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DIE WEGE ZUR KÜNSTLERISCHEN EINHEIT DER URPOESIE

#G280-1975-SE008 Methodik und Wesen der Sprachgestaltung

#TI

MARIE STEINER

DIE WEGE ZUR KÜNSTLERISCHEN EINHEIT

DER URPOESIE

#TX

Anthroposophie ist die Grundlage des Verstehens dessen, was gemeint ist mit der neuen Sprachgestaltung. Man muss zuerst Anthroposoph sein, um zu erfassen, was von hier aus zum Leben will. Um über das bloss intellektuelle Verstehen hinauszukommen, in das tiefere Erleben der Dinge, um die es sich hier handelt, muss man den innern Zugang finden zu den Quellen der Esoterik. Diese geben uns das Gefühl des Verankertseins im Ganzen des Kosmos, in welchem wir ein allmählich dem Lichte sich öffnendes Auge sind - gleich dem physischen Auge aus der Dumpfheit des durch Lichtesschärfe zunächst sich verhornenden Stoffes, durch Sinnenreiz wiederum zum Lichtreflektor erweckt -, ein Organ der Ichwerdung.

Indem als das Ziel unserer Arbeit die Aufführung der Mysterien-dramen Rudolf Am schwersten gelingt es, reales Leben, tragende Kraft und geistiges Feuer hineinzubringen in das #SE280-009

Die Eurythmie webt im Elemente der Geistigkeit. Sie bedient sich des menschlichen Körpers als eines Instrumentes, um auszudrücken dasjenige, was in der Formkraft seines Lebensleibes liegt, desjenigen, was #SE280-010

Tragekraft umgewandelt werden soll, die seine Form- und Schwung-kraft werden soll im körperbefreiten Strom der Luft.

Die Schwierigkeiten dieses Weges sind so gross, dass mancher Kunstausübende, auf den verschiedenen Gebieten Strebende, Rin­gende, zur Überzeugung kam: Sprechen sei die schwerste Kunst.

Sie ist es, wenn man weiss, dass alle schöpferischen Kräfte in ihr verborgen sind, alle bildenden, alle tönenden, und in ihr zum Aus­druck kommen wollen, befreit von der Fesselung an die Materie.

Wie aber finden wir die Wege zu dieser Entfesselung?

Da genügt es nicht, dass wir in der Lage sind, subjektives Erleben einer dramatisch komponierten Gestalt auf der Bühne widerzu­spiegeln. Freilich bedeutet es schon etwas, wenn wir eine uns wesens­fremde Dichtergestalt nicht nach uns subjektiv färben, sondern sie in ihrer Objektivität von uns lösen. Eine dramatische Figur hat aber immer eigene Epik verlangt volle Objektivität: Raum und Zeit, Historie und Natur sollen in zusammengedrängter Wesenhaftigkeit erklingen, wir selbst durchlässig werden.

Geistesmässige Lyrik verlangt dasselbe. Wir müssen in die Gott­heit untertauchen, wir müssen uns zur Göttlichkeit erweitern, wir können es nur, indem wir die Schöpfung der Götter, den Kosmos, erfühlen lernen. Die Schöpfung der Götter spiegelt sich in den Lauten, die plastisch-konsonantisch die Welt formten, innerlich­vokalisch sie durchseelten. Wir müssen die Kräfte der Laute als Flügelschläge empfinden, die - unabhängig von uns - uns willig in den Kosmos hinaustragen. Ein schwerer Weg, denn wir müssen den Geist von den subjektiven Seelenkräften lösen, vom Empfin­dungsgemässen wie vom Intellektuellen, und in dem Kosmisch­Auch persönlichst gestimmte Lyrik muss für die Eurythmie so gesprochen werden, dass das Innere sich nach aussen ergiesst, nicht dass das Äussere hineingesogen wird. Geschieht das letztere, so müsste der Eurythmisierende, wenn er mit der Wortgebärde mitginge,

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dauernd seine Glieder an sich ziehen, er wird in der Be­wegungsentfaltung gehemmt, zurückgehalten. Metamorphosiert sich das innere Gefühlserlebnis in hinausdrängende Gestaltungskraft, plastisch-musikalisch gelöst im Atemstrom' koloriert im Tonklang, imaginativ beseelt, dann wird die innere Eurythmie des Wortes zur tragenden Kraft desjenigen, der die äussere Gebärde vollführen und seinen Körper von der In der alten Zeit wurde das Sprechen aus der Kunst heraus gefühlt und empfunden. Die Ursprache war Urpoesie' drückte sich aus in Rhythmus, Takt, Assonanz' Alliteration, in -wägen. Gedanke und Gefühl lebten in ihr als eine Einheit. Jetzt ist der Gedanke abstrakt geworden; das Gefühl hat sich nach innen gezogen; dazwischen liegt die zur Prosa gewordene Sprache. Die Wege zur künstlerischen Einheit der Urpoesie müssen wieder gefunden werden. Um sie wiederzufinden, sind wir von Rudolf - - -

* Der Entwurf zu diesem Aufsatz dürfte aus dem Jahre 1926, spätestens aus dem Jahre 1927 stammen; er entstand also zu Beginn der Arbeit mit den im Laufe der Zeit immer mehr nach Dornach kommenden Schauspielern, von denen die meisten auch an dem Kursus für Sprachgestaltung und Dramatische Kunst (1924> teil­genommen hatten, in welchem Rudolf Steiner das zitierte geisteswissenschaftliche Forschungsergebnis und den Zusammenhang der fünf gvmnastischen Übungen der Griechen mit der Bühnenkunst mitgeteilt hat. Wir verweisen hierbei auf die grund-legenden anthroposophischen Bücher und ausserdem auf den für das künstlerische Studium besonders in Betracht zu ziehenden Vortragszyklus *Anthroposophie, Psy­chosophie, Pneumatosophie» (Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 115), insbesondere auf die ersten Vorträge über Anthroposophie aus dem Jahre 1909.

SPRECH-ÜBUNGEN MIT ERKLÄRUNGEN NACHSCHRIFT VON MARIE STEINER FÜR EIN LEHRBUCH DER SPRACHGESTALTUNG

#G280-1975-SE012 Methodik und Wesen der Sprachgestaltung

#TI

RUDOLF STEINER

SPRECH-ÜBUNGEN MIT ERKLÄRUNGEN

NACHSCHRIFT VON MARIE STEINER

FÜR EIN LEHRBUCH DER SPRACHGESTALTUNG

#TX

In der künstlerischen Gestaltung der Sprache kommt das gesunde Zusammenwirken und sich Harmonisieren von Leib, Seele und Geist zur Offenbarung. Der Leib zeigt, ob er sich den Geist in rechter Art einzugliedern vermag; die Seele offenbart, ob der Geist in ihr auf wahre Art lebt; und der Geist stellt sich in unmittelbarer physischer Wirkung anschaulich dar. Die an Sprachkursen teilnehmenden Persönlichkeiten erleben so die Offenbarung der Anthroposophie an der Betätigung de, Men­schen ganz unmittelbar. Es darf als eine Erprobung der An­throposophie angesehen werden, daß sie in der Lage ist, die Sprachkunst in ihrer vollen Bedeutung wieder aufleben zu las­sen, die doch durch den Materialismus in der Weltanschauung in eine hilflose Lage gebracht worden ist. - In der lebendigen Teilnahme an den Kursen über sprachliche Kunst, die von Marie Steiner gegeben wurden, zeigt sich, daß die Bedeutung des Sprechen-Könnens einem sich steigernden Verständnis entgegengeht.

RUDOLF STEINER

#SE280-014

Nur wenn man hören lernt, kann man sprechen lernen. Die beste Schulung für den Anfänger ist, nachzusprechen, was ihm gut vor-gesprochen wird. In den guten alten Schulen ließ man zunächst nur nachmachen. Es ist die einzig richtige Methode beim Sprechen: das Nachmachen, das Hörenlernen. Man muß da durch und findet dann das Eigene.

Die vorgesprochenen Übungen sollen so nachgesprochen werden, daß man in den Ton hineingeht; in jede Silbe, in jeden Laut muß man sich hineinlegen. Man muß mit der Stimme von Wort zu Wort sich getragen fühlen, ganz frei dabei werden, so daß man das Gefühl hat: man spricht mit der umgebenden Luft und nicht mit der Kehle. Die vibrierende Luft rundherum muß man fühlen und ein Echo geben auf dieses Vibrieren.

So lernt man die Sprache als einen Organismus erkennen, der sich hineinlegt in das, was man richtig hört. In der äußeren Luft muß man den Ton hören; da liegt der Resonanzboden. Die Sprach­organe geben nur den Boden her zur Bildung von Schwingungen. Man muß sich seiner Sprachwerkzeuge bewußt werden und die Resonanzlinien fühlen lernen. Alles Suchen von Resonanzen in Nase, Zwerchfell' Brust und Kopf vermechanisiert nur. Selbstver­ständliches Sprechen muß entstehen dadurch, daß man sich in jede Silbe hineinlegt und auch in die Konsonantenverbindungen. Später, wenn man das erlernt hat, macht es sich schon von selber, daß man die Nebensilben zum Beispiel leichter betont. Physiologische Resonanzen führen zu Einseitigkeiten. Man kann alles erreichen, wenn man von den Lauten ausgeht; wenn man den Ton moduliert, lernt, wie ein a und o studiert wird, plastisch gemacht wird dadurch, daß man den Ton von rückwärts nach vorn bringt; wenn man fühlt, wie jeder Konsonant erst plastisch wird, wenn er anders beweglich gemacht wird durch die Nachbarschaft der Vokale.

*

Die Laute sollen erfühlt werden, sollen ins Bewußtsein treten, dazu verwenden wir zunächst einfache Artikulationsübungen:

#SE280-015

Daß et dir log uns darf es nicht loben*

Nimm nicht Nonnen in nimmermüde Mühlen

Rate mir mehrere Rätsel nur richtig

Redlich ratsam

Rüstet rühmlich

Riesig rächend

Ruhig rollend

Reuige Rosse

Protzig preist

Bäder brünstig

Polternd putzig

Bieder bastelnd

Puder patzend

Bergig brüstend

Lernen Sie jeden Laut erfühlen, werden Sie sich Ihrer Sprach­werkzeuge bewußt.

*

Bewußtseinsdurchleuchtung das ist es, was wir zu erstreben haben.

Mit dem Bewußtsein hineingehen in die Sprachwerkzeuge, das heißt nicht, sie nur physisch stark erfühlen, sondern sie durch die Bewußtseinsdurchdringung von der Physis lösen und in den Atemstrom hineinlegen. Bewußtsein erfaßt schon das Wesenhafte der Sache und läßt sich vom Wesenhaften mitnehmen, während der Intellekt so seltsam am Wesen vorbeigehen kann. Er spiegelt ab, photographiert und bekommt dadurch so leicht etwas Mechanisches, Abstraktes, immer dünner Werdendes.

Heute versteht die Welt unter Geist - den Intellekt; sie weiß gar nicht, daß der Intellekt nur eine Sprosse ist zum Geist hin, solange er Dienste leistet der Bewußtseinserweckung. Er kann sich

- - -

* Die Sprech-Übungen werden in dem vorliegenden Buche nach der Originalhand­schrift von Rudolf Steiner zum ersten Male abgedruckt.

#SE280-016

nach zwei Seiten hinwenden: dem Geiste zu, der Erhellung, Erleuch­tung; oder aber der Wahrnehmung, dem einfachen Deduzieren. Bleibt er auf dieser Stufe stecken, wird er eingefangen von der Materie und dem Automatismus; er schließt sich in sich ab, verliert seine Verbindung mit dem Jenseitigen, er wird dann tatsächlich Sarg des Denkens; sein innerer Tod schnürt ihn ab vom Geist.

Das Ergreifen des Wesenhaften in der Sprache kann einen zum Geist-Erleben zurückführen. Tasten wir uns langsam dazu heran, von den Grundelementen ausgehend.

Diese sind das Erfühlen des Lautes und des Atems; ihr allmäh­liches Heraufheben in die Bewußtseinssphäre.

*

Werden Sie sich Ihres Atems bewußt, indem Sie ihn einteilen und ihn in seinem Dahinströmen verfolgen.

Sie brauchen sich nicht auf eine Methode zu verschwören: die­jenige, die Ihrem Organismus am besten angepaßt ist, wird sich dann einstellen.

Erfüllung geht

Durch Hoffnung

Geht durch Sehnen

Durch Wollen

Wollen weht

Im Webenden

Weht im Bebenden

Webt behend

Webend bindend

Im Finden

Findend windend

Kündend


Wir haben hier ganz kurze Zeilen - geben einen Atemzug ganz aus in jeder Zeile, der Atem muß vor jeder Zeile neu in Ordnung gebracht werden.

Mit dieser Übung soll man gleichsam turnen, um den Atem zu regulieren.

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Lernen Sie daran biegsam werden für Konsonanten und Kon­sonantenverbindungen. Indem Sie sie innerhalb des Atemstromes erfühlen, erreichen Sie dies.

Bei den vorigen Übungen hatten Sie die Aufmerksamkeit zu richten auf die Organe, an denen der Laut anschlug, und konnten so zum Bewußtsein Ihrer Sprachwerkzeuge kommen, sie erkennen. Jetzt müssen Sie zum Bewußtsein Ihres Atemstroms kommen.

Grossen Nutzen hat man davon, wenn man die Worte umgekehrt anwendet, zum Beispiel: Wollen - Nellow.

Unbehindert vom Sinn kann man die Wertigkeit der Laute voll ausschöpfen. Versuchen Sie, mitzugehen mit der Schwingung des Doppell zu spüren, was es am 0 und e tut. Am Laut selbst ist zu lernen, wie Sie es zu tun haben, um den Laut zu sprechen. Versuchen Sie, zu hören mit Ihrem ganzen Menschen und zu hören, was die Luft tut, wenn Sie sprechen: so, wie wenn Sie in einer Luftkugel drinnen wären und aufpaßten, was in der Sie umgebenden Luft geschieht, wenn Ihr eigener Atemstrom sich in sie hineinergießt. Freilich, wenn ein anderer spricht, klingt das Ohr stärker. Das Selbst­hören ist etwas wie den Laut fühlen: wie wenn Sie ergreifen wollten in Brust und Kopf etwas, was sich durch die Ohren ergießt. Sie fühlen den Laut nur, wenn Sie sich sensitiv erhalten die Trommel­fellbewegungen, ebenso die Schwingungen, die durch die Eusta­chische Trompete klingen, vom Munde ausgehend. Man ergreift sie zunächst innerlich, aber das Ohr klingt mit. So muß man sich angewöhnen das Hören, vor allem das Sich-selber-Zuhören - und das ist in gewisser Hinsicht ein Fühlen.

Das Rollen des r muß man in verschiedener Weise empfinden vom Wellenwerfen des I. Was die Luft dabei macht, soll man sich gewöhnen zu fühlen. Pfliflaute, Wellenlaute, Zitter- und Stosslaute und Blaselaute soll man in ihrer Eigenart fühlen; nicht von einer physiologischen Einstellung der Organe ausgehen, um den Laut zu suchen - das führt nie zur natürlichen Selbstverständlichkeit in der Handhabung der organischen Funktionen -, sondern vom Hören, vom Selbsthören.

Was in Zwerchfell, in Brust und Kopf vorgeht, soll unbewußt vorgehen. Man sollte gar nicht das Gefühl haben, daß man die

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Kehle und andere Organe gebraucht, sondern die Luft. Was die Luft macht, soll man sich gewöhnen zu fühlen; zum Beispiel wenn man ein mm oder nn oder 11 anschlägt.

Am Laut müssen Sie lernen alles, was zu lernen ist. Der Atem selber muß sich unbewußt einstellen, wenn man den Laut emp­findet und empfindend hört.

Jetzt wollen wir eine Übung machen, an der Sie verstehen lernen können, was es heißt, sich in den Ton hineinlegen, ihn lebendig machen.

In den unermeßlich weiten Räumen,

In den endenlosen Zeiten,

In der Menschenseele Tiefen,

In der Weltenoffenbarung:

Suche des großen Rätsels Lösung.

Lassen Sie die vier Zeilen allmählich anschwellen; nehmen Sie die eigenen Töne zunächst mit, so daß alles mitklingt und mitschwingt; erleben Sie dann die ausserhalb Ihrer tönende Luft, in die Sie sich mit Ihrem Atemstrom hineinlegen; lernen Sie sie hören; lernen Sie sie erkennen als eine Wesenheit; in die Sie Ihren schwa­chen Ton hineinlegen, der an ihr erstarkt und sich allmählich objektiviert.

Es liegt eine Erwartung in den ersten vier Zeilen, die den Ton anschwellen läßt. Sie wird zur Erfüllung in der fünften Zeile, die ruhige Erkenntnis ausdrückt, dem wollenden Bewußtsein entsteigend.

I. Lassen Sie sich fallen! Erfüllung geht

Durch Hoffnung

Geht durch Sehnen

Durch Wollen

Wollen weht

Im Wehenden

Weht im Bebenden

Webt hebend

Webend bindend

Im Finden

Findend windend

Kündend

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#Bild s. 19

#SE280-020

II. Jetzt dirigieren Sie!

In den unermesslich weiten Räumen,

In den endenlosen Zeiten,

In der Menschenseele Tiefen,

In der Weltenoffenbarung:

Suche des großen Rätsels Lösung.

Sie müssen Atembewußtsein erlangen. Sie müssen Bewußtsein davon erlangen, wie Sie den Ton von innen hören, nicht von außen. Lassen Sie frei, los vom Intellekt, dann fällt er in den Atemstrom und wird mitgenommen.

Mitgenommen wird das erfühlte wesenhafte Bewußtsein des Lautes; indem man selbst drinsteckt, hört man von innen; dadurch ergründet man die Lautqualitäten des Wortes. Bleibt man an der Oberfläche, streift man nur mit dem Intellekt darüber hin, so hört man nur Geräusche, ergreift nicht das innere Erklingen des Lebens.

Die erste Übung ist sehr geeignet, um sich im Fallenlassen zu finden. Es ist etwas anderes - ein plötzliches Hineintauchen in das Luftelement, gleich einem Sprung ins Wasser, oder ein langsames Dirigieren des Kahns, wie in der zweiten Übung.

Ergreifen Sie zuerst das Steuer, ichbewußt, dann lassen Sie sich gehen, gehen Sie sich hin dem Elemente, das Sie trägt. Aber fühlen Sie Ihr Steuer: die Ichkraft. Sie formt sich den Kahn, der Sie trägt, den Luftkahn' in den sich Ihr Atemstrom hineinlegt. Fühlen Sie, wie er auf den Wellen und Wogen der Luft rhythmisch dahingleitet. Sie befreien einen Gefangenen in sich, wenn Sie das tun.

*

Wiederholung der zwei Atemübungen bilde den Ausgangspunkt für eine neue Unterrichtsstunde. Recht praktisches Erfühlen des vor­her Gesagten sei das Ziel: Hören lernen.

Sich hineintasten in das Hören.

Den Atem frei machen von sich, ihn seiner Selbständigkeit über­geben, ihm folgen.

Nun eine ähnliche Übung; der Aufbau ist der umgekehrte:

#SE280-021

Du findest dich selbst:

Suchend in Weltenfernen,

Strehend nach Weltenhöhen,

Kämpfend in Weltentiefen.

Die Fernen, die Höhen, die Tiefen sollen erklingen.

Um dies zu erreichen, muß man die Laute mitnehmen im Atemstrom. Die Laute und ihre Verbindungen regulieren dann den Atemstrom. Steigen Sie recht tief hinein in die Vokale und in die Kon­sonantenverbindungen, die sich mit der Luftsubstanz draußen ver­binden und vom Atemstrom fortgetragen werden. Lassen Sie sich mitnehmen.

Sprechen Sie es dann einmal verstandesmäßig und achten Sie auf den Unterschied.

*

Nun eine Übung für Sinneinteilung:

Nimm mir nicht, was, wenn ich freiwillig dir es reiche, dich beglückt.

Wir haben hier drei Sätze: Den Hauptsatz Nimm mir nicht, den Nebensatz was dich beglückt, den eingeschobenen dritten Satz wenn ich freiwillig dir es reiche. Er muß sprachlich anders gestaltet werden als das Vorangegangene. Sie nehmen aber bei dich beglückt den Betonungscharakter wieder auf, den Sie bei was haben fallen-lassen.

*

Nun eine weitere Artikulationsübung:

Lalle Lieder lieblich

Lipplicher Laffe

Lappiger lumpiger

Laichiger Lurch

Stellen Sie sich einen grünen Frosch vor, den Sie mit offenem Mund vor sich haben, und reden Sie ihn humoristisch affektiv an ...

#SE280-022

Drücken Sie die Aufforderung aus, die in den Worten liegt; dann haben Sie sich zugleich in die Situation versetzt.

*

Reine Artikulationsübungen zum Geschmeidigmachen der Sprach-­Organe. Sie sollen auswendig gelernt werden, damit man dann recht turnerisch sie handhaben kann. Erst wenn man sie auswendig kennt, schnurrt man sie mit vollem Nutzen ab.

Pflfflg pfeifen

Pfäffische Pferde

Pflegend Pflüge

Pferchend Pfirsiche

Pfiffig pfeifen aus Näpfen

Pfäffische Pferde schlüpfend

Pflegend Pflüge hüpfend

Pferchend Pfirsiche knüpfend

Kopfpfiffig pfeifen aus Näpfen

Napfpfäffische Pferde schlüpfend

Wipfend pflegend Pflüge hüpfend

Tipfend pferchend Pfirsiche knüpfend

Ketzer petzten jetzt kläglich

Letztlich leicht skeptisch

Ketzerkrächzer petzten jetzt kläglich

Letztlich plötzlich leicht skeptisch

Schlinge Schlange geschwinde

Gewundene Fundewecken weg

Gewundene Fundewecken

Geschwinde schlinge Schlange weg

#SE280-023

Zuwider zwingen zwar

Zweizweckige Zwacker zu wenig

Zwanzig Zwerge

Die sehnige Krebse

Sicher suchend schmausen

Daß schtnatzende Schmachter

Schmiegsam schnellstens

Schnurrig schnalzen

Zum Geschmeidigmachen der Sprachorgane:

Nur renn nimmer reuig

Gierig grinsend

Knoten knipsend

Pfänder knüpfend

Klipp plapp plick glick

Klingt Klapperrichtig

Knatternd trappend

Rossegetrippel (erste Fassung: Roßegetrampel)

Marsch schmachtender

Klappriger Racker

Krackle plappernd linkisch

Flink von vorne fort

Krackle plappernd linkisch

Flink von vorne fort

Marsch schmachtender

Klappriger Racker

*

Für Stotterer:

Nimm mir nimmer

Was sich wässerig

Mit Teilen mitteilt

Nimmer nimm mir

Wässerige Wickel

Was sich schlecht mitteilt

Mit Teilen deiner Rede

*

#SE280-024

Im Laufe dieser Übungen zeigen sich gewöhnlich die Sprachfehler oder gewisse störende Gewohnheiten bei einzelnen Persön­lichkeiten, die dem künstlerischen Sprechen im Wege sind. Hier muß man natürlich individualisieren. Es können nur einzelne Beispiele angeführt werden. So gibt es zum Beispiel zusammen-gequetschte Stimmen, die breiter gemacht werden müssen. Da würde folgende Übung helfen:

Ei ist weißlich, weißlich ist Ei

Blei ist neu im Stren, neu im Stren ist Blei

Die Maid ist bläulich, bläulich maidlich

Erste Fassung: Ei ist weiß, weiß ist Ei

Blei ist neu, neu ist Blei

Maid ist bläulich, bläulich Maid ist

Da muß man auch beachten den Unterschied zwischen ei - Blei, was mehr im Munde liegt, und ai - Maid, was mehr im Halse unten ist.

Oder der Ton muß aus der Nase heraus. Da wäre eine gute

Übung:

Der Base Nase ass Mehl

Rasen Masse kratze kahl

Geben Sie acht, daß die Nasensehnen nicht mitklingen.

*

Mit dem Atem sprechen: Der Atem muß sich nicht verstecken, sondern ein fortlaufender Strom sein. Meistens versteckt sich der Atem; das gewöhnliche Sprechen zerhackt den Atemstrom. Das muß man überwinden, um jenes Niveau des Sprechens zu suchen, wo man den fortdauernden Atemstrom vernimmt. Durch den gan­zen Redefluß sollte es durchgehen wie ein Wind. Nicht wie einzelne Bäume sollten die Worte dastehen, sondern es sollte sich anhören wie ein Wind, der durch die Bäume geht.

#SE280-025

Versuchen Sie auch zu unterscheiden im Sprachstrom selbst, im Schwimmen darin. Zum Beispiel:

Sturm-Wort rumort um Tor und Turm

Molch-Wurm bohrt durch Tor und Turm

Dumm tobt Wurm-Molch durch Tor und Turm

Beim ersten Satz können Sie schwimmen in dem Sprachstrom. Versuchen Sie nun in der Empfindung zu unterscheiden, wie der zweite Satz anders ist; und dann wieder der dritte, wie der ganz anders ist.

*

Sende aufwärts

Sehnend Verlangen -

Sende vorwärts

Bedachtes Streben -

Sende rückwärts

Gewissenhaft Bedenken

Hier muß man die Aufmerksamkeit darauf richten, wie die drei Zeilen zu nuancieren sind; jede Zeile verlangt eine gewisse Nuance.

Um sich für etwas vorzubereiten, kann man ausgehen von einer solchen Übung wie der obigen.

Es kommt an auf das Aufwärts, Vorwärts, Rückwärts.

Trotzdem aufwärts mehr zu sein scheint als vor- und rückwärts, muß doch rhetorisch eine sanfte Steigerung verzeichnet werden.

Versuchen Sie hierbei zu empfinden, wie die Zunge eine Art von Kahn werden muß, durch alle sechs Zeilen.

Die Stimme stellt sich, wenn sie in die richtige Lage gebracht wird.*

- - -

* Hier brechen die Aufzeichnungen ab.

#SE280-026

#Bild s. 26

PÄDAGOGISCHER KURS 1919 SPRECH-ÜBUNGEN MIT ERKLÄRUNGFN EINIGE REZITATIONSBEISPIELE

#G280-1975-SE027 Methodik und Wesen der Sprachgestaltung

#TI

RUDOLF STEINER

PÄDAGOGISCHER KURS 1919

SPRECH-ÜBUNGEN MIT ERKLÄRUNGFN

EINIGE REZITATIONSBEISPIELE

#TX

Man muss sich ein starkes Bewusstsein dafür aneignen, dass artikuliertes Sprechen menschliches Eigentum ist. Der Mensch muss sich auch zum Bewusstsein bringen, wie er in der Welt den anderen drei Reichen der Natur gegenübersteht. Wenn er sich dessen bewusst ist, weiss er, dass sein Ich wesentlich mit-bedingt ist durch alles, was Sprache ist ... Glauben, dass der Sprachgenius in dem Aufbau der

RUDOLF STEINER

#SE280-028

Rudolf Steiner *: Es ist wirklich von einer grossen Bedeutung, dass wir auch nebenhergehend etwas pflegen von deutlichem Sprechen. Es hat einen gewissen Einfluss, eine gewisse Wirkung. Nun sind zu einer anderen Gelegenheit * * einmal

Dass er dir log uns darf es nicht loben

Nimm nicht Nonnen in nimmermüde Mühlen

Das n kehrt immer wieder, aber in andern Verbindungen, und da turnt das länger verweilen; lange i, kurze i; auch zwei n kommen zusammen.

Rate mir mehrere Rätsel nur richtig

Die Organe kommen so in richtige turnerische Tätigkeit.

Ich würde Ihnen empfehlen, besonders darauf zu achten, sich in die Laute, in die

* Manuskriptdruck nach vom Vortragenden nicht durchgesehenen Nachschriften und Notizen

* * Siehe Vor",'ort des Herausgebers. und Emil Leinbas, Aus der Arbeit mit Rudolf Steiner, Basel 1950, S.69

#SE280-029

ja die *

Wiederholung der gestrigen Sprech-Übungen. Dann neue Übungen. Redlich ratsam

Rüstet rühmlich

Riesig rächend

Ruhig rollend

Reuige Rosse

Protzig preist

Bäder brünstig

Polternd putzig

Bieder bastelnd

Puder patzend

Bergig brüstend

Lesen einer Fabel von Lessing.

Rudolf Steiner: Den Titel lässt man möglichst fallen bei so etwas und betont ihn nicht besonders.

Die Nachtigall und der Pfau

Eine gesellige Nachtigall fand unter den , dachte sie und flog vertraulich zu dem Pfau herab. - #SE280-030

- «So lass uns Freunde sein>, sprach die Nachtigall weiter. «Wir werden uns nicht beneiden dürfen, du bist dem Auge so an­genehin, wie ich dem Ohr.» Die Nachtigall und der Pfau wurden Freunde.

Kneller und Pope waren bessere Freunde als Pope und Addison.

Dr. *

Rudolf Steiner: Heute wollen wir eine Übung probieren, die dazu bestimmt ist, den Atem etwas länger zu machen.

Erfüllung geht

Durch Hoffnung

Geht durch Sehnen

Durch Wollen

Wollen weht

Im Webenden

Weht im Bebenden

Webt bebend

Webend bindend

Im Finden

Findend windend

Kündend

Erreichen werden In Worten wie #SE280-031

Vor einer jeden der oben abgeteilten Zeilen soll der Atem bewusst sich in Ordnung bringen. Die zusammenstehenden Worte müssen auch zusammengehörig gelesen werden.

Barbara sass stracks am Abhang

Oder: Barbara sass nah am Abhang

Oder: Abraham a Sancta Klara kam an *

Lesen einer Fabel von Lessing.

Das Ross und der Stier

Auf einem feurigen Rosse flog stolz ein dreister Knabe daher. Da rief ein wilder Stier dem Rosse zu: «Schande! Von einem Knaben liess ich mich nicht regieren!» - «Aber ich>, versetzte das Ross, «denn was für Ehre könnte es mir bringen, einen Knaben abzuwerfen?>

Rudolf Steiner (nachdem alle Teilnehmer die Fabel vorgelesen haben>: - - -

* Die Übung: Barbara sass nah am Abhang,

Sprach gar sangbar - zaghaft langsam;

Mannhaft kam alsdann am Waldrand

Abraham a Sancta Clara!

gehört zu dem Arbeitsmaterial, das der bekannte Sürnrnbildner Julius Hey mit

vielen ähnlichen Beispielen in

Es streben der Seele Gebete

Den helfenden Engeln entgegen;

Entdeckend des Herzens Wehe,

Wenn Schmerzen es brennend verzehren!

Wir dmcken diese Übungen im vollen Wortlaut ab, weil ein gewisser ,Sinn' auch bei diesen Sprech-Übungen noch vorhanden ist, wihrend die durch Rudolf Steiner gegebenen Übungen rein dem Laut-Element entstammen.

#SE280-032

und viele Dinge im 18. Jahrhundert eben geschrieben hat. Man hat so das Gefühl, dass sie nicht ganz fertig geworden sind, wie manche Dinge damals nicht ganz fertig geworden sind. Dr.

Stierehre! Und suchte ich die Ehre, indem ich störrisch stehenbliebe, so wäre das nicht Pferdeehre, sondern Eselsehre.

*

In den endenlosen Zeiten,

In der Menschenseele Tiefen,

In der Weltenoffenbarung:

Suche des grossen Rätsels Lösung.

Die Sätze verhalten sich so, dass die vier ersten wie eine Erwar­tung klingen und die letzte Zeile die Gesamterfüllung ist der vier ersten Zeilen. Die ei nicht wie ai sprechen.

Jetzt gehen wir wiederum zurück zu der anderen Sprech-Übung:

Protzig preist

Bäder brünstig

Polternd putzig

Bieder bastelnd

Puder patzend

Bergig brüstend

Daran können

Jetzt wiederholen wir den Satz:

Dass er dir log uns darf es nicht loben

#SE280-033

Nun ein Ähnliches, aber dabei kommt eine Nuance nach dem Affektiven hin. Es sind vier Zeilen, auf die ich

Lalle Lieder lieblich

Lipplicher Laffe

Lappiger lumpiger

Laichiger Lurch

Also

Jetzt noch ein Prosastück, eine Fabel von Lessing:

Die Eiche

Der rasende Nordwind hatte seine Stärke in einer stürmischen Nacht an einer erhabenen Eiche bewiesen. Nun lag sie gestreckt. Eine Menge niedriger Sträucher lagen unter ihr zerschmettert. Ein Fuchs, der seine Grube nicht weit davon hatte, sah sie des Morgens darauf. «Was für ein Baum», rief er. «Hätte ich doch nimmermehr gedacht, dass er so gross gewesen wäre.>

Worin besteht denn die Fabelmoral?

Ein Teilnehmer: Dass man erst beim Tode bemerkt, wie gross ein Mensch war.

Ein Teilnehmer: Dass ein Kleiner erst merkt, wenn ein Grosser gestürzt ist, was er war.

Rudolf Steiner: Aber warum wird gerade der Fuchs verwendet, der doch schlau ist?

Ein Teilnehmer: Weil die Fuchsschlauheit an die Erhabenheit des Baumes nicht herankommt.

#SE280-034

Rudolf Steiner: In welchem Er hatte eben nie hinaufgeschaut, er hatte ihn nur immer unten angeschaut, war nur unten um Ihn herumgegangen, und da hatte der Baum einen kleinen Raum eingenommen. Er hatte nur das gesehen, trotz seiner Ich mache *

Sprech-Übung: Nimm mir nicht, was, wenn ich freiwillig dir es reiche, dich beglückt.

Rudolf Steiner: Der Spruch ist mehr gemeint für die Sinnabtei­lung, so dass «Nimm mir nicht», und dann den . Es ist die Absicht diese, dass das im ausgelassen haben und bei «dich» wiederum einsetzen lassen.

Rüstet rühmlich

Riesig rächend

Ruhig rollend

Reuige Rosse

Nimm nicht Nonnen in nimmermüde Mühlen

Pfiffig pfeifen

Pfäffische Pferde

Pflegend Pflüge

Pferchend Pfirsiche

#SE280-035

Wochenspruch (letzte August-Woche) aus dem

Ich fühle fruchtend fremde Macht

Den Keim empfind ich reifend

Und Ahnung licht'toll weben

Im Innern an der Selbstheit Macht.

*

Sprech-Übungen: Pfiffig pfeifen aus Näpfen

Pfäffische Pferde schlüpfend

Pflegend Pflüge hüpfend

Pferchend Pfirsiche knüpfend

Kopfpfiffig pfeifen aus Näpfen

Napfpfäffische Pferde schlüpfend

Wipfend pflegend Pflüge hüpfend

Tipfend pferchend Pfirsiche knüpfend

Das pf sollte recht regsam turnerisch gemacht werden.

Ein Stück, wobei zum Teil auf die Form, zum Teil auf den Inhalt zu achten ist, ist das Folgende:

Das Gebet

Galgenlied von Christian Morgenstern

Die Rehlein beten zur Nacht,

Hab acht!

Halb neun!

Halb zehn!

Halb elf!

Halb zwölf!

Zwölf!

Die Rehlein beten zur Nacht,

Hab acht!

Sie falten die kleinen Zehlein.

Die Rehlein.

*

#SE280-036

Rudolf Steiner: Bei der sprachlichen Übung, die wir hier vor­nehmen, handelt es sich ja hauptsächlich um ein Geschmeidigmachen der Sprachorgane.

Sprech-Übungen: Ketzer petzten jetzt kläglich

Letztlich leicht skeptisch

Zuwider zwingen zwar

Zweizweckige Zwacker zu wenig

Zwanzig Zwerge

Die sehnige Krebse

Sicher suchend schmausen

Dass schmatzende Schmachrer

Schmiegsam schnellstens

Schnurrig schnalzen

Ganz vollkommen ist so etwas nur, wenn es auswendig gesagt wird. Man sollte sich gewöhnen, dass die Zunge es wie von selbst sagt.

Aus «Wir fanden einen Pfad» von Christian Morgenstern:

Wer vom Ziel nicht weiss,

Kann den Weg nicht haben,

Wird im selben Kreis

All sein Leben traben;

Kommt am Ende hin,

Wo er hergerückt,

Hat der Menge Sinn

Nur noch mehr zerstückt.

*

Sprech-Übungen: Ketzerkrächzer petzten jetzt kläglich

Letztlich plötzlich leicht skeptisch

Erst dann sind die Dinge richtig, wenn man sie auswendig her-schnurren kann. Bewusst jede

Nur renn nimmer reuig

Gierig grinsend

Knoten knipsend

Pfänder knüpfend

#SE280-037

Aus von Christian Morgenstern:

Wer vom Ziel nicht weiss,

Kann den Weg nicht haben,

Wird im selben Kreis

All sein Leben traben;

Kommt am Ende hin,

Wo er hergerückt,

Hat der Menge Sinn

Nur noch mehr zerstückt.

Wer vom Ziel nichts kennt,

Kann's doch heut erfahren;

Wenn es ihn nur brennt

Nach dem Göttlich-Wahren;

Wenn in Eitelkeit

Er nicht ganz versunken

Und vom Wein der Zeit

Nicht bis oben trunken.

Rudolf Steiner: Die Nuancen, in denen die Strophen gelesen werden müssen, werden wir erst morgen, nach Vorlesung der dritten *

Sprech-Übung: Klipp plapp plick glick

Klingt Klapperrichtig

Knatternd trappend

Rossegetrippel

Aus «Wir fanden einen Pfad» von Christian Morgenstern:

Wer vom Ziel nicht weiss,

Kann den Weg nicht haben,

Wird im selben Kreis

All sein Leben traben;

Kommt am Ende hin,

Wo er hergerückt,

Hat der Menge Sinn

Nur noch mehr zerstückt.

#SE280-038

Wer vom Ziel nichts kennt,

Kann's doch heut erfahren;

Wenn es ihn nur brennt

Nach dem Göttlich-Wahren;

Wenn in Eitelkeit

Er nicht ganz versunken

Und vom Wein der Zeit

Nicht bis oben trunken.

Denn zu fragen ist

Nach den stillen Dingen,

Und zu wagen ist,

Will man Licht erringen;

Wer nicht suchen kann,

Wie nur je ein Freier,

Bleibt im Trugesbann

Siebenfacher Schleier.*

*

Sprech-Übungen: Schlinge Schlange geschwinde

Gewundene Fundewecken weg

Gewundene Fundewecken

Geschwinde schlinge Schlange weg

Marsch schmachtender

Klappriger Racker

Krackle plappernd linkisch

Flink von vorne fort

Krackle plappernd linkisch

Flink von vorne fort

Marsch schmachtender

Klappriger Racker

Rudoif Steiner zur letzten Übung: Zum Einsetzen gut. Auf einen hinweisen, der nächste oder ein anderer setzt fort.**

- - -

* Von den asn Tage vorher in Aussicht gestellten Angaben fehlt die Nachschrift

* * Im Zusammenhang mit diesen seminaristischen Übungen weisen wir hin auf den

14. Vortrag vom 5. September 1919 in dem Kursus «Allgemeine Menschenkunde

als Grundlage der Pädagogik», Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 293.

KURSUS ÜBER KÜNSTLERISCHE SPRACHGESTALTUNG 1922 I. TEIL

#G280-1975-SE039 Methodik und Wesen der Sprachgestaltung

#TI

RUDOLF STEINER

KURSUS ÜBER

KÜNSTLERISCHE SPRACHGESTALTUNG 1922

I. TEIL

NACHSCHRIFT VON MARIE STEINER

#TX

Es kommt darauf an, dass jeglicher Deklamations- und Rezi­tations-Unterricht auch nicht anders verlaufen darf, als dass man den Zögling sich einleben lässt in die Sprach gestaltung selber, in dasjenige, was seelisch nachlebt in dieser Sprachgestal­tung; dass man den Zögling dazu bringt, dass er imstande ist, richtig zu hören. Wer imstande ist, wirklich richtig zu hören, was Dichtung zu offenbaren vermag, bei dem wird der richtige Atem, die richtige Einstellung, das Mechanistische wie in einer Resonanz ganz von selber zum richtigen Hören kommen. Das ist das Wichtige, dass man im Elemente des Deklamatorischen und Rezitatorischen selbst den Zögling leben lässt und alles übrige dem Zögling selbst überlässt. Er muss aufgehen in dem, was gegenständlich tonlich, musikalisch, bildhaft ist, in dem, was wirklich dichterisch gestaltet lebt. Nur auf diese Weise, dass man den Zögling dazu bringt, dass er gewissermassen für das, was - nun sagen wir - ihm vordeklamiert wird, dass er für das - wenn ich mich jetzt paradox ausdrücken darf - ein rich­tiges Ohrgefübl entwickelt und durch dieses hindurch eine rich­tige Empfindung für das, was geistig sich bewegt auf den Wellen dessen, was ihm sein Ohrgefühl gibt, nur dann wird er von diesem Erleben, das er gewissermassen in seiner Umgebung, nicht in sich, wahrnimmt (das ist zunächst eine Illusion, aber die muss gepflegt werden>, nur dann wird er das, was er wie ihn umgebend vibrieren fühlt, in sich selbst hineinbeziehen. Man sollte nur durch bestimmte Wortformen, die künstlerisch gestaltet sind, so, dass sie gerade auf die menschliche Organi­sation hintendiert sind, man sollte durch das Rezitieren solcher Wortfolgen den Atem gestalten lernen und ebenso alles übrige, was an «Einstellung» da ist; dann wird man gerade dem am besten genügen, was aus der uns ja so hochstehenden Goethe­schen Kunstanschauung und Kunstempfindung hervorgegan­

gen ist. RUDOLF STEINER

#SE280-040

In Anknüpfung an das Gesagte * will ich folgendes hinzufügen:

Sie müssen versuchen, von den Lauten aus zurückzuwirken auf die Stimmbildung. Sie müssen empfinden lernen, wie man sich bei gewissen Lauten innerlich halten muss. Zum Beispiel in den hellen Vokalen e und i im Gegensatz zu den dunklen a, o, u, au. Die dumpfen Vokale a, 0, u, au sind so, dass sie im beruhigten Menschen, im Blutmenschen entstehen, e und i im bewegten, erregten Menschen.

Von einer besonderen Wichtigkeit ist, dass Sie e und i in ihrer feineren Unterscheidung auf den Organismus wirken lassen. Wenn Sie den Vokal e, namentlich in der zurückgehaltenen Rede, bei der man zunächst nicht ans Zuhören, sondern an das Ausdrücken (Sich-selbst-Offenbaren) denkt, so dass der Redestrom in das ner-vöse System zurück getrieben wird, als Trainierung gebrauchen, so festigen Sie die Rede **. Daher ist er der Vokal, der zugleich am besten einen feststehenden Gedankengang ausdrückt, am direk­testen wirkt, wie ein Diktum. Daher ist er beliebt bei Monologen, wenn man zu sich selbst spricht und andere nicht zuhören. Die­jenigen Menschen, die in sich hineinbrüten, sollten e am meisten lieben. Daher ist e am wichtigsten für die Konsolidierung der Sprachorgane. Und es ist gut, sich damit zu trainieren.

Zurn Beispiel:

Lebendige Wesen treten wesondes Leben

Man muss sich beruhigen.

Erste Fassung:

Lebende Wesen treten wesendes Leben

* Diese dem Leser schon bekannten Übungen, die in dem Sommer- und Herbst-kursus von 1922 ebenfalls durchgenommen wurden, bringen wir an dieser Stelle nicht. Doch gab Rudolf Steiner 1921 diese Übungen auch Vortragenden zur Schu­lung, so dass wir sie auf Scitc 185ff. im Zusammenhang mit Unterweisungen für Redner, die das Gebiet der Sprachgestaltung berühren, abdrucken.

** Der kursiv gesetzte Wortlaut ist eine handschriftliche Ergänzung von Rudolf Stei­ner im Manuskript Marie Steiners.

#SE280-041

Wenn Sie dieses in vierzehn Tagen hundertmal sich sagen, werden Sie sehen, dass Ihnen das mehr dient als alles mechanische Stellen der Sprache. Wenn Sie Ihre Sprachorgane durchlaufen lassen durch diese Wogen, treiben Sie Nervenkraft in Ihre Sprachorgane hinein.

Wenn man erkennt, dass die e geneigt sind, das nervöse Leben zu entwickeln, im Gegensatz zum Blutleben, so leitet hingegen das 1 den Nervenstrom wieder nach aussen. Daher werden Sie sehen, dass Ihre Nervenkraft nach aussen wirkt, wenn Sie i sagen. Wenn die Sprachorgane mit i arbeiten, werden Sie mehr in das Über­zeugende hineintreiben statt ins Innere.

Grosse Wirkung werden Sie erzielen, wenn Sie nach dem i das e sagen: Wirklich findig wird Ich im irdischen Lebenswesen

Man geht vom Erregten zum Ruhigen über.

Es ist direkt so, dass Sie fühlen können, wie ein aufsteigender Nervenstrom in die Sprachorgane rinnt.

Sie müssen das umkehren:

Itn irdischen Lebenswesen wird Ich wirklich findig

Zuerst treibt also der Redestrom nach innen hinein, dann wieder zurück nach aussen.

Nun ist es so, wenn Sie das e dem i zusetzen und achten, was dann aus dem i wird, werden Sie sehen, dass durch diesen Zusatz von e der Nervenstrom sich hält, sich verdichtet:

Die Liebestriebe werte nicht gering

Das e tritt an das i heran. Ein e dem i beigemischt, der Strom stockt, Konsolidierung der Sprachorgane.

Ersetzt wird so das mechanische Sprachstellen.

Wenn Sie in vierzehn Tagen hundertmal das durch sich gehen lassen, regen Sie richtig den Strom an, der durch Sie gehen soll.

Nun müssen die Nerven in richtiger Weise Stützen finden in den Nachbarorganen, zum Beispiel im Fett (ei = geeignet für Dick-werden>. Wenn harmonisch ausgebildet werden soll, muss man streben nach Konsolidierung und nach Ausbreitung des Nerven-stromes.

#SE280-042

Das wird erreicht durch folgende Übung:

Breite weise Wiesen über das Land

Es ist ein Sich-Ausweiten. Es gibt also die Möglichkeit, durch die Lautbildung selber jene Einstellung der Sprachorgane zu erreichen, die gebraucht wird.

Man lernt richtig atmen, wenn man eine Anzahl richtig ein­gestellter Laute durch die Sprachorgane laufen lässt und sich so trainiert. Wenn man von den Lauten aus trainiert, kriegt jeder das Individuelle, entwickelt seine eigene Natur.

*

Man kann sich helfen im Deklamieren und auch im Rezitieren dadurch, dass man die valeurs, die Wertigkeiten der Vokale ins Auge fasst. Es ist eine Notwendigkeit, dass Sie beim Deklamieren und überhaupt beim Reden auf diese Art der Sprachgestaltung aufmerk­sam werden. - Zum Beispiel: Sie wollen einen Dialog studieren; da müssen Sie wissen, wie der Dialog sprachgestaltend aufgebaut ist. Nehmen wir an, es handle sich dabei um einen ruhigen Menschen und um einen andern aufgeregten; bei guten Dichtern ist das oft kontrastiert. Sie werden aber sehen, dass bei wirklich guten Dichtern der Ruhige und der Aufgeregte schon durch die Laute charakterisiert sind. Der, welcher redet, muss ein Gefühl dafür haben, diejenigen Vokale besonders zu bedenken, die mehr dem ruhigen oder mehr dem aufgeregten Charakter entsprechen. Um dies Gefühl zu ent­wickeln, sind Übungen nötig wie zum Beispiel die folgende.

Nehmen Sie an, die eine Persönlichkeit ist mehr ein Blutmensch, er kommt nicht leicht aus dem Häuschen, ist innerlich gefestigt, ruhig. Die andere ist ein Nervenmensch, kommt leicht aus dem Häuschen, ist aufgeregt, zappelt.

Diejenigen Vokale, die das wiedergeben, was im Blutmenschen lebt, sind a, u, 0, au.

Bei einer Rede, wo noch andere Vokale sind, muss man ein besonderes Augenmerk auf diese Vokale legen und sie voller klingen lassen.

#SE280-043

Die Vokale des Nervenmenschen sind i, e.

Die i und e kommen den Nervenmenschen ganz von selbst auf die Zunge. Bei den Sprachen der verschiedenen Völker kann man auf den Rassencharakter schliessen, je nach dem Überwiegen der einen oder der andern Vokale. Man kann studieren, wie bei ruhigen und in sich gefestigten Menschenvölkern das a und o, bei nervösen das e und i überwiegen.

Freilich muss man berücksichtigen, dass schon Lichtenberg *, der ja vor vielen Jahrzehnten gelebt hat, mit einem gewissen Recht ausgesprochen hat, dass neunundneunzig Prozent mehr Dichter und Schriftsteller leben, als die Menschen zu ihrem Heile brauchen können.

Der Rezitator kann aber viel tun, indem er das eine hervorhebt, das andere fallen lässt, Klang gibt dem Ruhigen, spitz betont, wenn es sich handelt um einen zappligen Menschen.

1. Der Ruhige: Sahst du das Blass an Wang und Mund?

2. Der Nervöse: Nichts im Gesicht bemerkte ich.

Die Nerven vibrieren unwillkürlich bei diesen Lauten.

1. Du kannst nur schauen, was krass.

Man muss da das Blut in Ruhe halten.

2. Nimm mir nicht mich selbst.

Der Zapplige.

1. Allzustark wachst du kaum.

2. Eben deswegen will ich dies nicht.

Sie werden achten müssen mit dem ganzen Empfinden auf das Sprechen, wenn Sie aus der ganzen Empfindung sprechen wollen.

Nehmen Sie zum Beispiel das Wort Wagen. Ein Wagen (Singu­lar), das ist etwas Festes, in sich Beschlossenes. Die Wägen (Plural),

* Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799)

#SE280-044

da sind die Konturen nicht so scharf, das Ding wird auseinander­gerissen. Im Dialekt finden wir aber eine andere Erscheinung; da geht das a über in 0; der Bauer sagt: Wog'n im Singular; es wird noch fester. Die Wagen, das sind beim Bauer mehrere; das 0 hellt sich auf in a. So müssen Sie empfinden das Dumpferwerden und das Hellerwerden. Heller wird der Laut, weil sich die Sache zer­streut; zum Beispiel Baum, Bäume.

Sie müssen sich in Laute hineinfühlen lernen.*

Nehmen Sie das Wort mächtig. Sie haben da, nicht wahr, ein bestimmtes Gefühl. Aber Macht empfindet der moderne Mensch schon nicht, Macht ist ihm verlorengegangen. Dagegen empfindet er es oft als unangenehm, wenn zum Beispiel ein Kind Lärm macht. Er will das Kind beruhigen: sich... sich...

Stumpfen Sie mit diesem Laut ab das Wort mächtig, so erhalten Sie schmächtig.

So entwickeln Sie Lautverständnis, im Gegensatz zu Sinnver­ständnis.

In den meisten Worten liegt etwas drin, was man richtig heraus-bekommt beim Deklamieren, wenn man weiss, dass man zum Bei­spiel bei manchem erröten möchte, bei manchem erblassen.

Weinen: darin liegt ein inneres Abwehren beim Traurigsein.

Wein: das Wort hat etwas, was - in sozialer Beziehung - schon anklingt an das Betrübtsein. Sie sehen hierbei das Schaffen des innern Sprachgeistes.

Und gehen Sie weiter. Sie haben: Wein ... sch,sch... Schwein.

Hat man das, so hat man einen richtigen Unterton in der Rede. Es ist wichtig, gefühlt zu haben, was der Laut macht, wenn er sich mit andern verbindet.

Nehmen wir das Wort Mar; wir kennen es in der Zusammen­setzung Nachtmar. In Mären finden wir es wieder: «Uns ist in alten maeren wunders vil geseit - von heleden lobebaeren, von gr6zer arebeit... »

* An dieser Stelle im Kursus weist Dr. Steiner auf seinen Aufsatz «Sprache und Sprachgeist» vom 29. Juli1922 hin, den wir wiederum auf Seite 134 zum Abdruck bringen.

#SE280-045

Diese Gesänge wurden früher schreitend gesprochen, im Aufund­abschreiten. In diesem Laut liegt etwa folgender Gefühlsinhalt: Ich will darstellen etwas, was in Bewegung ist, so dass ich nachkomme.

- Sie finden das wieder im Wort: Marsch (fort).

*

Stellen Sie sich vor, Sie wären ein innerlich stolzer Mensch, der nicht mit Glücksgütern gesegnet ist, und Sie sind zu jemandem gekommen, der es ist und der diese, seine Überlegenheit, die viel­leicht nur durch seine soziale Stellung bedingt ist, hat merken lassen. Sie sind in Affekt gekommen und haben ihn beleidigt; das haben Sie einem Freunde erzählt, der es nicht billigt und verlangt, dass Sie es wiedergutmachen.

Wahr ist's - ich habe ihn beleidigt.

Kann man mir's verübeln?

Kaum trat ich in sein Haus

- Noch war die Türe nicht zu -

Traf mich schon sein verachtender Blick.

Bei dieser Übung haben Sie Gelegenheit, die Sprache aus der Situation zu gestalten. Es ist eine Notwendigkeit, dass Sie die Sprache gestalten lernen in grossem Umfang.

Hier haben Sie fünf Zeilen, von denen die erste gibt: einen Tat­bestand; die zweite: eine Situation, wo Sie versuchen, sich recht zu geben; die dritte: eine Motivierung; die vierte: eine allgemeine Erklärung; die fünfte: Fortsetzung der Motivierung.

Die nächsten fünf Zeilen sind, damit es sich schärfer einlebt, in ähnlicher Weise gebaut.

Nun ja - ich will's wieder gutmachen.

Doch darf ich dann auch glauben,

Dass er den Stachel mir nimmt

- Wie können Blicke doch stechen-,

Der sich mir tief in die Seele bohrte?

Zuerst: Sie geben etwas zu, dann lenken Sie den Sinn auf sich zurück. Reflexion. Zweitens und Drittens: Fragesatz; Situation, wo

#SE280-046

Sie versuchen, die Motivierung weiterzuführen. Viertens: Besinnung auf eine allgemeine Regel, allgemeine Erklärung. Fünftens: Rück­kehr zum Fragesatz.

So wird sich vieles formen.

Die Antwort des Freundes, die zwischen diesen zwei Sätzen liegt:

Lerne doch das Leben nehmen, wie es ist'.

Siehst du das Elend jener Menschen nicht,

Die weltfremd Entschlüsse fassen

- Das Herz gar manches verführt den Kopf -

Und die statt zu gehen stets stolpern?

Lernen Sie die Worte plastisch gestalten; ein nur musikalisches Sprechen genügt nicht. Eine schöne Stimme allein ist noch etwas Animalisches. Man muss die Sprache gestalten.

Das Dramatische muss schon in der Gestaltung des Satzes liegen, nicht im Drama:

Hast du dóch dies Buch gelesen?

Hást du doch dies Buch gelésen!

Der andere hat es ihm wehren wollen:

Hast du meinen Rat in den Wind geschlagen?

Hast du dóch dies Buch gelesen?

Mit etwas Ironie:

Du solltest darüber etwas wissen!

Hást du doch dies Buch gelésen!

*

Wenn wir versuchen werden, herüberzuleiten die bewusste Be­handlung der Sprachwerkzeuge in die Handhabung der Lautgestal­tung> werden wir erkennen, wie verkehrt es ist, von rein physiologi­schen Gesichtspunkten dabei auszugehen. Heute hat man das Bestre­ben, vom Standpunkt der Muskeleinstellung und so weiter zu trainie­ren, damit Stimmgestaltung entsteht. Es ist nicht richtig, von einer

#SE280-047

physiologischen Einstellung der Organe auszugehen, um den Laut zu suchen. Das führt nie zur natürlichen Selbstverständlichkeit in der Handhabung der organischen Funktionen. Das Sprechen muss ausgehen vom Hören, und zwar vom Selbsthören. Also Sie müssen lernen, sich selbst hören, wenn Sie anschlagen ein mm oder nn oder 11. Hören heisst in diesem Falle nicht ganz dasselbe wie im gewöhnlichen Leben. Hören ist hier etwas wie den Laut fühlen, wie wenn Sie ergreifen etwas in Brust und Kopf, was sich durch die Ohren ergiesst. Sie fühlen, wenn Sie sich sensitiv erhalten, die Trommelfellbewegungen. Sprechen beruht also auf dem Hören und das Hören ist eigentlich ein Gefühl. Ausserdem stellen Sie sich vor, dass der Ton an Ihr Ohr anschlägt: das Trommelfell fängt an zu klopfen. Ebenso wichtig sind die Schwingungen, die durch die Eustachische Trompete klingen, vom Munde ausgehend. Man ergreift sie zunächst innerlich, aber das Ohr klingt mit. Wenn ein anderer spricht, klingt das Ohr stärker. Hören hängt immer mit dem ganzen Menschen zusammen. Es ist, wie wenn Sie in einer Luftkugel wären und aufpassen, was die Luft tut, wenn Sie sprechen. Was in Ihrem Zwerchfell, in Brust und Kopf vorgeht, soll unbewusst vorgehen. Am Laut müssen Sie lernen alles, was zu lernen ist. Der Atem selber muss sich unbewusst einstellen, wenn man den Laut empfindet und empfindend hört. Am Laut ist zu lernen, was zu tun ist, um den Laut zu sprechen. Man sollte gar nicht das Gefühl haben, dass man die Kehle und andere Organe gebraucht, sondern die Luft. Was die Luft macht, soll man sich gewöhnen zu fühlen. Pfliflaute, Wellenlaute, Zitter-, Stoss-und Blaselaute soll man in ihrer Eigenart fühlen. Man muss sich angewöhnen das Hören; vor allem lernen das Sich-selber-Zuhören, und das ist in gewisser Hinsicht ein Fühlen.

Das Rollen der r muss man vom Wellenwerfen des 1 in ver­schiedener Weise empfinden. Das Sprechenlernen ist etwas, was immer auf dem ganzen Menschen beruht. Ein geordnetes Verhältnis finden zwischen dem Atem und der Blutzirkulation: Das ist Rezi­tierenkönnen!

Auf dem Verhältni; zwischen Atem und Blutzirkulation, vier zu eins, beruht die ganze Prosodie, die Poetik und alles andere. Als die Griechen zuerst den Hexameter ausbildeten, beruhte dies auf dem

#SE280-048

Verhältnis zwischen Atemzug und Pulsschlag. Der Hexameter ist das Urversmass, beruht auf dem Verhältnis von eins zu vier. Dies ist individuell für jeden Menschen. Vier zu eins ist nur annähernd, und der einzelne muss es durch das Gefühl finden. (Es ist gleich den Gesetzen, nach denen die Blume wächst, die aber auch durch spirituelle Erkenntnis in das Gefühl aufgenommen werden. Die spirituelle Erkenntnis ist ebenso lebendig wie die Natur selbst.> Ein Atemzug hat vier Pulsschläge. Das nahmen die Griechen noch hell­fuhlend wahr. Im Hexameter schufen sie ein Abbild dieses ursprüng­lichen Rhythmus: drei Daktylen, Zäsur, drei Daktylen, Pause ent­sprechen vier Pulsschlägen und wieder vier Pulsschlägen oder zwei Atemzügen.

#Bild s. 48

So beruht der Hexameter auf dem, was der Mensch als Atem-rhythmus hat. Deshalb sind alle Zwerchfell-Einstellungen und so weiter unnütz. Die menschliche Natur stellt sich von selbst ein, und man lernt an der Sprache.

*

Machen Sie die nächste Übung so, dass Sie versuchen, folgendes in der Empfindung zu unterscheiden:

Siurm-Wort rumort um Tor und Turm

Molch-Wurm bohrt durch Tor und Turm

Dumm tobt Wurm-Molch durch Tor und Turm

Beim ersten Satz können Sie schwimmen in dem Sprachstrom, der zweite ist anders, der dritte wieder ganz anders. Versuchen Sie das zu unterscheiden im Sprachstrom selbst, im Schwimmen darin.

*

Sie lernen fast Verrenkungen der Stimme machen, wenn Sie fol­gendes üben:

#SE280-049

Abracadabra

Rabadacabra

Bradacaraba

Cadarabraba

Am a lernen Sie alles. Stellen Sie nur die Silben um. Welten kann man da im Unterschied erleben. Da schmiegt sich die Stimme

hinein.* *

Vokale sprechen, heisst sein Inneres ausgiessen im Sprachstrom. Da werden Sie selbst zur Flüssigkeit. schwimmen im allgemeinen Sprachstrom darin.

Konsonanten sprechen, heisst die Flüssigkeit gestalten, in Form giessen. Konsonanten sprechen, heisst mit der Welt leben.

Vokalisieren heisst, sein Inneres ausdrücken.

Konsonantisieren: Wechselverhältnis des Menschen zur Welt.

*

Um empfinden zu lernen, was in den Lauten liegt, kann ich Ihnen eine einfache Meditation anempfehlen über Würfel und Kugel. Stellen Sie sich vor, dass einer Sie veranlassen wollte, eine Kugel auszuspucken. Dann würden Sie den d-Laut aussprechen. Den Laut d aussprechen, heisst sich gegen etwas wehren; da spuckt man das Kuglige aus, das Runde. D ist rund. - Das Würflige müssen Sie mit k ausspucken. Wir müssen ein Gefühl kriegen für das Runden und Eckigmachen des Lautes.

Was liegt im a? Ein Sich-Verwundern. Im e? Etwas wegschieben. Vokale drücken unsere Willens- oder Gefühlsimpulse, Konsonan­ten mehr die Vorstellungen aus. In Konsonanten sprechen, heisst in der Aussenwelt leben und verkehren. In Vokalen reden, heisst sein Inneres aussprechen.

Will ich im Drama das gestalten, was die Aussenwelt ist, werde ich Konsonanten häufen. Will ich Inneres gestalten, werde ich Vokale häufen. Bei grossen Dichtern wird das beachtet.

*

* Auf Seite 5 1 folgt eine Erläuterung dieser Übung.

#SE280-050

Verweilen wir noch bei der Heranbildung des Sprechens an den Lauten selber.

Was man praktisch erlernen muss, ist:

1. Deutlichkeit des Sprechens,

2. Flüssigkeit des Sprechens,

3. Geschlossenheit des Sprechens,

4. Gliederung des Sprechens.

Alle diese Dinge muss man praktisch an den Lauten selber lernen. Unter Deutlichkeit ist das zu verstehen, dass wirklich der volle Laut gestaltet wird.

Nun lernt man auch alle übrigen Laute gestalten, wenn man übend sich angewöhnt, s und m ordentlich zu sprechen. Durch Übungen in diesen Lauten lernt man überhaupt deutlich zu sprechen.

Machen Sie diese einfachen Übungen hundertmal in vierzehn Tagen. Lernen Sie daran empfinden, wie man sich in deutliche Sprache hineinfindet:

Mäuse messen mein Essen

Einfach das tun: hundertmal in vierzehn Tagen. Dadurch wird die Stimme deutlich, so dass der andere, der zuhören soll, unter-scheidet zwischen den Lauten.

Dann darf die Stimme nicht zerhackt sein, sie muss flüssig sein Die Stimme muss auf so einem Niveau gehalten sein, dass der Atem-strom fliesst; das kann man an einer Übung lernen. Das Flüssige der Stimme wird erlangt namentlich dadurch, dass man in das 1 sich hineinfindet:

Lämmer leisten leises Läuten

Geschlossenheit. Unter Geschlosseriheit der Stimme verstehe ich, dass die einzelnen Laute nicht nackt und unbekleidet in die Welt hinausgelassen werden. Alles was lebt, bildet eine Haut um sich. Das kleinste Tier tut es. Das muss auch der Laut tun, so dass er nicht spritzt, nicht nackt hinausgeht, sondern angezogen ist.

Im b erreicht man eine Empfindung für die Geschlossenheit der

Laute:

#SE280-051

Bei biedem Bauern bleib brav

Diese Empfindung erreicht man dadurch, dass man sich in den Laut hineinlegt:

bei m die Empfindung der Deutlichkeit,

bei 1 die Empfindung der Flüssigkeit,

bei b die Empfindung der Geschlossenheit.

Jetzt haben wir noch die Gliederung zu beachten. Man muss in der Lage sein, einen Satz so zu gliedern, dass der Zuhörer nicht die grosse Mühe hat, ihn selbst zu gliedern. Der Rezitator muss dafür sorgen, dass der Satz ins Ohr geht. Das erreicht man, wenn man k-Übungen macht. Derjenige, der solche k-Übungen macht, bekommt eine gewisse Force, um einzuteilen. Wenn man nicht k-Übungen gemacht hat, hat man nicht den Mut, einen Strichpunkt und anderes richtig einzugliedern.

Komm kurzer kräftiger Kerl

Was ich auseinandersetzte, steckt schon in der Übung Abracadabra, von der ich Ihnen jetzt die mantrische Deutung geben werde.

In ziemlich alten Zeiten haben die Leute schon das Sprechen gelernt, und zwar so, dass sie mantrische Opfersprüche daran gelernt haben.

Ein in sich abgeschlossenes Lautgebilde hat man darin, in dem Abracadabra. A ist der Urlaut, den schon das Kind sprechen lernt. A ist der ganze Mensch. Es gibt nichts im menschlichen Organis­mus, was nicht erzittert beim a. Man kann es in der Spitze der klei­nen Zehe fühlen; es ist das erste Totalgefühl, das das Kind hat. Dadurch war das a der Laut bei denen, die was verstanden haben vom ganzen Menschen.

B drückt aus die Umhüllung des Menschen, das Haus, in dem er wohnt. Mit dem Haus laufen kann die Schnecke noch, nicht der Mensch. Das Laufen ist also noch nicht drinnen in dem a.

A: ist der ganze Mensch.

Ab: es ist der Mensch mit dem Haus.

#SE280-052

Abt: der Mensch läuft mit dem Haus.

Abra: der Mensch läuft mit dem Haus und kriecht wieder heraus.

Abrac: der Mensch mit seinem Haus ist gelaufen, kriecht heraus und stellt sich kräftig hin als Mensch. Dass er immer Mensch bleibe, deshalb kommt das a immer wieder.

Abraca: er stellt sich kräftig hin und fühlt sich als Mensch.

Abracad: er wird des andern Menschen ansichtig.

Abracada: er zeigt auf ihn.

Abracadab: der andere Mensch hat auch sein Haus.

Abracadabr: der andere Mensch läuft auch und hat sein Haus.

Abracadabra: das ist ein Mensch wie ich.

Im Sinne der Ursprache haben Sie also gesagt:

Ich als Mensch fühle mich in meinem Hause, laufend, fühle einen anderen Menschen mit seinem Haus, auch laufend. Zusammen sind wir ein Mensch, wie er ist.

Das wurde in den Varianten, die ich bereits angeführt habe, empfunden.

Man lernt also, nicht indem man Organe einstellt, sondern indem man an der Stimmgestaltung selber das Sprechen lernt.

*

Wir wollen nun betrachten, wie man am Laute lernen kann, die Stimme zu stellen, uns klar darüber werden, was man am Laute lernen soll.

Indem Sie die Laute t und d aussprechen, werden Sie ein Gefühl haben, das lokalisiert ist im vorderen Teil des Mundes, an der Zunge. Sie werden bemerken wie ein Tasten desjenigen, was ausgedrückt wird während des Sprechens. Man tastet bei diesen Buchstaben ab, was man spricht. Indem man dies tut, wächst man intim in die Sprachgestaltung, hat etwas, was nicht verständlich Gedanken aus-drückt. Man muss gleichsam Sympathie und Antipathie schoti bei der Lautgestaltung selbst empfinden. Ich will Ihnen eine Übung hierfür geben. Weil heute das Sprachgefühl sehr abgestumpft ist, muss man drastische Beispiele wählen. Nehmen Sie an, Sie wollen eine Tür durchbrechen... Man fühlt heute nicht, was in den Lauten

#SE280-053

liegt, sollte sich aber dazu erziehen. T - da ist ein starkes Anstossen mit der Zunge, ein starkes Befühlen. D - man fühlt sanfter.

Tritt dort die Türe durch

Fühlen Sie bei jedem d-Laut das Betasten, Berühren; bei t das stärkere Betasten.

Sie haben ein Gedicht, wollen es so zur Geltung bringen, dass Sie möglichst die Menschen das Gedicht erleben lassen wollen. Das können Sie auf zweierlei Art.

Denken Sie an jemanden, der - sagen wir - ein seidenes Kleid trägt: Sie können es betrachten und sich dabei ergötzen; oder Sie können etwas anderes erleben: Sie können es betasten und bereiten sich auf diese Weise einen Genuss. Zwei Erlebnisse haben Sie also gehabt.

Im Gedicht können Sie die Prosa erleben, das Inhaltliche heraus-arbeiten oder aber die Lautgestaltung erleben.

Fast bei der Majorität der Menschen liegt die Stimme zu nah an den Lippen. Dadurch kann das Wort zu sehr vorne liegen; dann muss man es nach rückwärts schicken.

Halt! Hebe hurtig hohe Humpen!

Sie werden durch dieses Zurückschieben vollere Wucht den Worten geben. Dann werden Ihre Worte eine überzeugendere Kraft gewinnen. Durch das Zurückschieben kriegen Sie die volle Wucht hinein in die Worte.

Hole Heinrich hierher hohe Halme

Wenn Sie vorne an den Lippen tänzeln, können Sie das nicht sprechen. Sie müssen also sich gewöhnen, Worte zu studieren auf die Gestaltung hin. Doch ist das, was ich Ihnen sage, auf die deutsche Sprache abgestimmt. Jede Sprache hat ihre andern organischen Gesetze. Deshalb hat man Worte im Deutschen, an denen man studieren kann, was es heisst: Fühlen in den Worten. Zum Beispiel:

#SE280-054

Horch. Eine Welt liegt darin. Das h in ,horch' hat so tiefe Begrün­dung wie nur möglich; auch dass es mit ch schliesst. Es legt sich das ch in den ganzen Atem hinein; h gestaltet plastisch, ch geht mit dem Atem sogar hinein in die Dinge. Es sagt uns: Höre zu... und gehe hinein in das, was du hörst, nisnan es auf.

Erleben Sie nun das Hinüberströmen des Menschen in anderes im Wörtchen , wodurch das Erlassen des andern ausgedrückt wird. Happig - hab' ich... Jetzt vergleichen Sie dies mit solchen Bildun­gen wie launig, sträflich, länglich. Launig: der Laune gleich; ig = gleich, man wird allen Dingen gleich, wenn man ich = ig sagt. Mein Atem strömt heraus und geht in den Dingen unter; man wird allen Dingen gleich.

Was ich sage, ist aus der Sprachgestaltung heraus, nicht etymolo­gisch oder philologisch-linguistisch.

So handelt es sich darum, dass man fühlen lernen soll die Laut­bilder, wenn man rezitieren lernen will.

Denken Sie sich nun: man will jemanden dazu bringen, aus Ruhe in Tätigkeit überzugehen. Nehmen Sie folgendes Lautbild:

Pfeife pfiffige Pfeiferpfiffe

Es liegt etwas darin, dass man den andern weiterschiebt. Fühlen Sie ganz jene Wucht des Weiterschiebens, wie sie sich ausdrückt im Wörtchen: Pfui.

Dann versuchen Sie so etwas in der Milderung zu üben:

Empfange empfindend Pfunde Pfeffer

Auf den Sinn kommt es bei solchen Übungen nicht an. Wenn man vom Sinne absieht, entdeckt man schneller den Geist der Laute. Wer im Laute zu leben lernt, der empfängt Weltenoffenbarungen.

Wenn Sie lernen wollen, zu jemandem vertraulich zu sprechen, so lernen Sie es beim sch:

Schwinge schwere Schwalhe

Schnell im Schwunge schmerzlos

(Erste Fassung: statt schmerzlos = schnurrig)

#SE280-055

Der Dichter hat es von selber, wenn er einer ist, dass er die Laute so zusairnenstellt; der Rezitator muss sein Lautgefühl daran bilden.

So handelt es sich darurn, die sprachliche Einstellung zu finden, das Gedicht zu erleben als Rezitator. - Das Haupterlebnis ist ein Lautgestaltungserlebnis; daran muss sich der Rezitator erinnern; man muss lernen, Poetisches zu erleben. - Wenn man einem Griechen solche Rezitation geboten hätte, wie sie heute als ausgezeichnet gilt, wäre es gelungen, den starken Griechen nervös zu machen; er hätte nicht gewusst, ob man närrisch oder gescheit sei. Die Griechen hatten das feine Gefühl für die Lautgestaltung, konnten die Sprache erleben, was wir auf dem Bewusstseins-Niveau wieder erleben müssen.

Denken Sie an die Szene in der Ilias, als Achilles den Hektor ermordet hat und Priamos kommt und klagt:

Denn ich dulde, was nie ein Mensch auf Erden geduldet.

Mir an den Mund die Hand zu ziehen, die den Sohn mir gemordet.

Muss man nicht sich sagen: da lebt Priamos ganz in dem Erlebnis. Das Abtasten des Erlebnisses ist da. - Im m liegt das Mitgehen mit dem Strom der Sprache.

*

Heute will ich Ihnen die Übungen zur Ausgestaltung des Sprach-wesens von einer andern Seite schildern. Wir müssen uns klar dar­über sein, dass der Sprachorganismus in gewissem Sinne der ganze Mensch ist. Im Kehlkopf und in den benachbarten Organen spielt sich zwar die Sprache zunächst ab als meine Tätigkeit. Aber es ist doch der ganze Mensch an der Sprache beteiligt. Insbesondere kann das klar werden, wenn man die Sprache als Grundlage der künst­lerischen poetischen Ausgestaltung des von der menschlichen Seele Erlebten nimmt. Es kann der Mensch, indem er spricht, vorzugsweise betätigen die dumpfen Regungen des Lebens, die sonst gar nicht zum Bewusstsein kommen. Es kann dies so herausgeholt werden aus dem Bewusstsein wie die Tatsache, dass man wächst: Es ist eine Tätigkeit im Kinde, äass es grösser wird, es geht etwas vor. Wenn das Kind sprechen lernt, ist es nur ein Übertragen dessen, was das Kind in den andern Organen gemacht hat, auf die Sprachorgane.

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Wenn die Poesie in Urzeiten ergriffen wird, ist das, was darin an poetischer Gestaltungskraft lebt, nicht viel anders als eine Betätigung der vom Körper frei gewordenen Wachstumskräfte. Und so muss man empfinden die epische Darstellung. Sie verläuft so, dass der Mensch die am meisten unbewussten Kräfte entfesselt. Der Mensch ist episch künstlerisch, so wie er wächst. Innerhalb des epischen Sprachstroms sind wir namentlich tätig in den Lauten, die vorzugs­weise durch den Gaumen gebildet werden. Daher können wir, wenn wir Gaumenlaute üben, den epischen Stil uns aneignen. Und wir können ohne mystisches Verzücktsein, wenn wir episch stilhaft an den Gaumenlauten üben, gewahren, dass wir mit unserm Ätherleib arbeiten. Also: Gaumenlaute üben, heisst seinen Ätherleib an­strengen.

Ich sage dieses, damit Sie ein Gefühl haben, dass Sie nicht theoreti­sieren müssen, sondern den Körper trainieren.

Wenn Sie dagegen den dramatischen Stil ins Auge fassen, werden Sie nicht mehr das Gefühl haben, das Dramatische komme wie aus den Wachstumskräften heraus. Ein anderer muss uns gegenüber­stehen: die Kräfte der Sympathie und der Antipathie treten in Aktion. Das heisst, der Träger unserer Empfindungen und Emotionen tritt in Aktion: unser Astralleib. Und was im Dramatischen dabei heraus­kommt, ist, was durch die Zunge geschieht. Wir werden später solche Stellen rezitieren, in denen Zungenlaute gehäuft sind: da lebt das astralische Vibrieren drin. Und wenn Sie es mit fein empfindenden Dichtern zu tun haben, werden Sie sehen, dass Sie sagen können, Sie spüren die Worte wie einen Geschmack auf der Zunge. Das Drama­tische muss man schmecken lernen.

Wo unser Ich engagiert ist, wo wir am meisten an die Oberfläche unseres Organismus gehen, haben wir es mit dem lyrischen Stil zu tun. Da muss man Lippenlaute einüben; da vibriert unser Ich, unser an die Aussenwelt sich hingebendes Ich. Versuchen Sie zu spüren an p b w, wie das ganze menschliche Wesen an die Oberfläche dringt. Wenn Sie gerade w aussprechen, jenes w, bei dem der Mensch so stark an die Oberfläche geht, dass er nicht wie sonst ein Verschliessen in die Lippen bringt, sondern einen Spalt an den Lippen lässt, werden Sie fühlen ein Vibrieren und werden das w empfinden an der ganzen

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Oberfläche. Will jemand an einer Stelle seiner Dichtung etwas bringen, was wie Gänsehaut über den Rücken der Zuhörer läuft, tut er gut, w zu häufen. Sie haben ein Berühren der Lippen bei p b m, bei w aber einen Spalt.

Man kann wiederum sagen: an der deutschen Sprache kann gerade über die Wertigkeit der Laute so viel gesagt werden. An sol­chen Worten wie «warm» - vergleiche das Wort in den romanischen Sprachen - werden Sie wirkliches innerliches Miterleben der Seele mit dem Worte verspüren können. In den romanischen Sprachen ist eigentlich ausgedrückt die Wirkung der Aussenwelt auf den Men­schen, wenn er warm wird. Im Deutschen das innere Erleben, daher:

w, das herausströmt, a, dann r, das Fortbewegende, und zuletzt m, der Lippenlaut, der da sagt, dass man sich bewusst wird dessen, was im Worte lebt.

Die deutsche Sprache ist eine Seelensprache. Daher ist es schade, dass man sie nur so erlebt wie die westlichen Sprachen. Diese sind Kleider des Menschen; die deutsche Sprache, namentlich wenn sie erfasst wird auf den Stufen, wo sie noch Dialekt ist, ist durchaus Erlebnissprache. Daher ist es gut, um in der Rezitation fort-zukommen, hinzuhorchen auf das, was im Dialekt darinnenliegt. Es gibt in Süddeutschland ein Wort für einen in der Ferne abzucken-den Blitz (nicht Wetterleuchten). Sie erleben in «Himmlitzer> den Blitz in seiner Dreizackigkeit, nicht nur in der Schnelligkeit des Dahinschiessens.

Sie müssen also studieren:

den lyrischen Stil an den Lippenlauten,

den dramatischen Stil an den Zungenlauten,

den epischen Stil an den Gaumenlauten.

Wenn Sie bei einer Stelle empfinden, dass sie dramatisch wirkt, so unterstreichen Sie die Zungenlaute, heben Sie sie in Ihrem Rezi-tieren besonders hervor.

* ..

Ich empfehle Ihnen hier eine andere Ubung. Nehmen wir an, Sie haben es zu tun gehabt mit einem langweiligen Menschen. Sie erinnern sich dessen, was er gesagt hat, unterstreichen in Gedanken

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die Zungenlaute, heben Sie laut hervor - natürlich wenn er nicht da ist - und finden das, was er gesagt hat, ganz interessant und drama­tisch. Ebenso ist es, wenn Sie einen urlangweiligen philosophischen Satz ansehen und die Lippenlaute betonen; dann nimmt er lyrischen Charakter an.

Auf solche Dinge zu achten ist überhaupt gut, und einmal sich zu üben in den Dingen, die unabhängig vom Sinn einen durchführen durch den Sprachorganismus. Zum Beispiel:

Bei meiner Waffe

Sie Vieh schieden

Nur erlag Inger ich

Da gehen Sie von den Lippen wieder weit nach rückwärts fs v sch d; ganz hinten: nur erlag Inger ich. Bei solchen Übungen werden Sie bemerken, wie r eine dreifache Gestalt hat und so geübt werden muss.

*

Wenn Sie das Konsonantische einmal richtig übend in sich wirken lassen, so bekommen Sie zuletzt den ganzen menschlichen Sprach-Organismus in seine richtige Konfiguration hinein. Man kann dann natürlich den Sinn der Sprache nicht gleich herausbekommen, denn der Sinn ist erst in zweiter Instanz in der Sprache vorhanden. Um das hier Gemeinte besser zu verstehen, nehmen wir etwas aus primitiven Sprachen, die sich so ausmachen, als ob sie nur Sinnanklang haben. Da ist die Bemühung vorhanden, den Sprachstrom laufen zu lassen, wie er selbst will. Das ist auch die Bemühung des Dichters, der im Grunde darnach strebt, den Sprachstrom aus dem Abstrakten zu

emanzipieren. Bei meiner Waffe

Sie Vieh schieden

Nur erlag Jnger ich

Indem Sie dies aussprechen, werden Sie bemerken, dass Sie vorne anfangen zu sprechen an den Lippen; die Vokale spielen hier keine Rolle, sie sind nur da zur Fettung.

Draussen wird die Resonanz zur stehenden Welle gemacht und kehrt in sich selbst zurück.

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So gehen Sie von der Lippengestaltung zur Zahnbeherrschung und von da aus zur Zungengestaltung und Gaumengestaltung. Sie sind also von vorne nach rückwärts geschritten.

Wenn Sie folgendes machen:

Ich ringe Groll

Rind war beim Baum

da ist die Geschichte so, dass, indem ich habe: ich ringe Gro... da bin ich im Gaumen, bei. oll Rind... bin ich auf der Zunge, bei. war heim Baum... in den Lippen.

Da sind Sie von rückwärts nach vorne gegangen.

Das eine Mal gehe ich zu mir zurück, das andere Mal aus mir heraus.

Da haben Sie also die Konsonanten so angeordnet, dass Sie sie von vorne nach rückwärts und wieder von rückwärts nach vorne in der Sprachgestaltung verfolgen können.

Bei meinem Beispiel finden Sie gleich eine Berücksichtigung des Ganges von vorne nach rückwärts.

Mit Ausnahme des Zahnkonsonantengebietes haben Sie überall r und zuletzt beim Gaumengebiete wieder r. Aus dem Grunde, weil es drei r gibt: ein Lippen-r, ein Zungen-r, ein Gaumen-r.

Sie werden von selbst angeregt werden, wenn Sie solche Übungen machen, die entsprechende r-Färbung zu geben. Daraus sehen Sie, dass das r einen andern Charakter hat als die andern Konsonanten.

Der Mensch wird im r ganz wild, kommt aus sich heraus; r kann überall rollen; beim r ist man immer aus sich heraus, während beim h und ch man noch ganz in sich bleibt. Selbst in der Hingabe bei ch. Beim h nehmen wir den Astralleib ganz in den Sprachorganismus zurück, wie bei den Vokalen.

Wenn man so sich hält an diese Dinge, kann man finden, wie der Sinn in die Sprache hereinkommt, dadurch dass gewissermassen gesprungen wird.

Indem wir nicht den Gang einhalten, der durch unsern Organis­mus bedingt wird, kommt Sinn in die Sprache hinein.

Ich ringe gross Schaf

Voll Rind nieder heim Weih

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#Bild s. 60

Aus esnem Notizbuch von Rudolf Steiner

Ich ringe vom Gaumen

gross Schaf zu den Zähnen überspringend die Zunge

voll Rind nieder zuruck zur Zunge

heim Weih dann wieder Lippen

Also folgende Kurve (siehe Zeichnung) .

Das ist, was allmählich den Sinn hereinbringt in die Sprache. Man trainiert sich durch solche Übungen.

Der Dichter geht zurück zu dem, was die Sprachorgane noch wollen. Zum Beispiel:

Und es wallet und siedet und brauset und zischt

Vorschreitend von Zunge zu Zähnen zu Lippen, zurück zu Zunge, zu Zähnen, Zunge, wieder Lippen, zurück zu den Zähnen, zurück zu Zunge, ein kleines Vorschreiten, wieder ansetzen.

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Der Dichter versucht in gewisser Weise den Gang, der in den Sprachorganen liegt, zu benützen. Es werden erst vollere, dann kür­zere Bewegungen genommen. Durch Verkomplizierung der Kurven, unter denen dann hart das Musikalische der Sprache liegt, auch das Bildhafte, kommt dann der Sinn zustande, der sich immer mehr vom Musikalischen entfernt.

Verfolgen wir sprachgestaltlich - nicht mystisch - die Szene im Geistgebiet.* Ich habe darin folgendes versucht: erglitzernd - klin­gen, erklingend - glitzern, Gaumenlaut g und k, Zungenlaut 1; immer vom Gaumen zur Zunge und wieder zurück von der Zunge zum Gaumen. Daher wirkt in der Sprache dieses eigentümlich Kuglige, weil sich's immer wieder schliesst. Dann rechtfertigt man durch dieses Gestaltende den Sinn.

In der Dichtung muss man die Welt um Verzeihung bitten, dass in ihr «Sinn> ist, und durch die Sprachgestaltung muss der Rezitator um Entschuldigung bitten. Das sind die Regeln des menschlichen Anstandes gegenüber dem Kosmos.

*

Folgendes kann als Übergang dienen zuln dramatischen Sprechen. Wir haben in den letzten Stunden betrachtet, wie die Konsonanten trainierend eingreifen in den Sprachorganismus. Der Rezitator muss in bewusster Weise an sich beobachten, was durch Lippenlaute, Zungen-, Zahn- und Gaumenlaute in ihln vorgeht, und dann sollte man das zur Stimmung machen, was da vorgeht. Man bereitet sich auch ebenso zu der Stimmung für das Rezitieren und Deklamieren sprachlich vor. Wenn Sie sich etwas aufsuchen, das Sie besonders veranlasst, Ihre Lippen zu gebrauchen, das viel Lippliches enthält, dann gewinnen Sie die Möglichkeit, lyrische Stimmung hervor-zurufen. Sie werden zum Beispiel selbst der sogenannten objektiven Lyrik gegenüber, die oft bei Goethe auftritt und deren Meister beson­ders Martin Greif war, durch diese Stimmung, die aus dem Gebrauch der Lippenlaute komm*t, auch die richtige Stimmung zum Vortrag bekommen.

* 7. Bild: *Die Pforte der Einweihung», Mysteriendra'ina von Rudolf Steiner. Siehe

auch die Übung auf Seite 98.

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Was ist objektive Lyrik? Fast Schilderung und dennoch Lyrik. Eine objektive Lyrik ist eine solche, die sich stark dem Schildern nähert, wo der Dichter nicht stark herausquetscht aus sich, sondern wo ganz in lyrischer Art herausschallt etwas wie von Goethe: Über allen Gipfeln ist Ruh.

Das ganze Gefühl ist diesmal in eine Schilderung hereingeheitunist und man rezitiert es am besten, wenn man so redet, dass die Stim­mung der Lippenlautsprache namentlich darin waltet. - Nicht um-sonst hat die Liebe einen Zungenlaut und einen Lippenlaut. Und selbst wenn Sie die etwas rauhere Liebe nehmen, die der Lateiner hat - amor -, so haben Sie dort auch den Lippenlaut in m, und r muss hier Lippenlaut bleiben, wenn es innerlich berechtigt blei­ben soll.

Eine andere Stimmung werden Sie auch üben können, wenn Sie das ganze Hin- und Herspielen zwischen der Zunge und den andern Organen ins Auge fassen. Dadurch kommt man in die dramatische Stimmung hinein.

Wenn Sie aber versuchen, die Stimmung zu präparieren durch Gaumenlaute, dann bekommen Sie die epische Stimmung, wo der Mensch schon verdaut haben muss, was er vorbringt.

Auf diese Weise werden Sie sich aufsuchen müssen:

eine lippenreiche Rede zur Vorbereitung der lyrischen Stimmung, eine zungenreiche Rede zur Vorbereitung der dramatischen Stim­mung,

eine gaumenreiche Rede zur Vorbereitung der epischen Stimmung. Es ist wirklich so, dass die Lippen das Innerste des Menschen, aber

ganz bewusst, aus sich heraustreiben, der Astralleib schwebt auf den Lippen, und nur so ist es zu ertragen, wenn das Innerste überhaupt ausgesprochen wird.

Dagegen ist die Zunge ein seelisches Tastorgan und sogar physio­logisch ist folgendes richtig: Wenn wir uns mit zwei oder drei Menschen unterhalten, fühlen wir es in der Zunge, ob der Betref­fende uns schimpft oder lobt oder tadelt, und wollen gleich etwas darauf sagen - und dies ist es, was in die dramatische Stimmung hineingehört.

Es ist insbesondere bei der Epik interessant zu sehen, wie man

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verdaut haben soll den Inhalt und selbst dasjenige, was man von der Zunge aus zu sagen hat, nach dem Gaumen zu drehen hat, damit die epische Stimmung herauskommt.

Ebenso sind die bei der Lyrik herausströmenden Lippenlaute bei der Epik zurück in den Leib zu sprechen; wie wenn Sie das Innere des Menschen als Äusseres denken und dann in sich hineinsprechen.

Zum Beispiel:

Es stand in alten Zeiten ein Schloss, so hoch und .......

Immer sollte man hierbei die Stimmung haben: man muss die Lippen zurücknehmen.

Und wenn Sie von diesem Gesichtspunkt aus deklamieren «Das Lied vom braven Mann» werden Sie sehen, wie Sie versucht werden, die Lippen zu spitzen bei:

Hoch klingt das Lied vom braven Mann,

Wie Orgelton und Glockenklang.

Wer hohen Muts sich rühmen kann,

Den lohnt nicht Gold, den lohnt Gesang.

Gottlob! dass ich singen und preisen kann,

Zu singen und preisen den braven Mann.

Dagegen, wo es episch wird, werden Sie versuchen, die Lippen zurückzunehmen:

Der Tauwind kam vom Mittagsmeer

Und schnob durch Welschland trüb und feucht;

Die Wolken flogen vor ihm her,

Wie wenn der Wolf die Herde scheucht.

Er fegte die Felder, zerbrach den Forst;

Auf Seen und Strömen das Grundeis borst.

Im übrigen gebe ich Ihnen den Rat: Lassen Sie das Marktschreie­rische in Bürgers Ballade weg, lassen Sie aus die schlechte Lyrik und bleiben Sie bei der guten Epik.*

*

* In einem von Dr. Steiner gebrauchten Buch: Deklamatorjum, eine Mustersainrnlung

ernster und heiterer Vortragsdichtungen aus der Weltliteratur, herausgegeben von Maximilian Bern im Reclam-Verlag, sind deshalb auch die erste, neunte, elfte, sieben­zehnte und die letzte, zwanzigste, Strophe von ihm gestrichen.

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Bevor man die Stimme zum völlig Dramatischen umarbeiten kann, muss man sie noch viel bewusster gebrauchen lernen. Deshalb, nachdem wir durch die Laute selbst den Redestrom trainiert haben, möchte ich Sie in die Lage bringen, noch bewusster die Laute zu empfinden. Da müssen Sie bedenken, dass sich die Laute bewegen zwischen a und u. Warum? Wenn Sie a richtig sagen - es ist gewis­sermassen der Urlaut -, müssen Sie am weitesten die Stimmritze hinten öffnen. Die a-Bewegung ist diejenige, der in der Aussenwelt am meisten entsprechen die hellen Farben. Und das Ansehen der hellen Farben verführt den Menschen olsnedies am meisten, den Mund aufzumachen. Sie werden bei den griechischen Statuen öfters einen leise geöffneten Mund sehen - die Griechen fanden das schön -, weil die Griechen namentlich in alter Zeit blau - die dumpfen Far­ben - noch nicht so gesehen haben wie wir. Die Griechen haben den Himmel grünlich gesehen - heller -, davon das leise Öffnen des Mundes.

Und derjenige Laut, bei dem am meisten Mund und Zahnspalte zugezogen wird, so dass die Lippe gespitzt wird und so der Laut ver­hindert wird herauszukommen, ist u. Zwischen diesen beiden Extre­men liegen alle Laute.

Die Griechen haben am besten gesprochen a, am schlechtesten u. U-sprechen lernte die Menschheit im Fortschritt ihrer Entwicklung. Wenn Sie dann die Zahnreihen weniger offenhalten, den Mund-kanal etwas kleiner machen als beim a, dann sprechen Sie e. -Wenn Sie die Mundspalte noch kleiner nehmen als beim e und die Lippen noch mehr zusammenbringen, kriegen Sie das i. - Wenn Sie zum 0 gehen, müssen Sie an die Lippen heran, die Lippen spitzen. Sie machen einen Kreis aus den Lippen, die sich spitzen. - Beim u sind die Lippen am meisten zusammengezogen.

Wenn Sie also zum Beispiel sagen:

Lalle im Oststurm

kommen Sie vom weitesten Mundaufreissen bis zum stärksten Lip­penspitzen vorwärts. Es ist eigentü'nlich: Wenn Sie so die Vokale betrachten, werden Sie finden, dass i der labilste Vokal ist; a und u bestimmter, am leichtesten zu bilden. Daher lernt das Kind erst a,

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dann u, dann i. Zuletzt i, weil es der künstlichste Vokal ist, der die Mitte hat zwischen Mundaufmachen und Lippenspitzen; konfigu­riert und plastisch ist i. Der Sprecher sollte gut mit diesen Dingen rechnen, bewusst sich werden, wie die Stellungen sind.

Ich bemerke, dass es einigen schwer wird, die Umlaute in der richtigen Nuance zu sprechen. Folgende Lautzusammensetzung wird als Übung gute Dienste tun:

Lalle im Ost («siurm» auslassen>

Gänöbü

Uf

*

Ich habe davon gesprochen, wie selbst in die Stimmung der epischen, dramatischen und lyrischen Dichtung die Lautgestaltung hineinspielt. Von der Sprache selbst ist zu lernen der Zusammen­hang von dem, was man spricht und was mechanisch-dynamisch im Menschen wirkt. Nie sollte es so sein, dass man vom Mecha­nischen ausgeht.

Man sollte Vertrauen zum eigenen Organismus haben und ihm überlassen, sich am richtigen Sprechen in richtiger Weise einzu­stellen, damit er sich so orientiere, wie es zum richtigen Sprechen führt, wie bei der Entfaltung der Wachsturnskräfte, wo er noch nicht gestört wird durch Eingreifen von aussen. In der Zeit, wo er nicht denken kann, bereitet er sich ausgezeichnet physisch vor. Man würde ihn sehr stören, wenn man ihm Vorträge halten würde, wie er sein Ohrläppchen usw. einstellen soll, um zum richtigen Hören zu kommen. Man sollte einen Weg einschlagen, der von der mensch­lichen Natur schon vorgezeichnet ist. Die Sprache hat ihren eigenen Genius. Aber man muss sich gemäss dem Grade der Entwicklung der Menschheit die Dinge zum Bewusstsein bringen.

Es ist gut, darauf zu kommen, wie man die Unterschiede zu behandeln hat zwischen

Lippen-

Zungen- } Lauten,

Gaumen-

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den Weg zu verfolgen, den man gehen muss im Organismus. Zu­nächst sollte man die Dinge üben an einem möglichst regelmässigen Gang. Ich will Ihnen hier Übungen geben, deren Bedeutung ich später erklären werde. Das Üben muss ähnlich werden dem Spre­chen auf niederen Stufen, in volkstürnlichen Dialekten.

Bei seiner Gartenture sass er

Er hat dir geraten

Befolge nur aufs beste

Recht vom Herzen gut

Sowie du nur gerade vermagst

Rechten Rat

Sie werden fühlen, wenn Sie versuchen mit plastisch gerundeter, volltönender Lautbildung, mit Fühlen und Tasten zu sprechen, dass sich diese Übung ausserordentlich leicht mit Fülle und Deutlichkeit sprechen lässt. Aus dem Grunde, weil, wenn Sie die Aufeinander­folge der Laute verfolgen, Sie einen regelmässigen Gang geführt werden, die r lassen wir zunächst in der Betrachtnng aus. B - Lippen, s - Zähne, n - Zunge, g - Gaumen, dann vom Gaumen zurück zur Zunge - t, n - bleiben etwas bei der Zunge, t - gleichfalls, sass

- Zähne. Kurz, wenn wir verfolgen den Lautstrom, ist die Regel, immer den Weg zu machen von vorne nach rückwärts, von rück­wärts nach vorne, durch die Zeilen durch, so dass Sie nicht zu sprin­gen brauchen. Sie gehen mit den Lauten sukzessive; und daher spricht sich das so leicht aus, weil man nicht springt, sondern sich bewegt.

Nun die r, die überall eingestreut sind - als Lippen-, Zungen-, Gaumen-r. Gerollt kann es überall werden; aber man lernt, wie man es am besten zu sprechen hat, wenn man gerade bei der betref­fenden Stelle ist. - Die r stehen hier so, damit Sie Gelegenheit haben, sie da anzutreffen, wo Sie sie gerade als Gaumen-, Lippen-oder Zungen-r aussprechen können. Das können Sie sich bewusst machen an solchen Übungen. Sie lernen da verstehen, wie die Laute sitzen.

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Lippenlaute: b p m w *

Zahnlaute: f* v* s sch z c

Zungenlaute: n d t 1

Gaumenlaute: g k ch und ng

Dieser letzte Laut ist vorhanden im Deutschen, wenn er auch nicht aufgezählt wird. Es ist nicht richtig, das n vom g zu trennen und zu sagen sin-gen, sondern ineinander, halb n, halb g.

*

Es ist gut, alles von verschiedenen Seiten zu betrachten. Es kann zum Beispiel im Leben vorkommen, dass man einem Menschen die Photographie seines Bruders reicht, und er hat ihn nicht erkannt. Sie haben ihm nämlich ein Profilbild gereicht, und er ist gewöhnt, den Bruder en face zu sehen. Einseitigkeit ist immer schädlich. Man muss von verschiedenen Seiten her betrachten. Das müssen Sie ins­besondere, wenn Sie die Sprache gestalten lernen.

Achten Sie auf das a. Das Kind kann es: Man reisst den Mund auf und schickt den Sprachstrom durch; das macht das Kind gern.

A ist am wenigsten konfiguriert, beim u dagegen müssen Sie die Lippen spitzen, nicht nur plastisch gestalten, sondern am meisten konfigurieren. .Die andern Vokale liegen dazwischen. Wenn Sie die einfachen Prozeduren beim a modifizieren, mehr zusammenhalten, kriegen Sie e, noch mehr zusammenhalten: i, und wenn Sie die Lippen zu Hilfe nehmen und damit einen Kreis bilden: o. Da brauchen Sie aber noch nicht die Lippen zu spitzen, sondern erst

beim u. A e i o u

hier haben Sie richtige plastische Arbeit; i liegt in der Mitte, hat das

labilste Gleichgewicht. ,

Lalle im Oststurm

*

* Im 18. Vortrag des Dramatischen Kurses vom Herbst 1924 gliedert sich die Angabe für diese Laute in Zusammenwirken von Unterlippe und oberer Zahnreihe. Siehe auch Seite 57 dieses Buches.

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Ebensogut ist es, die Konsonanten von verschiedenen Seiten kennenzulernen. Man kann sie auch noch anders einteilen, man kann zunächst auf die Laute sehen, bei denen man bläst. Im Genius der Sprache sind die Laute unterschieden: f und s; ef und es werden Sie sagen, aber niemals ek und eg, sondern ka und ge: k und g. Warum? Weil die Leute sich aus dem Sprachgenius gewöhnen, Blaselaute so auszusprechen, dass sie erst die Stimme ansetzen, dann blasen.

Neben den Blaselauten haben wir die Stosslaute. Da stösst man drauf. Da können Sie interessante Studien machen. Zum Beispiel die Deutschen sagen ef = f, die Griechen sagen phi = e In Griechen­land war es ein Stosslaut; im Deutschen ist es ein Blaselaut gewor­den. Es hängt dies mit dem Volkscharakter zusammen, dass einzelne Stosslaute zu Blaselauten geworden sind vom Griechischen ins Deutsche hinüber.

Wir sollten uns abgewöhnen, das h zu versteifen; es liegt in jedem Vokal und begleitet ihn.

Wir sollten auch nicht sagen ce-ha, sondern ach, denn es ist Blaselaut.

Auch esch = sch ist Blaselaut, es sollte nicht es-ce-ha heissen. Man wundert sich, dass keine Unart da ist bei es = 5. Auch ew wäre bes­ser zu sagen als we = w.

Richtige Stosslaute sind d = de, t = te, g = ge, k = ka; aber man sollte sagen, statt en = n: ny oder ne, statt em = m: me oder my.

Besonders wichtig ist es, als Stosslaut zu behandeln: ng = singen. Zwei Lautarten, die einen andern Charakter haben, sind:

Zitterlaut r

Wellenlaut 1

L ist seiner Funktion nach Wellenlaut. Wellen kann nur die Zunge. Zitterlaut r ist in allem darin, mit Ausnahme der Zähne.

*

Beispiele auf Grundlage des bereits Gesagten.

Ohne zu stolpern folgenden Satz sagen, der alle Blaselaute enthält:

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Ach, forsche rasch;

Es schoss so scharf auf &hussweise

Für Stosslaute:

Drück die Dinge, die beiden Narrenkappen Tag um Tag

Andere Fassung:

Tritt die Dinge, die beiden Narrenkappen Tag um Tag

Nachdem die einzelnen Laute und deren Bedeutung im Hinblick auf das Rezitieren und Deklamieren durchgesprochen worden sind, möchte ich darauf hinweisen, dass man für den epischen Stil ver­suchen muss, möglichst bildhaft zu sprechen. Der epische und der lyrische Stil sind einander entgegengesetzt. Der lyrische ist mehr musikalisch, der epische mehr plastisch. Beim lyrischen Stil handelt es sich darum, dass man von seiten des Gefühls den Willen in Aktion bringen muss in die Atemluft. Der lyrische Stil entsteht, auch wenn er Höhen des Tones gebrauchen muss, sehr tief aus der mensch­lichen Wesenheit heraus, entsteht dadurch, dass man den Willen sehr aktiv in die Ausatmung bringt. Der epische Stil ist so, dass man sagen muss: Es muss angestrebt werden durch das, was man spricht, die Lücken, die Pausen, in weiterem Umfange eigentlich die Ein­atmung zu gestalten. Ein Gefühl muss man entwickeln dafür, wann man zwischen den Worten still und ruhig sein muss, um diese Stille zu gestalten.

So dass also der lyrische Stil vom Strom getragen werden muss, beim epischen Stil dagegen muss man masshalten. Er wird bewirkt, indem man richtig versteht, die Einatmung zur Pause zu benutzen. Das ist der Gegensatz. Sie werden ganz von selbst, wenn Sie sich halten an das, was gesagt worden ist, so gestalten. Sie werden so gestalten, wenn Sie sich halten an das, was ich von den Lauten gesagt habe und was ich jetzt sagte: vor allem die Lautgestaltung zum Bild­lichen zu bringen im e'pischen Stil.

Wenn die Lautgestaltung so ist wie in Uhlands «Des Sängers Fluch» , können Sie viel daran lernen.

#SE280-070

Es stand in alten Zeiten ein Schloss, so hoch und hehr,

Weit glänzt' es üher die Lande bis an das blaue Meer.

Sie haben nur dann den epischen Stil in der Hand, wenn es Ihnen gelingt, zu malen in Lauten und die Pausen in richtiger Weise zu gestalten.

Stilmaletei kommt nur heraus, wenn stand für sich allein steht, a ausgenützt wird, und das Bild des Stehens in alten Zeiten für sich allein wirkt, fixiert wird.

Ein Schloss - versuchen Sie gut das 0 auszunutzen zum Abrunden des Schlosses

hoch und heht - hier folgt die Beschreibung: die Grösse und wie es Eindruck macht

weit glänzt es - abgeschlossen, hoch und hehr darin interpretiert

über die Lande - wieder etwas für sich.

Und so werden Sie die Gliederung zu gestalten haben, damit durch die Lautgestaltung die Bilder entstehen.

*

Es gibt Dichter, welche die Lyrik fast an die Epik heranbringen; bei Goethe ist dies oft der Fall, und zur Kunst ist dies ausgebildet bei Martin Greif.

Zum Beispiel: Über allen Gipfeln

Ist Ruh,

In allen Wipfeln

Spürest du

Kaum einen Hauch;

Die Vögelein schweigen im Walde.

Warte nur, halde

Ruhest du auch.

Sie sehen da hineinkommen das Emotionelle erst ganz am Schlusse. Erst haben Sie mit epischem Masshalten fast eine Beschreibung von «Über allen Gipfeln> bis «irn Walde» . jetzt den lyrischen Ab-schluss:

Warte nur, balde

Ruhest du auch.

#SE280-071

Wenn Sie fühlen wollen, wie Sie es sagen sollen, so werden Sie erkennen: Zu den ersten Zeilen brauchen Sie den Kopf, zu den letzten Zeilen die Brust und überhaupt den ganzen Menschen. Bei den letzten Zeilen muss man die Pausen so gestalten, dass, was man sagt, ein Hinweis auf die Pausen ist. Zuletzt kommt Gewalt in die Silben selber. Was beim epischen Stil in Betracht kommt, ist die Rezitation, ist das Masshalten.

Beim lyrischen Stil ist es die Deklamation; da handelt es sich darum, Hochton und Tiefton in entsprechender Weise zu unter­scheiden.

Wenn Sie sich gewöhnen wollen, den epischen Stil nach und nach ganz in Ihre Gewalt zu bekommen, können Sie bei einzelnen Wor­ten es üben, die innere Plastik haben:

Otto, tot, Anna, Ehe , Eile , Retter , Esse , Renner

Worte, die, wenn Sie sie aussprechen mit dem ganzen Sprechapparat, eine gewisse Fähigkeit der Plastik haben, weil sie sich nach rück­wärts ebenso aussprechen lassen.

Man muss sich erst zum Bewusstsein bringen, dass es so ist, aber die Sprachorgane fühlen es, dass die Worte so sich plastisch gestalten. Solche Kreisworte - Kugeln sind es - sind gut zu sprechen.

Besonders viel werden Sie haben, wenn Sie die Zunge oft zu plastischem Sprechen von

Reliefpfeiler

veranlassen (langes Kugeiwort) oder von folgenden Kugelsätzen:

Ein Ledergurt trug Redel nie

Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie

Das ist ausserordentlich trainierend für die Zunge, solche Dinge auszusprechen, zum Runden der Sprache.

Es ist schon Grund da, warum durch solche Worte die Zunge trainiert wird, weil sie in sich einen Abschluss haben. Den epischen Stil daran zu trainiere*n ist gut, um wohilautend und wohlklingend zu rezitieren.

#SE280-072

Dann ist es gut für den epischen Stil, wenn Sie versuchen, Worte sich im Kreis zu denken:

Fröhlich verlasse uns

Verlasse fröhlich ,ins

Uns verlasse fröhlich

Hintereinander; wenn im Kreise: nach der Richtung des Uhrzeigers; dann rückwärts.

*

So gibt es verschiedene Arten des Darstellens, die epische, die lyrische und die dramatische. Bedenken Sie, dass bei der epischen Darstellung das Wort etwas ganz anderes ist als bei der lyrischen und dramatischen; bei der epischen ist das Wort da, um abzubilden; der Zuhörer muss ein Bild gewinnen von dem, was erzählt wird. Da durch den Sprachgeist das erreicht werden soll, muss der Sprachgeist mitwirken. Das kann er nur, wenn die Worte zu Bildern werden, zu Bildern sprachlich gestaltet werden. Wie Bilder, die man malt im Raum, keine drei Dimensionen haben, so hat die epische Darstellung keine drei Seelendimensionen. Diese dritte Seelendimension ist der Wille; wir wenden sie im Epischen nicht an, können den Willen also zum Schildern verwenden, denn er ist ja da in uns.

Das sind die Grundlagen für das Sprechen des epischen Stils.

KURSUS ÜBER KUNSTLERISCHE SPRACHGESTALTUNG 1922 II. TEIL

#G280-1975-SE073 Methodik und Wesen der Sprachgestaltung

#TI

RUDOLF STEINER

KURSUS ÜBER

KUNSTLERISCHE SPRACHGESTALTUNG 1922

II. TEIL

NACHSCHRIFT VON MÄRIE STEINER

#SE280-074

AUS EINEM NOTIZBUCH VON RUDOLF STEINER

#TX

1. Episch - das Wort ist da zum Abbilden; es muss ihm die dritte Seelendimension, der Wille> fehlen. Man kann daher den Wil­len, das heisst Steigungen, Senkungen verwenden zum Schildern = man kann die Sprache plastisch machen. Mass: Rezitation.

2. Lyrisch - das Wort ist da zum Ausströmen des Gefühis; es muss die dritte Seelendimension, der Wille, drinnen sein, das heisst man muss die Sprache musikalisch machen. Höhe: Deklamation.

3. Dramatisch - musikalisch plastisch, also, wenn der Spieler Eigenes auszusprechen hat - deklamatorisch; wenn er nicht Eigenes aus­zusprechen hat: rezitatorisch. -

Naiv: rezitatorisch, hoch

Sentimental: deklamatorisch, tief

Charakter: rezitatorisch, tief

Held: deklamatorisch, hoch

#SE280-075

#Bild s.75

#SE280-076

Es kommt darauf an, dass man auch im weiteren Sinne aus dem Menschen herausholt das, was künstlerische Gestaltung der Sprache ist im Rezitieren und im Deklamieren. Über die Bedeutung der Lautgestairung sind wir uns klargeworden. Wenn es weiter kommt zum wirklichen Deklamieren des Epischen und Lyrischen, geht es an die wirkliche Wesenheit des Menschen heran. Da muss man wissen, dass alles Sprechen sich abspielt zwischen dem Atem und der Blutbewegung. Und zwar ist massgebend dafür, dass der Puls der Blutbewegung konstant viermal schlägt während eines Atem­zugs. 18 Atemzüge sind gleich 72 Pulsschlägen. Nun entspricht in der normalen Sprache ganz genau ein vierteiliger Pulsschlag einem einmaligen Atemzug. Das gibt eine Verteilung sogar des Voka­lischen und Konsonantischen. In der Normalsprache waren auch viermal so viele Konsonanten als Vokale. Und man würde dann gewissermassen am selbstverständlichsten, am gemessensten spre­chen, wenn man dies Verhältnis des Vokalischen zum Konsonan­tischen so beobachtet, dass man zu je einem Vokal vier Konsonan­ten hat.

Nun ist das natürlich nicht bei allen Worten der Fall; gerade dadurch bekommen die Worte ihre Gefühlsschattierung, dass dies nicht der Fall ist.

Wenn Sie das Wort «Groll» aussprechen, haben Sie ein Wort, das am gemessensten ausgesprochen wird durch die Lautgestaltung. Damit es so sein kann, wird das 1 verdoppelt Bei den meisten Wor­ten ist es so, dass man die Atmung betont, daher sind die eigent­lichen Sprechworte diejenigen, worin ein Vokal und drei Konsonan­ten enthalten sind «Wurm, Mensch». Sie können dann merken, wenn Sie in einem einsilbigen Worte nur zwei Konsonanten haben, wie Sie dies Wort aus sich heraus gegen den Atem hinziehen. Das gibt den verschiedenen Sprachen ihren besondern Charakter. In einer Sprache, die stark konsonantisch wirkt, wird durch die Sprache selbst alles herangebracht ans Blut; bei einer Sprache, die vokalisch wirkt, an den Atem und damit an die Überlegung. Die Einsicht in dieses ist nur eine Grundlage für dramatisches Sprechen, das sich aus der Situation ergeben muss.

Versuche ich vokalisch zu betonen und damit langsam zu sprechen,

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so wende ich inich dem Atem zu. Akzentuiere ich scharf die Konsonanten und spreche schnell, so wende ich mich dem Blute zu. Merken Sie, wie Sie durch solche Beobachtungen feine Nuancen im dramatischen Sprechen herausbekommen. Sie werden im all­gemeinen das, was stark überlegt ist, langsam sprechen und dabei vokalisieren. Und Sie werden, was im Affekt herausgesprochen ist, in der Emotion, schnell sprechen und dabei konsonantisieren. Nun kann es auch vorkommen, dass sich die allgemeine Regel, wenn der Mensch stark ausser sich kommt, ins Gegenteil verkehrt. Gedanken werden im allgemeinen vokalisierend und langsam aus-gedrückt werden. Will ich aber andeuten, dass der, welcher sie spricht, an einer Art Ideenflucht leidet, ausser sich ist, so dass nicht er die Gedanken, sondern die Gedanken ihn haben, muss ich zum Kon­sonantisieren und schnellen Sprechen übergehen. Der Zuhörer ist naiv, er hört das Naturgemässe; daher wird einer, der langsam phantasiert auf der Bühne, nie befriedigen, sondern nur derjenige, welcher schnell phantasiert. - Umgekehrt ist das nun, wenn der Wille in Betracht kommt, die Affekte. Solange ich als leidlich Gesunder spreche, muss ich konsonantisieren; bin ich halb tot, wie Attinghausen, muss ich vokalisieren und langsam sprechen. Denn der naive Zuhörer empfindet so, wie wir die Sache besprochen haben.

- Wenn Sie also einen Kerl haben, der Starkes erlebt hat, und er kommt, um zu berichten, da überwiegt bei ihm nicht die Überlegen­heit über das, was er berichtet, sondern der Wunsch, es mitzuteilen; dann muss er konsonantisieren und schnell sprechen. Bei dem­jenigen, der nun zuhört, müssen wir uns klar sein, dass er in der gegenteiligen Stimmung ist, selbst wenn er erschüttert ist: Er braucht Überlegenheit, um die Sache erst zu fassen; er wird also unter allen Umständen zuerst langsam und vokalisierend sprechen. Und besonderes dramatisches Leben kommt nun hinein, wenn der Zuhörende vom langsam vokalisierenden Sprechen übergeht zum Konsonantisieren und schnellen Sprechen. Denn damit zeigt er in der Sprachgestaltung, dass er Interesse gefangen hat und versteht. Das aber nimmt wiederum dem Mitteilenden, der angekommen ist, Aufregung; er wird beruhigt und geht über ins Vokalisieren und langsame Sprechen. Und damit - wenn Sie das beobachten - haben

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Sie den dramatischen Dialog in der Sprachgestaltung Darin können Sie fruchtbare Gesichtspunkte finden für den Dialog.

Nehmen wir die Szene, die dem Monolog des Wilhem Teil voran­geht. Es handelt sich darum, eine solche Szene so zu studieren, dass man immer herauszufinden sucht, wie sie zu nuancieren ist. Des­wegen will ich eine Probe vorangehen lassen, die einzelne Nuan­cen gibt. Der als Regisseur fungiert, muss sich bemühen, die kon­trastierenden Charaktere herauszufinden. Zum Beispiel Walter Fürst, Stauffacher und Baumgarten: Menschen, die nicht über ein gewisses Mass des Enthusiasmus hinausgehen, in sich halten ihre Begeiste­rung; der ruhigste: Stauffacher; etwas feuriger: Baumgarten; bieder: Fürst; Hedwig: sehr stark im Affekt; Attinghausen: da muss veranschaulicht werden, dass er ein Sterbender ist. Rudenz:

muss so gespielt werden, dass man immerhin dessen Egoismus durch­merkt und eine leise Nuance von Phrase. Melchtal: der feurigste, der bis ins innerste Mark glaubt, was er zu sagen hat.

Dadurch wird der Tell-Monolog vorbereitet.

Nun will ich Sie auf eine Art Nuancierung beim Lesen aufmerk­sam machen. Es ist noch nicht so stark herausgearbeitet, wie wenn gespielt wird, aber man muss zunächst zeigen, wie die Fäden laufen müssen. Zum Schluss der Szene - vor dem Monolog - starke Steigerung.

Teil: ruhig - bis «Mach deine Rechnung...>

«Zum Ungeheuren hast du mich gewöhnt» - lange Pause.

«Die armen Kindlein> - gehalten, allmählich in-grimmig.

*

Hedwig:* nicht nur nach der emotionellen Höhe, sondern auch nach der emotionellen Tiefe.

Attinghausen: allmählich schneller werdend, aber verhauchend.

* Die Szenen <4. Aufzug, 2. und 3. Auftritt) werden von Rudolf Steiner und andern Teilnehmern gelesen. Dann macht Rudolf Steiner folgende Bemerkungen.

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Rudenz: muss versuchen, die Vokale voller zu nehmen, weil sonst Stimme verlorengeht im Raum.

Melchtal: Die 1 kommen noch nicht heraus; rieseln, statt dass sie stromhaft gesprochen werden.

Teil: gut. - «Auf dieser Bank von Stein . . .>, das war noch nicht ganz durchempfunden.

Dann « Ich laure auf ein edles Wild»: eine leise Nuance von Ironie; das muss durch ein dumpferes und kürzeres e erreicht werden. Auch muss man immer die Vorstellungen haben der Hantierungen, die man dabei macht. Deshalb waren die Pausen zu kurz.

An all diesem haben Sie vielleicht gesehen, wie man versuchen kann, die Sprache zu gestalten. Bei Attinghausen recht stark fest­halten, dass er zum Schluss ziemlich schnell, aber verhauchend spricht.

*

Das Rezitieren verlangt das gleiche wie das Klavierspielen. Zu­nächst muss man die Regeln kennen, dann diese in die Gewohnheit bringen, so dass der Zuhörer nicht merkt, dass man Regeln an­wendet. Dadurch, dass man sie anwendet, dass man verschieden­artig gestaltet, wird der Eindruck der naturgemässen Wahrheit gewonnen. In jeder Kunst ist es so.

Man muss sich bewusst sein, dass die vierte Wand fehlt, dass man das Leben im Relief sieht. Damit hängt der Stil zusammen. Deshalb kann nicht bloss naturalistisch gesprochen werden. Des­halb müssen Sie auch Stellungen finden, die dem Relief entsprechen. Es ist unmöglich, naturalistisch sein zu wollen auf der Bühne. Man muss Stellungen finden - höchstens im Vierteiprofil. Solches durchzuführen, das ist Regiekunst. Man kann sich nicht beim Sprechen mit dem Rücken zum Publikum drehen. Es ist schon so, dass die Bühne gedacht werden muss als ein Relief des Lebens.

Dann muss man sich merken, dass alle Konsonanten in grossen Sälen schwerer zu verstehen sind als in kleinen, wenn sie nicht

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durch Vokale genügend unterstützt werden. Daher muss besondere Aufmerksamkeit darauf gerichtet werden.

Das Dramatische ist eigentlich eine Synthese, eine Zusammen­fügung von Lyrischem und Epischem. Natürlich unterstützt durch un­mittelbare mimische Darstellung.

Nehmen Sie an, Sie haben erkannt an etwas Dramatischem, das da vorliegt, jemand wolle mit Eifer etwas mitteilen. Da schauen Sie sich die Konsonanten an, lassen die Vokale fallen; Sie sprechen die Konsonanten mit Nachdruck und nicht zu langsam. Dann rufen Sie im Zuschauer den Eindruck hervor durch die Sprachbehandlung:

das ist einer, der im Eifer etwas mitteilt. Also: Vokale fallenlassen, Konsonanten hervorheben und Langsamkeit vermeiden.

Nehmen wir nun an, es soll etwas Bedächtiges mitgeteilt werden. Der Zuhörer soll den Eindruck haben: der ist ein sinniger Mensch, der bringt uns etwas zum Bewusstsein. Dann muss man die Vokale anstreichen, die Konsonanten fallenlassen und langsam sprechen. So haben Sie einfach durch die Behandlung der Sprache erreicht, was zu erreichen ist. Man kann dann gerade dadurch, dass man auf solche Dinge Wert legt, die richtigen Übergänge schaffen. Nehmen wir an, jemand teilt etwas mit, merkt, dass ein anderer aufpasst, kann dann vom schnellen konsonantischen Sprechen zum langsamen voka­lischen übergehen: Also erst war er im Eifer, dann merkte er, dass er nicht verstanden wird, will überzeugen, geht ins Langsame hin­über. - So kommen Schattierungen hinein. - Oder ein Bedächtiger sagt etwas, merkt, der andere versteht ihn nicht, bleibt einen Augen­blick stumm, dann geht er über vom langsamen zum schnellen Tempo. Aus dem Sprachbilde und der Emotion muss man gewinnen, was der Zuschauer zu empfinden hat. - Sie werden so merken, was zu verstehen ist unter Sprachgestaltung Derjenige, der rezitiert und deklamiert, sollte nicht so aufdringlich sein, durch sein eigenes Gefühlsleben wirken zu wollen. Das gehört in die Vorbereitung. Wenn Sie rezitieren, müssen Sie darüber hinaus sein und sprach­gestaltend wirken.

Es gibt heute nicht viele gute Bühnenleiter, sondern höchstens Reinhardts, nicht viele gute Sprecher, sondern höchstens Moissis. Wenn die Bühne vier Wände hätte, könnte man so regissieren wie

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Reinhardt. Sonst aber, wenn man so regissiert, macht man nur dem Publikum und sich etwas vor. Beim Malen ist nicht die Farbe und das Helldunkel allein das Material. Es ist die Fläche, und man muss in der Fläche empfinden. Die reine Raumperspektive ist im Grunde etwas Plastisches. Sie haben nichts Ursprüngliches, wenn Sie eine Raumperspektive malen, sondern etwas Plastisches. Das Malen muss mit der Fläche rechnen, die Bühne mit den drei Wänden. Man muss sich bewusst sein, dass die Bühne mit dem Zuschauer ein Ganzes ist. So kann es nicht sein, dass man nicht Rücksicht nimmt auf den Zu­schauer. Wer die Totalität dessen, was vorliegt, empfindet, muss sich sagen: was bedeutet es, wenn ich den Schauspieler von hinten nach vorne schreiten lasse? Das ist etwas, was zu den künstlerischen Mitteln gehört. Ebenso wie man nicht beliebig Kleckse machen kann auf ein Bild, kann man nicht beliebig auf der Bühne Bewegungen machen.

Zum Beispiel, es geht jemand auf der Bühne von hinten nach vorne. Dies würde bedeuten: Jetzt sagt er etwas, was einen intimen Charak­ter hat. Der Zuhörende muss schon vorher nach vorne placiert worden sein; der andere muss ein paar Schritte nach vorn machen. Dann kommt der Charakter der Intimität heraus. - Wie aber kommt der Charakter der Publizität zum Ausdruck? Jemand will einer Gruppe etwas sagen, also öffentlich. Er steht da, wird anfangs nach hinten zu gehen mit einer Gebärde, die ungefähr ausdrückt: Kinder, ich will euch etwas sagen!

Das sind Dinge, die uns vor der Phantasie stehen müssen, wenn es auf das Regissieren ankommt. Man muss Technik, aber auf menschliche Art kennen.

Dann weiter! Sie haben jemand, der etwas sagen soll, was Interesse erregt: Sie werden dann von links nach rechts gehen müssen, nie von rechts nach links. Haben Sie eine Passage, für die Sie wissen:

das muss eindringen, muss den Verstand erregen, nicht emotionelles Interesse, werden Sie von rechts nach links gehen müssen. Und zwar aus dem Grunde, weil das linke Auge seelischer ist, das rechte intel­lektueller.

Solche Dinge gehören notwendigerweise dazu, wirklich ein Bühnenbild zu schaffen und das Dramatische in richtiger Weise in der Phantasie auszugestalten. Das Dramatische muss in die Situation

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hineingestellt werden. Der Naturalismus hat bloss den Dilettantis­mus grossgezogen. Kunst ist etwas anderes, als bloss Natürliches in der Sinnenwelt. Daher muss man bei den Gebärden nur das Not­wendige tun. Wenn man heute eine Bühne sieht, zünden sich die Leute fortwährend Zigaretten an, weil die Leute keine andere Emp­findung haben als das Nachrnachen dessen, was im Leben vorgeht. Es handelt sich aber darum, etwas künstlerisch zu gestalten. Wenn zum Beispiel ein kleiner Junge das tut, kann es eine Nuance geben, charakterisieren. Aber bei alten Leuten ist man nicht wie beim Es sollte also Regel sein, nur das zu tun, was im Verlauf des Stückes notwendig ist.

Sie werden gesehen haben, dass es für die Rezitation und Dekla­mation darauf ankommt, die Sprache, das Wort, den Laut zu erleben. Das Tote hat an der Menschheitskultur so lange gearbeitet, dass wir es als unsere intensive Aufgabe betrachten müssen, das Lebendige hineinzubringen. Erleben des Lautes ist nicht so leicht, wie Sie es vielleicht annehmen. Nehmen wir an, Sie wollten aus dem Empfin­den heraus ein Geräusch erleben, durch die Sprache es fliessen lassen. Was finden Sie heute für Theorien über die Entstehung der Sprache? Zwei Theorien gibt es: die sogenannte Bim-bam-Theorie und die sogenannte Wau-wau-Theorie.

Die Bim-bam-Theorie nimmt an, dass die Sprache so zu uns spricht wie Glocken; ein geheimnisvolles Nacherleben des Unorgani­schen wäre die Sprache. Während die Wau-wau-Theorie davon aus­geht, dass die Sprache eine menschliche Weiterbildung der im Tier­reich vorhandenen Laute wäre.

Für die sprachliche Handhabung ist durch diese Theorien nicht viel herausgekommen, denn es bewegte sich auf dem Niveau des Intellektuellen. Die Wahrheit ist, dass die Sprache sich bewegt auf dem Niveau des Emot*ionellen, das nur verstanden werden kann durch spirituelle Erkenntnis.*

*

* Siehe Fussnote auf Seite 11

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Krik krak knik

Nützliche Übung, um Passagen wiederzugeben in Gedichten, wo Sie denselben Empfindungsausdruck haben wie in krak oder krik oder kruk.

Bei Monologen können Sie sich sagen, ob Sie ihn erleben in der krak- oder krik- oder kruk-Stimmung.

Kr - Geräusch

krak: etwas Plötzliches; krachendes Geräusch.

kruk: etwas Dauerndes und Lautes; nach solcher Vorübung werden Sie ungefähr in richtiger Weise rezitieren einen Herold.

krik-Stimmung: Scharf eindringend. - Wenn Sie zum Ausdruck bringen wollen etwas, was Sie einschärfen wollen, zum Bei­spiel ein pedantischer Schulmeister.

krak: Mephistopheles im Faust, Prolog im Himmel: krik: Wagner im Faust, Osterspaziergang: krul:: Der Herr im Faust, Prolog im Himmel:

Solch scheinbar sinnlose Übungen sind deshalb ganz nützlich: die Seele ist immer in einer andern Form des Erlebens.

Besonders in unserer Zeit, wo man so abstrakt ist, ist es nicht leicht, sich das Erlebnis der Sprache anzueignen. Wer empfindet zum Beispiel noch, was in dem Worte Begeisterung liegt. Dass Unendlich reiches Leben spricht sich dadurch aus, dass man schön und hässlich als polarische Gegensätze hat.

Schein ist, was flutet durch die Welt. Etwas getrübt fixiert er sich, ist er der festgehaltene Schein: schön.

Was zurückhält sein Wesen, was sich mir nicht zeigt, hass ich:

hässlich. Da haben Sie den Gegensatz.

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Wenn ich vom Schönen rede, liebe ich den Schein, kann ihn objektiv bezeichnen; die Hässlichkeit verbirgt sich mir, ich kann sie nicht objektiv bezeichnen, so bleibe ich subjektiv.

Wer sich nicht so in die Sprache hereinlebt, dass ihm die Worte etwas zu sagen beginnen, kann nicht zur Kunst des Rezitierens kommen.

*

Der Sprachgenius hat ein kosmisches Gewissen, das bezeugt er in den Zeitaltern, in denen man den Sprachgeist hören konnte.

Nehmen Sie als Beispiel:

m-z-g

Sie wissen, ein Lippenlaut ist m: Mund

ein Zahnlaut ist z: Zahn

ein Gaumenlaut ist g: Gaumen

Selbst wenn der Sprachgeist Witze macht, tut er es richtig: Maul.

Man sollte es sich aber nicht in abstrakte Formeln festlegen, dann haut man daneben.

Zum Beispiel: w ist ein weicher Konsonant. Das kann man gut sehen bei folgender Übung:

Weiche wehendem Winde auf Wiesenwegen

Hier haben wir lauter Konsonanten, die sich im w zu Hause fühlen. Alle Konsonanten sind Häuser des Tierkreises, alle Vokale Häuser der Planeten. Wenn aber jemand eine Theorie daraus macht, werde ich ihm sagen: Hast du nie das Wort Wucht gehört? Da ist w nicht in seinem eigenen Haus. Besiegt ist die Stimmung des w. Erhärtet ist die weiche Stimmung des w.

Wachtig - wogt - Wirbelwind

So muss man sich praktisch einleben in Stimmungen und nicht Theorien geben.

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Du zweifelst, du zurnest, du zerreissest zornig

Sie haben mit den Lauten gemalt, was geschieht, werden in dem z überall dies Zerstörende finden. Werfen Sie in solchen Passagen, die zerrissen sind, die z dem Zuhörer an den Kopf. Empfinden Sie konkret den Unterschied mit folgendem:

Zweifle nicht, zürne nicht, zerreisse nicht zornig

Man kann also die Möglichkeit schaffen, Milde auszugiessen über das, was die Sprache macht. Sie kann sehr schön wirken, wenn sie besiegt wird in ihrer Urbedeutung durch das, was die Seele ihr abgewinnt

Bedenken Sie, wie Sie sich hineinleben in das s allmählich im

Satz: Sieh silberne Segel auf fliessendem Wasser

und wie Sie mit Ihrer Sprache einen ganzen Weg durchmachen, wenn Sie folgendes sagen:

Rauschende Reden rollten im Raume

Nehmen wir an, jemand war in einer Versammlung und will in Kürze ausdrücken, wie es war. Es gab mehrere Redner, alle waren sympathisch, es wurde sprachlich gut gesprochen. Das Ganze hatte etwas Aneiferndes. Er will zum Bewusstsein bringen, dass da Inhalt war, dann die bleibende Wirkung, dann, dass er kgendwo war, wo es geschehen ist.

Wollen wir den Satz fein nuancieren. Zunächst haben wir einen

Eindruck auf die Sinne in: Rauschende

dann das Bedächtige: Reden

den Eindruck auf die Emotionssphäre in: rollten

das Rollen kommt zum Gerinnen (wie eine

Eischale) in: Raume

Dann ist es nuanciert so, wie Sie es nur durch die Empfindung der Laute selbst nuancieren können.

Am meisten wird Sie auf die richtige Fährte führen das Studium der Sprache selbst.

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Merken Sie, wie der Eindruck des Körnigen schon liegt in Worten

wie: Grau Gries Granat Graupe

und wie Sie selbst körnig empfinden müssen, wenn Sie sagen:

Greulich ist das

Nehmen wir an, Sie wollten empfinden, was alles in dem spr liegt. Sie empfinden es am besten, wenn Sie von hinten nach vorne gehen mit dem Sprechen. Zum Beispiel bei Worten wie:

Sprache: Mund aufreissen

Sprechen: etwas verengen

Spritzen: stärker verengen

Sprossen: bis an den Mund

Sprudeln: dann den Mund spitzen

Diese Dinge haben alle lautlich etwas Verwandtes, obwohl sie Verschiedenes bezeichnen.

So sollten Sie auch versuchen, zu üben die Lage, das Niveau von Konsonantenzusammenhängen, indem Sie die verschiedenen Höhen

betrachten in: Bim bam bum

Es ist gut, gleichsam Treppenlaufen zu üben mit Worten wie:

Schl = Schlüpfrig schlemmen schlicken Gl = Glas gleich glotzen

Denken Sie an den feinen Unterschied von Fl = Flaum Flocke Flarame

So assoziieren sich die Bewegungen der Sprache, um am gegebenen Worte die Laute richtig auszusprechen. Der unbewusste Sprach-genius muss manches machen; doch will man richtig rezitieren, muss man sich durch solche Übungen vorbereiten.

*

Gestern las ich eine Passage aus Wilhelm Tell, wo Schiller das Charakteristische, Individuell-Menschliche darlebt.

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Es ist Schiller sehr gelungen, da, wo es ihm auf das Ästhetische ankam, dies wiederzugeben in der Braut von Messina. Im Chor haben wir das Erlebensecho dessen, was man spricht. Hier haben wir also etwas Ästhetisches.

Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, wie Schiller dadurch, dass er die Schönheit, das Ästhetische verschieden gestalten will, den Dialog von Don Cesar und Don Manuel vorbereitet. Was ist Don Cesar für ein Mensch? Leidenschaft, Blut spricht aus ihm. Also ich lasse ihn schnell konsonantisch reden. - Don Manuel kontrastierend ist der Überlegene; ich lasse ihn langsam vokalisch sprechen.

Ich will das darstellen lassen. Es wird mir nicht einfallen, Don Cesar in eine blaue Umhüllung zu stecken, Manuel in eine rote , son­dern umgekehrt. Ich werde Cesar, weil er auf dem Wege ist, sich zu mässigen, in Gelb hüllen; Manuel, weil er noch aushalten muss, in Blaugrün (blau wäre das alles Verhaltende) .

Die Worte des Cesar sind rötlich gelb Die Worte des Manuel sind blaugrün

Schiller bereitet das vor, indem er das Dramatische zuerst ein solches sein lässt, das halb lyrisch ist in Isabella. Sie ist darauf aus , die Leute zu gewinnen.

Beim Chor werden wir das Richtige nur treffen, wenn wir ihn in eine gewisse Sphäre von Allgemeinheit bringen. Er könnte aus der Luft kommen, hat etwas Elementarisch-Geisthaftes. In beson­deren Fällen muss deshalb der einzelne heraustreten.

Isabella ist in tiefer Trauer, also dunkel; so sind auch die Worte.*

Hier ist der Dichter in der Situation, gar nicht anders zu können, als das Sprachliche konsonantisch zu gestalten. Alexander Strakosch, der bekannte Rezitationslehrer und -künstler, pflegte zu sagen, wenn man ihn um Rat fragte: «Mehr Gefühl, Gefühl.» Er hatte nicht die Möglichkeit, sich in den Lauten zu hören; es war ihm nicht möglich, vom Abstrakten ins Konkrete zu kommen. Ein lieber Herr war er. Einmal war die Rede von Hamlet. Alle hielten Reden über ihre Auffassung

- - -

* Eister Akt, 1.-3. Auftritt

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des bekannten Monologs. Als Strakosch um die seinige gefragt wurde, antwortete er: Um die Schönheiten der Braut von Messina zu erleben, müssen

Sie den Schlüssel zu dieser Dichtung haben. Sie kommen ihr mit

der Phrase, wie man heute spricht, nicht nah, sondern müssen in die

Plastik hineingehen.

Dialog zwischen Isabella und Diego.

Das Emotionelle ist immer das Konsonantische, das schneller wird.

Jetzt das Betrachtende.

Jetzt der Chor: Vollkommen rezitatorisch, da muss alles Dekla­matorische ausscheiden. Erster Chor: «Dich begrüss ich in Ehr­furcht . . .»

Man könnte glauben, der erste Chor sei tief zu nehmen, der zweite hoch. Aus der Sprachgestaltung kommt das Gegenteil hervor.

Zweiter Chor: «Mögen sie's wissen . . », tief - emotionell.

Einer aus dem ersten Chor: «Und jetzt sehen wir uns als Knechte, Untertan diesem fremden Geschlechte! » Ganz emotionell.

Beim andern, ein zweiter aus dem ersten Chor: «Wohl! Wir bewohnen ein glückliches Land, . . .>, ist die Bedächtigkeit mit Emotion durchsetzt. Also vokalisch-konsonantisch, aber das Voka­lische vorherrschend.

*

Es gibt ein Gedicht, wo geschildert wird, was für vorzügliche Helden es in gewissen Zeiten des Mittelalters in Südrussland gab. In der Prosa würde man erzählen, dass sie da sind und ihre Namen nennen. In der Dichtung ist die Wirkung in folgender Weise erreicht:

Niemand übertrifft den Ilja an Findigkeit.

Niemand übertrifft den Dobrinja an Riesenkraft.

Niemand übertrifft den Marko an Tollkühnheit.

Niemand übertrifft den Podok an Schönheit.

Niemand ubertrifft den Igor an Höflichkeit.

Niemand übertrifft den Jaroslav an Redekunst.

Niemand übertrifft den Wladimir an Mächtigkeit.

Niemand übertrifft den Nikita an Zierlichkeit.

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Sie haben also in das Gefüge der Periode so sich hineinzuleben, dass der Zuhörer Ihnen gerne zuhört, indem Sie eine Anzahl von Eigenschaften aufzählen. Wenn Sie diese Worte mit besonderer Rundung sprechen, nimmt der Zuhörer das hin. Hier sehen Sie, wie achttnal wiederholt wird das Wort ; die fremden Namen sind für den Zuhörer nicht interessant. Was man als Aufgabe hat, muss sich darauf konzentrieren, jene Eigenschaften herauszuholen in der Sprachgestaltung, durch welche die Aufmerksamkeit des Zu­hörers gefesselt wird. Der Zuhörer ist so interessiert an diesen Eigen­schaften, dass es ihm dazwischen eine Erholung ist, jene Worte zu hören, die ihm nichts sagen. Der Zuhörer ist nicht gestört in seiner Auffassung dessen, was ihm die Hauptsache ist, durch anderes Nebensächliches.

In der Vorbereitung müssen Sie immer dafür sorgen, dass dem Zuhörer nichts verlorengeht. Sie müssen viel erreichen durch Pausen oder dadurch, dass Sie die Sprache konfigurieren, gewisse Dinge fallenlassen, andere hervorheben.

Wenn Sie in einer solchen Periode, wie es die obige ist, die Sprache so gestalten, dass Sie das herausarbeiten, was darinnen liegt, in dem Hervorbringen der Eigenschaften, dann haben Sie Kontakt mit dem Zuhörer. Und dafür muss man sorgen. Deshalb müssen Sie die Eigen­schaft ausbilden, Ihr eigener Zuhörer zu sein; in der Vorbereitung es dazu bringen, dass Ihnen später zugehört werden muss, weil Sie bei sich selbst sich abgehört haben.

Die Rezitation ist so in Verfall geraten, dass es heute den Men­schen schon schwierig ist, überhaupt zu ahnen, dass sie eine Kunst ist.

Die Sprache ist aus der Phantasie hervorgegangen; sie geht der Verstandesentwicklung voran. Der Krebsschaden unserer Zeit ist, dass es heute so viele gescheite Menschen und so wenig Künstler gibt. Kunst hängt mit Freude zusammen. Sie müssen Freude erwer­ben am Sprechen. Worte, die an sich hässlich sind, gibt es nicht. Wenn Sie versuchen, die Schönheit der Sprache zu ergründen, werden Sie viel zu tun haben und Freude erwerben.

*

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Die Kursteilnehiner sprechen die Übung: Lalle Lieder lieblich... Rudolf Steiner macht dazu folgen4e Bemerkungen:

Beachten Sie: Jeder Konsonant wird erst plastisch, wenn man fühlt, wie er sich anders beweglich macht durch die Nachbarschaft der Vokale. -Versuchen Sie, den Ton aus der Lunge heraus nach oben zu bringen;

Sie müssen sich zur Tonerzeugung desjenigen bedienen, was oben liegt; was unten liegt, dient nur zur Erzeugung der Luft, die den Ton vorne bildet. -Die Stimme ist stark, aber die Zunge ist noch unplastisch; der

Schleim klingt mit. -Erst wenn Sie den Ton mehr nach vorne rücken, kriegen Sie die

Laute plastisch. -Der Laut stösst noch an der Zunge an, muss mehr nach vorne

gebracht werden. -Die Stimme ist noch nicht im Laut darinnen. -Gut. Nur ist etwas noch da, was die Zwischenräume zwischen den

Lauten nicht löst. -Sie haben noch zu stark den Gedanken und gehen nicht in den Laut

hinein. -Den Eindruck des Gedichts muss man bekommen durch die Laut-

gestaltung, nicht durch den Gedankeninhalt. Verlangen Sie aber das letztere, so wäre es, als ob eine Statue dem Betrachter sich entgegenbewegen sollte. -Nur noch etwas stossig. Sie müssen sich gewöhnen, gerundete Leute

zu bilden, wie man in der Eurythmie gerundete Bewegungen macht. -Es schnappt in das Deklamatorische erst ein, wenn man die Sache

sich ganz assimiliert hat, wenn man an den Inhalt nicht mehr zu denken braucht. Wenn Sie auswendig ein Gedicht lernen, werden Sie nur ein Surrogat erreichen von dem, was Sie vortragen

sollen. .

Nur was selbstverständlich eingeht, in die Seele sich eingeschlichen hat durch Überdenken, Mitleben, kann zum Kunstwerk gestaltet werden. Etwas kann Ihnen helfen, sich darüber klarzuwerden.

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Versuchen Sie, das, was Sie vor zwanzig Jahren gelernt haben, in den Ton hereinzubrin gen. Das gibt ein Erlebnis, wodurch man mehr lernt als durch theoretischen Unterricht. -Machen Sie die Übung langsamer, damit das 1 gestaltet wird. Der

Ton sitzt noch in der Nase drinnen. -Es resoniert ein rauher Ton mit; in solchem Fall tut es gut, kleine

Rezitationsübungen zu machen, nachdem man Zucker geschleckt hat. -Der Ton sitzt zu weit im Hinterhaupt. -Gutes Material. Sie werden viel erreichen, wenn Sie sich gewöhnen,

in den Ton sich hineinzulegen. In dem Fortwallen Ihres Tones ist aber noch etwas, was wie eine Schnur wirkt; er muss model­liert werden. -Das letztere wäre auch hier zu sagen; nur liegt noch ein Sington in

der Nase. -Der Ton liegt zu weit rückwärts, nicht vorn. -Der Ton ist zu spitz; man könnte versuchen, aus einer Ahriman­Szene etwas zu üben, wo Gelegenheit gegeben ist, die Töne in die Backe zu treiben.* -Braucht mehr Tiefe im Ton; es ist wie eine Resonanz im rechten

Nasenflügel . . . Wenn man Nasenresonanzen durchführt, so kom­men Einseitigkeiten. -Muss den Ton mehr modulieren lernen, wie ein a und 0 studiert

wird. -Ja, das müssen Sie aber aus der Dekadenz herauskriegen; Sie müs­sen sich in Besitz des Tones setzen, statt ihn so leger herauszu­schmettern. -Die Geschichte des Demosthenes ist schon eine ernst gemeinte. Es

kommt darauf an, zu versuchen, gegen die Hindernisse anzu­gehen, die man sich selbst macht. -Die Stimme stellt sich, wenn sie in die richtige Lage gebracht wird.

Zum Beispiel bei der Übung: Sende aufwärts... stellen Sie sich

- - -

* Die Bemerkung bezieht sich auf eine Gestalt in den Mysterien-Dramen Rudolf Steiners: Ahriman. Für die sprachliche Gestaltung dieser Rolle gab Rudolf Steiner den besonderen Hinweis der «Backentasche».

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vor, dass die Zunge eine Art von Kahn werden muss> durch die sechs Zeilen hindurch. -Schwierigkeiten bei der Atem-Übung: Erfüllung geht... Sie werden sich helfen, wenn Sie die Worte umkehren. Zum Bei­spiel: Wollen - nellow. Auch Worte umkehren, die Doppel-konsonanten haben oder Doppelvokale: Seele - Elees. -Sprechen Sie Worte vorwärts und rückwärts: Eva - Ave. Das

Innige, was im Ave liegt, kommt von selbst zustande, wenn man es

in der Umkehrung als Eva übt. -Es muss Erlebnis werden: das Übergehen vom Gedanken in den

Laut. - *

Die Kursteilnehmer sprechen nacheinander die Atem-Übung: In den unermesslich weiten .......

Rudolf Steiner bemerkt dazu:

Sich hineinlegen in den Ton. Zunächst den eigenen Ton mitneh­men, so dass alles mitklingt und mitschwingt. -Ferner die Übungen: Sturm-Wort nimort um Tor und Turm..., Ei ist

weisslich...

Es muss sich runden, die Konsonanten stecken in den Organen drinnen. -

Die Nasensehnen klingen da mit. -

Herauskriegen das Tremolieren. -

Wird gehen; braucht Übung. -

Das Rauhe heraus. -

Nur Ton noch. -

Die Resonanz tremoliert. -

Auf den Atem achtgeben. -

Bisschen Übung noch. -

Gut. -

Die Stimme ist ein bisschen zusammengequetscht in der Mitte; sie muss breiter werden. -

Bisschen hoch, nicht schlecht. -

Mehr hineinlegen in die Töne. -

Sie werden viel davon haben, wenn Sie versuchen, die dumpfen

Laute zu biegen, weil die Sprache noch nicht artikuliert ist. -

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Es geht. -

Geht auch gut, wenn oft geübt wird. -

Recht langsam gehen; angewöhnen, durch langsameres Reden mehr

Wirkung zu kriegen. -

Es muss aus der Nase heraus. -

Etwas dumpfer kriegen. -

Suchen Sie die Luft anzustossen am Hintergaumen. -

Voller den Ton. -

Muss beachten Unterschied zwischen ei - Blei - im Munde und

ai - Maid - weiter unten. -Gewöhnen Sie sich an für ai ein helleres ai. -

*

Die Kursteilnehmer sprechen die Übungen:

Mäuse messen mein Essen

Lämmer leisten leises Läuten

Bei biedern Bauern bleib brav

Komm kurzer kräftiger Kerl

Sie müssen aus der a-Stimmung heraus. Sie dämpfen jeden Vokal darauf hin. Machen Sie Übungen, die kein a enthalten; das ist, was hindert, von den Leuten hingenommen zu werden. A ist der Laut, der die andern am meisten darauf aufmerksam macht, dass man da ist. In b dagegen liegt das Sich-bergen: ich bin in meinem Hause darin. Das alles liegt in der Übung: Abracadabra. -Ich würde Ihnen raten, wenn Sie es herauskriegen wollen, drücken

Sie auf die Nasenspitze, dann werden Sie die Rundung bekom­men, die Sie brauchen. -Ich rate Ihnen, eine Übung so zu machen, dass Sie langsam üben

und zwischen den Silben manchmal eine Ausspuckbewegung machen. -Ihre Stimme kann sich ausbilden, nur müssen Sie beim Üben die

Backen zusammendrücken. -Ihnen wird die Übung helfen: Bei biedern Bauern bleib brav. -

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Ihnen das Abwechseln der Übungen: Län:mer leisten leises Läuten und Komm kurzer kräftiger Kerl, -

Ihnen: Mäuse messen mein Essen und Komm kurzer kräftiger Kerl. -Alle vier Übungen hintereinander. -Sie brauchen die drei andern, und gar nicht: Komm kurzer kräftiger Kerl. -Ich würde Ihnen raten, möglichst die vier Übungen mit Gebärden zu sprechen, so dass Sie Kraft kriegen. -Da sind die drei ersten Übungen von Nutzen, die letzte weniger;

Sie müssen das 0 üben, weil Sie ou aussprechen.

Lämmer leisten leises Läuten und Komm kurzer kräftiger Kerl

abwechselnd. -Ich würde Ihnen raten, im Laufschritt zu üben. -Da muss die Stimme von den Lippen zurückgeschoben werden. -Muss sich in den Laut hereinlegen, darin weben. -Bemühen Sie sich, Ihre Stimme nach rückwärts zu schieben und mit den Händen in der Hosentasche zu üben. -Ein bisschen kleidhaft; nicht ganz drinnen in der Stimme; Sie müs­sen darin untertauchen. -Die Stimme ist nicht schlecht, aber zu weit oben in der Lage. -Die L-Übung. -Hauptsächlich die B-Übung. -Für Sie wäre die K-Übung eine Wohltat. -

*

Sie müssen noch die Übung machen: Dumm tobt Wurm­Molch...

Es klingt immer ein a durch. -Die helle Übung: Ei ist weisslich... Es klingt ein u durch. -Bei der Fabel von Ross und Stier: an der hintern Zunge das Letzte

vom Ross sagen, nicht an der vordern. -Bei der Fabel von Nachtigall und Pfau: Sie müssen sich nicht die

Möglichkeit einer Steigerung benehmen; das tun Sie, wenn Sie so stark anfangen. -

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Besser, weil Steigerung und dann Abfall möglich ist. Es ist arti­kuliert, aber Sie müssen Ihre Stimme mehr beherrschen, nicht willkürlich laufen lassen. -Notwendig, das leise Singen herauszuwetzen. -

*

Nebenbemerkung: Einige Leute stossen nach jedem dritten Wort ein ..... . hervor. Sie sind hartleibig. Ein weichleibiger Mensch kann nicht wie ein hartleibiger rezitieren. Aber Sie können nicht daraufhin medizinische Massregeln treffen. Sie können aber alles erreichen, wenn Sie von den Lauten ausgehen.

*

Die Kursteilnehmer üben das 6. und 9. Bild aus «Die Prüfung der Seele», Mysteriendrama von Rudolf Steiner.

Die Bauern sind nur aus der Sprache heraus zu charakterisieren.

I. Bauer: hat es mit i zu tun.

2. Bauer: e, r. - In den Ton hinein, muss sich an ein geschick­tes Sprechen gewöhnen durch Lippenübungen; plastischer werden.

i. Bäuerin .. e, r. - Das gleiche.

Sie will den andern etwas sagen, wovon sie glaubt,

dass sie es allein weiss.

3. Bauer: Gaumenlaute als das Massgebende.

2. Bäuerin: stark konsonantisieren.

3. Bäuerin : Konsonantenvorbereitung mit m.

4. Bauer: liberaler Bursche, der auf e und i gestimmt ist . etwas kreischender Herr.

5. Bauer: Visionär: u, o.

4. Bäuerin: nachgemachte Frömmigkeit, auf das e angewiesen; etwas heuchlerisch.

5. Bäuerin : i; revolutionär im Ton.

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6. Bäuerin : gesteigert in der Frömmigkeit; abstimmen auf Um­laute, das andere danach richten; inniger sprechen.

6. Bauer : gescheiter Schwätzer, verschmitzt; namentlich ver­suchen breites e zu gebrauchen. Dann kriegt man durch Sprachgestaltung das heraus - durch breites e : das Unwahre, leise Erheuchelte.

Jude : sollte nichts Naturalistisches haben, aber etwas Singendes in seiner Rede. 5-Ubung zur Vorberei­tung.

Mönch : gut, wenn er mit dumpferer Stimme genommen würde, das würde dann sich abstufen.

*

Bertha : recht naiv, nicht sentimental.

Joseph Kühne : ist zu gleichgültig, mit zu wenig Anteil, nicht ein­dringlich genug.

Frau Kühne : ist zu episch gelesen, nicht dramatisch genug.

i. und 2. Bauer: Es muss Leben in die Sache kommen.

3. Bäuerin : Wenn Sie sich in die Szene hineindenken, werden Sie aus der Situation heraus sprechen.

Mönch .. Der Monolog zeigt, warum der Mönch dem Rei­necke unverständlich ist : es ist eine Umkehr in ihm.

*

Aus dem Mysteriendrama «Der Hüter der Schwelle> von Rudolf Steiner wird das achte Bild, die Szene mit den sechs Bürgern und sechs Bürgerinnen, gelesen. Rudolf Steiner bemerkt dazu : Ferdinand Reinecke Friedrich Geist

Michael Edelmann Gaspar Stürmer

Bernhard Redlich Georg Wahrmund

Franziska Demut . Marie Kühne

Maria Treufels Hermine Hauser

Luise Fürchtegott Katharina Ratsam

*

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Zur Festigung der Sprache :

Wäge dein Wollen klar,

Richte dein Fühlen wahr,

Stähle dein Denken starr :

Starres Denken trägt,

Rechtes Fühlen wahrt,

Klarem Wollen folgt

Die Tat.

Nuancierung der drei Seelenkräfte, Philin, Astrid, Luna, aus dem Mysteriendrama «Die Pforte der Einweihung> :

Philia.' Ich will erfüllen mich

Mit klarstem Lichtessein

Aus Weltenweiten,

Ich will eratmen mir

Belebenden Klangesstoff

Aus Atherfernen,

Dass dir, geliebte Schwester,

Das Werk gelingen kann.

Astrid: Ich will verweben

Erstrahlend Licht

Mit dämpfender Finsternis,

Ich will verdichten

Das Klangesleben.

Es soll erglitzernd klingen,

Es soll erklingend glitzern,

Dass du, geliebte Schwester,

Die Seelenstrahlen lenken kannst.

Luna: Ich will eiwärmen Seelenstoff

Und will erhärten Lebensäther.

Sie sollen sich verdichten,

Sie sollen sich erfühlen,

Und in sich selber seiend

Sich schaffend halten,

Dass du, geliebte Schwester,

Der suchenden Menschenseele

Des Wissens Sicherheit erzeugen kannst.

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M die Hingabe

L das Hingeben

N das Sich-in-sich-Zurückz:iehen

R das Aggressive

S das Abtötende

W B das Sich-Umgeben

(Aus einem Notizbuch)

*

Während der Sommer- und Herbst-Kurse wurden ausserdem rezi­tiert aus «Wir fanden einen Pfad » von Christian Morgenstern :

Nun wohne Du darin . . . zur Übung : Schwinge schwere Schwalbe (Seite 54>

O Nacht, du Sternenbronnen... als 0-Übung

An Viele 1 An Manche 1 An Einige

Wer vom Ziel nichts weiss . . .

Das blosse Wollen einer grossen Güte.

Ferner die Szene im «Geistgebiet» (Devachan) aus

*

Als Abschluss unserer Betrachtungen möchte ich Sie noch hin­weisen darauf, dass, wenn Sie ernsthaft herankommen wollen an das Sprechen, Sie eine Kunst darin sehen müssen, nicht einen blossen Aufputz der Alltagsrede.

Diese Gesinnung müsste Sie beseelen, wenn Sie die Rezitation und Deklamation üben. Wenn Sie als Prosavortrag etwas sagen, sind die Leute interessiert am Inhalt. Darauf müssen Sie eigentlich ver­zichten bei der Rezitation, dem künstlerischen Sprechen; lediglich darauf sehen, die Leute durch das Wie zu interessieren. So dass nicht zurückgeschreckt werden müsste vor dem, was bekannt ist. Wir sind als Menschheit leider dahin gekommen, dass ungeheure Schätze von geistigem Leben, die vorhanden sind, gar nicht mehr im äusseren

#SE280-100

Leben darinnenstehen. Wir studieren zu viel, selbst beim gewöhn­lichen Zuhören, und erleben nicht genug als Menschen. Deshalb müssen Sie etwas dazu tun, damit gute Kunst den Menschen erhalten bleibt. Heute glaubt ein Mensch von zwanzig Jahren, dass er Iphi­genie nicht mehr auf sich wirken zu lassen braucht, denn er hat sie ja schon in der Schule durchgenommen. Dies ist ein grosser Schaden, denn gewisse Kulturschätze sind so, dass man sie nur ausschöpft, wenn man sie immer geniesst. Es gibt heute nicht wenig Menschen, die Goethe-Gedichte von Geibelschen nicht unterscheiden können. Obgleich Geibel gesagt hat, dass seine Gedichte so lange leben werden, als es Backfische gibt. Ein sicheres ästhetisches Urteil braucht derjenige, der Rezitation und Deklamation studiert, denn er muss unbewusst erzieherisch wirken. Wenn er zum Beispiel Wildenbruch vorliest mit der Prätention, dass dieser ein Dichter ist, wird das ästhetische Urteil getrübt. Diese Nackensteife brauchen Sie gegen­über den Urteilen, die nicht einmal aus dem Publikum stammen. Wir würden bessere Urteile haben, wenn nicht die Theaterdirekto­ren glauben würden, dass sie dem Publikum Minderwertiges bieten können. Wenn das Rezitieren und Deklamieren ausgeübt wird, ist es nötig, dass von den verschiedenen Seiten her die Menschen das Künstlerische auf sich einwirken lassen. Die Prosa wirkt durch den Inhalt. Wenn Sie rezitieren, müssen Sie sich klar sein, dass Sie alles erreichen durch die Sprachgestaltung

SPRECH-ÜBUNGEN MIT ERKLÄRUNGEN NOVEMBER 1923 NACHSCHRIFT VON MARIE STEINER

#G280-1975-SE102 Methodik und Wesen der Sprachgestaltung

#TI

RUDOLF STEINER

SPRECH-ÜBUNGEN MIT ERKLÄRUNGEN

NOVEMBER 1923

NACHSCHRIFT VON MARIE STEINER

#TX

In Den Haag fand im Zusammenhang mit der erfolgten Gründung der «Freien Schule» in der Zeit vom 13. bis 18. November 1923 ein Kursus über Sprachkunst von Marie Steiner statt. Rudolf Steiner gab zu den Übungen wie stets die entsprechenden Erklärungen. Zu den bereits bekannten und hier veröffentlichten Übungen kamen eine Reihe von wesentlichen neuen Übungen, die wir nachstehend abdrucken; sie berücksichtigen den besonders tief liegenden Ansatz der holländischen Sprache.

Eine Eintragung in ein Notizbuch vom 17. November 1923 stellen wir an den Anfang.

*

Menschen der Nordsee: mehr Konsonanten als Vokale.

Vermeidung der Vokale verhindert Einströmen kalter Luft in die

Lungen.

Bergbewohner: Gaumen-, Kehllaute.

Flache Gegenden: Lippenlaute.

Der Gebildete: mehr Konsonanten.

Um die Stimme nach vorn zu bringen:

Sturm-Wort rumort um Tor und Turm

Molch-Wurm bohrt durch Tor und Turm

Dumm tobt Wurm-Molch durch Tor und Turm

Gegen das holländische 1:

Walle Welle willig

Leise lispeln lumpige Lurche lustig

Stoss- und Blaselaute in Verbindung; gut bei Anlage zum Stottern oder für träge Sprachorgane:

Hitzige strahlige stächelige

Sturzstränge stützen

Straff Netze nützlich als

Stramme Tatzen streng

Gefalzt

#SE280-103

Ist strauchelnder Stern

Meister mystischer Stufen?

Stell stets ernsten Strebens

Sternstrasse standhaft

Still streng stehend

Vor Stufen steten Strebens

In ständger Stimmung.

*

Übung für einen Kursteilnehmer, um mehr nach vorn sprechen zu können, bei dem die Stimme etwas zu tief sitzt, beim weichen Gaumen in der Nase steckenbleibt, und der deshalb schnell heiser

wird: Kurze knorrige knochige Knaben

Knicken manchem Männchen

Manchmal manchen Knorpel

*

Ein kurzes Gedicht zweimal vorlesen. Bilden Sie sich ein Urteil über die zwei Arten des Vortrags. Einmal vokalischer: es wird warm; einmal konsonantischer: es wird kalt. Wenn Sie mit Wärme rezi­tieren wollen, legen Sie den Hauptwert auf Vokalisches; wenn Sie mit Kälte rezitieren wollen, legen Sie den Hauptwert auf Konso­nantisches.

Wenn Sie ausdrücken wollen, dass Wille in der Sache liegt, nehmen Sie Gaumenlaute; besondere Betonung darauf, dann bekommt man den Charakter der Willensoffenbarung:

Ganz kurze krumme Christbäume kann man kaufen

Wollen Sie aber das Gefühl statt des draufgängerischen Willens zum Ausdruck bringen, so nehmen Sie Lippenlaute. Sie empfinden das Gefühl wie auf den Lippen fliessend:

Welche Bürde lebt im prüfenden Leben

Jetzt sind Sie veranlasst, bei der eersten Übung, die eine Gaumen­lautübung ist, in den Fersen zu fühlen; das Gehen hilft, die Gaumen-laute hervorzubringen. Was auf den Lippen lebt, lebt in den Händen, was im Gaumen ansetzt, in den Füssen.

#SE280-104

Immer wieder zurückkommen zum schon ausgesprochenen Wort, es verschieden nuancieren. Durch diese Art inneren Rhythmus, der auf Wiederholungen beruht, Nuancen finden:

Weisse Helligkeit scheinet in die schwarze Finsternis

Die schwarze Finsternis ergreift die fühlende Seele

Die fühlende Seele ersehnet die weisse Helligkeit

Die weisse Helligkeit ist der wollende Seelentrieb

Der wollende Seelentrieb findet die weisse Helligkeit

In der weissen Helligkeit webet die sehnende Seele -

*

Zum Abschluss des Kurses wurden geübt:

Goethe: Grenzen der Menschheit

Mörike: Nixe Binsefuss

ÜBUNGEN FÜR LAUT-EMPFINDUNG

#G280-1975-SE105 Methodik und Wesen der Sprachgestaltung

#TI

ÜBUNGEN FÜR LAUT-EMPFINDUNG

#TX

Lechzend lernte er erst ernste Lehren*

e so fühlen, als ob überall da, wo es auftritt, ein dumpfes Erstaunen in der Empfindung wäre.

Zierlich Ding ist nicht Wind nicht Wirrnis

i fühlen wie ein in verschiedener Richtung gehender hellrötlicher

Strahl. Voll Lob zog wohl noch Gotthold fort

o fühlen; als ob ein Umfassen von etwas in der Empfindung wäre.

Und du musst zur Ruh

u fühlen wie ein Sichzurückziehen in der Empfindung.

*

Für Stotterer: * * Leicht lief letztlich

Rasch rollend rädergleich Mein Mut machtvoll

Brause prächtig prunkend Durch das dortige Dickicht



*

* Eine a-Übung fand sich nicht unter diesen nachgelassenen Aufzeichnungen.

* * Für einen bestirntnten Fall gegeben, wo falsche Bewegungen im Zwerchfell vor­handen waren, die man beobachten müsste, um sie durch Üben in die richdge Richtung zu bringen.


MARIE STEINER



DIE KUNST DER REZITATION

APHORISTISCHE AUSFÜHRUNGEN UND NOTIZEN


AUS DER ARBEIT DER SEKTION FÜR REDENDE

UND MUSISCHE KÜNSTE AM GOETHEANUM

108

DIE KUNST DER REZITATION

MIT ERGÄNZUNGEN* DURCH RUDOLF STEINER


Es müsste eben doch gesagt werden des Stiles halber, dass viele glauben, Rezitation sei von jedem ohne weite­res zu leisten.

In letzter Zeit regt sich in vielen Kreisen ein ausserordentlich starkes Interesse für die Kunst der Rezitation. Man beginnt zu ahnen, dass es sich hier um eine Kunst handelt, die mit Mühe, Ernst und steter Arbeit erobert werden will, auch dann, wenn natür­liche Begabung vorhanden ist, damit auch hier wie in andern Künsten die Göttin sich neige und der Kuss der Unsterblichen die Stirn berühre. Man beginnt zu erkennen - hier und da -, dass es nicht genügt, sein Temperament hinauszuschreien, seine Sentimen­talitäten zu ergiessen über das strahlend Objektive der uns umge­benden Welten. Diese Welten werden verkleinert, indem wir sie in die Enge unserer Subjektivität hineinpressen. Wir geben dann nur einen persönlichen Reflex wieder, nicht das ihnen eigene Leuchten und Weben. Das was aus ihnen geworden ist innerhalb unserer Empfindungswelt, drücken wir dann aus, nicht ihr Wesen selber. Ein Spiegelbild also, das gefärbt ist durch unsere subjektive emo­tionelle Seelenverfassung. Haben wir ein Recht dazu? Hat der Dichter die Natur und die hinter ihr liegenden Kräfte in Worte einfangen, sie plastisch gestalten dürfen, damit wir diese Gestalt zunichte machen, Persönliches an ihre Stelle setzend? Nicht immer ist das Persönliche würdig genug, um sich so in den Vordergrund zu drängen. Aus welch trüber Lache blickt uns oft dieses Spiegel­bild an. Welch wehe Wandlung vollzieht sich nur zu oft. Da schreit seelische Wollust, Brutalität; Hysterie führt ihren wilden Tanz aus, Trivialität därnpft plötzlich das Getose, um flach dahinzusiechen

* In Kursivschrift

#SE280-109

in aushauchende Leere... Wie aber kommen wir an das Wesen der Dinge heran? Wie lösen wir die Kräfte des Geistes aus den Worten?

In dem Worte selber liegen die Kräfte, die, wenn wir sie wieder erfühlen, verlorene Paradiese hervorzaubern. Vom Worte wird gesagt, es habe die Welten erschaffen. Die ganze Macht und Bedeu­tung des Wortes muss in unserer Seele aufgehen, jeder Laut, jeder Ton muss in seiner Mannigfaltigkeit und Pracht von uns erkannt werden, durch unser Bewusstsein hindurchgehen, es mit dem Schauer der Ehrfurcht erfüllend. Keiner subjektiven Gefühlsnuance bedarf es, um auszudrücken, dass die Sonne leuchtet, der Mond schimmert, Sterne funkeln, Winde wehen, Wellen wogen. In den Lauten selbst liegen die schaffenden Kräfte, die, wenn wir auf sie achten, nicht dem Drange folgen statt ihrer, unsere Stellungnahme zur Sonne, Mond und Sternen auszudrücken, objektives Leben aus­lösen. Noch liegt in dem Worte schöpferische Macht, aber wir haben den Schlüssel zum Wort verloren. Unsere Sprache ist ver­dorrt, Laute, Silben fallen ab, Wortgebilde entschwinden, die Gei­stiges ausdrücken, Ahriman streckt seine knöcherne Hand aus und formt durch unsern Mund, durch unsere Feder die Wortgebilde, die uns in die Materie verstricken. Seht Ihr das zahnfeste Lachen des Sensenmannes? Zwischen diesen Zähnen wird das Wort zu Brei, und wie ein ferner Klagelaut hallt aus uralter Vergangenheit der Ton, den einst, der Morgensonne zum Gruss, Wissenschaft und Kunst dem steinernen Massiv entlockten.

Ein herrliches Symbol. Dazumal wurde der Stein so behandelt, dass es gelang, aus ihm den seelenvollen Ton zu lösen, jetzt behan­delt man den Menschen wie einen Mechanismus. Bei den neuesten Methoden für Sprachbildung lässt man sogar die Schüler in ein Grammophon hineinsprechen, um einen Monat später an dem, was ihnen aus dem Grammophon als die eigene Stimme von damals heraustönt, und der jetzigen, den Fortschritt zu ermessen. Das Seelenloseste, was die moderne Technik hervorgebracht hat, weil sie Seele und Geist herausgetrieben hat, da, wo sie vorhanden waren; das vom Geist entblösste Gespenst der Stimme wird als Richtmass für die Ausbildung der lebendigen Menschenstimme

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genommen. Und die übrigen Methoden, nach denen vorgegangen wird, sind dementsprechend: physiologisch-mechanisch bis ins Raf­finierte, geisttötend, seelenaustreibend. Wenn zum Beispiel durch Röntgenbestrahlungen die Stimmbänder auch gestärkt und gefestigt werden, so ist es auf Kosten des Schmelzes und der Durchsichtig­keit der Stimme - ein harter, ungelöster, mechanisch wirkender Ton ist die Folge, die modulationsfähigen Schwingungen sind ver­lorengegangen, verwischt die feinen Lichter und Schatten.* Als Ersatz dafür muss nun das Temperament oder sentimentale Weiner­lichkeit herhalten. Sind diese deplaciert, so weiss man überhaupt nicht, wie vorzugehen. Man hört zum Beispiel heute in erstklassigen Theatern Marien, die von ihrem Sockel herab so sprechen wie eine Wäscherin am Trog, so hart, unmoduliert, erdgebunden, un-rhythmisch. Von ihr - der Wäscherin - kann man nichts anderes verlangen, denn sie zahlt diesen Tribut ihrer Arbeit. Aber die Dar­stellerin der aller Erdenschwere enthobenen, aus geistigen Höhen zu uns herabsteigenden Maria, sollte sie nicht in ihrem Stimm­register andere Töne finden, um himmlische Gnade und Milde aus­zudrücken?

Auch die Nasenresonanz, die ja Macht und Umfang des Organs steigert, kommt an der Klippe der Eintönigkeit nicht vorbei: die zarten Intervalle, die Tonabschnitte, die im Sprechen so sehr viel intimere Übergänge haben als im Singen, Vierteltöne, Achteltöne, fehlen ganz. Und wenn ein so geschultes Organ weich und ge­dämpft sprechen muss, erlebt man, dass das mit Hilfe der Nasen-resonanz herausgebildete Metall der Stimme sich zurückzieht und wie auf den Samtpfoten des Raubtiers einherschleicht. Man hat das Gefühl des Unechten, Unwahren.

Auch bei der Zungentechnik stellt sich eine Manier ein, die äus­serlich und unwahr wirkt. Auffallend grell und unvermittelt sind

* In einem Notizbuch von Marie Steiner findet sich folgende Eintragung:

In einer Schule für rezitatorische Ausbildung in Hamburg dauert die Ausbildung zwei Jahre. Erstes Jahr nur Technik, es dürfen keine Rollen oder Gedichte einstu­diert werden. Die Stimme wird gestellt. Zunächst Durchstrahlung - Röntgen, alles wird gemessen. Dr. Steiner sagte mir: durch solche Durchstrahlung wird die Stimme sonorer gemacht, aber es erfolgt eine Verknornelung der Organe.

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die Übergänge zwischen dem &hmeichlerischen, Weichen und den plötzlichen Kraftausbrüchen, die dann brutal wirken. Wiederum eine Folge der von dem Seelischen losgelösten Technik.

Wirkt heute ein Organ besonders sympathisch und seelenvoll, so kann man fast sicher sein, dass der Sprecher Ihnen sagen wird, er habe keine Technik, das heisst keine Sprachausbildung im mo­dernen Sinn.

Sehr beliebt war es in den letzten Jahrzehnten, die Sprachausbil­dung bei den Sängern zu suchen. Diese verkündeten unverzagt:

Wer singen kann, der kann auch sprechen. - Dies ist nur ein Beweis dafür, wie wenig man heute ahnt, was künstlerisches Spre­chen ist. Abgesehen davon, dass die Sänger der jüngsten Vergan­genheit einer mechanischen Stimmausbildung frönten und die unzähligen Atmungsmethoden aufbrachten, durch die unzählige Stimmen ruiniert wurden, liegt der Schwerpunkt für die Ausbil­dung des künstlerischen Sprechens nicht wie beim Singen in der Tonförmung, sondern in der Lautgestaltung. Die Stimme muss also anders «gestellt» werden. Oder vielmehr es muss zur Stimmgestal­tung ein ganz anderer Weg eingeschlagen werden, als was man sich gewöhnt hat, das «Stellen der Stimme» zu nennen. Man muss sie nämlich laufen lassen; ganz frei laufen lassen die verschieden­sten Wege durch die Vokale und Konsonantenverbindungen hin­durch, hin und her, vor- und rückwärts. Und immer in die Luft hinein, wo sie abfängt, was dort lebt und tönt. Die Luft klingt der Stimme entgegen, man muss sie nur hören. Der durch die Sprach-organe durchlaufende Stimmstrom muss das gestalten, was in der Luft webt und gleichsam auf ihn wartet, um in die Erscheinung zu treten. Gott blies dem Menschen den lebendigen Odem ein, und er ward dadurch erst Erden-Mensch. In ihm ist Luft, ein Teil der draussen wesenden Luft. Möglichst ungehindert muss er dieses sein Luftwesen hinausströmen lassen in die ihn umgebende Luft, gleich­sam hören, was dort um ihn klingt, und es abfangen, um es auch dem physischen Ohr hörbar zu machen. Man muss die Organe an der Laut gestaltung selbst bilden; nicht irgendwie - #SE280-112

zu spüren, möglichst wenig dieser in den Weg zu stellen, indem man sein eigenes persönliches Erleben dazwischen schiebt, das ist die Aufgabe des Sprachkünstlers; die bildnerischen Gestaltungs­kräfte auswirken lassen und eine Ahnung erlangen und erwecken von dem, was die Teile des verlorengegangenen Wortes, die Laute, an lebenschaffender Bildungskraft enthalten.

Wie oft sind Sängerinnen an mich herangetreten, um einen Rat zu erbitten gegen die sie immer fester umschnürende Mechanik des Stimmeinstellens. Das Leben der Kunst ginge ihnen verloren. «Sin­gen Sie in die Maske hinein», war das LOsungswort der letzten Zeit. Man schuf einen Ausdruck, der sich deckte mit dem, was man als Brustresonanz, besonders als Kopfresonanz aufoktroyierte. Der Gesichtsausdruck, den sich die Leute angewöhnt hatten, um mit ihrem Bewusstsein diese Kopfresonanz abzufangen, liess sich sehr gut decken mit dem Ausdruck «in die Maske singen». Machen wir uns klar, was das bedeutet: ein Sich-Abschnüren von der äussern Welt, ein Sich-Einkapseln in die eigene Persönlichkeit, immer wei­ter weg vom Miterleben der Welt, immer mehr hinein in sich. Kunst also, die da ist, um uns mit dem Ewig-Geistigen zu verbin­den, wird ein Mittel, um uns noch tiefer einzuschnüren in das eng Persönliche, in die Maske.

In einem gewissen Punkte berühren sich freilich Gesang und Sprechkunst, um dann auseinanderzugehen. Der Sänger muss heute artikuliertes Sprechen lernen, da er nicht reine Töne, sondern Vokale und Worte singt, aber innerhalb des Wortes sucht er den Laut zum Ton hin zu verdichten; während der Sprecher den Ton zur verhal­tenen Melodie differenzieren muss. Dadurch muss der Sänger einen andern Weg gehen als der Sprecher, er webt innerhalb des Tones. Der reine Ton wird aber in der Kehle gebildet, wo er sich auflöst. Die Sänger leugnen, dass der Ton in der Kehle gebildet werde. Dies ist eine Unart, die sie verhindert, das zu erreichen, was die Nachtigall erreicht. Die Kehle muss den Boden abgeben für den Ton, während der Laut durch die andern Sprachwerkzeuge gebil­det wird. Singen sollte man Töne, nicht Vokale. Der Laut kann eigentlich nicht gesungen werden, man kann ihn nur benutzen, um einen Ton hervorzubringen. Das Ideal des Sängers besteht darin,

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die Sprache zu verwischen und zur Nachtigall zu werden, die nicht spricht, sondern singt; das künstlerische Sprechen besteht darin, alle Nachtigall auszutilgen und in dem Ton die Bewegungsgebärde walten zu lassen. Diese wird bestimmt durch den Inhalt und den Wort-und Versrhythmus. Deshalb ist es oft so qualvoll, ein gesun­genes Gedicht zu hören, der verdichtete Gedankeninhalt wird hin-weggewischt, die vom innerlichen Rhythmus geforderte Bewe­gungslinie ausgelöscht. Doch die Sprache ist nach dem Gedanken geformt und hat sich ihm zu unterwerfen, während der Ton aus dem Willenselement herausgeholt wird. Musik lässt alles in der Tonebene liegen, während sich beim Sprechen die musikalische Struktur nach dem Inhalt zu richten hat. Der Ton müsste, wenn er seine geistige Mission erfüllen soll, reiner Ton bleiben. Indem er sich mit dem Sprachinhalt vermischt, im gesungenen Wort einen Kompromiss mit ihm eingeht, fälscht er seine eigene Natur; die in den Ton hereingeworfenen seelischen Wogen verdunkeln sein eigenstes Wesen, entfremden ihn seinem Geisttum, machen ihn zum Gefühlsträger. Das gesungene Wort gibt die Gelegenheit, alle Leidenschaften der Seele mit vollster Willenswucht herauszuschleu­dern, ungehemmt vom Zügel des Gedankens; und während die stark plastischen Kräfte der Wortformung das Hässliche hässlich, das Schöne schön erscheinen lassen, reisst der durch die Tonharmo­nien hervorgerufene Rausch die Seele immer mehr in den Strudel der Wollust hinein. Eine Musik, wie sie uns in «Salome» gegeben wurde, ist nicht von der Muse, sondern von der Courtisane inspi­riert. Sie ist sich selbst entfremdet.

Vielleicht wird der Rezitator, wenn er sich der Geistkraft der Sprache bewusst geworden ist, dem Sänger den Weg weisen kön­nen zur Überwindung der Maske. Dazu muss er aber zunächst, unbehindert von den Methoden des Sängers, seinen eigenen, jetzt ihm abhanden gekommenen Weg gehen. Dieser Weg liegt nicht in dem Herauspeitschen des erhitzten Temperaments mit Hilfe des sonoren Tons. Er liegt in der Sprachgestaltung, in der Lautbildung, in dem bildhaft Plastischen, in dem imaginativ Beseelten, das zu­gleich verhalten Melodiöses ist. Beim Bilden des Lautes muss der Sprecher sich seiner Sprachwerkzeuge bewusst werden und die

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Resonanzlinien verfolgen. Die Sprachorgane geben nur den Boden her zur Bildung von Schwingungen; der Resonanzboden liegt in der Luft, der äussern Luft, in der man den Ton fühlend hören und hörend fühlen muss. Alles Suchen von Resonanzen in Nase, Zwerchfell, Brust und Kopf vermechanisiert nur. Nachmachen, auf den Ton hören lernen ist die einzig richtige Methode beim Spre­chen. In den guten alten Schulen liess man nur nachmachen; man muss da durch, um dann das Eigene zu finden. Nur wenn man hören gelernt hat, kann man sprechen lernen.

Ton ist noch lautloser Wille, Laut ist vom Gedanken organisier­tes Tönen. Mitten darin liegt die Eurythmie. Sie ist Gemüt, das noch nicht vereist ist, Ton, der noch nicht Gedanke ist, zurückgehalten und in der Körperlinie geblieben.

Eurythmie ist das Gebiet, das sich abspielt zwischen dem Spre­chenden und Hörenden. Das Zuhören besteht in dem Unterdrücken desjenigen, was sich als Echo abspielen will. Dasjenige, was der Zuhörer unterdrückt, wird in der Eurythmie zum Vorschein ge­bracht. Natürlich muss es ein positives Zuhören sein, nicht ein kritisierendes. Bejahung dessen, was man hört, ist das, was in der Eurythmie ausgeführt wird.

Rezitieren ist das Sich-Anpassen an die rhythmische Form. Mehr zum Gesang übergehend ist es Rezitativ, mehr auf die prosaische Sprache übergehend ist es rhythmisches Sprechen. Beim Gedicht gilt es vor allem, die Form zu berücksichtigen, die richtige Behand­lung des Inhalts ergibt sich dann von selbst. In der Prosa muss man mehr nach dem Inhalt gehen und rhythmisch lesen. Novalis hat rhythmische Prosa, man muss ihn verschieden rhythmisch spre­chen; auch bei Hölderlin muss man Konzessionen machen an die rhythmische Prosa.*

* Die Ausführungen blieben unvollendet. In der gleichen Zeit (1921) verfasste Marie Steiner noch den Aufsatz , Stuttgart, für die Kongressnunsrner er­beten worden war. In der Zeit vom 28. August bis zum 7. September 1921 fand sn Stuttgart ein öffentlicher anthroposophischer Kongress statt. Die Annahme liegt nahe, dass die hier ab gedruckten Ausführungen zuerst niedergeschrieben wurden, zumal beide Arbeiten, die im Zusammenwirken mit Rudolf Steiner entstanden, wesentliche Eintragungen

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EIN AUFSATZ AUS DEM JAHRE 1926

Ein guter und lieber anthroposophischer Freund, den ich selten sehe, sagte mir vor vielen Jahren schon: «Wozu schreibt man eigentlich Gedichte? Um in vielen Worten zu sagen, was man in wenigen Worten sagen kann.>

Erschütternd! Diese Worte fielen mir tief in die Seele. Nicht wegen ihres Wahrheitsgehaltes, sondern weil sie mir in der Seele ein Loch durchbrannten. Ich dachte: «Was ist aus den Menschen geworden, selbst aus denen, die zur Anthroposophie kommen?»

Der Dichter! Verdichtetes Wort, verdichteter Geist! Der Dichter dichtet ins Wort hinein die Essenz des Seins. Es liegt darin wie zusammengeballt im Keim, mit der Kraft des Werdenden, des Schöpferischen, die herauslockt aus den Seelen spriessende Ent­faltung, fruchtbares über sich Hinausgehen. Was wäre die Welt­geschichte ohne Dichtung? Sie hat die Ereignisse zusammengefasst in Bild, Klang und Farbe und ihnen so Dauer verliehen; zerstoben wären die Ereignisse, hätte dichtende Kraft sie nicht ins Wort gefasst. So ruhten sie wie der geschliffene Stein in der künstlerischen Fassung, strahlenbrechend, funkelnd mannigfach und immer wieder stau­nende Geschlechter zur Bewunderung anregend, zur Tat anspor­nend, zum Nachleben des Grossen, des Nachahmungswerten.

So wirkte Dichtung erzieherisch und bildend, kulturbegründend, kulturfördernd, und die junge Menschheit schöpfte aus lebensvollen Quellen das, was ihre Seele formte, ihren Geist gestaltete. Am Gros­sen, das zu ihr aus göttlichen Gefilden herunterstieg und im gedichte­ten Worte festgehalten wurde, rankte sie sich empor; die groben und ungeschlachten Taten ihrer kräftigsten Söhne wurden durch sie verherrlicht und über sich hinausgehoben, brauchten nur noch zu

durch ihn aufzeigen. Vielleicht wurde im Hinblick auf die Öffentlichkeit der Inhalt durch Marie Steiner neu gestaltet, um die allgemeine Lag>' der deutschen Bühnen-kunst mehr zu berücksichtigen. Der Aufsatz «Aphoristisches zur Rezitationskunst» wurde 1922 durch den Verlag #SE280-116

gelten als Merksteine des Zeitengeistes, verloren ihren Augenblicks-wert. So wurde ein Tatenteppich gewebt, der auch noch müde Spät­linge ergötzt. Wer fragt danach, ob er Realitäten wiedergibt? Er ist Kunst, somit Leben und Durchstosser zum Geist.

Die Künste alle wirkten sich aus ihm empor. Die Bilder drangen heraus und nahmen Gestalt und Flächenformung an, strömten ihren seelischen Duft in der Farbe aus. Was aber festgehaltene, gedichtete Göttersprache war, suchte ihren Weg durch die Bewegung, floss über in die Regsarnkeit der Glieder; der Mikrokosmos versuchte nachzubilden in gesetzmässiger Gliederung seiner Bewegungsmög­lichkeiten die Wege makrokosmischen Geschehens, des Reigens der Planeten, der Halt- und Schwebekraft der Fixsterne. So ward der Tanz, und aus seinem Leuchten ging hervor geistig-seelische Reg­samkeit; ein Singen klang aus ihm und wurde Musik.

Die Musik aber drängte zur Form ;* sie wollte ihre Strebekräfte festigen, ihren Ausweitungstrieb umgrenzen; sie suchte tastend ihre Wege durch den Raum, löste tragende Kräfte und wurde zur Archi­tektur.

So scharten sich die Künste alle um ihre Mutter, die Dichtung. Der sie das Leben dankten, entnahmen sie die Nahrung.

Und würden wir hier reden von Rhetorik und Eloquenz, ja selbst von Grammatik: am gedichteten Worte haben sie sich entzündet, an geformter Sprache.

Wie ist die Menschheit doch so weit von ihrer Jugendkraft, wie ist sie alt geworden, dass sie die pulsierenden, impulsierenden Kräfte der Dichtung nicht mehr fühlt, dass sie die Wege nicht mehr kennt zum Jugendbronnen!

Aber freilich, was sich heutzutage Dichtung nennt, hat diese Wege selbst verloren; sie hat sich abgeschnitten vom tragenden Geist, sie dichtet nicht ihn; bestenfalls ihre seelische Sehnsucht nach ihm; meistens aber subjektiv Seelisches; und dieses, vom Geiste ab­getrennt, den Sinnen unterworfen, von zerrissenen Nervensträngen gepeitscht, lässt immer tiefer die Flügel sinken, bis sie im Schlamme schleppen.

So muss man sich nicht wundern, dass diese müden Flügel das Hetztempo des Tages nicht besiegen können und kein Mensch heute

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eigentlich Gedichte liest, oder sagen wir - der meiste Mann. (Der «meiste Mann» ist ein von einem Bahnschaffner gedichteter Aus­druck, der nicht verstehen konnte, dass Rudolf Steiner und ich einst nach einem Vortrag nachts den Personenzug nahmen. Der Der meiste Mann hat heute keine Zeit für Gedichte und findet, dass sie Wort-geplänkel sind; er hat leider nur allzu oft recht. Aber auch vor­geschrittene Theosophen hatten meistens keine gute Meinung von Dichtern und Gedichten. Ich erinnere mich, dass die «vorgeschrit­tenste» Theosophin eines Landes, die englische Vertreterin uralter Weisheit in Italien - sie hatte die Bestimmung, «Seele» der Theo-sophie in jenem Lande zu sein: es gab meistens neben den Ver­tretern des theosophischen Geistes, den Männern, die sich dafür zu tummeln hatten, solch eine Seele, die sie alle am Schlawittchen hielt und extra Missionarin dieses Zweckes war -, also die Seele eines solchen fremden Landes sagte zu mir mit der verachtungsvollsten Miene, deren ein englischer Mund fähig ist: «Oh - poets ! » ... Wei­tere Worte waren überflüssig; die Poesie war erledigt, und ich fand es unnütz, einen Wiedererweckungsversuch zu machen.

Und doch hat in jenem Lande ein Dante gedichtet und die Reigen der himmlischen Heerscharen in der Himmeisrose vereinigt, nicht im Bilde nur, nein, aus dem Wissen heraus. In ihm schlug der leben­dige Quell in hellen Strahlen auf zum Licht.

Der uns das Licht gebracht, er gab uns auch die Dichtung. Aber es hielt schwer, ein Verständnis in der Gesellschaft dafür zu bahnen. Grau in grau war der Verschluss. Es war ein langes, geduldiges Arbeiten gegen Widerstände und Unverständnis, die einfach der Unwissenheit entsprangen. Und wie sollte man sich wundern, dass das erotische Gefasel der Jahrhundertwende den braven Geistes-suchern aus seelischer oder Schicksalsbedrängnis nicht nach Ge­schmack war. In diesem Wald des Unkrauts nach der blauen Blume zu suchen, war nicht ihre Sache.

Ich erinnere mich, wie milde die forschenden Augen Rudolf Steiners erglänzten, als noch in den Anfängen unserer gemeinsamen Arbeit er mich einmal fragte, welche Dichter mir unter den moder­nen am meisten gefielen, und ich ihm antworten musste, dass mich

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die meisten nicht fesselten, dass ich aber zurückgegriffen hätte zu Jordan und Hamerling, die mich in diesem Augenblicke besonders interessierten durch ihre epische Kraft und Objektivität. Er schien überrascht und freute sich und teilte mir manches aus seinen Erin­nerungen an diese Männer mit.

Er liess mich auch frei gewähren - und wie ich jetzt weiss, beobachtend interessiert -, als ich nach einem literarischen Tee, den ich in Berlin zu geben hatte, in Fortführung meiner übernommenen Verpflichtungen, der vortragenden Dichterin schrieb: ich wäre sehr schokiert über ihre Gedichte und ihre Vortragsweise und könne mich nicht enthalten, der Ansicht Ausdruck zu geben, dass unmög­lich Zweck und Sinn der Dichtung sein könne, was sie als Stoff und Vortragsart gewählt habe. - Sie antwortete mir sehr von oben herab:

«Wer überhaupt von Zweck bei der Dichtung spricht, zeigt damit, dass er eine Binde vor den Augen trägt, die ihn hindert, das wahr­haft Schöne zu schauen.» Rudolf Steiner verhielt sich sehr wohl­wollend passiv bei der Angelegenheit, und wir einigten uns bald darin, die Tees abzuschaffen, die er als ein unglückliches Erbe der Theosophischen Gesellschaft betrachtete. Eine ernste Bewegung liesse sich nicht durch Tees machen, und in unsere Bewegung sollte der Ernst hineinkommen. Ja, es kommt alles darauf an, was gedichtet wird und wie sich Form und Inhalt decken.

Damals kannte ich noch nicht Conrad Ferdinand Meyer, diesen Meister der Form. Ihn lernte ich schätzen, als die plastische Kraft der Eurythmie mich zwang, das Wort im Ton zu meisseln. Wie buch­teten und zackten und weiteten und spitzten sich seine formstarken Gebilde, so konturiert und ziseliert, kernig und stark wie Granit, flimmernd wie Glimmerschiefer, saftstrotzend wie die Matten an den Alpenhängen. Man schreibt so viel davon, dass er die Form von den Franzosen hat. Er hat sie von seinen Bergen, von ihren kühnen Konturen und steinigem Mark, von den Firnen und dem Leuchten da droben, die ihn zwingen, alles Unnütze abzuwerfen. Er hat die reine Luft der Berge in sich und das Harzige und Würzige des Tan­nenruchs, er hat die milde Kraft der Wiese und das Überschäumende des Sturzbachs und die durchsichtige Tiefe des Sees, und er hat weit mehr: Er hat das lebende Weben der Natur in ihrer elementaren

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Geistigkeit, er hört die Stimmen raunen und er sieht die nebelhaften Gebilde sich dichten und Formen und Glanz und Farbe erhalten, und so ist in seiner Dichtung Substanz und reelle Wahrheit. Sie aber sagen, er sei nervenkrank gewesen, sprechen in Hinblick auf seine nicht abzuleugnende Bedeutung etwas verschämt von der Nerven-anstalt, von geistiger Nacht. Tag war in ihm, lichter Tag, und die umgebende Nacht stiess ihm die Helle in seine seelische Hülle zurück, und er konnte nicht herausdringen mit ihr, bis nach fünf­undvierzig Jahren der Geist sich Bahn brach durch die Form, durch das verdichtete, gedichtete Wort.

Ist aus dieser granitnen Form einem der Funke entgegengesprüht, so empfindet man sie nur noch als Geist.

Wer hat in wunderbarster vorabendlicher Beleuchtung vom Gor­nergrat aus das Matterhorn gesehen? Diese apokalyptische Bildung der Natur, die entsprechend dem Wolkenkranz und Strahlensturz, der sie umgibt und umflutet, bald wie ein hingestreckter Löwenleib daliegt, mit ausragenden gigantischen Tatzen vor der Lawinenbrust gewölbt, und mit dem menschenähnlichen Profil in der gezackten Höhenformung, aber auch mit dem Schwung des Adlerflugs in den eisblau durchfurchten, schroff abfallenden Hängen? Wir finden sie wieder in dem gewaltigen Griff, mit dem er die Geschichte packt und dichtet... Das Wort ist das Rüstzeug des Dichters. Derjenige ist ein Dichter, der starken Inhalt komprimiert, zusammendrängt, dich­tet, so verdichtet, dass das Wort Keimzellenkraft erhält, die in den Seelen aufgeht, Kulturen zum Blühen bringt, über Jahrhunderte und Jahrtausende hinaus die Menschen lebenspendend anregt.

APHORISMUS

Rudolf Steiner hat uns die Sprache als dasjenige hingestellt, worin der Mensch seine Göttlichkeit erfasst; durch s#SE280-120

Es gab eine Ursprache, die ernst alle Menschen verband. Die Diffe­renzierung kam mit dem Sündenfall. Die Sprache wurde das Tren­nende, das wodurch die Menschen sich nicht mehr verstanden. Das verlorengegangene einheitliche Band führte zu den Feindschaften der in Sprachgtuppen getrennten Nationen. Aber in den Lauten lebt das einheitliche Element weiter; sie sind in allen Sprachen dieselben, sobald man sie auf ihren Urgrund zurückführt. Sieben planetarische Vokaikräfte, zwölf konsonantische Mächte, entsprechend den zwölf Zeichen des Tierkreises. In einigen älteren Sprachen finden wir noch diese Gliederung ganz streng eingehalten, zum Beispiel im Finni­schen, das keine vokalischen Umlaute kennt, und die Konsonanten nicht in harte und weiche teilt. Diese Differenzierung ist schon ein späteres Umwandlungsprodukt der Sprache. Die offenbarenden, die schöpferischen Mächte der Sprache leben in den Wandelsternen, in den Ruhesternen. Ihre richtunggebenden, ihre formbildenden Kräfte liegen in unseren Lauten. Künstlerisches Sprechen hat die Aufgabe, diese geistigen Gesetze zu erkennen und sie zur Offenbarung zu bringen.

FÜR DIE SCHAUSPIELER

Es fehlt noch immer das unmittelbare Erleben. Es geht alles durch die Vorstellung. Diese peitscht dann an den Gefühlen herum; es werden so viel gröbere Wirkungen erzielt; das feinere Wahr­nehmen, das aus dem Innern emporsteigt und unmittelbar das Wort ergreifen könnte, geht so verloren. Kantig, eckig wirkt der durch die Vorstellung erzielte unlebendige Reflex. Das Nachfolgende muss schon in dem Vorhergehenden liegen.* Sonst fehlt die künst­lerische Notwendigkeit. Abrupt stehen plötzlich die Dinge da, unvermittelt. Während sie sich sonst organisch entwickeln, mit all den feinen Nuancen, die in den Übergängen liegen.

Untertauchen in das Wesen der Dinge ist dazu erforderlich und sie werden lassen. Man muss ihnen zuhören: sie sprechen. Dazu ist erforderlich, dass man sie oft im Halbton von den Lippen ablaufen

* - dieses Goethewort aus dem Gedicht war ein befeuernder Leitgedanke der täglichen Arbeit mit den Schauspielern.

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lässt und zuhört, sich ihnen anpasst, nicht seine Vorstellung dazwischen wirft.

Aus den Lauten reden dann die Dinge, geben dann auch einem das richtige Wort ein, wirken korrigierend bei eigenen Schöpfungen.

Die Menschen hören heute ebensowenig auf die Worte in den Dichtungen wie im Gespräch auf den andern Menschen.

ÜBUNG FÜR MEINE SCHÜLER

zur Atemführaag, als Übung für das Sprechen im Atemstrom, in fortschrei­tender Bewegung bei aktivem Blick. Nur in der Luft zu sprechen. Es sind keine Gedanken, keine Gefühle - nur ein Erleben der Blume. Es hat viel­leicht doch Sinn, dies Zu üben, weil es unmöglich ist, dies sentimental zu sprechen.

Die Klematia spricht:

Leis schaukeln im Lufthauch,

Zum Vierblatt gerundet,

Violett-tief die Kelche

Der schlanken Klematis

Von Purpur durchglutet;

Goldschimmernd das Herz.

Sie zittern im Zauber

Der Sonnendurchlichtung,

Der Farbendurchwirkung,

Entsprossen dem zarten

Aufstrebenden Stengel

Von schwungfroher Kraft.

Ihr schmächtiger Pfeiler,

Hinströmend die Selbstheit

In dauernder Bildung

Fünfblättriger Zweigung -

Klimmt auf zur Vollendung,

Getreu dem Gesetze

Hingebender Liebe,

Kraftwirkender Güte -

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Empor zu dem Lichte

Gestaltenden Äthers.

Und siehe das Wunder,

Es hat sich erfüllt:

Gewandelt hat sich

Der Treusinn des Grünen

Zum Ernst des Violett!

Die herrlichste Blume

In sinniger Schöne,

In hehrer Strenge,

In milder Tiefe

Sie winket hernieder

In farbfrohem Klang,

Sie leuchtet im Feuer

Der göttlichen Andacht,

Sie schimmert im Lichte

Der menschlichen Ehrfurcht,

Sie spricht von der Einung

Der Kräfte des Finstern,

Der Kräfte des Lichts -

Zu inniger Bindung

Erdleichtesten Stoffes

Mit strahlendem Schein;

Zum lösenden Dreiklang

Der Stoffesdurchkraftung

Der Seelendurchichung,

Der Ichesdurchsonnung

- In Geistselbsterfüllung -

Erlösend das Wort.

AUS REGIEBÜCHERN

Die Sprache ist als Gesamtorganismus ein voll empfindender Mensch, wir können auch sagen: eine ganze Versammlung von voll empfindenden Göttern.

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Man muss sich ein intimes Gehör für stumme Sprache erwerben; die Sprache so weit objektiv kriegen, dass aus dem Seelisch-Gehörten heraus gesprochen wird. Dann kommt man dazu, in den Worten zu leben. Und dann hebt man sich im ganzen Lebensauffassen zu einem gewissen geistigen Niveau. Das gibt den Sinn für künstlerische Gestaltung. -

Dann, wenn man seelisch hört, wird man die Auffassung um so eher treffen. - Anschauende Auffassung, statt ideengemässes Auf-fassen.

Innerlich seelisches Zuhören = eine Art Intuition. Nicht ver­standesmässiges Einstudieren durch sogenannte Vertiefung in den Inhalt, sondern die betreffende Gestalt vorher hören.

*

Das Verhältnis des Menschen zu seiner seelischen oder gegen­ständlichen Umgebung zum Ausdruck bringen.

Der Darsteller: Ich-Mittelpunkt seiner Umgebung, durchflutet von kosmischen Kräften - und wieder ausstrahlend diese Kräfte, jetzt aber tingiert von einer individuellen Gemüts- und Geistesart, je nach dem darzustellenden Charakter und den in das Wort hinein-gelegten Intentionen des Dichters. - Ätherische und geistige Kraft-linien strahlt der Mensch um sich herum aus, die sich berühren und verbinden mit den Gegenständen und Wesenheiten seiner Um­gebung.

Greifen: der intensive Wille, die Gedanken stark zu erfassen. (Ein michaelischer Impuls.>

*

Wenn sich das göttliche Geschehen durch die menschliche Indivi­dualität ausspricht - geht die lineare Bewegung in die Verdichtung des Ich hinein; also abwärts strömender Atem - in der thematischen Linie. Zum Beispiel: «Das Tier, die Pflanze, dieseWesen hatten.. .»*

* Ritornell aus #SE280-124

Wenn sich das Ich hingibt, zu seinem Quell zurückkehrt, nimmt es die Tiefe mit, aber der Ton verjüngt sich fortwährend, das Ich folgt dem Ton im Aushauch aufwärts: «Da nimm.. .»* «Wie in lauter Helligkeit...» * *

Das «Vertonungsgeschehen» des Ich, das «Einlautungsgeschehen» des Ich. - Das Ich muss diesem Geschehen folgen; dazwischen in den Pausen die impulsierenden Kräfte; den neuen Anstoss geben lassen.

FRAGMENTARISCH GEBLIEBENE AUFZEICHNUNGEN

Das Erleben des Wortes führt zu Intimitäten des geistigen Erken­nens, die wie eine Entsiegelung wirken des Geheimnisses des Men­schen. Der Mensch tritt uns innerhalb der Sprache entgegen aus den Urgründen seines innersten Wesens, zusammengefügt aus den Kräften des Kosmos, die in den Lauten ihre Gebärdensprache, ihr tönendes Zeichen haben. Die Kräfte des Tierkreises, die Kräfte der Planeten sind zusammengedrängt in den Lauten, wirken in ihnen, drängen kraft ihres Zusammenklingens im Menschen durch den Menschen zu neuen Bewusstseinszuständen hin. Sie haben sich im Menschen ein Gebilde erschaffen, in das sie hineingetaucht sind und durch das sie sich wiederum offenbaren wollen - in immer neuem Wechselspiel, aber aus urewigem göttlichen Walten heraus. Dies göttliche Walten kann erlauscht werden durch das Erleben der Sprache. Es wird in seinen Gesetzen abgefangen, kontrolliert, indem der Atem, dieser innere Luftmensch, sich seiner selbst bewusst wird als eines Instrumentes zum Messen und Wägen der Richtungen des Raumes, des Schrittes der Zeit, der formenden Gefühlskräfte. Wie ein Senkblei kann man dieses Instrument des eigenen innerlich akti­vierten Atemstromes eindringen lassen in die Tiefen des Luftelemen­tes draussen, kann dieses Element ertasten, erschmecken, ergreifen in seiner biegsamen, weichen, spannenden, federnden Bildekraft,

*Aus ** Hymne aus von Christian Morgenstern

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#Bild s. 125

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kann die meisselnde, modelnde, plastizierende Kraft des durch den Willensstoss aktivierten und bewusst geleiteten eigenen Atemstro­mes empfinden, dem die Gewalt gegeben ist, dieses Luftelement zu beherrschen und umzubiegen, bis man zum Geiste durchstösst. Man erlebt sich als Atemmensch. «Gett blies dem Menschen den leben­digen Atem ein», und da ward erst aus dem Klotz ein Mensch. Aber dies kann man nicht erdenken, das muss man erkennen durch das Erleben. ... Und er ward eine lebendige Seele. ... Wie aber wird er Geist? Durch die erweckte Ichkraft, durch die Bewusstseins-erfassung im Ich. Man muss aus sich herausgetreten sein, aus dem, was den Menschen zu dem gesonderten, in sich abgeschlossenen Wesen macht, in das hinein, was ihn mit dem Weltenall verbindet, was ihm die Kräfte des eigenen Ursprungs offenbart, des eigenen Aufbaus, der eigenen Zielsetzung. Denn der persönliche Mensch weiss ja nichts von den Zielen, die ihm sein Ichmensch auferlegt. Er kann nur langsam und allmählich die Schrift entziffern, die ihm sein eigenes Schicksal auferlegt.

Künstlerisches Arbeiten hilft uns dazu, denn die Kunst offenbart uns ja die geheimen Naturgesetze, und die geheimen Naturgesetze liegen tief verankert im göttlichen Walten. In sie hineintauchen können wir, wenn wir mit dem arbeiten, was innerhalb unser sich am wenigsten weit entfernt hat von der Innenseite des Geistes und was wir noch mit dem Bewusstsein erreichen können. Und das ist zunächst der Atem.

Folgen wir unserm Atem; sein rhythmischer Aushauch führt uns hinaus, nimmt uns mit, verteilt uns in die Weltenweiten; dann sin­ken wir in uns zurück, aber mit dem Zurücksinken in uns selbst haben wir die äussere objektive Welt, das Luftelement, das sie trägt, bedingt und hält, in uns hineingenommen. Ein Stück objektiver Welt ist in uns hineingekommen, hat unsere Sinne durchhellt, erfüllt, hat sich mit unserer Wärme verbunden und ist dadurch zu unserm Eigenwesen geworden, zu einem Teil unseres Wesens, soweit es uns Leben gab; es eilt wieder hinaus, um das, was uns den Tod geben würde, uns wieder zu entziehen. Es eilt hinaus und verstreut sich wieder in die Weltenweiten. Wechselwirkung, rhyth­mischer Wellenschlag; wir erfassen ihn mit dem Atem und erkennen,

#SE280-127

dass wir nicht in uns sind, wenn wir nicht die Welt in uns auf­nehmen, dass wir also in der Welt mehr sind denn in unserm Eigensten, in unserm eigenen Organismus. Diese Erkenntnis bringt Licht in unseren Atem hinein, Innenlicht. Dies Licht durchdringt unsere äussere Sinnenwahrnehmung; wir empfinden unsere Sinne als ein verfeinertes Atmen.

AUS NOTIZBÜCHERN

Die Ich-Organisation spielt auf dem wunderbaren musikalischen Instrument des astralischen Leibes.

Durch die Struktur des Sprachlichen lernt man die Ich-Organi­sation kennen.

Studiert man den Sprachgenius, dann lernt man die Ich-Organi­sation kennen.

Wir rufen in der Toneurytlitme diejenigen Bewegungen hervor, die der Gestaltung des astralischen Leibes entsprechen; in der Spracheurythmie diejenigen Gestaltungen hervor, die der Ich-Organi­sation entsprechen.

Indem wir physisch Toneurythmie treiben, arbeiten wir bewusst an der Ausgestaltung des seelischen Menschen; indem wir Sprach­eurythmie physisch treiben, an der Ausgestaltung des geistigen Menschen.

Die Erkenntnis muss aufsteigen vom Lernen zum Plastizieren, zum Musikalischen, zum Sprachlichen.

Wenn man von den abstrakten Regeln der Naturwissenschaft aufsteigt zu dem, was sich plastisch gestaltet, dann lernt man den Menschen nach seinem Ätherleib kennen.

Ist man nicht nur äusserlich gedächtuismässig mit den Worten verbunden, sondern lernt man den Genius in den Worten wirksam kennen, dann lernt man die Ich-Organisation kennen.

Wir müssen kosmische Einsichten zu künstlerischen Bildern for­men. Wenn der Begriff reich an Gefühl ist, kann er künstlerisch vermittelt werden.

Das Weiten der Seele ist etwas, was eintritt durch eine dem Kosmos angemessene Erkenntnis.

#SE280-128

Die Weltengeheimnisse mussen den Menschen puisierend durch-strömen, wie wenn man das blosse Werkzeug dafür wäre, dass sie

sich aussprechen. * 1940

Mit einem gewöhnlichen künstlerischen Denken und Empfinden kommt man nicht an die Ätherwelt heran, weil dieses Heran­kommen an die Ätherwelt etwas ist, wo man nicht nur in den Raum etwas hineinschaut, sondern wo man den Raum ergreift, so dass der Äther den Raum leer macht. Und dann erlebt man das Lebendige in dem Aussaugen des Raumes. Es muss eben ein ganz anderes Denken eintreten, wenn män zu diesen höheren Welten hinauf­kommen will.

*

Der Mensch muss sich in das ganze Weltenall bewusst hinein­stellen, um sich als sprachbegabtes Wesen zu erfassen.

Er muss die Richtungen empfinden lernen, die Höhen, die Tie­fen, den Umkreis. - Viel weiter hinaus als irgendeine körperliche Bewegung, durch die er den Raum empfinden lernt, trägt ihn sein Wort. In seinem Wort lebt er als Luftmensch und durchbricht die festen Schranken der Physis.

Wie spricht der moderne Mensch? Sein Gehirn funktioniert wie ein physikalischer Apparat, spiegelt bloss ab. Sein Knochengerüst bannt den Ton, hält ihn fest, bindet ihn; es spricht eigentlich das Skelett. Damit ein vorgetäuschtes Leben in diese Verknöcherung und Mechanik hineinkomme, muss Empfindung hineingepresst werden. Man holt sie aus der Überhitzung, der Übersteigerung der

Persönlichkeit: aus der Sentimentalität im besseren Fall, die aber immer unwahr wirkt. Aus der Nervosität andrerseits, die zu immer grösserer Übertreibung verleitet und um des ersehnten Effektes willen zur Hysterie wird.

Morbide Dekadenz hat sich bald überlebt. Sie wird von der Mechanik ergriffen und verdrängt, die den Sieg der Technik über die Kunst bedeutet. Von der Leinwand herab und von den Musik­kästen herunter springt sie über in die Glieder und in die Stimme des Menschen.

#SE280-129

Hier verholzt sie sich und verholzt den Menschen.

Der Mensch findet nicht mehr den Weg aus sich heraus, wenn er diese Quelle verstopft hat. Sie bedeutet seine Verbindung mit der umliegenden Welt. Die Luft ist draussen und ist in ihm, die Luft pflegt seinen Organismus, die Luft wird in der Umwandlung in ihm zur Wärme, die ihn verinnerlicht, der Atem macht den Menschen zu einer lebendigen Seele und bringt ihn zum Bewusstsein seines Zusammenhangs mit dem Kosmos.

Solange aber eine Stimme nur Ton ist, unartikuliert oder melo­diös, wie beim Vierfüssler oder beim Vogel, kann sie nicht Bewusst­seinswecker werden. Sie wird es, wenn sich in sie die Sprachkraft ergiesst.

Die Sprachkraft ist die zum Leben gewordene Sternenschrift des Kosmos.

Sie schafft sich einen Ausdruck im Menschen.

SPRACHE UND SPRACHGEIST RICHTLINIEN IN DER ERZIEHUNGSKUNST FÜR DIE SPRACHGESTALTUNG UND FÜR DEN DEUTSCH-SPRACHUNTERRICHT

#G280-1975-SE133 Methodik und Wesen der Sprachgestaltung

#TI

II

RUDOLF STEINER

SPRACHE UND SPRACHGEIST

RICHTLINIEN IN DER ERZIEHUNGSKUNST

FÜR DIE SPRACHGESTALTUNG

UND FÜR DEN DEUTSCH-SPRACHUNTERRICHT

BEITRÄGE FÜR EINE ERZIEHUNGSSCHULE

DER VORTRAGSKUNST

ÜBER SPRACHSTÖRUNGEN

EIN THERAPEUTISCHER HINWEIS

APHORISTISCHE AUSFÜHRUNGEN ÜBER

SPRACHGESTALTUNG

UND DRAMATISCHE KUNST

#SE280-134

SPRACHE UND SPRACHGEIST

#TX

Man spricht vom Sprachgeiste. Man kann aber nicht sagen, dass viele Menschen heute mit diesem Worte einen anschaubaren Begriff zum Ausdrucke bringen. Es werden allgemeine charakteristische Eigentümlichkeiten in Laut- und Wortbildung, in Satzbau und Bildergebrauch gemeint, wenn man sich dieses Wortes bedient. Das « Geistige», das man dabei im Sinne hat, bleibt im Abstrakten stecken. An etwas, was verdiente, «Geist» genannt zu werden, kommt man doch nicht heran.

Zwei Wege aber kann es geben, um heute den «Sprachgeist» in seiner lebendigen Kraft zu entdecken. Der erste zeigt sich derjenigen Seele, die aus dem bloss begrifflichen Denken zum wesenoffenbaren­den Schauen vordringt. Von diesem ist in dieser Wochenschrift * oft gesprochen worden. Es ist ein innerliches Erleben einer geistigen Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit sollte nicht verwechselt werden mit dem mystisch-unbestimmten Erfühlen eines allgemeinen « Etwas». Sie enthält nichts Sinnlich-Wahrnehmbares, ist aber doch so inhaltvoll wie dieses.

Wer in dieser Art schaut, der entfernt sich in seinem Schauen von dem, was durch die Sprache ausdrückbar ist. Sein Schauen findet zunächst nicht den Weg zu den Lippen. Greift er zu Worten, so hat er sogleich die Empfindung, dass der Iuhalt seiner Schauung etwas anderes wird. Will er nun doch von seinen Schauungen Mitteilung machen, so beginnt sein Kampf mit der Sprache. Er sucht alles mög­liche innerhalb des Sprachlichen zu verwenden, um ein Bild dessen zu gestalten, was er schaut. Von Lautanklängen zu Satzwendungen sucht er überall im Bereich des Sprachlichen. Er kämpft einen harten inneren Kampf. Er muss sich sagen: die Sprache hat etwas Eigen­williges. Sie drückt schon für sich alles mögliche aus; auch du musst erst dich an ihren Eigenwillen hingeben, damit sie aufnehme, was du schaust. Will man das geistig Erschaute in die Sprache giessen, so stösst man eben nicht auf ein unbestimmtes wachsartiges Element,

* Der Aufsatz erschien zuerst in , Nr.50 (23. Juli).

#SE280-135

das man beliebig formen kann, sondern man stösst auf einen «leben­digen Geist», auf den «Geist der Sprache>.

Wenn man auf diese Art redlich kämpft, so kann der Kampf den besten, den schönsten Ausgang nehmen. Es kommt ein Augenblick, wo man fühlt: der Sprachgeist nimmt das Geschaute auf. Die Worte und Wendungen, auf die man kommt, nehmen selbst etwas Geistiges an; sie hören auf, zu Dies ist der eine Weg, um den «Sprachgeist» als lebendigen zu erfühlen. Der zweite stellt sich in der Regel ein, wenn man diesen ersten geht. Er kann aber durchaus auch für sich allein beschritten werden. Man ist auf diesem Wege, wenn man Worten oder Satz-wendungen gegenüber, die in der Gegenwart schon einen abstrakten Charakter angenommen haben, die ursprüngliche konkrete, frische, anschauliche Bedeutung erlebt. Man spricht heute das Wort « Über-zeugung» aus. Man fühlt dabei den Seelenzustand des errungenen Fürwahrhaltens einer Sache. Man hat schon gelernt, «sich aus dem Worte herausfühlen». Fühlt man sich wieder in das Wort hinein, so steigt auf: Zeugung, Hervorbringung im Körperlichen. Die «Überzeugung» wird ein ähnlicher Vorgang im Seelischen. Was wirklich in der Seele vorgeht, wenn sie von einer Überzeugung durchdrungen wird, veranschaulicht sich. - Man betrachte so Worte wie: gefällig! Welcher Reichtum von inneren Erlebnissen tut sich auf. Wer zum « Fallen» geneigt ist, verliert sein Gleichgewicht; er schaltet sein Bewusstsein aus. Wer einem anderen « gefällig» ist, der gibt sich für einen Augenblick selbst auf; er tritt in das Bewusst-sein des andern ein; er hat ein Erlebnis, das der leise Anklang des­jenigen ist, was das «Hinfallen» in Ohnmacht bedeutet.

Wer solche Dinge nicht spintisierend, nicht um geistreiche Bemerkungen für fragwürdige Theorien zu machen, sondern mit gesundem, wirklichkeitsgemässem Sinn erlebt, der muss sich zuletzt das Geständnis machen, dass im Bilden der Sprache Verstand, Ver­nunft, Geist liegt. Ein Geist, den das Bewusstsein der Menschen

#SE280-136

nicht erst hineinlegt, sondern der im Unterbewusstsein wirksam ist und den der Mensch in der Sprache vorfindet, die er erlernt. Der Mensch kann so dazu kommen, recht zu verstehen, wie sein Geist ein Geschöpf des «Sprachgeistes> ist.

In dieser Richtung den «Geist der Sprache> zu suchen, dazu liegen in den gegenwärtigen Forschungsergebnissen alle Vorbedin­gungen. Es ist ja auch schon viel geschehen; es bedarf nur des bewussten Aufbaues einer psychologischen Sprachwissenschaft.

Hier soll weniger auf eine Notwendigkeit nach dieser Richtung hingewiesen werden, sondern auf etwas, das für die Lebenspraxis Bedeutung hat. Wer den gekennzeichneten Tatbestand klar über­schaut, der muss finden, dass die Sprache in sich etwas birgt, was aus ihr heraus zu etwas ihr Übergeordnetem, zu dem Geiste selbst hinführt. Und der Geist ist nicht ein solches, das in den mannig­faltigen Sprachen auch ein Mannigfaltiges sein kann, sondern in ihnen als ein Einheitliches lebt.

Diese geistige Einheit in den Sprachen geht verloren, wenn diese ihre ursprüngliche, elementarische Lebendigkeit abstreifen und von dem Geiste der Abstraktion erfasst werden. Dann hat der Mensch, der spricht, nicht mehr den «Geist» in sich, sondern das sprachliche Kleid des Geistes. Wer, wenn er Je abstrakter das unmittelbare Spracherleben wird, desto mehr werden die Seelen der Menschen voneinander geschieden. Was ab­strakt ist, hat der einzelne Mensch für sich. Er bildet es für sich aus. Er lebt in ihm als in seiner besonderen Ichheit. Vollständig kann dieses abstrakte Element allerdings nur in der Begriffswelt erreicht werden. Aber bis zu einem sehr hohen Grade nähern sich ihm auch die Wort- und Satzerlebnisse besonders in den Sprachen der zivili­sierten Völker.

Nun aber leben wir in einem Zeitalter, in dem gegenüber allem Trennenden zwischen Menschen und Völkern das Verbindende bewusst gepflegt werden muss. Denn auch zwischen Menschen, die

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verschiedene Sprachen sprechen, wird das Trennende hinweg-geräumt, wenn ein jeglicher in seiner Sprache das Anschauliche erlebt. Es sollte ein wichtiges Element der sozialen Pädagogik werden, den Sprachgeist in den Sprachen wieder zu erwecken.

Wer seinen Sinn auf solche Dinge lenkt, der wird finden, wieviel von den Bestrebungen, die man heute sozial nennt, von dem Hin­schauen auf das Leben der Menschenseelen, nicht bloss von dem Nachdenken über äussere Einrichtungen abhängt. - Es gehört zu den notwendigsten Aufgaben der Gegenwart, dass gegenüber dem Zug nach der Sonderung der Völker nach Sprachen ein solcher nach gegenseitigem Verstehen geschaffen werde.

Man redet heute viel von Humanismus in dem Sinne, dass das Wahrhaft-Menschliche im Menschen gepflegt werden solle. Man wird ein solches Streben erst völlig wahr machen, wenn man mit ihm auf den einzelnen konkreten Gebieten des Lebens Ernst macht. Man denke nur, wieviel voller, intensiver ein Mensch sein Mensch­tum empfindet, als dies im abstrakten Spracherleben der Fall ist, welcher einmal ein ganz Anschauliches in das Wort- und Satz-Erleben hineingetragen hat. Man wird dabei allerdings nicht zu denken haben, dass jemand, der bei einem Bilde sagt: das ist ent­zückend, in dem Augenblicke des Besehens vor sich haben soll die Anschauung des Zuckens und des unwillkürlichen Hingerissenseins bis zum Ent-Zucken seiner Glieder. Aber wer einmal in dem Worte « entzücken» lebensvoll das ins Seelische Umgesetzte dieses Bildes gefühlt hat, der wird, wenn er das Wort ausspricht, doch anderes erleben als ein solcher, der es stets nur abstrakt erlebt hat. Not­wendig wird der seelische Oberton im konventionellen und wissen­schaftlichen Sprechen des Tages ein abstrakter sein; aber der Unter­ton soll dies nicht auch sein. Auf primitiven Kulturstufen erleben die Menschen ihre Sprache anschaulich; auf vorgerückteren müsste die Erziehung dafür sorgen, dass diese Anschaulichkeit nicht ganz verlorengehe.

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RICHTLINIEN IN DER ERZIEHUNGSKUNST

FÜR DIE SPRACHGESTALTUNG

UND FÜR DEN DEUTSCH~SPRACHUNTERRICHT*

Eine Lehrerin berichtet, dass ihre Klasse besonders in den Sprach-stunden brüllt und tobt.

Die grösste Schwierigkeit ist wohl, dass Sie das feine Stimmchen haben. Sie müssen Ihr Stimmchen ein bisschen schulen. Sie müssen «unten» reden lernen, nicht piepsen beim Schreien. Es wäre schade, wenn Sie nicht Ihre Stimme behandelten, so dass etwas Bass hinein-käme. Also Tiefe muss hineinkommen.

*

Zunächst findet eine Besprechung statt über einzelne Kinder, die Rudolf Steiner sich am Vormittag angesehen hat.

Ich würde es sehr schön finden, mit dem «Vaterunser» den Unter­richt zu beginnen. Dann gehen Sie über zu den Sprüchen, die ich Ihnen sagen werde. Für die vier unteren Klassen bitte ich den Spruch in der folgenden Weise zu sagen:

Der Sonne liebes Licht,

Es hellet mir den Tag.

Der Seele Geistesmacht,

Sie gibt den Gliedern Kraft.

Im Sonnenlichtesglanz

Verehre ich, o Gott,

Die Menschenkraft, die Du

In meine Seele mit

So gütig hast gepflanzt,

Dass ich kann arbeitsam

Und lernbegierig sein.

Von Dir stammt Licht und Kraft,

Zu Dir ström' Lieb und Dank.

*Die Hinweise werden in zeitlicher Folge, wie sie sich von Konferenz zu Konferenz (1919-1924) ergaben, nach von Rudolf Steiner nicht durchgesehenen Nacb­schriften veröffentlicht. Siehe ferner: Rudolf Steiner, Erziehungskunst. Methodisch­Didalctisches, 3. Vortrag, Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 294.

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Das müssten die Schüler so empfinden, wie ich es gesprochen habe. Man müsste ihnen auch klarmachen nach und nach - erst sollen sie die Worte aufnehmen - den Gegensatz des Äusseren und des Inneren.

Der Sonne liebes Licht,

Es hellet mit den Tag.

Der Seele Geistesmacht,

Sie gibt den Gliedern Kraft.

Das eine bemerkt man beobachtend, wie das Licht den Tag erhellt; das andere ist das Fühlen des Seelischen, wie es in die Glieder geht. Geistig-seelisch - physisch-körperlich; das liegt in diesem Satz.

Im Sonnenlichtesglanz

Verehre ich, o Gott,

Die Menschenkraft, die Du

In meine Seele mir

So gütig hast gepflanzt,

Dass ich kann atbeitsam

Und lernbegierig sein.

Dies also verehrend zu denselben beiden. Dann noch einmal zu beiden sich wendend:

Von Dir stammt Licht und Kraft,

Zu Dir ström' Lieb und Dank.

Ich würde meinen, dass die Kinder es so empfinden sollen zu dem Göttlichen im Licht und in der Seele.

Sie müssen versuchen, mit dieser Empfindung, wie ich es vor­gelesen habe, es mit den Kindern zusammen zu sprechen im Chor. Zuerst lernen es die Kinder rein wortgemäss, so dass sie Wort, Takt und Rhythmus haben. Erst später erklären Sie mal gelegentlich:

Jetzt wollen wir mal sehen, was dadrinnen ist. Erst müssen die Kinder es haben, dann erst erklären. Nicht z>uerst erklären, auch nicht viel darauf geben, dass die Kinder es auswendig lernen. Sie sollen es förmlich von Ihren Lippen zunächst ablesen. Wenn es lange Zeit, vier Wochen meinetwegen, schlecht geht, um so besser wird es später gehen. Die Grösseren können es schon aufschreiben;

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tnit den Kleinsten muss man es nach und nach einlernen. Nicht befehlen, dass sie es auswendig lernen. Wenn Sie es ihnen auf-schreiben, ist es ja schön; dann haben sie es in Ihrer Schrift.

*

Bericht aus der 6. Klasse.

Die Kinder lernen besser denken und empfinden durch Eurythmie und umgekehrt. - Die K. B. nach bestimmten Sätzen eurythmisieren lassen (die Lehrer-Sprechübungssätze *). Der E. H. durch Nach-erzählen von Erschütterndem helfen.

*

Der Fall des O. R. wegen des Diebstahls von Kupferdraht und einer Busennadel.

Bei diebischen Kindern erinnern lassen, was die Kinder in frühe~ ren Jahren erlebt haben. Dinge sich vorstellen lassen aus Jahren zurück. Sonst kann später etwas Kleptomanisches herauskommen.

Bei R. in der 7. Klasse ist Stehlen nachgewiesen.

Man müsste ihn eine Viertelstunde sitzen lassen und die eigenen Füsse in die Hand nehmen lassen als Strafe. Das Gedächtnis stärken durch Rückwärts-vorstellen- lassen:

Der Vater liest in dem Buch.

Buch dem in liest Vater der.

Auch umgekehrte Zahlen: 3426 - 6243. Die Härteskala hin und zurück. Sprechübungen auch rückwärts machen.

*

Es wird über die Hilfsklasse berichtet und dann über den Sprach­unterricht.

Sprachen werden um so leichter gelernt und die Aussprache wird um so besser und reiner, je früher begonnen wird. Die Begabung

* Siebe Seite 28

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für Sprachen nimmt mit zunehmendem Alter ab, vom 7. Jahre an. Chorsprechen ist sehr gut, denn die Sprache ist ein soziales Element. Im Chor lässt sich immer leichter sprechen als allein.

*

Ich möchte sagen, es wird doch eine Frage einer allgemeinen didaktischen Ökonomie sein, wie weit das Chorsprechen gehen soll. Würde man es zu wenig ausbilden, dann leidet die soziale Gesinnung, die sich ausbildet durch die Chorgeschichte. Wenn man es zu viel macht, dann leidet die Auffassungskraft, weil es eine suggestive Kraft hat. Die Kinder können Dinge, für die sie sonst keinen Tau * haben, wenn sie in der Masse mitsprechen. Gerade so, wie eine Volksmenge auf der Strasse mittut. Je jünger sie sind, desto mehr kann das täuschen. Es ist schon gut, dass man sie ganz durch­einander auffordert, dasselbe noch einmal zu machen im einzelnen, so dass jeder aufzupassen hat, wenn der andere seinen Satz bildet. Wenn sie eine Erzählung sagen, so behandelt man Sätze. Man lässt den einen fortsetzen. Solche Sachen haben eine gewisse Bedeutung, dass ich sagte: «Derjenige, der in der mittleren Bankreihe an der linken Ecke sitzt, der soll fortfahren !» - «Der einzige, der in der Ecke sitzt, soll fortfahren !» Solche Dinge sollte man machen, wo sie aufpassen müssen, wo man die Kinder dazu bringt, immer mitzutun. Das zuviele Chorsprechen würde die Lässigkeit fördern. In der Musik bestätigt sich das in bezug auf das Brüllen.

*

Wegen der Schülerin E. M. in der 5. Klasse, die stottert.

Ja, haben Sie sie mir damals vorgeführt? Die müsste ich doch sehen. Man muss doch wissen, woran es liegt, ob es ein organischer Fehler ist oder seelisch**. Es kann beides sein. Wenn es ein seelischer Fehler ist, kann man bestimmt formulierte Sätze *** machen, wodurch

* Österreichisch *** Siehe Seite 23 und 105

** Siehe auch Seite 201: Über Sprachstörungen

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sie sich trainieren müsste. Wenn es ein organischer Fehler ist, dann müsste man etwas anderes machen. Ich müsste sie morgen anschauen.

*

Es wird gefragt wegen der L. G. in der 3. Klasse, die nervös ist und stottert.

Abhelfen würde es nur, wenn Sie versuchen würden - ich weiss nicht, ob unter unseren Übungssätzen solche sind -, Sätze mit k und p; die müsste man sie machen lassen und dabei gehen lassen, und dann könnte sie auch diese Sätze sprechen. Wenn sie in der Eu­rythmie auch k und p machen würde, wäre es auch gut. Aber solche Dinge sind nicht seriös zu nehmen, gewöhnlich verlieren sie sich später.

*

Beim Sprachunterricht ist der grandiose Unterschied zwischen Chorsprechen und Einzelsprechen. Die Kinder reden im Chor alle glattweg mit und können es einzeln nicht. Es würde sich darum handeln, dass man es ausnützt. Das werden wir bei den pädago­gisch-methodischen Fragen im nächsten Jahre behandeln, dass man versucht, bei den Kindern, nachdem sie es im Chor gesprochen haben, rasch es einzeln zu machen. Man soll es machen als Grund-lage des Lernens. Es ist zweifellos so. -

Der Stundenplan ist schwer durchführbar, wenn Kinder aus einer Klasse mit andern Klassen Sprachunterricht haben sollen.

Beim Sprachunterricht wäre es wirklich ganz gut - aber das ist nicht durchführbar -, wenn man systematisch zwei Altersklassen könnte beieinander haben, dass das eine Kind vom andern lernte. In der Sprache ist es gut, wenn die Jüngeren von Älteren lernen. Das ist ein Surrogat, wenn Schwächere und Bessere da sind. Es ist in der Zeit nicht durchführbar, aber wir können in der Sprache Schwä­chere und Bessere gut durcheinander haben.

*

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Es wird eine Frage gestellt wegen des Sprachunterrichts in einer oberen (9.> Klasse.

Ich würde versuchen, viel Wert zu legen in diesem Alter auf das rezitatorische Element. Im Rezitieren noch einiges lernen in der Beherrschung der Sprache. Sinn von Wendungen, die die Kinder im Rezitieren aufnehmen, anwenden auf anderes.

*

Nun meine ich das: der Unterricht im Chor ist gut, mit Mass gemacht Wenn allzuviel im Chor gemacht wird, dann bitte ich, nicht zu vergessen, dass die Gruppenseele eine Realität ist, dass Sie nie darauf rechnen können, dass die Kinder als einzelne das kön­nen, was sie im Chor richtig machen. Man hat so das Gefühl, wenn die Kinder im Chor sprechen, dass man sie leichter ruhig erhält. Ein so gutes Mittel es ist, mässig betrieben, damit die Gruppenseelen­haftigkeit in Regsamkeit kommt, so wenig ist es gut, doch die Kinder allzusehr der Gruppenseele zu überlassen. Sie können als einzelne nicht das, was sie im Chor können. Da müsste noch weiser geschaltet werden. Sie müssen die Kinder einzeln recht viel fragen. Man muss es tun. Es hat seinen grossen erzieherischen Wert. Ja nicht glauben, wenn die Kinder unruhig werden, dass man sie dann im Chor spre­chen lassen muss.

*

Sollte es nicht möglich sein, im englischen Unterricht in der 7. Klasse irgend etwas aus einem Buch zu lesen?

Vielleicht ist es doch möglich. Wieviel Zeit werden Sie haben, um zu lesen? Wie könnte man das bewirken, dass gelesen würde «Christmas Carol»? Es ist ausserordentlich instrulltiv, dass jedes Kind das Buch hat, und man sie herausruft und sie lesen lässt vor den andern in zwangloser Weise, damit sie zusammen lesend den­kend arbeiten. 6 a, 6 b Poetisches; Prosa nach der Poesie.

*

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Es wird über den Sprachunterricht berichtet

Man kann versuchen, durch die Gruppenabteilung etwas zu erreichen. Wir können sie in Gruppen zusammenbringen, diejenigen mit gleichen Kenntnissen und Fähigkeiten beisammen haben.

Ich glaube, es wäre gut, in der 6. Klasse etwas Gedrucktes zu lesen, bemerkt ein Lehrer.

Wie alt sind die Schüler? Man müsste eine mässig grosse Erzäh­lung heraussuchen. Man müsste eine Erzählung finden, eine Novelle, etwas, was Substanz hat, nichts Oberflächliches. Es wäre möglich, so etwas wie ein historisches Stück zu lesen aus Mignet * Da lernen sie auch sehr viel daran.

Den Sprachunterricht werden wir neu gliedern müssen. Da ist es auch so, dass ,man die Schüler so schwer befriedigen kann. Beim Sprachunterricht muss man die Schüler fragen, da herrscht die An­sicht, dass die Schüler unzufrieden sind. Sie lernen am meisten an der Lektüre. Viel Hilfe ist Sichhineinfinden in eine zusammen­hängende Lektüre. Das Auswendiglernen ist nur ein Hilfsmittel. Man geht Satz für Satz vor. Bei den Kleinen immer sprechen.

*

Nun haben wir fur den Lehrplan der 10. Klasse das Folgende zu bedenken. Wir werden da zunächst so etwas wie deutsche Sprache und Literatur zu berücksichtigen haben. Nun, nicht wahr, es würde wohl die Fortsetzung dessen sein, was Sie in der 9. Klasse hatten.

Ich habe Jean Paul gehabt, bemerkt ein Lehrer.

Sie haben Jean Paul durchgenommen und sind damit fertig.

Das Kapitel über Humor, das als Aufgabe gestellt war, hat sei­nen Abschluss gefunden, antwortet der Lehrer.

Nun würde es sich darum handeln, dass Sie jetzt beginnen und weiter fortsetzen eine etwas zusammenhängende Darstellung dessen, was man als Metrik und Poetik bezeichnet Die Kinder werden auf Grundlage dessen, was sie gelernt haben in Anlehnung an Jean Paul, auf manches eingehen können. Es muss vermieden werden die

* F.A. M. Mignet (1796-1884), französischer Geschichtsschreiber

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gewöhnliche pedantische Schulmethode, die da eingehalten wird. Es muss also in lebendiger Weise, in Anlehnung an lebendige Dich-tung, Metrik und Poetik - was man gewöhnlich so nennt - ins Ver­nunftige umgesetzt behandelt werden.*

Dann würde in dieser Klasse durchzunehmen sein das Nibelun­genlied und Gudrun. Womöglich dahin arbeiten, dass man es in der mittelhochdeutschen Sprache durchnimmt Man würde es so machen, dass, soviel die Zeit gestattet, man mittelhochdeutsch durchnimmt, aber das ganze Milieu bespricht, aus dem die Dichtung gewachsen ist, die künstlerische, volkstümliche Bedeutung durchspricht und -abgesehen von dem, was man gewissermassen als Proben liest -auch den ganzen Inhalt der grossen Gedichte den Kindern vermittelt und dann auch, natürlich in Anlehnung an das Nibelungenlied, etwas mittelhochdeutsche Grammatik in Vergleichung mit der neuhoch­deutschen Grammatik. Das jedenfalls würde das Lehrpensum sein. Anfangen mit der Metrik. Das würde das sein, was Sie in der 10. Klasse durchzunehmen hätten.

*

Würden Sie mir selbst ein Buch zum Studium anempfehlen für die Metrik im Deutsch-Unterricht?

Es ist jedes gleich gut und gleich schlecht Sehen Sie nach bei Göschen** in einer der schlechtesten Methoden, damit Sie die Auf­einanderfolge der Begriffe haben. Es gibt keine gute deutsche Metrik und Poetik. Bartsch, Lachmann - Nibelungenlied; von Simrock*** verdeutscht; er hat versucht, sich daran zu halten. Die Elemente habe ich gegeben in einem Vortrag in Dornach - zwischen Pulsschlag

* Ein solcher Versuch, auf den Rudolf Steiner aufmerksam gemacht hahen soll, liegt vor in der Poetik (Grundzüge zu einer deutschen theorerisch-praktischen Poetik aus Goethes Werken) von Johann Stanislaus Zauper (1784-1850), im Jahre 1840 im Verlag Carl Gerold, Wien, erschienen

** Sammlung Göschen, G. J. Göschenschen Verlagshandlung, Leipzig

*** Karl Bartsch (1832-1888), Karl Lachmann (1793-1851), Karl Simrock (1802 bis 1876), Germanisten

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und Atrnung, physiologisch begründet* Man kann den Hexameter studieren, wenn man die Zäsur dazunimmt, an Puls­schlag und Atmung. Es ist heute nicht möglich, dass wir die metrische Theorie entwickeln.

*

Fragen der Schülerbibliothek.

Hinweis auf Griliparzer und Hamerling. Aspasia von Hamerling möglichst spät; König von Sion (Hamerling), sobald Sie das Ge­schichtliche durchgenommen haben; Ahasver (Hamerling> kann man sie lesen lassen. Lessing mit fünfzehn Jahren. Neulich wäre Veranlassung gewesen, wenn man den «Zerbrochenen Krug» ge­geben hätte. Man braucht die Preussendramen nicht zu kultivieren. Shakespeare englisch lesen. Bei solchen Dingen soll es so sein, dass angestrebt wird, dass so etwas wie Shakespeare in der Sprache ge­lesen wird, in der es geschrieben wurde. Wenn die Menschen so alt geworden sind, dass sie normalerweise nicht mehr die Sprache ken­nenlernen, dann sollen sie in der Übersetzung lesen etwas, was so tonangebend ist wie Shakespeare für das Englische. Man sollte die Kinder nicht veranlassen, Racine und Corneille deutsch zu lesen. Nur dann, wenn keine Aussicht vorhanden ist, dass sie es französisch lesen.

Fercher von Steinwand. - 24 Bücher allgemeiner Geschichte von Johannes Müller; sie sollten sich an diesen Stil gewöhnen. Sie soll­ten sich an diese Diktion gewöhnen. Es wären die andern Dinge für Kinder zuzurichten.

Das Märchen «Vom Guten und Bösen» aus dem Mysteriendrama [ «Die Prüfung der Seele»] ist gut für Kinder durchzunehmen. Man kann aber nicht die ganzen Bücher geben.

*

* Siehe: Dornach, 6. Oktober 1920, , Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 281.

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Darf ich eine Direktive erbitten für den Ästhetik-Unterricht?

Ich würde versuchen - es sind Kinder, die etwa zwischen dem vierzehnten und sechzehnten Jahre stehen -, an wirklichen Bei­spielen beizubringen den Begriff des Schönen, der Kunst als solcher. Metamorphosen des Schönen durch die Stilperioden hindurch: das Griechisch-Schöne, das Renaissance-Schöne. Es ist von besonderer Bedeutung für dieses kindliche Alter, dasjenige, was sonst in einer abstrakten Form herangebracht wird, auszugestalten mit einer gewissen Konkretheit. Solche Ästhetiken, wie die von Vischer und Carriere * sind Stroh. Auf der anderen Seite veredelt es ungemein, wenn in diesem Alter das Kind in die Möglichkeit versetzt wird, zu verstehen: Was ist das Schöne, was ist das Erhabene? Was ist das Komische, wie realisiert sich das Komische in der Musik, in der Dichtung**? Das Gemüt des Kindes ist in dieser Zeit noch nicht so, dass es mehr allgemeine Begriffe aufnimmt. Deshalb müsste man in diesem Alter solche Dinge einführen: Was heisst Deklamieren, was heisst Rezitieren?

Ich habe die Entdeckung gemacht, als ich über Deklamieren und Rezitieren vorgetragen habe, dass die Mehrzahl der Menschen nicht gewusst hat, dass es einen solchen Unterschied gibt; die Mehrzahl hat es nicht gewusst. Wenn Sie die Art nehmen, wie man griechische Verse vortragen muss, das ist das Urbild des Rezitierens, weil es auf das Mass ankommt, auf Länge und Kürze, und auf entsprechendes Ausarbeiten. Im Deutschen kommt es an auf Hochton und Tiefton, wo man das ausarbeiten muss, was man zugrunde legen muss beim Nibelungenlied; das ist das Deklamieren. Sie haben das Beispiel gehört: den Unterschied zwischen der deutschen und römischen Iphigenie bei Goethe. Die deutsche Iphigenie muss deklamiert wer­den, die römische rezitiert.

Auch hier nimmt Dr. Steiner Bezug auf die Vorträge während des Hoch­schulkurses im Goetheanum, Dornach, am 29. September, 6. und 13. Oktober 1920. Siehe: Zeittafel und Literatur-Hinweis.

*

* Friedrich ,Ihendor Vischer (1807-1887), Die Ästhetik oder Wissenschaft des Schö­nen, Stuttgart 1847-1858, Carriere, Moritz (1817-1895), Ästhetik, Leipzig 1859

** Siehe Fussnote Seite 164

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Nicht wahr, für die jetzige 11. Klasse kommt in Betracht ein literarisch-geschichtlicher Unterricht zunächst Nun wollen wir so aufbauen, dass wir anschliessen in der Besprechung dasjenige, was neu auftreten soll, an das, was in der 10. Klasse bewältigt worden ist. Was haben wir bewältigt? - Nibelungenlied, Gudrun, Metrik, Poetik. - Nun ist dasjenige, was über Metrik und Poetik abgehandelt werden soll für diese Klasse, das was ich das Ästhetische beim Kunst-unterricht genannt habe, zu erweisen. Zuerst ist jetzt für die Litera­tur das Literarische in den Vordergrund zu stellen, und zwar so, dass Sie versuchen vom Nibelungenlied und Gudrun den Übergang zu schaffen zu den grossen Dichtungen des Mittelalters: Parzival, Armer Heinrich, und so weiter. Vor allen Dingen versuchen Sie darüber bei den Kindern - durch l::ursorische Behandlung zunächst - eine geschlossene Vorstellungswelt hervorzurufen, so dass die Kinder die Parzivalsage kennenlernen, so dass sie dasjenige, was Sie im Original pflegen, als Probe aus der Gesamtheit empfinden.

*

Ich hatte in der 10. Klasse beim Nibelungenlied den Eindruck:

ich komme wieder an eine Klippe, weil ich vom Sprachlichen nichts verstehe, bemerkte ein Lehrer.

Sehen Sie, da ist es schwer, in allgemeinen Prinzipien zu reden. Es kommt auf Einzelheiten an. Ich meine eigentlich, dass das Sprach­liche, richtig behandelt, immer die Schüler interessiert Gerade etwas, was aus dem Organismus der Sprache herausgeholt ist, müsste die Schüler immer interessieren. Da meine ich, dass das Zusammenwirken der Lehrer viel Gutes stiften könnte. Zum Bei­spiel: Herr B. hat in seiner Klasse ganz interessante Dinge vor­gebracht, die die Schüler interessiert haben, obwohl sie eigent­lich so waren, dass eine ganze Anzahl philologisch Durchgeprüfter sie nicht beachtet Diese Sachen sind, trotzdem sie Regeln sind, interessant Alles Sprachliche ist interessant Was ich zu sagen hatte, habe ich in meinem Sprachkurs * gesagt. Da habe ich an einzelnes

* Rudolf Steiner, Geisteswissenschaftliche Sprachbetrachtungen, sechs Vorträge in Stuttgart

1919/ 1920, Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 299.

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angeknüpft Im allgemeinen etwas zu sagen, ist nicht möglich. Da könnte doch viel geleistet werden, wenn wirklich dasjenige, was die emzelnen wissen und die andern nicht wissen, immer den andern gesagt würde. Es könnte doch eine Zusammenarbeit nach dieser Richtung geschehen. Es ist schade, dass so viel Wissen hier ist, und die andern es nicht auch lernen. Es könnte wirklich im Lehrer-kollegium ein grosses Zusammenwirken sein.

Ich kann kein Mittelhochdeutsch, bemerkte ein Lehrer.

Ich weiss nicht, ob darauf viel ankommt Ich habe einen Professor gekannt, der über griechische Philosophie vorgetragen hat und der den Aristoteles nie ohne Übersetzung lesen konnte. Es handelt sich darum, dass man in den Organismus der Sprache hineinkommt Wer kann denn überhaupt so besonders gut Mittelhochdeutsch? Die andern Lehrer können Ihnen doch viel sagen.

Ich konnte es nicht gut aussprechen. Herr Doktor hat es dann vorgelesen.

Es lesen nicht alle gleich. Es ist nach Dialekten gefärbt Wir spre­chen alle verschieden Hochdeutsch. Es kommt bei einzelnen Dingen darauf an, dass man nicht so redet, wie der Österreicher das Hoch-deutsch redet.

Sie meinen doch, dass man nur einzelne Proben gibt aus dem Urtext

Der Wolframsche Parzival ist für Schüler urlangweilig. Nun ist einer unter ihnen, der übersetzt ihn. Es kann vorkommen, dass Sie nach Paris schreiben, um sich ein Buch zu verschaffen, was Sie schneller kriegen würden, wenn Sie Herrn B. fragen würden, ob er es leihen kann.

Man kann an das Etymologische anknüpfen, bemerkte ein Lehrer.

Ich möchte überhaupt, dass in bezug auf die Sprachen das Formal-Ästhetische und Formal-Moralische, das Formal-Spirituelle, aber das Inhaltlich-Formale, gegenüber dem Formal-Grammatischen hervor­tritt. Das kann für alle Sprachen gelten. Das kann hervortreten. Solch ein Wort wie «saelde», das ist wirklich sehr interessant zu behandeln. Auch «zwifel». Es lässt sich viel darüber sagen. Auch über «saelde», das mit der ganzen Seele verwandt ist

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Könnte Herr Doktor von der geisteswissenschaftlichen Seite etwas sagen?

Da brauchen Sie nur in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höhe­ren Welten?» nachlesen. Über literarische Probleme gibt es in der letzten Zeit viele Sachen, viele Dornacher Vorträge, die Albert Steffen sehr interessiert haben.

*

Sehen Sie, man muss sich sagen, im Grunde genommen war eigentlich bis zum 16. Jahrhundert jener scharfe Unterschied von intellektuellem Erfassen und künstlerischem Erfassen der Welt auf keinem Gebiet vorhanden. Denken Sie sich doch, dass - was man heute nicht beachtet - selbst die Scholastik die ganze Disposition ihrer Bücher mit einer gewissen architektonischen Kunst besorgt hat in bewusster Weise, abgesehen von den Initialen; aber bis zum zehn­ten Jahrhundert war eine strenge Trennung zwischen Kunst und Wissen überhaupt nicht vorhanden. Jetzt sind schon die Kinder in den frühesten Schulklassen damit vergiftet; es wird ihnen ein bloss Intellektualistisches vermittelt.

*

Zu einer Lehrerin, die in ihrer Klasse grosse Schwierigkeiten hatte.

Vieles liegt daran, dass Sie nicht sprechen können. Sie werden in der Weise nie reüssieren. Sie müssen sich bequemen, einen wirk­lichen Sprechunterricht zu nehmen. Dass Sie nicht fertig geworden sind, rührt davon her, dass Sie durch Ihre Gewohnheit sich so gaben, wie Sie gewohnt waren, sich zu geben. Sie können nicht sprechen. Wenn man so vor der Klasse ist, so wird man nicht fertig werden ...

Das gilt für viele. Das sieht Herr X. nicht ein, weil er von sich aus eine Sprache entwickelt, die so ist, dass sie unmittelbar bis in die letzten Fasern wirkt. Sie müssen nicht unterschätzen, wieviel das ausmacht, ob man sich darüber macht, seine Sprachprozesse zu gestalten oder nicht. Wenn man es instinktiv tut, wie Sie - es kommt

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Ihnen zugute, dass Sie stimmässig eine wirksame Sprache haben -, dann darf man sich nicht wundern, dass man die Sache hier trifft. Fräulein X. wird solange Schwierigkeiten haben, solange sie sich nicht bequemt, einen ordentlichen Sprechunterricht zu nehmen.

Zu Herrn X.: Ihre Sprache trägt, und von der Sprache hängt das ganze Gebaren ab. Zu Fräulein X. Sie werden sehen, wenn Sie sich bequemen, Sprechunterricht zu nehmen, so werden Sie andere Ge­bärden machen. Sie machen den Eindruck der philiströsen Tante. Der Herr X. macht den Eindruck des schneidigen Herrn. Warum soll man die Dinge nicht sagen? Es ist dasjenige, worauf es an­kommt In der Pädagogik kommt es ungeheuer auf diese Sache an. Sie müssen sich daran gewöhnen, in dieser Beziehung mit dem Ablegen-Können des Philiströsen Fortschritte machen zu wollen.

Wenn Sie ordentlich Sprechunterricht nehmen, werden Sie nicht so oft erkältet sein. Ich wundere mich nicht Unterschätzen Sie nicht, was für einen hygienischen Einfluss ein ordentliches Sprechen­können hat. Ein ordentliches Sprechenkönnen hat eine grosse Bedeu­tung. Solange die Sprachorgane so sind, dass man sie nicht gebrau­chen kann, dass alles eins ans andere sich anlehnt, solange die Sprach­organe keine Kultur haben, solange ist man erkältet Ich finde es entsetzlich, dass so viele Erkältungen da sind. Würden einmal die Menschen ordentlich gezwiebelt werden mit einem Sprechenlernen, dann würden die Erkältungen verschwinden.

Frau Dr. Steiner: Sprechenlernen hilft einem hinweg über Erkäl­tungen, aber nicht immer.

Aber dies ist tatsächlich der Fall, fährt Dr. Steiner fort Es ist eine dringende Notwendigkeit, dass nach dieser Richtung hier überhaupt etwas getan wird.

Es wird die Frage besprochen, ob Fräulein X. an der Waldorf-schule bleiben kann und will.

Einige Lehrer machen Einwendungen.

Fräulein X.: Mir wäre am wertvollsten, zu hören, was Sie, Herr Doktor, dazu sagen.

Ich habe ja gesagt, was ich denke. Wenn die Dinge sich so fort­pflanzen, dann werden masslose Schwierigkeiten entstehen. Ich bitte aber auch zu berücksichtigen, was heute dem A passiert, hat auch

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dem B passieren können. Ich glaube, dass es nicht ohne trübe Perspektive ist.

*

Es wird gefragt wegen eines taubstummen Kindes in der Hilfs-klasse.

Das Kind ist nicht taubstumm. Das Mädchen hört und kann auch zum Sprechen gebracht werden. Es ist das Zentralorgan träge. Man kommt ihm nicht bei und muss einfach alles versuchen. Ihr lang­sam vorsprechen, muss sie alles nachher nachsprechen lassen, und so vorgehen, dass man es zuerst langsam macht und dann die Sache beschleunigt, dass sie allmählich schneller fassen muss. Und auch die Übung machen, dass man laut vorspricht und sie dann leise und umgekehrt Man macht es erst langsam, sie dann schnell, und varliert Wenn möglich, Reihen von Wörtern, die einen Zusammen-hang haben, rückwärts und dann vorwärts, um auf das Denksprach­zentrum zu wirken. Dann würde ich sie die Heileurythmieübungen machen lassen, die auf den Kopf angewandt werden, und zwar täg­lich, wenn auch nur kurze Zeit. Ausserdem würde sie bekommen Edeiweiss in der 6. Dezimale, weil das für die Verbindung von Gehörsnerv und Gehörszentrum wirksam ist; es wirkt stark, wirkt selbst da noch, wo die Gehörsorgane skleros sind. Sie werden finden, dass die ganze Gesetzmässigkeit bei den Edelweissblüten, die also zwischen diesem eigentämlichen nicht Mineralisieren, aber Mineral­Verstofflichen liegt, dass das eine ausserordentliche Ähnlichkeit hat mit den Prozessen, welche das Gehörsorgan konstituieren. Wir haben seit einigen Jahren dieses Mittel angewendet Gut vorwässern!

*

Es wird gefragt wegen eines Schülers, der sehr leise sprach.

Es wäre gut, wenn man ihn memorieren lässt Aber möglichst dichterisch geformte Sprache oder sonst irgendwie geformte Sprache.

*

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Was die Hauptsorge jetzt macht, ist, wenn die Kinder mit einer solchen Interpunktion zum Examen kommen; da kann es schlimm werden. In der Klasse 9 b machen sie keine Interpunktion. Das Interpunktieren hängt davon ab, dass manin einer anregenden Weise die Gestaltung des Satzes bespricht. Und das kann sehr gut geschehen im Verlaufe des Literaturunterrichts.

Nicht wahr, es ist zum Beispiel eine Möglichkeit, dass man, wenn man von älterer deutscher Sprachform ausgeht, in fesselnder Weise zeigt, wie allmählich durch das rein Lateinisch-Werden der Schrift, des Schrifttums, der Relativsatz erst heraufkommt. Er muss zunächst die Grundlage abgeben für das Studieren des Beistrichs. Man kommt zu einer anderen Beistrich-Interpunktion, wenn man zunächst den Kindern beibringt, dass sie jeden Relativsatz einschliessen müssen durch Beistriche. Der Relativsatz lässt sich interessant besprechen, weil er im älteren deutschen Sprachschatz nicht enthalten ist. Er ist auch im Dialekt nicht enthalten, und da kann man zurückgehen auf das Nibelungenlied usw., und kann dies erörtern, wie die Rela­tivsätze hereinkommen, und damit die ersten Notwendigkeiten, diese Sprachlogik in die Sprache hineinzubringen. Denn hat man das, dass man den Relativsatz in die Beistriche hineingesetzt hat, dann kommt man dazu, überhaupt den Begriff des Satzes den Kindern genauer zu erklären. Dann müssen sie lernen, dass jeder Satz durch irgend­welche Interpunktion abgetrennt ist Die andern Dinge sind nicht so furchtbar wichtig. Dann geht man zu den an der Sprache entwickelten Elementen des Denkens und bekommt schon den Strichpunkt, der einen grossen Einschnitt bedeutet Punkte setzen sie ja.

Nun ist es in der 9. Klasse reichlich Zeit, dass sie doch eben anfangen. Man muss es an der positiven Sprachgestaltung heraus-arbeiten können, indem man etwas auf den Sinn eingeht Das muss besonders anregend gemacht werden, dies darf nicht langweilig gemacht werden. Grammatik allein langweilt sie am meisten.

Im Sprechen, beim Diktieren, muss man bemerklich machen, wie die Sätze aufhören und anfangen. Man muss das bemerklich machen, nicht indem man die Zeichen mitdiktiert, sondern die Kinder haben sehr viel davon, wenn man sie gewöhnt, dass sie an der Behandlung

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des Satzes die Interpunktion lernen. Die Interpunktion diktieren, das ist eine missliche Sache. Ich würde nicht diktieren die Interpunk­tion, sondern sie hören lassen. Es wäre viel schöner, wenn man etwas anderes machen könnte. Es wäre viel schöner, wenn man so abteilen könnte - bei der alten deutschen Sprache lässt es sich so machen, nicht mehr bei der der lateinischen nachgebildeten neuen -, dass man Satz für Satz abteilt, auf eine Zeile einen Satz.

Den künstlerischen Bau des Satzes kann man schon, ohne pedan­tisch zu werden, anregend mit den Kindern besprechen. Ein Gefühl dafür hervorrufen, was ein Satz ist, dass man dem Kinde es zum Bewusstsein bringt, was ein Satz ist; dass also Sätze-Gestalten etwas Positives ist. Das sollte auch gepflegt werden. Man sollte solche Sachen machen, dass man am Stile Herman Grimms bildartig geformt zeigt: der schreibt doch wirkliche Sätze! In dem, was man gewöhnlich liest, liest man nicht Sätze, sondern Bandwürmer -, Sätze werden ganz vermisst. Gefühl hervorrufen für den gestalteten Satz. Herman Grimm schreibt Sätze. Es müsste ein Unterschied sein zwischen diesem Stil Herman Grimms und dem, was man sonst liest, zum Beispiel in den gewöhnlichen Geschichtsbüchern. Das kann so gemacht werden, dass man ein gewisses Gefühl für den geschlossenen &atz in der 9. Klasse hervorgerufen hat.

Etwas, was sehr helfen kann, haben wir auch im Lehrplan, eine Art Poetik. Das fehlt ganz, das wird gar nicht berücksichtigt. Ich merke, dass die Kinder nicht ein Gefühl dafür bekommen, was eine Metapher ist. Die Kinder müssen wissen, was eine Metapher ist, Metonymie und Synekdoche. Das ist etwas Wunderbares, was sich da ergeben kann. Das steht im Lehrplan und ist nie gemacht worden. Diese Tropenlehre hilft dazu, die Kinder dazu zu kriegen, den Satz zu gestalten. Wenn sie ins Bild kommen, dann kriegt man die Satz-gestaltung heraus. An Beispielen erörtert man es. Zum Beispiel sagen, was das bedeutet: 0 Wasserrose, du blühender Schwan;

o Schwan, du schwimmende Rose. Dadurch bekommen sie ein scharfes Gefühl, durch den metaphorischen Ausdruck, wo der Satz schliesst auf künstlerische Art.

Es ist gar nicht so unkünstlerisch, einmal zu versuchen bei guten Stilisten, statt der Beistriche und Strichpunkte, die Sätze einzurahmen.

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Man kann ganz gut Herman Grimmsche Sätze einrahmen mit rotem Bleistift, und dann, wenn einer weniger notwendig ist für den Inhalt, könnte man ihn zweimal einrahmen, rot und blau. Dann bekommt man ein hübsches koloriertes Bild vom gestalteten Satz. Und dann vergleichen Sie solche Sätze mit dem, was man gewöhn­lich schreibt. Mit dem Stil von Zeitungen zum Beispiel, wie der deutsche Philister schreibt.

*

Es wird gefragt, was man tun könnte gegen die schlechte Aus­sprache der Kinder in den Klassen.

Diese Sprech-Übungen, die dazumal im Kursus * vorgekommen sind, werden die nicht gemacht? Die müssten doch schon früher gemacht werden in den unteren Klassen. Sie sind doch durchaus gegeben, um gemacht zu werden. Man merkt bei den Kindern, sie können nicht ordentlich sprechen. Dann macht man die Übungen, die für die Lehrer auch da sind, aber man muss ein Gefühl dafür haben, für dieses Nicht-ordentlich-Sprechen. Wir haben doch oft­mals auch über das Hygienische des ordentlichen Sprechens ver­handelt. Man sollte ziemlich früh die Kinder gewöhnen, deutlich zu sprechen. Das hat die verschiedensten Konsequenzen. Im griechi­schen Unterricht wird sich nicht Gelegenheit dazu geben, deutsche Sprech-Übungen zu machen. Aber im deutschen Unterricht kann sich das sehr wohl ergeben. Rede-Übungen kann man unter den ver­schiedensten Gesichtspunkten auf allen Stufen machen.

In der Schweiz müssen die Schauspieler Rede-Übungen machen, weil sie verschiedene Buchstaben ganz anders sprechen müssen, wenn sie in der Schweiz verstanden werden sollen, g zum BeispieL Über die Aussprache des g gibt es einen besonderen Katechismus in jedem Theater.

Was den Kursus von Frau Dr. Steiner anbetrifft, da müssen Sie nicht nachlassen, immer wiederum und wiederum ihn zu erbitten.

* Siehe Seite 28

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Sie müssen ihr einen bestimmten Zeitpunkt abluchsen. Wenn Sie nachdrücklich genug bitten, wird es schon werden.*

*

Lehrplan für die neueren Sprachen: Zu Beginn der Konferenz wird vom Pädagogischen Kurs 2. Teil der 9. Vortrag vorgelesen, und es werden die bisher schon gegebenen Lehrplananweisungen zusammengestellt.

Die Sprachlehrer haben sich interessiert für das, was bisher schon gegeben worden ist Man darf nicht vergessen, dass wir im Sprach-unterricht gewisse Schwierigkeiten hatten. Wir haben zwar im all­gemeinen erlebt, dass zu uns Schüler der verschiedensten Alters-stufen kamen, wir mussten immer wiederum neue Schüler in die höheren Klassen auch aufnehmen, konnten aber im allgemeinen annehmen, dass, wenn ein neunjähriges Kind kommt, es schon vor­her bis zu einer bestimmten Stufe etwas gelernt hatte. Das war für den Sprachunterricht nicht der Fall. Wir bekamen einfach in die 5. Klasse Kinder herein, die noch nie ein französisches oder englisches Wort gelernt hatten, so dass im Grunde genommen in der Art und Weise, wie wir mit Schülermaterial versorgt wurden, wir einen stren­gen Lehrplan nicht aufstellen konnten. Es ist die Frage, ob wir ihn weiter aufstellen können für das einzelne Jahr oder ob wir uns werden begnügen müssen, im allgemeinen etwa Gesichtspunkte an­zugeben, die dann eingehalten werden könnten, wenn wir in die i. Klasse ein bestimmtes Schülermaterial hereinbekämen und durch alle Klassen führen könnten.

Nun hat unser Sprachunterricht ja überhaupt etwas Freieres. Wir betrachten das, was morgens in den ersten zwei Stunden vor sich geht, als Grundstock der Erziehung. Der Sprachunterricht muss auch in Zukunft etwas freier gehandhabt werden.

Im allgemeinen muss man sagen, dass das Kind in der i. Klasse schon Sprachunterricht bekommt und dass wir bis zur 3. Klasse den

* Es handelt sich um die seit 1922 neu entstandenen Sprech-Übungen, die auch das Lehrerkollegium erhalten sollte

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Sprachunterricht so treiben, dass das Kind am Sprechen sprechen lernt Und dass man vermeiden sollte für irgendein Wort oder eine Wendung, die das Kind sich anzueignen hat, zu sehen auf die ent­sprechende deutsche Übersetzung des Wortes, sondern dass man dar­auf sehen soll, dass das Kind unmittelbar an das Ding anknüpft das Wort oder die Wendung. Man soll also, nicht wahr, nicht das fremd­sprachliche Wort auf das deutschsprachliche zurückführen, sondern auf die Sache, und in der fremden Sprache bleiben. Das sollte man insbesondere bis zum vollendeten 3. Schuljahr durchführen. In dieser Zeit dürfte gar nicht bemerkbar werden, dass es Grammatik gibt

Bei dem Behandeln grösserer Stücke muss man so vorgehen, dass man gar keinen Anstoss daran nimmt, dass das Kind eine Strophe oder ein Gedicht, wenn es auch nur mangelhaft die Sache versteht, rein den Lauten nach sich aneignet Im Extrem kann es selbst der Fall sein, dass das Kind sich aneignet vier, sechs, acht Zeilen, die es nur behält wie Klänge. Das würde sogar unter Umständen sehr viel zur Beherrschung der Sprache beitragen können, dass das Kind das, was es nur dem Klange nach sich angeeignet hat, erst aus dem Gedächtnis heraus verstehen lernt In den ersten drei Jahren ist Poetisches ganz entschieden dem Prosaischen vorzuziehen. Die Sache selbst lässt schon klar werden, dass im Grunde genommen auf das einzelne Jahr gar nicht abzutrennen ist, dass die drei Jahre in voll-ständig gleicher Art behandelt werden können.

Dann kommt die 4. Klasse. Da würde es gut sein, wenn nicht länger vermieden würde, mit Grammatischem zu beginnen, nicht durch Lernen von Regeln, sondern durch Anschaulichmachen an dem schon im Kinde bestehenden Schatz von Texten. Man soll. damit anfangen, ganz induktiv grammatische Regeln zu bilden, dann aber, wenn sie gebildet sind, darauf bestehen, dass das Kind sie auch behält, dass es sie dann als Regeln hat Also man darf nicht in das Extrem verfallen, dass das Kind überhaupt keine Regeln lernen solle, sondern wenn sie induktiv abgeleitet sind, dann auch das Einprägen der Regeln. Das Behalten der Regeln gehört zur Ent­wicklung des Ich zwischen dem 9. und 12. Lebensjahr. Die Ich-Entwicklung kann gefördert werden dadurch, dass das Kind gram­matische Regeln bekommt

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Dann kann man übergehen zur Prosa, die bis zum Ende des

3. Schuljahres auf ein Minimum beschränkt werden sollte. Vom

4. Schuljahr an kann man aber dazu übergehen, einen Stoff, den man erst durchnimmt, wo das grammatische Lernen und das Durchneh­men des Stoffes parallel geht, einen solchen Stoff zu wählen, und dazu sollte man nur Prosa nehmen. Da würden wir ja nur die Poesie verpedantisieren dadurch, dass man grammatische Regeln davon abstrahiert. Aber einen Prosastoff kann man durchaus so behandeln. Man kann auch allmählich übergehen zu einer Art Übersetzung. Nun ist es ja natürlich so, dass schon versucht worden ist bisher, solche Dinge ein wenig einzuhalten. Aber es ist doch immer wiederum in einer Klasse vorgekommen, dass man lexikographisch vorgegangen ist, dass man nicht den Zusammenhang gesucht hat zwischen dem Ding und dem fremden Wort, sondern zwischen dem deutschen Wort und dem fremden Wort. Das ist bequemer für den Lehrer, aber es führt zu dem, wie jetzt überhaupt Sprachen in ihrem gegenseitigen Verhältnis behandelt werden, so dass das Gefühl für die Sprache doch nicht entwickelt wird. Nun würde dies im 4. Schul­jahr beginnen müssen. Im 4. Schuljahr würden wir uns beschränken müssen, im wesentlichen die Wortformenlehre zu behandeln.

Im 5. Schuljahr würden wir übergehen zu Syntaktischem. Im 6. Schuljahr würde man mit dem Syntaktischen fortfahren, die kom­pliziertere Syntax. Parallellaufend würde man natürlich immer Lek­türe pflegen. Übersetzungen von der deutschen Sprache in die fremde aber sollten eigentlich nicht gepflegt werden. Dann sollten kurze, nicht lange Aufsätze gemacht werden und dergleichen. Solche Übersetzungen sollte man nur in der Form behandeln, dass man irgend etwas sagt und verlangt, das Kind solle dasselbe in der frem­den Sprache ausdrücken. Man lässt das Kind das Deutsch-Gesagte in der fremden Sprache sagen. So könnte eigentlich der Über­setzungsunterricht bis zum Ende des 6. Schuljahres behandelt wer­den. Jedenfalls sollte vermieden werden, längere Stücke aus dem Deutschen direkt in die fremde Sprache zu übersetzen.

Lektüre besprechen, nur Lektüre mit viel Humor. Mit freudigem inneren Dabeisein sollte man alles Mögliche besprechen, was zusam­menhängt mit Sitten, Lebensgewohnheiten und Seelenverfassung

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derjenigen Leute, die die fremde Sprache sprechen. Also die Landes­kuhde sollte man in humorvoller Weise heranziehen in der 5. und 6. Klasse. Auch Eigentümlichkeiten der Ausdrucksweise müssen von der 5. Klasse an berücksichtigt werden. Dann von der 5. Klasse an muss man den sprichwörtlichen oder redensartlichen Schatz der fremden Sprache mitbehandeln dadurch, dass man für irgend etwas im Leben, wofür man ein deutsches Sprichwort brauchen könnte, das entsprechende fremde, ja ganz anders gefasste Sprichwort lernt

In der 7. Klasse muss es so eingerichtet werden, dass berück­sichtigt wird, dass ein grosser Teil der Kinder nach der 8. Klasse die Schule verlässt In der 7. und 8. Klasse sollte man den Hauptwert legen auf Lektüre und auf Behandlung des Charakters der Sprache an Sätzen. Wiederum handelt es sich um eine Aneignung solcher Dinge, die im Treiben und Leben der Menschen vorkommen, die die Sprache sprechen. An Texten sollte man das üben und sollte darauf sehen, dass durch Nacherzählen der Ausdruck in der fremden Sprache geübt wird. Ubersetzen sollte man nur gelegentlich. Da­gegen sollte man nacherzählen lassen, was man liest; selbst Drama­tisches. Nicht Lyrisches und nicht Episches, aber Dramatisches kann in eigenen Worten nacherzählt werden. In der 8. Klasse sollten aber nur die Rudimente der Poetik und Metrik der fremden Sprache behandelt werden. Und in diesen zwei letzten Klassen sollte auch folgen ein ganz kurzer Abriss der Literaturgeschichte der betreffen­den Sprachen.

Dann käme man also zur 9. Klasse. Da würde notwendig sein eine Art aber wirklich mit Humor behandelte Wiederholung des Grammatischen, indem man fortwährend humorvolle Beispiele bietet. Man kann so an den Beispielen das ganze Grammatische durchgehen. Dann geht nebenher selbstverständlich gerade in dieser Klasse anregende Lektüre.

In der 10. Klasse folgt die Metrik der Sprache mit vorzugsweise poetischer Lektüre. In der 11. Klasse muss mit dramatischer Lektüre begonnen werden. Nebenher geht Prosalektüre und etwas Ästhetik der Sprache. Namentlich an der dramatischen Lektüre soll Poetik entwickelt werden und dieses wird fortgesetzt für die lyrische und epische Poesie in der 12. Klasse. Und da müssen namentlich Dinge

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gelesen werden, die sich beziehen auf die Gegenwart und ihre Ver­hältnisse auf dem Gebiet der fremden Sprache. Dazu Kenntnis der modernen fremden Literatur.

Dies mag der lose Lehrplan sein, den wir in Zukunft einhalten wollen.

Nicht eine Sache lesen, ohne dass man die Kinder mit dem Inhalt des Ganzen bekanntinacht In der 5., 4. Klasse kann man mit den Elementen des Grammatischen beginnen. Möglichst dazu übergehen, die Kinder Konversation pflegen zu lassen. In bezug auf das Gram­matische in der 7. und 8. Klasse wäre noch Folgendes zu sagen: Man sucht sich aus irgendeine längere Passage, die man lesen will. Man muss bis dahin in humorvoller Weise die Kinder mit dem Inhalt bekanntmachen, möglichst dramatisch, und dann den Abschnitt lesen.

*

Es wird gefragt, ob es in den fremden Sprachen ebenso Stufen des grammatischen Unterrichts gibt wie im Deutschen.

Nicht wahr, die Sache ist ja diese. Das, was ich da angegeben habe, ist angegeben nach den Anforderungen des betreffenden Alters. Es gehört einfach in dieses Lebensalter hinein, dass man diese besondere Nuance der Seelenverfassung in diesem Lebensalter an das Kind heranträgt. An der Muttersprache lernt das Kind am aller-leichtesten diese Nuancen in sich rege machen. Dagegen wird man höchstens gut tun, in demselben Lebensalter, nachdem es in der Muttersprache die Dinge gelernt hat, in den anderen Sprachen daran anzuknüpfen. Etwa zu zeigen, inwiefern in anderen Sprachen da, wenn solche Seelenstimmungen ausgedrückt werden, Abweichungen existieren. Durchaus auf Vergleich kann man sich einlassen.

Nicht wahr, man beginnt mit dem grammatischen Unterricht überhaupt nicht vor dem 9., 10. Jahr. Man entwickelt den Sprach­unterricht auf den früheren Stufen rein aus dem Sprechen und dem Fühlen des Sprechens heraus, so dass das Kind lernt, aus dem Gefühl heraus zu sprechen. Auf dieser Stufe, die ja natürlich nicht eine ganz eindeutige ist, zwischen dem 9. und 10. Lebensjahr - es ist nicht ein

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einzelner Punkt, sehr variabel -, auf dieser Stufe beginnt man mit der Grammatik. Und das Behandeln der Sprache in bezug auf Gram­matik steht in Beziehung zur Ich-Entwicklung. Die grammatik­mässige Beschäftigung mit der Sprache hat Beziehung zur Ich-Entwicklung. Nicht als ob man irgendwie fragen sollte, wie entwickelt man das Ich aus der Grammatik, sondern das tut die Grammatik schon selber. Es ist nicht notwendig, da besondere Lehr-proben zu geben. Man beginnt eben das Grammatische nicht früher, sondern versucht Grammatik aus der Substanz der Sprache heraus zu entwickeln.

Im 8. Schuljahr sind die Rudimente der Metrik und Poetik zu geben, dann im 11. Ästhetik der Sprache. Wie ist das zu verstehen, fragt ein Lehrer.

Metrik behandelt die Lehre vom Bau des Verses, die Lehre vom Bau der Strophe; die Poetik die Arten der Dichtungsformen, die Arten der Lyrik, Arten der Epik, Arten der Dramatik. Das ist Metrik und Poetik. Dann geht man über zur Tropen- und Figurenlehre. Das an Beispielen zeigen, so dass die Kinder viele Beispiele von

Metaphern und so weiter haben.

Die Ästhetik der Sprache besteht darinnen, dass man die Kinder aufmerksam macht - die Kinder haben ja dann einen ziemlich grossen Sprachschatz: Deutsch und Französisch; Englisch kann man benützen als Unterlage; man kann die verschiedenen Sprachen zur Vergleichung heranziehen -, die Ästhetik der Sprache beruht dar­auf, dass man aufmerksam macht, ob die Sprache reich ist an den Vokalen u, 0, ob sie reich ist an den Vokalen i und e, und dass man versucht, an den Sachen ein Gefühl hervorzurufen, wieviel musika­lisch reicher eine Sprache ist, die viel o und u hat, als die, welche viel e und i hat Man versucht, ein Gefühl hervorzurufen davon, wie die ästhetische Schönheit der Sprache abnimmt, wenn die Möglichkeit der inneren Umwandlung der Wörter zu verschiedenen Fällen auf­hört Also der Bau der Sprache kommt in der Ästhetik zur Sprache. Ob sie plastisch oder lyrisch ist, ob sie die Möglichkeit hat, stark in komplizierten Interjektionen zu sprechen und so weiter. Das ist schon verschieden von Metrik und Poetik. Die Ästhetik geht auf die eigentliche Schönheit der Sprache.

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Es wird über die von Dr. Steiner in Ilkley erwähnte Rätselfrage gesprochen.*

Die erste Sprache, wo gegen das Meer gesprochen wird, ist das Englische. Die zweite, die rein musikalische, das Italienische. Die dritte, die intellektuelle, das Französische. Die vierte ist die plastische Sprache, das ist das Deutsche.

Was liegt der französischen Metrik zugrunde, wird gefragt

Der französischen Metrik liegt zugrunde, so wenig man das gewöhnlich glaubt, der Sinn für systematische Einteilungen, für Mathematik des Sprachlichen. Das ist unbewusst In der franzö­sischen Metrik ist alles verstandesmässig abgezählt, wie überhaupt im französischen Denken alles verstandesmässig abgezählt wird. Verschleiert ist es nur dadurch, dass es rhetorisch abgetönt ist. Der Verstand wird hier Rhetorik, nicht Intellekt, ist hörbarer Verstand.

*

Der Lektüreplan wird behandelt.

Über die 12. Klasse haben wir viel gesprochen. Ich habe Ihnen Proben gegeben. Ein wenig wird es davon abhängen, in was der Lehrer eingelesen ist, was er gern mag. Deshalb habe ich die Quali­täten angegeben. Für die 10. Klasse könnte ja eben ältere und neuere Lyrik vor allen Dingen in Betracht kommen.

Ein Lehrer sagt, dass er ausgegangen sei von der Lyrik der Milton­Zeit. Burns.

Sie müssen es so machen: in der 10. Klasse die Lyrik aus Shakes­peares Zeit zurücklegen, und sie in der 12. Klasse mit einer kurzen Charakteristik nachholen. Die Lyrik der Shakespearischen Zeit dürfen wir nicht ganz unberücksichtigt lassen, weil sie merkwürdig tief hereinweist in eine Zeit der europäischen Entwicklung, in der tatsächlich die germanischen Sprachen einander noch viel ähnlicher sind, als wenige Jahrhunderte später. Die englische Lyrik ist da noch so unglaublich deutsch; Shakespeare, wenn sie ihn lesen, ist ja gar nicht so undeutsch. Das können wir in der 12. Klasse nachtragen,

* Siehe: Vortrag, 12. August 1923, in Ilkley in , Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 307.

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damit diese Empfindung entsteht, die für die allgemeine Menschheit sehr wichtig ist*

Percy Shelley, Keats. Man muss natürlich auswählen, aber nach dem, was Sie selber gern behandeln; denn dann behandeln Sie es auch besser. Bestimmte Gesichtspunkte könnte man schon geben. Bei der englischen Lyrik hat man, wo sie gut wird, fast durchweg ein sentimentales Element. Nicht wahr, da wo sie gut wird, hat sie ein sentimentales Element, manchmal ein sehr schönes sentimentales Element, aber durchweg ein sentimentales Element Und dann, dass die englische Denkweise, wenn sie Dichtung wird, durchaus sich nicht für Humor eignet Da wird das Englische trivial. Es gibt kei­nen Hurnot im höheren Sinne. Es gibt ja sogar dafür kein Wort Wie soll man Humor im Englischen sagen? Die Behandlungsweise im Falstaff würden wir nicht als Humor bezeichnen. Wir würden zwar sagen, da ist viel Humor darinnen, aber wir würden doch nicht die ganze Art darzustellen als Humor bezeichnen. Uns fällt die Treff­sicherheit der Charakteristik auf. Das wurde zur Shakespearezeit nicht empfunden. Diese Geschlossenheit, diese Treffsicherheit der Charakteristik, das war den Leuten früher ganz einerlei. Den Leuten früher kam es darauf an, dass es gute Bühnengestalten waren, dass sie sich gut hinstellten auf die Bühne. Viel schauspielerischer war es früher gedacht

Man kann Falstaff heute nicht mehr einen «humour» nennen. Mit dem Wort «humour> bezeichnet man jemanden, der sich in Nebel auflöst, oder vielrnehr einen Menschen, der sich in das Un-bestimmte, also den Nebel seines Temperamentes auflöst. «Humour» ist die Art des Temperaments, das einer hat Die vier Temperamente sind die Humore. Heute können Sie doch nicht sagen, jemand habe einen melancholischen . Also eine Gestalt, die man nicht mehr recht fassen kann, die sich im Nebel des Temperamentes auf­löst, das ist ein «humour>. Aber das, was wir als Humor heute

* Es sei in diesem Zusasnsnenhang auf die in den Jahren 1899 bis 1905 zahlreichen Vorträge und Vortragsreihen Rudolf Steiners, zum Beispiel auf den Zyklus #SE280-164

bezeichnen, gibt es in der englischen Lyrik nicht Es gibt keine Sprache, die soweit sie lyrisch wird, so stark sentimental wird.*

Für die Dramatik müsste man zeigen, dass die Höhe der Dramatik mit Shakespeare abgeschlossen ist und sich nachher nicht zu etwas gleich Hohem erhebt Interessant ist es natürlich - das aber erst in der 12. Klasse -, aufmerksam darauf zu machen, wie die Entwick­lung geht, dass also innerhalb Mitteleuropas die Reformation, die eigentliche Reformation, einen religiösen Grundcharakter beibehält, wobei man dann im Deutschen auf die grosse Bedeutung der Kirchenlyrik hinweisen kann. Im Französischen nimmt die ganze Reformation nicht eigentlich religiösen Charakter an, sondern einen gesellschaftlich-sozialen; das wäre aber an der Poesie nachzu-weisen. In England einen politisch-moralischen Charakter, was an Shakespeare so stark hervortritt. Die Engländer haben lange Zeit keine idealistische Philosophie. Sie leben das aus in der Dichtung. Um dieses wieder zu erreichen, haben sie für die Lyrik einen sentimen­talen Zug nötig. Das hängt damit zusammen, dass lange Zeit die Engländer gar keine Philosophie haben, dass sie das ausleben in der Dichtung. Aber das gibt der Dichtung einen notwendig sentimen­talen Zug.

Das Sanskrit ist vorzugsweise reich an a; u und o macht musi­kalisch, e und i detoniert. Die deutsche Sprache ist detonierend. Das Sanskrit hat etwas Monotones durch Überwiegen des a, aber etwas, was mitten drinnen liegt zwischen Musikalischem und Plasti­schem. Es hat sehr stark die Eigentümlichkeit, im Musikalischen plastisch zu werden und im plastischen Gestalten nicht unmusikalisch zu werden. Das ist das a, das mitten drinnen steht Wenn das Sanskrit neben a andere Vokale hat, so sind diese so besonders charakteristisch. Es ist charakteristisch, wenn der Inder sein drei-faches Friede, Friede, Friede ertönen lässt Zuerst das a, dann das leise Hindeuten, wie schamvolle Hindeuten auf das Ich, das liegt darin, wenn er dieses Shanti, Shanti, Shanti ausspricht I ist der

* Siehe auch: «Über das Komische und seinen Zusammenhang mit Kunst und Leben> in

«Goethe als Vater einer neuen Ästhetik - Über das Komische und seinen Zusammenhang mst Kunst und Leben», Dornach 1963.

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stärkste egoistische Vokal. Es ist so, als ob man verschämt rot würde beim Ich.

Die finnische Sprache hat auch viele a, bemerkt ein Lehrer.

Ja, nicht wahr, da kommt das in Betracht, wie lange eine Sprache auf der betreffenden Stufe bleibt mit diesen Eigentümlichkeiten. Die finnische Sprache hat doch etwas Verhärtetes in dem a. Das hängt natürlich mit ihrem Konsonantismus zusammen. Das ist auch eine Verhärtung, aber eine Verhärtung, die anfängt sympathisch zu werden. Aber zugleich beruht das auf feinem, ästhetischem Gefühl gegenüber der Sprache. Dieses feine ästhetische Gefühl ist einfach heute für die Menschen nicht mehr naturgemäss. Würde der Eng­länder die Endsilben seiner Worte so aussprechen wie der Deutsche oder Franzose, so würde das für ihn Verhärtung sein. Er geht über zum Vernachlässigen der Endsilben, weil er überhaupt aus dem Sprachlichen herausgeht Was für den einen Verhärtung ist, kann für den andern etwas sein, was ihm durchaus natürlich ist.

Es wird gefragt wegen Tropen und Figuren.

Tropen und Figuren haben das Imaginative. Sie haben zunächst das absolut Unpoetische, was auszeichnet den grössten Teil, neun­undneunzig Prozent der Poesie. Dann bleibt ein Prozent. Von diesem einen Prozent sind die Dichter, wenn sie über den physischen Plan hinwegführen wollen, genötigt, über die Adäquatheit der gewöhn­lichen Prosasprache das über den Dingen Schwebende der Bilder-und Figurensprache auszustreuen. Wie soll man ausdrücken: 0 Was­serrose, du blühender Schwan, o Schwan, du schwimmende Rose. Was ausgedrückt wird, schwebt zwischen beiden. Was das ausdrückt, kann man nicht in Prosa ausdrücken. So ist es auch mit der Figur. Aber es gibt doch auch die Möglichkeit, adäquat das Übersinnliche auszudrücken ohne Bild oder Figur, wie es Goethe manchmal gelun­gen ist. Dann braucht er kein Bild. Sie stehen unmittelbar in der Sache drinnen. Das ist bei Goethe so, manchmal auch bei Martin Greif, wo wirklich. das realisiert ist, was man objektive Lyrik nennen könnte. Auch Shakespeare ist es manchmal in der in seine Dramatik eingestreuten Lyrik durchaus gelungen.

*

#SE280-166

Im Zusammenhang mit den Sprech-Übungen sei auch auf die Sprechübungssätze für Kinder zwischen sieben und vierzehn Jahren, die Rudolf Steiner für die Klasse von Caroline von Heydebrand gegeben hat, hingewiesen:

Was du tust, tue durch deinen tatkräftigen Willen.

Gönne jedem Können sein ganzes Können.

Günstig schaue auf künstlerisches Schaffen.

Bedeutung suche in jedem Din&

Dringe nicht in das Wasser, wenn du trinkest.

Gute Menschen weisen den Waisen wägend den Weg.

Was du erfährst auf Lebenswegen, weitet dir Sinne und Denken.

Freue dich der freien Natur.

Schäume scheinen mehr, als sie sind.

Schätze ehene Wege, und wäge deine Schritte, dass du

wacker wagen kannst, was du vorsätzlich als Ziel dir setzest.

Die Säule sei dir Wägezeichen des Weges.

Seile winden sich um Säulen.

BEITRÄGE FÜR EINE ERZIEHUNGSSCHULE DER VORTRAGSKUNST EINLEITENDE WORTE VON MARIE STEINER

#G280-1975-SE168 Methodik und Wesen der Sprachgestaltung

#TI

BEITRÄGE FÜR EINE ERZIEHUNGSSCHULE

DER VORTRAGSKUNST

EINLEITENDE WORTE VON MARIE STEINER

#TX

Der Deutsche hat die Eigenheit, solche Dinge wie stilisiertes Sprechen als nebensächliches Aussending anzusehen. Er tut sehr unrecht damit. Es gilt hier mehr als auf irgendeinem anderen Gebiet der Satz: Kleider machen Leute. Wir werden uns zwar niemals zu der Anschauung, die französische Redner haben, bekehren, dass es gleichgültig sei, was wir reden, wenn wir nur herausgefunden haben, wie wir reden sollen. Aber wir sollten auf dieses Wie doch mehr Gewicht legen, als wir es zu tun gewohnt sind.

Einem Redner, der zu sprechen versteht, laufen die Worte nach. Er reisst die Hörer hin. Das ist ein Erfahrungssatz. Warum sollen wir nicht nach diesem Satze handeln? Wir dienen dem Inhalt mehr, wenn wir ihrn durch Rhetorik zu Hilfe kommen, als wenn wir mit Ausschluss aller Rhetorik unser Sprüchlein nur so hinsagen.

Gerade weil wir dem Inhalt seine Geltung verschaffen wol­len, sollen wir ihm eine sympathische Form geben. Sympathisch werden wir aber nur reden, wenn wir eine Erziehungsschule der Vortragskunst durchgemacht haben. RUDOLF STEINER

#SE280-168

RUDOLF STEINER ALS REDNER

Am intensivsten hat Rudolf Steiner als Redner gewirkt. Die Kunst des Vortrages schien ihm als natürliche Gabe geschenkt zu sein. Und doch betonte er, dass jeder Satz und jede Wendung erarbeitet sei; obgleich er über fünftausend Vorträge gehalten hat, gestand er doch einmal, dass jeder Vortrag ihm ein Opfer sei, das er sich abringen müsse. Denn um eine Wissenschaft des Geistes in der Sprache des heutigen Bewusstseins aufzubauen, sie so zu fun­dieren, dass sie dem Ansturm leidenschaftlicher Gegner standhalten könne, dafür bedurfte es für ihren Begründer durchaus neuer Denk-methoden. Und neue Ausdrucksformen mussten gesucht und dem strengsten inneren Kriterium unterworfen werden, nichts sollte aus­gesprochen werden, was nicht nach allen Richtungen auf seine Stichhaltigkeit hin durchgeprüft war. Sachlichkeit war das erste Gesetz. Es sollte der Zuhörer nie in seinem Gefühlsleben über­wältigt werden, nie durch Willenseinwirkung oder glänzende Rhe­torik beeinflusst werden. Nüchterne Gediegenheit war die Grund-lage, auf der ein helles, festes Gedankengebäude errichtet wurde, dem als Krönung gleichsam gegeben wurde die Resultante mathe­matisch feiner Erwägungen, vergleichbar etwa der Kuppel des Him­melsdomes. Das Gefühlsmoment ergab sich aus der umfassenden Weite des Überblicks. Aber nie hat sich Dr. Steiner gestattet, einen öffentlichen Vortrag über Geisteswissenschaft zu halten, in dem nicht für allfällige neue Zuhörer in gedrängter Form die Grundlage für das Verstehen wieder skizziert wurde. Dieses Kondensieren des gewaltigen Stoffes zu imrner dichteren und lebensvolleren Gedanken ergab eine Kunst der Vortragsgestaltung, die ihre Kraft aus dem Geiste schöpfte und - fast ausserhalb der Zeit - in kurzen, aber um so intensiveren Momenten der Konzentration erarbeitet wurde. Frei­lich war diesem als Voraussetzung und Vorbereitung vorangegangen eine ganz der denkerischen Tätigkeit, dem Studium und dem Unter­richten gewidmete Jugendzeit, und ein immer genaueres Eindringen in das Wesen der Vortragskunst und der Formen, die sie in den ver­schiedenen Epochen der Geschichte angenommen hatte. Da er auch Kurse für Redeübungen abhielt, war dies notwendig geworden.

#SE280-169

Aus dem Orient und seinem kultischen Sprechen war nach Grie­chenland hinübergekommen das schöne Sprechen, die Eloquenz, die dann in Rom zur Rhetorik wurde; denn im lateinischen Element gewann das Begriffliche die Oberhand über das Imaginative, und es wurde allmählich dort zur Hauptforderung, richtig zu sprechen. Eloquenz und Rhetorik erhielten sich noch bis in die französische Sprache hinein, konnten sich glänzend in ihr darleben, bis es durch die fortschreitende Materialisierung der Kultur dahin kam, dass der westliche Pragmatismus, die dort kultivierte Utilitätsanschauung, in Mitteleuropa zur «Als-ob-Philosophie» wurde, und nun auch fortan im Sprachlichen das Nützlichkeitsmoment dem Worte die Farb­tönung gab. Soll aber das Wort wieder voll lebendig und produktiv werden, muss man über Rhetorik und Logik hinaus zur Ethik des Sprechens kommen. Dann wird man wieder Neuschöpfungen her­vorbringen können, nicht nur eine Renaissance. Für das Spirituelle muss man die Sprache freibekommen vom Urteilsmässigen, abstrakt Begrifflichen. Das kann erreicht werden, indem man auf die Zusam­menhänge achtet, in denen das Mitgeteilte steht, statt bloss zu definie­ren. Man muss zu den konkret-lebensvollen Wirklichkeitszusam­menhängen kommen. Dann gelangt man zum Gut-Sprechen. Und vermag man der Form den Schein des Unendlichen zu geben, dann entsteht das Schöne.

AUS DEM ORIENTIERUNGSKURS FÜR DIE ANTHROPOSOPHISCHE UND DREIGLIEDERUNGSARBEIT IN DER SCHWEIZ

#G280-1975-SE170 Methodik und Wesen der Sprachgestaltung

#TI

AUS DEM ORIENTIERUNGSKURS FÜR DIE

ANTHROPOSOPHISCHE UND

DREIGLIEDERUNGSARBEIT IN DER SCHWEIZ

#TX

Geradeso, wie in einem Organismus jede Einzelheit notwendig so geformt ist, wie sie eben geformt ist, so ist in der Welt, in der wir leben und an der wir mitgestalten, alles so zu formen, wie es im Sinne des Ganzen an seinem Orte geformt werden muss. Sie kön­nen sich nicht denken, wenn Sie real denken, dass Ihr Ohrläppchen auch nur im allergeringsten anders geformt wäre, als es eben ist, in Gemässheit Ihres ganzen Organismus. Wäre Ihr Ohrläppchen nur ein bisschen anders geformt, dann müssten Sie auch eine ganz andere Form der Nase, Sie müssten andere Fingerspitzen haben und so weiter.

Und so muss auch die Rede, in die sich ergiesst etwas, was wirk­lich neue Formen annimmt, durchaus - so wie das Ohrläppchen im Sinne des ganzen Menschen geformt ist - im Sinne der ganzen Sache gehalten sein.

Sie kann nicht gehalten sein in der Art, die man lernen kann etwa von der Predigt-Rede. Denn die Predigt-Rede, wie wir sie heute noch immer haben, beruht auf der Tradition, die eigentlich zurückgeht bis in den alten Orient - auf einer besonderen Stellung, welche der ganze Mensch im alten Orient zur Sprache hatte. Diese Eigentüm­lichkeit ist dann fortgesetzt worden, so dass sie lebte in einer gewis­sen freien Weise in Griechenland, lebte abstrakt in Rom und zeigt heute ihr letztes Auffiackern am deutlichsten in dem besonderen Verhältuis, das der Franzose zu seiner Sprache hat. Nicht als ob ich damit sagen wollte, dass jeder Franzose predigt, wenn er spricht. Aber ein ähnliches Verhältnis, wie es sich aus dem orientalischen Verhältnis zur Sprache entwickeln musste, lebt durchaus noch in der französischen Handhabung der Sprache weiter fort, nur eben durchaus in abschüssiger Bewegung.

Dieses Element, zu dem wir da hinschauen können, ist zum Aus­druck gekommen, als man das Reden noch etwa so lernte, wie man es dann später, nur im Verfallstadium, lernen konnte von den Profes­soren, die eigentlich wie Mumien aus alten Zeiten weiterlebten und

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den Titel trugen vorgetragen, sondern hat sich als «Professor für Eloquenz» nur dadurch gezeigt, dass er vom Professorenkollegium immer ausgeschickt worden ist bei festlichen Gelegenheiten. Da hat es sich Curtius allerdings sehr angelegen sein lassen, seine Aufgabe für solche festlichen Gelegenheiten dadurch zu lösen, dass er die alten Regeln der möglichst wenig berücksichtigt hat. Im übrigen war es ihm zu dumm, nicht mehr hineinpassen. Er hat Kunstgeschichte, griechische Kunst-geschichte vorgetragen. Aber im Universitätsverzeichnis war er angeführt als Das weist uns zurück auf ein Element, das im Reden in den alten Zeiten durchaus vorhanden war.

Nun, wenn wir, was ganz besonders charakteristisch ist, die Aus­bildung des Redens für die mitteleuropäischen Sprachen, also für das Deutsche etwa, nehmen, so hat ja alles, was man im ursprüng­lichen Sinne mit dem Wort «Eloquenz> bezeichnen kann, nicht den allergeringsten Sinn. Denn in diese Sprachen ist schon etwas ein­geflossen, was durchaus anders ist als dasjenige, was dem Reden in den Zeiten eigen war, wo man die Eloquenz ernst nehmen musste. Für die griechische, die lateinische Sprache gibt es Eloquenz. Für die deutsche Sprache ist eine Eloquenz etwas ganz Unmögliches, wenn man innerlich auf das Wesenhafte sieht.

Nun leben wir aber heute durchaus in einem Übergang. Das kann auch nicht fortgebraucht werden, was etwa das Redeelement der deutschen Sprache war. Es muss durchaus versucht werden, aus diesem Redeelement herauszukommen und in ein anderes Rede­element hineinzukommen. Und das ist mit die Aufgabe, die in einem gewissen Sinne zu lösen hat, wer über Anthroposophie oder Dreigliederung

* Ernst Curtius (1814-1896), Archäologe und Geschichtsschreiber

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heute fruchtbar reden soll. Denn erst, wenn eine grössere Anzahl von Menschen so zu reden vermag, werden Anthroposophie und Dreigliederung in der Öffentlichkeit auch in einzelnen Vor-trägen richtig verstanden werden, während es nicht wenige sind, die nur ein Pseudoverständnis und Pseudobekenntnis entwickeln.

Wenn wir zurückblicken auf das besondere Element, das in bezug auf das Reden in den Zeiten vorhanden war, aus denen sich erhalten hat die Handhabung der Eloquenz, so müssen wir sagen: Da war es so, dass die Sprache wie herauswuchs aus dem Menschen in ganz naiver Weise, wie seine Finger wachsen, wie seine zweiten Zähne wachsen. Im Nachahmungsprozess ergab sich das Sprechen. Und man kam erst nach der Sprache zu dem Gebrauch des Denkens.

Und nun war es so, dass der Mensch, wenn er zu andern Menschen unter irgendeiner Aufgabe sprach, darauf zu sehen hatte, dass das innere Erlebnis, das Gedankenerlebnis gewissermassen einschnappte in die Sprache. Die Satzfügung war da. Sie war in einer gewissen Weise elastisch und dehnbar. Und innerlicher als die Sprache war das Gedankenelement. Man erlebte das Gedankenelement als etwas Innerlicheres als die Sprache und liess es dann einschnappen in die Sprache, so dass es hineinpasste, geradeso, wie man in den Marmor hineinpasst, was man als die Idee irgendeiner Statue oder der­gleichen hat. Es war durchaus ein künstlerisches Bearbeiten der Sprache. Es hatte sogar die Art und Weise, wie man auch im Pro­saischen zu sprechen hatte, etwas Ähnliches mit dem, wie man sich im Poetischen auszudrücken hatte. Rhetorik, Eloquenz hatten Regeln, die gar nicht unähnlich waren den Regeln des poetischen Ausdrucks. (Ich möchte, damit ich nicht missverstanden werde, einfügen, dass die Entwicklung der Sprache nicht etwa die Poesie ausschliesst. Was ich jetzt sage, sage ich für ältere Arten des Ausdrucks, und ich bitte, das nicht so aufzufassen, als wenn ich behaupten wollte, heute könne es überhaupt nicht mehr Poesie geben. Wir haben nur nötig, die Sprache anders zu behandeln in der Poesie. Aber das gehört ja nicht hierher; das möchte ich nur in Parenthese einfügen, damit ich nicht missverstanden werde.)

Und wenn wir nun fragen: Wie hatte man also in dieser Zeit zu sprechen, in der der Gedanke, der Empfindungsgehalt in die Sprache

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einschnappte? Man hatte schön zu sprechen! Das war die erste Auf-gabe: schön zu sprechen. Schön-Sprechen kann man daher eigentlich auch nur lernen, indem man sich vertieft in die alte Art, zu sprechen. Und das schöne Sprechen ist durchaus eine Gabe, welche der Mensch­heit aus dem Oriente zukommt. Man möchte sagen: Schön zu spre­chen hatte man bis dahin, dass man eigentlich als Ideal des Sprechens angesehen hat das Singen der Sprache. Und nur eine Form des Schön-Sprechens ist das Predigen, wobei manches abgestreift ist von dem Schön-Sprechen. Denn das volle Schön-Sprechen ist das kul­tische Sprechen. Giesst sich das kultische Sprechen in die Predigt aus, so ist manches abgestreift. Aber immerhin ist die Predigt eine Tochter des Schön-Sprechens im Kultus.

Die zweite Form, die dann insbesondere in der deutschen Sprache und in ähnlichen Sprachen zum Ausdruck gekommen ist, ist: dass man nicht mehr unterscheiden kann zwischen dem Worte und dem Begreifen, dem Worte und dem Gedankenerlebnis, dass das Wort abstrakt geworden ist, so dass es selbst wie eine Art Gedanke sich ausnimmt. Es kann nichts mehr einschnappen, weil man das Ein-schnappende und dasjenige, in das eingeschnappt werden soll, wie eines schon von vorneherein empfindet.

Wer ist sich denn heute im Deutschen zum Beispiel klar, wenn er aufschreibt « Begriff», dass das das substantivierte Begreifen ist, das Be-Greifen, also das Greifen-an-etwas-Ausführen, dass Aber um in dem Worte Begriff das Begreifen zu hören, dazu gehört ja, dass man die Sprache als einen eigenen Organismus emp­findet. In dem Elemente des Sprechens, von dem ich jetzt berichte, da schwimmt ja Sprache und Begriff immer durcheinander. Da ist gar nicht jene ganz scharfe Trennung, die einst im Oriente vor­handen war, wo die Sprache ein Organismus ist, mehr äusserlich, und das, was sich ausspricht, innerlich lebt. Einschnappen musste

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beim Reden das innerlich lebende in die sprachliche Form, und zwar so, dass das innerlich lebende der Inhalt ist, und das, worin es ein-schnappte, die äussere Form. Und dieses Einschnappen musste im Sinne des Schönen geschehen, so dass man also ein wirklicher Sprach-künstler ist, wenn man reden will.

Das ist nicht mehr der Fall, wenn man zum Beispiel keine Emp­findung mehr dafür hat, zu unterscheiden zwischen Gehen und Lau­fen in bezug auf das Sprachliche als solches. Gehen: zwei e - man wandelt dahin, ohne dass man sich dabei anstrengt; e ist immer der Empfindungsausdruck für die geringe Teilnahme, die man hat an der eigenen Tätigkeit Wenn man ein au im Worte hat, da ist diese Teilnahme gesteigert. Beim Laufen kommt es auch zum Schnau­fen, wo derselbe Vokal drinnen ist. Da kommt das Innere in Auf­ruhr. Da muss ein Laut da sein, der diese Modifikation des Inneren andeutet. Aber das alles ist ja heute nicht mehr da. Die Sprache ist abstrakt geworden. Sie ist wie die dahinfliessenden Gedanken selber. Das ist so für das ganze mittlere und namentlich auch für das west­liche Gebiet der Zivilisation.

In jedem einzelnen Worte ist es möglich, ein Bild, eine Imagina­tion zu schauen. Und in diesem Bilde kann man leben wie in etwas relativ Objektivem. Derjenige, der noch in älteren Zeiten (des Schön-Sprechens) der Sprache gegenübergestanden hat, der wird ebensowenig in die Lage gekommen sein, die Sprache als etwas zu betrachten, das nicht objektiv mit ihm verbunden gewesen wäre und in das das Subjektive sich hineinergossen hätte, wie er niemals aus dem Auge verloren hat, dass sein Rock etwas Objektives ist -wie der nicht mit seinem Leib zusammengewachsen ist als eine andere Haut.

Die zweite Stufe der Sprache dagegen nimmt überhaupt den ganzen Organismus der Sprache wie eine andere Haut der Seele, während die Sprache vorher viel loser, ich möchte sagen, wie ein Kleid, da war. Ich spreche jetzt von der Stufe der Sprache, bei der nicht mehr in erster Linie in Betracht kommt, schön zu sprechen, sondern richtig zu sprechen, bei der es sich nicht um Rhetorik und Eloquenz, sondern um Logik handelte, in der die Grammatik selber so weit logisch wurde, dass man ja einfach - und zwar kommt das

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seit Aristoteles' Zeiten langsam herauf - aus den grammatikalischen Formen die logischen entwickelte, von den grammatikalischen die logischen abstrahierte. Es ist ja alles da zusammengeschwommen:

Gedanke und Wort. Der Satz ist dasjenige, woran man das Urteil entwickelt. Aber das Urteil ist ja eigentlich in dem Satze so gelegen, dass man es nicht mehr innerlich selbständig erlebt. Richtig-Spre­chen, das ist Signatur geworden!

Nun aber sehen wir heute schon ein neues Element des Sprechens heraufkommen - nur überall am falschen Ort angewendet, auf ein ganz falsches Gebiet übertragen.

Das Schön-Sprechen verdankt die Menschheit dem Orient.

Das Richtig-Sprechen liegt im mittleren Gebiet der Zivilisation.

Und nach dem Westen müssen wir hinschauen, wenn wir das dritte Element suchen.

Aber in diesem Westen kommt es zunächst ganz korrumpiert vor. Wie kommt es herauf? Nun, zunächst ist die Sprache abstrakt geworden. Was Wort-Organismus ist, das ist fast schon Gedanken-Organismus. Und im Westen hat sich das allmählich so gesteigert, dass man es dort vielleicht sogar für spasshaft ansehen würde, solche Dinge noch zu erörtern. Aber es ist schon, auf einem ganz falschen Gebiete, der Fortschritt durchaus vorhanden.

Sehen Sie, in Amerika hat sich aufgetan gerade im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine philosophische Richtung, welche Worauf laufen diese Bestrebungen denn hinaus - ich meine jetzt den amerikanischen Pragmatismus und den englischen Humanis­mus? Sie gehen hervor aus einer vollständigen Skepsis gegenüber der Erkenntnis: Wahrheit ist etwas, was es eigentlich gar nicht gibt! Wenn wir zwei Behauptungen aufstellen, so stellen wir sie eigentlich aus dem Grunde auf, um im leben Richtpuukte zu haben.

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Von einem Das ist die pragmatische lehre von James und auch im wesent­lichen die humanistische lehre von Schiller: Schliesslich weiss man auch gar nicht, ob der Mensch nun wirklich, wenn man vom Wahr­heitsstandpunkt ausgeht, eine Seele hat. Darüber kann man dis. kutieren bis ans Ende der Welt, ob es eine Seele gibt oder nicht -aber nützlich ist es, wenn man all das, was der Mensch da im Leben ausführt, begreifen will, eine Seele anzunehmen.

Natürlich, es verbreitet sich alles das, was da an einem Orte heute in unserer Zivilisation auftritt, wiederum über die andern Orte. Und für solche Dinge, die im Westen instinktiv aufgetreten sind, musste der Deutsche etwas finden, was nun mehr begrifflich ist, was sich leichter begrifflich durchschauen lässt. Und daraus entstand die «Philosophie des Als-ob».

Ob es ein «Atom» gibt oder nicht, darauf kommt es nicht an -wir betrachten die Erscheinungen so, «als ob» es ein Atom gäbe. Ob «das Gute» sich realisieren kann oder nicht, darüber kann man nicht entscheiden - wir betrachten das Leben so, «als ob» das Gute sich realisieren könnte. Ob es einen «Gott» gibt oder nicht, darüber könnte man ja bis ans Ende der Welt streiten - wir betrachten aber das leben so, dass wir handeln, «als ob» es einen Gott gäbe. Da haben Sie die #SE280-177

Man beachtet diese Dinge wenig, weil man sich denkt: Nun ja, da sitzt in Amerika der James mit seinen Schülern, da sitzt Schiller in England mit seinen Schülern, da ist der Vaihinger, der die «Philo­sophie des Als-ob» geschrieben hat - das sind so ein paar Käuze, die leben so in einer Art Wolkenkuckucksheim, und was geht das die andern Menschen an!

Wer aber das Ohr dafür hat, der hört heute die «Als-ob-Philo­sophie» schon überall anklingen: Fast alle Menschen reden im Sinne der Aber so, wie sonst die Dinge am Ende in Korruption kommen, zeigt sich da etwas korrumpiert am Anfange, was nun gerade in einem höheren Sinne entwickelt werden muss für die Handhabung der Rede in Anthroposophie, in Dreigliederung und so weiter.

So ernst, so wichtig sind diese Dinge, dass wir über sie eigentlich extra reden sollten. Denn es wird sich darum handeln, dass wir die Trivialität «Wir gebrauchen Begriffe, weil sie nützlich sind für das leben» - dass wir diese Trivialität einer materialistischen Utilitäts­Theorie ins Ethische hinaufheben und vielleicht durch das Ethische ins Religiöse. Denn die Aufgabe steht vor uns, wenn wir wirken wollen im Sinne von Anthroposophie und von Dreigliederung, dass wir hinzulernen zu dem, was wir aus der Geschichte uns aneignen können - zu dem Schön-Sprechen, zu dem Richtig-Sprechen - das Gut-Sprechen, dass wir ein Ohr erhalten für das Gut-Sprechen.

Ich habe bis jetzt wenig bemerkt, dass es aufgefallen ist, wenn ich im Verlaufe meiner Vorträge hingewiesen habe - ich habe es sehr häufig getan - auf dieses in diesem Sinne Gut-Sprechen. Ich

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habe immer gesagt, es komme heute nicht allein darauf an, dass dasjenige, was man sagt, im logisch-abstrakten Sinne richtig ist, son­dern es komme darauf an, dass in einem gewissen Zusammenhang etwas gesagt wird oder auch zu sagen unterlassen wird, nicht gesagt wird in diesem Zusammenhange - dass man ein Gefühl dafür ent­wickelt, dass etwas nicht nur richtig sein soll, sondern dass es in sei­nem Zusammenhange darinnen gerechtfertigt ist - dass es gut sein kann in einem gewissen Zusammenhange oder schlecht sein kann in einem gewissen Zusammenhange.

Wir müssen lernen - über die Rhetorik, über die Logik hinaus -eine wirkliche Ethik des Sprechens. Wir müssen wissen, wie wir uns in einem gewissen Zusammenhange Dinge erlauben dürfen, die in einem andern Zusammenhange gar nicht gestattet wären.

Da darf ich jetzt ein naheliegendes Beispiel gebrauchen, das viel­leicht schon einigen von Ihnen, die letzthin bei den Vorträgen anwesend waren, hat auffallen können. Ich habe in einem gewissen Zusammenhange davon gesprochen, dass Goethe eigentlich in Wirk­lichkeit gar nicht geboren ist. Ich habe davon gesprochen, dass Goethe lange Zeit sich bemüht hat, malerisch sich auszudrücken, zu zeichnen, aber dass durchaus nichts daraus geworden ist, dass das dann übergeflossen ist in seine Dichtungen und dass wiederum in den Dichtungen, wie zum Beispiel in «Iphigenie» oder besonders in der «Natürlichen Tochter», ja gar nicht im schwärmerischen Sinne Dichtungen vorliegen. «Marmorglatt und marmorkalt» haben die Leute diese Dichtungen Goethes genannt, weil sie fast bildhauerisch, weil sie plastisch sind. Goethe hatte lauter Fähigkeiten, die eigent­lich gar nicht bis zur Menschwerdung gediehen sind; er ist gar nicht wirklich geboren. - Sehen Sie, in jenem Zusammenhange, in dem ich das ausgesprochen habe letzthin, konnte man es ganz gewiss sagen. Aber denken Sie sich, wenn das einer als eine These für sich im absoluten Sinne vertreten würde! Es wäre nicht nur unlogisch; es ist selbstverständlich ganz verrückt.

Aus dem Lebenszusammenhang heraus sprechen ist etwas ande­res als die Adäquatheit oder Richtigkeit eines Wortzusammen­hangs für den Gedanken- und Empfindungszusammenhang finden. Heraus-Entstehenlassen aus einem lebendigen Zusammenhange an

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einer bestimmten Stelle ein Dikturn oder dergleichen, das ist das­jenige, was hinaufführt von der Schönheit, von der Richtigkeit zu dem Ethos der Sprache, wobei man empfindet, wenn man einen Satz ausspricht, ob man ihn in dem ganzen Zusammenhange aus­sprechen darf oder nicht aussprechen darL

Da gibt es wiederum - aber jetzt ein verinnerlichtes - Zusammen­wachsen, jetzt nicht mit der Sprache, sondern mit der Rede.

Das ist es, was ich das Gut-Sprechen oder Schlecht-Sprechen nennen möchte. Die dritte Form: Neben dem Schön- und Hässlich­Sprechen, neben dem Richtig- und Unrichtig-Sprechen kommt das Gut- oder Schlecht-Sprechen in dem Sinne, wie ich das jetzt dar­gestellt habe.

Es ist heute noch vielfach die Ansicht verbreitet, es gäbe Sätze, die man formt und die man dann bei jeder Gelegenheit sprechen könne, weil sie absolut gelten. Solche Sätze gibt es nämlich in Wirk­lichkeit für unser Leben in der Gegenwart nicht mehr. Sondern jeder Satz, der in einem gewissen Zusammenhang möglich ist, ist für einen andern Zusammenhang heute schon unmöglich. Das heisst, wir sind in eine Epoche der Menschheitsentwicklung eingetreten, wo wir nötig haben, auf diese Vielseitigkeit des Erlebens unser Augenmerk zu lenken.

Der Orientale, der mit seinem ganzen Denken in einem kleinen Territorium lebte, noch der Grieche, der mit seinem Geistesleben, mit seinem Rechtsleben, mit seinem Wirtschaftsleben auf einem kleinen Territorium lebte - der goss auch in seine Sprache etwas hinein, was so aussieht, wie ein sprachliches Kunstwerk aussehen muss.

Wie ist es denn bei einem Kunstwerk? So ist es, dass ein einzelnes geschlossenes Objekt als ein unendliches eigentlich erscheint. (So ist sogar, wenn auch einseitig, das Schöne definiert worden von Haeckel, von Darwin und andern.) Das erste, wogegen ich mich wenden musste in meinem Wiener Vortrag , war, dass das Schöne «die Erscheinung der Idee in der äusseren Form» sei, indem ich zeigte, dass man gerade das Umgekehrte meinen müsse:

dass das Schöne entsteht, wenn man der Form den Schein des Un­endlichen gibt.

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Und so ist es mit der Sprache, die gewissermassen auch als «begrenztes Territorium» auftritt - als Beim Richtig-Sprechen, da muss es adaequat sein, da muss der Satz zum Urteil, der Begriff zum Wort passen. Dazu waren die Römer genötigt. Ganz besonders, als ihr Territorium immer grösser und grösser wurde, formte sich ihre Sprache aus dem Schönen ins Logische um - daher dann die Sitte beibehalten worden ist, gerade an der lateinischen Sprache den Leuten Logik beizubringen. (Sie haben's ja auch daran ganz gut gelernt)

Aber nun sind wir wiederum über dieses Stadium hinaus. Nun ist es notwendig, dass wir die Sprache empfinden lernen mit Ethos, dass wir gewissermassen eine Art Moralität des Sprechens in unsere Rede hinein gewinnen, indem wir wissen, wir haben uns in einem gewissen Zusammenhange etwas zu gestatten oder etwas zu versagen. Da schnappt die Sache nicht ein in der Weise, wie ich es früher geschildert habe. Sondern da verwenden wir, indem wir das Wort gebrauchen, dieses Wort, um zu charakterisieren. Da hört alles Definieren auf. Da verwenden wir das Wort, um zu charakterisieren. Da wird das Wort so gehandhabt, dass man eigentlich jedes Wort als etwas Ungenügendes empfindet, jeden Satz als etwas Ungenügen­des empfindet und den Drang hat, dasjenige, was man hinstellen will vor die Menschheit, von den verschiedensten Seiten her zu charakterisieren - gewissermassen um die Sache herumzugehen und sie von den verschiedensten Seiten zu charakterisieren.

Ich habe oft betont, dass das die Darstellungsweise der Anthropo­sophie sein muss. Ich habe es oft betont, dass man ja nicht glauben solle, man könne das adaequate Wort, den adaequaten Satz finden. Sondern man kann sich nur so verhalten wie der Photograph, der, um einen Baum zu zeigen, wenigstens vier Aspekte nimmt.

Eine Anschauung also, die sich in einer abstrakten, trivialen Philo­sophie als «Pragmatismus» und «Humanismus» auslebt, muss her-aufgehoben werden ins Gebiet des Ethischen. Und dann muss sie

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sich zuerst ausleben im Ethos der Sprache: Wir müssen gut sprechen lernen. Das heisst: Wir müssen für das Sprechen etwas erleben von alidem, was wir sonst erleben in bezug auf die Ethik, die Sittenlehre.

Im Grunde genommen ist ja die Sache in der neueren Zeit recht anschaulich geworden. Da haben wir im Sprechen der Theosophen eine einfach schon durch die Sprache bedingte Altertümlichkeit, namlich altertümlich in bezug auf die letzten Jahrhunderte materia­listischer Färbung: «physischer leib» - nun, er ist dick; <Äther-leib» - er ist dünner, nebelhafter; Wir müssen lernen, die Sprache loszureissen von der Adaequat­heit. Denn sie kann adaequat sein nur dem Materiellen. Wollen wir sie für das Spirituelle verwenden im Sinne der heutigen Entwick­lungsepoche der Menschheit, dann müssen wir sie freibekommen. Dann muss Freiheit in das Handhaben der Sprache hineinkommen. Wenn man diese Dinge nicht abstrakt, sondern lebensvoll nimmt, so ist das erste, wohinein Philosophie der Freiheit kommen muss, das Sprechen, die Handhabung der Sprache. Denn das hat man nötig. Sonst wird man nicht den Übergang finden zum Beispiel zur Cha­rakteristik des freien Geisteslebens.

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Für freies Geistesleben das heisst Geistesleben, das aus seinen eigenen Gesetzen heraus da ist - ist noch nicht sehr viel Verständ­nis in der gegenwärtigen Menschheit vorhanden. Denn meistens versteht man unter freiem Geistesleben ein Gebilde, in dem jeder nach seinem eigenen Kikerikl kräht, wo jeder Hahn - verzeihen Sie das etwas merkwürdige Bild - auf seinem eigenen Misthaufen kräht und wo dann die unglaublichsten Zusammenklänge aus diesem Krähen zustande kommen. In Wirklichkeit kommt beim freien Gei­stesleben nämlich durchaus Harmonie zustande, weil der Geist lebt, nicht die einzelnen Egoisten - weil der Geist wirklich über die ein­zelnen Egoisten hinüber ein eigenes leben führen kann.

Es ist zum Beispiel - man muss diese Dinge schon heute sagen -für unsere Waldorfschule in Stuttgart durchaus ein Waldorfschul-geist da, der unabhängig ist von der lehrerschaft, in den die Lehrer-schaft sich hineinlebt und in dem es immer mehr und mehr klar wird, dass unter Umständen der eine fähiger oder unfähiger sein kann - der Geist aber als Eigenes bleibt.

Es ist eine Abstraktion, von der sich heute noch die Menschen eine Vorstellung machen, wenn sie von Der freie Geist ist etwas, was wirklich lebt unter den Menschen

- man muss ihn nur zum Dasein kommen lassen - und was wirkt unter den Menschen -, man muss ihn nur zum Dasein kommen lassen!

Was ich heute zu Ihnen gesprochen habe, habe ich im Grunde nur gesprochen, um das, was wir hier profitieren sollen, von prin­zipiellen Empfindungen ausgehen zu lassen, also von der Empfin­dung des Ernstes der Sache.

Ich kann natürlich nicht meinen, dass jetzt alle gleich hinaus­gehen und so wie die Alten schön gesprochen haben, die Mittleren richtig, nun alle gut sprechen werden!

Aber Sie können deshalb auch nicht einwenden: Was helfen uns dann unsere ganzen Vorträge, wenn wir ja doch nicht gleich gut sprechen können? Sondern es handelt sich darum, dass wir wirklich die Empfindung bekommen vom Ernst der Lage, in die wir uns dadurch hineinleben sollen, dass wir wissen: Was da gewollt wird,

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ist etwas in sich so organisch Ganzes, dass sich selbst in der Sprache nach und nach ausdrücken muss eine Notwendigkeit der Form, wie sich in dem Ohrläppchen eine Notwendigkeit der Form ausdrückt, wie das nicht anders sein kann, je nachdem der ganze Mensch ist.

So werde ich versuchen, dann noch näher zusammenzubringen, was bei uns Inhalt von Anthroposophie und Dreigliederung ist, mit der Art, wie es an die Menschen herangebracht werden soll. Und ich werde aus dem Prinzipiellen an das Konkrete und an dasjenige, was dem Praktizieren zugrunde liegen soll, immer mehr und mehr herankommen.

*

Wie wird sich denn eigentlich die Vorbereitung für eine Rede ausnehmen?

Nun, man sucht möglichst in die Situation oder in dasjenige, worauf die Zuhörerschaft vorbereitet ist, hineinzukommen dadurch, dass man die ersten Sätze so gestaltet, wie man es eben für notwen­dig hält. Man wird grössere Mühe haben bei ganz unvorbereiteten Zuhörern, kleinere Mühe, wenn man zu einem Kreis spricht, den man schon in der Sache drinnenstehend findet - wenigstens in den entsprechenden Empfindungen.

Dann wird man den übrigen Teil der Rede weder aufschreiben, noch wird man blosse Schlagworte hinschreiben. Die Erfahrung zeigt, dass die wörtliche Ausarbeitung ebensowenig zu einer guten Rede führt, wie das blosse Aufschreiben von Schlagworten. Dies Aufschreiben aus dem Grunde nicht, weil es einen bilet und dadurch leicht in Verlegenheit bringt, wenn das Gedächtnis holpert, was gerade dann am leichtesten der Fall ist, wenn die Rede wort­wörtlich aufgeschrieben ist. Schlagworte verleiten sehr leicht dazu, die ganze Vorbereitung zu abstrakt zu gestalten. Dagegen ist das­jenige, was man am besten aufschreiben und auch als Manuskript mitbringen kann, wenn man nötig hat, sich an so etwas zu halten, eine Reihe richtig formulierter Sätze als Schlagsätze, die nicht den Anspruch darauf machen, dass man sie auch so sagt als einen Bestand­teil der Rede, sondern die dastehen: Erstens - Zweitens - Drittens -Viertens - und so weiter, die gewissermassen Extrakte geben, so dass

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aus einem Satz vielleicht zehn oder acht oder zwöff werden. Aber man schreibe sich solche Sätze auf. Man schreibe sich also nicht etwa auf: «Geistesleben als selbständig!», sondern: Für den Schluss ist es oftmals sehr gut, wenn man in einer gewis­sen Weise, wenigstens leise, zum Anfang wiederum zurückführt, wenn also der Schluss etwas hat, was als Motiv schon im Anfang enthalten war.

Schlagsätze geben einem leicht die Möglichkeit, nun wirklich sich so vorzubereiten, wie vorhin angedeutet wurde, indem man sich auf sein Blättchen diese Schlagsätze aufgeschrieben hat. Also, sagen wir, man überlegt sich: Was du für das geistige leben zu sagen hast, muss in dir eine Art lyrischen Charakter haben. Was du für das Rechtsleben zu sagen hast, muss in dir eine Art dramatischen Charak­ter haben. Was du für das Wirtschaftsleben zu sagen hast, muss in dir einen erzählend-epischen Charakter, einen ruhig-erzählend-epi­schen Charakter haben. Dann wird in der Tat schon instinktiv ein wenig die Sucht hervorgehen und auch die Kunst hervorgehen, in der Formulierung der Schlagsätze so etwas auszubilden, wie ich es angedeutet habe. Die Vorbereitung wird ganz gefuhlsmässig so er­folgen, dass in der Tat die Art, wie man redet, hineinwächst in das, was man inhaltlich zu sagen hat.

Dazu ist aber allerdings notwendig, dass man nun gewissermassen das, was Sprachbeherrschung sein soll, bis - ich möchte sagen -zum Instinkt gebracht hat, dass man also tatsächlich die Sprach-organe so fühlt, wie man etwa den Hammer fühlen würde, wenn man irgend etwas mit dem Hammer machen wollte. Das kann man dann erreichen, wenn man ein wenig Sprachturnen übt.

Nicht wahr, wenn man Turnen übt, so sind das auch nicht Bewe­gungen, welche dann im wirklichen Leben ausgeübt werden; aber es sind Bewegungen, die einen geschmeidig, geschickt machen. Und

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so soll man auch die Sprachorgane geschmeidig, biegsam machen. So aber, dass dieses Geschmeidig-, Biegsammachen mit dem inneren Seelenleben zusammenhängt, so dass man den Laut im Sprechen fühlen lernt. Ich habe im Seminarkursus, den ich den Waldorflehrern in Stuttgart vor jetzt mehr als zwei Jahren gehalten habe, eine Reihe von solchen Sprech-Übungen zusammengestellt, die ich Ihnen auch mitteilen möchte.* Sie sind so, dass sie zumeist durch ihren Inhalt nicht davon abhalten, rein in das Sprachelement sich hineinzu­leben und lediglich darauf ausgehen, ein Sprachturnen zu üben. Wenn man diese Sätze versucht, immer wieder und wiederum sich laut zu. sagen, aber so zu sagen, dass man immer probiert: Wie machst du es am besten mit der Zunge, mit den Lippen, dass du gerade diese Lautfolge herausbringst, dann macht man sich un­abhängig von dem Sprechen selber und dann kann man um so mehr auf das seelische Vorbereiten für das Sprechen Wert legen.

Ich werde Ihnen also eine Reihe von solchen - für das Inhalt­liche oftmals sinnlosen - Sätzen vorlesen, die aber dazu bestimmt sind, die Sprachorgane geschmeidig zum Reden zu gestalten:

Dass er dir log uns darf es nicht loben

ist das Einfachste. Ein schon etwas Komplizierteres:

Nimm nicht Nonnen in nimmermüde Mühlen

Und man soll immer mehr versuchen, angemessen der Lautfolge die Sprachorgane zu geschmeidigen, zu biegen, zu hohlen, zu erhabenen.

Ein anderes Beispiel:

Rate mir mehrere Rätsel nur richtig

Es genügt natürlich nicht, einmal oder zehnmal so etwas zu sagen, sondern immer wiederum. Denn wenn die Sprachorgane auch schon biegsam sind, sie können noch immer biegsamer werden.

Ein Beispiel, von dem ich glaube, dass es ganz besonders nützlich ist, ist das Folgende:

* Siehe: Seite 28 ff.

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Redlich ratsam

Rüstet ruhmlich

Riesig rächend

Ruhig rollend

Reuige Rosse

Dabei hat man auch zugleich die Gelegenheit, in den Zwischen­pausen den Atem in Ordnung zu bringen, worauf man sehen muss und was insbesondere durch solch eine Übung sehr gut gemacht werden kann.

In einer ähnlichen Weise - es haben nicht alle Laute den gleichen Wert für dieses Turnen - kommen Sie vorwärts, wenn Sie das Fol­gende haben:

Protzig preist

Bäder brünstig

Polternd putzig

Bieder bastelnd

Puder patzend

Bergig brüstend

Wenn es Ihnen gelingt, nach und nach sich hineinzufinden in diese Lautfolge, so haben Sie viel davon.

Hat man solche Übungen gemacht, dann kann man auch ver­suchen, diejenigen Übungen zu machen, die notwendig darauf hinauslaufen, schon Stimmung hineinzubringen in das Sprechen der Laute. Ich habe ein Beispiel, wie das Lauten in die Stimmung hinein sich ergiessen kann, versucht, in dem Folgenden zu geben:

Erfüllung geht

Durch Hoffnung

Geht durch Sehnen

Durch Wollen

und jetzt kommt es mehr ins Lauten hinein, wodurch gerade hier die Stimmung im Laut selber festgehalten wird:

Wollen weht

Im Wehenden

Weht im Bebenden

Weht bebend

Webend bindend

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Im Finden

Findend windend

Kündend

Sie werden immer sehen, wenn Sie gerade diese Übungen machen, wie Sie in der Lage sind, ohne dass Sie der Atem stört, den Atem zu regulieren, wenn Sie sich einfach an das Lauten halten. Man hat in der neueren Zeit allerlei mehr oder weniger pfiffige Methoden für das Atmen und für alles mögliche, was die Begleittatsachen sind des Sprechens und Singens, ausgedacht. Allein das alles sind eigent­lich Nichtsnutzigkeiten. Denn Sprechen soll mit allem, was dazu­gehört, auch mit dem Atmen, durchaus im Sprechen selbst gelernt werden. Das heisst: Man soll lernen, so zu sprechen, dass in den Notwendigkeiten, die die Lautfolge, die Wortzusammenhänge ergeben, auch der Atem sich wie selbstverständlich mitreguliert. Man soll also nur im Sprechen auch das Atmen beim Sprechen lernen. Die Sprech-Übungen sollen also so sein, dass man, wenn man sie richtig fühlt den Lauten nach - nicht dem Inhalte, sondern dem Lauten nach - genötigt ist, durch dieses Richtig-Fühlen des Lautens auch den Atem richtig zu gestalten.

Auf das Inhaltliche der Stimmung geht nun der folgende Spruch. Er hat vier Zeilen. Diese vier Zeilen sind so angeordnet, dass sie gewissermassen ein Aufstieg sind. Jede Zeile erregt eine Erwartung. Und die fünfte Zeile ist der Abschluss und bringt Erfüllung. Nun soll man sich bemühen, diese Sprechbewegung, die ich eben charak­terisiert habe, wirklich auszuführen. Der Spruch heisst:

In den unermesslich weiten Räumen,

In den endenlosen Zeiten,

In der Menschenseele Tiefen,

In der Welten Offenbarung:

Suche des grossen Rätsels Lösung.

Da haben Sie die fünfte Zeile als die Erfüllung jener stufenweisen Erwartung, die in den vier ersten Zeilen angeschlagen ist.

Nun kann man auch versuchen, schon - ich möchte sagen - die Stimmung der Situation in das Lauten, in die Sprechart, in das Wie des Sprechens hineinzubringen. Und dazu habe ich folgende Übung

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geformt. Man stelle sich vor einen recht grossen, grünen Frosch, der vor einem sitzt mit offenem Mund. Also einen riesigen Frosch mit offenem Mund, dem man gegenübersteht. Und nun stelle man sich vor, was man für Affekte haben kann gegenüber diesem Frosch. In dem Affekt wird Humor darinnen sein, manches andere drinnen sein -, das rufe man recht lebhaft in der Seele hervor. Dann spreche man diesen Frosch so an:

Lalle Lieder lieblich

Lipplicher Laffe

Lappiger lumpiger

Laichiger Lurch

Stellen Sie sich vor einen Acker; darüber gehe ein Pferd. Auf den Inhalt kommt es nicht an. Sie müssen sich natürlich jetzt vorstellen, dass die Pferde pfeifen. Nun sprechen Sie die Tatsache, die Sie hier haben, folgendermassen aus:

Pfiffig pfeifen

Pfäffische Pferde

Pflegend Pflüge

Pferchend Pfirsiche

und dann variieren Sie das, indem Sie so sprechen:

Pfiffig pfeifen aus Näpfen

Pfäffische Pferde schlüpfend

Pflegend Pflüge hüpfend

Pferchend Pfirsiche knüpfend

Und dann - aber bitte, lernen Sie es auswendig, so dass Sie recht geläufig die eine und die andere Form hintereinander sagen können

- noch eine dritte Form. Lernen Sie alle drei auswendig und ver­suchen Sie, sie so geläufig zu sprechen, dass niemals die eine Form Sie im Aussprechen der andern beirrt. Darauf kommt es hier an. Als dritte Form nehmen Sie:

Kopfpfiffig pfeifen aus Näpfen

Napfpfäffische Pferde schlüpfend

Wipfend pflegend Pflüge hüpfend

Tipfend pferchend Pfirsiche knüpfend

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Also das hintereinander, indem Sie die drei Formen auswendig können, so dass Sie niemals das eine in dem andern stört.

Ein Ähnliches können Sie dann etwa mit den folgenden zwei Sprüchen machen:

Ketzer petzten jetzt kläglich

Letztlich leicht skeptisch

und nun die andere Form:

Ketzerkrächzer petzten jetzt kläglich

Letztlich plötzlich leicht skeptisch

Wiederum auswendig lernen und hintereinander sprechen!

Man kann die Sprache geschmeidig kriegen, wenn man etwa das Folgende übt:

Nur retin nimmer reuig

Gierig grinsend

Knoten knipsend

Pfänder knüpfend

Man muss sich gewöhnen, diese Lautfolge zu sagen. Sie werden schon sehen, was Sie für Ihre Zunge, Ihre Sprachorgane haben, wenn Sie solche Übungen machen.

Nun eine etwas länger dauernde, eine solche Übung, wodurch dieses Geschmeidig-Werden im Sprechen hervorgerufen werden kann. Ich glaube, es haben ja hinterher schon Schauspieler gefunden, dass sie auf diese Weise am besten ihre Sprache geschmeidig machen:

Zuwider zwingen zwar

Zweizweckige Zwacker zu wenig

Zwanzig Zwerge

Die sehnige Krebse

Sicher suchend schmausen

Dass schmatzende Schmachter

Schmiegsam schnellstens

Schnurrig schnalzen

Dann braucht man zuweilen Geistesgegenwart im unmittelbaren Sprechen. Man kann sie sich durch Folgendes etwa ausbilden:

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Klipp plapp plick glick

Klingt Klapperrichtig

Knatternd trappend

Rossegetrampel

Dann - zum weiteren Geistesgegenwärtigsein im Sprechen -die folgenden zwei Beispiele, die zusammengestellt werden können:

Schlinge Schlange geschwinde

Gewundene Fundewecken weg

Dann aber dasselbe Lautmotiv so:

Gewundene Fundewecken

Geschwinde schlinge Schlange weg

Da ist auch das «Wecken weg» drinnen.

Dann zum Kräftigmachen der Sprache, dass man die Sprache so hat, dass man auch einmal einem eins in der Diskussion herunter-hauen kann - so etwas ist schon in der Sprache nötig! - das folgende

Beispiel:

Marsch schmachtender

Klappriger Racker

Krackle plappernd linkisch

Flink von vorne fort

Dann wären für jemanden, der etwas stottert, die folgenden zwei Beispiele noch anzuführen:

Nimm mir nimmer

Was sich wässerig

Mit Teilen mitteilt

Es ist für jeden Stotterer gut. Man kann es auch in der folgenden Weise sagen beim Stottern:

Nimmer nimm mir

Wässerige Wickel

Was sich schlecht mitteilt

Mit Teilen deiner Rede

Es kommt natürlich darauf an, dass sich der Stotterer Mühe gibt.

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Man soll durchaus nicht glauben, dass man das, was ich Rede­Turnen nennen möchte, nur an für den Verstand sinnvollen Sätzen üben kann oder auch nur üben soll. Denn an den für den Verstand sinnvollen Sätzen überwiegt zunächst unbewusst-instinktiv zu stark die Aufmerksamkeit für den Sinn, als dass wir richtig rechneten mit dem Lauten, mit dem Sagen. Und es ist schon notwendig, dass wir, wenn wir reden wollen, auch darauf Rücksicht nehmen, dass wir das Reden in einem gewissen Sinne losbringen von uns selbst, wirklich losbeingen von uns selbst. Geradeso, wie man die Schrift losbringen kann von sich selbst, kann man ja auch das Reden losbringen von sich selbst.

Es gibt zweierlei Arten zu schreiben. Die eine Art besteht darinnen, dass der Mensch egoistisch schreibt, dass er gewisser­massen die Buchstabenformen in seinen Gliedern hat und sie aus den Gliedern herausfliessen lässt. Auf ein solches Schreiben hat man eine Zeitlang - wahrscheinlich ist es auch jetzt noch der Fall - dann viel gesehen, wenn man für kaufmännisch änzustellende oder ähn­liche Leute Schreibunterricht gegeben hat. Ich habe zum Beispiel einmal beobachtet, wie ein solcher Schreibunterricht für kauf­männische Angestellte so erteilt worden ist, dass die Betreffenden jeden Buchstaben aus einer Art Kurve heraus entwickeln mussten. Sie mussten schwingen lernen mit der Hand, dann das Schwingen zu Papier bringen. So dass alles in der Hand, in den Gliedern ist, und man eigentlich mit nichts anderm als mit der Hand dabei ist beim Schreiben. Eine andere Art zu schreiben ist die nicht-egoistische, die selbstlose Art zu schreiben. Sie besteht darin, dass man eigentlich nicht mit der Hand, sondern mit dem Auge schreibt, also immer hinschaut und im Grunde genommen den Buchstaben zeichnet, so dass das im geringen Masse in Betracht kommt, was in der Gliede­rung der Hand liegt - wo man eigentlich ebenso verfährt wie beim Zeichnen -, wo man also nicht eine Handschrift, deren Sklave man ist, hat, sondern wo man nach und nach Mühe hat, selbst seinen Namen noch ebenso zu schreiben, wie man ihn sonst geschrieben hat. Den meisten Menschen ist es ja so furchtbar leicht, ihren Namen so zu schreiben, wie sie ihn sonst geschrieben haben. Er kommt ihnen aus der Hand. Aber die Menschen, die etwas Künstlerisches in die

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Schrift hineinlegen, die schreiben mit dem Auge. Sie verfolgen die Strichführung mit dem Auge. Da sondert sich in der Tat die Schrift ab vom Menschen. Da kann dann der Mensch - obwohl es nicht wünschenswert ist in einer gewissen Beziehung, das zu praktizieren -Schriften nachahmen, in verschiedener Weise Schriften variieren. Ich sage nicht, dass man das besonders praktizieren soll; aber ich sage, dass es als ein Extrem herauskommt, wenn man malt die Schrift. Das ist das selbstlose Schreiben; das Schreiben heraus aus den Gliedern dagegen ist das seibstische, das egoistische.

Auch die Sprache ist bei den meisten Menschen egoistisch. Sie können sich aber allmählich angewöhnen, Ihre Sprache so zu emp­finden, als wenn sie eigentlich um Sie herumhauchte, als wenn die Worte um Sie herumflögen. Sie können wirklich eine Art Empfin­dung von Ihren Worten haben. Da sondert sich das Sprechen vom Menschen ab. Es wird objektiv. Der Mensch hört sich ganz instink­tiv selber sprechen. Es wird gleichsam im Sprechen sein Kopf grösser, und man fühlt um sich herum das Weben der Laute und der Worte. Man lernt allmählich hinhören auf die Laute, auf die Worte. Und das kann man gerade durch solche Übungen erreichen.

Dadurch aber wird dann in der Tat nicht bloss hineingebrüllt in einen Raum - ich meine mit Brüllen jetzt nicht bloss laut schreien; man kann auch lispelnd brüllen, wenn man nur für sich selber eigentlich redet, so wie es aus den Sprachorganen herauskommt -, sondern man lebt im Sprechen wirklich mit dem Raum. Man fühlt gewissermassen im Raume die Resonanz. Das ist bei gewissen Sprach-Theorien, Sprachlehr- oder Sprachlern-Theorien - wenn Sie wollen - in der neueren Zeit zum stammelnden Unfug geworden, indem man die Leute mit Körper-Resonanzen sprechen lässt, Bauch-Resonanzen, Nasen-Resonanzen und so weiter. Alle diese inneren Resonanzen sind aber eine Untugend. Eine wirkliche Resonanz kann nur eine erlebte sein. Die fühlt man aber dann nicht etwa in dem Anstossen des Lautes ans Innere der Nase; sondern die fühlt man erst vor der Nase, aussen. So dass tatsächlich die Sprache etwas bekommt vom Vollen. Voll werden soll überhaupt die Sprache des Redners. Der Redner soll möglichst wenig verschlucken.

Glauben Sie nicht, dass dies für den Redner unbedeutend ist. Es

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ist höchst bedeutend für den Redner. Denn ob wir in der richtigen Weise etwas an die Menschen heranbringen, das hängt durchaus davon ab, wie wir in der Lage sind, uns zur Sprache selbst zu ver­halten. Man braucht ja nicht gleich so weit zu gehen wie ein mir einst befreundeter Schauspieler, der niemals Freunderl sagte, son­dern immer Freunderl, weil er sich in jede Silbe hineinlegen wollte. Das tat er bis zum Extrem. Aber man soll schon die instinktive Begabung entwickeln: nicht Silben, nicht Silben-Formen, nicht Silben-Gestaltungen zu verschlucken.

Das kann man, wenn man versucht, in rhythmische Sprache sich so hineinzufinden, dass man sie sich vorsagt mit einem Hineinlegen in die ganze Lautgestaltung:

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,

Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt.

Also: sich hineinlegen nicht nur in den Laut als solchen, sondern auch in die Lautgestaltung - in dieses Runden und Eckigen des Lautes!

Wenn jemand glaubt, er könne ein Redner werden, ohne auf dieses Wert zu legen, so lebt er in demselben Irrtum wie eine Menschenseele, die zwischen Tod und neuer Geburt an dem Punkte angekommen ist, auf die Erde herunterzusteigen, und die sich nicht verleiblichen will, weil sie nicht eingehen will auf die Gestaltungen des Magens, der Lunge, der Niere und so weiter. Es handelt sich durchaus darum, dass zum Reden alles herangezogen werden muss, was die Rede tatsächlich fertig gestaltet.

Man soll also auf den Organismus der Sprache und ihren Genius immerhin Wert legen. Man soll nicht vergessen, dass dieses Wert-legen auf den Organismus der Sprache, auf den Genius der Sprache, bildschöpferisch ist. Wer sich nicht, innerlich hörend, mit der Sprache beschäftigt, dem kommen nicht Bilder, dem kommen nicht Gedanken, der bleibt ungelenk im Denken, und der wird ein Ab­straktling im Sprechen, wenn nicht gar ein Pedant. Gerade an dem Erleben des Lautlichen, des Bildhaften in der Sprachformung selbst liegt etwas, was herauslockt aus unserer Seele auch die Gedanken, die wir brauchen, um sie vor die Zuhörer hinzutragen. Es liegt eben in dem Erleben des Wortes etwas Schöpferisches mit Bezug auf den

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inneren Menschen. Das sollte niemals ausser acht gelassen werden. Das ist ausserordentlich wichtig. Es sollte uns überhaupt durchaus die Empfindung beherrschen, wie das Wort, die Wortfolge, die Wortgestaltung, die Satzgestaltung, wie die so zusammenhängen mit unserer ganzen Organisation. Geradeso, wie man aus der Physio­gnomie den Menschen gewissermassen erraten kann, so kann man natürlich erst recht - ich meine jetzt nicht aus dem, was er uns sagt, sondern aus dem Wie der Sprache - den ganzen Menschen erfühlen, aus dem Wie der Sprache.

Aber dieses Wie der Sprache kommt aus dem ganzen Menschen heraus. Und es handelt sich durchaus auch darum, dass wir in leichter Weise - natürlich nicht, indem wir uns so behandeln wie einen Patienten, sondern in leichter Weise - den physischen Leib ins Auge fassen. Es ist zum Beispiel für jemanden, der durch Erziehung oder vielleicht sogar durch Vererbung dazu veranlagt ist, pedantisch zu sprechen, gut, wenn er versucht, durch anregenden Tee, den er ab und zu zu sich nimmt, sich die Pedanterie abzugewöhnen. Diese Dinge müssen, wie gesagt, vorsichtig gemacht werden. Für den einen ist dieser Tee, für den andern ein anderer Tee gut. Der gewöhnliche Tee, der ist ja, wie ich öfter erwähnt habe, eine sehr gute Diplomatenkost: weil die Diplomaten geistreich sein mussen, das heisst unzusammenhängend eins hinter dem andern plappern müssen! Und das darf nur ja nicht pedantisch sein; sondern das muss die Leichtigkeit des Übergangs von einem Satz zum andern aufweisen. Daher ist schon der Tee das Diplomatengetränk. Der Kaffee aber, der macht logisch. Daher schreiben Journalisten ihre Artikel, weil sie ja gewohnlich von Natur aus nicht sehr logisch sind, sehr häufig in Kaffeehäusern. Jetzt, seit der Schreibmaschinenzeit, sind ja die Dinge etwas anders; aber früher konnte man in ganzen Trupps Journalisten in Kaffeehäusern antreffen, an Schreibfedern knabbernd und Kaffee trinkend, damit ein Gedanke nun wirklich auch an den andern sich anreihen konnte. Also, wenn man findet, dass man zuviel von dem Tee-Artigen hat, dann ist der Kaffee etwas, das ausgleichend wirken kann. Aber, wie gesagt, das alles ist nicht ganz arzneimässig gemeint - aber doch in dieser Richtung liegend. Und wenn zum Beispiel jemand veranlagt ist, irgendwelche störenden

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Laute in die Rede hineinzumischen, sagen wir: wenn jemand «äh » sagt nach jeder dritten Silbe oder dergleichen, dann rate ich ihm, etwas schwachen Sennesblättertee zweimal in der Woche abends zu trinken. Und er wird sehen, was das für eine günstige Wir­kung ausübt.

Es ist schon so: da die Dinge, die in der Rede, in der Sprache zum Ausdruck kommen, aus dem ganzen Menschen kommen müssen, darf da durchaus nicht die Diät vernachlässigt werden. Es ist das nicht bloss im groben der Fall. Natürlich hört man es der Rede an, wenn sie von einem Menschen kommt, der endlose Mengen Bier durch seine Kehle hat strömen lassen oder dergleichen. Wer ein Ohr hat für das Sprechen, der weiss auch ganz gut, ob irgendein Sprecher ein Teetrinker oder ein Kaffeetrinker ist, ob er an Obstipa­tionen oder am Gegenteil leidet. In der Sprache drückt sich alles mit einer absoluten Sicherheit aus. Und auf all das muss durchaus Rück­sicht genommen werden. Man wird allmählich instinktiv sich auf diese Dinge einlassen, wenn man so, wie ich es sagte, die Sprache in der Umgebung fühlt.

Allerdings: die verschiedenen Sprachen neigen in verschiedener Art, in verschiedenem Grade dazu, so in der Umgebung gehört zu werden. Eine Sprache wie die lateinische, die eignet sich besonders dazu, gehört zu werden. Das Italienische auch. (Ich meine jetzt, vom Sprecher selbst als objektiv gehört zu werden.) Wenig eignet sich zum Beispiel die englische Sprache dazu, weil diese als Sprache sehr ähnlich ist dem Schreiben, das aus den Gliedern herausfliesst. Je abstrakter die Sprachen werden, desto weniger eignen sie sich dazu, innerlich gehört zu werden, objektiv zu werden.

Wie tönt noch in älteren Zeiten das deutsche Nibelungenlied:

1. Uns ist in alten maeren wunders vil geseit

von heleden lobebaeren, von grôzer arebeit;

von freude unt h&hgeziten, von weinen unde klagen,

von küener recken striten müget ir nu wunder hoeren sagen.

2. Ez wuohs in Buregonden ein vil edel magedîn,

daz in allen landen niht schoeners mohte sin,

Kriemhilt geheizen, diu wart ein schoene wip;

dar umbe muosen dëgene vil verliesen dën lip.

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Das hört sich, indem man spricht! An solchen Dingen muss man lernen, die Sprache zu empfinden. Natürlich werden die Sprachen im Laufe ihrer Entwicklung abstrakt. Man muss dann mehr von innen heraus das Konkrete hineinbringen, das Sinnenfällige hinein­bringen.

Abstrakt nebeneinandergestellt - was ist das für ein Unterschied!

Uns ist in alten maeren wunders vil geseit

und

Uns wird in alten Märchen Wunderbares viel erzählt

Es kann aber natürlich, wenn man sich an das Hören gewöhnt, dieses auch in die neuere Sprache hineingebracht werden. Es kann viel in der Sprache daraufhin gewirkt werden, dass die Sprache wirk­lich etwas wird, was einen eigenen Genius hat.

Aber es gehören eben solche Übungen dazu, um aufeinander ein­schnappen zu machen das Hören im Geiste und das Sprechen aus dem Geiste. Und da will ich denn noch einmal die eine Formel

anführen: Erfüllung geht

Durch Hoffnung

Geht durch Sehnen

Durch Wollen

Wollen weht

Im Wehenden

Weht im Bebenden

Webt bebend

Webend bindend

Im Finden

Findend windend

Kündend

Nur dadurch, dass man den einen Laut in verschiedene Zusam­menhänge hineinstellt, kommt man zum Empfinden des Lautes, zur Metamorphose des Lautes und zum Anschauen des Wortes, zum Schauen des Wortes.

Wenn sich dann so etwas, wie ich es heute dargestellt habe im Dispositionenmachen durch Schlagsätze, als unsere innerlich see­lische Vorbereitung mit dem vereinigt, was wir in dieser Weise aus der Sprache heraus gewinnen, dann geht es eben zu dem Reden hin.

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Eines braucht man noch zum Reden ausser all den Dingen, die ich schon erwähnt habe: Verantwortlichkeit. Das heisst: man soll fühlen, dass man kein Recht hat, all seine Sprach-Ungezogenheiten auskramen zu dürfen vor einem Publikum. Man soll fühlen lernen, dass man zum öffentlichen Auftreten Spracherziehung, ein Heraus­gehen aus sich selbst und ein Plastizieren in bezug auf die Sprache nötig hat. Verantwortlichkeit gegenüber der Sprache. Es ist ja bequem, dabei stehenzubleiben: zu sprechen, wie man eben spricht, und zu verschlucken, wieviel man gewohnt ist, zu verschlucken, zu quetschen, und biegen und brechen und drücken und dehnen die Worte - wie es einem bequem ist. Aber man darf eben bei diesem Quetschen und Drücken und Dehnen und Ecken und Ähnlichem nicht stehenbleiben, sondern muss versuchen, auch in diesem For­malen seinem Reden zu Hilfe zu kommen.

Man wird eben einfach, wenn man in dieser Weise seinem Reden zu Hilfe kommt, auch dazu geführt, mit einem gewissen Respekt vor dem Publikum zu sprechen, mit einer gewissen Scheu an das Spre­chen heranzugehen. Das ist durchaus nötig, und das kann man, wenn man das Seelische auf der einen Seite ausarbeitet und das mehr Phy­sische, das ich heute im zweiten Teil gegeben habe, auf der andern Seite. Auch wenn man nur Gelegenheitsreden zu halten hat, so kommen durchaus derlei Dinge stark in Betracht.

Sagen wir zum Beispiel: man hat den Bau, das Goetheanum zu erörtern. Dann sollte man im Grunde genommen, weil man natür­lich nicht zu jeder Erörterung eine Extravorbereitung machen kann, sich wenigstens zweimal in der Woche zu der entsprechenden Rede so vorbereiten, wie ich es auseinandergesetzt habe. Man sollte eigent­lich nur aus dem Stegreif reden, wenn man gewissermassen das Vor­bereiten als ständige Übung übt.

Dann wird man auch finden, wie sich, ich möchte sagen, das For­male mit dem Inhaltlichen verbindet. Und gerade über diesen Punkt werden wir dann morgen nochmals zu sprechen haben: über die Verbindung der formalen Praxis mit der seelischen Praxis.

*

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Das Künstlerische der Rede ist überhaupt etwas, das durchaus berücksichtigt werden muss. Und zwar vielleicht gerade um so mehr, je mehr man es zu tun hat mit etwas, das auf legik, auf Lebens erfahrung, auf andere Verständhiskräfte Rücksicht nehmen muss. Vielleicht muss man um so mehr künstlerisch in der Rede verfahren durch solche Wiederholungen, durch die Komposition und noch durch manches andere, was heute zu erwähnen sein wird, je mehr man durch ein straffes Anspannen des Denkens an das Verständnis appellieren muss.

Man muss nur bedenken, dass das Künstlerische eben ein Mittel des Verständnisses abgibt. Wiederholungen an sich zum Beispiel wirken ja so, dass sie eine Art Erleichterung für den Zuhörer bilden. Man gibt dem Zuhörer Gelegenheit, wenn er Wiederholungen in verschiedenen Wendungen hört, gewissermassen nicht straff sich zu halten an die eine Wendung oder an die andere Wendung, sondern an dasjenige, was dazwischenliegt. Dadurch wird er im Auffassen befreit Und dieses Gefühl der Befreiung ist etwas, was ausserordent­lich zum Verständnis beiträgt.

Aber auch andere Mittel, des künstlerischen Aufbaus nicht nur, sondern der künstlerischen Durchführung sollen angewendet wer­den. Zum Beispiel dies: dass der Redner von Zeit zu Zeit, indem er die nötige Einkleidung dafür sucht, Fragen anbringt, so dass er eigentlich zwischen den gewöhnlichen Erörterungen in einer Frage zu seinen Zuhörern spricht. Was heisst es eigentlich: zu seinen Zuhörern in einer Frage zu sprechen? Ja, Fragen, die der Zuhörer sich anhört, die wirken eigentlich hauptsächlich auf die Einatmung des Zuhörers.

Der Zuhörer lebt ja während des Zuhörens in Einatmung - Aus-atmung. Einatmung - Ausatmung ist nicht bloss für das Sprechen von Bedeutung, es ist durchaus auch von Bedeutung für das Zu­hören. Bringt einer als Redner eine Frage vor, dann kann das Aus­atmen gewissermassen unbeschäftigt bleiben. Das Einatmen ist das­jenige, was sich auf das Zuhören verlegt beim Anhören einer Frage. Das widerspricht nicht dem, dass der Redner etwa gerade, wenn der Hörer ausatmet, seine Frage vorbringt. Es wird nämlich nicht nur gerade zugehört, sondern auch schief. So dass das eigentliche Hören

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eines Wortes oder eines Satzes, der hineinfällt in eine Ausatmung, wenn er eine Frage ist, eigentlich erst recht perzipiert wird bei der nachfolgenden Einatmung. Kurz, das Einatmen überhaupt hat etwas Wesentliches zu tun mit dem Anhören des in FrageformVorgebrach­ten. Dadurch aber, dass das Einatmen engagiert wird durch das Auf-werfen einer Frage, wird der ganze Prozess des Zuhörens verinner­licht. Er geht gewissermassen tiefer in der Seele vor sich, als wenn man nur einfach einer Erörterung zuhört.

Wenn man einer Erörterung zuhört, dann hat man eigentlich immer die Tendenz, weder mit der Einatmung noch mit der Aus­atmung'sich zu engagieren. Die Erörterung möchte eigentlich mög­lichst wenig tief gehen, aber eigentlich auch nicht die Sinnesorgane viel beschäftigen.

Das Erörtern logischer Dinge durch die mündliche Rede ist über­haupt eine missliche Sache. Wer daher so reden will, dass er etwa bloss in Schlussfolgerungen spricht, der wird dadurch ein gutes Mittel in der Hand haben, um seine Zuhörer einzuschläfern. Denn dieses logische Entwickeln, das hat den Nachteil, dass es das Ver­ständnis vom Gehörorgan wegschafft - man hört nicht ordentlich dem Logischen zu -, und auf der andern Seite, dass es wiederum das Atmen nicht eigentlich gestaltet, nicht in varüerte Wellen ver­setzt. Der Atem bleibt eigentlich am Neutralsten, wenn man logische Erörterungen anhört. Daher schläft man dabei ein. Es ist das ein ganz organischer Prozess. Logische Erörterungen wollen unpersön­lich sein; aber das rächt sich. Daher wird man, wenn man sich zum Redner entwickeln will, darauf Rücksicht nehmen müssen, dass man womöglich, trotzdem man logisch bleibt, nicht bloss in logischen Formeln spricht, sondern eben in Redefiguren. Und zu den Rede-figuren gehört eben die Frage...

Nun, nach dieser Richtung hin wäre wirklich ausserordentlich viel zu sagen über die Form, über die Gestaltung einer Rede. Denn gewöhnlich glaubt man, dass die Menschen bloss mit den Ohren zuhören. Wogegen schon das spricht, dass manche, wenn sie etwas ganz besonders auffassen wollen, den Mund aufsperren beim Zu­hören. Sie würden das nicht tun, wenn man bloss mit den Ohren zuhörte.

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Man hört viel mehr mit den Sprachorganen zu, als gewöhnlich gemeint wird. Man schnappt gewissermassen in die Rede des Red­ners immer ein gerade mit seinem Sprachorgan. Und der ätherische Leib redet eigentlich immer mit, macht immer Eurythmie mit, wenn zugehört wird, und zwar Bewegungen, die durchaus den euryth-mischen Bewegungen entsprechen. Nur kennt sie der Mensch mei­stens nicht, wenn er nicht Eurythmie gelernt hat.

Es ist so, dass alles, was gehört wird von den unlebendigen Kör­pern, mehr von aussen mit dem Ohr gehört wird, dass aber die Rede des Menschen eigentlich so gehört wird, dass beachtet wird, was von innen an das Ohr anschlägt. Das ist eine Tatsache. Die wenigsten Menschen wissen, welch grosser Unterschied besteht zwischen dem Anhören eines Glockengeläutes oder einer Symphonie und dem Zuhören der menschlichen Rede. Bei der menschlichen Rede wird eben eigentlich das innere Mitsprechen gehört. Das andere ist viel mehr Begleiterscheinung, als es dies ist beim Anhören von irgend etwas Unorganischem. Deshalb musste alles das gesagt werden, was ich sagte über das eigene Zuhören, damit man tatsächlich die Rede so formuliert, wie man sie kritisieren würde, wenn man sie hörte. Ich meine: das Formulieren muss aus derselben Kraft, aus dem­selben Impuls herauskommen wie die Kritik, wenn man anhört.

Es wird schon von einiger Wichtigkeit sein, dass die Persönlich­keiten, welche sich zur Aufgabe machen, etwas gerade für die Drei-gliederung des sozialen Organismus oder Ähnliches zu wirken, Rück­sicht darauf nehmen, dass in einer gewissen Weise auch künstlerisch an das Publikum herangebracht wird, was man sagen will.

ÜBER SPRACHSTÖRUNGEN

#G280-1975-SE201 Methodik und Wesen der Sprachgestaltung

#TI

ÜBER SPRACHSTÖRUNGEN

#TX

Ich stelle mir vor, dass wir heute in einer Art Konversation allerlei Fragen und dergleichen erörtern, die sich bei dem einen oder bei dem andern der verehrten Zuhörer an das anknüpfen, was hier als Anthro­posophie in den letzten Tagen entwickelt worden ist. Es ist ja, obwohl Ihnen, wie ich versuchte heute zusammenzustellen, im Laufe dieser drei Wochen an hundert Vorträgen geboten werden sollen, nicht möglich, das eine oder das andere Thema auch nur skizzenhaft zu berühren, sondern dasjenige, was hier gegeben werden kann, können ja zunächst nur Anregungen sein. Anregungen, die aber vielleicht zeigen werden, dass die hier gemeinte anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft nicht schlechter fundiert ist als dasjenige, was man im äusseren Leben der heutigen strengen Wissenschaft ent­nimmt, ja, dass sie alle methodische Disziplin dieser Wissenschaft in sich aufnimmt und eben nur dasjenige auch - ich möchte sagen -wahrnimmt, was als eine grosse Forderung der Zeit dasteht nach Weiterentwicklung. Als eine grosse Forderung nach Weiterentwick­lung steht es eben aus dem Grunde da, weil diejenigen Impulse namentlich des wissenschaftlichen Lebens, die Grösse hervorgebracht haben in der abgelaufenen Epoche, eben heute durchaus im Ab­sterben begriffen sind, in den menschlichen Niedergang, in den Nie­dergang unserer Zivilisation hineinführen müssten, wenn nicht ein neuer Einschlag kommen würde. Dasjenige, was nun an Anregungen gegeben worden ist für einen solchen neuen Einschlag, kann aber gewiss bei einer solchen Besprechung, wie sie heute stattfinden soll, nach den verschiedensten Richtungen hin ergänzt werden. Und für eine solche Ergänzung bitte ich Sie jetzt mitzutun, bitte ich Fragen zu stellen, Wünsche zu äussern, dasjenige überhaupt vorzubringen, was Sie eben vorbringen wollen. Die Fragen können ja am besten schriftlich gestellt werden, und ich bitte, die Gelegenheit dazu reich­lich zu benützen.

Ein Teilnehmer: Die Frage, die ich zu stellen habe, bezieht sich auf ein therapeutisches Gebiet. Herr Dr. Steiner hat in seinen Vor-trägen auf gewisse Krankheiten in der Gegenwart hingewiesen, die gerade in der Gegenwart sehr zahlreich auftreten. Es gibt da nun

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gewisse seelische Störungen, bezüglich deren ich für eine Beant-wortung der tieferen Ursachen sehr dann:bar wäre. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Sprachstörungen. Ich bemerke, dass bei der Antwort durchaus nicht von rnir persönliche Interessen mitspielen, sondern nur insofern irgendwelche pädagogischen Interessen hinein-spielen. Ich bin schon mehrmals gefragt worden von Lehrern, was bei Sprachstörungen zu tun sei. Bei dieser Frage, die in das thera­peutische Gebiet hineingeht, möchte ich nicht anregen Fragen, die nur Krankheiten betreffen. Ich wäre für die Beantwortung sehr dankbar, weil mir die Frage sehr brennend in der Gegenwart zu sein scheint. -

Wir können ja vielleicht gerade von der Beantwortung dieser Frage den Ausgang nehmen. Man muss, wenn dergleichen Spezielles in Frage kommt, natürlich berücksichtigen, dass solche speziellen Störungen im Organismus, im menschlichen Organismus, die man­nigfaltigsten Ursachen haben können; dass es gerade dann, wenn man auf die wahre Ursache eingehen will, ausserordentlich schwie­rig ist, im allgemeinen über diese Dinge zu sprechen. Bei allen sol­chen Dingen handelt es sich eigentlich darum, dass man sich durch Geisteswissenschaft in die Lage versetzt, den einzelnen Fall in der richtigen Weise zu beurteilen. Und da möchte ich denn etwas sagen, was vielleicht eine viel allgemeinere Bedeutung hat, als es diese Frage erheischt.

Sehen Sie, wir leben in einem Zeitalter des Abstrahierens, in einem Zeitalter, wo man es liebt, die mannigfaltige Welt, die viel­gestaltige Welt auf wenige Formeln zurückzubringen, wo man es liebt, abstrakte Gesetze aufzustellen, die weite Gebiete des Daseins umfassen. Sie können sie dann nur in abstrakter Weise mit Hinweg­lassung gerade des Individuellen umfassen. Geisteswissenschaft wird nach dieser Richtung hin insbesondere einen bedeutsamen Wandel zu bringen haben. Sie wird weniger schwelgen in den Vereinfachun­gen des mannigfaltigen Daseins, sie wird ja herantragen Erkennt­nisse über das konkrete Geistige. Dadurch aber, dass man an das konkrete Geistige herankommt, regt man sich mit Bezug auf seine Seelenverfassung überhaupt so an, dass Beobachtungsvermögen, Urteilsvermögen, Anregungsvermögen gestärkt, gekräftigt werden.

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Das wird sich schon zeigen - ich möchte sagen - im allgemeinen sozialen Verkehre der Menschen. Ein gut Stück der sozialen Frage liegt heute eigentlich darinnen, dass wir gar keine Neigung mehr haben, den Menschen, an dem wir vorbeigehen, wirklich kennenzu­lernen, weil unser Inneres eben nicht jene Anregungen hat, die es ihm ermöglichen, das Individuelle, das Besondere richtig ins Auge zu fassen. Da wird Geisteswissenschaft eben etwas anderes schaffen. Da wird Geisteswissenschaft unser Inneres wieder reich machen, wird es befähigt machen, auf das Besondere einzugehen. Und so wird sich das Beobachtungsvermögen, das Unterscheidungsvermö­gen, all das wird sich besonders ausbilden. Daher werden wir weni­ger Lust bekommen nach abstrakten Verallgemeinerungen, dagegen mehr Lust bekommen im Besonderen, im Einzelnen. Wir werden uns mehr gewissermassen an das Exemplarische als an das Abstrakte halten. Und insbesondere, wenn man es mit so etwas zu tun hat wie körperliche Störungen, Sprachstörungen, so muss man sagen: fast liegt ja jeder einzelne Fall - es ist natürlich etwas übertrieben, aber doch im allgemeinen gültig -, fast liegt ja jeder einzelne Fall anders, und mindestens muss man Typisches unterscheiden.

Man muss sich klar darüber sein, dass ein Teil desjenigen, was Sprachstörungen hervorruft, natürlich organisch bedingt ist, das heisst in einer gewissen Weise auf der mangelnden Ausbildung dieses oder jenes Organes beruht. Aber eine ganze Reihe von solchen Störungen kommen in der Gegenwart allerdings davon her, dass gerade die geistig-seelischen Kräfte des Menschen nicht in der rich­tigen Weise entwickelt werden. Und sogar darf gesagt werden, wenn eine richtige Entwicklung der geistig-seelischen Fähigkeiten des Menschen im kindlichen Lebensalter durch Pädagogik erreicht werden kann, dass in derjenigen Zeit, in der der menschliche Organismus noch biegsam ist, auch organische Störungen bis zu einem gewissen Grade überwunden werden können, leichter über-wunden werden können als in einem späteren Lebensalter, wo der Körper - ich möchte sagen mehr verfestigt worden ist.

Unser ganzes Erziehungswesen ist ja im Grunde genommen all­mählich zu einem Betriebe in Abstraktheit geworden. Unsere Päd­agogik leidet nicht etwa an schlechten Grundsätzen. Wir haben im

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allgemeinen, wenn wir auf die abstrakte Behandlung der päd­agogischen Prinzipien sehen, grosse, bedeutsame Leistungen im letz­ten Jahrhundert aufzuweisen gehabt. Und wenn man auf die abstrakte Anwendungsweise, wie man dieses oder jenes tun soll in der Schule, hinsieht, so wird man sagen müssen: da bedeutet wirk­lich die Pädagogik des 19. Jahrhunderts ganz Gewaltiges. Aber gerade die Kunst, auf das einzelne Kind einzugehen, die besondere Entwicklung des einzelnen Kindes zu bemerken, das ist dasjenige, was durch das Zueilen zur Intellektualität und Abstraktheit in der neueren Zeit verlorengegangen ist. Wir sind gewissermassen durch die abstrakte Pädagogik nicht mehr fähig, in der richtigen Weise zu erkraften das Geistig-Seelische des Kindes. Glauben Sie nicht, dass, wenn man eine solche Forderung aufstellt, man etwa wiederum in einseitiger Weise nur nach einer welifremden Seelen- oder Geisteserziehung hinweisen möchte. 0 nein, es ist vielleicht paradox heute erscheinend, aber es ist tatsächlich so, dass der Materialis­mus das tragische Schicksal gehabt hat, dass er gerade die materiel­len Erscheinungen nicht bewältigen konnte. Das beste Beispiel dafür ist, dass wir solche psychologischen Theorien wie den psycho­physischen Parallelismus haben. Da hat man auf der einen Seite die menschliche Leiblichkeit, die man nur kennt danach, wie sie die Anatomie befriedigt, die lediglich am Leichnam lernt, da haben wir auf der andern Seite ausgedachte oder sogar nur mehr in Worten lebende Theorien über das Seelisch-Geistige. Da denkt man dann nach, wie dieses Seelisch-Geistige, das nun gar keine Ähnlichkeit mehr hat mit dem Physisch-Leiblichen, wie dieses Seelisch-Geistige auf das Physisch-Leibliche wirken soll.

Geisteswissenschaft wird gerade dahin führen, dass man wieder­um konkret auf das Leibliche wird eingehen können, dass man wiederum solche Dinge wissen wird, wie das ist, was ich schon in dem Vortrage angedeutet habe, und dessen Wichtigkeit ich hier noch einmal erwähnen möchte.* In uns wirkt als Menschenwesen von der Geburt bis zum Zahnwechsel etwas, was wir eine Summe von Gleichgewichtskräften, die uns durchorganisieren, nennen können,

* Siehe: Rudolf Steiner, Grenzen der Naturerkenntnis, Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 322.

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etwas, was bewegliche Kräfte sind, was Lebenskräfte sind.* Das wirkt in unserem Organismus besonders stark innerhalb dieses menschlichen Lebensalters. Dasjenige, was da im Menschen wirkt, das ist es wirklich, was dann die zweiten Zähne - ich möchte sagen herausstösst, was seinen Abschluss findet im Herausstossen der zwei­ten Zähne, was gewissermassen für seine Wirksamkeit im Organis­mus bis zu einem gewissen Grade - es dauert natürlich fort - Schluss macht mit dem Erscheinen der zweiten Zähne. Es verwandelt sich dann in dasjenige, was wir nennen können mathematisches, geo­metrisches Denken, was wir nennen können, denken über die Gleich­gewichtsverhältnisse im Raume, denken über die Bewegungsverhält­nisse im Raume, das wir nennen können, sich finden mit den Lebens-verhältnissen im Raume und in der Zeit. Das, was da herauskommt, was gewissermassen aus einem Zustand der Latenz in einen Zustand der Freiheit übergeht, das studieren wir dann, wenn es eben frei geworden ist. Da haben wir es als Geistig-Seelisches, als ganz konkretes Geistig-Seelisches, wie wir es heraufwachsen sehen im Kinde, wenn der Zahnwechsel beginnt, und weiter in die späteren Lebensjahre hinein. Und wir schauen da hinein und sehen das, was geistig-seelisch ist und in den ersten sieben Lebensjahren organi­sierend im Leibe wirkt.

Und wiederum studieren wir einen Zusammenhang eines Geistig-Seelischen mit der physischen Organisation, wenn wir ins Auge fas­sen das, was der Mensch dann - allerdings bewusst nur in der Inspiration - erleben kann, das heisst, was er mit dem gewöhnlichen Bewusstsein dann erlebt, aber doch «unbewusst» erlebt in der Zeit vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife. Es ist mehr ein Hinein-tauchen in die physische Leiblichkeit, wo es in seinem Verlaufe zunächst als hauptsächlichste Erscheinung - aber es sind auch andere da - den Liebestrieb erweckt, was einen Schlusspunkt macht zum Beispiel beim männlichen Geschlecht mit der Veränderung der Stimme, beim weiblichen Geschlecht mit etwas verbreiterten Wir­kungen, die aber durchaus auch da sind. Das wiederum, was wir da

* Siehe auch: Rudoff Steiner, Theosophie, Einführung in Übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung, Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 10, und Rudolf Steiner, Die Geheim-wissenschaft im Umriss, Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 13.

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erkennen, wenn wir die Entwicklung der Gefühlswelt, wenn WIr auch zum Beispiel im speziellen so etwas wie die Entwicklung des musikalischen Sinnes gerade in der Zeit, in der sich die Gefühlswelt entwickelt, beobachten, studieren wir wiederum als den Zusammen­hang eines Geistig-Seelischen mit der physischen Organisation vom siebenten bis zum vierzehnten oder fünfzehnten Jahre. Kurz, Geistes­wissenschaft stellt nicht die abstrakte Frage: Wie wirkt Seele auf den Leib? Geisteswissenschaft studiert das konkret Seelische, weiss nur, dass man auf das konkret Seelische in bestimmten Lebensaltern hinsehen muss und dass dieses in andern Lebensaltern gerade auf den Leib wirkt. Also sie verwandelt die abstrakte und dadurch so unbefriedigende Behandlungsmethode der heutigen Psychologie und Physiologie in ganz konkrete Methoden. Und im weiteren Verlaufe kommt man dann dazu, dass man nicht im allgemeinen solches durch Geisteswissenschaft feststellen kann, wie etwa das: in den ersten sieben Lebensjahren wirkt Gleichgewichtskraft, Bewegungs-, Lebenskraft, sondern man kann spezialisieren, indem man das Gei­stige konkret anschauen, spezialisieren lernt, wie dieses Geistige in den Organen sich äussert, wie dieses Geistige in Lunge, Herz, Leber und so weiter wirkt. Man bekommt die Möglichkeit, wirklich leben­dig hineinzuschauen in den menschlichen Leib. Da stellt sich etwas ganz anderes heraus als Erkenntnis des Materiellen, als der Materialis­mus das kann. Das Eigentümliche beim Materialismus ist, dass er sich einer falschen, nämlich einer abstrakten, einer abgezogenen Geistig­keit hingibt. Das Eigentümliche der Geisteswissenschaft wird sein, dass sie gerade das Materielle in der richtigen Weise zu beurteilen vermag. Natürlich geht sie nach der andern Seite auch in der rich­tigen Art nach dem Geistigen hin. Immer deutlicher sollte man eigentlich bekämpfen diejenige Meinung, die von nebulosierenden Mystikern ausgeht, als wenn die Geisteswissenschaft etwas wäre, das auf Phantasmen, auf Allgemeinheit, auf Redereien eingeht. Nein, Geisteswissenschaft geht gerade auf das Konkrete ein und möchte eine Anschauung liefern, wie das Geistig-Seelische bis in die einzel­nen Organe hineinwirkt. Denn nur dadurch erkennt man das materielle Dasein, dass man das Wirken der Geistigkeit in konkreter Weise im materiellen Dasein kennenlernt. Aber namentlich durch

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solches konkretes Eindringen in den menschlichen Organismus erwirbt man sich allmählich, weil man so etwas nur durch eine Art von Imagination, Inspiration und so weiter erwirbt, man erwirbt sich allmählich eine Fähigkeit, ich möchte sagen eine Begabung, das Individuelle wirklich zu sehen und dann beurteilen zu können, wo irgendein besonderer Fehler liegt, wenn zum Beispiel Sprach­störungen vorliegen.

Da wird die Möglichkeit in einem gewissen kindlichen Lebens­alter vorhanden sein, gerade durch besondere Sprachübungen auf die Entwicklung der Sprachorgane zu wirken. Es handelt sich dabei darum, dass man gerade im rechten Lebensalter dasjenige merkt, das­jenige beobachten kann, was vielleicht selbst an physischen Störun­gen vorliegt. Und obwohl wir einfach durch die äusseren Verhält­nisse verhindert sind - man erkennt ja heute nur dasjenige an und lässt es irgendwelche Praxis ausüben, was amtlich abgestempelt ist nach dieser Richtung hin -, obzwar also alle möglichen Hindernisse vorliegen, so können wir doch sagen, dass zum Beispiel gerade mit Bezug auf Sprachstörungen manche schönen Resultate einfach dadurch erzielt worden sind, dass man rhythmische Sprachübungen machen lässt, dass man den besonderen Fehler erkennt, der vorliegt, und dass man dann den Menschen mit dem fehlerhaften Sprach-Organismus in diesem oder jenem Sprachrhythmus Dinge rezitieren, immer wiederholen lässt, dass man ihn darauf verweist, sich beson­ders fühlend hineinzuverlegen in den rhythmischen Verlauf dieser oder jener Töne. Nach dieser Richtung hin kann man ganz beson­ders bedeutsame Behebungen oder auch wenigstens Erweiterungen in bezug auf solche Störungen bewirken.*

Aber auch ein anderes ist möglich. Man kann zum Beispiel bei Sprachstörungen besonders wirken auf eine Regulierung des Atmungsprozesses, eine Regulierung des Atmungsprozesses, die allerdings dann ganz individuell sein muss. Diese Regulierung des Atmungsprozesses kann man dadurch erreichen, dass man den­jenigen, den man behandeln will, ein Gefühl entwickeln lässt zwischen dem innerlichen Hersagen, ja vielleicht nur Denken, aber

* Vergleiche die Bemerkungen auf Seite 138 ff. Ferner: Rudolf Steiner, Pädagogischer Kurs Basel 1920, Vortrag XII, Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 301.

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breitem Denken, langsamem Denken gewisser gedanklicher oder Wortzusammenhänge. Da stellt sich das Eigentümliche ein, dass man, wenn man solche Wortzusammenhänge in der richtigen Weise formt, dass man dann dem zu Behandelnden, indem man sich hingibt an einen solchen Gedankenrhythmus oder innerlichen Wortrhythmus, dass man dem ein Gefühl übermittelt: bei diesem Worte und seinem Verlauf, seinem langsamen oder schnellen Ver­lauf, merkst du das an deinem Atem. Der Atem verändert sich nach dieser oder jener Weise; dem gehst du nach. Man bringt ihm in einer gewissen Weise dasjenige, was sich als Parallelerscheinung des Atems ergibt für das Sprachvorstellen, man bringt ihm das zum Bewusstsein. Und wenn der zu Behandelnde einem dann etwas erzählen kann darüber, dann versucht man wiederum weiter nach­zuhelfen. So dass, wenn er einmal den Atmungsprozess sich zur Bewusstheit gebracht hat, er nach und nach allein dahin gelangt, auch in bewusster Weise jetzt selbst - ich möchte sagen - Wort-zusammenhänge, die er sich bildet in diesem Atmungsprozess, den er jetzt in einer gewissen Weise bewusst verfolgen kann, in ent­sprechender Art einschnappen zu lassen.

Also man hat sich die Sache so zu denken: Dadurch, dass man zunächst Rhythmen gibt, die, je nachdem die Sache so oder so liegt, innerlich zu denken, zu murmeln, zu flüstern sind oder laut herzu­sagen sind, ruft man bei dem Betreffenden hervor das Bemerken einer Veränderung des Atmens. Jetzt weiss er: der Atem verändert sich in dieser Weise. Und nun verbietet man ihm in gewissem Sinne, gerade dasjenige an Wort- oder Gedankenmaterial zu gebrauchen, was man ihm gegeben hat. Man macht ihn darauf aufmerksam, er soll sich selbst jetzt etwas Ähnliches bilden. Und dann kommt er darauf, einen bewussten Parallelismus dieses ganzen inneren Denk-oder Wort- oder innerlichen Hör-Ablaufs von Worten mit dem Atemprozess herbeizuführen. So dass ein gewisses Atmen immer einschnappt auf ein innerliches Vorstellen oder innerliches Hören von Worten. Dadurch gleicht sich sehr vieles von dem aus, was -ich möchte sagen - eine schlechte Assoziation ist zwischen den Vorgängen, die mehr mentaler Art sind, mehr nach dem Seelischen hin liegen, indem man spricht, und denjenigen Vorgängen, die im

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Organismus als mehr materielle, als physische Vorgänge sich ab­spielen. Das alles wirkt ganz besonders günstig, wenn man es in der richtigen Kindheitsepoche anwendet. Und man kann schon sagen:

Würden unsere Pädagogen bessere Psychologen sein, würden sie wirklich eine konkrete Erkenntnis des menschlichen Leibes aus dem Geiste heraus haben, so würden sie auch in einer ganz andern Weise gerade pädagogisch auf die Sprachstörungen einwirken können.

Nun, man kann allerdings dasjenige, was ich da erwähnt habe, auch zu einer gewissen Therapie ausbilden und wird da manches sehr Günstige auch noch für das spätere Lebensalter leisten können. Von besonderer Wichtigkeit aber scheint mir auch zu sein, und auch da könnte schon auf gewisse Erfolge, die nach dieser Richtung erzielt worden sind, hingedeutet werden -, von besonderer Wichtigkeit scheint mir auch zu sein, dass solche Dinge geheilt werden können durch eine besonders rationelle Anwendung des Nachahmungsprin­zipes. Dann aber muss man eine viel intimere subjektiv-objektive Erkenntnis des ganzen menschlichen Organismus und seiner Teile haben.

Sehen Sie, die Menschen sprechen im Leben miteinander. Sie merken im Leben wenig von den - ich möchte sagen - imponde­rablen Wirkungen, die von Mensch zu Mensch ausgeübt werden beim Sprechen. Diese Wirkungen sind aber doch da. Wir sind heute so abstrakt geworden, dass wir eigentlich nur den andern auf den Verstandesinhalt hin anhören. Die wenigsten Menschen haben heute ein Gefühl davon, was eigentlich gemeint ist, wenn ein mit etwas mehr psychisch-organischem Mitgefühl ausgestatteter Mensch, nach-dem er mit einem andern gesprochen hat, nun fühlt, wie er die Sprechweise des andern in seinem eigenen Sprachorganismus bis zu einem hohen Grade bewusst mit weiterträgt. Die wenigsten Men­schen haben heute ein Gefühl davon, was man nach dieser Richtung alles erlebt, wenn man hintereinander mit vier, fünf, sechs Men­schen zu sprechen hat, von denen der eine hustet, der zweite heiser ist, der dritte einen anschreit, der vierte ganz unverständlich redet, denn das alles macht der eigene Organismus mit; der vibriert fort­während mit, der erlebt das alles mit.

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Wenn man nun ausbildet dieses Gefühl des Miterlebens der Sprache, dann erlangt man allerdings ein starkes Gefühl - ich möchte sagen auch für die Abwehr. Da tritt das Eigentümliche auf, dass man gerade bei solchen Dingen, die so eng mit der Subjektivität des Menschen verbunden sind wie Sprachstörungen, dass man da dann herausfindet, in welcher Weise man vorsprechen muss irgend jemandem, der an Sprachstörungen leidet, wie man ihm vor­sprechen muss, damit er durch Imitation, durch Nachahmung man­ches erreicht. Ich habe Stotterer kennengelernt, wenn man ihr Stot­tern hat nachfühlen können und ihnen dann namentlich Rhyth­misches vorgesprochen hat, dann bringt man sie dahin, dass sie wirk­lich so etwas - ich rede jetzt vergleichsweise - erreichen wie ein Ver­gessen ihres Storterns, indem sie nachlaufen dem Vorsprechen. Aller­dings muss man dann das menschliche Mitgefühl bis in dieses Orga­nische hinein entwickeln können.

Es beruht überhaupt ungeheuer viel im Therapeutischen darauf, dass man vergessen machen kann das subjektive Erleben, das mit irgendeinem objektiven Vorgang verknüpft ist. Und namentlich ist zum Beispiel ein wirkliches Heilmittel für Sprachstörungen ganz besonders dies, wenn man die Zeit richtig anwendet zwischen dem siebenten und vierzehnten Jahre, dass man möglichst die Sprach-gestörten liebevoll zu solcher eben geschilderten Nachahmung bringt. Es ist ja so, dass man weitaus die Erfahrung macht, Stotterer zum Bei­spiel können manchmal drei Worte nicht ordentlich aussprechen, ohne anzustossen, nicht drei Worte ordentlich hintereinander heraus­bringen.* Gibt man ihnen eine Dichtung zu rezitieren, der sie ganz hingegeben sein können, die sie lieben können, und steht man ge­wissermassen hinter der Sache als ein aufmerksamer Zuhörer, dann können sie ganze lange Strophenreihen sagen, ohne zu stottern. Aber dass man solche Gelegenheiten herbeiführt, wo sie so etwas tun, das ist dasjenige, was hier von psychischer Seite her ganz besonders ein gutes therapeutisches Mittel ist. Ein Schlechtes erweist man gerade Menschen mit solchen Fehlern, wenn man sie durch irgend etwas äusserlich auf diese Fehler hinweist. Ich hatte einen Freund, der auch

* Vergleiche Seite 141 und 142

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Dichter war, der konnte sich nur immer in einer sehr explosiven Weise äussern, wenn irgendein taktioser Mensch kam, der ihn hinwies auf sein Stottern. Da fragte ihn einmal jemand « taktvoll»: « Herr Doktor, stottern Sie immer so? » Da sagte er: « Nein, nur wenn ich einem gegenüberstehe, der mir durchaus unsympathisch ist » - Ich hätte natürlich furchtbar stottern müssen, wenn ich es in Wirklich­keit hätte nachahmen wollen, wie diese Antwort gegeben war! *

Nun wird man aber nach und nach erkennen, welch ein bedeut­sames Heilmittel man gegen solche und ähnliche Fehler des mensch­lichen Organismus in der Eurythmie haben kann. Diese Eurythmie, sie kann - ich möchte sagen - nach zwei Seiten hin verfolgt werden. Die eine Seite ist die, auf die ich immer in den « Ein. leitungen> * * aufmerksam mache, die ich zu den Vorstellungen gebe. Da zeige ich, wie bewusst wird durch sinnlich-übersinnliches Schauen an dem heutigen Menschen der Sprachorganismus mit sei­nen Bewegungstendenzen, die dann auf den ganzen menschlichen Organismus übertragen werden. Aber nicht wenig Bedeutung hat auch der umgekehrte Weg. Denn, sehen Sie, bei dem, was Ihnen heute in einem Vortrag von einem anderen Gesichtspunkt aus sehr gut vorgebracht worden ist, nämlich bei der Sprachentstehung spielt ganz zweifellos, ganz gewiss eine Ur-Eurythmie der Menschen eine ganz bedeutsame Rolle. Die Dinge haben nicht den Klang gleichsam in sich in dem Sinne, wie es die Bim-bam-Theorie behauptet***, aber es besteht zwischen allen Dingen, zwischen dem ganzen Makrokos­mos und der menschlichen Organisation, diesem Mikrokosmos, eine Beziehung, und im Grunde genommen kann alles dasjenige, was äusserlich in der Welt geschieht, auch durch die menschliche Organi­sation in einer gewissen Weise gebärdenhaft in Bewegung nach­gebildet werden. Und so haben wir denn fortwährend im Grunde genommen allen Erscheinungen gegenüber die Tendenz, sie durch

* Vergleiche auch: Rudolf Steiner, Sprachgestaltung und Dramatische Kunst, Gesamt-

ausgabe Bibl.-Nr. 282, Seite 362.

* * Vergleiche: Rudolf Steiner, Eurythmie. Die Offenbarung der sprechenden Seele. An-sprachen zu Eurvthmie-Aufführungen 1918-1924. Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 277.

* * * Siehe Seite 83

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unseren eigenen Organismus nachzubilden. Wir führen das nur mit dem physischen Organismus nicht aus, sondern wir führen es mit dem Ätherorganismus aus. Der Ätherorganismus ist in einer fort­währenden Eurythrnie begriffen.

Der ursprüngliche Mensch war viel beweglicher als der heutige. Sie wissen, dieses Entwickeln von der Beweglichkeit zu der Ruhe bildet sich noch darinnen ab, dass es heute in gewissen Kreisen durchaus für ein Charakteristikon der Bildung angesehen wird, wenn man möglichst phlegmatisch sich verhält, während man spricht, mit möglichst wenig Gesten sein Sprechen begleitet. Bei gewissen Red­nern ist es « angesehen», die Hände immer in der Hosentasche zu haben, damit sie nur ja nicht mit ihren Armen irgendwelche Gesten machen, denn das gilt als der Ausdruck einer besonders guten Rede-handhabung, wenn man wie ein Klotz ruhig dasteht. Aber das, was da karikaturhaft zum Ausdruck kommt, das entspricht nur jenem Vorschreiten der Menschheit von der Beweglichkeit zur Ruhe, und wir müssen auf dem Urgrunde der menschlichen Entwicklung in Ur­zeiten einen Übergang von einer gebärdenhaften Sprache, von einer Art Eurythmie zu der Lautsprache konstatieren. Dasjenige, was im Organismus zur Ruhe gekommen ist, hat sich spezialisiert in den Sprachorganen, hat selbstverständlich erst die Sprachorgane eigent-lich ausgebildet; wie das Auge am Licht gebildet ist, so ist das Sprachorgan gebildet an einer zuerst tonlosen Sprache. Und wenn man diese ganzen Zusammenhänge kennt, dann wird man nach und nach das Eurythmische, indem man es ordentlich einführt in das Didaktische, ganz besonders gut verwenden können, um ent­gegenzuarbeiten alidem, was sprachstörend eingreifen könnte. Und nach dieser Richtung hin wird es ja, wenn nur ein wenig Musse dazu vorhanden sein wird, eine sehr reizvolle Aufgabe sein, unsere jetzige, mehr künstlerisch und pädagogisch ausgebildete Eurythmie immer mehr und mehr auch nach der therapeutischen Seite hin auszu­bilden und eine Art Heileurythmie * auszugestalten, die sich dann insbesondere auf solche therapeutischen Forderungen erstrecken wird, wie diejenige ist, von der hier gesprochen worden ist. Ich weiss

* Vergleiche: Rudolf Steiner, Heileurythmie, Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 315.

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nicht, ob es schon erschöpfend ist, was ich gesagt habe, aber ich wollte gerade mit einigen Worten darauf eingehen.

Die «Konversation » wird durch Fragen aus anderen Gebieten fortgesetzt.

APHORISTISCHE AUSFÜHRUNGEN ÜBER

SPRACHGESTALTUNG

UND DRAMATISCHE KUNST*

1.

Unter den Kursen, die in der ersten Septemberhälfte am Goethe­anum abgehalten werden, ist ein solcher über «Sprachgestaltung und dramatische Kunst». Er möchte einer Sehnsucht, die bei vielen heute ganz ausgesprochen vorhanden ist, entgegenkommen: der, aus dem stillosen Naturalismus der Bühnenkunst wieder zu einem Stil zu kommen.

Man wird das nur können, wenn man zuallererst gewahr wird, wie der Seelengehalt des Menschen, im Worte lebend gestaltet, sich offenbart. Das moderne Bewusstsein lebt dem Sprechen gegenüber ganz in der Ideenempfindung, es hat die Laut- und Wortempfin-dung fast verloren. Aber in der Ideenempfindung geht auch die sinnlich-wahrnehmbare Geistigkeit verloren, die das Wesen aller Kunst ist.

In der Bühnenkunst muss das am meisten empfunden werden. Denn sie bedarf des Mimischen, der Gebärde, der Geste, wenn sie das Wort zur rechten Geltung bringen soll. Gebärde und Geste bin­den sich im unmittelbaren Erleben nicht mit genügender Stärke an die Ideenempfindung, sondern an die Laut- und Wortempfindung.

Im Intonieren des Lautes a offenbart die Seele ursprünglich immer das Erlebnis der Bewunderung von etwas, des Erstaunens an

* Diese Aphorismen fassen zusammen, was Rudolf Steiner in dem Kursus für Sprach­geatairung und dramatische Kunst, dem leszten, in welchem Rudolf Steiner und Marie Steiner gemeinsam wirkten, zur Darstellung brachte.

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etwas. In dem Laute 0 lebt die Empfindung des seelischen Umfas­sens von etwas. Lebt man sich in dieser Art in die Sprache ein, so wird man in der Vokalisierung das innere Seelenerleben an der Aus­senwelt, in der Konsonantisierung das Streben der Seele finden, in der Lautgestaltung ein hörbares Bild eines Gegenstandes oder Vor­ganges der Aussenwelt nachahmend zu formen.

Und dadurch kommt man zu dem Erlebnis des Wortes.

In dem b bestrebt sich die Seele die Umfassung eines Gegen­standes, in dem r das innere Erregtsein, Erzittern in einem Vorgang nachzuahmen.

In dem Gefüge von Vokalen und Konsonanten lebt die Seele in der Aussenwelt mit ihrem Leben; und es leben die Gestalten und Vorgänge der Aussenwelt im Bilde in der Seele.

In jedem Wort, in dem der a-Vokal enthalten ist, lebt etwas davon, dass die Seele über das Bezeichnete in Verwunderung oder Erstaunen ist. Das ist zumeist ganz verblasst für das gewöhnliche Bewusstsein. Aber in den unterbewussten oder auch halbbewussten Erlebnissen der Menschenseele stellt es die Beziehungen dar, die die Menschenseele zum Worte hat.

Wer durch das Wort künstlerisch offenbaren will, der muss diese Beziehungen in sich lebendig machen. Seine Seele muss sich in das Wort hineinleben; dann nur kann das Wort künstlerisch von ihm gestaltet werden.

Ein Dialog stellt dar, was zwei Menschen aneinander erleben. Die Seelen sind in Wechselwirkung. Während der eine spricht, hört der andere zu. Nun beginnt dieser zu sprechen. In seinem Worte muss nachklingen, was der Erste im Sprechen erlebt hat. Dieser hört jetzt dem Zweiten zu. In seinem stummen Zuhören muss für die dramatische Darstellung anschaulich werden, ob der Zweite ihn befriedigt, enttäuscht, bestürzt, besorgt und so weiter. Denn Kunst muss alles, was in ihr leben soll, auch zur Anschauung bringen.

Das Verhalten der Unterredner im Dialog ergibt sich, wenn ein jeder seine Seele mit der Laut- und Wortempfindung verbunden hat. Dem Darsteller wird durch diese Verbindung die Haltung, die er einzunehmen hat, zu einer Fähigkeit des Instinktes.

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Die Vorbereitung für die bühnenmässige Darstellung soll die Schulung für Laut- und Wortempfindung in sich schliessen.

Die Ideenempfindung kann keine kunstgemässe Schulung geben. Denn sie wendet sich zu stark an den Intellekt. Dieser aber zerstört das Künstlerische. Er lässt das Anschauliche in die Unanschaubar­keit des inneren Seelenlebens verschwinden. Was auf der Bühne vorgeht, muss aber in der Wahrnehmbarkeit des Gehörten und in derjenigen des Gesehenen leben; es darf keinen Anspruch erheben, von dem Intellekt des Zuhörers und Zuschauers nachkonstruiert zu werden.

Es war richtig von Aristoteles gedacht und richtig von Lessing nachempfunden, dass die tragische Handlung in Furcht und Mit­leid des Zuschauers nachschwingen muss. Diese Gefühle werden aber durch den Darsteller nur dann wachgehalten werden können, wenn er bis in die Sprachgestaltung hinein sein Seelenleben tragen kann.

Das Leben im Sprechen kann nur am Erleben der Sprache heran­gezogen werden. Man wird heute naturgemäss nicht immer Worte mit dem u-Laut zu sprechen haben, wenn man Furchtgetragenes zu sagen hat. Denn die Sprachen sind nicht mehr ursprünglich. Aber der u-Laut ist die Offenbarung des Furchterlebnisses der Seele. Hat man zu sagen: «Es naht Gefahr», so ist darin nicht der u-Laut. Aber die Intonierung, die man den Worten in diesem Falle zu geben hat, kann an der Empfindung, die sich am u-Laut erleben lässt, herangezogen werden.

Es ist das Geheimnis der Sprache, dass in jedem Laute andere unhörbar in der Seele mitklingen. Spreche ich a in einem Worte, das furchtgetragen ist, so klingt in den Tiefen der Seele der u-Laut mit. Der im gewöhnlichen Leben Sprechende hat damit selbstver­ständlich nichts zu tun. Er steht in der Situation des unmittelbaren Erlebens darinnen. Er ist mit dem Gefühle diesem Erleben nahe. Er spricht aus der erlebten Furcht die Worte: #SE280-216

Im Dialog wird eine solche Lautempfindung die Möglichkeit gewähren, dem Unterredner so zu antworten, dass der Zuschauer wahrnehmbar das Wechselverhältuis der dialogisierenden Seelen vor sich hat. Wenn im Dialog der eine der Unterredenden zuhört, wäh­rend der andere spricht, wird in ihm die entsprechende Lautempfin­dung anklingen, und aus dieser heraus wird er seiner Erwiderung die rechte Intonierung geben. Eine Farbe nimmt sich im Anschauen immer etwas anders aus, ob sie neben blau, oder neben gelb ist. Ein Satz mit was immer für Vokalen tönt anders, je nachdem in ihm der furchtgeborene u-Laut noch nachschwingt, oder der freude-getragene i-Laut.

Marie Steiner und ich besorgen den Kursus gemeinsam.

II.

In der Bühnenkunst muss das innere Leben der Sprache wieder erwachen. Denn es ist in der Sprache ein Teil der menschlichen Wesenheit enthalten.

Man findet diesen Teil, wenn man eine Anschauung sucht von dem Verhältnis des Mimischen, des Gebärdehaften zum Worte. In der Gebärde lebt eine vom Gefühl durchdrungene Willensoffen­barung des Menschen. Das Seelisch-Geistige ist als Bild in der Ge­bärde vorhanden. Insoferne das Seelisch-Geistige das Gefühl in die Bildhaftigkeit der Gebärde ausströmen lässt, offenbart sich die Men­schenwesenheit in der Kraft des Willens nach aussen. Man hat es da mit einem Sichtbarwerden der menschlichen Wesenheit so zu tun, dass das Innere nach aussen getragen wird.

Aber der Mensch kann seine eigene Gebärde, sein eigenes Mi­misches empfinden, vorstellen, wie er Dinge und Vorgänge der Aussenwelt vorstellt. Es liegt in dem Vorstellen der Gebärde dann eine Art Erfüllung des Bewusstseins mit der inneren menschlichen Wesenheit vor.

Die menschliche Organisation bringt im gewöhnlichen Leben diese Übertragung der willengetragenen Gebärde in die Vorstellung nicht zu Ende. Sie hält sie auf halbem Wege auf. Und da, wo sie

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sie aufhält, entsteht die Sprache. In dem Worte ist Mimisches und Gebärdenhaftes verkörpert. Das Wort ist selbst eine Gebärde in anderer Form.

Wer die Lautempfindung entwickelt, für den wird wahrnehmbar, wie die Gebärde in den Laut hineinschlüpft; und er kann im Spre­chen ein in das Seelenhafte verfeinertes Erleben der Gebärde haben.

Will man das Sprechen zur künstlerischen Gestaltung bringen, dann muss man in dieser Art den Wortcharakter mit dem Erlebnis des Mimisch-Gebärdehaften in sich tragen können.

Und nur dadurch, dass das Wort mit dem Kolorit dieses Erlebens sich der Kehle des Menschen entringt, kann es zum Bühnenwort werden.

Im Buhnenworte muss lautlich der bewegte Mensch zur Offen­barung kommen. Dann nur wird eine anschauliche Verbindung der Gebärde, des Mirnischen mit dem Gesprochenen vor dem Auge und Ohr des Zuschauers stehen. Und das Drama wird durch Worte und Geste des Schauspielers fliessen können.

Was im menschlichen Organismus beim gewöhnlichen Sprechen in den tief verborgenen Regionen des Unbewussten vor sich geht:

die Umwandlung der Miene und Gebärde in die Intonierung des Lautes, das muss in künstlerischer Empfindung der Schauspieler vor das phantasievolle Bewusstsein bringen, damit in ihm phantasie-bewusste Gestaltung des Wortes wird, was die menschliche Wesen­heit im Sprechen sonst ganz unbewusst tut, ja in den vorgerück­teren Sprachen in die Farblosigkeit der Wortgestaltung hinein ganz verloren hat.

Bei der Schulung des Schauspielers muss daher von der Verkör­perung des seelischen Erlebnisses zunächst in Mimik und Gebärde ausgegangen werden. Es wird das mit einiger Vollkommenheit nur möglich sein, wenn der angehende Schauspieler an der Seite eines Rezitators, der das Sprechen besorgt, zuerst die Rolle im mimischen und gebärdehaften Ausdruck übt, und dann zu diesem Dann wird die Seele, die in willensmässiger Art sich der Bewe­gungsoffenbarung anvertraut, auch auf den Wellen der Worte leben können. Denn im Erregen der Gebärde wird die Seele erlebt;

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und in dem aus der Gebärde geberenen Worte wird dieses Erlebnis in die haibruhige Gestaltung des Lautlichen gebracht.

Lebt sich der &hauspieler in diesen Zusammenhang von Laut und Gebärdenbewegung ein, so wird die Wortgestaltung in ihm künstlerischer, phantasiegetragener Instinkt. Es muss dieses Instink­tive in das Erleben hineinkommen, sonst erscheint die Darstellung als gemacht. Sie muss aber, um Kunst zu sein, als etwas völlig selbstverständlich Geborenes erscheinen.

Man wird den Willen zu einer solchen Erfassung der Bühnen-kunst nur aufbringen, wenn man von einer geistgemässen Anschau­ung der menschlichen Wesenheit ausgehen kann. Denn eine solche wird in dem bewegtsprechenden Menschen das Weben des Geistig-Seelischen erkennen; und dieses kann dann für die Buhnendarstel­lung die rechte Grundstimmung abgeben. Menschenerkenntnis, Verwandlung der Menschenerkenntnis in praktische Gestaltung des

Lautlich-Gebärdehaften: das ist die Grundlage der Bühnenkunst. Was innerlich mit dem ganzen Menschen erlebt wird, das Sich-Anvertrauen dem lautbegleiteten Gestus, dem gebärdebegleitenden Worte: das ist Schauspielkunst.

In dem jetzt am Geetheanum abgehaltenen Kursus über Sprach-gestaltung und dramatische Kunst bildet das eben Ausgesprochene einen Teil dessen, was als Anregung gegeben werden möchte. Das Künstlerische der Bühne möchten wir anregen. Marie Steiner hat seit vielen Jahren die Rezitations- und Deklamationskunst so aus-gebildet, dass in ihr das Künstlerische der Sprachgestaltung zum anschaulichen Erlebnis erhoben wird. Dass nach dieser Seite hin das anthroposophische Wirken sich entfalten kann, ist ihr Ver­dienst. Sie hat denn auch diesen Kursus angeregt und wirkt in demselben durch ihre Rezitationskunst mit. Es haben sich unter ihrer Anregung eine grössere Zahl von Bühnenkünstlern hier am Goetheanum eingefunden, die unter ihrer Führung in die drama­tische Kunst das aufnehmen möchten, was Anthroposophie geben kann.

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III.

DAS BÜHNENBILD UND DIE REGIEKUNST

Die Ausführungen, die bisher aus dem «Kursus für Sprach-gestaltung und dramatische Darstellungskunst» heraus hier gege­ben worden sind, sollten zeigen, wie die Schauspielkunst von der Seite der Sprache her den Weg zum Stil findet.

Für die Gestaltung der Dichtung auf der Bühne bedarf die Regiekunst des Einlebens in die Welt der Farbe. Das kommt für die Kostürnierung der Personen ebenso in Betracht wie für das deko­rative Bühnenelement. Denn für den Zuschauer muss das, was er als Wort hört, als Geste sieht, mit der Gewandung des Schauspie­lers und mit dem plastisch-malerischen Bühnenbild zu einem Gan­zen sich verweben.

Da kommt es auf die Möglichkeit an, in der Farbentönung Stil zu entfalten. Deshalb muss die Bühnenkunst sowie die Malerei jenen Übergang verstehen, der von dem Anschauen (Wahr­nehmen> der Farbe an den Dingen und Vorgängen der Aussenwelt zu dem Erleben des Inneren der Farbe führt.

Eine tragische Stimmung in einem rötlich oder gelblich gehal­tenen Bühnenbild ist unmöglich. Eine heitere Seelenverfassung auf blauem oder dunkelviolettem Hintergrund ebenso.

In der Farbe lebt das Gefühl auf räumliche Art. Wie der An­blick des Roten eine heitere Grundstimmung der Seele, des Blauen eine ernste, des Violetten eine feierliche auslöst, so fordert das he-bend-hingebende Verhalten einer Person zu einer andern die räum­liche Verkörperung in der rötlich gehaltenen Gewandung und in det ebenso rötlich gehaltenen Tönung der dekorativen Umgebung. Das verehrend-andächtige Erleben einer Person fordert für beides eine bläulich gehaltene Tönung.

Ein ähnliches gilt für den zeitlichen Ablauf der dramatischen Handlung. Geht diese von dem allgemeinen Interesse, das man im Anfange an Charakteren und Handlung nimmt, zu tragischen Katastrophen über, so entspricht dem ein Übergang in der Tönung von den hellen gelblich-roten, gelblich-grünen Farben zu den grünlich-blauen

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und blau-violetten. - Der Fortgang in der Stimmung zu einem heiter-befriedigenden Lustspielende fordert den Übergang in der Farbentönung vom grünlichen zum gelbroten oder rötlichen.

Doch damit ist nur ein Gesichtspunkt angedeutet. Zu diesem kommt der andere, dass in dem Nebeneinanderstehen der Charak­tere diese in der Farbentönung sich offenbaren.

Man wird einen zornmütigen Menschen nicht in blauer Gewan­dung auftreten lassen, sondern in einer solchen mit heller Farben­tönung, wenn man es mit einer tragischen Grundstimmung zu tun hat. Man kann aber einen zornmütigen Menschen, wenn die Dich­tung es fordert, auch im ernst-feierlichen Blau erscheinen lassen. Er wird dann humoristisch wirken.

Ein freudig erregter Mensch auf einem blauen Hintergrunde, ein traurig gestimmter auf einem gelben wirken so, wie wenn sie in ihrer Umgebung nicht am rechten Platze wären; man lächelt über den ersteren und bemitleidet den zweiten.

Diese feinen Wirkungen spielen sich zwischen Bühne und Zu­schauern ab. Ihre künstlerisch-phantasievolle Erkenntnis gehört zu dem, was die Regiekunst ausmacht.

In der Licht- und Farbentönung dessen, was gleichzeitig auf der Bühne erscheint, kombiniert und harmonisiert mit derjenigen, die sich auf das in der Zeit Verlaufende bezieht, wird sich der ganze Fortgang der dramatischen Handlung von einer Seite aus offen­baren lassen.

Man wird bei einer richtigen Auffassung der Sache gegenüber dem Angedeuteten nicht den Vorwurf erheben, dass die Künste hier in ungehöriger Art miteinander vermischt werden sollen. Denn in der praktischen Ausführung der Sache wird man finden, dass der Regisseur ein ganz anderes Einleben in die Farbe braucht als der Maler. Das beruht darauf, dass der Maler seine Gestaltungen aus der Farbe heraus geboren werden lässt, während die Regiekunst Charakter und Handlung in das leuchtend-farbige Bühnenbild hin­einstrahlen lässt. Ein Maler, der das letztere tut, wird dekorativ im üblen Sinne; ein Regisseur, der in ersterem sich ergehen würde, ertötete das Leben auf der Bühne.

Bei einer Darstellung im Freien, bei der man mit der Ausstrahlang

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im Farbigen nicht rechnen kann, wird man eine viel kolo­riertere Sprachgestaltung und eine dem Innenerleben der Personen deutlicher entsprechende Gewandung brauchen, als in dem künst­lich hergestellten geschlossenen Bühnenbilde. Das kommt aber nicht in Betracht, wenn es sich um die Darstellung der freien Natur im geschlossenen Bühnenbilde handelt. Da gilt durchaus, was in bezug auf die Farbentönung hier gesagt worden ist.

So wird man für das Bühnenbild nach Stilisierung von Licht und Farbe streben. Dagegen wird die Stilisierung des Linienhaften, Formhaften, Plastischen gemacht, maniriert erscheinen. Ein stili­sierter Wald, eine stilisierte Architektur sind etwas Karikaturen­haftes. Da wird der Übergang zur realistischen Darstellung not­wendig sein. Da setzt sich, was sich im Drama aus der Natur im übrigen heraushebt, in diese hinein wieder fort.

Wenn die rechte Sprachgestaltung durch die rechte Geste inner­halb des rechten Bühnenbildes sich offenbart, dann wird der Geist, der im Drama lebt, als Seele sich von der Bühne herab kundgeben. Und in einem solchen Kundgeben ist nur allein das Künstlerische möglich.

Der Naturalismus entsteht nur aus der Ohninacht gegenüber dem künstlerischen Gestalten. Er tritt auf, wenn der Stil den Geist verloren hat und zur Manier ausgeartet ist; er wird aber auch mit dem Geiste wieder gefunden.

SCHLUSSWORT

In einer Bemerkung, die wir im «Vorwort» abdruckten, weist Marie Steiner darauf hin, dass dem Kursus für Sprachgestaltung und dramatische Kunst fünf Sprachgestaltungsstunden vorangingen. Diese Veranstaltung war ursprünglich nicht vorgesehen, denn der Kursus sollte eigentlich am 2. September beginnen; aber die Ankunft Dr. Steiners, der auf Reisen war und noch am 30. August in London einen öffentlichen Vortrag zu halten harte, den Rückweg nach Dor­nach indessen über Stuttgart nehmen musste, wo er durch Be­sprechungen und eine Konferenz mit dem Lehrerkollegium der

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Freien Waldorfschule am 3. September länger, als es beabsichtigt war, festgehalten wurde, verzögerte sich. So ergab sich eine Ein­führung in Sprachgestaltung durch Marie Steiner für die in Dornach Wartenden vom 2. bis zum 4. September. Am 5. September begann dann der eigentliche Kursus und erstreckte sich bis zum 23. Sep­tember 1924. Ein Bild von dem Verlauf dieser Sprachgestaltungs-stunden kann man sich gut durch eine Beschreibung Rudolf Steiners verschaffen, die er im «Zu einem Kursus über künstlerische Behandlung der Sprache, der von Frau Marie Steiner abgehalten wurde, hatten sich so viele Teilnehmer gemeldet, dass in dieser Richtung eine Begrenzung der Teilnehmerzahl eintreten musste. Es ist sachgemäss, dass bei einem solchen Kurse die Anwesenden zu wirklichen Übungen im Sprechen kommen. Man kann deswegen nicht eine unbegrenzte Teilnehmer­zahl haben. Diesmal wurde ein Mittelweg dadurch eingeschlagen, dass man einer möglichen Teilnehmerzahl die vorderen Plätze anwies, wo mit ihnen die Übungen gemacht werden konnten, wäh­rend eine grössere Anzahl von Zuhörern in den weiteren Sitzreihen das entgegennehmen konnte, was durch stummes Zuhören zu gewinnen ist. Frau Marie Steiner wählte diesen Weg, weil sie dem so befriedigenden Interesse entgegenkommen wollte, das sich in Anthroposophenkreisen für die Sprachkunst in einem weiten Um­fang zeigt. Dieses Interesse ist im höchsten Grade erfreulich. Denn es zeigt ein Wachsen des Verständnisses für die Art der künstleri­schen Sprachbehandlung, die aus dem anthroposophischen Geiste heraus durch Frau Marie Steiner gepflegt wird. Es steht zu hoffen, dass durch das weitere Wachsen dieses Verständnisses die Kunst des Sprechens in immer weiteren Kreisen Eingang finden wird. Das kann bei der grossen Bedeutung, welche diese Kunst für die Persön­lichkeitskultur hat, recht segensreich wirken.»

ZEITTAFEL

#G280-1975-SE226 Methodik und Wesen der Sprachgestaltung

#TI

ZEITTAFEL

#TX

Zur Orientierung werden die im Zusammenhang mit diesem Buche stehenden Kurs-oder Vortragsveranstaltungen von Rudolf Steiner und Marie Steiner aufgeführt.

1919

Stuttgart: Rudolf Steiner: Pädagogischer Kurs.

26. August bis Sprech-Übungen unter Mitwirkung von Marje Steiner

6. September innerhalb des Seminars für das Iehrerkollegiutn der Freien Waldorfschule (vor Eröffnung der Schule).

1920

Dornach: Rudolf Steiner und Marie Steiner: Drei Veranstaltungen

29. September über innerhalb des ersten

6. Oktober Hochschulkurses am Goetheanutn.

13. Oktober

Dornach: Rudolf Steiner über in einer Fragen-

4 Oktober beantwortung, Goetheanum.

1921

Dornach: Rudolf Steiner über 6. April trags> mit rezitatorischen Beispielen durch Marie Steiner.

Dornach: Rudolf Steiner über Schauspielkunst. Eine Fragenbeant-

10. April wortung.

Darmstadt: Rudolf Steiner über mit

30. Juli rezitatorischen Beispielen durch Marie Steiner innerhalb der Hochschulveranstaltung , veranstaltet von der Studentenschaft der Tech­nischen Hochschule (vom 25. bis 30. Juli).

#SE280-227

Dornach: Rudolf Steiner: Orientierungskurs für die anthtoposo­

11. bis 16. phische und Dreigliederungs-Arbeit in der &hweiz,

Oktober Goetheanutn.

1922

Wien: Rudolf Steiner über mit

7. Juni rezitatorischen Beispielen durch Marie Steiner innerhalb des West-Ost-Kongresses (vom 1. bis 12. Juni).

Dornach: Marie Steiner: Kursus über künstlerische Sprachbehand­

15. Juli bis lung am Goetheanutn mit Erklärungen von Rudolf

5. August Steiner.

Stuttgart: Marie Steiner: Kursus über künstlerische Sprachbehand­

2. Oktober bis lung während des Pädagogischen Jugendkurses mit Erklä­

15. Oktober rungen von Rudolf Steiner.

1923

Stuttgart: Rudolf Steiner über mit

29. März rezitatorischen Beispielen durch Marie Steiner innerhalb der künstlerisch-pädagogischen Tagung der Freien Wal­dorfschule (vom 25. bis 29. März).

Den Haag: Marie Steiner: Kursus über künstlerische Sprachbehand­13. bis 18. lung mit Erklärungen von Rudolf Steiner. November

1924

Breslau: Marie Steiner: Kursus über künstlerische Sprachbehand­7. bis 16. Juni lung innerhalb der Anthroposophischen Tagung zu

Pfingsten.

Arnheim: Marie Steiner: Kursus über künstlerische Sprachbehand­17. bis 24. Juli lung innerhalb der Anthroposophisch-pädagogischen

Tagung.

Dornach: Marie Steiner: Fünf Kursstunden über künstlerische

2. bis 4. Sprachbehandlung vor Feginn des Kurses über September gestaltung und Dramatische Kunst>.

Dornach: Rudolf Steiner und Marie Steiner: 5. bis 23. und Dramatische Kunst>. Kursus für die Sektion der

September redenden und musischen Künste am Goetheanutn.

LITERATURHINWEIS

#G280-1975-SE228 Methodik und Wesen der Sprachgestaltung

#TI

LITERATURHINWEIS

#TX

Rudolf Steiner:

9.11.1888 Goethe als Vater einer neuen Asthetik, Dornach 1963; in «Metho­dische Grundlagen der Anthroposophie 1884-1901>, Bibl.-Nr. 30,

Gesamtausgabe Dornach 1961, und in

1889-1900 Veröffentlichungen aus dem literarischen Frühwerk, jetzt: Ge­sammelte Aufsätze zur Dramaturgie 1889-1900, Bibl.-Nr. 29, Ge­samtausgabe Dornach 1960

28.10.1909 Das Wesen der Künste, in 271, Gesamtausgabe Dortiach 1961

20. 1.1910 Die Geisteswissenschaft und die Sprache, in keit des Menschen in Sprache, Lachen und Weinen«, Dornach 1970.

Vorgesehen für Bibl.-Nr. 58 der Gesamtausgabe

28.12.1914 Technik und Kunst. Ihr Zusainmenhang mit dem Kulturleben der Gegenwart. Die Sprache, in

29. und Umwandlungsimpulse der künstlerischen Evolution der Mensch-

30.12.1914 heit, in «Kunst im Lichte der Mysterienweisheit», Bibl.-Nr. 275, Gesamtausgabe Dornach 1966

9. 1.1915 Das Ich, von außen wahrnehmbar, als Sprache und Gesang,

als schöpferische Phantasie, als Innenerlebnis, Dornach 1935. Vor­

gesehen für Bibl.-Nr. 161 der Gesamtausgabe

28. 3.1915 Das innere Verhältnis der Sprache zu den Gedanken. Das Nibe­

lungenlied und Wilhelm Jordan, Dornach 1935. Vorgesehen für

Bibl.-Nr. 161 der Gesamtausgabe

17. 7.1915 Das Reich der Sprache. Die Sprache als Spiegelung des Lebens

höherer Wesen, Dornach 1935. Vorgesehen für Bibl.-Nr. 162 der

Gesamtausgabe.

18. 7.1915 Der verlorene Einklang zwischen Sprechen und Denken. Die Zer­

klüftung von Menschengruppen nach Sprachen, Dornach 1938.

Vorgesehen für Bibl.-Nr. 162 der Gesamtausgabe

17. 2.1918 Das Sinnlich-Übersinnliche in seiner Verwirklichung durch die

Kunst, in «Kunst und Kunsterkenntnis», Bibl.-Nr. 271, Gesamt­

ausgabe Dornach 1961

31. 8. bis Das Walten der kosmischen Vernunft im Sprach-Entstehen, in

2. 9.1918 «Die Wissenschaft vom Werden des Menschen», Bibl.-Nr. 183, Ge­

samtausgabe Dornach 1967

#SE280-229

28. bis Die soziale Frage als Seelenfrage. Das innerliche Erleben der

30. 3.1919 Sprache, in Geschehen», Bibl.-Nr. 190, Gesamtausgabe Dornach 1971

1918-1924 Eurythmie. Die Offenbarsmg der sprechenden Seele, Bibl.-Nr. 277, Gesamtausgabe Dornach 1972

26. 9.1920 bis Die Kunst der Rezitation und Deklamation, Bibl.-Nr. 281, Ge­

29. 3.1923 samtausgabe Dornach 1967

6. 4.1921 Die Kunst des mündlichen Vortrags, in und Deklamation», Bibl.-Nr. 281, Gesamtausgabe Dornach 1967

10. 4.1921 Rudolf Steiner über Schauspielkunst, in dramatische Kunst», Bibl.-Nr. 282, Gesamtausgabe Dornach 1969

11. bis Anthroposophie, soziale Dreigliederung und Redekunst. Orientie­

16.10.1921 rungskurs für die öffentliche Wirksamkeit mit besonderem Hin­blick auf die Schweiz, Bibl.-Nr. 339, Gesamtausgabe Dornach 1971

18.12.1921 Das verlorengegangene Urwort. Das Alphabet, ein Ausdruck des Menschengeheimnisses. Die sieben freien Künste, in «Nordische und mitteleuropäische Geistimpulse, Das Fest der Erscheinung Christi», Bibl.-Nr. 209, Gesamtausgabe Dornach 1968

1. 4.1922 Die Erkundung und Formulierung des Weltenwortes in der Ein-und Ausatmung, in 16. 9. bis Die Grundimpulse des weltgeschichtlichen Werdens der Mensch-

1.10.1922 heit, Bibl.-Nr. 216, Gesamtausgabe Dornach 1965

2.12.1922 Des Menschen Außerung durch Ton und Wort, Dornach 1928. Vorgesehen für Bibl.-Nr. 283 der Gesamtausgabe 1974 und als Einzelausgabe

4.12.1922 Erinnerung und Liebe. Die Erfassung des Künstlerischen in seiner Geistigkeit. Enthüllung des Ton- und Lautgeheimnisses, in 6. 4.1923 Schicksalsgestaltung in Schlafen und Wachen. Die Geistigkeit der

Sprache und die Gewissenistimme, in »Die menschliche Seele in

ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten. Die

Verinnerlichung der Jahresfeite», Bibl.-Nr. 224, Gesamtausgabe

Dornach 1966

13. 4.1923 Wiedergewinnung des lebendigen Sprachquells durch den Christus­

Impuls, in »Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit

#SE280-230

göulich-geistigen Individualitäten. Die Verinnerlichung der Jah­resfeste>, Bibl.-Nr. 224, Gesamtausgabe Dornach 1966

2. 5.1923 Der individualisierte Logos und die Kunst, aus dem Worte den Geist, das Weienhafte, herauszulösen, in , Bibl.-Nr. 224, Gesamtaus­gabe Dornach 1966

18. und Anthroposophie und Kunst. Anthroposophie und Dichtung, in

20. 5.1923 »Das Künstlerische in seiner Weltmission>, Bibl.-Nr. 276, Gesamt­

ausgabe Dornach 1961

27. 5. bis Das Künstlerische in seiner Weltmission. Der Genius der Sprache

9. 6.1923 und die Welt des in der Farbe sich offenbarenden strahlenden

Scheins, Bibl.-Nr. 276, Gesamtausgabe Dornach 1961

21. und Die imaginative Offenbarung der Sprache, in 22. 7.1923 Offenbarung der sprechenden Seele>, Bibl.-Nr. 277, Gesamtaus­

gabe Dornach 1972

13. bis Der übersinnliche Mensch, anthropoioplsisch erfaßt, Bibl.-Nr. 231,

18.11.1923 Gesamtausgabe Dornach 1962

19. bis Eurythmie als sichtbarer Gesang, Bibl.-Nr. 278, Gesamtausgabe

27. 2.1924 Dornach. Neuauflage in Vorbereitung

24. 6. bis Eurythmie als sichtbare Sprache, Bibl.-Nr. 279, Gesamtausgabe

12. 7.1924 Dornach 1968

5. bis Sprachgeitaltung und dramatische Kunst, Bibl.-Nr. 282, Gesamt-

23. 9.1924 ausgabe Dornach 1969

Marie Steiner:

Gesammelte Schriften. Die Anthroposophie Rudolf Steiners, Band I, Dornach 1967

Gesammelte Schriften. Rudolf Steiner und die redenden Künste, Band II, Dornach 1974

Eine Dokumentation: Marie Steiner, Ihr Weg zur Erneuerung der Bühnenkunit durch die Anthroposophie, Dornach 1973

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.