GA 26

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RUDOLF STEINER

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ANTHROPOSOPHISCHE LEITSÄTZE

DER ERKENNTNISWEG
DER ANTHROPOSOPHIE
DAS MICHAEL-MYSTERIUM


GA 26

1998

Inhaltsverzeichnis


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ANTRROPOSOPHISCHE LEITSÄTZE

Man soll an dieser Stelle in der Zukunft eine Art anthropo­sophischer Leitsätze finden. Sie sind so aufzufassen, daß sie Ratschläge enthalten über die Richtung, welche die Vorträge und Besprechungen in den einzelnen Gruppen der Gesellschaft durch die führenden Mitglieder nehmen kön­nen. Es wird dabei nur an eine Anregung gedacht, die vom Goetheanum aus der gesamten Gesellschaft gegeben wer­den möchte. Die Selbständigkeit im Wirken der einzelnen führenden Mitglieder soll damit nicht angetastet werden. Es ist gut, wenn die Gesellschaft sich so entfaltet, daß in völlig freier Art in den einzelnen Gruppen zur Geltung kommt, was die führenden Mitglieder zu sagen haben. Da­durch wird das Leben der Gesellschaft bereichert und in sich mannigfaltig gestaltet werden.

Aber es sollte ein einheitliches Bewußtsein in der Gesell­schaft entstehen können. Das kann geschehen, wenn man von den Anregungen, die an den einzelnen Orten gegeben werden, überall weiß. Deshalb werden hier in kurzen Sät­zen solche Darstellungen zusammengefaßt werden, die von mir am Goetheanum für die Gesellschaft in Vorträgen ge­geben werden. Ich denke mir, daß dann von denjenigen Persönlichkeiten, die in den Gruppen (Zweigen) Vorträge halten oder die Besprechungen leiten, dabei das Gegebene als Richtlinien genommen werde, um in freier Art daran anzuknüpfen. Es kann dadurch zu einer einheitlichen Ge­staltung im Wirken der Gesellschaft etwas beigetragen werden, ohne daß an einen Zwang in irgendeiner Art ge­dacht wird.

Fruchtbar für die ganze Gesellschaft kann die Sache werden,

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wenn der Vorgang auch die entsprechende Gegenliebe findet, wenn die führenden Mitglieder über Inhalt und Art ihrer Vorträge und Anregungen auch den Vor­stand am Goetheanum unterrichten. Wir werden dadurch erst aus einem Chaos verschiedener Gruppen zu einer Ge­sellschaft mit einem geistigen Inhalt.

Die Leitlinien, die hier gegeben werden, sollen gewissermaßen Themen anschlagen. Man wird dann in der anthro­posophischen Bücher- und Zyklenliteratur an den ver­schiedensten Stellen die Anhaltspunkte finden, um das im Thema Angeschlagene so auszugestalten, daß es den Inhalt der Gruppenbesprechungen bilden kann.

Auch dann, wenn neue Ideen von den leitenden Mitglie­dern in den einzelnen Gruppen zutage treten, können sie ja an dasjenige angeknüpft werden, was in der geschilderten Art vom Goetheanum aus als ein Rahmen für das geistige Wirken der Gesellschaft angeregt werden soll.

Es ist ganz gewiß eine Wahrheit, gegen die nicht gesün­digt werden darf, daß geistiges Wirken nur aus der freien Entfaltung der wirkenden Persönlichkeiten hervorgehen kann. Allein, es braucht dagegen nicht gesündigt zu wer­den, wenn in rechter Art innerhalb der Gesellschaft der eine mit dem andern im Einklange handelt. Wenn das nicht sein könnte, so müßte die Zugehörigkeit des Einzel­nen oder der Gruppen zur Gesellschaft immer etwas Äu­ßerliches bleiben. Diese Zugehörigkeit soll aber etwas sein, das man als Innerliches empfindet.

Es kann doch eben nicht so sein, daß das Vorhandensein der Anthroposophischen Gesellschaft von dieser oder je­ner Persönlichkeit nur als Gelegenheit benützt wird, um das zu sagen, was man aus dieser oder jener Absicht heraus

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persönlich sagen will, sondern die Gesellschaft muß die Pflegestätte dessen sein, was Anthroposophie ist. Alles andere kann ja auch außerhalb ihres Rahmens gepflegt werden. Sie kann nicht dafür da sein.

Es ist in den letzten Jahren nicht zum Vorteil der Gesell­schaft gewesen, daß in sie einzelne Mitglieder ihre Eigenwünsche hineingetragen haben, bloß weil sie mit deren Vergrößerung für diese Eigenwünsche ein Wirkungsfeld zu finden glaubten. Man kann sagen: warum ist dem nicht in der gebührenden Art entgegengetreten worden? - Wäre das geschehen, so würde heute überall die Meinung zu hören sein: ja, wenn man damals die Anregungen von die­ser oder jener Seite aufgenommen hätte, wo wären wir gegenwärtig? Nun, man hat vieles aufgenommen, was kläglich gescheitert ist, was uns zurückgeworfen hat.

Aber nun ist es genug. Die Probe auf das Exempel, das einzelne Experimentatoren in der Gesellschaft geben woll­ten, ist gemacht. Man braucht dergleichen nicht ins End­lose zu wiederholen. Der Vorstand am Goetheanum soll ein Körper sein, der Anthroposophie pflegen will, und die Gesellschaft sollte eine Verbindung von Menschen sein, die sich mit ihm über ihre Pflege der Anthroposophie le­bendig verständigen wollen.

Man soll nicht denken, daß, was angestrebt werden soll, von heute auf morgen erreicht werden kann. Man wird Zeit brauchen. Und es wird Geduld nötig sein. Wenn geglaubt wird, in ein paar Wochen könne verwirklicht da sein, was in den Absichten der Weihnachtstagung liegt, so wird das wieder von Schaden sein.

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Anthroposophische Leitsätze als Anregungen vom Goetheanum ausgegeben

Leitsätze Nr. 1 bis 3 (17. Februar 1924)

1. Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltenall führen möchte. Sie tritt im Menschen als Herzens- und Gefühlsbedürfnis auf Sie muß ihre Rechtfertigung dadurch finden, daß sie diesem Bedürfnisse Befriedigung gewähren kann. Anerkennen kann Anthroposophie nur derjenige, der in ihr findet, was er aus seinem Gemüte heraus suchen muß. Anthroposophen können daher nur Menschen sein, die ge­wisse Fragen über das Wesen des Menschen und die Welt so als Lebensnotwendigkeit empfinden, wie man Hunger und Durst empfindet.

2. Anthroposophie vermittelt Erkenntnisse, die auf geistige Art gewonnen werden. Sie tut dies aber nur deswegen, weil das tägliche Leben und die auf Sinneswahrnehmung und Verstandestätigkeit gegründete Wissenschaft an eine Gren­ze des Lebensweges führen, an der das seelische Menschendasein ersterben müßte, wenn es diese Grenze nicht überschreiten könnte. Dieses tägliche Leben und diese Wissen­schaft führen nicht so zur Grenze, daß an dieser stehen­geblieben werden muß, sondern es eröffnet sich an dieser Grenze der Sinnesanschauung durch die menschliche Seele selbst der Ausblick in die geistige Welt.

3. Es gibt Menschen, die glauben, mit den Grenzen der Sin­nesanschauung seien auch die Grenzen aller Einsicht gege­ben. Würden diese aufmerksam darauf sein, wie sie sich die­ser Grenzen bewußt werden, so würden sie auch in diesem Bewußtsein die Fähigkeiten entdecken, die Grenzen zu

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überschreiten. Der Fisch schwimmt an die Grenze des Was­sers; er muß zurück, weil ihm die physischen Organe feh­len, um außer dem Wasser zu leben. Der Mensch kommt an die Grenze der Sinnesanschauung; er kann erkennen, daß ihm auf dem Wege dahin die Seelenkräfte geworden sind, um seelisch in dem Elemente zu leben, das nicht von der Sinnesanschauung umspannt wird.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgesendet werden

Leitsätze Nr. 4 und 5 (24. Februar 1924)

4. Der Mensch braucht zur Sicherheit in seinem Fühlen, zur kraftvollen Entfaltung seines Willens eine Erkenntnis der geistigen Welt. Denn er kann die Größe, Schönheit, Weisheit der natürlichen Welt im größten Umfange emp­finden: diese gibt ihm keine Antwort auf die Frage nach sei­nem eigenen Wesen. Dieses eigene Wesen hält die Stoffe und Kräfte der natürlichen Welt so lange in der lebend-reg­samen Menschengestalt zusammen, bis der Mensch durch die Pforte des Todes schreitet. Dann übernimmt die Natur diese Gestalt. Sie kann dieselbe nicht zusammenhalten, son­dern nur auseinandertreiben. Die große, schöne, weisheits­volle Natur gibt wohl Antwort auf die Frage: wie wird die Menschengestalt aufgelöst, nicht aber, wie wird sie zusam­mengehalten. Kein theoretischer Einwand kann diese Frage aus der empfindenden Menschenseele, wenn diese sich nicht selbst betäuben will, auslöschen. Ihr Vorhandensein muß die Sehnsucht nach geistigen Wegen der Welterkennt­nis unablässig in jeder Menschenseele, die wirklich wach ist, regsam erhalten.

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5. Der Mensch braucht zur inneren Ruhe die Selbst-Er­kenntnis im Geiste. Er findet sich selbst in seinem Denken, Fühlen und Wollen. Er sieht, wie Denken, Fühlen und Wollen von dem natürlichen Menschenwesen abhängig sind. Sie müssen in ihren Entfaltungen der Gesundheit, Krankheit, Kräftigung und Schädigung des Körpers folgen. Jeder Schlaf löscht sie aus. Die gewöhnliche Lebenserfahrung weist die denkbar größte Abhängigkeit des mensch­lichen Geist-Erlebens vom Körper-Dasein auf Da erwacht in dem Menschen das Bewußtsein, daß in dieser gewöhnli­chen Lebenserfahrung die Selbst-Erkenntnis verloren ge­gangen sein könne. Es entsteht zunächst die bange Frage:

ob es eine über die gewöhnliche Lebenserfahrung hinaus­gehende Selbst-Erkenntnis und damit die Gewißheit über ein wahres Selbst geben könne? Anthroposophie will auf der Grundlage sicherer Geist-Erfahrung die Antwort auf diese Frage geben. Sie stützt sich dabei nicht auf ein Mei­nen oder Glauben, sondern auf ein Erleben im Geiste, das in seiner Wesenheit so sicher ist wie das Erleben im Körper.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgesendet werden

Leitsätze Nr. 6 und 7 (2. März 1924)

6. Wenn man den Blick auf die leblose Natur wendet, so findet man eine Welt, die sich in gesetzmäßigen Zusammenhängen offenbart. Man sucht nach diesen Zusammenhän­gen und findet sie als den Inhalt der Naturgesetze. Man fin­det aber auch, daß durch diese Gesetze die leblose Natur sich mit der Erde zu einem Ganzen zusammenschließt. Man kann dann von diesem Erdenzusammenhang, der in allem Leblosen waltet, zu der Anschauung der lebendigen Pflan­zenwelt

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übergehen. Man sieht, wie die außerirdische Welt aus den Weiten des Raumes die Kräfte hereinsendet, wel­che das Lebendige aus dem Schoße des Lebenslosen her­vorholen. Man wird in dem Lebendigen das Wesenhafte gewahr, das sich dem bloß irdischen Zusammenhange ent­reißt und sich zum Offenbarer dessen macht, was aus den Weiten des Weltenraumes auf die Erde herunterwirkt In der unscheinbarsten Pflanze wird man die Wesenheit des außerirdischen Lichtes gewahr, wie im Auge den leuchten­den Gegenstand, der vor diesem steht. In diesem Aufstieg der Betrachtung kann man den Unterschied des Irdisch-Physischen schauen, das im Leblosen waltet, und des Außerirdisch-Ätherischen, das im Lebendigen kramtet.

7. Man findet den Menschen mit seinem außerseelischen und außergeistigen Wesen in diese Welt des Irdischen und Außerirdischen hineingestellt. Sofern er in das Irdische, das das Leblose umspannt, hineingestellt ist, trägt er seinen physischen Körper an sich; sofern er in sich diejenigen Kräfte entwickelt, welche das Lebendige aus den Weltenweiten in das Irdische hereinzieht, hat er einen ätherischen oder Le­bensleib. Diesen Gegensatz zwischen dem Irdischen und Ätherischen hat die Erkenntnisrichtung der neueren Zeit ganz unberücksichtigt gelassen. Sie hat gerade aus diesem Grunde über das Ätherische die unmöglichsten Anschau­ungen entwickelt. Die Furcht davor, sich in das Phantasti­sche zu verlieren, hat davon abgehalten, von diesem Ge­gensatz zu sprechen. Ohne ein solches Sprechen kommt man aber zu keiner Einsicht in Mensch und Welt.

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Leitsätze Nr. 8 bis 10 (9. März 1924)

8. Man kann die Wesenheit des Menschen betrachten, insofern diese aus seinem physischen und seinem ätherischen Leib sich ergibt. Man wird finden, daß alle Erscheinungen am Menschen, die von dieser Seite ausgehen, nicht zum Be­wußtsein führen, sondern im Unbewußten verbleiben. Das Bewußtsein wird nicht erhellt, sondern verdunkelt, wenn die Tätigkeit des physischen und des Ätherleibes erhöht wird. Ohnmachtszustände kann man als Ergebnis einer sol­chen Erhöhung erkennen. Durch die Verfolgung einer solchen Urteilsorientierung gelangt man dazu, anzuerkennen, daß in die Organisation des Menschen - und auch des Tie­res - etwas eingreift, das mit dem Physischen und Ätheri­schen nicht von der gleichen Art ist. Es ist wirksam nicht wenn das Physische und Ätherische aus seinen Kräften her­aus tätig ist, sondern wenn diese aufhören, auf ihre Art wirk­sam zu sein. Man kommt so zum Begriffe des Astralleibes.

9. Die Wirklichkeit dieses Astralleibes wird gefunden, wenn man durch die Meditation von dem Denken, das durch die Sinne von außen angeregt wird, zu einem innerlichen An­schauen fortschreitet. Man muß dazu das von außen ange­regte Denken innerlich ergreifen und es in der Seele als sol­ches, ohne seine Beziehung auf die Außenwelt, intensiv Erleben; und dann durch die Seelenstärke, die man in solchem Ergreifen und Erleben sich angeeignet hat, gewahr wer­den, daß es innere Wahrnehmungsorgane gibt, die ein Gei­stiges schauen da, wo in Tier und Menschen der physische und der ätherische Leib in ihren Schranken gehalten wer­den, damit Bewußtsein entstehe.

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10. Das Bewußtsein entsteht nicht durch ein Fortführen der­jenigen Tätigkeit, die aus dem physischen und dem Ätherleib als Ergebnis kommt, sondern diese beiden Leiber müs­sen mit ihrer Tätigkeit auf den Nullpunkt kommen, ja noch unter denselben, damit «Platz entstehe» für das Walten des Bewußtseins. Sie sind nicht die Hervorbringer des Bewußt­seins, sondern sie geben nur den Boden ab, auf dem der Geist stehen muß, um innerhalb des Erdenlebens Bewußt­sein hervorzubringen. Wie der Mensch auf der Erde einen Boden braucht, auf dem er stehen kann, so braucht das Gei­stige innerhalb des Irdischen die materielle Grundlage, auf der es sich entfalten kann. Und so wie im Weltenraum der Planet den Boden nicht braucht, um seinen Ort zu behaup­ten, so braucht der Geist, dessen Anschauung nicht durch die Sinne auf das Materielle, sondern durch die Eigenkraft auf das Geistige gerichtet ist, nicht diese materielle Grundlage, um seine bewußte Tätigkeit in sich rege zu machen.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 11 bis 13 (16. März 1924)

11. Das Selbstbewußtsein, das im «Ich» sich zusammenfaßt, steigt aus dem Bewußtsein auf. Dieses entsteht, wenn das Geistige in den Menschen dadurch eintritt, daß die Kräfte des physischen und des ätherischen Leibes diese ab­bauen. Im Abbau dieser Leiber wird der Boden geschaffen, auf dem das Bewußtsein sein Leben entfaltet. Dem Abbau muß aber, wenn die Organisation nicht zerstört werden soll, ein Wiederaufbau folgen. So wird, wenn für ein Erle­ben des Bewußtseins ein Abbau erfolgt ist, genau das Ab­gebaute wieder aufgebaut werden. In der Wahrnehmung

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dieses Aufbaues liegt das Erleben des Selbstbewußtseins. Man kann in innerer Anschauung diesen Vorgang verfol­gen. Man kann empfinden, wie das Bewußte in das Selbst­bewußte dadurch übergeführt wird, daß man aus sich ein Nachbild des bloß Bewußten schafft. Das bloß Bewußte hat sein Bild in dem durch den Abbau gewissermaßen leer Gewordenen des Organismus. Es ist in das Selbstbewußt­sein eingezogen, wenn die Leerheit von innen wieder er­füllt worden ist. Das Wesenhafte, das zu dieser Erfüllung fähig ist, wird als «Ich» erlebt.

12. Die Wirklichkeit des «Ich» wird gefunden, wenn man die innere Anschauung, durch die der Astralleib erkennend ergriffen wird, dadurch weiter fortbildet, daß man das er­lebte Denken in der Meditation mit dem Willen durch­dringt. Man hat sich diesem Denken zuerst willenslos hin­gegeben. Man hat es dadurch dazu gebracht, daß ein Geisti­ges in dieses Denken eintritt, wie die Farbe bei der sinnli­chen Wahrnehmung in das Auge, der Ton in das Ohr eintritt. Hat man sich in die Lage gebracht, dasjenige, das man auf diese Art, durch passive Hingabe, im Bewußtsein ver­lebendigt hat, durch einen Willensakt nachzubilden, so tritt in diesen Willensakt die Wahrnehmung des eigenen «Ich» ein.

13. Man kann auf dem Wege der Meditation zu der Gestalt, in der das «Ich» im gewöhnlichen Bewußtsein auftritt, drei weitere Formen finden: 1. In dem Bewußtsein, das den Ätherleib erfaßt, erscheint das «Ich» als Bild, das aber zu­gleich tätige Wesenheit ist und als solche dem Menschen Gestalt, Wachstum, Bilderkräfte verleiht. 2. In dem Bewußt­sein, das den Astralleib erfaßt, offenbart sich das «Ich» als Glied einer geistigen Welt, von der es seine Kräfte erhält.

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3. In dem Bewußtsein, das eben als das zuletzt zu erringen­de angeführt worden ist, zeigt sich das «Ich» als eine von der geistigen Umwelt relativ unabhängige, selbständige geistige Wesenheit.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 14 bis 16 (23. März 1924)

14. Die zweite Gestalt des «Ich», die in der Darstellung des dritten Leitsatzes* angedeutet worden ist, tritt als «Bild» dieses Ich auf. Durch das Gewahrwerden dieses Bildcharak­ters wird auch ein Licht geworfen auf die Gedankenwesen­heit, in der das «Ich» vor dem gewöhnlichen Bewußtsein erscheint. Man sucht durch allerlei Betrachtungen in dem gewöhnlichen Bewußtsein das «wahre Ich». Doch eine ernstliche Einsicht in die Erlebnisse dieses Bewußtseins zeigt, daß man in demselben dieses «wahre Ich» nicht fin­den kann; sondern daß da nur der gedankenhafte Abglanz, der weniger als ein Bild ist, aufzutreten vermag. Man wird von der Wahrheit dieses Tatbestandes erst recht erfaßt, wenn man fortschreitet zu dem «Ich» als Bild, das in dem Ätherleibe lebt. Und dadurch wird man erst richtig zu dem Suchen des Ich als der wahren Wesenheit des Menschen an­geregt.

Die Einsicht in die Gestalt, in der das «Ich» im Astralleibe lebt, führt zu einer rechten Empfindung von demVer­hältnisse des Menschen zu der geistigen Welt. Diese Ich-Gestalt ist für das gewöhnliche Erleben in die dunklen Tie­fen des Unbewußten getaucht. In diesen Tiefen tritt der Mensch mit der geistigen Weitwesenheit durch Inspiration

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* Gemeint ist der dritte der vorangehenden Gruppe, hier der 3. Leitsatz.

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in Verbindung. Nur ein ganz schwacher gefühlsmäßiger Abglanz von dieser in den Seelentiefen waltenden Inspira­tion aus den Weiten der geistigen Welt steht vor dem ge­wöhnlichen Bewußtsein.

16. Die dritte Gestalt des «Ich» gibt die Einsicht in die selbständige Wesenheit des Menschen innerhalb einer gei­stigen Welt. Sie regt die Empfindung davon an, daß der Mensch mit seiner irdisch-sinnlichen Natur nur als die Of­fenbarung dessen vor sich selber steht, was er in Wirklich­keit ist. Damit ist der Ausgangspunkt wahrer Selbsterkennt­nis gegeben. Denn jenes Selbst, das den Menschen in seiner Wahrheit gestaltet, wird sich der Erkenntnis erst offenba­ren, wenn er vom Gedanken des Ich zu dessen Bilde, von dem Bilde zu den schöpfenden Kräften dieses Bildes, und von da zu den geistigen Trägern dieser Kräfte fortschreitet.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 17 bis 19 (30. März 1924)

17. Der Mensch ist ein Wesen, das in der Mitte zwischen zwei Weltgebieten sein Leben entfaltet. Er ist mit seiner Leibes-Entwickelung in eine «untere Welt» eingegliedert; er bildet mit seiner Seelen-Wesenheit eine «mittlere Welt», und er strebt mit seinen Geisteskräften nach einer «oberen Welt» hin. Seine Leibes-Entwickelung hat er von dem, was ihm die Natur gegeben hat; seine Seelen-Wesenheit trägt er als seinen eigenen Anteil in sich; die Geisteskräfte findet er in sich als die Gaben, die ihn über sich selbst hinausfüh­ren zur Anteilnahme an einer göttlichen Welt.

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18. Der Geist ist in diesen drei Weltgebieten schaffend. Die Natur ist nicht geistlos. Man verliert erkennend auch die Natur, wenn man in ihr den Geist nicht gewahr wird. Aber man wird allerdings innerhalb des Naturdaseins den Geist wie schlafend finden. So wie aber der Schlaf im Menschen­leben seine Aufgabe hat und das «Ich» eine gewisse Zeit schlafen muß, um zu einer andern recht wach zu sein, so muß der Weltengeist an der «Natur-Stelle» schlafen, um an einer andern recht wach zu sein.

19. Der Welt gegenüber ist die Menschenseele ein träumen­des Wesen, wenn sie nicht auf den Geist achtet, der in ihr wirkt. Dieser weckt die im eigenen Innern webenden See­lenträume zur Anteilnahme an der Welt, aus welcher des Menschen wahres Wesen stammt. Wie sich der Träumende vor der physischen Umwelt verschließt und in das eigene Wesen einspinnt, so müßte die Seele ihren Zusammenhang mit dem Geiste der Welt verlieren, aus dem sie stammt, wenn sie die Weckrufe des Geistes in sich selbst nicht hö­ren wollte.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 20 bis 22 (6. April 1924)

20. Es gehört zur rechten Entfaltung des Seelenlebens im Menschen, daß er sich innerhalb seines Wesens des Wir­kens aus dem Geiste vollbewußt werde. Viele Bekenner der neueren naturwissenschaftlichen Weltanschauung sind in dieser Richtung so stark in einem Vorurteile befangen, daß sie sagen, die allgemeine Ursächlichkeit ist in allen Welterscheinungen das Herrschende. Wenn der Mensch

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glaubt, er könne aus Eigenem die Ursache von etwas sein, so kann das nur eine Illusion bilden. Die neuere Natur-Erkenntnis will in allem treu der Beobachtung und Erfahrung folgen. Durch dieses Vorurteil von der verborgenen Ur­sächlichkeit der eigenen menschlichen Antriebe sündigt sie gegen diesen ihren Grundsatz. Denn das freie Wirken aus dem Innern des menschlichen Wesens ist ein ganz elemen­tares Ergebnis der menschlichen Selbstbeobachtung. Man darf es nicht wegleugnen, sondern muß es mit der Einsicht in die allgemeine Verursachung innerhalb der Naturord­nung in Einklang bringen.

21. Die Nicht-Anerkennung dieses Antriebes aus dem Geiste heraus im Innern des menschlichen Wesens ist das größte Hindernis für die Erlangung einer Einsicht in die geistige Welt. Denn Einordnung des eigenen Wesens in den Naturzusammenhang bedeutet Ablenkung des Seelenblickes von diesem Wesen. Man kann aber in die geistige Welt nicht eindringen, wenn man den Geist nicht zuerst da erfaßt, wo er ganz unmittelbar gegeben ist: in der unbefangenen Selbstbeobachtung.

22. Die Selbstbeobachtung bildet den Anfang der Geistbeobachtung. Und sie kann deshalb den rechten Anfang bilden, weil der Mensch bei wahrer Besinnung nicht bei ihr stehen bleiben kann, sondern von ihr fortschreiten muß zu weiterem geistigen Weltinhalt. Wie der menschliche Kör­per verkümmert, wenn er nicht physische Nahrung erhält, so wird der im rechten Sinne sich selbst beobachtende Mensch sein Selbst in Verkümmerung empfinden, wenn er nicht sieht, wie in dieses Selbst die Kräfte einer außer ihm tätigen geistigen Welt hineinwirken.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanurn ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 23 bis 25 (13. April 1924)

23. Der Mensch betritt, indem er durch die Todespforte geht, die geistige Welt, indem er von sich abfallen fühlt alles, was er durch die Sinne des Leibes und durch das Ge­hirn während des Erdenlebens an Eindrücken und an See­leninhalten erworben hat. Sein Bewußtsein hat dann in ei­nem umfassenden Tableau in Bildern vor sich, was an Le­bensinhalt während des Erdenwandels in Form von bildlosen Gedanken in das Gedächtnis gebracht werden konn­te, oder was zwar für das Erdenbewußtsein unbemerkt ge­blieben ist, doch aber einen unterbewußten Eindruck auf die Seele gemacht hat. Diese Bilder verblassen nach wenig Tagen bis zum Entschwinden. Wenn sie sich ganz verloren haben, so weiß der Mensch, daß er auch seinen Ätherleib abgelegt hat, in dem er den Träger dieser Bilder erkennen kann.

24. Der Mensch hat nach der Ablegung des Ätherleibes noch den Astralleib und das Ich als die ihm verbleibenden Glieder. Solange der erstere an ihm ist, läßt dieser von dem Bewußtsein alles das erleben, was während des Erdenle­bens den unbewußten Inhalt der im Schlafe ruhenden Seele gebildet hat. In diesem Inhalt sind die Urteile enthalten, welche die Geistwesen einer höheren Welt während der Schlafzeiten dem Astralleib einprägen, die aber dem Erdenbewußtsein sich verbergen. Der Mensch lebt sein Erdenleben noch einmal durch, doch so, daß sein Seeleninhalt jetzt die Beurteilung seines Tuns und Denkens vom Ge­sichtspunkte der Geisteswelt aus ist. Das Durchleben geschieht

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rückläufig: erst die letzte Nacht, dann die zweitletzte und so weiter.

25. Die nach dem Durchgang durch die Todespforte im Astralleibe erlebte Lebensbeurteilung dauert so lange, wie die Zeit betragen hat, die während des Erdenlebens von dem Schlafe eingenommen war.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 26 bis 28 (20. April 1924)

26. Erst nach Ablegung des Astralleibes, nach der vollen­deten Lebensbeurteilung, tritt der Mensch in die geistige Welt ein. In dieser steht er zu Wesenheiten rein geistiger Art in einer solchen Beziehung wie auf der Erde zu den Wesenheiten und Vorgängen der Naturreiche. Es wird im geistigen Erleben dann alles, was im Erdenleben Außenwelt war, zur Innenwelt. Der Mensch nimmt dann nicht bloß diese Außenwelt wahr, sondern er erlebt sie in ihrer Geistigkeit, die ihm auf Erden verborgen war, als seine Innenwelt.

27. Der Mensch, wie er auf Erden ist, wird im Geistgebiet Außenwelt. Man schaut auf diesen Menschen, wie man auf Erden auf Sterne, Wolken, Berge, Flüsse schaut. Und diese Außenwelt ist nicht weniger inhaltreich, wie die Erschei­nung des Kosmos dem irdischen Leben erscheint.

28. Die im Geistgebiet vom Geiste des Menschen erbilde­ten Kräfte wirken in der Gestaltung des Erdenmenschen fort, so wie die im physischen Menschen vollbrachten Taten in dem Leben nach dem Tode als Seeleninhalt fortwirken.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 29 bis 31 (27. April 1924)

29. In der entwickelten imaginativen Erkenntnis wirkt, was im Innern des Menschen seelisch-geistig lebt und in seinem Leben am physischen Leib gestaltet und auf dessen Grundlage das Menschendasein in der physischen Welt entfaltet. Dem sich im Stoffwechsel immer wieder erneuernden phy­sischen Leib steht da die in ihrem Wesen von der Geburt (bzw. Empfängnis) bis zum Tode dauernd sich entfaltende innere Menschenwesenheit gegenüber, dem physischen Raumesleib ein Zeitenleib.

30. In der inspirierten Erkenntnis lebt im Bilde, was das t Menschenwesen in der Zeit zwischen dem Tode und einer

neuen Geburt innerhalb einer geistigen Umgebung erfährt. Da ist anschaulich, was der Mensch ohne seinen physischen und Ätherleib, durch die er das irdische Dasein durchmacht, seinem Wesen nach im Weltenzusammenhange ist.

31. In der intuitiven Erkenntnis kommt das Herüberwir­ken früherer Erdenleben in das gegenwärtige zum Bewußtsein. Diese früheren Erdenleben haben in ihrer Weiterent­wickelung die Zusammenhänge abgestreift, in denen sie mit der physischen Welt gestanden haben. Sie sind zum rein geistigen Wesenskern des Menschen geworden und wirken als solcher im gegenwärtigen Leben. Sie sind dadurch auch Gegenstand der Erkenntnis, die als die Entfaltung der ima­ginierenden und inspirierten sich ergibt.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 32 bis 34 (4. Mai 1924)

32. In dem Haupte des Menschen ist die physische Organi­sation ein Abdruck der geistigen Individualität. Physischer und ätherischer Teil des Hauptes stehen als abgeschlossene Bilder des Geistigen, und neben ihnen in selbständiger see­lisch-geistiger Wesenheit stehen der astralische und der Ich­teil. Man hat es daher im Haupte des Menschen mit einer Nebeneinanderentwickelung des relativ selbständigen Phy­sischen und Ätherischen einerseits, des Astralischen und der Ich-Organisation anderseits zu tun.

33. In dem Gliedmaßen-Stoffwechselteil des Menschen sind die vier Glieder der Menschenwesenheit innig miteinander verbunden. Ich-Organisation und astralischer Leib sind nicht neben dem physischen und ätherischen Teil. Sie sind in diesen; sie beleben sie, wirken in ihrem Wachstum, in ihrer Bewegungsfähigkeit und so weiter. Dadurch aber ist der Gliedmaßen-Stoffwechselteil wie ein Keim, der sich weiter entwickeln will, der fortwährend darnach strebt, Haupt zu werden, und der fortwährend davon während des Erdenlebens des Menschen zurückgehalten wird.

34. Die rhythmische Organisation steht in der Mitte. Hier verbinden sich Ich-Organisation und Astralleib abwech­selnd mit dem physischen und ätherischen Teil und lösen sich wieder von diesen. Atmung und Blutzirkulation sind der physische Abdruck dieser Vereinigung und Loslösung. Der Einatmungsvorgang bildet die Verbindung ab; der Ausatmungsvorgang die Loslösung. Die Vorgänge im Ar­terienblut stellen die Verbindung dar; die Vorgänge im Venenblute die Loslösung.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 35 bis 37 (11. Mai 1924)

35. Man versteht das physische Menschenwesen nur, wenn man es als Bild des Geistig-Seelischen betrachtet. Für sich genommen bleibt der physische Körper des Menschen un­verständlich. Aber er ist in seinen verschiedenen Gliedern in verschiedener Art Bild des Geistig-Seelischen. Das Haupt ist dessen vollkommenstes, abgeschlossenes Sinnesbild. Alles, was dem Stoffwechsel- und Gliedmaßen-System angehört, ist wie ein Bild, das noch nicht seine Endformen angenommen hat, sondern an dem erst gearbeitet wird. Alles, was zur rhythmischen Organisation des Menschen gehört, steht in bezug auf das Verhältnis des Geistig-Seelischen zum Körperlichen zwischen diesen Gegensätzen.

36. Wer von diesem geistigen Gesichtspunkte aus das menschliche Haupt betrachtet, hat an dieser Betrachtung eine Hilfe zum Verständnisse geistiger Imaginationen; denn in den Formen des Hauptes sind imaginative Formen ge­wissermaßen bis zur physischen Dichte geronnen.

37. In derselben Art kann man an der Betrachtung des rhythmischen Teiles der Menschenorganisation eine Hilfe haben für das Verständnis von Inspirationen. Der physische Anblick der Lebensrhythmen trägt im Sinnesbilde den Charakter des Inspirierten. Im Stoffwechsel- und Glied­maßensystem hat man, wenn man diese in voller Aktion, in der Entfaltung ihrer notwendigen oder möglichen Ver­richtungen betrachtet, ein sinnlich-übersinnliches Bild des rein übersinnlichen Intuitiven.

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ZU DEN VORANGEGANGENEN LEITSÄTZEN ÜBER DIE BILDNATUR DES MENSCHEN

Es kommt viel darauf an, daß durch die Anthroposophie begriffen werde, wie die Vorstellungen, die der Mensch im Anblicke der äußeren Natur gewinnt, vor der Menschenbe­trachtung Halt machen müssen. Gegen diese Forderung sündigt die Denkungsart, die durch die geistige Entwicke­lung der letzten Jahrhunderte in die Menschengemüter ein­gezogen ist. Durch sie gewöhnt man sich, Naturgesetze zu denken; und durch diese Naturgesetze erklärt man sich die Naturerscheinungen, die man mit den Sinnen wahrnimmt. Man sieht nun nach dem menschlichen Organismus hin und betrachtet auch diesen so, wie wenn seine Einrichtung begriffen werden könnte, wenn man die Naturgesetze auf ihn anwendet.

Das ist nun gerade so, als ob man das Bild, das ein Maler geschaffen hat, betrachtete nach der Substanz der Farben, nach der Kraft, mit der die Farben an der Leinwand haften, nach der Art, wie sich diese Farben auf die Leinwand strei­chen lassen, und nach ähnlichen Gesichtspunkten. Aber mit alledem trifft man nicht, was sich in dem Bilde offen­bart. In dieser Offenbarung, die durch das Bild da ist, leben ganz andere Gesetzmäßigkeiten als diejenigen, die aus den angegebenen Gesichtspunkten gewonnen werden können.

Es kommt nun darauf an, sich darüber klar zu werden, daß sich auch in der menschlichen Wesenheit etwas offen­bart, das von den Gesichtspunkten, von denen aus die Ge­setze der äußeren Natur gewonnen werden, nicht zu ergrei­fen ist. Hat man diese Vorstellung in der rechten Art sich zu eigen gemacht, dann wird man in der Lage sein, den

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Menschen als Bild zu begreifen. Ein Mineral ist in diesem Sinne nicht Bild. Es offenbart nur dasjenige, was unmittel­bar die Sinne wahrnehmen können.

Beim Bilde richtet sich die Anschauung gewissermaßen durch das sinnlich Angeschaute hindurch auf einen Inhalt, der im Geiste erfaßt wird. Und so ist es auch bei der Be­trachtung des Menschenwesens. Erfaßt man dieses in rech­ter Art mit den Naturgesetzen, so fühlt man sich im Vor-stellen dieser Naturgesetze nicht dem wirklichen Menschen nahe, sondern nur demjenigen, durch das sich dieser wirk­liche Mensch offenbart.

Man muß es im Geiste erleben, daß man mit den Natur­gesetzen so vor dem Menschen steht, wie man vor einem Bilde stünde, wenn man nur wüßte, da ist Blau, da ist Rot, und man nicht imstande wäre, in einer inneren Seelentätig­keit das Blau und Rot auf etwas zu beziehen, das sich durch diese Farben offenbart.

Man muß eben eine andere Empnndung haben, wenn man mit den Naturgesetzen einem Mineralischen, und eine andere, wenn man dem Menschen gegenübersteht. Beim Mineralischen ist es für die geistige Auffassung so, als wenn man das Wahrgenommene unmittelbar ertastete; beim Menschen ist es so, als ob man ihin mit den Naturge­setzen so ferne stünde, wie man einem Bilde ferne steht, das man nicht mit Seelenaugen anblickt, sondern nur betastet.

Hat man erst in der Anschauung des Menschen begrif­fen, daß dieser Bild von etwas ist, dann wird man in der rechten Seelenstimmung auch zu dem fortschreiten, was sich in diesem Bilde darstellt.

Und im Menschen offenbart sich die Bildnatur nicht auf eine eindeutige Weise. Ein Sinnesorgan ist in seinem Wesen

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am wenigsten Bild, am meisten eine Art Offenbarung seiner selbst wie das Mineral. Man kann gerade an die Sin­nesorgane mit den Naturgesetzen am nächsten heran. Man betrachte nur die wundervolle Einrichtung des menschli­chen Auges. Man erfaßt durch Naturgesetze annäh ernd diese Einrichtung. Und bei den andern Sinnesorganen ist es ähn­lich, wenn auch die Sache nicht so offen zutage tritt wie beim Auge. Es kommt dies daher, daß die Sinnesorgane in ihrer Bildung eine gewisse Abgeschlossenheit zeigen. Sie sind als fertige Bildungen dem Organismus eingegliedert, und als solche vermitteln sie die Wahrnehmungen der Au­ßenwelt.

So aber ist es nicht mit den rhythmischen Vorgängen, die sich im Organismus abspielen. Sie stellen sich nicht als etwas Fertiges dar. In ihnen vollzieht sich ein fortwähren­des Entstehen und Vergehen des Organismus. Wären die Sinnesorgane so wie das rhythmische System, so würde der Mensch die Außenwelt in der Art wahrnehmen, daß diese in einem fortwährenden Werden sich befände.

Die Sinnesorgane stellen sich dar wie ein Bild, das an der Wand hängt. Das rhythmische System steht vor uns wie das Geschehen, das sich entfaltet, wenn Leinwand und Ma­ler im Entstehen des Bildes von uns betrachtet werden. Das Bild ist noch nicht da; aber es ist immer mehr da. In dieser Betrachtung hat man es nur mit einem Entstehen zu tun. Was entstanden ist, bleibt zunächst bestehen. In der Be­trachtung des menschlichen rhythmischen Systems schließt sich das Vergehen, der Abbau, sogleich an das Entstehen, an den Aufbau an. Im rhythmischen System offenbart sich ein werdendes Bild.

Die Tätigkeit, welche die Seele verrichtet, indem sie sich

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einem ihr Gegenüberstehenden wahrnehmend hingibt, das fertiges Bild ist, kann als Imaginition bezeichnet werden. Das Erleben, das entfaltet werden muß, um ein werdendes Bild zu erfassen, ist dem gegenüber Inspiration.

Noch anders liegt die Sache, wenn man das Stoffwechsel- und das Bewegungssystem des menschlichen Organismus betrachtet. Da ist es, als ob man vor der noch ganz leeren Leinwand, den Farbentöpfen und dem noch nicht malenden Künstler stünde. Will man dem Stoffwechsel- und dem Gliedmaßensystem gegenüber zum Begreifen kommen, so muß man ein Wahrnehmen entwickeln, das mit dem Wahrnehmen dessen, was die Sinne erfassen, nicht mehr zu tun hat als der Anblick von Farbentöpfen, leerer Leinwand und Maler mit dem, was später als Bild des Malers vor unsere Augen tritt. Und die Tätigkeit, in der die Seele rein geistig den Menschen aus dem Stoffwechsel und aus seinen Bewe­gungen heraus erlebt, ist so, wie wenn man im Anblicke vom Maler, leerer Leinwand und Farbentöpfen das später gemalte Bild erlebte. Dem Stoffwechsel- und Gliedmaßensystem gegenüber muß in der Seele die Intuition walten, wenn es zum Begreifen kommen soll.

Es ist nötig, daß die tätig wirkenden Mitglieder der An­throposophischen Gesellschaft in solcher Art auf die We­senheit hindeuten, die dem anthroposophischen Betrachten zugrunde liegt. Denn nicht nur soll eingesehen werden, was durch Anthroposophie an Erkenntnisinhalt gewonnen wird, sondern auch, wie man zum Erleben dieses Erkennt­nisinhaltes gelangt.

Von dem hier Dargestellten wird der Weg der Betrach­tung zu den folgenden Leitsätzen hinüberführen.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 38 bis 40 (18. Mai 1924)

38. Ist man dazu gelangt, in der durch die vorigen Leitsätze angedeuteten Richtung den Menschen in seiner Bildnatur und in der dadurch sich offenbarenden Geistigkeit zu be­trachten, so steht man davor, in der geistigen Welt, in der man den Menschen als Geistwesen waltend schaut, auch die seelisch-moralischen Gesetze in ihrer Wirklichkeit mit-zuschauen. Denn die moralische Weltordnung stellt sich dann als das irdische Abbild einer zur geistigen Welt gehö­rigen Ordnung dar. Und physische und moralische Weltordnung gliedern sich zur Einheit zusammen.

39. Aus dem Menschen wirkt der Wille. Der steht den an der Außenwelt gewonnenen Naturgesetzen ganz fremd ge­genüber. Das Wesen der Sinnesorgane ist noch an seiner Ähnlichkeit gegenüber den äußeren Naturgegenständen zu erkennen. In ihrer Tätigkeit kann sich der Wille noch nicht entfalten. Das Wesen, das sich im rhythmischen Sy­stem des Menschen offenbart, ist allem Äußeren schon un­ähnlicher. In dieses System kann der Wille schon bis zu ei­nem gewissen Grade eingreifen. Aber es ist dieses System im Entstehen und Vergehen begriffen. An diese ist der Wille noch gebunden.

40. Im Stoffwechsel- und Gliedmaßensystem offenbart sich ein Wesen zwar durch die Stoffe und die Vorgänge an den Stoffen, aber diese Stoffe und diese Vorgänge haben mit ihm nichts weiter zu tun als der Maler und seine Mittel mit dem fertigen Bilde. In dieses Wesen kann daher der Wille unmittelbar eingreifen. Erfaßt man hinter der in Naturge­setzen

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lebenden Menschenorganisation die im Geistigen webende Menschenwesenheit, so hat man in dieser ein Ge­biet, in dem man das Wirken des Willens gewahr werden kann. Gegenüber dem Sinnesgebiete bleibt der menschli­che Wille ein Wort ohne allen Inhalt. Und wer ihn in die­sem Gebiete erfassen will, der verläßt im Erkennen das wahre Wesen des Willens und setzt etwas anderes an dessen Stelle.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 41 bis 43 (25. Mai 1924)

41. Durch den dritten Leitsatz der vorigen Gruppe wird auf das Wesen des menschlichen Willens hingewiesen. Erst wenn man dieses Wesen gewahr geworden ist, steht man mit seinem Begreifen in einer Weltsphäre darinnen, in der das Schicksal (Karma) wirkt. Solange man nur die Gesetzmäßigkeit erblickt, die im Zusammenhange der Naturdinge und Naturtatsachen herrscht, bleibt man dem ganz fern, das im Schicksal gesetzmäßig wirkt.

42. In einem solchen Erfassen der Gesetzmäßigkeit im Schicksal offenbart sich auch, daß sich dieses durch den Gang des einzelnen physischen Erdenlebens nicht zum Da­sein bringen kann. Solange der Mensch in demselben phy­sischen Leibe lebt, kann er den moralischen Inhalt seines Willens nur so zur Wirklichkeit werden lassen, wie es die­ser physische Leib innerhalb der physischen Welt gestattet. Erst, wenn der Mensch durch die Todespforte in die Gei­stessphäre eingezogen ist, kann die Geistwesenheit des Willens zur vollen Wirklichkeit gelangen. Da wird das Gu­te in seinen ihm entsprechenden Ergebnissen, das Schlechte

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in den seinigen, zunächst zur geistigen Verwirklichung kommen.

43. In dieser geistigen Verwirklichung gestaltet sich der Mensch selber zwischen dem Tode und einer neuen Ge­burt; er wird wesenhaft ein Abbild dessen, was er im Erdenleben getan hat. Aus diesem seinem Wesenhaften heraus ge­staltet er dann beim Wieder-Betreten der Erde sein phy­sisches Leben. Das Geistige, das im Schicksal waltet, kann im Physischen nur seine Verwirklichung finden, wenn seine entsprechende Verursachung vor dieser Verwirklichung sich in das geistige Gebiet zurückgezogen hat. Denn aus dem Geistigen heraus, nicht in der Folge der physischen Er­scheinungen gestaltet sich, was sich als schicksalsgemäß auslebt.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 44 bis 46 (1. Juni 1924)

44. Bin Übergang zu der geisteswissenschaftlichen Betrach­tung der Schicksalsfrage sollte dadurch herbeigeführt wer­den, daß man an Beispielen aus dem Erleben einzelner Men­schen den Gang des Schicksalsmäßigen in seiner Bedeu­tung für den Lebenslauf erörtert; zum Beispiel wie ein Ju­genderlebnis, das ganz sicher nicht in voller Freiheit durch eine Persönlichkeit herbeigeführt ist, das ganze spätere Le­ben zu einem großen Teile gestalten kann.

45. Es sollte die Bedeutung der Tatsache, daß im physischen Lebenslaufe zwischen Geburt und Tod der Gute unglück­lich im Außenleben, der Böse wenigstens scheinbar glück­lich werden kann, geschildert werden. Beispiele in Bildern sind für die Erörterung wichtiger als theoretische Erklä­rungen,

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weil sie die geisteswissenschaftiiche Betrachtung besser vorbereiten.

46. Es sollte an Schicksalsfällen, die in das Dasein des Men­schen so eintreten, daß man ihre Bedingungen im jeweilig gegenwärtigen Erdenleben nicht finden kann, gezeigt wer­den, wie gegenüber solchen Schicksalsfällen schon rein die verstandesgemäße Lebensansicht auf früheres Erleben hindeutet. Es muß natürlich aus der Art der Darstellung klar sein, daß mit solchen Darstellungen nichts Verbindliches behauptet, sondern nur etwas gesagt werden soll, das die Gedanken nach der geisteswissenschaftlichen Betrachtung der Schicksalsfrage hin orientiert.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 47 bis 49 (8. Juni 1924)

47. Was in der Schicksalsgestaltung des Menschen liegt, das tritt nur zum allerkleinsten Teile in das gewöhnliche Bewußtsein ein, sondern es waltet zumeist im Unbewußten. Aber gerade durch die Enthüllung des Schicksalsgemäßen wird ersichtlich, wie Unbewußtes zum Bewußtsein ge­bracht werden kann. Es haben eben diejenigen durchaus Unrecht, die von dem zeitweilig Unbewußten so sprechen, als ob es absolut im Gebiete des Unbekannten bleiben müßte und so eine Erkenntnisgrenze darstellte. Mit jedem Stück, das sich von seinem Schicksale dem Menschen enthüllt, hebt er ein vorher Unbewußtes in das Gebiet des Bewußtseins herauf.

48. Durch ein solches Heraufheben wird man gewahr, wie innerhalb des Lebens zwischen Geburt und Tod das Schicksalsgemäße

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nicht gewoben wird; man wird dadurch gerade an der Schicksalsfrage auf die Betrachtung des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt gewiesen.

49. In dem Besprechen dieses Hinausweisens des mensch­lichen Erlebens aus sich selbst an der Schicksalsfrage wird man ein wahres Gefühl entwickeln können für das Ver­hältnis des Sinnlichen und des Geistigen. Wer das Schick­sal im Menschenwesen waltend schaut, der steht schon im Geistigen darinnen. Denn die Schicksalszusammenhänge haben gar nichts Naturhaftes an sich.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 50 bis 52 (15. Juni 1924)

50. Es ist von ganz besonderer Wichtigkeit, darauf hinzuweisen, wie die Betrachtung des geschichtlichen Lebens der Menschheit dadurch belebt wird, daß man zeigt, es sind die Menschenseelen selbst, welche die Ergebnisse der einen Geschichtsepoche in die andere hinübertragen, indem sie in ihren wiederholten Erdenleben von Epoche zu Epoche wandeln.

51. Man wird leicht gegen eine solche Betrachtung einwen­den, daß sie der Geschichte das Elementarische und Naive nimmt; aber man tut damit unrecht. Sie vertieft vielmehr die Anschauung des Geschichtlichen, das sie bis in das In­nerste der Menschenwesenheit hinein verfolgt. Geschichte wird dadurch reicher und konkreter, nicht ärmer und ab­strakter. Man muß nur in der Darstellung Herz und Sinn für die lebende Menschenseele entwickeln, in die man da­durch tief hineinschaut.

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52. Es sollen die Epochen im Leben zwischen Tod und neuer Geburt mit Beziehung auf die Karmabildung behan­delt werden.

Das «Wie» dieser Behandlung der Karmabildung soll den Inhalt der weiteren Leitsätze bilden.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 53 bis 55 (22. Juni 1924)

53. Die Entfaltung des Menschenlebens zwischen Tod und neuer Geburt geschieht in aufeinanderfolgenden Stufen. Während weniger Tage unmittelbar nach dem Durchgang durch die Todespforte wird in Bildern das vorangegangene Erdenleben überschaut. Dieses Überschauen zeigt zugleich die Ablösung des Trägers dieses Lebens von der mensch­lichen Seelen-Geist-Wesenheit.

54. In einer Zeit, die ungefähr ein Drittel des eben vollen­deten Erdenlebens umfaßt, wird in Geiste serlebhis sen, wel­che die Seele hat, die Wirkung erfahren, welche im Sinne einer ethisch gerechten Weltordnung das vorangegangene Erdenleben haben muß. Es wird während dieses Erlebens die Absicht erzeugt, das nächste Erdenleben zum Ausgleich der vorangegangenen so zu gestalten, wie es diesem Er­leben entspricht.

55. Eine langdauernde, rein geistige Daseinsepoche folgt, in der die Menschenseele mit andern mit ihr karmisch verbun­denen Menschenseelen und mit Wesenheiten der höhern Hierarchien das kommende Erdenleben im Sinne des Kar­ma gestaltet.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum wgegeben werden

Leitsätze Nr. 56 bis 58 (29. Juni 1924)

56. Die Daseinsepoche zwischen Tod und neuer Geburt, in der das Karma des Menschen gestaltet wird, kann nur auf Grund der Ergebnisse geistiger Forschung dargestellt wer­den. Aber es ist immer im Bewußtsein zu halten, daß diese Darstellung der Vernunft einleuchtend ist. Diese braucht nur das Wesen der Sinneswirklichkeit unbefangen zu be­trachten, dann wird sie gewahr, daß dieses ebenso auf ein Geistiges hinweist, wie die Form eines Leichnams auf das ihm einwohnende Leben.

57. Die Ergebnisse der Geisteswissenschaft zeigen, daß der Mensch zwischen Tod und Geburt ebenso Geistesreichen angehört, wie er zwischen Geburt und Tod den drei Rei­chen der Natur, dem mineralischen, pflanzlichen und tieri­schen angehört.

58. Das mineralische Reich ist in der augenblicklichen Gestaltung des Menschen zu erkennen, das pflanzliche ist als Ätherleib die Grundlage seines Werdens und Wachsens, das tierische als Astralleib der Impuls für Empfindungs- und Willensentfaltung. Die Krönung des bewußten Empfindungs- und Willenslebens im selbstbewußten Geistesleben macht den Zusammenhang des Menschen mit der Geistes­welt unmittelbar anschaulich.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposopische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 59 bis 61 (6. Juli 1924)

59. Eine unbefangene Betrachtung des Denkens zeigt, daß die Gedanken des gewöhnlichen Bewußtseins kein eigenes Dasein haben, daß sie nur wie Spiegelbilder von etwas auftreten. Aber der Mensch fühlt sich als lebendig in den Ge­danken. Die Gedanken leben nicht; er aber lebt in den Gedanken. Dieses Leben urständet in Geist-Wesen, die man (im Sinne meiner «Geheimwissenschaft») als die der drit­ten Hierarchie, als eines Geist-Reiches, ansprechen kann.

60. Die Ausdehnung dieser unbefangenen Betrachtung auf das Fühlen zeigt, daß die Gefühle aus dem Organismus aufsteigen, daß sie aber nicht von diesem erzeugt sein können. Denn ihr Leben trägt ein vom Organismus unabhängiges Wesen in sich. Der Mensch kann sich mit seinem Organis­mus in der Naturwelt fühlen. Er wird aber gerade dann, wenn er dies, sich selbst verstehend tut, sich mit seiner Ge­fühlswelt in einem geistigen Reiche fühlen. Das ist dasje­nige der zweiten Hierarchie.

61. Als Willenswesen wendet sich der Mensch nicht an sei­nen Organismus, sondern an die Außenwelt. Er frägt nicht, wenn er gehen will, was empfinde ich in meinen Füßen, sondern, was ist dort draußen für ein Ziel, zu dem ich kom­men will. Er vergißt seinen Organismus, indem er will. In seinem Willen gehört er seiner Natur nicht an. Er gehört da dem Geist-Reich der ersten Hierarchie an.

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ETWAS VOM GEIST-VERSTEHEN UND SCHICKSALS-ERLEBEN

In die Mitteilungen und Betrachtungen, die an dieser Stelle an die Mitglieder gerichtet werden, soll diesmal einiges einfließen, das geeignet sein kann, den Gedanken über die Leitsätze eine weitere Richtung zu geben.

Das Verständnis des anthroposophischen Erkennens kann gefördert werden, wenn die menschliche Seele immer wieder auf das Verhältnis von Mensch und Welt hingelenkt wird.

Richtet der Mensch die Aufmerksamkeit auf die Welt, in die er hineingeboren wird und aus der er herausstirbt, so hat er zunächst die Fülle seiner Sinneseindrücke um sich. Er macht sich Gedanken über diese Sinnes-Eindrücke.

Indem er dieses sich zum Bewußtsein bringt: «Ich mache mir Gedanken über das, was mir meine Sinne als Welt offen­baren», kann er schon mit der Selbstbetrachtung einsetzen. Er kann sich sagen: in meinen Gedanken lebe «Ich». Die Welt gibt mir Veranlassung, in Gedanken mich zu erleben. Ich finde mich in meinen Gedanken, indem ich die Welt betrachte.

So fortfahrend im Nachsinnen verliert der Mensch die Welt aus dem Bewußtsein; und das Ich tritt in dieses ein. Er hört auf, die Welt vorzustellen; er fängt an, das Selbst zu erleben.

Wird umgekehrt die Aufmerksamkeit auf das Innere ge­richtet, in dem die Welt sich spiegelt, so tauchen im Be­wußtsein die Lebensschicksalsereignisse auf, in denen das menschliche Selbst von dem Zeitpunkte an, bis zu dem man sich zurückerinnert, dahingeflossen ist. Man erlebt das ei­gene Dasein in der Folge dieser Schicksals-Erlebnisse.

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Indem man sich dieses zum Bewußtsein bringt: «Ich habe mit meinem Selbst ein Schicksal erlebt», kann man mit der Weltbetrachtung einsetzen. Man kann sich sagen: In meinem Schicksal war ich nicht allein; da hat die Welt in mein Erleben eingegriffen. Ich habe dieses oder jenes gewollt; in mein Wollen ist die Welt hereingeflutet. Ich finde die Welt in meinem Wollen, indem ich dieses Wollen selbstbetrachtend erlebe.

So fortfahrend, sich in das eigene Selbst einlebend, ver­liert der Mensch das Selbst aus dem Bewußtsein; die Welt tritt in dieses ein. Er hört auf, das Selbst zu erleben; er fängt an, die Welt im Erfühlen gewahr zu werden.

Ich denke hinaus in die Welt; da finde ich mich; ich ver­senke mich in mich selbst, da finde ich die Welt. Wenn der Mensch dieses stark genug empfindet, steht er in den Welt- und Menschenrätseln drinnen.

Denn fühlen: man müht sich im Denken ab, um die Welt zu ergreifen, und man steckt in diesem Denken doch nur selbst darinnen, das gibt das erste Welträtsel auf.

Vom Schicksal in seinem Selbst sich geformt fühlen und in diesem Formen das Fluten des Weltgeschehens empfin­den; das drängt zum zweiten Welträtsel hin.

In dem Erleben dieses Welt- und Menschenrätsels erkeimt die Seelenverfassung, in der der Mensch der Anthro­posophie so begegnen kann, daß er in seinem Innern von ihr einen Eindruck erhält, der seine Aufmerksamkeit erregt.

Denn Anthroposophie macht nun dieses geltend: Es gibt ein geistiges Erleben, das nicht im Denken die Welt verliert. Man kann auch im Denken noch leben. Sie gibt im Meditieren ein inneres Erleben an, in dem man nicht den­kend die Sinneswelt verliert, sondern die Geistwelt gewinnt.

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Statt in das Ich einzudringen, in dem man die Sinn­nen-Welt versinken fühlt, dringt man in die Geist-Welt ein, in der man das Ich erfestigt fühlt.

Anthroposophie zeigt im weiteren: Es gibt ein Erleben des Schicksals, in dem man nicht das Selbst verliert. Man kann auch im Schicksal noch sich selbst als wirksam erleben. Sie gibt in dem unegoistischen Betrachten des Menschenschicksals ein Erleben an, in dem man nicht nur das eigene Dasein, sondern die Welt lieben lernt. Statt in die Welt hin­einzustarren, die in Glück und Unglück das Ich auf ihren Wellen trägt, findet man das Ich, das wollend das eigene Schicksal gestaltet. Statt an die Welt zu stoßen, an der das Ich zerschellt, dringt man in das Selbst ein, das sich mit dem Weltgeschehen verbunden fühlt.

Das Schicksal des Menschen wird ihm von der Welt be­reitet, die ihm seine Sinne offenbaren. Findet er die eigene Wirksamkeit in dem Schicksalswalten, so steigt ihm sein Selbst wesenhaft nicht nur aus dem eigenen Innern, son­dern es steigt ihm aus der Sinneswelt auf.

Kann man auch nur leise empfinden, wie im Selbst die Welt als Geistiges erscheint und wie in der Sinneswelt das Selbst sich als wirksam erweist, so ist man schon im siche­ren Verstehen der Anthroposophie darinnen.

Denn man wird dann einen Sinn dafür entwickeln, daß in der Anthroposophie die Geist-Welt beschrieben werden darf, die vom Selbst erfaßt wird. Und dieser Sinn wird auch Verständnis dafür entwickeln, daß in der Sinneswelt das Selbst auch noch anders als durch Versenken in das In­nere gefunden werden kann. Anthroposophie findet das Selbst, indem sie zeigt, wie aus der Sinneswelt für den Men­schen nicht nur sinnliche Wahrnehmungen sich offenbaren,

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sondern auch die Nachwirkungen aus seinem vorirdischen Dasein und aus den vorigen Erdenleben.

Der Mensch kann nun in die Welt der Sinne hinausblicken und sagen: da ist ja nicht nur Farbe, Ton, Wärme; da wirken auch die Erlebnisse der Seelen, die diese Seelen vor ihrem gegenwärtigen Erdendasein durchgemacht haben. Und er kann in sich hineinblicken und sagen: da ist nicht nur mein Ich, da offenbart sich eine geistige Welt.

In einem solchen Verständnisse kann der von den Welt- und Menschenrätseln berührte Mensch sich mit dem Ein­geweihten zusammenfinden, der, nach seinen Einsichten, von der äußeren Sinneswelt so reden muß, als ob aus der­selben nicht nur sinnliche Wahrnehmungen sich kundgä­ben, sondern die Eindrücke von dem, was Menschenseelen im vorirdischen Dasein und in verflossenen Erdenleben gewirkt haben; und der von der inneren Selbst-Welt aus­sagen muß, daß sie Geistzusammenhänge offenbart, so ein­drucks- und wirkungsvoll, wie die Wahrnehmungen der Sinneswelt sind.

Bewußt sollten sich die tätig sein wollenden Mitglieder zu Vermittlern dessen machen, was die fragende Menschenseele als Welt- und Menschenrätsel fühlt, mit dem, was die Eingeweihten-Erkenntnis zu sagen hat, wenn sie aus Men­schen-Schicksalen eine vergangene Welt heraufholt, und wenn sie aus seelischer Erkraftung die Wahrnehmung einer Geist-Welt erschließt.

So kann im Arbeiten der tätig sein wollenden Mitglie­der die Anthroposophische Gesellschaft zu einer echten Vorschule der Eingeweihten-Schule werden. Auf dieses wollte die Weihnachtstagung kräftig hinweisen; und wer diese Tagung richtig versteht, wird mit diesem Hinweisen

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fortfahren, bis ein genügendes Verständnis dafür der Ge­sellschaft wieder neue Aufgaben bringen kann.

Aus diesen Hinweisen mögen denn die im folgenden zu gebenden «Leitsätze» erfließen.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 62 bis 65 (13. Juli 1924)

62. Die Sinneswelt trägt in den Sinneswahrnehmungen nur einen Teil des Wesens an die Oberfläche, das sie in ihren Wellentiefen birgt. Bei eindringlicher geistgemäßer Beob­achtung zeigt sie, daß in diesen Tiefen die Nachwirkungen dessen sind, was Menschenseelen noch in langvergangenen Zeiten gewirkt haben.

63. Die menschliche Innenwelt offenbart dem gewöhnli­chen Selbstbetrachten nur einen Teil dessen, in dem sie dar­innen steht. Bei erstarktem Erleben zeigt sie, daß sie in ei­ner geistlebendigen Wirklichkeit steht.

64. In dem Schicksal des Menschen offenbart sich nicht bloß die Wirksamkeit einer Außenwelt, sondern auch die­jenige des eigenen Selbst.

65. In den menschlichen Seelen-Erlebnissen offenbart sich nicht bloß ein Selbst, sondern auch eine Geistwelt, die das Selbst in geistmäßiger Erkenntnis mit der eigenen Wesen­heit verbunden wissen kann.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 66 bis 68 (20. Juli 1924)

66. Die Wesenheiten der dritten Hierarchie offenbaren sich in dem Leben, das im menschlichen Denken als Geist-Hintergrund

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zur Entfaltung gelangt. Dieses Leben verbirgt sich in der menschlichen Denktätigkeit. Wirkte sie in die­ser als Eigensein fort, so könnte der Mensch nicht zur Frei­heit gelangen. Wo kosmische Denktätigkeit aufhört, be­ginnt menschliche Denktätigkeit.

67. Die Wesenheiten der zweiten Hierarchie offenbaren sich in einem außermenschlichen Seelischen, das dem menschlichen Fühlen als kosmisch-seelisches Geschehen verborgen ist. Dieses Kosmisch-Seelische schafft im Hin­tergrunde des menschlichen Fühlens. Es gestaltet das Menschlich-Wesenhafte zum Gefühls-Organismus, bevor in diesem selbst das Fühlen leben kann.

68. Die Wesenheiten der ersten Hierarchie offenbaren sich in einem außermenschlichen Geistschaffen, das dem mensch­lichen Wollen als kosmisch-geistige Wesenswelt inne­wohnt. Dieses Kosmisch-Geistige erlebt sich selbst schaf­fend, indem der Mensch will. Es gestaltet den Zusammen­hang des Menschlich-Wesenhaften mit der außermensch­lichen Welt, bevor der Mensch durch seinen Willens-Organismus zum frei wollenden Wesen wird.

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GEISTIGE WELTBEREICHE UND MENSCHLICHE SELBSTERKENNTNIS

Die Leitsätze, die in diesen Wochen vom Goetheanum aus den Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft ge­sandt worden sind, lenken den Seelenblick zu den Wesen­heiten der geistigen Reiche hin, mit denen nach oben der Mensch ebenso zusammenhängt wie nach unten hin mit den Naturreichen.

Eine wahre Selbsterkenntnis des Menschen kann die Führerin werden zu diesen geistigen Reichen. Und wenn nach solcher Selbsterkenntnis mit rechtem Sinne gestrebt wird, so wird sich in ihr das Verständnis für dasjenige er­schließen, was die Anthroposophie aus dem Einblick in das Leben der geistigen Welt an Erkenntnissen vermittelt. Man muß nur die Selbsterkenntnis im wirklichen Sinne, nicht in dem eines bloßen Hineinstarrens in das «Innere» üben.

Bei einer solchen wirklichen Selbst-Erkenntnis nndet man zunächst, was in der Erinnerung lebt. In Gedanken-Bildern ruft man die Schatten dessen in das Bewußtsein herauf, in dem man in vergangener Zeit mit unmittelbarem lebendi­gem Erfahren darinnengestanden hat. Wer einen Schatten sieht, wird aus einem inneren Drang heraus im Denken nach dem Gegenstande hingelenkt, der den Schatten wirft. Wer eine Erinnerung in sich trägt, kann in solch unmittel­barer Art nicht den Seelenblick nach dem Erlebnisse hinlenken, das in der Erinnerung nachwirkt. Wenn er sich aber wirklich auf sein eigenes Sein besinnt, so wird er sich sagen müssen: er selbst sei, seiner seelischen Wesenheit nach, dasjenige, was die Erlebnisse aus ihm gemacht haben, die in

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der Erinnerung ihre Schatten werfen. Im Bewußtsein tre­ten die Erinnerungs-Schatten auf, im Seelensein leuchtet, was in der Erinnerung schattet. Toter Schatten west in der Erinnerung; lebendiges Sein west in der Seele, in der die Erinnerung wirkt.

Man muß sich dieses Verhältnis der Erinnerung zum wirklichen Seelenleben nur klarmachen; und man wird in diesem Streben nach Klarheit im Selbst-Erkennen empfin­den, wie man auf dem Wege nach der geistigen Welt ist.

Durch die Erinnerung sieht man auf das Geistige der eigenen Seele. Für das gewöhnliche Bewußtsein kommt die­ses Sehen nicht zu einem wirklichen Ergreifen dessen, wo­nach der Blick gerichtet ist. Man schaut nach etwas hin; aber der Blick begegnet keiner Wirklichkeit. Anthroposo­phie weist aus der imaginativen Erkenntnis auf diese Wirk­lichkeit hin. Sie verweist von dem Schattenden auf das Leuchtende. Sie tut dies, indem sie von dem Ätherleibe des Menschen spricht. Sie zeigt, wie in den Gedanken-Schat­ten-Bildern der physische Leib wirkt; wie aber in dem Leuchtenden der Ätherleib lebt.

Mit dem physischen Leibe ist der Mensch in der sinnli­chen Welt; mit dem Ätherleibe ist er in der Ätherwelt. In der sinnlichen Welt hat er eine Umgebung; er hat eine sol­che auch in der Ätherwelt. Die Anthroposophie spricht von dieser Umgebung als von der ersten verborgenen Welt, in der sich der Mensch befindet. Es ist das Reich der dritten Hierarchie.

Man nähere sich nun in derselben Art, wie man so an die Erinnerung herangetreten ist, der Sprache. Sie quillt aus dem Inneren des Menschen hervor wie die Erinnerung. In ihr verbindet sich der Mensch mit einem Sein, wie er sich

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in der Erinnerung mit seinen eigenen Erlebnissen verbin­det. Im Worte lebt auch ein Schattendes. Dieses ist kräfti­ger als das Schattende der Erinnerungs-Gedanken. Indem der Mensch seine Erlebnisse in der Erinnerung innerlich abschattet, ist er mit seinem eigenen verborgenen Selbst bei dem ganzen Vorgange selbst wirksam. Er ist dabei, in­dem das Leuchtende den Schatten wirft.

In der Sprache ist auch ein Schattenwerfen. Worte sind Schatten. Was leuchtet da? Kräftigeres leuchtet, weil Worte kräftigere Schatten sind als Erinnerungs-Gedanken. Was im menschlichen Selbst Erinnerungen im Laufe eines Erdenlebens schaffen kann, kann nicht die Worte schaffen. Sie muß der Mensch im Zusammenhange mit andern Men­schen lernen. Ein tiefer in ihm liegendes Wesen als das in der Erinnerung Schattende muß sich daran beteiligen. An­throposophie spricht da aus der inspirierten Erkenntnis heraus vom Astralleib, wie sie der Erinnerung gegenüber vom Ätherleib spricht. Zu dem physischen und Ätherleib tritt der Astralleib als ein drittes Glied der menschlichen Wesenheit.

Aber auch dieses dritte Glied hat eine Welt-Umgebung. Es ist diejenige der zweiten Hierarchie. In der menschlichen Sprache ist ein Schattenbild dieser zweiten Hierarchie ge­geben. Der Mensch lebt innerhalb des Bereiches dieser Hierarchie mit seinem Astralleibe.

Man kann weiter gehen. An dem Sprechen ist der Mensch mit einem Teile seines Wesens beteiligt. Er bringt im Spre­chen sein Inneres in Bewegung. Wovon dieses Innere um­schlossen wird, das bleibt im Sprechen selbst in Ruhe. Die Bewegung des Sprechens entringt sich diesem ruhig blei­benden Menschenwesen. Aber der ganze Mensch kommt

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in Bewegung, wenn er in Regsamkeit bringt, was Glied­maßenartig an ihm ist. In dieser Bewegung ist der Mensch nicht minder ausdrucksvoll wie in der Erinnerung und in der Sprache. Die Erinnerung drückt die Erlebnisse aus; die Sprache hat ihr Wesen eben darinnen, daß sie Ausdruck von etwas ist. So auch drückt der in seinem ganzen Wesen be­wegte Mensch ein «Etwas» aus.

Was so ausgedrückt wird, weist die Anthroposophie als ein weiteres Glied der menschlichen Wesenheit auf. Sie spricht aus der intuitiven Erkenntnis heraus von dem «wah­ren Selbst» oder dem «Ich». Auch für dieses findet sie eine Welt-Umgebung. Es ist diejenige der ersten Hierarchie.

Indem der Mensch an seine Erinnerungs-Gedanken herantritt, begegnet ihm ein erstes Übersinnliches, sein ei­genes Ätherwesen. Anthroposophie weist ihm die entspre­chende Welt-Umgebung auf. Indem sich der Mensch als Sprechenden erfaßt, begegnet ihm sein Astralwesen. Das wird nicht mehr in dem erfaßt, was nur innerlich wie die Erinnerung wirkt. Es wird von der Inspiration geschaut als dasjenige, was in dem Sprechen aus dem Geistigen her­aus einen physischen Vorgang gestaltet. Sprechen ist ein physischer Vorgang. Ihm liegt das Schaffen aus dem Be­reiche der zweiten Hierarchie zugrunde.

In dem ganzen bewegten Menschen ist ein intensiveres physisches Wirken vorhanden als im Sprechen. Nicht etwas am Menschen wird gestaltet; der ganze Mensch wird gestaltet. Da wirkt die erste Hierarchie in dem in Gestal­tung webenden Physischen.

So kann wirkliche Selbst-Erkenntnis des Menschenwe­sens geübt werden. Aber der Mensch erfaßt dabei nicht das eigene Selbst allein. Stufenweise erfaßt er seine Glieder: den

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physischen Leib, den Ätherleib, den Astralleib, das Selbst. Aber indem er diese erfaßt, kommt er auch stufenweise an höhere Welten heran, die wie die drei Naturreiche, das tie­rische, das pflanzliche, das mineralische, als drei geistige Reiche zu der Gesamtwelt gehören, in der sich sein Wesen entfaltet.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 69 bis 71 (27. Juli 1924)

69. Die dritte Hierarchie offenbart sich als ein rein Geistig­-Seelisches. Sie webt in dem, was der Mensch auf seelische Art gmz innerlich erlebt. Weder im Ätherischen, noch im Physischen könnten Vorgänge entstehen, wenn nur diese Hierarchie wirkte. Seelisches könnte allein da sein.

70. Die zweite Hierarchie offenbart sich als ein Geistig­-Seelisches, das im Ätherischen wirkt. Alles Ätherische ist Offenbarung der zweiten Hierarchie. Sie offenbart sich aber nicht unmittelbar im Physischen. Ihre Stärke reicht nur bis zu den ätherischen Vorgängen. Es würde nur Seelisches und Ätherisches bestehen, wenn nur dritte und zweite Hier­archie wirkten.

71. Die stärkste, erste Hierarchie offenbart sich als das im Physischen geistig Wirksame. Sie gestaltet die physische Welt zum Kosmos. Die dritte und zweite Hierarchie sind dabei die dienenden Wesenheiten.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 72 bis 75 (3. August 1924)

72. Sobald man an die höheren Glieder der menschlichen Wesenheit: den ätherischen, astralischen Leib und die Ich-Organisation herantritt, ist man genötigt, das Verhältnis des Menschen zu den Wesen der geistigen Reiche zu su­chen. Nur die physische Leibesorganisation kann von den drei physischen Naturreichen aus beleuchtet werden.

73. Im Ätherleibe gliedert sich dem Menschenwesen die Intelligenz des Kosmos ein. Daß dies geschehen kann, setzt die Tätigkeit von Welt-Wesen voraus, die in ihrem Zusammenwirken den menschlichen Ätherleib so gestalten wie die physischen Kräfte den physischen.

74. Im Astralleibe prägt die geistige Welt dem Menschenwesen die moralischen Impulse ein. Daß diese in der menschlichen Organisation sich darleben können, ist von der Tätigkeit solcher Wesen abhängig, die das Geistige nicht nur denken, sondern wesenhaft gestalten können.

75. In der Ich-Organisation erlebt der Mensch im physi­schen Leib sich selbst als Geist. Daß dies geschehen kann, ist die Tätigkeit von Wesen notwendig, die selbst als geistige in der physischen Welt leben.

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WIE DIE LEITSÄTZE ANZUWENDEN SIND

In den Leitsätzen, die vom Goetheanum ausgegeben wer­den, soll die Anregung für die tätig sein wollenden Mitglieder gegeben sein, den Inhalt des anthroposophischen Wirkens einheitlich zu gestalten. Man wird finden, wenn man an diese Sätze jede Woche herantritt, daß sie eine Anleitung dazu geben, sich in den vorhandenen Stoff der Zy­klen zu vertiefen und diesen in einer gewissen Anordnung in den Zweigversammlungen vorzubringen.

Es wäre ja gewiß wünschenswerter, wenn jede Woche sogleich die Vorträge, die in Dornach gehalten werden, in allen Richtungen an die einzelnen Zweige gebracht werden könnten. Allein man sollte auch bedenken, welch kompli­zierte technische Einrichtungen dazu nötig sind. Es wird gewiß von Seite des Vorstandes am Goetheanum nach dieser Richtung alles Mögliche angestrebt und noch getan werden. Aber man muß mit den vorhandenen Möglichkei­ten rechnen. Die Absichten, die auf der Weihnachtstagung geäußert worden sind, werden verwirklicht werden. Aber wir brauchen Zeit.

Vorläufig sind diejenigen Zweige im Vorteil, welche Mitglieder in sich haben, die das Goetheanum besuchen, da die Vorträge hören und deren Inhalt in den Zweigver­sammlungen vorbringen können. Und es sollte von den Zweigen erkannt werden, daß die Entsendung solcher Mitglieder an das Goetheanum eine Wohltat ist. Aber man sollte auch nicht die Arbeit, die in der Anthroposophischen Gesellschaft schon geleistet ist und die in den gedruckten Zyklen und Vorträgen vorliegt, allzu sehr unterschätzen. Wer diese Zyklen vornimmt, sich nach den Titeln erinnert,

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welcher Stoff in diesem oder jenem enthalten ist, und dann an die Leitsätze herantritt, der wird finden, daß er in dem einen Zyklus das eine und in dem anderen ein anderes fin­det, das den Leitsatz weiter ausführt. Aus dem Zusammen-lesen dessen, was in den einzelnen Zyklen getrennt steht, können die Gesichtspunkte gefunden werden, von denen aus in Anlehnung an die Leitsätze gesprochen werden kann.

Wir wirken in der Anthroposophischen Gesellschaft wie rechte Verschwender, wenn wir die gedruckten Zyklen ganz unbenutzt lassen und immer nur «das Neueste» vom Geetheanum empfangen wollen. Es ist doch auch leicht begreiflich, daß allmählich jede Möglichkeit, die Zyklen zu drucken, aufhören müßte, wenn diese nicht ausgiebig be­nützt würden.

Es kommt noch ein anderer Gesichtspunkt in Frage. Bei der Verbreitung des Inhaltes der Anthroposophie ist Ge­wissenhaftigkeit und Verantwortlichkeitsgefühl in allererster Linie notwendig. Man muß das, was über die geistige Welt gesagt wird, in eine Form bringen, daß die Bilder der geistigen Tatsachen und Wesenheiten, die gegeben wer­den, nicht Mißverständnissen ausgesetzt werden. Wer am Goetheanum einen Vortrag hört, kann einen unmittelbaren Eindruck haben. Wenn er dessen Inhalt wiedergibt, so kann bei ihm dieser Eindruck nachklingen, und er ist im­stande, die Dinge so zu formulieren, daß sie richtig verstanden werden können. Wird aber ein Zweiter, Dritter der Vermittler, so wird die Wahrscheinlichkeit immer grö­ßer, daß sich Ungenauigkeiten einschleichen. Alle diese Dinge sollten bedacht werden.

Und ein weiterer Gesichtspunkt ist ja wohl der aller­wichtigste. Es handelt sich ja nicht darum, daß der anthroposophische

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Inhalt nur äußerlich angehört oder gelesen werde, sondern daß er in das lebendige Seelenwesen auf­genommen werde. Im Fortdenken und Fortfühlen des Auf­genommenen liegt ein Wesentliches. Das aber soll mit Be­zug auf die schon vorliegenden gedruckten Zyklen gerade durch die Leitsätze angeregt werden. Wird dieser Gesichts­punkt zu wenig berücksichtigt, so wird es fortdauernd dar­an fehlen, daß das Wesen der Anthroposophie durch die Anthroposophische Gesellschaft sich offenbaren könne. Man sagt nur mit scheinbarem Recht: was nützt es mir, noch soviel von geistigen Welten zu hören, wenn ich nicht selbst in solche Welten hineinschauen kann. Man berück­sichtigt dabei nicht, daß dieses Hineinschauen gefördert wird, wenn über die Verarbeitung des anthroposophischen Inhaltes so gedacht wird, wie es hier angedeutet ist. Die Vorträge am Goetheanum sind so gehalten, daß ihr Inhalt lebendig und frei in den Gemütern der Zuhörer fortwirken kann. Und so ist auch der Inhalt der Zyklen. Da ist kein to­tes Material zur bloßen äußeren Mitteilung; da ist Stoff, der unter verschiedene Gesichtspunkte gerückt das Schau­en in geistige Welten anregt. Man sollte nicht glauben: den Inhalt der Vorträge höre ich an; die Erkenntnis der geisti­gen Welt eigne ich mir durch Meditation an. So wird man nie im wahren Sinne weiterkommen. Beides muß in der Seele zusammenwirken. Und das Fortdenken und Fortfühlen des anthroposophischen Inhaltes ist auch Seelenübung. Man lebt sich in die geistige Welt schauend hinein, wenn man so, wie es hier gesagt ist, mit diesem Inhalt verfährt.

Es wird eben doch in der Anthroposophischen Gesell­schaft viel zu wenig darauf gesehen, daß Anthroposophie

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nicht graue Theorie, sondern wahres Leben sein soll. Wah­res Leben, das ist ihr Wesen; und wird sie zur grauen Theo­rie gemacht, dann ist sie oft gar nicht eine bessere, sondern eine schlechtere Theorie als andere. Aber sie wird eben erst Theorie, wenn man sie dazu macht, wenn man sie tötet. Das wird noch viel zu wenig gesehen, daß Anthroposophie nicht nur eine andere Weltanschauung ist als andere, son­dern daß sie auch anders aufgenommen werden muß. Man erkennt und erlebt ihr Wesen erst in dieser anderen Art des Aufnehmens.

Das Goetheanum sollte als der notwendige Mittelpunkt des anthroposophischen Arbeitens und Wirkens angesehen werden; aber man sollte nicht aus dem Auge verlieren, daß in den Zweigen der anthroposophische Stoff, der erarbei­tet worden ist, auch zur Geltung komme. Was am Goethe­anum gewirkt wird, das kann im vollen lebendigen Sinne die ganze Anthroposophische Gesellschaft nach und nach ha­ben, wenn möglichst viele Mitglieder aus dem Leben der Zweige heraus an das Goetheanum selbst herankommen und, soviel ihnen möglich ist, an seinem lebendigen Wirken teilnehmen. Das alles aber muß mit Innerlichkeit gestaltet werden; mit dem äußerlichen «Mitteilen» des Inhaltes von jeder Woche geht es nicht. Der Vorstand am Goetheanum wird Zeit brauchen und bei den Mitgliedern Verständnis finden müssen. Dann wird er im Sinne der Weihnachtstagung wirken können.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 76 bis 78 (10. August 1924)

76. Will man eine Vorstellung der ersten Hierarchie (Se­raphim, Cherubim und Throne) hervorrufen, so wird man darnach suchen müssen, Bilder zu gestalten, in denen Gei­stiges (nur übersinnlich Schaubares) in den Formen sich wirkend offenbart, die in der Sinnenwelt zur Erscheinung kommen. Geistiges in sinnenfälliger Bildlichkeit muß In­halt der Gedanken über die erste Hierarchie sein.

77. Will man eine Vorstellung der zweiten Hierarchie (Ky­riotetes, Dynameis, Exusiai) hervorrufen, so wird man dar­nach suchen müssen, Bilder zu gestalten, in denen Geisti­ges nicht in sinnenfälligen Formen, sondern auf rein gei­stige Art sich offenbart. Geistiges in nicht sinnenfälliger, sondern rein geistiger Bildlichkeit muß der Inhalt der Ge­danken über die zweite Hierarchie sein.

78. Will man eine Vorstellung der dritten Hierarchie (Ar­chai, Archangeloi, Angeloi) hervorrufen, so wird man dar­nach suchen müssen, Bilder zu gestalten, in denen Geisti­ges nicht in sinnenfälligen Formen, aber auch nicht auf rein geistige Art, sondern so sich offenbart, wie Denken, Fühlen und Wollen in der menschlichen Seele sich darle­ben. Geistiges in seelenhafter Bildlichkeit muß der Inhalt der Gedanken über eine dritte Hierarchie sein.

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IM ANBRUCH DES MICHAEL-ZEITALTERS

Bis zum neunten Jahrhundert nach dem Mysterium von Golgatha stand der Mensch anders zu seinen Gedanken als später. Er hatte nicht die Empfindung, daß er die in seiner Seele lebenden Gedanken selbst hervorbringe. Er betrachtete sie als Eingebungen einer geistigen Welt. Auch wenn er über das Gedanken hatte, was er mit seinen Sinnen wahrnahm, waren ihm die Gedanken Offen­barungen des Göttlichen, das aus den Sinnesdingen zu ihm sprach.

Wer geistige Schauungen hat, begreift diese Empfindung. Denn, wenn ein geistig Wirkliches sich der Seele mitteilt, so hat man niemals das Gefühl, da ist die geistige Wahrneh­mung, und man formt selber den Gedanken, um die Wahr­nehmung zu begreifen; sondern man schaut den Gedanken, der in der Wahrnehmung enthalten und mit ihr gegeben ist, so objektiv wie sie selbst.

Mit dem neunten Jahrhundert - selbstverständlich sind solche Angaben so zu nehmen, daß sie eine mittlere Zeitangabe bilden; der Übergang geschieht ganz allmählich leuchtete in den Menschenseelen die persönlich-individuelle Intelligenz auf Der Mensch bekam das Gefühl: ich bilde die Gedanken. Und dieses Bilden der Gedanken wurde das Überragende im Seelenleben, so daß die Denkenden das Wesen der Menschenseele im intelligenten Verhalten sa­hen. Vorher hatte man von der Seele eine imaginative Vorstellung. Man sah ihr Wesen nicht im Gedankenbilden, son­dern in ihrem Teilhaben an dem geistigen Inhalt der Welt. Die übersinnlichen geistigen Wesen dachte man denkend; und sie wirken in den Menschen hinein; sie denken auch in

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ihn hinein. Was so von der übersinnlichen geistigen Welt im Menschen lebt, das empfand man als Seele.

Sobald man in die geistige Welt mit seiner Anschauung hinaufdringt, kommt man an konkrete geistige Wesensmächte heran. In alten Lehren hat man die Macht, aus der die Gedanken der Dinge erfließen, mit dem Namen Michael bezeichnet. Der Name kann beibehalten werden. Dann kann man sagen: die Menschen empfingen einst von Michael die Gedanken. Michael verwaltete die kosmische Intelligenz. Vom neunten Jahrhundert an verspürten die Menschen nicht mehr, daß ihnen Michael die Gedanken inspiriert. Sie waten seiner Herrschaft entfallen; sie fielen aus der geistigen Welt in die individuellen Menschenseelen.

Innerhalb der Menschheit wurde nunmehr das Gedan­kenlehen ausgebildet. Man war zunächst unsicher, was man an den Gedanken hatte. Diese Unsicherheit lebte in den scholastischen Lehren. Die Scholastiker zerfielen in Realisten und Nominalisten. Die Realisten - deren Führer Thomas von Aquino und die ihm Nahestehenden waren -fühlten noch die alte Zusammengehörigkeit von Gedanke und Ding. Sie sahen daher in den Gedanken ein Wirkliches, das in den Dingen lebt. Die Gedanken des Menschen sahen sie als etwas an, das als Wirklichkeit aus den Dingen in die Seele hinüberfließt. - Die Nominalisten fühlten stark den Tatbestand, daß die Seele ihre Gedanken bildet. Sie emp­fanden die Gedanken nur als Subjektives, das in der Seele lebt und das mit den Dingen nichts zu tun hat. Sie meinten:

die Gedanken seien nur vom Menschen gebildete Namen für die Dinge. (Man sprach nicht von «Gedanken», son­dern von «Universalien»; aber das kommt für das Prinzi­pielle der Anschauung nicht in Betracht, da Gedanken ja

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immer etwas Universelles im Verhältnis zu den einzelnen Dingen haben.)

Man kann sagen: Die Realisten wollten Michael die Treue bewahren; auch da die Gedanken aus seinem Bereich in den der Menschen gefallen waren, wollten sie als Denker dem Michael dienen als dem Fürsten der Intelligenz des Kosmos. - Die Nominalisten vollzogen in ihrem unbe­wußten Seelenteil den Abfall von Michael. Sie betrachteten nicht Michael, sondern den Menschen als den Eigentümer der Gedanken.

Der Nominalismus gewann an Verbreitung und Einfluß. Das konnte so fortgehen bis in das letzte Drittel des neunzehnten Jahrhunderts. In diesem Zeitalter empfanden diejenigen Menschen, die sich auf die Wahrnehmung der geistigen Geschehnisse innerhalb des Weltalls verstehen, daß Michael dem Strom des intellektuellen Lebens nach-gezogen war. Er sucht nach einer neuen Metamorphose seiner kosmischen Aufgabe. Er ließ vorher von der geisti­gen Außenwelt her die Gedanken in die Seelen der Men­schen strömen; vom letzten Drittel des neunzehnten Jahr­hunderts an will er in den Menschenseelen leben, in denen die Gedanken gebildet werden. Vorher sahen die Michael verwandten Menschen Michael im Geistbereich seine Tä­tigkeit entfalten; jetzt erkennen sie, daß sie Michael im Herzen wohnen lassen sollen; jetzt weihen sie ihm ihr ge­dankengetragenes geistiges Leben; jetzt lassen sie sich im freien, individuellen Gedankenleben von Michael darüber belehren, welches die rechten Wege der Seele sind.

Menschen, die im vorangehenden Erdenleben in inspi­riertem Gedankenwesen gestanden haben, also Michael-diener waren, fühlten sich, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts

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wieder ins Erdenleben gekommen, zu solcher freiwilligen Michaelgemeinschaft gedrängt. Sie betrach­teten ihren alten Gedankeninspirator nunmehr als den Wei­ser im höheren Gedankenwesen.

Wer auf solche Dinge zu achten versteht, der konnte wis­sen, welch ein Umschwung im letzten Drittel des neun­zehnten Jahrhunderts sich mit Bezug auf das Gedankenleben der Menschen vollzogen hat. Vorher konnte. der Mensch nur fahlen, wie aus seinem Wesen heraus die Ge­danken sich formten; von dem angedeuteten Zeitabschnitt an kann er sich über sein Wesen erheben; er kann den Sinn ins Geistige lenken; da tritt ihm Michael entgegen, und der erweist sich als altverwandt mit allem Gedankenweben. Der befreit die Gedanken aus dem Bereich des Kopfes; er macht ihnen den Weg zum Herzen frei; er löst die Begei­sterung aus dem Gemüte los, so daß der Mensch in seeli­scher Hingabe leben kann an alles, was sich im Gedankenlicht erfahren läßt. Das Michaelzeitalter ist angebrochen. Die Herzen beginnen, Gedanken zu haben; die Begeiste­rung entströmt nicht mehr bloß mystischem Dunkel, son­dern gedankengetragener Seelenklarheit. Dies verstehen, heißt, Michael in sein Gemüt aufnehmen. Gedanken, die heute nach dem Erfassen des Geistigen trachten, müssen Herzen entstammen, die für Michael als den feurigen Ge­dankenfürsten des Weltalls schlagen.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanurn ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 79 bis 81 (17. August 1924)

79. An die dritte Hierarchie (Archai, Archangeloi, Angeloi) kann man geistig herantreten, wenn man Denken, Fühlen

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und Wollen so kennen lernt, daß man in ihnen das in der Seele wirkende Geistige gewahr wird. Das Denken stellt zunächst nur Bilder, nicht ein Wirkliches in die Welt. Das Fühlen webt in diesem Bildhaften; es spricht für ein Wirk­liches im Menschen, kann es aber nicht ausleben. Das Wol­len entfaltet eine Wirklichkeit, die den Leib voraussetzt, aber an seiner Gestaltung nicht bewußt mitwirkt. Das We­senhafte, das im Denken lebt, um den Leib zur Grundlage dieses Denkens zu machen, das Wesenhafte, das im Fühlen lebt, um den Leib zum Mit-Erleber einer Wirklichkeit zu machen, das Wesenhafte, das im Wollen lebt, um an seiner Gestaltung bewußt mitzuwirken, ist in der dritten Hierar­chie lebendig.

80. An die zweite Hierarchie (Exusiai, Dynameis, Kyriote­tes) kann man geistig herantreten, wenn man die Naturtatsachen als Erscheinungen eines in ihnen lebenden Geisti­gen erschaut. Die zweite Hierarchie hat dann die Natur zu ihrem Aufenthalt, um in ihr an den Seelen zu wirken.

81. An die erste Hierarchie (Seraphim, Cherubim, Throne) kann man geistig herantreten, wenn man die im Natur- und Menschenreich vorhandenen Tatsachen als die Taten (Schöpfungen) eines in ihnen wirkenden Geistigen erschaut. Die erste Hierarchie hat dann das Natur- und Men­schenreich zu ihrer Wirkung, in der sie sich entfaltet.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 82 bis 84 (24. August 1924)

82. Der Mensch blickt zu den Sternenwelten auf; was sich da den Sinnen darbietet, sind nur die äußeren Offenbarun­gen derjenigen Geistwesenheiten und ihrer Taten, von de­nen in den vorigen Betrachtungen als den Wesen der geisti­gen Reiche (Hierarchien) gesprochen worden ist.

83. Die Erde ist der Schauplatz der drei Naturreiche und des Menschenreiches, insofern diese den äußeren Sinnenschein von der Tätigkeit geistiger Wesenheiten offenbaren.

84. Die Kräfte, welche in die irdischen Naturreiche und in das Menschenreich von seiten geistiger Wesen hineinwir­ken, enthüllen sich dem Menschengeiste durch die wahre, die geistgemäße Erkenntnis der Gestirnwelten.

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DIE MENSCHLICHE SEELENVERFASSUNG VOR DEM ANBRUCH DES MICHAEL-ZEITALTERS

Heute soll eine Betrachtung hier eingefügt werden, die sich an die Ideen «Im Anbruch des Michael-Zeitalters »anschließt. Dieses Michael-Zeitalter ist in der Entwicke­lung der Menschheit heraufgekommen nach dem Vorherr­schen der intellektuellen Gedankenbildung auf der einen Seite und der auf die äußere Sinnenwelt - die physische Welt - gerichteten menschlichen Anschauungsweise auf der andern.

Die Gedankenbildung ist in ihrer eigenen Wesenheit nicht eine Entwickelung nach dem Materialistischen hin. Dasjenige, was in ältern Zeitaltern wie inspiriert an den Menschen herantrat, die Ideenwelt, wurde in der Zeit, die der Michael-Epoche voranging, Eigentum der menschli­chen Seele. Diese empfängt nicht mehr die Ideen «von oben» aus dem geistigen Inhalt des Kosmos; sie holt sie aktiv aus der eigenen Geistigkeit des Menschen herauf. Damit ist der Mensch erst reif geworden, sich auf die eigene geistige Wesenheit zu besinnen. Vorher drang er bis zu dieser Tiefe des eigenen Wesens nicht vor. Er sah in sich gewissermaßen den Tropfen, der aus dem Meere der kos­mischen Geistigkeit sich für das Erdenleben abgetrennt hat, um sich nach demselben wieder mit ihm zu vereinigen.

Es ist die im Menschen stattfindende Gedankenbildung ein Fortschritt in der menschlichen Selbsterkenntnis. Im Übersinnlichen angeschaut, stellt sich die Sache so dar: Die geistigen Mächte, die man mit dem Michael-Namen bezeichnen kann, verwalteten im geistigen Kosmos die Ideen. Der Mensch erlebte diese Ideen, indem er mit seiner Seele

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an dem Leben der Michael-Welt teilnahm. Dieses Erleben ist nun sein eigenes geworden. Dadurch ist eine zeitweilige Trennung des Menschen von der Michael-Welt eingetre­ten. Mit den inspirierten Gedanken der Vorzeit empfing der Mensch zugleich die geistigen Weltinhalte. Indem diese Inspiration aufhörte und der Mensch in eigener Tätigkeit die Gedanken bildet, ist er auf die Anschauung der Sinne verwiesen, um für diese Gedanken einen Inhalt zu haben. So mußte der Mensch zunächst die errungene eigene Gei­stigkeit mit materiellem Inhalt erfüllen. Er fiel in die ma­terialistische Anschauung in dem Zeitalter, das sein eigenes geistiges Wesen auf eine Stufe brachte, die höher ist als die vorangehenden.

Das kann leicht verkannt werden; man kann den «Fall» in den Materialismus nur allein beachten, und dann über ihn traurig sein. Aber während das Anschauen dieses Zeitalters sich auf die äußere physische Welt beschränken mußte, ent­faltete sich im Innern der Seele eine gereinigte, in sich selbst bestehende Geistigkeit des Menschen als Erleben. Diese Geistig­keit muß nun im Michael-Zeitalter nicht mehr unbewußtes Erleben bleiben, sondern sich ihrer Eigenart bewußt wer­den. Das bedeutet den Eintritt der Michael-Wesenheit in die menschliche Seele. Der Mensch hat eine gewisse Zeit hindurch das eigene Geistige mit dem Materiellen der Na­tur erfüllt; er soll es wieder mit ureigener Geistigkeit als kosmischen Inhalt erfüllen.

Die Gedankenbildung verlor sich eine Weile an die Ma­terie des Kosmos; sie muß sich in dem kosmischen Geiste wieder finden. In die kalte, abstrakte Gedankenwelt kann Wärme, kann wesenserfüllte Geist-Wirklichkeit eintreten. Das stellt den Anbruch des Michael-Zeitalters dar.

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Nur in der Trennung von dem Gedankenwesen der Welt konnte in den Tiefen der menschlichen Seele das Bewußtsein der Freiheit erwachsen. Was von den Höhen kam, mußte aus den Tiefen wiedergefunden werden. Deshalb ist die Entwickelung dieses Bewußtseins der Freiheit zunächst mit einer nur auf das Äußere gerichteten Naturerkenntnis verbunden gewesen. Während der Mensch im Innern sei­nen Geist unbewußt zur Reinheit der Ideen erbildete, wa­ren seine Sinne nach außen nur auf das Materielle gerichtet, das in keiner Weise störend in das eingriff, was zunächst als zarter Keim in der Seele aufleuchtete.

Aber es kann in die Anschauung des äußeren Materiellen das Erleben des Geistigen und damit die geistige Anschauung in neuer Art wieder einziehen. Was im Zeichen des Ma­terialismus an Naturerkenntnis gewonnen worden ist, kann in geistgemaßer Art im inneren Seelenleben erfaßt werden. Michael, der «von oben» gesprochen hat, kann «aus dem Innern», wo er seinen neuen Wohnsitz aufschlagen wird, gehört werden. Mehr imaginativ gesprochen, kann dies so ausgedrückt werden: Das Sonnenhafte, das der Mensch durch lange Zeiten nur aus dem Kosmos in sich aufnahm, wird im Innern der Seele leuchtend werden. Der Mensch wird von einer «innern Sonne» sprechen lernen. Er wird sich deshalb in seinem Leben zwischen Geburt und Tod nicht weniger als Erdenwesen wissen; aber er wird das auf der Erde wandelnde eigene Wesen als sonnengeführt erken­nen. Er wird als Wahrheit empfinden lernen, daß ihn im In­nern eine Wesenheit in ein Licht stellt, das zwar auf das Er­dendasein leuchtet, aber nicht in diesem entzündet wird. Im Anbruche des Michael-Zeitalters mag es noch scheinen, als ob dies alles der Menschheit recht ferne liegen könne; doch

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es ist «im Geiste» nahe; es muß nur «gesehen» werden. Von dieser Tatsache, daß die Ideen des Menschen nicht nur «denkend» bleiben, sondern im Denken «sehend» werden, hängt unermeßlich viel ab.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 85 bis 87 (31. August 1924)

85. Im wachen Tagesbewußtsein erlebt sich im gegenwär­tigen Weltenalter zunächst der Mensch. Dieses Erleben verhüllt ihm, daß innerhalb der Wachheit die dritte Hier­archie in seinem Erleben gegenwärtig ist.

86. Im Traumbewußtsein erlebt der Mensch in chaotischer Art das eigene Wesen mit dem Geistwesen der Welt unharmonisch vereinigt. Stellt sich dem Traumbewußtsein das imaginative als dessen anderer Pol gegenüber, so wird der Mensch gewahr, daß die zweite Hierarchie in seinem Erleben gegenwärtig ist.

87. Im traumlosen Schlafbewußtsein erlebt der Mensch ohne eigene Bewußtheit das eigene Wesen mit dem Geistwesen der Welt vereinigt. Stellt sich dem Schlafbewußtsein das inspirierte als dessen anderer Pol gegenüber, so wird der Mensch gewahr, daß die erste Hierarchie in sei­nem Erleben gegenwärtig ist.

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APHORISMEN AUS EINEM AM 24. AUGUST IN LONDON GEHALTENEN MITGLIEDERVORTRAG

Das menschliche Bewußtsein entwickelt im gegenwärtigen Weltstadium seiner Entwickelung drei Formen, das wachende, das träumende und das traumlos schlafende Bewußtsein.

Das wachende erlebt die sinnenfällige Außenwelt, bildet über diese Ideen und kann aus diesen Ideen heraus solche gestalten, welche eine rein geistige Welt abbilden. Das träu­mende Bewußtsein entwickelt Bilder, welche die Außen­welt umformen, zum Beispiel an die in das Bett scheinende Sonne das Traumerlebnis einer Feuersbrunst mit vielen Einzelheiten knüpfen. Oder es stellt die menschliche Innenwelt in symbolischen Bildern vor die Seele, zum Beispiel das stark pochende Herz im Bild eines überheizten Ofens. Auch die Erinnerungen leben umgestaltet im Traumbe­wußtsein auf. Dazu kommen Inhalte solcher Bilder, die nicht der Sinneswelt entnommen sind, sondern der geisti­gen, die aber nicht die Möglichkeit bieten, in die geistige Welt erkennend einzudringen, weil ihr Dämmersein nicht ganz in das Wachbewußtsein sich heben läßt, und weil, was in dieses herüberspielt, nicht wahrhaft ergriffen wer­den kann.

Es ist aber möglich, von der Traumwelt unmittelbar im Erwachen so viel zu erfassen, daß man gewahr wird, wie sie der unvollkommene Abdruck eines geistigen Erlebens ist, das den Schlaf erfüllt, aber dem Wachbewußtsein sich zum weitaus größten Teile entzieht. Es ist nur nötig, um das zu durchschauen, den Augenblick des Erwachens so zu gestalten, daß dieses nicht mit einem Schlage die Außenwelt

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vor die Seele zaubert, sondern daß die Seele, ohne noch nach außen zu schauen, sich dem innen Erlebten hin­gegeben fühlt.

Das traumlose Schlafbewußtsein läßt die Seele Erleb­nisse durchmachen, die in der Erinnerung nur als unter­schiedsloses Einerlei der Zeit-Erfüllung erscheinen. Man wird von diesen Erlebnissen so lange als von etwas gar nicht Vorhandenem sprechen können, solange man nicht durch geisteswissenschaftliche Forschung in sie eindringt. Geschieht dies aber, entwickelt man auf die in der anthro­posophischen Literatur gegebene Art das imaginierte und inspirierte Bewußtsein, dann treten aus der Finsternis des Schlafes die Bilder und die Inspirationen von Erlebnissen früheren Erdendaseins hervor. Und dann kann man auch den Inhalt des Traumbewußtseins überschauen. Er besteht in einem vom Wachbewußtsein nicht zu ergreifenden In­halt, der in diejenige Welt verweist, in welcher der Mensch zwischen zwei Erdenleben als unverkörperte Seele verweilt.

Lernt man kennen, was für die gegenwärtige Weltenphase das Traum- und das Schlafbewußtsein verbergen, dann wird der Weg eröffnet auf die Entwickelungsformen des menschlichen Bewußtseins in der Vorwelt. Man kann dazu allerdings nicht durch die äußere Forschung gelan­gen. Denn die erhaltenen äußeren Zeugnisse bringen nur Nachwirkungen von vorgeschichtlichen Erlebnissen des menschlichen Bewußtseins. Die anthroposophische Litera­tur bringt Aufschlüsse darüber, wie man durch geistige Forschung zur Anschauung von solchen Erlebnissen ge­langen kann.

In der alten Zeit Ägyptens findet diese Forschung ein Traumbewußtsein, das dem Wachbewußtsein viel nähersteht,

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als das jetzt beim Menschen der Fall ist. Die Traum­erlebnisse strahlten erinnerungsgemäß in das Wachbewußtsein herüber; und dieses lieferte nicht bloß die in scharf konturierte Gedanken zu fassenden Sinneseindrücke, son­dern verbunden mit diesen das Geistige, das in der Sinneswelt wirkt. Dadurch stand der Mensch mit seinem Bewußt­sein instinktiv in der Welt darinnen, die er bei seiner Erdenverkörperung verlassen hat und die er wieder betreten wird, wenn er durch die Todespforte geschritten sein wird.

Die erhaltenen Schrift-Denkmäler und anderes geben dem, der unbefangen in ihren Inhalt eindringt, deutliche Nachbilder eines solchen Bewußtseins, das einer Zeit angehört, aus der äußere Denkmäler nicht vorhanden sind.

Das Schlafbewußtsein der ägyptischen Urzeit enthielt Träume der geistigen Welt in einer ähnlichen Art, wie das gegenwärtige Träume aus der physischen Welt enthält.

Bei andern Völkern findet man aber noch ein anderes Bewußtsein. Der Schlaf strahlte seine Erlebnisse in das Wa­chen herüber, und zwar so, daß in diesem Herüberstrahlen eine Anschauung der wiederholten Erdenleben instinktiv vorhanden war. Die Traditionen von der Erkenntnis der wiederholten Erdenleben durch die Urmenschen entstam­men diesen Bewußtseins-Formen.

Man findet, was in alten Zeiten an Traumbewußtsein dämmerhaft instinktiv vorhanden war, in der entwickelten imaginativen Erkenntnis wieder. Nur ist es bei dieser vollbewußt wie das Wachleben.

Und man wird durch die inspirierte Erkenntnis ebenso die vorzeitliche instinktive Einsicht gewahr, die noch et­was von den wiederholten Erdenleben sah. Auf diese Ver­wandlung der menschlichen Bewußtseinsformen geht die

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heutige Menschheitsgeschichte nicht ein. Sie möchte gerne glauben, daß im wesentlichen die gegenwärtigen Bewußt­seinsformen immer vorhanden waren, solange es eine Er­denmenschheit gibt.

Und was doch auf solche andere Bewußtseinsformen hin­weist, die Mythen und Märchen, möchte man als den Aus­fluß der dichtenden Phantasie des Urmenschen ansehen.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 88 bis 90 (7. September 1924)

88. Im wachen Tagesbewußtsein erlebt sich im gegenwär­tigen Weltenalter der Mensch als innerhalb der physischen Welt stehend. Dieses Erleben verbirgt ihm, daß innerhalb seiner eigenen Wesenheit die Wirkungen eines Lebens zwi­schen Tod und Geburt vorhanden sind.

89. Im Traumbewußtsein erlebt der Mensch in chaotischer Art das eigene Wesen mit dem Geisteswesen der Welt un­harmonisch vereint. Das Wachbewußtsein kann den eigent­lichen Inhalt dieses Traumbewußtseins nicht ergreifen. Es enthüllt sich dem imaginativen und inspirierten Bewußtsein, daß die Geistwelt, die der Mensch zwischen Tod und Geburt durchlebt, an dem Aufbau seines Innenwesens be­teiligt ist.

90. Im traumlosen Schlafbewußtsein erlebt der Mensch ohne eigene Bewußtheit das eigene Wesen als durchdrun­gen mit den Ergebnissen vergangener Erdenleben. Das In­spirierte und intuitive Bewußtsein dringt zur Anschauung dieser Ergebnisse vor und sieht das Wirken voriger Erden-leben in dem Schicksalsverlauf (Karma) des gegenwärtigen.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 91 bis 93 (14. September 1924)

91. Der Wille tritt in das gewöhnliche Bewußtsein im heu­tigen Weltalter nur durch den Gedanken ein. Dieses ge­wöhnliche Bewußtsein kann aber nur an das sinnlich Wahr­nehmbare anknüpfen. Es ergreift auch an dem eigenen Wil­len nur das, was von diesem in die sinnliche Wahrneh­mungswelt eintritt. Der Mensch weiß in diesem Bewußt­sein von seinen Willensimpulsen nur durch die vorstellende Beobachtung seiner selbst, wie er von der Außenwelt nur durch Beobachtung weiß.

92. Das Karma, das im Willen wirkt, ist eine ihm aus vor­angegangenen Erdenleben anhaftende Eigenschaft. Diese kann daher nicht durch die Vorstellungen des gewöhnli­chen Sinnesseins, die nur auf das gegenwärtige Erdenleben hin orientiert sind, erfaßt werden.

93. Weil diese Vorstellungen das Karma nicht erfassen kön­nen, verweisen sie das ihnen an den menschlichen Willens-Impulsen entgegentretende Unverständliche in das mysti­sche Dunkel der Körperkonstitution, während es die Wir­kung vorangegangener Erdenleben ist.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 94 bis 96 (21. September 1924)

94. Mit dem gewöhnlichen Vorstellungsleben, das durch die Sinne vermittelt wird, steht der Mensch in der Physischen Welt. Um diese in sein Bewußtsein aufzunehmen, muß das Karma im Vorstellungsleben schweigen. Der Mensch vergißt gewissermaßen als Vorstellender sein Karma.

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95. In den Willensoffenbarungen wirkt das Karma. Aber die Wirkung bleibt im Unbewußten. Durch das Erheben dessen, was im Willen unbewußt wirkt, zur Imagination, wird das Karma ergriffen. Man fühlt in sich sein Schicksal.

96. Tritt Inspiration und Intuition in die Imagination ein, dann wird im Willenswirken außer den Impulsen der Ge­genwart das Ergebnis voriger Erdenleben wahrnehmbar. Das vergangene Leben erweist sich in dem gegenwärtigen als wirksam.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 97 bis 99 (28. September 1924)

97. Eine gröbere Darstellung darf sagen: in der Seele des Menschen leben Denken, Fühlen und Wollen. Eine feinere muß sagen: Denken enthält immer einen Untergrund von Fühlen und Wollen, Fühlen einen solchen von Denken und Wollen, Wollen einen von Denken und Fühlen. Im Gedan­kenleben ist nur das Denken, im Gefühlsleben das Fühlen, im Willensleben das Wollen gegenüber den anderen Seeleninhalten vorherrschend.

98. Das Fühlen und Wollen des Gedankenlebens enthalten das karmische Ergebnis voriger Erdenleben. Das Denken und Wollen des Gefühlslebens bestimmen auf karmische Art den Charakter. Das Denken und Fühlen des Willenslebens reißen das gegenwärtige Erdenleben aus dem kar­mischen Zusammenhange heraus.

99. Im Fühlen und Wollen des Denkens lebt der Mensch sein Karma der Vergangenheit aus; im Denken und Fühlen des Wollens bereitet er das Karma der Zukunft vor.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 100 bis 102 (5. Oktober 1924)

100. Die Gedanken haben ihren eigentlichen Sitz im ätheri­schen Leib des Menschen. Aber da sind sie lebendig-wesenhafte Kräfte. Sie prägen sich dem physischen Leibe ein. Und als solche «eingeprägte Gedanken» haben sie die schattenhafte Art, in der sie das gewöhnliche Bewußtsein kennt.

101. Was in den Gedanken als Fühlen lebt, das kommt vom astralischen Leib, was als Wollen, vom «Ich» her. Im Schlafen erstrahlt der Ätherleib des Menschen durchaus in dessen Gedankenwelt; nur der Mensch nimmt nicht daran teil, weil er das Fühlen der Gedanken mit dem Astralleib, das Wollen derselben mit dem «Ich» aus dem ätherischen und physischen Leib herausgezogen hat.

102. In dem Augenblicke, in dem während des Schlafes der astralische Leib und das lch das Verhältnis zu den Gedan­ken des Ätherleibes lösen, gehen sie ein solches zu dem «Karma», zur Anschauung der Geschehnisse durch die wiederholten Erdenleben hindurch ein. Diese Anschauung ist dem gewöhnlichen Bewußtsein versagt; ein übersinn­liches Bewußtsein tritt in sie ein.

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DER VOR-MICHAELISCHE UND DER MICHAELS-WEG

Man wird nicht im rechten Lichte sehen können, wie der Michael-Einschlag in die Menschheits-Entwickelung hereindringt, wenn man sich über das Verhältnis der neueren Ideenwelt zur Natur die Vorstellung macht, die heute allgemein üblich ist.

Da denkt man: draußen ist die Natur mit ihren Vorgän­gen und Wesen; im Innern, da sind die Ideen. Diese stellen Begriffe von Naturwesen dar oder auch sogenannte Natur-gesetze. Es komrnt den Denkern dabei vor allem darauf an, zu zeigen, wie man die Ideen bildet, die das rechte Verhält­nis zu den Naturwesen haben oder die wahre Naturgesetze enthalten.

Man legt dabei wenig Wert darauf, wie diese Ideen zu dem Menschen stehen, der sie hat. Und doch wird man, worauf es ankommt, nur einsehen, wenn man vor allem die Frage aufwirft: Was erlebt der Mensch in den neueren na­turwissenschaftlichen Ideen?

Man wird zu einer Antwort auf die folgende Art kommen. Heute empfindet der Mensch, daß Ideen in ihm durch die Tätigkeit seiner Seele ausgebildet werden. Er hat das Ge­fühl: er ist der Ausbildner der Ideen, während nur die Wahrnehmungen von außen an ihn herandringen.

Dieses Gefühl hatte der Mensch nicht immer. Er emp­fand in älteren Zeiten den Inhalt der Ideen nicht als etwas Selbst-Gemachtes, sondern als etwas durch Eingebung aus der übersinnlichen Welt Erhaltenes.

Dieses Gefühl machte Stufen durch. Und die Stufen hin­gen davon ab, mit welchem Teil seines Wesens der Mensch

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das erlebte, was er heute seine Ideen nennt. Heute in dem Zeitalter der Entwickelung der Bewußtseinsseele gilt unein­geschränkt, was in den vorigen Leitsätzen steht: «Die Ge­danken haben ihren eigentlichen Sitz im ätherischen Leib des Menschen. Aber da sind sie lebendig-wesenhafte Kräf­te. Sie prägen sich dem physischen Leibe ein. Und als sol­che ,eingeprägte Gedanken’ haben sie die schattenhafte Art, in der sie das gewöhnliche Bewußtsein kennt.»

Man kann nun zurückgehen in Zeiten, in denen Gedan­ken unmittelbar im «Ich» erlebt wurden. Da aber waren sie nicht schattenhaft wie heute; sie waren nicht bloß lebend; sie waten beseelt und durchgeistigt. Das heißt aber: der Mensch dachte nichtGedanken; sondern er erlebte dieWahr­nehmung von konkreten geistigen Wesenheiten.

Man wird ein Bewußtsein, das so zu einer Welt von gei­stigen Wesenheiten aufsieht, überall in der Vorzeit derVöl­ker finden. Was sich davon geschichtlich erhalten hat, be­zeichnet man heute als mythenbildendes Bewußtsein und legt ihm keinen besonderen Wert bei für die Erfassung der wirklichen Welt. - Und doch steht der Mensch mit diesem Bewußtsein in seiner Welt, in der Welt seines Ursprunges darinnen, während er sich mit dem heutigen Bewußtsein aus dieser seiner Welt heraushebt.

Der Mensch ist Geist. Und seine Welt ist die der Geister. Eine nächste Stufe ist diejenige, wo das Gedankliche nicht mehr vom «Ich», sondern von dem astralischen Leibe erlebt wird. Da geht die unmittelbare Geistigkeit für den seelischen Anblick verloren. Das Gedankliche erscheint als ein beseeltes Lebendiges.

Auf der ersten Stufe, dem Erschauen des konkret geistig Wesenhaften, hat der Mensch gar nicht stark das Bedürfnis,

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das Erschaute an die Welt des Sinnlich-Wahrgenom­menen heranzutragen. Die sinnlichen Welterscheinungen offenbaren sich zwar als die Taten des übersinnlich Erschauten; aber eine besondere Wissenschaft von dem aus­zubilden, was dem «geistigen Blick» unmittelbar anschau­lich ist, liegt keine Nötigung vor. Außerdem ist, was als die Welt der Geistwesen erschaut wird, von solcher Fülle, daß darauf vor allem die Aufmerksamkeit ruht.

Anders wird dies bei der zweiten Bewußtseins-Etappe. Da verbergen sich die konkreten Geistwesen; ihr Abglanz, als beseeltes Leben, erscheint. Man beginnt das «Leben der Natur» an dieses «Leben der Seelen» heranzutragen. Man sucht in den Naturwesen und Naturvorgängen die wirk­samen Geistwesen und deren Taten. In dem, was später als alchymistisches Suchen auftrat, ist geschichtlich der Nie­derschlag dieser Bewußtseins-Etappe zu sehen.

Wie der Mensch, indem er auf erster Bewußtseins-Etap­pe Geistwesen «dachte», ganz in seinem Wesen lebte, so steht er auf dieser zweiten sich und seinem Ursprung noch nahe.

Damit ist aber auf beiden Stufen ausgeschlossen, daß der Mensch im eigentlichen Sinne zu einem inneren eigenen Antrieb für sein Handeln komme.

Geistiges, das von seiner Art ist, handelt in ihm. Was er zu tun scheint, ist Offenbarung von Vorgängen, die sich durch Geistwesen abspielen. Was der Mensch tut, ist die sinnlich-physische Erscheinung eines dahinterstehenden wirklichen göttlich-geistigen Geschehens.

Eine dritte Epoche der Bewußtseins-Entwickelung bringt die Gedanken, aber als lebendige, im ätherischen Leib zum Bewußtsein.

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Als die griechische Zivilisation groß war, lebte sie in die­sem Bewußtsein. Wenn der Grieche dachte, so bildete er sich nicht einen Gedanken, durch den er, als mit seinem ei­genen Gebilde, die Welt ansah; sondern er fühlte in sich er­regt Leben, das auch draußen in den Dingen und Vorgän­gen pulsierte.

Da erstand zum ersten Male die Sehnsucht nach Frei­heit des eigenen Handelns. Noch nicht wirkliche Freiheit; aber die Sehnsucht darnach.

Der Mensch, der das Regen der Natur in sich selber sich regend empfand, konnte die Sehnsucht ausbilden, die ei­gene Regsamkeit loszulösen von der als fremd wahrgenom­menen Regsamkeit. Aber es wurde immerhin in der äuße­ren Regsamkeit noch das letzte Ergebnis der wirksamen Geist-Welt empfunden, die gleicher Art mit dem Men­schen ist.

Erst als die Gedanken ihre Prägung im physischen Leibe annahmen und sich das Bewußtsein nur auf diese Prägung erstreckte, trat die Möglichkeit der Freiheit ein. Das ist der Zustand, der mit dem fünfzehnten nachchristlichen Jahrhundert gegeben ist.

In der Welt-Entwickelung kommt es nicht darauf an, was für Bedeutung die Ideen der heutigen Naturanschauung zur Natur haben; denn diese Ideen haben ihre Formen nicht deshalb angenommen, um ein bestimmtes Bild der Natur zu liefern, sondern um den Menschen zu einer bestimmten Stufe seiner Entwickelung zu bringen.

Als die Gedanken den physischen Körper ergriffen, war aus ihrem unmittelbaren Inhalte Geist, Seele, Leben getilgt; und der abstrakte Schatten, der am physischen Leibe haf­tet, ist allein geblieben. Solche Gedanken können nur Physisch-Materielles

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zum Gegenstande ihrer Erkenntnis ma­chen. Denn sie sind selbst nur wirklich an dem physisch-materiellen Leibe des Menschen.

Nicht deshalb ist der Materialismus entstanden, weil nur materielle Wesen und Vorgänge in der äußeren Natur wahr­zunehmen sind; sondern weil der Mensch in seiner Ent­wickelung eine Etappe durchzumachen hatte, die ihn zu einem Bewußtsein führte, das zunächst nur materielle Of­fenbarungen zu schauen fähig ist. Die einseitige Ausge­staltung dieses menschlichen Entwickelungs-Bedürfnisses ergab die Naturanschauung der neueren Zeit.

Michaels Sendung ist, in der Menschen Äther-Leiber die Kräfte zu bringen, durch die die Gedanken-Schatten wie­der Leben gewinnen; dann werden sich den belebten Ge­danken Seelen und Geister der übersinnlichen Welten nei­gen; es wird der befreite Mensch mit ihnen leben können, wie ehedem der Mensch mit ihnen lebte, der nur das physische Abbild ihres Wirkens war.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanurn ausgegeben werden

(Auf Grund des vorangehend Dargestellten)

Leitsätze Nr. 103 bis 105 (12. Oktober 1924)

103. In der Menschheits-Entwickelung steigt das Bewußtsein auf der Leiter der Gedanken-Entfaltung herab. Es gibt eine erste Bewußtseins-Etappe: da erlebt der Mensch die Gedanken im «Ich» als durchgestigte, beseelte, belebte Wesen. Auf einer zweiten Etappe erlebt der Mensch die Gedanken im astralischen Leib; sie stellen da nur mehr die beseelten und belebten Abbilder der Geistwesen dar. Auf einer dritten Etappe erlebt der Mensch die Gedanken im

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Äther-Leibe; sie stellen nur eine innere Regsamkeit wie ei­nen Nachklang von Seelenhaftem dar. Auf der vierten, ge­genwartigen Etappe erlebt der Mensch die Gedanken im physischen Leibe; sie stellen tote Schatten des Geistigen dar.

104. In demselben Maße, in dem das Geistig-Seelisch-Le­bendige im Menschendenken zurücktritt, lebt des Menschen Eigenwille auf; die Freiheit wird möglich.

105. Es ist Michaels Aufgabe, den Menschen auf den Bah­nen des Willens dahin wieder zu fuhren, woher er gekom­men ist, da er auf den Bahnen des Denkens von dem Erle­ben des Übersinnlichen zu dem des Sinnlichen mit seinem Erdenbewußtsein heruntergestiegen ist.

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MICHAELS AUFGABE IN DER AHRIMAN-SPHÄRE

Wenn der Mensch auf seine Entwickelung zurückblickt und dabei die besondere Eigenheit sichzur geistigen Anschauung bringt, die sein Geistesleben seit fünf Jahrhunderten ange­nommen hat, so muß er schon innerhalb des gewöhnlichen Bewußtseins wenigstens ahnend erkennen, daß er seit die­sen Fünfjahrhunderten an einem bedeutsamen Wendepunk­te der ganzen irdischen Entwickelung der Menschheit steht. In der letzten Betrachtung habe ich, von einem Gesichts­punkte aus, auf diese bedeutsame Wendung hingewiesen. Da kann man hinaufblicken in die Vorzeit der Entwicke­lung. Man schaut, wie sich im Menschen die Seelenkraft gewandelt hat, die gegenwärtig als die Kraft der Intelli­genz tätig ist.

Jetzt erscheinen Gedanken, tote, abstrakte Gedanken im Felde des menschlichen Bewußtseins. Diese Gedanken sind an den physischen Menschenleib gebunden; der Mensch muß sie als die von ihm erzeugten anerkennen.

In der Urzeit schaute der Mensch, wenn er seinen Seelenblick in die Richtung wendete, in der ihm heute die eige­nen Gedanken sich offenbaren, göttlich-geistige Wesen­heiten. An diese Wesenheiten fand der Mensch sein ganzes Sein, bis zum physischen Leib, gebunden; er mußte sich als das Erzeugnis dieser Wesenheiten anerkennen. Aber als solches Erzeugnis nicht nur sein Sein anerkennen, sondern auch sein Tun. Der Mensch hatte keinen eigenen Willen. Was er tat, war Erscheinung des göttlichen Willens.

Stufenweise, wie dies geschildert wurde, ist es bis zum eigenen Willen gekommen, dessen Zeit vor ungefähr fünf Jahrhunderten eingetreten ist.

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Aber die letzte Etappe unterscheidet sich von allen vor­angehenden viel stärker als diese untereinander.

Indem die Gedanken an den physischen Leib übergehen, verlieren sie die Lebendigkeit. Sie werden tot; geistig tote Gebilde. Sie waren vorher, indem sie dem Menschen an­gehörten, noch immer zugleich Organe der göttlich-gei­stigen Wesenheiten, zu denen der Mensch gehört. Sie woll­ten im Menschen wesenhaft. Und dadurch fühlte sich der Mensch durch sie mit der geistigen Welt lebendig verbunden.

Mit den toten Gedanken fühlt er sich abgelöst von der geistigen Welt. Er fühlt sich ganz versetzt in die physische Welt.

Damit aber ist er in die Sphäre der ahrimanischen Gei­stigkeit versetzt. Diese hat keine starke Macht in den Ge­bieten, in denen die Wesenheiten der höheren Hierarchien den Menschen so in ihrer Sphäre halten, daß sie entweder, wie in Urzeiten, selbst im Menschen wirken oder, wie spä­ter, durch ihren beseelten oder lebendigen Abglanz. So­lange dieses ins Menschenwirken hereingehende Wirken übersinnlicher Wesenheiten besteht, das heißt bis etwa zum fünfzehnten Jahrhundert, haben innerhalb der Mensch­heitsentwickelung die ahrimanischen Mächte nur eine - man möchte sagen - leise anklingende Macht.

Was die persische Weltanschauung von dem Wirken Ahrimans schildert, ist damit nicht im Widerspruche. Denn diese Weltanschauung meint nicht ein Wirken Ahrimans innerhalb der menschlichen Seelen-Entfaltung, sondern ein solches in einer an die menschliche Seelenwelt unmittelbar angrenzenden Welt. Ahrimans Weben spielt da wohl her­über aus einer benachbarten Geistwelt in die menschliche Seelenwelt, aber es greift nicht unmittelbar ein.

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Dieses unmittelbare Eingreifen ist eben erst in der Zeit­spanne möglich geworden, die vor etwa fünf Jahrhunder­ten begonnen hat.

So steht der Mensch am Ende einer Entwickelungsströ­mung, innerhalb welcher sein Wesen aus solcher göttlicher Geistigkeit geworden ist, die zuletzt für sich in der abstrak­ten Intelligenz-Wesenheit des Menschen erstirbt.

Der Mensch ist nicht in den Sphären verblieben, in de­nen er als in dieser göttlichen Geistigkeit seinen Ursprung hat.

Was vor fünf Jahrhunderten für das Bewußtsein des Menschen begonnen hat, es hatte sich für einen weiteren Umfang seiner Gesamtwesenheit schon vollzogen zur Zeit, als das Mysterium von Golgatha in die irdische Erschei­nung getreten ist. Da war es, daß unwahrnehmbar für das damals bei den meisten Menschen vorhandene Bewußtsein, allmählich die Menschheitsentwickelung aus einer Welt, in der Ahriman wenig, in eine solche hineinglitt, in der er viel Macht hat. Dieses Gleiten in eine andere Weltschichte er­reichte ihre Vollendung eben im fünfzehnten Jahrhundert.

Ahrimans Einfluß auf den Menschen in dieser Welt­schichte ist deshalb möglich und kann verheerend wirken, weil in dieser Schichte das dem Menschen verwandte Göt­terwirken erstorben ist. Aber der Mensch konnte zur Ent­faltung des freien Willens gar nicht auf eine andere Art kommen als dadurch, daß er sich in eine Sphäre begab, in der die vom Urbeginn mit ihm verbundenen göttlich-gei­stigen Wesen nicht lebendig waren.

Kosmisch angesehen liegt in dem Wesen dieser mensch­lichen Entwickelung das Sonnen-Mysterium. Mit dem, was der Mensch bis zu dem bedeutsamen Wendepunkte seiner

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Entwickelung in der Sonne wahrnehmen konnte, waren die göttlich-geistigen Wesenheiten seines Ursprungs verbun­den. Diese haben sich von der Sonne losgelöst und auf die­ser nur ihr Erstorbenes zurückgelassen, so daß der Mensch in seine Leiblichkeit durch die Sonne nurmehr die Kraft toter Gedanken aufnehmen kann.

Aber diese Wesenheiten haben den Christus aus der Son­ne zur Erde gesandt. Dieser hat sein Wesen zum Heile der Menschheit mit der Erstorbenheit des göttlich-geistigen Seins in Ahrimans Reich verbunden. So hat die Mensch­heit die zweifache Möglichkeit, die die Gewähr ihrer Frei­heit ist: zu Christus sich wenden in der Geistgesinnung, die beim Heruntersteigen aus der Anschauung des übersinnli­chen Geistdaseins bis zum Gebrauche der Intelligenz un­terbewußt vorhanden war, jetzt in bewußter Art; oder sich erfühlen wollen in der Losgelöstheit von diesem Geistdasein und damit verfallen in die Orientierung, die die ahrimanischen Mächte nehmen.

In dieser Situation ist die Menschheit seit dem Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts. Vorbereitet ist diese - in der Entwickelung geschieht ja alles allmählich - seit dem Mysterium von Golgatha, das als das größte Erden-Ereig­nis dazu bestimmt ist, den Menschen vor dem Verderben zu retten, dem er ausgesetzt sein muß, weil er ein freies Wesen sein soll.

Man kann nun sagen: was von Seite der Menschheit bis­her innerhalb dieser Situation geschehen ist, vollzog sich halb-unbewußt. Und in dieser Art hat es zu dem Guten der in abstrakten Ideen lebenden Naturanschauung und zu manchen ebenso guten Prinzipien der Lebenshaltung ge­führt.

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Aber dieses Zeitalter, in dem der Mensch unbewußt in der gefährlichen Ahriman-Sphäre sein Dasein entfalten darf, ist vorüber.

Der Erforscher der geistigen Welt muß heute die Mensch­heit auf die geistige Tatsache aufmerksam machen, daß Mi­chael die geistige Führung der Menschheitsangelegenhei­ten übernommen hat. Michael vollbringt, was er zu voll­bringen hat, so, daß er die Menschen nicht dadurch beein­flußt; aber sie können in Freiheit ihm folgen, um mit der Christus-Kraft den Weg aus der Ahriman-Sphäre wieder herauszufinden, in die sie notwendig kommen mußten.

Wer ehrlich, aus dem tiefsten Wesen seiner Seele, sich mit Anthroposophie eins fühlen kann, der ist ein rechter Versteher dieses Michael-Phänomens. Und Anthroposo­phie möchte die Botschaft von dieser Michael-Mission sein.

Goetheanum, 10. Oktober 1924.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 106 bis 108 (19. Oktober 1924)

106. Michael geht die Wege wieder aufwärts, welche die Menschheit abwärts auf den Stufen der Geistesentwickelung bis zur Intelligenzbetätigung gegangen ist. Nur wird Mi­chael den Willen aufwärts die Bahnen führen, welche die Weisheit bis zu ihrer letzten Stufe, der Intelligenz, abwärts gegangen ist.

107. Wie Michael von diesem Zeitpunkte der Weltentwicke­lung seinen Weg bloß zeigt, so daß ihn der Mensch in Frei­heit wandeln kann, das unterscheidet diese Michael-Füh­rung von allen früheren Erzengel-Führungen, ja von allen früheren Michael-Führungen selbst. Diese Führungen

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wirkten im Menschen; sie zeigten nicht bloß ihr Wirken, so daß der Mensch in dem seinigen damals nicht frei sein konnte.

108. Dieses einzusehen, ist des Menschen gegenwärtige Aufgabe, damit er mit seiner ganzen Seele seinen Weg des Gei­stes innerhalb des Michael-Zeitalters finden könne.

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MICHAELS ERFAHRUNGEN UND ERLEBNISSE WÄHREND DER ERFÜLLUNG SEINER KOSMISCHEN MISSION

Man kann das Fortschreiten der Menschheit von der Be­wußtseinsetappe, auf der sich der Mensch als Glied der göttlich-geistigen Ordnung, bis zu der gegenwärtigen, durch die er sich als eine vom Göttlich-Geistigen losge­löste Individualität mit Eigengebrauch der Gedanken erfühlt, vom Gesichtspunkte der Menschheit verfolgen. Das ist im letzten Aufsatz geschehen.

Man kann aber auch durch übersinnliches Schauen ein Bild von dem entwerfen, was Michael und die Seinen wäh­rend dieser Entwickelungsströmung erleben, also dieselbe Tatsachenreihe von dem Gesichtspunkte Michaels schil­dern. Das soll diesmal versucht werden.

Es gibt zunächst eine älteste Zeit, in der man eigentlich nur von dem sprechen kann, was unter göttlich-geistigen Wesenheiten geschieht. Man hat es mit einem fortlaufen­den Götterhandeln zu tun. Götter vollbringen, was ihnen die Impulse ihrer Wesenheiten eingeben; sie sind entspre­chend befriedigt in dieser Tätigkeit. Und was sie bei alle­dem erleben, kommt allein in Betracht. Nur in einer Ecke im Felde dieses Götterhandelns ist etwas wie die Mensch­heit bemerkbar. Sie ist ein Teil in dem Götterhandeln.

Die geistige Wesenheit aber, die von Anfang an ihren Blick auf die Menschheit gelenkt hat, ist Michael. Er glie­dert gewissermaßen das Götterhandeln so, daß in einer kosmischen Ecke die Menschheit bestehen kann. Und die Art, wie er sich da betätigt, ist verwandt dem Tun, das spä­ter im Menschen als Intellekt zur Offenbarung kommt; nur

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ist sie als Kraft betätigt, die in Ideenordnung durch den Kosmos strömt, Wirklichkeit verursachend. In dieser Kraft wirkt Michael. Die kosmische Intellektualität zu verwal­ten, ist sein Amt. Er möchte den weiteren Fortschritt auf seinem Gebiete. Und der kann nur darin bestehen, daß, was als Intelligenz durch den ganzen Kosmos wirkt, später sich konzentriert in der menschlichen Individualität. Was dadurch zustande kommt, ist dieses: es tritt in der Weltentwickelung eine Zeit ein, in der der Kosmos nicht mehr von seiner gegenwärtigen, sondern von seiner vergange­nen Intelligenz lebt. Und die gegenwärtige Intelligenz ist in der menschheitlichen Entwickelungsströmung.

Michael möchte, was sich da innerhalb der Menschheit als Intelligenz entwickelt, fortdauernd im Zusammenhange mit den göttlich-geistigen Wesen erhalten.

Dem aber steht ein Widerstand entgegen. Was die Göt­ter als Entwickelung durchmachen in der Linie von der Ablösung der Intellektualität von ihrem kosmischen Tun bis zur Eingliederung in die menschliche Natur hin, das steht offen als Tatsache in der Welt drinnen. Sind Wesen vor­handen, die ein Wahrnehmungsvermögen haben, durch das sie diese Tatsachen schauen können, so können sie sich. diese zunutze machen. - Und solche Wesenheiten sind vorhanden. Es sind die ahrimanischen Wesen. Sie sind ganz dazu veranlagt, alles, was sich als Intelligenz von den Göttern loslöst, in sich aufzusaugen. Sie sind dazu veran­lagt, die Summe aller Intellektualität mit ihrem eigenen Wesen zu vereinigen. Sie werden damit die größten, die um­fassendsten und eindringlichsten Intelligenzen des Kosmos.

Michael sieht voraus, wie der Mensch, indem er immer mehr zum Eigengebrauch der Intelligenz vorrückt, sich mit

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den ahrimanischen Wesen begegnen muß und wie er dann ihnen verfallen kann, indem er eine Verbindung mit ihnen eingeht. - Deshalb bringt Michael die ahrimanischen Mächte unter seine Füße, er stößt sie fortwährend in ein tieferes Gebiet, als das ist, in dem der Mensch sich entfaltet. Mi­chael, den Drachen zu seinen Füßen, ihn in den Abgrund stoßend: das ist das im Menschenbewußtsein lebende gewal­tige Bild der hier geschilderten übersinnlichen Tatsachen.

Die Entwickelung rückt vorwärts. Die Intellektualität, die zuerst ganz im Bereiche der göttlichen Geistigkeit war, löst sich so weit los, daß sie zur Beseelung des Kosmos wird. Was vorher nur von den Göttern ausstrahlte, das erglänzt jetzt als die Offenbarung des Göttlichen aus der Sternenwelt. Vorher ward die Welt gelenkt durch die göttliche Wesenheit selbst, jetzt wird sie gelenkt durch die objektiv gewordene göttliche Offenbarung, hinter der die göttliche Wesenheit die nächste Stufe ihrer eigenen Ent­wickelung durchläuft.

Wieder ist Michael der Verwalter der kosmischen Intel­ligenz, insofern diese durch die Offenbarungen des Kos­mos in Ideenordnung strömt.

Die dritte Phase der Entwickelung ist ein weiteres Loslösen der kosmischen Intelligenz von ihrem Ursprunge. In den Sternenwelten waltet nun nicht mehr die gegenwärtige Ideenordnung als göttliche Offenbarung; es laufen die Sterne und ordnen sich nach der in der Vergangenheit ihnen eingepflanzten Ideenordnung Michael sieht, wie immer mehr, was er im Kosmos verwaltet hat, die kosmische In­tellektualität, den Weg zur Erdenmenschheit nimmt.

Michael sieht aber auch, wie die Gefahr, daß die Mensch­heit den ahrimanischen Mächten verfällt, immer größer

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wird. Er weiß: für sich wird er Ahriman immer unter sei­nen Füßen haben; ob aber auch für den Menschen?

Das größte Erden-Ereignis sieht Michael eintreten. Aus dem Reiche, dem Michael selbst diente, steigt die Christus­-Wesenheit hinunter in den Erdbereich, um da zu sein, wenn die Intelligenz völlig bei der menschlichen Individualität sein wird. Denn dann wird der Mensch den Drang am stärksten empfinden, sich an die Macht hinzugeben, die restlos in aller Vollkommenheit sich zum Träger der Intel­lektualität gemacht hat. Aber Christus wird da sein; er wird in derselben Sphäre durch sein großes Opfer leben, in der auch Ahriman lebt. Der Mensch wird wählen können zwi­schen Christus und Ahriman. Die Welt wird in der Mensch­heits-Entwickelung den Christus-Weg finden können.

Das ist Michaels kosmische Erfahrung mit dem, was er im Kosmos zu verwalten hat. Er tritt, um bei dem Gegenstande seiner Verwaltung zu bleiben, den Weg vom Kos­mos zu der Menschheit an. Er ist auf diesem Wege seit dem achten nachchristlichen Jahrhunderte, ist aber eigentlich angekommen bei seinem Erdenamte, in das sich sein kos­misches Amt verwandelt hat, erst im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts.

Zwingen kann Michael die Menschen zu nichts. Denn der Zwang hat ja eben dadurch aufgehört, daß die Intelli­genz ganz in den Bereich der menschlichen Individualität getreten ist. - Aber als eine majestätische vorbildliche Handlung, in der an die sichtbare zunächst angrenzenden übersinnlichen Welt, kann Michael entfalten, was er entfal­ten will. Mit einer Licht-Aura, mit einer Geistwesen-Geste kann da Michael sich zeigen, in der sich aller Glanz und alle Herrlichkeit der vergangenen Götter-Intelligenz offenbart.

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Zur Erscheinung kann er da bringen, wie die Wir­kung dieser Vergangenheits-Intelligenz in der Gegenwart noch wahrer, schöner und tugendhafter ist als alles in un­mittelbarer Gegenwarts-Intelligenz, das in trugvollem, ver­führerischem Glanz von Ahriman herströmt. Er kann bemerklich machen, wie für ihn Ahriman immer der niedrige Geist unter seinen Füßen sein wird.

Diejenigen Menschen, welche die an die sichtbare Welt an­grenzende nächste übersinnliche schauen, nehmen so, wie hier geschildert, Michael und die Seinen bei dem wahr, was sie für die Menschen tun möchten. Solche Menschen sehen, wie der Mensch in Freiheit durch das Bild Michaels in der Ahriman-Sphäre von Ahriman ab zu Christus geführt wer­den soll. Wenn es solchen Menschen gelingt, durch ihr Schauen auch Herzen und Sinnen andrer Menschen aufzu­schließen, damit ein Kreis von Menschen wisse, wie jetzt Michael unter den Menschen lebt, dann wird die Mensch­heit beginnen, Michael-Feste mit dem rechten Inhalt zu feiern, auf denen die Seelen werden in sich die Kraft Mi­chaels aufleben lassen. Michael wird dann als eine reale Macht unter den Menschen wirken. Der Mensch aber wird frei sein und doch in inniger Gemeinschaft mit Christus sei­nen Geist-Lebensweg durch den Kosmos gehen.

Goetheanum, 19.Oktober 1924.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehende Darstellung der Michael-Erfahrungen)

Leitsätze Nr. 109 bis 111 (26. Oktober 1924)

109. Sich der Michael-Wirksamkeit im geistigen Weltzu­sammenhang recht bewußt werden, heißt das Rätsel der menschlichen Freiheit aus den kosmischen Zusammenhän­gen heraus lösen, soweit die Lösung dem Erdenmenschen notwendig ist.

110. Denn die «Freiheit» ist als Tatsache jedem Menschen, der sich selber im gegenwärtigen Abschnitt der Mensch­heitsentwickelung versteht, unmittelbar gegeben. Keiner darf sagen, wenn er nicht eine offenbare Tatsache leugnen will, «Freiheit ist nicht». Aber man kann einen Widerspruch finden zwischen dem, was so tatsächlich gegeben ist, und den Vorgängen im Kosmos. In der Betrachtung von Michaels Sendung im Kosmos fällt dieser Widerspruch hinweg.

111. In meiner «Philosophie der Freiheit» findet man die «Freiheit» des Menschenwesens in der gegenwärtigen Weltzeit als Inhalt des Bewußtseins nachgewiesen; in den Darstellungen der Michael-Mission, die hier gegeben wer­den, findet man das «Werden dieser Freiheit» kosmisch be­gründet.

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MENSCHHEITSZUKUNFT UND MICHAEL-TÄTIGKEIT

Wie steht heute der Mensch auf seiner Entwickelungsstufe zu Michael und den Seinen?

Der Mensch steht einer Welt gegenüber, die einstmals ganz göttlich-geistiger Wesenheit war. Einer solchen göttlich-geistigen Wesenheit, der auch er selbst als ein Glied zugehörte. Damals also war die dem Menschen zugehörige Welt göttlich-geistiger Wesenheit. In einer folgenden Ent­wickelungsetappe war sie es nicht mehr. Da war sie kosmi­sche Offenbarung des Göttlich-Geistigen, und dessen Wesen­heit schwebte hinter dieser Offenbarung. Aber sie webte und lebte doch eben in der Offenbarung. Eine Sternenwelt war schon da. In ihrem Scheinen und Sich-Bewegen webte und lebte als Offenbarung das Göttlich-Geistige. Man kann sagen: wie damals ein Stern stand oder sich bewegte, darinnen konnte unmittelbar die Tätigkeit des Göttlich-Geisti­gen gesehen werden.

In alledem, wie der göttliche Geist in dem Kosmos wirk­te, wie der Mensch in seinem Leben ein Ergebnis war der Tätigkeit des Göttlich-Geistigen im Kosmos, da war Mi­chael widerstandslos noch in seinem Element. Er vermit­telte das Verhältnis des Göttlichen zum Menschen.

Andere Zeiten kamen. Die Sternenwelt hörte auf, un­mittelbar gegenwärtig die göttlich-geistige Tätigkeit in sich zu tragen. Sie lebte und regte sich, indem sie beharrend weiter fortsetzte, was solche Tätigkeit früher in ihr war. Das Göttlich-Geistige lebte im Kosmos nicht mehr als Of­fenbarung, sondern nur noch als Wirksamkeit. Es war eine deutliche Zweiheit zwischen dem Göttlich-Geistigen und

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dem Kosmischen aufgetreten. Michael hielt sich auf Grund seiner eigenen Wesenheit beim Göttlich-Geistigen. Er suchte den Menschen so nahe als möglich bei diesem zu er­halten. Das tat er immer weiter. Er wollte den Menschen davor bewahren, zu stark in einer Welt zu leben, die nur Wirksamkeit des Göttlich-Geistigen ist, nicht Wesenheit und nicht Offenbarung.

Michael rechnet es sich zur tiefsten Befriedigung an, daß es ihm gelungen ist, die Sternenwelt durch den Menschen noch unmittelbar mit dem Göttlich-Geistigen auf die folgende Art verbunden zu erhalten. Wenn der Mensch, nachdem er das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt vollbracht hat, wieder den Weg zu einem neuen Erdenda­sein antritt, dann sucht er beim Hinabstieg zu diesem Dasein eine Harmonie zwischen dem Sternengang und seinen Er­denleben herzustellen. Diese Harmonie, die vor Zeiten selbstverständlich da war, weil das Göttlich-Geistige in den Sternen wirkte, in denen auch das Menschenleben seinen Quell hatte: sie würde heute, wo der Stemengang bloß die Wirksamkeit des Göttlich-Geistigen fortsetzt, nicht da sein, wenn der Mensch sie nicht suchte. Er bringt sein aus früherer Zeit bewahrtes Göttlich-Geistiges in ein Verhältnis zu den Sternen, die ihr Göttlich-Geistiges nur noch als Nachwirkung einer früheren Zeit in sich haben. Dadurch kommt ein Göttliches in das Verhältnis des Menschen zur Welt, das früheren Zeiten entspricht, doch aber in späteren Zeiten erscheint. Daß dies so ist, das ist die Tat Michaels. Und diese Tat gibt ihm eine so tiefe Befriedigung, daß er in die­ser Befriedigung einen Teil seines Lebens-Elementes, seiner Lebens-Energie, seines sonnenhaften Lebenswillens hat.

Heute aber sieht er, wenn er das Geistes-Auge zur Erde

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richtet, noch einen wesentlich anderen Tatbestand. Der Mensch ist während seines Lebens im Physischen zwischen Geburt und Tod von einer Welt umgeben, die unmittelbar auch nicht mehr die Wirksamkeit des Göttlich-Geistigen zeigt, sondern nur etwas, das von dieser Wirksamkeit ge­blieben ist; man kann sagen, nur noch das Werk des Gött­lich-Geistigen. Dieses Werk ist in seinen Formen durchaus göttlich-geistiger Art. Für das menschliche Anschauen zeigt sich das Göttliche in den Formen, in dem naturhaften Geschehen; aber es ist nicht mehr als Lebendiges darinnen. Die Natur ist dies gottgewirkte Werk des Göttlichen und ist überall Abbild der göttlichen Wirksamkeit.

In dieser sonnenhaft göttlichen, aber nicht lebendig gött­lichen Welt lebt der Mensch. Er aber hat, als Ergebnis des Wirkens Michaels an ihm, als Mensch den Zusammenhang mit dem Wesen des Göttlich-Geistigen bewahrt. Er lebt als Gott-durchdrungenes Wesen in einer nicht Gott-durch­drungenen Welt.

In diese Gott-leergewordene Welt wird der Mensch hineintragen, was in ihm ist, das, zu dem seine Wesenheit in diesem Zeitalter geworden ist.

Menschheit wird sich hineinentfalten in eine Welt-Ent­wickelung. Das Göttlich-Geistige, dem der Mensch ent­stammt, kann als kosmisch sich ausbreitende Menschen­wesenheit durchleuchten den Kosmos, der nur noch in dem Abbild des Göttlich-Geistigen vorhanden ist.

Nicht mehr dieselbe Wesenheit, die einst als Kosmos war, wird da durch die Menschheit aufleuchten. Das Gött­lich-Geistige wird im Durchgang durch das Menschentum ein Wesen erleben, das es vorher nicht offenbarte.

Daß die Entwickelung diesen Fortgang nehme, dagegen

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wenden sich die ahrimanischen Mächte. Sie wollen nicht, daß die ursprünglichen göttlich-geistigen Mächte das Weltall in seinem weiteren Fortgang erleuchten; sie wollen, daß die von ihnen aufgesogene kosmische Intellektualität den ganzen neuen Kosmos durchstrahle und daß der Mensch in diesem intellektualisierten und ahrimanisierten Kosmos weiterlebe.

Bei einem solchen Leben würde der Mensch den Chri­stus verlieren. Denn dieser ist mit einer Intellektualität in die Welt hereingetreten, die ganz so ist, wie sie einst in dem Göttlich-Geistigen gelebt hat, da dies noch in seiner Wesenheit den Kosmos bildete. Sprechen wir heute so, daß unsere Gedanken auch die des Christus sein können, so setzen wir den ahrimanischen Mächten etwas entgegen, das uns behütet, ihnen zu verfallen.

Den Sinn der Michael-Mission im Kosmos verstehen, heißt, so sprechen können. Man muß heute über die Natur so sprechen können, wie es die Entwickelungsetappe der Be­wußtheitsseele fordert. Man muß die rein naturwissenschaft­liche Denkungsart in sich aufnehmen können. Aber man sollte auch so über die Natur sprechen - das heißt empfinden-lernen, wie es Christus gemäß ist. Nicht bloß über Erlösung von der Natur, nicht bloß über Seele und Göttliches sollen wir die Christus-Sprache lernen, sondern über den Kosmos.

Daß unser menschlicher Zusammenhang mit dem ur­sprünglich Göttlich-Geistigen so gewahrt bleibe, daß wir über den Kosmos die Christus-Sprache zu pflegen verste­hen, dazu werden wir kommen, wenn wir uns in innerli­chem herzlichen Erfühlen ganz in das einleben, was Mi­chael und die Seinen mit ihren Taten, mit ihrer Mission unter uns sind. Denn Michael verstehen, heißt heute den

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Weg finden zu dem Logos, den Christus unter Menschen auf der Erde lebt.

Anthroposophie schätzt in rechter Art, was die naturwissenschaftliche Denkweise gelernt hat, seit vier bis fünf Jahrhunderten über die Welt zu sagen. Aber sie spricht au­ßer dieser Sprache eben noch eine andere über das Wesen des Menschen, über die Entwickelung des Menschen und über das Werden des Kosmos; sie möchte die Christus-Michael-Sprache sprechen.

Denn werden beide Sprachen gesprochen, dann wird die Entwickelung nicht abreißen und vor dem Finden des ur­sprünglich Göttlich-Geistigen auf das Ahrimanische über­gehen können. Die bloße naturwissenschaftliche Art zu sprechen, entspricht der Loslösung der Intellektualität von dem ursprünglich Göttlich-Geistigen. Sie kann ins Ahri­manische übergehen, wenn der Mission Michaels nicht ge­achtet wird. Sie wird es nicht, wenn der frei gewordene In­tellekt sich durch die Kraft des Michael-Vorbildes wieder findet in der vom Menschen losgelösten, ihm gegenüber objektiv gewordenen ursprünglichen kosmischen Intellek­tualität, die im Quell des Menschen liegt und die in Christus innerhalb des Menscnheitsbereiches wesenhaft erschienen ist, nachdem sie aus dem Menschen zur Entfaltung seiner Freiheit gewichen war.

Goetheanum, 25. Oktober 1924.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehende Darstellung der Michael-Tätigkeit)

Leitsätze Nr. 112 bis 114 (2. November 1924)

112. Das Göttlich-Geistige kommt im Kosmos in den folgenden Etappen auf verschiedene Art zur Geltung:

1. durch seine ureigene Wesenheit; 2. durch die Offenbarung dieser Wesenheit; 3. durch die Wirksamkeit, wenn die We­senheit aus der Offenbarung sich zurückzieht; 4. durch das Werk, wenn in dem erscheinenden Weltall das Göttliche nicht mehr ist, sondern nur dessen Formen.

113. Der Mensch hat in der gegenwärtigen Naturanschau­ung nicht ein Verhältnis zu dem Ööttlichen, sondern nur zu dessen Werk. Mit dem, was sich der menschlichen See­lenverfassung durch diese Anschauung mitteilt, kann man sich als Mensch sowohl mit den Christus-Mächten wie mit den ahrimanischen Gewalten zusammenschließen.

114. Michael ist durchdrungen von dem Bestreben, das im Menschen aus den Zeiten der göttlichen Wesensgeltendma­chung und der Offenbarung bewahrte Verhältnis zum Kos­mos in einer solchen Art durch seinfrei wirkendes Vorbild der menschlich-kosmischen Entwickelung einzuverleiben, daß, was die rein auf das Bild, die Form des Göttlichen be­zügliche Naturanschauung sagt, einläuft in eine höhere, geistgemäße Naturanschauung. Diese wird zwar im Men­schen vorhanden sein; sie wird aber eben ein menschliches Nacherlebnis des göttlichen Verhältnisses zum Kosmos während der zwei ersten Etappen der kosmischen Entwicke­lung sein. Anthroposophie bejaht in dieser Art die Naturanschauung

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des Bewußtseinszeitaltets; sie ergänzt sie aber auch durch eine solche, die von dem Blick des Geistes-Au­ges aus sich ergibt.

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DAS MICHAEL-CHRISTUS-ERLEBNIS DES MENSCHEN

Wer die von gründlicher Empfindung getragene innere An­schauung von Michaels Wesen und Taten in seine Gesinnung aufnehmen wird, dem wird das rechte Verständnis davon aufgehen, wie eine Welt von dem Menschen zu neh­men ist, die nicht göttlicher Wesenheit oder Offenbarung oder Wirksamkeit, sondern der Götter Werk ist. In diese Welt erkennend blicken, bedeutet Formen, Gestaltungen vor sich haben, die überall laut von dem Göttlichen spre­chen; in denen aber selbstlebendes göttliches Sein nicht ge­funden wird, wenn man sich keiner Illusion hingibt. Und man wird nicht bloß auf das Erkennen der Welt blicken dürfen. An diesem offenbart sich wohl die Konfiguration der Welt, die heute den Menschen umgibt, am deutlichsten. Wesentlicher für das alltägliche Leben ist aber das Fühlen, das Wollen, das Arbeiten in einer Welt, die in ihrer Gestal­tung wohl als göttlich empfunden, aber nicht als göttlich-belebt erfahren werden kann. In diese Welt wirkliches sitt­liches Leben zu bringen, dazu sind die ethischen Impulse notwendig, die ich in der «Philosophie der Freiheit» gezeichnet habe.

In dieser Werk-Welt kann für den echt fühlenden Menschen Michaels Wesen und gegenwärtige Tatenwelt leuch­ten. Michael kommt als Erscheinung nicht in die physische Welt herein. Er hält sich mit all seinem Wirken innerhalb einer übersinnlichen Region, die aber unmittelbar an die physische Welt der gegenwärtigen Weltentwickelungsphase angrenzt. Dadurch kann nie die Möglichkeit eintreten, daß durch die Eindrücke, die Menschen vom Michaels-Wesen

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her erhalten, sie die Naturanschauung ins Phantastische führen oder das sittlich-praktische Leben in einer gottge­stalteten, aber gottunbelebten Welt so bilden möchten, wie wenn Impulse da sein könnten, die nicht von dem Men­schen selbst ethisch-geistig getragen sein müßten. Man wird stets, ob denkend oder wollend, durch ein Sich-Ver­setzen ins Geistige an Michael herankommen müssen.

Dadurch wird man in der folgenden Art geistig leben. Man wird Erkennen und Leben so hinnehmen, wie sie nun einmal seit dem fünfzehnten Jahrhundert hingenommen werden müssen. - Aber man wird sich an die Michael-Offenbarung halten; man wird diese Offenbarung als ein Licht in die Gedanken leuchten lassen, die man aus der Na­tur empfängt; man wird sie als Wärme im Herzen tragen, wenn man der göttlichen Werk-Welt gemäß leben muß. - Man wird sich dann nicht nur Beobachtung und Erleben der gegenwärtigen Welt, sondern auch dasjenige, was Mi­chael vermittelt, einen vergangenen Weitzustand, vor Augen stellen, einen Weltzustand, den eben Michael durch sein Wesen und seine Taten in die Gegenwart hereinträgt.

Wäre es anders: wirkte Michael so, daß er seine Taten hereintrüge in die Welt, die der Mensch gegenwärtig als physische erkennen und erleben muß, so erführe der Mensch in der Gegenwart aus der Welt das, was in Wirk­lichkeit nicht in ihr ist, sondern war. Geschieht solches, dann führt dies illusorische Erfassen der Welt die Seele des Menschen aus der ihr angemessenen Wirklichkeit in eine andere, nämlich in eine luziferische.

Die Art, wie Michael das Vergangene im gegenwärtigen Menschenleben zur Wirksamkeit bringt, ist die im Sinne des rechten geistigen Weltenfortschritts gehaltene, die

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nichts Luziferisches enthält. Es ist wichtig, daß in der Auffas­sung der Menschenseele eine rechte Vorstellung davon lebe, wie in Michaels Mission alles Luziferische vermieden wird.

Diese Stellung zu dem in der Menschheitsgeschichte auf­gehenden Michaels-Lichte haben, heißt auch den rechten Weg zu Christus finden können.

Michael wird die rechte Orientierung geben, wenn es sich um die Welt handelt, die den Menschen für sein Er­kennen oder für sein Handeln umgibt. Zu Christus wird man im Innern den Weg finden müssen.

Es ist durchaus begreiflich, daß in der Zeit, in der die Naturerkenntnis die Form hat, die ihr die letzten fünf Jahr­hunderte gegeben haben, auch die Erkenntnis der über­sinnlichen Welt so geworden ist, wie sie gegenwärtig die Menschheit erlebt.

Die Natur muß erkannt und erlebt werden so, daß alles götterleer ist. Dadurch erlebt sich in seinem so gestalteten Verhältnis zur Welt der Mensch selbst nicht mehr. Inso­fern der Mensch ein übersinnliches Wesen ist, gibt ihm die dem Zeitalter angemessene Stellung seiner selbst zur Na­tur nichts über sein eigenes Wesen. Er kann auch, wenn er nur diese Stellung im Auge hat, nicht ethisch so leben, wie es seiner Menschheit angemessen ist.

Dadurch wird die Veranlassung dazu gegeben, diese Er­kenntnis- und Lebensart in nichts einffießen zu lassen, was sich auf die übersinnliche Menschenweisheit, ja auf die übersinnliche Welt überhaupt bezieht. Es wird dieses Ge­biet abgesondert von dem der menschlichen Erkenntnis Erreichbaren. Es wird ein außer- oder überwissenschaft­liches Gebiet der Glaubens-Offenbarung gegenüber dem Erkennbaren in Anspruch genommen.

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Aber dem steht das rein geistige Wirken des Christus ge­genüber. Der Christus ist seit dem Mysterium von Golga­tha der Menschenseele erreichbar. Und deren Beziehung zu ihm braucht nicht eine unbestimmte, dunkel-gefühls-mysti­sche zu bleiben; sie kann eine völlig konkrete, menschlich tief und klar zu erlebende werden.

Dann aber strömt aus dem Zusammenleben mit Christus in die Menschenseele herüber, was diese wissen soll über ihre eigene übersinnliche Wesenheit. Die Glaubens-Offen­barung muß dann so empfunden werden, daß in sie die le­bendige Christus-Erfahrung fortwährend einströmt. Es wird das Leben dadurch durchchristet werden können, daß in Christus das Wesen empfunden wird, welches der Men­schenseele die Anschauung ihrer eigenen Übersinnlichkeit gibt.

So werden nebeneinanderstehen können: Michael-Er­lebnis und Christus-Erlebnis. Durch Michael wird der Mensch gegenüber der äußeren Natur in der rechten Art ins Übersinnliche den Weg finden. Naturanschauung wird, ohne in sich selbst verfälscht zu werden, sich neben eine geistgemäße Anschauung von der Welt und vom Men­schen, sofern er ein Weltwesen ist, hinstellen können.

Durch die rechte Stellung zu Christus wird der Mensch dasjenige, was er sonst nur als traditionelle Glaubens-Of­fenbarung empfangen könnte, im lebendigen Verkehr der Seele mit Christus erfahren. Die innere Welt des seelischen Erlebens wird als eine geistdurchleuchtete erlebt werden können wie die äußere Welt der Natur als eine geistgetragene.

Würde der Mensch ohne in dem Zusammenleben mlt der Christus-Wesenheit den Aufschluß gewinnen wollen

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über seine eigene übersinnliche Wesenheit, so würde ihn dies aus seiner eigenen Wirklichkeit heraus- und in die ahri­manische hineinführen. Christus trägt in sich in kosmisch gerechtfertigter Art die Zukunfts-Impulse der Menschheit. Sich mit ihm verbinden, heißt für die Menschenseele ihre eigenen Zukunftskeime kosmisch gerechtfertigt in sich auf­nehmen. Andere Wesen, die in der Gegenwart schon Ge­staltungen aufweisen, die kosmisch für Menschen erst in der Zukunft gerechtfertigt sind, gehören der ahrimanischen Sphäre an. Sich mit Christus in rechter Art verbinden, heißt sich auch vor dem Ahrimanischen in der rechten Art bewahren.

Es liegt bei denjenigen, welche die Bewahrung der Glau­bens-Offenbarungen vor dem Einfließen menschlicher Er­kenntnis streng verlangen, die unbewußte Furcht vor, der Mensch könne auf solchen Wegen in ahrimanische Ein­flüsse hineinkommen. Das muß verstanden werden. Aber verstanden sollte auch werden, daß es zur Ehre und wirk­lichen Anerkenntnis Christi ist, wenn dem Erleben mit Christus das gnadeerfüllte Einfließen des Geistigen in die Menschenseele zugeschrieben wird.

So können in der Zukunft Michael-Erlebnis und Chri­stus-Erlebnis nebeneinander stehen; dadurch wird der Mensch seinen rechten Freiheitsweg finden zwischen der luziferischen Abirrung in Denk- und Lebensillusionen und der ahrimanischen Verlockung in Zukunftgestaltun­gen, die seinen Hochmut befriedigen, die aber noch nicht seine gegenwärtigen sein können.

In luziferische Illusionen verfallen, heißt nicht voll Mensch werden, nicht bis zur Freiheit-Etappe vorschreiten wollen, sondern auf einer zu frühen Stufe dcr Entwickelung

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- als Gott-Mensch - stehenbleiben wollen. In ahrima­nische Verlockungen verfallen, heißt nicht warten wollen bis bei einem bestimmten Grade des Menschtums der rechte kosmische Augenblick gekommen ist, sondern die­sen Grad vorausnehmen wollen.

Michael-Christus wird in der Zukunft als das Richtungs-Wort stehen im Beginne des Weges, auf dem der Mensch kosmisch-gerecht zwischen den luziferischen und den ahri­manischen Mächten zu seinem Welten-Ziele kommen kann.

Goetheanum, 2.November 1924.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanurn ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehende Darstellung des Michael- und Christus-Erlebnisses durch den Menschen)

Leitsätze Nr. 115 bis 117 (9. November 1924)

115. Der Mensch wandelt seinen Weg durch den Kosmos so, daß ihm die Rückschau in die Vorwelt gefälscht wer­den kann durch luziferische Impulse und das Vorwärtssinnen in die Zukunft getäuscht werden kann durch ahri­manische Verlockungen.

116. Zu den luziferischen Fälschungen findet der Mensch die rechte Stellung durch die Durchdringung seiner Gesin­nung für Erkenntnis und Leben mit der Michael-Wesen­heit und der Michael- Mission.

117. Dadurch aber bewahrt sich der Mensch auch vor den ahrimanischen Verlockungen, denn der Geist-Weg in die äußere Natur, der durch Michael angeregt wird, führt zu der rechten Stellung zu dem Ahrimanischen, weil das rechte Erleben mit Christus gefunden wird.

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MICHAELS MISSION IM WELTENALTER DER MENSCHEN-FREIHEIT

Wenn man mit dem geistigen Erleben an Michaels Wirken in der Gegenwart herankommt, so findet man die Möglich­keit, sich geisteswissenschaftlich über das kosmische We­sen der Freiheit Licht zu verschaffen.

Dies bezieht sich nicht auf meine «Philosophie der Frei­heit». Diese geht aus den rein-menschlichen Erkenntniskräften selbst hervor, wenn diese sich auf das Feld des Gei­stes begeben können. Man braucht dann, um zu erkennen, was hier erkannt wird, noch nicht ein Zusammengehen mit Wesen andrer Welten. Man kann aber sagen, die «Philo­sophie der Freiheit» bereitet dazu vor, über die Freiheit das zu erkennen, was dann im geistigen Zusammengehen mit Michael erfahren werden kann.

Und das ist das Folgende.

Soll Freiheit wirklich im menschlichen Handeln leben, so darf, was in ihrem Lichte vollzogen wird, in keiner Art von der menschlichen physischen und ätherischen Organi­sation abhängig sein. Das «Freie» kann sich nur aus dem «Ich» heraus vollziehen; und mit dem freien Wirken des «Ich» muß der Astralleib mitschwingen können, damit er es auf physischen und ätherischen Leib übertragen kann. - Dies ist aber nur die eine Seite der Sache. Die andere wird eben im Zusammenhange mit Michaels Mission durchsich­tig. - Es darf, was in Freiheit vom Menschen erlebt wird, auch nicht in irgendeiner Art auf seinen ätherischen oder physischen Leib wirken. Geschähe dieses, so müßte der Mensch völlig aus dem herauskommen, was er in den Etap­pen seiner Entwickelung unter dem Einfluß der göttlich-geistigen

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Wesenheit und der göttlich-geistigen Offenbarung geworden ist.

Was der Mensch durch dasjenige erlebt, was nur göttlich-geistiges Werk in seiner Umgebung ist, darf nur auf sein Gei­stiges (sein Ich) einen Einfluß haben. Auf seine physische und ätherische Organisation kann nur Einfluß haben, was sich in der Entwickelungsströmung nicht in seiner Umge­bung, sondern innerhalb seiner Wesenheit selbst von dem fortsetzt, das seinen Anfang in Wesenheit und Offenbarung des Göttlich-Geistigen gehabt hat. Das aber darf in der Menschen-Wesenheit gar nicht zusammenwirken mit dem, was in dem Elemente der Freiheit lebt.

Dies ist nur dadurch möglich, daß Michael aus urferner Vergangenheit der Entwickelung etwas herüberträgt, das den Menschen einen Zusammenhang mit dem Göttlich-Geistigen gibt, das in der Gegenwart nicht mehr in die phy­sische und ätherische Bildung eingreift. Dadurch entwik­kelt sich innerhalb von Michaels Mission der Boden für einen Verkehr des Menschen mit der geistigen Welt, der gar nicht ins Naturhafte hinübergreift.

Es ist erhebend anzusehen, wie durch Michael des Menschen Wesenheit in die geistige Sphäre hinaufgehoben wird, während das Unbewußte, Unterbewußte, die sich un­ter der Sphäre der Freiheit entfalten, immer tiefer mit dem Materiellen zusammenwächst.

Des Menschen Stellung zum Weltwesen wird ihm ferner­hin immer unverständlicher werden, wenn er sich nicht dar­auf einläßt, außer seinen Beziehungen zu Naturwesen und Naturvorgängen auch noch solche anzuerkennen wie die zur Michael-Mission. - Die Beziehungen zur Natur lernt man wie etwas kennen, das man von außen anschaut; diejenigen

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zur geistigen Welt gehen aus von etwas, das gewis­sermaßen ein inneres Gespräch mit einem Wesenhaften ist, zu dem man sich den Zugang dadurch eröffnet hat, daß man auf das geistgemäße Anschauen der Welt eingegangen ist. Der Mensch muß also, um die Impulse der Freiheit dar­leben zu können, imstande sein, gewisse Naturwirkungen, die aus dem Kosmos herein die Wirkung auf sein Wesen nehmen, von diesem Wesen fernezuhalten. Diese Fernhal­tung spielt sich im Unterbewußtsein dann ab, wenn im Be­wußtsein die Kräfte walten, die eben das Leben des Ich in Freiheit darstellen. Für das menschliche innere Wahrneh­men ist das Bewußtsein des Wirkens in Freiheit da; für die geistigen Wesen, die aus andern Weltensphären mit dem Menschen in Verbindung stehen, ist das anders. Dem We­sen aus der Hierarchie der Angeloi, das mit der Fortfüh­rung des Menschenseins von Erdenleben zu Erdenieben zu tun hat, wird gegenüber dem menschlichen Handeln in Freiheit sofort dieses anschaulich: der Mensch stößt von sich kosmische Kräfte hinweg, die ihn weiterbilden wol­len, die seiner Ich-Organisation die nötigen physischen Stützen geben wollen, wie sie sie ihr gegeben haben vor dem Michael-Zeitalter.

Michael erhält als Wesen aus der Hierarchie der Archan­geloi seine Eindrücke mit Hilfe der Wesen aus der Angeloi­-Hierarchie. Er widmet sich der Aufgabe, dem Menschen aus dem geistigen Teil des Kosmos auf die hier geschilderte Art Kräfte zuzuführen, die die aus dem Naturdasein unterdrückten ersetzen können.

Das erreicht er, indem er seine Wirksamkeit in den voll­kommensten Einklang mit dem Mysterium von Golgatha bringt.

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In der Wirksamkeit des Christus innerhalb der Erden­entwickelung liegen die Kräfte, die der Mensch im Wirken durch Freiheit zum Ausgleich unterdrückter Natur-Im­pulse braucht. - Nur muß der Mensch dann wirklich seine Seele in das innere Zusammenleben mit Christus bringen, von dem hier in diesen Mitteilungen über die Michael-Mis­sion schon gesprochen ist.

Der Mensch weiß sich in einer Wirklichkeit, wenn er der physischen Sonne gegenübersteht und durch sie Wärme und Licht empfängt.

So muß er der geistigen Sonne, Christus, die ihr Dasein mit dem Erdendasein vereint hat, gegenüber leben und von ihr in der Seele das lebendig empfangen, was in der geisti­gen Welt der Wärme und dem Licht entspricht.

Er wird sich von der «geistigen Wärme» durchdrungen fühien, wenn er den «Christus in sich» erlebt. Er wird sich in dieser Durchdringung erfühlend sagen: diese Wärme löst dein menschliches Wesen aus Banden des Kosmos, in denen es nicht bleiben darf. Das göttlich-geistige Sein der Urzeit mußte dich zur Erringung der Freiheit in Regionen führen, in denen es nicht bei dir bleiben konnte, in denen es aber dir den Christus gegeben hat, daß seine Kräfte dir als freiem Menschen verleihen, was das göttlich-geistige Sein der Ur­zeit dir einstmals auf dem Naturwege gegeben hat, der da­mals zugleich der Geistesweg war. Zu dem Göttlichen, aus dem du stammest, führt dich diese Wärme wieder zurück.

Und in diesem Erfühlen wird im Menschen in inniger Seelenwärme zusammenwachsen das Erleben in und mit dem Christus und das Erleben echten und wahren Men­schentums. «Christus gibt mir mein Menschenwesen», das wird als Grundgefühl die Seele durchwehen und durchwellen.

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Und ist erst dieses Gefühl vorhanden, so kommt auch das andere, in dem der Mensch durch Christus sich hinausgehoben fühlt über das bloße Erdensein, indem er sich mit der Sternen-Umgebung der Erde eins fühlt und mit allem, was in dieser Sternen-Umgebung zu erkennen ist als Göttlich-Geistiges.

Und so mit dem geistigen Lichte. Der Mensch kann sich in seiner Menschenwesenheit voll erfühlen, indem er sichals freie Individualität gewahr wird. Aber eine Verfinsterung ist damit doch verbunden. Das Göttlich-Geistige der Ur­zeit leuchtet nicht mehr. Im Lichte, das der Christus dem Menschen-Ich bringt, ist das Urlicht wieder da. Es kann in solchem Zusammenleben mit dem Christus der beseligende Gedanke sonnenhaft die ganze Seele durchglänzen: Das uralt-herrliche göttliche Licht ist wieder da; es leuchtet, ob­wohl sein Leuchten kein naturhaftes ist. Und der Mensch vereinigt sich in der Gegenwart mit den geistigen kosmi­schen Leuchtekräften der Vergangenheit, in der er noch nicht eine freie Individualität war. Und er kann in diesem Lichte die Wege finden, die seine Menschenwesenheit recht führen, wenn er sich verständnisvoll in seiner Seele mit der Michael-Mission verbindet.

Dann wird der Mensch in der Geist-Wärme den Impuls fühlen, der ihn in seine kosmische Zukunft so hinüberträgt, daß er in dieser treu bleiben kann den Ur-Gaben seiner göttlich-geistigen Wesenheiten, trotzdem er sich in deren Welten zur freien Individualität entwickelt hat. Und er wird in dem Geistes-Lichte die Kraft empfinden, die ihn wahrneh­mend mit immer höherem und weiterem Bewußtsein der Welt zuführt, in der er sich als freier Mensch mit den Göt­tern seines Ursprungs wiederfindet.

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In dem ursprünglichen Sein verharren, die ursprüngliche naive, im Menschen waltende Götter-Güte beibehalten wollen und vor dem vollen Gebrauche der Freiheit zurück­beben, führt den Menschen in dieser Welt der Gegenwart, in der alles auf die Entwickelung seiner Freiheit veranlagt ist, doch zu Luzifer, der die gegenwärtige Welt verleugnet wissen will.

Sich dem gegenwärtigen Sein übergeben, die jetzt dem Intellekt erreichbare Welten-Natürlichkeit, die gegen Güte sich neutral verhält, allein walten lassen wollen und den Gebrauch der Freiheit nur im Intellekt erleben wollen, das führt den Menschen in dieser Welt der Gegenwart, in der die Entwickelung in tieferen Seelenregionen fortgesetzt werden muß, da in oberen Freiheit waltet, doch zu Ahri­man, der die gegenwärtige Welt ganz in einen Kosmos des intellektuellen Wesens umgewandelt wissen will.

In solchen Regionen, in denen der Mensch den Blick nach der Außenwelt geistig auf Michael, den Blick nach dem Inneren der Seele geistig auf Christus fallen fühlt, ge­deiht jene Seelen- und Geistes-Sicherheit, durch die er den­jenigen kosmischen Weg zu gehen vermögen wird, auf dem er ohne Verlust seines Ursprungs seine rechte Zu­kunfts-Vollendung finden wird.

Goetheanum, 9. November 1924.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehende Darstellung von Michaels Mission im Weltenalter der Menschen-Freiheit)

Leitsätze Nr. 118 bis 120 (16. November 1924)

118. Eine freie Handlung kann nur diejenige sein, bei der kein Naturgeschehen in oder außer dem Menschen mitwirkt.

119. Dem steht als der polarische Gegensatz gegenüber, daß im freien Wirken der Menschen-Individualität in dieser ein Naturgeschehen unterdrückt wird, das bei unfreiem Handeln da wäre und dem Menschenwesen seine ihm kos­misch vorbestimmte Gestaltung gäbe.

120. Diese Gestaltung, die dem Menschen, der in seinem Wesen mit dem gegenwärtigen und zukünftigen Welten-Ent­wickelungs-Stadium mitlebt, nicht auf naturgemäßem Wege zukommt, kommt ihm auf geistgemäßem zu durch das Sich-Verbinden mit Michael, wodurch er auch den Weg zu Christus findet.

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DIE WELTGEDANKEN IM WIRKEN MICHAELS UND IM WIRKEN AHRIMANS

Der Betrachter des Verhältnisses Michaels zu Ahriman wird wohl zu der Frage gedrängt: wie verhalten sich in dem kosmischen Zusammenhange diese beiden Geistesmächte, insoferne doch beide in der Entfaltung der intel­lektuellen Kräfte tätig sind?

Michael entfaltete die Intellektualität durch den Kosmos hindurch in der Vergangenheit. Da tat er dieses als Diener der göttlich-geistigen Mächte, die sowohl ihm selbst wie dem Menschen den Ursprung gegeben haben. Und bei die­sem Verhältnis zur Intellektualität will er bleiben. Als diese von den göttlich-geistigen Mächten sich loslöste, um den Weg in das Innere des Menschenwesens zu finden, da be­schloß er, fortan sich in rechter Art zur Menschheit zu stel­len, um in dieser sein Verhältnis zur Intellektualität zu fin­den. Aber er wollte all dieses nur im Sinne der göttlichgeistigen Mächte auch weiterhin als deren Diener tun, der Mächte, mit denen er von seinem und der Menschen Ur­sprunge her verbunden ist. So ist seine Absicht, daß in Zu­kunft die Intellektualität durch die Herzen der Menschen ströme, aber als dieselbe Kraft, die sie ausströmend aus den göttlich-geistigen Mächten schon im Anfange war.

Ganz anders steht es bei Ahriman. Dieses Wesen hat sich seit lange aus der Entwickelungsströmung losgelöst, der die gekennzeichneten göttlich-geistigen Mächte angehören. Es hat sich in urferner Vergangenheit als selbständige kos­mische Macht neben diese hingestellt. - Nun steht es in der Gegenwart zwar räumlich in der Welt darinnen, der der Mensch angehört, aber es entwickelt mit den rechtmäßig

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dieser Welt angehörenden Wesen keinen Kräftezusammenhang. Nur da die Intellektualität, von den göttlich-geistigen Wesen losgelöst, an diese Welt herankommt, findet Ahriman sich mit dieser Intellektualität so verwandt, daß er sich auf seine Art durch sie mit der Menschheit verbinden kann. Denn er hat, was der Mensch in der Gegenwart wie eine Gabe aus dem Kosmos erhält, schon in urferner Zeit mit sich vereinigt. Ahriman würde, wenn ihm gelänge, was in seiner Absicht liegt, den der Menschheit gegebenen Intel­lekt ähnlich seinem eigenen machen. -

Nun hat Ahriman sich die Intellektualität in einer Zeit angeeignet, als er sie nicht in sich verinnerlichen konnte. Sie blieb eine Kraft in seinem Wesen, die mit Herz und Seele nichts zu tun hat. Als kalt-frostiger, seelenloser kosmischer Impuls strömt von Ahriman die Intellektualität aus. Und die Menschen, die von diesem Impuls ergriffen werden, entwickeln eine Logik, die in erbarmungs- und liebeloser Art für sich selbst zu sprechen scheint - in Wahr­heit spricht eben Ahriman in ihr -, bei der sich nichts zeigt, was rechtes, inneres, herzlich-seelisches Verbundensein des Menschen ist mit dem, was er denkt, spricht, tut. -

Michael hat sich die Intellektualität aber nie angeeignet. Er verwaltet sie als göttlich-geistige Kraft, indem er sich ver­bunden fühlt mit den göttlich-geistigen Mächten. Dadurch zeigt sich auch, indem er die Intellektualität durchdringt, in dieser die Möglichkeit, ein Ausdruck des Herzens, der Seele ebenso gut zu sein wie ein solcher des Kopfes, des Geistes. Denn Michael trägt in sich alle die Ursprungskräfte seiner Götter und der des Menschen. Dadurch überträgt er auf die Intellektualität nichts Kalt-Frostiges, Seelenloses, sondern er steht bei ihr in warm-inniger, seelenvoller Art.

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Und hierinnen liegt auch der Grund, warum Michael mit ernster Miene und Geste durch den Kosmos wallet. Im In­nern so verbunden sein mit dem intelligenten Inhalte, wie Michael es ist, bedeutet zugleich, die Anforderung erfüllen müssen, nichts von subjektiver Willkür, von Wunsch oder Begehren in diesen Inhalt hineinzubringen. Sonst wird ja Logik Willkür eines Wesens statt Ausdruck des Kosmos. Streng sein Wesen als Ausdruck des Weltwesens zu halten; alles, was sich im Innern als Eigenwesen regen will, auch in diesem Innern zu lassen: das betrachtet Michael als seine Tugend. Sein Sinn ist nach den großen Zusammenhängen des Kosmos gerichtet - davon spricht seine Miene; sein Wille, der an den Menschen herantritt, soll widerspiegeln, was er im Kosmos erschaut -, davon spricht seine Haltung, seine Geste. Michael ist in allem ernst, denn Ernst als Offen­barung eines Wesens ist der Spiegel des Kosmos aus die­sem Wesen; Lächeln ist der Ausdruck dessen, was, von einem Wesen ausgehend, in die Welt hineinstrahlt.

Eine der Imaginationen von Michael ist auch diese: Er wallet durch den Zeitenlauf, das Licht aus dem Kosmos wesenhaft als sein Wesen tragend; die Wärme aus dem Kos­mos als Offenbarer seines eigenen Wesens gestaltend; er wallet als Wesen wie eine Welt, sich selber nur bejahend, in­dem er die Welt bejaht, wie aus allen Weltenstätten Kräfte zur Erde niederführend.

Dagegen eine solche von Ahriman: Er möchte in seinem Gange aus der Zeit den Raum erobern, er hat Finsternis um sich, in die er die Strahlen des eignen Lichtes sendet; er hat um so stärkeren Frost um sich, je mehr er von seinen Absichten erreicht; er bewegt sich als Welt, die sich ganz in ein Wesen, das eigene, zusammenzieht, in dem er sich selber

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nur bejaht durch Verneinung der Welt; er bewegt sich, wie wenn er die unheimlichen Kräfte finsterer Höhlen der Erde mit sich führte.

Wenn der Mensch die Freiheit sucht, ohne Anwandlung zum Egoismus, wenn ihm Freiheit wird reine Liebe zur auszu­führenden Handlung, dann hat er die Möglichkeit, sich Michael zu nahen; wenn er in Freiheit wirken will bei Ent­faltung des Egoismus, wenn ihm Freiheit wird das stolze Gefühl, sich selber in der Handlung zu offenbaren, dann steht er vor der Gefahr, in Ahrimans Gebiet zu gelangen.

Die oben geschilderten Imaginationen leuchten auf aus des Menschen Liebe zur Handlung (Michael) oder seiner Eigenliebe zu sich selbst, indem er handelt (Ahriman).

Indem sich der Mensch als freies Wesen in Michaels Nähe fühlt, ist er auf dem Wege, die Kraft der Intellek­tualität in seinen «ganzen Menschen» zu tragen; er denkt zwar mit dem Kopfe, aber das Herz fühlt des Denkens Hell oder Dunkel; der Wille strahlt des Menschen Wesen aus, indem er die Gedanken als Absichten in sich strömen hat. Der Mensch wird immer mehr Mensch, indem er Ausdruck der Welt wird; er findet sich, indem er sich nicht sucht, son­dern in Liebe sich wollend der Welt verbindet.

Indem der Mensch seine Freiheit entfaltend in Ahrimans Verlockungen fällt, wird er in die Intellektualität hineinge­zogen, wie in einen geistigen Automatismus, in dem er ein Glied ist, nicht mehr er selbst. All sein Denken wird Er­lebnis des Kopfes; allein dieser sondert es vom Eigenherz­erleben und eignem Willensleben ab und löscht das Eigensein aus. Der Mensch verliert immer mehr von seinem in­nerlich wesenhaft-menschlichen Ausdruck, indem er Aus­druck seines Eigenseins wird; er verliert sich; indem er

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sich sucht; er entzieht sich der Welt, der er die Liebe ver­weigert; aber der Mensch erlebt sich nur wahrhaft, wenn er die Welt liebt.

Es ist aus dem Geschilderten wohl anschaulich, wie Mi­chael der Führer zu Christus ist. Michael geht mit allem Ernste seines Wesens, seiner Haltung, seines Handelns in Liebe durch die Welt. Wer sich an ihn hält, der pfleget im Verhältnis zur Außenwelt der Liebe. Und Liebe muß im Ver­hältnis zur Außenwelt sich zunächst entfalten, sonst wird sie Selbstliebe.

Ist dann diese Liebe in der Michael-Gesinnung da, dann wird Liebe zum andern auch zurückstrahlen können ins ei­gene Selbst. Dieses wird lieben können, ohne sich selbst zu lieben. Und auf den Wegen solcher Liebe ist Christus durch die Menschenseele zu finden.

Wer sich an Michael hält, der pfleget im Verhältnis zur Außenwelt der Liebe, und er findet dadurch aas Verhältnis zur Innenwelt seiner Seele, das ihn mit Christus zusammenführt.

Das Zeitalter, das jetzt im Anbrechen ist, bedarf des Hinblickes der Menschheit auf eine Welt, die unmittelbar als geistige an die physisch empfundene angrenzt und in der solches zu finden ist, wie es hier als Michael-Wesenheit und Michael-Mission geschildert ist. Denn die Welt, die sich der Mensch im Anblicke dieser physischen Welt als die Natur ausmalt, ist auch nicht die, in der er unmittelbar lebt, son­dern eine solche, die so weit unter der wahrhaft menschli­chen liegt wie die michaelische über dieser. Nur merkt der Mensch nicht, daß unbewußt, indem er sich ein Bild seiner Welt macht, eigentlich das einer andern entsteht. Er ist, in­dem er dieses Bild malt, schon dabei, sich auszuschalten

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und dem geistigen Automatismus zu verfallen. Der Mensch kann seine Menschheit nur bewahren, wenn er diesem Bilde, in dem er sich als in dem Bilde der Naturanschauung ver­liert, das andere gegenüberstellt, in dem Michael waltet, in dem Michael die Wege zum Christus führt.

Goetheanum, 16. November 1924.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehende Darstellung über die Weltgedanken im Wirken Michaels und im Wirken Ahrimans)

Leitsätze Nr. 121 bis 123 (23. November 1924)

121. Man hat ein in der Welt Wirkendes, zum Beispiel die Weltgedanken, in seiner Bedeutung für die Welt noch nicht durchschaut, wenn man bei diesem Wirkenden an sich ste­hen bleibt, sondern man muß erkennend auf die Wesen blicken, von denen das Wirkende ausgeht; zum Beispiel für die Weltgedanken, ob sie von Michael oder Ahriman in und durch die Welt getragen werden.

122. Was von dem einen Wesen ausgehend, wegen dessen Verhältnis zur Welt, heilsam und schaffend wirken kann, das kann sich verderblich und zerstörend erweisen, wenn es von einem andern Wesen ausgeht. Die Weltgedanken tragen den Menschen in die Zukunft, wenn er sie von Mi­chael empfängt; sie führen ihn von der ihm heilsamen Zu­kunft hinweg, wenn Ahriman sie ihm geben kann.

123. Durch solche Betrachtungen wird man immer mehr dazu gebracht, die Anschauung von einer unbestimmten Geistigkeit, die pantheistisch auf dem Grunde der Dinge walten soll, zu überwinden; und man wird zu einer be­stimmten,

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konkreten geführt, die von den geistigen Wesen der höheren Hierarchien sich Vorstellungen machen kann. Denn die Wirklichkeit besteht ja überall im Wesenhaften; und was in ihr nicht Wesenhaftes ist, das ist die Tätigkeit, die sich im Verhältnisse von Wesen zu Wesen abspielt. Es kann nur begriffen werden, wenn man den Blick auf die tä­tigen Wesen werfen kann.

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ERSTE BETRACHTUNG: VOR DEN TOREN DER BEWUSSTSEINSSEELE WIE MICHAEL SEINE ERDENMISSION DURCH BESIEGUNG LUZIFERS ÜBERIRDISCH VORBEREITET

Michaels Eingreifen in die Welt- und Menchheitsentwicke­lung am Ende des neunzehnten Jahrhunderts erscheint in einer besonderen Beleuchtung, wenn man die Geistesge­schichte in den Jahrhunderten betrachtet, die ihm voran­gegangen sind.

Im Beginne des fünfzehnten Jahrhunderts liegt der Zeitpunkt, in dem die Epoche der Bewußtseinsseele ihren An­fang nimmt.

Vor diesem Zeitpunkt offenbart sich ein völliger Wandel in dem Geistesleben der Menschheit. Man kann verfolgen, wie vorher in das menschliche Anschauen überall noch Imaginationen hineingespielt haben. Einzelne Persönlich­keiten haben sich allerdings schon früher zu bloßen «Be­griffen» in ihrem Seelenleben gefunden; allein die allge­meine Seelenverfassung der Mehrzahl der Menschen lebt in einem Sich-Durchdringen von Imaginationen mit Vor­stellungen, die der rein physischen Welt entstammen. So ist es mit den Vorstellungen über Naturgeschehen, so aber auch mit denen über das geschichtliche Werden.

Was die geistige Beobachtung nach dieser Richtung fin­den kann, wird durch die äußeren Zeugnisse durchaus be­stätigt. Auf einige der letzteren sei hier gedeutet.

Was in den vorangegangenen Jahrhunderten über ge­schichtliche Ereignisse gesonnen und gesprochen worden war, wird gerade vor dem Anbruch des Bewußtseinszeit­alters

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vielfach niedergeschrieben. Und so haben wir aus dieser Zeit «Sagen» und dergleichen aufbewahrt, die ein getreues Bild davon geben, wie man vorher «Geschichte» vorgestellt hat.

Ein schönes Beispiel ist die Erzählung von dem «guten Gerhard», die in einem Gedichte des Rudolf von Ems, der in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts lebte, er­halten ist. Der «gute Gerhard» ist ein reicher Kaufmann in Köln. Er unternimmt eine Handelsreise nach Rußland, Livland und Preußen, um Zobelfelle zu kaufen. Dann geht er nach Damaskus und Ninive, um Seidenstoffe und ähnli­ches zu erwerben.

Auf der Heimreise wird er vom Sturm verschlagen. In dem fremden Gebiet, in das er kommt, lernt er einen Mann kennen, in dessen Gefangenschaft sich englische Ritter und auch die Verlobte des englischen Königs befinden. Ger­hard gibt alles hin, was er auf der Reise erhandelt hatte, und erhält dafür die Gefangenen. Die nimmt er auf sein Schiff und tritt die Heimreise an. Als die Schiffe dahin kommen, wo die Wege nach der Heimat Gerhards und nach England sich trennen, entläßt Gerhard die männlichen Gefangenen nach ihrer Heimat; die Verlobte des Königs behält er bei sich, in der Hoffnung, daß ihr Bräutigam, der König Wil­helm, sie abholen werde, sobald er von ihrer Befreiung und ihrem Aufenthaltsorte Kunde erhält. In der denkbar be­sten Art werden die Königsbraut und ihre mitgekomme­nen Freundinnen von Gerhard gehalten. Sie lebt wie eine vielgeliebte Tochter in dem Hause ihres Erlösers aus der Gefangenschaft. Es vergeht die längste Zeit, ohne daß der König erscheint, sie abzuholen. Da entschließt sich Ger­hard, um der Pflegetochter Zukunft zu sichern, sie mit

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seinem Sohne zu vermählen. Denn es kann geglaubt wer­den, daß Wilhelm tot sei. Schon ist das Hochzeitsfest für den Sohn Gerhards im Gange; da erscheint auf demselben als unbekannter Pilger - Wilhelm. Er war lange umherge­irrt, um seine Verlobte zu suchen. Ihm wird nach dem selbstlosen Verzicht von Gerhards Sohn seine Braut zu­rückgegeben. Einige Zeit bleiben beide noch bei Gerhard; dann rüstet dieser ein Schiff aus, um sie nach England zu bringen. Als die wieder zu Würden gekommenen Gefan­genen Gerhard zunächst in England begrüßen können, wollen sie ihn zum König wählen. Er aber kann erwidern, daß er ihnen ihr rechtmäßiges Königspaar bringe. Auch sie hatten ja Wilhelm für tot gehalten und wollten einen an­dern König für das Land wählen, in dem die Zustände während des Umherirrens Wilhelms chaotisch geworden waren. - Der Kölner Kaufmann schlägt alles, was man ihm an Würden und Reichtümern anbietet, aus und kehrt nach Köln zurück, um dort weiter der einfache Kaufmann zu sein, der er vorher gewesen. - Die Geschichte wird so eingekleidet, daß der sächsische Kaiser, Otto der Erste, nach Köln reist, um den «guten Gerhard» kennen zu lernen. Denn der mächtige Kaiser ist der Versuchung unterlegen, für manches, was er getan hat, auf «irdischen Lohn» zu rechnen. Dadurch, daß er Gerhard kennen lernt, wird ihm an einem Beispiel fühlbar, wie ein einfacher Mann unsäg­liches Gutes tut - Hingabe aller Waren, die er erstanden, um Gefangene zu befreien; Rückgabe der Braut des Sohnes an Wilhelm; dann alles, was er verrichtet, um diesen wie­der nach England zu bringen und so weiter -, ohne irgend­welchen irdischen Lohn dafür zu begehren, sondern alle Belohnung allein von dem Walten der Gottheit zu erwar­ten.

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Der Mann heißt im Menschenmunde «der gute Ger­hard»; der Kaiser fühlt, daß er einen mächtigen religiös-moralischen Ruck erhält durch die Bekanntschaft mit Ger­hards Gesinnung.

Die Erzählung, deren Gerüst ich hier gegeben habe, um nicht über etwas wenig Bekanntes bloß mit Namen zu deu­ten, zeigt nun von der einen Seite ganz deutlich die Seelenver­fassung des Zeitalters vor dem Heraufkommen der Be­wußtseinsseele in der Entwickelung der Menschheit.

Wer nämlich die Erzählung, wie sie Rudolf von Ems gibt, auf sich wirken läßt, der kann fühlen, wie das Erleben der Erdenwelt seit jener Zeit, in der Kaiser Otto gelebt (im zehnten Jahrhundert), sich gewandelt hat.

Man sehe hin, wie in dem Zeitalter der Bewußtseinsseele die Welt vor dem Seelenblicke des Menschen gewisser­maßen «hell» für alles Erfassen des physischen Seins und Werdens geworden ist. Gerhard fährt mit seinen Schiffen gewissermaßen wie im Nebel. Er kennt nur immer ein Stückchen von der Welt, mit der er in Verbindung kom­men will. Man erfährt in Köln nichts von dem, was in Eng­land vor sich geht, und muß jahrelang suchen nach einem Menschen, der in Köln ist. Man lernt Leben und Besitz ei­nes solchen Menschen, wie der ist, zu dem Gerhard auf der Heimreise verschlagen wird, erst kennen, wenn man durch das Schicksal unmittelbar an den entsprechenden Ort herangebracht wird. Zu dem Durchschauen der Weltverhält­nisse von heute verhält sich das damalige wie das Hineinblicken in eine sonnenerhellte weite Landschaft zu dem Sich-Hintasten im dichten Nebel.

Mit dem, was man heute «geschichtlich» gelten läßt, hat das nichts zu tun, was in Verbindung mit dem «guten Ger­hard»

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erzählt wird. Um so mehr aber mit der Gemütsstim­mung und der ganzen geistigen Lage des Zeitalters. Diese, nicht die einzelnen Ereignisse der physischen Welt, werden in Imaginationen dargestellt.

In dieser Darstellung spiegelt sich, wie der Mensch sich nicht nur als ein Wesen fühlt, das als ein Glied in der Kette der Ereignisse der physischen Welt lebt und tätig ist, son­dern wie er in sein irdisches Dasein geistige, übersinnliche Wesen hineinwirken und mit ihnen seinen Willen in Zu­sammenhang fühlt.

Die Erzählung vom «guten Gerhard» zeigt, wie das Dämmerdunkel, das in bezug auf das Durchschauen der physischen Welt dem Zeitalter der Bewußtseinsseele vor­angegangen ist, den Blick in das Erschauen der geistigen Welt gewiesen hat. Man sah nicht in die Weiten des physi­schen Daseins, man sah um so mehr in die Tiefen des geisti­gen.

Aber so, wie einst ein dämmerhaftes (traumhaftes) Hell­sehen der Menschheit die geistige Welt gezeigt hatte, war es in dem gekennzeichneten Zeitalter nicht mehr. Die Ima­ginationen waren da; aber sie traten innerhalb einer Auf­fassung der Menschenseele auf, die schon stark nach dem Gedanklichen hindrängte. Das bewirkte, daß man nicht mehr wußte, wie die Welt, die sich in Imaginationen offen­barte, sich zu der des physischen Daseins verhält. Deshalb erschienen die Imaginationen Leuten, die schon eindringli­cher sich an das Gedankliche hielten, als willkürliche «Erdichtungen» ohne Wirklichkeit.

Man wußte nicht mehr, daß man durch die Imagination in eine Welt blickt, in der man mit einem ganz andern Teile seines Menschenwesens steht als in der physischen.

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So standen in der Darstellung beide Welten nebeneinan­der; und beide trugen durch die Haltung der Erzählung einen Charakter, daß man meinen konnte, die geistigen Ge­schehnisse, die man erzählte, hätten sich so wahrnehmbar zwischen den physischen abgespielt, wie diese selbst wahr­nehmbar sind.

Dazu kam, daß man die physischen Ereignisse in vielen dieser Erzählungen durcheinander warf. Personen, deren Leben Jahrhunderte voneinander entfernt liegt, treten als Zeitgenossen auf; Geschehnisse werden an unrichtige Orte oder in unrichtige Zeitpunkte versetzt.

Es werden Tatsachen der physischen Welt so von der menschlichen Seele angeschaut, wie man nur das Geistige anschauen kann, für das Zeit und Raum eine andere Bedeu­tung als für das Physische haben; die physische Welt wird in Imaginationen statt in Gedanken dargestellt; dafür wird die geistige Welt soin die Erzählung verwoben, wie wenn man es nicht mit einer anderen Daseinsform, sondern mit dem Fortgang physischer Tatsachen zu tun hätte.

Eine nur an das Physische sich haltende Geschichts-Erfas­sung denkt, man habe die alten Imaginationen des Orients, Griechenlands und so weiter übernommen und dichterisch mit den geschichtlichen Stoffen verwoben, die die Men­schen damals beschäftigten. Man hatte ja in den Schriften Isidors von Sevilla aus dem siebenten Jahrhundert eine förmliche Sammlung alter «Sagenmotive».

Doch dies ist eine äußerliche Betrachtungsweise. Sie hat etwas Bedeutsames nur für denjenigen, der keinen Sinn für die menschliche Seelenverfassung hat, die sich mit ihrem Dasein noch im unmittelbaren Anschluß an die geistige Welt weiß und die dieses Wissen in Imaginationen auszu­drücken

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sich gedrängt fühlt. Wird dann statt der eigenen Imagination eine geschichtlich überlieferte verwendet, in die man sich eingelebt hat, so ist das nicht das Wesentliche. Dieses liegt darin, daß die Seele nach der geistigen Welt hin orientiert ist, so daß sie ihr eigenes Tun und das Natur­geschehen in diese Welt eingegliedert sieht.

Doch ist in der Erzählungsart der Zeit vor dem Anbruch des Bewußtseinszeitalters Verirrung zu bemerken.

In dieser Verirrung schaut die geistgemäße Beobachtung das Wirken der luziferischen Macht.

Was die Seele drängt, Imaginationen in ihren Erlebnisgehalt aufzunehmen, das entspricht weniger den Fähigkei­ten, die sie in der Vorzeit - durch ein traumhaftes Hellsehen - hatte, sondern schon mehr denjenigen, die im ach­ten bis vierzehnten nachchristlichen Jahrhundert vorhan­den waren. Diese Fähigkeiten drängten schon mehr nach einer gedanklichen Erfassung des sinnlich Wahrgenomme­nen hin. Beide Fähigkeiten sind in der Übergangszeit neben­einander vorhanden. Die Seele ist hineingestellt zwischen die alte Orientierung, welche auf die Geisteswelt geht und die die physische nur wie im Nebel sieht, und die neue, die auf das physische Geschehen geht und in der das geistige Anschauen verblaßt.

In dieses schwankende Gleichgewicht der Menschenseele wirkt die luziferische Macht hinein. Sie möchte den Menschen verhindern, die volle Orientierung in der physi­schen Welt zu finden. Sie möchte ihn in geistigen Regionen, die ihm in der Vorzeit angemessen waren, mit seinem Be­wußtsein erhalten. Sie möchte in sein traumhaft imagina­tives Weltanschauen nicht rein Gedankliches, das auf das Erfassen des physischen Daseins gerichtet ist, einfließen

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lassen. Sie kann sein Anschauungsvermögen in unrechter Art wohl von der physischen Welt zurückhalten. Sie kann aber das Erleben der alten Imaginationen nicht in der rechten Art aufrecht erhalten. So läßt sie ihn in Imaginationen sinnen, ohne ihn seelisch ganz in die Welt versetzen zu können, in denen Imaginationen vollgültig sind.

Im Anbruche des Bewußtseinszeitalters waltet Luzifer so, daß durch ihn der Mensch in die an die physische zu­nächst angrenzende übersinnliche Region auf eine ihm nicht entsprechende Art versetzt wird.

Man sehe dies ganz anschaulich an der «Sage» vom «Herzog Ernst», die zu den beliebtesten des Mittelalters gehörte und die im weiten Umkreise überall erzählt wurde.

Der Herzog Ernst kommt in Zwiespalt mit dem Kaiser, der ihn ungerecht durch Krieg zugrunde richten will. Der Herzog fühlt sich gedrängt, dem unmöglichen Verhältnis mit dem Reichshaupte dadurch zu entgehen, daß er an der Kreuzzugsbewegung nach dem Orient teilnimmt. In den Erlebnissen, die er nun durchmacht, bis die Reise ihn nach dem Ziele führt, wird «sagenhaft» das Physische mit dem Geistigen in der angedeuteten Art verwoben. Der Herzog gelangt zum Beispiel auf seinem Wege zu einem Volke, das den Kopf gestaltet hat wie Kraniche; er wird an den «Ma­gnetberg» mit den Schiffen verschlagen, von dem diese magnetisch angezogen werden, so daß Menschen, die in die Nähe des Berges kommen, nicht wieder zurück können, sondern elendig umkommen müssen. Der Herzog Ernst und sein Gefolge machen sich dadurch los, daß sie sich in Häute einnähen, von Greifen, die gewohnt sind, die nach dem Magnetberg verschlagenen Menschen zur Beute sich zu holen, auf einen Berg sich bringen lassen und dort nach

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dem Durchschneiden der Häute in Abwesenheit der Greife entkommen. Die weitere Wanderung führt dann zu einem Volke, dessen Ohren so lang sind, daß sie wie eine Kleidung um den ganzen Körper geschlagen werden können; zu einem andern, dessen Füße so groß sind, daß sich die Leute, wenn es regnet, auf den Boden legen können und die Fuße als Schirme über sich breiten können. Er kommt zu einem Zwergen-, einem Riesenvolke und so weiter. Dergleichen vieles wird in Verbindung mit der Kreuzzugsreise des Herzogs Ernst erzählt. Die «Sage» läßt nicht in der rechten Art fühlen, wie überall da, wo Imaginationen eintreten, die Hinorientierung auf eine geistige Welt stattfindet, wie da Dinge durch Bilder erzähltwerden, die in der Astralwelt sich abspielen und die mit Wille und Schicksal der Erdenmenschen zusammenhängen.

Und so ist es mit der schönen «Rolandsage», in der Karls des Großen Zug gegen die Heiden nach Spanien ver­herrlicht wird. Da wird sogar in Anlehnung an die Bibel gesagt, daß, damit Karl der Große ein von ihm erstrebtes Ziel erreichen könne, die Sonne sich in ihrem Laufe hemme, so daß ein Tag so lang werde wie sonst zwei.

Und in der «Nibelungensage» sieht man, wie diejenige Form, die sich in nordischen Ländern erhalten hat, das An­schauen des Geistigen reiner aufrecht erhält, während in Mitteleuropa die Imaginationen an das physische Leben nahe herangebracht werden. An der nordischen Form der Erzählung ist ausgedrückt, daß sich die Imaginationen auf eine «astralische Welt» beziehen; in der mitteleuropäischen Gestalt des Nibelungenliedes gleiten die Imaginationen in das Anschauen der physischen Welt hinein.

Auch die in der Herzog-Ernst-Sage auftretenden Ima­ginationen beziehen sich ja in Wirklichkeit auf das, was

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zwischen den Erfahrungen in der physischen Sphäre in einer «astralischen Welt» erlebt wird, der der Mensch ebenso angehört wie der physischen.

Wendet man auf all das den Geistesblick, so schaut man, wie das Eintreten in das Bewußtseinszeitalter das Herauswachsen aus einer Entwickelungsphase bedeutet, in der die luziferischen Mächte über die Menschheit siegen wurden, wenn nicht durch die Bewußtseinsseele mit ihrer Kraft der Intellektualität ein neuer Entwickelungseinschlag in das Menschenwesen käme. Die Hinorientierung auf die geistige Welt, die in die Bahnen der Verirrung einlenken will, wird durch die Bewußtseinsseele gehindert; der Menschenblick wird herausgeholt in die physische Welt. Alles, was nach dieser Richtung geschieht, entzieht die Menschheit der sie beirrenden luziferischen Macht.

Da ist Michael schon von der geistigen Welt aus für die Menschheit tätig. Er bereitet vom Übersinnlichen aus sein späteres Werk vor. Er gibt der Menschheit Impulse, die das vorzeitige Verhältnis zur geistig-göttlichenWelt bewah­ren, ohne daß dieses Bewahren einen luziferischen Charak­ter annimmt.

Dann, im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts, dringt Michael mit der Tätigkeit, die er vom fünfzehnten bis in das neunzehnte Jahrhundert vorbereitend vom Übersinnlichen aus geübt hat, in die physische Erdenwelt selbst vor.

Die Menschheit mußte eine Zeitlang die geistige Ent­wickelung daraufhin durchmachen, daß sie sich von dem Verhältnisse zur geistigen Welt befreit, das ein unmögli­ches zu werden drohte. Darauf lenkte diese Entwickelung durch die Michael-Mission in Bahnen ein, die den Fortgang

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der Erdenmenschheit wieder in ein Verhältnis zur geistigen Welt bringen, das ihr heilsam ist.

So steht Michael in seinem Wirken zwischen dem luzi­ferischen Weltbild und dem ahrimanischen Weltverstand. Das Weltbild wird bei ihm weisheitsvolle Weltoffenbarung, die den Weltverstand als göttliches Weltenwirken enthüllt. In diesem Weltenwirken lebt des Christus Sorge für die Menschheit, das so aus Michaels Weltoffenbarung dem Men­schenherzen sich enthüllen kann.

(Die zweite und dritte Betrachtung folgen.)

Goetheanum, 23.November 1924.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehende erste Betrachtung über Michaels übersinnliche Vorbereitung seiner Erden-Mission)

Leitsätze Nr. 124 bis 126 (30. November 1924)

124. Dem Aufgange des Bewußtseinszeitalters (fünfzehn­tes Jahrhundert) geht in der Abenddämmerung des Zeitalters der Verstandes- oder Gemütsseele ein erhöhtes luzi­ferisches Wirken voran, das auch noch in der neuen Epoche eine Zeitlang fortdauert.

125. Dieses luziferische Wirken möchte alte Formen des Bild-Vorstellens der Welt unrechtmäßig bewahren und den Menschen davon zurückhalten, das physische Weltdasein durch Intellektualität zu begreifen und sich in dieses hin­einzuleben.

126. Michael verbindet sich mit dem Menschheits-Wirken, damit die selbständige Intellektualität bei dem angestamm­ten Göttlich-Geistigen verbleibe, doch nicht in luziferi­scher, sondern in rechtmäßiger Art.

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ZWEITE BETRACHTUNG: WIE DIE MICHAEL - KRÄFTE IN DIE ERSTE ENTFALTUNG DER BEWUSSTSEINSSEELE WIRKEN

In der Zeit während des Einschlages der Bewußtseinsseele in die Erdenentwickelung der Menschheit war es für die We­sen der dem Erdendasein nächsten geistigen Welt schwie­rig, an die Menschheit heranzukommen. Die Erdenereig­nisse nehmen eine Form an, die zeigt, daß Verhältnisse ganz besonderer Art notwendig sind, um dem Geistigen den Weg in das physische Leben der Menschheit möglich zu machen. Aber es zeigt andererseits diese Form auch wie­der in oftmals klärendster Art, wie das eine Geistige da, wo die Mächte der Vergangenheit noch wirken und die Mächte der Zukunft schon zu wirken beginnen, sich ener­gisch gegen ein anderes Geistiges seinen Weg in das Erdenleben der Menschheit sucht.

Da entwickelt sich zwischen 1339 und 1453 ein mehr als hundertjähriger verwirrender Krieg zwischen Frankreich und England. In dieser von einer gewissen, der Menschenentfaltung ungünstigen geistigen Strömung herrührenden Verwirrung finden Ereignisse ihre Hemmungen, die schnel­ler die Bewußtseinsseele in die Menschheit eingeführt hät­ten, wenn die Hemmungen nicht dagewesen wären. Chaucer (der 1400 gestorben ist) hat die englische Literatur be­gründet. Man braucht nur daran zu denken, was von dieser Literaturbegründung für geistige Folgen in Europa ausge­gangen sind, und man wird es bedeutsam finden, daß das Ereignis nicht frei sich gestalten konnte, sondern daß es in eine Kriegsverwirrung hineinfiel. Dazu kommt, daß schon

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vorher (1215) in England dasjenige politische Denken be­gonnen hatte, das durch die Bewußtseinsseele seine rechte Ausprägung erhalten kann. Auch die weitere Entwickelung dieses Ereignisses fällt in die Kriegshemmungen hinein.

Man hat es da mit einer Zeit zu tun, in der die geistigen Kräfte, die den Menschen so entwickeln wollen, wie er von ihnen übergeordneten göttlich-geistigen Mächten von An­fang an veranlagt ist, ihre Widersacher finden. Diese Wi­dersacher wollen den Menschen in andere Bahnen einlen­ken, als die ihm vom Anbeginne gewiesenen sind. Er würde dann die Kräfte seines Anfangs für seine spätere Entwicke­lung nicht anwenden können. Seine kosmische Kindheit bliebe für ihn unfruchtbar. Sie würde zum verdorrenden Teile seiner Wesenheit. Die Folge davon wäre, daß der Mensch die Beute der luziferischen oder ahrimanischen Mächte werden könnte und ihm seine selbsteigene Entfal­tung entfiele. Hätten es die Menschheits-Widersacher mit diesen ihren Bestrebungen nicht bloß bis zu Hemmungen, sondern bis zu einem vollen Erfolg gebracht, so hätte der Einschlag der Bewußtseinsseele unterbunden werden kön­nen.

Ein Ereignis, in dem das Einströmen des Geistigen in die Erdenereignisse besonders helleuchtend sich offenbart, ist das Auftreten und Schicksal der Jeanne d'Arc, der Jung­frau von Orleans (1412-1431). Was sie tut, hat für sie selbst die Impulse tief in den unterbewußten Untergründen der Seele. Sie folgt den dunklen Eingebungen der geistigen Welt. Auf der Erde herrscht Verwirrung, durch die das Bewußtseinszeitalter verhindert werden soll. Michael muß seine spätere Mission von der Geistwelt her vorbereiten. Er kann es da, wo seine Impulse in Menschenseelen aufgenommen

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werden. Die Jungfrau hat eine solche Seele. Er wirkt, wenn dies auch nur in minderem Grade möglich und für das äußere geschichtliche Leben weniger sichtbar ist, auch durch viele andere Seelen. In solchen Ereignissen, wie in dem Kriege zwischen England und Frankreich, findet er seine ahrimanische Gegnerschaft.

Von dem luziferischen Widersacher, den er in dieser Zeit gefunden hat, ist in der vorigen Betrachtung gesprochen. Aber dieser Widersacher zeigt sich ja auch ganz besonders darinnen, wie die Ereignisse sich abspielten, die dem Auf­treten der Jungfrau von Orleans folgten. Man sieht an die­sen Ereignissen, daß die Menschen keine Stellung mehr gewinnen konnten gegenüber einem Eingreifen der Geistwelt in die Geschicke der Menschheit, das begriffen und auch von den Menschen in ihren Willen aufgenommenwer­den konnte, als noch imaginatives Verstehen vorhanden war. Die Stellung zu solchem Eingreifen ist mit dem Auf­hören des Wirkens der Verstandes- oder Gemütsseele un­möglich geworden; die Stellung, die der Bewußtseinsseele entspricht, war damals noch nicht gefunden; sie ist auch heute noch nicht errungen.

So ist es denn gekommen, daß damals die Gestaltung Eu­ropas von der geistigen Welt aus zustande gekommen ist, ohne daß die Menschen ein Verständnis für das hatten, was geschieht, und ohne daß, was sie vermochten, einen nen­nenswerten Einfluß auf diese Gestaltung hat haben können.

Man braucht ja nur sich vorzustellen, was im fünfzehn­ten Jahrhundert geschehen wäre, wenn es keine Jungfrau von Orleans gegeben hätte, und man wird die Bedeutung dieses aus dem Geiste bedingten Ereignisses wohl einse­hen. - Es gibt ja auch Persönlichkeiten, die eine solche Erscheinung

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materialistisch erklären wollen. Mit ihnen ist eine Verständigung deshalb unmöglich, weil sie das offen­bar Geistige im materialistischen Sinne willkürlich umprägen.

Deutlich zeigt sich nun auch in gewissen geistigen Be­strebungen der Menschheit, wie diese den Weg zum Gött­lich-Geistigen nicht mehr ohne Schwierigkeiten findet, auch wenn sie ihn intensiv sucht. Es sind Schwierigkeiten, die in den Zeitaltern nicht vorhanden waren, in denen noch mit Imaginationen Einsicht geschaffen werden konnte. Man hat, um das hier Gemeinte richtig zu beurteilen, nur nötig, die als philosophische Denker auftretenden Persön­lichkeiten im klaren Lichte zu sehen. Ein Philosoph kann nicht nach seiner Wirkung auf sein Zeitalter allein betrach­tet werden, nicht darnach, wie viele Menschen seine Ideen aufgenommen haben. Er ist vielmehr der Ausdruck, die offenbare Wesenheit für sein Zeitalter. Was der große Teil der Menschheit unbewußt als Seelenverfassung, als unbe­wußte Gefühle und Lebensantriebe in sich trägt, das bringt der Philosoph in seine Ideen. Er zeigt, wie das Thermome­ter den Wärmezustand seiner Umgebung, so den Seelenzu­stand seines Zeitalters an. Die Philosophen sind ebenso­wenig die Ursachen der Seelenverfassung ihrer Zeitalter wie die Thermometer die der Wärmeverfassung ihrer Um­gebung.

Man sehe unter diesen Voraussetzungen auf den Philo­sophen René Descartes, der wirkte, als das Bewußtseinszeitalter schon im Gange war. (Er lebte 1596 bis 1650.) Die schmale Stütze seiner Verbindung mit der Geistwelt (dem wahren Sein) ist das Erlebnis «Ich denke, also bin ich». Im Zentrum des Selbstbewußtseins, des Ich, sucht er die Realität

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zu empfinden; und zwar nur so viel, als ihm die Be­wußtseinsseele sagen kann.

Und über alles übrige Geistige sucht er auf dem intellek­tualistischen Wege sich klar zu werden, indem er unter­sucht, wieviel Bürgschaft die Gewißheit des eigenen Selbst­bewußtseins über die Gewißheit von anderem gibt. Er fragt überall gegenüber den Wahrheiten, die ihm geschicht­lich überliefert sind: sind sie so klar wie das «Ich denke, also bin ich»? Und kann er das bejahen, so nimmt er sie an.

Ist bei einem solchen menschlichen Denken nicht aller Anschauung, die auf die Dinge der Welt orientiert ist, der Geist ausgetrieben? Die Offenbarung dieses Geistes hat sich auf die kleinste Stütze im Selbstbewußtsein zurück­gezogen; alles andere erweist sich unmittelbar ohne Geistesoffenbarung. Es kann auf das außer dem Selbstbewußtsein Liegende nur mittelbar durch den Intellekt in der Bewußtseinsseele ein Licht dieser Geistesoffenbarung geworfen werden.

Der Mensch dieses Zeitalters läßt gewissermaßen den noch fast leeren Inhalt seiner Bewußtseinsseele in intensi­ver Sehnsucht nach der Geistwelt strömen. Ein dünner Strahl geht dahin.

Die Wesen der an die Erdenwelt unmittelbar angrenzen­den Geistwelt und die Menschenseelen auf Erden kommen schwer zueinander. Michaels übersinnliche Vorbereitung seiner späteren Mission wird nur unter den größten Hem­mungen von der Menschenseele miterlebt.

Man vergleiche, um das Wesen der Seelenstimmung zu erfassen, die in Descartes zum Ausdrucke kommt, diesen Philosophen mit Augustinus, der der äußeren Formulie­rung nach dieselbe Stütze für das Erleben der geistigen

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Welt geltend macht wie Descartes. Nur geschieht es bei Augustinus aus der vollen imaginativen Kraft der Verstan­des- oder Gemütsseele. (Er lebte 354 bis 430.) Man findet Augustinus mit Descartes mit Recht verwandt. Nur ist der Intellekt des Augustinus noch der Rest des Kosmischen, der bei Descartes der schon in die einzelne Menschenseele einziehende. Gerade an dem Fortgang des Geistesstrebens von Augustinus zu Descartes kann man sehen, wie der kosmische Charakter der Gedankenkräfte sich verliert, und wie dieser dann in der Menschenseele wieder auftritt. Man schaut aber zugleich, wie Michael und die Menschenseele unter Schwierigkeiten sich so zusammenfinden, daß Mi­chael im Menschen leiten kann, was er einst im Kosmos ge­leitet hat.

Es sind gegen dieses Zusammenfinden die luziferischen und ahrimanischen Kräfte am Werke. Die luziferischen wollen am Menschen nur das zur Entfaltung kommen las­sen, was ihm in seiner kosmischen Kindheit eigen war; die ahrimanischen als Gegner und doch mit ihnen zusammen­wirkend möchten die in späteren Weltaltern erlangten Kräfte allein entwickeln und die kosmische Kindheit verdorren lassen.

Unter solchen gesteigerten Widerständen wurde von den Menschenseelen Europas das verarbeitet, was an geistigen Impulsen durch die Kreuzzüge an alten Weltanschauungsideen vom Osten nach dem Westen geströmt war. Die Mi­chael-Kräfte lebten ja ganz stark in diesen Ideen. Die kos­mische Intelligenz, deren Verwaltung das alte geistige Erb­gut Michaels war, beherrschte diese Weltanschauungen.

Wie konnten sie aufgenommen werden, da eine Kluft lag zwischen den Kräften der Geist-Welt und den Menschenseelen?

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Sie fielen in die erst leise werdende Bewußtseinsseele. Einerseits begegneten sie dem Hindernis, das in der noch schwach entwickelten Bewußtseinsseele gegeben war. Sie übertönten deren Wirksamkeit, lähmten sie. Aber an­derseits auch auf ein noch von Imagination getragenes Be­wußtsein stießen sie nicht mehr. Die Menschenseele konnte sie nicht mit voller Einsicht mit sich verbinden. Man nahm sie entweder ganz oberflächlich oder abergläubisch auf.

In diese Geistesverfassung muß geschaut werden, wenn die Gedankenbewegungen, die an Namen von Wicliff, Huß und andere einerseits, an die Bezeichnung «Rosenkreuzer­wesen» andrerseits sich anschließen, verstanden sein wol­len.

Davon soll im weiteren gesprochen werden.

(Die Fortsetzung dieser zweiten und die dritte Betrach­tung folgen.)

Goetheanum, 30.November 1924.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf das Vorangehende aus der zweiten Betrachtung über die Michael-Kräfte in der ersten Entfaltung der Bewußtseinsseele)

Leitsätze Nr. 127 bis 130 (7. Dezember 1924)

127. Die Menschenseele entwickelt im Beginne des Bewußt­seinszeitalters noch in geringem Maße ihre intellektuellen Kräfte. Es entsteht eine Zusammenhanglosigkeit zwischen dem, was diese Seele in ihren unbewußten Untergründen ersehnt, und dem, was ihr die Kräfte aus der Region, in der Michael ist, geben können.

128. In dieser Zusammenhanglosigkeit besteht eine gesteigerte Möglichkeit für die luziferischen Mächte, den Men­schen bei den kosmischen Kindheitskräften zurückzuhal­ten und ihn zur weiteren Entfaltung nicht auf den Wegen der göttlich-geistigen Mächte, mit denen er vom Anfang an verbunden war, sondern auf den luziferischen kommen zu lassen.

129. Es besteht die weitere gesteigerte Möglichkeit für die ahrimanischen Mächte, den Menschen von den kosmischen Kindheitskräften abzuschnüren und ihn für die weitere Entfaltung in ihren eigenen Bereich zu ziehen.

130. Beides ist nicht geschehen, weil die Michael-Kräfte doch tätig waren; aber die Geistesentwickelung der Mensch­heit mußte unter den durch diese Möglichkeiten entstan­denen Hemmungen geschehen und wurde dadurch, was sie bis jetzt geworden ist.

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FORTSETZUNG DER ZWEITEN BETRACHTUNG: HEMMUNGEN UND FÖRDERUNGEN DER MICHAEL-KRÄFTE IM AUFKOMMENDEN ZEITALTER DER BEWUSSTSEINSSEELE

Die Einverleibung der Bewußtseinsseele bewirkte durch ganz Europa hindurch auch eine Störung in den religiösen Bekenntnis- wie in den Kulterlebnissen. Man sieht um die Wende des elften und zwölften Jahrhunderts eine deut­liche Ankündigung dieser Störung in dem Auftauchen des «Gottesbeweises» (besonders durch Anselm von Canter­bury). Die Existenz Gottes sollte durch Verstandesgründe bewiesen werden. Eine solche Sehnsucht konnte nur ein­treten, als die alte Art, «Gott» mit den Kräften seiner Seele zu erleben, im Schwinden war. Denn, was man so erlebt, das beweist man nicht logisch.

Die vorige Art war, die wesenhaften Intelligenzen - bis zur Gottheit hinauf- seelisch wahrzunehmen; die neue Art wurde die, auf intellektuelle Art über die «Urgründe» des Weltalls sich Gedanken auszubilden. Für die erstere Art hatte man in dem an den Erdbereich unmittelbar angren­zenden geistigen Bereich die Kräfte Michaels, welche die Seele hinter den auf das Sinnliche gerichteten Gedankenkräften mit Fähigkeiten ausrüsteten, das wesenhaft Intelli­gente im Weltall wahrzunehmen; für die zweite Art mußte erst der Zusammenschluß der Seele mit den Michael-Kräften ausgebildet werden.

Im Kultgebiet kam von Wicliff in England (fünfzehntes Jahrhundert) bis zu Huß in Böhmen auf weiten Bereichen menschlichen religiösen Erlebens eine solche Mittelpunkts­lehre wie die Abendmahlslehre ins Wanken. Im Abendmahl

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konnte der Mensch seine Verbindung mit der Geistwelt finden, die ihm durch Christus eröffnet war, denn er konnte mit dem Christus in seiner Wesenheit sich so ver­einigen, daß die Tatsache der sinnlichen Vereinigung zu­gleich eine geistige war.

Vorstellen konnte das Bewußtsein der Verstandes- oder Gemütsseele diese Vereinigung. Denn diese Seele hatte so­wohl von dem Geiste wie von der Materie noch Ideen, die sich nahe standen, so daß die eine (Materie) in den andern (Geist) im Übergange gedacht werden konnte. Solche Ideen dürfen aber nicht solch intellektualistische sein, die auch Beweise für das Dasein Gottes verlangen; es müssen solche sein, die noch etwas von der Imagination haben. Dadurch wird in der Materie der in ihr tätige Geist, in dem Geiste das Streben nach der Materie empfunden. Ideen dieser Art haben hinter sich die kosmischen Kräfte Michaels.

Man bedenke nur, wieviel in dieser Zeit für die Menschenseele ins Wanken kam! Wieviel von dem, was mit ihrem in­nersten heiligsten Erleben zusammenhing! Persönlichkei­ten, in denen das Wesen der Bewußtseinsseele am hellsten aufstrahlte, die von einer Seelenverfassung waren, die sie mit den Michael-Kräften in einer Stärke verband, die für die andern erst nach Jahrhunderten kommen sollte, Huß, Wicliff und andere, traten auf. Sie machten aus der Michael-Stimme in ihrem Herzen heraus das Recht der Bewußtseins-seele geltend, sich aufzuschwingen zum Ergreifen der tief­sten religiösen Geheimnisse. Sie fühlten: die Intellektuali­tät, die mit der Bewußtseinsseele heraufzog, muß fähig sein, in den Bereich ihrer Ideen das einzubeziehen, was in alten Zeiten durch Imagination zu erreichen war.

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Demgegenüber stand, daß die alte, geschichtlich über­brachte Stellung der Menschenseele in den weitesten Kreisen alle innere Kraft verloren hatte. Was man in der Geschichte die Übelstände des Bekenntnislebens nennt, womit sich die großen Reformkonzilien in dem Zeitalter der beginnenden Wirksamkeit der Bewußtseins seele beschäftigten, das hängt alles mit dem Leben derjenigen Menschenseelen zusam­men, die in sich die Bewußtseinsseele noch nicht fühlten, aber die in der überkommenen Verstandes- oder Gemütsseele auch nicht mehr etwas haben konnten, das ihnen in­nere Kraft und Sicherheit gab.

Man kann wirklich sagen, solche geschichtliche mensch­liche Erlebnisse, wie sie auf den Konzilien zu Konstanz, zu Basel, zutage traten, zeigen oben in der Geistwelt das Her­abströmen der Intellektualität, die zu den Menschen will, und unten den Erdbereich mit der nicht mehr der Zeit ent­sprechenden Verstandes oder Gemütsseele Dazwischen schweben die Michael-Kräfte, zurückblickend auf ihre ver­gangene Verbindung mit dem Göttlich-Geistigen und hin­unterblickend nach dem Menschlichen, das ebenso diese Verbindung hatte, das aber jetzt in eine Sphäre übergehen mußte, in der ihm Michael vom Geiste aus helfen soll, das er aber selbst innerlich nicht mit sich vereinigen soll. In die­sem Bestreben Michaels, das in der kosmischen Entwicke­lung notwendig ist, das aber zunächst doch eine Störung des Gleichgewichts im Kosmos bedeutet, liegt begründet, was die Menschheit in diesem Zeitalter auch in bezug auf die heiligsten Wahrheiten erleben mußte.

Man schaut tief in das Charakteristische dieser Zeit hinein, wenn man den Kardinal Nicolaus Cusanus ins Auge faßt. (Man lese über ihn in meinem Buche «Die Mystik im

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Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens».) Seine Persön­lichkeit ist wie eine Merksäule der Zeit. Er möchte Ansich­ten zur allgemeinen Geltung bringen, die die Mißstände der physischen Welt nicht in schwarmgeistigen Tendenzen bekämpfen, sondern durch den gesunden Menschensinn das, was aus dem Geleise gekommen ist, wieder in dieses zurückführen. Man sehe sein Wirken auf dem Basler Kon­zil und auch sonst innerhalb seiner kirchlichen Gemeinschaft; und man wird dieses bemerken.

Ist der Cusaner damit dem Umschwung der Entwicke­lung mit der Entfaltung der Bewußtseinsseele voll zuge­neigt, so sieht man ihn andrerseits Anschauungen offenba­ren, die Michaels Kräfte in leuchtender Art an sich zeigen. Er stellt in seine Zeit die guten alten Ideen hinein, die den Menschenseelensinn zur Entfaltung von Fähigkeiten für das Wahrnehmen der wesenhaften Intelligenzen im Kos­mos führten, als Michael noch die Welt-Intellektualität ver­waltete. Die «gelehrte Unwissenheit», von der er spricht, ist ein über dem auf die Sinneswelt gerichteten Wahrnehmen gelegenes Begreifen, das das Denken über die Intel­lektualität - das gewöhnliche Wissen - hinaus in eine Re­gion führt, wo - im Unwissen - dafür aber im erlebenden Schauen das Geistige erfaßt wird.

So ist der Cusaner diejenige Persönlichkeit, die in dem eigenen Seelenieben die Störung des kosmischen Gleich­gewichtes durch Michael empfindend intuitiv möglichst viel dazu beitragen möchte, daß diese Störung zum Heile der Menschheit hin orientiert werde.

Zwischen dem, was auf diese Art geistig zutage trat, lebte im Verborgenen ein anderes. Einzelne Persönlichkei­ten, die Sinn und Verständnis für die Stellung der Michael- Kräfte

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im Weltenall hatten, wollten die Kräfte ihrer Seele so zubereiten, daß sie den bewußten Zugang zu dem an den Erdbereich angrenzenden Geistbereich fanden, in dem Mi­chael seine Anstrengungen für die Menschheit macht.

Sie suchten sich die Berechtigung zu diesem geistigen Unterfangen dadurch zu erwerben, daß sie äußerlich im Leben beruflich und auch sonst sich so verhielten daß ihr Dasein von dem anderer Menschen nicht zu unterscheiden war. Dadurch, daß sie so gegen das Irdische im ganz ge­wöhnlichen Sinne ihre Pffichten in Liebe vollführten, konn­ten sie das Innere ihres Menschentums frei dem gekenn­zeichneten Geistigen zuwenden. Was sie nach dieser Rich­tung taten, war ihre und derjenigen Sache, mit denen sie sich «im Geheimen» verbanden. Die Welt wurde mit Be­zug auf das, was im Physischen geschah, zunächst schein­bar gar nicht von diesem Geiststreben berührt. Doch war dies alles notwendig, um die Seelen in die nötige Verbin­dung mit der Michael-Welt zu bringen. Es handelte sich nicht um «Geheimgesellschaften» in irgendeinem schlim­men Sinne, nicht um irgend etwas, das das Verborgene auf­sucht, weil es das Licht des Tages scheut. Es handelte sich vielmehr um das Zusammenfinden von Menschen, die in diesem Zusammenfinden sich überzeugen, daß, werzu ihnen gehört, ein rechtes Bewußtsein der Michael-Mission hat. Die so Zusammenarbeitenden sprechen dann nicht von ihrer Arbeit vor denen, die durch Verständnislosigkeit nur ihre Aufgaben stören könnten. Diese Aufgaben lagen ja zunächst in dem Wirken in Geistesströmungen, die nicht innerhalb des irdischen Lebens verlaufen, sondern in der angrenzenden Geist-Welt, die aber in das irdische Leben ihre Impulse hineinwerfen.

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Es ist damit auf die Geist-Arbeit von Menschen verwie­sen, die innerhalb der physischen Welt stehen; aber die mit Wesen der Geist-Welt zusammenwirken; mit Wesen, die selbst nicht die physische Welt betreten, sich nicht in der­selben verkörpern. Was - recht wenig tatsachengemäß - als die «Rosenkreutzer» vor der Welt genannt wird, darauf ist hier verwiesen. Das wahre Rosenkreutzertum liegt durchaus in der Linie der Wirksamkeit der Michael-Mis­sion. Es half Michael auf der Erde vorzubereiten, was er als seine Geistarbeit für ein späteres Zeitalter vorbereiten wollte.

Was damit geschehen konnte, wird man ermessen, wenn man den Sinn auf das Folgende lenkt.

Die Schwierigkeiten, ja Unmöglichkeiten Michaels, in Menschenseelen hineinzuwirken, die charakterisiert wor­den sind, hängen damit zusammen, daß er selbst mit sei­nem Wesen in keinerlei Berührung mit der physischen Ge­genwart des Erdenlebens kommen will. Er will in den Kräftezusammenhängen verbleiben, die für Geister seiner Art und für Menschen in der Vergangenheit bestanden haben. Jede Berührung mit dem, womit als im gegenwärtigen physischen Erdenleben der Mensch in Berührung kommen muß, könnte Michael nur als eine Verunreinigung seiner Wesenheit betrachten. Nun wirkt ja im gewöhnlichen Men­schenleben das geistige Erleben der Seele in das physische Erdenleben herein und umgekehrt, dieses wirkt auf jenes zurück. Ein Zurückwirken, das sich namentlich in der Stimmung des Menschen und in der Orientierung auf irgend etwas Irdisches hin zum Ausdruck bringt. Ein der­artiges Ineinanderwirken ist in der Regel - nicht immer -insbesondere bei den Persönlichkeiten der Fall, die in der

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Öffentlichkeit stehen. Daher waren die Hemmungen für Michaels Wirken bei manchen Reformatoren wirklich sehr groß.

Das Schwierige von dieser Seite bezwangen die Rosen­kreutzer dadurch, daß sie ihr äußeres Leben im Sinne der Erdenpffichten ganz abseits hielten von ihrem Arbeiten mit Michael. Wenn dieser mit seinen Impulsen auf das aufstieß, was ein Rosenkreutzer in seiner Seele für ihn zubereitete, so fand er sich in keiner Weise der Gefahr ausgesetzt, auf Irdi­sches aufzutreffen. Denn dies ward ja eben von dem, was den Rosenkreutzer mit Michael verband, durch die beson­ders hergestellte Seelenverfassung ferngehalten.

Dadurch bildete für Michael das echte Rosenkreutzerwol­len den auf der Erde befindlichen Weg zu seiner kommenden Erden-Mission.

(Die dritte Betrachtung folgt.)

Goetheanum, 6. Dezember 1924.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf das Vorangehende der zweiten Betrachtung über Hemmungen und Förderungen der Michael-Kräfte im aufkommenden Zeitalter der Bewußtseinsseele)

Leitsätze Nr. 131 bis 133 (14. Dezember 1924)

131. Im beginnenden Zeitalter der Bewußtseinsseele will sich die im Menschen emanzipierte Intellektualität mit den Bekenntnis- und Kultuswahrheiten beschäftigen. Das menschliche Seelenleben muß dadurch ein Schwanken er­leben. Man will Wesenhaftes, das vorher seelisch erlebt worden ist, logisch beweisen. Man will Kultusinhalte, die in Imaginationen ergriffen werden müssen, mit der logischen Schlußfolgerung ergreifen; ja sie nach dieser gestalten.

132. Das alles ist damit zusammenhängend, daß Michael unter allen Umständen jede Berührung mit der gegenwär­tigen Erdenwelt, die der Mensch betreten muß, vermeiden will, daß er aber dennoch die kosmische Intellektualität, die er in der Vergangenheit verwaltet hat, weiter im Men­schen geleiten soll. Dadurch entsteht durch die Michael-Kräfte eine dem Fortgang der Welt-Entwickelung notwendige Störung des kosmischen Gleichgewichtes.

133. Erleichtert wird Michael dadurch seine Mission, daß gewisse Persönlichkeiten - die echten Rosenkreutzer - ihr äußeres Erdenleben so einrichten, daß es mit gar nichts in ihr inneres Seelenleben hineinwirkt. Sie können dadurch in ihrem Innern Kräfte ausbilden, durch die sie im Geisti­gen mit Michael zusammenwirken, ohne daß dieser in die Gefahr kommt, in das gegenwärtige Erdengeschehen ver­strickt zu werden, was ihm unmöglich wäre.

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DRITTE BETRACHTUNG: MICHAELS LEID ÜBER DIE MENSCHHEITSENTWICKELUNG VOR DER ZEIT SEINER ERDENWIRKSAMKEIT

Im weiteren Fortschritt des Bewußtseinszeitalters hört im­mer mehr die Möglichkeit der Verbindung Michaels mit der allgemeinen Menschenwesenheit auf. In dieser hält die vermenschlichte Intellektualität ihren Einzug. Aus dieser schwinden imaginative Vorstellungen, die wesenhafte Intelligenz im Kosmos dem Menschen zeigen können. Für Michael beginnt die Möglichkeit, an den Menschen heran­zukommen, erst mit dem letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts. Vorher kann es nur auf solchen Wegen ge­schehen, die als die echt rosenkreutzerischen gesucht wer­den.

Der Mensch sieht mit seinem aufkeimenden Intellekt in die Natur. Er sieht dann eine physische, eine Ätherwelt, in denen er nicht drinnen ist. Er gewinnt durch die großen Ideen der Kopernikus, Galilei ein Bild der außermenschli­chen Welt; aber er verliert sein eigenes. Er sieht auf sich selbst und hat keine Möglichkeit, zu einer Einsicht darüber zu kommen, was er ist.

In den Tiefen seines Wesens wird das in ihm erweckt, was seine Intelligenz zu tragen bestimmt ist. Mit dem ver­bindet sich sein Ich. So trägt jetzt der Mensch ein Dreifaches in sich. Erstens: in seinem Geist-Seelenwesen als physisch-ätherisch erscheinend das, was ihn einstmals, schon in Saturn- und Sonnenzeit und dann immer wieder, in das Reich des Göttlich-Geistigen gestellt hat. Es ist das­jenige, wo Menschenwesen und Michaelwesen zusammengehen

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können. Zweitens trägt der Mensch in sich sein spä­teres physisches und ätherisches Wesen. Dasjenige, was ihm während Monden- und Erdenzeiten geworden ist. Das ist alles Werk und Wirksamkeit des Göttlich-Geistigen; aber dieses ist selbst darinnen nicht mehr lebendig anwe­send.

Es wird erst wieder voll lebendig anwesend, als der Chri­stus durch das Mysterium von Golgatha schreitet. In dem, was geistig in dem physischen und ätherischen Leib des Menschen wirkt, kann der Christus gefunden werden. Drit­tens hat der Mensch in sich denjenigen Teil seines Geistig-Seelischen, der in Monden- und Erdenzeiten neues Wesen an­genommen hat. In diesem ist Michael tätig geblieben, wäh­rend er in dem Mond und Erde zugewandten immer untä­tiger geworden ist. In diesem hat er dem Menschen sein Menschen-Götterbild erhalten.

Das konnte er bis zum Aufgange des Bewußtseinszeit­alters. Dann versank gewissermaßen das gesamte Geistig­Seelische des Menschen in das Physisch-Ätherische, um daraus die Bewußtseinsseele zu holen.

Dem Menschen stieg leuchtend im Bewußtsein auf, was ihm sein physischer Leib und sein ätherischer Leib über Physisches und Ätherisches in der Natur sagen konnten. Es versank vor seinem Schauen, was ihm astralischer Leib und Ich über sich selbst sagen konnten.

Eine Zeit steigt herauf, in der in der Menschheit das Ge­fühl auflebt, sie komme mit ihrer Einsicht nicht mehr an sich selbst heran. Ein Suchen nach der Erkenntnis der Men­schenwesenheit beginnt. Man kann dieses nicht befriedi­gen durch das, was die Gegenwart vermag. Man geht historisch in frühere leiten zurück. Der Humanismus steigt

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in der Geistesentwickelung auf. Humanismus erstrebt man nicht, weil man den Menschen hat, sondern weil man ihn verloren hat. Solange man ihn hatte, hätten Erasmus von Rotter­dam und andere aus einer ganz anderen Seelennuance ge­wirkt, als aus dem, was ihnen der Humanismus war.

In Faust fand später Goethe eine Menschengestalt auf, die ganz und gar den Menschen verloren hatte.

Immer intensiver wird dieses Suchen nach «dem Men­schen». Denn man hat nur die Wahl, sich abzustumpfen gegenüber dem Erfühlen des eigenen Wesens; oder die Sehnsucht nach ihm als ein Element der Seele zu entwickeln.

Bis in das neunzehnte Jahrhundert herein entwickeln die besten Menschen auf den verschiedensten Gebieten des europäischen Geisteslebens in verschiedenster Art Ideen - historische, naturwissenschaftliche, philosophische, mysti­sche -, die ein Streben darstellen, in dem, was intellektuali­stisch gewordene Weltanschauung ist, den Menschen zu fin­den.

Renaissance, geistige Wiedergeburt, Humanismus hasten, ja stürmen nach einer Geistigkeit in einer Richtung, in der sie nicht zu finden ist; Ohnmacht, Illusion, Betäubung - nach der Richtung, in der man sie suchen muß. Dabei überall der Durchbruch der Michael-Kräfte, in der Kunst, in der Er­kenntnis, in den Menschen herein, nur noch nicht in die auflebenden Kräfte der Bewußtseinsseele. - Ein Schwanken des geistigen Lebens. Michael, alle Kräfte nach rückwärts in der kosmischen Entwickelung wendend, auf daß ihm Macht werde, den «Drachen» unter seinen Füßen im Gleich­gewicht zu erhalten. Gerade unter diesen Machtanstren­gungen Michaels entstehen die großen Schöpfungen der

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Renaissance. Aber sie sind noch eine Erneuerung des Ver­standes- oder Gemütsseelenhaften durch Michael, nicht ein Wirken der neuen Seelenkräfte.

Man kann Michael voll Sorge schauen, ob er auch in der Lage sei, den «Drachen» auf die Dauer zu bekämpfen, wenn er wahrnimmt, wie die Menschen auf dem einen Ge­biete aus dem neugewonnenen Naturbilde ein solches des Menschen gewinnen wollen. Michael sieht, wie die Natur beobachtet wird und wie man aus dem, was man «Natur­gesetze» nennt, ein Menschenbild formen will. Er sieht, wie man sich vorstellt, diese Eigenschaft eines Tieres werde vollkommener, jene Organverbindung werde harmoni­scher und dadurch «entstehe» der Mensch. Aber vor Mi­chaels Geistesauge entsteht nicht «ein Mensch», weil, was in Vervollkommnung, in Harmonisierung gedacht wird, eben nur «gedacht» wird; niemand kann schauen, daß es auch in Wirklichkeit wird, weil das eben nirgends der Fall ist.

Und so leben die Menschen mit solchem Denken vom Menschen in wesenlosen Bildern, in Illusionen; sie jagen einem Menschenbilde nach, das sie nur glauben zu haben; aber in Wahrheit ist nichts in ihrem Gesichtsfelde. «Die Kraft der Geistessonne bescheinet ihre Seelen, Christus wirkt; aber sie können dessen noch nicht achten. Bewußtseinsseelenkraft waltet im Leibe; sie will noch nicht in die Seele.» So etwa kann man die Inspiration hören, die da Mi­chael spricht aus banger Sorge. Ob denn nicht etwa die Illusionskraft in den Menschen dem «Drachen» soviel Macht geben werde, daß ihm - Michael - die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts eine Unmöglichkeit sein werde.

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Andere Persönlichkeiten suchen mit mehr innerlich­künstlerischer Kraft, die Natur mit dem Menschen in eins zu empfinden. Gewaltig klingt das Wort, das Goethe ge­sprochen hat, als er Winckelmanns Wirken in einem schö­nen Buche charakterisierte: «Wenn die gesunde Natur des Menschen als ein Ganzes wirkt, wenn er sich in der Welt als in einem großen, schönen, würdigen und werten Gan­zen fühlt, wenn das harmonische Behagen ihm ein reines, freies Entzücken gewährt; dann würde das Weltall, wenn es sich selbst empfinden könnte, als an sein Ziel gelangt, aufjauchzen und den Gipfel des eigenen Werdens und We­sens bewundern. » Was Lessing mit Feuergeistigkeit anregte, was in Herder den großen Weltblick beseelte: es klingt in diesem Goethewort. Und Goethes ganzes eigenes Schaffen ist wie allseitige Offenbarung dieses seines Wor­tes. Schiller hat in den «Ästhetischen Briefen» einen idea­len Menschen geschildert, der so, wie es in diesem Worte klingt, das Weltall in sich trägt und es im sozialen Zusam­menschluß mit anderen Menschen verwirklicht. Aber wo­her stammt dieses Menschenbild? Es leuchtet wie die Mor­gensonne über der Frühlingserde. Aber in die Menschenempfindung ist es aus der Betrachtung des griechischen Menschen eingezogen. Menschen hegten es mit starkem inneren Michael-Impuls; aber sie konnten diesen Impuls nur ausgestalten, indem sie den Seelenblick in die Vorzeit versenkten. Goethe empfand ja, indem er den «Menschen» erleben wollte, die stärksten Konflikte mit der Bewußtseinsseele. In Spinozas Philosophie suchte er ihn; während der italienischen Reise, als er in griechisches Wesen hineinblickte, glaubte er ihn erst recht zu ahnen. Er eilte von der Bewußtseinsseele, die in Spinoza strebt, doch zuletzt zur

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verglimrnenden Verstandes- oder Gemütsseele. Er kann nur unbegrenzt viel von dieser in die Bewußtseinsseele in seiner umfassenden Naturanschauung herübertragen.

Ernst schaut Michael auch auf dieses Suchen nach dem Menschen. Was nach seinem Sinne ist, kommt ja wohl in die menschliche Geistesentwickelung hinein; es ist der Mensch, der einst das wesenhaft Intelligente geschaut hat, als es Michael noch aus dem Kosmos heraus verwaltet hat. Aber das müßte, wenn es nicht von der vergeistigten Kraft der Bewußtseinsseele erfaßt würde, zuletzt Michaels Wir­ken entfallen und unter Luzifers Macht gelangen. Daß Lu­zifer in dem Schwanken der kosmisch-geistigen Gleich­gewichtslage die Obermacht gewinnen könne, das ist die andere bange Sorge in dem Leben Michaels.

Michaels Vorbereitung seiner Mission für das Ende des neunzehnten Jahrhunderts strömt in kosmischer Tragik dahin. Unten auf Erden herrscht oft tiefste Befriedigung über das Wirken des Naturbildes; im Gebiete, da Michael wirkt, waltet Tragik über die Hemmnisse, die sich dem Einleben des Menschenbildes entgegenstellen.

Ehedem lebte in dem Strahlen der Sonne, in dem Schim­mern der Morgenröte, in dem Funkeln der Sterne Michaels herbe, vergeistigte Liebe; jetzt hatte diese Liebe am stärk­sten die Note des leiderweckenden Hinschauens auf die Menschheit angenommen.

Michaels Situation im Kosmos wurde eine tragisch-schwierige, aber auch zu einer Lösung drängende gerade in dem Zeitabschnitte, der seiner Erdenmission voranging. Die Menschen konnten die Intellektualität nur im Bereich des Leibes und da nur der Sinne halten. Sie nahmen daher auf der einen Seite nichts in ihre Einsicht auf, was ihnen

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nicht die Sinne sagten; die Natur wurde ein Feld der Sin­nesoffenbarung, aber diese Offenbarung ganz materiell ge­dacht. In den Naturformen vernahm man nicht mehr das Werk des Göttlich-Geistigen, sondern etwas, das geistlos da ist und von dem man doch behauptete, daß es das Gei­stige, in dem der Mensch lebt, hervorbringt. Auf der an­dern Seite wollten von einer Geisteswelt die Menschen nur noch das annehmen, wovon die historischen Nachrichten sprachen. Ein Schauen des Geistes nach der Vergangen­heit wurde so streng verpönt wie ein solches in die Gegen­wart.

Es lebte nur noch das in des Menschen Seele, das aus dem Gegenwartsgebiete kommt, das Michael nicht betritt. Der Mensch ward froh, auf «sicherm» Boden zu stehen. Den glaubte er zu haben, weil er nichts von Gedanken, in denen er sogleich Phantasiewillkür fürchtete, in der «Na­tur» suchte. Michael aber war nicht froh; er mußte jenseits vom Menschen, in seinem eigenen Gebiet, den Kampf ge­gen Luzifer und Ahriman führen. Das ergab die große tra­gische Schwierigkeit, weil Luzifer um so leichter an den Menschen herankommt, je mehr Michael, der ja auch das Vergangene bewahrt, sich von dem Menschen abhalten muß. Und so spielte sich ein heftiger Kampf Michaels mit Ahriman und Luzifer in der an die Erde unmittelbar angrenzenden geistigen Weltfür den Menschen ab, während dieser im Erdbereich selbst gegen das Heilsame seiner Ent­wickelung seine Seele in Tätigkeit hielt.

Alles dieses gilt selbstverständlich für das europäische und amerikanische Geistesleben. Für das asiatische müßte anders gesprochen werden.

Goetheanum, 14.Dezember 1924.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehende dritte Betrachtung: Michaels Leid über die Menschheitsentwickelung vor der Zeit seiner Erdenwirksamkeit)

Leitsätze Nr. 134 bis 136 (21. Dezember 1924)

134. In der allerersten Zeit der Bewußtseinsseelenentwicke­lung erfühlt der Mensch, wie ihm das vorher imaginativ gegebene Bild der Menschheit, seiner eigenen Wesenheit, verloren gegangen ist. Ohnmächtig, es in der Bewußtseinsseele schon zu finden, sucht er es auf naturwissenschaft­lichem oder historischem Wege. Er möchte in sich das alte Menschheitsbild wieder erstehen lassen.

135. Man gelangt dadurch nicht zu einem wirklichen Er­fülltsein mit der menschlichen Wesenheit, sondern nur zu Illusionen. Aber man bemerkt es nicht; und sieht darin et­was die Menschheit Tragendes.

136. So muß Michael in der Zeit, die seiner Erdenwirksam­keit vorangeht, mit Sorge und in Leid auf die Menschheits­entwickelung sehen. Denn die Menschheit verpönt jede Geistesbetrachtung und schneidet sich dadurch alles ab, was sie mit Michael verbindet.

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WEIHNACHTSBETRACHTUNG: DAS LOGOS-MYSTERIUM

In die Betrachtung des Michael- Mysteriums strahlte die des Mysteriums von Golgatha herein. Das ist durch die Tatsache gegeben, daß Michael die Macht ist, die den Menschen in der ihm heilsamen Art an den Christus herangeleitet.

Aber die Michael-Mission ist eine solche, die sich im kosmischen Menschheitswerden in rhythmischer Folge wiederholt. Man hatte sie in ihrer wohltätigen Wirkung auf die Erdenmenschheit wiederholt vor dem Mysterium von Gol­gatha. Da hing sie zusammen mit alle dem, was die noch au­ßerirdische Christus-Kraft zur Entfaltung der Menschheit für die Erde tätig zu offenbaren hatte. Nach dem Myste­rium von Golgatha wird sie dem dienstbar, was durch Christus der Erdenmenschheit geschehen soll. Sie tritt in abgewandelter und fortschreitender Form in ihren Wieder­holungen auf, aber eben in Wiederholungen.

Dem gegenüber ist das Mysterium von Golgatha ein alles übergreifendes kosmisches Ereignis, das nur einmal stattfindet im Laufe der ganzen kosmischen Menschheits­entwickelung.

Als die Menschheit bis zur Entfaltung der Verstandes- oder Gemütsseele vorgeschritten ist, da macht sich die fortwirkende Gefahr der schon urzeitlich veranlagten Herauslösung des Menschheitswesens aus dem Wesen des Gött­lich-Geistigen erst voll geltend.

Und in demselben Maße, in dem die Menschenseele das Mit-Erleben mit den göttlich-geistigen Wesenheiten ver­liert, taucht um sie herum das auf, was man heute «Natur» nennt.

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Der Mensch schaut nicht mehr das Menschenwesenhafte in dem göttlich-geistigen Kosmos; er schaut das Werk des Göttlich-Geistigen im Irdischen. Er schaut es zunächst nicht in der abstrakten Form, in der es heute geschaut wird: sinnlich-physische Wesen und Geschehnisse, die durch diejenigen abstrakten Ideen-Inhalte zusammengehalten werden, die man «Naturgesetze» nennt. Er schaut es als göttlich-geistiges Wesen. Dieses göttlich-geistige We­sen wogt auf und ab in allem, was er als Entstehen und Vergehen der tierischen Lebewesen, im Wachsen und Sprossen der Pflanzenwelt sieht, was er in Quell- und Flußtätigkeit, in Wind- und Wolkenbildung gewahr wird. All diese Wesenhaftigkeiten und Vorgänge um ihn herum sind ihm die Gebärden, die Taten, sind ihm die Sprache des Götterwesens, das der «Natur» zugrunde liegt.

Wie dereinst in den Sternenstellungen und Sternenbe­wegungen die Taten, Gebärden der Weltengötterwesen von dem Menschen geschaut wurden, wie ihre Worte dar­innen gelesen wurden, so wurden nunmehr die «Naturtat­sachen» der Ausdruck für die Erdgöttin. Denn das in der Natur wirksame Göttliche wurde weiblich vorgestellt.

Reste dieser Vorstellungsart als imaginative Erfüllung der Verstandes- oder Gemütsseele waren noch bis weit herein ins Mittelalter in den Menschenseelen tätig.

Die Erkennenden sprachen von den Taten der «Göttin», wenn sie das «Naturgeschehen» zum Begreifen bringen wollten. Erst mit dem allmählichen Heraufkommen der Be­wußtseinsseele ist diese lebendige, innerlich beseelte Naturbetrachtung für die Menschheit unverständlich geworden.

Und die Art, wie im Zeitalter der Verstandes- oder Ge­mütsseele nach dieser Richtung hin geschaut wurde, erin­nert

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an den Persephone-Mythos mit dem ihm zugrunde liegenden Mysterium.

Die Tochter der Demeter, Persephone, wird von dem Gotte der Unterwelt gezwungen, ihm in sein Reich zu fol­gen. Es kommt das schließlich in der Form zustande, daß sie nur die Hälfte des Jahres in der Unterwelt zubringt, die andere auf der Oberwelt verweilt.

Gewaltig groß drückt dieser Mythos noch aus, wie man einst in urferner Vergangenheit in traumhaftem Heilsehen all das Werden des Irdischen erkennend durchschaut hat.

Alles Weltenwirken ging inUrzeitenvon der Erden-Um­gebung aus. Die Erde war selber erst im Entstehen. Sie bil­dete ihr Wesen in der kosmischen Entwickelung aus dem Wirken ihrer Umgebung heraus. Die göttlich-geistigen Wesen des Kosmos waren die an ihrem Wesen Schaffen­den. - Als sie weit genug war, ein selbständiger Weltkör­per zu werden, da stieg Göttlich-Geistiges aus dem allge­meinen Kosmos auf sie hernieder und wurde Erdengott­heit. Diese kosmische Tatsache hat das traumhafte Hellsehen alter Menschheit erkennend durchschaut; von dieser Erkenntnis ist der Persephone-Mythos geblieben; aber es ist auch geblieben, wie man bis tief ins Mittelalter hinein die «Natur» erkennend zu durchdringen suchte. Denn man schaute da noch nicht wie später nach den Sinnes-Eindrüc­ken, das heißt nach dem, was an der Oberfläche des Irdi­schen erscheint, sondern nach den Kräften, die aus den Tiefen der Erde zur Oberfläche herauf wirken. - Und diese «Tiefenkräfte», die «Kräfte der Unterwelt», schaute man in Wechselwirkung mit den Sternen- und Elementen-Wir­kungen der Erden-Umgebung.

Da wachsen die Pflanzen in ihren mannigfaltigen For­men,

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da offenbaren sie sich in ihrer bunten Farben-Erschei­nung. Darinnen wirken die Sonnen-, Monden- und Ster­nenkräfte mit den Kräften der Erdentiefe zusammen. Die Grundlage gaben dafür ab die Mineralien, die schon ganz durch das ihr Wesen haben, was von Weltenwesen irdisch geworden ist. Das Gestein sprießt durch die irdisch gewor­denen Himmelskräfte allein aus der «Unterwelt» herauf Die Tierwelt hat die Kräfte der «Erdentiefe» nicht ange­nommen. Sie entsteht allein durch die aus der Erden-Um­gebung wirksamen Weltenkräfte. Sie verdankt ihr Werden, Wachsen, Sprießen, ihre Ernährungsfähigkeit, ihre Bewe­gungsmöglichkeiten den auf die Erde einströmenden Son­nenkräften. Sie kann sich fortpflanzen unter dem Einfluß der auf die Erde einströmenden Mondenkräfte. Sie er­scheint in vielen Formen und Arten, weil aus dem Weltall herein die Sternenstellungen in der mannigfaltigsten Art gestaltend auf das Tierleben wirken. Aber die Tiere sind vom Weltall auf die Erde nur hereingestellt. Sie nehmen nur mit ihrem dumpfen Bewußtseinsleben an dem Irdi­schen teil; mit ihrer Entstehung, ihrem Wachsen, mit al­lem, was sie sind, damit sie wahrnehmen und sich bewegen können, sind sie keine Erdenwesen.

Diese großangelegte Idee von dem Werden der Erde lebte dereinst in der Menschheit. Was davon in das Mittel­alter hereinragt, läßt nur in geringem Maße dieses Groß­angelegte noch erkennen. Man muß, um zu dieser Erkennt­nis zu gelangen, mit dem Blick der schauenden Erkennt­nis in sehr alte Zeiten zurückgehen. Denn auch aus den vorhandenen physischen Dokumenten ist nur für den zu ersehen, was in den Seelen der Menschen vorhanden war, der dies auf geistgemäße Art durchschauen kann.

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Nun ist der Mensch nicht in der Lage, sich der Erde so ferne zu halten wie die Tierheit. Indem man dieses aus­spricht, tritt man an das Mysterium der Menschheit ebenso wie an das der Tierheit heran. Diese Mysterien spiegeln sich in dem Tierkult der alten Völker, vor allem der Ägyp­ter. In den Tieren sah man Wesen, die Gäste der Erde sind, an denen man Wesen und Wirksamkeit der geistigen Welt, die an die irdische angrenzt, schauen kann. Und in der Ver­bindung der Menschengestalt mit der tierischen, die man in Bildern darstellte, vergegenwärtigte man sich die Ge­stalten derjenigen elementarischen Zwischenwesen, die wohl im Weltenwerden auf dem Wege zur Menschheit sind, aber in das Irdische nicht eintreten, um nicht Men­schen zu werden. Solche elementarische Zwischenwesen sind vorhanden. Die Ägypter gaben nur ihr Schauen wie­der, indem sie sie abbildeten. Aber solche Wesen haben nicht das volle Selbstbewußtsein des Menschen. Um das zu erlangen, mußte der Mensch die irdische Welt in solch voll­ständiger Art betreten, daß er vom Erdenwesen in sein We­sen etwas aufnahm.

Er mußte dem ausgesetzt werden, daß in dieser irdischen Welt das Werk der ihm verbundenen göttlich-geistigen Wesen vorliegt, aber eben nur deren Werk. Und weil nur das vom Ursprunge losgelöste Werk vorliegt, so haben in dieses Zu­tritt die luziferischen und ahrimanischen Wesenheiten. Es ergibt sich damit für den Menschen die Notwendigkeit, das von Luzifer und Ahriman durchsetzte Werk zum Orte eines Teiles seiner Lebensgestaltung - der irdischen - zu machen.

Es ist dies so lange ohne die bleibende Loslösung des Menschlichen von seinem ursprünglichen Göttlich-Geisti­gen möglich, als der Mensch noch nicht zur Entfaltung seiner

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Verstandes- oder Gemütsseele fortgeschritten ist. Da findet im Menschen eine Korrumpierung seines physischen, seines ätherischen und astralischen Leibes statt. Eine ältere Wissenschaft kennt diese Korrumpierung als etwas, das in der Menschenwesenheit lebt. Man weiß, daß sie notwendig ist, damit das Bewußtsein zum Selbstbewußtsein im Men­schen vorrücken könne. In der Erkenntnispflege, die an den Stätten stattgefunden hat, die von Alexander dem Gro­ßen der Wissenschaft gegeben worden sind, lebte ein Ari­stotelismus, der, richtig verstanden, diese Korrumpierung als ein maßgebendes Element seiner Seelenwissenschaft in sich trägt. Solche Ideen wurden nur später in ihrer inneren Wesenheit nicht mehr durchdrungen.

In den Zeiten vor der Entwickelung der Verstandes- oder Gemütsseele war der Mensch dennoch mit den Kräften sei­nes göttlich-geistigen Ursprunges so verwoben, daß diese Kräfte von ihrem kosmischen Orte aus die auf Erden an ihn herandringenden luziferischen und ahrimanischen Mächte im Gleichgewichte halten konnten. Da war von menschlicher Seite aus Genüge geschehen zur Mitwirkung an diesem Gleichgewichte, wenn in Kult- und Mysterien­handlung das Bild des in Luzifers und Ahrimans Reich un­tertauchenden und wieder siegreich hervorgehenden gött­lich-geistigen Wesens entfaltet wurde. Man sieht daher in den Zeiten, die dem Mysterium von Golgatha vorangingen, in den Völkerkulten bildhafte Darstellungen dessen, was dann im Mysterium von Golgatha eine Wirklichkeit wurde.

Als die Verstandes- oder Gemütsseele entfaltet war, konnte die Menschenwesenheit nur durch die Wirklichkeit vor der Loslösung von ihren göttlich-geistigen Wesenhei­ten

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bewahrt bleiben. Es mußte in die während des irdi­schen Daseins vom Irdischen lebende Organisation der Verstandes- oder Gemütsseele auch im Irdischen innerlich das Göttliche als Wesenheit eintreten. Das geschah da­durch, daß der göttlich-geistige Logos, Christus, für die Menschheit sein kosmisches Schicksal mit der Erde ver­band.

Persephone ist in das Irdische untergetaucht, um die Pflanzenwelt davon zu befreien, bloß vom Irdischen sich bilden zu müssen. Das ist der Niederstieg eines göttlich­geistigen Wesens in die Natur der Erde. Auch Persephone hat ja eine Art «Auferstehung», aber jährlich in rhythmi­scher Folge.

Diesem Ereignis, das als kosmisches auf Erden geschieht, steht gegenüber der Niederstieg des Logos für die Mensch­heit. Persephone steigt nieder, um die Natur in ihre ur­sprüngliche Orientierung zu bringen. Da muß Rhythmus zugrunde liegen; denn das Geschehen der Natur erfolgt im Rhythmus. Der Logos steigt nieder in die Menschheit. Es geschieht das einmal während der Entwickelung der Menschheit. Denn diese Entwickelung ist nur ein Glied in einem gigantischen Weltenrhythmus, in dem die Menschheit vor ihrem Mensch-Sein etwas ganz anderes als Menschheit war und nach demselben etwas ganz anderes sein wird, wäh­rend ja das Pflanzenleben in kurzen Rhythmen als solches sich wiederholt.

Das Mysterium von Golgatha in diesem Lichte zu sehen, das hat die Menschheit vom Bewußtseinszeitalter an nötig. Denn es wäre schon im Zeitalter der Verstandes- oder Ge­mütsseele die Loslösung des Menschen als Gefahr vorhan­den gewesen, wenn nicht das Mysterium von Golgatha erfolgt

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wäre. Im Zeitalter der Bewußtseinsseele müßte eine völlige Verdunkelung der Geisteswelt für den Menschen in seinem Bewußtsein eintreten, wenn nicht die Bewußtseinsseele sich so weit erkraften könnte, daß sie zu ihrem gött­lich-geistigen Ursprung in Einsicht zurückblickte. Kann sie das aber, so findet sie den Weltenlogos als die Wesen­heit, die sie zurückführen kann. Sie durchdringt sich mit dem gewaltigen Bilde, das offenbart, was auf Golgatha ge­schehen ist.

Und der Beginn dieses Verständnisses ist die liebevolle Erfassung der Welten-Weihe-Nacht, an die jedes Jahr festlich erinnert wird. Denn die Erkraftung der Bewußt­seinsseele geschieht ja dadurch, daß sie, die zunächst die Intellektualität aufnimmt, in dieses kälteste Seelen-Element die warme Liebe einziehen läßt. Jene warme Liebe, die am erhabensten strömt, wenn sie dem Jesus-Kinde gilt, das in der Welten-Weihe-Nacht auf Erden erscheint. Damit hat der Mensch die höchste irdische Geistes-Tatsache, die zugleich eine physische war, auf seine Seele wirken lassen; er hat sich auf den Weg begeben, den Christus in sich aufzunehmen.

Die Natur muß so erkannt werden, daß sie in Persephone oder dem Wesen, auf das man noch im frühen Mittelalter geschaut hat, wenn man von «Natur» gesprochen hat, die göttlich-geistige Ursprungs- und ewige Kraft offenbart, aus der sie entstanden ist und fortdauernd entsteht als die Grundlage des irdischen Menschendaseins.

Die Menschenwelt muß so erkannt werden, daß sie in Christus den Ursprungs- und ewigen Logos offenbart, der im Bereich der mit dem Menschen ursprünglich verbun­denen göttlich-geistigen Wesenheit zur Entfaltung der Geist-Wesenheit des Menschen wirkt.

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In Liebe das Menschenherz zu diesen großen kosmi­schen Zusammenhängen zu lenken, das ist der rechte Inhalt jener Festes-Erinnerung, die im Hinblicken auf die Welten­-Weihe-Nacht jedes Jahr an den Menschen herantritt. Lebt solche Liebe im Menschenherzen, dann durchfeuert sie das kalte Licht-Element der Bewußtseinsseele. Müßte diese ohne diese Durchfeuerung verbleiben: der Mensch käme nie zu ihrer Durchgeistigung. Er erstürbe in der Kälte des intellektuellen Bewußtseins, oder er müßte in einem Gei­stesleben verbleiben, das nicht zur Entfaltung der Be­wußtseinsseele fortschreitet. Er würde dann in der Entfal­tung der Verstandes- oder Gemütsseele stehen bleiben.

Aber ihrem Wesen nach ist die Bewußtseinsseele nicht kalt. Sie scheint es nur im Anfange ihrer Entfaltung, weil sie da erst das Lichtvolle ihres Inhaltes offenbaren kann, noch nicht die Weltenwärme, aus der sie ja doch stammt.

Weihnachten in dieser Art empfinden und erleben, kann in der Seele gegenwärtig machen: wie die Glorie der in Ster­nenweiten ihre Abbilder offenbarenden göttlich-geistigen Wesen sich vor dem Menschen verkündiget und wie die Befreiung des Menschen innerhalb der Erdenstätte von den Mächten geschieht, die ihn von seinem Ursprunge entfernen wollen.

Goetheanum, zu Weihnacht 1924.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaftvom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehende Weihnachtsbetrachtung)

Leitsätze Nr. 137 bis 139 (28. Dezember 1924)

137. Die Tätigkeit in der Welt- und Menschheits-Entwicke­lung, die durch die Michael-Kräfte zustande kommt, wieder­holt sich rhythmisch, wenn auch in abgeänderter und fortschreitender Form vor und nach dem Mysterium von Gol­gatha.

138. Das Mysterium von Golgatha ist das einmalige größte Ereignis innerhalb der Menschheits-Entwickelung. Da kann nicht von einer rhythmischen Wiederholung die Rede sein. Denn wenn auch diese Menschheits-Entwickelung in einem gewaltigen Weltenrhythmus drinnensteht, so ist sie doch eben das weitausgedehnte eine Glied in diesem Rhythmus. Bevor sie dieses eine Glied wurde, war die Menschheit et­was wesentlich anderes als Menschheit; nachher wird sie wieder etwas anderes sein. Es finden also während der Menschheitsentwickelung viele Michael-Ereignisse, aber nur ein Ereignis von Golgatha statt.

139. In der schnellen rhythmischen Wiederholung eines Jahrlaufes vollzieht das göttlich-geistige Wesen, das zur Durchgeistigung des Naturgeschehens in die Erdentiefen niedergestiegen ist, dieses Geschehen. Es stellt die Durch­seelung der Natur mit den Ursprungs- und ewigen Kräften dar, die wirksam bleiben müssen, wie der herabgestiegene Christus die Durchseelung der Menschheit mit dem Ur­sprungs- und ewigen Logos darstellt, der zum Heile der Menschheit mit seiner Wirksamkeit niemals aufhören soll.

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HIMMELSGESCHICHTE MYTHOLOGISCHE GESCHICHTE ERDGESCHICHTE MYSTERIUM VON GOLGATHA

Im räumlichen Kosmos stehen einander gegenüber: Wel­tenweite und Erdenzentrum. In der Weltenweite sind die Sterne gewissermaßen «ausgestreut». Vom Erdenzentrum strahlen Kräfte nach allen Richtungen der Weltenweite.

So wie der Mensch in der gegenwärtigen kosmischen Epoche in der Welt darinnen steht, kaun ihm das Sternenscheinen und Erdenkräftewirken nur als das Gesamtwerk der göttlich-geistigen Wesen, mit denen er in seinem In­nern verbunden ist, erscheinen.

Aber es gab eine kosmische Zeit-Epoche, da waren dieses Scheinen und diese Erdenkräfte noch unmittelbare geistige Offenbarung der göttlich-geistigen Wesen. Der Mensch in seinem dumpfen Bewußtsein fühlte die göttlich-geistigen Wesen wirksam in seiner Wesenheit.

Dann kam eine andere Zeit-Epoche. Der Sternenhimmel löste sich als körperliches Wesen aus dem göttlich-geistigen Wirken heraus. Es entstand das, was man Weltengeist und Weltenleib nennen kann. Der Weltengeist ist eine Vielheit göttlich-geistiger Wesenheiten. Sie wirken in der älteren Epoche aus den Sternen-Orten auf die Erde herein. Was da von den Weltenweiten erglänzte, was vom Erdenzentrum als Kräfte erstrahlte, das war in Wirklichkeit Intelligenz und Wille der göttlich-geistigen Wesenheiten, die an der Erde und ihrer Menschheit schufen.

In der späteren kosmischen Epoche - nach der Saturn-­und Sonnenentwickelung - wurde das Wirken von Intelligenz

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und Wille der göttlich-geistigen Wesen immer geistig-innerlicher. Worinnen sie ursprünglich wirksam-anwesend waren, das wurde «Weltenleib», harmonische Anordnung der Sterne im Weltenraume. Man kann, wenn man in geist­gemäßer Weltanschauung auf diese Dinge zurückblickt, sagen: aus dem ursprünglichen Geist-Leib der weltschöpfe­rischen Wesen ist Weltengeist und Weltenleib entstanden. Und der Weltenleib zeigt in Sternen-Anordnung und Ster­nenbewegung, wie einst das intelligente und willensgemäße Götterwirken war. Aber für die kosmische Gegenwart ist, was einst frei bewegliche Götterintelligenz und Götterwille in den Sternen war, in diesen gesetzmäßig-fest geworden.

Was also heute aus den Sternenwelten zu dem Menschen auf der Erde hereinscheint, ist nicht unmittelbarer Aus­druck von Götterwillen und Götterintelligenz, sondern stehengebliebenes Zeichen für das, was diese in den Sternen einst waren. In der Bewunderung aus der Menschenseele lösenden Himmels-Stern-Gestaltung kann man daher eine vergangene, aber nicht die gegenwärtige Götteroffenba­rung sehen.

Aber dasjenige, was so im Sternenschein «vergangen» ist, in der Geist-Welt ist es «gegenwärtig». Und der Mensch lebt mit seinem Wesen in diesem «gegenwärtigen» Weltengeist.

Man muß in der Weltgestaltung zurückblicken auf eine alte kosmische Epoche, in der Weltengeist und Weltenleib als eine Einheit wirken. Man muß die mittlere Epoche ins Auge fassen, in der sie als Zweiheit sich entfalten. Und man muß in die Zukunft, die dritte Epoche, denken, in der der Weltengeist den Weltenleib wieder in seine Wirk­samkeit übernehmen wird.

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Für die alte Epoche wären Sternenkonstellation und Sternenlauf nicht zu «berechnen» gewesen, denn sie waren Ausdruck der freien Intelligenz und des freien Willens von göttlich-geistigen Wesen. In der Zukunft werden sie wieder nicht zu berechnen sein.

«Berechnung» hat nur eine Bedeutung für die mittlere kosmische Epoche.

Und wie für Sternenkonstellation und Sternenlauf, so gilt dieses auch für die Wirksamkeit der vom Erdenzen­trum in die Weltenweite strahlenden Kräfte. Da wird das, was «aus der Tiefe» wirkt, «berechenbar».

Aber alles strebt aus der älteren kosmischen Epoche der mittleren zu, in der das Räumliche und Zeitliche «berechen­bar» wird und das Göttlich-Geistige als Intelligenz- und Willens-Offenbarung «hinter» dem «Berechenbaren» ge­sucht werden muß.

Nur in dieser mittleren Epoche sind die Bedingungen gegeben, in denen die Menschheit von einem dumpfen Be­wußtsein zu einem hellen, freien Selbstbewußtsein, zu eige­ner freier Intelligenz und eigenem freien Willen fortschrei­ten kann.

Es mußte einmal die Zeit kommen, in der Kopernikus und Kepler den Weltenleib «berechneten». Denn aus den kosmischen Kräften, die mit der Herbeiführung dieses Augenblickes zusammenhängen, mußte das menschliche Selbstbewußtsein sich gestalten. In älterer Zeit wurde die­ses Selbstbewußtsein veranlagt; dann kam die Zeit, wo es so weit war, die Weltenweite zu «berechnen».

Auf der Erde spielt sich die «Geschichte» ab. Die wäre nie gekommen, wenn die Weltenweite nicht zu «festen» Sternkonstellationen und Sternenläufen geworden wäre.

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In dem «geschichtlichen Werden» auf Erden ist ein Ab­bild - aber ein durchaus gewandeltes - dessen vorhanden, was einst «Himmelsgeschichte» war.

Ältere Völker haben in ihrem Bewußtsein noch diese «Himmelsgeschichte», und sie blicken viel mehr auf diese als auf die «Erdengeschichte».

In der «Erdengeschichte» lebt Intelligenz und Wille der Menschen, erst im Zusammenhange mit dem kosmischen Götterwillen und der Götterintelligenz, dann selbständig.

In der «Himmelsgeschichte» lebten Intelligenz und Wille der mit der Menschheit zusammenhängenden gött­lich-geistigen Wesen.

Blickt man zurück auf das geistige Leben der Völker, so ist in urferner Vergangenheit ein Bewußtsein des Zusam­menseins und Zusammenwollens mit den göttlich-geistigen Wesenheiten so bei den Menschen vorhanden, daß de­ren Geschichte Himmelsgeschichte ist. Der Mensch erzählt, indem er über «Ursprünge» spricht, nicht irdische, son­dern kosmische Vorgänge. Ja auch für seine Gegenwart erscheint ihm das, was in seiner Erden-Umgebung vorgeht, so unbedeutend gegenüber den kosmischen Vorgängen, daß er nur diese, nicht jenes beachtet.

Es gab eine Epoche, in der die Menschheit das Bewußt­sein hatte, die Himmelsgeschichte in mächtigen Eindrük­ken zu schauen, in denen die göttlich-geistigen Wesen selbst vor der Seele des Menschen standen. Sie sprachen; und der Mensch vernahm die Sprache in Traum-Inspiration; sie offenbarten ihre Gestalten; und der Mensch schaute sie in Traum-Imagination.

Diese «Himmelsgeschichte», die eine lange Zeit die Men­schenseelen erfüllte, wurde gefolgt von der mythischen Geschichte,

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die man heute vielfach für alte Dichtung hält. Sie verbindet Himmelsgeschehen mit Erdgeschehen. Es treten zum Beispiel «Heroen» auf, übermenschliche Wesen. Es sind das Wesen, die in der Entwickelung höher stehen als die Menschen. Diese haben zum Beispiel in einer gewissen Zeit die menschlichen Wesensglieder nur bis zur Empfin­dungsseele ausgestaltet. Der «Heros» aber hat bereits ent­wickelt, was im Menschen als Geistselbst einmal auftreten wird. Der «Heros» kann nicht innerhalb der Erdenverhält­nisse unmittelbar sichverkörpern; aber er kann es dadurch, daß er in den Körper eines Menschen untertaucht und so sich £ähig macht, als Mensch unter Menschen zu wirken. In «Ein­geweihten» der älteren Zeit hat man solche Wesen zu sehen.

Die Tatsachen im Weltgeschehen liegen bei alle dem so, daß nicht etwa die Menschheit sich in den aufeinanderfol­genden Epochen die Geschehnisse so «vorstellte»; son­dern, was sich zwischen der mehr geistigen «unberechen­baren» und der körperlichen «berechenbaren» Welt ab­spielte, das wandelte sich. Nur das liegt vor, daß lange, nachdem die Weltverhaltnisse sich schon gewandelt hatten, das menschliche Bewußtsein dieses oder jenes Volkes noch an einer «Weltanschauung» festhielt, die einer viel früheren Wirklichkeit entsprach. Zuerst geschah das so, daß das menschliche Bewußtsein, das nicht gleichen Schritt hält mit dem kosmischen Geschehen, das Alte wirklich noch schaute. Dann kam eine Zeit, wo das Schauen verblaßte und das Alte nur durch Tradition noch festgehalten wurde. So wird im Mittelalter traditionell ein Hereinspielen der Himmelswelt in die irdische noch vorgestellt, das nicht mehr geschaut wird, weil die Kraft des Bildschauens nicht mehr da ist.

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Und im Erdbereich entwickeln sich die Völker so, daß sie in verschiedener Zeitenlänge den einen oder andern Weltanschauungsinhalt festhalten, so daß nebeneinander Weltanschauungen leben, die ihrem Wesen gemäß nacheinanderliegen. - Nur rühren die verschiedenen Weltanschau­ungen der Völker nicht allein von dieser Tatsache her, son­dern auch davon, daß nach ihren Anlagen die verschiede­nen Völker verschiedenes schauten. So sahen die Ägypter die Welt, in der Wesen sind, welche auf dem Wege der Menschwerdung vorzeitig stehen geblieben und nicht Er­denmenschen geworden sind; und sie sahen den Menschen nach seinem Erdenleben in alle dem, was er mit solchen We­sen zu tun hat. Die chaldäischen Völker sahen mehr, wie außerirdische geistige Wesen - gute und böse - in das Er­denleben eintraten, um da zu wirken.

Auf die alte, einer ganz langen Zeitepoche angehörige eigentliche «Himmelsgeschichte» folgt die «mythologi­sche» Geschichte, die kürzer, aber im Verhältnis zur spä­teren eigentlichen «Geschichte» doch noch lange ist.

Die Menschen verlassen - wie ich schon charakterisiert habe - nur schwer in ihrem Bewußtsein die alten Anschau­ungen, in denen Götter und Menschen zusammenwirkend vorgestellt werden. - So ist «eigentliche Erdgeschichte» längst - seit Entfaltung der Verstandes- oder Gemütsseele

- vorhanden. Der Mensch «denkt» noch im Sinne dessen, was gewesen ist. Erst da, wo die ersten Keime der Bewußt­seinsseele sich entwickeln, beginnt man damit auf die «ei­gentliche Geschichte» zu blicken.

Und in dem, was losgelöst vom Göttlich-Geistigen als Menschlich-Geistiges Geschichte wird, kann von den Men­schen die freie Intelligenz und der freie Wille erlebt werden.

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So verläuft das Weltgeschehen, in das der Mensch einverwoben ist, zwischen dem voll Berechenbaren und dem Wirken der freien Intelligenz und des freien Willens. In al­len Zwischennuancen des Zusammenwirkens von beidem offenbart sich das Weltgeschehen.

Der Mensch vollbringt sein Leben zwischen Geburt und Tod so, daß ihm im Berechenbaren die leibliche Grund­lage zur Entfaltung des innerlichen geistig-seelischen freien Unberechenbaren geschaffen wird. Sein Leben zwischen Tod und neuer Geburt durchläuft er im Unberechenbaren, doch so, daß ihm da als in dem «Inneren» des geistig-seeli­schen Seins das Berechenbare sich gedanklich entfaltet. Er wird dadurch - aus diesem Berechenbaren heraus-derAuf­bauer seines kommenden Erdeniebens.

In der «Geschichte» lebt sich auf Erden das Unbere­chenbare aus, in das sich aber das Berechenbare, wenn auch im schwachen Maße eingliedert.

Gegen die Ordnung, die durch die mit dem Menschen seit Urbeginn verbundenen göttlich-geistigen Wesen zwi­schen Unberechenbarem und Berechenbarem festgelegt ist

- gegen deren Harmonisierung des Kosmos durch «Maß, Zahl und Gewicht»-, stellen sich die luziferischen und ahri­manischen Wesen. Luzifer kann mit der Art, die er seinem Wesen gegeben hat, nichts Berechenbares vereinigen. Sein Ideal ist kosmische unbedingte Intelligenz- und Willenswirkung.

Diese luziferische Tendenz, sie ist angemessen der Wel­tenordnung in den Gebieten, in denen freies Geschehen herrschen soll. Und da ist Luzifer der berechtigte geistige Helfer der Menschheits-Entfaltung. Ohne seine Hilfe könn­te in das Geistig-Seelische des Menschen, das sich auf der

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Grundlage des berechenbaren Leiblichen aufbaut, Freiheit nicht einziehen. Aber Luzifer möchte diese Tendenz auf den ganzen Kosmos ausdehnen. Und da wird seine Tätig­keit zum Kampfe gegen die göttlich-geistige Ordnung, zu der der Mensch ursprünglich gehört.

Da tritt Michael ein. Er steht mit dem eigenen Wesen im Unberechenbaren; aber er bewirkt den Ausgleich zwischen dem Unberechenbaren und dem Berechenbaren, das er als Weltgedanke in sich trägt, den er von seinen Göttern emp­fangen hat.

Anders stehen die ahrimanischen Mächte in der Welt. Sie sind der völlige Gegensatz der göttlich-geistigen Wesen, mit denen der Mensch ursprünglich verbunden ist. Diese sind gegenwärtig rein geistige Mächte, die in sich voll­kommene freie Intelligenz und vollkommen freien Willen tragen, die aber in dieser Intelligenz und diesem Willen die weise Einsicht von der Notwendigkeit des Berechenbaren, Unfreien als Weltgedanken schaffen, aus dessen Schoße der Mensch als freies Wesen sich entfalten soll. Und sie sind mit allem Berechenbaren, mit dem Weltgedanken, im Kos­mos in Liebe verbunden. Diese Liebe strömt von ihnen durch das Weltall.

In vollem Gegensatz dazu lebt in dem gierigen Begehren der ahrimanischen Mächte der kalte Haß auf alles in Frei­heit sich Entfaltende. Ahrimans Streben geht dahin, aus dem, was er von der Erde in den Weltenraum strömen läßt, eine kosmische Maschine zu machen. Sein Ideal ist «einzig und allein» «Maß, Zahl und Gewicht». Er wurde in den der Menschenentwickelung dienenden Kosmos hereinge­rufen, weil «Maß, Zahl und Gewicht», sein Gebiet, entfal­tet werden mußte.

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Nur wer die Welt geistig-körperlich überall begreift, der begreift sie wirklich. Das muß bis in die Natur hinein mit Bezug auf solche Mächte wie die göttlich-geistigen in Liebe wirkenden und die in Haß wirkenden ahrimanischen be­achtet werden. Man muß in der naturhaften Weltenwärme, die mit dem Frühling einsetzt und gegen den Sommer zu wirkt, die naturhafte Liebe der göttlich-geistigen Wesen wahrnehmen; man muß in dem wehenden Froste des Win­ters die Wirkung Ahrimans gewahr werden.

Im Hochsommer webt sich Luzifers Kraft in die natur­hafte Liebe, die Wärme, hinein. In der Weihnachtszeit wen­det sich die Kraft der göttlich-geistigen Wesen, denen der Mensch ursprünglich verbunden ist, gegen den Frost-Haß Ahrimans. Und gegen den Frühling zu mildert fortdauernd naturhafte göttliche Liebe naturhaften Ahriman-Haß.

Das Erscheinen dieser alljährlich auftretenden göttlichen Liebe ist die Zeit der Erinnerung, da das freie Gottes-Ele­ment in das berechenbare Erd-Element mit dem Christus eingetreten ist. Christus wirkt in völliger Freiheit in dem Berechenbaren; damit macht er unschädlich, was nur das Berechenbare begehrt, das Ahrimanische.

Das Ereignis von Golgatha ist die freie kosmische Tat der Liebe innerhalb der Erdengeschichte; sie ist auch nur erfaßbar für die Liebe, die der Mensch zu diesem Erfassen aufbringt.

Goetheanum, um Weihnachten 1924.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf das Vorangehende über: Himmelsgeschichte, mythologische Geschichte, Erdgeschichte, Mysterium von Golgatha)

Leitsätze Nr. 140 bis 143 (4. Januar 1925)

140. Das kosmische Geschehen, in das die Menschheitsent­wickelung einverwoben ist, und das sich im Menschenbe­wußtsein als «Geschichte» - im umfassendsten Sinne spie­gelt, gliedert sich: in die langdauernde Himmelsgeschichte, die kürzere mythologische Geschichte und in die verhält­nismäßig ganz kurze Erdgeschichte.

141. Dieses kosmische Geschehen zerfällt gegenwärtig in das «nicht zu berechnende» Wirken göttlich-geistiger We­sen, die in freier Intelligenz und freiem Willen schaffen, und in das «berechenbare» Geschehen des Weltenleibes.

142. Gegen das Berechenbare des Weltenleibes stellen sich die luziferischen, gegen das in freier Intelligenz und freiem Willen schaffende die ahrimanischen Mächte.

143. Das Ereignis von Golgatha ist eine freie kosmische Tat, die der Welten-Liebe entstammt und nur durch Men­schen-Liebe erfaßt werden kann.

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WAS SICH OFFENBART, WENN MAN IN DIE WIEDERHOLTEN ERDENLEBEN ZURÜCKSCHAUT

Wenn das geistgemäße Erkennen zurückschauen kann in frühere Erdenleben eines Menschen, so zeigt sich, daß es eine Anzahl solcher Erdenleben gibt, in denen der Mensch schon Person war. Sein Äußeres glich dem Gegenwärtigen, und er hatte ein Innenleben, das individuelles Gepräge trug. Es treten Erdenleben auf, die offenbaren, wie die Verstan­des- oder Gemütsseele da war, noch nicht die Bewußtseinsseele, und solche, in denen erst die Empfindungsseele aus­gebildet war und so weiter.

In den erdgeschichtlichen Zeitaltern ist das so; es war auch schon lange vorher so.

Man kommt aber im Anschauen zurück zu Zeitaltern, in denen es noch nicht so war. Da findet man den Menschen noch nach Innenleben und nach det äußeren Bildung mit der Welt der göttlich-geistigen Wesen verwoben. Der Mensch ist als Erdenmensch da, aber nicht losgelöst vom göttlich-geistigen Wesen, Denken und Wollen.

In noch älteren Zeiten verschwindet der losgelöste Mensch ganz; es sind nur göttlich-geistige Wesen vorhan­den, die den Menschen in ihrem Schoß tragen.

Diese drei Stadien seiner Entwickelung hat der Mensch während seiner Erdenzeit durchgemacht. Der Übergang des ersten in das zweite liegt in der spätesten lemurischen, der vom zweiten in das dritte in der atlantischen Zeit.

Wie nun der Mensch im gegenwärtigen Erdenleben seine Erlebnisse als Erinnerung in sich trägt, so trägt er alles, was er in der geschilderten Art durchgemacht hat, als kos­mische

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Erinnerung in sich. Was ist das irdische Seelen­leben? Die Welt der Erinnerungen, die bereit ist, in jedem Augenblicke neue Wahrnehmungen zu machen. In diesem Wechseiwirken von Erinnerung und neuer Erfahrung lebt der Mensch sein innerliches Erdendasein.

Aber dieses innerliche Erdendasein könnte nicht zur Ent­faltung kommen, wenn nicht als kosmische Erinnerung im Menschen gegenwärtig noch vorhanden wäre, was man schaut, wenn man geistig zurückblickt in das erste Stadium seines Erden-Mensch-Werdens, in dem er von dem gött­lich-geistigen Wesen noch nicht losgelöst war.

Von dem, was damals in der Welt geschah, ist heute auf Erden nur noch das lebendig vorhanden, was innerhalb der menschlichen Nerven-Sinnesorganisation entwickelt wird. In der äußeren Natur sind alle die Kräfte, die damals wirksam waren, erstorben und nur in toten Formen beob­achtbar.

So lebt in der menschlichen Gedankenwelt als gegen­wärtige Offenbarung, was, um Erdenexistenz zu haben, zur Grundlage das haben muß, was im Menschen schon ent­wickelt war, bevor er individuelles Erdendasein erlangte.

In dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt erlebt der Mensch jedesmal aufs neue dieses Stadium. Nur trägt er in die Welt der göttlich-geistigen Wesen, die ihn wieder aufnimmt, wie sie ihn einst in sich gehabt hat, sein volles in den Erdenleben gebildetes individuelles Dasein hinein. Er ist zwischen Tod und neuer Geburt zugleich in der Gegen­wart, aber auch in aller Zeit, die er durch wiederholte Er­denleben und wiederholte Leben zwischen Tod und neuer Geburt durchgemacht hat.

Anders verhält es sich mit dem, was in der Gefühlswelt

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des Menschen lebt. Sie steht zu den Erlebnissen in Bezie­hung, die unmittelbar nach denen kamen, die den Menschen noch nicht als solchen offenbaren. Zu den Erlebnis­sen, die der Mensch schon als Mensch, aber noch nicht los­gelöst von göttlich-geistigem Wesen, Denken und Wollen durchmacht. Der Mensch könnte gegenwärtig keine Ge­fühlswelt entfalten, wenn diese nicht auf der Grundlage seiner rhythmischen Organisation erstehen würde. In die­ser ist die kosmische Erinnerung an das geschilderte zweite Stadium der Menschheitsentwickelung vorhanden.

So wirken in der Gefühlswelt zusammen die mensch­liche seelische Gegenwart und das, was in ihm nachwirkt aus einer alten Zeit.

In dem Leben zwischen dem Tod und einer neuen Ge­burt erlebt der Mensch den Inhalt der Zeit, von der hier die Rede ist, wie die Grenze seines Kosmos. Was dem Men­schen im physischen Erdenleben der Sternenhimmel ist, das ist geistig in dem Leben zwischen Tod und neuer Ge­burt sein Dasein, das zwischen seiner völligen Verbunden­heit mit der göttlich-geistigen Welt und seinem Losgelöst­sein liegt. Da erscheinen an der «Weltengrenze» nicht die physischen Himmelskörper, sondern an jedem Sternenort die Summe der göttlich-geistigen Wesen, die ja in Wirklich­keit der Stern sind.

Mit dem Willen allein, nicht mit Gefühl und Denken ver­bunden, lebt im Menschen dasjenige, was die Erdenleben aufweisen, die sich beim Beobachten schon als persönlich-individuell offenbaren. Was dem Menschen aus dem Kos­mos heraus seine äußere Gestalt gibt, das erhält sich in die­ser äußeren Gestalt als kosmische Erinnerung. Diese lebt in der menschlichen Gestalt als Kräfte. Es sind das nicht

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unmittelbar die Kräfte des Willens, sondern das, was in der menschlichen Organisation die Grundlage der Willens­kräfte ist.

In dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt liegt dieses Gebiet des menschlichen Wesens außerhalb der «Wel­tengrenze». Der Mensch stellt es da vor als dasjenige, das ihm beim neuen Erdenleben wieder eigen sein wird.

In seiner Nerven-Sinnes-Organisation ist der Mensch heute noch so mit dem Kosmos verbunden, wie er es war, als er noch innerhalb des Göttlich-Geistigen nur keimhaft sich offenbarte.

In seiner rhythmischen Organisation lebt der Mensch heute noch so im Kosmos, wie er lebte, als er als Mensch schon vorhanden, aber noch nicht losgelöst vom Göttlich-Geistigen war.

In seiner Stoffwechsel-Gliedmaßen-Organisation, als der Grundlage der Willens-Entfaltung, lebt der Mensch so, daß in dieser Organisation alles nachwirkt, was er seit der Zeit der persönlich-individuellen Erdenleben in diesen und in den Leben zwischen Tod und neuer Geburt durchgemacht hat.

Aus den Kräften der Erde hat der Mensch nur dasjenige, was ihm das Selbstbewußtsein verleiht. Auch die physische Leibesgrundlage dieses Selbstbewußtseins stammt aus dem, was die Erde bewirkt. Alles übrige im Menschenwesen ist außerirdischen-kosmischen Ursprungs. Der empfindende und gedankentragende Astralleib und seine ähterisch-phy­sische Grundlage, alle Lebensregsamkeit im Ätherleib, ja sogar, was im physischen Leib physisch-chemisch wirkt, ist außerirdischen Ursprungs. So befremdend dies auch sein mag: das innerhalb des Menschen wirksame Physisch-Che­mische stammt nicht aus der Erde.

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Daß der Mensch dieses außerirdische Kosmische in sich entwickelt, ist Wirkung der Planeten und sonstiger Sterne. Was er so entwickelt, das trägt die Sonne mit ihren Kräften zur Erde. Das Menschlich-Kosmische wird durch die Son­ne in den Bereich des Irdischen versetzt. Durch sie lebt der Mensch als Himmelswesen auf der Erde. Nur dasjenige, wodurch er über seine Menschenbildung hinausgeht, die Fähigkeit seinesgleichen hervorzubringen, ist eine Gabe des Mondes.

Selbstverständlich sind dies nicht die einzigen Wirkun­gen von Sonne und Mond. Von ihnen gehen auch hoch-geistige Wirkungen aus.

Wenn die Sonne um die Weihnachtszeit immer mehr an Kräften für die Erde gewinnt, so ist dieses die im Physisch-Irdischen rhythmisch sich offenbarende Jahreswirkung, die ein Ausdruck des Geistes in der Natur ist. Die Mensch­heitsentwickelung ist ein einziges Glied in einem gewisser­maßen gigantischen Weltenjahr. Das geht aus den voran­gehenden Ausführungen hervor. In diesem Weltenjahr ist Welten-Weihe-Nacht da, wo die Sonne nicht bloß aus dem Geiste der Natur heraus zur Erde wirkt, sondern wo die Seele der Sonne, der Christus-Geist, auf die Erde niedersteigt.

Wie im einzelnen Menschen das individuell Erlebte mit der kosmischen Erinnerung zusammenhängt, so wird die alljährliche Weihnacht von der Menschenseele richtig emp­funden, wenn das himmlisch-kosmische Christus-Ereignis als fortwirkend gedacht und wie eine nicht bloß menschliche, sondern kosmische Erinnerung aufgefaßt wird. Nicht bloß der Mensch gedenkt festlich zu Weihnachten des Christus­-Niederstieges, sondern auch der Kosmos.

Goetheanum, zu Neujahr 1925.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehende Betrachtung: Was sich offenbart, wenn man in die wiederholten Erdenleben zurückschaut)

Leitsätze Nr. 144 bis 146 (11. Januar 1925)

144. Schaut man in die wiederholten Erdenleben eines Menschen zurück, so gliedern sich diese in drei verschie­dene Stadien: ein ältestes, in dem der Mensch noch nicht individuell-wesenhaft, sondern als Keim in göttlich-geisti­ger Wesenheit vorhanden ist. Man findet da beim Zurück­schauen noch nicht einen Menschen, sondern göttlich-gei­stige Wesen (die Urkräfte, Archai).

145. Daran schließt sich ein mittleres Stadium, in dem der Mensch zwar schon individuell-wesenhaft vorhanden ist, aber noch nicht losgelöst von Denken und Wollen und Wesen der göttlich-geistigen Welt. Er hat da noch nicht seine gegenwärtige Persönlichkeit, die damit zusammen­hängt, daß er ein völlig eigenes Wesen in seiner Erderschei­nung, losgelöst von der göttlich-geistigen Welt, ist.

146. Als drittes Stadium tritt erst das gegenwärtige auf. Der Mensch erlebt sich in seiner Menschengestalt, losgelöst von der göttlich-geistigen Welt; und er erlebt die Welt als Umgebung, der er individuell-persönlich gegenübersteht. Dieses Stadium beginnt in der atlantischen Zeit.

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ERSTER TEIL DER BETRACHTUNG: WAS OFFENBART SICH, WENN MAN IN DIE VORIGEN LEBEN ZWISCHEN TOD UND NEUER GEBURT ZURÜCKSCHAUT?

In der vorigen Betrachtung wurde das Gesamt-Menschen-leben so verfolgt, daß der Seelenblick auf die aufeinander­folgenden Erdenleben gelenkt wurde. Der andere Gesichts­punkt, der in noch helleres Licht rücken kann, was der erste offenbart, ist der, die aufeinanderfolgenden Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt zu betrachten.

Auch da zeigt sich, daß der Inhalt dieser Leben, wie er in der Gegenwart ist, nur bis zu einem gewissen Zeitpunkte der Erdenentwickelung zurückgeht. Dieser Inhalt ist ja da­durch bestimmt, daß der Mensch durch die Todespforte die innerliche Kraft des Selbstbewußtseins hindurchträgt, die im Erdenleben erworben ist. Der Mensch steht dadurch auch den göttlich-geistigen Wesen, in deren Mitte er tritt, als volle Individualität gegenüber.

So war es in einer vorangehenden Periode nicht. Da war der Mensch in der Entfaltung seines Selbstbewußtseins noch nicht weit. Die auf Erden erlangte Kraft reichte nicht hin, die Loslösung von der göttlich-geistigen Welt bis zum individuellen Dasein zwischen Tod und neuer Geburt zu bewirken. Der Mensch befand sich da zwar nicht in den göttlich-geistigen Wesen, wohl aber innerhalb deren Wir­kungskreise so, daß sein Wollen im wesentlichen ihr Wol­len, nicht seines war.

Vor dieser Periode liegt eine andere, in der man beim Zurückschauen gar nicht auf den Menschen in seiner ge­genwärtigen geistig-seelischen Verfassung trifft, sondern

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auf die Welt göttlich-geistiger Wesen, in denen der Mensch erst keimhaft ist. Es sind die Urkräfte (Archai).

Und zwar trifft man, wenn man eines Menschen Leben zurückverfolgt, nicht auf ein göttlich-geistiges Wesen, son­dern auf alle, die zu dieser Hierarchie gehören.

In diesen göttlich-geistigen Wesen lebt der Wille, daß der Mensch werde. An dem Werden jedes einzelnen Men­schen ist der Wille aller beteiligt. In ihrem chormäßigen Zusammenwirken liegt als Weltenziel die Entstehung der menschlichen Gestalt. Denn noch ungestaltet lebt der Mensch in der göttlich-geistigen Welt.

Es erscheint vielleicht sonderbar, daß auch schon für einen Menschen der ganze Chor göttlich-geistiger Wesen wirkt. Aber schon früher wirkten so die Hierarchien Exusiai, Dyna­meis, Kyriotetes, Throne, Cherubim, Seraphim durch die Monden-, Sonnen- und Saturnentwickelung, damit der Mensch werde.

Was früher entstand, eine Art Vormensch, auf Saturn, Sonne und Mond, hatte nicht einheitliche Gestalt. Es gab solche Vormenschen, die mehr nach dem Gliedmaßen­system, andere, die mehr nach dem Brustsystem, wieder andere, die nach dem Kopfsystem organisiert waren. Es waren das doch wirkliche Menschen; sie werden hier nur Vormenschen genannt, um sie zu unterscheiden von dem späteren Stadium, wo der ausgeglichene Zusammenfluß aller Systeme in der menschlichen Gestalt erscheint. Die Differenzierung bei diesen Vormenschen geht noch viel weiter. Man kann von Herzmenschen, Lungenmenschen und so weiter sprechen.

Die Hierarchie der Urkräfte betrachtet es als ihre Auf­gabe, alle diese Vormenschen, deren Seelenleben ja auch

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ihrer einseitigen Gestaltung entsprochen hat, in die allge­meine menschliche Gestalt hineinzuführen.

Aus der Hand der Exusiai übernehmen sie den Men­schen. Diese hatten schon in Gedanken aus der menschli­chen Vielheit eine Einheit geschaffen. Allein bei den Exu­siai war diese Einheit noch eine Idealgestalt, eine Weltge­dankengestalt. Die Archai formten die Äthergestalt daraus, aber so, daß diese Äthergestalt schon die Kräfte zur Ent­stehung der physischen Gestalt enthielt.

Es offenbart sich ein Gewaltiges beim Hinblicken auf diese Tatbestände. Der Mensch ist Götter-Ideal und Götter­-Ziel. Aber dieses Hinblicken kann nicht der Quell von Überhebung und Hochmut beim Menschen sein. Denn er darf sich ja nur, als von ihm kommend, zurechnen, was er in den Erdenleben mit Selbstbewußtsein aus sich gemacht hat. Und dies ist, in kosmischen Verhältnissen ausgedrückt, wenig gegenüber dem, was als die Grundlage seines Eigenwesens die Götter aus dem Makrokosmos, der sie selber sind, heraus als Mikrokosmos, der er ist, geschaffen haben. Die göttlich-geistigen Wesen stehen im Kosmos einander gegenüber. Der sichtbare Ausdruck dieses Gegenüberste­hens ist die Gestalt des gestirnten Himmels. Sie wollten, was sie so zusammen sind, in einer Einheit als Mensch schaffen.

Um recht zu verstehen, was die Hierarchie der Archai vollbrachte, als sie in ihrem Chor die menschliche Gestalt schuf, muß man bedenken, daß ein gewaltiger Unterschied ist zwischen dieser Gestalt und dem physischen Leib des Menschen. Physischer Leib ist, was sich physisch-chemisch im Menschenwesen abspielt. Das geschieht bei dem gegen­wärtigen Menschen innerhalb der menschlichen Gestalt.

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Diese selbst aber ist ein durch und durch Geistiges. Feier­lich sollte es stimmen, ein Geistiges mit physischen Sinnen in der physischen Welt als Menschengestalt wahrzuneh­men. Für den, der geistig schauen kann, liegt dieses so, daß er in der Menschengestalt eine wirkliche Imagination sieht, die in die physische Welt heruntergestiegen ist. Will man Imaginationen schauen, muß man aus der physischen Welt in die nächste geistige übertreten. Dann aber wird man ge­wahr, wie die menschliche Gestalt diesen Imaginationen verwandt ist.

Das Entstehen dieser Menschengestalt findet der rück­schauende Seelenblick des Menschen als erste Periode, wenn er die Leben zwischen Tod und neuer Geburt beob­achtet. Es offenbart sich dabei zugleich, welches tiefere Verhältnis besteht zwischen dem Menschen und der Hier­archie der Archai.

Man kann in dieser Periode schon von einer Andeutung des Unterschiedes zwischen Erdenleben und Leben zwi­schen Tod und neuer Geburt sprechen. Die Hierarchie der Archai schafft nämlich in rhythmischen Epochen an dem Werden der Menschengestalt. Einmal richtet sie dabei die Gedanken, die den Willen der Einzeinen lenken, mehr nach dem außerirdischen Kosmos. Das andere Mal schaut sie auf die Erde herab. Und aus dem Zusammenwirken dessen, was vom außerirdischen Kosmos und von der Erde ange­regt ist, wird die menschliche Gestalt gebildet, die so der Ausdruck dafür ist, daß der Mensch zugleich Erden- und außerirdisches Kosmos-Wesen ist.

Die menschliche Gestalt, wie sie hier als Schöpfung der Hierarchie der Archai geschildert ist, umfaßt aber nicht bloß die äußeren Umrisse des Menschen und die Flächengestaltung,

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wie sie in der Hautbegrenzung gegeben ist, son­dern auch die Kräftegestaltung, die in seiner Haltung, in seiner den Erdenverhältnissen angepaßten Bewegungs­fähigkeit und in der Fähigkeit liegt, seinen Körper als Aus­drucksmittel für sein Inneres zu gebrauchen.

Daß sich der Mensch in die Schwereverhältnisse der Erde in aufrechter Stellung hineinfügen kann, daß er inner­halb dieser Schwereverhältnisse das Gleichgewicht in freier Bewegung bewahren kann, daß er Arme und Hände der Schwere entreißen und in Freiheit gebrauchen kann, das und noch manches andere, das zwar im Innern liegt, aber doch Gestaltung ist: all das verdankt der Mensch dieser Schöpfung der Archai-Hierarchie. All das wird da vorbe­reitet in dem Leben, das man auch für diese Periode das zwischen Tod und neuer Geburt nennen kann. Es wird hier so vorbereitet, daß der Mensch dann in der dritten Periode, in unserer Gegenwart, während seines Lebens zwischen Tod und neuer Geburt die Fähigkeit hat, selbst an dieser Gestaltung für sein Erdendasein zu arbeiten.

Goetheanum, um die Jahreswende 1925.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehende Betrachtung: Was offenbart sich, wenn man in die wiederholten Leben zwischen Tod und neuer Geburt zurückschaut?)

Leitsätze Nr. 147 bis 149 (18. Januar 1925)

147. Auch die Leben zwischen Tod und neuer Geburt zei­gen drei Perioden. In einer ersten lebt der Mensch ganz in der Hierarchie der Archai. Von ihnen wird seine spätere Menschengestalt für die physische Welt vorbereitet.

148. Die Archai bereiten damit das Menschenwesen dazu vor, später das freie Selbstbewußtsein zu entfalten; denn dieses kann nur in Wesen sich entwickeln, die es durch die Gestalt, die hier geschaffen wird, aus einem innern Impuls der Seele zur Darstellung bringen können.

149. Damit zeigt sich, wie die Keime der Menschheitseigen­schaften und Menschheitskräfte, die in unserem Weltenalter zur Offenbarung kommen, in längstvergangenen Wel­tenaltern veranlagt werden und wie der Mikrokosmos aus dem Makrokosmos herauswächst.

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ZWEITER TEIL DER BETRACHTUNG: WAS OFFENBART SICH, WENN MAN IN DIE VORIGEN LEBEN ZWISCHEN TOD UND NEUER GEBURT ZURÜCKSCHAUT?

In einer zweiten Periode gelangt der Mensch aus dem Ge­biet der Archai in das der Archangeloi. Mit diesen ist er aber nicht so körperlich-geistig verbunden, wie vorher mit den Archai. Seine Verbindung mit der Archangeloi-Hier­archie ist eine mehr geistige. Aber sie ist doch so innig, daß man für diese Zeit von einem Losgelöstsein des Menschen von der göttlich-geistigen Welt noch nicht sprechen kann.

Die Erzengel-Hierarchie gibt dem Menschen das für sei­nen Ätherleib, was in diesem entsprechend ist der Gestalt im physischen Leib, die er den Archai verdankt. Wie der phy­sische Leib durch die Gestalt der Erde angepaßt ist, um auf dieser Träger des Selbstbewußtseins zu sein, so der Ätherleib den außerirdischen kosmischen Kräfteverhältnissen. Im physischen Leib lebt die Erde, und im Ätherleib lebt die Sternenwelt. Was der Mensch an inneren Kräften in sich trägt, um auf der Erde so zu sein, daß er sich zugleich mit Haltung, Bewegung, Gebärde der Erde entreißt, das ver­dankt er der Schöpfung der Erzengel in seinem Ätherleib. Wie im physischen Leib die Erdenkräfte durch die Gestal­tung leben können, so leben im Ätherleib die Kräfte, die aus dem Umkreis des Kosmos von allen Seiten auf die Erde zuströmen. Es sind die in der physisch erscheinen­den Gestaltung lebenden Erdkräfte solche, die die Gestalt zu einer verhältnismäßig abgeschlossen-festen machen. Die Umrisse des Menschen bleiben mit untergeordneter Meta­morphose für das Erdenleben fest; die Bewegungsfähigkeiten

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verfestigen sich in Gewohnheiten und so weiter. - Im Ätherleib herrscht fortwährende Beweglichkeit, die ein Spiegelbild ist der sich während des menschlichen Erdenlebens ändernden Sternenkonstellationen. Schon den Ver­änderungen des Himmels von Tag und Nacht entspre­chend, gestaltet sich der Ätherleib; aber auch den Veränderungen, die zwischen der Geburt und dem Tode des Men­schen vor sich gehen.

Diese Anpassung des Ätherleibes an die Himmelskräfte widerspricht nicht der allmählichen Loslösung des Sternenhimmels von den göttlich-geistigen Mächten, von der in andern Betrachtungen gesprochen worden ist. Es ist rich­tig, in ganz alten Zeiten lebte in den Sternen Götterwille und Götterintelligenz. In den späteren Zeiten sind diese in das «Berechenbare» übergegangen. Die Götter wirken nicht mehr durch das, was ihr Werk geworden ist, auf den Men­schen. Aber der Mensch gerät allmählich durch seinen Ätherleib in ein eigenes Verhältnis zu den Sternen, wie er durch seinen physischen Leib in ein solches zur Erdenschwere gelangt.

Was der Mensch sich einfügt, wenn er zur Geburt auf Erden aus der Geistwelt herabsteigt, seinen Ätherleib, der in sich die außerirdischen kosmischen Kräfte aufnimmt, das wird in dieser zweiten Periode durch die Hierarchie der Archangeloi geschaffen.

Ein Wesentliches, das da der Mensch durch diese Hier­archie bekommt, ist die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Menschen auf Erden. Die Menschen sind über die Erde hin differenziert. Man hat, indem man in diese zweite Periode zurückschaut, nicht die heutige Rassen- und Völ­kerdifferenzierung vor sich, sondern eine etwas andere,

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eine mehr geistige. Eine solche, die davon herrührt, daß auf die verschiedenen Orte der Erde die Sternenkräfte in ver­schiedenen Konstellationen auftreffen. Auf der Erde, in Land- und Wasserverteilung, in Klima, in Pflanzenwuchs und so weiter lebt ja der Sternenhimmel. Insoferne sich der Mensch an diese Verhältnisse, die auf der Erde als Him­melsverhältnisse sind, anpassen muß, gehört diese Anpas­sung in den Ätherleib, und dessen Gestaltung ist eine Schöpfung des Chores der Archangeloi.

Nun aber treten gerade während dieser zweiten Periode die luziferischen und ahrimanischen Mächte in einer beson­deren Art in das Menschenleben herein. Dieses Hereintre­ten ist notwendig, trotzdem es zunächst so erscheint, als ob es den Menschen unter seine Wesenheit herabdrücken würde.

Der Mensch muß, wenn er im Erdenleben Selbstbewußt­sein entwickeln soll, von der göttlich-geistigen Welt, aus der er ursprünglich hervorgegangen ist, in einem stärkeren Maße loskommen, als dies durch diese Welt selbst gesche­hen kann. Es geschieht in der Zeit, da die Erzengel an ihm wirken, weil da die Verbindung mit der Geistwelt nicht mehr eine so feste ist, wie sie während des Wirkens der Ar­chai an ihin war. Den mehr geistigen Kräften, die von den Erzengeln ausgehen, sind Luzifer und Ahriman mehr ge­wachsen als den stärkeren der Archai.

Es wird von den luziferischen Mächten die Äthergestal­tung mit einer stärkeren Neigung für die Sternenwelt durchsetzt, als sie haben würde, wenn nur die ursprünglich mit dem Menschen verbundenen göttlich-geistigen Mäch­te wirken würden. Und es wird durch die ahrimanischen Mächte die physische Gestaltung stärker in die Erdenschwere

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verstrickt, als es geschehen würde, wenn diese Mächte nicht wirken könnten.

Dadurch wird in den Menschen der Keim des vollen Selbstbewußtseins und des freien Willens gelegt. Wenn auch die ahrimanischen Mächte den freien Willen hassen: im Menschen bewirken sie, da sie ihn losreißen von seiner göttlich-geistigen Welt, die Keimanlage dieses freien Willens.

Zunächst aber, in dieser zweiten Periode, wird, was die verschiedenen Hierarchien von den Seraphim bis zu den Erzengeln in dem Menschen bewirkt haben, mehr, in den physischen und Ätherleib hineingedrückt, als es ohne luzi­ferischen und ahrimanischen Einfluß geschehen könnte. Ohne diesen Einfluß bliebe die Wirkung der Hierarchien mehr im Astralleib und im Ich.

Dadurch entsteht nicht jene mehr geistige, von den Erzengeln angestrebte Gruppierung der Menschheit über die Erde hin.

In seinem Eingedrücktsein in den physischen und Äther­leib werden die geistigen Kräfte in ihr Gegenteil gewandelt. Es entsteht statt der mehr geistigen Differenzierung die nach Rassen und Völkern.

Ohne den luziferischen und ahrimanischen Einfluß sähen sich die Menschen auf Erden vom Himmel herunter diffe­renziert. Die Gruppen verhielten sich zueinander in ihrem Leben wie Wesen, die Geistiges willig in Liebe einander geben und voneinander nehmen. In Rassen und Völkern erscheint die Erdenschwere durch den Leib des Menschen; in der geistigen Gruppierung wäre ein Spiegelbild der gött­lich-geistigen Welt erschienen.

Mit alle dem mußte die spätere volle Selbstbewußtheit in der menschlichen Entwickelung schon vorher veranlagt

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werden. Das bedingte wieder, daß zwar gemildert, aber doch in einer gewissen Form die uralte Menschendifferen­zierung erhalten blieb, die bestand, als der Mensch einst überging von der Hierarchie der Exusiai an diejenige der Archai.

Der Mensch hat wie in einer kosmischen Schule dieses Entwickelungsstadium empfindend-anschauend erlebt. Er hat zwar noch nicht ein Wissen davon entwickelt, daß dies eine wesentliche Vorbereitung für seine spätere Selbstbe­wußtheit sei. Aber das empfindende Anschauen seiner Ent­wickelungskräfte damals war doch wichtig für die Einglie­derung der Selbstbewußtheit in Astralleib und Ich.

In bezug auf das Denken ist damals dies geschehen, daß der Mensch durch die luziferischen Mächte mit der Nei­gung ausgestattet wurde, sich in die alten Formen des Gei­stigen auch weiter zu versenken und sich den neuen For­men nicht anzupassen. Denn Luzifer hat ja stets das Bestre­ben, für den Menschen die früheren Formen des Lebens zu bewahren.

Und dadurch bildete sich das Denken des Menschen so aus, daß er allmählich in den Leben zwischen Tod und neuer Geburt diejenige Fähigkeit ausgestaltete, die in ur­alten Zeiten Gedanken in ihm bildete. Damals konnte diese Fähigkeit das Geistige schauen, trotzdem sie so war wie gegenwärtig die bloße Sinnesauffassung. Denn das Physische trug damals das Geistige an seiner Oberfläche. Jetzt aber kann die von damals bewahrte Denkfähigkeit nurmehr als Sinneswahrnehmung wirken. Allmählich nahm die Fähigkeit, denkend sich zum Geistigen zu erheben, ab. Und voll trat dies erst zutage, als im Zeitalter der Bewußt­seinsseele die geistige Welt für den Menschen in gänzliche

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Dunkelheit gehüllt wurde. Da kam es, daß im neunzehnten Jahrhundert die besten Naturforscher, die nicht Materia­listen werden konnten, sagten: uns bleibt nichts übrig, als bloß die Welt zu erforschen, die sich nach Maß, Zahl und Gewicht und durch die Sinne erforschen läßt; aber wir ha­ben kein Recht, eine geistige Welt zu leugnen, die sich hin­ter dieser sinnlichen verbirgt. Also der Hinweis darauf, daß eine dem Menschen unbekannte helle Welt sein könne, wo er nur in die Finsternis starrt.

Wie durch Luzifer das Denken im Menschen verschoben wurde, so durch Ahriman der Wille. Der wurde mit einer Tendenz zu einer Art von Freiheit begabt, in die er erst später hätte eintreten sollen. Diese Freiheit ist keine wirk­liche, sondern die Illusion der Freiheit. In dieser Freiheits-­Illusion lebte die Menschheit lange. Das gab ihr keine Mög­lichkeit, geistgemäß die Idee der Freiheit zu entwickeln. Man pendelte hin und her zwischen den Meinungen, der Mensch sei frei, oder auch, er sei in eine starre Notwendig­keit eingesponnen. Und als dann mit dem heraufziehenden Bewußtseinszeitalter die wirkliche Freiheit kam, da konnte man sie nicht erkennen, weil man das Erkennen allzu lange in die Illusion der Freiheit eingesponnen hatte.

Alles, was sich in diesem zweiten Stadium der Entwicke­lung der Leben zwischen dem Tode und einer neuen Ge­burt in das Wesen des Menschen eingesenkt hat, das trug er als kosmische Erinnerung in das dritte Stadium hinein, in dem er noch gegenwärtig lebt. Er steht in diesem Sta­dium zu der Hierarchie der Angeloi in einem ähnlichen Verhältnis, wie er während des zweiten zu derjenigen der Archangeloi gestanden hat. Nur ist das Verhältnis zu den Angeloi so, daß durch sie die volle selbständige Indivi­dualität

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zustande kommt. Denn die Angeloi - jetzt nicht der Chor, sondern einer für einen Menschen - beschränken sich darauf, das rechte Verhältnis der Leben zwischen Tod und neuer Geburt und der Erdenleben zu bewirken.

Eine zunächst merkwürdige Tatsache ist diese, daß für den einzelnen Menschen im zweiten Stadium seiner Entwicke­lung der Leben zwischen Tod und neuer Geburt die ganze Hierarchie der Archangeloi wirkt. Später fällt dieser Hier­archie die Lenkung der Volksstämme zu. Und da ist für ein Volk ein Erzengel als Volksgeist. In den Rassen bleiben die Urkräfte tätig. Und wieder wirkt für eine Rasse ein Wesen aus der Hierarchie der Urkräfte als Rassengeist.

So enthält der gegenwärtige Mensch auch in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt die kosmische Erinnerung an vorangehende Stadien dieses Erlebens. Und auch da, wo in der physischen Welt Geistgeleitetes in der Art auf­tritt, wie in Rassen und Völkern, ist diese kosmische Er­innerung deutlich da.

Goetheanum, Jahreswende 1925.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaftvom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehende Betrachtung, zweiter Teil: Was offenbart sich, wenn man in die wiederholten Leben zwischen Tod und neuer Geburt zurückschaut?)

Leitsätze Nr. 150 bis 152 (25. Januar 1925)

150. In einer zweiten Periode der Entwickelung der Leben zwischen Tod und neuer Geburt tritt der Mensch in den Bereich der Archangeloi. Während derselben wird der Keim zur späteren Selbstbewußtheit in das Seelische ge­legt, nachdem er in der Formung der Menschengestalt in der ersten Periode veranlagt worden ist.

151. Der Mensch wird während dieser zweiten Periode durch die luziferischen und ahrimanischen Einflüsse tiefer in das Physische gedrängt, als es ohne diese Einflüsse ge­schehen würde.

152. In der dritten Periode gelangt der Mensch in den Be­reich der Angeloi, die aber nur in Astralleib und Ich ihren Einfluß geltend machen. Diese Periode ist die gegenwär­tige. Was in den beiden ersten Perioden geschehen ist, lebt in der Menschenentwickelung fort und erklärt die Tatsache, daß innerhalb des Zeitalters der Bewußtseinsseele (im neunzehnten Jahrhundert) der Mensch in die geistige Welt wie in eine völlige Finsternis hineinstarrt.

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WAS IST DIE ERDE IN WIRKLICHKEIT IM MAKROKOSMOS?

Das Werden des Kosmos und der Menschheit ist in diesen Betrachtungen von den verschiedensten Gesichtspunkten aus angeschaut worden. Gezeigt hat sich, wie der Mensch die Kräfte seines Wesens vom außerirdischen Kosmos hat, außer denen, die ihm sein Selbstbewußtsein geben. Diese kommen ihm von der Erde.

Damit ist die Bedeutung des Irdischen für den Menschen dargelegt. Es muß sich daran die Frage knüpfen: Welche Bedeutung hat das Irdische für den Makrokosmos?

Um der Antwort auf diese Frage näher zu kommen, muß man den Blick auf das hier schon Dargestellte werfen.

Der Makrokosmos wird von dem schauenden Bewußtsein in immer größerer Lebendigkeit gefunden, je weiter der Blick in die Vergangenheit zurückdringt. Er lebt in ferner Vergangenheit so, daß jede Berechnung seiner Le­bensoffenbarungen da aufhört. Aus dieser Lebendigkeit heraus wird der Mensch abgesondert. Der Makrokosmos tritt immer mehr in die Sphäre des Berechenbaren ein.

Damit aber erstirbt er allmählich. In dem Maße, in dem der Mensch - der Mikrokosmos - als selbständige Wesen­heit aus dem Makrokosmos ersteht, erstirbt dieser.

In der kosmischen Gegenwart besteht ein erstorbener Makrokosmos. Aber im Werden desselben ist nicht nur der Mensch entstanden. Es ist aus dem Makrokosmos auch die Erde erstanden.

Der Mensch, der von der Erde die Kräfte für sein Selbstbewußtsein hat, steht dieser innerlich viel zu nahe, um ihr Wesen zu durchschauen. In der vollen Entfaltung des

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Selbstbewußtseins im Zeitalter der Bewußtseinsseele hat man sich gewöhnt, den Blick auf die räumliche Größe des Weltenalls zu wenden und die Erde wie ein Staubkorn, un­bedeutend gegenüber dem physisch-räumlichen Weltall, anzusehen.

Daher wird es zunächst absonderlich erscheinen, wenn ein geistiges Anschauen die wahre kosmische Bedeutung dieses angeblichen «Staubkorns» enthüllt.

In die mineralische Grundlage der Erde sind die andern Reiche, das Pflanzen- und das Tierreich, eingebettet.

In alle dem leben die Kräfte, die sich im Jahreslauf in ihren verschiedenen Erscheinungsformen zeigen. Man sehe auf die Pflanzenwelt. Im Herbst und Winter zeigt sie phy­sisch ersterbende Kräfte. Das schauende Bewußtsein nimmt in dieser Erscheinungsform das Wesen derjenigen Kräfte wahr, die den Makrokosmos zum Ersterben gebracht ha­ben. Im Frühling und Sommer zeigen sich im Pflanzenle­ben wachsende, sprossende Kräfte. Das schauende Bewußt­sein nimmt in diesem Wachsen und Sprossen nicht nur das wahr, was den Pflanzensegen für das Jahr erstehen läßt, sondern einen Überschuß. Dieser Überschuß ist ein solcher der Keimkraft. Die Pflanzen enthalten mehr Keimkraft, als sie für Blätter-, Blüten- und Fruchtwachstum verbrauchen. Dieser Überschuß an Keimkraft strömt vor dem schauenden Bewußtsein hinaus in den außerirdischen Makrokosmos.

Ebenso strömt auch aber überschüssige Kraft vom Mi­neralreich in den außerirdischen Kosmos. Diese Kraft hat die Aufgabe, die von den Pflanzen kommenden Kräfte an die rechten Orte im Makrokosmos zu bringen. Es wird un­ter dem Einfluß der Mineralkräfte aus den Pflanzenkräften ein neugestaltetes Bild eines Makrokosmos.

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Ebenso gibt es vom Tierischen ausgehende Kräfte. Diese wirken aber nicht in dem Sinne, wie die mineralischen und pflanzlichen, von der Erde ausstrahlend, sondern so, daß sich, was in Gestaltung durch die mineralischen Kräfte an Pflanzlichem ins Weltall getragen wird, zur Sphäre (Kugel) zusammenhält und dadurch das Bild eines allseitig geschlos­senen Makrokosmos ersteht.

So schaut das geisterkennende Bewußtsein das Wesen des Irdischen. Dieses steht neu belebend innerhalb des erstorbenen Makrokosmos drinnen.

Wie aus dem Pflanzenkeim, der räumlich so unbedeu­tend klein ist, die ganze große Pflanze sich wieder bildet, wenn die alte ersterbend zerfällt, so wird aus dem «Staub­korn» Erde ein neuer Makroskosmos, indem der alte er­storbene zerfällt.

Das ist ein wahres Anschauen des Erdenwesens, das überall in ihm eine keimende Welt schaut. Man lernt nur dadurch die Naturreiche verstehen, daß man in ihnen dieses Keimende empfindet.

Inmitten dieses keimenden Lebens vollbringt der Mensch sein Erdendasein.- Er nimmt an diesem Keimenden sowohl wie an dem erstorbenen Leben teil. Aus dem erstorbenen hat er seine Denkkräfte. Solange diese Denkkräfte in der Ver­gangenheit aus dem noch lebenden Makrokosmos kamen, waren sie nicht Grundlage des selbstbewußten Menschen. Sie lebten als Wachstumskräfte in dem Menschen, der noch kein Selbstbewußtsein hatte. Die Denkkräfte dürfen für sich kein Eigenleben haben, wenn sie die Grundlage bilden sol­len für das freie menschliche Selbstbewußtsein. Sie müs­sen für sich mit dem erstorbenen Makrokosmos die toten Schatten von Lebendigem der kosmischen Vorzeit sein.

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Auf der andern Seite nimmt der Mensch teil an dem Kei­menden der Erde. Aus ihm sind seine Willenskräfte. Sie sind Leben, aber dafür nimmt der Mensch mit seinem Selbstbewußtsein nicht an ihrem Wesen teil. Sie strahlen innerhalb des Menschenwesens in die Gedankenschatten herein. Sie werden von diesen Schatten durchströmt, und im Durchströmen des im keimenden Erdenwesen sich ent­faltenden freien Gedankens lebt das volle, freie menschli­che Selbstbewußtsein sich im Zeitalter der Bewußtseinsseele in den Menschen hinein.

Die Vergangenheit Schatten werfend, die Zukunft Wirk­lichkeitskeime enthaltend, begegnen sich in der menschli­chen Wesenheit. Und die Begegnung ist das Menschen­leben der Gegenwart.

Daß sich das so verhält, wird dem schauenden Bewußt­sein sofort klar, wenn es sich in diejenige Geist-Region be­gibt, die sich an die physische unmittelbar anschließt, und in der man auch die Betätigung Michaels findet.

Das Leben alles Irdischen wird durchsichtig, wenn man auf seinem Grunde den Weltenkeim empfindet. Jede Pflan­zenform, jeder Stein, sie erscheinen der Menschenseele in einem neuen Lichte, wenn diese gewahr wird, wie jedes dieser Wesen durch sein Leben, durch seine Gestalt bei­trägt, daß die Erde als Einheit der Embryonal-Keim eines neu auflebenden Makrokosmos ist.

Man versuche nur einmal, den Gedanken an diese Tat­sachen in sich ganz lebendig zu machen, und man wird füh­len, was er innerhalb des Menschengemütes bedeuten kann.

Goetheanum, Januar 1925.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehende Betrachtung: Was ist die Erde in Wirklichkeit im Makrokosmos?)

Leitsätze Nr. 153 bis 155 (1. Februar 1925)

153. Man hat sich im Beginne des Zeitalters der Bewußt­seinsseele gewöhnt, den Blick auf die räumlich-physische Größe des Weltenalls zu lenken, und vor allem diese zu emp­finden. Deshalb nennt man die Erde ein Staubkorn inner­halb dieses physisch mächtig erscheinenden Weltenalls.

154. Vor dem schauenden Bewußtsein offenbart sich dieses «Staubkorn» als die Keimanlage eines neu entstehenden Makrokosmos, während der alte sich als erstorben erweist. Er mußte ersterben, damit der Mensch mit vollem Selbstbewußtsein sich von ihm absondern konnte.

155. In der kosmischen Gegenwart nimmt der Mensch mit seinen ihn befreienden Gedankenkräften an dem erstorbe­nen, mit seinen ihm ihrem Wesen nach verborgenen Wil­lenskräften an dem als Erdenwesen keimenden, neu auflebenden Makrokosmos teil.

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SCHLAF UND WACHEN IM LICHTE DER VORANGEGANGENEN BETRACHTUNGEN

Schlaf und Wachen wurde innerhalb der anthroposophi­schen Auseinandersetzungen oftmals von den verschieden­sten Gesichtspunkten aus betrachtet. Aber das Verständnis solcher Lebenstatsachen muß immer von neuem vertieft werden, wenn anderes aus dem Weltbestande betrachtet worden ist. Die Auseinandersetzungen darüber, daß die Erde ein Keim für den neu erstehenden Makrokosmos ist, ergeben für die Anschauungen von Schlafen und Wachen solche Möglichkeiten eines vertieften Verständnisses.

Im Wachzustande lebt der Mensch in den Gedankenschatten, die von einer erstorbenen Welt geworfen werden, und in den Willensimpulsen, in deren inneres Wesen er mit dem gewöhnlichen Bewußtsein ebensowenig hineinsieht wie in die Vorgänge des tiefen, traumlosen Schlafes.

In dem Einströmen dieser unterbewußten Willensim­pulse in die Gedankenschatten ersteht das freiwaltende Selbstbewußtsein. In diesem Selbstbewußtsein lebt das «Ich».

Indem der Mensch in diesem Zustande die Umwelt er­lebt, ist sein inneres Erfühlen durchdrungen von außerirdischen, von kosmischen Impulsen, die aus urferner kos­mischer Vergangenheit in die Gegenwart hereinragen. Er wird sich dessen nicht bewußt. Ein Wesen kann sich nur dessen bewußt werden, an dem es mit eigenen ersterbenden Kräften teilnimmt, nicht mit wachsenden Kräften, die das Wesen selbst beleben. So erlebt sich der Mensch, indem er das seinem innern Wesen zugrunde Liegende aus dem Geistesauge verliert. Gerade dadurch aber ist er in der

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Lage, während des Wachzustandes ganz in den Gedankenschatten sich zu fühlen. Kein Aufleben hindert das innere Dasein an der Teilnahme am Erstorbenen. Aber diesem «Leben in dem Erstorbenen» verschließt sich das Wesenhafte des Irdischen, daß es Keim eines neuen Weltalls ist. Der Mensch nimmt im Wachzustande die Erde nicht wahr, wie sie ist; es entgeht ihm ihr beginnendes kosmisches Leben.

So lebt der Mensch in dem, was ihm als Grundlage sei­nes Selbstbewußtseins die Erde gibt. Er verliert im Zeit­alter der selbstbewußten Ich-Entfaltung die wahre Gestalt seiner inneren Impulse wie auch diejenige seiner Umge­bung aus dem Geistesauge. Aber gerade in diesem Schwe­ben über dem Sein der Welt erlebt der Mensch das Sein des Ich, erlebt er sich als selbstbewußtes Wesen. Über ihm der außerirdische Kosmos, unter ihm im Irdischen eine Welt, deren Wesenhaftigkeit verborgen bleibt; dazwischen die Offenbarung des freien «Ich», dessen Wesenhaftigkeit in vollem Glanze der Erkenntnis und des freien Wollens erstrahlt.

Anders im Schlafzustande. Da lebt der Mensch in seinem Astralleibe und in seinem Ich im Keimesleben der Erde. Intensivstes «Ins-Leben-Wollen» wirkt in des Menschen Umgebung, wenn er im traumlosen Schlafe ist. Und die Träume sind durchsetzt von diesem Leben, aber nicht so stark, daß der Mensch sie nicht in einer Art IIalbbewußt­heit erleben könnte. In diesem halbbewußten Hinschauen auf die Träume sieht man die Kräfte, durch die die mensch­liche Wesenheit aus dem Kosmos heraus gewoben wird. Im Aufleuchten des Traumes wird sichtbar, wie das Astra­lische menschenbelebend in den Ätherleib einströmt. In

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diesem Aufleuchten lebt der Gedanke noch. Nach dem Aufwachen wird er erst umfangen von denjenigen Kräften, durch die er erstirbt, zum Schatten wird.

Bedeutsam ist dieser Zusammenhang zwischen Traumvorstellung und Wachgedanken. Der Mensch denkt in den­selben Kräften, durch die er wächst und lebt. Nur müssen diese Kräfte, damit der Mensch zum Denker wird, erster­ben.

Da ist der Punkt, wo ein rechtes Verständnis darüber aufgehen kann, warum der Mensch denkend die Wirklich­keit erfaßt. Er hat in seinen Gedanken das tote Bild dessen, was ihn aus der lebensvollen Wirklichkeit heraus selber bildet.

Das tote Bild: dieses tote Bild ist aber das Ergebnis der Tätigkeit des größten Malers, des Kosmos selbst. Aus dem Bilde bleibt zwar das Leben weg. Bliebe es nicht weg, so könnte das Ich sich nicht entfalten. Aber es ist in ihm aller Inhalt des Weltenalls in seiner Herrlichkeit.

So weit als es damals im Zusammenhange der Darstel­lung möglich war, wies ich schon in meiner «Philosophie der Freiheit» auf dieses innere Verhältnis zwischen Denken und Weltwirklichkeit hin. Es ist an der Stelle geschehen, wo ich davon spreche, daß von den Tiefen des denken­den Ich zu den Tiefen der Natur-Wirklichkeit eine Brücke führt.

Für das gewöhnliche Bewußtsein wirkt der Schlaf des­halb auslöschend, weil er in das in den werdenden Makrokosmos hineinsprießende, keimende Leben der Erde führt. Wird dieses Auslöschen behoben durch das imaginative Bewußtsein, so steht vor der menschlichen Seele nicht eine Erde mit scharfen Konturen im Mineral-, Pflanzen- und

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Tierreiche. Es steht vielmehr da ein lebendiger Vorgang, der sich innerhalb der Erde entzündet und der in den Makrokosmos hinaus flammt.

Es ist so, daß sich der Mensch mit dem eigenen Ich-Sein aus dem Sein der Welt im Wachzustande herausheben muß, um zum freien Selbstbewußtsein zu kommen. Im Schlafzustande vereinigt er sich dann wieder mit dem Welt-Sein.

Das ist im gegenwärtigen kosmischen Weltenaugen­blicke der Rhythmus des irdischen Menschen-Daseins außer dem «Innern» der Welt mit Erleben des Eigenwesens; und des Daseins in dem «Innern» der Welt mit Auslöschung des Bewußtseins vom Eigenwesen.

In dem Zustande zwischen dem Tode und einer neuen Ge­burt lebt das Menschen-Ich innerhalb der Wesen der Geist-Welt. Da tritt in das Bewußtsein alles, was sich während des irdischen Wachlebens diesem entzieht. Es treten die makrokosmischen Kräfte auf von ihrem Voll-Leben in urferner Vergangenheit bis zu dem Erstorben-Sein in der Gegenwart. Es treten aber auch die irdischen Kräfte auf, die der Keim sind des werdenden Makrokosmos. Und in seine Schlafzustände sieht der Mensch hinein, wie er wäh­rend des Erdenlebens auf die in der Sonne erglänzende Erde sieht.

Nur dadurch, daß der Makrokosmos, so wie er gegen­wärtig ist, ein Erstorbenes wurde, kann das Menschenwe­sen in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt ein Le­ben durchmachen, das gegenüber dem wachen Erdenleben ein höheres Aufwachen bedeutet. Ein Aufwachen, durch das der Mensch fähig wird, die Kräfte voll zu meistern, die im Traume ein flüchtiges Aufflackern zeigen. Diese Kräfte erfüllen den ganzen Kosmos. Sie sind alles durchdringend.

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Ihnen entnimmt das Menschenwesen die Impulse, aus de­nen es sich beim Heruntersteigen auf die Erde seinen Leib, das große Kunstwerk des Makrokosmos formt.

Was im Traume wie sonnenverlassen aufdämmert, das lebt in der Geistwelt geistes-sonnenhaft durchströmt, war­tend, bis die Wesenheiten der höheren Hierarchien oder der Mensch es wesenbildend im Schaffen aufrufen.

Goetheanum, Januar 1925.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

Leitsätze Nr. 156 bis 158 (8. Februar 1925)

156. Im Wachzustande muß der Mensch, um sich im vollen, freien Selbstbewußtsein zu erleben, auf das Erleben der wahren Gestalt der Wirklichkeit im eigenen und im Naturdasein verzichten. Er erhebt sich aus dem Meere dieser Wirklichkeit, um in den Gedankenschatten das eigene Ich zum wirklich eigenen Erleben zu machen.

157. Im Schlafzustande lebt der Mensch mit dem Leben der Erden-Umgebung; aber dieses Leben löscht sein Selbstbe­wußtsein aus.

158. Im Träumen flackert im Halbbewußtsein das kraft­volle Weltensein auf, aus dem des Menschen Wesen gewo­ben ist und aus dem er beim Niedersteigen aus der Geistwelt seinen Leib bildet. Im Erdenleben wird dieses kraftvolle Weltensein im Menschen bis in die Gedankenschatten zum Ersterben gebracht, da es nur so dem selbstbewußten Menschen die Grundlage sein kann.

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GNOSIS UND ANTHROPOSOPHIE

Als das Mysterium von Golgatha sich vollzog, war die «Gnosis» die Denkart des Teiles der Menschheit, der zunächst ein erkenntnismäßiges, nicht bloß ein empfindendes Verständnis dem größten Einschlag in die Erdenentwicke­lung der Menschen entgegenbringen konnte.

Will man die Seelenverfassung verstehen, in der die Gno­sis innerhalb des Menschen lebte, so muß man ins Auge fassen, daß das Zeitalter dieser Gnosis dasjenige der Entfaltung der Verstandes- oder Gemütsseele ist.

In dieser Tatsache kann man auch die Ursache für das fast völlige Verschwinden der Gnosis aus der Menschheitsgeschichte finden. Dieses Verschwinden ist wohl, solange es nicht begriffen ist, eines der erstaunlichsten Vorkomm­nisse im Werdegang der Menschheit.

Der Entfaltung der Verstandes- oder Gemütsseele ging diejenige der Empfindungsseele und dieser die des Emp­findungsleibes voraus. Werden die Tatsachen der Welt durch den Empfindungsleib wahrgenommen, so lebt alle Erkenntnis des Menschen in den Sinnen. Die Welt wird farbig, tönend und so weiter wahrgenommen; aber in den Farben, Tönen, in den Wärmezuständen wird eine Welt von geistigen Wesenheiten gewußt. Von «Stoff», an dem Farben, Wärmezustände und so weiter erscheinen, redet man nicht; man redet von geistigen Wesenheiten, die sich durch das offenbaren, was die Sinne wahrnehmen.

Eine besondere Entfaltung eines «Verstandes», der ne­ben der Sinneswahrnehmung im Menschen lebte, gibt es in diesem Zeitalter noch nicht. Der Mensch gibt sich entwe­der mit seinem Wesen an die Außenwelt hin, dann offenbaren

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sich ihm durch die Sinne die Götter. Oder er zieht sich in seinem Seelenleben von der Außenwelt zurück, dann fühlt er in seinem Innern ein dumpfes Lebensgefühl.

Ein bedeutsamer Umschwung tritt ein, wenn sich die Empfindungsseele entfaltet. Die Offenbarung des Göttli­chen durch die Sinne dämmert ab. An die Stelle tritt das Wahrnehmen der gewissermaßen entgöttlichten Sinnesein­drücke, der Farben, Wärmezustände und so weiter. Im In­nern offenbart sich das Göttliche in geistiger Form, in Bild­Ideen. Und der Mensch nimmt die Welt von zwei Seiten her wahr: von außen durch die Sinnes-Eindrücke, von innen durch die ideenhaften Geist-Eindrücke.

Der Mensch muß nun dazu kommen, die Geist-Eindrücke so bestimmt, so gestaltet wahrzunehmen, wie er vorher die durchgöttlichten Sinnes-Eindrücke wahrgenommen hat. - Solange das Zeitalter der Empfindungsseele waltet, kann er das. Denn aus seinem inneren Wesen steigen ihm die Ideenbilder in vollgestalteter Art auf. Er ist von innen erfüllt mit einem sinnlichkeitsfreien Geist-Inhalt, der ein Abbild des Welt-Inhaltes ist. Haben sich ihm früher die Götter im sinnlichen Kleide geoffenbart; sie offenbaren sich ihm jetzt im Geist-Kleide.

Das ist das Zeitalter der eigentlichen Entstehung und des Lebens der Gnosis. Eine wunderbare Erkenntnis lebt, der sich der Mensch teilhaftig weiß, wenn er sein inneres We­sen in Reinheit entfaltet, so daß der göttliche Inhalt durch dasselbe sich offenbaren kann. Vom vierten bis ins erste Jahrtausend vor dem Eintritte des Mysteriums von Golga­tha herrscht bei dem in der Erkenntnis vorgeschrittensten Teile der Menschheit diese Gnosis.

Dann beginnt das Zeitalter der Verstandes- oder Ge­mütsseele.

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Von selbst steigen jetzt aus dem Innern des Menschenwesens die Welt-Götter-Bilder nicht mehr auf. Der Mensch muß innerlich Kraft anwenden, um sie aus seiner Seele zu holen. Die Außenwelt mit ihren Sinnes-Eindrücken wird zur Frage. Indem der Mensch die innerliche Kraft anwendet, die Welt-Götter-Bilder aus sich zu holen, erhält er Antworten.

Aber die Bilder sind blaß im Verhältnis zu ihrer früheren Gestalt. Es ist dies die Seelenverfassung der Menschheit, die in Griechenland sich in wunderbarer Art entfaltet hat. Der Grieche fühlte sich in der sinnenfälligen Außenwelt, und er fühlte in dieser die Zaubergewalt, die die innere Kraft zum Entfalten der Weltbilder anregte. Auf philoso­phischem Felde entfaltete sich diese Seelenverfassung im Platonismus.

Aber hinter alle dem stand die Mysterienwelt. In ihr wurde treu aufbewahrt, was von Gnosis aus dem Zeitalter der Empfindungsseele vorhanden war. Die Seelen wurden für dieses treuliche Aufbewahren geschult. Auf dem Wege der gewöhnlichen Entwickelung erstand die Verstandes- oder Gemütsseele. Durch besondere Schulung wurde die Emp­findungsseele belebt. So gab es hinter dem gewöhnlichen Kulturleben gerade im Zeitalter der Verstandes- oder Ge­mütsseele ein reich entwickeltes Mysterienwesen.

In diesem lebten die Welt-Götter-Bilder auch insofern, als sie zum Inhalte eines Kultus gemacht wurden. Man schaut in das Innere dieser Mysterien und erblickt die Welt im Abbilde der wunderbarsten Kultusverrichtungen.

Die Menschen, die das erlebten, sie waren diejenigen, die auch das Mysterium von Golgatha, als es sich vollzog, in seinem tiefen kosmischen Zusammenhange durchschauten.

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Aber es war ein Mysterienleben, das sich ganz abseits hielt von dem Weitgetriebe, um in Reinheit die Geist-Bilder-Welt zu entfalten. Und für Menschenseelen wurde diese Entfaltung immer schwieriger.

Da stiegen in den höchsten Mysterienstätten Geist-We­sen aus dem geistigen Kosmos, die den Anstrengungen der um Erkenntnis ringenden Menschen zu Hilfe kamen. So entfalteten sich die Impulse des Zeitalters der Empfindungs­seele unter dem Einfluß der «Götter» selbst weiter. Es ent­stand eine Mysterien-Gnosis, von der die wenigsten auch nur etwas ahnten. Neben ihr war das vorhanden, was von den Menschen mit der Verstandes- oder Gemütsseele auf­genommen werden konnte. Es war die exoterische Gnosis, von der Bruchstücke auf die Nachwelt gekommen sind.

In der esoterischen Mysteriengnosis wurden die Men­schen immer unfähiger, sich zur Entfaltung der Empfin­dungsseele zu erheben. Es ging diese esoterische Weisheit immer mehr an die bloße Pflege der «Götter» über. Und das ist ein Geheimnis der geschichtlichen Entwickelung der Menschheit, daß in ihr gewissermaßen «göttliche Myste­rien» von den ersten christlichen Jahrhunderten an bis ins Mittelalter wirkten.

In diesen «göttlichen Mysterien» bewahrten Engelwesen im irdischen Dasein, was Menschen nicht mehr bewah­ren konnten. So waltete die Mysterien-Gnosis, während man an der Ausrottung der exoterischen Gnosis arbeitete.

Der Welt-Bild-Inhalt, der in der Mysterien-Gnosis auf geistige Art von geistigen Wesen bewahrt wurde, solange er im Werdegang der Menschheit wirken sollte: er konnte dem bewußten Begreifen der Menschenseele nicht erhalten werden. Aber der Gefühlsgehalt sollte bewahrt werden.

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Und dieser sollte im rechten kosmischen Augenblicke der dazu vorbereiteten Menschheit gegeben werden, damit un­ter seiner Seelenwärme die Bewußtseinsseele später auf neue Art in das Geistesreich eindringen könne. Geisteswe­sen haben so die Brücke gebaut zwischen dem alten Welt-Inhalt und dem neuen.

In Andeutungen ist dieses Geheimnis der Menschheitsentwicke­lung vorhanden. Die heilige Jaspisschale des Grales, derer sich Christus bediente, als er das Brot brach, in die Joseph von Arimathia das Blut aus der Jesuswunde aufgefangen hat, die also das Geheimnis von Golgatha barg, wurde - so lau­tet die Legende - von Engeln in Verwahrung genommen, bis sie sie nach Erbauung der Gralsburg durch Titurel auf die vorbereiteten Menschen niedersenken konnten.

Geistwesen bargen die Welt-Bilder, in denen die Geheimnisse von Golgatha lebten. Sie senkten, weil das nicht mög­lich war, nicht den Bild-Inhalt, wohl aber den Gefühlsgehalt in Menschengemüter, als die Zeit dazu gekommen war.

Nur Anregung, aber eben kräftigste Anregung, kann dieses Einpflanzen des Gefühls-Inhaltes alter Erkenntnis sein, daß in unserem Zeitalter sich aus der Bewußtseinsseele im Lichte von Michaels Wirksamkeit ein neues volles Verständnis des Mysteriums von Golgatha entwickele.

Anthroposophie strebt dieses neue Verständnis an. Aus der gegebenen Schilderung ersieht man, daß sie keine Er­neuerung der Gnosis sein kann, die zu ihrem Inhalt die Er­kenntnisart der Empfindungsseele hatte, daß sie aber einen ebenso reichen Inhalt aus der Bewußtseinsseele auf völlig neue Art holen muß.

Goetheanum, Januar 1925.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthropsophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehende Betrachtung: Gnosis und Anthroposophie)

Leitsätze Nr. 159 bis 161 (15. Februar 1925)

159. Gnosis entfaltet sich in ihrer eigentlichen Gestalt im Zeitalter der Empfindungsseele (viertes bis erstes Jahrtau­send vor dem Eintritte des Mysteriums von Golgatha). Das «Göttliche» offenbart sich dem Menschen in diesem Zeit­alter im Innern als Geist-Inhalt, wogegen es sich im vorangehenden Zeitalter des Empfindungsleibes an den Sinnes-Eindrucken der Außenwelt geoffenbart hat.

160. Im Zeitalter der Verstandes- oder Gemüts seele kann der Geist-Inhalt des «Göttlichen» nur in verblaßter Art erlebt werden. Es wird die Gnosis in strengen Mysterien bewahrt, und als Menschen dies nicht mehr können, weil sie die Empfindungsseele zu beleben nicht mehr imstande sind, da wird in das Mittelalter hinüber durch Geistwesen zwar nicht der Erkenntnis-Inhalt, aber der Gefühlsgehalt getragen. (Die Gral-Legende enthält die Andeutung da­von.) Daneben wird die exoterische Gnosis, die in die Ver­standes- oder Gemütsseele eindringt, ausgerottet.

161. Die Anthroposophie kann nicht eine Erneuerung der Gnosis sein, denn diese hing an der Entfaltung der Emp­findungsseele. Anthroposophie muß im Lichte der Michael-Tätigkeit aus der Bewußtseinsseele heraus ein Welt- und Christus-Verständnis auf neue Art entwickeln. Die Gnosis war die aus alter Zeit bewahrte Erkenntnisart, die das My­sterium von Golgatha bei seinem Eintritte am besten zum Menschenverständnisse bringen konnte.

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DIE FREIHEIT DES MENSCHEN UND DAS MICHAEL-ZEITALTER

In der Erinnerungsfähigkeit des Menschen lebt das per­sönliche Abbild einer kosmischen Kraft, die in der Art am menschlichen Wesen gewirkt hat, wie das die letzten Be­trachtungen gezeigt haben. Diese kosmische Kraft ist aber auch gegenwärtig noch tätig. Sie wirkt als Wachstums­kraft, als belebender Impuls im Hintergrunde des Men­schenlebens. Da wirkt sie mit ihrem größeren Anteile. Sie sondert nur einen kleinen Teil von sich ab, der als Tätig­keit in die Bewußtseinsseele eintritt. Da wirkt er als Erin­nerungskraft.

Man muß diese Erinnerungskraft im rechten Lichte se­hen. - Wenn der Mensch in der gegenwärtigen Epoche des kosmischen Werdens mit den Sinnen wahrnimmt, so ist dies Wahrnehmen ein augenblickliches Aufleuchten von Weltbildern im Bewußtsein. Das Aufleuchten kommt, wenn der Sinn auf die Außenwelt gerichtet ist; es durchhellt das Bewußtsein; es verschwindet, wenn der Sinn sich nicht mehr an die Außenwelt richtet. - Was da in der Menschen-seele aufleuchtet: es darf nicht Dauer haben. Denn brächte der Mensch es nicht rechtzeitig aus seinem Bewußtsein her­aus; er verlöre sich an den Bewußtseins-Inhalt. Er wäre nicht mehr er selbst. Nur kurze Zeit, in den sogenannten Nachbildern, die Goethe so sehr interessierten, darf im Be­wußtsein das «Leuchten» durch die Wahrnehmung leben. Es darf dieser Bewußtseins-Inhalt auch nicht zum Sein er­starren; er muß Bild bleiben. Er darf ebensowenig real wer­den, wie das Bild im Spiegel real werden kann.

An etwas, das sich als Realität im Bewußtsein auslebte,

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würde sich der Mensch ebenso verlieren wie an das, was durch sich selbst Dauer härte. Auch da könnte er nicht mehr er selbst sein.

So ist das sinnenfällige Wahrnehmen der Außenwelt ein innerliches Malen der Menschenseele. Ein Malen ohne Malsubstanz. Ein Malen im Geistwerden und Geistvergehen. Wie der Regenbogen in der Natur ersteht und dahingeht, ohne eine Spur zu hinterlassen, so ersteht die Wahrneh­mung und geht dahin, ohne daß sie Erinnerung durch ihr eigenes Wesen zurückläßt.

Aber gleichzeitig mit jeder Wahrnehmung verläuft zwi­schen der Menschenseele und der Außenwelt ein anderer Vorgang. Ein solcher, der im mehr zurückliegenden Teile des Seelenlebens liegt. Da, wo die Wachstums kräfte, wo die Lebens-Impulse wirken. In diesem Teile des Seelenlebens prägt sich beim Wahrnehmen nicht nur ein vorübergehen­des Bild, sondern ein dauerndes, reales Abbild ein. Das kann der Mensch ertragen, denn das hängt mit dem Sein des Menschen als Weltinhalt zusammen. Indem dies sich voll­zieht, kann er ebensowenig sich verlieren, wie er sich verliert, da er ohne sein volles Bewußtsein wächst, sich ernährt.

Wenn nun der Mensch seine Erinnerungen aus seinem Innern holt, dann ist das ein inneres Wahrnehmen dessen, was geblieben ist in dem zweiten Vorgang, der sich beim äußeren Wahrnehmen abspielt.

Wieder malt die Seele, jetzt aber das im eigenen mensch­lichen Innern lebende Vergangene. Wieder darf im Be­wußtsein bei diesem Malen kein dauerndes Reales, sondern nur ein erstehendes und vergehendes Bild sich formen.

So hängen in der Menschenseele wahrnehmendes Vor­stellen und Erinnern zusammen.

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Aber die Erinnerungskräfte haben das fortwährende Be­streben, mehr zu sein, als sie sein können, wenn der Mensch als selbstbewußtes Wesen sich nicht verlieren soll.

Denn die Erinnerungskräfte sind Reste der Vergangen­heit im Menschenwerden und kommen als solche in das Machtgebiet Luzifers. Dieser hat das Bestreben, im Men­schenwesen die Eindrücke der Außenwelt so zu verdichten, daß sie fortwährend als Vorstellen im Bewußtsein leuchten.

Dieses luziferische Bestreben würde von Erfolg gekrönt sein, wenn die Michael-Kraft ihm nicht entgegenwirkte. Sie läßt das im inneren Lichte Gemalte nicht zum Sein er­starren, sondern erhält es im erstehenden und vergehenden Bilde.

Die überschüssige Kraft, die da aber durch Luzifer heraufdrängt aus dem menschlichen Innern, sie wird im Mi­chael-Zeitalter umgewandelt werden in imaginierende Kraft. Denn allmählich wird in das allgemeine intellektu­elle Menschheitsbewußtsein die Kraft der Imagination ein­ziehen. - Damit aber wird der Mensch sein Gegenwarts­bewußtsein nicht mit dauerndem Realen belasten; das bleibt in erstehenden und vergehenden Bildern wirksam. Mit seinen Imaginationen aber ragt der Mensch in eine hö­here Geistwelt hinauf, wie er mit seinen Erinnerungen in seine eigene Menschenwesenheit hineinragt. Der Mensch behält die Imaginationen nicht in sich; sie sind in das k6s-mische Sein eingezeichnet; und aus diesem kann er sie im­mer wieder in dem Bild-Vorstellungsleben abmalen.

So wird, was Michael bewahrt vor dem Erstarren im Menschen-Innern, von der geistigen Welt aufgenommen. Was der Mensch von der Kraft des bewußten Imaginie­rens erlebt, das wird zugleich Welt-Inhalt. Daß dies so sein

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kann, ist ein Ergebnis des Mysteriums von Golgatha. Die Christuskraft prägt die Menschen-Imagination dem Kos­mos ein. Die Christuskraft, die mit der Erde verbunden ist. Solange sie nicht mit der Erde verbunden war, sondern von außen auf die Erde als Sonnenkraft wirkte, gingen alle Wachstums- und Lebens-Impulse in das Menschen-Innere. Der Mensch wurde durch sie aus dem Kosmos heraus ge­bildet und erhalten. Seit der Christus-Impuls mit der Erde lebt, wird der Mensch in seiner selbstbewußten Wesenheit dem Kosmos wieder zurückgegeben.

Der Mensch ist aus einem Weltenwesen ein Erdenwesen geworden; er ist dazu veranlagt, wieder ein Weltenwesen zu werden, nachdem er als Erdenwesen er selbst geworden ist.

In dieser Tatsache, daß der Mensch in seinem augenblick­lichen Vorstellen nicht im Sein, sondern nur in einer Spie­gelung des Seins, in einem Bild-Sein lebt, liegt die Mög­lichkeit der Entfaltung der Freiheit. Alles Sein im Bewußt-sein ist ein zwingendes.Allein das Bild kann nicht zwingen. Soll durch seinen Eindruck etwas geschehen, so muß es ganz unabhängig von ihm geschehen. - Der Mensch wird dadurch frei, daß er mit seiner Bewußtseinsseele aus dem Sein sich erhebt und in dem nicht-seienden Bildwesen auf­taucht.

Da entsteht die bedeutsame Frage: Verliert denn der Mensch das Sein nicht, indem er es mit einem Teile seines Wesens verläßt und sich in das Nicht-Sein stürzt?

Hier ist wieder einer der Punkte, wo man mit der Be­trachtung der Welt vor einem der großen Rätsel steht.

Was im Bewußtsein als Vorstellen erlebt wird, ist aus dem Kosmos heraus entstanden. Dem Kosmos gegenüber

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stürzt sich der Mensch in das Nicht-Sein. Er befreit sich im Vorstellen von allen Kräften des Kosmos. Er malt den Kos­mos, außerhalb dessen er ist.

Wäre es nur so, so leuchtete im Menschenwesen für einen kosmischen Augenblick die Freiheit auf; aber in demselben Augenblick löste sich auch die Menschenwesenheit auf. - Aber, indem im Vorstellen der Mensch frei wird vom Kos­mos, ist er doch in seinem nicht-bewußten Seelenleben an seine vorigen Erdenleben und Leben zwischen Tod und neuer Geburt angegliedert. Er ist als bewußter Mensch im Bild-Sein, und er hält sich mit seinem Unbewußten in der geistigen Realität. Während er im gegenwärtigen Ich die Frei­heit erlebt, hält ihn sein vergangenes Ich in dem Sein.

In bezug auf das Sein ist im Vorstellen der Mensch ganz dem hingegeben, das er durch die kosmische und irdische Vergangenheit hindurch geworden ist.

Es ist in der Menschen-Entwickelung hier auf den Abgrund des Nichts gedeutet, über den der Mensch springt, indem er ein freies Wesen wird. Michaels Wirken und der Christus-Impuls machen den Sprung möglich.

Goetheanum, Januar 1925.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehende Betrachtung über die Freiheit des Menschen und das Michael-Zeitalter)

Leitsätze Nr. 162 bis 164 (22. Februar 1924)

162. Im Vorstellen lebt der Mensch mit seiner Bewußtseinsseele nicht im Sein, sondern im Bild-Sein, im Nicht-Sein. Dadurch ist er vom Mit-Erleben mit dem Kosmos befreit. Bilder zwingen nicht. Nur das Sein zwingt. Richtet sich der Mensch doch nach Bildern, so ist das von den Bildern ganz unabhängig, das heißt in Freiheit von der Welt.

163. In dem Augenblicke eines solchen Vorstellens hängt der Mensch mit dem Sein der Welt nur durch das zusam­men, das er aus der Vergangenheit seiner früheren Erdenleben und seiner Leben zwischen Tod und Geburt gewor­den ist.

164. Diesen Sprung über das Nicht-Sein gegenüber dem Kosmos kann der Mensch nur durch die Tätigkeit Mi­chaels und den Christus-Impuls machen.

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WO IST DER MENSCH ALS DENKENDES UND SICH ERINNERNDES WESEN?

Mit dem Vorstellen (Denken) und dem Erleben von Erinnerungen befindet sich der Mensch innerhalb der physischen Welt. Aber, wo immer er den Blick in dieser physischen Welt hinrichtet: mit seinen Sinnen wird er nirgends etwas finden, das ihm die Kräfte zum Vorstellen und Erinnern geben könnte.

Im Vorstellen erscheint das Selbstbewußtsein. Dieses ist - im Sinne der vorangehenden Betrachtungen- ein Erwerb, den der Mensch von den Kräften des Irdischen hat. Aber diese irdischen Kräfte sind solche, die dem sinnlichen Anschauen verborgen bleiben. Der Mensch denkt zwar im Erdenleben nur das, was ihm seine Sinne vermitteln; aber die Kraft zum Denken gibt ihm nichts von alle dem, was er so denkt.

Wo findet man diese Kraft, die aus dem Irdischen heraus das Vorstellen (Denken) und die Erinnerungsbilder formt? Man findet sie, wenn man den Geistesblick auf das richtet, was sich der Mensch aus den vorigen Erdenleben mitbringt. Das gewöhnliche Bewußtsein kennt dieses nicht. Es lebt im Menschen zunächst unbewußt. Aber es erweist sich, indem der Mensch nach dem geistigen Sein die Erde betritt, sogleich als verwandt mit den irdischen Kräften, die nicht in den Bereich von Sinnesbeobachten und Sinnes- denken fallen.

Nicht mit dem Vorstellen (Denken) ist der Mensch in diesem Bereich, sondern mit dem Wollen, das sich im Sinne des Schicksals abspielt. Man kann in Anbetracht dessen, daß die Erde Kräfte ent-

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hält, die außerhalb des Sinnenbereiches fallen, von der «geistigen Erde» als Gegenpol der physischen sprechen. Dann ergibt sich, daß der Mensch als Willenswesen in und mit der «geistigen Erde» lebt, daß er aber als vorstehendes (denkendes) Wesen zwar innerhalb der physischen Erde ist, daß er aber als solches nicht mit ihr lebt.

Der Mensch als denkendes Wesen trägt aus der GeistWelt Kräfte in die physische; aber er bleibt mit diesen Kräften Geistwesen, das in der physischen Welt nur erscheint, aber keine Gemeinsamkeit mit ihr eingeht.

Eine Gemeinsamkeit geht der vorstehende (denkende) Mensch während des Erdendaseins nur mit der «geistigen Erde» ein. Und aus dieser Gemeinsamkeit erwächst ihm sein Selbstbewußtsein. - Dessen Entstehung ist also verdankt solchen Vorgängen, die sich im Erdenleben mit dem Menschen als geistige abspielen.

Umfaßt man mit der Geistesschau, was da beschrieben ist, so hat man das «menschliche Ich» vor dieser Schau.

Mit den Erinnerungs-Erlebnissen kommt man in das Gebiet des menschlichen Astraheibes. Im Erinnern strömen nicht bloß wie beim Vorstellen (Denken) die Ergebnisse voriger Erdenleben in das gegenwärtige Ich, sondern es strömen die Kräfte der Geist-Welt, die der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt erlebt, in sein Inneres ein. Dieses Einströmen geschieht in den Astralleib.

Nun gibt es innerhalb der physischen Erde auch für die unmittelbare Aufnahme der so einströmenden Kräfte kein Gebiet. Der Mensch kann als sich erinnerndes Wesen noch ebensowenig mit den Dingen und Vorgängen, die seine Sinne wahrnehmen, sich verbinden, wie er sich als vorstellendes Wesen mit diesen verbinden kann.

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Aber er geht Gemeinsamkeit ein mit dem, was zwar nicht physisch ist, was aber das Physische in Vorgänge, in Geschehnisse umsetzt. Es sind dies die rhythmischen Vorgänge in Natur- und Menschenleben. In der Natur wechseln rhythmisch Tag und Nacht, folgen rhythmisch Jahreszeiten und so weiter. Im Menschen erfolgt das Atmen und die Blutzirkulation im Rhythmus. Es geht so der Wechsel von Schlafen und Wachen vor sich und so weiter.

Rhythmische Vorgänge sind weder in derNatur,noch im Menschen etwas Physisches. Man könnte sie halbgeistig nennen. Das Physische als Ding verschwindet im rhythmischen Vorgang. Im Erinnern ist der Mensch mit seinem Wesen in seinen und in den Naturrhythmus versetzt. Er lebt in seinem Astralleib.

Indischer Yoga will ganz in dem Erleben des Rhythmus aufgehen. Er will das Gebiet des Vorstellens, des Ich verlassen und in einem inneren Erleben, das dem Erinnern ähnlich ist, in die Welt schauen, die hinter dem liegt, was das gewöhnliche Bewußtsein kennen kann.

Das westliche Geistesleben darf zum Erkennen das Ich nicht unterdrücken. Es muß das Ich an die Wahrnehmung des Geistigen heranbringen.

Es kann das nicht geschehen, wenn man von der sinnenfälligen in die rhythmische Welt so vordringt, daß man im Rhythmus nur das Halbgeistig-Werden des Physischen erlebt. Man muß vielmehr die Sphäre der Geistwelt finden, die im Rhythmus sich offenbart.

Zweierlei ist also möglich. Erstens : Erleben des Physischen im Rhythmischen, wie dieses Physische halbgeistig wird. Es ist dies ein älterer, heute nicht mehr zu betretender Weg. Zweitens: Erleben der Geist-Welt, die den Welten-

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rhythmus in und außerhalb des Menschen so zu ihrer Sphäre hat, wie der Mensch die Erdenwelt mit ihren physischen Wesen und Vorgängen.

Zu dieser Geist-Welt nun gehört alles, was im gegenwärtigen kosmischen Augenblicke durch Michael geschieht. Ein Geist wie Michael bringt dasjenige, was sonst im luziferischen Gebiet liegen würde, dadurch in das der rein menschlichen Entwickelung - die von Luzifer nicht beeinflußt ist -, daß er die rhythmische Welt zu seinem Wohnplatz erwählt.

Angeschaut kann das alles werden, indem der Mensch in die Imagination eintritt. Denn die Seele lebt mit der Imagination im Rhythmus; und Michaels Welt ist diejenige, die im Rhythmus sich offenbart.

Erinnerung, Gedächtnis steht schon in dieser Welt darinnen, aber noch nicht tief. Das gewöhnliche Bewußtsein erlebt davon nichts. Tritt man aber in die Imagination ein, dann taucht aus der Rhythmus-Weit zunächst die Welt der subjektiven Erinnerungen auf; diese geht aber sogleich über in die im Ätherischen lebenden von der göttlich-geistigen Welt geschaffenen Urbilder für die physische Welt. Den in kosmischen Bildern aufleuchtenden, das Weltenschaffen in sich bergenden Äther erlebt man. Und die in diesem Äther webenden Sonnenkräfte: die sind da nicht bloß strahlend, die zaubern Welten-Urbilder aus dem Lichte heraus. Die Sonne erscheint als der kosmische Weltenmaler. Sie ist das kosmische Gegenbild der Impulse, die im Menschen die Vorstellungs-(Denk-)Bilder malen.

Goetheanum, Januar 1925.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum aasgegeben werden (Mit Bezug auf die vorangehende Betrachtung: Wo ist der Mensch als denkendes und sich erinnerndes Wesen?)

Leitsätze Nr. 161 bis 167 (1. März 1925)

165. Der Mensch lebt zwar als denkendes Wesen in dem Bereich der physischen Erde; aber er geht mit dieser keine Gemeinsamkeit ein. Er lebt als Geist-Wesen so, daß er das Physische wahrnimmt; die Kräfte zum Denken empfängt er aber von der «geistigen Erde» auf demselben Wege, auf dem er das Schicksal im Ergebnis voriger Erdenleben erlebt.

166. Was in der Erinnerung (im Gedächtnisse) erlebt wird, das ist schon in der Welt, wo im Rhythmus das Physische halbgeistig wird und wo solche Geist-Vorgänge sich abspielen, wie diejenigen sind, die im gegenwärtigen kosmischen Augenblicke durch Michael geschehen.

167. Wer Denken und Erinnerung richtig kennen lernt, dem geht das Verständnis dafür auf, wie der Mensch als Erdenwesen zugleich innerhalb des Erdgebietes lebt, aber doch nicht völlig in dieses Gebiet mit seinem Wesen eintaucht, sondern als außerirdisches Wesen durch die Gemeinsamkeit mit der «geistigen Erde» sein Selbstbewußtsein, als die Vollendung des Ich sucht.

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DER MENSCH IN SEINER MAKROKOSMISCHEN WESENHEIT

Der Kosmos offenbart sich dem Menschen zunächst von Seite der Erde und von der Seite des Außerirdischen, der Sternenwelt.

Mit der Erde und ihren Kräften fühlt sich der Mensch verwandt. Das Leben belehrt ihn über diese Verwandtschaft mit großer Deutlichkeit.

Nicht so fühlt er sich im gegenwärtigen Zeitalter verwandt mit der Sternenumgebung. Aber dies dauert nur so lange, als er sich seines Ätherleibes nicht bewußt ist. Den Ätherleib in Imaginationen erfassen, heißt ein Zusammengehö­rigkeitsgefühl mit der Sternenwelt so entwickeln, wie man dies durch das Bewußtsein vom physischen Leibe von der Erde hat.

Die Kräfte, die den Ätherleib in die Welt hineinstellen, kommen aus dem Umkreis der Welt, wie die für den phy­sischen Leib aus dem Mittelpunkt der Erde strahlen.

Aber mit den Ätherkräften, die aus dem Umkreis des Kosmos auf die Erde einströmen, kommen auch diejeni­gen Weltimpulse, die im astralischen Leibe des Menschen wirken.

Der Äther ist wie ein Meer, in dem sich schwimmend aus den allseitigen Weltenfernen die Astralkräfte der Erde nähern. - Im gegenwärtigen kosmischen Zeitalter können aber nur das Mineral- und das Pflanzenreich in ein unmittelbares Verhältnis zu dem Astralen kommen, das auf den Wogen des Äthers auf die Erde hereinströmt. Nicht das Tierreich und nicht das Menschenreich.

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Beim Tierreich zeigt das geistige Schauen, wie im Em­bryonalen nicht das gegenwärtig auf die Erde einströmende Astrale lebt, sondern dasjenige, das noch zur alten Mondenzeit eingeströmt ist.

Bei dem Pflanzenreich schaut man, wie die mannigfalti­gen wunderbaren Formen gebildet werden, indem aus dem Äther das Astrale sich löst und über die Pflanzenwelt hin wirkt.

Bei der Tierwelt schaut man, wie aus dem Geistigen her­aus das vorzeitlich - während der Mondenentwickelung - wirksame Astrale aufbewahrt worden ist und als solches Aufbewahrtes wirkt, das gegenwärtig in der Geistwelt ver­bleibt und nicht in die Ätherwelt heraustritt.

Die Wirksamkeit dieses Astralen wird auch durch die Mondenkräfte vermittelt, die ja ebenfalls aus dem vorigen Erdenstadium verblieben sind.

Man hat also im Tierreich das Ergebnis von Impulsen, die im vorigen Erdenstadium sich äußerlich-naturhaft offenbarten, während sie im gegenwärtiger kosmischen Zeitalter sich in die Geistwelt zurückgezogen haben, die wirksam die Erde durchströmt.

Nun zeigt sich dem geistigen Schauen, daß innerhalb des Tierreiches für die Durchdringung des physischen und des Ätherleibes mit dem Astralleib lediglich die im gegenwär­tigen Irdischen aus der Vorzeit bewahrten Astralkräfte be­deutsam sind. Hat aber das Tier einmal seinen Astralleib, dann treten in demselben die Sonnen-Impulse wirksam auf. Die Sonnenkräfte können dem Tiere nichts von Astrali­schem geben; wohl aber müssen sie, wenn dieses einmal im Tiere ist, für Wachstum, Ernährung und so weiter ein­treten.

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Anders ist dies Rät das Menschenreich. Auch dieses er­hält zunächst sein Astrales von den bewahrten Mondenkräften. Aber die Sonnenkräfte enthalten Astralimpulse, die für das Tierreich unwirksam bleiben, die aber im menschlichen Astralen so fortwirken, wie die Mondenkräfte beim ersten Durchdringen des Menschen mit Astra­lität gewirkt haben.

Im tierischen Astralleib schaut man die Mondenwelt; im menschlichen den harmonischen Zusammerklang von Son­nen- und Mondenwelt.

Auf diesem Sonnenhaften im menschlichen Astralleib beruht es, daß der Mensch das im Irdischen ausstrahlende Geistige zur Heranbildung des Selbstbewußtseins aufneh­men kann. Das Astralische strömt aus dem Umkreis des Weltenalls. Es wirkt entweder als solches, das gegenwärtig einströmt, oder als solches, das in der Vorzeit eingeströmt und bewahrt worden ist. - Alles aber, was sich auf Gestal­tung des Ich als Träger des Selbstbewußtseins bezieht, muß von einem Sternmittelpunkt ausstrahlen. Das Astrali­sche wirkt aus dem Umkreis, das Ich-mäßige aus einem Mittelpunkt. Die Erde als Stern impulsiert von ihrem Mittelpunkte aus das menschliche Ich. Jeder Stern strahlt von seinem Mittelpunkte aus Kräfte, von denen das Ich irgendeiner Wesenheit gestaltet ist.

So stellt sich die Polarität von Sternmittelpunkt und kos­mischem Umkreis dar.

Man sieht aus dieser Darstellung zugleich, wie das Tier­reich als ein Ergebnis früherer Entwickelungskräfte des Er­denwesens heute noch dasteht, wie es die bewahrten Astral­kräfte verbraucht, wie es aber verschwinden muß, wenn diese verbraucht sind. Beim Menschen werden dagegen

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vom Sonnenhaften aus neue Astralkräfte erworben. Diese machen es ihm möglich, seine Entwickelung in die Zukunft zu tragen.

Man kann, wie man aus alle dem ersieht, den Menschen in seiner Wesenheit nicht verstehen, wenn man sich seines Zusammenhangs mit dem Sternensein nicht ebenso be­wußt wird wie desjenigen mit der Erde.

Und was der Mensch von der Erde für die Entfaltung seines Selbstbewußtseins empfängt, rührt ja auch von der innerhalb des Irdischen wirksamen Geist-Welt her. - Daß das Sonnenhafte dem Menschen gibt, was er für sein Astra­lisches braucht, das rührt von den Wirkungen her, die sich während der alten Sonnenzeit abgespielt haben. Da hat die Erde die Fähigkeit empfangen, die Ich-Impulse der Mensch­heit zu entfalten. Es ist das Geistige aus dieser Zeit, das sich die Erde aus dem Sonnenhaften bewahrt hat, das aber durch die gegenwärtige Sonnenwirkung vor dem Erster­ben bewahrt wird.

Die Erde war einst selbst Sonne. Da hat sie sich vergei­stigt. Im gegenwärtigen kosmischen Zeitalter wirkt das Sonnenhafte von außen. Dieses vejüngt fortdauernd das alt werdende, aus der Vorzeit stammende Geistige. Zu­gleich bewahrt dieses gegenwärtig wirkende Sonnenhafte das Vorzeitliche vor dem Hineinfallen in das Luziferische. Denn was, ohne in die Kräfte der Gegenwart aufgenom­men zu werden, fortwirkt, verfällt dem Luziferischen.

Man kann sagen, des Menschen Zusammengehörigkeits­gefühl mit dem außerirdischen Kosmos sei in dieser kosmi­schen Epoche so abgedämpft, daß er es nicht innerhalb sei­nes Bewußtseins bemerkt. Und es ist nicht nur abgedämpft, es wird übertönt von dem Zusammengehörigkeitsgefühl

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mit dem Irdischen. Weil der Mensch sein Selbstbewußtsein im Irdischen finden muß, wächst er mit diesem während des Anfangs des Bewußtseinsseelen-Zeitalters so zusammen, daß es viel stärker auf ihn wirkt, als dies mit dem rechten Verlauf seines Seelenlebens vereinbar ist. - Der Mensch ist gewissermaßenvon den Eindrücken der Sinnenwelt betäubt. Er kommt innerhalb dieser Betäubung mit dem freien, in sich selbst lebenden Denken nicht auf.

Die ganze Zeitepoche von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts an war eine solche der Betäubung durch die Sinneseindrücke. Das ist die große Illusion dieser Zeitepo­che, daß man in ihr das zu starke Sinnesleben für das rechte genommen hat. Jenes Sinnesleben, das das Leben im außerirdischen Kosmos ganz auszulöschen bestrebt war.

In diese Betäubung hinein konnten die ahrimanischen Mächte ihr Wesen entfalten. Luzifer war durch das Son­nenhafte mehr zurückgewiesen als Ahriman, der in der La­ge war, die gefährliche Empfindung gerade in den wissen­schaftlichen Menschen hervorzurufen, daß die Ideen nur auf die Sinnes-Eindrücke anwendbar seien. So kann gerade in diesen Kreisen Anthroposophie wenig Verständnis fin­den. Man steht den Ergebnissen der Geist-Erkenntnis ge­genüber. Man sucht sie mit den Ideen zu verstehen. Doch diese Ideen fassen das Geistige nicht, weil ihr Erleben von der ahrimanisierten Sinnes-Erkenntnis übertäubt ist. Und so kommt man in die Furcht hinein, man verfalle blindem Autoritätsglauben, wenn man sich auf die Ergebnisse des geistig Schauenden einläßt.

Immer finsterer wurde in der zweiten Hälfte des neun­zehnten Jahrhunderts für das menschliche Bewußtsein der außerirdische Kosmos.

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Wenn der Mensch in sich die Ideen zu erleben wieder fähig wird, auch dann, wenn er sich mit ihnen nicht an die Sinneswelt anlehnt, dann wird dem Blick in den außer­irdischen Kosmos wieder Helligkeit entgegenströmen. Das aber heißt Michael in seinem Reiche kennenlernen.

Wenn einmal das Michael-Fest im Herbste wahr und in­nig sein wird, dann wird in der Empfindung der das Fest begehenden Menschen mit innerster Ehrlichkeit sich das Leitmotiv loslösen und im Bewußtsein leben: Ideen-erfüllt erlebt die Seele Geistes-Licht, wenn der Sinnenschein nur wie Er­innerung in dem Menschen nachklingt.

Wenn der Mensch solches wird empfinden können, dann wird er nach der Festes-Stimmung auch wieder richtig in die Sinneswelt untertauchen können. Und Ahriman wird ihm nicht schaden können.

Goetheanum, Januar 1925.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaftvom Goetheanum ausgegeben werden (Mit Bezug auf die vorangehende Betrachtung: Der Mensch in seiner makrokosmischen Wesenheit)

Leitsätze Nr. 168 bis 170 (8. März 1925)

168. Im Beginne des Bewußtseinszeitalters trat eine Abdämpfung des Zusammengehörigkeitsgefühles des Menschen mit dem außerirdischen Kosmos auf. Im Gegensatz hierzu wurde das Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Irdischen im Erleben der Sinneseindrücke gerade bei den wissenschaftlichen Menschen so stark, daß es eine Betäu­bung darstellt.

169. Innerhalb dieser Betäubung wirken die ahrimanischen Mächte besonders gefährlich, weil der Mensch in der Illu­sion lebt, das zu starke, betäubende Erleben der Sinnes-Eindrücke sei das Rechte und ein wahrer Fortschritt in der Entwickelung.

170. Der Mensch muß die Kraft finden, seine Ideenwelt zu durchleuchten und durchleuchtet zu erleben, auch wenn er sich mit ihr nicht an die betäubende Sinneswelt anlehnt. An diesem Erleben der selbständigen, in ihrer Selbständigkeit durchleuchteten Ideenwelt wird das Zusammengehörig­keitsgefühl mit dem außerirdischen Kosmos erwachen. Die Grundlage für Michael-Feste wird daraus erstehen.

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DES MENSCHEN SINNES- UND DENK-ORGANISATION IM VERHÄLTNIS ZUR WELT

Wenn der Mensch, das eigene Menschenwesen betrach­tend, zunächst das imaginative Erkennen auf sich anwen­det, so streift er in der Anschauung sein Sinnessystem ab. Er wird für seine Selbstanschauung ein Wesen ohne dieses System. Er hört nicht auf, Bilder vor seiner Seele zu haben, die vorher von den Sinnesorganen getragen waren; aber er hört auf, sich durch diese Organe mit der physischen Außenwelt verbunden zu fühlen. Die Bilder, die er von der physischen Außenwelt vor der Seele hat, sind jetzt nicht von den Sinne sorganen getragen: sie sind für die unmittel­bare Anschauung ein Beweis dafür, daß der Mensch durch die Sinnesverbindung hindurch mit der natürlichen Um­welt noch in einer andern Verbindung steht, die nicht von den Sinnen getragen ist. Es ist die Verbindung mit dem Geiste, der in der natürlichen Außenwelt verkörpert ist.

In solcher Anschauung fällt also die physische Welt von dem Menschen ab. Es ist das Irdische, das abfällt. Der Mensch fühlt dieses Irdische nicht mehr an sich.

Man könnte glauben, daß ihm damit das Selbstbewußt­sein schwindet. Das scheint aus den bisherigen Betrachtun­gen zu folgen, die das Selbstbewußtsein als ein Ergebnis des Zusammenhanges des Menschen mit der Erden-Wesen­heit aufgezeigt haben. Es ist aber nicht so. Was der Mensch durch das Irdische erworben hat, das bleibt ihm, auch wenn er nach der Erwerbung im erlebenden Erkennen das Irdische von sich abstreift.

Durch die geschilderte geistig-imaginative Anschauung

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zeigt sich, daß der Mensch im Grunde sein Sinnessystem gar nicht intensiv mit sich verbunden hat. Es lebt eigent­lich nicht er in diesem Sinnessystem, sondern die Umwelt. Diese hat sich mit ihrem Wesen in die Sinnesorganisation hineingebaut.

Und der imaginativ-schauende Mensch betrachtet des­halb auch die Sinnesorganisation als ein Stück Außenwelt. Ein Stück Außenwelt, das ihm allerdings nähersteht als die natürliche Umwelt, das aber doch Außenwelt ist. Es unter­scheidet sich von der übrigen Außenwelt nur dadurch, daß der Mensch in diese nicht anders als durch die Sinneswahr­nehmung erkennend untertauchen kann. In seine Sinnesorganisation taucht er aber erlebend unter. Die Sinnesorga­nisation ist Außenwelt, aber der Mensch streckt in diese Außenwelt sein geistig-seelisches Wesen hinein, das er beim Betreten des Erdendaseins aus der Geist-Welt mitbringt.

Mit Ausnahme der Tatsache, daß der Mensch seine Sin­nesorganisation mit seinem geistig-seelischen Wesen er­füllt, ist diese Organisation Außenwelt, wie es die um ihn sich ausbreitende Pflanzenwelt ist. Das Auge gehört letzten Endes der Welt, nicht dem Menschen, wie die Rose, die der Mensch wahrnimmt, nicht ihm, sondern der Welt ge­hört.

In dem Zeitalter, das der Mensch in der kosmischen Ent­wickelung eben durchgemacht hat, traten Erkennende auf, die da sagten: Farbe, Ton, Wärme-Eindrücke seien eigent­lich nicht in der Welt, sondern im Menschen. Die «rote Farbe», so sagen sie, sei nichts da draußen in der mensch­lichen Weltumgebung, sondern nur die Wirkung von et­was Unbekanntem auf den Menschen. - Aber die Wahrheit ist das gerade Gegenteil von dieser Anschauung. Nicht die

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Farbe gehört mit dem Auge dem Menschenwesen an, son­dern das Auge gehört mit der Farbe der Welt an. Der Mensch läßt während seines Erdenlebens nicht die irdische Umgebung in sich hereinströmen, sondern er wächst zwi­schen Geburt und Tod in diese Außenwelt hinaus.

Es ist bedeutsam, daß sich am Ende des finsteren Zeitalters, in dem der Mensch in die Welt starrt, ohne das Licht des Geistes auch nur ahnend zu erleben, die wahre Ansicht von dem Verhältnis des Menschen zur Umwelt geradezu in das Gegenbild des Wahren verkehrt.

Hat der imaginativ Erkennende diejenige Umwelt abge­streift, in der er mit seiner Sinnesorganisation lebt, so tritt in das Erleben eine Organisation ein, von der das Denken so getragen ist wie das sinnliche Bild-Wahrnehmen durch die Sinnesorganisation.

Und jetzt weiß sich der Mensch durch diese Denk-Orga­nisation mit der kosmischen Sternen-Umgebung so in Zu­sammenhang, wie er sich vorher durch die Sinnes-Organi­sation mit der Erden-Umgebung in Zusammenhang ge­wußt hat. Er erkennt sich als kosmisches Wesen. Die Ge­danken sind nicht mehr Schattenbilder; sie sind von Wirk­lichkeit durchtränkt wie die Sinnesbilder in der sinnlichen Wahrnehmung.

Steigt nun der Erkennende zur Inspiration auf, so wird er gewahr, daß er diese Welt, die sich auf die Denkorgani­sation stützt, ebenso abstreifen kann wie die irdische. Er durchschaut, wie er auch mit dieser Denkorganisation nicht dem eigenen Wesen, sondern der Welt angehört. Er durchschaut, wie die Weltgedanken durch seine eigene Denk-Organisation in ihm walten. Er wird wieder gewahr, wie er denkt, indem er nicht Abbilder der Welt in sich hereinnimmt,

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sondern wie er mit der Denkorganisation in das Weltdenken hinauswächst.

Sowohl in bezug auf die Sinnesorganisation wie auf das Denksystem ist der Mensch Welt. Die Welt baut sich in ihn hinein. Dadurch ist er im Sinneswahrnehmen und im Den­ken nicht er selbst, sondern er ist da Welt-Inhalt.

In die Denkorganisation streckt nun der Mensch das Gei­stig-Seelische seines Wesens hinein, das weder der Erden- noch der Sternen-Welt angehört, das ganz geistiger Art ist und von Erdenleben zu Erdenleben in dem Menschen west. Dieses Geistig-Seelische ist nur der Inspiration zu­gänglich.

So tritt der Mensch aus seiner irdisch-kosmischen Orga­nisation heraus, um durch seine Inspiration als rein geistig­seelisches Wesen vor sich zu stehen.

In dieser rein geistig-seelischen Wesenheit trifft der Mensch auf das Walten seines Schicksals auf.

Mit der Sinnes-Organisation lebt der Mensch in seinem physischen Leib, mit der Denk-Organisation in seinem äthe­rischen Leib. Nach Abstreifung beider Organisationen durch das erlebende Erkennen ist er in seinem astralischen Leib.

Jedesmal, wenn der Mensch von seinem angenommenen Wesen etwas abstreift, wird zwar auf der einen Seite sein Seelen-Inhalt ärmer; aber er wird auf der andern Seite zu­gleich reicher. Hat der Mensch nach der Abstreifung des physischen Leibes die Schönheit der sinnenfälligen Pflan­zenwelt nur noch abgeblaßt vor sich, so tritt dafür vor seine Seele die ganze Welt der Elementarwesen, die in dem Pflanzenreiche leben.

Weil es so ist, herrscht aber bei dem wirklich geistig Erkennenden

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nicht eine asketische Stimmung gegenüber dem, was die Sinne wahrnehmen. Im geistigen Erleben bleibt ihm voll-lebendig das Bedürfnis, das Geistig-Erlebte auch wie­der durch die Sinne wahrzunehmen. Und wie bei dem Vollmenschen, der nach Erleben der ganzen Wirklichkeit strebt, die Sinneswahinehmung die Sehnsucht nach dem Gegen­pol, nach der Welt der Elementarwesen weckt, so weckt das Anschauen der Elementarwesen wieder die Sehnsucht nach dem Inhalt der Sinneswahrnehmung.

Im Gesamt-Menschenleben verlangt der Geist nach dem Sinne, und der Sinn nach dem Geiste. - Im geistigen Da­sein wäre Leerheit, wenn nicht als Erinnerung die Erleb­nisse des Sinnen-Erlebens darinnen wären; im Sinnes-Er­leben wäre Finsternis, wenn nicht leuchtend, obwohl zu­nächst unterbewußt, die Kraft des Geistigen hereinwirkte.

Es wird daher, wenn sich der Mensch reif gemacht haben wird, die Betätigung des Michael mitzuerleben, nicht etwa ein Verarmen der Seelen an Natur-Erlebnissen eintre­ten, sondern im Gegenteil eine Bereicherung. Und auch das Gefühlsleben wird nicht dazu neigen, sich von dem Sinnes-Erleben abzuziehen, sondern es wird freudige Neigung da sein, um die Wunder der Sinnen-Welt voll in die Seele auf­zunehmen.

Goetheanum, Februar 1925.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorhergehende Betrachtung: Des Menschen Sinnes- und Denkorganisation im Verhältnis zur Welt)

Leitsätze Nr. 171 bis 173 (15. März 1925)

171. Die menschliche Sinnesorganisation gehört nicht der Menschen-Wesenheit an, sondern ist von der Umwelt wäh­rend des Erdenlebens in diese hineingebaut. Das wahrneh­mende Auge ist räumlich im Menschen, wesenhaft ist es in der Welt. Und der Mensch streckt sein geistig-seelisches Wesen in dasjenige hinein, was die Welt durch seine Sinne in ihm erlebt. Der Mensch nimmt die physische Umgebung während seines Erdenlebens nicht in sich auf, sondern er wächst mit seinem geistig-seelischen Wesen in diese Um­gebung hinein.

172. Ähnlich ist es mit der Denk-Organisation. Der Mensch wächst durch sie in das Sternendasein hinein. Er erkennt sich selbst als Sternenwelt. In den Weitgedanken webt und lebt der Mensch, wenn er im erlebenden Erkennen die Sin­nes-Organisation abgestreift hat.

173. Nach Abstreifung von beidem, der Erdenwelt und der Sternenwelt, steht der Mensch als geistig-seelisches Wesen vor sich. Da ist er dann nicht mehr Welt, da ist er im wah­ren Sinne Mensch. Und gewahr werden, was er da erlebt, heißt Sich-Erkennen, wie Gewahr-Werden in der Sinnes- und Denkorganisation Welt-Erkennen heißt.

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GEDÄCHTNIS UND GEWISSEN

In dem schlafenden Zustande ist der Mensch an den Kos­mos hingegeben. Er trägt dem Kosmos entgegen, was er beim Heruntersteigen aus der geistig-seelischen Welt in die irdische als Ergebnis voriger Erdenleben hat. Er entzieht diesen Inhalt seines Menschenwesens dem Kosmos wäh­rend des Wachens.

In diesem Rhythmus: Hingabe an den Kosmos und Sich-dem-Kosmos-Entziehen verläuft das Leben zwischen Ge­burt und Tod.

Das Entziehen gegenüber dem Kosmos ist zugleich ein Aufnehmen des geistig-seelischen Menschen durch die Sin­nes-Nervenorganisation. Was in dieser als physische und Lebensvorgänge sich abspielt, mit dem vereinigt sich im Wachen das Geistig-Seelische des Menschen zu einer ein­heitlichen Wirkungsweise. In dieser Wirkungsweise ist Sinneswahmehmung, Formung der Erinnerungsbilder, Phantasie-Leben enthalten. Diese Betätigungen sind an den physischen Leib gebunden. Die Vorstellungen, das Denk-Erleben, in denen dem Menschen bewußt wird, was halbbe­wußt in Wahrnehmung, Phantasie, Erinnerung sich ab­spielt, sind an die Denkorganisation gebunden.

In dieser eigentlichen Denkorganisation liegt auch das Gebiet, durch das der Mensch sein Selbstbewußtsein er­lebt. Die Denkorganisation ist eine Sternen-Organisation. Lebte sie sich einzig als solche aus, dann trüge der Mensch in sich nicht ein Selbstbewußtsein, sondern ein Götterbe­wußtsein. Aber die Denkorganisation ist Sternen-Organi­sation, herausgehoben aus dem Sternen-Kosmos und ver­setzt in das irdische Geschehen. Indem der Mensch die

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Sternenwelt im Irdischen erlebt, wird er ein selbstbewußtes Wesen.

Da hat man also das Gebiet des inneren Menschenle­bens vor sich, in dem die göttlich-geistige Welt, die mit dem Menschen verbunden ist, ihn entläßt, damit er in vol­lem Sinne Mensch werden kann.

Aber gleich unterhalb der Denkorganisation, da wo Sin­neswahrnehmung, Phantasie, Erinnerungsbildung sichvoll­ziehen, lebt die göttlich-geistige Welt im Menschenleben mit. Man kann sagen, in der Gedächtnis-Entfaltung lebt das Göttlich-Geistige in dem wachenden Zustande des Men­schen. Denn die beiden anderen Betätigungen, Sinneswahr­nehmung und Phantasie, sind nur Modifikationen der Formung der Erinnerungsbilder. In der Sinneswahmeh­mung ist die Bildung des Erinnerungsinhaltes in seiner Ent­stehung; in dem Inhalte der Phantasie leuchtet in der Seele auf, was sich von diesem Inhalte im Seelen-Dasein erhält.

Der Schlafzustand trägt das Geistig-Seelische des Men­schen in das Kosmische hinüber. Er ist da mit der Betäti­gung seines Astralleibes und seines Ich in den göttlich-gei­stigen Kosmos eingetaucht. Er ist nicht nur außerhalb der physischen, sondern auch außerhalb der Sternenwelt. Aber er ist innerhalb der göttlich-geistigen Wesen, durch die sein Dasein den Ursprung hat.

In dem gegenwärtigen Zeitpunkt der kosmischen Ent­wickelung wirken diese göttlich-geistigen Wesen so, daß sie den moralischen Weltinhalt während des Schlafzustandes in Astralleib und Ich einprägen. Alles Weltgeschehen im schlafenden Menschen ist reales moralisches Geschehen, kein Geschehen, das der Naturwirkung auch nur ähnlich genannt werden könnte.

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Dieses Geschehen in seiner Nachwirkung trägt der Mensch aus dem schlafenden in den Wachzustand herüber. Diese Nachwirkung bleibt im schlafenden Zustande. Denn der Mensch wacht nur in dem Leben, das dem Denkgebiete zu­geneigt ist. Was in seiner Willenssphäre eigentlich vorgeht, das ist auch während des Wachens in solche Dumpfheit ge­hüllt wie während des Schlafens das ganze Seelenleben. Aber in diesem schlafenden Willensleben webt das Göttlich-Gei­stige im wachenden Zustande weiter. Der Mensch ist mo­ralisch so gut oder so schlecht, als er es sein kann, je nach der Nähe, in die er schlafend zu den göttlich-geistigen We­sen kommen kann. Und er kommt näher oder bleibt ferner, je nachdem seine früheren Erdenleben in moralischer Rich­tung waren.

Aus den Tiefen des wachenden Seelenwesens tönt her­auf, was sich während des Schlafens in Gemeinschaft mit der göttlich-geistigen Welt in dieses Seelenwesen hat ein­pflanzen können. Was heraufklingt, ist die 5timme des Gewis­sens.

So zeigt sich, wie dasjenige, was eine materialistische Weltansicht am meisten geneigt ist, bloß nach der Naturseite hin zu erklären, für die Geist-Erkenntnis auf der mo­ralischen Seite gelegen ist.

Im Gedächtnis wirkt im wachenden Menschen unmittel­bar das göttlich-geistige Wesen; im Gewissen wirkt im wa­chenden Menschen mittelbar - als Nachwirkung - dieses göttlich-geistige Wesen.

Gedächtnisbildung spielt sich in der Nerven-Sinnesorga­nisation ab; Gewissensbildung spielt sich als rein seelisch-geistiger Vorgang ab, aber in der Stoffwechsel-Gliedma­ßenorganisation.

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Zwischen beiden liegt die rhythmische Organisation. Diese ist nach zwei Seiten hin polarisch in ihrer Wirksam­keit ausgebildet. Sie ist als Atmungsrhythmus in inniger Beziehung zur Sinneswahrnehmung und zum Denken. In dem Lungen-Atmen ist der Vorgang am gröbsten; er verfei­nert sich und wird als verfeinertes Atmen sinnliches Wahr­nehmen und Denken. Was noch dem Atmen ganz nahesteht, aber ein Atmen durch die Sinnes-Organe, nicht durch die Lungen ist, das ist das sinnliche Wahrnehmen. Was dem Lungen-Atmen schon ferner ist und durch die Denk-Organisation gestützt wird, das ist Vorstellen, Denken; und was schon nach dem Rhythmus der Blutzirkulation hin­übergrenzt, schon ein innerliches Atmen ist, das mit der Gliedmaßen-Stoffwechselorganisation sich verbindet, das offenbart sich in der Phantasie-Tätigkeit.

Diese reicht dann seelisch in die Willenssphäre, wie der Zirkulationsrhythmus in die Stoffwechsel-Gliedmaßen-­Organisation reicht.

In der Phantasiebetätigung strebt die Denkorganisation an die Willensorganisation nahe heran. Es ist ein Untertau­chen des Menschen in seine wachende Schlafsphäre des Willens. Es erscheinen daher bei Menschen, die in dieser Art organisiert sind, die Seelen-Inhalte wie Träume im Wachzustande. In Goethe lebte eine solche Menschen-Or­ganisation. Daher spricht er davon, daß ihm Schiller seine dichterischen Träume deuten müsse.

In Schiller selbst war die andere Organisation wirksam. Er lebte aus dem heraus, was er sich aus den vorigen Er­denleben mitbrachte. Er mußte zu einem starken Wollen den Phantasie-Inhalt suchen.

Auf Menschen, die nach der Phantasiesphäre hin veran­lagt

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sind, so daß sich ihnen wie von selbst die Anschauung der sinnlichen Wirklichkeit in Phantasiebilder wandelt, zählt bei ihren Weltenabsichten die ahrimanische Macht. Sie meint, mit Hilfe solcher Menschen die Entwickelung der Menschheit von der Vergangenheit ganz abschneiden zu können, um sie in eine Richtung zu bringen, die sie will.

Auf Menschen, die nach der Willenssphäre hin organi­siert sind, die aber die sinnliche Anschauung in Phantasiebilder aus innerer Liebe zur idealen Weltanschauung kräf­tig gestalten, zählt die luziferische Macht. Sie möchte die Menschheitsentwickelung durch solche Menschen ganz in den Impulsen der Vergangenheit erhalten. Sie könnte dann die Menschheit vor dem Untertauchen in die Sphäre be­wahren, in der die ahrimanische Macht überwunden wer­den muß.

Man steht im Erdendasein in zwei polarischen Gegen­sätzen. Oben breiten sich die Sterne. Von da strahlen die Kräfte, die mit allem errechenbaren Regelmäßigen im Er­dendasein zusammenhängen. Regelmäßiger Tag- und Nachtwechsel, Jahreszeiten, längere Weltperioden, sie sind die irdische Spiegelung dessen, was Sternen-Geschehen ist.

Der andere Pol strahlt vom Innern der Erde her. Unre­gelmäßiges lebt in ihm. Wind und Wetter, Donner und Blitz, Erdbeben, Vulkanausbrüche spiegeln dieses innere Erden-Geschehen.

Der Mensch ist ein Abbild dieses Sternen-Erdeseins. In seiner Denkorganisation lebt die Sternen-Ordnung, in sei­ner Gliedmaßen-Willensorganisation lebt das Erden-Chaos. In der rhythmischen Organisation wird in freiem Ausgleich das irdische Menschenwesen erlebt.

Goetheanum, Februar 1925.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanurn ausgegeben werden

(Mit Rücksicht auf die vorhergehende Betrachtung über Gedächtnis und Gewissen)

Leitsätze Nr. 174 bis 176 (22. März 1925)

174. Der Mensch ist von zwei Seiten her geistig4eiblich or­ganisiert. Erstens aus dem physisch-ätherischen Kosmos. Was in diese Organisation von göttlich-geistiger Wesenheit in die Menschenwesenheit hineinstrahlt, das lebt in dieser als Kraft der Sinneswahrnehmung, der Gedächtnisfähigkeit und der Phantasiebetätigung.

175. Zweitens ist der Mensch organisiert aus seinen voran­gegangenen Erdenleben heraus. Diese Organisation ist ganz geistig-seelisch und lebt im Menschen durch Astralleib und Ich. Was sich an göttlich-geistigen Wesenheiten in diese Menschenwesenheit hineinlebt, dessen Wirkung leuch­tet als Gewissensstimme und alles, was damit verwandt ist, im Menschen auf.

176. In seiner rhythmischen Organisation hat der Mensch die fortdauernde Verbindung der beiden Seiten göttlich-geistiger Impulse. Im Erleben des Rhythmus wird die Ge­dächmiskraft in das Willenssein und die Gewissensmacht in das Ideensein getragen.

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DAS SCHEINBARE ERLÖSCHEN DER GEIST-ERKENNTNIS IN DER NEUZEIT

Wer die Anthroposophie in ihrem Verhältnis zur Entwickelung der Bewußtseinsseele richtig beurteilen will, der muß immer von neuem den Blick auf diejenige Geistesverfas­sung der Kulturmenschheit lenken, die mit dem Aufblü­hen der Naturwissenschaften beginnt und die im neunzehn­ten Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht.

Man stelle sich doch den Charakter dieses Zeitalters vor das Seelenauge hin und vergleiche ihn mit dem früherer Zeitalter. In aller Zeit der bewußten Menschheitsentwicke­lung war die Erkenntnis als das angesehen, was den Men­schen mit der Geistwelt zusammenbringt. Was man im Verhältnis zum Geiste war, das schrieb man der Erkennt­nis zu. In Kunst, in Religion lebte die Erkenntnis.

Das wurde anders, als die Morgendämmerung des Be­wußtseinszeitalters begann. Da fing die Erkenntnis an, sich um einen großen Teil des menschlichen Seelenlebens nicht mehr zu kümmern. Sie wollte erforschen, was der Mensch als Verhältnis zum Dasein entwickelt, wenn er seine Sinne und seinen beurteilenden Verstand nach der «Natur» rich­tet. Aber sie wollte sich nicht mehr mit dem beschäftigen, was der Mensch als Verhältnis zur Geist-Welt entwickelt, wenn er sein inneres Wahrnehmungsvermögen so ge­braucht wie die Sinne.

So entstand die Notwendigkeit, das geistige Leben des Menschen nicht an das Erkennen der Gegenwart anzu­schließen, sondern an Erkenntnisse der Vergangenheit, an Traditionen.

Entzwei gespalten wurde das menschliche Seelenleben.

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Vor dem Menschen stand die Natur-Erkenntnis, immer weiter strebend auf der einen Seite, in lebendiger Gegen­wart sich entfaltend. Auf der andern Seite war das Erleben eines Verhältnisses zur geistigen Welt, für das die ent­sprechende Erkenntnis in älteren Zeiten erflossen war. Für dieses Erleben verlor sich allmählich alles Verständnis, wie die entsprechende Erkenntnis in der Vorzeit zustande ge­kommen ist. Man hatte die Überlieferung, aber nicht mehr den Weg, auf dem die überlieferten Wahrheiten erkannt worden sind. Man konnte nur an die Überlieferung glauben.

Der Mensch, der sich in voller Besonnenheit etwa um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts die geistige Situation überlegte, hätte sich sagen müssen: Die Menschheit ist dazu gekommen, sich nur noch für fähig zu halten, eine Erkennt­nis zu entfalten, die mit dem Geiste nichts zu tun hat. Was über den Geist gewußt werden kann, hat eine frühere Menschheit erforschen können; die Fähigkeit zu dieser Er­forschung ist aber der menschlichen Seele verlorengegan­gen.

In der ganzen Tragweite stellte man sich nicht vor das Seelenauge, was da eigentlich vorlag. - Man beschrän4e sich darauf, zu sagen: Erkenntnis reicht eben nicht bis zur geistigen Welt; diese kann nur Gegenstand des Glaubens sein.

Man blicke, um etwas Licht für diese Tatsache zu bekom­men, in die Zeiten, in denen die griechische Weisheit vor dem christlich gewordenen Römertum zurückweichen mußte. Als die letzten griechischen Philosophenschulen durch den Kaiser Justinian geschlossen wurden, wander­ten auch die letzten Bewahrer alten Wissens aus dem Ge­biete fort, auf dem nun das europäische Geisteswesen sich

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entwickelte. Sie fanden Anschluß bei der Akademie von Gondischapur in Asien. Sie war eine der Stätten, wo im Osten durch die Taten Alexanders die Überlieferung von dem alten Wissen sich erhalten hatte. In der Form, die Ari­stoteles diesem alten Wissen hat geben können, lebte es da.

Aber es wurde ergriffen von derjenigen orientalischen Strömung, die man als Arabismus bezeichnen kann. Der Arabismus ist nach der einen Seite seines Wesens eine ver­frühte Entfaltung der Bewußtseinsseele. Er bot durch das in der Richtung der Bewußtseinsseele zu früh wirkende Seelenleben die Möglichkeit, daß sich in ihm von Asien aus über Afrika, Südeuropa, Westeuropa eine geistige Welle ergoß, die gewisse europäische Menschen mit einem Intel­lektualismus erfüllte, der erst später kommen durfte; Süd- und Westeuropa bekamen im siebenten, achten Jahrhun­dert geistige Impulse, die erst im Zeitalter der Bewußtseins­seele hätten kommen dürfen.

Diese geistige Welle konnte das Intellektuelle im Men­schen wecken, nicht aber das tiefere Erleben, durch das die Seele in die Geist-Welt taucht.

Wenn nun der Mensch im fünfzehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert sein Erkenntnisvermögen in Tätig­keit brachte, so konnte er nur bis zu einer Seelentiefe untertauchen, in der er noch nicht auf die geistige Welt stieß.

Der in das europäische Geistesleben einziehende Arabis­mus hielt die erkennenden Seelen von der Geist-Welt zu­rück. Er brachte - verfrüht - den Intellekt zur Wirksam­keit, der nur die äußere Natur fassen konnte.

Und dieser Arabismus erwies sich als sehr mächtig. Wer von ihm erfaßt wurde, in dem begann ein innerer - zum großen Teile ganz unbewußter - Hochmut die Seele zu ergreifen.

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Er empfand die Macht des Intellektualismus; aber er empfand nicht das Unvermögen des bloßen Intellektes, in die Wirklichkeit einzudringen. So überließ er sich denn der äußeren sinnenfälligen Wirklichkeit, die sich durch sich selbst vor den Menschen hinstellte; aber er kam gar nicht darauf, an die geistige Wirklichkeit heranzutreten.

Dieser Lage sah sich das mittelalterliche Geistesleben ge­genüber. Es hatte die gewaltigen Überlieferungen von der Geist-Welt; aber sein Seelenleben war durch den - man möchte sagen: im geheimen - wirkenden Arabismus intel­lektualisch so imprägniert, daß sich der Erkenntnis kein Zugang bot zu den Quellen, aus denen der Inhalt dieser Überlieferung doch zuletzt stammte.

Es kämpfte nun vom frühen Mittelalter an das, was in­stinktiv in den Menschen als geistiger Zusammenhang ge­fühlt wurde, mit der Gestalt, die das Denken durch den Arabismus angenommen hatte.

Man fühlte die Ideenwelt in sich. Man erlebte sie als et­was Reales. Aber man fand in der Seele nicht die Kraft, in den Ideen den Geist zu erleben. So entstand der Realismus, der die Realität in den Ideen empfand, aber diese Realität nicht finden konnte. Der Realismus hörte in der Ideenwelt das Sprechen des Weltenwortes, er war aber nicht fähig, die Sprache zu verstehen.

Der Nominalismus, der sich ihm entgegenstellte, leugnete, weil das Sprechen nicht verstanden werden konnte, daß es überhaupt vorhanden sei. Für ihn war die Ideenwelt nur eine Summe von Formeln in der menschlichen Seele ohne eine Wurzelung in einer geistigen Realität.

Was in diesen Strömungen wogte, es lebte fort bis in das neunzehnte Jahrhundert. Der Nominalismus wurde die

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Denkungsart der Natur-Erkenntnis. Sie baute ein großarti­ges System von Anschauungen der sinnenfälligen Welt auf, aber sie vernichtete die Einsicht in das Wesen der Ideen­welt. - Der Realismus lebte ein totes Dasein. Er wußte von der Realität der Ideenwelt; aber er konnte im lebendigen Erkennen nicht zu ihr gelangen.

Man wird zu ihr gelangen, wenn Anthroposophie den Weg finden wird von den Ideen zu dem Geist-Erleben in den Ideen. In dem wahrhaft fortgebildeten Realismus muß dem naturwissenschaftlichen Nominalismus ein Erkennt­nisweg zur Seite treten, der zeigt, daß die Erkenntnis des Geistigen in der Menschheit nicht erloschen ist, sondern in einem neuen Aufstieg aus neu eröffneten menschlichen Seelenquellen in die menschliche Entwickelung wieder ein­treten kann.

Goetheanum, März 1925.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehende Betrachtung: Das scheinbare Erlöschen der Geist-Erkenntnis in der Neuzeit)

Leitsätze Nr. 177 bis 179 (29. März 1925)

177. Wer den Seelenblick auf die Entwickelung der Mensch­heit im naturwissenschaftlichen Zeitalter wirft, dem bietet sich zunächst eine traurige Perspektive. Glänzend wird die Erkermtuis des Menschen in bezug auf alles, was Außen­welt ist. Dagegen tritt eine Art Bewußtsein ein, als ob eine Erkenntnis der Geist-Welt überhaupt nicht mehr möglich sei.

178. Es scheint, als ob eine solche Erkenntnis die Menschen nur in alten Zeiten gehabt hätten, und als ob man mit Be­zug auf die geistige Welt sich eben damit begnügen müsse, die alten Traditionen aufzunehmen und zu einem Gegenstande des Glaubens zu machen.

179. Aus der Unsicherheit, die aus diesem gegenüber dem Verhältnis des Menschen zur geistigen Welt im Mittelalter hervorgeht, entsteht der Unglaube an den Geist-Inhalt der Ideen im Nominalismus, dessen Fortsetzung die moderne Naturanschauung ist, und als Wissen von der Realität der Ideen ein Realismus, der aber erst durch die Anthroposo­phie seine Erfüllung finden kann.

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DIE GESCHICHTLICHEN ERSCHÜTTERUNGEN BEIM HERAUFKOMMEN DER BEWUSSTSEINSSEELE

Der Untergang des Römischen Reiches im Zusammenhang mit dem Auftreten von Völkern, die von Osten herankom­men - der sogenannten Völkerwanderung -, ist eine ge­schichtliche Erscheinung, auf die der Blick des forschenden Menschen immer wieder sich richten muß. Denn die Ge­genwart enthält noch vieles von Nachwirkungen dieser er­schütternden Geschehnisse.

Aber das Verständnis gerade dieser Ereignisse ist einer äußerlichen geschichtlichen Betrachtung nicht möglich. Man muß auf die Seelen der Menschen blicken, die in «Völ­kerwanderung» und Untergang des römischen Kaiserrei­ches gestellt sind.

Griechentum und Römertum blühen in der Zeit, als sich in der Menschheit die Verstandes- oder Gemütsseele ent­faltet. Ja, Griechen und Römer sind die eigentlichen Träger dieser Entfaltung. Aber die EntwickelungdieserSeelen-Etap­pe trägt bei diesen Völkern nicht einen Keim in sich, der in rechter Art die Bewußtseinsseele aus sich entwickeln könnte. Alles, was an Geist- und Seelen-Inhalt in der Verstandes- oder Gemütsseele steckt, tritt in reichem Leben in dem Dasein des Griechen- und Römertums zutage. Mit Eigenkraft hinüberströmen in die Bewußtseinsseele kann es nicht.

Trotzdem tritt natürlich das Stadium der Bewußtseinsseele auf. Aber es ist, als ob die Bewußtseinsseele nicht et­was aus der Persönlichkeit des Griechen und Römers Her­vorgehendes wäre, sondern etwas von außen seinem Wesen Eingepflanztes.

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Das Verbunden- und Losgelöstsein von den göttlich-geistigen Wesenheiten, von dem in diesen Betrachtungen so viel die Rede war, vollzieht sich im Laufe der Zeiten mit verschiedener Intensität. In alten Zeiten war es eine mit starkem Geschehen in die Menschheitsentwickelung ein­greifende Macht. Im griechischen und römischen Erleben der ersten christlichen Jahrhunderte ist es eine schwächere Macht. Aber es ist vorhanden. Solange er voll in sich die Verstandes- oder Gemütsseele entfaltete, fühlte der Grie­che und Römer - unbewußt, aber für die Seele bedeutsam - ein Losgelöst-Werden von der göttlich-geistigen Wesen­haftigkeit, ein Selbständig-Werden des Menschhaften. Das hörte in den ersten christlichen Jahrhunderten auf. Das Hereindämmern der Bewußtseinsseele wurde als ein Ver­bundensein mit dem Göttlich-Geistigen empfunden. Man entwickelte sich wieder zurück von einer größeren zu einer geringeren Selbständigkeit der Seele. Man konnte den christlichen Inhalt nicht in die menschliche Bewußtseins-seele aufnehmen, weil man diese selbst nicht in die mensch­liche Wesenheit hereinnehmen konnte.

So empfand man diesen christlichen Inhalt als etwas von außen - von der geistigen Außenwelt - Gegebenes, nicht aber als etwas, mit dem man durch seine Erkennmiskräfte zusammenwuchs.

Anders war es bei den in die Geschichte eintretenden, von Nordosten kommenden Völkern. Sie hatten das Sta­dium der Verstandes- oder Gemütsseele in einem Zustande durchgemacht, der sich für sie als Abhängigkeit von der Geistwelt empfinden ließ. Sie fingen erst an, etwas von der menschlichen Selbständigkeit zu empfinden, als die ersten Kräfte der Bewußtseinsseele in den christlichen Anfängen

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heraufdämmerten. Bei ihnen trat die Bewußtseinsseele als etwas der Menschenwesenheit Verbundenes auf Sie emp­fanden sich in froher innerer Kraftentfaltung, indem die Bewußtseinsseele in ihnen auflebte.

In dieses sprießende Leben der heraufdämmernden Be­wußtseinsseele fiel bei diesen Völkern der christliche Inhalt. Sie fühlten ihn als etwas in der Seele Auflebendes, nicht als etwas von außen Gegebenes.

Das war die Stimmung, in der diese Völkerschaften an das Römische Reich und alles, was damit zusammenhing, herankamen. Das war die Stimmung des Arianismus ge­genüber dem Athanasianismus. Ein tiefer innerer Gegen­satz war in der weltgeschichtlichen Entwickelung da.

In der dem Menschen äußerlichen Bewußtseinsseele des Römers und Griechen wirkte zunächst die nicht völlig mit dem Erdenleben sich vereinende, sondern nur hereinstrahlende göttlich-geistige Wesenheit. In der erst aufdäm­mernden Bewußtseinsseele der Franken, Germanen und so weiter wirkte nur noch schwach, was von Göttlich-Geisti­gem mit der Menschheit sich verbinden konnte.

Das Nächste war, daß der christliche Inhalt, der in der über dem Menschen schwebenden Bewußtseinsseele lebte, sich im Leben ausbreitete; der mit der Seele vereinigt et­was blieb, das als Antrieb, Impuls in dem Innern der Men­schen verblieb und auf seine Entfaltung wartete, die erst eintreten kann, wenn ein gewisses Stadium in der Entfal­tung der Bewußtseinsseele erreicht ist.

Es ist die Zeit, von den ersten christlichen Jahrhunderten angefangen bis in das Zeitalter der Bewußtseinsseelenent­wickelung hinein, eine solche, in der als maßgebliches Gei­stesleben über der Menschheit ein geistiger Inhalt waltet,

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mit dem sich der Mensch erkennend nicht verbinden kann. Er verbindet sich deshalb äußerlich; er «erklärt» ihn, und er denkt darüber nach, inwiefern die Seelenkräfte nicht aus­reichend sind, um die erkennende Verbindung herbeizu­führen. Er unterscheidet zwischen dem Gebiete, in das die Erkenntnis reicht, und dem, wohin sie nicht reicht. Es macht sich der Verzicht geltend, Seelenkräfte zu betätigen, die sich erkennend in die Geistwelt erheben. Und so kommt die Zeit heran, Wende des siebzehnten und acht­zehnten Jahrhunderts, in der man sich mit den auf das Gei­stige gerichteten Seelenkräften von dem Geistigen über­haupt erkennend abwendet. - Man beginnt, nur in den See­lenkräften zu leben, die auf das sinnlich Wahrnehmbare ge­richtet sind.

Stumpf werden die Erkenntniskräfte für das Geistige be­sonders im achtzehnten Jahrhundert.

Die Denker verlieren aus ihren Ideen den geistigen In­halt. Sie machen im Idealismus von der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die geistleeren Ideen selbst als schaffenden Welt-Inhalt geltend. So Fichte, Schelling, He­gel; oder sie weisen auf ein Übersinnliches, das sich ver­flüchtigt, weil es entgeistigt ist. So Spencer, John Stuart Mill und andere. Die Ideen sind tot, wenn sie den leben­digen Geist nicht suchen.

Der geistige Blick für das Geistige geht nun einmal ver­loren.

Eine «Fortsetzung» des alten Geist-Erkennens ist nicht möglich. Es müssen die Seelenkräfte, indem die Bewußt­seinsseele sich in ihnen entfaltet, ihre erneuerte elementare, unmittelbar lebendige Verbindung mit der Geist-Welt er­streben. Anthroposophie will dieses Erstreben sein.

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Im geistigen Leben des Zeitalters wissen gerade die füh­renden Persönlichkeiten zunächst nicht, was sie will. Und damit werden weite Kreise, die diesen Führern folgen, auch abgehalten. Die Führer leben in einem Seelen-Inhalt, der sich allmählich ganz entwöhnt hat, die geistigen Kräfte zu gebrauchen. Für sie ist es, als ob man einen Menschen, der ein gelähmtes Organ hat, veranlassen wollte, dieses zu ge­brauchen. Denn gelähmt waren in der Zeit vom sechzehn­ten bis in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die höheren Erkenntniskräfte. Und die Menschheit blieb darüber ganz unbewußt; sie betrachtete das einseitige Ge­brauchen der auf die Sinnenwelt gerichteten Erkenntnis als einen besonderen Fortschritt.

Goetheanum, März 1925.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehenden Betrachtungen über die geschichtlichen Erschütterungen beim Heraufkommen der Bewußtseinsseele)

Leitsätze Nr. 180 bis 182 (5. April 1925)

180. Die Griechen und Römer sind die für die Entfaltung der Verstandes- oder Gemütsseele besonders veranlagten Völker. Sie entwickeln dieses Seelenstadium zur Vollen­dung. Aber sie tragen nicht die Keime in sich, um in gerad­liniger Art fortzuschreiten zur Bewußtseinsseele. Ihr See­lenleben geht in die Verstandes- oder Gemütsseele hinein unter.

181. Aber es waltet nun in der Zeit von der Entstehung des Christentums bis in das Zeitalter der Bewußtseinsseelen-Entwickelung eine Geistwelt, die sich nicht mit den mensch­lichen Seelenkräften vereinigt. Diese «erklären» die Geistwelt, aber sie erleben sie nicht.

182. In den Völkern, die mit der sogenannten «Völkerwan­derung» von Nordosten gegen das Römerreich vorrücken, lebt ein gefühlsmäßiges Erfassen der Verstandes- oder Ge­mütsseele. Dagegen bildet sich in ihren Seelen die in dieses Gefühlsmäßige eingebettete Bewußtseinsseele aus. Das in­nere Leben dieser Völker wartet auf die Zeit, in der wieder ein Vereinigt-Sein der Seele mit der Geist-Welt voll mög­lich ist.

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VON DER NATUR ZUR UNTER-NATUR

#G026-1972-SE255 Anthroposophische Leitsätze

#TI

VON DER NATUR ZUR UNTER-NATUR

#TX

Man spricht davon, daß mit der Überwindung des philo­sophischen Zeitalters das naturwissenschaftliche in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts heraufgezogen ist. Und man spricht auch so, daß dieses naturwissenschaftliche Zeitalter heute noch andauert, indem zugleich viele betonen, man habe sich zu gewissen philosophischen Intentionen wieder zurückgefunden.

Das alles entspricht den Erkenntniswegen, die die neuere Zeit eingeschlagen hat, nicht aber den Lebenswegen. Mit sei­nen Vorstellungen lebt der Mensch noch in der Natur, wenn er auch das mechanische Denken in die Naturauffas­sung hineinträgt. Mit seinem Willensleben aber lebt er in so weitem Umfange in einer Mechanik des technischen Ge­schehens, daß dies dem naturwissenschaftlichen Zeitalter seit lange eine ganz neue Nuance gegeben hat.

Will man das menschliche Leben verstehen, so muß man es zunächst von zwei Seiten her betrachten. Aus den vori­gen Erdenleben bringt sich der Mensch die Fähigkeit mit, das Kosmische aus dem Erden-Umkreis und das im Erdenbereich wirkende vorzustellen. Er nimmt durch die Sinne das auf der Erde wirksame Kosmische wahr, und er denkt durch seine Denkorganisation das aus dem Erden-Umkreis auf die Erde hereinwirkende Kosmische.

So lebt er durch seinen physischen Leib im Wahrneh­men, durch seinen Ätherleib im Denken.

Das, was in seinem astralischen Leib und in seinem Ich vor sich geht, waltet in verborgeneren Regionen der Seele. Es waltet zum Beispiel im Schicksal. Aber man muß es zu­nächst nicht in den komplizierten Schicksalszusammenhän­gen,

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sondern in den elementarischen, einfachen Lebensvor­gängen aufsuchen.

Der Mensch verbindet sich mit gewissen Erdenkräften, indem er seinen Organismus in diese Kräfte hineinorien­tiert. Er lernt aufrechtstehen und gehen, er lernt mit seinen Armen und Händen sich in das Gleichgewicht der irdi­schen Kräfte hineinstellen.

Nun sind diese Kräfte keine solchen, die vom Kosmos hereinwirken, sondern die bloß irdisch sind.

In Wirklichkeit ist nichts eine Abstraktion, das der Mensch erlebt. Er durchschaut nur nicht, woher das Erleb­nis kommt, und so bildet er aus Ideen über Wirklichkeiten Abstraktionen. Der Mensch redet von der mechanischen Gesetzmäßigkeit. Er glaubt, sie aus den Naturzusammen­hängen heraus abstrahiert zu haben. Das ist aber nicht der Fall, sondern alles, was der Mensch an rein mechanischen Gesetzen in der Seele erlebt, ist an seinem Orientierungs­verhälmis zur Erdenwelt (an seinem Stehen, Gehen usw.) innerlich erfahren.

Damit aber kennzeichnet sich das Mechanische als das rein Irdische. Denn das Naturgesetzmäßige, in Farbe, Ton und so weiter ist im Irdischen aus dem Kosmos zugeflossen. Erst im Erdenbereich wird auch dem Naturgesetzmäßigen das Mechanische eingepflanzt, wie ihm der Mensch mit sei­nem eigenen Erleben erst im Erdenbereich gegenübersteht.

Das weitaus meiste dessen, was heute durch die Technik in der Kultur wirkt und in das er mit seinem Leben im höchsten Grade versponnen ist, das ist nicht Natur, sondern Unter-Natur. Es ist eine Welt, die sich nach unten hin von der Natur emanzipiert.

Man sehe, wie der Orientale, wenn er nach dem Geiste

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strebt, herauszukommen sucht aus den Gleichgewichtszu­ständen, die bloß vom Irdischen kommen. Er nimmt eine Meditationsstellung an, die ihn in das bloße kosmische Gleichgewicht hineinbringt. Die Erde wirkt dann nicht mehr auf die Orientierung seines Organismus. (Dies sei nicht zur Nachahmung, sondern nur zur Verdeutlichung des hier Vorgebrachten gesagt. Wer meine Schriften kennt, weiß, wie sich in dieser Richtung östliches und westliches Geistesleben unterscheiden.)

Der Mensch brauchte die Beziehung zu dem bloß Irdi­schen für seine Bewußtseinsseelenentwickelung. Da kam denn in der neuesten Zeit die Tendenz zustande, überall auch im Tun das zu verwirklichen, in das sich der Mensch einleben muß. Er trifft, indem er sich in das bloß Irdische einlebt, das Ahrimanische. Er muß sich mit seinem eigenen Wesen in das rechte Verhältnis zu diesem Ahrimanischen bringen.

Aber es entzieht sich ihm in dem bisherigen Verlauf des technischen Zeitalters noch die Möglichkeit, auch gegen­über der ahrimanischen Kultur das rechte Verhältnis zu finden. Der Mensch muß die Stärke, die innere Erkenntniskraft finden, um von Ahriman in der technischen Kultur nicht überwältigt zu werden. Die Unter-Natur muß als sol­che begriffen werden. Sie kann es nur, wenn der Mensch in der geistigen Erkenntnis mindestens gerade so weit hinaufsteigt zur außerirdischen Über-Natur, wie er in der Technik in die Unter-Natur heruntergestiegen ist. Das Zeitalter braucht eine über die Natur gehende Erkenntnis, weil es in­nerlich mit einem gefährlich wirkenden Lebensinhalt fer­tig werden muß, der unter die Natur heruntergesunken ist. Es soll hier natürlich nicht etwa davon gesprochen werden,

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daß man zu früheren Kulturzuständen wieder zurückkeh­ren soll, sondern davon, daß der Mensch den Weg finde, die neuen Kulturverhältnisse in ein rechtes Verhältnis zu sich und zum Kosmos zu bringen.

Heute fühlen noch die wenigsten, welch bedeutsamen geistigen Aufgaben sich da für den Menschen herausbil­den. Die Elektrizität, die nach ihrer Entdeckung als die Seele des natürlichen Daseins gepriesen wurde, sie muß er­kannt werden in ihrer Kraft, von der Natur in die Unter-Natur hinabzuleiten. Es darf der Mensch nur nicht mitgleiten.

In der Zeit, in der es eine von der eigentlichen Natur un­abhängige Technik noch nicht gab, fand der Mensch den Geist in der Naturanschauung. Die sich unabhängig ma­chende Technik ließ den Menschen auf das Mechanistisch-­Materielle als das für ihn nun wissenschaftlich werdende hinstarren. In diesem ist nun alles Göttlich-Geistige, das mit dem Ursprunge der Menschheitsentwickelung zusam­menhängt, abwesend. Das rein Ahrimanische beherrscht die Sphäre.

In einer Geistwissenschaft wird nun die andere Sphäre geschaffen, in der ein Ahrimanisches gar nicht vorhanden ist. Und gerade durch das erkennende Aufnehmen derjeni­gen Geistigkeit, zu der die ahrimanischen Mächte keinen Zutritt haben, wird der Mensch gestärkt, um in der Welt Ahriman gegenüberzutreten.

Goetheanum, März 1925.

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Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden

(Mit Bezug auf die vorangehenden Betrachtungen über Natur und Unter-Natur)

Leitsätze Nr. 183 bis 185 (12. April 1925)

183. Im naturwissenschaftlichen Zeitalter, das um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts beginnt, gleitet die Kulturbetätigung der Menschen allmählich nicht nur in die untersten Gebiete der Natur, sondern unter die Natur hinunter. Die Technik wird Unter-Natur.

184. Das erfordert, daß der Mensch erlebend eine Geist-Erkenntnis finde, in der er sich eben so hoch in die Über-Natur erhebt, wie er mit der unternatürlichen technischen Betätigung unter die Natur hinuntersinkt. Er schafft da­durch in seinem Innern die Kraft, nicht unterzusinken.

185. Eine frühere Naturanschauung barg noch den Geist in sich, mit dem der Ursprung der menschlichen Entwicke­lung verbunden ist; allmählich ist dieser Geist aus der Na­turanschauung geschwunden und der rein ahrimanische ist in sie eingezogen und von ihr in die technische Kultur übergeflossen.

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HINWEISE

Zu dieser Ausgabe

Rudolf Steiner schrieb nach der Weihnachtstagung zur Begründung der «Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft» (1923) Briefe «An die Mitglieder» mit Leitsätzen, die in «Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht. Nachrichten für deren Mitglieder» im 1. und 2. Jahrgang 1924 und 1925 gedruckt wurden.

In dem vorliegenden Band sind alle Leitsätze und sämtliche dazugehörige Briefe «An die Mitglieder» gesammelt. Die Leitsätze wurden — wie auch schon in früheren Auflagen — der besseren Übersicht wegen fortlaufend numeriert.

Hier nicht aufgenommene Briefe und Berichte (siehe die Chronologische Übersicht, Seite 265f.) erschienen in dem Band «Die Konstitution der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft 1924/25», GA 260a.

Zu den Textänderungen seit der 5. Auflage: Die Texte wurden für die 5. Auflage (1. Ausgabe innerhalb der Gesamtausgabe, Dornach 1962) mit dem Erstdruck in «Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht» vom Januar 1924 bis April 1925 und mit den im Rudolf Steiner-Archiv damals vorhandenen Manuskripten verglichen. Seither sind noch Manuskripte einiger weiterer Leitsatzbriefe ins Archiv gekommen. Für die 10. Auflage von 1998 wurde der Text auch mit diesen Manuskripten neu verglichen. Alle, insgesamt jedoch unerheblichen Textänderungen gegenüber den ersten vier Buchausgaben gehen auf diese beiden Vergleiche zurück.

Hinweise zum Text

Werke Rudolf Steiners in der Gesamtausgabe (GA) werden in den Hinweisen mit der Bibliographie-Nummer angegeben. Siehe auch die Übersicht am Schluß des Bandes.

122 die Urzählung von dem «guten Gerhard»: Der Versroman «Der gute Gerhard» des vorarlbergischen Dichters Rudolf von Ems entstand in den Jahren zwischen 1220 und 1225. Vergleiche hierzu auch den Vortrag Dornach, 25. Dezember 1916 in «Zeitgeschichtliche Benachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit», Erster Teil, GA 173.

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126 Isidorus von Sevilla (auch Hispalensis), latein. Kirchenschriftsteller, geb. um 560 in Cartagena, gest. 636 in Sevilla.

128 «Herzog Ernst.»: Anonymes mittelhochdeutsches vorhöfisches Epos, entstanden um 1180.

129 «Rolandsage»: Auf das altfranzösische Heldenepos «La chanson de Roland» (um 11003 gehen sämtliche vorhandenen Versionen des Ro-

landliedes zurück.

«Nibelungensage»: Das «Nibelungenlied» ist ein anonymes mittelhoch-eutsches Heldenepos, entstanden Ende 12. J h .

133 Geoffrey Chaucer, 1340?—1400, englischer Dichter, Hofmann, Diplomat und Gelehrter.

134 Jungfrau von Orleans: Vergleiche hierzu die Ausführungen in dem Vortrag Stuttgart, 28. Dez. 1910 in «Okkulte Geschichte», GA 126.

136 Rene Descartes: Siehe hierzu auch «Die Rätsel der Philosophie», GA 18, S. 106ff.

141 Anselm von Canterbury, 1033/34—1109, Theologe, «Vater der Scholastik.

John Wiclif, 1324 - 1384 , englischer Vorreformator.

Johannes Hus, um 1370—1415, Vorreformator in Böhmen.

143 Kardinal Nicolaus Cusanus, Nikolaus von Kues, eigentlich Nikolaus Chrypffs oder Krebs, 1401 - 1464 , deutscher Philosoph und Kirchenpolitiker.

146 «Rosenkreutzer»: Vergleiche hierzu 2. B. den Vortrag Berlin, 14. März 1907: «Wer sind die Rosenkreuzer?» in «Die Erkenntnis des Übersinnlichen in unserer Zeit und deren Bedeutung für das heutige Leben» (13 Vorträge 1906/07), GA 55

151 Erasmus von Rotterdam, 1469-1536, Humanist.

153 Johann Joachim Winckelmann, 1717—1768, Archäologe und Kunstwissenschaftler.

«Wenn die gesunde Natur .,.»: Goethe in seiner Abhandlung über «Winckelmann und sein Jahrhundert» (1805).

Schillers «Ästhetische Briefe»: Schillers Schrift «Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen» erschien 1795.

169 Nikolaus Kopernikus, 1473 - 1543 , Astronom.

Johannes Kepler, 1571—1630, Astronom.

244 Als die letzten griechischen Philosophenschulen geschlossen wurden: Im Jahre 529.

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CHRONOLOGISCHE ÜBERSICHT

über die in «Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht. Nach­richten für deren Mitglieder» erschienenen Leitsätze und Aufsätze «An die Mitglieder».

Nachrichtenblatt

Nr. Datum 1924 Leitsatz, Nr.

1* 13.Jan. - Die Bildung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft durch die Weihnachtsta­gung 1923

2* 20. Jan. - An die Mitglieder!

3* 27. Jan. - Das rechte Verhältnis der Gesellschaft zur An­throposophie

4* 3.Febr. - Anthroposophische Mitgliederversammlungen

5* 10.Febr. - Die Stellung der Mitglieder zur Gesellschaft

6 17.Febr. 1-3 Anthroposophische Leitsätze

7* 24. Febr. 4-5 Erkenntnisstreben und Wille zur Selbstzucht

8* 2. März 6-7 Die Arbeit in der Gesellschaft

9* 9. März 8-10 Die Arbeit in der Gesellschaft

10* 16. März 11-13 Die individuelle Gestaltung anthroposophischer Wahrheiten

11* 23. Mäiz 14-16 Die Darstellung anthroposophischer Wahrheiten

12* 30. März 17-19 Vom anthroposophischen Lehren

13* 6. April 20-22 Über die Gestaltung der Zweigabende

14* 13. April 23-25 Über eine Reibe anthroposophischer Veranstal­tungen in Prag

15* 2o.April 26-28 Eine Erziehungstagung der Waldorfschule in Stuttgart

16* 27.April 29-31 Eine pädagogische Veranstaltung in Bern

17* 4. Mai 32-34 Die Osterveranstaltung am Goetheanum

18* 11.Mai 35-37 Totenfeiern

19 18.Mai 38-40 Zu den vorangegangenen Leitsätzen über die Bildnatur des Menschen

20* 25. Mai 41-43 Etwas von der Stimmung, die in den Zweigversanlnlungen sein sollte

21* 1.Juni 44-46 Noch etwas von der den Zweigversammlungen notwendigen Stimmung

22* 8.Juni 47-49 Die Stellung der Eurvthmie in der Anthroposophischen Gesellschaft

23* 15. Juni 50-52 Der Besuch der Anthroposophischen Gesell­schaft in Frankreich

- - -

* Diese Aufsätze finden sich in dem Band «Die Konstitution der Allge­meinen Anthroposophischen Gesellschaft». Gesamtausgabe 1966.

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Nachrichtenblatt

Nr. Datum 1924 Leitsätze Nr.

24*22. Juni 53-5, Die Veranstaltungen in Koberwitz und in Breslau

25* 29. Juni 56-58 Breslau-Koberwitzer Tagung, Waldorfschule, Jugendsehnsucht

26* 6.Juli 59-61 Noch etwas über die Auswirkung der Weibhnachtstagung

27 13.Juli 62-65 Etwas vom Geist-Verstehen und Schicksals-Erleben

28* 20. Juli 66-68 Laut-Eurythmie-Kurs

29 27. Juli 69-71 Geistige Weltbereiche und menschliche Selbsterkenntnis

30* 3.Aug. 72-75 Über die anthroposophisch-pädagogische Ta­gung in Holland

31 10.Aug. 76-78 Wie die Leitsätze anzuwenden sind

32 17. Aug. 79-81 Im Anbruch des Michael-Zeitalters

33* 24.Aug. 82-84 Unsere Sommerkurse in Torquai

34 31. Aug. 85-87 Die menschliche Seelenverfassung vor dem An­bruch des Michael-Zeitalters

35 7. Sept. 88-90 Aphorismen aus einem am 24. August in London gehaltenen Mitgliedervortrag

36* 14. Sept. 91-93 Aus dem Kursus über Sprachgestaltung und dra­matische Kunst am Goetheanum

37* 21.Sept. 94-96 Weiteres über den Kursus «Sprachgestaltung und dramatische Darstellungskunst» am Goethe­anum

38* 28. Sept. 97-99 Weiteres über den Kursus «Sprachgestaltung und dramatische Darstellungskunst» am Goethe­anum: Das Bühnenbild und die Regiekunst

39* 5.Okt. 100-102 Worte, die ich anläßlich des im September am Goetheanum abgehaltenen Kurses über die Apokalypse aussprechen möchte

40 12. Okt. 103-105 Der Vor-Michaelische und der Michaels-Weg

41 19. Okt. 106-108 Michaels Aufgabe in der Ahriman-Sphäre

42 26. Okt. 109-111 Michaels Erfahrungen und Erlebnisse während der Erfüllung seiner kosmischen Mission

43 2. Nov. 112-114 Menschheitszukunft und Michael-Tätigkeit

44 9. Nov. 115-117 Das Michael-Christus-Erlebnis des Menschen

45 16.Nov. 118-120 Michaels Mission im Weltenalter der Menschen-Freiheit

46 23. Nov. 121-123 Die Weltgedanken im Wirken Michaels und im Wirken Ahrimans

- - -

* Diese Aufsätze finden sich in dem Band «Die Konstitution der Allge­meinen Anthroposophischen Gesellschaft«. Gesamtausgabe 1966.

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Nachrichtenhlatt

Nr. Datum 1924 Leisätze Nr.

47 30. Nov. 124-126 Erste Betrachtung: Vor den Toren der Bewußt­seinseele

Wie Michael seine Erdenmission durch Besie­gung Luzifers überirdisch vorbereitet

48 7. Dez. 127-130 Zweite Betrachtung: Wie die Michael-Kräfte in die erste Entfaltung der Bewußtseinsseele wirken

49 14. Dez. 131-133 Fortsetzung der zweiten Betrachtung: Hemmun­gen und Förderungen der Michael-Kräfte im aufkommenden Zeitalter der Bewußtseinsseele

50 21. Dez. 134-136 Dritte Betrachtung: Michaels Leid über die Menschheitsentwickelung vor der

Zeit seiner Erdenwirksamkeit

51 28. Dez. 137-139 Weihnachtsbetrachtung: Das Logos-Mysterium

Datum 1925

1 4. Jan. 140-143 Himmelsgeschichte. Mythologische Geschichte. Erdgeschichte. Mysterium von Golgatha

2 11. Jan. 144-146 Was sich offenbart, wenn man in die wiederhol­ten Erdenleben zurückschaut

3 18. Jan. 147-149 Erster Teil der Betrachtung: Was offenbart sich, wenn man in die vorigen Leben zwischen Tod und neuer Geburt zurückschaut?

4 25. Jan. 150-152 Zweiter Teil der Betrachtung: Was offenbart sich, wenn man in die vorigen Leben zwischen Tod und neuer Geburt zurückschaut?

5 1. Febr. 153-155 Was ist die Erde in Wirklichkeit im Makrokosmos

6 8. Febr. 156-158 Schlaf und Wachen im Lichte der vorangegange­nen Betrachtungen

7 15. Febr. 159-161 Gnosis und Anthroposophie

8 22. Febr. 162-164 Die Freiheit des Menschen und das Michael- Zeitalter

9 1.März 165-167 Wo ist der Mensch als denkendes und sich erin­nerndes Wesen?

10 8. März 168-170 Der Mensch in seiner makrokosmischen Wesenheit

11 15. März 171-173 Des Menschen Sinnes- und Denk-Organisation im Verhältnis zur Welt

12 22. März 174-176 Gedächtnis und Gewissen

13 29. März 177-179 Das scheinbare Erlöschen der Geist-Erkenntnis in der Neuzeit

14 5. April 180-182 Die geschichtlichen Erschütterungen beim Heraufkommen der Bewußtseinsseele

15 12. April 153-185 Von der Natur zur Unter-Natur

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.