeit. GA

212

#SE291a-456

1923

9. Juni Tizians Himmelfahrt Mariä: Das rote Gewand und der blaue Man­tel der Jungfrau Maria. GA 276 und GA 291

29.Juli Ikona und Madonna. GA 228 und GA 291

6. u. 12. Die Mutter mit dem Kind als kosmische Weihnachtsimagination Okt. (mit farbiger Wandtafelzeichnung). Raffaels Sixtina. GA 229

14. Dez. Raffaelische Madonna und östliche Ikona, die erst in der Zukunft voll verstanden werden wird. GA 232

1924

Febr. Rudolf Steiner malt seine beiden Madonnenbilder. K 52.2 und K52.7

13. Febr. Durch die Kleiderfarben der Maria bei den alten Malern soll ange­deutet werden, wie sie in ihrem astralischen Leib, ihrem Herzen, ihrem Gemüte nach beschaffen ist - Raffaels Sixtina wurde für eine Prozessionsfahne gemalt - Raffael selbst malte nur die Madonna mit dem Kinde. GA 352

14. Aug. Im Proserpina-Persephoneia-Mythus der ephesischen Mysterien lebte das Geheimnis der menschlichen Naturerkenntnis. GA 243

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TEXTE VON RUDOLF STEINER

UND ANDEREN



Berichte über die Farbentherapie,

wie sie von Dr. Felix Peipers ausgeübt worden ist

Dr. Felix Peipers konnte sich zu den an ihn gelangten Fragen hauptsäch­lich nur schriftlich äußern, da er aus Gesundheitsgründen seit dem Jahre 1928 auf der Insel Teneriffa lebte. Was an brieflichen Darstellungen von ihm vorliegt, wird im folgenden wiedergegeben und anschließend die Berichte von seinem Neffen, Dr. B. Peipers sowie von solchen, die diese Farbentherapie erlebt haben.

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Skizze von Dr. Felix Peipers nach Angaben Rudolf Steiners für die sieben Farbkammern des im Zusammenhang mit dem Münchner Bau­projekt geplanten Therapeutikums.

Das auf dem Blatt vermerkte Datum (die Jahreszahl fehlt) dürfte wohl auf den Tag verweisen, an dem Rudolf Steiner die Angaben gemacht hat. Vermutlich handelt es sich um den 28. April 1911. Die römische «I» deutet möglicherweise darauf hin, daß es noch ein weiteres oder weitere Blätter gegeben hat. Es liegen jedoch keine weiteren Skizzen vor. Die Frage «Haben Sie die Anordnung Dr. Steiners auch so notiert?» dürfte an den Architekten Schmid-Curtius gerichtet gewesen sein. Siehe hierzu den Brief von E Peipers an Marie Steiner vom September 1931, letzter Satz.

Max Benzinger, ein damaliger Mitarbeiter in der Klinik von Peipers, der u. a. die Aufgabe hatte, die Farbkanimern instand zu halten, hatte den Auftrag bekommen, Modelle für die sieben Kammern herzustellen:

«und zwar in Zwölfflächenart. Die Fornien waren so, daß die erste flache Seitenflächen hatte, die zweite und dritte einen leichten Winkel nach außen und einen nach innen, die vierte und fünfte einen größeren Win­kel, die sechste und siebte einen spitzen Winkel:

#Bild s. 458

Die Kammern fertigte ich aus Metall und strich sie auch mit den betref­fenden Farben an, aber wo sie hingekommen sind, weiß ich nicht.» (Aus einer Niederschrift von Max Benzinger «Bauerlebnisse und anderes»).*




* Abbildung der erhalten gebliebenen Modelle siehe in der Beilage zu diesem Band

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Felix Peipers an Marie Steiner am 20. Februar 1928

... Frau Strakosch 8 schrieb mir vor einiger Zeit von ihrem Besuch bei Ihnen und legte mir nahe, das was Herr Dr. Steiner im Zusam­menhang mit der Farbentherapie seinerzeit an Anweisungen und Meditationen gegeben hat, als zum Nachlaß gehörig Ihnen auszu­händigen. Frau Strakosch hat vor Jahren einmal starke Eindrücke von den Farbkammern gehabt und seitdem dieser Sache ihr Inter­esse bewahrt. Sie hat den Wunsch, dieselbe fortgesetzt zu sehen. Und auch von anderer Seite ist dieser Wunsch mehrfach an mich gebracht worden. Frau Strakosch scheint der Ansicht zu sein, daß ich im Besitz eines Systems von Anweisungen exoterischer, mehr aber wohl noch esoterischer Art sei, das man geeigneten Persön­lichkeiten zur Benutzung mitteilen könne.

Bezüglich des exoterischen Teiles hat Dr. Steiner allerdings die Prinzipien einer Farbentherapie gegeben und zwar im ersten Ärz­tekursus (Vortrag vom 5. April 1920). Das Wenige, was Dr. Stei­ner dort sagt, ist, trotz der Kürze, außerordentlich weitreichend und jedenfalls weit mehr, als er mir in dieser Hinsicht jemals gesagt hat. Er überließ das der Erfahrung. Diese deckt sich durch­aus mit dem von Dr. Steiner an der genannten Stelle Ausgespro­chenen. Nur wäre ich nie imstande gewesen, die dieser Erfahrung zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten zu der Evidenz zu brin­gen, wie es Dr. Steiner tut. - Ich glaube, wenn die für Farbenthe­rapie Interessierten mit dem Gegebenen anfangen würden, so könnten sie schon sehr weit kommen. Das schließt nicht aus, daß ich im einzelnen in technischer und therapeutischer Beziehung raten kann; und dazu habe ich mich bereit erklärt.

Die esoterischen Anweisungen, die Dr. Steiner im Zusammen­hang der Farbentherapie gab, finde ich, dem Wesen nach, zum Teil in der Heileurythmie wieder. Und das von Dr. Steiner im ersten medizinischen Kurs exoterisch Gegebene zusammen mit der Heileurythmie, die ja durchaus esoterischen Ursprungs ist, würde eine moderne, esoterisch befruchtete Therapie ergeben, wie sie früher in anderer Weise angestrebt wurde. Damals bediente

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sich die Esoterik, auch auf dem therapeutischen Gebiete, der Formen der ME.9 Im Mittelpunkt der therapeutischen Vornah­men stand jene Pentagramm-Übung, welche Dr. Steiner unter Ihrer persönlichen Assistenz in der ME gab. Die Verschiedenar­tigkeit der Anwendung vermöchte ich, ihren Gesetzen nach, aller­dings auch hier nicht anzugeben. Doch glaube ich im konkreten Einzelfall das Richtige finden zu können. - Ich will nicht leugnen, daß dieses Frühere gewisse Möglichkeiten therapeutischen Ein­greifens bot, die mir in dem Heutigen nicht gegeben scheinen. Diese weiter zu entwickeln dürfte aber wohl kaum Aufgabe von Neulingen sein. Ich selbst bin für eine Zusammenarbeit auf die­sem Gebiet heute aber nicht imstande. Ich habe die Hoffnung auf Gesundung nicht aufgegeben. Und wenn sich diese Hoffnung erfüllt, werde ich mich der Farbentherapie gerne wieder zuwen­den. Ich habe das früher bereits angeboten, als mir die Mittel dazu zur Verfügung standen. Es war das im Jahre 1924 und erfolgte, aus den damaligen Gegebenheiten heraus, in einem an Frau Dr. Weg-man gerichteten Schreiben, mit der Bitte, mein Anerbieten an Dr. Steiner weiterzuleiten. - Ich habe nie eine Antwort erhalten.

Ich möchte damit keineswegs eine nachträgliche Antwort von Frau Dr. Wegman anregen. Aber vielleicht hat sich Dr. Steiner Ihnen gegenüber über diese Sache geäußert?

Allerdings, die damals verfügbaren Mittel sind in der Krisis des Jahres 1924 der Waldorfschule zugeflossen. Ob diese in der Lage sein wird, sie mir zurückzugeben, weiß ich nicht.

Was an Material zur Farbentherapie sich in meinen Händen befindet, steht Ihnen, hochverehrte gnädige Frau, gerne zur Ver­fügung. Ich würde mich freuen, zur Vervollständigung des Nach­lasses beitragen zu können, fürchte aber, daß dies nur in geringem Maße der Fall sein wird; denn das Wesentliche der esoterischen Anweisungen war, wie gesagt, Allgemeingut der ME. Zudem muß ich, um diese Dinge Ihnen persönlich zu übergeben, die Möglich­keit dazu abwarten. ...

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Felix Peipers an Dr. Friedrich Husemann, 26.Juni 1930

Mein Neffe10 schreibt, daß Sie ein Pentagondodekaeder konstru­iert hätten und von mir Näheres bezüglich Farbentherapie zu wissen wünschen. Dieser Wunsch wäre leichter zu erfüllen, wenn es mir gelänge, einige Zeit in Deutschland zu verbringen. Da würde sich manches klären und fördern lassen. In diesem Jahre eine solche Reise zu wagen, erscheint mir verfrüht, aber in abseh­barer Zeit wird sie sicher möglich werden.

Sie wissen ja, daß die Farbentherapie, soweit sie mit mir zusam­menhängt, zu einer Zeit inauguriert wurde, da alles das, was heute auf anthroposophisch-medizinischem Gebiet vorhanden ist, noch nicht existierte. Im Jahre 1908 wurde von mir der erste Vorschlag einer Farbentherapie Dr. Steiner unterbreitet. Wenn auch die Anregung dazu aus früherer Zeit stammte und nicht von Dr. Steiner kam, so war doch alles, was im Verlaufe der nächsten Jahre in dieses Gefäß einfloß, Gabe Dr. Steiners, abgestimmt für die einzelnen Fälle. Es entstammte seinem esoterischen Gehalte nach der damals gepflegten älteren Esoterik und bewegte sich durchaus in den Formen derselben. Zu diesen Formen dürften wohl auch die Kristallisationsformen, die für die Kammern in Aussicht ge­nommen waren, rechnen.

Sehen Sie, lieber Kollege, hier liegt die Schwierigkeit. Heute gibt es eine Heileurythmie, in der dem Wesen nach von jener Esoterik mehr lebt, als man weiß. Aber eben in einer anderen, der heutigen Zeit entsprechenden Form. Und die Frage ist heute die, wie das, was Dr. Steiner in einer der früheren Zeit entsprechenden Form in der ursprünglichen Farbentherapie gegeben hat, heute aussehen muß? - Daß diese Frage nicht von mir allein entschieden werden kann, ist selbstverständlich. Und da sie nicht zum Gegen­stand der Korrespondenz gemacht werden kann, so wird wohl meine Rückkehr nach Deutschland abgewartet werden müssen.

Die Meinung, daß es meine Absicht sei, etwas für mich behal­ten zu wollen, was der Öffentlichkeit gehört - diese Meinung klang bei den mancherlei Anfragen, die über die Farbentherapie

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an mich kamen, hie und da dürch-, kann wohl im Ernste nicht aufkommen, nachdem meinerseits im Jahre 1924 der medizini­schen Sektion zu Händen von Frau Dr. Wegman - entsprechend den damaligen Gegebenheiten - das Angebot gemacht worden ist, die Farbentherapie wieder aufzunehmen. Ob damals meine Bitte, diesen Vorschlag Dr. Steiner zu unterbreiten, erfüllt würde, ent­zieht sich meiner Kenntnis, interessiert mich auch heute nicht mehr. Jedenfalls erwähnte Dr. Steiner meinen Vorschlag, als im Hinblick auf denselben die mir damals zur Verfügung stehende Summe angeboten wurde, nicht. Und mir erschien es nicht er­laubt, angesichts der schweren wirtschaftlichen Krise der Wal­dorfschüle, meinen Vorschlag Dr. Steiner persönlich vorzutragen und weiter zu verfolgen.

... So kann meinerseits nur die Bitte ausgesprochen werden, diese Sache zürückzustellen; dies umso mehr, als der dringend zu bearbeitenden Gebiete ja genug und übergenug vorhanden sind.

Felix Peipers an Marie Steiner im September 1931

Sie werden sich vielleicht erinnern, daß es meine Absicht war, in diesem Sommer nach Europa zu kommen. Der 21.Jahrestag der ersten Aufführung des ersten Mysterienspiels von Dr. Steiner, an welchem Sie in folgerechter Entwicklung das Drama vor die Öf­fentlichkeit stellten, hätte allein schon eine solche Reise gelohnt. Wir wissen noch nicht, welchen Erfolg Sie mit dieser Tat hatten, hoffen aber, daß es der beste sei.

Es wäre vor allem die Angelegenheit der Farbentherapie gewe­sen, deren Ordnung eine Reise nach Europa dringend gemacht hätte. Die Fragen nach derselben kommen immer wieder an mich. So zuletzt von Dr. Linder; er ließ durch Dr. Streicher anfragen. Dr. Husemann hat sich persönlich und dann auch durch meinen Neffen, der mich im Frühjahr hier besuchte, an mich gewandt. Auch von Dr. Zeylmans kamen Anfragen. Also Interesse für diese Sache ist zweifellos vorhanden. Und da Dr. Steiner im ersten

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medizinischen Kurs (Vortrag vom 5. April 1920) eine Farbenthe­rapie in den Aufgabenkreis einer geisteswissenschaftlich orientier­ten Medizin einbegreift, so besteht aller Grund, diejenigen zu unterstützen, die sich der Sache widmen wollen. Dies umso mehr, als die Ausführung sich recht kostspielig gestalten dürfte. Ur­sprünglich allerdings war die äußere Form eine einfache: zwei kleine rechteckige Kammern. Aber Dr. Steiner hat ja später die Formen und Farben für 7 Kammern angegeben: schwierig zu konstruierende Durchdringungskörper, von erheblichem Aus­maß. Die Pläne zu diesen stellen eigentlich dasjenige dar, was am ehesten den Interessenten ausgehändigt werden könnte. Dr. Hu­semann macht darauf aufmerksam, daß Kayser sich mit solchen Dürchdringungskörpern von anderen Gesichtspunkten ausge­hend, beschäftigt habe. Mir ist nicht bekannt, wie weit sich diese mit den von Dr. Steiner angegebenen decken. Allerdings: bis zur therapeuthischen Verwendung derselben ist noch ein weiter Weg, für den keinerlei Anweisungen Dr. Steiners vorliegen. Die ur­sprünglichen Anweisungen sind, wie Sie sich erinnern werden, im engsten Zusammenhang mit der ME gegeben. Sie haben nicht diejenige Umformung durchgemacht, die sie zur öffentlichen Ver­wendung geeignet machen würde, wie dies in der Eurythmie zum Beispiel geschehen ist. Wie weit sie als Ausgangspunkt für die Arbeit in den sieben Kammern dienen könnten, müßte erst der Versuch ergeben. Auch in dem medizinischen Kurs sind nur einzelne allgemeine Direktiven, die den Therapeuten weit mehr auf den Weg der äußeren Erfahrung verweisen und auf den Ok­kultismus keinen Bezug nehmen, gegeben.

Mir hätte es das Wünschenswerteste geschienen, eine Zeitlang mit denjenigen Persönlichkeiten zusammenzuarbeiten, die sich der Farbentherapie widmen wollen und den Versuch zu machen, das Frühere für die neu gegebenen sieben Kammerformen frucht­bar zu machen. Das aber hätte wohl nur von Fall zu Fall gesche­hen können. Und an Hand der Erfahrung hätte man sich weiter­getastet. Dabei war mein Gedanke der, daß nicht zuletzt Ihr Rat, hochverehrte gnädige Frau, von höchstem Wert gewesen wäre.

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Von Ihrer Genehmigüng hätte es ja auch abgehangen, ob die Kammerformen, die geistiges Eigentum Dr. Steiners sind, weiter­gegeben werden dürfen, trotzdem sie, in gewissem Sinne, eine Form ohne Inhalt sind.

Dem Beginn einer solchen Arbeit hätte meine Europareise dienen sollen. ... Was meinerseits in der Angelegenheit unter diesen Umständen geschehen kann, ist eigentlich sehr wenig. Die Weitergabe des geistigen Eigentums Dr. Steiners steht mir nicht zu; und höchstens, wenn Sie das Odium eventuell notwendig werdender Ablehnung nicht selbst übernehmen können, wäre vielleicht der Umweg über mich opportun. - Es ist mir ja auch klar, daß die Bekanntgabe der Formen und Farben an eine der darum nachsuchenden Persönlichkeiten, die man dafür geeignet hält, es nach sich zieht, daß dieselben auch solchen Persönlichkei­ten bekannt werden, die man nicht für geeignet halten kann. Aber das Prinzip der Veröffentlichung der geisteswissenschaftlichen Werte verbietet vielleicht jeden Vorbehalt.

Haben Sie die Güte, hochverehrte gnädige Frau, mich - etwa durch Fräulein Mücke - wissen zu lassen, ob Sie mit der Bekannt­gabe der Formen und Farben der sieben von Dr. Steiner angegebe­nen Kammern an Dr. Hüsemann und Dr. Linder einverstanden sind. Ob Dr. Zeylmans nochmals kommt, könnte man ja zunächst abwarten.

... Unter den Baüakten von Schmid-Curtius befinden sich auch die Angaben Dr. Steiners für die sieben Kammern.. .11

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Erinnerungsberichte über die Einrichtung der roten und der blauen Kammer und die darin durchgeführte Behandlung

Die Kammern

Die Kammern - eine rote, eine blaue - waren aus Holz, außen Eiche, innen zarteres Holz, farbig gebeizt und poliert. Sie waren nebeneinander aufgestellt in der Längsrichtung Ost-West. Jede Kammer hatte eine Tür und war nur elektrisch beleuchtet. Sie bot Raum genug für ein Rühebett (Kopfende Osten); dieses hatte Seitenteile zum Herünterklappen, so daß der Patient die Arme im Liegen ausstrecken konnte. Das Fußende war wie bei anderen Ruhebetten, bot aber Raum genug, daß der Patient die Füße etwas getrennt auflegen konnte. (Leise Andeutung des Pentagramms.) Die Beleuchtung war unter dem Ruhebett angebracht, so daß die Lichtquelle weder den Arzt noch den Patienten stören konnte. Es gelang dadurch, die Farbe wie schwebend zur Wirksamkeit zu bringen. Am Kopfende war ein Kasten aufgestellt, in dem man abwechselnd verschiedene Transparente anbringen konnte (Penta­gramm oder Hexagramm in Farben, Rosenkreuz in Komplemen­tärfarben); unsichtbar für den Patienten, sichtbar für den Arzt. Das durchscheinende Licht sollte den Hinterkopf des Patienten beleuchten. Größe der Kammern: 2 x 2,5 x 2m.

(Erinnerungsnotizen von Dr. B. Peipers)


Es gab zunächst eine rote und eine blaue Kammer, doch hatte er auch noch Angaben für Behandlung mit anderen Farben gemacht und sich auch über die Formen geäußert, welche die Kammern für die betreffenden Farben haben sollten. Es waren dies platonische Körper. In den vorhandenen Kammern waren die glatten Holz-wände und das Ruhebett, auf welches der Kranke zu liegen kam, in leuchtendem Rot bzw. intensivem Blau getönt, sonst befanden sich keine Gegenstände im Raume. Die farbigen Lampen waren so

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unter dem Lager angebracht, daß man sie nicht unmittelbar sehen konnte, sondern nur das von den Wänden zurückgeworfene rote oder blaue Licht.

(Alexander Strakosch, Lebenswege mit Rudolf Steiner I, 1947)


Der Altar

Oskar Schmiedel hierzu in seinen «Erinnerungen an:die Proben zu den Myste­rienspielen in München in den Jahren 1910-1913» (in: «Mitteilungen aus der Anthroposophischen Arbeit in Deutschland» Nr.7, März 1949):

«Der Altar in dem Meditationszimmer im ersten Mysteriendrama bestand aus einem unteren und einem oberen Teil; in beide waren farbige Transparente eingesetzt. Oben war eines, das eine Art Hufeisen bildete und das in der Mitte ein Rosenkreuz darstellte, das umgeben von einigen verschiedenfarbigen Ovalen war; unten eines, das aus einem Kegel bestand, der in Kreisen dieselben Farben - und in der gleichen Anordnung bzw. Aufeinanderfolge -aufwies, wie sie das obere Transparent zeigte. Dazu sagte Rudolf Steiner etwa folgendes: »

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#Bild s. 469

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Die Behandlung

Es kamen verschiedene Patienten zur Aufnahme, die Dr. Steiner bei seinen regelmäßigen Besuchen selbst kennenlernte. Die medi­kamentöse Behandlung erfolgte meist mit Ritter-Mitteln.12 Über deren Wirksamkeit hatte ich einmal ein Gespräch mit Dr. Steiner. Er hatte bei einer an Leukämie erkrankten Verwandten des nor­wegischen Malers Munch bestimmte Ritter-Mittel empfohlen und mich gefragt, ob ich eine Wirkung bemerkt hätte. Als ich dies nicht bestätigen konnte, sagte er: Die Mittel helfen nur, solange die Krankheit noch im Ätherleib ist. - Etwa 1913 hatte Rudolf Steiner gewünscht, daß die Patienten nicht mehr zu ihm kommen sollen, da es jetzt genügend tüchtige Ärzte gebe. Es waren damals in München Dr. Felix Peipers, Dr. Rascher und Dr. Hermann, welcher besonders mit Frl. Ritter zusammenarbeitete.

In der Klinik erhielten sämtliche Patienten die sogenannte Farb-therapie und zwar während der Dauer ihres oft mehrwöchigen und auch mehrmonatigen Aufenthaltes, zum Teil täglich, meist vormit­tags, manchmal auch nachmittags. Zuerst wurde ihnen im Studier­zimmer von Dr. Peipers die sogenannte Madonnenserie von Ru­dolf Steiner in Lichtbildern vorgeführt. Es handelt sich dabei um 15 Bilder mit 13 Madonnenbildern und zwei Bildern aus der soge­nannten Transfiguration, einmal ein Ausschnitt - Kopf - und einmal die ganze Gestalt des Christus. Den Beginn bildete die Sixtinische Madonna, den Schluß die Transfiguration von Raffael. Die Reihenfolge ist so abgestimmt, daß das Kind bzw. der Christus in seiner Stellung zur Madonna nacheinander die Form eines Pentagramms beschreibt, angefangen beim rechten Bein. Der Pa­tient sollte im Betrachten eine Durchchristung seiner Ätherströ­mung durchleben.13 Danach ging der Patient in eine der beiden nebeneinander aufgestellten rechteckigen Farbkammern. In jeder Kammer stand ein Liegesofa mit einem Rosenkreuz am Kopf-ende.14 Der Patient legte sich mit leicht gespreizten Beinen und seitwärts - nicht über Schulterhöhe - ausgebreiteten Armen nieder, während Dr. Peipers sich ans Kopfende stellte.

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Es war für jeden Patienten von Dr. Steiner eine eigene Konzen­trationsübung und für Dr. Peipers eine entsprechende Meditation angegeben worden. Weiterhin war von Dr. Steiner die Farbfolge und die jeweilige Dauer der Farbbehandlung bestimmt. Eine Kammer war nämlich mit rotem und die andere mit blauem Licht zu erleuchten, wobei mehrere Lampen in der Kammer und sogar unter dem Sofa angebracht waren. Es war dann verschieden, ob der Patient zuerst in der roten Kammer begann, um dann in die blaue hinüberzugehen und wieder in die rote zurückzukehren oder umgekehrt oder auch nur in einer behandelt wurde. Meist blieb er ca. 5 Minuten in einer Kammer. Die gesamte Behand­lungsdauer betrug in der Regel eine Viertelstunde.

Im gesamten Bereich der Behandlungsräume, also Studierzim­mer, Flur und Kammern wurde ägyptischer Pontifikal-Weihrauch geräuchert. Dr. Peipers benützte dazu in den Farbkammern ein Räucherfaß. Dr. Peipers trug während der Behandlung keine be­sondere Kleidung, d.h. er trug wie immer einen schwarzen Geh-rock und eine breite Halsschleife.

In vereinzelten Fällen bekam der Patient vor dem Eintritt in die Farbkammer noch einen bestimmten Ton zu hören, der auf dem Harmonium angegeben wurde.

Es kann nicht gesagt werden, daß außergewöhnliche Heiler­folge erzielt wurden, aber es war eindeutig zu bemerken, daß alle so behandelten Patienten ihre zum Teil sehr schwere Krankheiten besser ertragen lernten.

Frau Cecil Peipers hat am Abend im Studierzimmer ihres Man­nes gelegentlich den Christus in der Transfiguration von Raffael auf einem pfirsichblütfarbenen Seidenvorhang als Schwarz-weiß-Lichtbild gezeigt, was sicherlich auf eine Anregung von Dr. Stei­ner zurückzuführen ist.

(Erinnerungsbericht von Johanna Wagemann, die von 1911-1914 als Schwester bei Dr. Peipers gearbeitet hat.)

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Solange der Patient noch draußen wartete, nahm der Arzt eine Reinigung der Kammern vor. Er räucherte etwas mit Weihrauch und sprach die (indischen) Worte «Om mani padme hum». Zu­gleich ist am Kopfende des Lagers eine Platte aus Glas 40 x 40 cm, ursprünglich mit Bleiverglasung, angebracht. Farbtransparent mit den Farben wie im Meditationszimmer der «Pforte der Einwei­hung» (Siehe Skizze S.469)

Ob bei jedem Patienten erneut die Reinigung vorgenommen wurde, ist unbekannt, aber unwahrscheinlich. Dann wurde der Patient hereingeführt und legte sich auf das Ruhebett in einer Stellung, die leise das Pentagramm andeutet: Kopf Osten, Füße Westen. Nun machte der Patient eine ihm vorher angegebene Übung ca. 10 Minuten; individuell verschieden. Der Arzt neben dem Ruhebett in schlichter Haltung machte die Übung für den Patienten (Pentagramm-Übung oder andere).15 Hinter dem Haupte des Patienten, am gleichen Kopfende, an dem der Farb-kreis war, wurde in der roten Kammer ein Transparent ca. 30 x 30 cm mit dem Hexagramm in Grün sichtbar. Der Patient sah es nicht. Das durchleuchtete Zeichen strahlte auf den Hinterkopf des Patienten. Es war für den Arzt auch eine Hexagramm-Übung vorhanden, sie ist aber nicht näher bekannt. (Astralleib = 6 Ge­schmacksqualitäten.)

Dann wurde die blaue Kammer aufgesucht. Dort fand dasselbe zehn Minuten lang statt. Am Kopfende erschien, nur dem Arzt sichtbar, das Pentagramm in Gelb. (Im Einverständnis mit Dr. Steiner dunkler Grund, gelbes Pentagramm.) Der Arzt konzen­trierte sich wiederum auf den Patienten, indem er die Penta­gramm-Übung in ihm denkt, d.h. sie für ihn meditiert, angefan­gen vom rechten Fuß des Patienten.

Manchmal, nicht immer, zurück zur roten Kammer.

Schluß der Behandlung

(Erinnerungsnotizen von Dr. B. Peipers)

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Bei entzündlichen Krankheiten wurde in der roten Kammer (ab­solut mit rotpoliertem Holz ausgekleidet, unter dem roten Liege­bett waren rote elektrische Lampen) begonnen, dann in der blauen fortgesetzt und in der roten wieder geendet. Bei den entgegenge­setzten Krankheiten (Verhärtungen, Geschwulst-Grundlagen) wurde in der blauen Kammer begonnen und geschlossen. Die Behandlung selbst verlief neben medikamentöser nach Anweisun­gen meditativer Art von Dr. Steiner.

(Erinnerungsnotizen von Hilde Boos-Hamburger, der Dr. Felix Peipers im Jahre 1911, als sie längere Zeit im Hause Peipers lebte, den Verlauf der farbigen Behandlung erklärt hatte und bei einer Erkrankung bei ihr durchgeführt hatte.)


Ein anderer «heilender» Arzt, ein Nervenarzt, lebte zu dieser Zeit auch in München, in der Königinstraße am Englischen Garten. Er hatte eines Lungenleidens wegen längere Zeit auf der Canarischen Insel Teneriffa gelebt und dort eine Heilstätte geleitet. In seinem Haus ging Rudolf Steiner beratend ein und aus. Auch ich war, teils als Patient, teils später als «Helfer» bei ihm tätig. Er war eine große, schlanke Erscheinung, stets im langen schwarzen Gehrock, mit markanten Zügen und forschenden Augen, die er manchmal sinnend bis zu schmalen Schlitzen zukniff - eine eigenartige, fast unheimliche Erscheinung, die noch einen gewissen «Nimbus» erfuhr durch eine tragende Rolle in den Mysterienspielen als der große Eingeweihte Benediktus.

In einem liebenswürdigen Gegensatz dazu erschien seine reiz­volle Gattin, eine begabte Bildhauerin, deren freundliches Wesen einem wohl tat. Beim Betreten seines Hauses strömte einem oft ein dichter Geruch von Weihrauch entgegen, der aus zwei «Farb­kammern» drang, einer tiefroten und einer ebenso tiefblauen, in denen die Patienten behandelt wurden. Man hatte sich auf eine Couch zu legen, zuerst in der roten Kammer. Beide Kammern waren nur kümmerlich beleuchtet, mit Holz verschalt und von Weihrauch erfüllt. An dem Ruhebett stand der Arzt und medi­tierte oder beobachtete. Nach etwa 10 Minuten wurde man in die

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blaue Farbkammer geführt, und hatte nun, wieder auf ein Ruhe­bett gelegt, die Lichtbilder zu verfolgen, die auf die gegenüberlie­gende Wand geworfen wurden. Diesmal ohne Weihrauch. Es waren in einer bestimmten Reihenfolge wohl sieben der bekann­ten Madonnenbilder von Raffael, beschlossen durch das Bild von der «Verklärung Christi». Dadurch sollte eine gewisse seelische «Reinigung» im Patienten erfolgen. Es war wirklich sehr ein­drucksvoll und wirkte wie ein alter Einweihungsvorgang, der stets etwas anstrengte, durch die ganze Art der Umgebung und Be­handlung. - Ich fühlte mich hernach immer ein wenig angegriffen, aber dabei doch stark ergriffen, gereinigt und belebt. Wie weit diese Behandlung Nachahmung und Weiterverbreitung erfahren hat, ist mir nicht bekannt.

(Rudolf Treichler d. Ae., «Wege und Umwege zu Rudolf Steiner«, Manuskriptdruck 1974, S.49 f.)


Der Aufenthalt in den Kammern - in voller Ruhe und liegend -dauerte eine viertel bis eine halbe Stunde. Der Arzt stand immer neben dem Kranken und verfolgte genau die Wirkung auf den Ätherleib, das Blau wirkte lösend, das Rot entgegengesetzt. Erst verbrachte man eine Zeit in der blauen Kammer, darauf anschlie­ßend in der roten. Die Dauer der Einwirkung mußte sehr genau bemessen werden, dazu gehörte es selbstverständlich, daß der Arzt imstande war, die Vorgänge in jener Lebensleibesorganisa­tion zu beobachten, welche dem physischen Auge nicht sichtbar ist. Durch die Schulung, wie sie Rudolf Steiner in seinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» beschrie­ben hat, kann in entsprechender innerer Arbeit die Fähigkeit zu solchen Beobachtungen erworben werden. Manchmal bekam der Kranke während der Behandlung einzelne Töne oder bestimmte Akkorde in rhythmischer Wiederholung zu hören.

(Alexander Strakosch, Lebenswege mit Rudolf Steiner I, 1947)

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Behandlung eines Psychisch-Blinden

Unter den Kranken war einer, dessen Schicksal besonders nahe­gehen konnte. Es war ein «seelen-blinder» junger Mann. Seine Sehorgane waren ganz richtig ausgebildet, wurden aber nicht in rechter Weise vom Bewußtsein ergriffen, und so konnte er sie nicht gebrauchen. Die Pflege und die Behandlung waren wirklich eine schwere Aufgabe. Umso größer war die Freude, als einmal nach mehrjähriger Behandlung der Kranke vor dem weihnachtli­chen Lichterbaum freudig ausrief: Ich sehe die Lichter!

(Alexander Strakosch, Lebenswege mit Rudolf Steiner I, 1947)


Bei einem langjährigen Patienten, einem psychisch Blinden, um den sich auch Dr. Steiner intensiv bemühte, wurden nach dessen Angabe zur Vorkonzentration Töne auf dem Harmonium ange­schlagen, so weit ich mich erinnere, waren es meist Terzen. Zur farbtherapeutischen Behandlung waren für ihn Pfirsichblüt und Gelbgrün angeordnet. (Erinnerungsnotizen von Hilde Boos-Hamburger)


Für einen (blinden) Patienten wurde noch eine rosa Kammer eingerichtet, indem pfirsichblütfarbige Vorhänge in der blauen Kammer aufgehängt wurden (auch die Decke wurde verhängt). Bei der Behandlung erschien am Kopfende das Rosenkreuz (in Komplementärfarben) - Transparent: Gelber Grund, weißes Kreuz, grüne Rosen. Konzentrationsübung des Arztes unbe­kannt. Diese Kammer wurde nur vor dem Schlafengehen benützt. Für denselben Patienten wurde eine Farbkammer angegeben:

Gelb-grün wie unreife Zitronen. Näheres unbekannt.

Bei einigen Patienten, zum Beispiel bei Kindern, wurden wäh­rend des Ruhens in den Kammern Töne angeschlagen, auf dem Harmonium oder auf einem Glockenspiel oder auch auf einem

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Gong, zum Beispiel i, 3, 7, 12 Schläge. Bei dem blinden Patienten (Seelenblindheit?) wurden auch Metalle angewandt, indem zum Beispiel ein kleines Metallstück über jeder Öffnung des Hauptes suspendiert wurde (Ohren, Nase, Augen, Mund). Näheres unbe­kannt. Bei dem Blinden wurde die Dur- und Moll-Tonleiter ange­schlagen (Genaues unbekannt).

(Erinnerungsnotizen von Dr. B. Peipers)


Wenn Dr. P Patienten hatte, waren es zu meiner Zeit nur wenige, die in Erscheinung traten. Einer ist mir jedenfalls dadurch beson­ders in Erinnerung geblieben, daß ich ihn stundenlang zu betreuen hatte, besonders auf Spaziergängen, wo ich gewisse Übungen mit ihm machte, da er - wie halb blind - kein Gefühl für Lage, Entfernung, Farbe u. ä. hatte. Ein schwieriger Fall, der aber auch positive Seiten zeigte, wenn er z. B. Vorträge. die er gehört hatte, fast vollständig referieren konnte.

(Rudolf Treichler d. Ae., a. a. 0., S.50)


Das in die Farbentherapie einbezogene Madonnenbild

Felix Peipers hatte, vermutlich aufgrund der Charakterisierung des Madonnenbildes als Heilmittel, wie sie Rudolf Steiner in seinem Stuttgarter Vortragszyklus «Welt, Erde, Mensch» vom August 1908 (1. und 2. Vortrag) gegeben hatte:

.... . Denn das Madonnenbild ist - in jenen Grenzen, die erörtert worden sind - ein Heilmittel. Wenn es so behandelt wird, daß die menschliche Seele noch eine Nachwirkung hat, wenn sie im Schlafe liegt und etwa träumen kann von diesem Madonnenbilde, dann hat dieses auch heute noch eine heilende Kraft . . .»

eine Serie Madonnenbilder zusammengestellt, die er mit Zustim­mung Rudolf Steiners in die Behandlung einbezog. Er zeigte den Kranken entweder vor dem Einschlafen oder vor Beginn der

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Farbkammerbehandlung die Bilderserie im Lichtbild oder auch nur in Photographie. Rudolf Steiner habe darauf aufmerksam gemacht, wie auf jedem Bild besonders eine Ätherströmung sich offenbare, deren Zusammenklingen insbesondere im Bilde der Sixtina und der Christus-Gestalt aus der «Verklärung» des Raffael zum Ausdruck komme; lasse man die Bilder auf sich wirken, so könne dadurch der Ätherleib harmonisiert und in gesunde Schwingungen gebracht werden.

(Nach Erinnerungsnotizen von Hilde Boos-Hamburger.)


Die folgende Beschreibung der Reihenfolge geht auf Maria Strakosch­Giesler zurück, die sie sich während ihrer eigenen Behandlung notiert hatte:

Im Vollbild der Sixtinischen Madonna ist das Hauptmotiv zu sehen. Der Gesamtkomposition derselben liegt das Pentagramm zugrunde. Wiederholt hat Dr. Steiner angedeutet, daß dem Penta­gramm als Zeichen die tiefsten Menschheitsgeheimnisse zugrunde liegen.

Die Reihenfolge der Bilder zeigt eine bestimmte Bewegung des Kindes. Nach dem ersten Bild der Serie, dem Hauptmotiv der Sixtinischen Madonna, folgt als zweites Bild: Die schöne Gärtne­rin. Das Jesuskind am rechten Fuß der Mutter stehend, mit seinem linken Beine ansetzend die zur Mutter aufsteigende Bewegung. Die rechte Hand, wie der Blick, des Kindes, bezeugen verstärkend diese Absicht, aufgenommen von der Geste der beiden Hände der Mutter. In gespannter Aufmerksamkeit verfolgt Johannes das Ge­schehen, wie den Betrachter des Bildes auffordernd, dem Gesche­hen ebenfalls seine Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Madonna Alba, das dritte Bild, zeigt uns das Kind im weiteren Aufstieg in der von Anfang an eingeschlagenen Richtung. Bei diesem Bilde wird die Richtung der Bewegung des Jesuskindes von dem Johannesknaben mit gesteigerter Aufmerksamkeit weiter verfolgt. Johannes und das Jesuskind zeigen mit ihrem sich begeg­nenden Blick das völlige Im-Gegenwartsgeschehen-Drinnenstehen

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an: das Jesuskind mit dem Ausdruck einer starken Bewußt­heit des Geschehens. Der linke Fuß ist zum weiteren Anstieg gebogen. Der Blick der Mutter dagegen ist außerzeitlich und außerräumlich wirkend, wie bei der Sixtinischen Madonna.

Bild vier zeigt die Madonna Alba nochmals, aber im Aus­schnitt, wodurch die Intensität des Geschehens und der Bewe­gung für den Beschauer weiterhin verstärkt wird.

Madonna di casa Pazzi von Donatello, Bild fünf, zeigt die völlige Vereinigung von Mutter und Kind an jenem Punkte der Nasenwurzel, wo der Ichpunkt liegt, die Bewegung vom Ich des Kindes und der Mutter zum Ausdruck bringend; dort wo sich der physische und der ätherische Leib völlig decken.

Im Bilde sechs, Madonna mit dem Stieglitz (Madonna del Cardellino), Ausschnitt unten am Nabel des Kindes abschnei­dend, zeigt das Kind wieder zum Boden zurückgekehrt in einer Haltung, welche die weiterhin folgende Bewegung ankündet, nach oben zum rechten Arme d er Mutter.

Siebentes Bild, Madonna Bridgewater zeigt uns das Kind mit gewaltigem Schwunge ansteigend zum rechten Arme der Mutter.

Im achten Bilde, Sixtinische Madonna, Brustbild, sehen wir das Kind in majestätischer Ruhe auf dem rechten Arme der Mutter, sicher getragen und gehalten.

Neuntes Bild, Madonna Tempi. Das Kind auf dem linken Arme der Mutter mit unendlicher Innigkeit von dieser ans Herz gedrückt.

Bis zu diesem Bilde ist die fortlaufende Bewegung wie zu einem Gleichgewichtszustande gekommen.

Bild acht und neun halten sich die Waage.

Im zehnten Bilde Verklärung auf dem Berge Tabor von Raffael (Auschnitt Kopf) setzt ein völlig neues Motiv ein, zuerst angedeu­tet in dem nach oben gerichteten Blick. Erst im letzten Bilde der Serie erscheint das neue Motiv (15) vollständig.

Das elfte Bild, Madonna del Granduca, deutet im Blick des Kindes die weiterhin folgende Bewegung an in absteigender Linie. Deutlicher tritt diese Absicht im folgenden Bilde hervor:

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Zwölftes Bild, Madonna mit dem Fisch (Auschnitt). Das Kind strebt zum Ausgangspunkt zurück.

Dreizehntes Bild, Madonna von Brügge von Michelangelo zeigt uns das Kind den letzten Schritt vollziehend. Es betritt wieder den Boden.

Bild vierzehn, Madonna mit dem Stieglitz, Vollbild, das Kind ist zum Ausgangspunkte, dem rechten Fuß der Mutter zurückge­kehrt. Das Pentagramm ist geschlossen.

Das letzte Bild der Serie (15) Verklärung auf dem Berge Tabor von Raffael, Auschnitt, die Gestalt des aufsteigenden CHRI­STUS. Das neue, im Bild 10 angedeutete Motiv.

Das Pentagramm frei schwebend in der Richtung nach oben.

Die Reihe der Bilder ist geschlossen.

Was mit dem meditativen und immer wiederholten Anschauen dieser Bilderserie vor dem Schlafengehen als der geeigneten Zeit gewollt und angestrebt wird, läßt sich vielleicht am besten aus einer Bemerkung Dr. Steiners ersehen, wo er sagte, daß bei den meisten Menschen heute der Ätherleib heruntergerutscht sei und gehoben werden müsse.

1. Raffael Sixtinische Madonna, ganzes Bild

2. Raffael Die schöne Gärtnerin (La beile jardiniére)

3. Raffael Madonna della casa Alba, ganzes Bild

4. Raffael Madonna della casa Alba, Ausschnitt

5. Donatello Madonna di casa Pazzi, Plastik

6. Raffael Madonna mit dem Stieglitz (del Cardellino)

Ausschnitt

7. Raffael Madonna Bridgewater, ganzes Bild

8. Raffael Madonna Sixtina, Brustbild

9. Raffael Madonna Tempi, ganzes Bild

10. Raffael Verklärung auf dem Berge Tabor, Ausschnitt

Kopf

11. Raffael Madonna del Granduca (La vierge du Granduc),

ganzes Bild

#SE291a-480

12. Raffael Madonna mit dem Fisch, Ausschnitt

13. Michelangelo Madonna von Brügge, Plastik

14. Raffael Madonna mit dem Stieglitz, ganzes Bild

15. Raffael Verklärung auf dem Berge Tabor, Ausschnitt

die Gestalt des aufsteigenden Christus allein.

#Bild s. 480

ANHANG

#G291a-1990-SE481 Farbenerkenntnis

#TI

ANHANG

Über die Rot-Blau-Emanationswahrnehmungen von Versuchspersonen in der Dunkelkammer

aus Moritz Benedikt, «Ruten- und Pendellehre»,

Wien und Leipzig 1917

#TX

Seite 16-18: [Faksimilewiedergabe]

Die Rutenfähigkeit ist ubrigens keine hochstehende menschliche Qualität Sie ist mit sonst niederer Organi­sation möglich,. während sie gerade bei geistig und in bezug auf Fertigkeiten Hochstehenden sehr oft versagt

Daß aber für die Verwertung der Fähigkeit auch in nur etwas komplizierten Fällen daß w eiters für die Auf findung 4er Gesetze und für die Begründung der Er scheinungen die Intelligenz empirischer Rutengänger nicht hinreicht, ist selbstverständlich.

Wir kommen nun zur Klarmachung des Grundphäno­mens der Rutenlelire - zum Körperrutenstrom. Um diesen zu verstehen, müssen wir in benachbarte Gebiete hinüberstreifen.

Zuerst kommt die Asymmetrie (Ungleichseitigkeit) des menschlichen Körpers in . Betracht Beide Kopf- und Gesichtshälften, sowie jene der Brust und des Beckens, beide Arme, Hände, Beine und Füße sind ungleich gebaut Viele der Organe, wie Herz, Leber, Milz liegen einseitig, das Gefäßsystem ist für beide Körperhälften ungleich.

Die Rechts- und Linksseitigkeit der Hände, durch die ungleiche Verteilung der Leistungen im Gehirn be-di ngt, auch weiters die Lage des Sprachzentr,ims im

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Das Wesen der Rute: Der Körperrutenstrom. 17

linken Gehirne bezeugen weiters die Asymmetrie der Körperfunktion. 1)

§ 9. Von größter Deutlichkeit und Bedeutung auch für unsere Frage sind aber die Erscheinungen der Asymmetrie der Emanationen des menschlichen Körpers in der Dunkelkammer.

. Es glbt, wenn auch eine relativ geringe Anzahl von Menschen, die ,,dunkelangepaßt" sind. Ein relativ größerer Teil dieser Minorität sieht in der Dunkelheit sehr viel Objekte leuchtend ohne Farben und nu? relativ sehr wenige sehen die Objekte auch gefärbt. Reichen-bach hät schon deü Ausspruch getan, daß jeder Mensch eine große Hülle . leuchtender Substanz (Emanationen) mit sich he rum schleppt.

. Diese farblosen und farbigen Leuchterscheinungen sind seitdem auch von mir vielfach durch kritische Beobachtung erprobt. Eine größere Anzahl Gelehrter und Ärzte wurden in meiner Dunkelkammer von meinen zwei klassischen ,,Dunkelangepaßten", Herrn Ingenieur Josef Pó ra und der Beamtin Frl. Hedwig Kaindl, untersucht und es konnte den von denselben Untersuchten kein gerechter Zweifel an der Richtigkeit der Beobachtung und Schilderung zurück-bleiben. Die Herren haben sich überzeugt, daß die geaannten Dunkelangepaßten die unerwartet Anwesenden sahen, alle Teile des Körpers bezeichneten und ihre Emanationsfarbe bestimmten.

Farbenwahrnehmende Dunkelangepaßte sehen nun an der Vorderseite die Stirne und den Scheitel blau, die übrige j rechte Hälfte ebenfalls blau und die linke rot oder mancher, wie z. B. Herr Ingenieur Póra, orangegelb. Rückwärts I findet dieselbe Teilung und dieselbe Färbung stätt

Es sei bem merkt, daß die Dunkelangepaßten eigentlich i'icht das Objekt sehen, sondern bloß die Emanationen,,und ich will die höchst wichtige Angabe von Herrn Póra mit­teilen, daß er durch seine eigenen Emandationen und die der

,) Dic für die F?age der normalen Asymmetrie intreressante gescbichtliche Episode Goethe-Rauch siehe Leitfaden pag. 19.

Benedi k t, Buten und Pendellehre.

#SE291a-483

18 I. Abteilung.

beobachtenden Personen durchsieht, also durch eine Art fluoreszierender Substanz. Objekte, die er sonst genau kennt und vielleicht soeben gesehen hat oder die ihm später wieder vo?gelegt werden, kann er vielfach relativ korrekt schildern, wenn auch in eigentümlicher Weise, ohne eine Ahnung zu haben, um was es sich handle.

Er sieht bloß die Emanationsbilder. Diese haben ihre eigene Farbe - z. B. weißes Pulver von Zitronen­säure erscheint rot und in Lösung blau -, veränderte leuchtende Konturen etc. tind werden so unkennbar. Nur die Emanationsfiguren der menschlichen Körperteile lernt er - zum Teile auch durch Bücher - kennen. Dies gilt alles für alle Dunkelangepaßten. Vielleicht ist es mir noch gegönnt, meinen gesammelten reichen Schatz von Dunkelkammerstudien zu veröffentlichen. Jene über zahlreiche Chemikalien sind veröffentlicht in den Mono­graphie: ,,Die latenten (Reichen bachschen) Emanationen der Chemikalien", Wien 1915, Verlag C. Konegen.

Wichtig ist, zu bemerken, daß auch die Zahl von ina Dunkeln Sehenden bald in der Öffentlichkeit steigen wird. Zwar ist gewiß, daß Sehen im Dunkeln, besonders bei Städtern, viel seltener wird wegen der grellen Beleuch­tungsmethoden. Jedoch sind wir auf dem Wege, das Sehen im Dunkeln künstlich zu erhöhen. Killner in London hat bereits solche Hilfsmittel gefunden und in den Handel gebracht Der Krieg hat alles unterbrochen.

Ich will hier anführen, daß eine geschlossene elektri­sche Batterie in der Dunkelkammer an der Anode rot, an der Kathode blau leuchtet, also analog der linken und rechten Körperhälfte.

Die Emanationen werden durch Spannungen her­vorgerufen. Jene zwischen der rechten und linken Seite sind . aber keine elektrischen, schon weil sie auch durch Holzrnten in einen ,,Körperrutenstrom" umgewandelt werden. Diese Spannungen sind auch nicht magnetischer oder chemischer Natur und ich habe sie als biome­ch anis c he bezeichnet Wie wir sehen werden, sind sie radiumähnlich, aber nicht identisch mit Radium.

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V Rutenkünstler in der Dunkelkammer

Beobachtung i. Die Lintrup ist klein, nicht beleiht. In der Dunkelkam­mer erscheint ihre Leuchtfigur riesig erhöht und verbreitert und sehr stark leuchtend. Die auftauchenden Farben sind sehr intensiv, normal verteilt. Stirne und Scheitel blau leuchtend. Herr Póra sieht gewöhnlich orangegelb statt rot, ohne emanationsrotblind zu sein. Bei der Lintrup erscheint die rechte Seite blau, die linke Seite von der Stirne bis zur Zwerchfellhöhe hinab rot, dann weiter hinab orangegeib, die Füße wie­der rot. Die Daumen sehr verbreitert und ihre Emanation besonders verlängert.

Man sieht: exzessive Emanation als charakteristisch bei ihr.

Zu bemerken ist, daß sie nicht bloß auf unter ihr emanierende Stoffe mit der Rute reagiert, sondern auch für Laboratoriumsversuche gleich geeignet ist. Die Lintrup ist mit mir «gleich gestimmt», d.h. wir erhalten mit der Rute immer gleiche Ausschläge.

Beobachtung 2. Wenige Tage später hatten wir Gelegenheit, unsere heimische berühmte Rutenkünstlerin, Madame Tyköri, zu untersuchen. Sie ist wenig empfindlich für Laboratoriumsversuche, aber enorm emp­findlich für von unten aufsteigende Emanationen Später wurde sie auch für Laboratoriumsversuche geeignet, wie mir schien, mit exzessiven Ausschlägen.

Die Emanationsfigur der stattlichen Dame erschien in der Dunkel­kammer nicht so exzessiv wie bei der Lintrup. Als die Farben aufleuchte­ten, zeigte sich folgende Merkwürdigkeit: Herr Póra fragte die Dame, ob sie leidend wäre, und er bezeichnete die schmerzhafte Stelle an der linken Schulter, in der Halsgegend, welche die Dame als die leidende bestätigte. Das Rot dieser Stellen war verschleiert, um bald unsichtbar zu werden und bald wieder aufzutauchen. Und das wiederholte sich während der ganzen Beobachtung. Es schien, als ob die betreffenden Stellen abwech­selnd abgehackt würden, um wieder ausgelegt zu werden.

Die Dame hat vor wenigen Tagen eine stark emanierende Stelle überschritten, ohne die sonst ableitende Rute bei der Hand zu haben. Es war also der innere Emanationsstrom an diesen Stellen in Unordnung geraten und dadurch das Leiden entstanden, das ich als «emanatorischen Rheumatismus* bezeichne.

Bei einer darauffolgenden Rutenuntersuchung der genannten Gegend trat ein furchtbarer Schmerzanfall auf, der sich durch Durchzucken

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durch die Nerven äußerte und erst nach etwa 20 Min. abzuklingen begann. Beobachtung 3. Herr Oberinspektor Karl Kamptner, 58 Jahre alt,

gesund. Seine «Aura», das ist die Lichthülle des Körpers, war durchaus breiter und höher als gewöhnlich: die Leuchtintensität bedeutend gestei­gert. Farben normal und intensiv. Eine eigentümliche Erscheinung ist die starke Leuchte der Füße, die auf den Boden übergriff, und zwar in beiden Farben, links rot, rechts blau. H. Kamptner arbeitete früher mit einer schweren Messingrute mit Untergriff und gewöhnte sich schwer an Obergriff und Stahlrute.

Beobachtung 4. Der mit mir gleichgestimmte Geologe Dr. Lukas Waagen, 39 Jahre alt. In der Dunkelkammer (Hr. Póra): Verkehrte PolaritätGroße rote Wolke bis zur Decke über dem Kopfe, sonst beide Körper-hälften violett, nur Mitte der Stirne und Wirbelsäule blau. Die ganze umhüllende Leuchte (Aura) sehr hell. Bei späteren Untersuchungen exzessive Leuchte bei normaler Farbenverteilung. Rutenreaktion sonst normal, nur über dem rechten Arm 600 (hinauf) statt 00.

Beobachtung 5. Hr. L. L., 55 Jahre alt, Gewerke. Veränderungen in den großen Körpergefäßen. Hr. L. hatte die Sensitivitäten, wie sie her­vorragende «Magnetotherapeuten» zu besitzen pflegen.

In der Dunkelkammer: Kopf anfangs blau, dann rot, bis an die Decke hinaufreichend, dann violett, dann wieder rot. Unipolarität der Farben (rot) im Körper, stark leuchtend. Am oberen Ende des Brustbeins rote, violette und orangegelbe Flecke (Kaindl).

Hr. L. arbeitet mit abweichend geformten schwereren Metallruten und bekommt meist andere besondere Ausschläge. Der Rutenausschlag über seinem Kopfe und den linken Extremitäten erhöht (4800); rechts 0 (normal).

Beobachtung 6. Der 29jährige Architekt Emmerich Stolzer hatte kurz vorher, durch eine Zeitungsnotiz angeregt, mit einer Holzrute die Probe auf seine Rutenfähigkeit gemacht und hatte vollen Erfolg (mit Unter-

griff). Er kam bald darauf zu mir und wurde in kürzester Zeit ein

«gleichgestimmter» vollendeter Rutenfähiger mit Obergriff, mit Stahl­rute und auch allen anderen Ruten. Er ermüdete anfangs sehr leicht und bekam Prickeln in den Fingern. Ich bemerkte, daß er bei den Versuchen seinen Blick auf die Hand und die Finger richtete und ich empfahl ihm, die Schlinge der Rute zu fixieren. Hiemit ward der Übelstand behoben.

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In der Dunkelkammer: Normale Farbenpolarisation mit Ausnahme der beiden Vorderarme und Hände. Diese waren links blau und rechts rot. Übergang vom Oberarm zum Unterarm violett. Unterarme und Hände leuchten sehr stark.

Bei einer späteren Untersuchung normale Farbenpolarität (sein Ru­tenbefund normal).

St. ist schon teilweise dunkeladaptiert.

Man sieht teils exzessive Emanation oder Erscheinungen von Labilität.

Seite 30-34:

§ 19. Von ganz außerordentlichem Interesse sind die Pendeluntersuchun­gen über Farben.

Im Juni dieses Jahres entdeckte ich, daß das rote Ende eines Doppel-farbstiftes mit einem linksgedrehten Kreise reagiert und das blaue Ende mit einer Linie. Ich untersuchte darauf eine gaiize Kollektion von Farb-stiften aus der Fabrik von Hardtmuth, welche der Ophthalmologe Hans Adler benützt, um durch Farbstriche die pathologische Farbenblindheit, die ich entdeckt und im Jahre 1863 beschrieben habe, zu prüfen. Es zeigte sich, daß über allen roten Strichen in allen Nuancen dieser Farbe bis zum tiefen Braun und über einer Reihe von gelben Strichen linksge­drehte Kreise erscheinen, während über allen anderen Farben Linien-schwingungen zustandekommen. Am drastischesten demonstriert man dieses entgegengesetzte Verhalten von Rot und Blau über rotem und blauem Fließpapier. Ich habe dasselbe Verhalten über den synthetischen Farben Karmin, Narkat und Eosin einerseits und andererseits über Me­thylengrün und Enzianblau geprüft und dasselbe Resultat erhalten.

Ich will hier gleich bernerken, daß man bei der Verwendung der linken Hand entgegengesetzte Drehungen des Kreises erhält. Wenn wir z. B. Blau und Grün mit dem Pendel in der rechten Hand Schwingungen in Linien z. B. in der Richtung des Meridians erhalten, werden dieselben senkrecht darauf, wenn die linke Hand verwendet wird. Auch bei ge­färbten Chemikalien, z. B. Chromphosphor, Bleioxyd, Schwefel, be­kommt man, wenn der Pendel knapp über dem Objekt und am besten über eine dünne Schichte von Pulver gehalten wird, bei diesen roten und gelben Objekten mit der rechten Hand linksgedrehte Kreise. Hebt man

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den Pendel höher über dem Objekt, so bekommt man viel weiter schwingende linksgedrehte Kreise, wie sie dem Objekte unabhängig von der Farbe zukommen. Bei grünen und blauen chemischen Objekten, wie z. B. Chromphosphor, Eisensulfat und Kupferoxyd, erhält man, wenn der Pendel nahe am Objekt ist, Linien, während bei erhöhtem Pendel die dem Objekte zukommende - die Kreisschwingung - zustandekommt.

Auch auf einem Blumenbilde eines Wiener Meisters aus dem Anfange des vorigen Jahrhunderts bekommt man, wenn der Pendel knapp über der Bildfläche schwebt, dieselben Effekte (Kreise) wie die erwähnten über allen Nuancen von Rot und ebenso die Linienschwingungen über allen ander ren Farben. (Ausgesprochen gelbe Farben fehlten.)

Wir wollen hier gleich die große Bedeutung dieser Versuche für die Farbenlehre hervorheben. Die Newtonsche Lehre, daß die Farbeneffekte ausschließlich von dem reflektierten resp . durchgehenden prismatischen Farbenlichte herrühren, die auch von den zünftigen Physikern allgemein ohne Reserve akzeptiert ist, wurde von Goethe bestritten. Dieser be­hauptet, daß von natürlich gefärbten Objekten und mit natürlichen Farben behandelten Stoffen ein Teil des Farbeneindruckes sozusagen autonom von diesen gefärbten Objekten herrühre. Die Beweise Goethes hatten keinen äußeren Erfolg und waren halb und halb indirekte.

Wenn zwei solche Titanen abweichende Ansichten vertreten, so kann man getrost annehmen, daß beide recht haben. Persönlich konnten die beiden Heroen sich nicht verständigen, da sie durch einen großen Zeit­raum getrennt waren. Ungemein drastisch gibt hier die Emanationslehre mit Hilfe des Pendels eine die Ansicht Goethes bestätigende Aufklärung, wobei betont werden muß, daß das reflektierte Licht die gleichgefärbte Emanation mit sich fortreißt.

Fundamental werden die Pendelversuche noch durch den Umstand, daß dieselben Effekte mit dem Pendel auch in der Dunkelkammer zu­standekommen und dieses auch, wenn die Objekte durch Lange Zeit in Dunkelhafi gehalten wurden. Auch die Dunkelkammer zeigt vielfach autonome Farbenemanationen, die mit den prismatischen Farben nichts zu tun haben und auch nicht gleichfarbig sind wie im gewöhnlichen Lichte. Die Zitronensäure z. B. ist in der Dunkelkammer rot, Kupfervi­triol grün und Eisenvitriol blau. (S. meine schon zitierte Monographie:

«Die latenten (Reichenbachschen) Emanationen der Chemikalien», Wien, Konegen, 1915.

Um nun weitere merkwürdige Versuche, die mir Herr Ingenieur

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Martin Perls in Charlottenburg brieflich mitteilte, in bezug auf Farben-wirkung anführen zu können, muß ich zunächst auf einen von ihm gemachten Grundversuch, der unabhängig von Farbenerscheinungen ist, zurückkommen.

Hält man den Pendel ruhig mit der rechten oder linken Hand und berührt zwischen zwei feuchten Fingern der anderen Hand zuerst das Ende des Anodendrahtes einer Batterie, so tritt eine Kreisschwingung des Pendels ein, und zwar ein links oder rechts gedrehter Kreis, je nachdem der Pendel mit der rechten oder linken Hand gehalten wird.

Nimmt man das Ende des Kathodendrahtes zwischen die zwei feuch­ten Finger, dann entstehen entgegengesetzte Bewegungen. Nimmt man beide Drahtenden getrennt zwischen die zwei feuchten Finger, dann entsteht eine Schwingung in einer Linie.

Läßt z. B. Peris elektrisches Licht auf den ruhig gehaltenen Pendel fallen, so bleibt der Pendel in der Hand ruhig. Schiebt man aber eine dunkeirote Glasplatte zwischen Licht und dem ruhig gehaltenen Pendel ein, so entsteht eine Pendelbewegung in verschiedener Kreisrichtung, je nachdem die rechte oder linke Hand verwendet wurde.

Anders verhält es sich, wenn eine blaue Glasscheibe eingeschaltet wird; es entstehen die umgekehrten Kreise.

Wenn beide Scheiben übereinander liegen, ist keine Wirkung auf den Pendel vorhanden.

Die Versuche wurden von mir und zwei erstklassigen Pendelfähigen angestellt, und es wurden beide Hände benutzt. Weiters kam Herr Perls auf die Idee, so wie er die elektrischen Pole auf der anderen Seite des Körpers, als in der, in welcher der Pendel in der Hand ist, geschaltet hatte, dies mit einem roten und blauen Farbstriche, auf welche die Finger der freien Hand gelegt werden, zu tun. Der frei und ruhig schwebende Pendel kam sofort in schwingende Bewegung, wenn die Finger der anderen Hand den einen oder andern Farbstrich berührten, und zwar in entgegengesetzter Kreisschwingung, je nachdem der eine oder andere Farbstrich berührt wurde. Ist der Pendel in der rechten Hand, gerät er in linksgedrehte Kreisschwingung, wenn die Finger den roten Farbstrich berühren, in rechtsgedrehter, wenn die Finger Blau berühren, wenn der Pendel in der linken Hand ist, in die entgegengesetzten Drehungen.

Ich wiederholte diesen Versuch sowohl mit dem roten und blauen Papier und mit allen den Farbstrichen durch die Farbstifte, die früher erwähnt wurden, in der Perlsschen Schaltung, mit demselben Erfolge,

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wie er oben erwähnt wurde und mit derselben Zweiteilung der Farben, wie in den früher erwähnten Versuchen.

Auch mit den genannten Farben Karmin etc. machte ich diese Seit­wärts-Schaltungsversuche mit demselben Erfolge bei Karmin und Eosin wie beim roten Papier und roten Strichen und mit Enzianblau und Methylengrün wie bei den blauen Strichen ebenso mit den früher ge­nannten naturgefärbten Chemikalien. Es sei hier wieder betont, daß bei den genannten Farben die Kugel des Pendels immer in der Nähe des Objektes sein muß, damit die Farben zur Geltung kommen, während, wenn der Pendel höher gehoben wird, die Pendelwirkung des Stoffes sowohl bei den genannten Chemikalien als bei den synthetischen Farben zur Geltung kommt, und das ist bei allen ein linksgedrehter Kreis.

Alle diese Versuche wurden auch mit den in Dunkelhaft gehaltenen Präparaten in der Dunkelkammer mit demselben Erfolge wie bei Licht wiederholt, wobei zu meiner Orientierung in einzelnen Momenten im Hintergrunde ein schwaches Wachsstocklicht angezündet wurde. Die Pendelbewegung selbst empfand ich sehr gut.

Nachträglich will ich bemerken, daß die Rutenreaktionen bei den oppositionellen Farben der Farbstifte, der Farbstoffe und Chemikalien mit der Farbenwirkung nichts zu tun haben. Die Farbstifte ergaben unabhängig von der Farbe mit der Rute dieselbe Reaktion wie die des Kaolin, welches die Bindemasse der Stifte bildet. Die Farben der Stifte sind mineralische.

Seite 90/91:

§ 49. Die wichtigsten Erfolge hatte Reich en bach in der Dunkelkammer, da ihm viele «Dunkelangepaßte» - darunter Endlicher - zur Verfügung standen.

Bei meinen kritischen Nachprüfungen eines Magnetstabes in der Dunkelkammer - mit Hilfe zweier klassischer gesunder Dunkeladaptier­ter, Herrn Josef P6ra und Frl. Hedwig Kaindl - zeigte sich, daß, wenn der Stab in der Meridianebene lag, mit dem N.-Pol nach Norden und dem S.-Pol nach Süden, der erstere blau, der andere rot leuchtete, die Mitte hell glänzte. Die Gestalt des Objekts wurde ziemlich richtig be­schrieben. Wird jetzt der Stab um 1800 gedreht, so erscheint der S.-Pol blau und der N.-Pol rot. Dies ergibt einen Fundamentalsatz: Nicht die

#SE291a-490

Emanationsspannung an und für sich, sondern ein Einfluß oder Einflüsse aus dem Milieu sind mitentscheidend.

So wie der Magnetstab reagieren sämtliche Eisenstoffe und Präparate inklusive des Stahls und der Meteoriten [s. «Die latenten (Reichenbach­schen) Emanationen der Chemikalien», Wien 1915, Verlag Konegen].

Auch bei Krystallen ergibt der nach Norden gerichtete Teil - die Längsachse im Meridian - blaue, der nach Süden gerichtete Teil rote Leuchte. Bei Umkehrung um 1800 entgegengesetzte Leuchte des Teils nach Norden wieder blaue, der nach Süden gerichtete rote Leuchte.'

Auch diese Versuche bestätigen den obigen Fundamentalsatz. Ein zweiter wichtiger Fundamentalsatz lautet: Keine Nachweisme­thode von Emanationen - kein «Indikator» - weist alle Emanationen nach. Die Leuchtemanation der Krystalle und des Magnetstabs in der Dunkelkammer werden durch die Rute nicht nachgewiesen, da diese

wenigstens auf manche Krystalle nicht reagiert oder keine Polarität anzeigt. Diese reagiert auch nicht auf Urgesteine, während der Pendel, der sonst den größten Anschluß an die Rute hat, ein positives Ergebnis hat.

Im Erdinnern wirken Metalle, Erze, gewisse Salziager, Erdöle und Erdgase und vor allem Wasser auf die Rute, aber nicht die Elemente des «gewachsenen» Bodens . . .

1 Studiett habe ich Bergkrystall, Gypsspat, Baryt, Turmalin, Tremolith, Pyrophosphat, Salakrystall, Beryll, Kalkspat, Feldspat, Flußspat und Asbest. Das Material stellte mir der

Direktor des Hof-Mineralienkabinetts Herr Professor Berwerth zur Verfügung. Es wur­den nicht bloß Leuchtversuche gemacht, sondern auch andere im Sinne Reichenbachs. Die Veröffentlichung dieser Versuche, bei denen auch die Einwirkung der Krystallemanationen auf die Hohihand systematisch geprüft wurde. ist bis jetzt verhindert worden.

HINWEISE

#G291a-1990-SE493 Farbenerkenntnis

#TI

HINWEISE

I.

Der Einsatz für eine geistgemäße Wissenschaft der Farben

Die Farbenerkenntnis im Lebenswerk Rudolf Steiners

#TX

1 Vortrag Linz, 15. Mai 1915, GA 159.

2 Vortrag München, 21. August 1910, GA 122.

3 Von Goethe poetisch in dem Vers ausgedrückt: «Wenn der Blick an heitern Tagen / Sich zur Himmelsbläue lenkt / Beim Siroc [Wüstenwindl der Sonnenwagen / Purpurrot sich niedersenkt / Da gebt der Natur die Ehre /Froh, an Aug' und Herz gesund / Und erkennt der Farbenlehre / Allgemeinen ewigen Grund.»

4 Vortrag Dornach, 6. Oktober 1918, GA 184.

5 Vortrag Dornach, 14. März 1923, GA 349.

6 Vortrag München, 21. August 1910, GA 122.

7 Vortrag Köln, 29. Dezember 1912, GA 142.

8 Vortrag Dornach, 5. November 1916, GA172.

9 Vortrag Prag, 12.Juni 1918, GA273.

10 «Mein Lebensgang« (V. Kap.), GA28.

11 Vortrag Berlin, 6.Juli 1915, GA 157.

12 In «Briefe I«, GA38.

13 Joseph Kürschner (1853-1902), lebte von 1881-92 in Stuttgast und gab von 1882/83 bis

1901 die «Deutsche National-Litteratur« heraus.

14 Karl Rosenkranz (1805-1879), Philosoph. Siehe Rudolf Steiner «Die Rätsel der Philo­sophie«, GA18.

15 Ob dieser Aufsatz zustande kam, ist nicht bekannt. Erhalten hat sich der in dieser Zeit entstandene Aufsatz «Einzig mögliche Kritik der atomistischen Begriffe», abgedruckt in «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe», Nr.63, Michaeli 1978.

16 Autobiographische Skizze für Edouard Schuré (1907) in »Rudolf Steiner/Mane Steiner, Briefwechsel und Dokumente«, GA 262.

17 In «Methodische Grundlagen der Anthroposophie», GA30.

18 Vortrag Dornach, 27. Oktober 1918, GA 185.

19 Der Originalbrief liegt in der Handschriftenabteilung des »Schiller-Nationalmuseums, Deutsches Literaturarchiv« in Marbach a. N.

20 Rudolf Steiner, «Briefe I«, GA38.

21 In «Methodische Grundlagen der Anthroposophie 1884-1901«, GA 30.

22 Salomon Kalischer, Thorn 1843-1924 Berlin. Er absolvierte zuerst das jüdisch-theolo­gische Seminar in Breslau, dann studierte er Physik und Chemie. Zur Zeit von Rudolf Steiners Mitarbeit im Goethe-Archiv war er Professor für Physik in Berlin.

23 Rudolf Steiner, «Mein Lebensgang« (Kap. XXIV), GA 28.

24 Im Mitarbeiterbuch des Goethe-Archivs ist eingetragen: «27.-31. Dezember 1888. Dr. S. Kalischer aus Berlin (Farbenlehre).» (Vgl. hierzu Hinweis 25)

25 Was Kurt Franz David über die Beziehung Rudolf Steiners zu Kalischer als den beiden

#SE291a-494

Hauptherausgebern der naturwissenschaftlichen Schriften Jahrzehnte später im Goe­the-Archiv noch eruieren konnte, wurde von ihm in einigen Artikeln in der Wochen­schrift «Das Goetheanum« (50.Jg. 1971 und 61.Jg. 1982) berichtet.

26 Siehe Rudolf Steiner «Briefe I«, GA38.

27 Indem Exemplar in Rudolf Steiners Bibliothek findet sich diese und viele andere Stellen von seiner Hand angestrichen.

28 In «Briefe II», GA39.

29 Kurt Franz David in »Rudolf Steiners erste Goethearbeit und sein Verhältnis zu 5 Kalischer« in »Das Goetheanum» 50.Jg. (1971).

30 Ein schönes Echo, allerdings erst 14 Jahre später, kam von dem Farbenexperten Arnold Brass, siehe Seite 58.

31 Für Rudolf Steiner dagegen war das Kapitel «Goethe im Recht gegen Newton« keines­wegs abgeschlossen (Vortrag Berlin, 25.2.1916). Darum veranlaßte er bei sich bieten­der Gelegenheit, daß die Schrift Grävelis neu herausgegeben wurde (Verlag «Der Kommende Tag» 1922, mit einer Einleitung von Dr. Guenther Wachsmuth).

32 Goethe, «Sprüche in Prosa«. Rudolf Steiner fügt als Kommentar hinzu: «Metaphysik ist für Goethe die Kenntnis des in den Erscheinungen liegenden Allgemeinen, nicht die Erforschung eines Transzendentellen, Jenseitigen.»

33 Kalischer kam für seine Herausgabetätigkeit nicht oft nach Weimar. Aber wenn er karn, gab es zwischen den beiden Hauptbearbeitern der naturwissenschaftlichen Schriften ganz sicher Gespräche. Das bestätigt die Bemerkung auf einer Postkarte Kalischers an das Archiv vom 30. Dezember 1891: «Bitte Herim Dr. Steiner zu grüßen.» Vgl. David, Hinweis 25.

34 Vortrag Berlin, 26. März 1912, GA 133.

35 Vortrag München, 28. August 1911, GA 129.

36 Siehe «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?« (Kap.: Über einige Wir­kungen der Einweihung), GA 9.

37 Enthalten in «Lucifer-Gnosis. Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie», GA 34.

38 In «Sprüche in Prosa».

39 Aufsatz «Die chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz» (1917/18) in «Philoso­phie und Anthroposophie», GA 35.

40 Moritz Benedikt, «Ruten- und Pendellehre», Wien und Leipzig 1917. Auszug siehe Seite 481.

41 Vgl. die Übersicht der Äußerungen Rudolf Steiners in dem Abschnitt «Farben der Aura des Menschen und der übersinnlichen Welt», Seite 178.

42 Als solche «Einzelheiten«, die Rudolf Steiner nicht verteidigen wollte, nennt er zum Beispiel, daß Goethe die Farbe des «farbigen Schattens« als vom Auge erzeugte physio­logische Wirkung auffaßte. Das müsse «korrigiert werden«, heißt es im Vortrag Stutt­gart, 30. Dezember 1919 (siehe auch den entsprechenden Hinweis dazu in GA 320, 2. Auflage 1987).

Ferner bemerkt Rudolf Steiner in einem Kommentar zu der von ihm besorgten

Ausgabe der «Geschichte der Farbenlehre« zu der Ansicht Goethes von den «Doppel-

bildern« bei den prismatischen Erscheinungen: «...es ist dies gerade der Punkt, wo die

Goethesche Farbenlehre einer wesentlichen Ergänzung und Verbesserung bedarf.«

(Goethes «Naturwissenschaftliche Schriften«, Band IV, GA Id, Seite 248; siehe auch

Gerhard Ott «Zur Entstehung der prismatischen Farben« in «Der Farbenkreis«, Heft 4,

Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart).

#SE291a-495

Zu dem, wie Goethe den 2. Versuch Newtons in dessen «Optik» behandelt, be­merkt Rudolf Steiner in seinem Kommentar: »Es ist ussserer Ansicht nach hier von Goethe ein Faktum angezweifelt, das er im Sinne seiner Theorie ganz wohl hätte erklären können» (folgt diese Erklärung). Vgl. Goethes «Naturwissenschaftliche Schriften», III. Band «Farbenlehre», GA lc, S. 352.

43 Siehe Vorwort Marie Steiners zur i. Auflage von »Das Wesen der Farben«, GA 291.

44 Vortrag München, 21. August 1910, GA 122.

Verteidigung von Goethes Farbenlehre

1 Vortrag Dornach, 21.Februar 1923, GA 291.

2 Siehe hierzu Rudolf Steiner, «Geisteswissenschaftliche Impulse zur Entwickelung der Physik. Erster naturwissenschaftlicher Kurs« (2. und 6. Vortrag), CA 320; sowie die Fragenbeantwortung vom 6. November 1913 (in diesem Band Seite 105).

3 Notizbuch Archivnummer 397. Die Übertragung in Klartext besorgte Günther Frenz. Die Aufzeichnungen dienten vermutlich als Konzept für den Vortrag, der nach dem ersten Besuch im Goethe-Archiv in Weimar im Wiener Goethe-Verein am 22. Novem­ber 1889 gehalten wurde unter dem Titel «Was Weimars Goethe-Archiv uns ist, auf Grund persönlicher Erfahrung». Das namentlich nicht gezeichnete Referat aus der «Chronik des Wiener Goethe-Vereins«, siehe Seite 41.

4 Siehe Goethes «Naturwissenschaftliche Schriften« in der «Deutschen National-Littera­tur«, Band II (1887) S. XXXVIII L Der dort in Rede stehende Aufsatz Goethes wurde später aufgefunden und in Band V, Seite 593 f. abgedruckt. Siehe auch Rudolf Steiner, «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung mit besonde­rer Rücksicht auf Schiller« (1886), S. 61 Fußnote, CA 2.

5 Siehe hierzu Goethes Aufsatz «Der Versuch als Vermittler von Objekt und Subjekt« mit den Anmerkungen Rudolf Steiners in Band II der naturwissenschaftlichen Schriften in der «Deutschen National-Litteratur«, S. 10 f.

6 Siehe Karl Friedrich Jordan, «Goethe und noch immer kein Ende! Kritische Würdi­gung der Lehre Goethes von der Metamorphose der Pflanzen«, Hamburg 1888, und Du Bois-Reymond, «Goethe und kein Ende« (Vortrag), 1886.

7 Am 11.Oktober 1828.

8 Wörtlich: «Der Mensch an sich selbst, insofern er sich seiner gesunden Sinne bedient, ist der größte und genaueste physikalische Apparat, den es geben kann, und das ist eben das größte Unheil der neuern Physik, daß man die Experimente gleichsam vom Men­schen abgesondert hat und bloß in dem, was künstliche Instrumente zeigen, die Natur erkennen, ja, was sie leisten kann, dadurch beschränken und beweisen will.» Aus «Sprüche in Prosa«.

9 Siehe hierzu auch Rudolf Steiners Anmerkung zu Goethes «Enthüllung der Theorie Newtons« in Band III der naturwissenschaftlichen Schriften in der «Deutschen Natio­nal-Litteratur», S. 331 f.

10 Der Bericht des namentlich nicht genannten Reierenten erschien im Organ des Wiener Goethe-Vereins «Chronik des Wiener Goethe-Vereins», 4.Jg.

11 Großherzogin Wilhelmine Marie Luise Sophie von Sachsen-Weimar (1824-1897), Tochter des Königs Wilhelm II. der Niederlande. Gründerin der Goethe-Gesellschaft und des Goethe-Archivs und Protektorin der großen Weimarer Goethe-Ausgabe.

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12 Bernhard Suphan (1845-1911), Literaturhistoriker, von 1887 bis 1911 Direktor des Goethe-Schiller-Archivs in Weimar, redigierte die Weimarische Goethe-Ausgabe.

13 Das vollständige Manuskript ist abgedruckt in «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamt­ausgabe«, Heft 46, Sommer 1974.

14 Goethe, Materialien zur Geschichte der Farbenlehre. Konfession des Verfassers. Natw Schr., 4. Bd., 2. Abt., S. 129.

15 Zu den Komplementärfarben siehe Goethes Farbenlehre, § 50 und Fußnote zu § 809. Goethe nennt Komplementärfarben solche, die sich zur Totalität des Farbenkreises ergänzen (§§ 803-809). «Weiß» ergeben solche Farben nur, wenn sie durch Übereinan­derblenden zusammengebracht und so in ihrer Eigenart jeweils neutralisiert werden. Siehe Gerhard Ott «Zur Frage der sog. additiven und subtraktiven Farbmischungen bei Beleuchtungs- und Malfarben» in «Goethes Farbenlehre«, Stuttgart Taschenbuchaus­gabe Bd. 1, S. 340 ff. und »Zum Verständnis der Farbmischung im Sinne Goethes« in «Der Farbenkreis«, Heft 5, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1986.

16 Siehe Goethe in der Einleitung zur Farbenlehre: «Das Auge hat sein Dasein dem Licht zu danken. Aus gleichgültigen tierischen Hilfsorganen ruft sich das Licht ein Organ hervor, das seinesgleichen werde, und so bildet «ich das Auge am Lichte fürs Licht, damit das innere Licht dem äußeren entgegentrete.» Er sagt auch: «Im eigenen Auge schaue mit Lust / Was Plato von Anbeginn gewußt. / Denn das ist der Natur Gehalt, / Daß außen gilt, was innen galt.»

17 Siehe «Rudolf Steiner, Vortrag Stuttgart 30. Dezember 1919 sowie Gerhard Ott und Heinrich O. Proskauer «Das Rätsel des farbigen Schattens, Versuch einer Lösung«, Basel 1979, sowie G. Balastér «Vom Problem der farbigen Schatten» in «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe«, Nr.97, Michaeli 1987.

18 Es handelt sich um die sog. «Benham-Scheibe».

19 Es kann sich hier nicht um die spekulativ von Newton in das Licht hineingedachten «Strahlen« handeln, vielmehr um dasjenige, was Rudolf Steiner später als die Ätherar­ten im Spektrum bezeichnet hat. Siehe z. B. «Geisteswissenschaftliche Impulse zur Entwickelung der Physik, zweiter naturwissenschaftlicher Kurs«, GA 321 (12. Vortrag usw.).

20 Siehe hierzu «Geisteswissenschaftliche Impulse zur Entwickelung der Physik, erster naturwissenschaftlicher Kurs«, GA 320 (Diskussionsvotum anstelle eines Vorworts).

21 Siehe Kapitel «Totalität und Harmonie«, §§ 803-815 in Goethes Farbenlehre.

22 Siehe Goethes Farbenlehre, Taschenbuchausgabe Stuttgart, Band 2, S. 144 f.

23 Siehe Goethes Farbenlehre, ferner Rudolf E. Maier «Das Urphänomen der Lichtbeu­gung« in «Der Farbenkreis«, Heft 2, herausgegeben vom »Goethe-Farbenstudio« Dor­nach, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart.

24 Siehe hierzu die Zeichnung in Goethes Farbenlehre zu § 311 mit Fußnote von Rudolf Steiner (Band III der Kürschner-Ausgabe, GA 1c).

25 Siehe die Vorträge Stuttgart, 24. und 25. Dezember 1919, GA 320.

26 Arnold Brass (*22. 5. 1854 in Arolsen), in Kürschners Gelehrtenlexikon als Anthropo­loge angeführt. Seine Schrift zur Farbenlehre: «Untersuchungen über das Licht und die Farben«, erschien 1906 im Verlag von A. W. Ziekefeldt, Osterwieck / Harz.

27 Von seinem Leben und seinen Schwierigkeiten ist nichts Näheres bekannt.

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Weite rführun gen der Goetheschen Farbenlehre

1 Vortrag Stuttgart, 1.Januar 1921, GA323.

2 Vgl. auf Seite 73 und 74

3 Vgl. Goethes Farbenlehre (Beiträge zur Optik).

4 Vorträge Stuttgart, 8. und 9. März 1920, GA 321.

5 Vortrag Stuttgart, 8. März 1920, GA 321.

6 Siehe Rudolf Steiner, »Belcuchtungs- und Kostümangaben für die Laut-Eurythmie. Deutsche Texte III«, Dornach 1982, S. 419-421.

7 Vortrag Dornach, 20. März 1920, GA 198.

8 Vortrag Dornach, 6. Mai 1921, GA 291.

9 J. W. Goethe, «Naturwissenschaftliche Schriften«, hrsg. von Rudolf Steiner, Fünfter Band (Zweite Abtlg. des vierten Bandes), S. 147; GA 1e.

10 Eugen Dreher (Stettin 1841-1900 Berlin). Siehe dessen «Beiträge zu unserer modernen Atom- und Molekular-Theorie auf kritischer Grundlage«, Halle 1882.

11 Ergebnisse seiner Arbeit im wissenschaftlichen Forschungsinstitut in Stuttgart veröf­fentlichte Rudolf Maier im Jahre 1923 unter dem Titel «Der Villardsche Versuch mit 8 Tafeln«; im März 1923 erschien sein Artikel «Das Urphmomen der Lichtbeugung« in «Die Drei«, 2.Jg., 12. Heft, neu abgedruckt in «Der Farbenkreis« Heft 2, hrsg. vom Goethe-Farbenstudio am Goetheanum, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1982.

12 Hans Kühn, «Dreigliederungs-Zeit. Rudolf Steiners Kampf für die Gesellschaftsord­nung der Zukunft«, Dornach 1978, S. 114.

13 Aus: «Willem Zeylmans van Emmichoven. Ein Pionier der Anthroposophie», hrsg. von Emanuel Zeylmans, Arlesheim 1979, S. 76 ff.

14 Hier gilt es zu berücksichtigen, daß der Aufsatz in den zwanziger Jahren geschrieben wurde. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte konnten auf diesem Gebiet erhebliche Fortschritte erzielt werden.

15 Hans Buchheim (Stuttgart 13.Januar 1899 - 5.Januar 1987 Hamburg). Nach seiner Schulzeit und ersten Erfahrungen in der Industrie nahm er ein Ingenieurstudium auf, das er erfolgreich zum Abschluß bringen konnte. Bereits als Schüler hatte er einige Vorträge von Rudolf Steiner gehört, und so war es für ihn nur konsequent, nach Abschluß seines Studiums als Mitarbeiter in das dem «Kommenden Tag« angeschlos­sene Forschungsinstitut in Stuttgart einzutreten, wo er an der Seite von Dr. Rudolf E. Maier vier Jahre tätig war. Zu seinem Aufgabenbereich gehörte der Aufbau der techni­schen Einrichtung, der verbunden war mit dem Entwerfen und Konstruieren entspre­chender technischer Apparaturen für physikalische und chemische Versuche. Daneben führte er auch Erdstrom- und Gravitationsmessungen sowie Arbeiten mit Galvanome­tern bei Leitfähigkeitsuntersuchungen durch.

1924-1930 setzte er seine Forschungen in der Firma von Alfred Maier in Einsingen fort, wo er Experimente zur technischen Verwertung von Naturhorn und für die Verarbeitung von Torffasern durchführte. In den folgenden vier Jahren widmete er sich der Entwicklung der noch auf Anregungen Rudolf Steiners zurückgehenden Maschine (Zentrifuge) zur Aktivierung des Viscumpräparates im Zusammenhang mit der Krebs-therapie in Arlesheim. 12 Jahre war er dann als Betriebsingenieur bei der Firma Rhenania-Ossag in Hamburg, weitere 10 Jahre bei der Schleswig-Holsteinischen Stromversorgungs-Aktiengesellschaft in Rendsburg tätig. Weitere 10 Jahre, bis zu seiner Pensionierung, arbeitete er als technischer Leiter bei der Firma Landis & Gyr in Hamburg.

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16 Ernst Lehrs, »Gelebte Erwartung. Wie ich zu Rudolf Steiner und dank ihm eine Strecke Weges zu mir selber fand«, Mellinger Verlag, Stuttgart 1979, S. 198.

17 Die meisten der hier wiedergegebenen Äußerungen von Frau Woloschin über Rudolf Steiners Besuch in Einsingen erinnert sich Dr. G. A. Balastér in gleicher Weise von ihr gehört zu haben. Sie hatte Einsingen so erlebt, daß sie Wert darauf legte, die Vorgänge möglichst genau einer Reihe von Menschen weiterzugeben. Sie berichtete auch, daß Rudolf Steiner im dort versammelten Kreise sagte, der Name Einsingen werde einmal des Versuches wegen in der Welt bekannt werden. - Emil Leinhas, Direktor des »Kommenden Tages», erzählte, wie Rudolf Steiner in einer Sitzung des «Kommenden Tages» die Bedeutung des Versuches dadurch illustrierte, daß er sagte: Wenn man in einem Glas eine Fliege in den Raum des Spektrums bringen würde, so würde sie darin außergewöhnlich lebendig werden. (Mitgeteilt von Dr. G. A. Balastér.)

18 Vortrag Dornach, 9.Juni 1923, GA 291.

19 Vortrag Stuttgart, 18.Januar 1921, GA 323.

20 Siehe Hugo Magnus, »Farben und Schöpfung. Acht Vorlesungen über die Beziehung der Farben zum Menschen und zur Natur», Breslau 1881.

21 Siehe dazu Rudolf Steiners Einleitungen zu Goethes Farbenlehre, Band III der Kürsch­ner-Ausgabe, GA lc, bes. S.211 «Goethe gegen den Atomismus». Ferner «Goethes Weltanschauung« (Kap. «Die Betrachtung der Farbenwelt»), GA 6.

22 Siehe André Bjerke »Neue Beiträge zu Goethes Farbenlehre», Stuttgart 1963, bes S. 58 ff.

23 Brentanos Kapitel «Vom phänomenalen Grün» schließt mit den Worten: «Daß ich mich aber zugleich freue, daß auch unser Goethe, im Gegensatz zu dem, was man jetzt gemeiniglich glaubt, in unserem Falle seinen gesunden objektiven Blick bewahrt hat, werden Sie auch verstehen, ja, wenn ich so glücklich gewesen sein soUte, Sie zu überzeugen, die Freude darüber mit mir zu teilen.»

24 Die größten Verständnisschwierigkeiten gegenüber Goethes Farbenlehre scheint der neueren Physik Goethes Auffassung von der Finsternis als Realität zu bereiten. Be­trachtet sie doch die Finsternis als bloße Abwesenheit von Licht, als pures Nichts. Das kann allerdings nicht etwa durch die Wahrnehmung von Schwarz durch das Auge gestützt werden. In einer Anmerkung in Goethes Farbenlehre schreibt Rudolf Steiner:

«Die Empfindung des Schwarz ist eine positive Empfindung, nicht die Abwesenheit jeglicher Empfindung. Wir haben bei geschlossenen Augen eine ganz bestimmte Vor­stellung über die Ausdehnung des schwarzen Gesichtsfeldes. Wir lassen es sich nur so weit erstrecken, soweit die Möglichkeit reicht, daß wir sehen können. Auf diejenigen Teile des Raumes, in denen ein Sehen nach der Lage der Augen nicht möglich wäre, übertragen wir die Empfindung des Schwarzen nicht. Hierinnen liegt die Berechtigung, das Schwarz als einen Zustand des Sehorgans aufzufassen, wenn es auch durch den völligen Mangel alles Lichtes hervorgerufen wird (siehe Helmholtz: «Physiologische Optik«, 2. Auflage, S. 324). Schwarz ist die Empfindung des nicht Leuchtenden Körperli­chen. « («Physiologische Farben», zu § 6).

Bei der einseitigen Blickrichtung bloß auf das Licht wird zumeist übersehen, daß dieses selbst für das Auge ebensowenig sichtbar ist wie die Finsternis, denn »Weiß ist im Sinne Goethes nur der Repräsentant des Lichtes, während es von der Newtonschen Optik geradezu als Licht selbst angesprochen wird. Man kann aber höchstens sagen, Weiß sei ein Zustand der Materie unter dem Einfluß des unveränderten Lichtes oder weiß erscheine eine Materie, die sich als undurchsichtig dem Licht widersetzt.« So Rudolf Steiner in einer anderen Fußnote in Goethes Farbenlehre (zu § 29 der «Beiträge zur Optik»). Man hat also zu unterscheiden zwischen Weiß und Licht und Schwarz

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und Finsternis. Licht tritt nur in den Kreis der Sichtbarkeit, wenn es ein Nicht-Licht findet, von dem es aufgefangen wird.

Im 6. Vortrag des ersten naturwissenschaftlichen Kurses (GA 320) zeigt Rudolf Steiner den Grund für die Schwierigkeit, die Finsternis in ihrer Wirksamkeit zu erleben, auf: ... . man kann vergleichen jene Empfindung, die man hat, wenn man sich mit dem lichterfüllten Raum zusammenfindet... mit einer Art Einsaugen des Lichtes durch unser seelisches Wesen. Wir empfinden ja eine Bereicherung, wenn wir im lichterfüllten Raum sind . . . Wie ist es denn mit der Dunkelheit? Da ist es genau die entgegengesetzte Empfindung. Die Dunkelheit saugt an uns, die saugt uns aus, der müssen wir uns hingeben, an die müssen wir etwas abgeben. So daß wir sagen können: Die Wirkung des Lichtes auf uns ist eine mitteilende, die Wirkung der Dunkelheit auf uns ist eigentlich eine saugende. Und so müssen wir auch unterscheiden zwischen den hellen und dunklen Farben.« Die Wirkung des Lichtes ist für unser Bewußtsein eine wek­kende, diejenige der Dunkelheit eine einschläfernde: «Es ist eine ganz ähnliche Erschei­nung des Aufhörens unseres Bewußtseins, wenn wir uns von den immer helleren Farben her den dunkleren, dem Blau und Violett, nähern.« - Die Finsternis will uns demnach einschläfern, das Bewußtsein rauben. Und es bedarf einer gesteigerten Auf­merksamkeit, einer wenn auch nur geringen Bewußtseinserweiterung, um die Finster­niswirkung als eine dem Licht polar entgegengesetzte zu erleben. Hier wird nun eine solche Notizbucheintragung Rudolf Steiners verständlich wie die folgende: »Eine gelbe Fläche verändert mich - ich muß etwas in mich aufnehmen - eine blaue ruft mich auf zum mich Zusammennehmen in mir - aus dem Willen steigt etwas auf; beim Gelben fülle ich den Kopf aus mit Fremdem - ich nehme wahr - beim Blauen - will ich» (siehe auf Seite 312).

25 Siehe «Das Wesen der Farbe», GA 291.

Der Farbwahrnehmungsprozeß

1 Vortrag Dornach, 21. Februar 1923, GA 291.

2 Siehe auf Seite 133 f.

3 29. April 1924, GA 300 c.

4 In «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe», Nr.63, Michaeli 1978.

5 Heute die elektromagnetische Strahlung.

6 Heinrich Rickert (1863-1936), Philosophieprofessor in Heidelberg, Schüler und Nach­folger von Wilhelm Windelband. Stockmeyer erwahnt ihn im angeführten Artikel (s. nachfolgenden Hinweis).

7 E. A. Karl Stocltmeyer «Vom Gedankenltampf um die Wirklichkeit - Sklzzen zur Erkenntnistherorie der Gegenwart» in »Das Reich», 2. Jg, April 1917.

8 Das Buch wurde von Rudolf Steiner nicht beendet. Es liegt heute in der Gesamtausgabe vor unter dem Titel »Anthroposophie - ein Fragment aus dem Jahre 1910», GA 45. Da. W. J. Stein sich damals nur Notizen machen durfte, weichen einige wenige Ausdrücke vom Originaltext ab.

Die geschichtliche Entwicklung der Farbwabrnehmung

1 Rudolf Steiner, Vortrag Dornach, 20. März 1920, GA 198.

2 In der Zeitschrift «Gegenwart«, 7.Jg. Nr.6, September 1945.

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Der Regenbogen. Seine Entstehung in der Erdgeschichte

1 Vortrag Dornach, 25. Oktober 1914, GA 287.

2 Vgl. hierzu »Zur Geschichte und aus den Inhalten der erkenntniskultischen Abteilung der Esoterischen Schule 1904-1914», GA 265.

3 Zitiert nach Hermann Beckh, »Die Offenbarung des Regenbogens» in der Zeitschrift «Die Christengemeinschaft», Dezember 1928.

4 Siehe «Bilder okkulter Siegel und Säulen. Der Münchner Kongreß Pfingsten 1907 und seine Auswirkungen«, GA 284.

5 Überliefert von Friedrich Rittelmeyer.

6 Es handelt sich um Vortragsnotizen, noch nicht innerhalb der Gesamtausgabe erschie nen; abgedruckt in «Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht. Nachrich­ten für deren Mitglieder«, Jg. 1936, Nr.45.

7 I. Mos. 9, 13-17.

8 In der nordischen Mythologie führt ein Regenbogen von der Götterburg Walhall zur Erde, über welchen die Götter mit den Menschen verkehren.

9 Gemeint ist die Zeitschrift «Luzifer«, später «Lucifer-Gnosis» und die darin erschiene­nen Aufsätze «Aus der Akasha-Chronik«, GA 11; siehe den Artikel »Unsere atlanti­schen Vorfahren« -

Die Inkarnatfarbe

1 Vortrag Dornach, 17. Februar 1923, GA 221.

2 Vortrag Dornach, 22. September 1918, GA 184.

3 Vortrag Wien, 1.Juni 1918, GA 271.

4 Vortrag Dornach, 3. September 1916, GA 170.

5 Vorträge Berlin, 1.,2., 9. April1918 und München, 16., 17. Februar und 5., 6.Mai 1918, GA 181; GA 174a/271.

Farben der Aura des Menschen . . .

1 Aus dem Aufsatz «Von der Aura des Menschen», GA 34.

2 Enthalten in GA 35.

3 Mentalleih = die sogenannten höheren Wesensglieder: Gesstselbst, Lebensgeist, Gei­stesmensch.

4 Pitris = Väter oder Vorfahren der Menschen auf dem alten Mond.

5 Arupa = Formlosigkeit.

6 Adept = Eingeweihter.

7 Hier wird offensichtlich Bezug genommen auf die Darstellungen von Th. Ziehen in «Leitfaden der Physiologischen Psychologie in 15 Vorlesungen« (13. Vorlesung). Ein Exemplar der 2. Auflage Jena 1893 befindet sich mit Anstreichungen von Rudolf Steiners Hand in seiner Bibliothek.

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Komplementärfarben und Farbenmeditationen

1 Siehe Seite 221 f.

2 Vgl. hierzu die Notizen vom Sommer 1903 auf Seite 53 ff. und den Abschnitt »Der Farbwahrnehmungsprozeß» .

3 Wahrspruch Rudolf Steiners, entstanden Weihnachten 1919 während der Vorträge »Geisteswissenschaftliche Impulse zur Entwickelung der Physik I. 1 . naturwissen­schaftlicher Kurs: Licht, Farbe, Ton - Masse, Elektrizität, Magnetismus.», GA 320.

4 In anderen Zusammenhängen finden sich teilweise andere Entsprechungen angegeben:

z. B. für die Eurythmie oder auf der Farbskizze «Der Mensch im Zusammenhang mit den Planeten«, was nicht als Widerspruch, sondern als Ausdruck verschiedener Aspekte zu verstehen ist. Siehe hierzu z.B. Vortrag Wien, 1.Juni 1918, GA 271.

5 Hier folgen noch einige auf anderes sich beziehende Notizen.

6 Vortrag Dornach, 18. September 1924, GA 282.

#TI

II.

Farbenerkenntnis und künstlerisches Schaffen

Rudolf Steiners Weg zum Malen aus der Farbe heraus

#TX

1 Vortrag Wien, 1.Juni 1918, GA 271.

2 Aus dem zweiten Mysteriendrama «Die Prüfung der Seele«, GA 14.

3 »Geniale Verirrungen«, «Fanatiker des Häßlichen und Bizarren« usw. lauteten dama­lige Kritikerstimmen, angeführt in der Schrift von Cornelius Gurlitt »Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts», Berlin 1899. Dieses Buch befindet sich in Rudolf Steiners Bibliothek und weist Anstreichungen von seiner Hand auf. Gurlitt erwahnt auch die ebenfalls in Rudolf Steiners Bibliothek vorhandene, 1884 erschienene Schrift von Guido Hauck «Arnold Böcklins Gefilde der Seligen und Goethes Faust». Haucks Schrift wurde damals von Rudolf Steiner besprochen, jedoch konnte die Besprechung bis heute nicht aufgefunden werden. Haucks Tochter Hedwig, Lehrerin an der ersten Waldorfschule in Stuttgart, berichtet, daß Rudolf Steiner ihr einmal von ihrem Vater gesprochen habe: «Nach einem seiner Vorträge kam er auf mich zu und fragte: Wie hieß das Buch, das Ihr Herr Vater über Böcklin - da stockte er - und Faust geschrieben hat? - Ich half ein: Böcklins Gefilde der Seligen. - Dann fuhr er fort: Ich hatte es immer in meiner Bibliothek und konnte es gestern abend nicht finden. Ich habe es selbst vor Jahren besprochen, es ist das beste, was Ihr Herr Vater geschrieben hat. Ihr Herr Vater war ein bedeutsamer Geist.» Siehe »Der Lehrerkreis um Rudolf Steiner in der ersten Waldorfschule«, Stuttgart 1977.

Die Annahme des Jahres 1882 beruht auf der Angabe Gurlitts, daß damals in Wien Böcklins «Pieta« ausgestellt war. Rudolf Steiner gibt selbst zwei verschiedene Jahres-zahlen an: einmal 1888 (im autobiographischen Vortrag Berlin, 4. Februar 1913 in »Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe» Nr.83/84), dann 1884 in einer Fragenbe­antwortung Basel, 28. April 1920. Die Tatsache, daß er für die 1884 erschienene Schrift von Guido Hauck »Arnold Böcklins Gefilde der Seligen und Goethes Faust« eine Besprechung geschrieben hat, läßt ebenfalls vermuten, daß er nicht erst 1888 zum erstenmal Böcklinsche Bilder gesehen hat.

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4 Autobiographischer Vortrag Berlin, 3. Februar 1913, in «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe» Nr.83/84.

5 Landschafts- und Bildnismaler (1855-1928). Von 1885-90 Professor an der Kunst­schule in Weimar.

6 Vortrag Dornach, 27. Oktober 1918, GA 185.

7 «Aus meiner Weimarer Zeit» in «Freiburger Zeitung« vom 15.-18.Juni 1931.

8 Maler Böhm: Naheres nicht bekannt.

9 Nach Mitteilung der Familie Liebich hat sich davon im Nachlaß nichts gefunden.

10 Anna Eunike (1853-1911), seit 1899 Anna Steiner. Siehe Rudolf Steiner »Mein Lebens-gang», GA28, und «Briefe II 1890-1925», GA 39.

11 In »Neues Wiener Journal» vom 29. Juni 1928.

12 Robert Hamerling, (1830-1889), österreichischer Dichter Siehe Rudolf Steiner «Mein Lebeosgang«, GA 28.

13 Otto Erich Hartleben (1864-1905). Siehe Rudolf Steiner «Mein Lehensgang», GA 28.

14 Vortrag Dornach 23. November 1919, GA 194.

15 Joseph Mallord William Turner (1775-1851). Einer der Hauptmeister der englischen Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts.

16 Brief aus London vom 13.Juli 1902 in Anna Steiner-Eunike in «Briefe 1», GA38.

17 Hilde Boos-Hamburger, «Turners Streben zur Farbe» in «Blätter für Anthroposo­phie«, 1953, Nr.7/8.

18 Vgl. Johanna Mücke/Alwin Rudolph, «Erinnerungen an Rudolf Steiner und seine Wirksamkeit in der Arbeiterbildungsschule in Berlin 1899-1904», Basel 1979.

19 Vortrag Dornach, 9. April 1921, über die Psychologie der Künste, GA 271.

20 Aufsatz und Vortrag sind abgedruckt in «Kunst und Kunsterkenntnis», GA 271.

21 Vortrag Wien, 1.Juni 1918, GA 271.

22 Margarita Woloschin «Aus Tagebuchaufzeichnungen» in »Erinnerungen an Rudolf Steiner. Gesammelte Beiträge aus den Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland 1947-1978«, Stuttgart 1979.

23 Vortrag Prag, 15. Mai 1915, Linz 18. Mai 1915, beide in GA 159/160.

24 Arild Rosenkrantz (1870-1964). Siehe seinen Erinnerungsaufsatz «Rudolf Steiners Einfluß auf mein Leben« in der Zeitschrift «Stil» 1980/81 und 1981/82.

25 Edith Maryon, englische Bildhauerin (1872-1924), seit 1914 Mitarbeiterin Rudolf Stei­ners am Goetheanum in Dornach.

26 Vortrag Dornach 13. Dezember 1919, GA 194.

27 Vortrag Dornach 3. April 1915, GA 161.

28 Vortrag Berlin 6. Februar 1917, GA 175.

29 Vortrag Berlin S. Mai 1909, GA 284.

30 Vergleiche Hinweis 27.

31 Vortrag Dornach 29. Oktober 1917, GA 292.

32 In «Blätter für Anthroposophie«, 10.Jg. 1958, Nr.9.

33 Vortrag Berlin 3.Juli 1918, GA 181.

34 Die beiden doppelt gehaltenen Münchner Vorträge 15./17. Februar und 5./6. Mai 1918 und der Wiener Vortrag vom 1.Juni 1918 sind enthalten in dem Band «Kunst und

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Kunsterkermtnis«, GA 271. Siehe auch den Vortrag Dornach, 17. August 1918, in »Die Wissenschaft vom Werden des Menschen», GA 183.

35 Louise Clason, siehe Hinweis 32.

36 Zu Friedrich Rittelmeyer.

37 »Architektur, Plastik und Malerei des Ersten Goetheanum» (Doruach 23.-25.Januar

1920), GA289.

38 Vortrag Dornach 13. Mai 1921, GA 204.

39 Siehe die Mappe Rudolf Steiner, «Ein malerischer Schulungsweg«, Dornach 1986.

40 Näheres hierüber in der Sachgruppe «Farbe in Erziehung und Unterricht«.

41 Als Faksimile-Reproduktionen heute Teil der Rudolf Steiner Gesamtausgabe. Siehe auch die Mappe «Rudolf Steiner, Ein malerischer Schulungsweg».

42 Zum 50. Todestag von Gysis (4.1.1951) wurde durch C. S. Picht in der Zeitschrift «Blätter für Anthroposophie» (1951, Nr.12) dem Abdruck der Ansprache Rudolf Steiners und einer Schwarz-Weiß-Wiedergabe des Bildes folgende kurze Lebensskizze beigegeben:

In Nikolaus Gysis begegnet man einer malerisch hochbegabten, intelligenten und überaus liebenswerten Persönlichkeit, geadelt durch den künstlerischen Genius ihrer griechischen Heimat. Durch die historischen Zusammenhänge des bayri­schen Königshauses mit Griechenland - wenn auch nur mittelbar - gelangte Gysis im Jahre 1865 nach München. Die Kunststadt wurde ihm eine zweite Heimat und Stätte des Lernens, Arbeitens und Wirkens - abzüglich eines Aufenthaltes in Athen - für dreiunddreißig Jahre. Von der deutschen Malerei jener Zeit zunächst überschattet, beeinflußt, aber schulmäßig auch weitgehend gefördert, glimmt der Funke des Griechischen in Gysis unter der Überschattung fort, beginnt mehr und mehr zu leuchten, um schließlich in wunderbarer Metamorphose sich im letzten Werk in strahlendem Glanze zu zeigen.

Es kann, wer nicht weitsichtiger zu denken gelernt hat, mit dem Schicksal hadern, daß es dem Leben des Künstlers ein Ende setzte, als er die Stufe der vollen Reife betrat. Fruchtbarer ist es, zu erkermen, daß die ungeheure Vielseitigkeit dieses Lebenswerkes, die sich bis in Kleinplastik von entzückenden Formen und Bewegungen erstreckte, ein stetes Streben zu diesem Ziele hin war, und daß die erreichte Stufe sich in einer so überwältigenden Größe ankündigte, die als Krö­nung eines Lebenswerkes kaum noch zu überbieten gewesen wäre. Man muß, um solche Worte nicht als leere Hyperbeln zu empfinden, sich ein halbes Jahrhundert zurückversetzen, an der damaligen Zeit messen, was dieses letzte Werk damals bedeutete, und dann wiederum staunend wahrnehmen, was es heute noch ist.

Der Künstler ist im Jahre 1842 auf der kleinen griechischen Insel Tinos, einer der Cykladen, geboren. Die Sonnenpracht des Südens und das weite Meer mit seinem Farbenspiel boten sich dem Auge des Kindes und heranwachsenden jun­gen Menschen dar. Er wird dann Schüler des Polytechneion in Athen und bei einer Gelegenheit König Otto von Griechenland, einem Sohne Ludwigs I. von Bayern, als der begabteste vorgestellt. Ein Gönner vermittelt ihm ein Stipendium, das aber vier lange Jahre auf sich warten läßt; dem Vierundzwanzigjahrigen ermöglicht es die Fortsetzung des Studiums in München. Pilory wird der Lehrer des angehenden Künstlers, Defregger sein Freund. So ähneln die ersten Arbeiten jener Zeit diesen realistisch malenden Mentoren, sie freilich an Vornehmheit, Innigkeit und Farbgebung weit übertreffend. Eine Reise durch Italien nach Grie­chenland und von dort in den Orient bindet innerlich erneut den Tinoten an die Heimat und gibt Anregungen und reichen Stoff für weitere Arbeiten. Szenen aus

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dem Volke, Genrebilder, auch Allegorien, Stilleben und Porträte entstehen nun im Fortgang der Jahre, unterbaut durch eine unendliche Fülle von Handzeichnungen und Studienblättern Diese Arbeiten zeigen neben der Beherrschung des Techni­schen das tiefe Gemüt ihres Schöpfers und den großen Sinn für Charakteristik, vielfach verbunden mit ungewöhnlich feinsinnigem Humor. Eine andere Reise führt durch Tirol nach Venedig. Für die Ca d'oro dort schwärmt der Künstler so sehr, daß er erklärt, er müsse in früheren Zeiten gewiß einmal dort gelebt haben.

Über den Seitenweg der Plakatkunst und ähnlicher Gelegenheitsarbeiten meldet sich dann die eigentliche Mission des Künstlers, die Monumentalmalerei an. Gysis bildet damit als zweite Stufe seiner Entwicklung eine Art neugriechische Kunst aus, nicht frei von akademischen und Stilisierungsmomenten, aber diese durch Formvollendung, Klarheit und edelste Gestaltung ausgleichend. Das Kunstleben Münchens vom letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts ist ohne diese Note undenkbar. Man erinnere sich nur an das von Gysis geschaffene, durch Jahrzehnte verwendete Plakat für die Jahresausstellungen im Glaspalast. Mit einem Wandge­mälde für das Gewerbemuseum Nürnberg («Triumphzug der Bavaria«), gräzisie­rend in den Linien und schlanken Formen der Gestalten, erfährt diese Entwick­lungsstufe ihre Vollendung. Von 1882 an wirkt Gysis auch als Lehrer an der Akademie der Künste.

Auf einer dritten Stufe strebt Gysis in freierer Form weiter ins Große, es entstehen die Entwürfe zu ,Triumph der Religion« und »Jahrhundertwende»; es ist die Stufe der Reife. Das nahe Lebensende wohl kaum ahnend, unbeirrt weiter-schreitend, beginnt der Künstler um diese Zeit sich in die Evangelien zu vertiefen. Ihr Inhalt eröffnet sieh ihm durch das spirituelle Element seines griechisch-orthodoxen Glaubens. Es beschäftigen ihn die Hierarchien, die Verschiedenheit der Auffassung durch die östliche und die Kirche des Abendlandes. Es ergreifen ihn die Worte aus dem Matthäus-Evangelium im Gleichnis von den zehn Jung­frauen (25, 6. 31. 32): «Zur Mitternacht aber ward ein Geschrei: Siehe der Bräutigam kommt', - und: ,Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit und werden vor ihm alle Völker versammelt werden.' -Es fesseln den Künstler in der Offenbarung des Johannes die Verse (20, 11.21, 1.):

,Und ich sah einen großen weißen Stuhl und den, der daraufsaß. Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde verging, und das Meer ist nicht mehr.» - Und die künstlerische Intuition führt den Maler weit über die äußeren Worte - und sich selbst - hinaus, in die Tiefen ihres Sinnes, und läßt ihn die gewaltige Komposition entwerfen, ein apoka­lyptisches Bild, das, wie Rudolf Steiner es in seiner Ansprache ausgeführt hat, die ganze Entwicklung umfaßt und das zentrale Moment der Menschheitsevolution.

Montandon spricht 1902 am Ende seiner Gysis-Monographie, hoffnungsvoll fragend, von der «noch unbekannten Stadt, welche einst die Perle der Gysisbilder, den himmlischen Bräutigam», für sich erwirbt.« - Es ehrt den Künstler Gysis, nicht minder die Hauptstadt seiner Heimat, daß Athen sich rühmen darf, dieses einzigartige Werk eines der besten Söhne des Landes in treuer Hut zu bewahren. *

- - -

* Diesen Ausführungen liegen neben der Monographie «Gysis« von Mareel Mon­tandon (mit einer Einleitung von Franz von Lenbach), Bielefeld und Leipzig 1902, dankenswerte Hinweise einer in Bayern lebenden Tochter des Künstlers, Margarita Gysis, und wertvolle Mitteilungen der hochbetagt in Jerusalem leben­den Schülerin des Meisters, Anna Rychter, geb. May, zu Grunde. Es darf hier

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auch dem Leiter der National-Pinakothek, Athen, Dr. Marinos Calligas, zur sein Interesse und liebenswürdige Angaben Dank gesagt werden.

43 In Rudolf Steiner «Die Pforte der Einweihung« (3. Bild), GA 14.

44 Übertragung Rudolf Steiners in «Die Geheimnisse der biblischen Schöpfungsge­schichte. Das Sechstagewerk im i. Buch Moses», GA 122.

45 Das Gedicht wurde von Marie von Sivers (später Marie Steiner) rezitiert.

46 Vgl. Hinweis 43 (1. Bild).

47 Vgl. Hinweis 44.

48 In der Tradition der kirchlichen Farben kann Rot durch Gold ersetzt werden.

49 Vgl. Hinweis 44.

50 Hier machte C. S. Picht (vgl. Hinweis 42) folgende Anmerkung:

Im Lichtbildervortrag Rudolf Steiners vom i. November 1916 wurde über dieses Fresko Michelangelos «Die Erschaffung von Sonne, Mond und Erde» gesagt: «Hier sehen wir, wie in der Tradition noch gelebt hat in bezug auf die Weltenschöpfung, daß Jehova geschaffen hat gewissermaßen als der Nachfolger eines früheren Schöpfers, der von ihm überwunden wird und der abzieht. Das Zusammenklingen der neuen Welten-schöpfung mit der durch diese neue Weltenschöpfung übeiwundenen alten Welten­schöpfung zeigt sich hier auf diesem Bilde. Und deshalb kann man auch sagen: Solche Vorstellungen, wie sie in diesem Bilde ausgedrückt sind, sind durchaus verklüngen, sind nicht mehr da.« - Es wird also hier vom Vortragenden auf geisteswissenschaftlich erforschte Vorgänge in der Erdentwicklung hingewiesen, die auch im hebräischen Wortlaut der «Genesis« durch die Unterscheidung des zunächst als Schöpfer genannten «Elohim« und des dann den Menschen schaffenden »Jahve-Elohim» angedeutet sind, wovon, wie der Vortragende sagt, noch ein gewisser traditioneller Nachklang in der Darstellung Michelangelos lebt. Ähnliches kommt auch im Gysis-Bild zum Ausdruck. Das letztere war Rudolf Steiner offenbar im entsprechenden Moment des Vortrages von 1916 nicht gegenwärtig. Luther hat in seiner Bibelübertragung für die obener­wähnte Verschiedenheit einheitlich »Gott« gesetzt. Näheres dazu siehe Rudolf Steiner, »Die Geheimnisse der biblischen Schöpfungsgeschichte», GA 122.

Dort ist auch die irrtümliche Auslegung der Unterscheidung durch die wissenschaft­liche Bibelforschung berücksichtigt.

Farbe im dramatischen Bühnenbild

1 Vortrag Dornach, 18. September 1924, GA 282.

2 Siehe »Gesammelte Aufsätze zur Dramaturgie. 1889-1890», GA 29.

3 Siehe «Marie Steiner-von Sivers, Ein Leben für die Anthroposophie. Eine biographi-sehe Dokumentation, dargestellt von Hella Wiesberger«, Dornach 1988.

4 Dritter Teil des Berichtes «Aus dem Kursus über Sprachgestaltung und Dramatische Kunst am Goetheanum» im «Nachrichtenblatt» 28. September 1924, GA 260a.

5 -Aus dem Aufsatz «Ein neuer Marionetten-Impuls» aus dem Gedenkheft «In Memo­riam Jan Stuten», Dornach 1949. Jan Stuten (15.8.1890 - 25.2.1948), ein holländischer Musiker, lebte und arbeitete seit 1914 in Dornach. Er war jahrzehntelang einer der tätigen Mitarbeiter am Goetheanum. Neben seiner Tätigkeit als Dirigent und Kompo­nist betätigte er sich unter Rudolf Steiner und Marie Steiner auch als Bühnenbildner (Bühnenbilder zu »Faust« I u. II zur 1.Gesamtaufführung 1938 im Goetheanum)

#SE291a-506

Farbe in der Eurythmie

1 Vortrag Dornach, 1. Juli 1924, GA 279.

2 Siehe «Die Entstehung und Entwickelung der Eurythmie», GA 277a.

3 Siehe Rudolf Steiner, »Entwürfe zu den Eurythmiefiguren», GA K 26, sowie «Die Eurythmie-Figuren Rudolf Steiners - Nach «einen Entwürfen und Angaben malerisch wiedergegeben von Annemarie Bäschlin», GA K26a.

4 Siehe Tatiana Kisseleff, «Eurythmie. Erinnerungen aus den Jahren 1912-27«, Waldhaus Verlag, Malsch/Karlsruhe, 1949; jetzt im Verlag «Die Pforte», Basel 1982.

5 Rudolf Steiner «Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe«, GA 142, und »Die okkulten Grundlagen der Bhagavad Gita», GA 146.

6 Aus »Drei Palinodien», Abtl. Parabolisch.

7 Ehrenfried Pfeiffer (1899-1961). Siehe den Beitrag zu seiner Biographie von Alla Selawry »Ehrenfried Pfeiffer - Pionier spiritueller Forschung und Praxis«, Verlag am Goetheanum 1987. Der Aufsatz erschien damals 1940 in der Wochenachrift »Das Goetheanum», dann in «Bühnenbeleuchtung zur Eurythmie«, herausgegeben von Ge­org Wurmehl, Doruach 1969.

8 In «Bühnenbeleuchtung...» vgl. Hinweis 7.

9 Käthe Mitscher (1892-1940), seit 1914 Mitarbeiterin am Goetheanum, vor allem in der Eurythmie-Organisation.

10 Marie Savitch (1879-1975).

#TI

III

Anwendungen der Farbenerkenntnis auf praktischen Gebieten

#TX

1 Bisher nur gedruckt in Die Menschule" 1936 (irrtümliches Datum 23.9.1919)

Farbgebung für Raumwände

1 Vortrag Stuttgart, 15. Oktober 1911, GA 284/85.

Herstellung von Malfarben aus Pflanzenstoffen 1 Vortrag Dornach, 21. Februar 1923, GA 291.

2 Maria Strakosch-Giesler, »Die erlöste Sphinx. Über die Darstellung der menschlichen Gestalt in Bild- und Glanzfarben», Freiburg i. Br. 1955. Von der Ansprache Rudolf Steiners gibt es keine Unterlagen.

3 Vermutlich handelte es sich um die Ausmalung der Kuppel des für esoterische Veran­staltungen vorgesehenen Raumes im Keller des Gesellschaftshauses Stuttgart, Land­hausstraße 70, die von ihr ausgeführt werden sollte. Schmiedel berichtet später, daß dieser Raum dann mit in seinem Labor hergestellten Pflanzenfarben ausgemalt worden sei.

4 In «Aus Gesprächen mit Rudolf Steiner über Malerei und einige Erinnerungen an die Zeit des ersten Goetheanum», Basel 1954.

#SE291a-507

5 Abgedruckt in GA 259.

6 Dieses Verfahren wurde 1978 von der amerikanischen Firma Coloron patentiert als Lebensmittel-Farben auf pflanzlicher Basis.

7 In dem Werk »Curiose Künstler» ist die angegebene Masse jedoch nicht als Bindemittel für Farben angegeben, sondern um aus fein zu Pulver gemahlenem Lapislazuli-Stein, durch Verkneten und Einlegen in scharfe Lauge, das Ultramarin-Blau zu extrahieren.

8 In GA 300/1.

9 Innerhalb der GA noch nicht erschienen.

10 Alexander Strakosch, «Lebenswege mit Rudolf Steiner», 2. Teil 1919-1925, Dornach

1952.

11 J. S. Streicher im Brief an Konrad Steger in Dornach vom 27. August 1967.

12 J. S. Streicher an Marie Steiner, Juni 1932.

13 Vgl. Hinweis i.

14 Laut Bericht von Dr. Anthonij Gerrit Degenaar (1902-1982) an die Rudolf Steiner­Nachlaßverwaltung aus dem Jahre 1949.

15 Heinz Müller. «Spuren auf dem Weg.« Erinnerungen, Stuttgart 1970.

Farbe in Erziehung und Unterricht

1 Vortrag Stuttgart, 23. August 1919, GA 294.

2 Vortrag Oxford, 23. August 1922, GA 305.

3 Vortrag Oxford, 22. August 1922, GA 305.

4 Vortrag Oxford, 23. August 1922, GA 305.

5 Diesen Farbenwirbel hatte er selbst schon im Vortrag Dornach, 25.Juli 1914, GA 286, an der Tafel skizziert und besprochen.

6 Aus E. Brenda Biermann-Binnie/Agnes Linde/ Anna Cerri, «Erinnerungen an Rudolf Steiner und die Fortbildungsschule am Goetheanum (1921-1928)», Basel 1982.

7 Konferenz vom S. Februar 1924, GA 300/3.

8 Reproduktionen im Originalformat im Rudolf Steiner Verlag.

9 Siehe Hilde Boos-Hamburger, »Aus Gesprächen mit Rudolf Steiner über Malerei und einige Erinnerungen an die Zeit des ersten Goetheanum», Basel 1954.

10 Louise van Blommestein, Nachfolgerin von Hilde Boos-Hamburger als Mallehrerin.

11 Hilde Boos-Hamburger, »Die schöpferische Kraft der Farbe. Der Impuls Rudolf Steiners zu einer neuen Kunst der Farbengestaltung mit 66 mehrfarbigen Übungen auf 8 Tafeln», Dornach 1942.

Farbe in der Therapie

1 Vortrag Dornach, 21. Februar 1923, GA 291.

2 Felix Peipers (Bonn 1873-1944 Arlesheim) gehörte zu den Mitwirkenden bei den

Münchner Festspielveranstaltungen der Jahre 1907-1913 und zu den Initianten des

Bauvorhabens. 1921-1924 gehörte er zu den Leitern des Klinisch-Therapeutischen

Instituts in Stuttgart.

3 Reichenbach, «Odisch-magnetische Briefe«, Stuttgart 1852.

#SE291a-508

4 Vgl. auf Seite 482 f. dieses Bandes.

5 Vortrag Dornach, 13. April 1921, GA 313.

6 Vortrag Torquay, 18. August 1924, GA 243.

7 Siehe Sheila Ostrander/Lynn Schroeder «PSI, die wissenschaftliche Erforschung und praktische Nutzung übersinnlicher Kräfte des Geistes und der Seele im Ostblock», Scherz Verlag Berlin/München/Wien, 1 . deutsche Ausgabe (übersetzt aus dem Ameri­kanischen) 1970.

8 Maria Strakosch-Giesler, Malerin (1877-1970).

9 ME = My»tica Aeterna, eine Abteilung von Rudolf Steiners Esoterischer Schule, wie sie bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 bestanden hat. Siehe den Band «Zur Geschichte und aus den Inhalten der erkenntniskultischen Abteilung der Esoterischen Schule 1904 bis 1914», GA 265.

10 Dr. B. Peipers, der damals als Assistent bei Dr. Friedrich Husemann arbeitete.

11 Bezieht sich auf die Skizze von 1911, siehe Seite 459.

12 Marie Ritter (t 1924 in München) stellte in Breslau «photodynamische» Heilmittel her.

13 Ergänzend hierzu von Hilde Boos-Hamburger: «Dr. Peipers sagte mir bezüglich der Reihenfolge, Dr. Steiner habe gesagt, daß bei einer großen Anzahl von Bildern der großen Renaissance-Maler, insbesondere bei Raffael, kompositionell ein Pentagramm zugrunde liege. Vielfach seien besonders Ätherströmungen zum Ausdruck gebracht. Durch das Anschauen der Reihenfolge Sollten die Ätherkräfte des Patienten in eine gewisse Harmonie gebracht werden.»

14 Nach Hilde Boos-Hamburger war das Rosenkreuz in den Gegenfarben: weißes Kreuz, grüne Rosen.

15 Zur Pentagramm- und Hexagramm-Übung siehe die Darstellungen Rudolf Steiners auf Seite 213 f. dieses Bandes.

NAMENREGISTER

#G291a-1990-SE509 Farbenerkenntnis

#TI

NAMENREGISTER

#TX

AlFarisi 159

AlHazen 159f.

AI Schirasi 1 59f.

Aristoteles 12

Babitt, Edwin D. 449

Bacon, Roger 160

Bardeleben, Karl von 21

Beethoven, Ludwig van 190

Benedikt, Moritz 29,451,481-490

Benzinger, Max 458

Berkelcy, George 133, 136

Bernus, Alexander von 260

Bessenich, Carl 418

Bielschowsky, Albert 26

Blommestein, Louise van 418,446

Böcklin, Arnold 244

Böhm (Maler) 237

Boos-Hamburger, Hilde 406,445-44

473, 475ff.

Brass, Arnold 58

Brentano, Franz 105

Buchheim, Hans 67, 81, 99

Cézanne, Paul 310

Chladni, Ernst 189

Cimabue 354

Clason, Louise 259

Clichthove, Jodocus 160

Darwin, Charles 148,281

Dechend, Hermann von 86

De Dominis, Antonius 160

Degenaar, Anthonij Gerrit 416

Descartes, René 160

Donatello 478f.

Dove, Heinrich Wilhelm 24

Dreher, Eugen 66

Du Bois-Reymond, Emil 24,42, 58

Dürer, Albrecht 354, 437

Eckermann, Johann Peter 12,43

Eckhardtstein, Imme von 404 f.

Eckstein, Otto Emanuel 414,416,418

Einstein, Albert 67

Finsen, Niels 449

Fleischer (Prediger) 160

Förster, Wilhelm 19

Fraunhofer, Joseph von 59

Fröhlich, Otto 236,240-243, 281 f.

Galilei, Galileo 17

Ganz,Theodor 418

Geck, Henni 272f., 414

Geiger, Lazarus 1 47f.

Gladstone, William 147-149

Goethe, Johann Wolfgang von 9,

11-53,58-67,92, 100f., 105f., 125, 133f., 137, 149, 159-161, 194, 199,

235-238, 240f., 246,286,294,350, 354, 357, 372f., 375,381,446,449,487

Grävell (Physiker) 24

Grosse, Wilhelm 24

7, Gysis, Nikolaus 283,287

Haeckel, Ernst 281

Hamerling, Robert 241

Hartleben, Otto Erich 241

Helmholtz, Hermann 24,35

Hempel, Gustav 21f.

Hermann, Max 470

Hodler, Ferdinand 310

Homer 147

Husemann, Friedrich 463-466

Jesus von Nazareth 288

Jordan, Karl Friedrich 42

Kalckreuth, Leopold von 236

Kalischer, Salomon 21f., 2sf., 101

Kant, Immanuel 126

Karl Alexander, Großherzog von Sach­sen-Weimar 18

Kauffungen, Fritz 68f.

Kaulbach, Friedrich August von 260

Kayser, Felix 465

Kepler, Johannes 16

Kinkel, Alice 214

1Kirlian, Semjon Davidowitsch 451

Kisseleff, Tatiana 367, 371

#SE291a-510

Kopernikus, Nikolaus 16

Krause, Ernst s. Sterne, Carus

Kühn, Hans 67

Kürschner, Joseph 15f., 19,22.31.34.

54,66, 199

Langen, Hilde 419

Lchrs, Ernst 99

Leinhas, Emil 67

Leonardo da Vinci 238,244,271, 355f.,

Liebich, Curt 236-239

Linde, Hermann 260-262

Linder, Christoph 464-466

Locke,John 133,136

Magnus, Hugo 105, 148f.

Maier, Erwin 86

Maier, Rudolf E. 67, 69, 72-80, 84,

86-88 .

Marty, Anton 148f.

Maryon, Edith 250, 258

Matisse, Henri 310

Maurolykus (Abt) 160

Meier, Günther 417

Menzel, Adolf 300

Michelangelo 244,257,271,287, 479f.

Mitscher, Käthe 388, 390

Morgenstern, Christian 364

Morris, Max 21

Mücke, Johanna 141,466

Müller, Heinz 417

Müller, Johannes 18

Munch, Edvard 470

Nedella, Wilhelm R. 418

Nero 159

Newton, Isaac 11, 16, 18,21-25, 33f.,

45, 49, 52, 59, 487

Nietzsche, Friedrich 242, 281

Noah 164

Nußbaumer, Johann 190

Palmer, Otto 414

PaIs, Lea van der 367, 374

Peipers, Berthold 457, 463f., 467, 472f.,

475f.

Peipers, Cecil 471

Peipers, Felix 450,457-466, 470f., 473,

476

Peralté 405

Perls, Martin 487

Pfeiffer, Ehrenftied 98, 378-395

Picasso, Pablo 310

Picht, Carlo Septimus 283

Plato 62

Pollak, Hilde 262f., 270-272

Porá,Josef 451,482

Preyer (physiolog. Abhandlung) 148

Proskauer, Heinrich O. 364

Pyle-Waller, Maria Elisabeth 415-418

Pyle, William Seott 414-418

Raffael 238,244,271,354, 470f., 474,

476f.,479f.

Rascher, Hanns 470

Reichenbach, Karl von 451,483,489

Rickert, Heinrich 134

Risner (Herausgeber) 160

Rittelmeyer, Friedrich 256f

Ritter, Marie 470

Rodin, August 356

Rollet,Joseph a. Rolletschek

Rolletschek,Joseph 236, 240f.,

Rosenltrantz, Arild 249f., 258

Rosenkranz, Karl 15, 18

Rosenkreutz, Christian 177

Saviteh, Marie 389

Scherer, Wilhelm 18f.

Schiller, Friedrich 18f., 41,48,240,354,

371

Schmid-Curtius, Carl 458,466

Schmiedel, Oskar 404-412,432, 468

Schmiedel-Michels, Thekla 404-412,

415,417, 432f.

Schmidt, Erich 18f., 21

Schröer, Karl Julius 15f., 19

Schultz, Wolfgang H. 148

Schuré, Edouard 357

Seebeck, Thomas 19

Seneca, Lucius Annaeus 159

Signac,Paul 310

Sivers, Marie von, s. Steiner-von Sivers,

Marie

Sophie, Großherzogin von Sachsen-Wei­

mar 18f., 48

Steiger, Charles von 147

Stein, WalterJohannes 126, 128, 133,

136, 140f.

Steiner-von Sivers, Marie 30, 53, 86,

136f., 140f., 244, 357, 415,458.464

#SE291a-511

Steiner, Rudolf 24

»Wie erlangt man Erkenntnisse der hö­heren Welten?» 196

Sterne, Carus 148,449

Stifter, Adalbert 190

Stinde, Sophie 405

Stockmeyer, E. A. Karl 134

Strakosch, Alexander 86,413,417,467, 474f.

Strakosch-Giesler, Maria 260,403,461,

477-480

Streicher, Johann Simon 413-417,464

Stuten,Jan 364f.

Suphan, Bernhard 21,48

Theodorich von Freiberg 159

Treichler, Rudolf (d. Ä.) 474,476

Turner, William 244

Vitellio 160

Wagemitnn, Johanna 470f.

Wagner, Günther 213

Wahle, Richard 134

Wallace, Mfred Russel 148

Wegman, Ita 462,464

Werner, Mechthild 417

Wiertz, Antoine 245

Wilhelm II., König der Niederlande 18

Wollaston, William 59

Woloschin, Margarita 99, 248, 250

Wundt, Wilhelm 58

Zeylmans van Emmichoven, Wil­lem 69-71,464,466

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.