GA 258

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VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE

#G258-1959-SE009 Die Geschichte und die Bedingungen der Anthroposophischen Bewegung ...

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VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE

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Wie eine Ergänzung zu demjenigen, was Rudolf Steiner uns in seinem Buche «Mein Lebensgang» gibt, kann der Inhalt der hier herausgegebenen Vorträge wirken, die durchaus im lebendigen Gesprächs- und Mitteilungston gehalten, nicht als Buch gedacht waren. Wegen ihres außerordentlich wichtigen Inhaltes aber und der historischen Zusammenhänge wegen sind sie ein Eokument von unschätzbarer Bedeutung, nicht nur für den Anthroposophen, der in lichtvoller Weise die Zusammenhänge jener Bewegung sehen kann, der er sich angeschlossen hat, und so einen festen &den unter den Füßen gewinnt durch die Einsicht in die über jede Berechtigung hinausgehende Notwendigkeit jener Geschehnisse; auch diejenigen, die sonst nur oberflächlichste Urteile hören oder im Lexikon ab­gedruckt finden, dürften der Gelegenheit dankbar sein, einen realen Einblick in die Tatsachen zu erhalten. Dürfte es doch immer mehr Seelen gehen, die solche Gelegenheit werden ergreifen wollen, um zu erleben, daß jene Fragen beantwortet werden können, die als Rätselfragen vor ihrem inneren Auge sich auftun, und daß ihnen Wege dazu gewiesen werden können. Nicht hat man mehr das Recht in Schriften und Feuilletons zu wiederholen, daß Rettung aus der Not der Menschheit nur möglich wäre, wenn ein Universal-Genie erschiene, das die mannigfaltigen Gebiete des Lebens und Wissens beherrschen, zusammenhalten, aneinander abwägen, und dann neu­schöpferisch wirken könnte, und daß es ein Entrinnen aus der Unsicherheit nur gäbe, wenn die Schranken der Erkenntnisgrenzen durchbrochen würden, dieses aber doch nicht möglich sei... Denn dieses Genie ist dagewesen, und es hat die Grenzen der Erkenntnis durchbrochen. Sein Werk liegt vor uns, das Zeugnis dafür ablegt.

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Sein Wort, auch das intimste, braucht kein Licht zu scheuen, kann jedem zugänglich gemacht werden. Die moralische Kraft und über­ragende Höhe seines Wesens leuchtet aus diesem Werk ebenso stark hervor, wie die Sicherheit des umfassenden Wissens.

Warum hat man kein Mittel gescheut, um sich dem entgegen­zustemmen, um ihn unschädlich zu machen durch Verleumdung, als das Schweigen allein nicht mehr genügte? Weil unsere Zeit das Überragende nicht verträgt, es haßt; seine Daseinsberechtigung nicht zugeben will, und dadurch entgegenkommt den mächtigen Organi­sationen, die ein Interesse daran haben, nicht aufkommen zu lassen dasjenige, was sie selbst der Menschheit nicht gewähren wollen. Der Götze der Gegenwart, die materialistische Wissenschaft ist ihnen immerhin noch lieber. Noch bleibt es wahr, jenes Wort Goethes, das er dem Erkennenden gewidmet hat:

«Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?

Die Wenigen, die was davon erkannt,

Die töricht gnug ihr volles Herz nicht wahrten,

Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,

Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.»

Und einer anderen Begründung für diesen Haß und diese Ver­nichtungswut bedarf es nicht. Es ist der Haß der Welt, der sich auf das sie Überragende richtet. Durch diesen Haß blickt und wirkt der Widersacher der Welt.

Doch jetzt, wo die Exzesse des Hasses sich kaum noch überbieten können, wo der große Träger der Menschenbefreiung tot ist, wo die eigensüchtigen und niedrigen Motive der Bekämpfung schon allzu deutlich zutage getreten sind, jetzt wird es immer mehr Seelen geben, die durch diesen Wust werden hindurchblicken wollen, und dem Werdegang Jes geistigen Geschehens werden folgen, seinen Ausstrahlungspunkt und seine ersten Schritte werden entdecken wollen. Den Interessenten für die historische Entwickelung der Bewegung wird dieses Buch die nötige Auskunft geben, und zugleich

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die notwendige Erklärung und so einfache Begründung dessen, was als eine den vorhandenen Tatsachen entspringende Selbstverständ­lichkeit sich ergab: des ursprünglichen Zusammengehens mit der nach einem wissenden Lehrer sich umschauenden Theosophischen Gesellschaft. - Wenn man gerufen wird, und die gestellten Be­dingungen akzeptiert werden, warum soll der Gerufene nicht hin­gehen und helfen? Wenn man umworben wird und keinen Augen­blick sich scheut, auf die Folgen des Zusammengehens aufmerksam zu machen: dem Umlernen, dem Wachwerden gegenüber den For­derungen der Zeit, dem zu entwickelnden Sinn für das fortschritt­liche Geschehen und für die Aufgabe des Abendlandes, warum sollte der seines Weges Sichere sich nicht der führerlosen suchenden Menschen annehmen und ihnen den Weg zeigen zum göttlichen Führer und zur eigenen Freiheit? Wäre Annie Besant nicht in dem folgenschwersten Augenblicke ihres Lebens, da ihr jede Sicherheit fehlte, verblendet gewesen, es hätte noch alles zum Guten sich wen­den können, und sie hätte die verlorene Brücke zum Christus finden können, ohne den kleinen ErsatzGötzen zu fabrizieren, der ihr jetzt entglitten ist. Mit ihr hätten Tausende in derTheosophischenGesell­schaft den Weg der inneren Befreiung beschritten.

In das Rätsel Blavatsky hat Rudolf Steiner allein Licht hinein­gebracht; sie brauchte ihm kein Hemmnis zu bedeuten, denn er sah das Positive in ihrem Wirken und vermochte dieses Positive in Bahnen zu lenken, wo es, befreit von den anhaftenden Verirrungen, Blendungen und Ketten, weiter als Erkenntnispotenz fruchtbar sein konnte, ohne zu schaden. Der fortschreitenden Individualität der Blavatsky war dadurch der ihr gebührende Dank erwiesen, ihr Karma erleichtert. Ihr inneres Wesen, was sie war als ehrliche Haut und starke Kraft, würde auf diese Weise größer in der Geschichte dastehen, als wenn sie verflochten bliebe mit den spiritistischen Phänomenen, welche die schwere Seite ihres Karma bedeuten. Man hatte Mühe, sich zu dem geahnten Kern ihres Wesens durchzuringen, wenn man die unzähligen Wundergeschichten hörte, welche ihre

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intimen oder entfernteren Freunde von ihr erzählten, wie es noch Schreiberin dieser Zeilen ergangen ist. Man spürte aber eine ganz bedeutende Kraft und Größe schon aus einigen wenigen gelesenen Seiten der «Isis unveiled» oder «Secret doctrine», die von ganz an­derem Kaliber waren, als was in den gesamten Büchern der Theoso­phical Society enthalten war. Den Schlüssel zu ihrem komplizierten Wesen gab uns Rudolf Steiner, und trotz der sehr mangelhaften Nachschriften vom Jahre 1915, da wir noch keinen Berufssteno­graphen in Dornach hatten, wird es wohl nötig sein, zur volleren Beleuchtung jener rätselhaften Erscheinungen die diesbezüglichen, wenn auch stark verstümmelten Vorträge Rudolf Steiners heraus­zugeben.

1831 ist H. P. Blavatsky geboren. In diesem Jahre wird die Jahr­hundertwende ihres Geburtstages stattfinden. Man muß annehmen, daß manches Fest, manche Gedächtnisfeier von den Theosophen in allen Ländern veranstaltet sein werden. Blavatsky war ein urwüch­siges Temperament und ein Naturmensch, sie hat viel gelitten inner-halb der ihrem Wesen fremden anglo-amerikanischen gesellschaft­lichen Konvention; sie war ja auch deren Vertretern nur Phänomen, halbe Barbarin, blieb unverstanden; durch sie klopfte die Grenzwelt an das Tor der materialistisch verschlossenen Welt. Mehr noch, sie verstand sich selbst nicht und litt entsetzlich beim Aufwachen aus den Zuständen, die sich ihrer Bewußtheit entzogen. Diejenigen, die sie verstehen werden in dem Lichte und Zusammenhang des Hinein­gestelltseins in die ersten Versuche der Okkultisten, den materiali­stischen Bann zu brechen, werden ihrem Gedächtnis den besten Dienst erweisen. Nicht fallen lassen das Geleistete, auch wenn es mit Irrungen verknüpft ist, sondern das Positive davon hinüberretten in die Zukunft, ist die Pflicht des geistig gereiften Okkultisten. Auch in diesem Lichte muß immer wieder verstanden werden das frühere Zusammengehen der Anthroposophischen Gesellschaft mit der Theosophischen bis zu dem Tage, wo Annie Besant die Durch-kreuzung ihrer eigenen Absichten nicht mehr duldete.

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Werm uns auch Rudolf Steiner in diesen Vorträgen sagt, daß gegen Ende der zweiten Epoche der anthroposophischen Bewegung überwunden war dasjenige, was als Erbe aus der Theosophischen Gesellschaft zu ,ans hinübergekommen ist, so besteht doch die Tat. sache, daß durch den Zustrom neuer Generationen und vieler theo­sophischer Mitglieder in unsere Gesellschaft manche schon über­wunden gewesene, wenig erfreuliche Symptome immer wieder auf­treten, deren Gesundung er sich mit aller Strenge hatte angelegen sein lassen. Es ergibt sich daraus, daß, da die Menschen ja auch heute der gleichen Art und Gattung sind, wie die ihnen Vorange­gangenen, sie auch dieselben Fehler und Kinderkrankheiten immer wieder durchzumachen haben, nur leider mit immer größerem Selbst-gefühl und immer stärkerem Willen zum Ausleben der Eigenheit. Was sind gewisse Fehler, die Rudolf Steiner in den hier gedruckten Vorträgen rügt, zum Beispiel die Verhimmelung von Max Seiling (eine kleine Lokal-Angelegenheit) oder Bhagavân Dâs (eine vor­übergehende flache Modesache) gegenüber manchen Erscheinungen, die in den letzten Jahren aufgetreten sind? Aber er wies auf solche Symptome hin, um deren Konsequenzen zu zeigen; um die Ursachen aufzudecken der immer wiederkehrenden Zerfall-Erscheinungen, um zu zeigen, wie Gesellschaften scheitern können, wenn solches Ge­baren in die führenden Kreise gerät. Damals hielt er letzteres bei uns für ausgeschlossen. Doch ging er zu früh von uns weg; und in den jungen, zu früh zur Führung gekommenen Menschen flamm­ten - menschlich-allzumenschlich - die alten Fehler mit doppelter Kraft auf.

Es obliegt uns zur Selbstbesinnung zu kommen. Machen wir uns nicht besser, als wir sind. Wir brauchen unsere Fehler nicht scheu zu verbergen, sondern müssen aus ihrem Dunkel das Licht herauskraf­ten lassen, das uns Selbst-Erkenntnis bringt. Gemeinschaftsbewußt­sein ist schwer; die Bildung eines starken Gemeinschafts-Ich ist für uns nur möglich auf der Grundlage der Aufwachekraft, des Willens zur Erkenntnis, des Mutes zur Wahrheit. Dies läßt sich nicht in der

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Verborgenheit erringen; es muß in Gemeinsamkeit erkämpft werden. Ehrliches Ringen wird uns nicht schaden, wird uns die Achtung der Gutgewillten bringen. Die Bösgewillten mögen aber zurückdenken an dasjenige, was die Kirche in ihrem Gemeinschaftswesen durch­gemacht und dargelebt hat, trotz stärkster von außen her auferlegter Disziplin; was sie an Unvollkommenheiten und Gegensätzlichkeit zu ihrem Ideal auszuleben gehabt hat. Sie werden dann sehen, daß nicht der die Bewegung impulsierende Führer für die Fehler der Anhänger seiner Lehre verantwortlich zu machen ist, sondern die Spezies Mensch, die viele Umwege und vieles Steigen und Fallen und crneutes Klimmen braucht, um zu ihrem Ziele zu gelangen.

Anthroposophie ist ein Erziehungsweg. Die Anthroposophische Gesellschaft ist gewiß keine Musteranstalt für das Darleben anthro­posophischer Ideale. Man könnte sogar sagen, daß sie nach mancher Richtung hin ein Siechenheim ist, wie es ja selbstverständlich ist in einer Zeit menschheitlicher Erkrankung. Es strömen zu ihr hin die Hilfsbedürftigen, die Gebrochenen an der Not der Zeit. Darf es aber nur Siechenheime für physisch Erkrankte geben? Ist es nicht eine Pflicht, Stätten zu haben, in denen sich die Menschen geistig wieder aufrichten können? Und das ist in weitgehendstem Maße hier geschehen. Der Briefe und dankerfüllten Worte gab es im Übermaß, in denen Menschen bezeugten, daß sie erst durch Anthroposophie und ihren Verkünder das Leben wieder lebenswert gefunden haben. Um die Anthroposophie zu finden, mußte es aber eine Gese//schaft geben, in der gearbeitet wurde.

So war die Anthroposophische Gesellschaft eine Arbeitsstätte, und es ist ungeheuer viel in ihr gearbeitet worden. Anthroposophie konnte befruchtend hineinwirken in alle Gebiete des Lebens, die künstlerischen, die wissenschaftlichen, auch in die praktischen. In der schwersten Zeit wirtschaftlicher Krisen haben Anthroposophen vielfach nicht durchführen können, was ihnen als Ideal vorschwebte; sie hatten aber gegen doppelt starke Widerstände zu kämpfen. Die Menschen aber, die in die Gesellschaft hineingeströmt sind und nach

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außen zu wirken begannen, als diese schon etwas in der Welt bedeu­tete und äußerlich darstellte, waren Menschen, wie die heutige Zeit sie geschaffen hat, nicht wie das Ideal der Anthroposophie sie will, und so sind gewiß viele den Versuchungen und den Usancen der Zeit wieder erlegen. Die jungen Menschen, die enttäuscht worden waren durch das, was sie in den organisierten Jugendbewegungen erlebt und nicht gefunden hatten, fanden hier nicht nur eine Ant­wort auf ihre Rätselfragen, suchten nicht nur nach Erfüllung ihres Strebens in der neuen Gemeinschaft Anthroposophie, sondern brach­ten ihre Gewohnheiten in die Gesellschaft hinein, auch manches von dem, was von ihnen hätte überwunden sein sollen, um in der Anthroposophie neu zu beginnen. So kann die Anthroposophische Gesellschaft noch nicht eine Musterinstitution sein, sie bleibt eine Erziehungsstätte. Aber braucht man nicht Erziehungsstätten auch im Menschheitssinne, um weiterzuschreiten in eine bessere Zukunft hinein?

So können wir die Frage wenden, wie wir wollen, die Gesellschaft ist eine Notwendigkeit. Sie muß sich erziehen, und sie muß die Möglichkeit hergeben, für die Menschheit eine Erziehungsstätte zu sein. Die Lebenskräfte, die in sie hineingesenkt worden sind, können das bewirken, wenn sich starke, fähige, hingebungsvolle Menschen in ihr zusammenfinden, die da wissen, daß man zusammenkommen muß, um als Gemeinschaft für die Menschheit in weiterem Sinne zu wirken, nicht sich abschließend nur der eigenen Selbstheit zu frö­nen; die da wissen, daß es ein Undank wäre, nur hinzunehmen das, was einem selbst zum Rettungsanker wird; die da wissen, daß man damit die Verpflichtung übernimmt, ihn jenen andern zu reichen, deren Lebensschiff in Not ist.

Marie Steiner

ERSTER VORTRAG 10. Juni 1923

#G258-1959-SE017 Die Geschichte und die Bedingungen der Anthroposophischen Bewegung ...

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ERSTER VORTRAG

10. Juni 1923

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Durch die Betrachtungen, die hiermit begonnen werden sollen, wird eine Art Selbstbesinnung derjenigen beabsichtigt, die sich zur Anthroposophie zusammengefunden haben. Gelegenheit wird gege­ben werden zu einer solchen Selbstbesinnung, einer Selbstbesinnung, die durch eine Charakteristik der anthroposophischen Bewegung und ihres Verhälmisses zur Anthroposophischen Gesellschaft herbeige-führt werden soll. Und da gestatten Sie mir einmal, daß ich heute beginne hinzuweisen auf diejenigen Menschen, auf die es bei dieser Selbstbesinnung ankommt. Das sind Sie selbst, das sind all die­jenigen, welche ihren Weg, durch das eine oder andere veranlaßt, zur Anthroposophie gefunden haben.

Der eine hat diesen Weg gefunden, ich m&hte sagen, wie durch einen inneren Zwang seiner Seele, durch einen inneren Zwang seines Herzens, der andere vielleicht aus Erkenntnisuntergründen heraus. Viele sind aber auch mehr oder weniger durch äußere Veranlassungen in die anthroposophische Bewegung hereingekommen und haben viel­leicht innerhalb dieser anthroposophischen Bewegung dann durch eine Vertiefung der Seele mehr gefunden, als sie zunächst gemeint haben. Aber ein gemeinschaftliches Charakteristikon haben doch all diejenigen Menschen, die sich zur anthroposophischen Bewegung finden. Und wenn man aus den verschiedenen Jahren her zusammen­faßt das, was das Charakteristische ist bei denjenigen, die sich in die anthroposophische Bewegung hereinfinden, so kann man doch zu­letzt nur sagen: es sind solche Menschen, die durch ihr Schicksal, durch ihr inneres Schicksal, durch ihr Karma zunächst genötigt sind, von der gewöhnlichen Heerstraße der Zivilisation, auf der sich eben der

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größte Teil der gegenwärtigen Menschheit bewegt, wegzugehen und eigene Wege zu suchen.

Man mache sich nur einmal klar, wie in unserem Zeitalter die meisten Menschen eben in das Leben hineinwachsen von Kindheit auf. Sie werden geboren von Eltern, die Franzosen oder Deutsche, Katholiken, Evangelische oder Juden sind, oder auch zu irgendeiner anderen Konfession sich bekennen. Sie werden vielleicht geboren von Eltern, welche diese oder jene Meinungen haben. Aber immer ist eine Art selbstverständlicher Voraussetzung da, wenn diese Men­schen der Gegenwart geboren werden, zunächst bei den Eltern, bei den Angehörigen der Familie, in die diese Menschen aus ihrem vor-irdischen Leben heraus hineingeboren werden. Es ist sozusagen die selbstverständliche Voraussetzung, die man ja nicht ausspricht, aber die man empfindet, ohne sie zu denken vielleicht - oftmals denkt man sie auch, wenn gerade Veranlassung dazu ist -, daß man so im allgemeinen hin auf das Leben sieht und selbstverständlich denkt: wir sind katholische Franzosen oder evangelische Deutsche, und so werden ja wohl auch die Kinder werden.

Dadurch, daß man das so empfindet, wird natürlich eine soziale Atmosphäre, und nicht nur eine soziale Atmosphäre, sondern ein sozialer Kräftezusammenhang geschaffen, der dann wirklich mehr oder weniger klar oder auch unklar diese Kinder hineinschiebt in dasjenige Leben, das schon durch diese Empfindungen, durch diese mehr oder weniger deutlich vorgestellten Gedanken vorgezeichnet ist. Wie durch eine Selbstverständlichkeit verfließt dann zunächst das Leben des Kindes, wie durch eine Selbstverständlichkeit wird dann die Erziehung, das Schulmäßige, an die Kinder herangebracht. Und während dieser Zeit herrschen wieder allerlei Gedanken bei den Eltern über die Kinder, Gedanken, die wieder nicht ausgespro­chen werden, die aber Voraussetzungen sind für das Leben, die das Leben außerordentlich bestimmen. Zum Beispiel der Gedanke:

selbstverständlich wird mein Sohn ein pensionsfähiger Staatsbeamter,

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oder: mein Sohn erbt das väterliche Gut, oder: meine Tochter heiratet den Nachbarsohn vom nächsten Gut.

Nun, es geht ja nicht immer so ins Konkrete hinein, aber es ist damit eine Orientierung gegeben, immer wiederum eine Richtung vorgezeichnet. Es ist ja nun einmal das äußere Leben heute so ein­gerichtet, daß tatsächlich dieses äußere Leben bis in unsere chao­tischen Zeiten herein, die aber die Menschen zum großen Teil als ungewohnt empfinden, diesen Impulsen, die auf solche Weise ge­schaffen werden, auch gehorcht. Und dann ist es nötig, daß der Mensch auf irgendeine Art, nun, sagen wir, ein katholischer Fran­zose oder ein evangelischer Deutscher wird. Er muß es werden, denn so wirken die Impulse des Lebens. Wenn es schon auch nicht gerade von Elternseite aus mit einer solchen Bestimmtheit auftritt, so nimmt doch wiederum das Leben aus der Schule heraus, oder aus den gan­zen jugendlichen, kinderhaften Lebensverhältnissen heraus den Men­schen gefangen, stellt ihn hinein in irgendeine Lebensposition. Der Staat, die Religionsgemeinschaft zieht den Menschen herbei.

Wenn die Mehrzahl der Menschen sich heute im späteren Leben Rechenschaft geben sollten, wie sie eigentlich dahinein gekommen sind, dann könnten sie das kaum. Denn ein energisches Darüber-nachdenken würde etwas Unerträgliches haben. Dieses Unerträg­liche wird dann womöglich in die Untergründe des Bewußtseins, in unterbewußte oder unbewußte Provinzen des Seelenlebens hinunter-gedrängt. Da wird es dann höchstens einmal durch den Psychiater heraufgeholt, wenn es sich da unten in den unbekannten Seelen-provinzen ganz besonders störrisch verhält. Aber zumeist ist eben die Kraft nicht da, irgendwie Stellung zu nehinen mit der eigenen Persönlichkeit, der Individualität, innerhalb dessen, in das man auf diese Weise hineingewachsen ist.

Man muckt ja zuweilen vielleicht auf, wenn man so auf eine ganz unvorhergesehene Weise sich plötzlich im Leben bewußt als Refe­rendar fühlt oder gar als Assessor. Dann ballt man vielleicht die Hände in der Hosentasche, oder man macht, wenn es gerade der

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Frau passiert, dem Mann Krakehl über das unbefriedigte Leben und dergleichen. Ja, das sind solche Reaktionen gegenüber demjenigen, in das da der Mensch eben hineinwächst. Oftmals geschieht es auch so, daß man sich dann durch das Schöne, das die einzelnen Dinge haben, hinwegbetäubt über die Dinge. Man geht auf Bälle. Da hat man dann zu tun am nächsten Tag mit dem Ausschlafen, nicht wahr. Es ist die Zeit in irgendeiner Weise ausgefüllt. Oder aber man schließt sich einer stramm patriotischen Partei an, weil man doch mit seinem Assessorsein in irgend etwas hineingehören muß, was einen aufnimmt. Man ist schon aufgenommen worden vom Staat, von einer Religionsgemeinschaft, jetzt muß man doch auch so eine Art Gloriole verbreiten über dasjenige, in das man unbewußt hineingewachsen ist. Nun, ich brauche die Sache nicht weiter zu schildern.

Es ist so, daß die Menschen, die heute auf der Heerstraße des Da­seins sich bewegen, in dieser Art etwa hineinwachsen in das Dasein.

Diejenigen nun, die da nicht mitkönnen, finden sich eben dann auf Seitenwegen; solche, die eben mit den meisten vorgeschriebenen Bahnen der Gegenwart nicht mitkönnen, die finden sich auf den zahlreichen möglichen und unmöglichen Wegen. Aber eben einer dieser Wege ist dann auch der anthroposophische, wo der Mensch dasjenige will, was nun in ihm selbst liegt, wo er das in einer mehr bewußten Art durchleben will, wo er etwas miterleben will, das we­nigstens bis zu einem gewissen Grade in seiner Wahl liegt. Solche nicht auf der Heerstraße des Lebens wandelnde Leute sind eben nun zumeist die Anthroposophen. Ob sie sich in der Jugend oder im Alter zur Anthroposophie finden, auf irgendeine Weise sind es solche Leute. Wenn man weiter nachforscht, woher das kommt, dann findet man da auch Zusammenhänge mit der geistigen Welt.

Die Seelen kommen heute zumeist so aus dem vorirdischen Dasein in das irdische herein, daß sie lange Zeit denjenigen Zustand vor ihrer Geburt durchmachen, den ich in Vorträgen auch schon öfter charakterisiert habe. Der Mensch kommt, nachdem er seinen Lebensweg

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zwischen dem Tod und einer neuen Geburt in der geistigen Welt durchgemacht hat, zunächst in die Region, wo er sich immer mehr und mehr hineinlebt in die geistige Welt, wo sein Leben in einem Mitarbeiten mit den Wesen der höheren Hierarchien besteht, wo er in allen seinen Taten eben innerhalb des Geistig-Substantiellen arbeitet. Aber in diesem Verlaufe zwischen dem Tode und einer neuen Geburt kommt auch derjenige Zeitpunkt, wo der Mensch den Blick gewissermaßen wieder auf die Erde herunterwendet. Der Mensch verbindet sich da seelisch lange schon mit den Generationen, an de­ren Ende dann das Elternpaar steht, das ihn gebiert. So daß nicht etwa bloß bis zum Ururgroßvater, sondern bis zu weit vorher­gehenden Generationen der Mensch bereits auf seine Vorfahren hin­unterblickt, sich verbindet mit der Richtungslinie, mit der Strömung, die durch die Generationen seiner Vorfahren geht.

Nun ist es eben bei der Mehrzahl der Seelen der Gegenwart so, daß sie in der Zeit, in der sie sich anschicken, wieder zur Erde her­unterzukommen, schon ein brennendes Interesse haben an demjeni­gen, was sich auf der Erde abspielt. Sie sehen gewissermaßen von der geistigen Welt auf die Erde hernieder und interessieren sich lebhaft für dasjenige, was mit ihren Urvätern sich auf der Erde abspielt. Solche Seelen werden eben so, wie ich es jetzt charakteri­siert habe bei denen, die sich auf der breiten Heerstraße des gegen­wärtigen Lebens mitbewegen.

Dagegen gibt es gerade in der Gegenwart eine Anzahl von See­len, die weniger Interesse haben, wenn sich ihr vorirdisches Dasein wieder zum irdischen Dasein neigt, an dem, was auf der Erde vor­geht, sondern sie wenden ihr hauptsächlichstes Interesse den Tat­sachen zu: wie werden wir reif in der geistigen Welt? Sie inter­essieren sich sozusagen bis zum letzten Augenblicke, durch den sie wiederum ihren Weg zur Erde finden, für die geistige Welt.

Während die anderen eine tiefe Begierde haben nach irdischem Dasein, haben diese Seelen bis zuletzt ein lebendiges Interesse an demjenigen, was in der geistigen Welt vor sich geht, kommen daher

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dann, wenn sie sich auf Erden verleiblichen, mit einem aus geistigen Impulsen erwachsenden Bewußtsein an, das weniger eine Hinnei­gung gibt zu dem, was nun an solchen Impulsen vorhanden ist, wie ich sie für die breiten Heersträßler charakterisiert habe. Sie wachsen heraus aus den Impulsen ihrer Umgebung, sie wachsen namentlich mit ihren geistigen Ambitionen heraus aus ihrer Umgebung und sind dadurch prädestiniert, vorbereitet dazu, eben ihren eigentn Weg zu gehen.

So könnte man die Seelen, die da herunterkommen aus dem vor-irdischen Dasein in das irdische Dasein, heute in zweierlei Arten gliedern. Die eine Art, welcher die Mehrzahl der Menschen heute noch angehören, umfaßt die außerordentlich heimatbegabten See­len, die so recht wohl sich fühlen als Seelen in dem warmen Neste, wenn sie es auch manchmal als unangenehm empfinden - aber das ist ja nur schcinbar, das ist Maja -, die sich wohl fühlen in diesem warmen Neste, für das sie sich ja schon lange interessiert haben, be­vor sie zur Erde heruntergestiegen sind.

Andere, die vielleicht - die äußerliche Maja ist ja nicht immer maßgebend - ganz geduldig das Kindesleben mitmachen als Seele, sind weniger heimatbegabt, sind heimatlose Seelen, wachsen aus dem warmen Nestchen viel mehr heraus als hinein. Und eben zu dieser letzteren Gattung gehören durchaus diejenigen auch, die sich dann an die anthroposophische Bewegung heranfinden. Es ist also das durchaus in irgendeiner Weise vorherbestimmt, ob man durch sein Schicksal zur Anthroposophie getrieben wird.

Man kann nun sagen: in der mannigfaltigsten Weise macht sich dasjenige geltend, was solche Seelen nun so auf Seitenwegen, abseits von der großen Heerstraße des Lebens suchen. Derjenige, der das Leben mit einem gewissen Bewußtsein durchgemacht hat in den letzten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts, in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts, der wird gefunden ha­ben, daß überall unter den anderen Menschen solche heimatlose See­len, namentlich eben seelisch heimatlose Seelen zahlreich, verhältnismäßig

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natürlich, auftraten. Einen gewissen Anflug, möchte ich sagen, von solcher Heimatlosigkeit haben heute sehr viele Seelen.

Wenn nicht die anderen es als so wohltuend empfinden würden, in den ausgefahrenen Wegen zu gehen, und nicht solche Hindernisse entgegensetzen würden den heimatlosen Seelen, so würde die Zahl dieser heimatlosen Seelen noch viel deutlicher für die Zeitgenossen ins Auge fallen. Aber man kann, ich möchte sagen, überall sehen, wie einen gewissen Anflug von solcher Heimatlosigkeit heute zahl­reiche Seelen haben.

Erst vor ganz kurzer Zeit wurde berichtet, daß selbst solche Dinge geschehen: ein Professor hat an einer Universität ein Kolleg gehal­ten, ein Semestralkolleg angekündigt über die Entwickelung - wie er es nennt - der mystisch-okkulten Anschauungen von Pythagoras bis Steiner, und, nachdem dieses Kolleg angekündigt war, sind zu der ersten Vorlesung schon so viele Leute gekommen, daß er nicht in einem gewöhnlichen Hörsaal lesen konnte, sondern lesen mußte im Auditorium Maximum, wo sonst nur die großen Festvorträge abgehalten werden.

Man sieht aus solchen Tatsachen, wie heute die Dinge liegen, wie tatsächlich die Neigung zu solcher Heimatlosigkeit außerordent­lich in die Seelen eingewachsen ist. Man konnte dasjenige, was ja heute als eine von Woche zu Woche sich immer mehr und mehr steigernde Sehnsucht der Seelen, die in sich solche Heimatlosigkeit tragen, was als Sehnsucht nach einer nicht von vornherein eingerich­teten, von vornherein orientierten Lebensposition, was als Sehnsucht nach dem Geistigen von dieser Ecke des Lebens heraus sich immer mehr und mehr geltend macht, von Woche zu Woche, möchte man sagen, in unserem heutigen chaotischen Geistesleben sich stärker geltend macht, man konnte alles das heraufkommen sehen. Indem ich Ihnen das langsame Herankommen mit ein paar Strichen heute zeichnen möchte, werden Sie durch eine Art von Selbstbesinnung in dieser Zeichnung ein klein wenig von dem finden können, was ich Ihrer aller anthroposophischen Ursprung nennen möchte.

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Ich möchte heute einleitungsweise nur aphoristisch charakterisie­ren. Sehen Sie in die letzten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhun­derts zurück - wir können auch irgendein anderes Gebiet nehmen, aber nehmen wir ein sehr charakteristisches Gebiet -, da machte sich dasjenige geltend in einem gewissen Zeitpunkte, was man nen­neu kann das Wagnertum, das Richard Wagnertum. Gewiß, bei die­sem Richard Wagnertum war sehr viel Zivilisationskoketterie, Sen­sationslust und so weiter. Aber unter denjenigen Leuten, die dann, als Bayreuth eingerichtet war, erschienen, waren ja nicht bloß die Herren im Frack nach der neuesten Mode und die Damen in den letzten Modekostümen, sondern es war in Bayreuth alles mögliche beisammen. Man sah dort schon durchaus Herren in sehr langen Haaren, Damen mit ganz kurz geschorenen Haaren, man sah Leute, welche es als eine Art von moderner Wallfahrt empfanden, nach Bayreuth von weither zu wandern. Ich habe sogar einen gekannt, der hat sich, als er den Weg nach Bayreuth angetreten hat, in einem sehr weit entfernten Orte die Stiefel abgelegt und ist barfuß nach Bayreuth als Wallfahrer gegangen.

Unter solchen, die also als Herren mit langen, als Damen mit kur­zen Haaren gekommen sind, waren manche, die schon irgendwie doch zu den heimatlosen Seelen gehörten. Aber auch unter den­jenigen, die vielleicht nicht gerade nach der allerletzten Mode, aber doch schon nach einer respektableren Mode gekleidet waren, waren solche, die auch heimatlose Seelen waren.

Nun wirkte da aus dem Wagnertum heraus auf die Leute das­jenige, was wirklich in dem Wagnertum - ich rede jetzt nicht allein von dem musikalischen Elemente im Wagnertum, sondern von dem Wagnertum als Kulturerscheinung - sich geltend machte:

das war doch etwas, was aus dem, was sonst die materialistische Zeit darbot, sich heraushob. Es war etwas, was wie suggestiv, möchte ich sagen, gerade vom Wagnertum ausging, was auf die Leute so wirkte, daß sie das Gefühl bekamen: da ist ein Tor in eine geistigere Welt hinein, eine andere, als die, welche unsere gewöhnliche Umgebung

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ist. Und gelegentlich desjenigen, was in Bayreuth vorging, ent­wickelte sich eine ganze Menge von Sehnsucht nach geistiger Ver­tiefung.

Zunächst war es ja schwierig, Richard Wagners Gestalten und dramatische Kompositionen zu verstehen. Aber daß sie aus einem anderen Elemente heraus geschaffen waren, als bloß aus dem grob materialistischen Elemente der Zeit, das empfanden eben zahlreiche Menschen. Und diejenigen, die dann gerade dahin getrieben wurden als heimatlose Seelen, bei denen war es so, daß sie wie, ich möchte sagen, durch eine suggestive Gewalt der Wagnerdramen und na­mentlich des Lebens, das sich gelegentlich des Hereintretens der Wagnerdramen in unsere Zivilisation abspielte, angeregt worden sind, allerlei dunkle, gefühlsmäßige Intuitionen zu bekommen.

Es gab ja zum Beispiel auch unter denjenigen, die sich in dieses Wagnerleben hineinfanden, Leser der «Bayreuther Blätter». Nun ist es geschichtlich interessant-heute ist ja das alles schon Geschichte -, so einen Jahrgang «Bayreuther Blätter» sich herzunehmen und anzu­schauen, wie da ausgegangen wird von einer Interpretation von «Tristan und Isolde», von dem «Nibelungenring», von dem «Flie­genden Holländer» sogar, wie da ausgegangen wird von dieser dra­matischen Gestaltung, von den einzelnen Gestalten innerhalb der Wagnerdramen, von den Vorgängen in denselben, und wie da, aller­dings in einer stark subjektivierenden, unrealistischen Weise, auch im spirituellen Sinn unrealistisch, aber doch mit einer geistigen Sehn­sucht versucht wird, in eine geistigere Betrachtung der Dinge und des Menschenlebens überhaupt hineinzukommen. Und man kann schon sagen: manches, was dann an allerlei Hamlet-Interpretationen oder sonstigen Interpretationen von Kunstwerken Theosophen ge­leistet haben, erinnert sehr stark an gewisse Aufsätze, die der, nicht Theosoph, aber eingeschulte Wagnerianer Hans von Wolzogen in den «Bayreuther Blättern» geschrieben hat. Da konnten Sie zum Bei­spiel, nun sagen wir einmal, des Morgens aufwachen: wenn Ihnen irgendein Trollgeist hingelegt hätte statt einer theosophischen

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Zeitschrift, die Sie vielleicht vor fünfzehn Jahren gelesen haben, ein Heft «Bayreuther Blätter», so könnten Sie den Ton und die Hal­tung wirklich verwechseln mit dem, was Sie in Ihrer theosophischen Zeitschrift gefunden haben, wenn es gerade ein Wolzogenscher oder ähnlicher Artikel war.

Also man möchte sagen: dieses Wagnertum war für viele Leute, in denen heimatlose Seelen wohnten, ein Anlaß, hineinzukommen in eine solche Betrachtungsweise der Welt, die hinwegführte von dem Grob-Materiellen, hineinführte in Geistiges. Und alle diejenigen, die aus einem inneren Drang der Seele, nicht aus äußerer Zivilisa­tionskoketterie, in eine solche Strömung hineingewachsen waren, von denen darf man schon sagen: bei diesen, was sie auch sonst im Leben waren, ob nun Advokaten, Künstler, Exzellenzen oder Nationalräte, oder was sie immer für Menschen waren, die da so hineingewachsen waren, selbst wenn es Naturforscher waren - es gab auch solche -, bei diesen war es schon so, daß sie dieses Hinein­wachsen in eine geistige Welt verfolgten aus einer inneren Sehn­sucht der Seele heraus, und sich dann nicht mehr kümmerten um die sicheren Beweise, die ja überall zu finden waren für die materiali­stisch gestaltete Weltanschauung.

Wie gesagt, ich hätte auch andere Gebiete anführen können, wo man solche heimatlosen Seelen gefunden hat. Man fand schon über­all solche heimatlosen Seelen. Aber besonders charakteristisch war eben das Gebiet des Wagnertums. Da fanden sich zahlreiche solche heimatlosen Seelen.

Nun, mir selbst war es dann vorgesetzt, eine Anzahl solcher See­len, aber im Vereine wiederum mit anderen, die gewissermaßen ihr geistiges Novizentum imWagnerianismus durchgemacht haben, dann wiederum in einer anderen Metamorphose kennenzulernen. Es wa­ren Seelen, die ich Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in Wien kennenlernte, in einer Gruppe von Menschen, wo sich sozusagen lauter heimatlose Seelen zusammenfanden. Wie sich dazu­mal schon an der Oberfläche die Heimatlosigkeit darstellte, davon

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machen sich die Leute heute gar nicht mehr den richtigen Begriff, weil vieles von dem, wozu dazumal Courage, Seelencourage gehörte, ja heute etwas Landläufiges geworden ist.

So zum Beispiel glaube ich nicht, daß sich viele Menschen heute das Folgende vorstellen können: Ich saß in einem Kreise von sol­chen heimatlosen Seelen; da hatte man schon allerlei gesprochen. Da kam einer später, der eben länger zu tun hatte als die anderen, oder vielleicht auch zu Hause sitzen geblieben war, beschäftigt mit seinen eigenen Gedanken, und fing nun an, von Dostojewskis «Raskolnikoff» zu sprechen, redete von dem «Raskolnikoff» in einer solchen Weise, daß es in die ganze Gesellschaft wie ein Blitz einschlug. Eine neue Welt war da, eine Welt, - ja wie wenn man ungefähr plötzlich auf einen anderen Planeten versetzt würde. So empfanden sich diese Seelen.

Ich darf vielleicht sagen: bei diesen Lebensbeobachtungen, die ich Ihnen ja als eine Einleitung zur Geschichte der anthroposophischen Bewegung zu erzählen habe, muß ich eben erwähnen, daß für mich in der Zeit, als ich solche Lebensbeobachtungen zu machen vom Schicksale gedrängt war, niemals irgendwie der Zusammen­hang mit der geistigen Welt, das Drinnenstehen in der geistigen Welt irgendwie abgerissen war. Es war immer da. Ich muß das er-wähnen, weil das den Hintergrund dieser Betrachtungen bilden muß: die geistige Welt eine Selbstverständlichkeit, und die Men­schen auf Erden eben betrachtet als die Abbilder desjenigen, was sie eigentlich als geistige Wesenheiten innerhalb der geistigen Welt sind. Diese Gemütsverfassung möchte ich eben charakterisieren, damit Sie dieses als geistigen Hintergrund immer voraussetzen.

Natürlich war dieses Beobachten nicht ein Beobachten wie mit einer kalten Hundeschnauze, sondern mit herzlich warmem Anteil, und ohne daß man ein Beobachter sein will, indem man eben mit drinnen ist in aller Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit und Höf­lichkeit selbstverständlich. So stand man da drinnen und lernte die Menschen kennen, nicht um sie zu beobachten, sondern weil es das

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Leben von selber natürlich gab. Da lernte ich Ende der achtziger Jahre solch einen Kreis kennen, der im übrigen aus Menschen aller Berufe, aller Lebensschattierungen bestand, aus Menschen, die aber solche heimatlosen Seelen waren, und von denen eine Anzahl her­gezogen waren eben aus der Wagnergegend, die Menschen waren, die sozusagen ihr geistiges Novizentum in der Wagnergegend durch­gemacht haben. Der, von dem ich erzählt habe, daß er sich in Wien die Stiefel auszog und dann barfuß nach Bayreuth gegangen ist, war auch darunter, war sogar ein sehr geistreicher Mensch. Diese Per­sönlichkeiten traf ich eine Zeitlang eigentlich recht oft, manchmal jeden Tag. Und sie lebten nun in einer, ich möchte sagen, zweiten Metamorphose. Nachdem sie ihre Wagnermetamorphose durch­gemacht hatten, lebten sie in einer zweiten Metamorphose.

Es waren zum Beispiel drei darunter, die waren gute Bekannte von H. P. Blavatsky, hatten sogar intim verkehrt mit H.P. Blavatsky, waren eifrige Theosophen, so wie Theosophen dazumal waren, als die Blavatsky noch lebte. Es war gerade diesen Theosophen dazumal, in der Zeit, nachdem unmittelbar die «Entschleierte Isis» und die «Geheimlehre» der Blavatsky erschienen waren, etwas besonderes eigen: sie hatten alle den Zug, recht esoterisch zu sein. Sie verach­teten das äußere Leben, in dem sie drinnenstanden, verachteten selbstverständlich den eigenen Beruf, aber mußten sich ins exote­rische Leben eben hineinbegeben. Das war natürlich. Das übrige aber, das ist - esoterisch: da redet man nur zu Eingeweihten, nur innerhalb eines kleinen Kreises. Und diejenigen, von denen man eben meint, daß sie nicht würdig sind, über solche Dinge zu reden, betrachtet man als solche, mit denen man über die gewöhnlichen Dinge des Lebens redet. Die anderen, mit denen redet man eben esoterisch. Es waren Leser, gute Leser des damals eben erschienenen «Geheimbuddhismus» von Sinnett, alles aber Menschen, im eminen-testen Sinne zu den heimatlosen Seelen zählend, die ich eben so charakterisiert habe, Menschen, die, trotzdem sie in dem Augenblick, wo sie im praktischen Leben standen, Techniker zum Beispiel waren,

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dann mit einem großen Anteil, mit regstem Interesse ein solches Buch wie Sinnetts «Geheimbuddhismus» verfolgten. Ein gewisser Drang war ja bei solchen Menschen vorhanden - das kam zum Teil auch noch aus dem Wagnertum her -, alles mögliche, was an Mythen vorhanden war, in, wie sie es nannten, esoterischem Sinne auszulegen, zu interpretieren.

Nun konnte man aber sehen, als sich wirklich gerade mit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts immer mehr und mehr diese heimatlosen Seelen zeigten, wie gerade diejenigen am interessan­testen waren, die nun nicht, ich möchte sagen, aus einem doch nur zu neun Zehntel ganz ehrlichem, höchstens neun Zehntel ehr­lichem Bewußtsein heraus die Schriften von Sinnett oder Blavatsky verfolgten, sondern die andern, die nun zuhörten, die nicht selber heranwollten an das Lesen - es war ja in dieser Zeit noch eine sehr starke Scheu vor solchen Dingen -, aber mit offenem Munde zu-hörten, wenn diejenigen, die gelesen hatten, diese Dinge ausein­andersetzten. Und man konnte sehr interessant beobachten, wie die Zuhörer, die manchmal ehrlicher waren als die Erzähler, aus der Heimatlosigkeit ihrer Seelen heraus das aufnahmen als eine geistige Nahrung, die sie brauchten, die sie sich sogar aus der relativen Unwahrheit, mit der diese geistige Nahrung dargereicht wurde, in ein ganz Ehrliches durch die eigene ehrlichere Seele übersetzten, wie sie das aufnahmen. Man konnte an ihnen die Sehnsucht, etwas ganz anderes einmal zu hören als dasjenige, was auf der gewöhn. lichen Heerstraße der Zivilisation liegt, sehen und wie das so Ge­hörte verschlungen wurde von solchen Menschen! Es war außer­ordentlich interessant eben zu sehen, wie auf der einen Seite die Fangarme des Heerstraßenlebens da waren, die immer wiederum die Leute an sich rissen, wie sie dann, nicht wahr, in diesem oder jenem Salon erschienen, wo man sich versammelte - oftmals war's ein Kaffeehaus - und mit einer ungeheuren Sehnsucht auf dasjenige horchten, was nun wiederum irgendeiner aus einem neuerschienenen Buch von dieser Art eben gelesen hatte, der manchmal recht dick

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tat mit demjenigen, was er gelesen hatte. Aber es waren eben durch­aus auch die ehrlichen Seelen da, die so hin- und hergeworfen wur­den vom Leben.

Gerade in den ersten Zeiten im zu Ende gehenden neunzehnten Jahrhundert sah man, wie so recht die Seelen hin- und hergeworfen waren, die sich ihre Heimatlosigkeit nicht recht gestehen mochten. Denn, nicht wahr, da hörte der eine in einer wirklich außerordent­lich interessierten Weise zu, wie da erzählt wurde von physischem Leib, Ätherleib, astralischem Leib, Kama Manas, Manas, Buddhi und so weiter. Ja, und dann hatte er sein Feuilleton zu schreiben, das die Zeitung von ihm haben wollte, in das er die bekannten Ro­sinen hineintun mußte. Die Leute wurden wirklich solche Seelen, die so recht zeigten, wie schwierig es eigentlich für manche wurde, gerade im Beginne der neueren Geistesentwickelung, die wir doch vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts an zählen müssen, die breite Heerstraße des Lebens zu verlassen. Denn manche benahmen sich dabei wirklich so, als ob sie sich gerade dann, wenn sie zu dem Wichtigsten, sie am meisten Interessierenden des Lebens hin woll­ten, eigentlich so wegschlichen und womöglich haben wollten, daß man nicht erfahre, wo sie sich da hingeschlichen haben. Es war schon recht interessant, wie sich eigentlich das geistige Leben, das geistige Wollen, die Sehnsucht nach einer geistigen Welt gerade innerhalb der europäischen Zivilisation hereinmachte.

Nun müssen Sie bedenken: es war am Ende der achtziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts denn doch eigentlich noch viel schwieriger als heute; wenn es auch harmloser war, so war es schwie­riger als heute, so ohne weiteres sich zu der geistigen Welt zu be­kennen, denn die physisch-sinnliche mit all ihren großartigen Ge­setzen, die war ja bewiesen! Gegen die konnte man doch nicht auf­kommen! Für die gab es doch zahlreiche Beweise, für die sprachen die Laboratorien, die physikalischen Kabinette, die Kliniken, alles sprach für die bewiesene Welt. Aber die bewiesene Welt war für viele heimatlose Seelen eine so unbefriedigende, ja für das Innere

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der Seelen eine so unmögliche, daß sie sich eben seitwärts schlichen. Und während ihnen nicht nur scheffelweise, sondern tonnenweise, in Riesenmengen, die große Zeitzivilisation dargeboten wurde, nipp­ten sie an demjenigen, was von dem wie eine Art Hereinströmen der geistigen Welt in die moderne Zivilisation eben zu erhaschen war. Es war durchaus nicht leicht, so ohne weiteres von der geistigen Welt zu sprechen, man mußte an irgend etwas anknüpfen.

Wenn ich da etwas einflechten darf, was wiederum eine persön­liche Bemerkung ist, so soll es das folgende sein: ich selbst mußte

- man konnte nicht mit der geistigen Welt sozusagen den Leuten ins Haus fallen, vor allem konnte man nicht ins Zivilisationshaus hineinfallen - an irgend etwas anknüpfen, nicht aus einem äußer­lichen Grunde, das konnte etwas ganz ehrlich Innerliches sein. Ge­rade am Ende der achtziger Jahre knüpfte ich die Bemerkungen, die ich über die geistige Welt, über deren intimere Seiten zu machen hatte, an zahlreichen Orten gerade an Goethes «Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie» an. Da konnte man anknüp fen, weil ja nun schließlich Goethe im Kredit stand; es war immer­hin der Goethe, nicht wahr. Wenn man ankuüpfte an etwas, was immerhin Goethe gemacht hatte, und wenn es so offensichtlich ist, daß da geistige Impulse hineingeflossen sind wie in das «Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie», so konnte man an diese Dinge anknüpfen. Für mich war es sogar etwas Selbstverständ­liches, dazumal anzuknüpfen an Goethes «Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie». Denn an das konnte ich doch nicht anknüpfen, was dazumal als Theosophie getrieben worden ist, was eine immerhin sehr strebsame Gruppe von Leuten Ende der achtziger Jahre sich dazumal herausgeholt hatte aus Blavatsky, aus Sinnetts «Esoterischem Buddhismus» und ähnlichen Büchern. Es war für jemanden, der sich das an der Wissenschaft herangeschulte Denken in die geistige Welt hinein bewahren wollte, eben einfach unmög­lich, irgendwie in eine Verwandtschaft hineinzukommen mit dem, was sich als eine geistige Atmosphäre unmittelbar in Anlehnung an

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Blavatsky und an Sinnetts «Esoterischen Buddhismus» bildete. Dabei war auch nach der anderen Seite die Sache nicht leicht.

Denn warum? Nicht wahr, Sinnetts «Esoterischer Buddhism'us» er­kannte man ja bald als ein spirituell dilettantisches Buch, das alte, schlecht verstandene Esoterismen zusammenstellte. Aber zu einem solchen Werk als Zeiterscheinung, wie Blavatskys «Geheimlehre» ist, war es doch nicht leicht ein Verhältnis zu gewinnen. Denn dieses Werk verriet immerhin an zahlreichen Stellen, daß dasjenige, was darinnen sich befindet, aus richtigen schlagkräftigen Impulsen aus der geistigen Welt herauskommt. So daß man an zahlreichen Stellen dieser Blavatskyschen «Geheimlehre» eben findet das Sich-Offen­baren einer geistigen Welt durch eine gewisse Persönlichkeit, die eben die Blavatsky war.

Vor allen Dingen mußte einem eines besonders auffallen, gerade auffallen im Suchen, dem sich die Menschen, die so an Blavatsky selbst oder an die Blavatskysche «Geheimlehre» herangekommen waren, hingegeben hatten. Es war durch diese «Geheimlehre» eine große Summe von uralten, in der Vorgeschichte der Menschheit durch atavistisches Hellsehen gewonnene Wahrheiten ausgespro­chen. Ich möchte sagen: es war eine Art Wiederauferweckung von uralten Kulturen. Man hatte vor sich, eben aus der äußeren Welt einem entgegenkommend, nicht bloß aus sich selbst, dasjenige, wovon man sich sagen mußte: das bringt ein ungeheures altes Weis­heitsgut herauf, das die Menschen einmal als etwas außerordentlich Lichtbringendes besessen haben. Dazwischen Partieen der unglaub­lichsten Art, die einen immer wieder staunen machten, weil das Buch lotterig, dilettantisch gearbeitet ist in bezug auf jede wissen­schaftliche Denkweise, unsinnig mit Bezug auf manches Abergläu­bische und so weiter. Überhaupt ein ganz merkwürdiges Buch, diese Blavatskysche «Geheimlehre»: große Wahrheiten neben schauder­haftem Zeug. Man möchte sagen: so etwas charakterisiert ganz gut, welchen Seelenphänomenen ausgesetzt waren diejenigen, die eben als heimatlose Seelen so nach und nach sich heraufentwickelten in

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der neueren Zeit. Ich habe wirklich dazumal zahlreiche solcher See­len kennengelernt. Man konnte eben das Ankommen dieser heimat­losen Seelen auf der Erde sehen.

In der darauffolgenden Zeit, in meiner Weimaraner Zeit, war ich ja zunächst intensiv mit anderem beschäftigt. Obwohl es auch da zahlreiche Gelegenheiten gab, solche suchenden Seelen zu bemer­ken. Denn gerade während meiner Weimaraner Zeit kamen, um das Goethe- und Schiller-Archiv zu besuchen, durch Weimar alle Arten von Menschen, wenn ich so sagen darf, auch aus aller Herren Län­der. Man lernte die Menschen in ihren guten, in ihren schlechten Seelenseiten gerade ganz merkwürdig kennen, indem sie da durch Weimar durchkamen. Käuze lernte man kennen und hochgebildete, feine, vornehme Menschen. Ich habe zum Beispiel meine Begeg­nung mit Herman Grimm in Weimar gerade in der vorletzten Nummer des «Goetheanum» beschrieben.

Bei Herman Grimm war es, wenigstens für mein Gefühl, wirk­lich so, wenn er da war in Weimar - er kam sehr häufig, wenn er von Berlin aus wiederum nach Italien reiste oder zurück, oder auch sonst kam er sehr häufig nach Weimar und für mich hatte sich so die Empfindung herausgebildet -: es ist etwas anderes mit Weimar, wenn er da ist, als wenn er wieder fort ist. Herman Grimm war etwas, was einem Weimar besonders erklärte. Man wußte besser, was Weimar ist, wenn Herman Grimm zu Besuch da war, als wenn er nicht da war.

Es braucht nur erinnert zu werden an Herman Grimms Roman «Unüberwindliche Mächte», um auch bemerklich zu machen, wie immerhin sogar in Herman Grimm ein starker Drang nach Spiri­tuellem lebte. Lesen Sie den Schluß dieses Romans «Unüberwind­liche Mächte», wie da die geistige Welt in die physische hereinspielt durch die Seele einer Sterbenden. Es hat etwas ungeheuer Ergreifen-des, Großartiges. Ich habe in früheren Vorträgen darüber gesprochen.

Es waren natürlich dann auch Käuze, die durch Weimar durch-kamen. Zum Beispiel kam ein russischer Staatsrat, der etwas suchte.

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Man konnte nicht herauskriegen, was er suchte: so irgend etwas im zweiten Teil des Goetheschen Faust. Auf welche Art er es gerade durch das Goethe-Archiv kennenlernen wollte, konnte man nicht herauskriegen. Man wußte ihm auch nicht recht zu helfen. Im Goethe-Archiv hätte man ihm sehr gern geholfen. Er suchte nur immer. Er suchte den Punkt im zweiten Teil des Faust, und man konnte nicht recht darauf kommen, was das für ein Punkt sein sollte. Immer nur hörte man, den Punkt suche er, den Punkt. Es war dann so, daß man ihn suchen ließ. Aber er war dann mit diesem Punkt so gesprächig, daß, wenn wir abends beim Abendbrot saßen, und er in die Nähe kam, wir immer untereinander sagten: Schauts euch nicht um, der Staatsrat geht um. Man wollte nicht gefunden sein von ihm.

Nun, neben ihm saß wiederum ein sehr merkwürdiger Besucher, der sehr geistreich war, ein Amerikaner, der aber die Stellung sitzend auf dem &den liebte, die Vorderbeine übereinander-gespreizt, der also in solcher Art vor den Büchern auf dem Erdboden saß: das war ein merkwürdiger Anblick. Wie gesagt, das kam da auch vor, und man konnte schon gewissermaßen einen Ausschnitt aus dem gegenwärtigen Zivilisationsleben in einer außerordentlich prägnanten Weise sehen.

Aber als ich dann nach Berlin kam, führte mich das Schicksal wiederum ganz besonders hinein in einen Kreis solcher Seelen, von denen ich gesagt habe, sie sind heimatlose Seelen. Und es führte mich das Schicksal so weit hinein, daß eben gerade dieser Kreis von mir verlangte, daß ich ihm Vorträge halte, die ja dann in meiner «Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens» abgedruckt sind. Ich habe auch in der Vorrede zu dieser «Mystik» erzählt, wie die Dinge sich abgespielt haben. Das waren eben Leute, die sich, in einer etwas späteren Zeit als meine Wiener Bekannten, zur Theo­sophischen Gesellschaft hingefunden hatten. Sie standen auch in einer anderen Weise zu dem, was Blavatsky war. Das Studium von Blavatskys «Geheimlehre» betrieben nur wenige; aber in dem­jenigen, was nun die Nachfolgerin der Blavatsky, Annie Besant, als

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die damalige Theosophie vortrug, waren diese Menschen bewandert, denen ich etwas ganz anderes vortrug in meiner «Mystik». Sie waren sehr darin bewandert und ich erinnere mich noch, daß ich zum Bei-spiel von einem Mitgliede dieser Gruppe einen Vortrag hörte, der anknüpfte an ein kleines Buch von Annie Besant, worin sie nun ihrer­seits den Menschen so gliederte: physischer Leib, Ätherleib, astra­lischer Leib und so weiter. Ich muß oftmals gedenken, wie furchtbar schrecklich ich dazumal diese Darstellung des Menschen im Sinne der Annie Besant fand. Ich hatte nichts gelesen von Besant. Es war das erste, was ich von ihr hörte, dieser Vortrag, der da von einer Dame gehalten worden ist eben in Anknüpfung an die neueste dazu­malige Broschüre von Besant. Es war etwas Schreckliches, wie dazumal hintereinander aufgezählt worden sind die einzelnen Glie­der der menschlichen Wesenheit, im Grunde ziemlich ohne inneres Verständnis, ohne sie hervorgehen zu lassen aus der Totalität des menschlichen Wesens.

So war ich wiederum drinnen, wie in Wien Ende der achtziger Jahre, in einer möglichen Beobachtung von solchen heimatlosen Seelen. Und das wissen Sie ja schon: im wesentlichen ist dann das­jenige, was Anthroposophie ist, zunächst aufgewachsen, möchte ich sagen, mit dem, nicht in dem, aber mit dem, was von solchen heimat­losen Seelen da war, die zunächst bei der Theosophie eine neue Heimat für ihre Seelen gesucht haben.

Ich wollte, meine lieben Freunde, heute die Betrachtungen bis zu diesem Punkte führen, werde dann morgen fortsetzen und versu­chen, Sie weiterzuführen in dieser Selbstbesinnung, die ja heute kaum erst begonnen hat.

ZWEITER VORTRAG 11. Juni 1923

#G258-1959-SE036 Die Geschichte und die Bedingungen der Anthroposophischen Bewegung ...

#TI

ZWEITER VORTRAG

11. Juni 1923

#TX

Wenn man über die Geschichte und die Lebensbedingungen der Anthroposophie in ihrem Verhältnisse zur Anthroposophischen Ge­sellschaft zu sprechen hat, dann werden zunächst die Betrachtungen an zwei Fragen, die sich einfach aus dieser Geschichte heraus erge­ben, anzuknüpfen haben. Diese beiden Fragen könnte ich in der folgenden Weise formulieren. Erstens, warum war es notwendig, die anthroposophische Bewegung anzuknüpfen in der Art, wie es geschehen ist, an die theosophische Bewegung? Und zweitens, warum wird, was ja im Grunde genommen nur aus äußerlichen Gründen geschieht, die Anthroposophie bis heute noch von übel-wollenden Gegnern mit der Theosophie, beziehungsweise die Anthroposophische Gesellschaft mit der Theosophischen Gesell­schaft verwechselt?

Es werden sich die Antworten auf diese Fragen wirklich nur aus dem Geschichtlichen heraus entwickeln können. Gestern sagte ich, daß ja, wenn man von Anthroposophischer Gesellschaft spricht, es zunächst darauf ankäme, wie die Menschen sind, die sich gedrängt fühlen, ihren Weg durch eine anthroposophische Bewegung zu su­chen. Und ich habe gestern zu charakterisieren versucht, in wel­chem Sinne die Seelen, die da herankommen an Anthroposophie, um ihre geistigen Sehnsuchten zu befriedigen, in ein er gewissen Art heimatlose Seelen sind. Nun, in der Tat, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts und im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts waren solche heimatlosen Seelen vorhanden. Es waren ihrer mehr vorhan­den, als man gewöhnlich anzunehmen geneigt ist, denn viele Men­schen versuchten auf verschiedenen Wegen das Tiefer-Menschliche

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in sich in irgendeiner Art zur Ausbildung zu bringen. Man braucht sich ja nur daran zu erinnern, wie, ganz abgesehen

von den Bestrebungen, die aus dem neuzeitlichen Materialismus hervorgegangen sind, und die dann zu den verschiedensten Formen des Spiritismus geführt haben, zahlreiche Seelen eine gewisse innere Befriedigung gesucht haben dadurch, daß sie solche Schriften, wie etwa die von Ra/ph Wa/do Trine und ähnliche gelesen haben. Was haben denn solche Seelen gesucht, die in der angedeuteten Zeit etwa zu den Schriften von Ralph Waldo Trine griffen? Sie haben, ich möchte sagen, ihr Menschliches anzufüllen versucht mit etwas, was eben von ihnen ersehnt wurde, was sie innerlich fühlen und erleben wollten, was aber auf den gangbaren Wegen der neueren Zivilisation nicht zu finden war, was für sie weder zu finden war in der popu­lären profanen Literatur oder in der profanen Kunst, was für sie auch nicht zu finden war bei den traditionellen Religionsbekennt­nissen.

Ich werde nun heute zunächst einige Tatsachen anzuführen haben und es den nächsten Vorträgen überlassen müssen, die Verbindungs­fäden zwischen diesen Tatsachen vor Ihnen zu ziehen. Zunächst wird es sich darum handeln, gewisse Tatsachen in entsprechender Weise vor die Seele zu führen.

Unter all den Menschen, die so suchten, sei es auf spiritistischem Wege, sei es durch Ralph Waldo Trine oder andere, waren auch diejenigen, die sich der damals in verschiedenen Zweigen vorhan­denen Theosophischen Gesellschaft anschlossen. Und wenn man sich die Frage vorlegt: unterschieden sich diese Menschen, die sich gerade der Theosophischen Gesellschaft in irgendeiner Form an-schlossen, durch irgendwelche charakteristische Eigenschaften von den anderen, die zum Beispiel Spiritisten wurden oder sich durch Ralph Waldo Trine innerlich zu bereichern versuchten, unterschie­den sie sich von diesen, so muß man allerdings die Frage mit Ja beantworten. Sie unterschieden sich ganz bedeutsam. Es war schon eine besondere Art, möchte ich sagen, von menschlichem Suchen bei

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denjenigen vorhanden, die gerade zu irgendeiner Form der Theo­sophischen Gesellschaft getrieben worden sind.

Wir wissen aus dem Verlauf der Entwickelung der Theosophischen Gesellschaft, daß man sich schon vorstellen konnte, daß dasjenige, was im Beginne unseres Jahrhunderts nun als Anthroposophie zu suchen war, am ehesten hätte Verständnis finden können innerhalb der Kreise, die sich zur Theosophie dazumal verbanden. Aber das kann eben erst beleuchtet werden, wenn die Tatsachen ordentlich vor unsere Seele hingestellt sind.

Nun möchte ich, dabei stehenbleibend, zunächst die Menschen, die sich da zusammenfanden, charakterisieren, eine Art Bild geben von dem, was man damals als Theosophische Gesellschaft verstehen konnte, die ja ihre prägnanteste Ausprägung in der englischen Theo­sophical Society fand. An diese schloß sich ja auch an, was dann als Anthroposophie, oder besser gesagt, was eigentlich gleich als Anthroposophie hervorgetreten ist.

Wenn man dasjenige, ich möchte sagen, als Menschengmppe vor sich hatte, was in der Theosophical Society gemeint war, so muß man zunächst in das Bewußtsein dieser Menschen etwas hinein­schauen, hineinschauen in die Seelen dieser Menschen, um zu erken­nen, wie das Bewußtsein dieser Menschen geartet war. Diese Men­schen haben dieses ihr Bewußtsein ja schon in irgendeiner Weise ausgelebt. Sie haben Versammlungen, meetings abgehalten; da sind Vorträge gehalten worden, Diskussionen gepflogen worden. Sie haben sich sonst auch außerhalb der meetings getroffen, sogar sehr viel miteinander gesprochen in kleineren Zirkeln. Es war zum Bei-spiel bei Generalversammlungen nicht üblich, daß die Zeit so aus­gefüllt war, wie das bei uns gestern der Fall war. Man fand immer die Möglichkeit, gemeinsam zu essen, Tee zu trinken und so weiter. Man fand sogar in den Zwischenzeiten die Möglichkeiten, andere Toiletten anzulegen und dergleichen. Es war immerhin schon eine Art von auch, ich möchte sagen, aus der Außenwelt hereinscheinen-den sozialen Verhaltens. Aber das ist es natürlich weniger, was uns

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interessieren kann. Interessieren muß uns das Bewußtsein der Men­schen. Und da konnte zunächst stark auffallen, daß außerordentlich widersprechende Kräfte zwischen diesen Persönlichkeiten spielten.

Diese widersprechenden Kräfte fielen einem besonders auf, wenn die Leute Versammlungen abhielten. Sie kamen zusammen. Aber von jedem Menschen, wenn man nicht eingeschworener Theosoph war, suchte man zwei Vorstellungen zu haben. Es war das Eigen­tümliche, daß, wenn man in die Theosophical Society kam, es ein­fach eine Notwendigkeit war, von jedem Menschen zwei Vorstellun­gen zu haben. Die eine Vorstellung war diejenige, die man sich bil­dete, je nachdem er einem entgegentrat. Die andere Vorstellung aber war diejenige, die die anderen von jedem einzelnen hatten. Sie war herausgeboren aus ganz allgemeinen Anschauungen, aus Anschau­ungen, die sehr theoretischer Natur waren: Vorstellungen über den Menschen überhaupt, über allgemeine Menschenliebe, über Vor­gerücktsein - «advanced» wie man es nannte - oder Nichtvor­gerücktsein, über die Art und Weise, wie man ernst gestimmt sein müsse, wenn man würdig sich erweisen solle, die Lehren der Theo-sophie aufzunehmen und so weiter. Es waren Vorstellungen recht theoretischer Art. Und man dachte: in den Menschen, die da in Fleisch und Blut herumgingen, müsse doch etwas von alldem sein. Da lebten eigentlich nicht die Vorstellungen, die ich zunächst meine, die man sich so auf naive Weise von dem anderen Menschen gebil­det hat, die lebten eigentlich nicht bei den Mitgliedern, sondern es lebte ein Bild in jedem einzelnen von allen anderen, das eigentlich aus theoretischen Vorstellungen von Menschen und Menschenver­halten hervorgegangen war.

Eigentlich sah keiner den anderen, wie er wirklich war, sondern er sah eine Art Gespenst. Und so mußte man eben, weil man, wenn man zum Beispiel einem Herrn Müller begegnete und sich naiv ein Bild von dem Herrn Müller bildete, dann, wenn man sich vergegen­wärtigte, was irgendein anderer für eine Vorstellung habe von dem Herrn Müller, eine gespenstische Vorstellung machen. Denn die

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wirkliche Vorstellung hatte keiner von dem anderen, sondern ein Gespenst stellte er sich vor, das konstruiert war. So hatte man eben nötig, von jedem Menschen zwei Vorstellungen zu haben. Nur er­sparten sich die meisten Mitglieder die Vorstellung vom wirklichen Menschen, sie nahmen nur die Vorstellung des Gespenstes auf. So daß eigentlich zwischen den einzelnen Mitgliedern immer gespenster­hafte Vorstellungen voneinander lebten. Man begegnete eigentlich in den Bewußtseinen der «members» lauter Gespenstern. Man mußte schon eben Interesse haben für Psychologie.

Man mußte auch eine gewisse Vorurteilslosigkeit und Weitherzig­keit haben, um eben wirklichen Anteil zu nehmen. Es war ja sehr interessant dann, Anteil zu nehmen an dem, was eigentlich da als eine Art Gespenstergesellschaft lebte. Denn in der Begrenzung, wie ich es jetzt sagte, war es eine Gespenstergeselischaft, die da lebte. Insbesondere trat einem das gegenüber den führenden Persönlich­keiten sehr stark vors Auge. Die führenden Persönlichkeiten lebten bei den anderen auf eine ganz eigentümliche Weise. Da wurde, sagen wir, von irgendeiner führenden Persönlichkeit gesprochen, X zum Beispiel. Die ging des Nachts als Astralgestalt von Haus zu Haus - natürlich nur durch die Häuser der Mitglieder - als un­sichtbarer Helfer. Die strahlte noch alles mögliche aus. Es waren zum Teil außerordentlich schöne gespensterhafte Vorstellungen, die von den führenden Persönlichkeiten vorhanden waren. Es war dann oftmals ein auffälliger Kontrast, wenn einem diese Persönlichkeiten in der Wirklichkeit entgegentraten. Aber da sorgte ja dann die all­gemeine Stimmung, daß möglichst nur die Gespenstervorstellungen leben konnten, und die wirklichen Vorstellungen wenig leben konnten.

Sehen Sie, zu so etwas brauchte man durchaus Anschauungen, Lehren. Denn da nicht alle Menschen hellsichtig sind, obwohl es dazumal außerordentlich viele gab, die wenigstens vorgaben, hell­sichtig zu sein - wir wollen das jetzt nicht untersuchen, wie weit das stimmte -, aber da nicht alle hellsichtig gewesen sind, so bedurfte

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es gewisser Theorien, durch die man das zusammenzimmerte, was man da als Gespenster formierte.

Nun, diese Theorien hatten etwas außerordentlich Altertümliches. So mußte man den Eindruck empfangen, daß es altaufgewärmte Theorien sind, nach denen nun da die Menschen gespensterhaft kon­struiert wurden. Vielfach konnte man auch leicht finden, wie diese gespenstischen Menschengestalten altem Schrifttum nachgebildet waren.

So kam zu der Gespensterhaftigkeit dazu, daß die Menschen, die man da als Gespenster vor sich hatte, gar nicht Menschen der Gegenwart waren. Es waren eigentlich Menschen früherer Inkarna­tionen, Menschen, die einem vorkamen, wie den ägyptischen oder persischen Gräbern entstiegen, oder alten indischen Gräbern ent­stiegen. Man hatte in einem gewissen Sinne ganz den Eindruck der Gegenwart verloren.

Aber dazu kam noch etwas ganz anderes. Diese alten Lehren konnten, selbst wenn sie in verhältnismäßig moderne Terminologie gehüllt waren, wenig verstanden werden. Nun wurde von diesen alten Lehren viel geredet in abstrakten Formen. Physischer Körper wurde ja noch physischer Körper genannt. Ätherischer Leib wurde dem Mittelalter nachgebildet, vielleicht auch noch astralischer Leib. Dann aber kamen schon die Dinge, wie Manas, Kama Manas und dergleichen, die alle im Munde führten. Aber niemand verstand eigentlich, um was es sich handelte. Es war ja das alles auch geklei­det in ganz modern materialistische Vorstellungen. Aber es waren Weltenzusammenhänge, Weltenbegriffe und -ideen in diesen Leh­ren enthalten, so daß man das Gefühl bekommen konnte: da spre­chen die Seelen wie in weit abgelegenen, früheren, nicht nur Jahr­hunderten, sondern Jahrtausenden.

Das ging ja sehr weit. Es wurden Bücher geschrieben in einer solchen Sprachart. Sie wurden übersetzt; und das ging also alles in einer solchen Form vor sich. Aber es hatte auch noch eine andere Seite. Es hatte eine schöne Seite. Nämlich von all dem, was da oftmals

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nur als Worte lebte, was da unverstanden war, von all dem färbte auf die Menschen doch etwas ab. Man möchte sagen: wenn auch nicht in den Seelen, so war von alledem doch außerordentlich viel im Seelenkostüm der Leute. Sie gingen eigentlich herum, ich möchte sagen, indem sie nicht gerade ein Bewußtsein hatten von Ätherleib oder von Kama Manas, aber sie hatten so das Bewußtsein, daß sie eine Reihe von Mänteln umgab: der eine ist ein Ätherleib, der andere ist Kama Manas und so weiter. Sie hielten etwas auf diese Mäntel, auf dieses Seelenkostüm, und das bildete einen starken Kitt für die Leute.

Das ist etwas, was in einer außerordentlich intensiven Weise die Theosophical Society zu einem Ganzen zusammengeschmiedet hat, was wirklich gemacht hat, daß ungeheures Zusammengehörigkeits-gefühl vorhanden war, daß jeder einzelne sich als einen Repräsen­tanten der Theosophical Society fühlte. Diese Society war etwas für sich, außerdem, daß jeder einzelne da war, war diese Gesellschaft etwas. Sie hatte, man kann schon sagen, ein Selbstbewußtsein für sich. Sie hatte ein eigenes Ich. Dieses eigene Ich war so stark, daß selbst, als dann die Absurditäten der führenden Persönlichkeiten in einer geradezu kuriosen Weise an die Oberfläche getreten sind, diejenigen Menschen, die sich einmal als zugehörig gefühlt haben, mit eiserner Gewalt festgehalten haben und so ein Gefühl dafür hatten: das ist etwas wie Verrat, wenn auch bei großen Fehlern der führenden Persönlichkeiten nicht zusammengehalten wird.

Wer etwa einen Einblick gewonnen hat in jene Kämpfe, die von gewissen Anhängern der Theosophischen Gesellschaft später durch­gemacht worden sind, als die Anthroposophische Gesellschaft längst von ihr getrennt war, welche Kämpfe da durchgemacht worden sind, wenn immer wieder und wiederum gesehen worden ist: da machen die Führer ganz ungeheuerliche Dinge, aber man kann sich doch deshalb nicht von ihnen trennen - wenn man angesehen hat die Kämpfe, die da in den einzelnen Seelen vor sich gegangen sind, dann bekommt man, wenn man auch wirklich ungeheuer Schlechtes

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dabei verurteilen muß, auf der anderen Seite einen gewissen Respekt vor diesem Ichbewußtsein der ganzen Gesellschaft.

Und es entsteht eben die Frage: Wäre es nicht möglich, daß mit den Bedingungen, unter denen die Anthroposophische Gesellschaft in die Welt treten sollte, auch ein solches Gesellschaftsbewußtsein erwachsen könnte?

Mit der Begründung der Anthroposophischen Gesellschaft mußte verzichtet werden auf jene oftmals sehr bedenklichen Mittel, durch welche dort in der Theosophischen Gesellschaft der starke Zusam­menhalt und das Ichbewußtsein der Gesellschaft errungen worden ist. Es mußte das Ideal eben vor der Anthroposophischen Gesell­schaft schweben: Die Weisheit liegt nur in der Wahrheit. Aber das sind eben doch Dinge, die bis heute Ideal geblieben sind. Gerade auf diesem Felde läßt ja die Anthroposophische Gesellschaft insofern noch viel zu wünschen übrig, als sie in bezug auf die Bildung eines Gemeinschaftskörpers, eines eigenen Gesellschafts-Ichs, nicht ein­mal noch in den Anfängen steht.

Die Anthroposophische Gesellschaft ist eine Vereinigung von Menschen, die als einzelne Menschen sehr strebsam sein können, aber als Gesellschaft ist sie im Grunde genommen noch gar nicht da, weil eben dieses Zusammengehörigkeitsgefühl nicht da ist, weil die wenigsten Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft sich als Repräsentanten dieser Gesellschaft fühlen. Es fühlt sich jeder als ein einzelner und vergißt ganz, daß es eine Anthroposophische Ge­sellschaft geben soll.

Nun habe ich mit einigem - ich werde das dann noch ergänzen an den folgenden Tagen - das Publikum charakterisiert. Ich möchte auch noch die andere Seite charakterisieren. Denn wie hat sich in die­ses ganze Zeitstreben, so muß ich ja sagen, Anthroposophie nun hin­eingestellt? Wer will, wird eben die Grundprinzipien der Anthro­posophie bereits finden in meiner «Philosophie der Freiheit». Ich will heute nur das eine hervorheben, das ist das, daß ja diese «Philo­sophie der Freiheit» zunächst überall mit einer inneren Notwendigkeit

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auf ein geistiges Reich hinweist, aus dem zum Beispiel die mo­ralischen Impulse genommen werden. So daß also im Sinne der «Philosophie der Freiheit» nicht stehengeblieben werden kann bei der Sinneswelt, sondern fortgeschritten werden muß zu einem in sich begründeten geistigen Reiche. Dieses Bestehen eines geistigen Rei­ches bekommt ja noch die ganz andere konkrete Form, daß der Mensch in seinem innersten Wesen, wenn er sich seines innersten We­sens bewußt wird, nicht mit der Sinneswelt zusammenhängt, sondern in diesem innersten Wesen mit der geistigen Welt zusammenhängt.

Diese zwei Dinge: erstens, daß es ein geistiges Reich gibt, zwei­tens, daß der Mensch mit dem innersten Ich seines Wesens mit die­sem geistigen Reich zusammenhängt, sind ja die Fundamentalpunkte der «Philosophie der Freiheit». Es mußte eben einmal die Frage ent­stehen: kann man dasjenige, was wie eine Art von &tschaft von der geistigen Welt der neueren Menschheit verkündet werden soll, in dies er Weise verkündigen? Gibt es eine Möglichkeit, anzuknüpfen an irgend etwas? Denn man konnte sich natürlich nicht hinstellen und in die Luft hineinreden. Allerdings kommen einem in der neue­sten Zeit alle möglichen sonderbaren Vorschläge zu. So bin ich ein­mal während meiner Anwesenheit in Wien im Jahre 1918 aufgefor­dert worden, telegrafisch sogar, von Wien aus nach der Raxalp, am Nordrand von Steiermark zu fahren, mich auf die Raxalp zu stel­len und dort einen Vortrag für die Alpenberge zu halten! Diese Aufforderung ist tatsächlich telegrafisch an mich damals ergangen. Ich brauche ja wohl nicht zu sagen, daß ich der Aufforderung nicht nachgekommen bin. Aber man kann doch nicht zu Bergen oder in die Luft hineinsprechen, man muß anknüpfen an irgend etwas, was eben da ist in der Zeitzivilisation. Es war im Grunde genommen auch noch um die Wende des neunzehnten und zwanzigsten Jahr­hunderts außerordentlich wenig da. Menschen waren da, die damals eben aus ihrem Streben heraus in die Theosophische Gesellschaft hinein wollten. Das waren schließlich diejenigen, zu denen sich von diesen Dingen reden ließ.

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Aber man mußte auch wiederum nicht nur ein Verantwortlich­keitsgefühl haben gegenüber diesen Menschen als einem Publikum, man mußte andererseits das verantwortliche Gefühl gegenüber der geistigen Welt haben, gerade jener Form der geistigen Welt, die in der damaligen Zeit zum Ausdrucke gekommen ist. Und da darf ich vielleicht darauf aufmerksam machen, wie allmählich herausgewach-sen ist aus dem ja noch nicht äußerlich von mir Anthroposophie ge­nannten Streben dasjenige, was dann Anthroposophie geworden ist. Ich möchte eben heute nur Tatsachen hinstellen zunächst und die verbindenden Fäden dann in den nächsten Tagen vor Ihnen ziehen.

Vor allen Dingen konnte ich in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Art Fata Morgana erblicken, etwas, was sich in der physischen Welt in einer ganz natürlichen Weise ausnahm, was aber, wenn auch nur als windige Fata Morgana, ich möchte sagen, als Lichterscheinung, doch in einem gewissen Sinne eine tiefere Bedeutung hatte. Wenn man auf die damals moderne Art auf sich wirken ließ die Weltanschauungsentwickelung, die damals in der Zivilisation lebte - wenige Menschen befaßten sich ja damit, aber sie war eben doch da -, so konnte man etwas sehr Eigentümliches treffen. Da war, wenn wir nur auf Mitteleuropa zunächst reflek­tieren, die, ich möchte sagen welterschütternde Philosophie da, die aber alles mögliche sein wollte, die eben eine ganze Weltanschauung sein wollte: die Philosophie des Idealismus von der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Da waren die Nachklänge da, sagen wir, der Fichteschen, der Hegelschen, der Solgerschen Philosophie, die wirklich in der Zeit, in der sie begründet worden sind, manchen Leu­ten, die ihre Bekenner wurden, ebensoviel waren, wie nur je Anthro­posophie heute dem Menschen sein kann. Aber es waren im Grunde genommen abstrakte Begriffe, eine Summe von abstrakten Begriffen.

Sehen Sie sich einmal den ersten von den drei Teilen von Hegeis «Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften» an, dann wer­den Sie eine Reihe von Begriffen finden, die auseinander entwickelt werden. Da beginnt es mit dem Sein. Dann kommt das Nichts. Dann

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kommt das Werden. Dann kommt das Dasein. Ich kann natürlich jetzt nicht die ganze Hegeische Logik beschreiben, denn das ist ein dickes Buch, da geht es so fort in solchen Begriffen. Zuletzt ist der Zweck. Es kommt eben nur zu abstrakten Gedanken und zu abstrak­ten Ideen: Sein, Nichts, Werden, Dasein, Zweck.

Aber dennoch hat Hegel das genannt: Gott vor der Erschaffung der Welt. So daß man sich also vorzustellen hatte, daß, wenn man die Frage aufwarf: wie ist Gott gewesen vor der Erschaffung der Welt, man eben ein System von abstrakten Begriffen und abstrak­ten Ideen bekam.

Nun lebte in Wien, gerade als ich jung war - das ist lange her -ein Herbartscher Philosoph, Robert Zimmermann. Der sagte: Das ist uns heute nicht mehr erlaubt - er meinte das «Heute» als das letzte Drittel des neunzehnten Jahrhunderts -, so zu denken, wie etwa Hegel oder Solger oder dergleichen gedacht haben. Denn wie dachten die Leute?

Sehen Sie, Zimmermann sagte sich: Die Leute dachten so, wie wenn sie Gott selber waren. Zimmermann dachte ja eigentlich sehr merkwürdig für einen Philosophen, aber sehr charakteristisch. Er sagte: Hegel hat gedacht, wie wenn er Gott selber wäre. Das war eigentlich fast wie aus der damaligen Theosophischen Gesellschaft heraus gesprochen, denn es gab ein Mitglied, sogar ein führendes Mitglied der Theosophischen Gesellschaft, Franz Hartmann, der hielt alle seine Vorträge dahingehend, daß er sagte: Man muß sich des Gottes in sich selbst bewußt werden, jeder Mensch hat so etwas wie einen göttlichen Menschen, einen Gott in sich, und wenn der anfängt zu sprechen, dann spricht man Theosophie. Franz Hartmann hat ja, wenn er seinen göttlichen Menschen hat sprechen lassen, allerlei Dinge gesagt, die ich jetzt nicht beurteilen will. Aber Hegel hat nach Zimmermanns Anschauung, wenn er seinen Gott in sich hat sprechen lassen, gesagt: Sein, Nichts, Werden, Dasein, und dann quirite zuerst logisch die Welt, und dann schlug sie sich hin-über in ihr Anderssein, und dann war Natur da.

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Nun sagte Robert Zimmermann: Das darf nicht mehr sein, denn das ist Theosophie. Wir können heute keine Theosophie mehr ha­ben, sagte in den achtziger Jahren Robert Zimmermann, wir können nicht die Theosophie des Schelling, des Solger, des Hegel heute noch anerkennen. Wir müssen nicht den Gott im Menschen sprechen lassen, das gibt einen theozentrischen Standpunkt. Der kann nur angestrebt werden, wenn man sich so etwa wie Ikarus verhält: nicht wahr, man glitscht dann im Kosmos aus und fällt herunter! Man muß auf menschlichem Standpunkte stehenbleiben. Und so schrieb Robert Zimmermann gegen die Theosophie Hegeis, Schellings, Sol­gers und anderer, die er auch in seiner «Geschichte der Ästhetik» als Theosophen behandelt, seine «Anthroposophie». Und von dieser «Anthroposophie» habe ich ja später den Namen genommen. Sie erschien als ein mich dazumal als Zeiterscheinung außerordentlich interessierendes Buch. Nur ist diese «Anthroposophie» zusammen­gesetzt aus den entsetzlichsten abstrakten Begriffen. Sie besteht auch aus drei Teilen. Dann hat sie Nebenkapitel: erstens die logischen Ideen, zweitens die ästhetischen Ideen, drittens die ethischen Ideen.

Sehen Sie, der Mensch sucht ja, wenn man zunächst absieht von der Ästhetik, die die Kunst behandelt, von den ethischen Ideen, die das Verhalten des Menschen behandeln, in dem, was ihm dann dar­geboten wird in einer Weltanschauung, dasjenige, wodurch er innere Befriedigung haben muß, wodurch er sich sagen können muß, daß er mit einem Göttlich-Geistigen zusammenhänge, daß ein Ewiges in ihm ist. Robert Zimmermann wollte nun die Frage beantworten:

wenn der Mensch aufhört, ein bloß sinnlicher Mensch zu sein, wenn er sich wirklich seines geistigen Menschtums bewußt wird, was weiß er denn dann? Die logischen Ideen weiß er. Hegel hat doch wenig­stens ein ganzes Buch voll solcher logischer Ideen geschrieben. Doch das sind ja Ideen, die nur ein Gott denken kann. Aber wenn nun nicht ein Gott im Menschen denkt, sondern der Mensch selber denkt, dann kommen fünf logische Ideen heraus, wenigstens bei Robert

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Zimmermann. Erstens die Denknotwendigkeit, zweitens die Gleich­geltung von zwei Begriffen, drittens die Zusammenfassung von Begriffen, viertens die Trennung von Begriffen und fünftens der Satz des Widerspruches: etwas kann nur entweder ein Selbst sein oder ein anderes, ein Drittes ist nicht möglich. Das, meine lieben Freunde, ist der Umfang desjenigen, was da angeführt wird, in ab­strakte Ideen zusammengefaßt; also dasjenige, was der Mensch wis­sen kann, wenn er sich loslöst von der Sinneswelt, wenn er sich auf sein Geistig-Seelisches bezieht.

Wäre diese «Anthroposophie» dasjenige, was dem Menschen ein­zig und allein geboten werden könnte, so müßte man sagen: es muß als überwunden gelten, was die Menschen einmal in den verschiede­nen Religionsbekenntnissen, im Kultus und so weiter gehabt haben, es muß als überwunden gelten das, was als Christentum gilt. Denn das kann ja nur wiederum abgeleitet werden aus der Geschichte und so weiter. Wenn der Mensch sich auf dasjenige besinnt, was er wis­sen kann als Anthropos, was er wissen kann, wenn er seine Seele unabhängig von den sinnlichen Eindrücken oder der äußeren Ge­schichte in Bewegung setzt, so ist es das: ich kann wissen, daß ich mich fügen muß der Denknotwendigkeit, der Gleichwertigkeit der Begriffe, der Zusammenfassung der Begriffe, der Trennung, dem Satze vom ausgeschlossenen Dritten, das sich ausschließt. Mit dem mußte man, wie man es ja auch genannt hat, selig werden.

Dann kamen allerdings dazu die ästhetischen Ideen. Das sind die Ideen der Vollkommenheit, des Einklanges, der Harmonie; es sind wiederum fünf Ideen. Und ebenso sind fünf ethische Ideen. Zu den ästhetischen Ideen kommen noch dazu der Widerstreit und der Ein­klang des Widerstreites.

1. Die logischen Ideen: Denknotwendigkeit, Gleichgeltung, Zu­sammenfassung, Trennung, Satz des Widerspruchs.

2. Die ästhetischen Ideen: Vollkommenheit, Einklang, Harmonie, Widerstreit, Einklang des Widerstreites. Aus diesen fünf Ideen, mit diesen fünf Ideen leben nun alle Künste.

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3. Die ethischen Ideen. Und in den fünf ethischen Ideen: der ethischen Vollkommenheit, dem Wohlwollen, dem Rechte, dem Streite und dem Ausgleich des Streites, lebt nun das Handeln der Menschen.

Sie sehen, in die äußerste Form der Abstraktion ist da alles ge­bracht. Davor steht: «Anthroposophie im Umriß».

Daß sehr viel gemeint war damit, das können Sie aus dem Wid­mungsblatte, das dem voranging, ersehen. In diesem Widmungs-blatte finden sich, ich möchte sagen, rührende Zeilen. Da steht -ich kann nicht wörtlich zitieren, aber ungefähr -: An Harriet. Du warst es, die mich veranlaßte, als Nacht sich um mein Auge zu dun­keln begann, die zerstreuten Ideen, die lange in mir lebten, zu die­sem Buche zu verbinden. Und eine willige Hand fand sich, aufzu­schreiben dasjenige, was ich in der Dunkelkammer ersonnen hatte.

Es ist also in einer sehr schönen Sprache darauf hingewiesen, daß der Verfasser eine Augenkrankheit hatte, eine Zeitlang in der fin­steren Kammer zubringen mußte, da er diese Ideen ersonnen hat, und daß dann eine willige Hand sich gefunden hat, das aufzuschrei­ben. Diese Widmungszeilen schließen dann sehr schön, indem da steht: Und so kann denn niemand leugnen, daß dieses Buch. wie das Licht selbst, aus der Dunkelheit hervorgegangen ist.

Sie sehen, es war wie eine Fata Morgana: sehr merkwürdig. Robert Zimmermann hat aus der Theosophie eine «Anthroposophie» in seinem Sinne hervorgebracht; aber ich glaube nicht, daß, wenn ich jemals diese «Anthroposophie» vorgetragen hätte, wir eine anthro­posophische Bewegung hätten. Doch der Name war sehr gut ge­wählt. Und den Namen nahm ich dann herüber, als ich eben aus Untergründen heraus, die schon auch noch in diesen Vorträgen zu-tage treten werden, zunächst an ein Mehrfaches zu gehen hatte.

Erstens: an die geistige, für jeden in die Geisterwelt Einblickenden sichergestellte Tatsache, daß es wiederholte Erdenleben gibt.

Aber wenn man eben mit solchen Dingen nicht leichtsinnig ist, sondern ein geistiges Verantwortlichkeitsgefühl hat, so muß man

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anknüpfen an irgend etwas. Man kann schon sagen, daß es einem in der damaligen Zeit, in der Wende des neunzehnten und zwanzig­sten Jahrhunderts, außerordentlich schwer wurde, mit den wieder­holten Erdenleben anzuknüpfen an das Zeitbewußtsein. Aber es er­gaben sich Anknüpfungspunkte. Und ich will zunächst erzählen, wie ich selber diese Anknüpfungspunkte gesucht habe.

Es gibt eine sehr interessante Zusammenfassung der anthropo­logischen Wahrheiten von Topinard. In dem &hlußkapitel - es war in der damaligen Zeit ein Buch, das noch öfter genannt wurde, als es heute genannt wird, heute ist es schon etwas veraltet in den Einzelheiten, aber es ist geistreich geschrieben - ist eine hübsche Zusammenstellung. Und da fand man in einer Art, die natürlich jeder, der im modernen Bewußtsein damals stand, unterschrieb, bei diesem Topinard all diejenigen biologischen Tatsachen zusammen­gestellt, die dazu führten, die Tierarten aus einander hervorgehend zu denken, eine aus der anderen. Topinard konnte sich auch auf alles dasjenige, was in seinem Buche auseinandergesetzt war, berufen. Man fand also alles dasjenige, was dazu geführt hatte, sich vorzu­stellen, daß eine Umwandlung stattfindet von Tierart zu Tierart. Topinard bleibt bei den Tatsachen stehen und sagt, nachdem er etwa zweiundzwanzig Punkte, glaube ich, angeführt hat: der dreiund­zwanzigste sei dann das, was er als diese Verwandlung der Tierarten anführt. Aber nun stehen wir vor dem Problem des Menschen. Das läßt er unbeantwortet. Wie ist es mit dem?

Nun konnte man, indem man die Entwickelungslehre der Biolo­gen ernst, ganz ernst nahm, anknüpfend an einen solchen Autor, der nun wirklich auch ernst zu nehmen ist, sagen: Da läßt er die Frage offen! Setzen wir fort, fügen wir zum Punkt zweiundzwanzig den Punkt dreiundzwanzig, so bekommen wir, daß eben die Tiere in ihren Arten sich immer auf einer höheren Stufe wiederholen. Beim Menschen muß man übergehen zum Individuum. Wenn das Indivi­duum sich wiederholt haben wird, dann bekommen wir die wieder­holten Erdenleben. Sie werden sehen: es war an das angeknüpft,

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was ich eben hatte, es war durchaus noch dazumal die Form, die ich versuchte, um der ganzen Welt verständlich zu machen, was ja na­türlich als geistige Tatsache wirklich dasteht vor der Seele. Doch, um es der Mitwelt verständlich zu machen, mußte das genommen werden, was unmittelbar da war, aber nicht mit einem Punkt schloß, sondern mit einem Gedankenstrich. Ich habe einfach an den Gedan­kenstrich der Naturwissenschaft angeknüpft. Das war das Erste. Diesen Vortrag habe ich in jenem Kreise gehalten, von dem ich Ihnen gestern gesprochen habe. Man hat kein sehr starkes Verständ­nis dafür gehabt, weil man sich da nicht für Naturwissenschaft inter­essierte. Da fühlte man nicht, daß es notwendig sei, Naturwissen­schaft zu reflektieren, und es schien den Leuten natürlich unnütz, daß dasjenige, was sie nun einmal glaubten, auch noch bewiesen sein solle.

Das Zweite war gegeben damit, daß ich in einem Kreise, in dem sonst nur literarische Themen behandelt worden waren, der sich «Die Kommenden» nannte, einen Vortragszyklus hielt im Beginne des Jahrhunderts, der den Titel trug: «Von Buddha zu Christus», wo ich versuchte, die ganze Entwickelungsströmung von Buddha zu Christus darzustellen und in Christus die Zusammenfassung des­jenigen zu geben, was in den vorangehenden Anschauungen da war. Dieser Vortragszyklus schloß mit jener Interpretation des Johannes-Evangeliums, die einsetzt bei der Erweckung des Lazarus. So daß also das Lazarus-Problem, wie es sich dann in meinem «Christentum als mystische Tatsache» findet, eben den Schluß bildete dieses Vor­tragszyklus «Von Buddha zu Christus».

Das fiel ungefähr in die Zeit hinein, in der dann aus jenem Kreise heraus, der mich eingeladen hatte zu den Vorträgen, die in meinem Buche «Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens» zusammengefaßt sind, die Aufgabe an mich herantrat, vor Theo­sophen zu sprechen über dasjenige, was ich eben sprechen sollte und wollte. Dann fiel das zusammen mit den Bestrebungen, eine deutsche Sektion der Theosophical Society zu gründen. Und ich

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wurde aufgefordert, eigentlich bevor ich Mitglied war, irgendwie auch nur Miene gemacht hatte, Mitglied zu werden, Generalsekretär zu werden dieser deutschen Sektion der Theosophical Society.

Als diese deutsche Sektion begründet wurde, hielt ich einen Vor­tragszyklus, bei dem, ich glaube, nur zwei oder drei Theo­sophen dabei waren, sonst im wesentlichen das Publikum, das in dem Kreise war, wo ich auch gesprochen habe über «Von Buddha zu Christus». Dieser Kreis hieß «Die Kommenden». Es blieben mir so die Namen. Es muß mit irgendeinem Gesetze zusammenhängen. «Anthroposophie» von Robert Zimmermann ist geblieben, «Die Kommenden» traten wiederum auf in dem Namen des «Kommen­den Tages». Es bleiben einem solche Namen, alte Namen.

Für diesen Kreis - in den, wie gesagt, höchstens zwei oder drei Theosophen hingegangen waren und diese wirklich nur aus Neu­gierde - sprach ich über die Entwickelung der Weltanschauungen von den ältesten orientalischen Zeiten bis zur Gegenwart, oder Anthroposophie. Also dieser Vortragszyklus trug zunächst seinen ausführlichen Titel: «Entwickelungsgeschichte der Menschheit an der Hand der Weltanschauungen von den ältesten orientalischen Zeiten bis zur Gegenwart, oder Anthroposophie». Dieser Vortrags­zyklus - das muß ich immer erwähnen - ist gleichzeitig gehalten worden von mir, als die deutsche Sektion der Theosophischen Gesell­schaft gegründet worden ist. Ich ging sogar fort aus der Versamm­lung, und während die anderen weiter konferierten und sich weiter unterhielten über Theosophie, hielt ich meinen Vortragszyklus über Anthroposophie.

Einer derjenigen, die dann aus Theosophen gute Anthroposophen geworden sind, sogar einer, der ein sehr guter Anthroposoph gewor­den ist, ging dazumal aus Neugier zu diesem anthroposophischen Vortragszyklus und sagte mir nachher: Ja, aber was Sie da gesagt haben, das stimmt ja gar nicht mit dem, was Mrs. Besant sagt und was die Blavatsky sagt. Da sagte ich: Dann wird's ja wohl so sein. Also ein guter Kenner war das von all den Dogmen der Theosophie,

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der richtig herausfand: Das stimmt nicht. Also man konnte schon dazumal sagen: Das stimmt eben nicht, es ist etwas anderes.

Nun, diese Tatsachen stellte ich zunächst einmal vor Sie hin. Ich möchte nun eine andere Tatsache hinstellen, die scheinbar aus einer ganz anderen Ecke genommen ist, auf die ich schon gestern hingewiesen habe.

Da waren die Bücher der Blavatsky, die Hauptbücher zunächst:

das erste «Die entschleierte Isis», das zweite «Die Geheimlehre». Nun brauchte man wirklich nicht ein großes Faible für diejenigen zu haben, die das in diesen Büchern Enthaltene wie ein heiliges Dogma hinnahmen. Man konnte aber dennoch schon aus den gestern angeführten Gründen diese Bücher als etwas außerordentlich Inter­essantes empfinden, und vor allen Dingen konnte man die Erschei­nung der Blavatsky selber als etwas außerordentlich Interessantes empfinden, wenn auch nur von dem Standpunkt einer tieferen Psy­chologie aus. Warum? Nun, sehen Sie, es ist doch ein gewaltiger Un­terschied zwischen den beiden Büchern, der «Entschleierten Isis» und der Blavatskyschen «Secret Doctrine», der «Geheimlehre», es ist ein gewaltiger Unterschied! Dieser Unterschied wird Ihnen am stärksten hervortreten, wenn ich Ihnen sage, wie von solchen, die Kenner von ähnlichen Dingen waren, dazumal über die beiden Bücher geurteilt worden ist. Was meine ich, wenn ich von Kennern solcher Dinge spreche?

Es haben sich, meine lieben Freunde, ja wirklich von den ältesten Mysterien her Traditionen erhalten, die in verschiedenen sogenannten Geheimgesellschaften dann aufbewahrt worden sind. Da wurden auch den Leuten in gewissen Geheimgesellschaften Grade erteilt. Sie rückten auf vom ersten zum zweiten, zum dritten Grad und so weiter. Da waren ihnen, auch immer wiederum aus den Traditionen, die und die Dinge mitgeteilt worden. In den unteren Graden verstanden die Leute die Dinge nicht, aber sie nahmen sie als heilige Dogmen auf. Eigentlich verstanden sie sie auch nicht in den höheren Graden. Aber wenn auch weder die unteren Grade

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noch die höheren diese Traditionen verstanden, so war doch der feste Glaube bei den Angehörigen der unteren Grade vorhanden, daß die Angehörigen der höheren Grade alles verstehen. Dieser Glaube, der war ganz fest vorhanden. Aber immerhin, es war da auch ein konserviertes reines Wissen vorhanden. Dem Wortlaute nach kannte man außerordentlich vieles. Sie brauchen ja nur -heute, wo alles gedruckt wird und alles zugänglich wird, sind ja diese Dinge auch leicht zugänglich - dasjenige, was gedruckt ist an solchen Dingen, zur Hand zu nehmen und es nun wiederum zu be­leben mit dem, was Sie aus Anthroposophie wissen können - auf eine andere Weise geht es nämlich nicht, das Beleben -, dann wer­den Sie sehen, daß schon in diesen Traditionen, auch in der verball­hornten Gestalt, wie sie heute vielfach gedruckt sind, ein großes, altes, majestätisches Wissen enthalten ist. Manchmal klingen die Worte ganz falsch, aber derjenige, der etwas weiß, weiß, auf was das hindeutet: daß das von uraltem Wissen ist. Aber das eigentliche Kennzeichen solchen Betriebes in diesen Geheimgesellschaften ist doch dieses, daß die Leute eben ein allgemeines Gefühl haben: es gab in früheren Zeiten Menschen, die Eingeweihte waren, und die aus einem uralten Wissen über die Welt, über den Kosmos, über das Geisterreich Auskunft geben konnten. Und sie wußten Sätze zu bil­den, sie wußten etwas zu sagen über das, was da überliefert war. Solche Menschen gab es viele.

Nun erschien «Die entschleierte Isis» von der Blavatsky. Gerade die Menschen, die nun ein solches traditionelles Wissen dadurch hatten, daß sie niedere oder höhere Grade in solchen Geheimgesell­schaften erlangt hatten, erschraken außerordentlich, als «Die ent­schleierte Isis» erschien. Den Grund des Schreckens gab man ja ge­wöhnlich so an, daß man sagte: die Zeiten seien noch nicht reif, diese Dinge, die da in den Geheimgesellschaften verborgen gehalten werden, schon der allgemeinen Menschheit durch den Druck mitzu­teilen. Das dachte man. Man war ja sogar dieser ehrlichen Ansicht, daß eben die Zeiten noch nicht reif wären, dieses der Menschheit

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mitzuteilen. Aber für einzelne gab es noch einen anderen Grund. Und dieser andere Grund kann eigentlich nur verstanden werden, wenn ich Sie noch auf andere Tatsachen aufmerksam mache.

In der fünften nachatlantischen Periode, namentlich im neunzehn­ten Jahrhundert, ist ja eigentlich alles in die abstrakten Begriffe und Ideen übergegangen, so daß endlich eben einer der tiefsten, bedeu­tendsten Geister seine Weltanschauung in die abstrakten Begriffe Sein, Nichts, Werden, Dasein, bis zum Zweck hin gebracht hat. Es ist alles in dieser neueren Zeit in abstrakte Begriffe und Ideen über­gegangen.

Einer derjenigen, der mit solchen abstrakten Ideen in Mitteleuropa begonnen hat, war der Philosoph Schelling. In der Zeit, als man mit solchen Ideen, weil in ihnen noch innere menschliche Empfindungs­kräfte waren, begeistern konnte, wo Schlegel, Tieck in Jena zu-hörten, wie mit ungeheurer Begeisterung von solchen abstrakten Ideen geredet worden ist, in der Zeit war auch Schelling unter denen, die solche abstrakten Ideen gelehrt hatten. Dann hat Schel­ling nach einigen Jahren keine Befriedigung mehr gehabt an diesen abstrakten Ideen, hat sich dann in allerlei Mystik, namentlich in Jakob Böhme vertieft, und hat sich dann auch befruchten lassen durch Böhmesche Ideen, hat dann etwas, was nun schon konkreter klang, aus Jakob Böhmeschen Ideen herausgeholt. Es hat schon nie­mand eigentlich mehr verstanden, denn es wurde nicht verstan­den, was Schelling geschrieben hatte in den «Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die mit ihr zusammenhängenden Gegenstände», 1809. Aber so in den zwanziger Jahren fing Schelling auf eine merkwürdige Art zu reden an, nachdem er bis dahin lange zurückgezogen gelebt hatte. Sie fin­den heute in Reclams Universalbibliothek ein kleines Bändchen von Schelling, das heißt «Die Weltalter». Wenn Sie dieses Bändchen in die Hand nehmen, so werden Sie ein sonderbares Gefühl kriegen. Sie werden sich sagen: Da ist ja alles noch recht nebulos und ab­strakt. Aber man hat doch ein merkwürdiges Gefühl: wie kommt

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der Mensch, der Schelling, darauf, nicht das zu sagen, was zum Bei­spiel dann auf anthroposophischem Boden als die Wahrheiten über die Atlantis gesagt worden ist, aber fast - wie ungeschickt - dar­auf hinzudeuten? So weit kommt er: wie ungeschickt darauf hinzu­deuten. Es ist ganz interessant, dieses Bändchen in Reclams Uni­versalbibliothek von Schelling «Die Weltalter».

Dann aber berief ihn ja Friedrich Wilhelm IV. im Jahre 1841 an die Universität in Berlin. Da wurde er dann auch, nachdem Hegel seit zehn Jahren tot war, der Nachfolger Hegels. Da fing Schel­ling an vorzutragen seine «Philosophie der Offenbarung».

Auch das ist noch furchtbar abstrakt. Er redet von drei Potenzen A, 1, 2, 3. Es ist furchtbar abstrakt. Aber er führt das dann fort bis zu einer Art Erfassung der alten Mysterien, bis zu einer Art Erfas­sung des Christentums. Und wiederum, wie er eingeht auf diese Ideen, können wir das Gefühl haben: da ist auf eine noch ganz primitive Art ein Weg gesucht in eine wirklich geistige Welt hinein. Aber man kann nicht so eigentlich zurechtkommen mit dem, was da der Schelling kurz vorgetragen hat. Die Leute haben aber trotzdem nichts verstanden. Es ist ja auch schließlich nicht sehr leicht das zu verstehen, weil es eben ein bedenklicher Weg ist.

Nun aber, im Zeitbewußtsein - dafür ist das ja ein Beweis -lag denn doch etwas, was da jemanden wie Schelling darauf hinwies:

man muß in einer geistigen Welt suchen.

In einer anderen Form geschah das in England. Es ist außerordent­lich interessant, die Schriften von Lawrence Oliphant zu lesen. Oliphant stellt nun natürlich in anderer Weise - denn Engländer stellen anders dar als Deutsche, viel dinglicher, handgreiflicher, sinnlicher - dasjenige dar, was ihm aufgegangen ist über Urzeiten der Menschheitsentwickelung der Erde. Es sind in gewissem Sinne, wenn man eben auf den Unterschied des Völkischen hinsieht, Parallelerscheinungen: der Schelling in der ersten Hälfte des neun­zehnten Jahrhunderts mehr aus Idealismus heraus, der Oliphant mehr aus Realismus heraus, eine Art starken Hinstrebens zur geistigen

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Welt bei beiden, Hinstrebens zu einem Begreifen dessen, was vor dem Menschen als Welt sich offenbart aus dem Geiste heraus.

Forscht man nach, was da eigentlich Merkwürdiges vorliegt, so­wohl bei Schelling, wie bei Oliphant - es ist, nur völkisch verschie­den, die gleiche Erscheinung, die da eigentlich vorlag -, so ist es nämlich dieses: diese Leute wuchsen, der eine auf deutsche, der an­dere auf englische Art in die Zeitkultur hinein, rangen sich durch bis zu einer höchsten Vollendung derjenigen Ideen, die man als philo­sophische Ideen der Zeit hatte über den Menschen, über Weltall und so weiter.

Sowohl Schelling auf seine Art, wie Oliphant auf seine Art ran­gen sich durch. Nun wissen Sie ja aus meinen anthroposophischen Darstellungen: der Mensch entwickelt sich heute im Lebensanfange so, daß das Physische eine Begleiterscheinung seiner seelischen Ent­wickelung ist. Nachher hört es auf. Von den Griechen konnte ich Ihnen sagen: die entwickelten sich noch in den dreißiger Jahren so, daß nun eine wirkliche Weiterentwickelung, Parallelismus des Phy­sischen und des Geistigen da war. Bei Schelling und bei Oliphant war das nun etwas anderes, als bei den Durchschnittsmenschen von heute. Bei ihnen war es so: sie entwickelten sich zuerst als normale Menschen; denn natürlich, wenn man heute ein Philosoph ist, kann man durchaus ein normaler Mensch sein, vielleicht sogar ein unter-normaler Mensch, aber das nur in Parenthese. Man entwickelt halt die Begriffe etwas weiter, nicht wahr, aber dann bleibt man stehen, wenn man ein normaler Mensch ist. Schelling und Oliphant blieben nicht stehen, sondern als sie älter wurden, da wurde plötzlich die Seele so lebendig, wie sie in einem früheren Erdenleben war, und da trat eine Erinnerung an uralt Gewußtes aus früheren Inkarnatio­nen auf: in einer natürlichen Weise, ferne Erinnerungen, unklare Erinnerungen. Und jetzt hat man plötzlich einen Lichtblitz. Jetzt fängt man an, sowohl Oliphant wie Schelling in einem anderen Lichte zu sehen.

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Die ringen sich durch, werden zuerst normale Philosophen, je nach ihren Ländern, dann in ihrem späteren Alter bekommen sie eine Erinnerung an ein früher Gewußtes in früheren Erdenleben, jetzt wie eine unklare Erinnerung. Da fangen sie an, von der gei­stigen Welt zu reden. Es ist eine unklare Erinnerung, was bei Schel­ling und bei Lawrence Oliphant auftrat. Es war aber doch etwas, was man bei denen, die nur traditionelle alte Entwickelung hatten, in einem gewissen Grade befürchtete, daß es überhand nehmen, grassieren könnte. Die Leute befürchteten schrecklich, es könnten Menschen geboren werden, die sich an das erinnern, was sie früher einmal durchlebt haben, und dann davon reden. Ja, sie dachten sich:

was wird denn dann aus unserem Geheimhaltungsprinzip? Wir las­sen heilige Eide schwören den Angehörigen des ersten, zweiten, dritten Grades und so weiter, aber wenn nun Menschen geboren wer­den, die das durch Erinnerung wiederum erleben, was uns da bewahrt ist und was wir einsperren, wie ist es dann mit unserem ganzen Ge­heimhalten?

Und nun erschien «Die entschleierte Isis»! Das merkwürdige Phänomen war: dieses Buch brachte eine ganze Menge von dem, was in Geheimgeselischaften geheim gehalten wurde, offen auf den Büchermarkt. Das große Problem trat jetzt vor die Menschen hin:

woher hat das, was wir doch eingesperrt haben, und wofür die Leute heilige Eide geschworen haben, woher hat das die Blavatsky? Ge­rade von solchen, die mit erschrocken waren, wurde dieses Buch, «Die entschleierte Isis», sehr stark beachtet. Also es war schon für jene Menschen, die bewußt das Geistesleben vom Ende des neun­zehnten Jahrhunderts miterlebten ein Problem, was da erschienen war mit dem Buche von Blavatsky.

Nun erschien «Die Geheimlehre». Da war das erst recht der Fall. Ich stelle, wie gesagt, heute nur Tatsachen hin. Eine ganze Menge von Dingen, die eigentlich in Geheimgesellschaften nur den höch­sten Graden vorbehalten waren, war damit hingestellt. Und solche, die eben erschrocken waren schon vor dem ersten Buch, und dann

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noch vor dem zweiten Buch, prägten damals verschiedene Worte dafür: denn es war - gerade für die sogenannten Eingeweihten -dieses Phänomen Blavatsky etwas ungeheuer Aufregendes. «Die entschleierte Isis» war ihnen noch nicht einmal so ganz unheimlich, denn Blavatsky war ja eine chaotische Persönlichkeit, die dann im­merfort in dasjenige, was wirklich tiefe Weisheit war, allerlei Zeug hineinbrachte, wie ich gestern schon sagte, was nichts wert ist. Aber immerhin, über «Die entschleierte Isis» konnten die erschreckenden, sogenannten Eingeweihten sagen: Es ist ein Buch, was wahr ist daran, ist nicht neu, und was neu ist, ist nicht wahr! So wurde zu-nächst über dieses Buch geurteilt. Die Leute wußten: das Unange­nehme für sie war: die Dinge sind enthüllt worden. Es hieß ja auch das Buch «Die entschleierte Isis». Sie beruhigten sich eben damit:

Ja, da muß von irgendeiner Seite etwas geschehen sein, was eigent­lich in unsere Rechte eingreift.

Als aber «Die Geheimlehre», die «Secret doctrine» erschien, wo eine ganze Menge Dinge darinnen standen, die auch die höchsten Grade nicht wußten, da konnten die Menschen nicht mehr sagen:

dasjenige, was wahr ist, ist nicht neu, und was neu ist, ist nicht wahr, denn es waren eine ganze Anzahl von Dingen da gesagt, die eben sich traditionell nicht erhalten hatten.

So hatte man auf eine ganz sonderbare Art dasjenige, was man fürchten konnte seit Schelling und Lawrence Oliphant, an einer Frau in einer ganz merkwürdigen, noch dazu verwirrenden Art vor sich.

Deshalb sagte ich: die Persönlichkeit ist psychologisch noch inter­essanter als die Bücher. Es war schon ein wichtiges, merkwürdiges Phänomen für das Geistesleben des ausgehenden neunzehnten Jahr­hunderts, dieses Phänomen Blavatsky

Bis hierher wollte ich die Tatsachen führen.

DRITTER VORTRAG 12. Juni 1923

#G258-1959-SE060 - Die Geschichte und die Bedingungen der Anthroposophischen Bewegung ...

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DRITTER VORTRAG

12. Juni 1923

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Indem ich den Hergang der gesellschaftlichen Vereinigungen schildern wollte, mit denen in einem gewissen, allerdings heute vielfach mißverstandenen Zusammenhang die Anthroposophische Gesellschaft steht, mußte ich gestern auf die Erscheinung der H. P. Blavatsky hinweisen. Ich habe schon versucht anzudeuten, wie sich diese Persönlichkeit in das Geistesleben vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts hineinstellte. Ich mußte auf diese Persönlichkeit aus dem Grunde zurückgreifen, weil immerhin zur Vereinigung von Menschen, die ich vorgestern unter dem Namen von heimatlosen Seelen zusammengefaßt habe, am Ende des neunzehnten Jahrhun­derts die Werke, die von Blavatsky herrühren, den Anstoß gegeben haben.

Wenn auch mit dem, was als Anthroposophie auftrat, die Werke der Blavatsky wirklich kaum etwas zu tun haben, so möchte ich doch nicht bloß in diesen Vorträgen das Geschichtliche der anthropo­sophischen Bewegung schildern, sondern auch das Gesellschafts­mäßige, das uns in der anthroposophischen Bewegung heute vor­liegt, charakterisieren. Und dazu sind eben solche Ausgangspunkte nötig, wie ich sie in diesen zwei Tagen gewählt habe.

Nun wird man ja selbstverständlich alles dasjenige, was über Blavatsky gesagt werden kann, heute sehr leicht- wenn man solches geistiges Streben, wie es, sagen wir, in der Theosophical Society hervorgetreten ist, abkritisieren will - abtun können; man wird ja sehr leicht solch eine Erscheinung, wie die Blavatsky, abkanzeln können, indem man darauf hinweist, wie problematisch manches ist, was in der Biographie dieser Persönlichkeit anzutreffen ist.

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Ich könnte da sehr vieles aufzählen. Ich brauche nur darauf hinzu­weisen, wie innerhalb der Gesellschaft, die sich an Blavatskys Gei­stesleben angeschlossen hat, die Anschauungen entstanden, daß ge­wisse Erkenntnisse über die geistige Welt dadurch zustande gekom­men seien, daß physische Briefe, physische Kundgebungen, also auf Papier Aufgeschriebenes, von einer Seite hergekommen sei, die nicht innerhalb der physischen Welt liegt. Man nannte solche Dokumente «Meisterbriefe»; man wies sie auf, sagte, sie seien nicht auf gewöhn­liche Weise geschrieben, oder seien wenigstens an den Ort, an dem sie produziert wurden, nicht auf gewöhnliche Weise gelangt. Es war dann eine ziemlich aufsehenerregende Geschichte, als in jenem Hause, in dem unter der Führung von H.P. Blavatsky solche Briefe vorgewiesen worden waren, allerlei schwindelhaft zustandegekom­mene Schiebetüren aufgezeigt werden konnten, wo durch solche Türen eben einfach auf gewöhnliche physische, aber schwindelhafte Weise diese Briefe hereingeschoben werden konnten in das Zimmer, in dem sie dann als Zauberbriefe aufgefunden wurden, und derglei­chen mehr.

Es wird selbstverständlich den Zeitgenossen außerordentlich leicht, auf diese Dinge hinzuweisen und dann bewahrheitet zu finden, daß eine solche Persönlichkeit, wie die Blavatsky, einfach abzutun ist mit den Worten, daß sie eben eine Schwindlerin war. Nun, wir wer­den über diese Seite der Erscheinungen, die sich um Blavatsky herum abspielten, auch noch einiges zu sprechen haben. Aber man kann sich zunächst auch noch auf einen anderen Standpunkt stellen, auf den Standpunkt, daß man sich zunächst um all dasjenige nicht küm­mert, was sich da äußerlich zugetragen hat.

Gewiß werden auch Einwände gemacht. Aber sehen wir jetzt ein­mal von diesen Einwänden ab. Man kümmert sich um all dasjenige nicht, was sich äußerlich zugetragen hat, und sieht einfach auf die Werke hin. Dann wird man zu jenem Urteil kommen, das ich in die­sen Tagen Ihnen geschildert habe, zu dem Urteil, daß es sich in den Werken der Blavatsky vielfach um dilettantisches, chaotisches Zeug

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handelt, das in sie hineingeschrieben worden ist, daß aber bei alldem Dinge drinnen stecken, die, wenn sie mit den rechten Mitteln nach-geprüft werden, durchaus aufzufassen sind als auf irgendeine Art zustande gekommene Wiedergaben von weitgehenden Erkenntnissen über die geistige Welt oder aus der geistigen Welt heraus. Das ist eben nicht zu leugnen, trotz aller Einwände, die gemacht werden.

Da entsteht denn die außerordentlich wichtige, bedeutungsvolle, wie ich glaube, innerlich kulturhistorische Frage: was liegt dem zugrunde, daß am Ende des neunzehnten Jahrhunderts, sagen wir zunächst von einer problematischen Seite her eben Kundgebungen aus einer geistigen Welt, Offenbarungen über eine geistige Welt kommen konnten, welche mindestens dann, wenn sie als Anregun­gen benützt werden, um nachzuschauen, wie es sich mit ihnen ver­hält, auch vor einer objektiven geisteswissenschaftlichen Betrach­tung durchaus die eingehendste Aufmerksamkeit verdienen; Offen­barungen, die über die Grundgesetze der Welt, über die Grundkräfte der Welt mehr aussagen, als alles dasjenige, was durch Philosophie oder durch andere Weltanschauungsströmungen in der neueren Zeit über die Geheimnisse der Welt zutage gefördert worden ist. Als eine bedeutungsvolle Frage muß einem das doch erscheinen.

Dem steht gegenüber eine andere kulturhistorische Erscheinung, die man nicht vergessen darf, wenn man über die Lebensbedingun­gen von so etwas spricht, wie es die Anthroposophische Gesellschaft ist, im Zusammenhange überhaupt mit Bestrebungen, um zu Wegen nach der geistigen Welt zu kommen. Diese kulturhistorische Er­scheinung ist die, daß die Urteilsfähigkeit, die Überzeugungskraft des Urteils in unserer Zeit überhaupt außerordentlich gelitten hat, zurückgegangen ist.

Man läßt sich in dieser Beziehung täuschen durch die großen Fortschritte, die gemacht worden sind. Aber gerade, wenn man diese großen Fortschritte, die heute gemacht worden sind, im Zusammen-hange betrachtet mit dem Gang des Geisteslebens, insofern sich die einzelnen menschlichen Persönlichkeiten als urteilsfähige Persönlichkeiten

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hineinstellen in diesen Gang des Geisteslebens, dann wird man, ich möchte sagen, einen Hintergrund bekommen für die Kapazität, mit der unser Zeitalter überhaupt Erscheinungen, die an das Urteilsvermögen der Menschen appellieren, gegenübertritt.

Man müßte wirklich außerordentlich vieles nennen. Ich möchte nur ein klein wenig herausgreifen. Ich frage zum Beispiel diejenigen, die heute skh fachmännisch oder nur dilettantisch, sagen wir, mit Elektrotechnik befaßt haben, was für die Elektrotechnik heute das sogenannte Ohmsche Gesetz bedeutet? Man wird natürlich dann zur Antwort bekommen: das Ohmsche Gesetz bildet eine der Grund­lagen für die Entwickelung der ganzen Elektrotechnik. Als Ohm die erste Arbeit geleistet hatte, die grundlegend war für sein später soge­nanntes Ohmsches Gesetz, da wurde diese Arbeit von einer berühm­ten philosophischen Fakultät an einer Universität als unbrauchbar zurückgewiesen. Wäre es nach dieser philosophischen Fakultät ge­gangen, so könnte es heute gar keine Elektrotechnik geben.

Dann etwas, was Ihnen vielleicht noch handgreiflicher ist: Sie wissen alle, was heute das Telephon in unserem ganzen Kulturleben bedeutet. Als der außerhalb der offiziellen Wissenschaft stehende Reis zum ersten Male die Idee des Telephons aufschrieb, und das Manuskript einer der berühmtesten Zeitschriften der damaligen Zeit, den Poggendorffschen Annalen überreichte, wurde die Arbeit als unbrauchbar zurückgewiesen. Sehen Sie, so groß ist die Schlag-kraft des Urteiles, die eben in den Menschen ist, und man könnte diese Beispiele ins Unermeßliche vermehren. Ja, so groß ist die Schlagkraft des Urteils in unserer Zeit! Man muß diesen Dingen nur mit voller Objektivität eben gegenüberstehen.

Man braucht ja nur irgend etwas, ich möchte sagen, auf dem Gipfelberge unserer Kultur aufzugreifen, man wird überall etwas ähnliches finden. Oder wenn man mehr in die verborgenen Ecken geht, da finden sich manchmal auch niedliche Erscheinungen zur Charakteristik der Urteilsfähigkeit desjenigen, was heute eben ton­angebend ist mit Bezug auf, sagen wir, die Verwaltung des Geisteslebens.

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Und das Publikum wiederum, das große Publikum, das die breite Heerstraße geht - ich habe vorgestern davon gesprochen -, steht ganz unter dem Eindrucke desjenigen, was in dieser Weise heute anerkannt ist. Nun, die Kultur gehört zu allen Ländern; es ist in keinem Lande besser oder schlechter.

Nehmen Sie eine solche Erscheinung: Adalbert Stifter ist ein ganz bedeutender Dichter, aber ich will jetzt gar nicht auf seine Bedeu­tung als Dichter eingehen, sondern etwas aus seinem Leben erzäh­len. Er machte, ausgezeichnet sogar, seine Gymnasialstudien durch, studierte dann Naturwissenschaften und wollte es zum Gymnasial­lehrer bringen. Allein, man fand ihn völlig ungeeignet zum Gym­nasiallehrer, man fand ihn zu wenig begabt zum Gymnasiallehrer. Die Autoritäten fanden, er sei nicht genügend begabt zum Gym­nasiallehrer. Nun trug sich das Eigentümliche zu, daß eine gewisse Baronin Münk, die gar nicht irgend etwas zu beurteilen hatte über die Fähigkeiten der Gymnasiallehrer, von dem Dichter Adalbert Stifter hörte, sich dasjenige, was er dazumal schon gedichtet hatte und was er selber gar nicht besonders schätzte, vorlesen ließ und ihn geradezu zwang, es zu veröffentlichen. Das machte sogleich großes Aufsehen. Die Autoritäten sagten jetzt: wir können ja keinen Besseren zum Schulinspektor des ganzen Landes machen. Und so wurde denn derjenige, der noch kurz vorher unfähig geachtet wurde, Lehrer zu werden, zum Oberaufsichtsmann bestellt für alle diese Lehrer!

Es würde außerordentlich interessant sein, einmal auf den verschie­densten Gebieten des geistigen Lebens diese Dinge im Zusammen-hange zu schildern, angefangen von einer solchen Erscheinung, wie ich sie eben bei Adalbert Stifter geschildert habe, bis, nun ja, etwa auch einer solchen Erscheinung, wie diejenige des Julius Robert Mayer. Sie wissen, ich muß sogar das Gesetz von der Erhal­tung der Kraft, das an seinen Namen sich knüpft, auf gewis­sen Gebieten bekämpfen. Aber die gegenwärtige Physik be­kämpft es nicht, sondern verteidigt es sogar in jedem Kapitel, ist

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ganz auf dieses Gesetz von der Erhaltung der Kraft aufgebaut. Julius Robert Mayer, der heute als ein Heros dasteht - ich habe Ihnen auch schon andere genannt, wie zum Beispiel Gregor Mendel, dem es in ähnlicher Weise gegangen ist -, Julius Robert Mayer, der zu Heilbronn am Neckar geboren ist, war immer der Letzte in seiner Klasse, und bekam auch von der Universität, die er dann bezog - es war in Tübingen -, eines schönen Tages wegen seiner Aufführung den Rat, von der Universität abzugehen. Es ist durchaus nicht das Verdienst der Universität, daß er zu seinen Entdeckungen gekommen ist, denn die wollte ihn abschieben, bevor er das Examen gemacht hatte und Arzt werden konnte. Von solchen Dingen angefangen, bis zu der ungeheuren Tragik, die sich an den Namen Semmelweis kuüpft, jene Persönlichkeit, die das ungeheure Verdienst hat, daß auf ein Minimum heute die Kindbettfieber reduziert sind, die vor dem Auftreten von Semmelweis eben die Menschen nur so dahin­rafften, bis zu dieser ungeheuren Tragik von Semmeiweis, die auch zuletzt dazu geführt hat, ähnlich wie bei Julius Robert Mayer, daß Semmelweis im Irrenhaus geendet hat, trotzdem er einer der größten Wohltäter der Menschheit ist, wäre es interessant diese Dinge im Zusammenhang zu schildern. Wenn man das alles zusam­menfassen würde, würde man eben ein außerordentlich wichtiges Element in der Kulturgeschichte der neuesten Zeit bekommen, aus dem man würde ersehen können, wie wenig Schlagkraft diese Zeit des äußeren Fortschrittes in der Beurteilungsfähigkeit von geistigen Erscheinungen hatte, wie wenig eigentlich Neigung vorhanden war, einzugehen auf dasjenige, was am Horizont des Geisteslebens er­schien.

Solche Dinge müssen schon berücksichtigt werden, wenn man die dem Eingreifen einer geistigen Bewegung entgegengesetzten feind­lichen Kräfte richtig ins Auge fassen will. Man wird dann wissen müssen, welche Urteilsfähigkeit überhaupt in unserer heutigen Zeit vorhanden ist, die so hochmütig gerade auf ihre nicht vorhandene Urteilsfähigkeit ist.

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Es ist ja eine wirklich außerordentlich charakteristische Erschei­nung, daß dasjenige, was sonst nur traditionell bewahrt worden ist in allerlei Geheimgesellschaften, die es durchaus nicht an die Öffent­lichkeit gelangen lassen wollten, zu einem großen Teil plötzlich erscheint, veröffentlicht in dem Buche einer Frau, der Blavatsky, in dem Buche, das «Die entschleierte Isis» sich betitelt. Natürlich er­schraken alle diejenigen, die sich sagten: in diesem Buche steht eine ganze Summe von dem, was wir ja immer unter Schloß und Riegel gehalten haben. Und diese Gesellschaften waren, ich möchte sagen, besser auf ihre Schlösser und Riegel bedacht, als etwa unsere heutige Anthroposophische Gesellschaft.

In der Anthroposophischen Gesellschaft war durchaus nicht die Absicht, dasjenige, was in den Zyklen steht, ganz und gar zu sekre­tieren, sondern es wurde in einer bestimmten Zeit die Anforderung an mich gestellt, daß diejenigen Dinge, die ich sonst mündlich be­spreche, einem größeren Kreis zugänglich sein sollen. Und da keine Zeit vorhanden war, diese Dinge zu redigieren, so ließ man sie eben als Manuskript in der Gestalt drucken, wie man sie sonst nicht ver­öffentlichen würde, nicht aber deshalb, weil man den Stoff nicht veröffentlichen wollte, sondern weil man den Stoff nicht in dieser Gestalt veröffentlichen wollte, und weil man schließlich auch darauf sehen wollte, daß diese Dinge von denen gelesen werden sollen, die die Vorbereitung dazu haben, weil sie sonst mißverstanden werden müssen. Trotzdem kann man sich heute jeden Zyklus verschaffen, wenn man ihn zu irgendeiner Gegnerschaft haben will. Diejenigen Gesellschaften, von denen ich hier spreche, und die ein gewisses Geistesgut unter Schloß und Riegel gehalten haben, den Leuten Eide abnahmen, damit sie nichts davon verraten, wußten schon die Dinge besser zu hüten. Sie wußten, daß etwas ganz Besonderes dahinter sein müsse, wenn plötzlich ein Buch kommt, welches nun wirklich etwas brachte, was Bedeutung hatte in dem angedeuteten Sinne. Die Dinge, die keine Bedeutung haben - ja, da brauchen Sie nur in Paris in eine Nebenstraße zu gehen, da können Sie korbweise die

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Schriften der Geheimgesellschaften kaufen. Aber von der Veröffent­lichung dieser Schriften wird sich kein Schreck ergeben für die­jenigen, die das traditionelle Wissen in den Geheimgesellschaften bewahrt haben, denn das sind in der Regel sehr wertlose Dinge, die da veröffentlicht werden.

Aber «Die entschleierte Isis» war nichts Wertloses. «Die ent­schleierte Isis» brachte tatsächlich aus einem gewissen Substantiellen heraus, so daß das mitgeteilte Wissen wie ein Ursprüngliches er­schien, dasjenige, was eben von alter Weisheit bis dahin sorgfältig behütet wo?den war.

Wie gesagt, diejenigen, die da erschraken, mußten sich vorstellen, daß da etwas Besonderes dahintersteckte, ein Verrat von irgendeiner Seite. Ich will jetzt in diesen Vorträgen nicht so stark die Innenseite der Sache betonen, was etwa an Tatsachen hinter den Kulissen dahintersteckt, das habe ich ja früher in anderen Vorträgen wieder­holt einmal von diesem oder jenem Standpunkte aus besprochen, sondern ich möchte mehr die Außenseite berühren, mehr das Urteil der Welt charakterisieren, weil das gerade für die Geschichte der Bewegung wichtig ist. Das konnten ja die Leute wissen, daß da irgend jemand, der eingeweiht war in diese Dinge, der traditionelles Wissen überkommen hat, aus irgendeinem Grund, der nicht ein be­sonders guter zu sein brauchte, der Blavatsky Anregungen gegeben hat. Das konnte man sich ja sehr leicht sagen. Es würde das nicht weit von der Wahrheit abweichen, daß da irgendwo aus einer Ge­heimgesellschaft oder aus einer Summe von Geheimgesellschaften her ein Verrat geschehen ist, und dies dann gerade durch die Blavatsky veröffentlicht worden ist. Aber es hätte auch andere Wege gegeben, um solche Sachen an die Öffentlichkeit zu bringen, als sich einer Dame, wie die Blavatsky war, zu dieser Veröffentlichung zu bedienen.

Nun gab es aber einen Grund, den ich auch nur nach seiner Außenseite charakterisieren will, sich gerade dieser Dame zu bedie­nen. Und hier komme ich auf ein Kapitel in unserer Geistes­geschichte, das wirklich ein sehr merkwürdiges ist. Dazumal, als die

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Blavatsky mit ihren Büchern auftrat, sprach man sehr, sehr wenig von dem, was heute in so vieler Munde ist: von Psychoanalyse. Aber diejenigen, die urteilsfähig berührt wurden von der charakterisierten merkw ü rdigen Tatsache, haben wahrhaftig lebendig etwas durch­gemacht, gerade durch die Erscheinung von Blavatsky, wogegen alles dasjenige, was da von den verschiedenen Koryphäen der Psycho­analyse bisher geschrieben worden ist, wie ich mich neulich einmal in anderem Zusammenhange ausdrückte, wirklich der Dilettantismus im Quadrat ist. Denn was will denn die Psychonalyse zeigen?

Dort, wo sie in gewissem Sinne im Rechte ist, zeigt sie, daß in den Untergründen des menschlichen Wesens etwas vorhanden ist, das, mag es nun da unten sein wie immer, ins Bewußtsein herauf-gehoben werden kann und dann über dasjenige hinausgeht, was der Mensch zunächst in seinem Bewußtsein hat. Sodaß man also meinet­willen sagen kann: im Körper steckt etwas, das, wenn es ins Be­wußtsein heraufgehoben wird, sich als Geistiges ausnimmt. Der Kör­per wird durchrumort von Geistigem. Es ist natürlich das Primi­tivste, daß man als Psychiater irgendwelche Erlebnisreste auf diese Weise aus dem Untergrunde des menschlichen Wesens heraufholt, also Erlebnisreste, die nach den Emotionsbedürfnissen des betref­fenden Menschen nicht ganz intensiv genug durchgemacht worden sind, die sich gewissermaßen hinuntergesetzt haben, Bodensatz gebil­det haben im Menschen, ihn dadurch in ein labiles Gleichgewicht bringend, nicht in ein stabiles, und daß dasjenige, was während des Lebens eines Menschen sich zugetragen hat, dann, trotzdem es unten rumort im Unbewußten, heraufgehoben wird, und wenn es herauf-gehoben wird ins Bewußtsein, sich als etwas Geistiges erweist, das eben nur sozusagen nicht recht hineinpaßt in dieses menschliche Wesen und daher unrichtig rumort, wenn es aber bewußt wird, ab­reagiert werden kann, und dadurch der Mensch von dem unrich­tigen Rumoren gerade befreit wird.

Aber nun ist es ja interessant, wozu solch eine psychoanalytische dilettantische Forschung heute doch schon gekommen ist. Gerade

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bei Jung ist das ja sehr interessant. Der kommt darauf, daß der Mensch da unten - natürlich kann man nicht recht bezeichnen die­ses da unten, es ist halt irgendwo da unten, ein unbestimmtes Wesen -, irgendwo in seinem Wesen dasjenige hat, was er als un­verarbeitete Erlebnisse seit seiner Geburt eben durchgemacht hat; daß er da unten in seinem Menschenwesen allerlei hat, was zurückweist zu den Urvätern, ja, ganz zurückweisen kann durch alle Erlebnisse der Rassen und noch weiter. So erscheint es heute dem Psychiater gar nicht mehr unmöglich, daß zum Beispiel das, was, sagen wir als das Ödipus-Problem in Grie­chenland erfahren worden ist, auf die Menschen einen Eindruck gemacht hat. Dann habe sich das weiter vererbt, immer weiter. Und heute kommt so ein Unglückswurm in die Klinik des Psychiaters, der psychoanalysiert ihn und kriegt da etwas heraus, was so tief sitzt in dem Betreffenden, daß es nicht aus seinem gegenwärtigen Leben stammt, sondern von dem Vater, Vorvater, Vorvorvater und so wei­ter bis hinauf zu den alten Griechen, die das Ödipus-Problem erlebt haben. So ist es durchgegangen durch alles Blut und kann heute herauspsychoanalysiert werden. Da rumoren die Ödipus-Empfindun­gen in dem Menschen und können herauspsychoanalysiert werden. Man glaubt dann, sogar auf sehr interessante Zusammenhänge zu kommen, indem man dasjenige, was rassengemäß weit zurückgehen kann, herauspsychoanalysieren kann.

Nur, sehen Sie, sind das eben durchaus dilettantische Forschungs-methoden. Denn Sie brauchen nur ein wenig bewandert zu sein in der Anthroposophie, so wissen Sie, daß eben gar mancherlei aus den Untergründen des menschlichen Wesens herausgeholt werden kann:

zunächst das vorgeburtliche Leben, das vorirdische Leben, dasjenige, was der Mensch durchgemacht hat, bevor er heruntergestiegen ist in die physische Welt, dann dasjenige, was er in früheren Erdenleben durchgemacht hat. Da kommt man vom Dilettantismus in die Wirk­lichkeit hinein!

Aber da kommt man auch dazu, zu erkennen, wie im Menschen

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gewissermaßen involviert, zusammengerollt, das ganze Weltgeheim­nis enthalten ist. Das war auch schließlich die Anschauung älterer Zeiten, daß das Weltengeheimnis sich entrollt, wenn der Mensch alles dasjenige, was in seinem Inneren verborgen ist, aus seinem In­neren heraufholt. Deshalb hat man den Menschen einen Mikrokos­mos genannt, nicht etwa des Firlefanzes wegen, den man heute so oft gebraucht, sondern weil tatsächlich die Erfahrung vorlag: da kann aus dem Untergrund des Menschen alles Mögliche heraufgeholt werden, was in den Weiten des Kosmos als Geheimnis liegt.

Es ist wirklich primitivster Dilettantismus, was man als Psycho­analyse heute antrifft. Denn es ist erstens psychologischer Dilettan­tismus: man weiß nicht, daß in gewissen Untergründen physisches und geistiges Leben eins ist, sondern betrachtet in abstrakten Be­griffen das an der Oberfläche schwimmende Seelenleben, kommt nicht bis zu jenen Untergründen, wo dieses Seelenleben schaffend, webend, wellend im Blut, in der Atmung lebt, also eins ist mit dem sogenannten materiellen Wirken. Man betrachtet das Seelenleben dilettantisch. Man betrachtet aber zweitens auch das physische Le­ben dilettantisch, indem man es bloß, nach dem äußeren sinnlichen Anscheine betrachtet und nicht weiß, daß überall im sinnlichen Leben, vor allen Dingen in dem menschlichen Organismus, Gei­stiges steckt. Und wenn man zwei Dilettantismen so verwebt, daß der eine Dilettantismus den andern beleuchten soll, wie es die Psychoanalyse macht, dann addieren sich die Dilettantismen nicht bloß, sondern sie multiplizieren sich miteinander: es gibt einen Dilet­tantismus im Quadrat.

Nun, das, was eben als ein solcher Quadratdilettantismus zum Vorschein kommt, das konnte man gewissermaßen an dem psycho­logischen Problem Blavatsky sicher sehen. Da mag von irgendeiner Seite her durch irgendeinen Verrat eine Anregung gekommen sein. Diese Anregung hat wirklich so gewirkt, wie wenn - aber jetzt ein weiser unsichtbarer Psychiater aus der Blavatsky, durch einen An­stoß nämlich, herausholte eine Unsumme von Wissen, das jetzt aus

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dem Menschen selber herausgekommen war, nicht aus alten Schrif­ten, die traditionell überkommen waren von alten Zeiten. Da war aus dem Menschenwesen selber etwas zutage getreten, ich möchte sagen, durch den unsichtbaren Psychiater. Denn wenn es sich um emen Verräter gehandelt hat, so war der ja nicht der Psychiater, der hat nur den Anstoß gegeben. Aber es haben die Verhältnisse den Anstoß gegeben! Welche Verhältnisse?

Wenn Sie die Zeitentwickelung betrachten bis etwa in das fünf­zehnte Jahrhundert, so können Sie finden, daß es wahrhaftig noch öfter vorkam, daß den Menschen, wenn sie durch irgend etwas an­geregt waren, es brauchte bloß eine besonders charakteristische äußere Erscheinung zu sein, dann aus ihrem Innern eine Offen­barung über Weltengeheimnisse aufstieg. Später wird das schon zu etwas sagenhaft Mystischem. Das, was erzählt wird von Jakob Böhme, daß er beim Anblick einer zinnernen Schüssel eine Offen­barung großartiger Art gehabt hat, das wird bewundert, weil man eben nicht weiß, daß das in früheren Zeiten bis in das fünfzehnte Jahrhundert herein noch überhaupt so war, daß aus dem Menschen eine verhältnismäßig scheinbar geringfügige Anregung ungeheure Offenbarungen über die Weltengeheimnisse herausholen konnte, die dann von dem Menschen geschaut worden sind.

Aber das ist ja immer mehr und mehr zurückgegangen, daß die Menschen auf solche Anregungen hin innere Offenbarungen haben können. Das rührt von dem Überhandnehmen des Intellektualismus her. Der Intellektualismus ist ja zusammenhängend mit einer ganz bestimmten Gehirnausbildung. Das Gehirn wird - wenn man das auch natürlich nicht im Äußeren anatomisch physiologisch nachwei­sen kann, so kann man es aber doch geistig nachweisen - gewisser. maßen verkalkter, steifer. Und tatsächlich ist das Gehirn der Zivili­sationsmenschen seit dem fünfzehnten Jahrhundert wesentlich stei­fer geworden. Dieses steife Gehirn läßt eben nicht die inneren Offenbarungen des Menschen an die Bewußtseinsoberfläche kommen.

Nun muß ich jetzt etwas außerordentlich Paradoxes sagen, aber

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wahr ist es eben doch: die größere Steifigkeit des Gehirnes, selbstver­ständlich Ausnahmen auf der einen und der anderen Seite immer abgerechnet, trat bei den Männern auf, wobei ich das gar nicht sage, damit sich dieses oder jenes weibliche Gehirn besonders freuen soll, denn als dann die letzte Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts heran­kam, wurden schon auch die Frauengehirne genügend steif. Aber den Vorsprung in bezug auf die Intellektualität und die Steifigkeit der Gehirne hatten eben doch die Männer. Und das hängt zusammen mit dem Zurückgehen des Urteiles.

Nun, in der Zeit war es ja namentlich, wo Geheimhaltung von dem alten Wissen noch in starkem Maße gepflogen worden ist. Da stellte sich dann heraus: den Männern tat dieses Wissen nicht viel an, denn sie lernten es auswendig, gradweise. Es tat ihnen nicht viel an, und sie hielten es ja unter Schloß und Riegel. Wenn aber einer in irgendeiner Weise dieses alte Wissen noch einmal zu einer beson­deren Entfaltung bringen wollte, dann konnte er schon das beson­dere Experiment machen, dieses Wissen, das er vielleicht selber gar nicht einmal zu verstehen brauchte, nun in einer geringen Dosis einer Frau, deren Gehirn vielleicht noch gerade ganz besonders prä­pariert war - denn das Blavatsky-Gehirn war doch etwas anderes als andere Frauengehirne des neunzehnten Jahrhunderts -, zu über­geben. Dann konnte das durch den Kontrast gegenüber alledem, was man sonst an Kultur hatte gerade in diesen Frauengehirnen, ich möchte sagen Feuer fangen, was sonst vertrocknetes altes Wis­sen war, konnte, so wie der Psychiater durch diese oder jene Direk­tion den ganzen Menschen anregt, diese Persönlichkeit der Blavatsky anregen. Sie fand dann durch diese Anregung dasjenige aus sich heraus, was von der gesamten Menschheit, die nicht in Geheimgesell­schaften war, überhaupt vergessen worden war, von den anderen, die in Geheimgesellschaften waren, sorgfältig unter Schloß und Riegel gehalten und zum großen Teil eben nicht verstanden worden ist. Das konnte auf diese Weise, ich möchte sagen, wie durch ein Kulturventil herauskommen.

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Aber gleichzeitig war eben gar keine Grundlage da, daß das in einer vernünftigen Weise hätte verarbeitet werden können. Denn eine Logikerin war Frau Blavatsky ganz gewiß nicht. In der Logik war sie außerordentlich schwach. Während sie tatsächlich aus ihrem gesamten Menschenwesen heraus Weltengeheimnisse offenbaren konnte, war sie eben nicht imstande, diese Dinge auch in einer Form, die sich vor dem wissenschaftlichen Gewissen der neueren Zeit verantworten läßt, darzustellen.

Jetzt denken Sie sich einmal: wie sollte bei der Kürzmaschigkeit des Urteils, mit dem geistigen Erscheinungen da begegnet wurde, in richtiger Weise beachtet werden, dasjenige, was ja erst, man möchte sagen, zwanzig Jahre danach ganz primitiv dilettantisch höchstens in der Psychoanalyse wieder hervorkam, aber auch nur auf einem außerordentlich kleinen Gebiete. Wie sollte in richtiger Weise beachtet werden das, was Erlebnis werden konnte von gigantischer Größe, zu dem sich einmal die Psychoanalyse, wenn sie geläutert, ge-klärt ist, wenn sie auf einen vernünftigen Boden gestellt ist, wirk­lich wissenschaftlich betrieben werden wird, erst erheben kann, wenn man nicht mehr aus dem Blut psychoanalysiert, das von Men­schen, die das Ödipus-Problem miterlebt haben, herunterrinnt durch die Adern bis in unsere Generation herein, sondern wenn man die Weltenzusammenhänge wirklich versteht. Wie sollte man diesem Erlebnis, das einer heutigen entarteten psychoanalytischen Forschung, ich möchte sagen, ihr von aller Karikatur befreites großartiges, gigan­tisches Gegenbild zeigt, wie sollte man dem in einer Zeit, in der die Urteilsfähigkeit so beschaffen war, wie ich es Ihnen dargestellt habe, in genügendem Maße in weiteren Kreisen begegnen können? In die­ser Beziehung konnte einem ja wirklich gar manches passieren mit Bezug auf die Auffassung, die einem dann entgegengebracht wurde in unserer Zeit, wenn man nur den Versuch machte, an ein etwas weitmaschigeres Urteil zu appellieren.

Ich möchte Ihnen da zur Illustration - diese Dinge sind notwen­dig, Sie werden schon sehen aus dem weiteren Verlauf der Vorträge,

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wie notwendig es ist, daß ich auch auf diese scheinbar ganz persön­lichen Dinge eingehe -, ein Beispiel erzählen, wie schwierig es in dieser neueren Zeit ist, sich überhaupt dann irgendwie verständlich zu machen, wenn man mit irgend etwas an ein weitmaschigeres, weitherzigeres Urteil appellieren will.

Es gab eine Zeit um die Jahrhundertwende, da würden in Berlin, wo ich dazumal wohnte, Giordano Bruno-Vereinigungen begründet, unter anderem auch ein «Giordano Bruno-Bund». Es gab auch an­dere Giordano Bruno-Vereinigungen, aber es wurde ein «Giordano Bruno-Bund» begründet. Darinnen waren wirklich ausgezeichnete Menschen im Stil und Sinn der damaligen Zeit, Menschen, die schon ein gründliches Interesse hatten für dasjenige, für das man dazumal überhaupt Interesse aufbringen konnte, und für das man die ganze Richtung seiner Vorstellungs- und Empfindungs- und Willenswelt aufbringen konnte. Und sogar in jener abstrakten Weise, in der das auch in der neueren Zeit geschieht, wurde sogar in diesem Giordano Bruno-Bund auf den Geist hingewiesen. Eine bekannte Persönlich­keit dieses Giordano Bruno-Bundes leitete seine Begründung ein mit einem Vortrage: Materie nie ohne Geist. Aber das alles war so aus­sichtslos, denn dieser Geist und das, was da gepflegt worden ist, das war im Grunde genommen etwas ganz Abstraktes, was an eine Wirklichkeit der Welt gar nicht herankommen konnte. Die Denk­weise war etwas furchtbar Abstraktes. Besonders aber kam es mir sehr ärgerlich vor, daß die Leute da alle Augenblicke, wo es nur irgendwie möglich war, das Wort Monismus anbrachten. Man müsse dem einzig vernünftigen, menschheitsgemäßen Monismus huldigen, und der Dualismus, der sei etwas Abgetanes. Dann wurde namentlich immer darauf hingewiesen, wie man sich in der neueren Zeit aus dem mittelalterlichen Dualismus herausgewunden habe.

Das waren Dinge, die ich dazumal außerordentlich ärgerlich fand. Ich fand eben ärgerlich dieses Schwafeln über den Monismus, und dieses dilettantische Ablehnen eines Dualismus, ich fand ärgerlich das Reden über den Geist so im allgemeinen, pantheistisch, daß, nun

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ja: daß halt überall auch Geist ist. Es blieb dann nichts zurück als das Wort vom Geiste. Das alles fand ich ziemlich ärgerlich. Eigent­lich geriet ich schon, nachdem der erste Vortrag über «Materie nie ohne Geist» gehalten worden war, mit demjenigen, der den Vortrag gehalten hat, aneinander, was mir dazumal schon außerordentlich übelgenommen worden ist. Aber dann setzte sich dieses ganze moni­stische Treiben fort, und wurde mir immer ärgerlicher, interessant, aber ärgerlich, und da beschloß ich denn einmal, die Leute an einem Zipfel anzufassen, wodurch ich wenigstens meinte, ihre Urteilskraft in einige Bewegung zu bringen. Und da schon durch eine ganze Serie von Vorträgen die Tiraden über das finstere Mittelalter, über die schreckliche dualistische Scholastik gegangen waren, so beschloß ich - es war in der Zeit, von der man jetzt gerade von mir erzählt, daß ich ein wütender Haeckelianer gewesen sein soll - einmal etwas zu tun, wodurch das Urteil hätte etwas durcheinandergerüttelt sein sollen. Da hielt ich einen Vortrag über Thomas von Aquino und sagte, indem ich jetzt dasjenige, was ich dazumal ausführlich darlegte, in ein paar Sätze zusammenfasse, ungefähr das folgende: Es habe gar keine Berechtigung, in bezug auf die Ideen des vergan­genen Geisteslebens, von dem finsteren Mittelalter, namentlich von dem Dualismus der Thomistik und der Scholastik zu sprechen. Denn wenn man immerfort das Schlagwort Monismus gebraucht, so wolle ich beweisen, daß Thomas von Aquino ein richtiger Monist gewesen sei. Nur müsse man dann nicht bloß dasjenige, was in der Gegen­wart als materialistischer Monismus aufgefaßt wird, allein Monis­mus nennen, sondern man müsse denjenigen einen Monisten nennen, der das Weltenprinzip in einem Monon, in einer Einheit sehe. So sagte ich: das habe ganz gewiß Thomas von Aquino getan, denn er habe selbstverständlich in dem einheitlichen Göttlichen das Monon gesehen, das zugrunde liegt allem, was in der Welt als Schöpfung vorhanden ist. Da liegt, sagte ich, der reinste Monismus zugrunde. Nur habe er, nach Maßgabe des damaligen Zeitalters, unterschieden, daß man die eine Hälfte durch gewöhnliche menschliche Sinneserkenntnis

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und Verstandeserkenntnis erfassen könne, die andere durch eine andere Art von Erkenntnis, die dazumal Glaube genannt worden ist. Aber was die Scholastik noch als Glaube verstand, ver­stehe die gegenwärtige Menschheit gar nicht. So müsse man, sagte ich, sich klar darüber sein, daß zwar Thomas von Aquino gewollt hat, auf der einen Seite durch Sinnesforschungen und Verstandeserkennt­nis sich der Welt zu nähern, daß er aber auf der anderen Seite durch die Offenbarungswahrheiten diese Verstandeserkenntnis habe er­gänzen wollen. Aber dadurch habe er gerade zu dem Monon der Welt vordringen wollen. Er habe nur auf zwei Wegen vorgehen wollen. Das Schlimme wäre für die Gegenwart, sagte ich, daß diese Gegenwart nicht genug weitherzige Begriffe habe, um sich etwas in der Geschichte auszukennen.

Kurz, ich wollte den vertrockneten Gehirnen zu einiger Feuchtig­keit verhelfen. Aber es war vergeblich. Denn es hatte eine ganz außerordentlich merkwürdige Wirkung. Die Leute wußten über­haupt zunächst nichts anzufangen mit der Sache. Es waren lauter evangelische Protestanten, und sie fanden: jetzt soll der Katholizis­mus eingeschmuggelt werden! Sie fanden, es soll der Katholizismus in Schutz genommen werden mit seinem schrecklichen Dualismus. Es ist ja fürchterlich, sagten sie, wir geben uns alle Mühe, dem Katholizismus den letzten Schlag zu versetzen, und da kommt nun ein Mitglied dieses selben Giordano Bruno-Bundes und nimmt den Katholizismus in Schutz!

Wirklich, die Leute wüßten dazumal nicht, ob ich nicht über Nacht verrückt geworden bin, als ich diesen Vortrag gehalten habe. Sie wußten gar nichts daraus zu machen. Und es waren eigentlich die erleuchtetsten Köpfe damals. Es fand sich eigentlich nur einer, der dann als eine Art Apologet aufgetreten ist. Das war der Dichter Wolfgang Kirchbach. Das war der einzige, der dann die Formel ersonnen hat, unter der der Vortrag im Giordano Bruno-Bund Hei­matrecht haben könne. Und diese Formel hatte er in folgender Weise ersonnen. Er sagte: Ja, der Steiner hat ja nicht den Katholizismus

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einschmüggeln wollen, sondern er hat zeigen wollen, daß in jener alten scholastischen Weisheit des Katholizismus etwas viel Be­deutenderes noch steckt als dasjenige, was wir selber heute als un­sere oberflächlichen Begriffe haben. Das hat er zeigen wollen. Er hat uns zeigen wollen, daß der Katholizismus deshalb ein so starker Feind ist, weil wir so schwache Gegner sind, daß wir stärkere Waf­fen uns anschaffen sollen. Das hat er zeigen wollen mit seinem Vor­trag. Das war die einzige Formel, unter der dann dieser Vortrag bei einem Drittel, bei der Minorität, so weit Heimatrecht gekriegt hat, daß ich wenigstens nicht ausgeschlossen wurde aus dem Giordano Bruno-Bund. Aber bei der Majorität galt ich als ein Mensch, der durch den Katholizismus verwirrt gemacht worden ist.

Nun sehen Sie, das ist so eine Episode aus jener Zeit, von der man jetzt sagt, daß ich ein wütender Haeckelianer gewesen bin. Man machte aber durch solche Dinge die Erfahrung über die Urteils-fähigkeit, namentlich über die Weitherzigkeit des Urteils, die dem­jenigen entgegengebracht worden sind, was vor allen Dingen nicht auf theoretische Formeln ging, sondern was darauf ging, den Weg zum Geistigen wirklich anzutreten, wirklich hineinzukommen in die geistige Welt.

Denn dieses Hineinkommen in die geistige Welt hängt ja nicht davon ab, ob man diese oder jene Theorie über Geist oder Materie hat, sondern ob man ein wirkliches Erlebnis von der geistigen Welt herbeizuführen in der Lage ist. Ich habe es oftmals schon betont, die Spiritisten glauben ganz sicher, daß sie alles auf den Geist hin treiben, aber ihre Theorien sind doch so geistlos. Sie führen ganz gewiß den Menschen nicht zum Geiste hin. Man kann sogar Materia­list sein, und viel Geist haben. Das ist doch auch realer Geist, wenn er auch im Irrtum begriffen ist. Natürlich braucht man den sich ver­irrenden Geist nicht als irgend etwas Wertvolles hinzustellen, abet der sich verirrende Geist, der Geist, der sich betrügt dadurch, daß er die Materie für das Alleinwirkliche hält, kann noch immer geist­voller sein als jene Geistlosigkeit, welche auf materielle Weise den

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Geist sucht, weil sie gar keinen Geist überhaupt in sich selber finden kann.

Man muß also, wenn man zu jenen Ausgangspunkten zurück-blickt, die man richtig erfassen muß, wenn man den ganzen Sinn und die Lebensbedingungen der Bewegung verstehen will, auf der einen Seite wissen, wie zunächst außerordentlich problematisch, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts die Offenbarungen der geistigen Welt in die Erdenwelt hereintraten, und wie wenig reif das allgemeine Urteil war, diese geistigen Offenbarungen aufzunehmen, und wie groß vor allen Dingen der Wille ganz bestimmter Kreise war, nur ja nichts, was wirklich zum Geiste hinführt, unter die Leute kom­men zu lassen. Es ist ganz zweifellos, daß für sehr viele durchaus ernst zu nehmende Menschen die Erscheinung der Blavatsky anre­gend wirken mußte. Das hat sie ja auch zunächst getan. Die Leute haben so gestanden, die noch etwas Urteil sich bewahrt haben, daß sie sich gesagt haben: Da ist doch etwas, was durch sich selber eben spricht. Es ist merkwürdig, wie es gerade jetzt in die Welt gekom­men ist, aber es ist etwas, was durch sich selber spricht. Man braucht nur gesunden Menschenverstand anzuwenden, dann spricht es durch sich selber. Aber es waren eben viele Menschen da, die ein Interesse daran hatten, gerade so etwas nun ja nicht als Anregungen in die Welt hineinfließen zu lassen.

Nun war es da, war da in einer Persönlichkeit wie der Blavatsky, die in einem gewissen Sinne doch wieder naiv und hilflos ihrer eigenen inneren Offenbarung gegenüberstand. Das zeigt schon der Stil ihrer Werke. So war es da, so stand sie selbst dazu, naiv und hilflos in einer gewissen Weise, und hingegeben vielem, was in ihrer Umgebung auftrat. Ja, glauben Sie denn, daß es da besonders schwierig war - besonders bei H.P. Blavatsky war es nicht sehr schwierig -, daß sich Leute, die nun die Welt so präparieren wollten, daß sie nur ja nichts annehmen sollte von irgendwelcher Geistigkeit, sich an die Blavatsky heranmachten, ihre Umgebung

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bildeten? Weil sie so naiv und hilflos ihren eigenen inneren Offen­barungen gegenüberstand, war sie ja leichtgläubig in einer gewissen Weise. Es brauchte zum Beispiel die Sache mit der Schiebetüre, durch die scheinbare Meisterbriefe hereingeschoben worden waren-die aber draußen irgendeiner, wie der... oder sonst irgendeiner schrieb und hereingeschoben hat - durchaus nicht darauf zu be­ruhen, daß H.P. Blavatsky dem... zuerst gesagt hat: schiebe da solche Briefe herein; sondern sie war in einer gewissen Weise doch wieder naiv, glaubte selbst an solche Briefe. Derjenige, der sie hereingeschoben hat, der täuschte die Blavatsky samt der Welt. Dann konnte man natürlich sehr leicht vor der Welt sagen: das ist eine Schwindlerin. Aber verstehen Sie denn nicht, meine lieben Freunde, daß man die Blavatsky selber beschwindelt haben könnte? Denn eine gewisse außerordentliche Leichtgläubigkeit war gerade infolge ihrer besonderen, ich will sagen, Nichtverhärtetheit ihres Gehimes in ihr vorhanden. Also das Problem liegt außerordentlich kompliziert und erfordert wie alles, was in unserer Zeit an wirklicher Geistig­keit in die Welt hereintritt, Urteilsfähigkeit, fordert schon gesunden Menschenverstand. Es ist nicht gerade gesunder Menschenverstand, wenn man Adalbert Stifter zunächst nicht einmal für fähig hält, Lehrer zu werden, und nachher - es ist in diesem Falle auch eine Frau gewesen, wahrscheinlich war es auch eine noch mit einem wei­cheren Gehirn, als alle jene Referenten in den Ministerien es hatten, oder in den Schulkommissionen - als von dieser Seite her ein Wink kam: dann fand man ihn geeignet, alle diejenigen zu inspizieren, von denen er nicht einmal ein einzelner sein durfte.

Um auch da das Richtige zu sehen, dazu gehört eben schon ge­sunder Menschenverstand. Aber über diesen gesunden Menschen­verstand gibt es eigenartige Urteile. Ich habe, als ich einen größeren Vortragszyklus im vorigen Jahre in Deutschland hielt, öfter das Wort gebraucht vom gesunden Menschenverstand und habe gesagt:

dasjenige, was Anthroposophie aus der geistigen Welt heraus zu sagen hat, könne geprüft werden mit dem gesunden Menschenverstand.

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Einer der Kritiker, der nicht einmal der schlechteste war, hat sogar das aufgegriffen und folgendes gefunden. Er sagte fast wört­lich: Ja, das wäre so eine Art von Gimpelfang, vom gesunden Men­schenverstand zu sprechen: denn jeder, der heute ein wissenschaft. lich durchgebildeter Mensch ist, weiß ja, daß der Menschenverstand, der gesund ist, fast gar nichts erkennt, und derjenige, der glaubt, etwas zu erkennen, der ist nicht gesund. Das war der Inhalt eines gar nicht einmal ungeistreich geschriebenen kritischen Urteiles.

Also, übersetzt man es mehr ins Populäre, so heißt das: Wenn einer heute, nachdem entsprechend viele Fortschritte der Menschheit geschehen sind, gescheit ist, so weiß er, daß man nichts erkennt; wenn er glaubt, etwas zu erkennen, so ist er verrückt. Bei dieser Art Entgegennahme des Geistigen sind wir ja schon angekommen.

Indem ich Ihnen so einiges hingestellt habe aus der Zeit vor dem Beginn der anthroposophischen Bewegung in bezug auf die Auffas­sungsfähigkeit einer geistigen Offenbarung, und indem ich Ihnen jetzt hingestellt habe das Urteil eines immerhin maßgeblichen Kri­tikers aus dem vorigen Jahre erst, sehen Sie ungefähr, wie diese Zeitverfassung die ganze Bewegung verfolgt hat. Denn eigentlich mußte ja aus einer solchen Zeitatmosphäre heraus - namentlich da eine so schwer zu begreifende Persönlichkeit, wie die Blavatsky, doch noch da war, auf die man hinweisen konnte - einfach das Urteil entstehen, das heute im Grunde genommen nur in den verschie­densten Variationen wiederholt wird, nur daß der eine so, der an­dere anders sagt: Wer heute gescheit ist, gesunden Menschenverstand hat, der sagt «Ignorabimus», wer nicht sagt «Ignorabimus», der ist entweder verrückt oder ein Schwindler.

Das muß man nicht nur begreifen als irgend etwas Böswilliges. Damit man sich richtig in die Zeit hineinzustellen vermag, damit man einige der Lebensbedingungen der anthroposophischen Bewe­gung einsehen kann, muß man das nicht bloß als die Böswilligkeit einzelner erkennen, sondern man muß es als etwas anseheh, was zum Zeitkolorit gehört in allen Ländern, bei der ganzen gegenwartigen

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Menschheit. Man muß es als solches durchschauen. Dann wird man allerdings in die ganze Stellung, die man sich gibt, die man sich aber kraft- und mutvoll geben sollte, auch das hineinmischen können, was, wenn man vom anthroposophischen Gesichtspunkte über die Zeit spricht, doch drinnen sein muß in allen, wenn auch noch so scharfen, seelisch scharfen Zurückweisungen der Gegner: Mitleid. Man muß dennoch Mitleid haben, weil das Zeiturteil be­nebelt ist.

Wie es nun eben der anthroposophischen Bewegung ging und gehen mußte, weil die Dinge so liegen, davon wollen wir dann mor­gen weiter sprechen.

VIERTER VORTRAG 13. Juni 1923

#G258-1959-SE082 - Die Geschichte und die Bedingungen der Anthroposophischen Bewegung ...

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VIERTER VORTRAG

13. Juni 1923

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Wenn man eine solche Erscheinung, wie H.P. Blavatsky ist, be­trachtet, und zwar betrachtet von dem Gesichtspunkte aus, der Ihnen schon aus den vorangehenden drei Betrachtungen klar geworden sein wird, so kommt auf der einen Seite natürlich zunächst diese Persönlichkeit als solche, gewissermaßen für sich hingestellt, in Be­tracht. Auf der anderen Seite kommt in Betracht das, wodurch auf eine große Anzahl von Menschen eine gewisse Wirkung ausgegan­gen ist. Nun ist ja allerdings diese Wirkung zum Teil eine recht negative gewesen. Man kann sagen: diejenigen Menschen, welche etwas vernommen haben von den Veröffentlichungen der Blavatsky, insoferne sie, sagen wir, philosophisch, psychologisch, literarisch, naturforscherisch, man könnte auch im allgemeinen sagen, so wie das Wort heute gebraucht wird, gebildet gesinnt waren, sind froh gewesen, auf irgendeine Weise diese Erscheinung los zu werden, nicht genötigt zu sein, irgendein Urteil abzugeben. Sie konnten ja dieses ihr Ziel auch dadurch erreichen, daß unter Umständen, die ich gestern wenigstens angedeutet habe, man einfach sagen konnte:

es seien unreelle Praktiken konstatiert worden, und man brauche sich nicht abzugeben mit etwas, von dem dergleichen, wie man sagt, nachgewiesen ist.

Dann waren natürlich gerade diejenigen, welche im Besitze alter traditioneller Weisheit sind - in einem Besitze, von dem ich Ihnen gesagt habe, wie wenig sie ihn eigentlich verstanden, die ihn aber in der einen oder in der anderen Hinsicht als ein Machtmittel be­nützten -, Mitglieder dieser oder jener Geheimgesellschaften. Man darf nie vergessen, daß sich zahllose Wirkungen in der Welt an

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dasjenige anschließen, was von solchen Geheimgesellschaften aus­geht. Die waren nicht nur froh, kein Urteil abgeben zu brauchen, sondern sie waren vor allen Dingen darauf bedacht, alle Mittel aus­findig zu machen, damit nicht eine breitere Wirkung von einer sol­chen Darstellung der geistigen Welt ausgehe. Denn die Dinge wa­ren ja, wie wir gesehen haben, veröffentlicht worden, sie konnten von jedem gelesen, von jedem verbreitet werden. Und dadurch war ihnen ein gutes Stück, wenigstens der Machtmittel, welche solche Gesellschaften sich bewahren wollten, genommen worden. Daher stecken hinter denjenigen Dingen natürlich, die ich gestern charak­terisiert habe, schon Angehörige solcher Gesellschaften, namentlich an dem Aufbringen des Urteiles: da liegen unreelle Praktiken vor.

Aber wichtiger noch für unseren gegenwärtigen Zweck muß uns erscheinen, daß immerhin von Blavatskys Schriften und von alldem, was sonst sich an ihre Person angeschlossen hat, bei einer großen An­zahl von Menschen der Gegenwart ein gewisser Eindruck gemacht worden ist. Dadurch sind diejenigen Bewegungen entstanden, die in gewissem Sinne sich als theosophische bezeichnet haben.

Ich möchte Sie bitten, bei all diesen Auseinandersetzungen zu beachten, daß ich immer versuche, die Charakteristiken möglichst so zu geben, daß sie den Tatsachen entsprechen. Das wird einem ja heute schon durch den Gebrauch der Worte unmöglich gemacht, in vielen Kreisen nämlich unmöglich gemacht. Es ist so heute, daß der Mensch sehr leicht, wenn er ein Wort bekommt, eigentlich zu die­sem Worte sich zunächst, ich mochte sagen, in eine Art lexikale Beziehung bringt, daß er eine Art Worterklärung sucht, um auf diese Weise möglichst davor verschont zu bleiben, in die Sache selbst einzudringen. Wenn so ein Literat und auch mancher Mensch, der ernster genommen wird als ein Literat, von Theosophie hören, dann schlagen sie - was meinetwillen auch in ihrem Kopfe geschehen kann - im Lexikon auf und erkundigen sich da, was das ist. Oder sie gehen weiter; vielleicht sind sie viel gewissenhafter und studie­ren allerlei Schriften, worinnen solch ein Wort wie Theosophie vorkommt,

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und dann nehmen sie von daher die Grundlage zu ihrer Beurteilung. Sie müssen bei den Schriften, die über solche Dinge handeln, darauf achten, wieviel auf ein solches Vorgehen eigentlich zu stehen kommt.

Dem muß immer gegenübergestellt werden: wie ist diejenige Ge­sellschaft, oder wie sind die Gesellschaften, könnte man sagen, welche sich an die Erscheinung der Blavatsky angeschlossen haben, zu dem Namen «Theosophische Gesellschaft» gekommen? Man mag noch so viel haben gegen diese Theosophische Gesellschaft - und ich habe ja manches aufgezählt, was man gegen sie haben kann -, aber das lag ja gewiß bei ihrem Entstehen am Ende des neunzehnten Jahrhunderts nicht vor, daß man die lexikale Bedeutung des Wortes Theosophie nahm und nun eine Theosophische Gesellschaft begrün­dete, weil man Theosophie, so wie man es lexikonhaft versteht, ver­breiten wollte. Das war gar nicht der Fall. Sondern es war eine Summe von Mitteilungen aus der geistigen Welt durch die Blavatsky vorhanden, die zunächst als solche da war. Nun hat man aus Grün­den, die ich auch noch erörtern will, eben sich bemüßigt gefunden, die Pflege dieser Mitteilungen auf gesellschaftlichem Wege zu voll­führen, und da brauchte man einen Namen. Dann haben diejenigen, die da nun debattierten - debattiert wird ja heute über alles, debat­tiert ist auch schon dazumal über alles geworden -, welchen Na­men man geben soll, sich gefragt: soll das heißen Neu-Mystische Gesellschaft, soll das heißen Rosenkreuzerische Gesellschaft, soll das heißen Magische Gesellschaft? Und dann haben sie nach­gesehen, was es noch für Worte gibt und sind auf das Wort Theo-sophie und theosophisch gekommen.

Also das Wort hat wirklich mit dem, was da sich verbreitet hat, nicht viel zu tun, insofern es ein historisch hergebrachtes Wort ist. Daher ist es ziemlich unsinnig, wenn man die Dinge von der Wort-bedeutung aus bespricht, namentlich aber liebt oder haßt. Es handelt sich eben um die ganz bestimmten, konkreten Dinge, die durch die Schriften oder die sonstigen Mitteilungen der Blavatsky in die Welt

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hereingetreten sind. Und es ist, möchte man sagen, der reine Zufall, daß da die Gesellschaften, die sich angeschlossen haben, sich Theo­sophische Gesellschaft genannt haben. Es ist einfach keinem ein besseres Wort eingefallen. Das muß man durchaus bedenken, denn es existieren natürlich nicht nur historische Urteile, sondern histo­rische Empfindungen. Bei denjenigen, die für diese oder jene Wis­senschaft die geschichtliche Entwickelung gelernt haben, ist mannig­faltig der Ausdruck Theosophie aufgetaucht, aber das, was da bei ihnen aufgetaucht ist, hat eben gar nichts zu tun eigentlich mit dem, was sich wiederum Theosophische Gesellschaft nannte.

Solche Dinge müßten mindestens innerhalb der Anthroposo­phischen Gesellschaft sehr ernst genommen werden, und es müßte da ein gewisser Trieb nach Genauigkeit herrschen, damit erst die richtige Empfindung entstehen kann für all das unsachliche Ge-schreibe, das sich an diese Dinge allmählich in der Welt angeknüpft hat.

Diese Frage aber muß uns ganz besonders beschäftigen: Woher ist es gekommen, daß doch eine große Anzahl von Menschen in der neuesten Zeit den Trieb gehabt haben nach diesen Dingen, die da geoffenbart worden sind? Denn wir werden dann von da aus den Übergang finden auch zu dem, was doch wiederum ganz anders geartet ist: zur anthroposophischen Bewegung.

Nun muß man aber, wenn man die Erscheinung der Blavatsky ins Auge faßt, eine Eigenschaft dieser Persönlichkeit ganz besonders betonen, weil sie eine hervorragende Eigenschaft ist, das ist diese, daß H.P. Blavatsky ganz und gar, man kann schon sagen, antichrist­lich gesinnt war, ganz und gar antichristlich orientiert war. In ihrer Geheimlehre hat sie ja, man möchte sagen in einem großen Wurf die verschiedenen Impulse mannigfaltiger Urreligionen und die Entwickelung der Religionen enthüllt. Zu objektiver Darstellung war sie eben nicht fähig. Sie hat überall, wo man auch objektive Darstellungen eigentlich erwarten mußte, ihr subjektives Urteil, ihr Empfindungsurteil in die Darstellung hineingemischt. Sie urteilte

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nicht bloß, sondern sie zeigte überall, daß sie eine tiefe Sympathie für alles das hat, was an Religionen in der Welt war außerhalb des Judentums und Christentums, dagegen eine tiefe Antipathie gegen Judentum und Christentum. Überall wird scharf dasjenige, was aus dem Judentum und Christentum kommt, als etwas Minderwertiges gegenüber den großen Offenbarungen derverschiedenen heidnischen Religionen durch die Blavatsky hingestellt: also eine ganz ausgespro­chen antichristliche Orientierung, aber eine ganz ausgesprochen spirituelle Orientierung. Die Möglichkeit ist bei ihr vorhanden, von den geistigen Wesen und den geistigen Vorgängen so zu sprechen, wie man sonst von den Wesen und Vorgängen in der sinnlichen Welt spricht, und manches aus dieser geistigen Welt so zu besprechen, daß man schon sagen kann: es ist die Fähigkeit vorhanden gewesen, unter geistigen Wirksamkeiten sich so zu bewegen, wie sich der Mensch der Gegenwart sonst unter physisch-sinnlichen Wirkungen be­wegt. Es wird mit denselben Realitätsgefühlen von geistigen Erschei­nungen von der Blavatsky gesprochen, wie sonst von Dingen der phy­sischen Welt von den Menschen gesprochen wird. Also eine aus­gesprochen geistige Orientierung, und eine ausgesprochen antichrist­liche Orientierung.

Dadurch ist aber die weitere Fähigkeit vorhanden, charak­teristische Impulse der verschiedenen heidnischen Religionen, der verschiedenen Naturreligionen an die Oberfläche und zum Ver­ständnis der Menschen zu bringen.

Nun könnte man sich über zweierlei wundern: erstens daß über­haupt eine Persönlichkeit heute auftritt - das «heute» meine ich natürlich in historischem Sinne -, die in einem so ausgesprochenen Maße antichristlich orientiert ist und das Heil der Menschen von dieser antichristlichen Orientierung erwartet. Und zum zweiten könnte man verwundert sein darüber, daß, da ja der Außenseite nach die wenigsten Menschen heidnisch orientiert sind, sondern der Außenseite nach die Menschen, wenigstens in unseren zivilisierten Gegenden, doch jüdisch oder christlich orientiert sind, daß trotzdem

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auf diese jüdisch und christlich Orientierten, namentlich auf die christlich Orientierten - auf die jüdisch Orientierten sogar we­niger - ein maßgebender, tiefdringender Einfluß immerhin aus­gegangen ist. Das sind zwei Fragen, die sich uns vor die Seele stellen müssen, wenn wir über die Lebensbedingungen des neueren Geistes­lebens mehr bei den breiten Massen überhaupt sprechen.

Nun, in bezug auf die antichristliche Orientierung der Blavatsky selbst möchte ich nur daran erinnern, daß eine in Mitteleuropa viel mehr bekannt gewordene, oder wenigstens in gewissen Kreisen viel mehr bekannt gewordene Persönlichkeit zum mindesten ebenso anti-christlich orientiert war, wie die Blavatsky. Das ist Nietzsche. Man kann schon nicht mehr antichristlich orientiert sein, als es der Ver­fasser des «Antichrist» war. So unähnlich Nietzsche der Blavatsky ist - und schon dadurch, daß Blavatsky mehr oder weniger in bezug auf das, was man heute moderne Bildung nennt, eigentlich eine un­gebildete Frau war, während Nietzsche auf den Höhen der Bildung stand -, so unähnlich sie sonst waren in der ganzen Haltung ihrer Seelen, darinnen zeigen sie eine merkwürdige Ähnlichkeit, daß sie eben eminent antichristlich orientiert sind. Es wäre durchaus eine Oberflächlichkeit, wenn man nach dem Grunde dieser antichrist­lichen Orientierung bei den beiden Persönlichkeiten gar nicht fra­gen wollte. Aber man bekommt darauf auch keine Antwort, wenn man nicht etwas tiefer in die Sache hineindringt.

Man muß sich nämlich klar sein darüber, daß heute die Menschen, und zwar immer breitere Schichten der Menschen, mit Bezug auf ihr Seelenleben überhaupt in einen tiefen Zwiespalt kommen, den sich die Menschen nicht immer klarmachen, den sie durch den Verstand auszulöschen suchen, in einer gewissen intellektuellen Feigheit auszülöschen versuchen, der aber um so mehr in den unterbewußten Tiefen des Gemütes webt und west bei den Seelen.

Man muß sich nur klar darüber sein, was aus der europäischen Menschheit, der gesamten europäischen Menschheit mit ihrem amerikanischen Anhange geworden ist unter dem Einflüsse des Bildungsstrebens

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der letzten drei, vier, fünf Jahrhunderte. Man be­denke nur, wie groß sich in Wirklichkeit das unterscheidet, was heute den Inhalt der weltlichen Bildung ausmacht, von demjenigen, was der religiöse Impuls in den Menschen ist. Es ist ja wahr, die meisten Menschen geben sich in dieser Beziehung den furchtbarsten Illusionen hin. Sie werden schon von der Volksschule aus in diese moderne Bildung hineingeführt; alles Denken, alle Seelenrichtung wird in diese moderne Bildung hineingeführt. Dann wird ihnen auch übermittelt dasjenige, was ihre religiösen Sehnsuchten befriedigen soll. Da klafft zwischen beiden ein furchtbarer Abgrund. Aber die Menschen kommen nicht dazu, sich eigentlich diesen Abgrund rich­tig vor die Seele zu stellen, sie kommen nicht dazu, sie lieben es sogar, in dieser Beziehung sich den ärgsten Illusionen hinzugeben.

Nun muß man sich fragen: wie steht es denn mit dem geschicht­lichen Hergang bezüglich der Entstehung dieses klaffenden Abgrun­des? Da müssen Sie zurückschauen in diejenigen Jahrhunderte, in denen noch nicht diese moderne Bildung da war, wo dasjenige, was gelehrtes Leben war, eben nur von einigen wenigen, die dazu gründ­lich vorbereitet waren, getrieben wurde. Seien Sie sich doch klar darüber, daß heute ein zwölfjähriges Schulmädchen in bezug auf äußere Bildung mehr in sich trägt, als irgendein Gebildeter des elften oder zwölften oder dreizehnten Jahrhunderts. Diese Dinge darf man nicht übersehen. Und diese Bildung ist so geworden, daß sie getragen wird von einem ganz außerordentlich intensiven Autori­tätsgefühl, von einer schier unbezwinglichen Autoritätsempfindung. Es steht sozusagen dieser Bildung im Laufe der Jahrhunderte immer mehr und mehr etwas zu Gebote, was diesen Autoritätsglauben an die moderne Bildung immer größer und größer macht. Es ging im Laufe der Jahrhunderte diese moderne Bildung immer mehr und mehr über auf dasjenige, was nur die äußeren Sinne sagen, oder was die Rechnung sagt. Nun, je weniger der Mensch innerlich mit sich zu Rate geht, desto mehr leuchtet ihm ein, daß das wahr ist, was er, wie man sagt, mit seinen fünf Sinnen sieht, und was man so sieht,

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daß es errechnet ist, wie zwei mal zwei vier ist. Was du siehst mit deinen fünf Sinnen, was so ist, wie zwei mal zwei vier ist, das ist wahr. Indem man alles andere abgeleugnet hat, und nur schließlich immer mehr und mehr das aufgenommen hat in die moderne Bil­dung, was so wahr ist, wie das, was man mit den fünf Sinnen sieht, oder mit den fünf Fingern abzählen kann, so wurde eben - weil das eine so große Autorität ist, dieses «zwei mal zwei ist vier» und diese fünf Sinne - die moderne Bildung nach und nach mit der Autoritäts­empfindung, die sie hat, ausgerüstet, weil man von ihr sagen kann, sie ist so gewiß, wie das, daß zwei mal zwei vier ist, und wie das­jenige, was die fünf Sinne sagen.

Dadurch aber entstand immer mehr und mehr auch das Gefühl:

alles, was der Mensch glaubt, was der Mensch für richtig hält, müsse sich rechtfertigen vor dieser ganz gewissen modernen Bildung. Und indem diese moderne Bildung immer mehr und mehr nur auf das Sinnliche und auf das Errechenbare gegangen ist, war es unmöglich, überhaupt irgend jemals eine Wahrheit aus denjenigen Reichen, wo die Mathematik nicht mehr gilt und wo die Sinne nicht mehr gelten, vor die Menschen noch in entsprechender Weise hinzustellen. Wie wurden denn solche Wahrheiten in früheren Jahrhunderten, wo es diese moderne Bildung noch nicht gegeben hat, vor die Menschen hingestellt?

Hingestellt wurden sie in zeremoniellen Bildern. Es lag ja durch die Jahrhunderte in der Religionsverbreitung das Wesentliche nicht etwa in der Predigt, sondern in der Zeremonie, in den Ritualien. Man war sich klar: man kann nicht durch den Intellekt sprechen, der noch gar nicht in der heutigen Weise entwickelt war, sondern man mußte durch das Bild sprechen. Stellen Sie sich nur einmal vor, wie es noch im vierzehnten, fünfzehnten Jahrhundert zum Beispiel in christlichen Ländern war. Da war die Predigt nicht die Haupt­sache, da war die Hauptsache die Zeremonie. Da war die Haupt­sache, daß der Mensch sich einlebte in eine Welt, die ihm in mäch­tigen, grandiosen Bildern dargestellt war. Überall waren an den

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Wänden Fresken dargestellt, die ihm das geistige Leben nahebrach­ten: wie wenn ungefähr unser irdisches Leben bis an die höchsten Berge hinaufreichen könnte, da aber, wenn man nur noch ein wenig höhersteigen könnte, würde das geistige Leben beginnen. Bildhaft, zur Imagination gehend, oder in den hörbaren Harmonien des Musikalischen, oder aber, wenn gesprochen wurde, in der man­tri scheu, in der Gebetsform, in der Formelform wurde eben von der geistigen Welt gesprochen. Diese Zeiten waren sich ganz klar dar­über: für die geistige Welt braucht man das Bild, nicht den Begriff, nicht dasjenige, worüber man diskutieren kann, sondern man braucht das Anschauliche, man braucht das Bildhafte. Man braucht das­jenige, was zu den Sinnen spricht, aber zu den Sinnen so spricht, daß durch das SinnlichGegebene der Geist hindurchspricht.

Nun kam die moderne Bildung herauf mit ihren intellektuali­stischen Ansprüchen, mit ihrem Anspruch, alles vor der Vernunft, wie man sagt, zu rechtfertigen. Auch über das Christentum, auch über die christlichen Geheimnisse, auch über das Mysterium von Golgatha und seine Träger wurde ja im Wesentlichen in dieser Bildform gesprochen, auch in der Bildform, insofern das Wort ge­braucht wurde, nämlich in der Erzählungsform. Und als die Dogmen aufkamen, so waren sie auch noch etwas bildhaft Erfaßtes. So kann man sagen: es war bis zum dreizehnten, vierzehnten Jahrhundert die christliche Verkündigung durchaus auf eine altertümliche Weise geschehen. Aber dieser christlichen Verkündigung wurde von keiner Seite her ihr Gebiet streitig gemacht, solange die intellektualistische Bildung noch nicht da war, und solange man die Dinge nicht vor der Vernunft zu rechtfertigen hatte.

Nun studieren Sie doch einmal historisch, wie es da heraufkommt im dreizehnten, vierzehnten, fünfzehnten, sechzehnten Jahrhundert, wie es da anstürmt, daß die Menschen anfangen, alles intellektuali­stisch begreifen zu wollen! Welche welthistorische Kritik da ein­setzt! Das macht man sich heute gewöhnlich gar nicht mehr klar, welche welthistorische Kritik da eingesetzt hat!

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So kann man sagen: der Mensch von heute - und es ist wirklich nicht etwa bloß der Mensch der oberen Zehntausend, sondern das sind die breitesten Schichten - wird in ein religiöses Leben einge­führt im Christentum, aber daneben auch in eine moderne Bildung. Nun leben die beiden, das Christentum und die moderne Bildung, in seiner Seele, und es stellt sich heraus, wenn es sich auch die Menschen nicht klarmachen, daß mit dem, was die intellektualistische Bildung gebracht hat, die christlichen Wahrheiten nicht bewiesen werden können. Es können die christlichen Wahrheiten damit nicht bewiesen werden. So lernt man von Kindheit auf heute das ganz Gewisse, daß zwei mal zwei vier ist, und daß man seine fünf Sinne nur darauf anwenden darf. Man lernt dieses ganz Gewisse, und man kommt darauf, wenn man sich an dieses ganz Gewisse halten will:

dann geht es doch nicht, das Christentum an dieses ganz Gewisse heranzutragen.

Diejenigen Theologen, die modernen Theologen, die es haben herantragen wollen, haben ja den Christus verloren, können zu den breiten Schichten nicht mehr von dem Christus sprechen; sie spre­chen höchstens von der Persönlichkeit Jesu. So erhält sich in den letzten Jahrhunderten dieses Christentum eben nur in den alten Formen, die aber der neuere Mensch eben einfach in seiner Seele nicht mehr gelten läßt, aber es verliert, ich möchte sagen, an in­nerem Halt in der Seele. Warum denn?

Nun, sehen Sie sich nur alles das an, was die Geschichte an Christentum heraufgebracht hat. Es ist die größte Unehrlichkeit, wenn heute die modernen Theologen dieses Christentum in irgend­einer Weise rationalistisch deuten wollen. Es ist unmöglich, dieses Christentum rationalistisch zu deuten. Man kann nicht dieses Chri-stentum, dieses Mysterium von Golgatha und ihren Träger ratio­nalistisch deuten, man muß von Spiritualität sprechen, wenn man von Christus sprechen will. Man muß von einer geistigen Welt spre­chen, wenn man von Christus sprechen will. Man kann gar nicht an das ganz Gewisse, daß zwei mal zwei vier ist, und an seine fünf

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Sinne nur glauben und dann ehrlicher Weise noch von Christus sprechen. Das kann man eben nicht. So daß es eben in dem tiefsten Seeleninnern der modernen Menschen so aussah, daß sie keine Mög­lichkeit hatten, aus dem, was nun einfach ihre Schulbildung ist, den Christus zu verstehen, zu begreifen. Denn der Rationalismus und Intellektualismus hat den Menschen die spirituelle Welt genommen. Es ist zwar der Christusname, die Christustradition geblieben, aber ohne ihre Atmosphäre, ohne daß der Christus erscheint als Geist unter Geistern, als eine geistige Wesenheit in einer geistigen Welt. Denn die Welt, die die moderne Astronomie, Biologie, Naturwissen­schaft gebracht hat, ist eine ungeistige Welt.

Und so kamen eben zahlreiche Seelen heran, die ein ganz bestimm­tes Bedürfnis aus diesen Untergründen heraus hatten. Die Zeit schreitet wirklich weiter, und die Menschen von heute, ich habe das oftmals betont, sind nicht mehr die Menschen der früheren Zeiten. Sie müssen sich doch fragen: da trete ich mit so und so vie­len zusammen, um mich mit ihnen in einer Gesellschaft zur Pflege von geistigen Wahrheiten zu finden. Warum tue ich denn das? Warum tun Sie, jeder Einzelne das? Was treibt Sie dazu? Nun sitzt das, was die Menschen dazu treibt, zumeist so tief in den unbewuß­ten Untergründen des Seelenlebens, daß eben nicht viel Klarheit dar­über herrscht. Aber die Frage muß doch aufgeworfen werden hier, wo, wie ich gerade in der Einleitung gesagt habe, Selbstbesinnung der Anthroposophen geübt werden soll.

Wenn Sie zurückblicken in frühere Zeiten, da war es den Men­schen selbstverständlich, daß nicht bloß materielle Dinge und ma­terielle Vorgänge da draußen sind, sondern daß überall Geister sind. Die Menschen fanden eine geistige Welt um sich herum in ihrer Umgebung. Und weil sie eine geistige Welt fanden, konnten sie den Christus begreifen.

Mit dem modernen Intellektualismus findet man nirgends eine geistige Welt, wenn man ehrlich ist, folglich kann man auch den Christus nicht wirklich begreifen. Der moderne Gebildete begreift

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auch den Christus nicht. Die Menschen, die sich nun so sehnen, wie­der ein Geistesleben zu finden, das sind nämlich ganz bestimmte Seelen. Das sind diejenigen Seelen, in denen zweierlei lebt. Wirk­lich, in den meisten Seelen derer, die sich in solchen Gesellschaften, von denen hier die Rede ist, zusammenfinden, in denen lebt heute ein Zweifaches: erstens taucht ein ganz unbestimmtes Empfinden auf in der Seele, das die Menschen nicht beschreiben können, aber es ist da. Und untersucht man es mit den Mitteln, die man in der gei­stigen Welt hat, dann ist es das Empfinden, das aus früheren Erden­leben herrührt, in denen man aber noch eine geistige Umgebung hatte. Heute erstehen die Menschen, in denen innerlich seelisch etwas rumort von früheren Erdenleben. Wir hätten weder Theo­sophen noch Anthroposophen, wenn es nicht solche Menschen gäbe, in denen etwas rumort von früheren Erdenleben. Diese Menschen finden sich in allen Schichten unserer heutigen Bevölkerung. Sie wissen nicht, daß das von früheren Erdenleben kommt; aber es kommt von früheren Erdenleben. Dadurch entsteht das Streben nach einem ganz bestimmten Wege, nach einer ganz bestimmten Erkenntnis.

Ja, meine lieben Freunde, wie Sie die Bäume in früheren Erden-leben gesehen haben, wie Sie die äußeren materiellen Substanzen gesehen haben, das wirkt nicht nach in dieses jetzige Erdenleben, denn das haben Sie mit Ihren Sinnen gesehen. Die Sinne sind zer­stäubt im Kosmos. Dasjenige, was nachwirkt, ist der geistige Inhalt der früheren Erdenleben.

Nun kann der Mensch heute dastehen in zweifacher Weise. Er kann spüren: Da ist etwas in mir - er weiß es nicht, daß es aus früheren Erdenleben kommt, aber es kommt aus früheren Erden-leben-, da ist etwas in mir, es wirkt, es ist da. Aber wenn ich noch so viel von der Sinneswelt weiß, das kann nicht beschrieben werden, den das hat nichts herübergetragen, was nicht geistig ist. Wenn mir nun in der Gegenwart alles genommen wird, was geistig ist, dann ist dieses, was aus früheren Erdenleben herüberkommt, unbefriedigt. Das ist das eine.

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Das andere, was in den Menschen lebt, ist, daß sie ein unbestimm­tes Gefühl haben: mir müßten eigentlich die Träume mehr sagen als die Sinneswelt. Es ist natürlich ein Irrtum, eine Illusion, wenn die Leute glauben, daß ihnen die Träume mehr sagen müßten als die Sinneswelt. Aber woher kommt denn diese Illusion, die wirklich in demselben Maße heraufkommt, in dem die moderne Bildung herauf­gekommen ist? Denn mit dieser modernen Bildung hat es nämlich eine eigentümliche Bewandtnis. Wenn sich die Menschen, die mo­dern gebildet sind, heute in ihren gebildeten Gesellschaften zusam­menfinden, dann muß man eben gebildet sein, dann redet man so, wie es einem im heutigen Sinne geschulten Menschen entspricht. Fängt einer an, irgend etwas von geistigen Wirkungen in der Welt zu reden, dann muß man spöttisch die Mundwinkel ziehen, denn das ist gebildet. Innerhalb unserer Schulbildung gilt es nicht, von gei­stigen Wirkungen in der Welt zu reden. Da ist man ein abergläu­bischer, ein ungebildeter Mensch. Da muß man die Mundwinkel ziehen. Da muß man zeigen: so etwas ist nur für den abergläubischen Teil der Bevölkerung.

Nun, in solchen Gesellschaften bilden sich dann oftmals zwei Gruppen. Zumeist ist irgendwer da, der faßt so einen Viertelsmut, über solche geistigen Dinge zu reden. Da ziehen die Leute die Mundwinkel. Der größte Teil geht weg, geht zum Kartenspiel oder zu sonstigen menschenwürdigen Beschäftigungen. Einige aber wer­den neugierig. Da geht man in ein Nebenzimmer, und da beginnt man dann über diese Dinge lange zu reden, während die anderen Karten spielen oder irgend etwas anderes machen, was ich weniger beschreiben möchte. Da hören die Leute in dem Nebenzimmer dann mit offenem Mund zu, können gar nicht genug kriegen vom Zuhö­ren; aber es muß im Nebenzimmer sein, denn sonst ist man nicht gebildet. In dem, wozu der moderne Mensch da kommen kann, ist doch nur mehr oder weniger Traumähnliches. Die Dinge, die da erzählt werden, sind ja meist so unzusammenhängend und chaotisch wie Träume, aber der Mensch liebt es doch. Warum liebt er es?

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Es würden nämlich die anderen es auch lieben, die zum Kartenspiel abgezogen sind. Es ist nur die Leidenschaft des Kartenspieles noch stärker, als diese Liebe zum Zuhören; wenigstens reden sie es sich ein.

Warum hat denn der Mensch in dieser modernen Zeit den Drang, Träumen nachzugehen? Weil er fühlt, wiederum ganz instinktiv, ohne daß er das klar weiß: was ich da in meinen Gedanken habe, und was mir die äußere physische Welt abbildet, das ist ganz schön, aber es gibt mir ja nichts für mein Seelenleben. Dahinter liegt doch etwas anderes, das fühle ich in mir. Ein geheimes Denken, Fühlen und Wollen lebt auch, wenn ich wache, so frei in mir, wie das Traumleben frei lebt, wenn ich schlafe. Es ist etwas in dem Hinter­grunde der Seelen, das wird eigentlich geträumt auch beim Wachen. Das fühlt schon der moderne Mensch. Und das fühlt er, weil ihm gerade in der Außenwelt das Geistige fehlt. Er kann es nur noch im Traume erhaschen. In früheren Erdenleben hat er es in seiner Umgebung geschaut.

Jetzt werden eben die Seelen geboren, die neben diesen Impulsen, die aus früheren Erdenleben in ihnen rumoren, auch das in sich ru­morend haben, was im vorirdischen Dasein in der geistigen Welt gespielt hat. Das ist verwandt mit diesem innerlichen Träumen. Das innerliche Träumen ist eben eine Nachwirkung von dem Lebendigen im vorirdischen Dasein

Denken Sie doch: die Menschen früherer Zeiten wußten eben von geistiger Umgebung, ihr irdisches Dasein nahm ihnen gewisser­maßen nicht den Geist. Die neueren Menschen fühlen das Geistige in sich. Aber nicht nur, daß ihnen die Seelenverfassung der Zeit den Geist nimmt, es ist auch eine Bildung aufgetreten, die geistfeindlich ist, die den Geist wegbeweist.

Frägt man, wodurch sich Menschen in solchen Gesellschaften, wie sie hier charakterisiert werden sollen, zusammenfinden, so ist es eben durch diese zwei Eigenschaften der Seele: dadurch, daß etwas in ihnen rumort aus früheren Erdenleben und dadurch, daß etwas in ihnen rumort vom vorirdischen Dasein. Bei den meisten von

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Ihnen ist es so. Sie säßen gar nicht da, wenn nicht diese zwei Dinge in Ihnen rumorten.

Und denken Sie an frühere soziale Zustände zurück. In ganz alten Zeiten kamen die sozialen Einrichtungen überhaupt aus den Myste­rien, waren im Einklange mit demjenigen, was den Menschen geistig überliefert wurde. Der Mensch war hineinverwoben in ein, sagen wir, soziales Wesen, das zugleich eins war mit demjenigen, was seine Seele ersehnte.

Nehmen Sie einen Athener. Er schaute zu der Göttin Athene auf. Er empfand in seiner Seele seine innere Verwandtschaft mit der Göttin Athene. Er stand in einem sozialen Gemeinwesen darinnen, von dem man wußte: das war nach den Intentionen der Göttin Athene eingerichtet. Die Olivenbäume um Athen herum hat die Göttin Athene gepflanzt. Die staatlichen Gesetze hat die Göttin Athene diktiert. Man war als Mensch in eine soziale Gemeinschaft hineingestellt, die mit dem innerlichen Glauben ganz stimmte. Da wurde einem nichts genommen, was einem sozusagen die Götter gegeben hatten.

Vergleichen Sie damit den modernen Menschen. Er steht in seinen sozialen Verhältnissen so darinnen, daß eben der Abgrund klafft zwischen dem, was er innerlich erlebt, und dem, wie er äußerlich in diese sozialen Verhältnisse eingesponnen ist. Er kommt sich so vor - er macht es sich nur nicht klar, es sitzt im Unterbewußtsein -, wie wenn seiner Seele durch die äußeren Verhältnisse sein Körper Cortwährend genommen werden sollte. Er fühlt sich durch diese Eigenschaften, durch diese Impulse aus früheren Erdenleben und dem vorirdischen Dasein, wovon ich Ihnen gesprochen habe, im Zusammenhange mit einer geistigen Welt. Sein Körper gehört den äußeren Institutionen an. Sein Körper muß sich so verhalten, daß er den äußeren Institutionen genügen kann. Das erzeugt im Unter­bewußtsein eine fortwährende Angst im modernen Menschen, daß ihm eigentlich der physische Leib nicht mehr gehört. Nun, es gibt schon moderne Staaten, in denen man ja fühlen kann, wie einem

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eigentlich der Rock nicht mehr gehört, denn man ist ihn der Steuer­behörde schuldig! Aber nicht wahr, in einem weiteren Maßstab, meine lieben Freunde, gehört einem auch der physische Leib nicht. Der wird in Anspruch genommen von den äußeren Institutionen.

Diese Angst lebt in dem modernen Menschen, daß er eigentlich jeden Tag seinen Leib hingeben muß für irgend etwas, was nicht mit seinem Seelischen zusammenhängt. Und so wird der moderne Mensch ein Sucher nach dem, was ganz anderen Weltaltern ange­hört, was er im vorigen Erdenleben erlebt hat. So wird der moderne Mensch ein Sucher nach dem, was überhaupt der Erde nicht ange­hört, was der geistigen Welt angehört, und in dem er im vorirdischen Dasein war.

Das alles macht sich unbewußt, instinktiv geltend, aber es macht sich geltend. Und sagen muß man: dasjenige, was unsere Anthro­posophische Gesellschaft jetzt geworden ist, ist sie ja wirklich aus kleinen Anfängen heraus geworden. Sie mußte zuerst in der primi­tivsten Weise in ganz kleinen Zirkeln arbeiten. Man könnte viel er­zählen von der Art und Weise, wie man aus kleinen Zirkeln heraus gearbeitet hat.

Ich habe zum Beispiel einmal in den ersten Jahren in Berlin vor­tragen müssen zunächst in einer Stube, in der hinten die Biergläser klirrten, weil es eine Schankstube war, die nach der Straße hinaus-ging. Und als einmal diese nicht brauchbar war, wies man uns in etwas, was eine Art Stall war. Da kamen die Leute hin, die so be­schaffen waren, so beschaffen sind, wie ich es Ihnen eben jetzt er­zählt habe. In einer deutschen Stadt habe ich in einem Saal vorge­tragen, in dem stückweise überhaupt kein Fußboden war, wo man immer acht geben mußte, daß man nicht in ein Loch hineinplumpste und sich das Bein brach. Aber es versammelten sich da eben die­jenigen Menschen, die diese Impulse hatten. Allerdings, diese Be­wegung war von vornherein darauf angelegt, allgemein menschlich zu sein. Und so war die Befriedigung ebenso groß, wenn das ein­fachste Gemüt sich einfand in solchen Lokalitäten, wie ich sie eben

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beschrieben habe. Aber man fand das nicht zu unbehaglich, weil das eben auch zur Menschlichkeit gehörte, wenn sich, ich möchte sagen, die Menschen mehr so einfanden, daß sie dann die anthro­posophische Bewegung auf aristokratische Art, wie es zum Beispiel in München war, aus der Taufe hoben. Man schloß nicht irgendeine menschliche Allüre aus.

Aber das, meine lieben Freunde, worauf gesehen werden mußte, das war immer das, daß eben solche Seelen sich zusammenfanden, die so beschaffen waren, wie ich es geschildert habe. So daß wirklich die Menschen, die in solchen Gesellschaften zusammenkamen, schicksalsmäßig gezeichnet waren, auch heute noch schicksalsmäßig gezeichnet sind.

Wären nicht solche Menschen dagewesen, so hätte eine Persön­lichkeit, wie die Blavatsky ist, kein Interesse finden können. Denn gerade nur bei solchen Persönlichkeiten hat sie ein Interesse gefun­den. Was fühlten denn zunächst diese Menschen? Was war ihnen denn das Allerwichtigste und was kam denn sozusagen ihren Emp­findungen entgegen?

Nun, dem einen, was da in der Seele rumorte, kam die Lehre von den wiederholten Erdenleben entgegen. Man konnte sich jetzt sagen:

du lebst als Mensch in den Zeitaltern, du bist innerlich stärker als diejenigen Mächte, die dir jeden Tag etwa deinen Leib entreißen wollen. Da mußte man also diesem tief innerlichsten Fühlen, das eigentlich schon willensartig war im Menschen, mit der Lehre von den wiederholten Erdenleben entgegenkommen.

Und diesem, das Seelische eigentlich wie traumhaft empfinden, körperfrei empfinden - das tut selbst der einfachste Landmensch, das Seelische körperfrei empfinden -, dem konnte man nimmer-mehr entgegenkommen mit einem Erkennen, das nur auf die Materie und ihre Vorgänge hin orientiert war. Denn innerhalb die­ser Materie und ihrer Vorgänge gab es so etwas nicht, wie das, was der Mensch an seinem Seelischen erlebte, was ein Nachklang war seines vorirdischen Daseins. Man konnte dem nur entgegenkommen,

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wenn man ihm klarmachte, wenn ich das schokierende Wort ge­brauchen darf: Unser tiefstes menschliches Wesen ist wie aus Träumen gewoben. Dem, was in uns gewoben ist, wie die Träume gewoben sind, was nur ein stärkeres Sein, eine stärkere Existenz hat, dem sind die Dinge, die in der physischen Umgebung sind, nicht gleich. Man ist ja wie ein Fisch, der aus dem Wasser heraus muß und in der Luft leben soll, wenn man mit dem, was man in der Seele trägt, nur in der Welt leben soll, die die moderne Bildung vor den Menschen hinzaubert. Wie der Fisch anfängt, eben nicht atmen zu können in der Luft, wie der Fisch anfängt, zu schnappen, wenn er nicht atmen kann, so leben eben solche Seelen in der modernen Atmosphäre, indem sie schnappen nach dem, was sie brauchen. Das finden sie nicht, weil es Geistiges ist. Denn es ist der Nachklang dessen, was sie erlebt haben im vorirdischen Dasein, in der geistigen Welt. Sie wollen von Geistigem hören, daß Geistiges da ist, daß mitten unter uns Geistiges ist.

Begreifen Sie, meine lieben Freunde, daß das die zwei wichtigsten Angelegenheiten waren für einen gewissen Teil der Menschheit:

Aufklärung darüber zu bekommen, daß der Mensch über das eine Erdenleben hinaus lebt, Aufklärung darüber zu bekommen, daß es solche Wesen überhaupt in der Welt gibt, wie er ist, daß es Geister gibt unter den natürlichen Dingen und Vorgängen. Das war zu­nächst durch die Blavatsky gebracht worden. Aber das mußte man zuerst haben, bevor man wiederum den Christus verstehen konnte.

Nun liegt eben das Eigentümliche vor, daß, man möchte sagen, mit einer Betonung des Mitleides mit der Menschheit, bei der Blavatsky das auftrat, daß sie sich sagte: diese Menschen schnappen ja nach Erkenntnissen aus der geistigen Welt. Wenn wir ihnen die alten heidnischen Religionen enthüllen, dann enthüllen wir ihnen etwas, was diesen ihren geistigen Bedürfnissen entgegenkommt. Das sollte zunächst getan werden.

Daß dabei eine ungeheure Einseitigkeit, nämlich ein Antichrist­ianismus entstand, das ist dann durchaus begreiflich, ebenso wie es

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begreiflich ist, daß von dem Hinschauen auf das gegenwärtige Christentum, aus dem er selber herausgewachsen war, bei Nietzsche ein so starker Antichristianismus entstanden ist.

Von diesem Antichristianismus und seiner Heilung möchte ich Ihnen dann in den nächsten Vorträgen sprechen. Ich möchte nur noch betonen, daß dasjenige, was bei der Blavatsky als Antichrist­ianismus aufgetreten ist, vom Anfange an in der anthroposophischen Bewegung nicht da war, denn der erste Vortragszyklus, der von mir gehalten worden ist, war der Vortragszyklus «Von Buddha zu Christus», wie ich schon erwähnt habe. Dadurch also steht die anthroposophische Bewegung als etwas Selbständiges in all diesen Geistesbewegungen drinnen, daß sie vom Anfange an den Weg von den heidnischen Religionen zum Christentum hin gegangen ist. Aber ebenso gut muß man verstehen, warum die anderen diesen Weg nicht gegangen sind. Davon, wie gesagt, wollen wir dann morgen sprechen.

FÜNFTER VORTRAG 14. Juni 1923

#G258-1959-SE101 - Die Geschichte und die Bedingungen der Anthroposophischen Bewegung ...

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FÜNFTER VORTRAG

14. Juni 1923

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Es ist schon von Bedeutung, darauf hinzusehen, wie gewissermaßen innerhalb der anthroposophischen Bewegung gerade bei den­jenigen, die zuerst gewöhnliche Zuhörer, könnte man sagen, waren, das Christentum erobert werden mußte. Denn die theosophische Bewegung ist in Anlehnung an die Persönlichkeit der H. P. Blavatsky durchaus ausgegangen von einer antichristlichen Orientierung. Und diese antichristliche Orientierung, die ich auch in Zusammenhang gebracht habe mit derselben Orientierung bei einer anderen Persön­lichkeit, bei Friedrich Nietzsche, diese antichristliche Orientierung mochte ich zunächst noch ein wenig beleuchten.

Man muß sich darüber klar sein, und das geht ja aus den verschie­densten Betrachtungen hervor, die gerade innerhalb unserer Kreise angestellt worden sind über das Mysterium von Golgatha, daß das Mysterium von Golgatha zunächst als eine Tatsache in die Ent­wickelung der Menschheit auf Erden sich hineingestellt hat. Als Tatsache ist es zunächst zu nehmen. Wenn Sie zurückgehen auf die Darstellung in meinem Buche «Das Christentum als mystische Tat­sache», dann werden Sie finden, daß dort der Versuch gemacht ist, das gesamte Mysterienwesen der alten Zeiten nach seinen Impulsen zu erkennen und dann zu zeigen, wie die verschiedenen Kräfte, die in den einzelnen Mysterien gespielt haben, sich vereinigt, harmoni­siert und dadurch möglich gemacht haben, daß dasjenige, was zu­riächst in den Mysterien, man möchte sagen, auf eine verborgene Weise den Menschen entgegengetreten ist, in offener Weise als eine historische Tatsache vor die Menschen hingestellt worden ist. Sodaß in dem Mysterium von Golgatha in einer äußeren Tatsache die Krönung

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des gesamten alten Mysterienwesens vorliegt. Wie dann die ganze Entwickelung der Menschheit eine andere werden mußte un­ter den Einflüssen des Mysteriums von Golgatha, das habe ich ge­rade in jenem Buche ja zu zeigen versucht.

Nun waren, wie ich auch schon öfter betont habe, zur Zeit als das Mysterium von Golgatha sich als eine Tatsache abspielte, Reste der alten Mysterienweisheit vorhanden. Man konnte mit Hilfe dieser Reste der alten Mysterienweisheit, die so in die Evangelien über­gegangen sind, wie ich es in jenem Buche dargestellt habe, an dieses Ereignis, das eigentlich der Erdenentwickelung erst ihren Sinn gibt, herantreten. Die Erkenntnismittel zum Verstehen des Mysteriums von Golgatha konnte man aus den alten Mysterien nehmen. Aber zu gleicher Zeit muß ja verzeichnet werden, daß das Mysterienwesen in jenem Sinne, in dem es in alten Zeiten da war, verschwindet und in dem Mysterium von Golgatha seine Krönung gefunden hat.

Auch das habe ich ja erwähnt, wie im vierten nachchristlichen Jahrhundert eigentlich die unmittelbar noch vom Menschen ergriffe­nen Impulse der alten Erkenntnis schwinden, und von dieser alten Erkenntnis nur mehr oder weniger Traditionelles vorhanden bleibt, sodaß da oder dort möglich ist, daß durch besondere Menschen, durch besondere Persönlichkeiten diese Traditionen wiederum belebt wer­den. Aber eine so fortlaüfende Mysterienentwickelung, wie sie im Altertum vorhanden war, findet nicht mehr statt. So ist eigentlich verlorengegangen das Mittel, um das Mysterium von Golgatha zu verstehen.

Die Tradition hat sich forterhalten. Die Evangelien waren da, zu­riächst geheimgehalten von der kirchlichen Gemeinschaft, dann für die einzelnen Völker veröffentlicht. Die Kulte waren da. Es war möglich, in der fortlaufenden Geschichte der abendländischen Menschheit das Mysterium von Golgatha gewissermaßen wie in der Erinnerung lebendig zu erhalten. Aber die Möglichkeit dieser Le­bendighaltung hörte auf in dem Momente, als im fünften nach-atlantischen Zeitraum der Intellektualismus mit dem, was ich gestern

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moderne Bildung genannt habe, auftrat. Da trat in die Menschheit herein eine Wissenschaft über die natürlichen Dinge, eine Wissen­schaft, aus der nimmermehr, wenn sie ihre Methoden nur in der Weise entwickelt, wie sie es bisher getan hat, ein Begreifen der gei­stigen Welt hervorgehen konnte. Da mußten diese Methoden eben in der Weise erweitert werden, wie es durch die Anthroposophie geschieht. Aber wenn man bei den von Kopernikus, Galilei und so weiter nur eingeleiteten naturwissenschaftlichen Methoden stehen­blieb, dann hatte innerhalb einer solchen Naturbetrachtung das Mysterium von Golgatha keinen Platz.

Nun bedenken Sie doch nur folgendes: in allen alten Religionen gab es keinen Zwiespalt zwischen der Welterkenntnis und, sagen wir, der Gotteserkenntnis. In einer ganz naturgemäßen Weise mün­dete die weltliche, die profane Wissenschaft in die Theologie hinein. Alle heidnischen Religionen haben das, daß eine Einheit bei ihnen bildet die Art, wie sie die Natur erklären, und wie sie dann in ihrer Naturerklärung aufsteigen zu einem Begreifen des Göttlichen, des mannigfaltigen Göttlichen, das eben durch die Natur wirkt.

Solche Naturkräfte abstrakter Art, wie wir sie heute haben, wie sie unter zwingender Autorität anerkannt werden, hatte man nicht. Man hatte Naturwesen, welche die Natur in ihren verschiedenen Erscheinungen lenkten, leiteten, zu denen man eine Brücke hinüber-bauen konnte von dem aus, was in der Menschenseele selber ist. So-daß nirgends jener Riß war in den alten Religionen, der da besteht zwischen dem, was neuere Naturwissenschaft ist und demjenigen, was Erfassen des Göttlich-Geistigen sein soll.

Nun wird Anthroposophie niemals behaupten, daß sie irgendwie selbst Religion-begründend auftreten will. Aber auf der anderen Seite ist es einfach eine menschliche Forderung, daß, wenn auch Religion immer etwas Selbständiges, eine selbständige geistige Strö­mung in der Menschheit sein muß, doch ein Einklang bestehen muß zwischen dem, was Erkenntnis ist und dem, was Religion ist. Man muß, ohne über einen Abgrund zu springen, hinüberkommen können

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in das Religiöse vom Erkennen aus, und man muß wieder vom Religiösen in das Erkennen herüberkommen können, ohne über einen Abgrund springen zu müssen. Das ist bei der ganzen Konsti­tution, die die neuere Erkenntnis angenommen hat, nicht möglich. Und diese Erkenntnis ist durchaus populär geworden und bezwingt die Menschen mit einer ungeheuren Autorität. In dieser Art ist eine Brücke zwischen dieser Erkenntnis und dem religiösen Leben nicht möglich, vor allen Dingen ist es nicht möglich, vom Wissenschaft­lichen aus das Wesen des Christus zu finden. Indem immer mehr und mehr die neuere Wissenschaft an das Wesen des Christus heran­getreten ist, hat sie es zerstäubt, hat sie es verloren.

Wenn Sie dies bedenken, dann werden Sie das folgende begreifen können. Ich will zunächst von dem der Blavatsky fernstehenden Nietzsche sprechen. Da ist in Nietzsche ein Mensch, der heraus-gewachsen ist aus einem mitteleuropäischen protestantischen Pfarr­hause, der Sohn nicht nur frommer Leute in dem modernen Sinn, sondern der Sohn eines praktizierenden Pastors. Er macht die mo­derne Bildung durch, macht sie zunächst als Gymnasiast durch. Da er aber nicht dasjenige ist, was Schiller den Brotgelehrten nennt, sondern ein philosophischer Kopf - Sie wissen ja, &hiller hat in seiner Antrittsrede scharf den Unterschied hervorgehoben zwischen dem Philosophenkopf und dem Brotgelehrten -, so verbreitert sich sein Interesse über alles dasjenige, was aus den Methoden der Ge­genwart heraus Erkenntnis werden kann. Nun kommt er - aber auf eine radikale Weise - bewußt in jenen Zwiespalt hinein, in den eigentlich alle modernen gebildeten Gemüter hineinkommen, aber unbewußt, weil sie sich Illusionen darüber machen, weil sie einen Nebel darüber breiten. Er kommt zu einer Stimmung, die ich etwa im folgenden charakterisieren möchte.

Er sagt: Da haben wir nun eine moderne Bildung. Diese moderne Bildung arbeitet nirgends in gerader Linie, ohne einen Abgrund zu überspringen, zu einer Charakteristik des Christus Jesus hinüber. Nun stellt sich hinein in das, was die moderne Bildung geworden ist,

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das, was als Christentum geblieben ist, das in Worten spricht, die gar kein Verhältnis mehr haben zu den verschiedenen Formulierun­gen, Charakterisierungen, welche von der modernen Wissenschaft herkommen. Er sagt sich zunächst scharf: Soll man irgendwie ein Verhältnis gewinnen zur modernen Wissenschaft und dann noch in irgendeiner Weise innerlich nachfühlen dasjenige, was traditionell über den Christus gesagt wird, dann muß man lügen. So sagt er sich. Und nun entscheidet er sich. Er entscheidet sich für die moderne Bildung und kommt dadurch zu einer ganz radikalen Anklage des­sen, was er nun vom Christentum kennt.

Schärfere Worte sind ja niemals über das Christentum gesprochen worden, als sie Nietzsche gesprochen hat, der Pastorssohn. Und er empfindet das, ich möchte sagen, wirklich mit seinem ganzen Men­schen. Man braucht nur ein solches Wort von ihm zu nehmen - ich zitiere nur, ich vertrete selbstverständlich nicht dasjenige, was Nietzsche gesagt hat, sondern ich zitiere es -, wo er sagt: dasjenige, was ein moderner Theologe für wahr hält, ist sicher falsch. Ja, man kann geradezu ein Kriterium der Wahrheit daraus machen: man er­kennt, im Sinne von Nietzsche, was falsch ist, wenn ein moder­ner Theologe das wahr nennt. Das ist ungefähr seine Definition, eine seiner Definitionen über Wahrheit. Und er findet, daß die ganze moderne Philosophie zu viel Theologenblut im Leibe hat. Er formuliert dann diese ungeheure Anklage gegen das Christentum, die natürlich eine Blasphemie ist, aber die eben eine ehrliche Blasphemie ist, und die deshalb immerhin berücksichtigenswerter ist als die Verlogenheiten, die auf diesem Gebiete heute so vielfach getrieben werden. Das muß man nur festhalten, daß es sich darum handelt, daß eine solche Persönlichkeit, wie Nietzsche, die einmal mit dem Begreifenwollen des Mysteriums von Golgatha Ernst machte, das eben mit den Mitteln, die vorhanden sind, auch mit den Evangelien, so wie sie da sind, nicht konnte.

Wir haben innerhalb unserer Anthroposophie nun über alle vier Evangelien Interpretationen. Was durch diese Interpretationen die

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Evangelien werden, das lehnen die Theologen aller Bekenntnisse ganz entschieden ab. Das hatte aber Nietzsche noch nicht. Es ist das Allerschwierigste für einen wissenschaftlichen Geist - und fast sind alle Menschen heute schon, wenn auch in primitiver Weise, in die­sem Sinne wissenschaftliche Geister-, das Mysterium von Golgatha zu erobern. Denn was ist dazu notwendig? ,Gerade um das Myste­rium von Golgatha zu erobern, ist notwendig nicht eine Erneuerung des alten Mysterienwesens, sondern das Auffinden eines ganz neuen Mysterienwesens. Das Auffinden der geistigen Welt in völlig neuer Form, das ist nötig. Denn mit den alten Mysterien, einschließlich der Gnosis, konnte man eben über das Mysterium von Golgatha nur noch stammeln. Man begriff es stammelnd. Und man muß dieses Stammeln heute zum Sprechen bringen.

Diesen Drang, das alte Stammeln zum Sprechen zu bringen, das hatten eben die vielen heimatlosen Seelen, von denen ich in diesen Betrachtungen spreche. Nietzsche brachte es eben zu einer radikal formulierten, nicht nur Absage, sondern furchtbaren Anklage des Christentums. Blavatsky bekam ja ihre Anregung im Grunde genom­men auch von dem alten Mysterienwesen. Wenn man die ganze «Geheimlehre» der Blavatsky nimmt, muß man darinnen eigentlich etwas wie eine Auferstehung der alten Mysterien sehen, im Grunde nichts Neues. Das Wichtigste, was bei Blavatsky in ihren Werken zu­tage tritt, ist eben Auferstehung der alten Mysterien, Auferstehung jener Erkenntnisse, durch die in den alten Mysterien das Göttlich-Geistige erkannt worden ist.

Aber alle diese Mysterien können nur das begreifen, was Vorbe­reitung für den Christus ist. Diejenigen, die noch zur Zeit der Ent­stehung des Christentums in einer gewissen Weise mit den Impulsen der alten Mysterien vertraut waren, konnten sich positiv dem Ereig­nis von Golgatha gegenüberstellen. Sodaß bis ins vierte Jahrhundert eben Leute sich noch positiv dem Ereignis von Golgatha gegenüber­stellen konnten. Man begriff im wirklichen Sinne die griechischen Kirchenväter noch, wie sie überall Zusammenhänge haben mit den

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alten Mysterien, wie sie, richtig verstanden, aus einem ganz anderen Ton heraus reden als die späteren lateinischen Kirchenväter.

Innerhalb desjenigen, was der Blavatsky aufging, war eben jene alte Weisheit enthalten, die Natur und Geist in einem schaute. Und so wie, ich möchte sagen, eine Seele vor dem Mysterium von Golgatha Natur und Geist geschaut hat, so schaute auch wiederum Blavatsky. Da, sagte sie sich, kommt man zum Gottlich-Geistigen, da eröffnet sich dem Menschen der Ausblick in das Göttlich-Gei­stige. Von da aus wendete sie dann den Blick auf dasjenige, was die moderne Tradition und die modernen Bekenntnisse von dem Chri­stus Jesus sagen. Natürlich, die Evangelien, die konnte sie nicht so verstehen, wie sie in der Anthroposophie verstanden werden, und dasjenige Verständnis, das, von woanders herkam, war nicht geeignet, heranzureichen an das, was Blavatsky an Geisterkenntnis bringen konnte. Daher ihre Verachtung für dasjenige, was in der Welt draußen über das Mysterium von Golgatha gesagt wurde. Sie sagte sich etwa: Was die Leute alle über das Mysterium von Golgatha sagen, das steht auf einem viel niedrigeren Niveau, als all die maje­stätische Weisheit, welche die alten Mysterien gebracht haben. Also der Christengott steht auf einem niedrigeren Niveau als dasjenige, was alte Mysterien gehabt haben.

Es war nicht die &huld des Christengottes, es war aber die Schuld der Interpretierungen des Christengottes. Blavatsky kannte eben das Wesen des Mysteriums von Golgatha nicht, sondern konnte es auch nur beurteilen nach dem, was man darüber sagen konnte. Auf diese Dinge muß man durchaus mit aller Objektivität hinschauen. Denn es ist ja, nachdem im vierten nachchristlichen Jahrhundert eigentlich das alte Mysterienwesen mit den letzten Resten des Griechentums seiner Abendröte zuneigte, das Christentum von dem Römertum auf­genommen worden. Das Römertum war außerstande, aus seiner äußerlichen Bildung heraus einen wirklichen Weg zum Geiste zu eröffnen. Das Römertum zwang dem Christentum eben ein äußer­liches Moment auf. Und das romanisierte Christentum, das ist dasjenige,

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das im Grunde genommen Nietzsche und Blavatsky allein kannten.

So muß man verstehen, daß, weil es den Seelen, die ich als heimat-lose Seelen bezeichnete, in denen frühere Erdenleben aufleuchten, vorzugsweise darum zu tun war, einen Weg in die geistige Welt hinein wiederzufinden, sie zunächst dasjenige nahmen, was sich ihnen gab. Sie wollten nur in die geistige Welt hinein, selbst auf die Gefahr hin, daß ihnen damit kein Christentum gegeben war. Einen Zusammenhang der Seele mit dem Geiste wollten die Menschen. So traf man diejenigen Menschen, die zunächst ihren Weg in die Theo­sophische Gesellschaft suchten.

Nun muß man sich nur klar darüber sein, welche Stellung die auftretende Anthroposophie diesen Menschen, diesen heimatlosen Seelen gegenüber hatte. Nicht wahr, das waren suchende Seelen, das waren fragende Seelen. Und zunächst handelte es sich darum, zu erkennen: Was fragen diese Seelen, welche Fragen leben ihnen in ihrem tiefsten Inneren? Und wenn nun von anthroposophischer Seite aus zu diesen Seelen gesprochen worden ist, so war es deshalb, weil diese Seelen Fragen hatten über die Dinge, auf welche Anthropo­sophie glaubte antworten zu können. Die anderen Menschen der Gegenwart haben ja keine Fragen, ihnen fehlen die Fragen.

Anthroposophie hatte also gar nicht die Aufgabe, unter den Theo­sophen Erkenntnis zu suchen. Für sie war es zunächst eine wichtige Tatsache, was mit der Erscheinung der Blavatsky in die Welt getre­ten ist. Aber dasjenige, was sie zu beobachten hatte, war nicht die Erkenntnis, die von jener Seite kam, sondern es war im wesentlichen die Notwendigkeit, die Fragen, die Rätselfragen kennenzulernen, die in einer Anzahl von Seelen waren.

Man hätte, wenn man dazumal überhaupt die Möglichkeit gehabt hätte, die Sache klar auszudrücken, sagen können: um dasjenige, was von den Führern der Theosophischen Gesellschaft den Menschen gegeben worden ist, braucht man sich gar nicht zu kümmern, aber um das muß man sich kümmern, was die Seelen fragen, was sie wissen

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wollen. Deshalb waren dennoch diese Menschen eben zunächst die richtigen Menschen für die Anthroposophie.

In welcher Formulierung mußten die Antworten erfließen? Nun, nehmen Sie die Sache so positiv, so tatsächlich als möglich. Da waren diese fragenden Seelen. Ihre Fragen konnte man erkennen. Sie hatten den Glauben, daß sie durch so etwas Antwort bekommen auf ihre Fragen, wie es zum Beispiel Annie Besants Buch «Uralte Weisheit» enthält. Nun werden Sie sich sehr leicht sagen können:

es wäre selbstverständlich töricht gewesen, den Leuten zu sagen, das oder jenes ist in dem Buch «Uralte Weisheit» für die neuere Zeit nicht mehr geeignet, denn da hätte man ja diesen Seelen nichts geboten, sondern ihnen nur etwas weggenommen. Es konnte sich nur darum handeln, ihre Fragen wirklich zu beantworten, während sie von der anderen Seite keine reinliche Antwort bekamen. Die wirkliche Beantwortung wurde nun so eingeleitet, daß, während zunächst die «Uralte Weisheit» sozusagen ein dogmatisches Buch unter diesen Menschen war, ich mich wenig um die «Uralte Weis­heit» kümmerte, sondern mein Buch «Theosophie» schrieb und Ant­wort auf die Fragen gab, von denen ich wußte, daß sie gestellt wer­den. Das war die positive Antwort. Und weiter brauchte man nicht zu gehen. Man mußte den Leuten nun völlig die Freiheit lassen:

wollt ihr weiter die «Uralte Weisheit» in die Hand nehmen, oder wollt ihr die «Theosophie» in die Hand nehmen.

In weltgeschichtlichen Zeitaltern, in denen sich Wichtiges ent­scheiden muß, können die Dinge nicht so rationalistisch geradlinig lie­gen, wie man sich gewöhnlich vorstellt. So fand ich es denn durchaus begreiflich, daß, als Theosophen bei meinem damaligen Vortrags­zyklus über Anthroposophie bei der Begründung der deutschen Sek­tion erschienenwaren, diese Theosophen gesagt haben, worauf ich Sie ja in diesen Betrachtungen schon aufmerksam gemacht habe: Ja, aber das stimmt ganz und gar nicht überein mit dem, was Mrs. Besant sagt.

Selbstverständlich stimmte es nicht, konnte auch nicht stimmen, denn es sollte aus dem, was aus dem Bewußtsein, aus dem vertieften

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Bewußtsein der Gegenwart heraus gegeben werden kann, die Ant­wort sich finden. Und so ist es schon geworden, wenn ich zunächst, ich möchte sagen, mehr die großen Fäden charaktersieren will, daß zunächst etwa bis zum Jahre 1907 jeder Schritt für die Anthropo­sophie erobert werden mußte gegen die Tradition der Theo­sophischen Gesellschaft. Man konnte zunächst nur an die Mitglie­der der Theosophischen Gesellschaft die Dinge heranbringen. Jeder Schritt mußte erobert werden. Polemisches hätte dazumal gar keinen Sinn gehabt, sondern einzig und allein das Hoffen, das Bauen auf die Selektion.

Die Dinge trugen sich durchaus nicht ohne innere Hemmungen zu. Jedes mußte an seiner richtigen Stelle, wenigstens nach meiner Meinung, richtig getan werden. Ich habe, wie ich glaube, in meiner «Theosophie» keinen Schritt über dasjenige hinaus getan, was dazu­mal für eine Anzahl von Menschen zu veröffentlichen möglich war. Die Verbreitung, die mittlerweile das Buch gefunden hat, zeigt ja, daß das eine richtige Voraussetzung war. So weit konnte man gehen.

Unter denen, die intensiver suchten, die also in die Strömung, die durch Blavatsky angeregt worden war, hineingekommen waren, konnte man weiter gehen. Da mußte man den Anfang damit machen, nun weiter zu gehen. Da könnte ich Ihnen die einzelnen Beispiele alle charakterisieren. Ich will aber nur eines herausgreifen, wie der Versuch gemacht worden ist, Schritt für Schritt aus dem schlecht Traditionellen in das richtig Gegenwärtige, in das unmittel­bar gegenwärtig Erforschte hineinzukommen.

Da war die Schilderung in der Theosophischen Gesellschaft üblich, wie der Mensch das, was man Kamaloka nannte, nach dem Tode durchmacht. Diese Schilderung, wie sie bei den führenden Persönlichkeiten der Theosophischen Gesellschaft gegeben worden ist, konnte in meinem Buche «Theosophie» nur dadurch umgangen werden, daß ich zunächst mit dem Zeitbegriff dort nicht gerechnet habe. Aber innerhalb der Kreise der Gesellschaft wollte ich mit dem richtigen Zeitbegriff rechnen.

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So kam es, daß ich innerhalb der damaligen holländischen Sektion der Theosophischen Gesellschaft in verschiedenen Städten Vorträge hielt über das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, und da zum ersten Mal, ganz im Anfange meines Wirkens, aufmerk­sam darauf gemacht habe, daß es ja ein Unsinn ist, so ohne weiteres vorzustellen, daß - wenn dies das Erdenleben von der Geburt bis zum Tode ist - dann Kamaloka so durchgemacht wird, als ob im Bewußtsein sich einfach ein Stück anstückelte.

#Bild s. 111

Ich habe gezeigt, daß da die Zeit rückwärts vorgestellt werden muß, und ich schilderte, wie das Kamaloka-Leben ein Rückwärts­leben ist, Etappe für Etappe, nur dreimal so schnell als das gewöhn­liche Erdenleben, oder als das auf der Erde zugebrachte Leben.

Im äußeren Leben hat ja heute natürlich kein Mensch eine Vor­stellung davon, daß dieses Rückwärtsverlaufen eine Realität ist, eine Realität im geistigen Gebiete, denn die Zeit wird einfach als eine gerade Linie vom Anfang zum Ende vorgestellt, und von einem Rückwärtsverlaufen haben die Leute heute gar keinen Begriff.

Nun gab man unter den Führern der Theosophischen Gesellschaft vor, die alte Weisheitslehre zu erneuern. Man knüpfte an Blavatskys Buch an. Es erschienen in Anknüpfung an Blavatskys Buch allerlei Schriften. Aber da wurde alles so vorgestellt, wie die Dinge ganz im

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Sinne der materialistischen Weltanschauung der neueren Zeit vorge­stellt werden. Warum? Weil man wieder hätte erkennen müssen, nicht bloß alte Erkenntnis wieder erneuern müssen, wenn man auf das Richtige hätte kommen wollen. Es wurden immer die alten Sachen zitiert. Auch das Rad der Geburten von Buddha und von der alten orientalischen Weisheit wurde immer zitiert. Aber daß ein Rad nicht so ist, daß man eine gerade Linie als Rad zeichnen kann, das berücksichtigten die Leute nicht, und daß man ein Rad nur zeichnen kann, wenn es zurück in sich selber verläuft. (Siehe Zeichnung.) Es war kein Leben in dieser Wiederbelebung der alten Weisheit, weil eben nicht eine unmittelbare Erkenntnis da war. Kurz, es war nötig, daß durch unmittelbare Erkenntnis etwas geschaffen würde, was dann auch die uralte Weisheit beleuchten könnte.

So ergab sich gerade in den ersten sieben Jahren des anthropo­sophischen Wirkens eigentlich dies, daß da auch Leute waren -nun ja, denen es ganz recht war, daß, wie sie es nannten, nicht eine Erneuerung auf theosophischem Feld da war. Sie sagten: Das, was da gesagt wird, unterscheidet sich nicht von dem anderen; die Unter­schiede sind unwesentlich. Da wurden sie wegdisputiert. Aber was dazumal gleich im Beginne des Wirkens innerhalb der holländischen Sektion der Theosophischen Gesellschaft von mir sozusagen dadurch angerichtet worden ist, daß ich nun aus dem Lebendigen heraus diese Vorträge gehalten habe, nicht einfach dogmatisch nachgespro­chen habe, wie es die übrigen taten, das, was in den Dogmenbüchern der Theosophischen Gesellschaft stand, das wurde niemals verges­sen. Niemals wurde es vergessen. Es müssen diejenigen, die viel­leicht sich an jene Zeiten unserer Entwickelung erinnern, nur zurück­denken, wie da im Jahre 1907, als in München der Kongreß statt­fand, wo wir ja noch innerhalb des Schoßes der Theosophischen Gesellschaft waren, die holländischen Theosophen ganz geladen gekommen sind und furchtbar wild darüber waren, daß sich ein Fremdkörper, wie sie es empfanden, hineinschob. Sie spürten nicht, daß ein lebendiges Gegenwärtiges sich gegen ein bloß Traditionelles

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stellte, sondern sie empfanden das eben als einen Fremdkörper. Aber etwas anderes mußte damals schon eintreten. Damals fand

schon jenes Gespräch zwischen Frau Besant und mir in München statt, worinnen festgestellt worden ist, daß dasjenige, was ich zu ver­treten habe, als Anthroposophie zu vertreten habe, völlig selbständig wirken wird, ohne Rücksicht auf irgend etwas, was innerhalb der Theosophischen Gesellschaft sonst sich geltend macht. Das wurde dazumal, ich möchte sagen, als ein Modus, unter dem man leben konnte, festgestellt.

Allerdings, schon dazumal dämmerten auf dem Horizont der Theosophischen Gesellschaft jene Absurditäten herauf, durch die sie sich dann zugrunde gerichtet hat. Denn heute kann man sagen, daß, wenn sie auch noch viele eingeschriebene Mitglieder hat, sie sich als eine geistige Bewegung tragende Gesellschaft zugrunde gerichtet hat. Nicht wahr, die Dinge leben als Leichnam noch lange fort, nachdem sie sich zugrunde gerichtet haben. Aber dasjenige, was Theosophische Gesellschaft war, lebt heute eben nicht mehr.

Man muß sich nur darüber ganz klar sein: in der Zeit, in der Anthroposophie zu wirken begann, war die Theosophische Gesell­schaft voll von einer, wenn auch traditionellen, so doch begründeten und inhaltreichen Geistigkeit. Dasjenige, was durch Blavatsky in die Welt gekommen ist, war eben da, und man lebte eigentlich in dem, was durch Blavatsky in die Welt gekommen ist.

Nun war aber Blavatsky bereits ein Jahrzehnt tot für das irdische Leben. Man kann nur sagen: die Stimmung innerhalb der Theo­sophischen Gesellschaft, dasjenige, was als Fortsetzung des Blavatsky­schen Wirkens da war, war etwas kulturgeschichtlich durchaus Festes, etwas, was den Leuten durchaus etwas geben konnte. Aber es waren eben doch schon dazumal gewisse Keime des Verfalls da. Nur war die Frage, ob nicht etwa diese Keime des Verfalls überwunden werden konnten, oder ob sie zu einer Art von völliger Disharmonie zwischen der Anthroposophie und der alten Theosophischen Gesell­schaft führen mußten.

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Nun muß man sagen, daß eine von den Strömungen, die da inner­halb der theosophischen Bewegung schon seit Blavatskys Zeiten her waren, eigentlich ein furchtbar stark zersetzendes Element war. Man muß einfach trennen, wenn man die Sache so betrachten will, wie ich es jetzt tue, dasjenige, was durch die Blavatsky als geistiger Inhalt in das moderne Leben hineingeworfen worden ist, von dem, was be­wirkt worden ist durch die Art, wie Blavatsky angeregt wurde, aus sich heraus in der charakterisierten Weise dann diesen Inhalt zu ge­ben. Denn zunächst lag in Blavatsky eine Persönlichkeit vor, die eben so war, wie ich sie Ihnen in den letzten Tagen beschrieben habe; die einfach, wenn sie sozusagen einen Einschlag bekam von irgendeiner Seite her, meinetwillen durch Verrat, in der Weise, wie ich es gesagt habe, dann doch aus sich selbst heraus - wie in der Erinnerung an eine frühere Lebensverkörperung auf Erden, und wenn auch nur als Wiedererweckung des Alten - geschaffen, und der Menschheit Weisheit in Buchform überliefert hat. Diese zweite Tatsache muß man voll trennen von der ersten, denn durch diese zweite Tatsache, daß Blavatsky auf eine besondere Art angeregt worden ist zu dem, was sie getan hat, kamen Elemente in diese theosophische Bewegung hinein, die nun nicht mehr so waren, wie sie hätten sein müssen, wenn die theosophische Bewegung eine rein geistige Bewegung hätte werden sollen.

Das war sie nämlich nicht. Denn die Sache war doch so, daß Blavatsky zunächst von einer Seite her, über die ich nicht weiter sprechen will, eine Anregung bekommen hat, und dann dasjenige aus sich herausgesetzt hat, was in der «Entschleierten Isis» steht. Dann ist durch allerlei Machinationen das zustande gekommen, daß Blavatsky von orientalischen Geheimlehrern eine zweite Beeinflus­sung erlitten hat, und hinter denen steckte eine kulturpolitische Ten­denz egoistischer Art. Es steckte von allem Anfang an eine Ost­politik einseitiger Art in dem, was man nun auf dem Umwege durch Blavatsky erreichen wollte. Da steckte darinnen die Tendenz, dem materialistischen Abendlande zu zeigen, wie viel mehr wert die geistige

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Erkenntnis des Morgenlandes ist als der Materialismus des Abendlandes. Es steckte darinnen die Tendenz, eine Art zunächst geistigen, aber dann im weiteren Sinne überhaupt eine Art Imperium des Orients über das Abendland zu gewinnen, indem man zunächst der Geistigkeit des Abendlandes, oder meinetwillen der Ungeistig­keit des Abendlandes morgenländische Weisheit überlieferte. Daher wurde, ich möchte sagen, jene Drehung vollzogen vom ganz Euro­päischen in der «Entschleierten Isis» zu dem ganz Orientalischen in der Blavatskyschen «Geheimlehre».

Es wirkten da die verschiedensten Faktoren mit. Aber einer dieser Faktoren war eben der, welcher Indien an Asien anschließen wollte, um ein asiatisch-indisches Imperium mit Hilfe des russischen Reiches zu schaffen. Und so bekam diese Lehre den indischen Einschlag, um auf diese Weise geistig das Abendland zu besiegen. Sehen Sie, das ist ein einseitig egoistischer, national-egoistischer Einschlag. Der lag von allem Anfange an darinnen, trat einem symptomatisch bedeut­sam entgegen. Der erste Vortrag, den ich von Annie Besant gehört habe, handelte über Theosophie und Imperialismus. Und wenn man sich die Frage beantworten wollte: liegt der eigentliche Grundimpuls dieses Vortrages in der Fortsetzung des eigentlich Geistigen bei der Blavatsky, oder liegt der Grundimpuls dieses Vortrages in der Fort-setzung desjenigen, was da nebenher gegangen war, so mußte man das Letztere sagen.

Annie Besant war oftmals so, daß sie Dinge sagte, von denen sie durchaus nicht die letzten Gründe kannte. Sie ging für irgend etwas ins Zeug, wovon sie nicht die letzten Gründe kannte. Die letzten Zusammenhänge waren ihr unbekannt. Aber wenn Sie ganz verstän­dig den Vortrag «Theosophie und Imperialismus» lesen, der ge-druckt ist, mit allen Untergründen lesen, dann werden Sie eben ein­sehen: wenn irgend jemand Indien von England losreißen wollte, in einem gewissen Sinne auf eine geistige Weise losreißen wollte, so kann man den ersten unvermerkten Schritt mit einer solchen Ten­denz, wie sie in jenem Vortrage war, unternehmen.

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Das war immer der Anfang vom Ende von solchen geistigen Strömungen und geistigen Gesellschaften, daß sie angefangen ha­ben, einseitig Politisches in ihre Sphäre zu mischen, während eine geistige Bewegung gerade heute nur dann in der Welt ihren Fort­gang nehmen kann, wenn sie allmenschlich ist, ja es heute eine der wesentlichsten Lebensbedingungen einer geistigen Bewegung ist, die in die wirkliche reale Geistigkeit hineinführen soll, ganz allmensch­lich zu sein. Und alles dasjenige, was nicht ganz alimenschlich ist, was in irgendeiner Weise auf Spaltung der Menschheit hinausgeht, das ist von vorneherein ein zerstörendes Element für eine geistige Bewegung, die in die wirkliche, reale Geisteswelt hineinführen soll.

Aber bedenken Sie doch nur einmal, wie stark man mit solchen Dingen in die unterbewußten Regionen des Menschen hineingreift. Da gehört es eben zu den Lebensbedingungen einer solchen geistigen Bewegung, wie sie zum Beispiel auch die anthroposophische sein will, daß man wenigstens das ehrliche, ernste Bestreben hat, heraus­zukommen aus allen Partialinteressen der Menschheit, und sich wirk­lich aufzuschwingen zu den allgemeinen Interessen der Menschheit. Und das war das Verderbliche der theosophischen Bewegung, daß sie vom Anfange an ein solches Element in sich hatte. Gelegentlich kann ein solches Element auch einmal den Dampf drehen: während des Weltkrieges ist dann diese andere Tendenz sehr englisch-chau­vinistisch geworden. Aber gerade bei dieser Gelegenheit muß man sich eben völlig klar werden, daß es ganz unmöglich ist, eine reale geistige Bewegung zum Gedeihen zu bringen, wenn irgendein Par­tikularismus so vorliegt, daß man aus ihm nicht heraus will.

Daher ist unter den äußeren Gefahren, die heute gegen die anthroposophische Bewegung da sind, vor allen Dingen die, daß die Menschen in diesem Zeitalter, das überall abirrt in Nationalismen, so wenig tapfer sind, sich herauszuarbeiten aus den Nationalismen.

Aber worinnen wurzelt denn wieder so etwas, wie diese Einseitig­keit war? Sie wurzelt in dem, daß man als Gesellschaft Macht ge­winnen will durch etwas anderes als durch die Offenbarung des

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Geistigen selber. Das kann man schon sagen: während noch viel Ge­sundes in bezug auf Machtbewußtseins-Entfaltung um die Wende des neunzehnten Jahrhunderts in der Theosophischen Gesellschaft war, war das 1906 schon fast ganz verschwunden, und es war ein starkes Machtstreben da.

Es ist notwendig, daß man dieses Herauswachsen des Anthropo­sophischen aus allgemeinen Menschheitsinteressen wirklich einsieht und sich klar darüber ist, daß nur deshalb, weil dort in der Theo­sophischen Gesellschaft die Fragesteller waren, das Anthropo­sophische in die Theosophische Gesellschaft hineinwachsen mußte, ich möchte sagen, eine Zeitlang «Logis» nehmen mußte, denn sonst bekam es kein «Logis».

Nicht wahr, bald nachdem sozusagen die erste Periode vorüber war, zeigte sich insbesondere an der Christusfrage die ganze Unmög­lichkeit der theosophischen Bewegung für das abendländische Le­ben. Denn was bei Blavatsky im Grunde genommen eine Theorie, wenn auch eine von Emotionen getragene Theorie war, die Gering­schätzung des Christentums, das wurde nachher in der theosophischen Bewegung zu einer so prakischen Geringschätzung des Christen­tums, daß ein Bube erzogen wurde, von dem man sagte: in dem wird man die Seele des wiedererstandenen Christus heranziehen. Man konnte sich ja kaum etwas Absurderes denken. Aber aus der Theo­sophischen Gesellschaft heraus wurde ein Orden begründet, um nun diese Christusgeburt in einem Knaben, der eigentlich schon da war, zu bewerkstelligen.

Nun ging es sehr bald dem vollständig Absurden zu. Es kommen bei solchen Dingen sehr bald natürlich Unklarheiten dazu, die furchtbar nahe an Unwahrheit grenzen. 1911 sollte in Genua ein Kongreß der Theosophischen Gesellschaft sein. Die Dinge waren schon im Flor, die zu solchen Absurditäten führten, und es war nötig, daß ich für diesen Genueser Kongreß meinen Vortrag an­sagte: «Von Buddha zu Christus». Da hätte es zu einer prägnanten, klaren Auseinandersetzung kommen müssen, denn es hätte dazumal

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dasjenige sich ausleben müssen, was überall da war. Doch siehe, der Genueser Kongreß wurde abgesagt. Natürlich finden sich für solche Dinge Ausreden. Alle die Dinge, die vorgebracht worden sind, sahen eben Ausreden wirklich außerordentlich ähnlich.

So kann man sagen, daß die anthroposophische Bewegung in ihre rweite Periode trat, indem sie ihren geraden Weg ging, der einge­leitet war eben dadurch, daß ich ganz im Anfang einen Vortrag hielt vor einem nicht-theosophischen Publikum, von dem nur eine einzige Persönlichkeit - nicht mehr! - geblieben ist, die jetzt noch da ist, trotzdem dazumal zahlreiche Persönlichkeiten den Vortrag angehört hatten. Der erste Vortrag aber, den ich gehalten habe, ein Vortrags­zyklus war es sogar, hatte den Titel: «Von Buddha zu Christus». 1911 wollte ich wieder den Zyklus halten: «Von Buddha zu Chri­stus». Das war die gerade Linie! Aber die theosophische Bewegung war in eine greuliche Zickzacklinie hineingekommen.

Wenn man die Geschichte der anthroposophischen Bewegung nicht ernst nimmt und diese Dinge nicht beim rechten Namen nen­nen will, so wird man auch nicht in der richtigen Weise auf das­jenige entgegnen können, was immer wiederum jene Oberflächlinge über die Beziehungen von Anthroposophie und Theosophie vorbrin­gen, indem man sich absolut nicht davon unterrichten will, wie Anthroposophie vom Anfange an eben etwas ganz Selbständiges war, aber wie es natürlich war, zu antworten mit den Antworten, die sie den Menschen geben kann, die eben als Fragende da waren.

So möchte man sagen: bis zum Jahre 1914 ging die zweite Periode der anthroposophischen Bewegung. Sie hat eigentlich, wenigstens was mich anbetrifft, gar nichts besonderes getan, um das Verhältnis zur theosophischen Bewegung zu regeln. Die Theosophische Gesell­schaft hat das Verhältnis geregelt, indem sie die Anthroposophen ausgeschlossen hat. Aber es interessierte einen nicht. Weil es einen von Anfang an nicht sehr stark interessiert hat, daß man eingeschlossen war, hat es einen jetzt auch nicht sehr stark interessiert, daß man aus-geschlossen war. Man tat ganz genau in derselben Weise fort wie

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früher. Das Ausgeschlossensein änderte gar nichts an dem, was frü­her geschehen war, während man eingeschlossen war.

Sehen Sie sich nur an, wie die Dinge gegangen sind, so werden Sie sehen, daß eben mit Ausnahme der Abwickelung einiger Formali­täten innerhalb der anthroposophischen Bewegung überhaupt nichts geschehen ist bis zum Jahre 1914, sondern daß alles, was geschehen ist, von Seiten der Theosophischen Gesellschaft geschehen ist. Ich bin eingeladen worden zunächst, dort Vorträge zu halten. Das habe ich getan. Ich habe anthroposophische Vorträge gehalten. Das habe ich auch ferner getan. Auf die Vorträge hin, die wieder abgedruckt sind in meinem Buche: «Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens», bin ich eingeladen worden. Dann habe ich das, was in der «Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens» ge­schrieben ist, nach den verschiedensten Seiten weiter ausgeführt.

Von dieser selben Gesellschaftsanschauung bin dann ich und selbstverständlich meine Anhänger ausgeschlossen worden. Ich bin ganz wegen derselben Sache zuerst eingeschlossen und nachher aus­geschlossen worden. Ja, so liegt schon die Sache. Man wird eben die Geschichte der anthroposophischen Bewegung nicht verstehen, wenn man nicht das als eine fundamentale Sache wirklich richtig ins Auge fassen kann, daß kein Unterschied war gegenüber der theosophischen Bewegung, ob man ein- oder ausgeschlossen war.

Das ist etwas, was Sie so recht in Selbstbesinnung bedenken mö­gen; das bitte ich Sie. Dann möchte ich auf Grund dessen morgen die letzte Phase, die schwierigste, die von 1914 bis jetzt skizzieren, um auf Einzelheiten später noch in den folgenden Vorträgen einzu­gehen.

SECHSTER VORTRAG 15. Juni 1923

#G258-1959-SE120 - Die Geschichte und die Bedingungen der Anthroposophischen Bewegung ...

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SECHSTER VORTRAG

15. Juni 1923

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Ich habe mit Einigem dasjenige skizziert, was richtende Kräfte waren m den zwei ersten Perioden der anthroposophischen Bewe­gung, und ich möchte, um eine Basis zu gewinnen zur Schilderung desjenigen, was dann in der dritten Periode sich abgespielt hat, noch auf einige Erscheinungen der ersten und zweiten Periode eingehen. Die Sache ist ja so, daß trotz allem Auseinandergesetzten noch die Frage aufgeworfen werden kann: womit war es begründet, daß die anthroposophische Bewegung sich doch in einem ziemlich äußer­lichen Zusammenhalt befunden hat mit der theosophischen Bewegung?

Gerade diese Frage, die eine so komplizierte ist, wird sich eben nur beantworten, wenn wir einige Erscheinungen ins Auge fassen, die charakteristisch sind für die Entwickelung der anthropo­sophischen Bewegung.

Da möchte ich zunächst die erste Periode, die etwa bis zum Jahre 1907 ging, annähernd dadurch charakterisieren, daß es sich dazumal darum handelte, die Grundlagen des Inhaltes einer Geisteswissen­schaft zu entwickeln.

Wer versucht, an Hand der Dokumente in jene Zeit zurückzublik­ken, wird eben sehen, daß damals nach und nach in Vorträgen, Vor­tragszyklen, auch in demjenigen, was dann die Mitarbeiter weiter erarbeitet haben, herausgekommen ist der Inhalt, der grundlegende Inhalt der Geisteswissenschaft in dem Sinne, wie er anthroposophisch gedacht werden muß. Es schließt diese Epoche - die Dinge stim­men natürlich nur ungefähr, aber alles ist so in der geschichtlichen Entwickelung - ungefähr, möchte ich sagen, mit der Veröffent­lichung meiner «Geheimwissenschaft».

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Diese «Geheimwissenschaft» erschien allerdings etwa eineinhalb Jahre später erst gedruckt, aber der wesentliche Inhalt, die Bekannt­machung des wesentlichen Inhaltes fällt durchaus in die erste Periode anthroposophischen Strebens. In dieser Periode war durch­aus bis zum Jahre 1905 oder 1906 eine ganz bestimmte Hoffnung berechtigt. Es war die Hoffnung, daß allmählich der anthropo­sophische Inhalt der Lebensinhalt der Theosophischen Gesellschaft überhaupt werden könnte.

Man konnte bis zum Jahre 1905,1906 nicht sagen, daß nicht etwa allmählich durch ganz natürliche Entwickelung die Theosophische Gesellschaft hineinwachsen werde in eine anthroposophische. Das zu hoffen war dadurch möglich, daß ja in diesen Jahren im äußer­lichen Ausleben eine der maßgebendsten Persönlichkeiten der Theo­sophischen Gesellschaft, Annie Besant, eine gewisse Toleranz an den Tag legte, und daß sie durchaus das Bestreben hatte, verschie­dene Richtungen nebeneinander wirken zu lassen. Es war das durch­aus der Fall bis etwa zum Jahre 1905 und 1906.

In dieser Zeit mußte man zwar, wenn man sich keinen Illusionen hingeben wollte, gewiß sehen, daß gerade eine so führende Persön­lichkeit, wie Annie Besant in der Theosophischen Gesellschaft es war, sehr primitive Vorstellungen von moderner Wissenschaftlich­keit hatte; das hatte sie. Aber immerhin, trotz allen dilettantischen Zügen, die dadurch in ihre Bücher hineinkamen, war - namentlich dadurch, daß allmählich die Theosophische Gesellschaft als Theo­sophical Society in London zentriert war, und daß diese Theosophical Society allmählich, ich möchte sagen, sich gespeist hat mit orien­talischer Weisheit - eine ganze Summe von Weisheiten, unverdaut zumeist, in den Leuten drinnen, die zu dieser Gesellschaft gehör­ten. Es lebte diese Weisheit sogar manchmal in den sonderbarsten Vorstellungen. Aber wenn man absah davon, daß solche Vorstellun­gen manchmal soweit gingen, daß sie ganz und gar ihrem Ursprunge und ihrer wahren Bedeutung unähnlich waren, so strömte doch im­merhin durch solche Bücher wie «Die uralte Weisheit» oder namentlich

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«Der Fortschritt der Menschheit» oder selbst«DasChristentum» von Annie Besant etwas hindurch, was zwar traditionell überbracht war, was aber uralten Weisheitsquellen entstammte, obwohl nicht immer die Kanäle einwandfrei waren, durch welche diese alte Weis­heit bis in jene Bücher und Vorträge heruntergeflossen war. So also stand es dazumal mit der Sache.

Auf der anderen Seite muß man sich immer die Tatsache vor Augen halten, daß außerhalb dieser Kreise für wirkliche spirituelle Forschung überhaupt kein Interesse in der gegenwärtigen Welt vor­handen war. Es bestand einfach die Tatsache, daß aus denjenigen, die sich in diese Menschengruppe sozusagen hineinfanden, die Mög­lichkeit sich ergeben konnte, zu entzünden ein Interesse für wahr­haftige moderne Geisteswissenschaft.

Nun war aber gerade in dieser ersten Periode gegen mancherlei zu kämpfen. Ich will Sie gar nicht damit behelligen, daß einfach der Name «Theosophie» von sehr vielen Gesellschaften angenommen worden ist, Gesellschaften, die im Grunde genommen außerordentlich wenig mit ernstem geistigen Streben zu tun hatten. Streben war schon bei vielen Menschen vorhanden, aber ein zum Teil recht egoistisches, zum Teil außerordentlich triviales Streben. Aber auch solche trivialen Strömungen gaben sich vielfach den Namen von Theosophischen Gesellschaften. Man braucht nur etwa daran zu erinnern, daß ziem­lich weit verbreitet, namentlich in Mitteleuropa, in Deutschland, Österreich, auch in der Schweiz, gewisse theosophische Zweige wa­ren, welche sich so nannten, aber im Grunde genommen das, was die Theosophical Society hatte, in einer außerordentlich verwässerten Weise hatten, und dann wiederum durchtränkt mit allen möglichen, zuweilen sehr törichten Okkultismen.

Eine in solchen Zweigen, in solchen Gesellschaften vielfach wir­kende Persönlichkeit war diejenige, die Ihnen auch noch dem Na­men nach, oder wenigstens vielen von ihnen dem Namen nach bekannt sein dürfte, Franz Hartmann. Aber welch tiefer Geist und welch tiefer «Ernst», unter Anführungszeichen gesprochen,

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in diesen Trivialgesellschaften war, das mag Ihnen einfach dar­aus hervorgehen, daß ich Ihnen etwas den zynischen Charakter schildere jenes Führers, den ich eben genannt habe. Der sagte ein­mal in einer Gesellschaft von wenigen, bei der ich aber auch anwe­send war - man kann ja durchaus für diese Dinge sich auch psycho­logisch interessieren, um zu sehen, wie eigentlich die menschliche Seele zu dem oder jenem kommen kann -: Da hat die Theo­sophische Gesellschaft einmal einen gewissen Streit gehabt um die Persönlichkeit des Judge in Amerika. Ich will von diesem Streite nicht sprechen, aber will nur sagen, daß der Streit sich namentlich darum drehte, ob gewisse Botschaften, die Judge versendet hat, von wirklichen höheren eingeweihten Persönlichkeiten, sogenannten Meistern, herrührten. Nun, Franz Hartmann sagte: Ach, die Sache mit dem Judge, die kenne ich ganz gut. Der hat in Amerika solche Meisterbriefe verschickt. Dazumal kam er nach Indien. Wir waren ja im Hauptquartier in Indien, und da wollte er, damit er in Amerika Autorität haben könnte, damit er sagen könnte, daß er von einge­weihten Persönlichkeiten Missionen erteilt bekommen hätte, Meister-briefe haben. Da sagte ich zu ihm, so erzählte Franz Hartmann:

Meisterbriefe? Ich kann dir welche schreiben. Da antwortete Judge:

Ja, das geht doch nicht, da kann ich dann doch nicht behaupten, daß das Meisterbriefe sind, denn die fliegen einem doch aus der Luft zu, die kommen doch auf zauberhafte Weise zustande und fliegen einem dann auf den Kopf, und das muß ich sagen können. Da sagte Franz Hartmann zu Judge - er erzählte es selber! -: Ach, da ist keine Not, das kann man machen. Der Judge war ein ganz kleiner Kerl, so erzählte uns Hartmann, und da habe er ihm gesagt: Stelle dich auf den Fußboden, ich will mich auf einen Stuhl stellen, und dann werde ich dir den Brief auf den Kopf fallen lassen. So könnte er mit gutem Gewissen sagen, er verbreite Briefe, die ihm aus der Luft auf den Kopf geflogen sind.

Nun, das ist nur ein extremes Beispiel für solche Dinge, die sich schon gar nicht so selten in der Welt finden. Aber, wie gesagt, ich

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möchte Sie nicht behelligen mit diesen Trivialgesellschaften, ich möchte nur aufmerksam darauf machen, daß gerade in dieser ersten Periode der anthroposophischen Bewegung, durch das Nebenher-gehen neben der theosophischen, sich eine gewisse Notwendigkeit ergab, gegen das modern wissenschaftliche Denken sich zu wehren.

Ich weiß nicht, ob diejenigen, die später dann zur anthropo­sophischen Bewegung hinzugetreten sind und als Wissenschafter und vom wissenschaftlichen Gesichtspunkte aus die nun schon mehr entwickelte Anthroposophie in ihrer dritten Periode namentlich be­trachteten, genügend Einblick sich verschafft haben in die Tatsache, daß eine Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Denken der neueren Zeit in einer ganz eigenartigen Weise gerade während der ersten Periode der anthroposophischen Bewegung stattgefunden hat. Ich will Ihnen dafür ein paar Beispiele nennen. Ich nenne nur Beispiele, denn die Sache hat auf den verschiedensten Punkten stattgefunden. Aber diese Beispiele werden Ihnen zeigen, daß dazu­mal gerade in diese theosophische Bewegung stark dasjenige herein-spielte, was ich vor einigen Tagen hier charakterisierte als für die moderne Bildung besonders kennzeichnend: das sich Beugen vor der sogenannten wissenschaftlichen Autorität.

Dieses sich Beugen vor der wissenschaftlichen Autorität, das war gerade in die Theosophische Gesellschaft eingedrungen gewesen. Es zeigte sich, daß zum Beispiel gerade Annie Besant versuchte, in ihren Büchern allerlei Zitate anzubringen aus zeitgenössischen Wis­senschaften, Dinge, die gar nichts besagten für die Geisteswissen­schaft, wie zum Beispiel die sogenannte Weismannsche Theorie der Vererbung. Wie Belege wurden die hineingebracht in die Bücher. Nun darf ich da erinnern, daß als wir in der Lage waren, in Mün­chen eine Art Zentrum für die anthroposophische Bewegung zu be­gründen - es bildeten sich ja allmählich für diese Bewegung das Berliner, das Münchner, das Stuttgarter, das Kasseler, das Düssel­dorfer, das Kölner, das Hamburger, das Hannoversche, das Leip­ziger Zentrum, in Österreich dann das Wiener, in einem gewissen

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Sinne sogar das Prager, also es bildeten sich Zentren heraus - daß dort sehr viele solche heimatlose Seelen waren, die auch schon in einer gewissen Weise organisiert waren. Sie steckten in der einen oder in der anderen Gesellschaft drinnen. Nun will ich jetzt ganz von den Trivialgesellschaften Hartmannschen Schlages absehen, aber ich möchte darauf hinweisen, daß während wir den Zweig in München begründeten, es sich darum handelte, nun Auseinandersetzungen zu haben mit den verschiedenen kleineren oder größeren Gruppen, die da waren.

Da war eine Gruppe, das Ketterl. Dieses Ketterl bestand aus rich­tigen gelehrten Leuten. In diesem Ketterl handelte es sich diesen Leuten darum, für die Dinge, die irgendwie behauptet wurden auf dem Boden der Geisteswissenschaft, naturwissenschaftliche Beweise zu liefern. Man wollte etwa aus den Anschauungen, die man dazu­mal in der Naturwissenschaft hatte, halt so hinaufkommen zu dem­jenigen, was Anthroposophie zum Beispiel darstellte. Wenn Anthro­posophie von einem Ätherleib sprach, so sagte man sich: die Natur­wissenschaft hat es dahin gebracht, für die Atome, für die Moleküle diese oder jene Struktur zu erkennen. Nun fängt man an, da nach­zuforschen, wie diese Struktur zum Teil komplizierter, zum Teil dünner in ihren Zusammensetzungen werden könnte, um allmählich von der Molekularstruktur der physischen Körper zu der Molekular­struktur des Äthers zu kommen. Man würde dann ebensolche Be­rechnungen anstellen können für das Ätherisch-Geschehende, wie man Berechnungen anstellen kann für das Physisch-Geschehende. Und eigentlich sollte nur dasjenige durchgelassen werden im Ket­terl, was ein rechtsgültiges naturwissenschaftliches Visum auf den anthroposophischen Pass hatte.

Die Abhandlungen - denn auch solche gibt es -, welche die Mitglieder des Ketterls schrieben, unterschieden sich eigentlich nicht sehr stark von den naturwissenschaftlichen Abhandlungen der theo­retischen Physiker der damaligen Zeit; die Formeln und Definitio­nen und so weiter bedeuteten ihnen nicht Vorgänge im Spektrum

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oder Vorgänge im elektro-magnetischen Felde, sondern Vorgänge im ätherischen oder astralischen Felde. Es war nichts zu machen. Es löste sich die ganze Verbindung mehr oder weniger in Wohlgefal­len oder in Mißfallen auf. Zuletzt hatte man keinen Zusammenhang mehr mit diesen Auseinandersetzern vom wissenschaftlichen Stand­punkte aus.

Aber gar nicht so sehr verschieden von diesen Ketterl-Arbeiten waren die Bestrebungen eines Mannes, der in der Theosophischen Gesellschaft eine große Rolle spielte, ein intimer Freund der Blavatsky noch, ein, wenn es sich um solche Dinge handelte, immer anwesender Mann, Dr. Hübbe-Sch?eiden, der ja lange Zeit die «Sphinx» herausgegeben hat. Auch der war nun ganz darauf aus, mit naturwissenschaftlicher Denkungsart das, was er als Theo­sophisches empfand, zu beweisen. Ich weiß noch, wie er mich auf dem Bahnhof in Hannover das erste Mal abgeholt hat, weil ich da einen Vortrag halten sollte, den ersten anthroposophischen Vortrag, den ich in Hannover hielt: eine Auseinandersetzung über «Goethes Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie». Er führ dann mit mir zu sich hinaus, er wohnte etwas außerhalb Hannovers. Da fuhr man so eine halbe Stunde mit der Tramway. Er fing gleich an, mit ungeheurer Begeisterung zu erklären, wie ja überhaupt so etwas wie geistige Erkenntnisse vor der modernen Menschheit nicht bestehen könne, wenn nicht die Dinge so bewiesen würden, wie man das gewöhnt ist, in physikalischen oder sonstigen gegenwärtigen Lehrbüchern zu finden. Dann gebrauchte er seine beiden Zeige­finger, und die ganze halbe Stunde ging das so, indem er mit den Spitzen der Zeigefinger immer die Bewegungen machte, welche darstellen sollten, wie sich nun die Atome bewegen. «Ja, das muß so und so gehen, dann kommt man darauf: in einer Inkarnation be­wegen sich die Atome, und dann, dann geht der Wellenzug weiter durch die geistigen Welten, und das muß man nun berechnen, wie der Wellenzug weitergeht durch die geistigen Welten. Dann ändert sich das, und dann ist das die nächste Inkarnation.» So fühlte man

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sich wirklich wie in einem Auditorjum, wo einem früher die Wellen­züge für rot und gelb und blau und grün beigebracht worden waren. Ganz aus demselben heraus waren die Wellenzüge für das Durch­laufen der Seelen über die verschiedenen Inkarnationen. So wie die Newtonianer, überhaupt die modernen Physiker, die Strahlen des Lichtes in Wellenzügen rechnen, so rechnete er das Durchgehen der Seele durch die verschiedenen Inkarnationen.

Er hatte einen Freund, der aber dann ein außerordentlich gutes, verständiges, treues Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft geworden ist, dem hatte er immer seine Auseinandersetzungen ge­schickt, und der hatte neben anderen Eigenschaften auch die, daß er sehr viel hielt zum Beispiel von diesen Auseinandersetzungen; aber immer wiederum kratzte ihn so der Humor, und einmal er­zählte er mir, er hätte jetzt wiederum dreißig Kilo Weisheit nach München geschickt bekommen von Dr. Hübbe-Schleiden. Es waren nämlich so dicke Briefe, die immer von Hannover nach München geschickt wurden.

Nun, ich möchte sagen, die besondere Ausprägung dieser Denk­weise konnte man an den Auseinandersetzungen sehen, die lange in der Theosophischen Gesellschaft über das sogenannte permanente Atom betrieben worden sind. Dieses permanente Atom war etwas Entsetzliches, aber es wurde mit ungeheurem Ernste genommen. Denn nicht wahr, diejenigen, welche die Autorität der modernen Wissenschaft fühlten, die konnten gar nicht verstehen, daß nicht doch irgend etwas, was wenigstens den Wortlaut von der modernen Wissenschaft hat, nun in die Geisteswissenschaft hineindringen sollte. Da sagten sie: Nun, der Mensch lebt in einer Inkarnation und dann in der nächsten - gewiß, der physische Körper zer­fällt, nur ein einziges Atom bleibt übrig, das geht dann durch die Zeit zwischen Tod und neuer Geburt. Und dieses eine Atom er-scheint in der neuen Inkarnation. Das ist das permanente Atom, das durch die Inkarnationen durchgeht.

Es erscheint Ihnen heute so etwas spaßhaft, aber Sie können gar

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nicht begreifen, mit welch großem Ernste diese Dinge gerade in der ersten Periode der Entwickelung der anthroposophischen Sache ge­pflegt worden sind, wie man es außerordentlich schwierig hatte, der Forderung zu begegnen: Ja was soll denn die ganze Theosophie, wenn man sie nicht wissenschaftlich beweisen kann! Kein Mensch wird sie annehmen, wenn man sie nicht wissenschaftlich beweisen kann. In jenem Gespräch in der Tramway wurde in der Tat fest-gestellt: es muß so dargestellt werden, daß ein ordentlich absolvier­ter Gymnasiast die Theosophie so begreifen kann, wie er Logik be­greift. Das war meines Begleiters Forderung.

Dann kam ich bei ihm an. Er führte mich auf den Hausboden. Nun möchte ich denjenigen, die jetzt in der letzten Periode der anthroposophischen Bewegung das Bestreben haben, gegen den Atomismus anzukämpfen, zu bedenken geben, was ich dazumal auf dem Boden des Dr. Hübbe-Schleiden in Hannover fand. Wir gingen also durch eine enge Treppe hinauf, und da oben auf dem Boden - wenn man so etwas erzählt, muß man natürlich immer wieder sagen, er war ein außerordentlich liebenswürdiger, netter, auch ganz verständiger, also sympathischer alter Herr - da oben auf dem Boden, da waren nun riesige Atommodelle. Sie waren aber aus Draht, sehr kompliziert. Es stellte immer das eine Modell das Atom irgendeines physischen Körpers dar: Wasserstoff oder Sauer­stoff, das nächste Modell, das nun noch komplizierter war, stellte dann dar das Atom eines Ätherischen, das dritte Modell, immer komplizierter, das war das Atom des Astralischen.

Wenn Sie gewisse Bücher von einem der Führer der Theo­sophischen Gesellschaft in die Hand nehmen, Leadbeatersche Bücher, dann werden Sie finden, daß da solche Modelle in großartiger Weise gezeichnet sind. Ich möchte das doch auch als eine Tatsache erwähnen, namentlich zum Bedenken für diejenigen, die heute gegen den Atomismus innerhalb unserer Mitte kämpfen, daß dieser Atomis­mus nirgends so im Fior war, wie bei denen, die nun sozusagen in unsere Reihen aus der Theosophischen Gesellschaft hereinkamen.

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Und wenn heute die jüngeren Mitglieder, wie Dr. Kolisko oder die anderen in unserem Forschungsinstitut in Stuttgart gegen das Atom kämpfen, so darf eben daran erinnert werden, daß man bei gewissen Leuten damals nicht gewußt hätte, wie man es machen sollte, von einer Inkarnation zu der anderen zu kommen, wenn man nicht we­nigstens ein permanentes Atom gehabt hätte.

Das ist so ein Bild von der Art, wie mit starker Autorität eben in diese Kreise das sogenannte naturwissenschaftliche Denken herein­spielte. Naturwissenschaftlich denken konnten diese Leute schon. Sie konnten sich gar nicht denken, daß etwas anderes gelten könnte, als was naturwissenschaftlich gedacht ist. Also auf dieser Seite gab es eigentlich auch wieder kein Verständnis. Nur als dann die zweite Periode der anthroposophischen Bewegung heranrückte, kam wenig­stens innerhalb derjenigen Kreise, die in unsere Reihen hineingegan­gen waren, dieses Atomstreben allmählich ab, und man ging nach und nach über zu demjenigen, was in der anthroposophischen Be­wegung weiter gepflegt wurde. Aber dagegen muß man sagen, daß diejenigen, die sich um dieses Atomstreben nicht viel kümmerten, denen die moderne Wissenschaft schließlich ziemlich gleichgültig war, die nur als heimatlose Seelen sich hatten anregen lassen von der theosophischen Bewegung, daß diese schon immerhin zugänglicher waren. Und ich konnte zum Beispiel jedesmal bei meiner Anwesen­heit in München auch einen mehr internen Vortrag halten in einem Kreise, der sich um die damals in München lebende, ehemals mit Blavatsky sehr befreundete Frau von Schewitsch versammelte. Da hatte man es schon leichter, weil da doch wirkliches Seelenstreben vorhanden war.

Ich will weder den einen Kreis verteidigen, noch den anderen kritisieren, sondern ich will nur erwähnen, wie die anthroposophische Bewegung nach der einen oder anderen Seite mit diesen Dingen fer­tig wurde. Aber denken Sie doch nur, dazumal trat also zunächst die Forderung auf, auch innerhalb unserer eigenen Reihen mit Hilfe der damals geltenden naturwissenschaftlichen Denkweise dasjenige,

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was anthroposophisch vorgebracht wurde, zu rechtfertigen. Es war doch noch zahmer, als das, was heute von der Außenseite her vor­gebracht wird. Eine große Zahl von Ihnen hat heute einen Vortrag von Dr. Blümel gehört; ich glaube, Sie werden die lichtvollen Aus-führungen sehr gut verstanden haben und werden da einen gewissen Eindruck empfangen haben. Aber denken Sie sich, wenn jemand dagesessen hätte, der gesagt hätte: Ach was, was der da ausgeführt hat, das tgeht mich alles nichts an. Daran glaube ich nicht, ich aner­kenne gar nichts, ich will das nicht nachprüfen. Ein anderer aber sagt: Sieh doch nach, ob die Sachen stimmen, prüfe sie mit deinem Verstande und mit deinen Seelenfähigkeiten. Das will ich nicht, sagt der andere, darum kümmere ich mich zunächst nicht, mag das richtig oder unrichtig sein, darauf lasse ich mich nicht ein, aber ich fordere den Dr. Blümel auf, daß er sich in ein psychologisches Laboratorium begibt, dort werde ich ihn durch meine psychologischen Methoden untersuchen, ob er ein Mathematiker ist.

Es ist natürlich ein Blech, und zwar ein ganz ausgewalztes. Aber ganz genau dasselbe ist die Forderung, die uns heute von der Außen­welt entgegentritt, der anthroposophische Forscher soll sich in ein psychologisches Laboratorium begeben, um dort festzustellen, ob er ein Recht hat, seine Behauptungen oder Auseinandersetzungen zu machen. Es ist ganz genau dasselbe.

Man kann eben heute durchaus Unsinn, puren Unsinn behaupten, und die Menschen merken es nicht, sogar diejenigen, die sich ent­rüsten, merken nicht, daß es ein purer Unsinn ist. Sie glauben, es ist nur eine Böswilligkeit oder dergleichen. Denn sie können sich gar nicht vorstellen, daß man durch die sozialen Verhältnisse irgendwie offiziell zum Vertreter der Wissenschaft werden könnte und eigent­lich lauter Unsinn redet. Das können sich die Leute nicht vorstellen. So chaotisch ist eben unser Geistesleben.

Also die Dinge, die berücksichtigt werden müssen, wenn von den Lebensbedingungen der anthroposophischen Bewegung geredet wird, müssen schon ganz aus den Kulturerscheinungen und aus den

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Kulturimpulsen der Gegenwart herausgeholt werden. Solche Dinge, wie ich sie hier auseinandersetze, müssen verstanden werden von demjenigen, der die Lebensbedingungen der anthroposophischen Bewegung kennen will.

Nun, unbeirrt um all das mußten während der ersten Periode die wichtigsten menschlichen Wahrheiten, die wichtigsten kos-mischen Wahrheiten herausgestellt werden. Und sozusagen ein Kom­pendium desjenigen, was bis dahin vertreten worden war innerhalb der anthroposophischen Bewegung, stellt meine «Geheimwissen­schaft» dar. Das ist in einer Weise nun erarbeitet worden, von der ich sagen möchte: es ging so, wie es ging nur aus dem Grunde, weil man niemals ein abstraktes, sondern immer ein konkretes Wollen hatte, weil man niemals sozusagen mehr wollte, als sich aus dem Verfolg der Tatsachen zu wollen ergab.

Für das möchte ich etwa nur das folgende anführen. Wir haben dazumal, gleich im Anfange der anthroposophischen Bewegung, eine Zeitschrift begründet, «Luzifer-Gnosis». Zuerst hieß sie «Luzifer». Dann, als fünf oder sechs Hefte erschienen waren, wollte sich eine Wiener Zeitschrift, die sich «Gnosis» nannte, damit ver­binden. Ich möchte da noch die kleine Tatsache erwähnen, daß ich einfach die äußere Verbindung dieser zwei Zeitschriften dadurch habe ausdrücken wollen, daß ich der neueren Zeitschrift den Titel habe geben wollen: Luzifer mit der Gnosis. Ja, das hat zum Beispiel Hübbe-Schleiden ganz und gar nicht zugelassen, weil er gefunden hat, das würde darauf hinweisen, daß da eine unnatürliche Ehe zu-stande gekommen wäre: Luzifer mit der Gnosis. Man könnte das nicht sagen. Nun, mir war das egal. So sagten wir «Luzifer-Gnosis» und machten einen Bindestrich dazwischen. Scharfsinnig war man schon da, wo man uns dazumal auf die Finger sah!

Nun wurde diese Zeitschrift «Luzifer-Gnosis» begründet. Wir haben natürlich mit einer ganz kleinen Anzahl von Abonnenten begonnen, aber die Abonnentenzahl ist tatsächlich verhältnismäßig außerordentlich rasch gewachsen, und wir haben eigentlich niemals

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ein Defizit gehabt, denn wir haben immer soviel gedruckt, als wir ungefähr haben verkaufen können. Und der Apparat der Expedition wurde so besorgt, daß, nachdem eine Nummer geschrieben und ge-druckt war, mir die Exemplare wiederum in großen Postpaketen in die eigene Wohnung geschickt worden waren. Frau Doktor und ich selber klebten die Streifbänder drüber. Ich adressierte selbst und dann nahmen wir jeder einen Waschkorb und trugen die Sachen zur Post. Wir fanden, daß sich das ganz gut schickt. Ich hatte die Dinge zu schreiben, die Vorträge zu halten, Frau Doktor organisierte die ganze Anthroposophische Gesellschaft, nur ganz ohne Sekretär, denn hätte sie einen Sekretär gehabt, so hätte sie auch noch für die­sen zu arbeiten gehabt. Also wir machten das ganz allein, und wir wollten niemals mehr, als man wollen konnte, ganz konkret. Man ging so viele Schritte vorwärts, als sich aus den Tatsachen ergab. Zum Beispiel trugen wir auch nicht größere Waschkörbe, als solche, unter denen wir nicht zusammenfielen, nur beinahe. Wir gingen halt einmal öfter, als die Abonnentenzahl größer wurde.

Nun, dann ging ja «Luzifer-Gnosis», als wir diese interessante Beschäftigung eine Zeitlang getrieben hatten, über in den Verlag von Altmann in Leipzig. Und dann hörte «Luzifer-Gnosis» zu er­scheinen auf, nicht aus dem Grunde, weil sie eingehen mußte, denn sie hatte dazumal viel mehr Abonnenten, als sie brauchte, aber ich hatte keine Zeit mehr zum Schreiben.

Es ist tatsächlich so, daß dann schon die Anforderungen für das Vorträge-halten und überhaupt die Gesellschaft geistig zu verwal­ten, einem die Zeit stark in Anspruch nahmen - die Sache hat sich ja ganz langsam und allmählich entwickelt - und dieses Nichtmehr­erscheinen von «Luzifer-Gnosis» bewirkten. Zunächst traten große Zwischenräume ein, das Januarheft erschien im Dezember, und dann wurden aus einem Jahre anderthalb Jahre, und die Abonnenten machten furchtbaren Radau. Der Verleger Altmann bekam lauter Reklamationen, so daß ich mir nicht mehr anders helfen konnte, als ihm mitteilen: Nun müssen wir halt ganz aufhören und den Abonnenten

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sagen, wenn sie auch noch so lange warten, kriegen tun sie nichts mehr!

Nun, das war natürlich auch im inneren Gang der Entwickelung:

man wollte niemals mehr, als sich aus dem konkreten Schritte selber ergab. Und dies gehört zu den Lebensbedingungen einer geistigen Gesellschaft. Weittragende Ideale mit Worten aufzustellen, das ist das Allerschlimmste für eine geistige Gesellschaft; Programme ma­chen ist das Allerschlimmste für eine geistige Gesellschaft. Es wurde eben in dieser ersten Periode so gearbeitet, daß einfach zunächst 1907, 1908, 1909 die Grundlage da war einer Geisteswissenschaft, wie sie in die moderne Zeit hereingehörte.

Dann kam die zweite Periode, die wesentlich nun fertig war mit der Auseinandersetzung mit der Naturwissenschaft. Die Theologen meldeten sich damals durchaus noch nicht. Sie saßen so fest überall in ihren Sätteln, daß sie sich gar nicht um die Sache kümmerten.

Nachdem diese Auseinandersetzung mit der Naturwissenschaft vorbei war, konnte man nun an die andere Aufgabe herantreten. Das war die der Auseinandersetzung mit den Evangelien, mit der Genesis, überhaupt mit der christlichen Überlieferung, mit dem Christentum als solchem.

Das war ja auch schon fadengezeichnet in meinem Buche, das am Ausgangspunkt stand: «Das Christentum als mystische Tatsache». Denn das ist schon 1902 erschienen. Aber der Ausbau sozusagen des anthroposophischen Verstehens des Christentums war im wesent­lichen die Aufgabe der zweiten Epoche bis so zum Jahre 1914 hin. Da wurden in Hamburg, Kassel, Berlin, Basel, Bern, München, Stuttgart die Vortragszyklen über verschiedene Teile der christlichen Überlieferung gehalten.

Da wurde zum Beispiel auch dasjenige ausgearbeitet, was dann bis jetzt nur skizziert vorliegt als «Geistige Führung des Menschen und der Menschheit» und so weiter. Da also war die Zeit, in welcher im wesentlichen die christliche Seite der Anthroposophie in Anlehnung an die historische christliche Überlieferung ausgearbeitet worden ist.

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Dann fiel in diese Zeit hinein, ich möchte sagen, die erste Ver­breiterung der Anthroposophie nach dem Künstlerischen hin mit den Aufführungen der Mysterien-Dichtungen in München. Das alles stand eigentlich wiederum unter dem Zeichen, nicht mehr zu wollen, als sich aus den Tatsachen selber ergab.

In diese Zeit hinein fiel dann das, was eben zu jener, eigentlich für die Anthroposophie gleichgültigen Tatsache führte, des Aus­geschlossenwerdens von der Theosophischen Gesellschaft, weil, wie ich gestern abend sagte, es der Anthroposophie gleichgültig sein konnte, ob sie eingeschlossen oder ausgeschlossen war, denn sie ging ihre eigenen Wege vom Anfange an. Wer mitgehen wollte, konnte mitgehen. Und sie kümmerte sich vom Anfange an nicht in einer innerlichen Weise, nicht in bezug auf ihre geistigen Feststellungen um dasjenige, was von der Theosophischen Gesellschaft ausgegan­gen war. Aber es wurde eben auch das äußerliche Zusammengehen immer schwieriger und schwieriger.

Zuerst war eben durchaus die Hoffnung vorhanden, durch die­jenigen Umstände, von denen ich wenigstens einige charakterisiert habe, daß eigentlich die theosophische Bewegung, die in der Theo­sophical Society vereinigt war, ganz anthroposophisch werden könnte. Zu diesen Umständen, die diese Hoffnungen berechtigt er­scheinen ließen, gehörte auch die, daß tatsächlich durch die beson­dere Art, wie innerhalb der Theosophischen Gesellschaft geforscht wurde, schwere Enttäuschungen gerade über diejenigen Menschen gebracht wurden, die in einem höheren Grade urteilsfähig waren. Und da muß ich schon sagen, als ich das erste und zweite Mal nach London kam, mußte ich die Erfahrung machen, wie die führenden Persönlichkeiten eigentlich im Grunde genommen durchaus Men­schen darstellten, die einander mit großer Skepsis entgegenkamen, die durchaus auf einem unsicheren Boden sich fühlten, den sie aber doch wieder nicht verlassen wollten, weil sie nicht wußten, wo sie die Sicherheit suchen sollten.

Es waren viele enttäuschte, von Bedenken reichlich erfüllte Menschen

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gerade unter den Führern der Theosophical Society. Und es ist schon ein wichtiges Moment für den Gang, den die Verhältnisse in der Theosophischen Gesellschaft genommen haben, die merkwür­dige Wandlung, die Annie Besant etwa zwischen dem Jahre 1900 und, sagen wir, 1907 durchgemacht hat.

Sie hatte anfangs eine gewisse Toleranz. Sie hat, glaube ich, nie etwas verstanden von dem, was als Anthroposophie aufgetreten ist. Ich glaube nicht, daß sie etwas davon verstanden hat, aber sie ließ es gelten, hatte es anfangs sogar gegen die starren Dogmatiker ver­teidigt, das heißt das Recht zu bestehen hat sie verteidigt. Ein ande­res kann eben nicht gesagt werden, denn das ist schon so.

Aber nun muß ich etwas sagen, was ich bitte auch innerhalb der Anthroposophischen tGesellschaft sehr stark zu berücksichtigen. Mit einer solchen geistigen Gesellschaft, auch wie sie die theosophische war, sind eben gewisse rein persönliche Aspirationen, rein persön­lich gefärbte Sympathien und Antipathien absolut nicht verträglich. Trotzdem finden sich so zahlreich gerade die Fälle, wo irgend je­mand eigentlich das oder jenes will. Er will es aus irgendwelchen Untergründen seines Wesens heraus, will also zum Beispiel eine Persönlichkeit vergöttern. Aus irgendeinem Untergrund seines We­sens heraus will er es. Das, was ihn dazu nötigt, das Triebartige, vielleicht auch das Gehirntriebartige, das will er sich nicht einge­stehen. Aber er beginnt nun eine künstliche astralische Aura um die Persönlichkeit, die er nun anhimmeln will, zu weben. «Advanced» ist eine solche Persönlichkeit, «vorgeschritten». Wenn man dann noch besonders etwas sagen will, dann heißt es: Oh, die weiß drei, vier ihrer früheren Erdenleben, hat sogar mir von meinem früheren Erdenleben gesprochen. Oh, die weiß viel! Und nun kommt eben eine ganz geistige Interpretation desjenigen, was, um den Nietzsche­schen Ausdruck zu gebrauchen, nur menschlich-allzumenschlich ist. Würde man es menschlich-allzumenschlich charakterisieren und schildern, würde man einfach, nun, vielleicht nicht gleich sagen:

ich habe einen Affen für die Person, das ist ja nicht nötig, aber

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man kann doch sagen: sie ist mir sympathisch, ich lasse mir das nicht bestreiten, sie ist mir eben sympathisch. Es wäre ja dann alles gut, auch in einer okkulten Gesellschaft. Selbstverständlich war zum Bei­spiel Max Sei/ing durchaus in gewissem Sinne amüsant, besonders wenn er so zappelig Klavier gespielt hat, es war amüsant, mit ihm Tee zu trinken und so weiter. Gut, wenn man sich das nur gestanden hätte! Wenn man sich gestanden hätte: das gefällt einem! so wäre es gescheiter gewesen, als wenn man ihn verhimmelte wie in der Münch­ner Gruppe.

Alle diese Dinge, sehen Sie, sind direkt widersprechend den Le­bensbedingungen einer solchen Gesellschaft. Aber wer vorbildlich solchen Dingen verfiel, das war eben gerade Annie Besant. Denn es tauchte zum Beispiel einmal - ich möchte diese Dinge mehr an Hand von Tatsachen erzählen - ein Name auf. Ich hatte mich eigentlich nie viel um die Literatur der Theosophical Society geküm­mert, ich habe im Grunde genommen das Wenigste gelesen von die­ser Literatur, daher lernte ich den Namen Bhagavân Dâs erst ken­nen, als mir eines Tages, mit der Schreibmaschine geschrieben, ein dickes Manuskript zugeschickt wurde. Das Manuskript war so ange­ordnet: zweispaltig, links mit der Schreibmaschine beschrieben, rechts war freier Raum. Dabei war ein Brief von Bhagavân Dâs, es war ungefähr glaube ich 1905, in dem er schrieb, er möchte gern eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Menschen über das­jenige, was er in diesem Manuskript der Welt offenbaren wollte.

Nun, es war ja wirklich die anthroposophische Bewegung dazumal schon so ausgebreitet, daß ich nicht gleich dazu kam, dieses Manu­skript zu lesen. Er sagte, man solle dann auf die rechte Seite das schrei­ben, was man dazuzusetzen hat, und dann es ihm zurückschicken.

Ich kam ja damals ein bißchen herum. Da fand ich auch noch andere Leute, denen er das Manuskript geschickt hatte. Dann wurde mir immer mehr und mehr klar: Bhagavân Dâs, das war eben, nun ein «ganz okkulter Mensch», ein Mensch, der aus den Tiefen der Geistigkeit heraus schöpfte. Das war ungefähr die Meinung, welche

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diejenigen, die um Annie Besant waren, über Bhagavân Dâs verbrei­teten. Da er die Sache von Indien aus schickte, dem indischen Haupt. quartier nahestand und solche Berühmtheit hatte - zum Beispiel am Amsterdamer Kongreß hörte man überall: Bhagavân Dâs, Bhagavân Dâs - war es schon wirklich so, wie wenn da nun ein Brunnen wäre, der immerfort nur so von Weisheit überläuft. Da schaute ich mir das Ding dennoch an. Ein schauderhaft dilettan­tisches Gewirr von Fichtescher Philosophie, Hegelscher Philosophie, Schopenhauerscher Philosophie, alles mögliche ohne das geringste Verständnis durcheinandergemischt, und durch das Ganze ging dann, ich möchte sagen, wie so eine unendliche Melodie «self» und «notself», und dann kam wieder von Fichte etwas auseinander. gesetzt und so weiter, dann wiederum self und notself. Es war also etwas Schauderhaftes. Ich habe mich nie wieder darum gekümmert. Ich habe gar nichts geschrieben auf die andere Seite. Aber nicht wahr, an solchen Dingen zeigte sich doch, wie die Dinge allmählich ins persönliche Fahrwasser hineinkamen. Es ist eben aus rein persön­lichen Gründen diese Persönlichkeit Bhagavân Dâs so verhimmelt worden. Sie können ja heute seine Bücher noch nachlesen, da wer-den Sie schon bewahrheitet finden, was ich sagte. Er hat ja, nicht wahr, Bücher fabriziert. Durch solche Dinge zeigte sich, wie das per­sönliche Element in die sachlich sein sollenden Impulse hinein­gebracht worden ist. Und da einmal das da war, das namentlich so um 1905 stark begann, ging der Rutsch eben mit Notwendigkeit ab­wärts. Das andere war im Grunde genommen dann eigentlich die Folge davon.

Damit will ich nicht sagen, daß in irgendwelcher beliebigen Ge­sellschaft, wenn einer einen Unsinn schreibt, die Gesellschaft ab­stürzen muß. Aber in geistigen Gesellschaften herrschen eben andere Gesetze, innere Notwendigkeiten. Da dürfen insbesondere von den führenden Persönlichkeiten solche Dinge nicht praktiziert werden, sonst geht eben, nicht wahr, der Rutsch nach abwärts mit Notwen­digkeit vor sich. Und er ging auch vor sich.

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Es kam dann die absurde Geschichte bei Olcotts Tod, die sich dazumal abgespielt hat, die eigentlich schon der Anfang des Endes der Theosophical Society war: die sogenannte Ernennung durch die Meister. Aber die war noch wenigstens insoweit zu schlichten, als man sagen konnte: Nun ja, da sind eben einige, die bringen aller­dings aus einem besonderen Prinzip heraus absurde Dinge in die Gesellschaft hinein. Dann aber kam die Angelegenheit mit Leadbeater, die ich jetzt nicht besprechen möchte. Und dann kam es eben zur Feststellung jenes Knaben, nicht wahr, der als der Christus, oder zum Christus erzogen werden sollte und so weiter. Und als das nicht anerkannt werden konnte von denjenigen, die diese Absurdi­täten nicht mitmachen wollten, wurden eben die Leute ausgeschlossen.

Nun, die anthroposophische Bewegung hat durch alle diese Dinge hindurch ihre gerade Linie verfolgt und sich wirklich eigentlich im Grunde genommen als Bewegung nicht gekümmert um diese Dinge. Nicht wahr, wenn man, sagen wir, 1911 forschte über «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit», am 24. März und am 25. März die absurden Berichte aus Adyar oder sonst woher von der Theosophical Society kamen, so brauchte man ja an diesem 25. März deshalb das, was man am 24. getan hatte nicht anders fortzusetzen. Also der innere Gang wurde davon wirklich gar nicht berührt. Das muß tatsächlich absolut festgehalten werden. Es brauchte einen dazu­mal schon wirklich nicht zu interessieren, was von dieser oder jener Seite der führenden Persönlichkeiten der Theosophical Society aus­ging, geradesowenig, als es mich irgendwie besonders überrascht hat, daß man in der letzten Zeit hören konnte: Leadbeater, über den Sie ja auch manches gehört haben, ist nun auf seine alten Tage alt-katholischer Bischof geworden, und einer seiner Genossen, der dazu­mal auch schon beim Münchner Kongreß war, ist gar altkatholischer Erzbischof geworden. Nicht wahr, man braucht sich gar nicht zu wundern über diese Dinge. Es ging jetzt eben nicht gerade, sondern es ging alles quer und schief. Warum sollte nicht auch das statt­finden?

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Man brauchte eigentlich das persönliche Verhältnis zu den Leuten gar nicht besonders zu ändern, ich meine das unmittelbare Verkehrs­verhältnis. Ich habe dann, vor zwei Jahren glaube ich war es, in Amsterdam einen Vortrag gehalten. Nach dem Vortrage kam einer derjenigen Herren in der alten Freundlichkeit auf mich zu, der 1907 am Münchner Kongreß einen Vortrag gehalten hatte. Er schaute noch geradeso aus, nur war er inzwischen altkatholischer Erzbischof geworden. Er hatte nicht das Kostüm an, aber er war es!

Das alles sind die Dinge, die eben sich in einem solchen Gebiete des modernen Kulturlebens abspielten, wo wirklich wiederum auf der anderen Seite aus einer inneren Notwendigkeit heraus die hei­matlosen Seelen angezogen wurden. Man darf nicht vergessen, daß innerhalb der Strömung, die man so charakterisieren muß, doch eben diejenigen Seelen zu finden waren, die am allerintensivsten nach einer Verbindung der menschlichen Seele mit der geistigen Welt strebten. Man schildert eben nicht ehrlich den Gang des modernen Kulturlebens, wenn man nicht diese Kontraste einmal wirklich zur Anschauung bringt. Deshalb mußte ich schon heute, bevor ich nun morgen in die Beschreibung unserer letzten Periode, und damit der eigentlichen Lebensbedingungen der Natur der Anthroposophischen Gesellschaft eintrete, auch noch diese Notizen, meine lieben Freunde, vor Ihnen vorbringen.

SIEBENTER VORTRAG 16. Juni 1923

#G258-1959-SE140 Die Geschichte und die Bedingungen der Anthroposophischen Bewegung ...

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SIEBENTER VORTRAG

16. Juni 1923

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Nachdem ich verschiedenes äußerlich Hervortretendes und auch Untergründliches der neuzeitlichen Geistesbewegungen geschildert habe, die gewissermaßen einen wirklich den Forderungen unserer Zeit entsprechenden Weg finden sollen durch die anthroposcphische Bewegung, möchte ich nun heute und morgen Ihnen an verschie­denen Erscheinungen, die in der dritten Periode der anthroposo­phischen Bewegung aufgetreten sind, zu interpretieren versuchen, welches die Lebensbedingungen der Anthroposophischen Gesell­schaft eigentlich sind.

Wir müssen uns klar sein, wo wir standen in der Zeit, als etwa die zweite Periode der anthroposophischen Bewegung sich ihrem Ende zuneigte, also um das Jahr 1913, 1914, und wo wir heute stehen. Wir müssen versuchen, in dasjenige einzudringen, was die beiden Etappen, möchte ich sagen, im Beginne der dritten Periode und am Ende der dritten Periode für uns bedeuten.

Während ich in den verflossenen Tagen mehr versuchte, in die Tiefen der Schilderung zu gehen, möchte ich sozusagen heute und morgen mehr für Anthroposophen Aktuelles vorbringen, das ge­eignet ist, unmittelbar in die Willensimpulse überzugehen.

Sehen wir einmal doch zurück, wie dadurch, daß in der ersten und zweiten Periode im wesentlichen das eingehalten worden ist, daß man an den konkreten Tatsachen vorschritt, daß man sozusagen die Bewegung in demselben Tempo weiterbrachte, in dem der Aus­bau des inneren anthroposophischen Lebens stattfand, wie weit man dadurch gekommen ist. Darauf wollen wir einmal unseren Blick richten.

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Ich sagte, in der ersten Periode bis zum Jahre 1907, 1908, 1909 wurde zunächst nach und nach etwas erarbeitet an innerem geistigen Inhalt. Die Grundlagen einer wirklichen modernen Geisteswissen­schaft wurden gelegt und die verschiedenen Konsequenzen aus­geführt. Bis sozusagen zum Ende dieser Periode erschien ja auch die Zeitschrift «Luzifer-Gnosis». Sie brachte fortwährend von mir und anderen dasjenige, was stufenweise einen gewissen Inhalt von Anthroposophie aufbaute. Als dann die zweite Periode kam, wurden in Zyklen, in Vorträgen, in einer gewissen Weise auch für die Öffentlichkeit die Schriften, die für die geistige Entwickelung des Abendlandes die ganz besondere Bedeutung haben, die Evangelien und die Genesis von der Geistesforschung her also erobert. Wiederum fanden reale Schritte statt.

Man ging aus von dem Johannes-Evangelium, ging dann über zu den anderen Evangelien. An der Hand der Evangelien kamen immer bestimmte Wahrheiten und Weistümer zum Vorschein. Also es wurde von Etappe zu Etappe geistiger Inhalt zu dem früheren hinzu­gefügt. Dasjenige, was nun auf der anderen Seite in der Ausbreitung der Gesellschaft stand, das hatte im wesentlichen seine Ursache in diesem innerlichen Fortschreiten des geistigen Inhaltes.

Gewiß, man mußte für die äußeren Angelegenheiten allerlei Pro-gramme machen und dergleichen. Aber darinnen lag nicht dieHaupt­sache. Die Hauptsache lag darinnen, daß positive geistige Arbeit Etappe für Etappe geleistet worden ist, und daß dann auch in ent­sprechender Weise dieses erarbeitete Gut esoterisch vertieft werden konnte.

Dabei wurde gerade zum Ende der zweiten Epoche dasjenige, was Anthroposophie ist, verbreitert über die übrige Kultur und Zivili­sation der Menschheit, wie wir es versucht haben in den Münchner Aufführungen der Mysteriendramen. Dann waren wir am Ende der zweiten Periode so weit, daß daran gedacht werden konnte, den Bau, der hier nun dieses Unglück gehabt hat, aufzuführen. Man muß bedenken, daß das eine außerordentlich wichtige Etappe in der Entwickelung

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der Anthroposophischen Gesellschaft war. Einen solchen Bau aufzuführen, das setzte voraus, daß eine ganz stattliche Anzahl von Menschen ein Interesse daran hatte, für dasjenige, was in der Anthroposophie an realem Gehalt heraufgebracht worden war, eine solche Heimstätte zu errichten. Es war aber damit zu gleicher Zeit der erste wesentliche &hritt hinaus getan über das Arbeiten Schritt für Schritt, das bisher auch Schritt hielt mit der ganzen Ausgestal­tung der Anthroposophischen Gesellschaft. Denn selbstverständlich mußte ein solcher Bau, wie das Goetheanum, in einer ganz anderen Weise die Aufmerksamkeit der Außenwelt auf dasjenige, was nun Anthroposophische Gesellschaft geworden ist, lenken, als alles, was vorher da war.

Gegner zum Beispiel, sagen wir, hat es ja auch früher gegeben, Gegner aus allen möglichen Lagern. Sie haben sogar damals schon ihre Schriften drucken lassen. Allein für diese Gegner war eigentlich kein besonderes Publikum da. Denn nehmen Sie einmal an, daß bis zum Jahre 1914 ein so unqualifizierbarer Gegner, wie etwa der Max Seiling aufgetreten wäre. Es hätte ja vielleicht aus einem gewissen sensationellen Interesse heraus manches Mitglied der Anthropo­sophischen Gesellschaft selber das gelesen, aber draußen würde man sich nicht darum bekümmert haben. Es wäre kein Publikum dafür da gewesen. Die Errichtung des Baues machte eben erst möglich, daß Gegner auftraten und ein Publikum fanden. Solche Dinge darf man, wenn man in einer Realität drinnensteht, wie die anthroposophische Bewegung ist, nicht bloß wie etwas theoretisch zu Betrachtendes auf­fassen, sondern das muß man mit dem allerintensivsten Ernst neh­men, denn es erwachsen aus allen diesen Dingen Tag für Tag größere Aufgaben.

Wir hatten nun immerhin die Möglichkeit, diesen Bau aufzufüh­ren. Diese Möglichkeit aber setzte voraus, daß eben etwas da war, wofür dieser Bau aufgeführt werden konnte. Das war da. Das fühlte eine größere Anzahl von Menschen als etwas, das mit einer gewissen inneren Lebendigkeit dastand. Es waren auch Erfahrungen durch

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eine wirklich schon längere Zeit gesammelt, Erfahrungen, die man nicht zu übersehen brauchte. Da eine Gesellschaft da war, hätten diese Erfahrungen sehr fruchtbar gemacht werden können, könnten bis heute fruchtbar gemacht werden. All das, was ich in den letzten Tagen gesprochen habe, hatte den Grund, hinzuweisen auf gewisse Vorkommnisse, die ebensoviel wie Erfahrungen bedeuten.

Jetzt ist dieser Zeitraum abgelaufen. Wir dürfen als das erschüt­ternde Ereignis des Ablaufes dieses Zeitraumes den Brand des Goetheanum bezeichnen. Erinnern Sie sich nur, daß ich gesagt habe, eine Selbstbesinnung für Anthroposophen sollen zu gleicher Zeit diese Vorträge möglich machen; wir müssen uns heute durch diese Selbstbesinnung erinnern, wie wir dazumal mit einer gewissen Sicher­heit über den Fortgang dessen denken konnten, was mit Anthropo-sophie gewollt war, wie wir aber voraussehen mußten, voraussehen auch mit unserem Willen, daß nun, wenn Anthroposophie vor die große Öffentlichkeit hintritt, ganz zweifellos auch die Gegnerschaft einsetzen würde.

Nun bezeichnen wir zunächst Anfang und Endpunkt. Den An­fangspunkt habe ich eben charakterisiert. Er liegt darinnen, daß man den Mut haben konnte, das Goetheanum aufzuführen. Sehen wir uns an, welche Gestalt heute das angenommen hat, was durch das Goetheanum in der Weise bewirkt worden ist, daß die Anthropo­sophie exponiert, ausgesetzt ist dem Urteile einer niemals zu begren­zenden Anzahl von Menschen.

Dafür möchte ich Ihnen nun das neueste Zeugnis vorlegen, damit wir sozusagen beim Tag bleiben. Das neueste Zeugnis ist enthalten in einer Broschüre, die eben erschienen ist, und die den Titel trägt:

«The secret machinery of revolution», also die geheime Maschinerie der Revolution. Auf Seite 13 finden Sie in dieser Broschüre folgende Darstellung. Ich werde es aus dem englischen Text heraus über­setzen: «An diesem Punkte meiner Ausführungen möchte ich kurz zu sprechen kommen auf die Existenz eines Ablegers der Theo­sophischen Gesellschaft, bekannt als die Anthroposophische Gesellschaft.

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Diese ist gebildet worden als das Ergebnis eines Schismas in den Reihen der Theosophisten durch einen Mann von jüdischer Ab­kunft, welcher in Verbindung stand mit einem der modernen Zweige der Carbonari. Und nicht nur dieses, sondern in Verbindung mit anderen Theosophisten hat er in Szene gesetzt gewisse besondere kommerzielle Unternehmungen, die nicht ohne Verbindung sind mit der kommunistischen Propaganda, die im übrigen ziemlich genau erinnern an dasjenige, was der Graf von St. Germain organisiert hat durch seine Färbereien und durch andere kommerzielle Unterneh­mungen zu einem gleichen Zwecke. Aus diesen sonderbaren ge­schäftlichen Gruppen, die in Verbindung stehen mit der irisch­republikanischen Bewegung, und mit den deutschen Gruppen, die schon erwähnt worden sind (unter den erwähnten Gruppen ist zum Beispiel die Organisation Gonsul), und mit einer anderen mysteriösen Gruppe, bekannt als Clarté, welche begründet wurde durch jüdische Intellektuelle in Frankreich vor etwa vier Jahren, und welche unter ihrer Mitgliedschaft viele wohlbekannte Politiker, Wissenschaftler, Universitätsprofessoren und Schrifsteller in Frankreich, Deutschland und England haben. Es ist eine Geheimgesellschaft. Aber eine Vor­stellung ihrer wirklichen Absichten kann aus der Tatsache gewonnen werden, daß sie die Liga der alten Kämpfer begünstigt, deren Ziel die Unterminierung der Disziplin der Armeen in den alliierten Län­dern zu sein scheint. Obgleich dem Namen nach eine rechtsgerichtete Gesellschaft, ist sie in direkter Berührung mit Mitgliedern der Sowjet-Regierung in Rußland. In Britannien ist sie in einer engeren Verbindung mit gewissen Mitgliedern der Fabian-Gesellschaft und mit der Union der demokratischen Kontrolle, welche sich zur Auf­gabe setzt, die geheime Diplomatie zu bekämpfen.»

Nun, ich brauche zu diesem nur hinzuzufügen, daß ja meine Reise nach England im August in Aussicht steht, und daß Sie daraus sehen können, daß die Dinge, die ich oftmals gesagt habe, durchaus ernst zu nehmen sind: daß die Gegner sehr gut organisiert sind, und daß sie auch in jeder Lage und in jeder Situation sehr gut wissen, was sie

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tun. Nicht wahr, was ich seit längerer Zeit vorgebracht habe, ging ja dahin, daß ich sagte, man solle sich niemals vorstellen, daß das­jenige, was nun das Letzte war, auch schon das Ärgste ist.

Sie sehen, es gibt eben eine Gegnerschaft heute - und das ist der andere Endpunkt der dritten Periode -, die vor gar keiner Unwahr­heit zurückschreckt, und die alle Wirkungen der Unwahrheit sehr gut zu organisieren weiß. Sie dürfen eben durchaus nicht glauben, daß es irgendwie angebracht ist, über diese Dinge leicht hinweg-zugehen und etwa zu sagen: Nun ja, an einer solchen Sache ist nicht nur keine Zeile wahr, sondern es ist so grobklotzig gelogen, daß keiner es glauben wird. Wer dieses sagt, meine lieben Freunde, der zeigt eben dadurch, daß er als ein tief Schlafender innerhalb der abendländischen Zivilisation der Gegenwart steht und eben nicht weiß, wie stark die Impulse der Unwahrheit sind, die heute als wahr von den, man darf sagen, besten Leuten eben einfach aus Bequem­lichkeit und aus Schlaftrunkenheit hingenommen werden.

Dasjenige, was zwischen diese beiden Punkte fällt, das zu betrach­ten ist für uns nun von einer besonderen Wichtigkeit. Denn man kann so sagen: es war durchaus die anthroposophische Bewegung im Jahre 1914 so weit, daß sie zunächst mit dem Bestande ihres Geistes-gutes, ihres Geistesinhaltes ihren Weg durch die Welt hätte machen können.

Nun mußte aber, so wie die Verhältnisse einmal waren, auch seit 1914 lebendig gearbeitet werden. Wenn Sie zurückblicken auf das­jenige, was seit jener Zeit geschehen ist, so werden Sie sich sagen:

die Arbeit seither war im wesentlichen eine Vertiefung nach dem Geistigen hin. Und in dieser Beziehung ist wiederum der gerade Weg eingeschlagen worden. Diese Vertiefung nach dem Geistigen ist Etappe für Etappe gesucht worden, unbekümmert sogar um die äußeren Ereignisse der Welt, weil die Sache so war und auch heute noch so ist, daß es sich zunächst darum handelt, dasjenige an gei­stigem Inhalt, was sich zum Fortschritt der Menschheit jetzt offen­baren will, zunächst wirklich der Zivilisation in irgendeiner Form

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einzuverleiben. Es kann sich nie darum handeln, bei Mitteilung oder Bearbeitung dieses Geistesgutes etwas anderes zu tun, als aus diesem Geistesgut heraus selbst alles zu tun.

In dieser Beziehung ist auch wiederum in dieser dritten Periode eine Verbreiterung eingetreten durch die Aufnahme der Eurythmie. Sie werden nirgends sagen können, daß diese Eurythmie an irgend etwas anderes anknüpft, als an die Quellen des Anthroposophischen selber. Da wird alles aus den Quellen des Anthroposophischen her-ausgeholt. Gibt es denn nicht in der Gegenwart alle möglichen Bewegungskünste, alle möglichen Versuche, auf diese oder jene Weise zu etwas zu kommen, was äußerlich vielleicht ein bißchen ähnlich der Eurythmie sieht? Aber verfolgen Sie die Ereignisse zurück bis zu dem Momente, wo Frau Dr. Steiner die Eurythmie in die Hand genommen hat, und die Eurythmie nun eine Entwickelung durchgemacht hat, so daß sie, ich möchte sagen, zuerst während der Weltkriegszeit mehr in einem internen Kreise gepflegt worden ist, dann in die Öffentlichkeit treten konnte und ein immer größeres Interesse erregt hat. Nehmen Sie alles dasjenige, was in diese Eurythmie eingeflossen ist. Glauben Sie nicht, daß nicht zahlreiche Menschen von da und dort einem immer wieder in die Ohren geraunt haben: Da ist ja was ganz Ähnliches, dort ist etwas ganz Ähnliches, das muß berücksichtigt werden, das muß aufgenommen werden. Nur dadurch konnte die Sache fruchtbar vorwärtskommen, daß man sich nicht um links, nicht um rechts kümmerte, sondern aus den Quellen der Sache selbst heraus arbeitete, lediglich aus den Quellen der Sache selbst heraus. In dem Augenblicke, wo irgend etwas Kompromißliches her-eingefügt worden wäre, wäre die Sache nicht mehr das, was sie ist, hätte nicht werden können das, was sie ist. Das gehört zu den Lebens­bedingungen einer solchen Bewegung, daß unbedingt die Sicherheit besteht: es kann aus den Quellen heraus in fortwährender Verbreite­rung das geholt werden, was geholt werden soll.

Dieses nur aus dem Zentrum heraus Arbeiten, was natürlich verhält­nismäßig leicht weil selbstverständlich bis zum Jahre 1914 war, das ist

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dasjenige, was einzig und allein möglich macht, daß man auch in der richtigen Weise vorwärtskommt mit dem, was Anthroposophie ist.

Nun, diese dritte Periode seit dem Jahre 1914 traf die mannigfal­tigste Erscheinung, in die natürlich, wie jeder Mensch und jede Bewegung, auch die anthroposophische hineingestellt war. Nun muß selbstverständlich auf der einen Seite zum Beispiel immer wieder und wiederum energisch hervorgehoben werden, wie während des Weltkrieges, wo die Nationen sich zerfleischten, hier die Ange­hörigen von sechzehn oder siebzehn Nationen waren, und zusam­mengearbeitet haben, wie die Anthroposophische Gesellschaftdurch­aus mit Beibehaltung ihres ursprünglichsten Charakters durch diese Epoche hindurchgegangen ist. Aber vergessen darf eben nicht wer­den, daß gerade alles das, was durch die Menschengemüter, also auch durch Anthroposophengemüter in dieser Zeit gegangen ist, in vieler Beziehung zersplitternd in die Anthroposophische Gesellschaft eingegriffen hat. Das muß trotzdem gesagt werden.

Nicht wahr, ich will damit, daß ich diese Dinge objektiv charak­terisiere, alle die guten Eigenschaften der Anthroposophen nicht in irgendeiner Weise kritisieren oder irgendwie abkanzeln. Die sollen durchaus vorausgesetzt werden. Gewiß, es ist ja so, daß in einem gewissen Grade man hinwegkam über, sagen wir, dasjenige, was außerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft die Menschen so zersplittert hat vom Jahre 1914 bis 1918. Aber diejenigen, die ein wenig beobachten, die werden schon darauf kommen, daß solche Wellen durchaus, wenn auch in einer anderen Form als sonst, in die anthroposophische Bewegung hereingeschlagen haben, und daß in Verbindung damit etwas stark hervorgetreten ist, was ich öfter schon angedeutet habe mit den Worten: es fing an, in dieser dritten Periode sich auszubilden, was ich nennen möchte eine innere Oppo­sition gegen dasjenige, was ich selbst in der Anthroposophischen Gesellschaft zu tun habe, eine gewisse innere Opposition.

Natürlich sind die meisten erstaunt, wenn ich von dieser inneren Opposition spreche, weil sie sich ihrer nicht bewußt sind, viele

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wenigstens. Aber ich möchte sagen: um so schlimmer. Denn diese innere Opposition ist in Gefühlen gerade in der dritten Periode sehr stark heraufgekommen. Auch in äußeren Symptomen zeigte sie sich ja. Wenn eine solche Bewegung zwei Perioden, so wie ich sie geschildert habe, durchgemacht hat, dann braucht durchaus nicht blindes Vertrauen zu herrschen, wenn in der dritten Periode, wo schon Antezedenzien da sind, wo schon etwas Vorangehendes eben vorliegt, aus Zusammenhängen heraus, die nicht jeder gleich über­sehen kann, das eine oder das andere gemacht wird. Aber bedenken Sie doch nur einmal: aus Zusammenhängen heraus, die ganz gewiß dazumal nicht jeder übersehen konnte, zu denen man vieles zusam­menhalten mußte, und bei denen es vor allen Dingen darauf ankam, die anthroposophische Bewegung selber in der richtigen Weise zu fixieren. Nun bei diesen Dingen zeigte sich dann dasjenige, was man eine solche innere Opposition nennen könnte.

Ich weiß selbstverständlich, daß, wenn ich auf diese Dinge zu sprechen komme, gar mancher sagen wird: soll man denn nicht gerade seine eigenen Meinungen haben? Gewiß, seine eigenen Meinungen soll man haben über dasjenige, was man tut; aber wenn ein anderer etwas tut, mit dem man in irgendeiner Lebensverbindung steht, dann handelt es sich darum, daß das Vertrauen mancherlei Rolle spielen muß, namentlich wenn eben solche Antezedenzien da sind wie diejenigen, auf die ich habe hinweisen können.

Nun habe ich in einem gewissen Zeitpunkte der dritten Periode während des Weltkrieges das Büchelchen geschrieben: «Gedanken während der Zeit des Krieges». Da machte sich gerade jene innere Opposition in einer ganz merkwürdigen Weise geltend. Nicht nur, daß Leute an mich herangetreten sind, die gesagt haben: wir haben doch geglaubt, Anthroposophie mische sich niemals in Politik - als wenn das Büchelchen sich in Politik gemischt hätte! - und der­gleichen mehr. Und man konnte schon an der ganzen Stellungnahme sehen: da hat in manchem Herzen etwas abgefärbt, was nun nicht auf dem Boden der Anthroposophie wachsen darf, sondern was auf

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ganz anderem Boden wächst. Nicht wahr, ich habe manches erlebt, was eingewendet worden ist gerade gegen diese «Gedanken wäh­rend der Zeit des Krieges», aber ich habe es nicht erlebt, wirklich nicht erlebt, daß irgend jemand gesagt hätte - jetzt sage ich etwas furchtbar Arrogantes, aber es ist dennoch objektiv, meine lieben Freunde -: wir wissen nichts Rechtes aus der Sache zu machen, aber wir wollen abwarten bis zum Jahre 1935, vielleicht werden wir dann wissen, warum dieses Büchelchen geschrieben worden ist. Und so sind manche andere Dinge gewesen, die durchaus zeigen, wie stark dasjenige hereingespielt hat, was geradezu darauf hinauslief, die selbstverständliche Freiheit und Selbstbestimmung innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft zu untergraben. Denn es wäre selbstverständlich gewesen, das Schreiben dieser Schrift meine Sache sem zu lassen. Statt dessen hat sich so etwas wie eine Meinung ge­bildet: wenn der derjenige sein will, mit dem wir die Anthropo­sophische Gesellschaft machen, dann darf er nur dasjenige schrei­ben, was uns gefällt.

Nicht wahr, diese Dinge müssen radikal ausgesprochen werden, sonst werden sie eben nicht verstanden. Sie sind symptomatisch, und sie bezeugen eben, daß eine Stimmung heraufkam, die wider die Lebensbedingungen der anthroposophischen Bewegung ist, daß in der Gesellschaft eine Stimmung heraufkam, die wider die Lebens­bedingungen der anthroposophischen Bewegung ist!

Was aber in dieser dritten Periode von ganz besonderer Bedeu­tung sein mußte, das ist das Bewußtsein, eine Gesellschaft gebildet zu haben, die die ersten Schritte macht in einer Angelegenheit, in der ein großer Teil der Menschheit wird nachfolgen müssen. Ja, beden­ken Sie das, meine lieben Freunde, eine verhältnismäßig kleine Ge­sellschaft bildete sich, mit der Prätention, etwas zu tun, wo ein großer Teil der Menschheit nachfolgen soll. Das gibt nicht nur dieVerpflich­tungen, die dann diejenigen Menschen haben werden, die nachfolgen, sondern das gibt Verpflichtungen einer weit höheren Art: das gibt Verpflichtungen, die vielpotenzig sind gegenüber demjenigen, was

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etwa die Pflichten sind derer, die einmal als eine große Menschen­anzahl etwa Anthroposophie zu ihrer Orientierung nehmen werden.

Die Anthroposophen von heute dürfen nicht etwa denken, daß sie nur diejenigen Verpflichtungen haben, die einmal die Menschen haben werden, die sich zur Anthroposophie bekennen, wenn die Anthroposophen nach Millionen, nicht nach Tausenden da sind. Wenn Tausende vorauseilen einer Bewegung, so haben diese Tau­sende eben eine viel höhere, eine potenzierte Verpflichtung. Das heißt sie haben die Verpflichtung, in allen Einzelheiten größeren Mut, größere Energie, größere Geduld, größere Toleranz und vor allen Dingen größere Wahrhaftigkeit zu üben. Und in dieser dritten Periode war die Probe gestellt namentlich in bezug auf Wahrhaftig­keit und auf Ernst. Es mußte in einem gewissen Sinne dasjenige auf­kommen, das einmal den Gegenstand der Besprechung gebildet hat in den Vorträgen, die den Theologen gehalten worden sind. Da wurde es ausgesprochen. Innerhalb der Anthroposophenschar hätte das ein Gefühl, eine Empfindung werden müssen - muß es wer­den! -: daß Anthroposophie, ganz abgesehen davon, daß esAnthro­posophen gibt, als ein selbständiges Wesen angesehen werden muß, gewissermaßen wie etwas, was unter uns herumgeht, dem gegenüber wir verantwortlich sind in jedem Augenblicke unseres Lebens. Das ist in jenem Vortrage vor den Theologen ausgesprochen worden:

Anthroposophie ist an sich ein unsichtbarer Mensch, der unter sicht­baren Menschen herumgeht, und dem gegenüber man, solange man ein kleines Häuflein ist, die denkbar größte Verantwortung hat, der wirklich genommen werden muß als unsichtbarer Mensch, genom­men werden muß als etwas Daseiendes, den man befragen muß bei den einzelnen Handlungen des Lebens, was er dazu sagt.

Wenn sich also, solange die Anthroposophenschar noch klein ist, wenn sich da, sagen wir, menschliche Zusammenhänge, Freund­schaften, Cliquenschaften und dergleichen bilden, dann ist immer notwendiger, daß dieser Unsichtbare gefragt werde, daß alles vor diesem Unsichtbaren gerechtfertigt werden könne.

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Das wird natürlich in demselben Maße immer weniger der Fall sein, je mehr sich Anthroposophie ausbreitet. Aber solange sie noch das Besitztum einer kleinen Schar ist, solange ist es durchaus not­wendig, daß alles, was geschieht, sozusagen unter Anfrage des Men­schen Anthroposophie geschieht. Das gehört zu den Lebensbedingun­gen: die Anthroposophie als ein lebendes Wesen anzusehen. Es darf erst sterben, wenn sich ihre Anhänger ins Unermeßliche vermehrt haben. Also, das ist dasjenige, was notwendig ist: ein wirklicher Ernst im Nachfolgen jenes unsichtbaren Menschen, von dem ich eben gesprochen habe. Der tiefe Ernst, der müßte sozusagen mit jedem Tag wachsen. Wenn dieser tiefe Ernst wächst, dann ist es ganz zweifellos, daß alle Dinge, die gemacht werden, in der rich­tigen Weise auch inauguriert und weitergeführt werden.

Ich will ein Faktum zunächst herausheben. Während die zweite Periode vom Jahre 1907, 1908, 1909 bis 1914 im Wesentlichen die Periode war, welche nach der Gemütsseite, nach der religiösen Er-kenntnis die Anthroposophie weitergebracht hat, trat wiederum in der dritten Periode etwas ein, was schon in der ersten Periode da war, wie ich es gestern geschildert habe. Es trat das ein, daß wie­derum Anthroposophie in eine Beziehung gebracht wurde zum Bei­spiel zur Wissenschaft, zu den verschiedenen Zweigen der Wissen­schaft.

Während des Krieges konnte man schon sehen, wie aus dieser oder jener Ecke heraus dieser oder jener Wissenschafter an die Anthroposophie heranrückte. Damit bekam die Anthroposophische Gesellschaft Mitarbeiter auf wissenschaftlichem Felde. Zunächst taten sich diese Wissenschafter noch nicht hervor. Der wissenschaft­liche Betrieb war bis zum Jahre 1919, 1920 mehr eine Hoffnung, mit Ausnahme dessen, was Dr. Unger aus der «Philosophie der Frei­heit» und anderen Schriften der voranthroposophischen Zeit für die Anthroposophie fruchtbar herausgeholt hat. Im übrigen, wenn wir absehen von dem, was in dieser erkenntnistheoretischen Beziehung weitergebaut worden ist, was ein wichtiges Substantiell-Inhaltliches

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für die weitere Bewegung war, müssen wir eben sagen, daß zunächst beim Beginne der dritten Periode das Wissenschaftliche eine Hoffnung war. Denn dieses Wissenschaftliche machte sich jetzt in der dritten Periode zunächst in genau entgegengesetztem Sinne geltend, wie in der ersten Periode. In der ersten Periode han­delte es sich, wie ich Ihnen gesagt habe, den Leuten, die ich gestern angeführt habe, darum: vor der Wissenschaft die Anthroposophie zu rechtfertigen. Anthroposophie sollte sich eben ihren Paß visieren lassen von der Wissenschaft. Das war die Tendenz in der ersten Periode. Da sie das nicht tun konnte, so versickerte allmählich der wissenschaftliche Betrieb. In der zweiten Periode war er gar nicht da, und gegen das Ende neigte sich die Sache mehr gegen das Künst­lerische hin. Die allgemein menschlichen Interessen nahmen über-hand.

In der dritten Periode kamen wiederum aus den Ecken heraus eben die wissenschaftlichen Aspirationen, aber in entgegengesetzter Weise. Jetzt handelte es sich nicht mehr darum, wenigstens nicht ausgesprochen, die Anthroposophie vor der Wissenschaft zu recht­fertigen, sondern die Wissenschaft von der Anthroposophie her zu befruchten. Jetzt kamen alle möglichen Menschen damit, daß sie sagten: wir kommen mit unserer Wissenschaft nicht mehr weiter, sie muß befruchtet werden. Jetzt handelte es sich nicht mehr darum, wie früher in der ersten Periode, Atomstrukturen zu erfinden, weil man es so gewöhnt war, aus dem Physikalischen, Astronomischen heraus Atomtheorien auch für den Äther- und Astralleib zu finden. Jetzt, nachdem genugsam verfahren war, es in die Wissenschaft hineinzutragen, jetzt handelte es sich um die genau entgegengesetzte Tendenz.

Nun, diese Tendenz - ich will sie heute nur in positivem Sinne besprechen - wird sich nur durcharbeiten können, wird nur zu Nutz und Frommen der anthroposophischen Bewegung sein können, wenn sie den Weg dazu findet, wirklich rein nur aus anthroposophischen Quellen heraus zu arbeiten, so etwa wie im Künstlerischen, sagen

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wir, in der Eurythmie gearbeitet worden ist, und wenn dieses wie­derum mit jenem Ernst geschieht, von dem ich gerade eben gesprochen habe. Solange noch immerhin sehr viel von dem, was heutzutage wissenschaftliche Denkweise ist, unbewußt in die anthroposophische Bewegung hereingetragen wird, solange wird es nicht fruchtbar weitergehen.

Namentlich wird es nicht fruchtbar weitergehen, solange der Glaube herrscht, daß man diejenigen, die heute offizielle Vertreter der Wissenschaft sind, von irgend etwas überzeugen könne, ohne daß sie selbst in die anthroposophische Orientierung hereinkommen. Sie müssen erst in die anthroposophische Orientierung hereinkom­men, dann läßt sich mit ihnen reden. Wir haben gegenüber denen, die die Anthroposophie heute bekämpfen, nur die Aufgabe, klar zu zeigen, wo sie die Unwahrheit sagen. Darüber läßt sich reden. Aber über das mehr Rhetorische, über das Inhaltliche läßt sich natürlich mit Menschen nicht reden, die nicht nur sich nicht überzeugen lassen wollen, sondern im Grunde genommen sich gar nicht überzeugen können, weil ihnen die Fundamente fehlen.

Daran muß vor allen Dingen gearbeitet werden, für sich selber auf den verschiedenen Gebieten die Fundamente zu schaffen, diese aber wirklich aus dem Zentrum der Anthroposophie heraus zu schaf­fen, aus den zentralen Quellen heraus zu arbeiten.

Und wenn dann nach dem Kriege versucht worden ist, allerlei praktische Lebensaufgaben, Weltaufgaben zu ergreifen, so handelte es sich wieder darum, alles aus dem Kern des Anthroposophischen heraus zu gestalten, und einzusehen, daß es nun gerade mit solchen praktischen Lebensaufgaben am allerwenigsten möglich ist, auf irgendwelche Kompromisse zu rechnen. Einzig und allein darum kann es sich handeln, dasjenige der Welt zu sagen, was aus dem anthroposophischen Zentrum heraus zu sagen ist, und dann zu war­ten, wieviele Menschen ein Verständnis dafür haben. Jedenfalls darf nicht mit irgend etwas, das aus dem anthroposophischen Zentralen heraus geholt wird, so vor die Welt getreten werden, daß man sagt:

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da ist eine Partei, die kann man vielleicht gewinnen, da ist ein Mensch, den kann man vielleicht gewinnen. Das geht nicht. Das gibt es nicht. Das widerspricht den innersten Lebensbedingungen der anthroposophischen Bewegung. Wenn da eine Frauenbewegung, dort eine soziale Bewegung ist, und irgend jemand die Meinung hat:

da muß man herein, da muß man Kompromisse schließen, denn die Leute sind von der einen oder von der anderen Seite nahe an der Anthroposophie, so geht das nicht, so geht es absolut nicht. Sondern es handelt sich darum, für Anthroposophie soviel innere Sicherheit zu haben, daß man wirklich dazu kommt, wo immer man steht, das Anthroposophische zu vertreten.

Ich möchte Ihnen ein anderes drolliges Beispiel dafür sagen. Nicht wahr, wenn man es mir übelgenommen hat, daß ich die theo­sophische Bewegung zum Felde meiner Tätigkeit gemacht habe, so sage ich dagegen immer: ich werde überall Anthroposophie vertre­ten, wo man es verlangt, ganz gleichgültig, wo; wo man es verlangt, werde ich es tun. Ich habe es an den Orten getan, wo ich es nur einmal habe tun können, aus dem einfachen Grunde, weil die Leute ein zweites Mal nichts mehr hören wollten von mir. Aber ich habe nicht so gesprochen, daß sie bei ihrer Seelenverfassung durch äußer­liche Mittel hätten gewonnen werden können, die Sache ein zweites Mal wieder zu hören. Das ist eben das, was vermieden werden muß. Wenn die Leute verlangen, etwas zu hören, muß man ihnen Anthro­posophie bringen, reine Anthroposophie, die aber mutvoll aus dem innersten Kern heraus gebracht ist.

Ich möchte sagen, diese Dinge sind ja wie zur Illustration, wirk­lich nur wie zur Illustration, im Laufe der anthroposophischen Be­wegung schon gemacht worden. Da sind wir zum Beispiel einmal in eine Spiritistengesellschaft in Berlin eingeladen worden, ich solle über Anthroposophie reden. Es ist mir gar nicht eingefallen, nein zu sagen. Warum sollten die Leute nicht ein Recht haben, so etwas zu hören. Ich hatte meinen Vortrag gehalten und habe gleich nach dem Vortrage gesehen, wie ungeeignet diese Menschen sind, und wie

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sie eigentlich in Wirklichkeit von mir nichts weiteres hören wollten. Denn es ist nämlich etwas ganz Kostbares passiert nach diesem Vor-trage: ich wurde sogleich mit Stimmeneinhelligkeit zum Präsidenten dieser Gesellschaft gewählt. Frau Dr. Steiner und deren Schwester, die mit waren, wußten gar nicht, wie ihnen wird. Was tut man jetzt? sagten sie. Man ist Präsident von einer solchen Gesellschaft! Was tut man? Ich sagte einfach: Nicht mehr hingehen! Denn es war ja das ganz Selbstverständliche. Die Leute bewiesen durch das ganz blödsinnige Wählen eines Menschen zum Präsidenten, der zum ersten Mal gehört worden war, daß sie etwas ganz anderes wollten als Anthroposophie. Sie wollten nämlich die Anthroposophie spiritistisch machen und glaubten, daß sie das durch so etwas erreichen würden. Aber solche Erfahrungen kann man ja die verschiedensten machen.

Also es handelt sich wirklich niemals darum, vor irgendeinem Menschen die Anthroposophie nicht zu vertreten. So wurde ich ein­mal eingeladen über Anthroposophie zu sprechen in der Gottsched­Gesellschaft in Berlin. Ja, warum hätte ich nicht sprechen sollen? Aber es handelte sich darum, wirklich nichts dem Anthroposo­phischen nachzugeben.

Das war die besonders schwierige Aufgabe in der Zeit, nachdem der «Aufruf an das deutsche Volk und die Kulturwelt» geschrieben war, und die «Kernpunkte der sozialen Frage» erschienen waren. Da handelte es sich wirklich darum, nach keiner Seite hin etwas an­deres zu tun, als dasjenige geltend zu machen, was aus diesem Quell heraus geltend gemacht werden konnte, und dann abzuwarten, wer dazu kommen will.

Ich muß heute noch meine Überzeugung aussprechen: hätten wir das getan, hätten wir einfach uns auf den positiven Boden des­jenigen gestellt, was in jenem Aufruf und in jenem Buche enthalten war, ohne Anknüpfung zu suchen an diese oder jene Partei, was von mir durchaus immer abzulehnen war, dann würden wir heute eben nicht gestrauchelt sein mit dem, was von dieser Seite her gekommen ist, sondern wir würden wahrscheinlich doch einige Früchte zu verzeichnen

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haben. Während wir so gar keine Früchte auf diesem Felde zu verzeichnen haben, meine lieben Freunde.

Das ist eben Lebensbedingung einer solchen Gesellschaft, daß immer die Möglichkeit gefunden werde, aus dem Geiste selber her­aus zu arbeiten. Natürlich braucht man deshalb durchaus nicht zu glauben, daß damit das Unsinnige gefordert ist, daß man überall mit der Tür ins Haus fallen soll, oder daß man überall ohne Anpas­sung an das Leben sein soll, daß man lebensunpraktisch werden soll. Heute ist das Gegenteil sogar noch notwendig, heute ist es notwen­dig, dem sogenannten praktischen Leben etwas Lebenspraxis einzu­fügen. Denn wer die Bedingungen des Lebens überhaupt kennt, dem kommt dieses heutige Leben so vor - nun ja, wie das der «wirklich praktischen Leute», die so wirklich praktisch im Leben stehen, daß sie sofort hinfallen, wenn sie auf ihren zwei Beinen stehen wollen. Das nennt man ja heute vielfach praktisches Leben. Wenn diese wirklichen Lebenspraktiker in eine geistige Bewegung eindringen, dann steht es schlimm um diese geistige Bewegung.

Wie gesagt, ich möchte heute mehr das Positive der Sache berüh­ren, möchte nicht, was ich ja öfter getan habe, an dem, was gesche­hen ist, Kritik üben, sondern nur zeigen, wie die Dinge verlaufen sollten. Also nicht darum handelt es sich, bei dem geraden Wege so zu gehen, daß man sagt: ich gehe meinen geraden Weg, und man sich, wenn ein Pfeiler da ist, mit dem Schädel anstößt; man weicht natürlich aus, man benützt natürlich dasjenige, was einen praktisch vorwärtsbringt. Aber darum handelt es sich, daß man in alles den Impuls, der aus dem Zentralen selber herauskommt, durchaus hineinlegt.

Wenn in einer solchen Weise vorwärts gegangen würde, dann würde man schon sehen, daß in der Tat die Anthroposophische Ge­sellschaft, nicht jetzt in einer trivialen oder in einer konventionellen Weise, sondern in einer berechtigten Weise endlich darüber hinaus­kommen würde, daß sie von der Mitwelt als eine bloße Sekte genom­men wird.

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Was nützt es denn, wenn wir den Leuten immer wieder und wie­derum sagen, wir seien keine Sekte, wenn wir uns so verhalten, wie wenn wir eine Sekte wären. Denn, sehen Sie, was vor allem verstan­den werden sollte durch die Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft, das ist die Bedingung einer Gesellschaft überhaupt in der modernen Zeit. Eine Gesellschaft kann gar nicht eine Sekte sein. Daher darf eigentlich gar niemals, wenn die Anthroposophische Gesellschaft auf ihrem richtigen Boden stehen soll, das «wir» mit Bezug auf die Anschauungen eine Rolle spielen. Immer wieder und wiederum hört man von Anthroposophen der Außenwelt gegenüber sagen: wir, die Gesellschaft, haben diese oder jene Anschauung. Mit uns geschieht das oder jenes. Wir wollen dies oder jenes. Das war in alten Zeiten möglich, daß in einer solchen Konformität Gesellschaften vor die Welt sich hinstellten. Das ist in unserer Zeit nicht mehr möglich. In unserer Zeit muß gerade innerhalb einer solchen Gesellschaft jeder einzelne Mensch ein wirklich freier Mensch sein. Anschauungen, Gedanken, Meinungen hat nur jeder einzelne. Die Gesellschaft hat keine Meinung. Und das muß schon im sprachlichen Ausdruck, mit dem der einzelne von der Gesell­schaft spricht, zum Ausdruck kommen. Das «wir» muß eigentlich schwinden.

Damit ist noch etwas anderes verbunden. Wenn dieses «wir» schwindet, dann fühlt sich nicht jeder in der Gesellschaft wie in einem Wassertümpel drinnen, von dem er getragen wird, und auf den er sich entsprechend beruft, wenn es darauf ankommt. Sondern, wenn er in der Gesellschaft seine eigene Meinung und sich selbst vor allen Dingen zu vertreten hat, fühlt er sich auch für dasjenige voll verantwortlich, was er als einzelner, als Individualität spricht.

Diese Verantwortlichkeit ist dasjenige, was immer größer und größer werden muß, solange die Gesellschaft noch eine kleine Schar ist. Da es nun einmal durch die Lebensusancen bisher nicht erreicht worden ist, daß die Anthroposophische Gesellschaft von der Außen­welt als eine eminent moderne Gesellschaft aufgefaßt wird - weil

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diese Lebensusancen immer wieder und wiederum es mit sich ge­bracht haben, daß der Ausdruck, wir glauben das, wir meinen das, wir sind dieser Ansicht, das ist unsere Weltanschauung und der­gleichen, so vielfach vor die Welt eben hingestellt worden ist, sodaß die Welt draußen heute meint: da ist eine kompakte Masse, die hat diese Anschauung, wenn man in sie eintreten will, muß man sich dieser gemeinsamen Meinung verschreiben, was natürlich jede selb­ständige Seele abstößt -, nachdem das schon einmal geschehen ist, muß heute an eine Maßregel gedacht werden, an die vielleicht vor einem Jahre noch nicht gedacht zu werden brauchte. Weil die Dinge noch nicht so weit vorgeschritten waren, weil man damals noch nicht mit Carbonari und Sowjetregierung und irischem Republikanismus zusammengestellt worden ist - natürlich das alles mit bestimmten hinterlistigen Zwecken -, so erscheint es heute schon wie eine Not­wendigkeit, darüber ernstlich nachzudenken, wie man die drei Punkte beseitigen kann, die immer wieder und wieder angeführt werden: Brüderlichkeit ohne Unterschied von Rasse und so weiter, und dann vergleichendes Studium der Religionen und Studium der spirituellen Welten und spirituellen Methoden. Indem diese drei Punkte angeführt werden, macht das den Eindruck vor der Welt, als ob man auf diese drei Punkte zu schwören hätte. Man muß eine ganz andere Form finden, und vor allen Dingen muß man dafür eine Form finden, daß jeder, der sich eben nicht einer Meinung ver­schreiben will, sondern der Interesse hat für die Pflege geistigen Lebens, nicht die Meinung zu haben braucht, er verschreibe sich in der Seele mit Haut und Haar bestimmten Meinungen. Das ist das­jenige, worüber heute eben nachgedacht werden muß, weil das zu den Lebensbedingungen der Gesellschaft gehört, nachdem wir die besondere Konfiguration der dritten Epoche erlebt haben.

Ich bin oftmals gefragt worden von diesem oder jenem, ob er denn der Anthroposophischen Gesellschaft beitreten kann oder nicht, da er sich noch nicht bekennen kann zu dem, was die Anthro­posophie vorschreibt. Ich habe gesagt, das wäre eine traurige Gesellschaft

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im heutigen Sinne, die ihre Mitglieder rekrutieren wollte aus denjenigen, die sich bekennen zu dem, was nun da vorgeschrieben wird. Es wäre ja etwas Entsetzliches. Ich sagte immer, es kann sich bei der ehrlichen Mitgliedschaft um nichts anderes handeln, als daß man das dadurch ausdrückt: man hat ein Interesse daran, daß es eine Gesellschaft gibt, die überhaupt den Weg zur geistigen Welt hin sucht. Ein Interesse hat man daran. Wie das dann gemacht wird, das ist Angelegenheit derjenigen, die in der Gesellschaft drinnen sind. Dazu trägt der eine dies, der andere jenes bei.

Ich kann durchaus verstehen, daß jemand nicht einer Gesellschaft angehören will, bei der er sich zu Glaubensartikeln verpflichten muß. Aber dann, wenn man sagt: wer Interesse hat für die Pflege des geistigen Lebens, kann in dieser Gesellschaft sein, dann werden sich diejenigen finden, die ein solches Interesse haben. Und die anderen, nun, die werden draußen bleiben, aber die werden immer mehr und mehr in die Absurdität des Lebens hineingeführt werden.

Wenn man anfängt, über solche Bedingungen des Lebens der Anthroposophischen Gesellschaft nachzudenken, wenn man nicht im alten Trott immer fortvegetieren will, dann erfüllt man wirklich erst die Lebensbedingungen der Gesellschaft. Also erst wenn diese Gesellschaft tatsächlich darauf kommt, die Dinge in vollständig freier Weise zu behandeln ohne Engherzigkeit, nur mit Weitherzig­keit, dann ist es möglich, daß diese Gesellschaft tatsächlich das wird, was sie werden soll dadurch, daß sie die anthroposophische Bewe­gung in sich hat, denn die anthroposophische Bewegung, die knüpft überall in positiver Weise, ohne Kompromiß, aber in positiver Weise an dasjenige an, was in der Gegenwart vorhanden ist, und was irgend­welche Fruchtbarkeit in die Zukunft hinein haben kann.

Für diese Dinge müßte man eben sich ein feines Verständnis erwerben. Und es ist notwendig, daß, ich möchte sagen, in den aller­nächsten Wochen ein solches feines Verständnis von den Anthro­posophen erworben werde. Dann werden die weiteren Wege schon gefunden werden. Das wird schon die Praxis ergeben.

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Aber nur derjenige wird in dieser Richtung denken können, der aus dem Engeren seiner Persönlichkeit nun radikal herausgeht, und bei dem wirklich das anfängt, daß es ihm um die Sache zu tun ist, daß tatsächlich die Anthroposophie als ein selbständiges unsichtbares Wesen von ihm anerkannt wird.

Ich mußte natürlich von der dritten Periode anders sprechen, als von den beiden vorangehenden. Denn die beiden vorangehenden sind eigentlich schon Geschichte. Die dritte, obwohl wir an ihrem Ende stehen, ist Gegenwart, und jeder müßte eigentlich die Be­dingungen dieser Gegenwart kennen. Bis ins einzeinste müssen wir uns schon durchaus zu solchen Richtlinien hindurcharbeiten. Diese Richtlinien sind nicht Dogmen, sondern sie ergeben sich einfach als das Selbstverständliche.

Dasjenige, was also noch zu sagen ist, werde ich morgen vorbrin­gen. Wir wollen dann sehen, ob wir diese Vorträge damit ab-schließen können.

ACHTER VORTRAG 17. Juni 1923

#G258-1959-SE161 Die Geschichte und die Bedingungen der Anthroposophischen Bewegung ...

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ACHTER VORTRAG

17. Juni 1923

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Wir werden heute zu einer Art von Abschluß unserer Betrachtun­gen kommen müssen, und der wird, wie es eigentlich selbstverständ­lich ist und auch gestern schon erwähnt worden ist, davon handeln müssen, was sich nun als die notwendige Konsequenz ergibt für das Handeln der Anthroposophischen Gesellschaft in die Zukunft hin-ein. Machen wir uns, um dieses Handeln etwas charakterisieren zu können, doch nur einmal klar, wie Anthroposophie herausgewach­sen ist aus der ganzen Zivilisation der neueren Zeit.

Sie werden gesehen haben aus den Betrachtungen, die wir acht Tage hindurch gepflogen haben, wie gewissermaßen das Publikum für die Anthroposophie zunächst innerhalb derjenigen Kreise ge­sucht werden mußte, die einen starken Anstoß bekommen haben nach der Richtung zu einer geistigen Vertiefung hin. Dieser Anstoß kam von den verschiedensten Seiten her. Aber hier war es nötig zunächst nur, den hauptsächlichsten Anstoß für die heimatlosen Seelen zu suchen bei dem, was durch Blavatsky, ich möchte sagen, als Rätsel der neuesten Zeit aufgegeben worden ist.

Nun, das haben wir ja betrachtet. Aber wenn wir so auch für die Anthroposophische Gesellschaft bis zu diesem Anstoß zurückgehen müssen, so muß sich uns auf der anderen Seite auch ergeben haben, wie für die Anthroposophie selbst ein solcher Anstoß, oder gerade dieser Anstoß nicht das Wesentliche war. Denn Anthroposophie selbst geht zu anderen Quellen zurück. Wenn auch gerade, weil in der geschilderten Art ihr Publikum sich ergeben hat, selbst in der Ausdrucksform für das anthroposophische Weisheitsgut im Beginne Worte gebraucht worden sind, die diesen heimatlosen Seelen von

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jener Seite her, die mit Blavatsky zusammenhängt, geläufig waren, so waren das eben doch Ausdrucksformen. Wenn Sie in die ersten Schriften von mir selbst zurückgehen, «Das Christentum als mystische Tatsache», «Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens», so werden Sie sehen, daß diese Schriften eigentlich in keiner Weise zurückführen zu irgend etwas, was von Blavatskys Seite her, oder überhaupt von jener Seite her gekommen ist, mit Ausnahme eben der Tatsache, daß die Ausdrucksform zunächst so gewählt worden ist, daß ein Verständnis erzielt werden konnte.

Also man muß unterscheiden zwischen demjenigen, was als eigentliche Geistessubstanz durch die anthroposophische Bewegung geflossen ist, und demjenigen, was zunächst aus den Zeitverhält-nissen heraus die Ausdrucksform sein mußte. Daß auf diesem Ge­biete Irrtümer entstehen können, das rührt nur davon her, daß die Menschen in der Gegenwart so wenig geneigt sind, von der äußeren Ausdrucksform aus zurückzugehen zu dem, was eigentlich das Wesen der Sache ist. Anthroposophie führt in gerader Linie zurück zu demjenigen, was, allerdings auf philosophischeArt, angeschlagen ist in meiner «Philosophie der Freiheit», was angeschlagen ist in meinen Goetheschriften der achtziger Jahre. Wenn Sie das nehmen, was dort in diesen Goetheschriften und in der «Philosophie der Freiheit» als Hauptsächlichstes angeschlagen ist, so ist es dies, daß der Mensch im Innersten seines Wesens in Verbindung ist mit einer geistigen Welt, daß er also dann, wenn er nur tief genug in sein eigenes Wesen zurücksieht, auf etwas kommt in seinem Innern, zu dem die gebräuchliche, die damals und heute noch gebräuchliche Naturwissenschaft nicht vordringen kann, das nur betrachtet werden darf als unmittelbares Glied einer geistigen Weltordnung.

Daß gegenüber der ungeheuren, ich möchte sagen, geistigen Sprachverwirrung, die schon einmal diese neuere Zivilisation für alle Länder hervorgebracht hat, manchmal zu Ausdrücken die Zuflucht genommen werden mußte, die paradox klangen, das sollte man eigentlich als eine Notwendigkeit einsehen. So habe ich durch die

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Goetheschriften, ich möchte sagen, hindurchschimmern lassen, daß es nötig ist, wenn man von der Betrachtung der Welt zu der Betrach­tung des Göttlich-Geistigen aufsteigt, eine Modifikation des Begrif­fes der Liebe vorzunehmen. Ich habe schon in den Goetheschriften angedeutet, daß die Gottheit so vorzustellen ist, daß sie in unend­licher Liebe in das Dasein ausgeflossen ist und in jedem einzelnen Wesen nun gesucht werden müsse, was etwas ganz anderes gibt als einen verschwommenen Pantheismus. Nur war gar nicht in jener Zeit die Möglichkeit vorhanden, irgendwie, sagen wir, einen philo­sophischen Anknüpfungspunkt zu gewinnen. Denn so leicht es ge-wesen wäre, dann mit einer solch spirituellen Weltanschauung durchzudringen, wenn das Zeitalter philosophische Begriffe gehabt hätte, an die hätte angeknüpft werden können, so schwer war es gegenüber dem, was dazumal mehr oder weniger als ein aufgewärm­ter Kantianismus in der Philosophie da war, irgendeinen Anknüp­fungspunkt zu gewinnen. Daher war es notwendig, diesen Anknüp­fungspunkt bei einem reicheren, intensiveren Leben zu suchen, bei einem Geistesleben, das eben innerlich, ich möchte sagen mit spiri­tueller Substanz durchtränkt ist.

Ein solches Geistesleben war eben dasjenige, was in der Erschei­nung Goethes einem entgegentrat. Daher konnte ich, als ich die Ideen, die in Betracht kommen, zuerst zu veröffentlichen hatte, nicht etwa mit einer Erkenntnistheorie an dasjenige anknüpfen, was dazu­mal in der Zeitzivilisation war, sondern es mußte an die Goethesche Weltanschauung angeknüpft werden, und mit Hilfe derGoetheschen Weltanschauung konnte der erste Schritt hinein in die geistige Welt gemacht werden.

Bei Goethe öffnen sich in einer gewissen Beziehung zwei Tore in die geistige Welt hinein, die, man möchte sagen, bis zu einem gewissen Grade den Zugang ergeben. Das eine Tor wird gefunden da, wo eine Betrachtung von Goethes naturwissenschaftlichen Schrif­ten einsetzt. Denn mit dieser naturwissenschaftlichen Anschauung, die Goethe ausgearbeitet hat, hat er innerhalb der Pflanzenwelt dasjenige

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überwunden, woran eigentlich die ganze neuere Naturwissen­schaft noch immer krankt. Ihm gelang es, bewegliche, lebendige Ideen an die Stelle der toten Ideen für die Betrachtung der Pflanzen­welt zu setzen. Wenn Goethe auch mit seiner Metamorphosenlehre dem Tierreiche gegenüber gescheitert ist, war es doch immerhin noch möglich, darauf hinzuweisen, daß eine ähnliche, nur gestei­gerte, von Goethe noch nicht ausgebildete Betrachtungsweise auch für das Tierreich einsetzen könne. Ich habe in meiner «Erkenntnis­theorie der Goetheschen Weltanschauung» versucht zu zeigen, wie man bis zu der Geschichte, bis zum geschichtlichen Leben herauf, zunächst skizzenhaft hat dringen können mit dem, was da an leben­digmachenden Ideen entstanden ist. Das war das eine Tor.

Nun gibt es bei Goethe keine gradlinige Fortsetzung in die wirk­liche geistige Welt hinein von diesem Ausgangspunkte aus, sondern man kann von diesem Ausgangspunkte aus gewissermaßen nur bis zu einem bestimmten Niveau hin arbeiten. Dann hat man während dieses Arbeitens das Gefühl: man ergreift die sinnliche Welt auf eine geistige Art. Indem man die Goethesche Methode anwendet, bewegt man sich eigentlich in einem geistigen Elemente. Wenn man auch diese Methode auf die sinnliche Pflanzenwelt oder auf die sinnliche Tierwelt anwendet, man ergreift mit dieser Methode das­jenige, was als Geistiges in der Pflanze, in der Tierwelt lebt und webt.

Aber Goethe hat auch noch ein anderes Tor in Aussicht genom­men. Das trat am stärksten hervor dann, wenn man einsetzte bei etwas, was Goethe nur in der Lage war, bildhaft, man möchte sagen, halb symbolisch anzudeuten: bei seinem «Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie», durch das er darstellen wollte, wie Geistiges, Spirituelles im Werden der Welt tätig ist, wie die einzel­nen Sphären des Wahren, des Schönen, des Guten zusammenwirken, und wie wirkliche geistige Wesenheiten ergriffen werden müssen, nicht bloße abstrakte Begriffe, wenn man zu einer Betrachtung des wirklichen geistigen Lebens kommen wollte.

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Es war also die Möglichkeit vorhanden, zunächst an diesem Punkte der Goetheschen Weltanschauung anzuknüpfen. Aber dann ergab sich erst recht eine gewisse Notwendigkeit. Denn, was ja vor allen Dingen heute dem Menschen vor Augen tritt, wenn es sich um eine Weltanschauung für die heimatlosen Seelen handelt, das ist das Moralisch-Ethische, das sittliche Leben. In jenen alten Zeiten, in denen die Menschen mit einem ursprünglichen Hellsehen zu der Anschauung des Göttlich-Geistigen sich erhoben, war es eine Selbst-verständlichkeit, daß von diesem Göttlich-Geistigen, zu dessen An­schauung man sich erheben konnte, auch die sittlichen Impulse her­kamen. Wenn wir in sehr alte Zeiten der Menschheitsentwickelung zurückschauen, dann stellt sich die Sache so dar, daß der Mensch in seinem ursprünglichen primitiven Hellsehen, sagen wir in der guten alten Zeit, bei seinem Aufschauen zu dem Göttlich-Geistigen, zu den wesenhaften Kräften emporblickte, welche die Natur­erscheinungen regeln. Und in den Naturerscheinungen, in Wind-und Wetterwirkungen, in Erdenwirkungen, in mechanischen Wir­kungen konnte dieser Mensch einer ursprünglichen Zeit die Fort­setzung dessen sehen, was er an Göttlich-Geistigem wahrnahm. Aber er konnte zu gleicher Zeit von diesem GöttlichGeistigen die Impulse für sein Handeln empfangen. Das ist ja das Eigentümliche der alten Weltanschauungen, die noch mit dem primitiven Hell-sehen zusammenhingen, daß, sagen wir mit Bezug auf die altägyp­tische Zeit, die Menschen hinaufgesehen haben zu den Sternen, um die Erdenwirkungen zu erkennen; selbst um für ihr Bedürfnis die Überschwemmungsverhältnisse des Nils zu erkennen. Aus dem Gang der Sterne, aus der Gesetzmäßigkeit der Sterne haben sie das­jenige hergeleitet, was sie für die Erdenwelt in ihrer Naturordnung interessiert hat. Aber in derselben Weise haben diese Menschen das­jenige, wenn ich mich so ausdrücken darf, berechnet, was sittliche Impulse werden sollten. Aus der Sternenbeobachtung wurden auch die sittlichen Impulse geholt.

Sehen wir dann, wie die Lage in der neueren Zeit geworden ist,

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so müssen wir sagen: Sternenbeobachtung wird nur noch in mathematischer Beziehung gemacht, wobei nichts anderes zustande kommt, als daß man die irdische Mathematik hinaufträgt in den Sternenhimmel. Und auf der Erde werden sogenannte Naturgesetze gesucht und gefunden. Diese Naturgesetze, die auch schon Goethe gefunden hat, die er dann in lebendige Ideen umgestaltet hat, haben, sobald es sich um Weltanschauungen handelt, eine gewisse Eigen-tümlichkeit, und diese Eigentümlichkeit ist diese, daß der Mensch von der Welt ausgeschaltet wird, wenn er sich an die Naturgesetze halten soll, daß der Mensch mit seinem ureigensten Wesen nicht mehr in der Welt drinnensteht.

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Wenn Sie sich das graphisch vorstellen, wie das in den alten Weltanschauungen war, so war auf der einen Seite das Göttlich-Geistige (rot). Das Göttlich-Geistige drang in die Naturerscheinun­gen. Es wurden Gesetze für die Naturerscheinungen gefunden. Die aber erkannte man als etwas, was eine Art Reflex war des göttlich-geistigen Wirkens in der Natur (gelb). Außerdem war der Mensch

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da (hell). In den Menschen strahlte dasselbe Göttlich-Geistige hin­ein (rot). Da stand der Mensch innerhalb der Weltenordnung drinnen. Er bekam sozusagen seinen Substanzgehalt von dem Göttlich-Gei­stigen, von dem die Natur diesen Substanzgehalt bekam. Was trat ein? Man muß das, was eigentlich eingetreten ist, nur in vollem Ernst betrachten. Das trat ein, daß gewissermaßen durch die Natur-wissenschaft der Zusammenhang der Natur mit dem Göttlichen gestrichen worden ist. Weg ist das Göttliche von der Natur, und in der Natur selbst werden die Reflexe des Göttlichen als Naturgesetze konstatiert, und man redet von Naturgesetzen.

Den Alten waren diese Naturgesetze Gottesgedanken. Den Neueren sind sie noch immer Gedanken, denn man muß sie ja mit Gedanken fassen. Aber das soll sich in irgendeiner Weise aufklären in den Naturerscheinungen, die in dem darinnen liegen, was die Naturgesetze sind. Von einem Gesetz der Schwere, von Brechungs­gesetzen des Lichtes, von allen solchen schönen Dingen redet man nun. Aber das hat gar keinen Boden, beziehungsweise keine Höhe, weil es nur einen Sinn hat, von all diesen Gesetzen zu reden, wenn man von ihnen reden kann als von Reflexen des göttlich-geistigen Wirkens in der Natur.

Das ist es, was der tiefere Mensch, die heimatlose Seele bei allem heutigen Reden über die Natur fühlt. Sie fühlt, daß diejenigen, die über die Natur reden, mit den Goetheschen Worten belegt werden müssen, oder eigentlich mit den mephistophelischen: spottet ihrer selbst und weiß nicht wie. Man redet von Naturgesetzen, aber diese Naturgesetze sind dasjenige, was von den Anschauungen der Alten übrig geblieben ist. Nur hatten die Anschauungen der Alten noch zu diesen Naturgesetzen dasjenige dazu, was diese Naturgesetze mög­lich machte.

Denken Sie sich einmal, Sie haben einen Rosenstrauch. Sie können immer wieder Rosen auf dem Rosenstrauch haben. Wenn die alten abdorren, wachsen neue. Wenn Sie aber die Rosen abpflücken und den Rosenstrauch zugrunde gehen lassen, können Sie nicht immer

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neue Rosen haben. So aber ist es mit der Naturwissenschaft gesche­hen. Es war ein Rosenstrauch da. Seine Wurzeln waren in der Gott­heit. Die Gesetze, die man in der Natur fand, waren die einzelnen Rosen. Diese Gesetze hat man gepflückt. Die Rosen hat man ge­pflückt. Den Rosenstrauch hat man verdorren lassen. So haben wir jetzt in den Naturgesetzen etwas, was da ist wie die Rosen ohne Rosenstrauch. Davon haben die Menschen nichts. Sie ahnen nichts in dem Kopfe, auf den so viel in der neueren Zeit gegeben wird. Aber die Menschen, die da heimatlose Seelen sind, ahnen davon sehr viel in ihren Herzen, denn sie können mit den Naturgesetzen nichts anfangen. Sie fühlen: diese Naturgesetze verdorren, wenn man sich als Mensch ihnen gegenüberstellen will.

So steht die moderne Menschheit, insofern sie fühlen kann, inso­fern sie ein Herz im Leibe hat, unbewußt unter dem Eindrucke: da wird uns über die Natur etwas gesagt, was uns verdorrt, und was uns als Menschen sogar verdorren macht. Die Menschheit wird nun durch furchtbaren Autoritiätsglauben gezwungen, dieses als die reine Wahrheit aufzunehmen. Während sie mit dem Herzen fühlt, daß die Rosen verdorren, wird sie gezwungen zu dem Glauben, daß diese Rosen die ewigen Weltwesenheiten sind. Man redet von den ewigen Weltgesetzen. Die Erscheinungen gehen vorüber, die Gesetze aber bleiben immer da. Weil dasjenige, was der Mensch aus sich selber heraus als sein Selbstbewußtsein gestalten will, Anthropo-sophie ist, so ist die Naturwissenschaft Anti-Anthroposophie.

Sehen wir noch nach der anderen Seite, nach der ethisch-mora­lischen Seite hin. Aus demselben Quell der Gottheit kamen die sittlich-moralischen Impulse. Aber geradeso, wie man die Natur­gesetze zu verdorrenden Rosen macht, so machte man die sittlichen Impulse zu verdorrenden Rosen. Die Wurzel war überall weg, und so schwirrten die sittlichen Impulse als Sittengebote, deren Einwur­zelung man nicht kannte, in der Zivilisation umher. Den Menschen war nichts anderes möglich, als zu empfinden: die sittlichen Gebote sind da. Aber der göttliche Ursprung war nicht da und jetzt entstand

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die notwendige Frage: wohin soll es denn kommen, wenn die Sitten­gebote nicht befolgt werden? Es kommt zum Chaos, zur Anarchie in der menschlichen Sozietät.

Aber auf der anderen Seite steht das: Wie wirken denn diese Ge­bote? Wo wurzeln sie? Man fühlte auch da das Verdorrende. Das wurde die große Frage, das wurde die Frage, die sich aus dem Goetheanismus ergab, aber innerhalb des Goetheanismus selber nicht beantwortet werden konnte. Goethe setzte, ich möchte sagen, zwei Ausgangspunkte hin, die sich zwar konvergierend gegeneinander bewegten, aber nicht zusammenkamen. Dasjenige, was notwendig ist, notwendig war, das ist die Philosophie der Freiheit.

Es mußte gezeigt werden, wo im Menschen selber das Göttliche lebt, in dem er sowohl die Geistigkeit der Natur, wie namentlich die Geistigkeit der Moralgesetze gründen kann. Das führte zu dem Intuitismus der Philosophie der Freiheit, zu dem, was die Leute ethischen Individualismus nannten. Ethischen Individualismus aus dem Grunde, weil in jedem einzelnen menschlichen Individuum der Quell für die sittlichen Impulse in jenem Göttlichen nachgewiesen werden mußte, womit der Mensch im Innersten seines Wesens zu­sammenhängt.

Nachdem das Zeitalter eingetreten war, wo man auf der einen Seite für die Naturgesetze, auf der anderen Seite für die Moral-gebote die Lebendigkeit verloren hatte, weil man im Äußeren das Göttliche nicht mehr fand - im Zeitalter der Freiheit konnte es nicht anders sein -, war es notwendig, im Menschen - denn der Mensch tritt uns zunächst als Individualität entgegen - dieses Göttlich-Geistige zu finden. Damit war aber eine Weltanschauung gewonnen, die Sie sich nur klar machen wollen, dann werden Sie sehen, daß in ihrer gradlinigen Fortsetzung dasjenige liegt, was wir heute Anthroposophie nennen.

Nehmen Sie an - es ist etwas primitiv gezeichnet, aber es mag doch gelten - wir haben hier Menschen. Die Menschen hängen in ihrem innersten Wesen mit einem Göttlich-Geistigen zusammen

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(rot). Dieses Göttlich-Geistige bildet sich zu einer göttlich-geistigen Weltordnung (gelb). Dadurch, daß das Innere aller Menschen in ihrem Zusammenwirken geschaut wird, dringt man nunmehr in das Göttlich-Geistige ein, wie man in alten Zeiten in das Göttlich-Geistige eingedrungen ist, wenn man nach außen geschaut hat und durch das primitive Hellsehen das Göttlich-Geistige in den äußeren Erscheinun­gen gefunden hat.

Es handelt sich eben darum, zu dem, was sich auf der einen Seite aus der Goetheschen Weltanschauung ergab, und was auf der anderen Seite einfach aus den Notwendigkeiten der menschlichen Entwickelung am Ende des neunzehnten Jahrhunderts sich ergab, zur Spiritualität vorzudringen; nicht auf eine äußerlich materiali­stische Weise, sondern durch eine wirkliche Erfassung des unmittel­baren Menschenwesens.

Nun, damit war aber eigentlich, wenn man die Sache dem Leben nach betrachtet, nicht der Theorie nach, Anthroposophie begründet. Denn wenn man meinen würde, die «Philosophie der Freiheit» sei doch noch keine Anthroposophie, muß es einem geradeso vorkom­men, wie wenn jemand sagte: Es gab einen Goethe, dieser Goethe hat alle möglichen Werke geschrieben; wir verstehen heute unter Goethe den Schöpfer seiner Werke. Nun aber erwidert ein anderer:

Ja, das ist eine Inkonsequenz, denn es gab 1749 in Frankfurt am

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Main ein kleines Kind, das war sogar schwarz geboren, und man sagte, es könne nicht leben. Wenn man alles anschaut, was um dieses Kind war, da kann man davon doch nicht logisch alle Goetheschen Werke ableiten. Das ist eine Inkonsequenz. Man muß doch Goethe bis zu seinem Ursprung zurückverfolgen. Seht an, ob ihr da den Faust findet bei dem blauschwarzen Knaben, der da 1749 in Frank­furt am Main geboren ist!

Nicht wahr, es ist nicht besonders gescheit, wenn man so etwas sagt. Ebensowenig gescheit ist es aber, wenn man sagt, es sei inkonsequent, daß Anthroposophie aus der «Philosophie der Frei­heib> hervorgegangen ist. Das schwarze Kind in Frankfurt lebte eben weiter, und aus seinem Leben ging dasjenige hervor, was heute als Goethe in der Weltentwickelung lebt. Die «Philosophie der Freiheit» mußte weiterleben. Dann ging die Anthroposophie aus ihr hervor.

Denken Sie sich einmal, wenn an Stelle des Lebens ein philo­sophischer Logiker tritt, und sagt, es muß auf logische Weise ab­geleitet werden aus dem blauschwarzen Knaben von 1749 dasjenige, was in «Faust», in «Wilhelm Meister» und so weiter ist, glauben Sie, er würde auf logische Weise etwas ableiten? Nein, er würde Widersprüche konstatieren, ungeheure Widersprüche. Er wird sa­gen: Das bringe ich nicht in Einklang, was da irgendeiner einmal als «Faust» geschrieben hat, mit dem, was da der blauschwarze Knabe in Frankfurt am Main war, das folgt nicht logisch daraus.

So sagen diejenigen, die nicht mit dem Leben zu tun haben, son­dern mit Schulstaub-Logik: aus der «Philosophie der Freiheit» folgt logisch nicht die Anthroposophie.

Wenn es logisch folgen würde, dann hätten Sie nur sehen sollen, wie all die Schulmeister im Jahre 1894 aus der «Philosophie der Freiheit» heraus die Anthroposophie deduziert hätten! Das haben sie hübsch bleiben lassen. Aber hinterher gestehen sie ein, sie kön­nen es nicht deduzieren, sie bringen das nicht zusammen, machen das zu einem Widerspruch zwischen dem Späteren und dem Frü­heren. Man hat eben in der heutigen Zeit gar nicht die Fähigkeit, da,

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wo man sogenannte Logik, Philosophie und so weiter entwickelt, auf das Leben einzugehen, auf dasjenige, was sprießt und sproßt, was mehr ist, als logischer Pedantismus in ihm sehen kann.

Nun handelte es sich darum, des weiteren zunächst sich ausein­anderzusetzen mit demjenigen, was aus dem unmittelbaren Leben der Gegenwart heraus gewissermaßen nach einer Fortentwickelung der menschlichen Zivilisation aufstrebte.

Sie wissen, ich habe versucht, zwei bedeutende Erscheinungen herauszuheben, um mich mit denen auseinanderzusetzen. Die erste war Nietzsche. Warum das der Fall sein mußte, das werden Sie aus den bisherigen Betrachtungen gesehen haben, denn in Nietzsche trat eben eine Persönlichkeit an die Oberfläche der neueren Zivilisations­entwickelung, die hineinwuchs in die Weltanschauungs entwickelung der Gegenwart, und die im Gegensatz zu den anderen ehrlich war.

Was sagten die anderen? Was fand man als allgemeines Urteil, möchte man sagen, in den neunziger Jahren des neunzehnten Jahr­hunderts? Im allgemeinen Urteil fand man dieses: die Naturwissen­schaft hat selbstverständlich recht. Die Naturwissenschaft, wie sie besteht, ist die große Autorität. Wir stellen uns auf den Boden der Naturwissenschaft, gucken in die Sterne hinauf. Nun, da war ja schon vorliegend das Gespräch zwischen Napoleon und dem großen Astronomen Laplace. Napoleon konnte nicht begreifen, wie man, wenn man mit Teleskopen nach den Sternen sieht, Gott finden könne. Der Astronom sagte ihm: Ich brauche diese Hypothese nicht. Er brauchte die Hypothese natürlich nicht zum Anblicke des Sternen-himmels mit dem Teleskop. Aber er brauchte sie in demselben Mo­mente, wo er Mensch sein wollte. Aber der Anblick des Sternen-himmels mit dem Teleskop gab eben dem Menschtum nichts, nichts gab er ihm. Der Himmel war voller Sterne, aber voller Sinnen-sterne, und im übrigen leer.

Man sah durch die Mikroskope, so weit als man nur sehen kann, bis in die kleinsten Lebewesen, bis in die kleinsten Teile eines Lebe­wesens und so weiter hinein. Man machte die Mikroskope immer

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vollkommener und vollkommener. Aber die Seele fand man nicht. Man konnte noch so lange hineingucken ins Mikroskop, von Seele war es leer. Nichts war da von Seele oder Geist. Nicht in den Ster­nen war etwas da von Seele oder Geist, nicht unter dem Mikroskop war Seele oder Geist zu finden. Und so ging es weiter. Dem sah sich Nietzsche gegenüber. Die anderen, was sagten sie? Man blickt durch das Teleskop in die Sterne, man erblickt dann Sinneswelten, sonst nichts. Aber wir haben ein religiöses Leben, eine Religion, die sagt uns, daß es doch einen Geist gibt. David Friedrich Strauß hat lang gut reden, wenn er die Konsequenz zieht: wo ist jetzt dieser Geist auf wissenschaftlichem Wege zu finden? Wir bleiben dabei stehen, daß uns in den Schriften, die uns überliefert sind, doch vom Geist gesprochen wird. Wir finden ihn zwar nirgends, aber wir bekennen uns zu ihm. Nirgends findet diesen Geist die Wissen­schaft, an die wir verpflichtet sind zu glauben, die deshalb so ist, wie sie ist, weil sie Realität haben will. Wäre sie anders, so hätte sie keine Realität. Also alles, was anders forscht, findet keine Realität! Also wissen wir von der Realität und glauben an dasjenige, was zwar nicht als Realität gefunden wird, wovon uns aber die alten Zeiten erzählen, daß es Realität sein soll.

Das war es, was eine solche Seele, wie die Nietzschesche, die doch ehrlich war, geradezu auseinandertrieb. Nietzsche sagte eines Tages:

da muß ein Strich gemacht werden. Wie machte er das? Er machte das so, daß er sagte: Also nun haben wir die Realität. Die Realität wird erforscht von der Naturwissenschaft. Das andere ist nichts. Das Christentum hat gelehrt, daß der Christus nicht gesucht werden muß in der Realität, die man aufsucht mit Teleskop, Mikroskop. Aber eine andere Realität gibt es nicht. Also gibt es auch keine Be­rechtigung für das Christentum. Also, sagte Nietzsche, schreibe ich den «Antichrist».

Wenn man durch Mikroskop und Teleskop schaut, findet man keine sittlichen Impulse. Die Leute nehmen aber die alten sittlichen Impulse als Gebote an, die herumschwirren oder die von den Behörden

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befohlen werden. Sie sind aber nicht zu finden, wenn man wis­senschaftlich forscht. Also wollte Nietzsche sein zweites Buch nach dem «Antichrist», der das erste Buch sein sollte, in seiner «Umwer­tung aller Werte» schreiben: als zweites Buch, wo er zeigte, daß alle Ideale eigentlich im Nichts sind, denn in der Realität werden sie nicht gefunden, und daß man sie fahren lassen müsse.

Und er wollte sein drittes Buch schreiben. Der Moralismus schöpft gewiß nicht aus dem Teleskop und Mikroskop: also begründe ich, sagte Nietzsche, den Immoralismus. Daher hätten die drei ersten Bücher heißen sollen: Umwertung aller Werte, der Antichrist, erstes Buch; der Nihilismus oder dieAufhebung aller Ideale, zweites Buch; der Irumoralismus oder Aufhebung der gesamten sittlichen Welt­ordnung, drittes Buch.

Das war selbstverständlich etwas Furchtbares, aber es war die letzte ehrliche Konsequenz dessen, was die anderen eigentlich be­gründet haben. Man muß die Dinge so vor die Seele hinstellen, damit man die inneren Nerven der modernen Zivilisation durch­schaut. Damit mußte man sich auseinandersetzen. Es mußte gezeigt werden, in welch ungeheurem Irrtum Nietzsche befangen ist, und wie er richtiggestellt werden muß, so daß man überall seinen Aus­gangspunkt aufnimmt und zeigt, wie diese Ausgangspunkte in der Tat so gefaßt werden müssen, daß sie nicht ins Nichts, sondern in die Spiritualität hineinführen. Es war also eine notwendige Aus­einandersetzung mit Nietzsche da.

Und ebenso mußte mit dem Haecke/ismus eine notwendige Aus­einandersetzung gepflogen werden. Dieser Haeckelismus hatte mit einer gewissen Konsequenz verfolgt, was die Naturwissenschaft aus der Entwickelung der Sinneswesen machen kann. Da mußte eben in der Weise angeknüpft werden, wie ich es Ihnen gleich in den allerersten Betrachtungen dargestellt habe. Ich habe es in den ersten anthroposophischen Vorträgen, die ich überhaupt gehalten habe, mit Hilfe des Buches von Topinard getan. Wenn so vorgegangen wurde, dann ergab sich eben im lebendigen Fortschreiten das Hineinkommen

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in die konkrete spirituelle Welt. Dann ergaben sich die Einzelheiten eben einfach durch weiteres Forschen, durch weiteres Leben mit der spirituellen Welt.

Ich habe dies alles aus dem Grunde gesagt, um das Folgende zu zeigen: Es muß also, wenn Anthroposophie zurückverfolgt wird, zu Bildern unseres neueren Zivilisationslebens zurückgegangen werden. Wenn man die Anthroposophische Gesellschaft verfolgt, muß sie zurückverfolgt werden mit der Frage: wo waren die Menschen, die zunächst eine gewisse Anregung gehabt hatten, um Spirituelles zu verstehen? Das waren eben diejenigen Menschen, die diese An-regungen nach dem Wesen ihrer besonderen heimatlosen Seelen von der Blavatsky-Seite her bekommen hatten.

Dies, was da einfach durch die Zeitverhältnisse im Beginne des zwanzigsten Jahrhunderts nebeneinandergegangen ist, Theoso­phische Gesellschaft und Anthroposophie, das war in der dritten Epoche, die eben ungefähr mit dem Jahre 1914, wie ich es dargestellt habe, begonnen hat, vollständig überwunden. Da war überhaupt nichts mehr von dem da, was eigentlich an die alten Theosophen-Zeiten erinnerte. Bis in die Ausdrucksformen hinein war eigentlich nichts mehr da. Während ohnedies gleich im Beginne des anthropo­sophischen Wirkens die Tendenz auftreten mußte, die spirituelle Betrachtung bis zum Mysterium von Golgatha hinzuführen, bis zu der Durchdringung des Christentums, mußte auf der anderen Seite auch die Tendenz auftreten, nun mit den spirituellen Mitteln die Naturwissenschaft zu ergreifen. Nur, ich möchte sagen, die Erobe­rung jener spirituellen Mittel, durch die man das wahre Christentum vor die Zeit wiederum hinstellen konnte, fällt eben in eine frühere Zeit. Es beginnt schon in der ersten Periode und wird besonders in der zweiten Periode gepflegt.

Dasjenige, was nach den verschiedenen anderen Seiten wirken sollte, das kam eigentlich gemäß der Darstellung, die ich in den letzten Tagen gegeben habe, erst in der dritten Epoche heraus. Da fanden sich innerhalb der anthroposophischen Bewegung wissenschaftlich

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Strebende ein. Für diese wissenschaftlich Strebenden ist, damit nicht immer neue und neue Mißverständnisse in die anthro­posophische Bewegung hineingebracht werden, eben nötig, gerade für die wissenschaftlich Strebenden ist im eminentesten Sinne nötig, sich ganz und gar mit dem zu durchdringen, was ich gestern und schon heute Vormittag hier genannt habe: das Wirken aus dem Zentralen der Anthroposophie heraus. Da ist es wirklich notwendig,

daß man sich über diese Dinge klar ist.

Ich glaube, es war 1908, da habe ich in Nürnberg einmal folgen­des gesagt, um eine ganz bestimmte Tatsache zu charakterisieren:

Wir haben eine starke wissenschaftliche Entwickelung gegeben durch Experimente, die in der neueren Zeit gemacht worden sind. Die Untersuchungen mit Hilfe der Experimente haben außerordent­lich viel zutage gefördert. Die sind überall gut, denn in dem Ex­perimentieren drinnen arbeitet Spiritualität in Form von geistigen Wesenheiten. Meistens, sagte ich dazumal, liegt die Sache so, daß der Gelehrte an den Laboratoriumstisch geht und eigentlich herum-hantiert, so wie es schon einmal die Handhabung ergibt, so wie die Methoden es einmechanisiert haben. Dann aber arbeitet außer ihm eine ganze Schar, möchte ich sagen, von geistigen Wesenheiten, die machen die Sache eigentlich, denn derjenige, der am Laboratoriums­tisch arbeitet, der liefert nur die Gelegenheiten, daß die Dinge nach und nach herauskommen. Wenn das nämlich nicht der Fall wäre, so wäre die Sache in der neueren Zeit nicht so sonderbar gegangen.

Denn sehen Sie, wenn irgend jemand auf etwas gestoßen ist, wie zum Beispiel Julius Robert Mayer auf seiner Reise, so hat er das zunächst in außerordentlich abstrakte Formeln gekleidet. Die ande­ren haben aber nicht einmal das verstanden. Als im Laufe der Zeit Philipp Reis zum Telephon getrieben worden ist, da haben die ande­ren es wieder nicht verstanden. Es ist eigentlich ein riesiger Abgrund zwischen dem, was heute die Menschen verstehen, und dem, was eigentlich immerfort erexperimentiert wird: weil dem Menschen die spirituellen Impulse gar nicht zur Verfügung stehen.

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Die Sache ist so. Knüpfen wir noch einmal an jenen ausgezeich­neten Menschen, den Julius Robert Mayer an, der - heute ist er ja, wie gesagt, ein großer anerkannter Naturforscher - als er noch das Gymnasium besuchte, immer der letzte war. Als er die Universi­tät Tübingen besuchte, sollte er den Rat erhalten, vor dem Absol­vieren abzugehen. Mit Ach und Krach wurde er doch Arzt, ließ sich dann als Schiffsarzt anwerben, machte eine Reise nach Indien mit. Es war ein stürmisches Meer auf dieser Reise, die Schiffsleute wur­den krank und er mußte nach der Ankunft viel zur Ader lassen.

Nun weiß natürlich der Arzt, daß es zweierlei Adern gibt, Venen und Arterien. Das Arterienblut spritzt rot heraus, das Venenblut spritzt bläulich heraus. Wenn man zur Ader läßt, in die Vene hinein-sticht, muß also bläuliches Blut herauskommen. Julius Robert Mayer mußte viel zur Ader lassen. Aber bei allen Schiffsleuten, die da mitgefahren waren, die diese erkrankenden Aufregungen zur See mitgemacht hatten, geschah etwas Sonderbares, wenn er da hinein-stach. Donnerwetter, sagte er sich, jetzt habe ich daneben gestochen, denn da spritzt ja rotes Blut aus der Vene heraus, also habe ich eine Arterie getroffen. Jetzt machte er es beim Nächsten wiederum. Er wurde ganz irre an sich selber, denn er glaubte immer, daß er daneben gestochen habe, da sich das immer wiederholt hat. Endlich kam er darauf, daß er doch ganz richtig gestochen habe, nur war unter dem Eindrucke der kranl::mach enden See aus den Leuten etwas geworden, wodurch das Venenblut allmählich rötlich statt bläulich, also wenig­stens annähernd rötlich, annähernd der Farbe des Arterienblutes, herausspritzte.

So entdeckte unversehens beim Aderlassen der moderne Mensch, der gar keine Anleitung hatte, von Spirituellem aus irgendwelche geistige Zusammenhänge zu suchen, eine gewaltige Tatsache. Aber was sagte er? Der moderne Gelehrte sagte: Jetzt muß ich nach­denken, was da eigentlich geschieht. Da wird Kraft in Wärme und Wärme in Kraft umgewandelt. Das ist dann wie bei der Dampf­maschine. Man heizt, und Bewegung wird hervorgebracht: Arbeit,

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Arbeit aus Wärme, so auch im Menschen. Und weil der Mensch in eine andere Wärme in der Tropenzone, wohin das Schiff gefahren war, hineingestellt ist, so hat er nicht nötig, jene Umwandelung in blaues Blut vorzunehmen. Es geschieht nach dem Umwandelungs-gesetz der Naturkräfte eben die Sache anders. Es sind andere Wärmeverhältuisse im menschlichen Organismus: das Blut wird nicht so blau, sondern es bleibt rot in den Venen.

Das Gesetz, das heute anerkannt wird, von der Umwandelung der Stoffe, Kräfte: das wird abgeleitet von dieser Beobachtung.

Denken wir uns einmal, ein ähnliches wäre einem Arzt passiert, sagen wir, nicht im neunzehnten Jahrhundert, sondern wenn wir die Verhältnisse ungeändert denken würden, meinetwillen im elften oder zwölften Jahrhundert. Dem wäre niemals eingefallen, das mechanische Wärmeäquivalent von dieser konstatierten Tatsache abzuleiten. Er wäre gar nicht darauf gekommen, so etwas Abstraktes an eine solche Erscheinung anzuknüpfen. Sie können sogar noch an spätere Zeiten denken, denn dem Paracelsus wäre das sicher nicht ein­gefallen, nicht im Schlafe, obwohl Paracelsus im Schlafe natürlich noch viel gescheiter war, als manche andere beim Wachen, aber eswäre ihm ganz sicher nicht eingefallen. Der Arzt, der etwa so, wie der Paracelsus gewesen wäre - und für das neunzehnte Jahrhundert war Julius Robert Mayer dasselbe, was Paracelsus für sein Zeitalter -ein hypothetischer Arzt, der, ich nehme jetzt an meinetwillen im zehn­ten, elften, zwölften Jahrhundert gewesen wäre, was hätte der gesagt?

Nun, noch van Helmont redet vom Archäus, von dem, was wir heute den zusammenwirkenden Äther- und Astralleib nennen. Wir müssen es durch Anthroposophie wiederfinden, nachdem diese Aus­drücke vergessen waren. Der Arzt des zwölften Jahrhunderts würde gesagt haben: Da haben wir in der gemäßigten Zone innerhalb des Menschen stark ineinanderwirkend rotes und blaues Blut. Kommen wir mit dem Menschen in die heiße Zone, da unterscheidet sich das Venenblut vom Arterienblut nicht mehr so kräftig, da ist das blaue Venenblut gerötet, und das rote Arterienblut mehr gebläut. Da

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unterscheiden sie sich kaum mehr voneinander. Woher rührt denn das? Der Arzt des elften, zwölften Jahrhunderts würde gesagt ha­ben - er hätte es dazumal Archäus oder dergleichen genannt, was wir heute astralischen Leib nennen -: bei dem Menschen der heißen Zone senkt sich der Archäus weniger tief hinein in den physischen Leib, als bei dem Menschen der gemäßigten Zone. Der Mensch der gemäßigten Zone wird mehr von seinem astralischen Leibe durch­tränkt, dichter durchsetzt, bei dem Menschen der heißen Zone bleibt der astralische Leib mehr draußen, selbst wenn er wacht. Die Folge davon ist, daß diese Differenzierung, die im Blute vom astralischen Leib bewirkt wird, stärker bewirkt wird bei dem Menschen der gemäßigten Zone, weniger stark bewirkt wird bei dem Menschen der heißen Zone. Der Mensch der heißen Zone hat daher seinen Astralleib freier. Das zeigt uns sein undicklicheres Blut. Er lebt also instinktiv in seinem astralischen Leib, weil der freier ist. Er wird also nicht ein mechanistisch denkender Europäer, er wird ein spirituell denkender Indier, der in seiner Zivilisationshochblüte - nicht jetzt, wo die Dekadenz da ist, sondern in seiner Zivilisationshochblüte -eine andere, eine spirituelle Zivilisation, eine Veden-Zivilisation haben muß, während der Europäer eine Gomtesche oder eine John Stuart Millsche oder Darwinistische Zivilisation haben muß.

Von dem Aderlaß her wäre der Arzt des elften, zwölften Jahr­hunderts zu einer solchen Betrachtung des Anthropos gekommen. Er wäre noch hineingesegelt in die Anthroposophie. Er hätte noch den Weg gefunden ins Geistige, ins lebendig Geistige. Julius Robert Mayer, der Paracelsus meinetwillen des neunzehnten Jahrhunderts, fand noch das Gesetz: «Aus Nichts wird nichts, also wandeln sich die Kräfte um», eine abstrakte Formel.

Dasjenige, was gefunden werden kann wiederum mit der Anthro­posophie, das Geistige im Menschen, führt nun auch wiederum zur Moralität hin. Der Zusammenschluß mit der Aufsuchung der mora­lischen Prinzipien in der «Philosophie der Freiheit» ist gegeben. Dem Menschen wird dadurch wieder eine Geistigkeit eröffnet, wodurch

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er nicht mehr einen Abgrund hat zwischen Natur und Geist, Natur und Moral, sondern wo er die unmittelbare Verbindung hat.

Aber Sie sehen aus dem, was ich Ihnen dargestellt habe, das Fol­gende. Die Koryphäen der neueren Wissenschaft kommen zu den abstrakten Formeln. Diese abstrakten Formeln schwirren natürlich durch den Kopf derjenigen, die heute eine wissenschaftliche Aus­bildung gehabt haben. Diejenigen, die diese wissenschaftliche Aus­bildung geben, betrachten dieses Gestrüppe von abstrakten Formeln als etwas, woran der heutige Mensch glauben muß. Sie sehen es als den reinsten Wahnsinn an, wenn man nun erzählt, man könne da von der Beschaffenheit des roten und blauen Blutes bis zum Gei­stigen des Menschen hinaufsteigen.

Daraus aber ersehen Sie, was dazugehört, wenn nun wirkliche Wissenschafter in die Anthroposophie sich hereinfinden wollen. Da gehört noch etwas anderes dazu, als der bloße gute Wille. Es gehört dazu wirklich eine ungeheure Hingabe an eine Vertiefung, wie man sie heute eben nicht gewöhnt ist, gerade am wenigsten gewöhnt ist, wenn man eine wissenschaftliche Bildung hinter sich hat. Was da gebraucht wird, das ist insbesondere Mut, Mut und wieder Mut. Damit aber haben wir das Element angeschlagen, das wir vor allen Dingen brauchen für unsere Seele, wenn wir mit den Lebensbedin­gungen der Anthroposophischen Gesellschaft rechnen wollen. Sie steht heute in gewisser Beziehung geradezu diametral demjenigen entgegen, was in der Welt beliebt ist. Sie kann also nicht, wenn sie sich beliebt machen will, irgendwelche Aussicht haben. Wir dürfen daher gerade dann, wenn wir die Anthroposophie in die verschie­denen Zweige des Lebens verbreiten wollen, wie das ja seit dem Jahre 1919 unternommen worden ist, nicht die Tendenz einschlagen, uns beliebt machen zu wollen, sondern wir müssen eben aus dem Zentrum des Wesens heraus den Weg gehen, der aus der Geistig­keit selber sich heraus ergibt, wie ich das in Anwendung auf das Goetheanum am heutigen Morgen hier in diesem besonderen Fall entwickelt habe.

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Aber so müssen wir überall denken lernen, sonst gleiten wir so ab, daß die Leute mit einem gewissen Recht uns immerfort mit anderen Bewegungen verwechseln und von außen her beurteilen. Geben wir uns energisch selbst eine Struktur, dann gehen wir den Weg, der in der Richtung der Lebensbedingungen der anthropo­sophischen Bewegung liegt. Aber wir müssen uns jenen Ernst dazu aneignen, der uns dann eben den Mut bringt.

Und wir dürfen nicht übersehen, was nun einmal eben notwendig ist durch den Umstand, daß wir heute als Anthroposophen ein klei­nes Häuflein sind. Dieses kleine Häuflein will hoffen, daß das­jenige, was heute unter ihm verbreitet wird, unter einer immer größeren und größeren Zahl von Menschen verbreitet werde. Dann wird es unter diesen Menschen eine gewisse Erkenntnisrichtung, eine gewisse sittliche Richtung, künstlerische Richtung, religiöse Richtung geben.

Aber das alles, was dann vorhanden sein wird durch die Impulse der Anthroposophie, und was dann als selbstverständlich angesehen wird, das muß in einem viel höheren Maße bei denjenigen vorhan­den sein, die heute ein kleines Häuflein sind. Die müssen sich füh­len als den größtmöglichen Verpflichtungen unterliegend gegenüber der geistigen Welt. Man muß nur verstehen, daß dies instinktiv eigentlich im Urteile der Umgebung zum Ausdrucke kommt.

Durch nichts kann sich die Anthroposophische Gesellschaft mehr schaden, intensiv schaden, als wenn diese Anthroposophische Gesell­schaft sich nicht jene Konfiguration gibt in ihren Mitgliedern, durch welche die Leute draußen aufmerksam werden: Im strengsten Sinne des Wortes wollen die Anthroposophen dies oder jenes. Sodaß sie sie von allen anderen sektiererischen oder sonstigen Bewegungen unterscheiden können.

Solange aber dies nicht der Fall ist, wird eben das Urteil der Um­gebung so herausgefordert, wie es heute herausgefordert wird. Man weiß eigentlich nicht recht, was diese Anthroposophische Gesell­schaft will, und wird dann bekannt mit einzelnen Menschen: an

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denen sieht man von Anthroposophie nichts. Nicht wahr, wenn, sagen wir, sich die Anthroposophen kundgeben würden durch ein so fein ausgeprägtes Gefühl für Wahrheit und Tatsächlichkeit, daß man daran merkt: das ist ein Anthroposoph, es fällt einem auf, daß er ein so feines Gefühl hat, ja überall nicht weiterzugehen in seinen Behauptungen, als der Realität entspricht, - ja, das gäbe einen Eindruck! Aber ich will heute eben nicht Kritik üben, sondern nur das Positive hervorheben. Tritt das ein? Das muß eben die Frage sein.

Oder wiederum könnte man sagen: Ja, das sind Anthroposophen, sie gestatten sich nicht Geschmacklosigkeiten, sie haben einen gewis­sen künstlerischen Sinn. Das Goetheanum in Dornach muß doch gewirkt haben. Wiederum würde man wissen: Ja, etwas Geschmack­volles gibt die Anthroposophie ihren Mitgliedern. Man kann sie daran unterscheiden von anderen Leuten.

Solche Dinge, sehen Sie, nicht dasjenige, was sich in scharf kon­turierten Begriffen geben läßt, sondern solche Dinge gehören zu dem, was in der Anthroposophischen Gesellschaft sich entwickeln muß, wenn sie ihre Lebensbedingungen erfüllen will.

O, es wurde viel von solchen Dingen gesprochen! Aber die Frage muß immer wieder aufgeworfen werden - und darinnen sollte gerade von dem viel bestehen, was unter Anthroposophen verhan­delt wird -, wie man der Anthroposophischen Gesellschaft ein ganz bestimmtes Gepräge gibt, wodurch die Menschen wissen: das ist etwas, was sie schon so von den anderen unterscheidet, daß man sie nicht mehr mit anderen verwechseln kann.

Man muß diese Dinge eben gefühlsmäßig andeuten. Denn da, wo Leben herrschen muß, da können nicht Programme gegeben werden. Aber fragen Sie einmal, ob innerhalb der Anthroposophischen Ge­sellschaft das schon ganz überwunden ist: man macht es so, man tut das so, man muß sich nach dem oder jenem richten, und ob der Impuls stark ist, überall zu fragen: was sagt Anthroposophie selber? Es braucht nicht in einem Vortrage zu stehen: aber dasjenige, was in

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Vorträgen steht oder gesagt worden ist, dringt in die Herzen, und das gibt gewisse Richtungen.

Ehe nicht, meine lieben Freunde, - ich muß das auch hier sagen

- Anthroposophie genommen wird wie ein lebendiges Wesen, das unsichtbar unter uns herumwandelt, und demgegenüber man sich verantwortlich fühlt, eher kann das kleine Häuflein Anthroposophen nicht als ein Musterhäuflein voranschreiten. Und voranschreiten als ein Musterhäuflein müßte das kleine Häuflein Anthroposophen.

Wenn man in irgendeine der theosophischen Gesellschaften ge­kommen ist - es gab ihrer viele -, so hatten die ja die bekannten drei Grundsätze. Ich habe schon gestern darüber gesprochen, wie wir sie ansehen sollen. Der erste Grundsatz war Begründung allgemeiner menschlicher Brüderlichkeit ohne Unterschied von Rasse, Volk und soweiter.Ich machte gestern darauf aufmerksam, daß darüber ja nach­gedacht werden soll, ob das wie ein Dogma hingestellt werden soll.

Aber bedeutsam ist es doch, daß man so etwas trifft. Nur muß es real werden. Es muß tatsächlich nach und nach eine Realität wer­den. Das wird es aber, wenn die Anthroposophie selbst wie ein lebendes, übersinnliches, unsichtbares Wesen wandelnd unter den Anthroposophen angesehen wird. Dann wird vielleicht weniger von Bruderschaft geredet werden, weniger von allgemeiner Menschen­liebe geredet werden, aber sie wird mehr in den Herzen leben, und man wird schon an dem Ton, mit dem die Menschen dasjenige aus­sprechen, was sie mit der Anthroposophie verbindet, man wird schon an dem Ton merken, mit dem einer dem anderen dies oder jenes sagt, daß es für ihn etwas bedeutet, daß der auch einer ist, der, wie er, der unsichtbaren Wesenheit Anthroposophie anhängt.

Wir können ja auch einen anderen Weg wählen. Wir können den Weg wählen, lauter Cliquen zu bilden, uns so zu verhalten, wie es nun einmal in der Welt geworden ist, bei five o'clock teas oder zu sonstigen Teegesellschaften oder dergleichen zusammenzukommen, sich untereinander zu verständigen, und allenfalls sich noch zusam­menzusetzen zu Vorträgen. Wir können es auch so machen. Wir

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können auch kleine Cliquen, kleine Kreise bilden. Aber eine anthro­posophische Bewegung kann selbstverständlich nicht in einer solchen Gesellschaft leben. Eine anthroposophische Bewegung kann nur in einer Anthroposophischen Gesellschaft leben, die eine Realität ist. Da müssen dann aber die Dinge mit wirklich großem Ernste genom­men werden. Da muß man in jedem Augenblicke seines Lebens füh­len, daß man mit der unsichtbaren Wesenheit der Anthroposophie verbündet ist.

Wenn das Gesinnung würde, Gesinnungswirklichkeit, wenn auch nicht von heute auf morgen, so aber in längeren Zeiträumen, dann würde innerhalb von, sagen wir einundzwanzig Jahren, ganz gewiß ein Impuls entstehen. In dem Momente, wo man so etwas hört, wie ich cs zum Beispiel gestern wiederum von den Gegnern vorgebracht habe, würde in den Herzen der nötige Impuls leben. Ich sage gar nicht, daß daraus gleich eine reale Tat hervorgehen muß, aber der nötige Impuls würde in den Herzen leben: dann würden schon die Taten auch entstehen.

Wo die Taten nicht entstehen, sondern wo nur die Gegner Taten verrichten und sich organisieren, da muß eben der rechte Impuls nicht vorhanden sein, da muß es einem noch lieber sein, nun ja, so richtig bequem weiterzuleben und eben auch im Auditorium zu sein, wenn von Anthroposophie geredet wird. Aber das genügt jedenfalls nicht, wenn die Anthroposophische Gesellschaft gedeihen soll. Soll sie gedeihen, dann muß in der Anthroposophischen Gesellschaft Anthroposophie wirklich drinnen leben. Und ist das der Fall, dann kann auch schon im Laufe von einundzwanzig Jahren etwas Bedeut­sames geschehen, auch in einer noch kürzeren Zeit. Ich rechne nach:

Einundzwanzig Jahre besteht aber die Gesellschaft schon!

Nun, da ich nicht Kritik üben will, möchte ich Sie nur auffordern, nun die Selbstbesinnung so weit zu treiben, zu fragen: Ist nun wirk­lich von jedem einzelnen an jedem einzelnen Platze überall dasjenige getan worden, was aus dem Zentrum des Anthroposophischen heraus empfunden ist?

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Wenn Sie etwa darauf kommen sollten, daß der eine oder der andere das bis heute nicht so empfunden hat, dann bitte ich Sie, fan­gen Sie morgen an, oder noch heute abend, denn es würde nicht gut sein, wenn die Anthroposophische Gesellschaft zerfallen würde. Aber zerfallen wird sie ganz sicher, wenn sie, da sie jetzt zu alledem, was sie schon hat an äußeren Begründungen, auch noch das Goethe­anum wieder aufbaut, wenn nicht jenes Bewußtsein entsteht, von dem ich in diesen Vorträgen gesprochen habe, wenn diese Selbst­besinnung nicht da ist. Dann aber, wenn sie zerfällt, wird sie sehr rasch zerfallen. Aber das hängt ganz von dem Willen derer ab, die innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft sind.

Anthroposophie wird sicher nicht aus der Welt geschafft. Aber sie könnte für Jahrzehnte und länger, ich möchte sagen, in einen latenten Zustand zurücksinken, und dann später wieder aufgenom­men werden. Es wäre aber Ungeheures verloren für die Entwickelung der Menschheit. Das muß bedacht werden, wenn man im Ernste an die Selbstbesinnung herantreten will, die ich eigentlich gemeint habe mit diesen Vorträgen. Aber ich habe ganz sicher nicht gemeint, daß man wiederum große Worte machen soll, da oder dort wie­derum Programme aufsetzen soll, erklären soll: wenn es sich um das oder jenes handelt, stellen wir uns ganz zur Verfügung. Das haben wir ja immer getan. Sondern dasjenige, um was es sich handelt, ist, daß wir in uns das innere Zentrum unseres Wesens finden. Wenn wir dieses Suchen nach dem inneren Zentrum unseres Wesens mit dem in dem anthroposophischen Weisheitsgut enthaltenen Geiste tun, dann finden wir auch den anthroposophischen Impuls, den die Anthroposophische Gesellschaft als ihre Lebensbedingung braucht.

Ich habe gerade in diesen Vorträgen weniger Kritik üben wollen. Die ist ja in der letzten Zeit viel geübt worden, vieles ist bei dieser oder jener Gelegenheit gesagt worden. Ich wollte jetzt mehr durch einen historischen Überblick über einiges - wollte ich alles sagen, würden diese Vorträge eben nicht ausgereicht haben -, durch die Be­trachtung der anthroposophischen Sache die Handhabung des Rechten

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eigentlich nur anregen. Und ich denke, gerade diese Vorträge könn­ten Veranlassung dazu sein, daß über sie nachgedacht würde, daß sie sozusagen besonnen würden. Dazu hat man immer Zeit, denn das kann zwischen den Zeilen des Lebens, zwischen den Zeilen jenes Lebens, das mit den Forderungen der Außenwelt kommt, getan werden.

Das wollte ich Ihnen gerade durch diese Vorträge wie in einer Art von Selbstbesinnung für die Anthroposophische Gesellschaft recht ans Herz legen. Wir brauchen heute durchaus eine solche Selbstbesinnung. Wir sollten nicht vergessen, daß wenn wir zu den Quellen des anthroposophischen Lebens gehen, viel mit ihnen ge­wirkt werden kann. Tun wir es nicht, dann verlassen wir eben die Wege, auf denen gewirkt werden kann.

Wir stehen vor so großen Aufgaben, wie vor dem Wiederaufbau des Goetheanum. Da können unsere Herzenserwägungen wahrhaftig nur von wirklich großen Impulsen ausgehen, da dürfen wir nicht von Kleinlichem ausgehen. Das sagte ich heute morgen zu denen, die da waren, das wollte ich auch heute abend von einem gewissen Gesichtspunkte wiederum vor Sie hinstellen.

HINWEISE

#G258-1959-SE188 Die Geschichte und die Bedingungen der Anthroposophischen Bewegung ...

#TI

HINWEISE

#TX

Zu Seite

7 Die Inhaltsangaben wurden von Marie Steiner der ersten Buchausgabe 1931 beigefügt.

11 «Wäre Annie Besant ... ohne den kleinen Ersatz-Götzen»:

Gemeint ist der Inder Krishnamurti. Siebe Hinweis zu Seite 43, ferner Emily Lutyens, Candles in the sun, London 1957.

11 «In das Rätsel Blavatsky hat Rudolf Steiner allein Licht hineingebracht»:

Siehe Hinweis zu Seite 28.

12 «die diesbezüglichen, wenn auch stark verstümmelten Vorträge Rudolf Steiners»:

Es handelt sich um die zehn Vorträge, gehalten in Dornach vom 10. bis 25. Oktober 1915: Die okkulte Bewegung im neunzehnten Jahrhundert und ihr Verhältnis zur Weltkultur, Dornach 1939.

25 f. «Bayreuther Blätter... Wolzogenscher Artikel»:

Bayreuther Blätter - Zeitschrift zur Verständigung über die Möglichkeit einer deutschen Kultur auf den Gebieten der Religion, Kunst, Philosophie und des Lebens. Offizielles Organ der Wagner-Vereine. begründet 1878. Redakteur: Hans von Wolzogen.

26 «Seelen, die ich Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in Wien kennenlernte»:

Siehe Rudolf Steiner, Mein Lebensgang (IX. Kapitel), 5. Auflage Dornach 1949, sowie Briefe I, 2. Auflage Dornach 1955.

28 «H. P. Blavatsky»:

Helena Petrowna Blavatsky, in theosophischen Kreisen kurz H.P. B. genannt,

(Jekaterinoslav, Südrußland 1831-1891 London). Ihre Hauptwerke: Isis

Unveiled (1877), deutsch: Die entschleierte Isis, Leipzig o. J.; The Secret

Doctrine (1887-97), deutsch: Die Geheimlehre, Leipzig o. J. Blavatsky

gründete zusammen mit Col. H. S. Olcott am 17. November 1875 in New

York die Theosophische Gesellschaft, die ihr Zentrum bald darauf nach

Indien verlegte.

28 «Geheimbuddhismus von Sinn ett»:

Alfred Percy Sinnett, Esoteric Buddhism (1883). Deutsch: Die esoterische Lehre oder Geheimbuddhismus, Leipzig 1884.

31 «Goethes Märchen von der grünen Schlange»:

Siehe Rudolf Steiner, Goethes Geistesart in ihrer Offenbarung durch seinen

Faust und durch das Märchen , Von der Schlange und der Lilie', 6. Auflage

Dornach 1956, sowie Mein Lebensgang (XXX. Kapitel).

33 «in meiner Weimarer Zeit»:

Siehe Rudolf Steiner, Mein Lebensgang, sowie Briefe I.

33 «in der vorletzten Nummer des , Goetheanum'»:

Es handelt sich um den Aufsatz ,Eine vielleicht zeitgemäße persönliche

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Erinnerung' in der Zeitschrift ,Das Guetheanum, Internationale Wochen-

schrift für Anthroposophie und Dreigliederung', 2. Jg. Nr.43 vom 3. Juni

1923. Der Aufsatz wurde wieder abgedruckt in Rudolf Steiner, Goethe-

Studien und goetheanistische Denkmethoden, Dornach 1932.

33 «Herman Grimms Roman , Unüberwindliche Mächte'»:

Herman Grimm (Kassel 1828-1901 Berlin), Unüberwindliche Mächte, Berlin 1867. Siehe auch Rudolf Steiner, Mein Lebensgang' Briefe I, Veröf­fentlichungen aus dem literarischen Frühwerk' Band III u. a. m.

34 «daß eben gerade dieser Kreis von mir verlangte, daß ich ihm Vorträge halte,

die ja dann in meiner ,Mystik .. ., abgedruckt sind»:

Rudolf Steiner, Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens

Dornach 1924 (Neuauflage in Vorbereitung). Siehe auch: Mein Lebensgang

(XXX. Kapitel).

34 «die Nachfolgerin der Blavat'ky, Annie Besant»:

London 1847-1933 Adyar, Indien; wurde nach dem Tode des Präsident-Gründers H. S. Olcott (17.2.1907), im Mai 1907 zur Präsidentin der Theo­sophischen Gesellschaft gewählt.

37 «solche Schriften, wie etwa die von Ralph Waldo Trine»:

Amerikanischer Schriftsteller. Sein bekanntestes Werk: In Harmonie mit dem Unendlichen.

43 «Mit der Begründung der Anthroposophischen Gesellschaft»:

Gegen die um 1910/11 auftretenden, von Rudolf Steiner angeführten Ab­surditäten in der Theo sophi schen Gesellschaft, die darin gipfelten, daß Annie Besant durch den neugegründeten Orden «Stern des Ostens» den Inderknaben Krishnamurti als wiedergekommenen Christus propagierte, lehnte sich die mitteleuropäische, deutsche Sektion einmütig auf. Dies wurde zum Anlaß eines organisierten Unterdrückungsversuches der durch Rudolf Steiner reprä­sentierten mitteleuropäischen Bewegung, der damit endete, daß durch Be­schluß des General Council in Adyar vom 7. März 1913 die deutsche Sektion ausgeschlossen wurde. Da dieses Ergebnis zu erwarten war, wurde am 28. Dezember 1912 die Anthroposophische Gesellschaft gegründet, deren Vorstand Dr. Carl Unger, Michael Bauer und Marie von Sivers (Marie Steiner) bildeten.

43 «Die Weisheit liegt nur in der Wahrheit»:

Diesen Goethe-Leitsatz wählte Rudolf Steiner als Motto für die Grundsätze, welche er 1912 der Anthroposophischen Gesellschaft gab.

43 «meine ,Philosophie der Freiheit'»:

Die Philosophie der Freiheit - Grundzüge einer modernen Weltanschauung (Berlin 1894), 11. Auflage Stuttgart 1955.

46 «Robert Zimmermann»:

Aesthetiker und Philosoph (Prag 1824-1898 Prag). Von 1861-1895 Pro­fessor der Philosophie an der Universität Wien. Einer der bedeutendsten

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Vertreter der Herbartschen Schule. Siehe auch Rudolf Steiner, Mein Lebens­gang (III. Kapitel).

46 Arzt und Theosoph (Donauwörth 1838-1912 Kempten), Begründer einer eigenen Richtung innerhalb der Theosophischen Gesellschaft. Siehe Rudolf Steiner, Mein Lebensgang (IX. Kapitel), sowie Briefe I.

47 f. «Robert Zimmermann ... , Geschichte der Aesthetik' ... , Anthroposophie'»:

Geschichte der Aesthetik als philosophische Wissenschaft, Wien 1858. Anthroposophie im Umriß - Entwurf eines Systems idealer Weltansicht auf realistischer Grundlage, Wien 1882. Die zitierte Widmung lautet wörtlich:

«An Harriet. Du warst es, als sich Nacht über mein Auge zu lagern drohte, deren Seelenstärke mir den Entschluß eingab, die lange unfreiwillige Muße der Dunkelkammer zum ordnenden Abschluß längst zerstreut gereifter Ge­dankenreihen zu benützen, zu deren Niederschrift eine gefällige Hand willig sich herlieh.

So entstand dies Buch, dessen Ideengehalt also Niemand abzustreiten im Stande sein wird, daß er, wie das Licht, im Dunkeln geboren sei.

Wem anders als Dir dürfte dasselbe zu eigen sein?»

50 «Topinard>:

Paul Topinard (1830-1911), französischer Anthropologe. Seine ,Anthro­pologie' erschien ins Deutsche übersetzt 1888.

51 «diesen Vortrag habe ich in jenem Kreis gehalten»:

Datum und Titel ließen sich nicht feststellen.

51 «in einem Kreise, ... der sich ,Die Kommenden' nannte, einen Vortragszyklus hielt... ,Von Buddha zu Christus'»:

,Die Kommenden' nannte sich eine von dem Dichter Ludwig Jacobowski in Berlin gegründete Gesellschaft, die aus Literaten, Künstlern, Wissenschaf­tern und künstlerisch interessierten Persönlichkeiten bestand. Der Vortrags. zyklus, den Rudolf Steiner in diesem Kreise hielt, umfaßte 24 Vorträge, die sich über die Zeit vom Oktober 1901 bis März 1902 erstreckten. Siehe auch Rudolf Steiner, Mein Lebenigang (XXIX. und XXX. Kapitel.)

51 «mein ,Christentum als mystische Tatsache'»:

Berlin 1902. 2. Auflage mit dem Titelzusatz: - -- und die Mysterien des Altertums, Leipzig 1910.7. Auflage Dornach 1959.

51 «eine deutsche Sektion der Theosophical Society zu gründen»:

Siehe hierzu Rudolf Steiner, Eine historische Antwort. Aus einer Ansprache vom 14. Dezember 1911, abgedruckt in: Aus dem Leben von Marie Steiner-von Sivers, Dornach 1956; ferner: Briefe II.

52 «als diese deutsche Sektion begründet wurde, hielt ich einen Vortragszyklus ... in dem Kreise... wo ich auch gesprochen habe über ,Von Buddha zu Christus ,»:

Es handelt sich um den zweiten großen Vortragizyklus, umfassend 27 Vor­träge vom Oktober 1902 bis April 1903, gehalten in der Gesellschaft ,Die

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Kommenden' unter dem Titel: Von Zarathustra bis Nietzsche. Entwicklungs­geschichte der Menschheit an der Hand der Weltanschauungen von den ältesten orientalischen Zeiten bis zur Gegenwart, oder Anthroposophie. Für den dritten dieser Vorträge mußte Rudolf Steiner von der Gründungsver­sammlung der deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, die am 20. Oktober 1902 in Anwesenheit von Annie Besant stattfand, vorzeitig weg­gehen, worauf er in seinen Betrachtungen über die Geschichte der anthropo­sophischen Bewegung immer ausdrücklich hinweist. Siehe auch: Mein Lebensgang (XXX. Kapitel).

52 «Die Kommenden traten wiederia'n auf in dem Namen des ,Kommenden Tages'»:

Der Kommende Tag, Aktiengesellschaft zur Förderung wirtschaftlicher und

geistiger Werte, gegründet 13. März 1920 in Stuttgart. Siehe hierzu: Emil

Leinhas, Die Idee des Kommendes Tages, Stuttgart 1921 sowie: Aus der

Arbeit mit Rudolf Steiner, Basel 1950.

56 «Lawrence Ollphant»:

1829-1888. Seine zwei bedeutendsten Bücher «Sympneumata» und «Scientific Religion», London 1888. Siehe auch: Rudolf Steiner, Esoterische Betrachtungen über das Karma im einzelnen Menschen und in der Mensch­heitsentwickelung (3 Vorträge London 1924), Dornach 1936.

61 dfan nannte solche Dokumente , Melsterbriefe'»:

Es handelt sich um die in A. P. Sinnett, Die okkulte Welt, Leipzig o.J.wie­

dergegebenen sogenannten Meisterbriefe, die in Zusammenhang stehen mit

der späteren sogenannten Affäre Coulomb, welche Rudolf Steiner mit der

«ziemlich aufsehenerregenden Geschichte» und «schwindelhaft zustande ge­

kommenen Schiebetüren» meint.

74 «Eine behannte Persönlichkeit dieses Giordano-Bruno-Bundes»:

Dr. Bruno Wille, Verfasser von ,Offenbarungen des Wacholderbaums" Ro­

man eines Allsehers, Leipzig 1901. Siehe Rudolf Steiners ausführliche Be­

sprechung in der Zeitschrift «Luzifer» (Nr.3 und 4, August/September

1903), ferner Veröffentlichungen aus dem literarischen Frühwerk, Band IV:

Naturwissenschaft und Seelenkunde, Dornach 1941 und Mein Lebensgang

(XXIX. Kapitel) sowie Briefe II.

75 «Da hielt ich einen Vortrag über Thamas von Aquino»:

Es handelt sich um den Vortrag «Monismus und Theosophie», gehalten am 8. Oktober 1902, auszugiweise berichtet in: Veröffentlichungen aus dem literarischen Frühwerk' Band IV: Naturwissenschaft und Seelenkunde. Ver­gleiche ferner: Mein Lebensgang (XXIX. Kapitel) sowie Johanna Mückel A. A. Rudolph, Erinnerungen an Rudolf Steiner und seine Wirksamkeit in der Arbeiterbildungischule in Berlin 1899-1904, Basel 1955.

76 «Der Dichter Wolfgang Kirchbach»:

Schriftsteller und Dichter (London 1857-1906 Bad Nauheim). Sein Aufsatz «Hegels Phänomenologie des Geistes und die Theosophie» erschien in der von Rudolf Steiner herausgegebenen Zeitschrift «Luzifer» i. Jg. (1903), Heft S. Siehe auch: Mein Lebensgang (XXIX. Kapitel) und Briefe II.

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79 ... (Name): Der Name wurde vom Stenographen nicht genau gehört.

87 «Nietzsche ... der Verfasser des ,Antichrist'»:

Siehe Rudolf Steiner, Nietzsche - Ein Kämpfer gegen seine Zeit

104 «Schiller in seiner Antrittarede»:

Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte (1789).

105 «wir haben innerhalb unserer Anthroposophie nun über alle vier Evangelien

Interpretationen»:

Erschienen in Buchform in mehreren Bänden und Auflagen.

109 «mein Buch ,Theosophie'»:

Rudolf Steiner, Theosophie - Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung (Berlin 1904), 28. Auflage Stuttgart 1955.

112 «wie im fahre 1907, als in München der Kongreß stattfand»:

Siehe Rudolf Steiner, Bilder okkulter Siegel und Säulen - Der Münchner Kongreß Pfingsten 1907, Dornach 1957.

113 «Damals fand schon jenes Gespräch zwischen Frau Besant und mir in München statt»:

Im Vortrag vom 14. Dezember 1911 erklärte Rudolf Steiner, daß «Annie Besant vor einem Zeugen (Marie von Sivers)' der jederzeit bereit sein wird, Zeugenschaft davon abzugeben, 1907 in München gesagt hat, daß sie in bezug auf das Christentum nicht kompetent sei. Und deshalb trat sie sozusagen damals die Bewegung, insofern das Christentum einfließen soll, mir ab.»

Siehe: Aus dem Leben von Marie Steiner-von Sivers, Dornach 1956 (S. 45 f.).

115 «Der erste Vortrag, den ich von Annie Besant gehört habe, handelte über Theo­sophie und Imperialismus. ... Aber wenn Sie ganz verständig den Vortrag... lesen, der ja gedruckt ist»:

Es handelt sich um einen Vortrag beim Kongreß in London im Juli 1902:

Theosophy and Imperialism, A Lecture by Annie Besant, London 1902.

117 «aus der Theosophischen Gesellschaft heraus wurde ein Orden begründet, um nun diese Christusgeburt in einem Knaben... zu bewerkstelligen»:

Vergleiche Hinweis zu Seite 43.

117 «1911 sollte in Genua ein Kongreß sein»:

Siehe hierzu: Aus dem Leben von Marie Steiner-von Sivers, Dornach 1956.

118 «Die Theosophische Gesellschaft hat das Verhältnis geregelt, indem sie einen ausgeschlossen hat»:

Vergleiche Hinweis zu Seite 43.

120 «es schließt ungefähr... diese Epoche mit der Veröffentlichung meiner , Ge-heimwissenschaft'. Diese ... erschien ja allerdings etwa eineinhalb Jahre später erst gedruckt»:

Die Geheimwissenschaft im Umriß (26. Auflage Stuttgart 1955) war seit 1905 als Fortsetzung der 1904 erschienenen «Theosophie» angekündigt,

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konnte aber aus technischen Gründen erst 1910 (die Vorbemerkungen sind gezeichnet: Geschrieben im Dezember 1909) erscheinen. «Nur die unbedingt notwendige ununterbrochene Vortragstätigkeit des Verfassers hat das Er­scheinen des Buches so lange verzögert. Nun soll es unter allen Umständen der Öffentlichkeit übergeben werden.» (Rudolf Steiner in der Zeitschrift «Luzifer-Gnosis», Nr.33 aus dem Jahre 1907).

123 «Da hat die Theosophische Gesellschaft einmal einen gewissen Streit gehabt um

die Persönlichkeit des Judge in Amerika»:

William Quan Judge (1851-1896)' einer der Mitbegründer der Theo­

sophischen Gesellschaft, trennte sich 1895 von der Adyar-Gesellschaft' wurde

Führer einer Sezessionsbewegung in Amerika.

126 «Dr. Hübbe-Schleiden, der ja lange Zeit die ,Sphinx' herausgegeben hat»:

Wilhelm Hübbe-Schleiden (Hamburg 1846-1916 Göttingen), gab in den

Jahren 1886-1896 die okkultistische Monatsschrift «Sphinx» heraus. Siehe

auch: Rudolf Steiner, Mein Lebensgang (XXXII. Kapitel) und Briefe II.

129 «Dr. Kolisko»:

Eugen Kolisko (1893-1939), Arzt und Lehrer an der Stuttgarter Waldorf-

schule.

129 «Frau von Schewitsch»:

Helene von Schewitsch, geb. von Dönniges (München 1845-1911). Siehe

auch Rudolf Steiner, Mein Lebensgang (XXXV. Kapitel) -

130 «Dr. Blümel»:

Ernst Blümel (1884-1952), Mathematiker und Lehrer an der Friedwart­schule in Dornach (1921-1927) und an der Waldorfschule in Stuttgart (1927-1938).

131 «Wir haben dazumal gleich im Anfange der anthroposophischen Bewegung, eine Zeitschrift begründet, , Luzifer-Gnosis'»:

Die Zeitschrift erschien von Juni 1903 bis 1908. Siehe hierzu auch Rudolf Steiner, Die okkulte Bewegung im neunzehnten Jahrhundert und ihre Be­ziehung zur Weltkultur' Dornach 1939.

132 «Frau Doktor organisierte die ganze Anthroposophische Gesellschaft»:

Siehe: Aus dem Leben von Marie Steiner-von Sivers, Dornach 1956.

133 «Geistige Führung des Menschen und der Menschheit»:

Rudolf Steiner, Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit -Geisteswissenschaftliche Ergebnisse über die Menschheitsentwicklung (Berlin

1911), 7. Auflage Freiburg i. Br. 1956.

136 «Max Seiling»:

Eine Zeitlang Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft. Wurde zum Gegner, weil ihm ein Buch, von dem er wünschte, daß es im Philosophisch­Anthroposophischen Verlag herausgebracht würde, abgelehnt werden mußte. Siehe hierzu Rudolf Steiner, Entwicklungsfaktoren der Menschheit. Die gegen das Wissen vom Geist sich auftürmenden Widerstände (3 Vorträge in Stuttgart 1917), Dornach 1941.

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136 «Bhagavän Däs» :

Prominentes Mitglied der Theosophischen Gesellschaft; legte sein Anst als Generalsekretär der indischen Sektion im Jahre 1912 nieder «aus Mißbil­ligung gegenüber dem Wesen, welches innerhalb des Ordens des Sterns im Osten getrieben wurde mit dem Krishnamurti-Alcyonekult etc. und gegen­über dem Verhalten der Präsidentin der T. G., die solche der Theosophischen Gesellschaft unwürdige Vorgänge billigte und begünstigte.» Vergleiche die «Mitteilungen für die Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft», Nr. II, Juni 1913.

137 «am Amsterdamer Kongreß»:

Im Juni 1904 fand in Amsterdam der i. Kongreß der Föderation Euro­päischer Sektionen der Theosophischen Gesellschaft statt. Rudolf Steiner hielt dort als Generalsekretär der deutschen Sektion den Vortrag: Mathe­matik und Okkultismus. - Daten und Orte der von ihm hier erwähnten Vorträge über das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt ließen sich bisher nicht feststellen.

138 «die absurde Geschichte bei Olcotts Tod»:

Henry Steel Olcott (Orange, New Jersey 1832-1907 Adyar' Indien), Präsi­dent-Gründer der Theosophischen Gesellschaft. Siehe Rudolf Steiner, Henry Steel Olcott (ein Nachruf) in der Zeitschrift Luzifer-Gnosis, Nr.33 (vom März oder April 1907>. Olcott hatte zu seinem Nachfolger Annie Besant vorgeschlagen. Diese Nominierung war mit Umständen verbunden, die in die Öffentlichkeit gedrungen waren, weshalb Rudolf Steiner in einem Artikel : Zur bevorstehenden Präsidentenwahl der Theosophischen Gesell­schaft (Luzifer-Gnosis Nr.33) sich darüber wie folgt äußerte:

... Der verstorbene Präsident hat nicht einfach mitgeteilt, daß er Mrs. Besant als seinen Nachfolger nominiere, sondern er hat in den allerverschie­densten Zirkularen an die Generalsekretäre die Mitteilung gelangen lassen, die dann auch den Weg in die theosophische Presse, und leider nicht bloß in diese gefunden hat, daß jene hohen Individualitäten, die man als die Mei­ster bezeichnet, und zwar diejenigen, welche in besonderer Beziehung zur theosophischen Sache stehen, an seinem Sterbebette erschienen seien, und ihm den Auftrag erteilt haben, Mrs. Besant zum Nachfolger zu nominieren. ... Nun hätte man diese Zugabe zur Nominierung von Mrs. Besant einfach ignorieren können. Denn ob man nun an die Echtheit der Erscheinung der Meister in diesem Falle nun glaubt oder nicht: was geht es die im Sinne der Statuten wählenden Mitglieder an, von welcher Seite Olcott beraten worden ist, als er die Nominierung vornahm. Ob er von den Meistern oder von srgendwelchen gewöhnlichen Sterblichen sich hat raten lassen, das geht nur ihn an. Die Wählenden haben sich an die Statuten zu halten und sich um nichts weiter zu fragen, als ob sie Mrs. Besant für die richtige Persönlichkeit halten oder nicht. Eine Schwierigkeit aber ergab sich sogleich dadurch, daß Mrs. Besant Mitteilung davon machte, daß sie von ihrem Meister dazu auf­gefordert worden sei, die Wahl anzunehmen, und daß sie aus diesem Grunde die Bürde auf sich nehme, ja, daß sie geradezu den Befehl der Meister als

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etwas für die Wahl Entscheidendes auffasse. Das ergibt eine sachliche

Kalamität Diese Zeilen wären unnötig gewesen, wenn nicht außerhalb

Deutschlands so viel gesprochen würde über die Sache. So aber können die

Leser dieser Zeitschrift verlangen, daß nicht ganz geschwiegen werde über

etwas, über das anderwärts so viel gesprochen wird.»

138 «dann aber ham die Angelegenheit mit Leadbeate'r» :

Charles Webster Leadbeater (1847-1934), prominente Persönlichkeit der

Theosophischen Gesellschaft, schrieb viele Bücher.

139 «ich habe dann, vor zwei Jahren war es glaube ich, in Amsterdam einen Vortrag

gehalten. Nach dem Vortrage kam einer derjenigen Herren ... aul mich zu,

der 1907 am Münchner Kongreß einen Vortrag' gehalten hatte» :

Rudolf Steiner sprach 1921 in Amsterdam am 22. März über «Der Bau-

gedanke von Darnach» und am 28. März über «Erziehungs-, Unterrichts- und

praktische Lebensfragen vom Gesichtspunkte anthroposophischer Geistes­

wissenschaft». Der erwähnte Herr war James Ingall Wedgwood. Siehe Emily

Lutyens, (andles in the sun, London 1957.

143 «eine Broschüre, die eben erschienen ist, und die den Titel trägt : The secret

mnchinery of revolution»:

By G. G., London (1923, Reprinted from the Patriot).

146 «Aber verfolgen Sie die Ereignisse zurück bis zu dem Momente, wo Frau

Dr. Steiner die Eurythmie in die Hand genommen hat»:

Siehe hierzu: Aus dem Leben von Marie Steiner-von Sivers, Darnach 1956.

148 «Nun habe ich... das Büchelchen geschrieben : Gedanken während der Zeit

des Krieges»:

Rudolf Steiner, Gedanken während der Zeit des Krieges. Für Deutsche und

diejenigen, die nicht glauben sie hassen zu müssen, Berlin 1915.

151 «was Dr. Unger aus der , Philosophie der Freiheit' und anderen Schriften der voranthroposophischen Zeit für die Anthroposophie fruchtbar herausgeholt hat» :

Carl Unger (Cannstatt bei Stuttgart 28.3. 1878-4. 1.1929 Nürnberg), Inge­nieur. Einer der wirksamsten Vertreter der Anthraposohie in Deutschland. Von 1912 bis 1923 im Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft. Un­mittelbar vor Beginn seines öffentlichen Vortrages in Nürnberg «Was ist Anthroposophie?» traf ihn die Kugel eines geistig Umnachteten tödlich. Siehe seine Schrift Die Grundlehren der Geisteswissenschaft, Darnach 1929.

155 «nachdem der ,Aufruf an das deutsche Volk und die Kulturwelt' geschrieben war, und die , Kernpunkte der sozialen Frage' erschienen waren>:

Der Aufruf wurde 1919 in Stuttgart als Flugblatt gedruckt und verbreitet; ferner wurde er von Rudolf Steiner in sein Buch: Die Kernpunkte der sozis­len Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft, Darnach 1919, aufgenommen.

156 «die wirklich praktischen Leute» :

Aus den «Galgenliedern» von Christian Morgenstern. Wird öfters in euryth-mischer Wiedergabe dargestellt.

#SE258-196

158 «die drei Punkte, die immer wieder und wieder angeführt werden» :

Es handelt sich um die drei Punkte der damaligen Theosophischen Gesell­schaft:

i. Den Kern eines allgemeinen Bruderbundes der Menschheit zu bilden, ohne Unterschied des Glaubens, der Nation, des Standes, des Geschlechtes.

2. Die Erkenntnis des Wahrheitskernes aller Religionen zu pflegen.

3. Die tieferen geistigen Kräfte zu erforschen, welche in der Menschennatur und in der übrigen Welt schlummern.

162 «in meinen Goetheschriften der achtziger Jahre»:

Goethes naturwissenschaftliche Schriften mit Einleitungen und Kommen­taren, herausgegeben von Rudolf Steiner in Kürschners «Deutscher National-Literatur» (1883ff.)

164 «in meiner ,Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung'» :

Rudolf Steiner, Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Welt­anschauung (Berlin 1886), letzte Auflage Freiburg i. Br. 1949.

«Goethe ... bei seinem ,Märchen von der grünen Schlange und der schönen

Lilie'»:

Siehe Hinweis zu Seite 31; ferner: Goethes Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie mit neun nach einer von Rudolf Steiner angegebenen Hell-Dunkel-Technik ausgeführten Zeichnungen von Assia Turgenieff, Dornach 1929.

174 «es war also Keine notwendige Auseinandersetzung mit Nietzsche da»:

Vergleiche Hinweis zu Seite 87.

«Ebenso mußte mit dem Haeckelismus eine notwendige Auseinandersetzung gep flogen werden» :

Siehe Rudolf Steiner, Veröffentlichungen aus dem literarischen Frühwerk, Band IV: Naturwissenschaft und Seelenkunde, Dornach 1941, sowie Haeckel, die Welträtsel und die Theosophie, Vortrag gehalten in Berlin am S. Oktober 1905. i. Auflage Berlin 1908, letzte Auflage Dornach 1926.

«mit Hilfe des Buches von Topinard» :

Vergleiche Hinweis zu Seite 50.

176 «Ich glaube, es war 1908, da habe ich in Nürnberg einmal folgendes gesagt»:

Siehe Rudolf Steiner, Die Apokalypse des Johannes (Zyklus VI, 12 Vorträge in Nürnberg, 18. bis 30. Juni 1908 mit dem öffentlichen Vortrag vom 17. Juni 1908), 4. Auflage Dornach 1954. 180 «wie ich das in Anwendung auf das Goetheanum am heutigen Morgen hier in diesem besonderen Fall entwickelt habe» : Bei der X. ordentlichen Generalversammlung des Vereins des Goetbeanum am 17. Juni 1923 in Dornach. Abgedruckt in: Aufbaugedanken und Ge­sinnungsbildung, Dornach 1942.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.