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DIE GEISTIGEN INDIVIDUALITÄTEN UNSERES PLANETENSYSTEMS SCHICKSALBESTIMMENDE UND MENSCHENBEFREIENDE PLANETEN Dornach, 27. Juli 1923 Erster Vortrag

#G228-1985-SE009 Initiationswissenschaft und Sternenerkenntnis

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DIE GEISTIGEN INDIVIDUALITÄTEN

UNSERES PLANETENSYSTEMS

SCHICKSALBESTIMMENDE

UND MENSCHENBEFREIENDE PLANETEN

Dornach, 27. Juli 1923

Erster Vortrag

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Ich möchte in diesen Tagen zu dem früher Gesagten noch einiges von dem hinzufügen, was die Möglichkeit bietet, gewisse Untergründe der Weltengeheimnisse zu gewinnen, die der neueren Zivilisation verlorengegangen sind. Wir brauchen ja nur hinzuschauen auf das, was die neuere Zivilisation als ihre Anschauung hat zum Beispiel von dem Planetensystem. Wir wissen, daß dieses Planetensystem so vorgestellt wird, als sei es hervorgegangen aus einer Art Urnebel, der in rotierender Bewegung war und von dem sich infolge dieser rotierenden Bewegung die einzelnen planetarischen Körper abgespalten haben. Man hat durch die Spekulationen, die man sich für diese Anschauung zurechtgelegt hat, ja nichts gewonnen, als daß man eine Art von Gleichgültigkeit der einzelnen Himmelskörper untereinander hat, die dabei geschildert werden, und auch eine Gleichgültigkeit des menschlichen Blickes gegenüber diesen Himmelskörpern.

Was unterscheidet sich da stark, sagen wir, am Mond vom Saturn, wenn das alles gefaßt sein soll in die Vorstellung eines rotierenden Nebels,aus dem sich allmählich dieseHimmelskörper abspalten? Allerdings, die für alles Irdische und namentlich für das Irdisch-Mineralische so bedeutsamen Forschungen des 19. Jahrhunderts haben allerlei zu sagen gewußt über die stoffliche Zusammensetzung der Himmelskörper, haben eine Art Physik und Chemie der Himmelskörper geschaffen. Damit ist es ja möglich, daß in den gebräuchlichen Handbüchern spezielle Dinge gesagt werden über Venus, Saturn, Mond und so weiter. Allein, all dieses ist so, wie wenn man von dem Menschen, der beseelt und durchgeistet ist, gewissermaßen nur eine Art von Abbild seines äußeren Organismus schaffen würde, ohne einzugehen auf die Durchseelung und Durchgeistigung.

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Man muß wiederum dazu kommen, mit Hilfe einer Initiationswissenschaft auch in dasjenige einzudringen, was man Durchseelung und Durchgeistigung zunächst, sagen wir, unseres Planetensystems nennen kann. Und da möchte ich heute einfach mehr die Individualitäten der einzelnen Planeten dieses Systems charakterisieren.

Ich möchte zuerst hinweisen auf denjenigen Planeten, welcher der Erde zunächst steht, mit dessen Geschick - in einer gewissen Beziehung allerdings nur - das Erdengeschick verbunden ist, und der einmal eine ganz andere Rolle spielte im Erdenleben, als er heute spielt. Denn Sie wissen ja aus den Schilderungen meiner «Geheimwissenschaft im Umriß», wie ich sie gegeben habe, daß dieser Mond in verhältnismäßig jüngerer Weltenzeit noch mit der Erde verbunden war, sich von der Erde getrennt hat und sie nun umkreist.

Wenn wir von ihm als von einem äußeren physischen Himmelskörper sprechen, so ist das Physische in ihm eben nur die äußere, die alleräußerlichste Offenbarung des Geistigen, das dahinterliegt. Wenn wir

den heutigen Mond betrachten, so erscheint er denjenigen, die ihn in bezug auf seine Außenseite und seine Innenseite kennenzulernen vermögen, so, daß er gewissermaßen zunächst in unserem Universum eine Versammlung von geistigen Wesenheiten darstellt, die in sich eine große Abgeschlossenheit haben. Nach außen hin verhält sich ja der Mond im Grunde genommen wie ein Spiegel des Universums. Wenn wir also hier die Erde haben (siehe Zeichnung Seite 14) und den Mond in die unmittelbare Nähe der Erde rücken, so ist für die alleräußerlichste An schauung dies der Fall, daß er mit seiner Erscheinung das Sonnenlicht zurück- wirft, so daß wir sagen können: Dasjenige, was vom Monde kommt, ist das auf ihn aufstrahlende und wieder zurückgeworfene Sonnenlicht. Er ist also eigentlich zunächst der Spiegel des Sonnenlichtes.

Sie wissen ja, wie es die Natur eines Spiegels ist, daß man dasjenige sieht, was außer ihm ist, vor ihm ist, daß man aber gerade nicht dasjenige sieht, was hinter ihm ist. Nun ist der Mond nicht nur gewisser

maßen der Spiegel des Sonnen`haften im Universum, sondern er ist überhaupt ein Spiegel für alles dasjenige, was strahlend auf ihn auftreffen kann, nur daß das Sonnenlicht dabei das allerstärkste ist. Aber alles, was an Weltenkörpern im Universum vorhanden ist, strahlt nach

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dem Mon.de, und der Mond strahlt wie ein Spiegel des Gesamtuniversums dieses Universum bildhaft nach allen Seiten wiederum zurück. So daß man sagen kann: Man hat das Universum eigentlich, wenn man es anschaut, doppelt vor sich, einmal, wie es in der Umwelt der Erde sich offenbart, und einmal, wie es zurückgestrahlt ist vom Monde. - Die Sonnenstrahlen wirken mächtig. Sie wirken mächtig auch in ihrer Rückstrahlung vom Monde. Aber auch alles übrige, was im Universum räumlich strahlend sich offenbaren kann, wird vom Monde zurückgestrahlt, und man hat außer dem, was sich im Universum offenbart, noch diese Rückstrahlung des Universums vom Monde.

Derjenige, der alle Einzelheiten des Mondes würde beobachten können, der, mit anderen Worten, ein Auge hätte für die Spiegelbilder, die der Mond nach allen Seiten vom Universum entwirft, der würde vom Monde her gespiegelt haben das ganze Universum. Nur allein dasjenige, was innerhalb des Mondes ist, das bleibt - wenn ich mich so ausdrücken darf - Geheimnis des Mondes, das bleibt verborgen, wie das, was hinter dem Spiegel steht, verborgen bleibt. Was hinter der Oberfläche des Mondes, also im Innern des Mondes selber drinnen ist, das ist vor allen Dingen bedeutsam durch seine geistige Seite.

Die geistigen Wesenheften, welche dieses Innere des Mondes bewohnen, sind Wesenheiten, die sich im strengsten Sinne von dem übrigen Universum abschließen. Sie leben wie in der Mondenfestung. Und nur derjenige, welcher es dahin bringt, zu dem Sonnenlichte eine solche Verwandtschaft zu bekommen, gewisse Eigentümlichkeiten des menschlichen Herzlebens so zur Entwickelung zu bringen, daß er die Rückstrahlung vom Monde nicht sieht, für den wird der Mond gewissermaßen seelisch durchsichtig, und er kann in diese Mondenfestung des Universums eindringen. Und er macht dann eine bedeutungsvolle Entdeckung. Er macht die Entdeckung, daß durch die Aussagen, durch die Lehren derjenigen Wesenheiten, die sich in voller Abgeschlossenheit wie zurückgezogen haben in diese Mondenfestung des Universums, wiederum geoffenbart werden können gewisse Geheimnisse, welche die Erde einmal besessen hat in ihren auserlesensten Geistern, die sie aber verloren hat.

Und wenn wir heute zurückgehen in der Erdenentwickelung, so finden

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wir, daß, je weiter wir zurückgehen, wir desto weniger auf die abstrakten Wahrheiten treffen, die den Stolz der gegenwärtigen Menschheit ausmachen, aber wir kommen immer mehr und mehr auf Bildwahrheiten. Wir ringen uns dann durch die innerlich bedeutungsvollen Wahrheiten durch, die noch aufgeschrieben sind, die als ein letzter Nachklang der orientalischen Weisheit zum Beispiel in den Veden und in der Vedanta erglänzen, wir ringen uns da durch zu den Uroffenbarungen der Menschheit, welche noch hinter den Mythen und Sagen liegen, und kommen zunächst voller Ehrfurcht und voller Erstaunen dazu, anzuerkennen, wie die Menschheit einmal eine großartige Weisheit besessen hat, die sie, ohne Anstrengung des Verstandes, als eine Gnade der geistigen Weltenwesen erhalten hatte. Und wir werden zuletzt zurückgeführt zu all dem, was einmal auf der Erde den damals schon auf Erden vorhandenen Urmenschen lehren konnten diese Wesenheiten, die sich nun in die Mondenfestung des Universums zurückgezogen haben, die mit dem Monde hinausgegangen sind aus der Erde. Die Menschen haben dann die Erinnerung bewahrt an dasjenige, was einstmals diese Wesenheiten geoffenbart hatten den ältesten Urvölkern der Menschheit, die noch etwas ganz anderes in ihrem Wesen hatten als die heutige menschliche Gestalt.

Aber wenn man dieses Geheimnis - ich möchte es das Mondengeheimnis des Universums nennen - durchdringt, wird man gewahr, wie diese Wesenheiten, die heute in derMondenfestung des Universums sich verankert haben, einmal die großen Lehrer der Erdenmenschheit waren, und wie die Erdenmenschheit verloren hat gerade dasjenige, was heute an Geistigem und Seelischem in dieser Universumsfestung verborgen liegt. Denn was der Erde noch zukommt vom Universum, es ist ja durchaus nur dasjenige, was die Außenfläche, gewissermaßen die Mauern dieser Festung zurückstrahlen von dem übrigen Weltenall.

Es gehört dieses Mondengeheimnis zu den tiefsten Geheimnissen des alten Mysterienwesens. Denn was der Mond in seinem Innern enthält, das ist sozusagen die Urweisheit. Dasjenige aber> was der Mond zurückzustrahlen vermag aus allem Universum, das ist, was die Summe von Kräften bildet, welche unsere Tierwelt der Erde unterhalten, namentlich jene, die zusammenhängen mit der Geschlechtlichkeit der Tierwelt,

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die auch das Tierisch-Physische am Menschen unterhalten und zusammenhängen mit der physisch-sinnlichen Geschlechtlichkeit des Menschen. So daß die niedere Natur des Menschen ein Geschöpf ist desjenigen, was der Mond ausstrahlt, und das Höchste, was einmal die Erde besessen hat, in der Mondenfestung innerlich geborgen ist.

In dieser Weise gelangt man durch eine solche Betrachtung allmählich heran an eine Kenntnis der Individualität des Mondes, an eine Kenntnis desjenigen, was er eigentlich ist, während alle andere Erkenntnis eben nur eine solche ist, die man erhalten würde von einem Menschen, wenn man einen Abdruck von ihm in Papiermach6 in einem Panoptikum fände. Man wuöörde nichts wissen von der Individualität des Menschen, wenn man diesen Abdruck betrachtete. Ebensowenig welß eine Wissenschaft> die nicht an die Initiation heran will, irgend etwas von der Individualität des Mondes. In gewissem Sinne ist ein Gegensatz zu dieser Mondenindividualität der äußerste Planet - wenigstens der für die Alten äußerste Planet, es sind ja später noch der Uranus und der Neptun dazugekommen, aber betrachten wir diese beiden letzteren jetzt nicht -, einen gewissen Gegensatz zu dieser Mondenindivi dualität bildet die Saturnindividualität (siehe Zeichnung Seite 14). Die Saturnindividualität ist so geartet, daß sie eigentlich von demWeltenall selbst zwar in der mannigfaltigstenWeise angeregt wird, daß sie aber wenigstens auf die Erde von diesen Anregungen aus demWeltenall nichts zurückkommen läßt,nichts hinstrahlt. Gewiß, auch der Saturn wird von der Sonne bestrahlt, aber dasjenige, was er von den Sonnenstrahlen wieder zurückwirft, hat keine Bedeutung für das irdische Leben, sondern der Saturn ist ganz und gar derjenige Weltenkörper unseres Planetensystems, der sich voll hingibt in seinem eigenen Wesen. Er strahlt sein eigenes Wesen in die Welt hinaus. Und wenn man den Saturn betrachtet, dann sagt er einem eigentlich immer, wie er ist. 'Während der Mond, wenn man ihn äußerlich betrachtet, einem sagt, wie alles andere in der Welt ist, sagt einem der Saturn gar nichts von dem, was er an Anregungen von der übrigen Welt empfängt, sondern er spricht immer nur von sich selbst. Er sagt nur das, was er selbst ist. Und dasjenige, was er selbst ist, enthüllt sich nach und nach wie eine Art Gedächtnis unseres Planetensystems.

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Der Saturn kommt einem vor wie derjenige Weltenkörper, der alles getreulich mitgemacht hat in unserem Planetensystem, aber sich auch alles in der Erinnerung, in dieser kosmischen Erinnerung, die er hat, treu bewahrt hat. Er schweigt über die Dinge der Gegenwart des Universums. Diese Dinge der Gegenwart des Universums nimmt er auf, verarbeitet sie in seinem inneren Seelisch-Geistigen. Die ganze Summe der Wesenheiten, die im Saturn wohnen, gibt sich zwar der Außenwelt hin, aber nimmt schweigend, stumm die Ereignisse der Welt in das Seelenhafte auf und erzählt nur von den vergangenen Ereignissen des Kosmos. Daher ist der Saturn, wenn er zunächst kosmisch betrachtet wird, etwas wie das wandelnde Gedächtnis unseres Planetensystems. Und er enthält eigentlich als ein treuer Mitteiler desjenigen, was im Planetensystem passiert ist, in dieser Art die Geheimnisse des Planetensystems.

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Während wir also, wenn wir die Weltengeheimnisse ergründen wollen, nach dem Monde vergeblich schauen, während wir uns sozusagen zu Vertrauten der Mondenwesen selber machen müssen, wenn wir von

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ihnen etwas erfahren wollen über die Weltengeheimnisse, ist solches beim Saturn nicht notwendig. Beim Saturn genügt ein Aufgeschlossen- sein für das Geistige: dann verwandelt sich der Saturn vor dem geistigen Auge, vor dem Seelenauge, in einen lebendigen Historiographen des Planetensystems. Er hält auch gar nicht zurück mit diesen Erzählungen, die er zu geben hat von alledem, was innerhalb 'des Planetensystems geschehen ist. Er ist in dieser Beziehung der volle Gegensatz der 'Mondenbildung, er spricht fortwährend. Und er spricht von der Vergangenheit des Planetensystems mit innerer Wärme und innerer Glut, so daß es eigentlich gefährlich ist, mit dem, was er im Weltenall spricht, intimer bekannt zu werden, weil er von den vergangenen Er- eignissen des Weltenalls mit einer solchen Hingebung spricht, daß man ungeheuer lieb gewinnt diese Vergangenheit des Weltenalls. Er ist sozusagen fortwährend für denjenigen, der ihm seine Geheimnisse ab- lauscht, der ständige Verführer, das Irdische gering zu achten und sich ganz und gar zu vertiefen in das, was die Erde einmal war.

Namentlich spricht er deutlich über alles das, was die Erde war, bevor sie Erde geworden ist. So daß er derjenige Planet in unserem Planetensystem ist, der einem die Vergangenheit unendlich teuer macht. Und jene Menschen, die nun eine irdische Hinneigung zum Saturn haben, das sind solche, die immer gern in die Vergangenheit blicken, die nicht gerne den Fortschritt haben, die das Vergangene immer wieder zurückführen möchten. Auf diese Art nähert man sich der Individualität des Saturn.

Wieder von anderer Art ist zum Beispiel ein solcher Planet wie der Jupiter (siehe Zeichnung Seite 14). Der Jupiter ist der Denker unseres Planetensystems, und das Denken ist vorzüglich dasjenige Element, was alle Wesenheiten pflegen, die sozusagen in seinem Weltterrain vereinlgt sind. Schöpferische und empfangene Gedanken des Universums strahlen uns vom Jupiter zu. Der Jupiter enthält in Gedankenform alle die Bildungskräfte für die verschiedenen Wesen des Universums. Während der Saturn das Vergangene erzählt, zeigt der Jupiter, doch in lebendiger Darstellung, in lebendiger Auffassung, das ihm Entsprechende im Gegenwärtigen des Universums. Aber es ist notwendig, daß man in einer sinnigen Weise eingreift in dasjenige, was er dem Geistesauge

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darbietet. Wenn man nicht selbst Denken entfaltet, dann kommt man auch zum Beispiel - gebrauchen wir das Wort - als Hellseher an die Geheimnisse des Jupiter nicht heran, denn die Geheimnisse des Jupiter sind so, daß sie nur in Gedankenform sich enthüllen, und nur wenn man selbst denkt, kommt man an die Geheimnisse des Jupiter heran, denn er ist der Denker des Universums.

Wenn man versucht, irgendeine bedeutsame Rätsel frage des Daseins in klarem Denken zu erfassen, und man kommt wegen der menschlich- physischen und ätherischen Hemmnisse, wegen der astralischen Hemmnisse namentlich, nicht zurecht, dann treten die Wesen des Jupiter ein, und sie helfen einem. Die Wesen des Jupiter 'sind gerade die Helfer des Menschlichen für die menschliche Weisheitsentfaltung. Und derjenige, der sich so recht angestrengt hat, um in klarem Denken zu entwickeln irgendwelche Rätselfrage des Daseins und nicht auf ihren Grund kommen kann, der findet, wenn er Geduld hat und diese Rätselfrage weiter im Gemüte bearbeitet, daß ihm die Jupitermächte sogar während der Nacht helfen. Und mancher, der ein Tagesrätsel dann wie aus einem Traume heraus in der Nacht besser gelöst hat als am vorigen Tage, müßte sich, wenn er die Wahrheit durchschauen würde, eigentlich gestehen: Es sind die Jupitermächte, die das menschliche Denken, wenn ich mich so ausdrücken darf, in Schwung und Bewegung und Verve bringen. Wenn also der Saturn der Gedächtnisbewahrer des Univer-ums ist, so ist Jupiter der Denker des Universums. Dem Jupiter verdankt der Mensch alles das, was er von der geistigen Gegenwart des Universums hat. Dem Saturn verdankt der Mensch alles das, was er von der geistig-seelischen Vergangenheit des Universums hat.

Es war aus einer gewissen Intuition heraus, daß gerade in Griechenland, wo man mit dem Geist so in der Gegenwart lebte, der Jupiter besonders verehrt wurde.

Auch in demjenigen, was der Jupiter dem Jahreslauf verleiht, liegt für den Menschen in seiner ganzen Heranentwickelung die Anregung. Sie wissen ja, der Saturn geht, wenn wir seine scheinbare Bewegung genau ins Auge fassen, langsam, langsam herum: fast dreißig Jahre braucht er. Jupiter geht schneller herum: zwölf Jahre etwa braucht er. Er gibt durch das, was er in seiner schnelleren Bewegung ist, dem

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menschlichen Bedürfnisse nach der Weisheit gerade die Genugtuung. Und wenn nach derjenigen Uhr, die gewissermaßen ausdrückt des Menschen Schicksal im Weltenall, eine besondere Beziehung besteht zwischen Jupiter und Saturn, dann kommen in dieses Menschenschicksal hinein jene wunderbaren leuchtenden Augenblicke, in denen mit dem Denken der Gegenwart vieles enthüllt wird über die Vergangenheit.

Und suchen wir in der Weltgeschichte der Menschheit nach den Augenblicken, wo die Renaissance-Epochen eingetreten sind, wo ein Wiederheraufkommen alter Impulse eingetreten ist, wie etwa in der letzten Renaissancezeit, dann ist dieses Wiedererneuern alter Impulse durchaus zusammenhängend mit einer gewissen Konstellation zwischen Jupiter und Saturn.

Aber, wie gesagt, in einem gewissen Sinne verschlossen ist schon der Jupiter, und seine Offenbarungen bleiben im Unbewußten, wenn der Mensch nicht durch ein aktives, in sich kräftiges, klares lichtvolles Denken ihnen entgegenkommt. Daher war in alten Zeiten, in denen das aktive Denken wenig entwickelt war, die Art, wie die Menschheit vorrückte, eigentlich immer davon abhängig, wie Jupiter zu Saturn stand. In Zeiten, in denen eine gewisse Konstellation zwischen Jupiter und Saturn war, offenbarte sich insbesondere 'den alten Menschen vieles. Der`neuere Mensch ist mehr angewiesen darauf, die Dinge getrennt in ihrer Entwickelung zu nehmen, das heißt, das Saturngedächtnis und die Jupiterweisheit getrennt zu empfangen in seiner seelisch-geistigen Entwickelung.

Gehen wir dann zum Mars über (siehe Zeichnung Seite 14), so haben wir in dem Mars den Planeten, den man eigentlich - nicht wahr, eine Terminologie muß man ja haben - den vielsprechenden Planeten in unserem Planetensystem nennen kann. Er ist derjenige, der nicht, wie der

Jupiter, mit seiner Weisheit in der Gedankenform zurückhält, sondern der eigentlich alles, was ihm zugänglich ist im Universum - und ihm sind ja nicht alle Dinge des Universums zugänglich, ich meine, den Seelen, die ihn bewohnen -, immer ausplaudert. Er ist der geschwätzigste Planet in unserem Planetensystem, er erzählt immer. Und er ist zum Beispiel ganz besonders wirksam, wenn Leute aus dem Schlaf, aus

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dem Traum heraus reden. Denn er ist auch im Grunde genommen derjenige Planet, der eine ungeheure Sehnsucht hat, immer zu reden, so daß er, wenn ihm irgend etwas von der menschlichen Natur zugänglich ist, wodurch er sie redselig machen kann, die Geschwätzigkeit an- regt. Er ist der Planet, der wenig denkt, wenig Denker, aber viele Redner hat. Seine Geister stehen immer auf der Wacht, was sich da und dort in dem Universum darbietet, und dann reden sie davon mit einer großen Hingabe und mit einer großen Verve. Er ist derjenige, der in der mannigfaltigsten Weise im Verlaufe der Menschheitsentwickelung die Menschen anregt, Aussagen zu machen über die Weltengeheimnisse.Er hat seine guten und minder guten Seiten. Er hat seinen Genius und seinen Dämon. Der Genius wirkt so, daß die Menschen aus dem Uni- versum heraus überhaupt die Impulse bekommen zur Sprache. Sein Dämon wirkt so, daß die Sprache in der verschiedensten Weise mißbraucht wird. Er ist - in einem gewissen Sinne kann man das sagen - der Agitator des Weltenalls zu nennen. Er will überreden, während der Jupiter nur überzeugen will.

Noch wieder eine andere Stellung nimmt zum Beispiel die Venus ein (siehe Zeichnung Seite 14). Die Venus ist in einer gewissen Beziehung - ja, wie soll ich mich ausdrücken? - abweisend gegen das ganze Universum. Sie ist spröde gegen das Universum, sie will nichts wissen vom Universum. Sie betrachtet das Universum so, daß, wenn sie sich ihm aussetzen würde, sie dadurch, gerade durch das äußere Universum, ich möchte sagen, ihre Jungfräulichkeit verlieren würde. Sie ist furchtbar schockiert, wenn irgendein Eindruck aus dem äußeren Universum an sie herankommen will. Sie mag nicht das Universum, weist jeden Tänzer aus dem äußeren Universum ab. Das ist schwierig auszudrücken, weil natürlich die Verhältnisse in der Erdensprache ausgedrückt werden müssen, aber es ist eben so. Dagegen ist sie ungeheuer empfänglich für alles das, was gerade von der Erde kommt. Die Erde ist wirklich der Liebhaber der Venus in einem gewissen Sinne. Während der Mond ringsherum das ganze Universum spiegelt, spiegelt die Venus nichts von dem Universum, sie will nichts wissen von dem Universum, aber sie spiegelt liebevoll alles zurück, was von der Erde kommt. Man hat die ganze Erde mit allen ihren seelischen Geheimnissen noch einmal,

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wenn man mit dem Seelenauge die Geheimnisse der Venus belauscht.

Es ist schon so, daß die Menschen auf Erden im Grunde nichts Rechtes im Geheimen ihrer Seele tun können, ohne daß es für denjenigen, welcher der Sache nachgeht, von der Venus herabgespiegelt wird. Sie schaut den Leuten allen tief ins Herz hinein, 'denn das interessiert sie, das läßt sie an sich herankommen. Also man hat.alles, was im Intimsten auf der Erde lebt, auf der Venus noch einmal, und in einer Widerspiegelung, die merkwürdig ist. Sie verwandelt eigentlich in der Widerspiegelung alles so, wie der menschliche Traum die äußeren Ereignisse des physischen Lebens verwandelt. Sie nimmt die irdischen Ereignisse und verwandelt sie in Traumbilder. So daß eigentlich der ganze Gang, den die Venus um die Erde herum macht, diese ganze Sphäre der Venus, eigentlich eine Träumerei ist. Und in den mannigfaltigsten Traumgebilden leben die traumhaft verwandelten irdischen Menschengeheimnisse. Die Venus hat 'sogar sehr viel mit den Dichtern zu tun. Nur wissen das die Dichter natürlich nicht, aber sie hat sehr viel mit den Dichtern zu tun.

Nun ist es aber sehr merkwürdig: ich sagte, sie ist abweisend gegen das ganze übrige Universum; das ist sie durchaus. Aber sie ist nicht in der gleichen Art abweisend gegen alles, was aus dem Universum kommt. Also ich möchte sagen, mit dem Gemüte wird von der Venus alles abgewiesen, was von dem Universum kommt, und nur dasjenige nicht abgewiesen, was von der Erde kommt. Jeden Tänzer, sagte ich, weist sie zurück, aber sie lauscht mit aller Aufmerksamkeit auf das, was der Mars redet. Sie verwandelt, sie durchleuchtet ihre traumhaft irdischen Erlebnisse mit dem, was sie aus dem Universum durch den Mars übermittelt erhält.

Alle solchen Dinge haben nun auch eine physische Seite. Von diesen Dingen gehen ja die Impulse aus für dasjenige, was in der Welt geschaffen wird, was in der Welt entsteht. Und aus dem, was sich da abspielt - allerdings, die Sonne ist dazwischen, die macht da Ordnung -, indem die Venus alles, was von der Erde kommt, aufnimmt und dann den Mars immer belauscht - sie will nicht, daß er es weiß, aber sie will ihn belauschen -, nun, aus dem bilden sich diejenigen Kräfte, die gerade zugrunde liegen den Organen der menschlichen Sprachbildung.

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Will man im Kosmos die Impulse für die menschliche Sprachbildung kennenlernen, dann muß man auf dieses merkwürdige Weben und Leben, das sich da abspielt zwischen Venus und Mars, hinschauen. So daß es, wenn das Schicksal gerade so spielt, eine große Bedeutung hat für die Entwickelung 'der Sprache irgendeines Volkes, wie Venus zu Mars steht: Eine Sprache wird innerlich vertieft, seelenvoll, wenn die Venus zum Beispiel in der Konjunktion steht zum Mars. Dagegen wird eine Sprache seelenlos, schellend, wenn die Venus und der Mars in Quadratur stehen und dies dann auf das betreffende Volk Einfluß hat.

So stellen sich diese Dinge dar, die sich als Impulse im Weltenall bilden und dann hereinwirken in das Irdische.

Dann haben wir Merkur (siehe Zeichnung Seite 14). Merkur ist derjenige Planet, welcher, im Gegensatze zu den anderen, eigentlich sich interessiert für das, was nicht sinnlicher, aber von solcher Natur ist, daß man es kombinieren kann. In ihm sind die Meister des kombinie renden Denkens, in Jupiter die Meister des weisheitsvollen Denkens. Und es ist so, daß wenn der Mensch aus dem vorirdischen Leben in das Dasein der Erde tritt, der Mondenimpuls dann derjenige ist, welcher die Kräfte liefert für sein physisches Dasein. Die Venus, die liefert die Kräfte für alles das, was Gemüts- und Temperamentsanlagen sind. Merkur aber liefert die Kräfte für alles das, was im Menschen Verstandes- und Vernunftanlagen sind, namentlich Verstandesanlagen. Es sind eben im Merkur verankert die Meister der kombinierenden Erkenntniskräfte.

Und wiederum besteht in bezug auf den Menschen ein merkwürdiges Verhältnis zwischen diesen Planeten. Der Mond, der die herben, sich ganz in sich selbst zurückziehen den Geister enthält, der nur dasjenige, was aus dem Universum ihm zugestrahlt wird, wiederum zurückstrahlt, der baut eigentlich das Äußere, den Körper des Menschen

auf. Der vereinigt in diesem Aufbauen des Körperlichen also die Vererbungskräfte. In ihm sitzen eben jene geistigen Wesenheiten, die in voller Abgeschlossenheit, ich möchte sagen, kosmisch sinnen über dasjenige, was von Generation zu Generation auf dem Umwege durch das Physische sich forterbt.

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Daher wissen ja die Menschen der gegenwärtigen Wissenschaft, weil sich die Mondenwesen so verschanzt halten in ihrer Festung, über die Vererbung gar nichts. Im Grunde genommen erscheint es einem tieferen Blick so, daß in der Gegenwart, wenn irgendwo in einem wissenschaftlichen Zusammenhang von Vererbung gesprochen wird, man eigentlich, wenn man eine kosmische Sprache redete, sagen könnte: Der ist mondverlassen; dagegen ist er marsbehext, denn er redet unter dem Einflusse der dämonischen Marskräfte von der Vererbung, aber er steht ganz

fern den eigentlichen Vererbungsgeheimnissen.

Venus und Merkur tragen mehr das Seelisch-Geistige des Karmischen in den Menschen hinein und bringen es in seiner Gemütsanlage, in seinem Temperament zum Vorschein. Dagegen haben Mars und namentlich Jupiter und Saturn, wenn 'der Mensch in einem richtigen Verhältnis zu ihnen steht, etwas Befreiendes. Sie reißen ihn los von allem Schicksalsbestimmten und machen ihn gerade zu einem freien Wesen.

Man könnte in e1ner etwas verwandelten Form ein biblisches Wort gebrauchen. Saturn, welcher der treue Gedächtnisbewahrer des Uni- versums ist, sagte eines Tages: Lasset uns den Menschen in seinem eigenen Gedächtnisse frei machen. - Und da wurde der Einfluß des Saturn Ins Unbewußte hinuntergedrängt, der Mensch bekam sein eigenes Gedächtnis und mit ihm die Unterlage, das Unterpfand seiner persönlichen Freiheit.

Ebenso ist der innere Willensimpuls, der im freien Denken liegt, der Gnade des Jupiter zu verdanken. Jupiter könnte eigentlich alle Gedanken der Menschen beherrschen. Er ist derjenige, bei dem man die gegen wäitigen Gedanken des ganzen Universums findet, wenn man sie sich zugänglich macht. Aber er hat sich ebenfalls zurückgezogen, er läßt die Menschen denken als freie Wesen.

Und das freie Element, das in der Sprache ist, liegt darinnen, daß sogar Mars gnadenvoll geworden ist. Weil er sich sozusagen fügen mußte dem Ratschlusse der anderen sonnenfernen Planeten, nicht dem Menschen die Dinge weiter aufdrängen durfte, so ist der Mensch auch in der Sprache in einer gewissen Weise frei, nicht ganz frei, aber er ist in einer gewissen Weise frei.

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So daß von einer anderen Seite her Mars, Jupiter und Saturn die menschenbefreienden Planeten genannt werden können, dagegen Venus, Merkur und Mond die schicksalbestimmen`den Planeten genannt werden müssen.

Zwischen diese Taten und Impulse der planetarischen Individualitäten stellt sich dann die Sonne hinein, gewissermaßen Harmonie schaffend zwischen dem Menschenbefreienden und dem Schicksalbestimmenden. So daß man in der Sonne diejenige Individualität hat, wo in einer wunderbaren Weise zusammenwirkt das schicksalbestimmen`d Notwendige, das Menschenhefreiende. Und derjenige allein versteht das, was eigentlich in dem lohenden, lodernden Sonnenlicht enthalten ist, der dieses Ineinanderweben und -leben von Schicksal und Freiheit, in dem sich in -die Welt verbreitenden und wiederum in der Sonne sich warm zusammenhaltenden Lichte schaut.

Auch mit der Sonne selbst kommen wir nicht zurecht, wenn wir sie bloß in dem anschauen, was die Physiker von ihr wissen. Wir kommen mit der Sonne nur zurecht, wenn wir sie in dem anschauen, was sie geistig-seelisch ist. Da ist sie dasjenige, was in der Wärme erglühen macht die Schicksalsnotwendigkeit, und in der Flamme das Schicksal in Freiheit löst, und wiederum die Freiheit, wenn sie mißbraucht wird, zusammenballt zu dem wirksamen Substantiellen der Sonne. Die Sonne ist gewissermaßen die Flamme, in der die Freiheit phosphorisch im Weltenall erscheint, und sie ist zu gleicher Zeit die Substanz, in der, wie in sich zusammenballender Asche, die mißbrauchte Freiheit als Schicksal sich zusammenbackt, um weiter wirken zu können, bis dieses Schicksal wiederum seinerseits phosphorisch in die Flamme der Freiheit übergehen kann.

DIE GEISTIGEN INDIVIDUALITÄTEN UNSERES PLANETENSYSTEMS SCHICKSALBESTIMMENDE UND MENSCHENBEFREIENDE PLANETEN Dornach, 28. Juli 1923 Zweiter Vortrag

#G228-1985-SE023 Initiationswissenschaft und Sternenerkenntnis

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DIE GEISTIGEN INDIVIDUALITÄTEN

UNSERES PLANETENSYSTEMS

SCHICKSALBESTIMMENDE

UND MENSCHENBEFREIENDE PLANETEN

Dornach, 28. Juli 1923

Zweiter Vortrag

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Gestern gab ich Ihnen eine Charakteristik von dem uns nächsten Sternenhimmel. Wenn Sie an diese Charakteristik zurückdenken, so wer- den Sie sich vor allen Dingen sagen müssen: Schöpft man eine solche Kennzeichnung des Sternenhimmels aus der geistigen Erkenntnis heraus, so nimmt sich diese ganz verschieden aus von dem, was sonst heute auf diesem Gebiete überhaupt gesagt wird. Ich habe gestern, gerade um dies deutlich hervortreten zu lassen, in der Art gesprochen, wie ich es eben getan habe. Ich mußte in einer Weise sprechen, die jedem, der sich heute irgendwie aus der zeitgenössischenBildung über diese Gegenstände Kenntnisse erwirbt, absurd, vielleicht lächerlich erscheinen muß. Und dennoch, die Sache ist so, daß eine Art Heilung unseres kranken Geisteslebens sich nur vollziehen kann, wenn dieser totale Umschwung in der Betrachtung&weise - insbesondere solcher Dinge, wie wir sie gestern besprochen haben - Platz greifen kann.

Und man möchte sagen: Da, wo heute gedacht wird, aber so gedacht wird, daß das Denken in den alten landläufigen Ideen fortläuft, da sieht man auf der einen Seite, wie überall das Denken hinweist auf diese neue Art von geistiger Erkenntnis. Man sieht aber auch, wie die Menschen nicht in der Lage sind, bis zu einer solchen geistigen Anschauung mitzukommen, und wie sie daher eigentlich überall ratlos bleiben und - was vielleicht im gegenwärtigen Augenblick der Geschichte das schlimmste ist - sich ihrer Ratlosigkeit nicht bewußt sind, ja gar nicht bewußt werden wollen.

Stellen wir uns einmal vor, wie heute dasjenige geschildert wird, was ichgestern von einem ganz andern Gesichtspunkte aus geschildert habe. Ich habe gestern über Mond, Saturn, Jupiter und so weiter gesprochen, und ich habe die Individualitäten, die geistigen Individualitäten, die

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man mit diesen Worten verbinden kann, vor Sie hingestellt. Ich habe Ihnen gewissermaßen unser Planetensystem gezeigt wie eine Versammlung von geistigen Wesenheiten, die aus verschiedenen Impulsen heraus wirken, aber so, daß diese Impulse auch mit dem Erdengeschehen etwas zu tun haben.Wir sahen imWeltenall lebendeWesen auftreten mit einem bestimmten Charakter. Wir konnten von lebendigen Wesen in Saturn, Mond und so weiter sprechen. Aber die ganze Art des Sprechens unterscheidet sich eben von dem, was heute über solche Dinge gesagt wird. Da wird angenommen - ich wiederhole es noch einmal - ein einstmals bestehender Urnebel, der in drehender, in kreisender Bewegung war und von dem sich abgespalten haben die einzelnen Planeten, die man heute mit völliger Gleichgültigkeit ansieht wie mehr oder weniger leuchtende physische Körper, die im Weltenraum so dahinsausen.

Diese Anschauung, daß die Himmelskörper solche gleichgültige Körper seien, auf die nichts anderes anwendbar ist als Physik, namentlich Mathematik, um ihre Bahnen auszurechnen, um eventuell zu erforschen, ob die Stoffe, die auf der Erde gefunden werden, auch dort sind, dieses gleichgültige Anschauen der Himmelskörper, das ist etwas, was eigentlich erst in den letzten drei bis vier Jahrhunderten in der Menschheit üblich geworden ist. Und es ist üblich geworden auf eine ganz bestimmte Weise. Die Dinge werden heute nur nicht durchschaut. Dadurch, daß man die Möglichkeit verloren hat, in das Geistige hineinzuschauen, oder, wie es im späteren Mittelalter nur noch der Fall war, wenigstens hineinzuahnen, ist es auch möglich geworden, daß man das Geistige vollständig verloren hat. Man hat dann die physischen Begriffe, die sich auf der Erde ergaben, die mathematischen, die rechnerischen Begriffe, als etwas Sicheres angesehen und hat nun auch dasjenige berechnet, was da draußen im Himmelsraume sich offenbart. Man hat eine bestimmte Voraussetzung dabei gemacht - ich muß schon diese theoretischen Erörterungen heute etwas vorausschicken -, man hat kennengelernt, wie man auf der Erde etwas errechnet, wie man auf der Erde physische Wissenschaft macht, und hat nun dieses auf der Erde Errechnete, diese physische Wissenschaft auch auf das ganze Himmelsall ausgedehnt und geglaubt, daß nun die Rechnungsresultate, die auf Erden gelten, auch für den Himmelsraum gelten.

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Auf der Erde sprechen wir von Zeit, von Stoff, von Bewegung, für Physiker könnte man sagen, von der Masse, auch von der Geschwindigkeit und so weiter: alles Begriffe, die auf Erden gewonnen sind. Die hat man seit der Newtonschen Zeit auch ausgedehnt auf den Himmelsraum. Und die ganze Anschauung, die man da hat von dem, was in der Welt vorgeht, die ist ja nichts anderes als ein Rechnungsresultat, das auf Erden gewonnen ist und dann in den Himmel hinau&geworfen ist. Die ganze Kant-Laplacesche Theorie ist ja in dem Augenblicke ein Unding, in dem man sich bewußt wird, daß sie nur unter der Voraussetzung gilt, daß da draußen im Weltenraum dieselben Rechnungsgesetze gelten wie auf Erden, daß die Begriffe von Raum, Zeit und so weiter da draußen ebenso anwendbar seien wie auf Erden.

Nun liegt aber doch eine merkwürdige Tatsache vor, eine Tatsache, die heute den Menschen viel Kopfzerbrechen macht. Wir leben ja in einer sehr merkwürdigen Zeit, die sich durch mannigfaltige Symptome ankündet. In allen populären Versammlungen, die von Monisten und anderen Bündlern gehalten werden, wird den Leuten wie eine Gewißheit hingestellt, daß da draußen durch die bekannten Vorgänge die Sterne erglänzen. Es wird die ganze schöne Lehre von den Spiralnebeln und so weiter, die sich für das äußere Auge darbieten, einem gläubigen Publikum von popularisierenden Rednern und Schriftstellern vorgetragen. Und von diesen Populärrednern und Populärschriftstellern hat nun der heutige Mensch seine Bildung. Aber diese Bildung ist eigentlich im Grunde genommen nur das Resultat von dem, was die Physiker und andere sogenannte gelehrte Leute vor Jahrzehnten gedacht und ersonnen haben. In solchen populären Versammlungen wird wiederum alles aufgewärmt, was vor Jahrzehnten den Fachleuten gegolten hat. Aber die Fachleute werden heute durch etwas ganz anderes aufgerüttelt. Dasjenige, wodurch sie aufgerüttelt werden, das ist zum Beispiel die sogenannte Relativitätstheorie.

Diese Relativitätstheorie, die Einsteinsche Relativitätstheorie, die beschäftigt heute die Denkenden unter den Physikern. Nun kann ja über Einzelheiten dieser Relativitätstheorie so gesprochen werden, wie ich es auch schon da oder dort getan habe; aber es soll uns heute nicht ihre innere Geltung beschäftigen, sondern die Tatsache, daß sie da ist

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und daß die Physiker davon sprechen. Gewiß, es gibt gegnerische Physiker, aber es gibt sehr viele Physiker, die eben einfach von der Relativitätstheorie sprechen. Was bedeutet denn das aber?

Ja, das bedeutet, daß durch diese Relativitätstheorie alle die Begriffe zerstört werden, auf denen die Anschauung von den Bewegungen und von dem Wesen der Himmelskörper im Weltenraume beruht. Das hat nun durch Jahrzehnte gegolten, was heute in den Astronomiebüchern steht, was heute noch in populären Vorträgen und populären Büchern dem Laienpublikum aufgebunden wird; das hat gegolten. Aber die Physiker gehen an die Abtragung, an die Vernichtung der populärsten Begriffe - Zeit, Bewegung, Raum - und erklären: Das ist alles nicht so, wie man es sich da gedacht hat. - Sehen Sie, wenigstens ist es für den Physiker heute schon etwas wie eine Gewissensfrage, daß er zum Beispiel sagt: Ich richte mein Fernrohr nach einem fernen Stern. Aber ich habe ja berechnet, daß, bis hier das Licht von diesem Stern bis zur Erde ankommt, soundso viel Zeit verfließt. Also wenn ich mit meinem Fernrohr hinaussehe, dann hat das Licht, das in mein Fernrohr fällt, soundso viele Lichtjahre gebraucht. Das Licht, das da hereinfällt, das ist also einmal da oben ausgegangen vor soundso vielen Lichtjahren. Da steht ja .der Stern gar nicht mehr, der ist gar nicht da. Ich bekomme den Lichtstrahl in mein Fernrohr, aber was in der Verlängerung des Fernrohres ist, ist ja gar nicht der Stern. Und wenn ich einen Stern daneben anschaue, von dem das Licht nun viel weniger Lichtjahre braucht, so kommt es jetzt doch zu gleicher Zeit an. Ich drehe mein Fernrohr: der Stern kommt auf einen Lichtpunkt, der vielleicht vor soundso viel Jahren da war. Jetzt drehe ich wieder mein Fernrohr: da fällt ein Stern in mein Fernrohr, der gar nicht da ist, aber der vor einer ganz anderen Anzahl von Jahren da war. Und so bilde ich mir Ansichten über meinen Sternenhimmel! Da ist alles da von der Zeit, wo es einmal da war, aber eigentlich ist es gar nicht da. Eigentlich ist nichts da: alles ist da drunter- und drübergeworfen.

Das ist gerade so, wie es mit dem Raume auch ist. Wir nehmen irgendwo einen fernen Ton wahr. Wenn wir uns ihm nähern, so erscheint er uns in einer anderen Tonhöhe, als wenn wir uns von ihm entfernen. Der Raum wird maßgebend für die Art und Weise dessen, was wir

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wahrnehmen. Und das macht natürlich den Leuten Kopfzerbrechen. Die ganze Zeit, die in alle Rechnungen hineinspielt, sie ist plötzlich eigentlich etwas ganz Unsicheres geworden, etwas bloß Relatives. Und von alledem, was da in einer so populären Weise in den Weltenraum hinausgezeichnet wird, kann eigentlich der heutige Physiker - und er ist sich dessen bewußt - nur sagen: Da ist irgend etwas einmal da gewesen, ist noch da, wird einmal da sein. Nun ja, da ist irgend etwas. Und dasjenige, was da ist, das bewirkt, daß in einem bestimmten Zeitpunkte seine Lichtäußerungen koinzidieren mit dem Fadenkreuz meines Fernrohrs. - Das ist die einzige Weisheit, die man noch behält, die Koinzidenzien zweier Ereignisse. Also, es koinzidiert dasjenige, was einmal irgendwo, irgendwann geschehen ist, mit dem, was heute in dem Fadenkreuz meines Fernrohre~s vor sich geht. Nur von solchen Koinzideniien kann man sprechen - sagt der heutige Physiker -, es ist alles relativ; die Begriffe, aus denen das Weltengebäude theoretisch aufgebaut worden ist, sie sind eigentlich von einem bloß relativen, von gar keinem absoluten Werte. - Daher sprechen die Physiker heute von einer radikalen Umwälzung aller Begriffe der Physik. Und würde man heute aus einer populären Versammlung für Laien unmittelbar in den Vortrag eines Relativitätstheoretikers gehen, dann würde man finden, daß der popularisierende Redner den Menschen etwas tradiert, was sich aufbaut auf den Vorstellungen, von denen die Fachleute sagen: Das ist ja alles geschmolzen wie der Schnee in der Sonne!

Sehen Sie, wir können nicht nur sagen, daß seit drei bis vier Jahrhunderten sich eine physisöhe Weltanschauung aufgebaut hat aus bestimmten Begriffen heraus, sondern wir müssen sagen, daß es heute schon genug Leute gibt, die aus 'diesen Begriffen heraus diese Begriffe aufgelöst haben, vernichtet haben. Sie ist ja bei einer großen Anzahl von Denkern gar nicht mehr da, diese Weltanschauung, die man für sicher hält. Also liegt die Sache doch nicht ganz so, daß dasjenige, was von einem ganz neuen Gesichtspunkte aus gesagt wird, so belächelt werden dar? Denn was von dem anderen Gesichtspunkte gesagt wird, das schmilzt ja hinweg in der Gegenwart wie der Schnee in der Sonne.

Das ist eigentlich schon gar nicht mehr da für jene, die etwas von der Sache verstehen, oder wenigstens etwas verstehen wollen. So daß man

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eigentlich vor der Tatsache steht, daß die Menschen sagen: Das, was hier vom Standpunkt der Geisteswissenschaft aus geschildert wird, ist absurd, weil es nicht übereinstimmt mit dem, was wir als das Richtige ansehen. - Aber wenn sie sich nun auf den Relativitätsstandpunkt stellen, dann müssen diese Leute sagen: Das ist absurd, was wir als das Richtige angesehen haben! - So stehen die Dinge heute. Nur schläft eigentlich der größte Teil der Menschheit, und schaut schlafend zu, wie diese Dinge sich abspielen, und läßt sie geschehen. Es ist aber wichtig, daß man weiß: die Weltanschauung, die als solche so große Triumphe gefeiert hat, ist heute eigentlich ganz und gar in Trümmern.

Der Tatbestand, der vorliegt in der geistigen Welt, der wird eigentlich erst dann in weiteren Kreisen klarwerden, wenn die Menschen sich die Zipfelmütze, unter der sie schlafen, wenigstens einmal etwas lokkern. Also, man hat durchaus nicht nur die Möglichkeit zu denken, daß dasjenige, was aus einem solchen Tone heraus redet, wie ich es gestern getan habe, gegenüber der heutigen Wissenschaft absurd ist, denn diese Wissensohaft ist zum Beispiel in ihrer Relativitätstheorie ganz negativ; die sagt eigentlich überall, was nicht ist, und es wird die Menschheit hinsteuern müssen zu einer Erkenntnis desjenigen, was ist.

Diese Dinge sollen eben geleistet werden durch solche Darstellungen, wie ich sie gestern zu geben versuchte in bezug auf einzelne Sterne unseres Planetensystems. Aber was sehen wir da? Da sehen wir, daß gewissermaßen ganz genau dem Gang der Weltentwickelung gefolgt wird. Was würde Ihnen denn ein altgebackener, nicht neugebackener Physiker, denn die neugebackenen sind eben zumeist Relativitätstheoretiker, was würde Ihnen ein altgebackener Physiker sagen, wenn er hören würde, daß man etwas so Une~hörtes ausspricht, wie ich gestern getan habe? Wenn er nicht gleich sagen würde, das alles ist verrückt und verdreht, und das würde er ja vielleicht zunächst sagen, so würde er doch behaupten: Das widerspricht den festen Fundamenten der Wissenschaft. - Aber was sind die festen Fundamente derWissenschaft? Es sind diejenigen Begriffe von Raum, Zeit und so weiter, die man auf Erden gewonnen hat. Jetzt vernichten die Relativitätstheoretiker diese Begriffe für das Weltenall, erklären ihre Nichtgültigkeit.

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Anthroposophie macht aber die Sache praktisch: sie läßt außer acht die irdischen Begriffe, wenn sie von Mond und Saturn und Jupiter und so weiter redet. Sie redet 'da gar nicht mehr vom Irdischen, sondern sie versucht - wenn das auch nur mit Schwierigkeiten möglich ist -, Venus und Mars so zu charakterisieren, wie man mit irdischen Begriffen nicht mehr charakterisieren kann. Und so muß man sich eben wiederum her- bei lassen, die irdischen Begriffe zu verlieren, wenn man hinaufdringen will in das Weltenall. Ich wollte Ihnen zeigen, wie sich der Kosmos hineinstellt in das gegenwärtige Geistesleben und wie die Dinge im gegenwärtigen Geistesleben stehen. Nur eine Verwandtschaft mit den irdischen Begriffen gibt es, wenn man in den Kosmos hinauskommt. Denken Sie einmal, wenn wir nur bis zum Mond gehen, wie ich ihn gestern charakterisiert habe, bis zu denjenigen Wesenheiten, die im Monde wie in einer Weltenfestung verankert sind und eigentlich hinter der Oberfläche des Mondes leben - wo sie, wenn ich mich so ausdrükken darf, ihr Weltengeschäft treiben -, wenn wir zu diesen Wesenheiten kommen, zu denen man nur mit einem hellseherisch geschärften Blick herankommt, so finden wir also, daß diese Wesenheiten im Verborgenen wirken. Denn was im Innern des Mondes ist, geht ja nicht in die Welt, und alles, was vom Monde kommt, ist zurückgeworfen aus der Welt. Wie der Mond das Sonnenlicht nicht aufnimmt> sondern zurückwirft, so wirft er auch alles andere, was im Universum geschieht, zurück. Alles, was im Universum geschieht, wird durch den Mond wie durch einen Spiegel zurückgeworfen. In seinem Innern geschehen Vorgänge, die verborgen bleiben.

Aber ich habe Ihnen gesagt: Die geistigen Wesenheiten, die in dieser Mondenfestung wie im Universum verschanzt sind und da drinnen ihr Weltengeschäft treiben, 'die waren einmal auf Erden, bevor der Mond sich von der Erde abgespalten hat. Sie waren die ersten großen Lehrer der menschlichen Seelen auf Erden. Und die große uralte Weisheit, von der gesprochen wird, die ist im Grunde genommen ein Erbgut dieser Mondenwesen> die heute im Verborgenen innerhalb 'des Mondes leben. Sie selbst haben sich zurückgezogen.

Wenn man so über das Welten all spricht, dann kommen in die Ideen, die man entwickelt, moralische Begriffe hinein. Die physischen

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Begriffe der Erde vergißt man; es kommen in die Schilderung moralische Begriffe hinein. Wir fragen uns: Warum haben sich diese Mondenwesenheiten zurückgezogen, warum wirken sie im Verborgenen? - Ja, als sie noch auf Erden waren, da suggerierten sie den Menschen allerdings eine ungeheure Weisheit. Wären sie auf Erden geblieben, würden sie immerfort diese Weisheit den Menschen suggeriert haben, die Menschen würden aber niemals in das Zeitalter der Freiheit haben eintreten können.

Diese Wesenheiten hatten sozusagen den wunderbaren Ratschluß gefaßt, sich von der Erde zurückzuziehen, sich an einen-geschlossenen Ort im Universum zurückzuziehen, um dort, fern von dem menschlichen Dasein, ihr Weltengeschäft zu verrichten, damit die Menscheti ferner nicht von ihnen beeinflußt werden, damit die Menschen alle die Impulse des Universums aufnehmen können und freie Wesen werden können. Diese Wesenheiten haben sich einen neuen Wohnplatz im Universum ausgesucht, um den Menschen allmählich die Freiheit möglich zu machen.

Ja, das redet anders, als vom Physiker geredet wird, der, wenn er hörte, der Mond habe sich von der Erde abgespalten, einfach ausrechnen würde, mit welcher Geschwindigkeit das geschehen ist, durch welche Kräfte das geschehen ist und dabei immer nur die irdischen Kräfte, die irdischen Geschwindigkeiten im Auge hätte.Die werden ganz außer acht gelassen, wenn wir so, wie ich es gestern getan habe, von dem Mond sprechen. Aber wenn man das Physische wegläßt, so bleiben solche Ratschlüsse, solche große kosmisch-moralische Impulse. Man kommt, und das ist das Bedeutsame an der Sache, von dem physischen Herumgerede, das für die physischen Erdenverhältnisse gilt, eben zu einem Reden in moralischen Ideen über das Weltenall.

Das ist das Wesentliche, daß man nicht bloß Theorien aufstellt, die geglaubt wer.den sollen, sondern daß es eine moralische Weltenordnung gibt. Das hat die menschliche Seele in den letzten drei bis vier Jahrhunderten ganz verwirrt, daß man gesagt hat: Man kann einiges von der Erde wissen, und nach dem, was man auf der Erde weiß, das Weltenall berechnen und solche Theorien wie die Kant-Laplacesche aufstellen, aber in bezug auf die moralisch-göttliche Weltenordnung muß man

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glauben. - Das hat die Menschen ungeheuer verwirrt, weil die Einsicht ganz abhanden gekommen ist, daß man über die Erde irdisch reden muß, daß man aber in dem Moment, wo man sich zum Weltenall hinauf erhebt, anfangen muß, kosmisch zu reden. Da geht das physische Reden allmählich in ein moralisches Reden hinein. Da wird praktisch das ausgeführt, was sonst höchstens erphantasiert wird.

Wenn Sie heute von einem Physiker die Sonne beschrieben finden, so ist sie irgendeine Gaskugel, die da draußen dampft, und ihre Eruptionen werden so beschrieben wie Erdeneruptionen. Alles wird auf diesen Weltenkörper so hinausprojiziert, wie das, was auf der Erde geschieht, und mit denselben Rechnungen, die wiör uns hier angeeignet

haben, berechnen wir dann, wie ein Lichtstrahl an der Sonne vorbeigeht oder dergleichen. Aber was hier für Erdendinge an Errechnetem gilt, das hört ja auf, eine Geltung zu haben, wenn man da hinauskommt. Und so wie das Licht in seiner Stärke mit der Entfernung im Quadrate abnimmt, so hören die Gesetze auf, im Weltenall draußen zu gelten. Und wir sind nur noch dem Weltenall verwandt in unserem Moralischen. Indem wir uns über das Physische als Mensch zum Moralischen erheben, werden wir hier auf Erden dem ähnlich, was im Weltenraum draußen als die realisierte Moralität wirkt.

Also müssen wir sagen: Anthroposophie ist im äußersten Sinne Wissenschaft. Sie führt dasjenige, was sich als eine Forderung ergibt, auch wirklich aus. Sie redet gar nicht mehr in irdischen Vorstellungen, ausgenommen den moralischen, die aber auf Erden schon überirdisch sind. Sie redet in solchen moralischen Vorstellungen, wenn sie sich aufschwingt zum Weltenall. Das muß eben durchaus berücksichtigt werden. Und von diesem Gesichtspunkte aus müssen eben die Begriffe wiederum gewonnen werden, die wir brauchen, um auf der Erde dasjenige zu begreifen, was eben jetzt nicht begriffen werden kann.

Sehen Sie, die Wesenheiten, die im Monde verankert sind, sie wirken, sagte ich, nur wie in einer Festung. Da treiben sie ihr Weitengeschäft. Denn alles, was der Mond der Welt gibt, der Erde gibt> ist ja zurückgeworfen, ist gespiegelt. Das aber ist ein Zustand, der im kos mischen Werden eben erst im Laufe der Entwickelung eingetreten ist.

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Früher war es anders. Und in die, ich möchte sagen, weiche, schleimartige Gestalt, welche die Erde selbst und alle Wesen einmal hatten, da wirkten diese Wesen, als sie noch auf Erden wandelten, hinein. Und mit diesen Wirkungen hängt sowohl beim Menschen wie bei den Tieren das Zustandekommen der Rückenmarkssäule zusammen. So daß die Rückenmarkssäule bei den Menschen und bei den Tieren eine Erbschaft ist aus sehr alten Zeiten, wo die Mondenwesen noch mit dem irdischen Sein verbunden waren. Das kann heute nicht mehr entstehen. Die Wirbelsäule ist eine Erbschaft, sie kann heute nicht mehr entstehen.

Aber in bezug auf die vierfüßigen Tiere haben diese Wesenheiten die Wirbelsäule so fest gemacht, daß sie horizontal bleibt. Bei den Menschen haben sie sie so gemacht, daß sie vertikal werden konnte, und der Mensch dann durch die vertikale Wirbelsäule frei werden konnte für das Weltenall und seine Einflüsse in dem Moment, wo diese Mondenwesen sich in die Mondenfestung zurückzogen.

Und so werden wir allmählich dazu kommen, das Irdische aus dem Weltenall heraus zu erklären, und überhaupt geistige Kräfte und geistige Impulse auch im irdischen Dasein in der richtigen Weise zu beurteilen. Es ist so, daß sich in die menschlichen Köpfe eben Dinge hineingesetzt haben, die wirklich erst in den drei, vier letzten Jahrhunderten entstanden sind. Und zwar alle unter dem Einflusse der Ansicht, daß man auf das ganze Weltenall zu seiner Erklärung nur dasjenige anwenden kann, was man in den physischen Ereignissen und von den physischen Dingen der Erde gewonnen hat. Man hat das ganze Welten- all zu einem physischen Abbild der Erde gemacht. Man ist allerdings jetzt darauf gekommen: Da koinzidiert etwas mit meinem Fadenkreuz, aber das war einmal da! Die ganze Geschichte gilt in dieser Weise nicht. Und wenn man in bezug auf Sterne, die weit genug entfernt sind, Rücksicht nimmt, so kann der heutige Physiker schon sagen: Was ich als Karte aufzeichne, das ist ja gar nicht da. Ich zeichne zwei Sterne nebeneinander: der eine Stern war einmal, sagen wir, vor tausend Jahren da, der andere war da vor sechshundert Jahren. Ja, so nebeneinander, wie ich da die Koinzidenzien 'der Lichtstrahlen in meinem Fadenkreuz habe, so waren sie niemals da!

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Also das alles zerschmilzt, das alles ist gar nicht so in Wirklichkeit. Mit diesen Begriffen kommt man nicht darauf, was da draußen ist. Man rechnet, rechnet, rechnet. Es ist geradeso, wie wenn die Spinne ihr Netz spinnt und sich dann einbiiden würde, daß dieses Netz die ganze Welt durchspinnt.

Der Grund davon ist der, daß diese Gesetze, nach denen man da rechnet, da draußen gar nicht mehr gelten, sondern daß man höchstens das Moralische, das in uns ist, benutzen kann, um Begriffe zu bekommen von dem, was da draußen ist. Da draußen im Sternenhimmel geht es nämlich moralisch, zuweilen auch unmoralisch, ahrimanisch, luziferisch und so weiter zu. Aber wenn ich das Moralische als Gattungsbegriff fasse, geht es moralisch zu, nicht physisch. Doch das ist etwas, auf das erst wieder gekommen werden muß, weil das andere sich im Laufe der letzten zwei bis drei Jahrhunderte so fest in die menschlichen Köpfe eingeprägt hat, daß selbst solche Zweifel, wie sie den Relativitätstheoretikern kommen - denn ihre Negationen haben sehr viel für sich -, daß selbst solche Zweifel es gar nicht aus den Köpfen heraus- treiben können. Es ist auch begreiflich, denn wenn auch noch diese letzte Schimäre, die Zeit-Raum-Rechnung, die sie ausführen, wenn auch diese noch für den Sternenhimmel aus den Köpfen schwindet, so ist ja in diesen Köpfen gar nichts mehr darinnen, und etwas behalten die Menschen eben doch gerne darinnen. Denn etwas anderes wird erst darinnen sein können, wenn man sich eben aufschwingt zu derMöglichkeit,so den Sternenhimmel anzuschauen,wie wir es gestern getan haben.

Nun muß man sich klarwerden, daß uns dieses alles darauf hinweist, wie es für den Menschen der Gegenwart schon notwendig ist, sich klare Begriffe zu verschaffen über das, was eigentlich in den letzten drei bis vIer Jahrhunderten geschehen ist, und was sein vorläufiges Ergebnis gefunden hat in dem größten aller Kriege, die jemals auf Erden gewesen sind, und in den chaotischen Verhältnissen, die sich ja noch immer chaotischer gestalten werden in der nächsten Zukunft. Was als Anforderung an die Menschheit vorhanden ist, das ist, sich eben wirklich über diese Dinge doch einmal klarzuw.erden. Und da ist es interessant, einen Blick über die Erde mit ihrer heutigen Geistesbildung so hinzuwerfen.

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Innerhalb derjenigen Zivilisation, in welcher der Abendländer mit seinem amerikanischen Anhange lebt, hält man ja einfach alles das, was sich in den drei bis vier letzten Jahrhunderten unter dem Einflusse einer phänomenal großartigen Technik und eines großartigen Weltverkehrs entwickelt hat - der nur heute auch in die Brüche geht -, für so fest, daß natürlich jeder ein Tor ist, der nicht dieselben Begriffe annimmt. Nun ist es ja richtig, daß der Orient in der Dekadenz ist, aber man muß doch sagen: Was man heute aus den Quellen unserer eigenen anthroposophischen Forschung wiederum so aussprechen muß, wie ich es gestern getan habe, das ist, wenn auch in ganz anderer Art, einmal in uralten Zeiten doch eben orientalische Weisheit gewesen.

Wir können diese orientalische Weisheit heute, wie ich oftmals auseinandergesetzt habe, in der alten Form nicht wieder annehmen. Wir müssen sie aus dem abendländischen 'Gemüte, aus der abendländischen Seele heraus wiedergewinnen. Aber es war einmal> ich möchte sagen, Sitte, aus dem alten Hellsehen, aus diesem traumhaften alten Hellsehen heraus über die Sterne so zu sprechen, wie ich gestern wiederum davon zu sprechen begonnen habe. Nur ist das der Menschheit eben vollständig verlorengegangen, und die europäische Menschheit betrachtet heute alles das als absurd, was einmal als höchste menschliche Weisheit galt.

Nun, wie gesagt, wenn auch im Orient drüben das einmal eine großartige ursprüngliche Weisheit war, heute sind die Leute in der Dekadenz. Aber in einem gewissen Sinne hat sich wenigstens äußerlich traditionell im Orient noch etwas erhalten von einem solchen Anschauen des Weltenalls, ich möchte sagen, von einem seelenvollen Anschauen des Weltenalls. Und den Orientalen imponiert die technische Kultur Europas sehr wenig. Diese Seelen gerade, die heute im Orient liebevoll eingehen auf die Urweisheit, die verachten im Grunde genommen, was in Europa sich als eine mechanische Kultur und Zivilisation herausgebildet hat. Sie studieren dasjenige, was die menschliche Seele betrifft, aus ihren alten Schriften. Manchem geht dabei innerlich eine, wenn auch schon dekadente Erleuchtung auf, so daß im Orient noch etwas von dem lebt, was seelisches Erschauen der Welt ist. Und es ist nicht unnötig, auch einmal auf die Art und Weise hinzuschauen, wie nun diese Menschen, die eine alte Kultur wenigstens noch in einer Art von

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Abglanz haben, auf das europäisch-amerikanische Geistestreiben hin- schauen. Wenn es auch nur zum Vergleich ist, so ist es doch immerhin interessant.

Da ist ein merkwürdiges Buch erschienen von einem gewissenR6ma- n6than, einem Inder aus Ceylon, «The Culture of the soul among western nations».DieserRa`mana`than spricht in einer merkwürdigenWeise. Er gehört offenbar zu denen, die sich da drüben im Orient innerhalb der indischen Zivilisation einmal gesagt haben: Diese Europäer haben doch auch ganz merkwürdige Schriften, zum Beispiel das Neue Testament. - Nun haben sich diese Leute, zu denen auch Ra`mana`than gehört, mit dem Neuen Testament beschäftigt - aber natürlich so, wie sich die Seele dieser Leute eben mit dem Neuen Testament beschäftigen kann -, haben dieses Neue Testament, das Wirken des Christus Jesus, durch das Neue Testament nach Maßgabe ihrer Seelenverfassung aufgenommen. Und es gibt schon immerhin da drüben - das zeigt 'dieses Buch von Ra`mana`than - Leute, die nun aus ihren Resten einer uralten Kultur von dem Christus Jesus und dem Neuen Testament sprechen. Sie haben sich da ganz bestimmte Vorstellungen gebildet von dem Christus Jesus.

Und nun schreibt dieser Mann viel über diese Vorstellungen von dem Christus Jesus, und er richtet natürlich das Bucher hat es ja in englischer Sprache geschrieben - an die Europäer. Er richtet das Buch, das also vom indischen Geiste über Jesus in den Evangelien geschrieben ist, an die Europäer, und er sagt den Europäern etwas ganz Merkwürdiges. Er sagt ihnen: es sei doch ganz absonderlich, daß sie gar nichts von dem Christus Jesus wissen. Da in den Evangelien stehen großartige Dinge über den Christus Jesus, aber die Europäer und Amerikaner wissen gar nichts davon, wissen wirklich nichts davon! Und er gibt den Europäern und den Amenökanern einen merkwürdigen Rat. Er sagt ihnen: Laßt euch doch Lehrer des Neuen Testaments aus Indien kommen, die werden euch sagen können, wie es eigentlich mit dem Christus Jesus beschaffen ist.

Also diese Menschen in Asien drüben, die sich heute mit dem europäischen Fortschritt befassen und die 'dann das Neue Testament lesen, die sagen diesen Europäern: Wenn ihr etwas erfahren wollt über den

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Christus Jesus, dann müßt ihr euch Lehrer von uns kommen lassen, denn alle Lehrer, die bei euch reden, die verstehen gar nichts davon, das ist alles Mißverstandenes! - Und er führt das im einzelnen aus. Er sagt: In Europa ist in einer bestimmten Zeit eingetreten an die Stelle des Erfassens des geistigWesenhaften ein gewissesWortverständnis von allem. Die Europäer hängen in bezug auf alle Dinge an einem gewissen Wortverständnis. Sie tragen nicht ein geistiges Verständnis in ihren Köpfen, sondern die Worte, die sie bei ihren einzelnen Bevölkerungen lernen, die dunsten in ihre Köpfe hinauf, und dann denken sie in Worten.

Es ist eine merkwürdige Weise, in welcher diese Inder trotz ihrer Dekadenz noch zu dieser Einsicht kommen, denn bis hierher stimmt die Geschichte ganz auffällig. Bis in die Physik und Mathematik hinein wird ja heute in Worten gedacht, nicht in Sachen. In dieser Bezie hung sind ja die Menschen heute recht merkwürdig. Wenn einer ganz gescheit sein will, dann zitiert er rasch: Denn eben, wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. - Es geschieht das heute aber meistens aus dem Drang heraus, daß dem Betreffenden selbst alle Begriffe ausgegangen sind: da stellt sich ihm nämlich rasch das Goethesche Wort ein. Aber das merkt er 'dann nicht. Er merkt nicht, daß er in dieser Untugend ganz bitter drinnen ist in dem Moment, wo er sie rügt.

Also das sagt dieser Inder den Europäern: Ihr habt ja nur ein Wortverständnis von allen Dingen, und ihr habt dieses Wortverständnis über das Neue Testament ausgedehnt, und dadurch habt ihr den Christus seit vier Jahrhunderten tot gemacht. Der lebt gar nicht mehr unter euch, der ist seit vier Jahrhunderten tot. Schafft euch Lehrer aus Indien an, damit er wiederum erweckt werden kann. - So sagt dieser Inder den Europäern.

Er sagt: Seit drei bis vier Jahrhunderten wissen die Europäer überhaupt nichts mehr vom Christus. Sie können gar` nichts wissen, weil sie gar nicht die Begriffe und Vorstellungen haben, durch die man von dem Christus etwas wissen kann. - Der Inder sagt den Europäern: Ihr braucht eine Renaissance des Christus Jesus. Ihr müßt den Christus wieder entdecken, oder irgendein anderer muß ihn für euch entdecken,

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damit ihr ihn wieder habt! - So sagt der Inder, nachdem er dazu gekommen ist, das Evangelium zu lesen. Also er merkt, daß da in den letzten drei bis vier Jahrhunderten in Europa sonderbare Dinge vor- gegangen sind. Und dann sagt er: Wenn die Europäer selbst wiederum daraufkommen wollten, welcher Christus im Neuen Testamente lebt, da müßten sie weit zurückgehen. Denn dieses Christus-Unverständnis hat sich langsam vorbereitet, und eigentlich müßten die Europäer, wenn sie aus ihren eigenen Schriften noch etwas verstehen lernen wo 11- ten von dem Christus, bis zu der Gnosis zurückgehen.

Eine merkwürdige Erscheinung! Da ist ein Inder, der ja nur der Repräsentant für viele ist, der liest das Neue Testament und sagt den Europäern: Euch hilft überhaupt jetzt nichts mehr, als daß ihr zu den Gnostikern zurückgeht.

Aber die Gnostiker haben ja die Europäer eigentlich nur in den Gegenschriften. Die Europäer wissen nichts von den Gnostikern. Es ist schon ein merkwürdiges Faktum: die Schriften der Gnostiker sInd ja alle ausgerottet worden, man hat nur die Polemiken der christlichen Kirchenväter gegen die Gnostiker, mit Ausnahme der «Pistis Sophia» und einigen anderen, die aber ebensowenig verstanden werden können, so wie sie vorliegen, als die Evangelien selber verstanden werden.

Nun kommen aber dann, wenn man nun nicht gerade Gnostiker ist, sondern aus der modernen Geisteswissenschaft heraus den Christus wiederfindet, die Theologen und sagen: Da wird die Gnosis wieder aufgewärmt - die Gnosis, die sie allerdings nicht kennen, denn sie können sie ja nicht kennen aus irgendwelchen äußerlichen Dingen. Aber «die Gnosis aufwärmen» ist es doch, und das darf man nicht, denn aus der wird ja das Christentum verfälscht. Das ist auch eine Divergenz zwischen Ost und West. Derjenige, der im Osten das Neue Testament studiert, der findet, man muß in die ersten Jahrhunderte zurückgehen. Wenn den Theologen von der Gegenwart etwas, das als die ChristusSchilderung in der heutigen Anthroposophie auftritt, so aussieht, als wenn sie an die ihnen unbekannte Gnosis anklänge, dann sagen sie: Der will die Gnosis wiederum aufwärmen, das darf nicht sein, dadurch wird das Christentum verfälscht.

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Ja, das Urteil des Inders lautet doch ganz merkwürdig. Dieser Ra`mana`than sagt eigentlich: Das, was die Europäer jetzt ihr Christentum nennen, das ist verfälscht. Die Europäer sagen: Der Ra`mana`than verfälscht uns unser Christentum. Der Ra`mana`than aber kommt der richtigen Anschauung, allerdings mit seinem dekadenten Anschauen, ziemlich nahe. Das Richtige ist immer eine Verfälschung des Falschen. Es kommt nur darauf an, daß man diese Dinge bei dem richtigen Namen nennt. Das Richtige ist immer eine Verfälschung des Falschen, denn würde man das Falsche nicht verfälschen, dann würde man auf das Richtige nicht kommen.

So aber liegen die Dinge heute. Denken Sie nur, in welchen Abgrund man da hineinschaut, wenn man sich dieses Beispiel von dem R~mana`than nimmt. Es könnte zum Beispiel also jemand sagen: Lies doch die Evangelien unbefangen. - Es ist heute für den Europäer schwer, sie unbefangen zu lesen, nachdem ihm einmal die malträtierten Übersetzungen durch Jahrhunderte dargeboten sind, und er in gewissen Vorstellungen erzogen worden ist. Es ist schwer, sie unbefangen zu lesen. Wenn aber einer sie, wenn auch von seinem Standpunkt, unbefangen liest, dann entdeckt er in den Evangelien einen geistigen Christus. Denn den hat der Ra`mana`than entdeckt in den Evangelien, wenn er ihn auch noch nicht im anthroposophischen Sinne sehen kann.

Aber immerhin sollten die Europäer das doch beachten, daß ihnen dieser ceylonesische Inder den Rat gibt: Lasset euch Prediger über den Christus aus Indien kommen, denn ihr habt keine.

Bei diesen Dingen muß man heute den Mut haben, hineinzuschauen in die Entwickelung, die in den letzten 'drei bis vier Jahrhunderten sich vollzogen hat, und nur durch diesen Mut ist es möglich, wirklich aus dem ungeheuren Chaos herauszukommen, in das die Menschheit nach und nach hineingesaust ist. Dieser Hang zur Unklarheit trübt alle Begriffe und bewirkt zuletzt auch das soziale Chaos. Denn dasjenige, was zwischen Menschen sich abspielt, spielt sich eben doch aus ihren Seelen heraus ab, und es ist schon ein Zusammenhang zwischen den 'höchsten Wahrheiten und dem Zerstören der äußeren wirtschaftlichen Verhältnisse. Und so muß man sich eben wiederum herbeilassen, die irdischen Begriffe zu verlieren, wenn man hinaufdringen will in das Weltenall.

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In dem gestrigen Vortrage wollte ich Ihnen ein Beispiel geben da- von, wie sich der Kosmos hineinstellt in das 'gegenwärtige Geistesleben und wie die Dinge im gegenwärtigen Geistesleben stehen. Eine Verwandtschaft mit den irdischen Begriffen gibt es nur dann, wenn man in den Kosmos hinauskommt.

DIE GEISTIGEN INDIVIDUALITÄTEN UNSERES PLANETENSYSTEMS SCHICKSALBESTIMMENDE UND MENSCHENBEFREIENDE PLANETEN Dornach, 29. Juli 1923 Dritter Vortrag

#G228-1985-SE040 Initiationswissenschaft und Sternenerkenntnis

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DIE GEISTIGEN INDIVIDUALITÄTEN

UNSERES PLANETENSYSTEMS

SCHICKSALBESTIMMENDE

UND MENSCHENBEFREIENDE PLANETEN

Dornach, 29. Juli 1923

Dritter Vortrag

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Der Mensch wechselt während seines irdischen Daseins in den Bewußtseinszuständen, die wir ja auch in diesen Tagen schon von manchen Gesichtspunkten aus betrachtet haben, zwischen den Zuständen des völligen Wachens> des Schlafens und des Träumens. Und ich habe ja gerade bei dem kleinen Vortragszyklus während der Delegiertenversammlung die ganze Bedeutung des Träumens auseinanderzusetzen versucht. Wir wollen uns heute einmal zunächst die Frage vorlegen: Gehört es zum Wesentlichen des Menschen, als irdisches Wesen in diesen drei Bewußtseinszuständen zu leben?

Wir müssen uns klar sein darüber, daß innerhalb des irdischen Daseins nur der Mensch in diesen drei Bewußtseinszuständen lebt. Das Tier lebt ja in einem wesentlich anderen Wechsel. Jenen tiefen traumlosen Schlaf, den der Mensch die größte Zeit hindurch hat zwischen dem Einschlafen und Aufwachen, hat das Tier nicht, dagegen hat auch das Tier nicht das vollständige Wachsein, das der Mensch hat zwischen demAufwachen und Einschlafen. Der tierischeWachzustand ist eigentlich dem menschlichen Träumen etwas ähnlich. Nur sind die Bewußtseinserlebnisse der höheren Tiere bestimmter, gesättigter, möchte ich sagen, als die flüchtigen menschlichen Träume. Aber auf der andern Seite ist das Tier niemals in jenem hohen Grade bewußtseinslos, wie der Mensch das im tiefen Schlafe ist.

Das Tier unterscheidet sich daher nicht in demselben Maße von seiner Umgebung wie der Mensch. Das Tier hat nicht in dieser Weise eine Außenwelt und Innenwelt, wie der Mensch sie hat. Das Tier rechnet sich eigentlich, wenn wir in menschliche Sprache übersetzen, was als ein dumpfes Bewußtsein in den höheren Tieren lebt, mit seinem ganzen Innenwesen zur Außenwelt mit.

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Wenn das Tier eine Pflanze sieht, dann ist nicht zunächst für das Tier die Empfindung da: es ist außen eine Pflanze, und ich bin im Innern ein geschlossenes Wesen, sondern für das Tier ist ein starkes inneres Erlebnis von der Pflanze da, eine unmittelbar sprechende Sympathie oder Antipathie. Das Tier empfindet gewissermaßen dasjenige, was die Pflanze äußert, in seinem Innern mit. Daß in unserem heutigen Zeitalter die Menschen so wenig beobachten können, was sich nicht in ganz grober Weise der Beobachtung ergibt, dieser Um- stand nur ist es ja, der sie ~erhindert, einfach an dem Getriebe, an dem Gehaben des Tieres schon zu sehen, daß das so ist, wie ich es gesagt habe.

Nur der Mensch hat dieses scharfe, deutliche Unterscheiden zwischen seiner Innenwelt und der äußeren Welt. Warum anerkennt der Mensch eine äußere Welt? Wodurch kommt der Mensch dazu, überhaupt von einer Innenwelt und von einer Außenwelt zu sprechen? Er kommt dadurch dazu, daß er mit seinem Ich und mit seinem astralischen Leibe jedesmal im Schlafzustand außerhalb seines physischen und seines Ätherleibes ist, daß er sozusagen seinen physischen und Ätherleib sich selbst überläßt im Schlaf, und bei denjenigen Dingen ist, die Außenwelt sind. Wir teilen ja während unseres Schlafzustandes das Schicksal der äußeren Dinge. So wie Tische und Bänke, Bäume und Wolken während desWachzustandes außerhalb unseres physischen und Ätherlei`bes sind, und wir sie deshalb als Außenwelt bezeichnen, so sind unser eigener astralischer Körper und unser eigenes Ich während des Schlafes der Außenwelt angehörig. Und wenn wir mit unserem Ich und mit unserem astralischen Leibe während des Schlafes der Außenwelt angehören, da geschieht etwas.

Um einzusehen, was da ges~hieht, wollen wir zunächst einmal von dem ausgehen, was eigentlich geschieht, wenn wir in einem ganz normalen Wa~hzustande der Welt gegenüberstehen. Da sind die Gegenstände außer uns. Und es hat ja allmählich das wissenschaftliche Den- ken der Menschen es dahin gebracht, als sicher für diese physischen Dinge der Außenwelt nur das anzuerkennen, was man messen, wägen und zählen kann. Der Inhalt unserer physischen Wissenschaft wird ja bestimmt nach Gewicht, nach Maß, nach Zahl.

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Wir rechnen mit den Rechnungsoperationen, die einmal für die irdischen Dinge gelten, wir wägen die Dinge, wir messen sie. Und was wir durch Gewicht, Maß und Zahl bestimmen, das gibt eigentlich das Physische. Wir würden einen Körper nicht als einen physischen bezeichnen, wenn wir ihn nicht irgendwie mit der Waage in seiner Realität nachweisen könnten. Dasjenige aber, was zum Beispiel Farben sind, was Töne sind, was selbst Wärme- und Kälteempfindungen sind, was also die eigentlichen Sinneswahrnehm.ungen sind, das webt so hin über den schweren, meßbaren, zählbaren Dingen. Wenn wir irgendein physisches Ding bestimmen wollen, so ist das, was seine eigentliche physische Wesenheit ausmacht, eben dasjenige, was sich wägen, zählen läßt, womit der Physiker eigentlich bloß zu tun haben will. Von Farbe, von Ton und so weiter sagt er: Ja, da geschieht eben draußen etwas, was auch mit Wägen oder Zählen zu tun hat. - Er sagt ja selbst von den Farbenerscheinungen: Da draußen sind schwingende Bewegungen, die machen einen Eindruck auf den Menschen, und diesen Eindruck, den bezeichnet der Mensch, wenn das Auge ihn bestimmt, als Farbe, wenn das Ohr ihn bestimmt, als Ton und so weiter.- Eigentlich könnte man sagen: Mit allen diesen Dingen - Ton, Farbe, Wärme und Kälte - weiß der Physiker heute nichts anzufangen. Er betrachtet sie eben als Eigenschaften dessen, was sich mit der Waage, mit dem Maßstab oder durch die Rechnung bestimmen läßt. Es haften gewissermaßen die Farben an dem Physischen, es entringt sich dem Physischen der Ton, es wellt heraus aus dem Physischen die Wärme oder Kälte. Man sagt: Dasjenige, was ein Gewicht hat, das hat die Röte, oder es ist rot.

Wenn der Mensch nun in dem Zustand zwischen Einschlafen und Aufwachen ist, da ist es mit dem Ich und mit dem astralischen Leibe anders. Da sind die Dinge nach Maß, Zahl und Gewicht zunächst überhaupt nicht da. Nach dem irdischen Maß, Zahl un.d Gewicht sind die Dinge nicht da. Da haben wir nicht Dinge um uns herum, wenn wir schlafen, die man abwiegen kann, so sonderbar es erscheint, wir haben auch nicht Dinge um uns herum, die man zählen kann, oder die man messen kann unmittelbar. Einen Maßstab könnte man nicht anwenden als Ich und als astralischer Leib im Schlafzustande.

Aber was da ist, das sind, wenn ich mich so ausdrücken darf, die

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frei schwebenden, frei webenden Sinnesempfindungen. Nur daß der Mensch im gegenwärtigen Zustand seiner Entwickelung nicht die Fähigkeit hat, die frei schwebende Röte, die Wellen des frei webenden Tones und so weiter wahrzunehmen.

Will man schematisch die Sache zeichnen, so könnte man das so machen. Man könnte sagen: Hier auf Erden haben wir wägbare feste Dinge (siehe Zeichnung, violett), und an diesen wägbaren festen Dingen haftet gewissermaßen die Röte, die Gelbe, also dasjenige, was die Sinne an den Körpern wahrnehmen. Wenn wir schlafen, dann ist die Gelbe frei schwebendes Wesen, die Röte ist frei schwebendes Wesen, nicht 'haftend an solchen Schwerebedingungen, sondern frei webend und schwebend. Ebenso ist es mit dem Ton: nicht die Glocke klingt, sondern das Klingen webt.

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Und nicht wahr, wenn wir in unserer physischen Welt herumgehen, irgend etwas sehen, so heben wir es auf; dann ist es eigentlich erst ein Ding, sonst könnte es auch eine Augentäuschung sein. Das Gewicht muß hinzukommen. Daher ist man so geneigt, etwas, was im Physischen erscheint, ohne daß man es als schwer empfindet - wie die Farben des Regenbogens -, als eine Augentäuschung zu betrachten. Wenn Sie heute ein Physikbuch aufschlagen, so ist es so, daß man da erklärt:

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Das ist eine Augentäuschung. - Als das eigentlich Reale sieht man den Regentropfen an. Und da zeichnet man Linien hinein, die eigentlich gar nichts bedeuten für das, was da ist, aber die man sich so durch den Raum hin denkt; man nennt sie dann Strahlen. Aber die Strahlen sind gar nicht da. Dann sagt man: Das Auge projiziert sich das hinaus. - Dieses Projizieren ist ja überhaupt etwas, was in einer sehr sonderbaren Weise heute in der Physik angewendet wird. Also ich greife die Vorstellung auf: Wir sehen einen roten Gegenstand. Um uns zu überzeugen, daß es keine Augentäuschung ist, heben wir ihn, und er ist schwer: dadurch verbürgt er seine Realität.

Derjenige, der sich nun im Ich und im astralischen Leibe außerhalb des physischen und des Ätherleibes bewußt wir`d, der kommt auch endlich darauf, daß so etwas da drinnen schon ist in diesem frei schwebenden und frei webenden Farbigen, Tönenden; aber es ist anders. Es ist in einem so frei schwebenden Farbigen die Tendenz, in die Weiten der Welt hinaus sich zu entfernen; es hat eine entgegengesetzte Schwere. Diese Dinge der Erde, die wollen da herunter nach 'dem Mittelpunkt der Erde (siehe Zeichnung Seite 45, Pfeile abwärts), jene (Pfeile aufwärts) wollen frei hinaus in den Weltenraum.

Und es ist auch schon so etwas Ähnliches da wie ein Maß. Man kommt nämlich darauf, wenn man irgendwo, sagen wir, eine kleine rötliche Wolke hat, und diese kleine rötliche Wolke ist meinetwillen ein-

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gesäumt von einem mächtigen gelben Gebilde. Dann mißt man, aber nicht mit dem Maßstab, sondern qualitativ mißt man mit dem Roten, mit dem stärker Scheinen den das schwächer scheinende Gelbe. Und so

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wie Ihnen der Maßstab sagt: das sind fiinf Meter, so sagt Ihnen hier das Rote (siehe Zeichnung): Wenn ich mich ausbreiten würde, gehe ich fünfmal in das Gelbe hinein. Ich muß mich weiten, ich muß mächtiger werden, dann werde ich auch gelb. - So geschehen die Messungen hier.

Noch schwieriger ist das Zählen hier klarzumachen, weil wir beim irdischen Zählen ja doch zumeist nur Erbsen oder Äpfel zählen, die gleichgültig nebeneinander lieg.en. Un.d wir haben 1mmer das Gefühl, wenn wir aus der Eins zweie machen, es ist dieser Eins eigentlich ganz gleichgültig, daß noch eine Zwei neben ihr ist. Im menschlichen Leben wird es ja schon anders; da ist es zuweilen so,daß Eins auf das Zwei angewiesen ist. Doch das geht ja auch schon in das Geistige hinein. Aber bei der eigentlichen physischen Mathematik ist es immer den Einteilungen gleichgültig, was sich zu ihnen gesellt. Das ist hier nicht der Fall.

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Wenn hier irgendwo eine Eins (siehe Zeichnung) ist von einer bestimmten Art, so fordert das irgendwelche, sagen wir, drei oder fünf andere, je nachdem es ist. Das hat immer inneren Bezug zu den anderen, da ist die Zahl eine Realität. Und wenn ein Bewußtsein anfängt darüber, wie es ist, wenn man mit dem Ich und mit dem astralischen Leib da draußen ist, dann kommt man schon auch dahin, etwas wie Maß, Zahl und Gewicht zu bestimmen, aber nach entgegengesetzter Art.

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Und dann> wenn einem das Schauen und Hören da draußen nicht mehr ein bloßes Schwimmeln und Schwummeln von Rot und Gelb und Tönen ist, sondern wenn man anfängt> auch da drinnen die Dinge so geordnet zu empfinden, dann beginnt das Wahrnehmen der geistigen Wesenheiten, die sich in diesen frei schwebenden Sinnesempfindungen verwirklichen, realisieren. Dann kommen wir hinein in die positive geistige Welt, in das Leben und Treiben deiö geistigen Wesenheiten. Wie wir hier auf Erden hineinkommen ins Leben und Treiben der irdischen Dinge, indem wir sie mit der Waage, mit dem Maßstab, mit unserer Rechnerei bestimmen, so kommen wir dadurch, daß wir uns aneignen das bloß qualitative, entgegengesetzte Schwersein, das heißt mit Leichtigkeit sich ausdehnen wollen im Weltenraum, das Messen von Farbe durch Farbe und so weiter, hinein in das Erfassen von geistigen Wesenheiten. Solche geistigen Wesenheiten durchsetzen nun auch alles das, was draußen in den Reichen der Natur ist.

Mit dem wachen Bewußtsein sieht der Mensch nur die Außenseite der Mineralien, der Pflanzen, der Tiere. Aber bei dem, was in allen diesenWesen derNaturreiche lebt als Geistiges, bei dem ist der Mensch, wenn er schläft. Und wenn er dann beim Aufwachen wiederum in sich zurückgeht, dann behalten sein Ich und sein astraiischer Leib gewissermaßen die Neigung, die Affinität zu den äußeren Dingen und veranlassen den Menschen, daß er eine Außenwelt anerkennt. Wenn der Mensch eine Organisation hätte, die nicht zum Schlaf eingerichtet wäre, so würde er nicht eine Außenwelt anerkennen. Es kommt natürlich nicht darauf an, daß einer an Schlaflosigkeit leidet. Denn ich sage nicht, wenn der Mensch nicht schläft, sondern wenn der Mensch nicht eine Organisation hätte, die zum Schlafen eingerichtet wäre. Es handelt sich um das Eingerichtetsein zu etwas. Daher wird ja auch der Mensch krank, wenn er an Schlaflosigkeit leidet, weil das eben seiner Wesenheit nicht angepaßt ist. Aber die Dinge sind eben so: Gerade dadurch, daß der Mensch schlafend verweilt bei dem, was in der Außenwelt ist, bei dem, was er dann wachend seine Außenwelt nennt, dadurch kommt er auch zu einer Außenwelt, zu einer Anschauung von der Außenwelt.

Dieses Verhältnis des Menschen zum Schlaf, das gibt den irdischen

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Wahrheitsbegriff. Inwiefern? Nun, wir nennen es Wahrheit, wenn wir im Innern ein Äußeres richtig nachbilden können, wenn wir ein Äußeres richtig im Innern erleben. Dazu aber bedürfen wir der Einrichtung des Schlafes. Wir würden gar keinen Wahrheitsbegriff haben, wenn wir nicht die Einrichtung des Schlafens hätten. So daß wir sagen könn`en: Dem Schlafzustand verdanken wir die Wahrheit. Wir müssen, um uns der Wahrheit der Dinge hinzugeben, mit den Dingen auch unser Dasein in einer gewissen Zeit verbringen. Die Dinge sagen uns von sich nur dadurch etwas, daß wir während des Schlafens mit unserer Seele bei ihnen sind.

Anders ist es mit dem Traumzustand. Der Traum ist ja, wie ich Ihnen in dem kleinen Zyklus während der Delegiertenversammlung ausgeführt habe, verwandt mit der Erinnerung, mit dem inneren Seelen- leben, mit dem, was ja vorzugsweise in der Erinnerung lebt. Wenn der Traum frei schwebendeTon-Farbenwelt ist, so sind wir noch halb draußen aus unserem Leibe. Wenn wir ganz untertauchen, dann werden dieselben Kräfte, die wir webend-lebend im Traume entfalten, Erinnerungskräfte. Da unterscheiden wir uns nicht mehr in derselben Weise von der Außenwelt. Da fällt unser Inneres zusammen mit der Außenwelt, da leben wir m1t unseren Sympathien und Antipathien so stark in der Außenwelt, daß wir nicht die Dinge als sympathisch oder antipathisch empfinden, sondern daß die Sympathien und Antipathien selber sich bildhaftig zeigen.

Hätten wir nicht die Möglichkeit zu träumen und die Fortsetzung dieser Traumeskraft in unserem Innern, so hätten wir keine Schönheit. Daß wir überhaupt Anlagen für die Schönheit haben, das beruht darauf, daß wir träumen können. Für das prosaische Dasein müssen wir sagen: Wir verdanken es der Traumeskraft, daß wir eine Erinnerung haben; für das künstlerische Dasein des Menschen verdanken wir der Traumeskraft die Schönheit. Also: Traumzustand hängt zusammen mit der Schönheit. Die Art, wie wir ein Schönes empfinden und ein Schönes schaffen, ist nämlich sehr ähnlich der webenden wirkenden Kraft des Träumens.

Wir verhalten uns beim Erleben des Schönen, beim Schaffen des Schönen - nur eben unter Anwendung unseres physischen Leibes - ähnlich,

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wie wir uns verhalten außer unserem physischen Leibe, oder halb verbunden mit unserem physischen Leibe, beim Träumen. Es ist eigentlich zwischen dem Träumen und dem Leben in Schönheit nur ein kleiner Ruck. Und nur weil in der heutigen materialistischen Zeit die Menschen so grob veranlagt sind, daß sie diesen Ruck nicht bemerken, ist so wenig Bewußtsein vorhanden von der ganzen Bedeutung der Schönheit. Man muß im Traume sich dem notwendig hingeben, um dieses Frei- schweben und -weben zu erleben. Während dann, wenn man sich der Freiheit, dem innern Willkürgebaren hingibt, also nach dem Ruck lebt, man nicht mehr die Empfindung hat, daß es dasselbe ist wie das Träumen, da es nur unter Anwendung der Kräfte des physischen Leibes eben dasselbe ist.

Die heutigen Menschen werden lange nachdenken, was man in älteren Zeiten gemeint hat, wenn man «Chaos» gesagt hat. Es gibt die mannigfaltigsten Definitionen von Chaos. In Wirklichkeit kann das Chaos nur so charakterisiert werden, daß man sagt: Wenn der Mensch in eInen Bewußtseinszustand kommt, wo das Erleben der Schwere, des irdischen Maßes, gerade aufhört, und die Dinge anfangen, halb leicht zu werden, aber noch nicht hinaus wollen in das Weltenall, sondern noch sich in der Horizontale, im Gleichgewicht erhalten, wenn die festen Grenzen verschweben, wenn also noch mit dem physischen Leib, aber schon mit der Seelenkonstitution des Träumens das webende Unbestimmte der Welt geschaut wird, dann schaut man das Chaos. Und der Traum ist bloß das schattenhafte Heranschweben des Chaos an den Menschen.

In Griechenland noch hatte man die Empfindung: Schön machen kann man eigentlich die physische Welt nicht. Die physische Welt ist halt Naturnotwendigkeit, sie ist, wie sie ist. Schön machen kann man nur dasjenige, was chaotisch ist. Wenn man das Chaos in den Kosmos wandelt, dann entsteht die Schönheit. Daher sind Chaos und Kosmos Wechselbegriffe. Man kann den Kosmos - das bedeutet eigentlich die schöne Welt - nicht aus den irdischen Dingen herstellen, sondern nur aus dem Chaos, indem man das Chaos formt. Und dasjenige, was man mit irdischen Dingen macht, ist bloß ein Nachahmen im Stoffe des geformten Chaos.

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Das ist so bei allem Künstlerischen der Fall. Von diesem Verhältnis des Chaos zum Kosmos hatte man in Griechenland, wo die Mysterien- kultur noch einen gewissen Einfluß hatte, noch eine sehr lebhafte Vor- stellung.

Wenn man aber in allen diesen Welten herumkommt - in der Welt, in welcher der Mensch unbewußt ist, wenn er im Schlafzustande ist, in der Welt, in welcher der Mensch halbbewußt ist, wenn er im Traumzustand ist -, wenn man da überall herumwandelt: das Gute findet man nicht. Diese Wesenheiten, die da drinnen sind, sie sind vom Urbeginne ihres Lebenslaufes weisheitsvoll vorherbestimmt. Man findet in ihnen waltende, webende Weisheit, man findet in ihnen Schönheit. Aber es hat keinen Sinn, wenn es sich darum handelt, diese Wesenheiten, die wir als Erdenmensch erreichen, kennenzulernen, von Güte bei ihnen zu sprechen. Von Güte können wir erst sprechen, wenn der Unterschied da ist zwischen Innen- und Außenwelt, so daß das Gute der geistigen Welt folgen kann oder nicht folgen kann.

So wie der Schlafzustand der Wahrheit, der Traumzustand der Schönheit, so ist der Wachzustand der Güte, dem Guten zugeteilt.

Schlafzustand: Wahrheit

Traumzustand: Schönheit, Cliaos

Wachzustand: Güte

Das aber widerspricht nicht dem, was ich in diesen Tagen gesagt habe, daß, wenn man das Irdische verläßt und hinauskommt in den Kosmos, man veranlaßt ist, auch die irdischen Begriffe fallenzulassen, um von moralischer Weltenordnung zu sprechen. Denn die moralische Weltenordnung, die ist im Geistigen ebenso vorherbestimmt, notwendig vorherbestimmt, wie hier auf Erden die Kausalität. Nur ist sie eben dort geistig: die Vorbestimmung, das In-sich-bestimmt-Sein. Also da ist kein Widerspruch.

Aber für die menschliche Natur müssen wir uns klar sein: Wollen wlr die Idee der Wahrheit haben, dann müssen wir uns an den Schlafzustand wenden, wollen wir die Idee der Schönheit haben, dann müssen wir uns an den Traumzustand wenden, wollen wir die Idee der Güte haben, dann müssen wir uns an den Wachzustand wenden.

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Der Mensch hat also, wenn er wach ist, nicht eine Bestimmung zu seinem physischen und ätherischen Organismus nach der Wahrheit, sondern die Bestimmung nach der Güte. Da müssen wir also erst recht auf die Idee der Güte kommen.

Nun frage ich Sie: Was erstrebt denn die Wissenschaft der Gegen- wart, wenn sie den Menschen erklären will? Sie will ja nicht aufsteigen, indem sie den wachen Menschen erklären will, von der Wahrheit durch die Schönheit zur Güte, sie will ja alles nach einer äußeren kausalen Notwendigkeit, die nur der Idee der Wahrheit entspricht, erklären. Da kommt man gar nicht zu dem, was im Menschen wachend webt und lebt, da kommt man nur zu dem, was der schlafende Mensch höchstens ist. Wenn Sie daher heute Anthropologien lesen und es mit wachem Auge tun, wach für die Seeleneigentümlic`hkeiten und Kräfte der Weit, dann bekommen Sie folgenden Eindruck. Sie sagen sich: Das ist ja alles recht schön, was uns da erzählt wird von der heutigen Wissenschaft über den Menschen. Aber wie ist denn dieser Mensch eigentlich, von dem uns diese Wissenschaft erzählt? Er liegt fortwährend im Bett. Er kann nämli~ nicht gehen. Bewegen kann er sich nicht. Die Bewegung zum Beispiel wird absolut gar nicht erklärt. Er liegt fortwährend im Bett.

Der Mensch, 'den die Wissenschaft erklärt, der kann nur als ein im Bett liegender Mensch erklärt werden. Es geht gar nicht anders. Die Wissenschaft erklärt nur den schlafenden Menschen. Wenn man ihn in Bewegung bringen will, dann müßte man das mechanisch tun. Deshalb ist sie auch ein wissenschaftlicher Mechanismus. Da muß man in diesen schlafenden Menschen eine Maschinerie 'hineinbringen, die diesen Plumpsack, wenn er aufstehen soll, in Schwung bringt und abends wiederum in das Bett legt.

Also diese Wissenschaft sagt uns überhaupt nichts vom Menschen, der da herumgeht in der Welt, der da webt und lebt, der da wacht. Denn was ihn in Bewegung setzt, das ist enthalten in der Idee der Güte, nicht in der Idee der Wahrheit, die wir von den äußeren Dingen zunächst gewinnen. Das ist etwas, was ziemlich wenig bedacht wird. Man hat das Gefühl, wenn einem der heutige Physiologe oder der heutige Anatom den Menschen beschreibt, daß man gerne sagen möchte: Wach

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auf, wach auf, du schläfst ja, du schläfst! Die Leute gewöhnen sich unter dem Einfluß dieser Weltanschauung eben den Schlafzustand an.

Und was ich immer charakterisieren mußte: daß eigentlich die Menschen alles Mögliche verschlafen, das ist, weil sie von der Wissenschaft besessen sind. Heute ist ja - weil die populären Zeitschriften alles überall hinaustragen - auch schon der Ungebildete von der Wissenschaft besessen. Es hat nie so viel Besessene gegeben als heute, sie sind von der Wissenschaft besessen. Es ist ganz eigentümlich, wie man reden muß, wenn man die realen Verhältnisse der heutigen Zeit zu schildern hat. Man muß in ganz andere Töne verfallen als diejenigen, die heute gang und gäbe sind.

So ist es ja auch, wenn nun der Mensch ein wenig von den Materialisten in die Umgebung hineingestellt wird. Als die materialistische Hochflut war, da haben die Leute solche Bücher geschrieben, wie zum Beispiel eines, das austönte in einem bestimmten Kapitel, in dem es heißt: Der Mensch ist eigentlich an sich nichts. Er ist das Ergebnis des Sauerstoffes der Luft, er ist das Ergebnis des Kältegrades oder des Wärmegrades, unter dem er ist. Er ist eigentlich - so endet pathetisch diese materialistische Schilderung - ein Ergebnis jedes Zuges der Luft.

Geht män auf eine solche Beschreibung ein und stellt man sich den Menschen vor, der das wirklich ist, was 'der materialistische Forscher da beschreibt, dann ist es nämlich im höchsten Grade ein Neurastheniker. Die Materialisten haben nie andere Menschen beschrieben. Wenn sie schon nicht bemerkten, daß sie eigentlich den Menschen schlafend schilderten, wenn sie sozusagen aus der Rolle gefallen sind und weit ergehen wollten, haben sie nie andere Menschen beschrieben als hochgradige Neurastheniker, die schon am nächsten Tag sterben müssen vor lauter Neurasthenie, die gar nicht leben können. Denn den lebendigen Menschen hat eben diese Epoche der Wissenschaft niemals ergriffen.

Da liegen die großen Aufgaben, weiche die Menschen aus den Zuständen der Gegenwart wiederum 'herausführen müssen in solche Zustände, unter denen das weitere Leben der Weltgeschichte einzig undallein möglich ist. Was gebraucht wird, das ist ein Eindringen in die Geistigkeit. Es muß der andere Pol gefunden werden zu dem, was erlangt worden ist. Was ist denn eigentlich erlangt worden gerade im

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Laufe des für die materialistische Weltanschauung gloriosen 19. Jahrhunderts? Was ist denn erlangt worden?

In einer wunderbaren Weise - es kann ganz aufrichtig und ehrlich gesagt werden - ist es gelungen, die äußere Welt nach Maß, Zahl und Gewicht zu bestimmen als irdische Welt. Darin hat das 19. Jahrhundert und der Beginn des 20. Jahrhunderts Großartiges, Gewaltiges geleistet. Aber die Sinnesempfindungen, die Farben, die Töne, die flattern so herum im Unbestimmten. Die Physiker haben ja ganz aufgehört, von Farben und Tönen zu reden; sie reden von Luftschwingungen und Ätherschwingungen, die sind ja nicht Farben und auch nicht Töne. Die Luftschwingungen sind doch keine Töne, sondern sie sind höchstens das Medium, auf dem die Töne sich fortpflanzen. Und es ist gar keine Erfassung da von dem, was die Sinnesqualitäten sind. Dazu muß man erst wiederum kommen. Eigentlich sieht man heute nur, was mit der Waage, mit dem Maßstab, mit der Rechnung sich bestimmen läßt. Das andere ist einem entschwebt.

Und wenn nun die Relativitätstheorie auch die Ihnen gestern beschriebene grandiose Unordnung hineinbringt in das, was sich messen, wägen, zählen läßt, dann zerklüftet sich alles, dann geht alles auseinander. Aber schließlich, an gewissen Grenzen scheitert schon diese Relativitätstheorie. Nicht gegenüber den Begriffen - mit den irdischen Begriffen entkommt man der Relativitätstheorie nicht; das habe ich an einem andern Orte schon einmal auseinandergesetzt -, aber mit der Realität entkommt man Immer den Relativitätsbegriffen. Denn was sich messen, zählen, wägen läßt, das geht durch Maß, Zahl und Gewicht ganz bestimmte Beziehungen ein in der äußeren sinnlichen Wirklichkeit.

Es war in Stuttgart, da hat einmal ein Physiker, oder eine Reihe von Physikern Anstoß genommen an der Behandlung der Relativitätstheorie von seiten der Anthroposophen. Dann hat er in einer Diskussion das einfache Experiment vorgeführt,daß es eigentlich ganz gleichgültig ist, ob ich hier die Zündholzschachtel habe und mit dem Zündholz darüber streiche: es brennt; oder ob ich das Züiidholz festhalte und mit der Schachtel darüber streiche: dann brennt es auch. Es ist relativ.

Gewiß, hier ist es noch relativ. Und in bezug auf alles, was auf einen Newtonschen Raum bezogen wird, oder auf einen Euklidischen

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Raum, ist das alles relativ.Aber sobaldjeneRealität in Betracht kommt, die als Schwere, als Gewicht auftritt, da geht es nicht mehr so leicht, wie der Einstein es sich vorgestellt hat, denn da treten dann reale Verhältnisse auf. Man muß da wirklich wiederum paradox reden. Die Relativität läßt sich eben dann geltend machen, wenn man die ganze Wirklichkeit mit Mathematik und Geometrie und Mechanik verwechselt. Aber wenn man auf die wahre Wirklichkeit eingeht, dann geht das nicht mehr. Denn es ist ja schließlich doch nicht bloß relativ, ob man den Kalbsbraten ißt, oder ob der Kalbsbraten einen ißt! Mit der Zündholzschachtel läßt sich das machen, hin- und herzufahren, aber den Kalbsbraten muß man essen, man kann sich nicht von dem Kalbsbraten aufessen lassen. Es sind eben da Dinge, die diesen Relativitätsbegriffen Grenzen setzen. Diese Dinge sind so, daß wenn sie nun nach außen er- zählt werden, man sagen wird: Da ist nicht das geringste Verständnis für diese ernste Theorie. - Aber die Logik ist doch schon so, wie ich sie sage: Es ist nicht anders, ich kann es nicht anders machen.

Also es handelt sich darum, zu sehen, wie man durch die Berücksichtigung des Gewiehtes - also dessen, was eigentlich die physischen Körper macht -, wie man da in der Wirklichkeit, möchte ich sagen, Farben, Töne und so weiter nirgendwo unterbringt. Aber mit dieser Tendenz entfällt einem etwas außerordentlich Wichtiges. Es entfällt einem nämlich das Künstlerische. Indem wir immer physikalischer und physikalischer werden, nimmt das Künstlerische von uns Abschied. Kein Mensch wird heute in dem, was die Physikbücher schildern, noch eine Spur von Kunst finden. Da ist nichts mehr von Kunst, da muß alles, alles heraus. Es ist ja schauderhaft, heute überhaupt ein Physikbuch zu studieren, wenn man noch eine Spur von Schönheitsgefühl hat.

Dadurch, daß alles, woraus die Schönheit gewoben wird, aus Farbe und Ton, dadurch, daß das alles vogelfrei wird, daß es nur anerkannt wird, wenn es an den schweren Dingen haftet, gerade dadurch entfällt den Menschen die Kunst. Heute entfällt sie einem. Und je physischer die Menschen werden, desto unkünstlerischer werden sie! Denken Sie doch einmal: Wir haben eine großartige Physik. Dazu bedarf es wahrhaftig nicht des Zurechtweisens der Gegner, daß man auf anthroposophischem Felde sagt: Wir haben eine großartige Physik. Aber die

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Physik lebt von der Verleugnung des Künstlerischen. Sie lebt in jedem Einzelnen von der Verleugnung des Künstlerischen, denn sie ist angelangt bei einer Art, die Welt zu behandeln, bei der sich der Künstler gar nicht mehr kümmert um den Physiker.

Ich glaube zum Beispiel nicht, daß der Musiker heute großen Wert darauf legt, die physikalischen Theorien der Akustik zu studieren. Das ist ihm zu langweilig, es kümmert ihn nicht. Der Maler wird auch nicht gern diese schreckliche Farbenlehre, die in der Physik enthalten ist, studieren. Er wendet sich in der Regel, wenn er sich überhaupt um Farben kümmert, noch zur Goetheschen Farbenlehre. Aber die ist ja falsch nach der Ansicht der Physiker. Die Physiker drücken ein Auge zu und sagen: Nun ja, das ist ja nicht so wesentlich, ob der Maler eine richtige oder eine falsche Farbenlehre hat. - Es ist eben so, daß unter der physikalischen Weltanschauung von heute die Kunst zugrunde gehen muß. Nun müssen wir uns die Frage vorlegen: Warum war denn in älteren Zeiten eine Kunst da?

Wenn wir in ganz alte Zeiten zurückgehen, in die Zeiten, in denen die Menschen noch ein ursprüngliches Hellsehen 'hatten, da war es so, daß nämlich die Menschen nicht so viel merkten von Maß, Zahl und Gewicht in den irdischen Dingen. Es kam ihnen gar nicht so sehr auf Maß, Zahl und Gewicht an, sie gaben sich mehr den Farben, den Tönen der irdischen Dinge hin.

Denken Sie doch nur ~nmal, daß ja die Chemie erst seit Lavoisier mit dem Gewicht rechnet; das ist etwas mehr als hundert Jahre! Das Gewicht wurde ja erst angewendet auf eine Weltanschauung am Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Es war eben bei der älteren Menschheit das Bewußtsein nicht vorhanden, daß alles nach irdischem Maß, Zahl und Gewicht bestimmt werden muß. Man war mit seinem Gemüte hingegeben dem Farbenteppich der Welt, den Tonwebungen und -wellungen; nicht den Luftschwingungen, sondern den Tonwellungen und -webungen, denen war man hingegeben. Man lebte darin, auch indem man in der physischen Welt lebte.

Aber welche Möglichkeit hatte man 'denn dadurch, daß man in diesem schwerefreien sinnlichen Wahrnehmen lebte? Dadurch hatte man die Möglichkeit, wenn man zum Beispiel an den Menschen herankam,

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den Menschen gar nicht so zu sehen, wie man ihn heute sieht, sondern man sah sich den Menschen an wie ein Ergebnis des ganzen Weltenalls. Der Mensch war mehr ein Zusammenfluß des Kosmos. Er war mehr ein Mikrokosmos als dasjenige, was innerhalb seiner Haut da auf diesem kleinen Fleck Erde steht, wo der Mensch steht. Man dachte sich im Menschen mehr ein Abbild der Welt. Da flossen die Farben von allen Seiten so zusammen, gaben dem Menschen die Farben. Die Weltenharmonie war da, durchtönte den Menschen, gab dem Menschen die Gestalt.

Und von der Art und Weise, wie alte Mysterienlehrer zu ihren Schülern sprachen, kann ja die Menschheit heute kaum etwas verstehen. Denn wenn heute ein Mensch das menschliche Herz erklären will, so nimmt er einenEmbryo und sieht,wie da dieBlutgefäße sich aussacken, und wie da ein Schlauch zunächst entsteht und dann das Herz sich allmählich formt. Ja, so haben die alten Mysterienlehrer zu ihren Schülern nicht gesagt! Das hätte ihnen nicht viel wichtiger geschienen, als wenn man sich einen Strumpf strickt, weil ja schließlich der Vorgang so ganz ähnlich ausschaut. Dagegen haben sie etwas anderes als ein ungeheuer Wichtiges hervorgehoben. Sie haben gesagt: Das menschliche Herz ist ein Ergebnis des Goldes, das im Lichte überall lebt, und

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das von dem Weltenall hereinströmt und eigentlich das menschliche Herz bildet. Sie haben die Vorstellungen gehabt: Da webt durch das Weltenall das Licht, und das Licht trägt das Gold. Überall im Lichte ist das Gold, das Gold webt und lebt im Lichte. Und wenn der Mensch im irdischen Leben steht, dann ist sein Herz - Sie wissen ja, nach sieben

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Jahren ändert es sich - nicht aus den Gurken und aus dem Salat und aus dem Kalbsbraten aufgebaut, die der Mensch inzwischen gegessen hat, sondern da wußten diese alten Lehrer: das ist aus dem Golde des Lichtes aufgebaut. Und die Gurken und der Salat, die sind nur die Anregung dazu, daß das im Lichte webende Gold vom ganzen Weltenall das Herz aufbaut.

Ja, die Leute haben anders geredet, und man muß sich dieses Gegensatzes bewußt werden, denn man muß ja wieder lernen, so zu reden, nur eben auf einer anderen Bewußtseinsstufe. Dasjenige, was zum Beispiel auf dem Gebiete der Malerei einmal da war, was dann verschwunden ist, wo man noch aus dem Weltenall heraus gemalt hat, weil man noch nicht die Schwere hatte, das hat seine letzte Spur zurückgelassen - sagen wir zum Beispiel bei Cimabue und namentlich bei der Ikonenmalerei der Russen. Die Ikone ist noch aus der Außenwelt, aus dem Makrokosmos gemalt; sie ist gewissermaßen ein Ausschnitt aus dem Makrokosmos. Dann aber war man einmal bei der Sackgasse angelangt. Da konnte man nicht weiter, weil einfach für die Menschheit diese Anschauung nicht mehr da ist. Hätte man malen wollen die Ikone mit 1nnerem Anteil, nicht bloß aus der Tradition und aus dem Gebet her- aus, dann hätte man wissen müssen, wie man das Gold behandelt. Die Behandlung des Goldes auf dem Bilde, das war ja eines der größten Geheimnisse der alten Malerei. Heraufzubringen dasjenige, was am Menschen gestaltet ist, aus dem Hintergrunde des Goldes, das war die alte Malerei.

Es liegt ein ungeheurer Abgrund zwischen Cimabue und Giotto. Denn Giotto begann bereits mit dem, was dann Raffael auf besondere Höhe gebracht hat. Cimabue hatte es noch durch Tradition, Giotto wurde schon halber Naturalist. Er merkte: Die Tradition wird nicht mehr innerlich in der Seele lebendig. Jetzt muß man den physischen Menschen nehmen, jetzt hat man nicht mehr das Weltenall. Man kann nicht mehr aus dem Golde heraus malen, man muß aus dem Fleische heraus malen.

Das ist endlich so weit gekommen, daß ja schließlich die Malerei zu dem übergegangen ist, was sie im 19. Jahrhundert vielfach gehabt hat. Die Ikonen, die haben ja gar keine Schwere, die Ikonen sind «herein gescheint»

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aus der Welt; die haben ja keine Schwere. Man kann sie nur heute nicht mehr malen, aber wenn man sie in ursprünglicher Gestalt malte, hätten sie überhaupt kein Gewicht.

Giotto fing zuerst an, die Dinge so zu malen, daß sie Gewicht haben. Daraus wurde dann, daß alles, was man malt, auch auf dem Bilde Gewicht hat, und man streicht es dann von außen an; so daß sich die Farben zu dem verhalten, was gemalt ist, wie der Physiker erklärt, daß die Farbe da an der Oberfläche durch irgendeine besondere Wellenschwingung entsteht. Es hat die Kunst schließlich auch mit dem Gewichte gerechnet. Nur fing Giotto das in ästhetisch-künstlerischer Weise an, und Raffael brachte es dann auf die höchste Höhe.

So daß man sagen kann: Da ist das Weltenall gewichen aus dem Menschen, und der schwere Mensch wurde dasjenige, was man jetzt nur noch sehen konnte. Und weil noch die Gefühle der alten Zeit da waren, so wurde sozusagen das Fleisch möglichst wenig schwer, aber es wurde schwer. Und da entstand die Madonna als Gegensatz der Ikone: die Ikone, die kein Gewicht hat, die Madonna, die ja Gewicht hat, wenn sie auch schön ist. Die Schönheit hat sich noch erhalten. Aber Ikonen sind überhaupt nicht mehr malbar, weil der Mensch sie nicht erlebt. Und es ist eine Unwahrheit, wenn die Menschen heute glauben, daß sie Ikonen erleben. Daher auch die Ikonenkultur eben in eine gewisse sentimentale Unwahrheit eingetaucht war. Das ist eine Sackgasse in der Kunst, das wird schematisch, das wird traditionell.

Die Malerei Raffaels, die Malerei, 'die sich eigentlich auf dem aufbaut, was Giotto aus dem Cimabue gemacht hat, diese Malerei, die kann nur so lange Kunst bleiben, solange noch der alte Glanz der Schönheit auf sie strahlt. Gewissermaßen waren es die sonnigen Renaissancemaler, die noch etwas empfunden haben von dem im Lichte webenden Gold und wenigstens ihren Bildern den Glanz gaben, mit dem im Lichte webenden Gold sie von außen überstrahlen ließen.

Aber das hörte auf. Und so ist der Naturalismus geworden. Und so sitzt heute die Menschheit künstlerisch zwischen zwei Stühlen auf der Erde, zwischen der Ikone und der Madonna, und ist darauf angewiesen, dasjenige zu entdecken, was die reine webende Farbe, der reine webendeTon ist, mit ihrem entgegengesetzten Gewicht, entgegengesetzt

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der Meßbarkeit, der wägbaren Zählbarkeit. Wir müssen lernen, aus der Farbe heraus zu malen. Treffen wir das heute versuchsweise auch noch so anfänglich und schlecht, es ist unsere Aufgabe, aus der Farbe heraus zu malen, die Farbe selber zu erleben, losgelöst von der Schwere die Farbe selber zu erleben. In diesen Dingen muß man bewußt, auch künstlerisch bewußt, vorgehen können.

Und wenn Sie sich ansehen, was erstrebt wurde in den einfachen Versuchen unserer Programme, dann werden Sie sehen: da ist, wenn es auch nur ein Anfang ist, eben doch der Anfang gemacht, die Farben loszubekommen von der Schwere, die Farbe als ein in sich selbst tragendes Element zu erleben, zum Sprechen zu bringen die Farben. Wenn das gelingt, dann wird gegenüber der unkünstlerischen physikalischen Weltanschauung, die alle Kunst ausdampfen läßt, aus dem freien Elemente der Farbe, des Ton es eine Kunst geschaffen, die wiederum frei ist von Schwere.

Ja, wir sitzen auch zwischen zwei Stühlen, zwischen der Ikone und der Madonna, aber wir müssen aufstehen. Dazu hilft uns die physische Wissenschaft nicht. Ich habe Ihnen gesagt: Man muß ja immer liegenbleiben, wenn man nur die physische Wissenschaft anwendet auf den Menschen. Nun müssen wir aber aufstehen! Dazu brauchen wir wirklich Geisteswissenschaft. Die enthält das Lebenselement, das uns hinträgt von der Schwere zur schwerelosen Farbe, zur Realität der Farbe, von dem Gebundensein selbst schon im musikalischen Naturalismus zu der freien musikalischen Kunst und so weiter.

Auf allen ßebieten sehen wir, wie es sich handelt um ein Sich-Aufraffen, um ein Erwachen der Menschheit. Das ist es, daß wir aufnehmen sollten diesen Impuls zum Erwachen, zum Hinausschauen, zum Erblicken dessen, was ist und was nicht ist, und wo überall die Aufforderungen liegen, weiter vorzuschreiten. Deshalb war es, daß ich eigentlich jetzt vor dieser Sommerpause, die durch die englische Reise bedingt ist, wollen mußte, sowohl bei der Delegiertenversammlung wie jetzt in diesen Tagen, gerade mit solchen Betrachtungen abzuschließen, wie ich sie Ihnen gebracht habe. Diese Dinge gehen schon an den Nerv unserer Zeit. Und das ist notwendig, daß man ,das andere so herein- scheinen läßt in unsere Bewegung, wie ich versucht habe es anzudeuten.

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Ich habe geschildert, wie der Philosoph der Neuzeit dazu gekommen ist, sich zu gestehen: Wozu führt denn dieser Intellektualismus? Eine Riesenmaschine zu bauen, die man in den Mittelpunkt 'der Erde versetzt, um von da aus die Erde in alle Räume des Weltenalls hinauszusprengen! Er gestand sich, daß das so ist. Die anderen gestehen es sich nicht!

Und so habe ich versucht an den verschiedensten Stellen - zum Beispiel als ich Ihnen gestern zeigte, wie die Begriffe, die noch vor dreißig, vierzig Jahren da waren, heute durch die Relativitätstheorie aufgelöst werden, einfach hinschmelzen wie der Schnee an der Sonne -,50 habe ich versucht, Ihnen zu zeigen, wie überall die Aufforderungen liegen, zur Anthroposophie doch wirklich hinzustreben. Denn es sagt doch der Philosoph Eduard von Hartmann: Wenn die Welt so ist, wie wir uns sie vorstellen müssen - das heißt, wie er sie nach dem Sinn des 19. Jahrhunderts vorstellt -, dann müssen wir eigentlich, weil wir es nicht in ihr aushalten können, sie in den Weltenraum hinaussprengen, und es handelt sich nur 'darum, daß wir einmal so weit sind, daß wir es ausführen können. Diese Zeit müssen wir 'herbeisehnen, wo wir die Welt in alle Weiten des Universums versprengen können. - Vorher sorgen dann noch die Relativisten dafür, daß die Menschen keine Begriffe mehr haben! Raum, Zeit, Bewegung lösen sich auf, dann kann man ohnedies schon so in Verzweiflung kommen, daß man unter gew1ssenVoraussetzungen das höchste Befriedigende schon sieht in diesem Hinaussprengen in das ganze Universum. Aber man muß sich eben in klarer Weise bekanntmachen mit dem, was als gewisse Impulse in unserer Zeit liegt.

Das ist es, was bewirkt hat, daß die letztenVorträge gerade in derArt gehalten werden mußten, wie sie gehalten worden sind: wo die äußere Kultur hereinleuchtet in unsere Reihen. Sie waren zugleich eine Aufforderung zum Augenaufmachen. Und ich versuchte, diese Vorträge so zu gestalten, daß man an ihnen sehen kann, was es heißt: die Anthroposophische Gesellschaft soll sich alle Mühe geben, um aus der Sektiererei hinauszukommen, um über die Sektiererei hinüberzukommen.

Möchten Sie doch, meine lieben Freunde, die Zeit, für die ich mich jetzt gerade mit diesen Worten für ein paar Wochen von Ihnen verabschieden

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muß, dazu benützen, um nachzusinnen darüber, wie man aus dieser Sektiererei herauskommt! Sonst stellt sich eben die Sache so, daß die Anthroposophische Gesellschaft immer weiter und weiter in die Sektiererei hineinkommt. Und es sind starke Ansätze dazu da, nicht die Sektiererei abzuwerfen, sondern gerade erst recht hineinzusegeln in das sektiererische Wesen.

Wie es möglich ist, die Sektiererei zu vermeiden, das ist etwas, was unsere Empfindungen beschäftigen muß. Und diesen Ton wollte ich ganz kurz noch einmal an schlagen, weil es ungeheuer notwendig ist, ihn anzuschlagen. Ich wollte darauf aufmerksam machen, wie ich eben gerade in diesen letzten Vorträgen versucht habe, so zu sprechen, daß sozusagen überall hinausgeschaut wird in die Welt, daß nicht ein Einspinnen in eine Sekte stattfindet, sondern ein Leben in der Welt mit offenen Augen, mit praktischem Sinn, ein Drinnenstehen in der Welt. Das ist durchaus vereinbar mit äußerster Vertiefung in das Geistige hinein. Deshalb habe ich Ihnen gesagt, daß der Mensch heutzutage sogar wissen muß, daß es heute einen Inder geben kann, Ra`mana`than, der sich die europäische Kultur anschaut und zu den Europäern sagt: Lasset euch Lehrer schicken über den Jesus aus Indien, denn ihr versteht ja nichts von Jesus Christus. Wir haben, als wir angefangen haben, das Neue Testament zu lesen, erst die Sache verstanden.

Wenn man sich so sektiererisch einspinnen will, wie dazu starke Ansätze während der Delegiertenversammlung vorhanden waren, dann erreicht man die große Aufgabe der Anthroposophie in der Gegenwart nicht, und die muß erreicht werden, denn es ist eine Menschheitsangelegenheit.

Indem ich dies zu Ihren Herzen gesprochen haben möchte, nehme ich für ein paar Wochen Abschied, und wir werden die nächsten Veranstaltungen dann wiederum entsprechend ankündigen lassen. In den nächsten Wochen werden ja Vorträge und Eurythmievorstellungen an verschiedenen Orten Englands stattfinden.

Dann also wollen wir für eine Sommerpause jetzt uns so rösten, daß wir in dieser Sommerpause unsere Herzen ganz besonders regsam sein lassen für die rechte Empfindung dessen: Wie sollen wir fühlen, damit die Menschheitsentwickelung in der richtigen Weise weitergehen kann?

DER MENSCH ALS BILD GEISTIGER WESEN UND GEISTIGER WIRKSAMKEITEN London, 2. September 1923

#G228-1985-SE061 Initiationswissenschaft und Sternenerkenntnis

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DER MENSCH ALS BILD GEISTIGER WESEN

UND GEISTIGER WIRKSAMKEITEN

London, 2. September 1923

#TX

Es freut mich herzlich, daß ich an die beiden mich so befriedigenden Veranstaltungen in Ilkley und Penmaenmawr diesen Vortrag auch hier in unserem Zweige in London anschließen kann.

Es ist von mir bei früheren Betrachtungen in diesem Zweige erwähnt worden, wie der Mensch, indem er sein Tagewerk hier auf Erden von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr verrichtet, aus dem heraus arbeitet, was ihm physisch selbst als seine Körperlichkeit gegeben ist und womit er physisch mit dem irdischen Dasein verbunden ist. Solange man alles dasjenige betrachtet, was uns in der physischen Welt umgibt hier im Erdendasein, und was in das physische Dasein hineingefügt wird durch unsere eigene Arbeit, solange muß man selbstverständlich die Hauptaufmerksamkeit auf die Zeit richten, die der Mensch hier im Erden- dasein während des Wachens zubringt. Aber ich habe es ja schon erwähnt, daß für das menschliche Dasein, selbst für das, was der Mensch sein kann auch im Erdendasein, wichtiger noch dasjenige ist, was sich mit dem Menschen zuträgt in den Zeiten, die er während seines Erdendaseins verschläft.

Wenn wir in irgendeinem Punkt unseres Erdendaseins zuriickblikken auf das, woran wir uns erinnern können, so schließen wir ja eigentlich immer die Zeiten aus, die wir verschlafen haben, und wir fügen aneinander alles das, was wir vollbracht oder erlebt haben am Tage, in wachendem Zustande, und machen daraus gewissermaßen ein zusammenhängendes Ganzes.

Das aber würde nie da sein, wenn nicht die Schlafzustände dazwischenfielen. Und gerade wenn man das wirkliche Wesen des Menschen kennenlernen will, dann muß man auf diese Schlafzustände auf merksam sein. Denn der Mensch könnte leicht sagen: Ich weiß ja nichts von dem, was da während des Schlafes ist. So wahrscheinlich das erscheint für das äußere Bewußtsein, so unwahr ist es eigentlich für die Wirklicbkeit. Denn wenn wir zurückschauen würden in ein Leben, das

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niemals vom Schlafe unterbrochen wäre, so würden wir Automaten sein. Wir würden zwar geistige Wesenheiten, aber wir würden Automaten sein.

Wichtiger noch als die abwechselnden Schlafzustände von Tag zu Tag sind für das, was ich jetzt sage, die Zeiten, die wir als ganz kleines Kind durch schlafen, denn die Wirkungen dieses Schlafes bleiben uns für das ganze Leben, und wir fügen nur gewissermaßen ergänzend dasjenige hinzu, was uns jede Nacht geistig zuwächst während der späteren Schlafzustände. Wir würden Automaten sein, wenn wir wachend als Kind in die Welt hereintreten würden, wenn wir wachend blieben, niemals schliefen, und wir würden nicht nur Automaten sein, sondern wir würden auch nicht in der Lage sein, innerhalb dieses automatischen Zustandes irgend etwas bewußt zu tun. Nicht einmal das, was automatisch geschähe durch uns, würden wir als unsere Sache anerkennen. Denn wenn wir meinen, wir erinnern uns nicht an das, was wir durch- schlafen haben, so ist das eben nicht ganz richtig. Wenn wir so zurück- schauen und die Schlafzustände immer aus unserer Erinnerung heraus- fallen, so sehen wir eigentlich, indem wir auf das Nichts zurückschauen, an denjenigen Stellen der Zeit, wo wir geschlafen haben, in dieser oder jener Weise die Ereignisse, die wir wachend erlebt haben. Tatsächlich aber sehen wir, wenn wir zurückblicken, an 'den Stellen der Zeit, wo wir geschlafen haben, das Nichts. Wenn Sie eine weiße Wand haben und es ist an einer Stelle keine Farbe, sondern es ist ein schwarzer Kreis, so sehen Sie auch das Nichts: Sie sehen die Dunkelheit, oder meinetwillen, wenn es nicht ein schwarzer Kreis ist, sondern wenn es ein Loch ist und dahinter kein Licht, sehen Sie auch das Loch. Sie sehen die Dunkelheit. So sehen Sie die Dunkelheit in Ihrem Leben, wenn Sie zurückblicken. Die Zeiten, die Sie verschlafen haben, erscheinen Ihnen als Lebensdunkelheiten. Und zu diesen Lebensdunkelheiten, zu diesen Lebensfinsternissen sagen Sie Ich. Sie hätten kein Bewußtsein vom Ich, wenn Sie nicht diese Dunkelheiten sehen würden. Sie verdanken es nicht dem Umstande, daß Sie vom Morgen bis zum Abend immer gearbeitet haben, daß Sie zu sich Ich sagen können; daß Sie zu sich Ich sagen können, verdanken Sie dem Umstande, daß Sie geschlafen haben. Denn das Ich, wie wir es im Erdendasein ansprechen, ist zunächst die

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Lebensfinsternis, die Leerheit, das Nichtdasein. Und wenn wir in der richtigen Art unser Leben betrachten, dann müssen wir in bezug auf unser Selbstbewußtsein nicht sagen, daß wir dieses dem Tag verdanken, sondern daß wir es der Nacht verdanken. So werden wir eigentlich erst durch die Nacht zu demjenigen, was den wirklichen Menschen ausmacht, während wir sonst Automaten wären.

Es ist schon so, daß, wenn wir in ältere Zeiten der Menschheitsentwickelung auf Erden zurückgehen, wir sehen, wie die Menschen zwar nicht Automaten waren, weil sie schon gewisse Unterschiede hatten zwischen Wachen und Schlafen, aber weil ihnen die Schlafzustände mehr oder weniger auch schon im gewöhnlichen Tagesbewußtsein bewußt waren, war ihr Handeln, ihr ganzes Erdenleben eben viel automatischer, als das Leben der Menschen in dieser Erdenzeit ist, in der wir jetzt leben.

Und so kann man sagen: Unser eigenrliches wahres innerliches Ich, das nehmen wir eigentlich aus der geistigen Welt gar nicht in diese physische Erdenwelt mit. Wir lassen es immer in der geistigen Welt. Es war in der geistigen Welt, bevor wir heruntergestiegen sind zum Erden- dasein. Es ist wiederum in der geistigen Welt zwischen dem Einschlafen und Aufwachen. Es bleibt immer in der geistigen Welt. Wenn wir bei Tag das gegenwärtige Bewußtsein als Mensch haben und uns ein Ich nennen, so ist dieses Wort Ich der Hinweis auf etwas, was nicht in dieser physischen Welt vorhanden ist, was in dieser physischen Welt nur sein Bild hat.

Und nicht richtig sehen wir uns an, wenn wir sagen: Ich bin dieser robuste Mensch auf Erden, ich stehe hier mit meinem wahren Wesen, sondern richtig sehen wir uns dann an, wenn wir sagen: Unser wahres Wesen ist in der geistigen Welt. Was hier auf Erden von uns ist, ist ein Bild, richtig ein Abbild von unserem wahren Wesen. - Das allerrichtigste ist, dasjenige, was auf Erden hier ist, gar nicht als den wirklichen Menschen anzusehen, sondern als das Bild des wirklichen Menschen.

Dieser Bildcharakter wird einem um so klarer, wenn man sich folgendes vorstellt. Denken wir uns schlafend. Das Ich ist weg vom physischen Leib und dem Ätherleib, der astralische Leib ist weg vom

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physischen Leib und Ätherleib. Aber das Ich wirkt ja im Blute und in den Bewegungen des Menschen. Die hören dann auf, weil das Ich weg ist im Schlafe; aber das, was im Blute ist, das wirkt ja fort, das Ich ist gar nicht dabei. Wir brauchen nur diesen physischen Leib anzuschauen, und wir müssen uns sagen: Wie ist es denn eigentlich mit ihm, wenn Wir schlafen? Dann mußja das Blut auch in irgendeinerWeise so durchwebt werden von etwas, wie es bei Tag beim Wachen 'durchwebt wird vom Ich. Ebenso der astralische Leib, der im ganzen Atmungsprozeß immer drinnen lebt. Der verläßt diesen Atmungsprozeß während der Nacht, aber der Atmungsprozeß geht fort! Da muß ja wieder etwas drinnen sein, was, wie im Tagesleben, wirkt als der Astralkörper. Wir verlassen diejenigen Organe in uns, die die Atmungsorgane zum Beispiel sind, mit unserem astralischen Leib während jedes Schlaflebens. Wir verlassen die Pulsationskräfte unseres Blutes mit unserem Ich. Was machen denn die während der Nacht? Nun, da ist es so, daß, wenn nun der Mensch im Bette liegengeblieben und sein Ich herausgegangen ist aus den blutpulsierenden Kräften, dann Wesenheiten der ersten höheren Hierarchie in diese blutpulsierenden Kräfte hineinziehen: dann leben Angeloi, Archangeloi und Archai in diesen selben Organen, in denen bei Tag, beim Wachen das Ich lebt. Und in den Atmungsorganen, die wir verlassen haben dadurch, daß unser Astralleib aus uns heraußen ist, da wirken in der Nacht die Wesen der nächsthöheren Hierarchie darinnen: Exusiai, Dynamis, Kyriotetes.

So daß die Sache so ist, daß, wenn wir abends beim Einschlafen unseren Auszug halten mit unserem Ich und unserem astralischen Leib aus unserer Tagesleiblichkeit, Engel, Erzengel und höhere geistige Wesenheiten in uns einziehen und unsere Organe, während wir draußen sind, weiter vom Einschlafen bis zum Aufwachen beleben. Und in bezug auf den Ätherleib sind wir nicht einmal beim Tagwachen imstande, dasjenige zu tun, was darinnen getan werden soll. Den müssen erfüllen die Wesenheiten der höchsten Hierarchie, die Seraphim, Cherubim und Throne, auch wenn wir wachen; die bleiben überhaupt immer darinnen.

Und dann unser physischer Leib! Wenn wir alles dasjenige, was in unserem physischen Leibe als großartige, gewaltige Vorgänge sich

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abspielt, selbst besorgen müßten, dann würden wir dieses nicht nur schlecht machen, sondern wir wüßten überhaupt nichts damit anzufangen, denn da sind wir ganz hilflos. Was die äußere Anatomie sagt über den physischen Leib, das würde nicht einmal ein Atom von ihm in Bewegung setzen können. Dazu gehören ganz andere Mächte.

Diese Mächte sind keine anderen als diejenigen, die seit uralten Zeiten genannt werden die Mächte der obersten Trinität, die Vater-, Sohnes- und Geistmächte, die eigentliche Trinität, die in unserem physischen Leibe wohnt.

So können wir sagen: Unser ganzes Erdenleben hindurch ist unser physischer Leib nicht unser; er würde durch uns selbst nicht seine Entwickelung durchmachen. Er ist, wie die alten Zeiten gesagt haben, der wahre Tempel der Gottheit> der dreifach erscheinenden Gottheit. Unser Ätherleib ist der Wohnplatz für die Hierarchie der Seraphim, Cherubim, Throne; unsere Organe, die dem Ätherleib zugeteilt sind, die müssen mitversorgt werden durch die Seraphim, Cherubim, Throne. Und das, was wir an physischen Organen und Ätherorganen haben, und was in der Nacht durch den astralischen Leib verlassen wird, das muß versorgt werden durch die zweite Hierarchie, Kyriotetes, Dynamis, Exusiai. Und was wir als Organe haben, die durch das Ich verlassen werden, das muß während der Nacht versorgt werden durch die dritte Hierarchie, durch die Angeloi, Archangeloi, Archai.

So ist ein fortwährendes Wirken im Menschen, das nicht nur von ihm selbst ausgeht. Er hat sozusagen nur als ein Unterwohner Wohnung während des Wachens in diesem seinem Organismus. Dieser sein Organismus ist zu gleicher Zeit die Tempel- und Wohnstätte der Geister der höheren Hierarchien.

Wenn wir dies ins Auge fassen, dann können wir uns sagen: Wir schauen eigentlich die äußere Gestalt des Menschen nur richtig an, wenn wir uns sagen, sie ist ein Bild, ein Bild des Wirkens aller Hierarchien. Die sind da drinnen. Und schaue ich dieses menschlich geformte Haupt an mit allen Einzelheiten, diesen übrigen menschlich geformten Körper, so schaue ich ihn nicht richtig an, wenn ich sage, er ist dieses oder jenes Wesen, sondern wenn ich sage, er ist ein Bild eines unsichtbaren übersinnlichen Wirkens aller Hierarchien. Erst wenn

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man in dieser Weise auf die Dinge hinschaut, spricht man richtig im e1nzelnen von dem, was sonst immer nur in einer starken Ab`straktheit auseinandergesetzt wird.

Es wird gesagt, diese physische Welt ist nicht die Wirklichkeit, sie ist Maja, und die Wirklichkeit liegt dahinter. Aber damit kann man nicht viel anfangen. Das ist nur eine allgemeine Wahrheit, so wie wenn man sagt: Auf der Wiese wachsen Blumen. - Wie man ja auch da erst etwas anfangen kann, wenn man weiß, was für Blumen auf der Wiese wachsen, so kann man auch mit einem Wissen über die höhere Welt erst dann etwas anfangen, wenn man im einzelnen darauf hinweisen kann, wie die Wirksamkeit dieser höheren Welt ist in demjenigen, was einem äußerlich eben als Bild, als Maja, als Abglanz, als Offenbarung im Sinnlich-Physischen erscheint.

So steht der Mensch, als Ganzes betrachtet, nach seinem irdischen Tagesleben und auch nach seinem irdischen Nachtleben, nicht nur in Beziehung zu dem, was physisch-sinnlich ihn umgibt hier im Erden- dasein, sondern er steht in Beziehung auch zu der Welt der höheren Geistigkeit. Und so wie das, was als eine gewisse, man könnte sagen, niedere Geistigkeit durch die Reiche der Natur hier auf Erden wirkt - mineralisches, pflanzliches, tierisches Reich -, so wirkt dasjenige, was von höherer Geistigkeit auf den Menschen wirksam ist, durch die Sternenwelt. So wie der Mensch, als ganzes Wesen betrachtet> zu den Pflanzen und Tieren, zu Wasser und Luft hier auf der Erde in Beziehung steht durch sein physisches Dasein, so steht er als ganzes Wesen auch in Beziehung zu der Sternenwelt, die nun auch nur Bild, Offenbarung ist dessen, was in Wirklichkeit eigentlich vorhanden ist. Und in Wirklichkeit sind eben jene Wesen der höheren Hierarchien da. Indem der Mensch zu den Sternen aufblickt, blickt er im Grunde genommen zu den Geistwesen der höheren Hierarchien auf, die ihm nur etwas wie ein symbolisches Licht ihres Daseins entgegen leuchten lassen, damit auch für das physische Dasein eine Andeutung desjenigen ist, was im Grunde genommen überall als Geistiges das Universum erfüllt.

Und so wie wir hier auf Erden eine gewisse Sehnsucht darnach haben, kennenzulernen den Berg, den Fluß, das Tier, die Pflanze, so sollten

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wir schon eigentlich auch Sehnsucht darnach empfinden, die Sternenwelt in ihrer Wahrheit erkennen zu lernen. Und in ihrer Wahrheit ist die Sternenwelt geistig. In Penmaenmawr drüben habe ich einiges angedeutet über die Geistigkeit des Mondes, so wie er uns jetzt gerade in dieser Phase der Erdenentwickelung aus dem Weltenraum herein erglänzt.

So wie wir eigentlich> wenn wir auf den Mond hinschauen, niemals ihn selbst sehen, höchstens eine spärliche Andeutung als Fortsetzung der beleuchteten Sichel, wie wir eben immer nur das zurückgeworfene Sonnenlicht sehen, nie den Mond selbst, so sind es überhaupt nur die vom Monde zurückgeworfenen Weltenkräfte, die zu uns kommen auf die Erde, nicht das, was im Monde selbst lebt. Es ist nur ein Teil, und zwar der geringste Teil dessen, was zum Monde gehört, daß er uns das Sonnenlicht auf die Erde zurückwirft. In Wahrheit wirft er uns alle physischen und geistigen Impulse, die aus dem Weltenall auf ihn wirken, wie ein Spiegel zurück. Und wie man das Hintere eines Spiegels nicht sieht, so sieht man das Innere des Mondes nie, aber in diesem Inneren des Mondes ist eine wirkliche geistige Bevölkerung mit hohen führenden Mächten. Diese hohen führenden Mächte und die andere Mondenbevölkerung waren einmal hier auf Erden, haben sich, allerdings in einer Zeit, die schon mehr als fünfzehntausend Jahre zurückliegt, von der Erde nach dem Monde zurückgezogen. Vorher hat auch der Mond physisch anders ausgesehen. Er sandte nicht einfach das Sonnenlicht auf die Erde herunter, sondern er mischte sein eigenes Wesen in dieses Sonnenlicht hinein. Nun, das braucht uns ja weniger zu interessieren. Aber das soll uns interessieren, daß der Mond heute wie eine Festung im Universum ist. Und in dieser Festung wohnt jene Bevölkerung, welche die Menschenschicksale schon vor mehr als fünfzehn- tausend Jahren absolviert hat, und die sich mit den Führern der Menschheit nach diesem Monde zurückgezogen hat.

Es gab einstmals hier auf der Erde fortgeschrittene Wesenheiten, die nicht in derselben Weise einen physischen Menschenleib annahmen wie die heutigen Menschen, die mehr in einem ätherischen Leibe lebten, aber dennoch für die damaligen Menschen auf Erden durchaus die großen Lehrer und Erzieher waren.

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Diese großen Lehrer und Erzieher der Menschheit, die einstmals der Menschheit auf Erden die Urweisheit gebracht haben, jene hohen bewunderungswerten Urweisheiten, von denen Veden und Vedanta nur die Nachklänge sind, die leben heute innerhalb des Mondes und strahlen nur dasjenige auf die Erde nieder, was außer dem Monde im Weltenall lebt.

Es ist ja auf der Erde etwas zurückgeblieben von jenen Mondenkräften; allein das sind nur die physischen Fortpflanzungskräfte für Mensch und Tier. Nur 'das alleräußerste Physische ist zurückgeblieben, als einstmals in der alten atlantischen Zeit die großen Lehrer der Menschheit dem Monde nachzogen, nachdem er sich schon früher von der Erde zurückgezogen hatte.

So sehen wir, wenn wir nach dem Monde hinaufschauen, seine 'Wirklichkeit nur dann, wenn wir verstehen> daß da hohe geistige Wesenheiten, die einmal mit der Erde verbunden waren, es sich heute zur Aufgabe machen, nicht das, was sie selber in sich tragen, sondern was im Weltenall an physischen und geistigen Kräften vermittelt ist, auf die Erde zurückzustrahlen. Wer daher heute nach einer Initiationsweisheit strebt, der muß vor allen Dingen auch darnach trachten, in diese Initiationsweisheit hereinzubekommen dasjenige, was ihm mit ihren höheren Kräften diese Mondenwesen zu sagen haben.

Nun, das ist gewissermaßen eine Gestalt im Weltenall draußen, eine Kolonie, eine Ansiedelung; andere sind ebenso wichtig, namentlich diejenigen, die zu unserem Planetensystem gehören. Ich möchte sagen, am anderen Pol, am anderen äußersten Ende in bezug auf diese Wichtigkeit liegt für uns Erdenmenschen die Bevölkerung des Saturn.

Nicht in derselben Weise wie die Mondenbevölkerung war die Saturnbevölkerung mit der Erde verbunden. Daß eine Verbindung da war, können Sie aus meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» ersehen. Aber nicht in derselben Weise wie die Mondenwesen sind die Saturnwesen mit dem Irdischen verbunden, sondern diese Saturnwesen strahlen nichts zurück von dem, was im Weltenraum ist. Kaum daß wir physisch Sonnenlicht vom Saturn zurückgestrahlt bekommen. Wie ein einsamer, wenig leuchtender Einsiedler zieht der Saturn langsam um die Sonne herum. Aber dasjenige, was die äußere Astronomie zu sagen

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weiß über den Saturn, das ist das allerallerwenigste. Was der Saturn für die Menschheit der Erde bedeutet, das tritt jede Nacht auf, aber nur im Bilde, insbesondere aber im Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, wenn der Mensch durch die geistige und damit durch die Sternenwelt hindurchgeht, wie ich es auch schon einmal in einem der Vorträge in diesem Zweige hier auseinandergesetzt habe.

Der Mensch begegnet ja nicht dem Saturn selber in der jetzigen menschlichen Entwickelungsphase, aber er kommt auf einem Umwege dennoch mit den Saturnwesen zusammen. Den Umweg will ich heute nicht charakterisieren. Aber um was es sich handelt, ist, daß innerhalb des Saturn Wesen wohnen von einer sehr hohen Vollkommenheit, äußerst erhabene Wesenheiten, Wesenheiten, die unmittelbar in einer inneren Beziehung zu Seraphim, Cherubim und Thronen stehen, für die eigentlich Seraphim, Cherubim und Throne die nächsten Wesen sind, die Wesen ihrer nächsten Hierarchie sind.

Diese Wesenheiten, diese Bevölkerung des Saturn, strahlen eigentlich vom Saturn zur Erde nichts nieder und geben nichts den Menschen, was in der äußeren physischen Welt ist. Dagegen bewahren die Saturnwesen das kosmische Gedächtnis, die kosmische Erinnerung. Alles, was das Planetensystem an physischen und geistigen Tatsachen durchgemacht hat, was Wesenheiten innerhalb unseres Planetensystems erlebt haben, das bewahren die Saturnwesen treulich im Gedächtnis. Die Saturnwesen schauen immer erinnernd zurück auf das ganze Leben des Planetensystems. Wie wir auf unser ganzes enges Erdenleben mit der Erinnerung zurückschauen, so haben - zusammen in ihren Wirkungen Saturnwesen das kosmische Erinnern an all das, was das Ganze und jedes einzelne Wesen des Planetensystems durchgemacht hat. Und das alles, was da an Kräften in dieser Erinnerung lebt, das lebt für den Menschen dadurch, daß er zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, eigentlich auch in jeder Nacht im Bilde, mit diesen Saturnwesen in eine Beziehung kommt. Dadurch wirken im Menschen die Kräfte, die ausgehen von diesen Saturnwesen, die eigentlich das tiefste Innere des Planetensystems darstellen. Denn wie die Erinnerung unser tiefstes Inneres auf Erdeii ist, so ist das, was im Saturn lebt, eigentlich das tiefste innere kosmische Ich des ganzen Planetensystems.

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Dadurch, daß diese Wirkungen im Menschen sind, gehen im Leben die Vorgänge vor sich, die dem Menschen zum großen Teil ihrer eigentlichen Bedeutung nach unbewußt bleiben, die aber die denkbar größte Rolle im Leben des Menschen spielen. Das meiste, was im Leben bewußt vor sich geht, ist ja nur das geringste im Leben.

Wenn Sie irgendeinen tiefen Einschnitt irgendwo im Leben haben, ein maßgebendes Ereignis - Sie haben zum Beispiel irgendeinen anderen Menschen gefunden, mit dem Sie dann das weitere Leben gemeinsam zubringen, oder irgendein anderes ganz bedeutsames Ereignis - und Sie schauen von diesem Ereignis dann zurück, so werden Sie sehen, wie es Ihnen auffällt, daß es wie ein Plan ist, der Sie schon längst zu diesem Ereignis hingeführt hat. Manchmal können Sie für irgend etwas, was in Ihrem dreißigsten bis fünfzigsten Jahre auftritt, das Leben zurückverfolgen, und Sie finden: Ja, eigentlich habe ich den Weg zu diesem Ereignis schon mit zehn, zwölf Jahren angetreten; alles Spätere hat sich so gemacht, daß ich dann zuletzt landete bei diesem Ereignis.

Menschen, die alt geworden sind, die dann zurückblicken auf ihr Leben, finden sich, wenn sie sinnig zurückblicken> schon in dieser Weise im Leben zurecht, daß sie sich sagen können: Da ist ein solch unter- bewußter Zusammenhang. Wir werden hingedrängt durch unbewußte Kräfte zu diesem oder jenem Ereignisse.

Das sind die Saturnkräfte, das sind die Kräfte, die in uns gepflanzt werden dadurch, daß wir in der angedeuteten Weise mit jener inneren Bevölkerung des Saturn in einem Zusammenhang stehen.

Und wenn auf der einen Seite jetzt vom Monde nur die physischen Fortpflanzungskräfte auf Erden vorhanden sind - die sind zurückgeblieben vom Monde -, so sind auf der andern Seite die höchsten, weil die kosmisch-moralischen Kräfte, durch den Saturn auf der Erde. Und der größte Ausgleicher für alle irdischen Ereignisse ist der Saturn. Und wenn die Mondenkräfte, wie sie jetzt auf Erden sind, nur etwas zu tun haben mit der Vererbung von Vater, Mutter und so weiter, so haben die Saturnkräfte mit unserem Menschenleben das zu tun, was im Karma lebt, was von Inkarnation zu Inkarnation geht. Und die anderen Planeten stehen dazwischen, vermitteln das, was das Physische ist und was das höchste Moralische ist.

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Zwischen Mond und Saturn stehen dann Jupiter, Mars und so weiter. Sie vermitteln in ihrerArt dasjenige, was als die äußerstenExtreme Mond und Saturn in das menschliche Leben hineintragen: der Mond dadurch, daß sich seine Geistwesen zurückgezogen und nur das Physische in der Erdenwirksamkeit, die physische Fortpflanzungskraft zu- rückgelassen haben, der Saturn die höchste moralische Gerechtigkeit des Universums. Diese zwei wirken zusammen, indem zwischen ihnen die anderen Planeten stehen und das eine mit dem andern verweben. Karma durch den Saturn vermittelt, physische Vererbung durch den Mond vermittelt, sie zeigen uns erst, wie der Mensch, indem er von Erden leben zu Erdenleben geht, mit der Erde selbst und mit dein, was außerirdisch im Universum ist, zusammenhängt.

Sie können verstehen, daß die heutige physische Wissenschaft, die sich nur mit dem Erdendasein befaßt, eigentlich nur über das wenigste vom Menschen etwas zu sagen weiß. Sie weiß zwar viel zu sagen über die Vererbungskräfte, erkennt aber nicht, daß sie zurückgebliebene Mondenkräfte sind, weiß sie nicht zu beziehen auf ihre außerirdische Wirksamkeit, und weiß gar nichts von dem, was nun auch im Leben wirkt als das Karma, als das Schicksal, das von Erdenleben zu Erden- leben geht und das im wesentlichen durchpulst wird - so wie wir von der Blutpulsation als p`hysische Menschen durchpulst werden - von den Wesenheiten, die das große Erinnern an das gesamte Planetensystem und sein ßeschehen in sich tragen. Blicken wir in uns selber: Wir sind Menschen erst dadurch, daß wir ein Gedächtnis haben. Blicken wir auf das Planetensystem mit all seinen physischen und geistigen Vorgängen, so müssen wir uns, wenn wir an die Initiationsweisheit heranreichen wollen, sagen: Dieses ganze Planetensystem wäre eigentlich nichts Innerliches, wenn nicht die im Saturn wohnende Bevölkerung fortwährend das Gedächtnis, das Vergangene dieses Planetensystems bewahren würde, und die Kräfte, 'die aus dieser Bewahrung des Vergangenen ersprießen, immerfort auch in die Menschheit hineinversenken würde, so daß alle diese Menschen leben in einem lebendigen geistigen, moralischen Ursachenzusammenhang von Erden- leben zu Erdenleben.

Im Erdenleben ist der Mensch in seinem Verhältnis zum Menschen

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für das, was er bewußt vollbringt, in enge Grenzen gebannt. Wenn aber der Mensch in Betracht zieht, was er durchmacht zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, so ist sein Verhältnis zu anderen Menschen, die dann auch entkörpert, nicht im physischen Körper sind, innerhalb weiterer Kreise verlaufend. Der Mensch ist allerdings zwi

schen dem Tode und einer neuen Geburt, man kann sagen, in einer gewissen Zeit mehr in der Nähe der Mondenwirkungen> in einer anderen Zeit mehr in der Nähe der Saturn-, der Marswirkungen und so weiter, aber die eine Art von Kräften wirkt immer über Weltenräume in die andere herüber. Und so wie wir hier nur durch engbegrenzte Erdenräume während des Erdendaseins von Mensch zu Mensch wirken können, so wird gewirkt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt von Planet zu Planet. Es ist tatsächlich dann das Universum der Schauplatz des menschlichen Wirkens und auch der Verhältnisse der Menschen zueinander. Die eine Menschenseele ist vielleicht innerhalb des Venusbereiches, die andere innerhalb des Jupiterbereiches zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, aber es bestehen daWechselwirkungen von größerer Innigkeit, als sie in beschränktem Maße auf der Erde möglich sind. Und ebenso, wie zwischen den Menschenseelen Welten- weiten in den Schauplatz ihres Wirkens hingerufen werden zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, so wirken auch die Geister der höheren Hierarchien durch solche Weltenweiten hindurch. Und daher können wir dort nicht nur von der Wirkung etwa der einzelnen Wesenheiten sprechen - sagen wir, der Venusbevölkerung oder der Mars- bevölkerung -, sondern wir können auch sprechen von einer Beziehung der Venusbevölkerung zur Marsbevölkerung, von einer fort- währenden Beziehung, einem fortwährenden Hin- und Hergehen der Kräfte zwischen Marsbevölkerung und Venusbevölkerung in dem Universum.

Und was da vor sich geht im Universum zwischen der Bevölkerung des Mars und der Bevölkerung der Venus, was da fortwährend vor sich geht an Wechselbeziehung, was da im Kosmos, im geistigen Kosmos lebt als die gegenseitig sich befruchtenden Taten von Mars und Venus, das steht ja alles wiederum in Beziehung zum Menschen. So wie das Saturngedächtnis in Beziehung zum menschlichen Karma steht,

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wie die zurückgebliebenen, die physischen Mondenkräfte in Beziehung stehen zu der äußeren Fortpflanzungskraft, so steht dasjenige, was im Verborgenen des Geistigen fortwährend geschieht zwischen Mars und Venus, in Beziehung zu dem, was auf Erden hier am Menschen erscheint als die menschliche Sprache. Wir würden nicht sprechen können durch bloße physische Kräfte. Diese Sprachkraft ist auch von demjenigen Wesen des Menschen nach außen gestrahlt, das von Erden- leben zu Erden leben sein Dasein vollbringt, das das Leben hat zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Und während wir als geistiges Wesen leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, kommen wir auch in die Wirkungsweise dessen hinein, was befruchtend zwischen Mars und Venus, zwischen der Marsbevölkerung und der Venusbevölkerung geschieht. Diese hin- und herstrahlenden Kräfte, dieses Zusammenarbeiten, das wirkt auf uns in dem Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Das lebt sich dann im physischen Bilde aus. Das ist es, was von dem innersten Menschenwerden heraus in die Sprach- und Gesangsorgane hineingeht.

Wir würden nicht sprechen können mit unseren Sprach- und Gesangsorganen, wenn sie physisch nicht angeregt wären von jenen Kräften, die wir in uns aufnehmen mit den Tiefen unseres Wesens zwischen dem Tod und einer neuen Geburt aus dem, was hin- und herströmt im Kosmos zwischen Mars und Venus.

So stehen wir in dem, was wir täglich tun, unter der Einwirkung derjenigen Kräfte, zu denen wir nur als zu ihren Zeichen bewundernd aufschauen, wenn wir auf die Sterne hinblicken. Erst derjenige vermag eben in der richtigen Weise zu den Sternen aufzublicken, der weiß, daß eigentlich in den Sternen, die aus dem Raume zu uns strahlen, nur die Schriftzeichen zu ersehen sind für das Universum, für das universellste geistige Geschehen, das in uns lebt und dessen Abbild wir sind.

Eine ältere Menschheit hat in einer älteren atavistisch-instinktiven Hellseherkraft eine Anschauung gehabt von alledem, aber diese Anschauung ist allmählich verglommen. Der Mensch hätte nicht frei werden können, wenn er die alte Anschauung behalten hätte. Diese alte Anschauung verfinsterte sich im Menschen. Dafür aber trat in das Erdenleben herein das Mysterium von Golgatha. Ein hohes Wesen der

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Sonnenbevölkerung hat zwar den Menschen nicht gleich das Bewußtsein bringen können von dem, was da in den Sternenwelten vor sich geht, aber die Kräfte dazu, sich dieses Bewußtsein nach und nach zu erwerben.

Daher kam die Sache auch so, daß zunächst, noch während das Mysterium von Golgatha geschah, eine alte gnostische Erbweisheit vorhanden war, durch die man das Mysterium von Golgatha begriffen hat. Die ist aber verschwunden, 'schon verschwunden im vierten nachchristlichen Jahrhundert. Die Kraft, die durch den Christus auf Erden gekommen ist, die ist geblieben. Und diese Kraft kann der Mensch in sich rege machen, wenn er durch das, was neuere Geisteswissenschaft zu sagen weiß, wiederum den Blick überhaupt sich eröffnet für die geistigen Welten.

Mit diesem Blick in die geistigen Welten wird so manches über die neuere Menschheit kommen. Es ist doch eine merkwürdige Erscheinung, daß diejenigen Menschen, die sich heute noch etwas bewahrt haben von der alten instinktiven Weisheit - die ja nicht mehr zeitgemäß, im besten Sinne des Wortes nicht mehr zeitgemäß ist und durch eine bewußte Weisheit ersetzt werden muß -, daß diejenigen Menschen im Orient drüben, die sich in den verschiedensten Gegenden von Asien etwas von ihr bewahrt haben, die dort die Gebildeten, die Gelehrten sind, eigentlich auf Europa und Amerika in einer recht verächtlichen Weise herabsehen. Die sind überzeugt davon, daß selbst in dem heute dekadenten Zustand ihre alte asiatische Urweisheit, oder eigentlich die Fetzen derselben, die Reste derselben noch besser seien als alles das, was die westliche Zivilisation so hochmütig macht. Und interessant ist es immerhin, daß solch ein Buch erscheinen konnte, wie das eines ceylonesischen Inders: «The culture of the soul among western nations». In diesem Buch «Kultur der Seele bei den westlichen Nationen» wird nichts Geringeres von einem ceylonesischen Inder den Europäern gesagt, als dieses: Seit dem Mittelalter ist euer Wissen von dem Christus ausgestorben. Ihr habt gar kein wirkliches Wissen mehr von dem Christus, denn nur derjenige, der in die geistige Welt hinein schauen kann, kann ein wirkliches Wissen von dem Christus haben. Daher müßt ihr euch überhaupt Lehrer aus Indien oder Asien kommen lassen, die euch

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das Christentum lehren. - Sie können das in diesem Buche nachlesen, wie ein ceylonesischer Inder den Europäern sagt: Laßt euch Lehrer aus Asien kommen, die werden euch sagen können, was der Christus wirklich ist. Eure Lehrer in Europa wissen ja das gar nicht mehr. Seit das Mittelalter zu Ende gegangen ist, habt ihr das Wissen von dem Christus verloren.

Und darauf kommt es an, daß allerdings die Europäer und Amerikaner von sich aus wieder den Mut gewinnen, zu jenen geistigen Welten hinzuschauen, in denen auch wiederum das Christus-Wissen, die Christus-Weisheit gewonnen werden kann, denn der Christus ist das Wesen, das aus geistigen Welten ins Erdendasein heruntergestiegen ist, und das nur in seiner wahren Innigkeit begriffen werden kann, wenn man es vom Geiste aus begreift.

Dazu ist eben notwendig, daß der Mensch sich wirklich anschauen lernt als ein Bild geistiger Wesenheiten und geistiger Wirksamkeiten hier auf Erden. Das kann er am besten, wenn er sich recht durchdringt gerade mit solchen Anschauungen, wie ich sie heute im Beginne dieser Betrachtungen vor Sie hingetragen habe, wo der Mensch im Grunde genommen auf die Leerheit in seinen zeitlichen Erlebnissen hinschaut und sich bewußt wird, wie sein Ich ja aus der geistigen Welt gar nicht herunterkommt, wie er in der physischen Welt nur Bild ist, also sein Ich in der physischen Welt nicht da ist. Er sieht gewissermaßen ein Loch in der Zeit, das ihm eigentlich dunkel erscheint. Das ist dasjenige, zu dem er Ich sagt.

Deshalb sollte der Mensch gerade dieser höchst bedeutsamen Tat- sache sich bewußt sein, daß er, rückerinnernd, in sein Leben zurückblicken und sich sagen muß: Ja, ich sehe da rückerinnernd die Tageserlebnisse, aber da hinein stellt sich die Finsternis immer wie ein Loch. Das, was finster ist, nenne ich im gewöhnlichen Bewußtsein Ich. Aber ich muß mir eines anderen bewußt werden.

Und dieses andere habe ich zusammengefaßt in einigen Worten, die als eine Art Meditation zur Gewinnung des Ich jedem Menschen der Gegenwart heute in die Seele geschrieben werden können, wenn wir öfter und öfter die Worte in uns rege machen, die ich in dieser Weise stellen möchte:

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Ich schaue in die Finsternis:

In ihr ersteht Licht,

Lebendes Licht.

Wer ist dies Licht in der Finsternis?

Ich bin es selbst in meiner Wirklichkeit.

Diese Wirklichkeit des Ich

Tritt nicht ein in mein Erdendasein.

Ich bin nur Bild davon.

Ich werde es aber wieder finden,

Wenn ich,

Guten Willens für den Geist,

Durch des Todes Pforte gegangen.

Wir können uns immer wieder und wiederum durch Versetzen in solch einen Meditationsspruch hinstellen vor die Finsternis, uns klarmachen, wie wir eigentlich auf Erden nur das Bild desjenigen sind, was von unserem wahren Wesen niemals ins Erdendasein hinunterkommt, wie aber in der Finsternis uns eben durch den guten Willen zum Geist ein Licht aufgehen kann, von dem wir uns gestehen dürfen: Dieses Licht sind wir selbst in unserer Wirklichkeit.

DIE SONNENINITIATION DES DRUIDENPRIESTERS UND SEINE MONDENWESENERKENNTNIS Dornach, 10. September 1923

#G228-1985-SE077 Initiationswissenschaft und Sternenerkenntnis

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DIE SONNENINITIATION DES DRUIDENPRIESTERS

UND SEINE MONDENWESENERKENNTNIS

Dornach, 10. September 1923

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Ich möchte zunächst, um die schon gestern angedeuteten Betrachtungen genauer bringen zu können, erinnern an einzelnes, das ich vor meiner Reise hier in den Vorträgen erwähnt habe, die über die geistige Wesenheit unseres Planetensystems handelten. Es war ja - in mehr geistiger Beziehung - hingewiesen worden auf etwas, das Ihnen lange bekannt ist aus den Darstellungen in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß». Wir wissen ja, wie innerlich zusammenhängen die Erdenentwickelung einerseits und die Sonnen- und Mondenentwickelung andrerseits. Von den verschiedensten Gesichtspunkten aus - nur einer davon ist derjenige, der in der «Geheimwissenschaft im Umriß» besprochen ist - habe ich darauf hingedeutet, wie in einem gewissen sehr frühen Zustande unseres Planetensystems Sonne, Mond und Erde, ja auch die übrigen Planeten - das wollen wir aber jetzt nicht berühren - ein Ganzes waren, wie wir sprechen müssen gewissermaßen von einem Auszug, von einem Hinausge`hen zunächst der Sonne aus dem Ganzen - Sonne, Mond, Erde -, und dann in einer viel späteren Zeit von einem Hinausgehen des Mondes.

Alle diese Dinge haben natürlich den äußeren, gewissermaßen aus den Vorstellungen der Sinne hergenommenen Aspekt. Aber sie haben ja auch einen innerlichen Aspekt, den nämlich, daß an jedes solches Dasein, Sonnendasein, Mondendasein, gewisse Wesenheiten gebunden sind, Wesenheiten, die, sagen wir, mit der Trennung der Sonne von der Erde sich nun auch ihrerseits aus diesem Ganzen herauslösen und im Kosmos ein ganz andersartiges Dasein gewinnen. So daß man für die spätere Erdenentwickelung nicht nur von einer losgelösten Sonne, die ihre physischen Wirkungen, ihre ätherischen Wirkungen auf die Erde ausübt, sprechen kann, sondern daß man, wenn man das Geistige des Kosmos in Betracht zieht, eben sprechen muß von einer Sonnen- bevölkerung, von Sonnenwesen, die, während sie früher mit der irdischen Entwickelung verbunden waren, nun außerhalb dieser irdischen

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Entwickelung ein weit über das Erdendasein hinausgehendes> viel erhabeneres Dasein führen.

Ebenso ist es mit dem, was man die Mondenbevölkerung nennen könnte. Und wir mußten ja auch darauf hinweisen, indem wir eben die geistige Seite solcher kosmischen Vorgänge besprachen, wie innerhalb der Er`denentwickelung selbst einmal eine Urweisheit da war. Aber diese Urweisheit waren natürlich nicht etwa in der Luft herumfliegende Begriffe, sondern diese kam von Wesenheiten, die zwar nicht in dem Sinne des Menschen einen physischen Leib annahmen, die aber wegen der damals entwickelten instinktiv hellseherischen Kräfte der Menschen doch in den Menschen lebten; sie kam von denjenigen Wesenheiten, die dann, nachdem der Mond als äußerer Weltenkörper sich von der Erde getrennt hatte, ihr Dasein auf dem Monde fortsetzten. So daß man, wie ich schon damals in jenem Vortrage sagte, sprechen muß davon, daß innerhalb der Mondenwesenheit - nicht in dem Lichte, das der Mond als reflektiertes Sonnenlicht zurück strahlt, und auch nicht in dem, was der Mond sonst vom Weltenall zurückstrahlt, aber daß im Innern dieses Mondenwesens Wesenheiten leben, welche dieselben sind, die einmal unter Erdenmenschen die Begründer der Urweisheit waren. Es sind das Wesenheiten, die dann in die Mythen, Sagen, in die Mythologie überhaupt, übergegangen sind und bildhafte, nicht mehr für das gewöhnliche Bewußtsein durchschaubare Gestalt angenommen haben: Urweisheiten, zu denen wir staunend zurückblicken, wenn wir sie auch nur äußerlich als die reale Grundlage der Mythen, der Sagen und so weiter entdecken, Urweisheiten, zu denen sich nur, indem wiederum Imagination, Inspiration und Intuition entwickelt werden, mit großer Anstrengung hindurchringen die intellektualistischen Kräfte der gegenwärtigen Menschheit. Aber durchaus blieb von alledem, was da einstmals mit der Erde verbunden war, wenigstens innerhalb der Menschheit selbst etwas zurück wie eine unbewußte Erinnerung. Und es treten dann in verschiedenen Entwickelungsepochen der Menschheitszivilisation, wobei ich die älteren Zivilisationsepochen durchaus mitrechne, im menschlichen Fühlen, in der ganzen menschlichen Seelenverfassung diese unbewußten Erinnerungen auf, so daß wir, wenn wir dann hinschauen auf die Zivilisation, von

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einer sonnenhaften und einer monden`haften Zivilisation sprechen können.

Das sind gewissermaßen Bewußtseinserinnerungen an etwas, was früher in umfassenderem Sinne wie Naturkräfte im Menschen gewirkt hat. Und dasjenige, was der Mensch von ihnen empfunden hat, ist nur wie ein Anhängsel, an Wachstumskräfte, an innere Organisationskräfte erinnernd.

Gerade wenn wir dieses, was ich Ihnen geschildert habe vor meiner englischen Reise, uns heute vor die Seele stellen, können wir an das gestern hier Erzählte anknüpfen und auf der Grundlage der Vorstellungen, die wir uns so verschafft haben, nun ein wenig eindringen in dasjenige, was ich Ihnen gestern, mehr von der Außenseite her, als die Druidenkultur geschildert habe, deren Spuren gerade in so auffälliger Weise in jenen Gebieten vorhanden sind, in denen der gestern geschilderte Vortragszyklus stattgefunden hat.

Man wird sich heute mit den Mitteln, die eine äußere Wissenschaft hat> ganz vergeblich fragen, was eigentlich denn diese Druidenpriester - ich könnte sie ebensogut Druidengelehrte nennen, denn das sind Aus- drücke, die durchaus auf die damalige Zeit passen, obwohl es diese Ausdrücke natürlich in der damaligen Zeit nicht gegeben hat -, was denn eigentlich diese Druidenpriester für eine Seelenverfassung gehabt haben? Was lebte in den Impulsen, durch die sie ihre Gemeinde leiteten?

Dasjenige, was in der Geschichte oftmals erzählt wird, was ja schrecklich oft erklingt, das bedeutet immer nur etwas, was in den Dekadenzzeiten, in den Verfallszeiten rege war. Was ich hier schildern will, bezieht sich immer auf dasjenige, was diesen Verfallszeiten vorangeht und in den Blütezeiten rege war. Denn diese Kromlechs, diese verschiedenen Sonnenzirkel, von denen ich gestern gesprochen habe, die erinnern eben durchaus in dem, was sie in Wahrheit sind, an das, was in der Blütezeit der Druidenmysterien vorhanden war. Und wir können schon heute in einer gewissen Weise mit den Mitteln, die uns die anthroposophische Geisteswissenschaft an die Hand gibt, in die ganze Art und Weise eindringen, wie diese Druidenpriester wirkten. Sie waren ja in einer gewissen Beziehung ihren Völkern, besser gesagt ihren Volksstämmen, alles. Sie waren es, die für die religiösen Bedürfnisse, soweit

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man von solchen in der damaligen Zeit sprechen kann, maßgebend waren. Sie waren es, die für die sozialen Impulse maßgebend waren. Sie waren aber auch diejenigen, welche maßgebend waren zum Beispiel für die Heilmethode der damaligen Zeit. Sie waren alles das in einem, was auf viele Zweige des menschlichen Zivilisationslebens in der späteren Zeit sich verteilt hat.

Wir sehen nur in einer richtigen Weise auf diese - wir können sie durchaus so nennen - Druidenkultur hin, wenn wir das Wesentliche in ihr in einer früheren Epoche sehen als derjenigen, aus welcher uns jene mythologischen Vorstellungen vom Norden herüberklingen, die sich an den Namen des Wotan oder Odin knüpfen. Was sich an den Namen des Wotan knüpft, ist im Grunde genommen der Zeit nach später gelegen als diese Blütezeit der Druidenkultur. Man muß in dem Weisheitskreise, möchte man sagen, der hinweist auf den Götternamen des Wotan oder Odin, etwas sehen, was zunächst vom Osten herüber- gekommen ist von einem Mysterienkreise, der in der Nähe des Schwarzen Meeres war, und der dann seinen geistigen Inhalt von dem Osten nach dem Westen ergossen hat, indem gewissermaßen koloniale Mysterienstätten vom Schwarzen Meer herüber nach dem Westen hin in der verschiedensten Weise gegründet worden sind.

Aber das alles strahlte 'hinein in eine, im tieferen Sinne so zu nennende, erhabene Kultur, Urweisheit, Druidenweisheit. Diese Druidenweisheit war tatsächlich ein unbewußter Nachklang, etwas wie eine unbewußte Erinnerung an alles das, was die Erde von Sonne und Mond her hatte, bevor sich Sonne und Mond von der Erde getrennt hatten. Die Initiation in den Druidenmysterien war im wesentlichen eine Sonneninitiation, verbunden mit dem, was dann Mondenweisheit durch die Sonneninitiation werden konnte. Worauf waren denn diese Kromlechs, diese Druidenzirkel eigentlich berechnet? Aus der gestrigen Darstellung wird Ihnen hervorgehen, daß sie im wesentlichen darauf berechnet waren, in einer geistigen Art das Verhältnis von Erde und Sonne zu betrachten. Wenn wir auf die einzelnen Dolmen hinschauen, dann finden wir ja, daß in ihnen eigentlich etwas wie Instrumente vorhanden sind, durch welche die äußeren physischen Sonnenwirkungen ausgeschlossen sind, so daß der mit der Sehergabe begabte Initiat dasjenige,

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was dann von Sonnenwirkungen im dunklen Raume bleibt, eben beobachten kann. Die inneren Qualitäten des Sonn`enhaften, wie sie die Erde durchdringen, und wie sie wiederum von der Erde rückstrahlen in den Weltenraum, das hat der Druidenpriester beobachtet durch die einzelnen Kromlechs. Also, ich niöchte sagen: Das physische Wesen des Sonnenlichtes war abgehalten. Ein dunkler Raum, sagte ich Ihnen gestern, war geschaffen durch die in die Erde gefügten Steine, die oben von einem Deckstein gedeckt waren, und in diesem dunklen Raum, durch die Kraft des Durchschauens der Steine, war es eben möglich, das Geistig-Wesenhafte des Sonnenlichtes zu beobachten.

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So daß sich also eigentlich der Druidenpriester, vor seinem Ku ltaltare stehend, mit den inneren Qualitäten das Sonnenhaften beschäftigte, sofern er das brauchte, was da in ihn weisheitsvoll einströmte - aber so einströmte, daß die Weisheit noch wie eine Naturkraft war -, sofern er das brauchte, um seine Gemeinde zu regieren.

Sie müssen sich ja nur darüber klar sein, daß wir von einer Zeit reden, in der man nicht im Kalender nachschauen konnte, wann man in der richtigen Weise auszusäen 'hat, wann man dieses oder jenes Samenkorn der Erde anzuvertrauen hat. Der Kalender war dasjenige, was der Priester von den Sonnenwirkungen absah. Man nahm kein Buch in die Hand, um sich über die Zeit aufzuklären. Das einzige Buch,

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das es gab, war das Weltenall selbst. Und die Buchstaben, die sich zu Worten formten, ergaben sich aus den Beobachtungen, wie die Sonne auf dieses oder jenes wirkte, was als Vorrichtung aufgestellt war. Sie lesen heute nach, wenn Sie irgend etwas wissen wollen über das oder jenes; der Druidenpriester sah dasjenige an, was die Sonne an seinen Kromlechs tat. Da las er die Geheimnisse des Weltenalls. Da las er an dem, was sich ihm ergab, wann Weizen, wann Roggen und so weiter auszusäen ist. Das sind nur Beispiele. Für alles, was getan wurde, wurden die Impulse aus dem Weltenall abgelesen. Die größeren Impulse, die man brauchte, um den Jahreskalender vollständig zu machen, die ergaben sich aus der Beobachtung im Schatten des Druidenzirkeis. So daß in dieser Zeit, in der es nichts gab von dem, was aus menschlichem

Intellekt entspringt, eben als Einziges das Weltenall selbst da war. Und statt der Druckerpressen hatte man die Kromlechs, um aus dem Weltenall die Geheimnisse, die in ihm enthalten waren, herauszulocken.

So hatte man es, indem man sozusagen in dieser Weise das kosmische Buch las, mit dem Sonnenhaften zu tun. Und dem Sonnenhaften entgegengestellt empfand man das Mondenhafte. Die Kräfte, die dann im Monde konzentriert waren, waren einstmals mit der Erde verbunden.

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Aber sie sind nicht restlos fortgezogen, sie haben etwas zurückgelassen in der Erde.Wenn es bloß Sonnenkräfte gäbe, so würden allein wuchernde, wachsende Zellen zum Beispiel entstehen, Lebendiges immer mit dem

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kleinen oder großen Zellencharakter entstehen. Das Mannigfaltige, das Gestaltete, das rührt nicht von den Sonnenkräften, sondern von den mit den Sonnenkräften zusammenwirkenden Mondenkräften her.

Und nun war es so, daß, indem der Druidenpriester sich dem exponierte, was ihm seine Zirkel, seine Kromlechs ergaben, er nicht etwa jenen abstrakten Eindruck nur bekam, den wir heute mit Recht bekommen, wenn wir uns in unserer Weise eben auf intellektuellem Wege in das Geistige einlassen, sondern es sprachen ja unmittelbar die Kräfte der Sonne zu ihm. Im Sahatten der Sonne wirkte das Geistig-Sonnenhafte unmittelbar ein, und es wirkte viel intensiver in ilin ein, als eine Sinnesempfindung heute auf uns wirkt, denn es stand mit viel tieferen Kräften in Beziehung. Indem der Priester vor seiner Kultstätte stand, dieses Sonnenhafte beobachtete, veränderte sich im Beobachten sein Atem: er wurde unlebendig, er stumpfte sich ab, er wellte sich, so daß der eine Atemzug in den anderen Atemzug hineinging. Er lebte mit dem, was er als Mensch durch sein Atmen war, in dem, was sich da als Sonnenwirkung ergab. Es ergab sich für ihn nicht ein abstraktes Wissen, es ergab sich für ihn etwas, was so in ihm wirkte, wie die Blutzirkulation wirkt, was ihn innerlich durchpulste, was sein Menschliches bis ins Physische hinein erregte. Aber dieses bis ins Physische Hin einwirken war eben mit geistig. Und diese inneren Erregungen, die er erlebte, die waren eigentlich sein Wissen.

Man muß sich dieses Wissen in einer viel lebendigeren, intensiveren Weise als ein Erleben denken. Dieses Wissen bekam er auch nur zu gewissen Zeiten. Mit einer minderen Stärke regsam konnte dieses Wissen jeden Mittag erregt werden, aber wenn die großen Geheimnisse sich enthüllen sollten, dann mußte der Priester in der Zeit, die wir heute die Johannizeit nennen, sich diesen Wirkungen aussetzen. Dann stellte sich zu den sich täglich einstellenden kleinen Wellen seines Wissens die große Welle ein. Und indem er in dieser Weise durch die auf besondere Art, auf künstliche Art auf der Erde aufgefangenen Sonnenwirkungen etwas erlebte, was er als seine Initiation, als die Sonneninitiation empfand, wurde er fähig, nun die beim Mondenhinausgang in der Erde als Mondenkräfte zurückgebliebenen Kräfte zu studieren, zu verstehen. Das war dann sein Naturwissen, das er sich erwarb unter dem Einflusse

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der Sonneninitiation. Was sich an der Oberfläche der Dinge enthüllte, das war für ihn nicht wichtig. Was von unten heraufwogte als die Mondenkräfte der Erde, das war für ihn wichtig. So wie er durch das Initiationsprinzip, dessen Spuren eben heute noch in diesen Denkmälern erhalten sind, sich in die Fähigkeit versetzte, zu erkennen, so erkannte er dann, namentlich wenn der nächtliche Himmel die Sterne über der Erde hervortreten ließ und der Mond über die Himmelsfläche ging, was in der Natur wirkt.

Die Sonneninitiation gab ihm den geistigen Einschlag, den geistigen Impuls, und er hatte dann seine Naturwissenschaft. Unsere Naturwissenschaft ist eine Erdenwissenschaft, seine Naturwissenschaft war eine Mondenwissenschaft. Die zugrunde liegenden Mondenkräfte, die heraufstrahlten in den Pflanzen aus den Tiefen der Erde, die da wirkten in Wind und Wetter und den andern Elementen, die empfand er. Er empfand sie nicht in der abstrakten Weise, wie wir heute, wo wir eine Erdenwissenschaft haben, die Naturkräfte empfinden, er empfand sie in ihrer Lebendigkeit, in ihrem Weben und Wesen.

Und dieses, was sich ihm da in Lebendigkeit darbot, das empfand er als die Elementarwesenheiten, die in den Pflanzen, die in den Steinen, die in allem lebten. Es waren diese Elementarwesenheiten, indem ihr Wohnsitz in den Bäumen, in den Pflanzen und so weiter war, in Grenzen eingeschlossen. Aber es waren ihnen nicht jene engen Grenzen gesetzt, die zum Beispiel heute den Menschen gesetzt sind, sondern es waren weitere Grenzen. Und so durchschaute der Druidenpriester, indem seine Naturwissenschaft eine Mondenwissenschaft war, wie diese Elementarwesenheiten sich auswachsen können, ri`esenhaft auswachsen können.

Daraus bildete sich dann die Erkenntnis von den Riesen, den Jötunns, den Riesenwesen. Sah man in das Wurzelhafte einer Pflanze unter der Erde, in dem das Mondenhafte lebte, so hatte man das Elementarwesen in seinen rechten Grenzen. Aber diese Elementarwesen hatten das Bestreben, herauszugehen und sich äußerlich auszuwachsen, riesenhaft auszuwachsen. Wenn diese Art der Elementarwesen, die im Wurzelhaften ihr segensreiches Dasein trieben, sich zu Riesen auswuchsen, dann wurden sie zu den Frostriesen, die im Froste ihr äußeres physisches

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Symbolum hatten, die in all dem lebten, was zum Beispiel als verheerender Reif oder als sonstige verheerende Frostkräfte über die Erde hinstrich. Gewissermaßen die losgelassenen Wurzelkräfte der Pflanzen lebten im Frost, lebten in alledem, was eben riesenhaft über die Erde hinströmte und dann verheerend wirkte, während es sein Segensreiches in dem Wurzelhaften entfaltete. Dasjenige, was im Blattwachstum war, auch das konnte sich ins Riesenhafte auswachsen. Es lebte dann als riesenhaft vergrößertes Elementarwesen in den Nebelstürmen, die über die Erde mit all ihrem Inhalt in gewissen Jahreszeiten hinstrichen mit dem Blütenstaub der Pflanzen und so weiter. Und wenn das, was auf eine leise, bescheidene Art in der Blütenkraft der Pflanze lebt, wenn das ins Riesenhafte auswächst, dann wird es zum verheerenden Feuer.

So daß da gesehen wurde in den meteorologischen Vorgängen die ins Riesenhafte vergrößerten Kräfte, wesenhaften Kräfte, die in den Naturwesen in ihren rechten Grenzen lebten. Und schon die Orte, an denen diese alten heidnischen Kultstätten gestellt sind, zeigen, daß dasjenige,was auf der einen Seite durch Sonnenzirkel und Dolmen gegeben war, nun ausgebildet wurde in der dadurch möglich gewordenen Erdenerkenntnis: so ausgebildet wurde, daß man das geheimnisvolle Wirken und Weben, Streichen und Leben von Wind und Wetter, dieses Zusammenwirken des Wasserhaften, des Luftliaften, des aus der Erde herausquillenden Reifs, des Tauhaften, daß man das in der richtigen Weise beobachten konnte. So kam durch Sonneninitiation und Mondenwesenerkenntnis diese älteste Vorstellung zustande, die wir, ich möchte sagen, auf der Grundlage der europäischen Zivilisation finden.

Es las also der Druidenpriester dasjenige, was er durch seine Vor- richtungen an kosmischen Geschehnissen durch seine Sonneninitiation dem Kosmos abgewinnen konnte, und was er dann unter der Anregung dieser Sonneninitiation an Kenntnissen gewinnen konnte aus seiner Mondennaturwissenschaft. Mit alledem stand aber das soziale, das ganze religiöse Lehen im Zusammenhange. Denn was der Priester da den Leuten sagen konnte, war ja ein Inhalt, der sich auf die geistige Grundlage desjenigen erstreckte, worin die Leute drinnenstanden. Man merkt das am besten, wenn man auf das hinweist> was als eine Art von

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Heilwissenschaft bei diesen Druidenpriestern vorhanden war. Sie sahen auf der einen Seite die in ihre Grenzen gebannten Elementarwesen in den verschiedenen Hervorbringungen des Mineralischen, namentlich des pflanzlichen Reiches und so weiter. Nun beobachteten sie, was an den Pflanzen geschieht, wenn diese, sagen wir, dem Frost ausgesetzt sind, wenn sie den Wirkungen, welche die Sturmriesen, die Windesriesen durch den Luftraum tragen, ausgesetzt sind, wenn sie dem Kochen der Feuerriesen ausgesetzt sind. Und indem sie nun studierten, was die Reifriesen, die Frostriesen, die Sturmriesen, die Feuerriesen, wenn sie gewissermaßen losgelassen wären, mit den Pflanzen täten, kamen sie dazu, in ihrer Art Pflanzen zu nehmen und dasjenige, was in der Natur als Riesenw`irkungen angedeutet ist, in bestimmten Grenzen nachzuahmen: die Pflanzen einem bestimmten Prozeß zu unterwerfen, dem Prozesse des Verfrostens, dem Erkaltungsprozesse, 'dem Prozesse des Verbrennens, dem Prozesse des Lösens und Bindens.

Und so sagten sich diese Druidenpriester: Schauen wir hinaus in die Natur, so sehen wir die verheerenden Wirkungen der Frostriesen, der Sturmriesen, der Feuerriesen. Aber wir können diesen Riesen, diesen Jötunns, dasjenige abnehmen, was sie in ungelenker Weise über die Welt ausbreiten, wir können ihnen das entreißen. Wir können diese losgelassenen Mondenkräfte wiederum in engere Grenzen bannen.

Und indem sie das taten, indem sie das, was sich in der tauenden Erde, was sich im Sturm, im Winde, im Kochen der Sonnenhitze ab- spielt, indem sie das studierten und anwendeten auf das Sonnenhafte, das in den Pflanzen lebte und das sie in ihrer Initiation empfingen, erzeugten sie ihre Heilmittel, Heilkräuter und dergleichen, die darauf beruhten, daß die Riesen mit den Göttern versöhnt wurden.

Jedes Heilmittel war in jener Zeit ein Zeugnis für die Versöhnung der Götterfeinde mit den Göttern selber. Ein Nahrungsmittel war dasjenige, was aufgenommen wurde unmittelbar unter Sonnen- und Moiidenwirkung, so wie es sich in der Natur darbot. Ein Heilmittel war dasjenige, was der Mensch erzeugte, indem er die Natur fortsetzte, in- dem er die Riesenkraft bändigte, um sie in den Dienst der Sonnenkraft zu stellen.

Sehen Sie, diese ganze Art zu leben ist ja nur denkbar, wenn es kein

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intellektualistisches inneres Wissen gibt, nicht eine Spur davon gibt, wenn alles, was man wissen will, äußerlich durch dasjenige erkannt wird, was als Geist in den Naturerscheinungen selber sich ausdrückt, oder in dem, was im Initiationsprinzip durch besondere Vorrichtungen den Naturerscheinungen abgewonnen wevden kann, wenn alles aus dem Buche des Kosmos selber gelesen wird. Nur dann ist solch ein Leben, solch eine Art von Zivilisation möglich.

Diese Zivilisation müssen wir uns über große Teile von Nord- und Mitt~europa etwa vor drei oder dreiundeinhalb Jahrtausenden ausgebreitet denken. Da gab es nichts, was der Schrift ähnlich war. Da gab es nur diese kosmische Schrift. Und da hinein verbreitete sich eben vom Osten herüber, zunächst von einem Mysterium aus der Gegend des Schwarzen Meeres, dasjenige, was nun so, daß es das gewöhnliche Bewußtsein nicht mehr enträtseln kann, in der nordischen Mythologie enthalten ist, insofern diese an Wotan anknüpft.

Denn was ist Wotan? Das Mysterium, aus dem diese Wotankultur hervorgegangen ist, war ein Merkurmysterium, ein Mysterium, das zu den Impulsen von Sonne und Mond die Impulse des Merkur hinzu- brachte. So daß, man möchte sagen, in einer sonnen- und mondenerglänzenden Unschuld und Naivität diese alte Kultur da war, unberührt von dem, was durch die Merkurimpulse der Menschheit gesagt werden konnte. Nur drüben im Osten waren sie schon vorhanden, diese Merkurimpulse. Von dort aus verbreiteten sie sich nun kolonisie,rend nach dem Westen. Wotan-Merkur nahm seinen Einfluß nach dem Westen hin.

Und damit ist zu gleicher Zeit ein Licht darauf geworfen, daß Wotan als der Bringer der Runenkunst, der Runenschrift geschildert wird, also als der Bringer dessen, was der Mensch an Entzifferungskunst des Weltenalls auf die erste, ganz primitive intellektualistische Weise aus sich selbst heraus schöpft.Da ist der allererste intellektualistischeEinschlag, der Wotaneinschlag. Und so konnte man sagen, war jetzt hinzugekommen zu dem Sonnen- und Mondenhaften das Merkurhafte, das Wotanhafte.

Bei demjenigen, was nun wirklich ganz von dem Wotanhaften seinen Einschlag erhie`lt, bei dem wurde alles, was an früheren Erlebnissen

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vorhanden war, von diesem Wotanhaften beeinflußt. Es bekam alles einen gewis&en Einschlag, einen gewissen Impuls aus diesem Wotanhaften heraus. Denn eines war ein besonderes Geheimnis der Druidenkultur. Natürlich, überall gehen die Dinge auf, auch die nicht an einen betreffenden Ort hingehören, auf den Äckern geht Unkraut auf. Anerkannt sozusagen als gutes Kraut der Kultur war in der Druidenzivilisation nur das Sonnen- und Mondenhafte. Ging nun, ich möchte sagen, vorauseilend einer späteren Zeit, schon das Intellektualistische auf, dann betrachtete man es als Unkraut. Und unter den mancherlei Heilmitteln, welche die Druiden hatten, war auch eines gegen die Grübelei, gegen das Merkurhafte. So paradox das den Menschen heute anmutet, es gab ein Heilmitt.el in der damaligen Zeit gegen die Grübelei, gegen dieses Sichvergraben in sein Inneres, in sein eigenes Seelenheil. Die Druiden wollten, daß der Mensch mit der Natur lebte, daß er sich nicht in sich vergrub, und sie betradhteten den als einen Kranken, der auch nur versuchte, anders als höchstens nachahmend in primitiver Kunst das Naturhafte irgendwie auszudrücken, der etwa Zeichen machte. Einer, der Zeichen machte, das war ein Kranker, den mußte man heilen. Und so einer galt dann als ein schwarzes Menschenwesen, er war kein weißes Menschenwesen. Ja, wenn wir mit unseren heutigen Kenntnissen in die Druidenkultur versetzt worden wären, so würden wir alle ins Spital kommen und geheilt werden!

Und nun brachte die Wotanzivilisation vom Osten herüber diese Krankheit. Das wurde als eine Krankheit empfunden, diese Wotanzivilisation. Sie brachte aber mit einer nun selbst ins Große, ins Riesenhafte ausgewachsenen Kraft dasjenige, was früher eben nur wie eine abnorme Grübelei aufgetreten war. Das brachte sie. Sie brachte die Rune herein in das, was früher nur der kosmischen Schrift entnommen worden war. Sie brachte herein, daß der Mensch sein Intellektualistisches in das Zeichen legte, sie brachte alles dasjenige herein, was als Merkurkultur empfunden wurde. Und so war es kein Wunder, daß nun das, was aus dieser Wotankultur hervorging, was wie eine Absonderung der besten Kräfte noch, die in der Wotankultur waren, empfunden wurde, daß das Baldurwesen, das nachgeborene Sonnenwesen, nicht mit dem Leben, sondern nur mit dem Tode vereinigt gedacht

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werden konnte. Baldur mußte zur Hei in die dunklen Todeskräf te, in die Todeswohnung wandern.

Und wiederum, worüber zuerst am meisten nachgedacht worden war - es geht das noch aus den Edda-Überlieferungen hervor -, das war nicht, wie man diesen Sohn der Wotanskräfte, den Baldur, von der Hei befreit - das ist eigentlich erst eine spätere Vorstellung -, sondern wie man ihn heilt. Und das tritt so hervor, daß man sagte, man habe viele Heilmittel, aber für Baldur, das heißt für die Intelligenz, die aus der Wotanschen Runenkraft 'hervorgeht, für die gibt es keine Heilmittel, die kann nur zum Tode führen.

Und so sehen wir denn 'das, worauf ich Sie von verschiedenen Gesichtspunkten aus aufmerksam gemacht habe bei der Betrachtung der Mensch~heitsentwickelung,indem ich Ihnen sagte: In älteren Zeiten hat das instinktive Erkennen der Menschen nichts gewußt von 'der Bedeutung des Todes, weil man sich an das vorirdisclie Leben erinnert hat und wußte, der Tod ist nur eine Umwandlung. Man empfand den Tod nicht als irgendeinen tiefergehenden Einschnitt. Vor allen Dingen gab es keine Tragik des Todes in älteren Zeiten. Die brach erst herein, als das Mysterium von Golgatha herannahte, das eben eine Erlösung von der Todesfurcht wurde. In der Baldursage sehen Sie die anschaulichste Darstellung dessen, was durch das Hereinbrechen des Intellektualismus diejenige Seelenverfassung bringt, die mit dem Tode rechnet, was also dadurch in die Menschheitsentwickelung gekommen ist. Und so wurde dasjenige, was man in dem Tode des Baldur, der nicht auferstehen konnte, gesehen hatte, erst wiederum auf seelisch-geistige Weise geheilt, als ihm entgegengestellt wurde die Christus-Gestalt, die auferstehen konnte.

Es ist nun wunderbar, wie sich da im Norden durch den Einfluß der Merkurkräfte auf die Sonnen- und Mondenkräfte die Anschauung von dem Christus-Impuls vorbereitet. In Baldur, dem Gotte, der dem Tode verfällt und nicht auferstehen kann, sehen wir für den Norden den Vorläufer des Christus, der auch dem Tode verfällt, aber auferstehen kann, weil er nun wiederum unmittelbar von der Sonne kommt, während das, was von Wotan kommt als die Sonnenkraft, Baldur, die von Merkur zurückreflektierte Sonnenkraft ist, die aus den Runen er-

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strahlende Sonnenkraft, die aus den Zeichen, die der Mensch aus seinem Intellekt heraus macht, erstrahlende Sonnenkraft ist.

Und so sieht man, wie da alles in diesen nordischen Gegenden sich - entwickelt, gerade recht anschaulich entwickelt, indem der Mensch sich uns da noch zeigt in seinem Leben, in seinem Lesen im Kosmos, in seinem Suchen der religiösen, der sozialen, der Heilmittelvorstellungen aus dem Kosmos heraus, während später der Mensch übergeht zum Wohnen mit den Erdenkräften. Der Druidenpriester schaut hin von seinem Opferstein auf die Art und Weise, wie sich da der Schatten der Sonne konfiguriert, und wie das, was im Schatten erscheint, sich als das Geistige der Sonne darstellt, er liest das. Dann nähert man sich später der Zeit, wo die Sonnenwesenhaftigkeit, die gewissermaßen auf- gefangen wird in den Dolmen, in den Kromlechs, wo diese Sonnenwesenheit - 'horribile dictu für eine 'höhere Anschauung - mit abstrakten Linien gezeichnet wird, die man Strahlen nennt. Und man nähert sich jener Zeit, wo die Verwandtschaft desjenigen, was in Wurzeln und Blatt und Blüte lebt, 'mit dem, was im Frost, im Winde, im Feuer lebt, nur mehr auf chemische Weise erkannt wird. Die Riesen und die Elementarwesen verwandeln sich in Naturkräfte. In den Naturkräften ist heute trotzdem nichts anderes enthalten, als die Riesen von ehedem, nur merkt man es nicht, fühlt sich ungeheuer erhaben. In gerader Linie haben sich die Naturkräfte aus den Riesen heraus entwickelt: es sind die spätgeborenen Kinder. Weil sozusagen der Mensch heute in einer ganz abgeleiteten Kultur lebt, muß er, wenn er nun mit dem Blicke auf diese ganz verkommenen Überreste der Druidenzeit hingewiesen wird, eigentlich tief ergriffen werden. Es ist so, wie wenn man auf die Urahnen dessen hinschauen würde, was in der Gegenwart lebt.

Und wenn wir ins einzelne gehen: Wir reden heute, sagen wir, auch von Heilmitteln in einer merkwürdig abstrakten Weise, ganz intellektualistisch, beschreiben die Fabrikationsweise auf ganz abstrakte Weise. Das muß man sich in ganz Lebendiges verwandelt denken, wenn man zurückblicken will auf die Art und Weise, wie der Druidenpriester auf seine Heilmittel schaute. Da empfand er die Sonnenkräfte, die er kannte, die er behandelte in Pflanzen, in anderen Naturprodukten mit den Riesenkräften. Das war für ihn etwas ganz Lebendiges. Er ent

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lockte den Riesen die Fabrikationskräfte für die Umwandlung der Pflanze in ein Heilmittel. Er wußte, daß er 'damit etwas für den ganzen Kosmos tat. Und dann schaute er auf den Menschen hin. Und durch seine besondere Art der Menschenerkenntnis sah er, wie aus den Intimitäten der natürlichen Menschen - namentlich durch das, Was als Traumesvorstellung kam, als unbestimmtes, unbewußtes Heraufflakkern der tieferen Menschennatur in das Bewußtsein -, unter dem Einflus&e dieser in das Innere der Menschen hineingegebenen Bezähmungs mittel der Riesenkräfte, die Dinge im Menschen wirken. Und so hatteer auf der einen Seite seinen Loki draußen in den wilden Feuerwirkungen, auf der anderen Seite dasjenige, was er dem Loki genommen hatte, um diese oder jene Pflanze in einem Verbrennungsprozesse zum Heilmittel umzuwandeln. Und da sah er dann in der Art und Weise, wie das im menschlichen Innern wirkte, die Lokikraft im Innern des Menschen. Da war sie entwaffnet. Und da sagte er sich: Was draußen in der Welt der Riesen verderbenbringend, gefahrdrohend wirken kann, das wirkt, wenn es in der richtigen Weise in das Innere des Menschen gebracht wird, eben heilsam. Giftkräfte gleichsam im Großen werden heilende Kräfte, wenn sie an die richtige Stile gebracht werden.

Und so durchschaute er in seiner Art die verschiedenen` Kräfte und Wirkungsweisen der Natur. Und so war er In dem Geistigen drinnen, wodurch er die religiösen, sozialen, medizinischen und anderen Impulse in seine Gemeinde hinaussandte. So war in jener Zeit die alte Urweisheit, welche die Mondenwesen auf der Erde gepflegt hatten, solange sie selber noclh da waren, und die nun nicht mehr unmittelbar da war, weil diese Mon.denwesen mit dem Monde ausgezogen waren, durch solche Initiierte bewahrt wordeii, die erkundet und ergründet wurde mit Hilfe einer Art von Sonneninitiation, in der Weise, wie ich sie Ihnen heute geschildert habe.

DER MENSCH IN VERGANGENHEIT, GEGENWART UND ZUKUNFT VOM GESICHTSPUNKT DER BEWUSSTSEINSENTWICKELUNG Stuttgart, 14. September 1923 Erster Vortrag

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DER MENSCH IN VERGANGENHEIT,

GEGENWART UND ZUKUNFT VOM GESICHTSPUNKT

DER BEWUSSTSEINSENTWICKELUNG

Stuttgart, 14. September 1923

Erster Vortrag

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Für das Thema der Vorträge, die ich im Verlaufe dieser Tagung haltenwerde, 'habe ich eine Darstellung des menschlichen Wesens gewählt> wie es sich entfaltet, entwickelt hat in einer gewissen Vergangenheit, wie es dasteht in der unmittelbaren Gegenwart, und wie sich seine Perspektiven ergeben für die Zukunft der menschlichen Entwickelung auf unserem Erdenplaneten. Es ist ja jeder Weltanschauung, die aussichtsvoll eingeströmt ist in die abendländische Zivilisation mit ihrem amerikanischen Anhang, darum zu tun gew.esen, den Menschen nicht nur in seine menschliche Gegenwart hineinzustellen und darauf hin- zuweisen, wie sich der einzelne Mensch im Schoße der ganzen menschlichen Erdenbevölkerung räumlich ausnimmt, sondern gerade solchen Weltanschauungen, die Aussicht hatten, in die abendländische Zivilisation aufgenommen zu werden, war es eigen, daß sie den Menschen immer auch hineingestellt haben in den Verlauf des geschichtlichen Werdens der Erdenbevölkerung, daß sie zusammengeschlossen haben den Gegenwartsmenschen mit dem Menschen der Vorzeit, entweder bis zu einem gewissen Punkte hinauf, wie es das Alte Testament machte, mehr als Erdengeschichte, oder auch weiter hinauf bis zum Verfolgen planetarischer kosmischer Entwickelungen. Den orientalischen Weltanschauungen und auch den älteren Weltanschauungen Europas, insofern diese noch nicht zur modernen Zivilisation gehören, war dies weniger eigen. Die begnügten sich mehr damit, den Menschen sozusagen in den Raum hineinzustellen. Unser Empfinden, unser Fühlen könnte sich aus alledem, was uns anerzogen ist aus der abendländischen Entwickelung heraus, mit einem solchen räumlichen Hinein stellen des Menschen in die Welt nicht begnügen. Es verlangt aus einem gewissen seelischen Instinkt heraus, gewissermaßen im brüderlichen Zusammenschluß zu stehen nicht nur mit den Menschen der Gegenwart im

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Raume, sondern auch mit den Menschen der Vorzeit, die ja eigentlich erst mit denen der Gegenwart und der Zukunft das ganze Menschengeschlecht ausmachen. Nun kommen wir nicht zu einer befriedigenden Anschauung über diese geschichtliche Entwickelung des Menschen im engeren oder weiteren Sinn, wenn wir nur auf die äußeren anthropologischen Ergebnisse hinschauen. Denn der Mensch ist nun einmal ein Wesen, dessen Entwickelung durch äußere Dokumente, und wären sie noch so geistreich gedeutet, nicht erfaßt werden kann. Der Mensch ist ein körperlich-seelisch-geistiges Wesen, der Mensch ist ein Wes.en, welches in einem höheren oder niederen Grad immerzu der Geist so durchglänzt hat, daß Bewußtsein in ihm gelebt hat. Und wie das Bewußtsein des Menschen sich entwickelt, das stellt sich eigentlich für die Betrachtung so hin, daß man die ganze Natur und Wesenheit des Menschen in dieserBewußtseinsentfaltung erblicken kann, wie man schließlich das Wesen der Pflanze in der Blüte sinnlich erfassen kann.

Und so sei denn vor allen Dingen heute auf dieses wichtigste Moment in der Menschheitsentwickelung, auf die Bewußtseinsentwickelung,etwas eingegangen. Wenn wir das Bewußtsein des Menschen heute ins Auge fassen, so zeigt sich uns, daß wir folgendes unterscheiden können. Im gewöhnlichen Wachzustand, in welchem wir vom Auf- wachen bis zum Einschlafen sind, entwickeln wir ein mehr oder minder klares und helles Vorstellen, ein Vorstellen, das herauswächst - wie die Blüte aus der Pflanze - aus dem Untergrund des Gefühlslebens. Dieses stellt sich gegenüber dem klaren hellen Vorstellungsleben dar wie etwas mehr oder minder halb Unbewußtes, Dunkles, innerlich Wogen des und Webendes, das niemals eigentlich ganz deutlich wird. Gewissermaßen noch tiefer als die Gefühle, die immerhin auch unser Vorsteilungsleben impulsieren in einer sehr unmittelbaren Weise, viel weiter unten in unserem Wesen wogt dann das Wollen. Und ich habe es ja den Anthroposophen öfter dargestellt, wie für das Wollen der Mensch auch während des wachen Zustandes im Grunde genommen schläft. Denn was im Wollen lebt innerhalb des Menschen selbst, kommt eigentlich gar nicht in dem heutigen Wachzustande zum Bewußtsein. Wir haben eine Vorstellung, daß wir dieses oder jenes ausführen werden; darinnen liegt noch kein Wollen, darinnen liegt die in die Vorstellung gekieidete

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Absicht desWollens. Dann taucht dasjenige, was in dieser Absicht liegt, in Untergründe des menschlichen Wesens hinunter, die vor dem Bewußtsein eigentlich nicht klarer stehen als der traumlose Schlaf. Und es taucht wieder herauf als Wollen, taucht auf in dem, was unsere Arme und Hände, unsere Beine, unsere Füße vollführen, was wir an den Gegen&tänden der Außenwelt vollbringen. Dasjenige, was wir so an unserem eigenen Leib wollend ausführen, was wir in der Außenwelt verändern durch unser Wollen, das kommt wiederum durch unser Vorstellen uns zum Bewußtsein, durch unser Vorstellen, an das sich Gefühle knüpfen. Aber wir haben für das gewöhnliche Bewußtsein nur den Anfang und das Ende des Wollens, die Absicht in dem Vorstellen, die vorstellungsgemäße Beobachtung unserer eigenen Bewegungen odei` Bewegungen in der Außenwelt, die aus diesen Absichten hervorgehen. Was dazwischen iiegt, wie unsere Absicliten seelisch sich ergießen in unseren Organismus, wie die Seele anregt Körperwärme, Biutbewegung, Muskelbewegung und so weiter, um zum Wollen überzugehen, das bleibt so unbewußt wie die Dinge des traumlosen Schlafes. Denn es ist schon einmal so, daß derjenige, der wirklich beobachten kann die Erlebnisse, sich sagen muß: Ich wache eigentlich nur im Vorstellen, ich träume im Fühlen, idh schlafe im Wollen. - Und eigentlich ist es nicht anders mit diesem Wollen, als es ist, wenn wir des Morgens aufwachen und merken, daß unser Organismus sich in einer gewissen Weise erholt und erfrischt hat. Wir nehmen wahr die Erlebnisse des Schlafes, indem wir aufwachen, wir haben Absichten, dieses oder jenes zu wollen, wir schicken sie auch unbewußt hinunter in unseren Organismus, sie führen ein schlafendes Leben, indem sie übergehen in 'das Handeln, in die Tat, und wir wachen erst an der Tat wiederum auf und sehen die Ergebnisse desjenigen, was in uns verlaufen ist, was sich aber dem Bewußtsein entzieht.

Das sind gewissermaßen die großen Züge des inneren menschlichen Wesens-Erlebens im Wachen, im Träumen, im Schlafen. Denn auch die Träume der Nacht, die Träume des Schlafens, sie hängen ja wenig zusammen mit unserem Vorstellen. Sie folgen ganz anderen Gesetzen, als die logischen Gesetze unseres Vorstellungslebens sind. Kann man aber beobachten, geht man ein auf die Dinge, vermag man das, dann wird

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man finden, daß der Ablauf der Träume, diese wunderbare Dramatik, die die Träume oftmals durchmachen, eine außerordentlich starke Ähnlichkeit haben mit dem Gefühlsleben. Würden wir im wachenden Zustande gewissermaßen nur fühlen können, so würden zwar die Gefühle den Traumbildern nicht ähnlich sein, aber ihre innere Dramatik, Spannungen, Lösungen, Wunschimpulse, Katastrophen des inneren Erlebens, wie sie in Gefühlen wogen können, die stellen sich dem Gefühle mit all jener sogenannten Unbestimmtheit oder meinetwillen Bestimmtheit dar, wie sie auch im Träumen auftreten, nur daß der Traum in Bildern lebt und das Gefühlsleben in jenen eigentümlichen Erlebnissen, die wir mit den Ausdrücken der inneren Empfindung des Gefühls benennen. So daß wir Fühlen und das eigentliche Träumen zum Traumzustand rechnen können im gegenwärtigen Bewußtsein der Menschheit, und daß wir rechnen können die Vorgänge des Wollens und die Vorgänge des eigentlichen traumlosen Schlafes zu dem Schlafbewußtsein der gegenwärtigen Menschheit.

Wir müssen uns nun klar sein, wie auch dasjenige, was wir in dieser Weise als die Grundzüge des gegenwärtigen Bewußtseins des Menschen beschreiben, in einer verhältnismäßig gar nicht so langen Zeit eine Entwickelung durchgemacht hat, eine Entwickelung> auf die man in der heutigen materialistischen Gegenwart nur nicht gerne hinweist. Aber man versteht Dinge, die sich erhalten haben als Urkunden des menschlichen Denkens schon aus den ersten christlichen Jahrhunderten, nicht mehr, wenn man nicht gewahr wird, daß dasjenige, was beim Denken in der damaligen Zeit im Innern des Menschen gelebt hat, etwas ganz anderes war, als was heute im Innern der Seele als Denken lebt. Und insbesondere darf hingewiesen werden darauf, daß es geradezu eine seelische Unwissenheit bedeutet, mit dem, was man heute anerzogen hat als sein Vorstellungsleben, heranzugehen, sagen wir, an ein solches Buch wie «Die Einteilung der Natur» von Scotus Erigena aus dem 9. Jahrhundert, oder heranzugehen an die alten alchimistisch-chemischen Darstellungen. Mit dem Denken der heutigen Zeit versteht man gar nicht, was damals gemeint war. Man liest Worte, man versteht nicht, was damals gemeint war. Denn das menschliche Denken hat seit dem 15. Jahrhundert eben ein ganz bestimmtes Gepräge erhalten, und

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dieses Gepräge, trotzdem es sich langsam und allmählich entwickelt hat, ist verhältnismäßig gerade heute schon auf dem Höhepunkte angelangt. Dieses Denken, das den eigentlichen Wachzustand, wie ich auseinandergesetzt habe, im Leben des Menschen der Gegenwart darstellt, ist eigentlich ein solches, bei dem der Mensch der Gegenwart im Grunde genommen nicht froh werden kann. Der Mensch denkt, es ist das einzige von lichtvoller Klarheit das, was er wachend erlebt; der Mensch denkt, es ist das einzige, durch 'das er, aus seinem Innern heraus schöpfend, auch die wunderbati`sten Resultate der Wissenschaften zusammensetzt. Aber der Mensch wird im Grunde genommen für sein inneres Sehnsuchtserleben an diesem gegenwärtigen Denken gar nicht froh.

Denn eigentlich verliert sich der Mensch in diesem gegenwärtigen Denken. Er verliert sich so, daß er zwar 'dieses Denken als den einzigen klaren Inhalt erlebt, viel klarer als zum Beispiel die Blutzirkulation oder das Atmen. Die bleiben dunkel und unklar in unteren Regionen des Bewußtseins. Man fühlt, in ihnen lebt eine Realität, aber man verschläft eigentlich diese Realität und wacht nur im Vorstellen, im Denken. Aber dann kommt man darauf, gerade wenn man meinetwillen etwas veranlagt ist dazu, Selbstbesinnung zu üben: In dem Denken, das eigentlich das einzige ist, das dein inneres Leben erfüllt, verlierst du dich eigentlich. Und dieses Verlieren im Denken, man kann es an zwei Bezi~hungen, ich möchte sagen - natürlich ist das als geistiges Bild gemeint - mit Händen greifen.

Es gab einen Denker der neueren Zeit: Descartes (Cartesius). Von dem rührt der moderne Satz her: Cogito ergo sum, Ich denke, also bin ich. - Ja, das sagt ein Philosoph. Aber die neuere Menschheit sagt es nicht mit, und kann es nicht mitsagen. Denn die sagt: Wenn ich etwas bloß denke, denkend erlebe, so ist es doch nicht, und wenn ich mich selber denke, bin ich doch nicht: diese Gedanken sind doch höchstens Bilder, es ist das Sicherste in mir, aber ich ergreife in dem Denken kein Sein. - Man sagt ja auch: Etwas, was man bloß denkt, ist nur ein Gedanke. Und so ist es bei Descartes ein krampfhaftes Konstatieren: Man möchte sein und hat nirgends anders Anhaltspunkte, um dieses Sein des Menschen im neueren Denken zu ergreifen, deshalb sucht man es gerade da, wo es ganz gewiß der allgemeinen Empfindung gemäß nicht

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ist: im Denken. Denn jeder Schlaf widerlegt diesen Ausspruch des Descartes. Im Schlafe denkt man nicht. Ist man dann nicht? Stirbtman abends und wird man morgens neu geboren? Oder ist man vom Einschlafen bis zum Aufwachen? Die einfaclisten Wahrheiten, die berücksichtigen eben die gegenwärtigen Anschauungen der Welt nicht. Es ist ein krampfhaftes Sich-Anklammern mit dem Sein an etwas indem Satz gegeben: Ich denke, also bin ich, - nicht irgend etwas innerlich Erlebtes. Das ist das eine.

Die andere Beziehung, auf die man hinweisen kann, ist diese: Man hat außer dem Denken, auf das ja der moderne Mensch recht stolz ist, auch die Ergebnisse der modernen Naturwissenschaft, Beobachtungsresultate, Experimentierresultate. Nun ja, aber die sind doch gerade so,daß man durch sie nicht in das eigentliche Sein der Dinge hineinschaut, nur in die Veränderungen der Dinge, in das Vorübergehende. Und dennoch, dieser Mensch der Gegenwart findet einen Gedanken nur dann berechtigt, wenn er diesem äußeren Sein, das sich aber nur in seiner Offenbarung zeigt, entnommen ist. Und so hat der moderne Mensch überhaupt aufgehört, sein Dasein in sich selbst zu ergreifen. Das Den- ken ist etwas viel zu Luftiges dazu. Aber was sonst in ihm ist, findet er ja höchstens so, wie die Naturwissenschaften die äußeren Reiche der Natur finden. Da aber sucht der moderne Mensch dann das Sein. Und so glaubt er an sich selber nur, insofern er Natur ist. Und so wird die Natur mit ihrem Dasein der Moloch, der eigentlich dem Menschen der modernen Zeit sein Seinsgefiihl raubt. Gewiß werden viele Menschen der Gegenwart sagen, davon spüre ich ja nichts, es sei nicht so. Aber das ist ehen nur eine Meinung. Die Gefühle der Menschen der Gegenwart, die nur anfangen, ein bißchen Selbstbesinnung zu üben, sind eigentlich ganz das Ergebnis der Stimmung, die ich jetzt geschilderthabe. Und eingekapselt in dieses Erleben seines eigenen Wesens und seines Verhältnisses zur Umgebung der Welt ist dieser moderne Mensch. Und dasjenige, was sich ihm in dieser Einkapselung ergibt, das überträgt er dann auf sein Weltenbewußtsein. Er schaut zum Beispiel mit seInen Instrumenten, dem Spektroskop, dem Teleskop nach den Sternen. Dasjenige, was sich ihm da zeigt, das verzeichnet er, daraus bildet er eine rein räumliche Astronomie, Astrophysik und so weiter. Er

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merkt nicht, daß er eigentlich bloß zum Himmel hin aufgetragen hat dasjenige, was er an den Erdendingen beobachtet und errechnet hat.

Wenn ich hier eine Lichtquelle habe, so gibt jeder zu, daß, wenn ich soundso viele tausend Meilen von der Lichtquelle weg bin, in dem Raum das Licht dort schon schwach geworden, vielleicht gar nicht mehr sichtbar ist. Jeder weiß, daß die Stärke des Lichtes abnimmt mit der Entfernung. Und es ist ein Gesetz der äußeren Physik, daß auch die Schwere, die Gravitation, wie man in der Physik sagt, mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt. Nur denken die Menschen dann nicht weiter. Daß die Stärke der Schwere hier auf der Erde eine gewisse Größe hat und abnimmt mit dem Quadrat der Entfernung, das machen sich die Menschen klar, da wir hier auf der Erde leben, Naturgesetze aufstellen, Erdenwahrheiten ergründen, sie zusammenfassen. Wo die Schwere eine bestimmte Stärke hat, 'da sind sie wahr. Die Schwere nimmt ab und die Wahrheiten auch. Dasjenige, was auf der Erde wahr ist, hört auf, wahr zu sein, indem wir seine Ausbreitung in der Welt verfolgen. Dasjenige, was wir 'daher hier ergründen an Physik und Chemie, haben wir ebensowenig ein Recht, dem Kosmos ein- fach analogisch zu übertragen, wie wir die Stärke der Erdenschwere, der unmittelbaren Erdenumgebung in den Kosmos hinaus übertragen können. Wir dürfen nicht die Wahrheit, die in Himmelssphären herrscht, so sehen, wie wir die Wahrheit hier auf der Erde sehen. Man weiß, daß man mit einer solchen Sache für den Menschen der Gegenwart etwas ungeheuer Paradoxes, ja Phantastisches sagt. Aber so ist es eben in der Gegenwart: die Einkapselung ist so stark geworden für das allgemeine Bewußtsein, daß, wenn man nur irgendwo mit der geringsten Bemerkung diese Kapsel ein wenig durchsticht, sogleich ein Paradoxon herauskommen muß. Mit alledem hängt es dann zusammen, daß der Mensch der Gegenwart eigentlich ganz auf die Erde gebannt ist, so daß sein Erkennen, ja oftmals nicht einmal sein Besinnen über das- jenige hinausgeht, was er auf der Erde erlebt. Und so wie er es macht mit dem kosmischen Raum, so macht er es auch mit der kosmischen Zeit.

Sehen Sie - ich habe die entsprechenden Wahrheiten oftmals in anthroposophischen Kreisen erörtert, was ich jetzt sage, ist eine Wiederholung

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an einem einzelnen Exempel-, besonders stark konnte einem das auffallen, als auf die Einladung unserer englischen anthroposophischen Freunde in der zweiten Augusthälfte von mir gehalten werden sollte ein Vortragszyklus in Penmaenmawr, in Wales, dort wo die Insel Anglesey der Westküste Englands vorgelagert ist. Das ist in der Tat eine ganz merkwürdige Gegend, eine Gegend, die zeigt, daß es eigentlich noch ganz andere Geographien gibt über die Erde hin, als man sie in den gewöhnlichen Schulbüchern, auch in den Schuibüchern, die für den höchsten Unterricht sind, findet. Man glaubt ja heute schon ziemlich weit gekommen zu sein, wenn man den Charakter der Vegetation, der Fauna und Flora hineinnimmt in die geographische Beschreibung, wenn man noch ausgeht von der geologischen, paläonthologischen Beschaffenheit der Gesteine und so fort. Aber es gibt viel innerlichere Differenzierungen über den Erdboden hin, als diejenigen, die heute als Erdengeographie gebräuchlich sind. In diesem Penmaenmawr, wo dieser Vortragszyklus stattgefunden hat, da geht man sozusagen ein paar Schritte, ein bis eineinhalb Stunden in die Berge hinaus und findet überall die Reste des alten Druidenkultus: verfallene Gesteinsbildungen einfacher Art. Zum Beispiel: Steine sind so zusammengestellt, daß sie wie eine kleine Kammer einen Raum abschließen, mit einem Deckstein zugedeckt, so daß eine Art Kammer abgedeckt war, in der in einer notdürftigen Weise das Sonnenlicht abgeschlossen war, in der es also dunkel war. Nicht bestritten soll werden, daß solche Kromlechs auch bestimmt waren, als Grabstätten zu dienen, denn man hat zu allen Zeiten die wichtigsten Kultstätten über Gräbern der Mitmenschen auf- gerichtet. Aber hier liegt doch noch etwas ganz anderes vor, auch bei diesen einfachen Kromlechs liegt etwas vor, das zeigen dann die so genannten Druidenzirkel. Es war eigentlich ein sehr schöner Anblick, als ich eines Tages mit Dr. Guenther Wachsmuth zusammen in der Nähe von Penmaenmawr einen solchen Berg aufsuchte, in dem zwei einander ganz benachbarte Druidenzirkel heute noch in ihren letzten, spärlichen Resten zu sehen sind. Die Steine sind so aufgestellt, daß man ihnen heute noch ansieht: sie waren einstmals ihrer zwölf im Kreise, und derjenige, der dann sehen will, worauf es eigentlich angekommen ist, schaut hin und sieht, angekommen ist es darauf, daß, indem die

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Sonne ihren Weg im Kosmos> sei es im Laufe des Tages, sei es im Laufe des Jahres, zurücklegt, sie immer in einer bestimmten Weise ihren Schatten warf. Von einem Stein so> von einem andern Stein anders. Und indem man den Schatten verfolgte, wie er sich änderte im Laufe des Tages, 'des Jahres, verfolgte man den Sonnenlauf.

Die Menschen sind heute empfindlich für das Licht, namentlich wenn das Licht auch noch der Träger der Wärme ist oder die Wärme der Träger des Lichtes. Auch das heutige Bewußtsein des Menschen merkt natürlich den Unterschied zwischen Sommersonnenlicht und Wintersonnenlicht, weil es einem im Sommer heiß ist und im Winter einen friert. Und auch noch feinere Unterschiede merkt man. Aber dieselben Unterschiede, die man im Lichte auf eine so grobe Weise merkt, daß man friert oder daß einem warm ist, die zeigen sich auch im Schatten. Es ist nicht einerlei, ob die Oktobersonne, oder die Juli- oder Augustsonne den Schatten wirft, nicht nur der Richtung nach, sondern auch der inneren Qualität nach. Und zu der Aufgabe eines Druidenpriesters gehörte es, ein Schauvermögen zu haben für die Qualität des Schattens, für jene eigentümliche Beimischung, man möchte sagen, eines rötlicben Tones beim Augustschatten, eines bläulichen Tones beim November- oder Dezemberschatten. Und so konnte man mit der Schulung, die man als Druidenpriester hatte, den Tageslauf der Sonne im Schatten lesen. Man konnte den Jahreslauf der Sonne im Schatten lesen. Man sieht diesen Dingen heute noch an, daß eine der Verrichtungen, die bei ihnen vorgenommen wurden, in so etwas bestand. Es waren noch viele Dinge da, die zu diesem Kultus gehörten. Ein Sonnendienst, aber ein Sonnendienst, der nicht bloß irgendeine Abstraktion war, nicht einmal die Abstraktion der Andacht und der Demut bloß. Es wäre ein völliger Irrtum, wenn man das glaubte, trotzdem man durchaus nicht Andacht und Demut zu unterschätzen braucht. Aber abstrakte Andacht und abstrakte Demut allein waren hier nicht das Maßgebende, sondern der Kultus schloß noch etwas ganz anderes in sich.

Sehen Sie, das Samenkorn desWeizens, das Samenkorn des Roggens, sie wollen zu einer bestimmten Zeit des Jahres in die Erde versenkt sein. Es ist nicht gut, wenn sie zur Unzeit in die Erde versenkt werden. Derjenige,

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der diese Dinge genau kennt, der weiß, daß etwas davon abhängt, ob der Same ein paar Tage früher oder später in die Erde gesenkt wird. Und noch andere Dinge gibt es im menschlichen Leben. Das menschliche Leben derjenigen Bevölkerung, die da einmal in jenem geographischen Gebiete wohnte, wo der Druidenkultus war, vielleicht vor drei Jahrtausenden, das Leben war gewiß außerordentlich einfach: Ackerbau und Viehzucht waren die wesentlichsten Lebensbetätigungen. Aber fragen wir uns nun, woher sollten denn diese Leute wissen, wann sie säen und ernten sollten in richtiger Weise, wann sie manches andere besorgen sollten, was mit der Entwickelung der Natur im Jahreslaufe zusammenhängt? Man wird sagen: Heute gibt es auf dem Lande die Bauernkalender, aus denen der Bauer herausliest, an diesem Tage ist dieses, an diesem jenes zu tun. - Sehr geistvoll sind diese Dinge.

Ja, wir leben heute in einer Zeit, wo das Menschheitsbewußtsein so ist, daß diese Dinge registriert sind> daß man sie aus dem Gedruckten ablesen kann. Man denkt gar nicht daran, daß man sie aus dem Gedruckten abliest, aber es ist so. Aber das gab es doch alles nicht, nicht einmal die primitivsten Anfänge von Lesen und Schreiben gab es in der Zeit, wo der Druidendienst in der Blüte war. Aber das gab es, daß der Priester stehen konnte in einem solchen Druidenzirkel und seinen Schatten beobachtete und angab nach dem Schatten: In den nächsten acht Tagen hat der Landmann dies oder jenes zu tun, in den nächsten acht Tagen hat der Zuchtstier durch die Herde geführt zu werden, denn da ist die rlchtige Zeit für die Begattung des Rindes. Man las im Kosmos und hatte die Vorrichtung, im Kosmos zu lesen. Man stand auf der Erde, und um dasjenige zu tun, was auf der Erde zu tun war, las man dasjenige, was die Sonne selbst einem sagte durch ihre Zeichen, die hervorgerufen wurden durch jene Denkmäler, die heute in diesen spärlichen Resten enthalten sind.

Ja, das war eine ganz andere menschliche Seelenverfassung, und es wäre ein bedenklicher Hochmut der gegenwärtigen Menschen, weil sie das bißchen Lesen und Schreiben können, wenn sie unterschätzen würden die Kunst, die darin bestand, die notwendige Erdentat und Erdenverrichtung durch solche himmlische Offenbarung sich festsetzen zu lassen. Ich möchte sagen, man wird an jenen Stellen dazu gedrängt,

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auch noch manches andere in Erinnerung zu bringen von dem, was gerade geisteswissenschaftlich erforscht werden kann.

Ich 'habe ja öfter gesprochen im Kreise unserer Anthroposophen, wie eigentlich alles das, was geisteswissenschaftlich erforscht werden muß, nicht in gewöhnlichen Gedanken gedacht werden kann, sondern wie es gedacht werden muß in Imaginationen. Sie kennen ja hoffentlich alle - heute morgen ist es zwar bestritten worden, aber ich glaube, daß die Anwesenden ausgenommen waren -, was ich in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» über Imaginationen gesagt habe. Diese Imaginationen, nicht die gewöhnlichen Vorstellungen, muß man ja immer in der Seele haben, wenn man aus der unmittelbar geistigen Beobachtung, nicht aus der äußeren sinnlichen Beobachtung heraus, etwas schildert. So daß die eigentlichen geisteswissenschaftlichen Schilderungen, die hier von diesem Orte aus gemacht worden sind oder druööben in der Landhausstraße in Stuttgart, eben aus solchen Imaginationen heraus gesprochen sind. Aber diese Imaginationen sind eben viel lebendiger als die bloß abstrakten Gedanken. Die abstrakten Gedanken sind schon einmal so, daß man eigentlich keine Spur des Seienden, sondern nur Bilder vom Seienden in diesen Gedanken ergreift. Die Imaginationen, die befühlt man gewissermaßen mit dem aktiven Denken, so wie man Tische und Stühle befühlt. Man wird in viel derberer Weise vom Dasein durchdrungen, wenn man nicht in abstrakten Begriffen, wenn man in Imaginationen erkennt. Diese Imaginationen hat derjenige, der aus ihnen heraus spricht, immer so vor sich,wiewenn er schriebe.Er schreibt nur nicht jene grausam abstrakten Schriftzeichen, die unsere Schrift ausmachen, sondern er schreibt in kosmischen Bildern. Nun, in unseren Gegenden hier, wie ist es mit diesen Imaginationen? Derjenige, der sie kennt, weiß, daß ~s verhältnismäßig leicht ist, hier zu diesen Imaginationen zu kommen, daß sie verhältnismäßig leicht zu bilden sind. Ist man gewissenhaft, ist man sich seiner Verantwortung bewußt, die man hat, wenn man übe~aupt etwas aus Geisteswissenschaft heraus schildert, dann wird man natürlich auch eine solche Imagination nur gelten lassen, das heißt im Geiste hinschreiben - denn das Aussprechen ist nur ein Aussprechen des Geschriebenen -, wenn man sie reichlich oft umgedreht hat, die Sache

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reichlich oft geprüft hat. Eine leichte Zunge hat der wahrhaftig nicht, der mit vollem Verantwortungsgefühl aus der geistigen Welt heraus spricht. Aber trotzdem kann man sagen: In solchen Gegenden, wie die unsrigen, schreiben sich solche Imaginationen verhältnismäßig leicht hin, aber sie löschen sich ebenso leicht aus. Und derjenige, der geistigen Inhalt in Imaginationen schafft - anders kann man ihn ja nicht beschreiben -, dem geht es so in unseren Gegenden, wie wenn man schreibt und gleich nachher das Geschriebene wieder auslöschen würde: es löscht sich rasch aus. Dort in jener Gegend, wo Meer und Land zusammenstoßen, jeden Tag die Ebbe und Flut herankommen, wo man ordentlich durchhlasen wird vom Winde - in dem Hotel, in dessen Parterre wir wcihnten, spürte man den Wind nicht nur beim Fenster hereinblasen, sondern man ging auf demTeppich wie auf Meereswogen, weil unter dem Teppich der Wind durchging -, man wurde schon ordenvlich durchblasen, außei`dem hat man dort eine so regsame, freudig erregte Natur, daß stündlich oftmals Wolkenbrüche mit Sonnenschein wechseln, man lebt also schon innerhalb einer recht freudig bewegten Natur, da stößt man förmlich darauf, nun auch sich wieder zu erinnern, wie denjenigen diese Natur sich offenbarte, die da einstmals als die Druidenpriester - ich könnte auch sagen Druidengelehrte, es ist ja dasselbe - von ihrem erhabenen Sitz auf diese Natur herunterschauten. Wie nahm sich dann die Erde aus vor dem seelischen Auge dieser Druidenpriester, da sich der Himmel so ausnahm, wie ich es eben beschrieben habe?

Es ist hochinteressant zu beobachten. Aber man kommt zu der vollen Erinnerung nur, wenn man jetzt die besondere geographische Differenzierung an jenem Orte begreift. Man muß sich dort, wenn man die Imaginationen bilden will, viel mehr anstrengen als zum Beispiel hier.

Sie schreiben sich gewissermaßen in die Astralatmosphäre schwer ein. Aber sie bleiben lange da bestehen, sie sitzen fest, löschen nicht so schnell aus. Nun kommt man darauf, wie gerade solche Orte, in denen - das Geistige, das an den Menschen herantritt, gewissermaßen schon durch die Beschaffenheit des Ortes stark sich ausprägt, wie gerade solche Orte für ihre Kultstätten, für die wichtigeren Kultstätten, von diesen alten Druidenpriestern aufgesucht worden sind. Gerade diese

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Druidenzirkel, die wir damals besucht haben: hätte man sich mit einem Luftballon in die Luft erhoben und hätte man von oben heruntergeschaut auf den kleineren und auf den größeren Kreis - sie waren ja in einem Abstand, aber diesen würde man von oben aus e1ner gewissen Entfernung nicht so gesehen haben -, so würde man die beiden Zirkel so wahrgenommen haben wie den Grundriß des abgebrannten GoetheanUm. - Wunderbar gelegen ist das! Wenn man den Berg hinangeht, hat man von den mannigfaltigsten Stellen aus weite Ausblicke über Berg und See. Dann kommt man hinauf. Diese Druidenzirkel liegen da, wo sich der Berg muldenartig vertieft, so daß man wiederum in einem Bergring darinnensteht, und innerhalb dieses Bergringes sind dann die Druidenkreise. Da suchte der Druidenpriester dasjenige, was ihm Weisheit war, was ihm Wissenschaft, was ihm Erkenntnis war. Da suchte er seine Sonnenweisheit, da -suchte er aber auch seine Natur- weisheit. Denn, indem der Druidenpriester sich so hineinfand in den Zusammenhang desjenigen, was auf der Erde war, mit dem, was vom Himmel herunterströmte, wurde ihm überhaupt das ganze Wachstum der Pflanzen, das ganze Wachstum der Vegetation etwas ganz anderes, als es späteren, abstrakt denkenden Menschen werden konnte. Hat man das Sonnenhafte ergriffen, indem man auf der einen Seite die sinnlichen Sonnenstrahlen hat, die in unser Auge hereindringen, auf der andern Seite den Schatten mit all seinen differenzierten Abgestuftheiten, hat man das in der Betrachtung, dann weiß man: in der Differenzierung des Schattens lebt das Geistige der Sonne weiter. Es wird ja durch den Sdhatten auf andere Körper nur das Physische der Sonnen- strahlen abgehalten, das Geistige .dringt durch. In den Kromlechs, wie ich sie beschrieben habe, da ist ein notdürftig abgesperrter dunkler Raum. Da dringt nur das äußbre physische Sonnenlicht nicht hinein, aber die Wirkungen dringen hinein, und durch diese Wirkungen wächst der Druidenpriester hinein in ein inneres Durchdrungensein mit den geheimen Kräften des kosmischen Daseins, er wächst hinein in die Geheimnisse der Welt. Und so wurde ihm zum Beispiel offenbar, was die Sonne tut an der Pflanze. Er sah, diese Pflanze gedeiht in dieser Jahreszeit, da ist die Sonnenwirkung in einer bestimmten Art. Er verfolgte die Sonne in ihrer Geistigkeit, wie sie hineinströmt, sich hineinergießt

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in Blüte, Blatt, Wurzel und so weiter. Er verfolgte, was Sonnenwirkung im Tiere war oder ist. Indem er auf dieser einen Seite die Sonnenwirksamkeit innerlich erkennen konnte, wurde ihm auch klar, wie sich in diese Sonnenwirkungen andere Wirkungen des Kosmos, zum Beispiel die Mondenwirkungen hineinergießen. Jetzt sagte er sich: Die Sonne tut dasjenige an der Pflanze, was das heraussprossende, wachsende Leben ist, was immer weiter und weiter will. Und der Druidenpriester wußte, wenn eine Pflanze, die aus dem Boden dringt, nur der Sonne ausge&etzt wäre, sie ins Unendliche wachsen würde. Die Sonne will sprossendes, sprießendes Leben. Daß das aufgehalten, gestaltet wird, daß Blätter, Blüte, Frucht, Keim eine bestimmte Gestalt annehmen, daß das ins Unbegrenzte Strebende mannigfaltig begrenzt wird, das rührt von jenen Mondenwirkungen her, die nicht nur in dem vom Monde zurückgestrahlten Sonnenlichte liegen; denn der Mond strahlt alle Wirkungen zurück, und sie werden abgegeben in dem, was von der Wurzel in den Pflanzen aufwärts wächst, was in der Fortpflanzung des Tierreiches lebt und so weiter.

Nehmen wir einen speziellen Fall. Der Druidenpriester schaute auf die wachsende Pflanze. Er schaute, wie die Pflanze heraufwächst, er schaute lebendig dasjenige, was Goethe später in seiner Metamorphose in einer mehr abstrakten Art verfolgt hat. Er sah die herunterströmenden Sonnenkräfte, er sah aber auch die reflektierten Sonnenkräfte in demjenigen, was die Pflanze gestaltet, er sah in seiner Naturwissenschaft zusammenwirken Sonne und Mond in jeder einzelnen Pflanze, in jedem einzelnen Tier. Da wußte er dasjenige, was Sonne und Mond tun an der Wurzel, die noch in die Erde hineingesenkt ist und darauf angewiesen ist, die Salze der Erde in einer gewissen Weise aufzusaugen. Sonne und Mond tun an dieser Wurzel etwas ganz anderes als an dem Blatte, das der Erde sich entringt und in die Luft hinausdringt. Und wieder ein anderes sah er an der Blüte, die sich entringt der Erde, die dem Lichte, dem Lichte der Sonne entgegenstrebt. Das sah er in Eins Zusammen, Sonnenwirkung und Mondenwirkung, vermittelt durch die Erdenwirkung. Pflanzenwachstum, Tierwesenheit, das sah er in Eins zusammen. Dann lebte er natürlich auch schon so, wie wir da gelebt haben, von den so oft stürmenden Winden umgeben, die einem so viel

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erzählen von der Konfiguration der Gegend, von jenen eigentümlichen schönen Wettergaben, die sich so munter ausleben. Zum Beispiel beim Beginne einer Eurythmieaufführung in einem aus Holz zusammengefügten Saale war es so, daß die Leute mit Regenschirmen dasaßen, weil unmittelbar der Vorstellung ein Wolkenbruch vorausgegangen war, der noch andauerte, als die Eurythmie begann. Die Vorhänge wurden ganz naß. Dieses enge Zusammensein mit der Natur, das man heute noch immer ganz gut dort erleben kann, das erlebte natürlich auch der Druidenpriester. Die Natur war nicht so spröde, sie umfing und umfängt einen dort noch heute. Man wird, ich möchte sagen - tatsächlich, es ist das etwas außerordentlich Schönes -, da fast angezogen von den Naturwirkungen, begleitet von Naturwirkungen, man fühlt sich in den Naturwirkungen drin. Ich habe sogar Leute kennengelernt, die meinten, man braucht dort gar nicht richtig zu essen, es ißt sich auch innerhalb dieser Naturwirkungen wie von selbst. Ja, inner halb dieser Naturwirkungen - aber jetzt mit seiner ganzen Sonneninitiation - stand also der Druidenpriester, sah, wie ich es geschildert habe, sah zusammen: Sonne, Mond, vermittelt durch die Erdenwirkung, Pflanzenwachstum, Wurzel-, Blätter-, Blütenwachstum; das alles nicht in abstrakten Naturgesetzen, wie wir heute, sondern in lebendigen Elementarwesen. In der Wurzel wirken andere Elementar- wesen, andere Sonnen-Elementarwesen, andere Monden-Elementarwesen, als im Blatte, als in der Blüte.

Aber nun wußte der Druidenpriester dasjenige, was in wo`hltätigen Grenzen in Wurzel, Blatt und Blüte der Pflanze lebt, auch in den weiten Horizonten der Natur zu verfolgen. Er sah vermöge seiner imaginativen Gabe in der Wurzel die kleinen Elementarwesen in enge Grenzen gebannt. Er wußte, was als Wohltätiges in der Wurzel lebt, kann sich emanzipieren, ins Riesenhafte auswachsen. Und so sah er die großen Naturwirkungen als die zu Riesen gewordenen kleinen Naturwirkungen der Pflanze. Und wie er gesprochen hat von Elementarwesen, die in der Wurzel leben, so sprach er von den, man möchte sagen, auf eine kosmisch unrichtige Weise ausgewachsenen Wurzelwesen, die sichtbar wurden in der Reif-, in der Tau-, in der Hagelbildung. Er sprach von den in wohltätiger Weise wirkenden Wurzelwesen

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und von den Reif- und Frostriesen, die dasselbe wie die in der Natur ins Riesenhafte ausgewachsenen Wurzelwesen sind. Und er sprach von den kleinen Elementarwirkungen im Pflanzenblatte, die sich durchdringen mit demjenigen, was in der Luft wirkt. Und wieder verfolgte er das in die weiten Horizonte der Natur, und er sprach .davon, wie dasjenige, was im Pfianzenblatte lebt, wenn es sich emanzipiert und aus seinen wohltätigen Grenzen heraus in die Weiten der Natur strebt, dasjenige umfaßt, was auf den Wellen des Windes getragen wird. Die Wind- und Sturmriesen sind die ausgewachsenen Elementarwesen des Pflanzenblattes. Und dasjenige, was in der Blüte kocht dem Sonnenlichte entgegen, und was da in der Blüte die ätherischen Öle mit phosphorigem Charakter erzeugt, wenn sich das emanzipiert, wird es zu den Feuerriesen, aus deren Geschlecht zum Beispiel Loki war. Und so sah in Eins zusammen in dieser seiner SonnenMonden-Wissenschaft der Druidenpriester das, was im engbegrenzten Raum der Pflanze lebt, und was sich emanzipiert als dasjenige, was in Wind und Wetter lebt.

Aber er ging weiter> er sagte sich: Was in Wurzel, Blatt und Blüte lebt, wenn es in die wohltätigen Grenzen gebannt ist, in welche die guten Götter es bannen, da entfaltet es das normale Pflanzenwachstum. Wenn es in Reif und Frost erscheint, ist es ein Erzeugnis der Göttergegner. Die Elementarwesen, die zu den Göttergegnern ausgewachsen sind, sie gehen über in das Verheerende, Schädigende des Naturwirkens. Ich kann als Mensch die verheerenden Wirkungen der Göttergegner aufnehmen, ich kann in entsprechender Weise den Reif, den Frost sammeln, das, was der Sturm einherträgt, dasjenige, was auf den Wellen des Windes oder im Regen aufgefangen werden kann. Ich kann es benützen für dasjenige, was ich erzeuge, indem ich die Riesenkräfte verwende, indem ich die Pflanze verbrenne, zu Asche mache, zu Kohle mache und so weiter. Ich entnehme den Riesen ihre Kräfte, um das- jenige, was normales Pflanzenwachstum ist, durch Anwendung der oftmals zum Schaden auswachsenden Kräfte des Frostes, des Hagels, der Regentropfen, sonstiger Bildungen und dessen, was die Feuerriesen in ihren Gewalten tragen, zu schützen. Ich entreiße all das den Riesen, um damit die normale Pflanze zu behandeln, um aus den Pflanzen, die

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von den wohltätigen Elementarkräften in ihren normalen Grenzen gehalten werden, Heilmittel zu machen, indem ich sie mit diesen Göttergegnerkräften behandle. - Und das war eine der Methoden, Heilmittel aus Pflanzen zu machen durch Verwendung des Frostes, Verwendung desjenigen, was in Schnee- und Eisbildungen lebt, was durch die Verbrennung, durch die Kalzinierung und so weiter erzielt werden konnte. Und so empfand sich derDruidenpriester als derjenige, der den Göttergegnern, den Riesen abnahm dasjenige, was sein Schädigendes bei sich trägt, um es wieder zurückzubringen in den Dienst der guten Götter. Und so können wir in mannigfaltiger Weise verfolgen diese Diönge.

Warum verfolgen wir diese Dinge? Weil wir uns klarmachen wollen, indem wir dieses Beispiel verwenden - ich führe es als Beispiel an, weil ich den Kurs von Penmaenmawr in der Geschichte der anthroposophischen Bewegung nach meinem Gefühl tatsächlich zu einem wichtigsten Ereignis zählen muß -, wie das Bewußtsein, die ganze Seelenverfassung der Menschheit in einer verhältnismäßig gar nicht lang zurückliegenden Zeit ganz anders war als heute. Der heutige Mensch findet sich mit seinem Bewußtsein eben durchaus nicht hinein in das- jenige, was im Bewußtsein dieser älteren Menschheit lebte. Und was ich Ihnen von dieser älteren Menschheit erzählt habe, ich könnte es auch von anderen Menschen erzählen. Wir sehen da hinein in eine ganz andere Seelenverfassung. Was wir heute als unsere abstrakten Gedanken empfinden, empfand diese Menschheit noch nicht. All ihr Denken war noch mehr traumhaft. Nicht in solch scharf konturierten Begriffen und Ideen lebte diese Menschheit, wie wir heute. Sie lebte in eigentlich viel lebendigeren, inhaltsvolleren, gesättigteren Träumen, aber eigentlich auch beim Tagwachen wie in einem fortgesetzten Träumen. Und dieses Träumen, das niemals ganz erwachte, wechselte ab - so wie unser heutigesTagwachen mit unseren abstrakten Vorstellungen desWachens abwechselt mit dem Träumen und Schlafen - mit dem traumlosen Schlaf, der aber damals nicht so war wie heute, sondern so war, daß, wenn der Mensch erwachte zu seinem traumhaften Tagesleben, er dann fühlte: Vom Schlafe lebt etwas in mir, auch wenn ich wache. Es ist etwas, was mich wie eine innere Seelennahrung erfüllt, die ich während des Schlafes aufgenommen habe, das, was in mir sich fühlbar macht, ja sogar in

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mir sich schmeckbar macht. - In jenen Zeiten haben die Menschen noch den Nachgeschmack des Schlafes in ihrem ganzen Organismus gefühlt. Und ein dritter Zustand war da, tiefer als unser Schlaf ist, ein Zustand, der nicht mehr im menschlichen Bewußtsein auftritt. Ein dritter Zustand war da, der Zustand der Erdenumfangenheit, aus dem der Mensch, wenn er aufwachte, fühlte: Nicht nur geschlafen habe ich, ich war außerdem, daß ich geschlafen habe, was ich nachschmecke, wie von den Kräften der Erdenschwere in eine Art nächtliches Grab aufgenommen; die Erdenschwere deckte mich zu, ich war erdenumfangen.

Nun können wir sagen: Der Mensch erlebt heute die Bewußtseinszustände Wachen, Träumen, Schlafen. Und so müssen wir sagen: Der Mensch einer gewissen Vorzeit erlebte die Zustände Träumen, Schlafen, Erdenumfangenheit. Und wie alles, was im Laufe der Geschichte sich entwickelt> auch in der Gegenwart in einer gewissen Weise zusammenhängt, so zeigen manche Menschenseelen in späteren Zeiten> wie in ihrem Inneren in einem späteren Erden leben etwas Besonderes auftritt, etwas wie eine reale Erinnerung an alte Zeiten aufleuchtet, das mit ihrem früheren Ei`denleben zusammenhängt. Es zeigen dann solche Menschen in dem, was in ihnen heraufleuchtet, was in ihren Zeiten abnorm ist, etwas wie ein seelisch-lebendiges Denkmal. Solche Geister waren etwa Jakob Böhme, ein solcher Geist war Swedenborg. In solche Geister leuchtet herein aus einer sehr fernen Vergangenheit in die mehr gegenwärtige Menschheit dasjenige, was mit der Menschheitsentwickelung zusammenhängt.

Doch darüber, wie die besondere Geistesartung eines Jakob Böhme war, wie die eines Swedenborg war, so daß wir aus ihrer Geistesart menschliche Vergangenheit begreifen können, auf dieses und auf dasjenige dann, was die drei Bewußtseinszustände der Menschheit der Zukunft sein werden, auf das werde ich morgen in der Fortsetzung dieser Betrachtungen eingehen.

DER MENSCH IN VERGANGENHEIT, GEGENWART UND ZUKUNFT VOM GESICHTSPUNKT DER BEWUSSTSEINSENTWICKELUNG Stuttgart, 15. September 1923 Zweiter Vortrag

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DER MENSCH IN VERGANGENHEIT,

GEGENWART UND ZUKUNFT VOM GESICHTSPUNKT

DER BEWUSSTSEINSENTWICKELUNG

Stuttgart, 15. September 1923

Zweiter Vortrag

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Gestern wollte ich an der Entwickelung der unserer anthroposophischen Bewegung gerade im gegenwärtigen Augenblick naheliegenden Druidenkultur gewissermaßen die Seelenverfassung einer älteren Zeit in einer gewissen Gegend illustrieren. Wir können uns, wenn wir eben in der Entwickelung der Menschheit drei, vier, fünf Jahrtausende - esö ist verschieden für die verschiedenen Gegenden der Erde - zurückgehen, immer hineinfinden in solche ganz andersartige Seelenverfassungen der Menschen, die natürlich als Seelenverfassungen wiederum bedingen, daß die ganze geistige und soziale Lenkung und Leitung des menschlichen Lebens sich nach den Voraussetzungen einer solchen Seelenverfassung einer Zeitepoche richtet.

Es hängt die Entwickelung, die damit angedeutet ist, zusammen mit der allmählichen Entfaltung des menschlichen Bewußtseins. Die Menschen waren eben in älteren Zeiten ganz andere Wesen als in der Gegenwart, und sie werden in Zukunftszeiten wiederum andere Wesen sein. Die landläufige Geschichte verzeichnet wenig von diesen Dingen. Daher ist auch, wenn man ein paar Jahrhunderte über den historischen Gegenwartsmoment hinausgreift, 'dasjenige, was als gewöhnliche Geschichte vorliegt, zum großen Teil für eine wirkliche menschliche Auffassung von illusionärer Natur. Und ich habe ja gestern angedeutet, wie wir in der Hauptsache drei Etappen des menschlichen Bewußtseins - natürlich wiederum mit unerläßlich vielen Nuancen - beobachten werden müssen. Das, was wir heute unsere Bewußtseinszustände nennen, Wachen, Träumen, Schlafen, das ist ja eben Gegenwart, allerdings eine Gegenwart, die sich über Jahrhun.derte, ja Jahrtausende ausbreitet, aber eben in historischem Sinne Gegenwart. Und wenn wir zurückgehen in ältere Zeiten der Menschheitsentwickelung, dann haben wir gar nicht den gestern geschilderten heutigen Wachzustand mit den in logischen

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Zusammenhängen verlaufenden Vorstellungen. Je weiter wir in der Menschheitsentwickelung zunächst zurückgehen, desto mehr finden wir nicht ein solches logisches Bewußtsein, das eigentlich mit aller Strenge erst heraufgekommen ist im 14., 15. nachchristlichen Jahrhundert, das seinen Anfang genommen hat in den späteren Zeiten des Griechentums, in den älteren Zeiten aber finden wir dafür ein viel lebendigeres, von Bildern, nicht von Vorstellungen erfülltes Bewußtsein, und zwar finden wir ein solches Bewußtsein bei der gesamten Menschheit.

Was wir heute Naturkräfte nennen, das kannte ja die ältere Menschheit in der Form gar nicht. Die Zeit, die ich Ihnen gestern geschildert habe, sprach nicht von meteorologischen Gesetzen, die in Wind und Wetter walten, sie sprach, wie ich angedeutet habe, von BildhaftWesenhaftem, von Elementargeistern, die an den Pflanzengrenzen walten, von Riesen, von geistigen Wesenheiten, die in Wind und Wetter, in Frost und Hagel, in Sturm und Donner und so weiter walten. Da war alles in der Naturanschauung lebendig. Da wurden keine logischen Schlüsse gemacht. Da sah man hin auf das Leben und Weben und Wogen und Wellen geistiger Wesenheiten in den Dingen und auch in den elementarischen Naturerscheinungen. Der Grund der inneren Seelenzustände dieser älteren Menschheit war eben ein durchaus anderer als der heutige. Dieser Seelenzustand war so, daß eigentlich der Mensch viel mehr als heute in sich eingeschlossen war. Aber dieses In- sich war eben wieder ein anderes, als wir es jetzt kennen. Dieses In-sich war zu gleicher Zeit ein in lebendigen Traumbildern webendes Bewußtsein, das aber hin ausführte in die Welten weiten. Man sah Bilder, aber man sah diese Bilder nicht so, wie man heute einen Gedanken hat und da draußen sind 'die Dinge. Nein, was man als Riesenwesen, Frostriesen, Sturmriesen, Feuerriesen empfand, was man als Wurzelgeister, Blattgeister, Blütengeister empfand, in dem fühlte man sich verbunden mit der Pflanze, mit Wurzeln, Blättern, Blüten, mit dem Blitz, mit dem Donner. Man trennte sich nicht, weil man Geistiges, Bildhaft-Geistiges im Innern erlebte, in seinem Seelenleben von der äußeren Natur.

Nicht gerade in den allerältesten Zeiten, die ich in meiner «Geheim- wissenschaft im Umriß» geschildert habe, wohl aber in den Zeiten, die

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darauf folgten, da kann man geistig beobachten, wie diese Seelenverfassung eine ganz bestimmte Gemütsstimmung in den für die damalige Zeit maßgebenden zivilisierten Völkern hervorrief. Es gab schon eine Zeitepoche, in welcher die Menschen innerlich geistig noch viel wahr- nahmen von 'dem, was eigentlich menschliche Wesenheit ist: Sie schauten in diesen Bildern, die ich eben beschrieben habe, nicht bloß die Gegenwart ihres Daseins, sie schauten das vorirdische Leben, sie schauten hin, wie man jetzt in eine Raumperspektive hineinschaut, in eine Zeitperspektive. Nicht Erinnerung war es, Schau war es. Sie schauten über ihre Geburt hinaus in eine geistige Welt hinein, aus der sie herunter- gestiegen waren zum irdischen Menschenleben. Es war dieser älteren Menschheit natürlich, auf dieses vorirdische Dasein hinzuschauen und zu empfinden: Als Mensch bin ich ein geistiges Wesen, denn bevor ich einen irdischen Leib angenommen habe, ruhte ich im Schoße der Geistigkeit, verbrachte dort mein Dasein, erlebte dort mein Menschenschicksal noch nicht in einem physischen Leibe, sondern in einer - wenn ich mich so ausdrücken darf, trotzdem es paradox ist - geistigen Leiblichkeit.

Die Forderung, an den Geist zu glauben,wäre für diese ältere Menschheit ganz absurd gewesen, so wie es heute für den Menschen absurd ist, an Berge zu glauben. Denn Berge sieht man. Das geistige vorgeburtliche Leben sah man damals, allerdings innerlich in Seelenschau, aber man schaute es innerlich. Es kam eine Zeit, in der die Menschen zwar dieses innerlich Menschliche geistig erschauten als die Ereignisse des vorirdischen Daseins, in denen aber immer mehr und mehr die Natur selber, die draußen in ihrer Umgebung war, zu einer Art Rätsel wurde. Ich möchte sagen, es drängte sich allmählich in der Menschheitsentwickelung die reine Sinnesbeobachtung vor.

In ganz alten Zeiten, in Zeiten des Urindertums, wie ich sie in ,meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» geschildert habe, da sah der Mensch überhaupt alles noch geistig, auch die Natur. Aber ein Fortschritt bestand darin, daß die Schauung des Geistigen innerlich blieb, dagegen die Natur allmählich anfing - wenn ich mich so ausdrücken darf - entgeistigt zu werden. Der Mensch schaute dann hinaus. Während er innerlich fühlte, er ist Geist vom Geiste, schaute der Mensch

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hinaus auf die blühende Pflanzenflur, aiif die Wolke, die den Blitz aus sich heraustreibt, auf Wind und Wetter, auf die zierlichen oder wunderbar gestalteten Kristalle, auf Berg und Tal, auf all das schaute der Mensch. Und da kam eine gewisse Stimmung, die man durch lange Zeitepochen hindurch geisteswissenschaftlich verfolgen kann, gerade über dasjenige, was damals zivilisierte Menschheit war, die Stimmung, die sich etwa ausdrücken läßt auf folgende Art: Wir Menschen sind Geist vom Geiste. Wir waren im vor1rdischen Dasein mit der Geistigkeit als Menschenwesen verbunden. Jetzt sind wir in die natürlicbe Umgebung versetzt. Wir schauen die schönen Blumen, die gigantischen Berge, wir schauen das mächtige Walten der Natur in Wind und Wetter. Aber das ist entgeistigt. - Und immer mehr und mehr kam herauf die Vorstellung bloßer Natur in der Umgebung.

Nun empfand, nun sah aber der Mensch - ich meine natürlich immer den vorgeschrittenen Menschen, den Menschen, den man dazumal einen zivilisierten in unserer Sprache nennen kann -, daß ihm sein Leib herausgebildet wird aus den Substanzen, aus den Stoffen dieser Natur, die entgeistigt, entgöttlicht ist. Wenn so etwas über den modernen Menschen, über den Menschen der Gegenwart kommen würde, dann würde er darüber spekulieren, philosophieren, würde er nachdenken darüber. Das war zunächst bei dem Menschen einer älteren Zeit nicht der Fall. Er dachte nicht nach, aber er empfand eine ungeheure Disharmonie zwischen dem, was er in seinem Inneren erlebte: Ich bin Geist aus Geistesland, meine eigentliche Menschenwesenheit stammt aus göttlichen Höhen, aber ich bin umkleidet mit etwas, was aus der entgeistigt erscheinenden Natur genommen ist, mein geistiges Dasein ist verwoben mit etwas, was mir nicht den Geist zeigt. Aus derselben Substanz, aus der die blühenden Pflanzen auf den Fluren genommen sind, aus der- selben Substanz, aus der das Wasser aus den Wolken und Regengüssen ist, aus derselben Substanz ist mein Leib. Diese Substanz ist aber entgöttlicht.- Und der Mensch empfand das wie einVerstoßensein aus der geistigen Welt, wie ein Herausgestoßensein in eine Welt, der er eigentlich mit seinem Wesen nicht angehört.

Diese Stimmung könnte man, wie das heute mit sehr vielen Kulturstimmungen geschieht, ablehnen, verschlafen. Aber die wachen Leute

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der damaligen Zeit empfanden sie, und in Stimmungen, in Empfindungen entwickelt sich die Menschheit, nicht in Vorstellungen und Gedanken. Denn selbst unsere Gedankenentwickelung in unserer Zeit ist nur eine episodische Entwickelung - wie wir gerade in diesen Vorträgen sehen werden - und der Mensch, der in Gedanken bloß redet, er redet eigentlich in Unwirklichkeit. Gerade das heutige Reden der Menschen ist ein Reden der Menschen in Unwirklichkeit. Diejenigen, die sich am meisten als Praktiker dünken und in Hochmut vor ihrer Praxis geradezu platzen, diese Menschen sind im Grunde genommen die stärksten Theoretiker. Die Theoretiker sitzen heute in 'den Büros, natürlich auch auf den Lehrstühlen, da ist es, ich möchte sagen, selbstverständlich; aber sie sitzen auch in den Büros, gehen in der Handelswelt her- um. Alles ist theoretisch eingestellt, alles ist in Gedanken aufgefangen. Das ist eine Episode. Die hat zunächst keine Wahrheit. Ihre Wahrheit wird sie erst haben, wenn diese Menschen über dieses Leben in Gedanken empfinden werden, fühlen werden, so wie einstmals die Menschheit gefühlt hat, als die Natur ihr entgeistigt erschien: Wir sind verstoßen, ein verstoßenes Geschlecht; wir sind heraus au,s göttlich-geistigen Höhen, wo wir eigentlich hineingehören, sind versetzt in eine Welt, in die wir mit unserem innersten Menschenwesen nicht hineingehören.

Ein Ergebnis dieser Stimmung ist erst dasjenige, was dann aufgekommen ist als Ausdruck, als Offenbarung dieser Stimmung: die Empfindung vom Sündenfall der Menschheit. Diese Vorstellung vom Sündenfall entstand aus einer Bewußtseinswandelung. Man sagte sich: Man ist verstoßen aus der geistigen Welt; das muß aus einer Urschuld kommen. - Und so dämmerte durch das Menschenbewußtsein in einer gewissen Epoche die Anschauung von einer Urschuld, von einem Sündenfall der Menschheit. Auch diese Anschauung von einer Urschuld, von einer vorzeitlichen Schuld, einem vorzeitlichen Sündenfall versteht man, wenn man versteht die Bewußtseinswandelung des Menschengeschlechtes aus der Vergangenheit durch die Gegenwart in die Zukunft. Und was der Mensch brauchte in jener Epoche, indem diese Stimmung über ihn kam, das war nicht eine graue Theorie, das war vor allen Dingen etwas, was so in Worte gekleidet werden konnte, daß die Worte Balsam sein konnten für Seelen, die Trost brauchen. Was

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wir oftmals als die Führung der Menschheit in den alten Kult- und Religionsstätten, in den Mysterien bezeichnet haben, das sehen wir auftauchen in einem gewissen Zeitalter, das etwa zusammenfällt mit der urpersischen, mit der urchaldäischen, vorderasiatischen Kultur. Wir sehen das Zusammenfallen mit dem, was in den Mysterienpriestern entstand als den großen Tröstern der Menschheit. Tröster wurden sie. Aus den Mysterien strahlte Trost aus. Denn jene Bewußtseinsentwickelung der damaligen Zeit brauchte Trost. Die Worte mußten von etwas Seelenhaftem durchströmt sein, das eben wie Balsam, wie trösten der Balsam zu den Herzen sprach. Es ist die Zeit, die in bezug auf Religions- und Kunstschöpfungen, wenn auch in einer gewissen Beziehung andersartig als die späteren Zeiten, dennoch von einer grandiosen Schöpferkraft war. Vieles von Einzelheiten in unserer Kunst, in unseren religiösen Vorstellungen stammt eben noch aus jener Zeit. Insbesondere Kultsymbole, Kultbilder, Kulthandlungen stammen vielfach aus jenen alten Zeiten.

Woraus sprachen jene Mysterienlehrer, die diesen Trost zu geben hatten? Ja, wenn sozusagen das allgemeine Wachbewußtsein in einem solch lebendigenBilderbewußtsein bestand, wie ich es beschrieben habe, so gab es doch auch in der damaligen Zeit drei Bewußtseinsstufen. Wie es heute Schlafen, Träumen, Wachen gibt, so gab es eben in der da- maligen Zeit auch gegenüber dem Wachträumen, das eben allgemeines waches Menschheitsbewußtsein war, wie ich schon gestern angedeutet habe, das Schlafen nicht so, wie es heute vom gewöhnlichen Bewußtsein ausgeführt wird, daß der Schlaf eigentlich dasjenige ist, was das Bewußtsein vollständig ablähmt. Zwar während des Schlafes war das Bewußtsein sehr dumpf auch bei jener älteren Menschheit, aber beim Erwachen blieb etwas zurück. Ich bezeichnete es gestern damit, daß der Mensch gewissermaßen, wenn er aufwachte> innerlich den Nachgeschmack vom Schlafe hatte. Die meisten Menschen fühlten sich innerlich durchdrungen - nicht etwa bloß auf der Zunge oder auf dem Gaumen -, sie fühlten sich innerlich durchdrungen als Nachgeschmack des Schlafes von einer gewissen Süßigkeit des 'Erlebens. Es strömte die Süßigkeit des Erlebens vom Schlafes- auf das Tagesleben aus. Man erkannte in dieser Süßigkeit gerade den gesunden Zustand des Lebens,

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während, wenn sich andere Geschmäcke hineinmischten, man dieses als Andeutung von Krankheit empfand. Es klingt dem heutigen Menschen paradox, wenn man ihm sagt, eine ältere Menschheit empfand die süße Nachwirkung des Schlafes in den Gliedern, in den Armen bis in die Fingerspitzen, in den andern Gliedern des Organismus. Aber es war eben so, geisteswissenschaftliche Forschung zeigt das. Der Sprachgenius hat davon manches erhalten, nur hat er es materialistisch vergröbert. Der Schlaftrunk war einstmals etwas Geistiges, nämlich der Schlaf selber. Er wurde erst nachher etwas Materialistisches, was man als Flüssigkeit trank. Der Schlaf selber war ein Trunk aus der Natur, ein Trunk, durch den die gewöhnliche Tageserinnerung hinschwand. Er war zugleich ein Vergessenheitstrunk.

Nun, es war ein unbestimmtes Nachgefühl, was der gewöhnliche Mensch hatte, aber die Einweihung, die Initiation gab dem Mysterienlehrer, dem Führer der Menschheit ein genaueres Bewußtsein von dem, was da der Mensch eigentlich während des Schlafes erlebte. Und so, wie wir heute in der modernen Initiation hinaufsteigen vom gewöhnlichen Vorstellen zum Geist-Erschauen, so stieg gewissermaßen die Menschheit der damaligen Zeit hinab vomTraumwachen in den Schlafzustand, für den sie sich aber Bewußtsein aneignete, so daß der gewöhnliche Mensch den Nachgeschmack hatte, der Mysterienpriester in einer bewußten Art hineinfühlte, hineinempfand in den Schlaf selberund sozusagen dasjenige kennenlernte, was dann im Nachgeschmack das ergab, was ich beschrieben habe. Er lernte kennen die Wasser jenseits des physischen Daseins, die Wasser, in die die Menschenseele ein- taucht während des Schlafes, die Wasser, in die die Seele unter tauchte, die Wasser, in die sie in jeder Nacht getaucht wird: die Wasser des astralischen Weltenwebens und Weltenwesens. Es war aber gegenüber dem Wachträumen eben nur der zweite Zustand.

Der dritte Zustand war dann der, von dem die heutige Menschheit überhaupt nichts mehr weiß, ein Zustand, tiefer als der traumlose Schlaf heute. Ich habe gestern gesagt, man möchte ihn die Erdenumfassung nennen. Darinnen war jeder Mensch in der Mitte des Tiefschlafes während der Nacht, aber nur der Mysterienpriester konnte durch seine Einweihung ein Bewußtsein erlangen von dem, was da war,

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konnte mitteilen die Ergebnisse dieses Bewußtseins als die damalige Wissenschaft. Dann sagte der Mensch nicht bloß: Ich bin von der Erde umfangen. - Ja, das sagte er auch, aber er sagte noch etwas anderes dazu. Er sagte sich: Ich bin von der Erde umfangen, - aber er empfand das schon so, wie wenn er im gewöhnlichen Tageslauf in einen Zustand gekommen wäre, der eigentlich schon dem Tode immer sehr nahe ist, aber einem Tode, aus dem es doch ein Erwachen gibt. Es empfand sich der Mensch in diesem dritten Bewußtseinszustande so, wie wenn er eigentlich untergetaucht wäre in die Erde, wie wenn er schon in ein Grab gekommen wäre, aber in ein Grab, das eigentlich nicht ein Erdengrab war. Wie dieses Grab nicht nur vorgestellt wurde, sondern vorgestellt werden mußte, das werde ich Ihnen auf folgende Art anschaulich machen können.

Sehen Sie, die Sonnenstrahlen fallen ja nicht bloß auf die Erde und erglänzen von den Blumen, erglänzen von den Sternen, der Bauer weiß das besser als der Städter, denn er benützt das Eindringen der Sonnenwärme in die Erde auch in der Winterszeit. Da hat man gerade dasjenige, was während des Sommers in die Erde hineingeströmt ist, im Erdboden drinnen. So strömt nicht nur die Wärme, so strömen andere Kräfte der Sonne in die Erde hinein. Aber das war von diesem Gesichtspunkte aus, von dem ich jetzt spreche, sogar das weniger Wichtige. Das Wichtigere war, daß auch die Mondenwirkungen in die Erde eindringen konnten, die Mondenwirkungen gewissermaßen unter- tauchten unter die Oberfläche der Erde. Ich möchte sagen, eine schöne Vorstellung der alten Zeit, die nicht bloß poetisch, die eher über- poetisch war, war diese, daß die Menschen sich wiederum im Bilde, nicht in einer logischen Anschauung, wie wir das heute tun, sondern im Bilde vorstellten, wie das silberne Sonnenlicht herniederströmte im Vo`llmondschein zur Erde, dann aber hineindringt in die Erde, wie dieses Mondensilber eine gewisse Strecke weit in die Erde hineindringt, und dann wiederum, gewissermaßen nachdem es von der Erde aufgenommen war, vom Innern der Erde - nicht von der Oberfläche - zurückstrahlt. Dieses Silberwogen und Silberwellen des Mondes empfand der Mensch als Ein- und Ausstrahlen, Ein- und Auswogen. Es war aber nicht bloß ein schönes Bild, sondern man wußte als Mysterienpriester

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über dieses wogende wellende Mondenlicht etwas ganz Bestimmtes.

Man wußte, daß der Mensch, wenn er auf der Erde steht, Schwere hat. Die Gravitation, die Schwere hält ihn an dem Erdboden, die Erde zieht gewissermaßen ihre Wesen an sich in der Schwere. Von den Mondenkräften wußte der Mensch, daß sie der Schwere entgegenwirken. Sie sind nur im allgemeinen schwächer als die grobrobuste Erden- schwere, aber sie sind das, was entgegenwirkt den Erdenschwerekräften. Das wußte man. Man wußte, daß der Mensch nicht bloß ein Klotz ist, der von der Erdenschwere festgehalten wird, sondern daß er sich in eIner Art Gleichgewichtslage befindet, von der Erde angezogen, vom Mond hinweggezogen wird, nur daß die Erdenschwere für den Erdenmenschen die Oberhand behält. Aber für dasjenige, was im Haupt des Menschen tätig ist, macht sich diese, ich möchte sagen, negative Schwere, diese wegziehende Schwere geltend. Konnte man durch sie auch schon nicht fliegen, so konnte man doch den Geist hinauferheben in die Sternenräume. Und durch diese Initiation, also auf dem Umweg über die Mondenwirkungen, lernte die Menschheit der damaligen Zeit durch ihre Mysterienpriester die Wirkungen der Sternenumgebung auf den Menschen der Erde kennen.

Das war die heute so viel mißbrauchte astrologische Initiation, die insbesondere in der chaldäischen Bevölkerung so ausgeprägt war. Man wußte auf diesem Umwege etwas, und zwar nicht bloß über die Mondenwirkungen, sondern auch über Sonnen-, Mars-, Saturnwirkungen und so weiter. Der Mensch ist ja heute - verzeihen Sie, wenn ich das auch in einem Bilde ausdrücke, aber solche Dinge lassen sich schwer logisch charakterisieren -, der Mensch ist ja heute ein Regenwurm geworden in bezug auf sein Wissen, nein, nicht einmal ein Regenwurm, etwas SchlImmeres, er ist ein Regenwurm geworden, für den es niemals regnet, der niemals herauskommt aus der Erde. Die Regenwürmer kommen ja zu gewissen Zeiten, wenn es regnet, heraus aus der Erde, und da genießen sie dasjenige, was über der Erdoberfläche vorgeht, und das ist zum Heil der Regenwürmer. Aber in geistig-seelischer Beziehung ist heute der Mensch ein Regenwurm, für den es niemals regnet. Er ist ganz eingekapselt in bezug auf das Irdische. Er denkt zum

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Beispiel: Was ich an mir habe als meine Leibesglieder, das wächst halt auf der Erde so, wie ungefähr die Steine auch sich bilden. - Daß zum Beispiel die Haare, die Haupteshaare, Ergebnisse von Sonnenwirkungen sind, das weiß natürlich der heutige Mensch nicht und so weiter, weil er eben ein Regenwurm ist, für den es niemals regnet, das heißtein Wesen, das zwar innerlich die Wirkungen der Sonne in sich trägt,aber nicht an die Oberfläche kommt, um so etwas zu erforschen. Ja,der Mensch ist eben - das wußten diese alten Mysterienpriester - nicht wie ein Kohlkopf aus der Erde herausgewachsen, sondern er ist entstanden unter der Mitwirkung der gesamten kosmischen Sternenumgebung. Und so sehen Sie, wie der Mensch der Vergangenheit seinen initiierten Mysterienführern gegenüberstand, die in der Art, wie ich es eben angedeutet habe, initiiert wurden, so daß sie wußten, was für den Menschen die kosmische Erdenumgebung zu bedeuten hat.

Dadurch aber konnten diese Mysterienpriester den Menschen etwas sagen, was ich in etwas triviale Worte kleiden will, weil wir ja heute zunächst nicht in der Lage sind, in derselben Form zu sprechen wie jene alten Mysterienpriester, die das gleichzeitig damals in wunderbare Poesien kleideten. Das gab der Genius der damaligen Sprache her, man kann heute nicht so sprechen, weil es die Sprache nicht hergibt. Heute könnte man das, was diese Mysterienpriester zu denjenigen sagten, die Trost bei ihnen suchten für die entgeistigte Natur, in die sich der Mensch verstoßen fühlte, so aussprechen: Ja, solange ihr im Le,ben verbleibt in den Zuständen des gewöhnlichen Wachbewußtseins, so lange erscheint euch eure Umgebung als entgeistigt. -Wenn man aber bewußt untertaucht in die Region der Erdenumfassung, wo man im silbernen Mondenglanze, der die Erde durchwellt und durchwogt, das Walten der Sternengötter erschaut, wenn man das kann, dann lernt man erkennen - allerdings jetzt nicht von selbst, wie es in älterer Zeit der Fall war, sondern durch menschliche Anstrengung -, daß doch auch diese äußere Natur überall von Geistwesen durchsetzt ist, Göttergaben als Geistwesenheiten, als Geistelementarwesen in sich trägt. Und so bestand der Trost, den in jenen alten Zeiten die Mysterienpriester den Menschen gaben, darinnen, daß sie sie aufmerks`am machten: Die Pflanzen sind nicht nur schön, die Pflanzen sind auch wirklich vom

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geistigen Weben und Wesen durchzogen; die Wolken ziehen nicht nur majestätisch durch den Luftraum dahin, es walten in ihnen göttlich- geistige Elementarwesen und so weiter. - Zum Geist der Natur führten diese Eingeweihten durch ihre Initiation gerade die Menschheit, die sie zu führen hatten.

In einer gewissen älteren Epoche der Menschheitsentwickelung bestand eben die Aufgabe der Mysterien darin, den Menschen zu sagen: Das Entgeistigtsein der Natur ist nur eine Illusion des gewöhnlichen Wachträumens. In Wahrheit ist überall in der Natur Geist zu finden.

So war einmal eine menschliche Vergangenheit vorhanden, in der in dieser Art der Mensch eigentlich in der Geistigkeit des Daseins darinnenlebte und, durch die Einrichtung der Mysterien, von der Geistigkeit des Daseins auch für dasjenige Gebiet erfuhr, das ihm zunächst entgeistigt vorkam. Alles, was so an den Menschen herankam, sei es durch den Instinkt, wie die Schauung des inneren Geistwesens, sei es durch Mysterienbelehrung, wie die Durchgeistigung des Naturdaseins, alles das machte den Menschen doch abhängig, abhängig von der Geistigkeit. Wäre es so geblieben in der Menschheitsentwickelung, es hätte niemals in das Bewußtsein eindringen können dasjenige, was wir heute als eines der größten Güter der Menschheit, ja vielleicht als das Zentralgut anerkennen müssen: die Empfindung des freien Willens, die Empfindung der Freiheit.

Diese Art der Seelenverfassung mit einer instinktiv empfundenen Geistigkeit, sie mußte hinabdämmern. Der Mensch mußte zu drei anderen Bewußtseinszuständen geführt werden. Die Erdenumfangenheit, aus der die alten Initiierten ihre Sternenweisheit und damit die Geistigkeit von der Natur geschöpft haben, die kam vollständig in Verfall. In der menschlichen Seelenverfassung sind nur noch der traunilose Schlaf, das Träumen, das Wachen. Es setzte sich gewissermaßen an der andern Seite an jene Bewußtseinsregion, in der eben die Freiheit auf- dämmern kann. Was wir heute unser Wachbewußtsein nennen, mit dem wir heute unser gewöhnliches Leben und die Wissenschaft betreiben, ist etwas, was eine ältere Menschheit gar nicht kannte. Aber in ihr erstand eben die Möglichkeit des reinen Denkens, an dessen Dasein wir

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verzweifeln können, aber aus dem wir einzig und allein herausholen können die Impulse der Freiheit. Denn wären wir als Menschheit niemals zu diesem reinen Denken, das nicht zugleich das Dasein verbürgt, aber reines Denken ist, gekommen, dann wären wir als Menschen auch niemals zum Bewußtsein der Freiheit gekommen.

Man möchte sagen: Hinter der Menschheitsentwickelung schloß sich in Finsternis an dasjenige, was einmal die Ve~indung des Menschen mit der Geistigkeit war. Dafür wurden ihm diese drei Bewußtseinszustände, die ihn eigentlich aus geistigen Höhen in Erdentiefen führten.

Aber aus diesen Erden tiefen sollte er die ureigene Kraft der Freiheitsentfaltung gerade finden. Und es war die Morgenröte dieser Seelenverfassung des Wachens, Träumens und Schlafens schon im Grunde genommen ein Jahrtausend da. Die Menschheit war schon sehr weit in eine gewisse Finsternis hineingegangen, in jene Finsternis, in der zwar der Impuls der Freiheit ist, in der aber nicht das Licht der Geistigkeit erglänzt. Empfinden Sie es nur einmal recht> wie das eigentlich war in der Menschheitsentwickelung. Wenn man da in eine alte Zeit hineinschaut, da blickte doch der Mensch hinauf in 'den Sternenhimmel, und er konnte sich sagen aus dem, was er wußte von diesem Sternenhimmel: Was in mir lebt, sind die Kräfte dieses Sternenhimmels, ich gehöre diesem Kosmos an. - Als Geist war der Mensch heruntergedrängt auf die Erde. Finster wurde es sozusagen am Himmel, denn das Licht, wenn es selbst 'das Sonnenlicht oder Sternenlicht war, was auf physische Weise herunterglänzte, das durchschaute ja der Mensch nicht. Es ist wie ein vorgeschobener Vorhang, bei dem der Mensch nicht irgendwie Stützen für sein Dasein finden kann. Zu dem, was hinter diesem Vorhang ist, kann er jetzt nicht mehr schauen.

Nun werden wir morgen sehen, wie eben tatsächlich dieser Vor- hang seit einem Jahrtausend schon da war, wie dieser Vorhang immer dichter und dichter wurde, und sich diese Dichtigkeit des Vorhanges in der ganzen Menschenstimmung wiederum ausdrückte. Da kam ein Licht durch diesen Vorhang> der Vorhang fiel gewissermaßen auseinander. Und dieses Licht ist das Licht, das auf Golgatha aufgehellt war. So fällt in die Menschheitsentwickelung herein das Ereignis von Golgatha. In diesem Ereignis, das nun ein Ereignis auf der Erde war, sollte

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dem Menschen wiederum aufgehen dasjenige, was er einstmals in den Weiten des Kosmos als die Geistigkeit der Welt gesehen hatte. Christus sollte durch sein Durchgehen durch das Mysterium von Golgatha in das Erdenleben hereinbringen, was früher in den Himrneln gesehen worden ist. Heruntersteigen sollte das göttlich-geistige Wesen Christus und wohnen in einem Menschenleib, um der Menschheit, die jetzt nicht heraus konnte aus der Erde, auf eine andere, auf eine neue Art dieses Licht zu bringen.

Wir sind als Menschheit heute erst im Anfange des Verstehens dieses Mysteriums von Golgatha, und die Zukunft der Erdenentwickelung wird darinnen zu bestehen haben, daß dieses Mysterium von Golgatha immer reifer und reifer von der Menschheit verstanden wird, daß dieser Glanz, der ausgeht von dem Mysterium von Golgatha, immer mehr und mehr aus einem inneren Glanze ein kosmischer Glanz wird und anfängt, alles zu überstrahlen, in.das der Mensch hineinschauen kann. Doch das genauer zu besprechen, wird erst möglich sein, wenn wir heute noch einige Bausteine dazu beitragen.

Was einmal lebendig war in der Erdenentwickelung der Menschheit, es kommt in einer gewissen Beziehung wieder. Und so war in den Mysterienpriestern lebendig, wie ich Ihnen gerade geschildert habe, dieses Hineinschauen in die Mondenwirkungen. Die Mondenwirkungen trugen sie hinauf zu ihrer astrologischen Initiation. Sie lernten, wie man durch die Mondenwirkungen in die Sternengeheimnisse des Kosmos eingeweiht werden konnte. Ein Wesentliches bestand bei dieser Initiation darinnen, daß den, der also initiiert, der so eingeweiht werden sollte, daß den etwas überkam, wie wenn er in sich selbst plötzlich fühlte, die Schwere habe für ihn eine geringere Bedeutung als sonst.

Er fühlte sein Gewicht weniger. Und er wurde wiederum durch die älteren Lehrer angewiesen, dem nicht nachzugeben, sondern wenn er so fühlte, wie er gewissermaßen leichter wurde, nun sich durch eine starke Willensanstrengung selber die Schwere zu geben. Das gehörte gewissermaßen in die Kunst der alten Einweihungen, ~das, was man durch den Einfluß der Mon`denkräfte an naturhafter Schwere verlor, durch den Willen in sich einströmen zu lassen. Dadurch glänzte eben jene Sternenweisheit auf. Und so wurde jede Anlage in dem Menschen

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der damaligen Zeit zu einem solchen Überwinden der Schwere dazu benützI, in ihm den Willen zu entwickeln, nun seelisch sich an der Erde festzuhalten. Dadurch aber, daß dieses seelische Festhalten wirkte wie das Anzünden eines inneren Seelenlichtes, leuchtete es hinaus in die kosmischen Weiten, und der Mensch bekam die Kenntnis dieser kosmischen Weiten.

Wenn Geisteswissenschaft in diese Dinge hineinleuchtet, kann man genau beschreiben, wie dieses alte Bewußtsein zustandekam. Aber das, was in solchen Menschen war, das kommt ja immer wiederum. Es gibt einen Atavismus, eine Vererbung des Alten. Es tritt wieder auf, weil ja die Menschen auch wiederkommen. Und indem gerade die Verwandtschaft mit den Mondenkräften in späteren Menschen, die in einer Zeit leben, in der das eigentlich nicht mehr da sein sollte, weil dieser tiefe Schlaf verschwunden ist, wiederum auftaucht, wird es zum Somnambulismus, insbesondere zur gewöhnlichen Mondsüchtigkeit. Und diese Menschen, die bekämpfen dann, wenn dieser Zustand über sie kommt, nicht durch die Seele das Leichterwerden, sondern sie spazieren auf den Dächern herum, oder gehen wenigstens aus dem Bette heraus. Sie machen mit ihrer Menschenwesenheit dasjenige, was eigentlich nur dem astralischen Leib zu machen gebührt. Was in einer solchen späteren Zeit gewissermaßen eine Abnormität ist, es war in früheren Zeiten ein Vorzug, den man benützen konnte, um zu Erkenntnissen zu kommen. Und daß man solche Menschen «mondsüchtig» im Volksmund nannte, das hat seinen guten Sinn, denn dieser Zustand der Menschheitsverfassung hängt mit der atavistischen Verwandtschaft mit den Mondenkräften zusammen, die aus alten Zeiten geblieben ist.

Geradeso aber, wie der Mensch in dem, was ich Ihnen geschildert habe, mit den Mondenkräften verwandt ist, so ist er ja auch verwandt mIt den Sonnenkräften. Nur daß sie in einem verborgeneren Teil der Menschenwesenheit spielt, 'diese Verwandtschaft mit den Sonnenkräften, daß man erst sehr mittelbar daraufkommt. Diese Verwandtschaft mIt den Sonnenkräften, aus ihr haben ganz gewiß die Druidenpriester der Blütezeit, nicht der Verfallszeit, ihre Sonneninitiation gesucht. Diese Sonneninitiation, die gibt einen Zustand, in dem man jetzt nicht nur gewissermaßen angeregt durch die Mondenkräfte hinaufschaut,

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um in der astrologischen Initiation etwas zu wissen von den Geheimnissen des Kosmos, sondern diese Sonneninitiation gibt schon etwas von einer Art Zwiegespräch mit den göttlich-geistigen Wesen des Weltenalls, gibt eine Art Inspiration, während die Mondeninitiation nur eine Art Imagination gibt. Es ist die Sonneninitiation eine Art Hören der Ratschläge der geistigen Wesenheiten des Kosmos, jedenfalls aber ein Hineinschauen in viel tiefere Geheimnisse des Weltendaseins, als sie sich ergeben der Mondeninitiation.

Auch das kann später atavistisch wieder auftauchen. Es ist in jedem Menschen ja doch vorhanden. Sonnenwirkungen sind da in jedem Menschen. Aber wie der Mensch jetzt ist in seiner Seelenverfassung, so ist er nicht mehr der Mensch der Vergangenheit, so ist er ja so, daß vor allen Dingen seine Augen daraufhin konstituiert sind, die physischen Sonnenstrahlen aufzunehmen. Ich habe es gestern angedeutet: In diesen physischen Sonnenstrahlen ist Geistig-Seelisches. Das sieht nur der Gegenwartsmensch nicht. Und so benimmt sich eigentlich der Gegenwartsmensch der Sonne gegenüber gerade so, wie sich einer benehmen würde, der einem anderen Menschen begegnete, und der andere Mensch machte den Anspruch, ein Innerlich-Seelisches zu haben, und der sagte ihm: Es ist nichts mit dem Seelischen. Wenn du deinen Arm bewegst, das ist ein Hebelvorgang, da sind Schnüre, die Muskeln daran, wenn die angezogen werden, dann wird der Hebel angezogen. Das ist ein Mechanismus. - So benimmt sich ja die heutige Menschheit gegenüber den Sonnenwirkungen. Sie sieht nur das äußere Physische, was in die- sem Fall nur das physische Licht ist. Aber während das physische Licht der Sonnenwirkung in uns eindringt, dringt die Geistigkeit der Sonnenwesenheit zugleich in den Menschen ein. Der Mensch kann dann durch eine gewisse Art innerer Konzentration, die er jetzt nicht so, wie ich es im Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» schilderte, sondern die er durch Atavismus wie eine Elementarkraft hat, so kann der Mensch heute eben durch eine innere Konzentration seines Organismus aufhören - mit «heute» meine ich den historischen Zeitraum, der kann sich natürlich durch einige Jahrtausende erstrecken -, er kann aufhören, stark empfänglich zu werden für die physischen Sonnenwirkungen, dafür aber empfänglich werden für das Geistig-

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Sonnenhafte. Dann sieht der Mensch anders. Wo dieses Atavistische auftritt, sieht man anders, als man im gewöhnlichen Leben heute sieht. Wenn Sie in einen Spiegel schauen, dann wird Ihnen das, was vor dem Spiegel steht, zurückgeworfen. Gerade weil der Spiegel nach hinten undurchsichtig ist, wird das, was vor dem Spiegel ist, zurückgeworfen. Wenn nun ein Mensch die Seelenkonstitution hat, daß er, trotzdem er bei vollen Sinnen ist, statt in die Sonne hineinzuschauen, das physische Sonnenlicht nicht sieht, sondern die Finsternis sieht, dann wird diese Finsternis zum Spiegel, und es erscheint ihm gespiegelt seine unmittelbare Umgebung, die Natur. Und er sagt dann nicht: Ich habe hier eine Pflanze, die hat eine Wurzel, da treibt sie die Blätter heraus, die Blüte, die Frucht, den Keim, - sondern er sagt: Ich sehe da hin, in dem unteren Teile der Pflanze, da sehe ich dasjenige, was Elementargeistigkeit der Weisheit ist, was etwas Konservieren`des hat, was etwas Verfestigen des hat. Und dann schaue ich weiter in der Pflanze hinauf, da sehe ich, wie dieses Verfestigende, dieses Konservierende überwunden wird, und wie die Pflanze mehr strebt, sich nicht zu verfestigen, sondern abwechselnd sich zu verfestigen und aufzulösen in der Blattbildung, und endlich, wie ein Kochen durch die Feuerwirkung, sehe ich die Pflanze nach oben zu streben. Und dann wird gespiegelt das Pflanzen- leben an der Finsternis, die aber geistige Helligkeit ist, so wie etwa atavistisch Jakob Böhme die Pflanze gesehen hat, indem er unten das Salzhafte, in der Mitte das Merkuriale und oben das Phosphorige geschaut hat. Und so sehen wir hereinspielen in einen solchen Geist wie Jakob Böhme, der ein naturhaft Sonneninitiierter war, dasjenige, was in alten Zeiten zur menschlichen Zivilisation gehörte, zur Urzivi`lisation,in der man noch nicht lesen und schreiben konnte.Und kann man, wenn man so ein Werk von Jakob Böhme hernimmt - das «Mysterium magnum>, #SE228-126

heraufquillt diese Sonneninitiation. Das ist bis in die Biographie Jakob Böhmes hinein zu verfolgen.

Noch tiefere Kräfte, die dann im Menschen wirken können, sind die Kräfte des zunächst äußersten Planeten unseres Planetensystems. Für die heutige Astronomie ist es nicht der äußerste, weil ja zwei dazugekommen sind, die selbst der heutigen physischen Astronomie manche Sorgen machen, weil die Bewegungsgesetze der Monde nicht recht stimmen und so weiter. Aber da man die Hauptsache auf die räumliche Anordnung gibt, und da nun schon einmal zu dem Sonnensystem der Uranus und der Neptun sich dazugesellt haben, rechnet man sie dazu. Aber wie gesagt, sie machen manche Schmerzen, weil ihre Monde «verrückt» geworden sind, gegenüber dem, was andere ordentlicheö Monde vom Jupiter und so weiter tun. In Wirklichkeit kann man eben doch sagen: Saturn ist schon für das lebendige konkrete Ergreifen des planetarischen Weltsystems der äußerste der Planeten. Und so wie der Mensch unter dem Einfluß der Ihnen genauer geschilderten Mondenwirkung stehen kann, oder der skizzenhaft geschilderten Sonnenwirkung stehen kann, kann er auch stehen unter dem Einfluß dieser Saturnwirkungen. Der Saturn wirkt durch dasjenige, was er geistig aus- strahlt in das Planetensystem und dadurch in den Menschen herein, wie das kosmisch historische Gedächtnis. Der Saturn ist wie das Gedächtnis, wie die Erinnerung unseres Planetensystems, und will man iiber das Geschehen des Planetensystems etwas wissen, kann man das eigentlich nicht durch eine astronomische Spekulation herauskriegen.

Diese Dinge fangen heute auch schon an, die äußere Wissenschaft desparat zu machen, weil eigentlich nichts mehr recht stimmt. Aber man faßt alles verkehrt an. Sehen Sie, wir haben ja auch schon in unseren Kreisen oftmals gesprochen von der sogenannten Relativitätstheorie, daß man in der physischen Welt eigentlich niemals von einer absoluten Bewegung sprechen kann, sondern eigentlich immer sprechen muß bloß von relativer Bewegung. So wie man davon sprechen kann: die Sonne bewegt sich, die Erde steht still, so hat man später gesprochen: die Erde bewegt sich, die Sonne steht still. Das alles ist eigentlich nur relativ, man kann das eine oder andere sagen. Wie hier einmal in Stuttgart bei einer Tagung der anthroposophischen Bewegung

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von der Relativitätstheorie gesprochen worden ist, da hat in sehr einfacher Weise ein Anhänger dieser Relativitätstheorie den Zuhörern klargemacht, wie es einerlei ist, ob man ein Zündholz nimmt und an einer Schachtel anstreift, indem man die Schachtel festhält und das Zündholz vorbeibewegt, oder ob man das Zündholz festhält und die Schachtel bewegt: Da fängt es auch zu brennen an. Das ist sehr ernsthaft wissenschaftlich gemeint, und wurde selbstverständlich dazumal höchst ernsthaft vorgebracht, und es läßt sich dagegen nicht einmal etwas sagen. Es hätte sich ein naives Gemüt finden können und das Zündholzschächtelchen annageln können, dann wäre schon ein Stück Absolutheit hineingekommen. Man hätte unter Umständen das ganze Haus - es war damals in der Landhausstraße 70 - zurückschieben können, dann wäre die Relativität doch wieder dagewesen. Es wäre nur etwas schwer gegangen. Aber wenn man das auf das ganze physische Weltenall ausdehnt, dann kann man mit Einstein sagen: Innerhalb der physischen Welt läßt sich nichts Absolutes finden, da ist schon alles relativ. - Nur bleibt man bei der Relativität stehen. Gerade die Relativität der physischen Welt muß dahin führen, das Absolute nicht in der physischen Welt zu suchen, sondern in der geistigen Welt. Überall bietet heute die Wissenschaft schon Einlaß in die geistige Welt, wenn sie nur richtig verstanden wird. Man braucht heute nicht Dilettant zu sein, sondern man kann exakter, echter Wissenschafter sein, dann wird man von der echten Wissenschaft, die nur nicht zu Ende gedacht wird, auch von ihren Koryphäen nicht, hinein in den Geist geführt. Und so kann man überhaupt innerhalb der physischen Forschung auch über 50 etwas, was der Saturn unseres Weltenalls ist, nichts sagen. Er ist gewissermaßen die Erinnerung, das Gedächtnis für unserPlanetensystem.

In ihm ist alles aufbewahrt,was schon geschehen ist im Planetensystem. Er erzählt demjenigen, der Saturninitiation hat, was in diesem planetarischen System geschehen ist.

Geradeso wie einseitig auftreten können im Menschen, wie ein Erbstück älterer menschlicher Entwickelung, wie ein Erbstück des Menschen der Vergangenheit, die Verwandtschaft mit dem Monde, und der Mensch da ein Nachtwandler wird, wie auftauchen können die geistigen Sonnenwirkungen, und der Mensch dann, statt wie sonst mit

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offenen Augen in das Licht, eigentlich in die Finsternis hineinschaut, in der sich die Natur spiegelt, daß er sie so sieht wie Jakob Böhme, so kann man auch die Verwandtschaft mit den Saturnwirkungen erleben, die insbesondere auf das menschliche Haupt wirken und im Menschen die vorübergehende Erinnerung im Erdenleben eigentlich einpflanzen. Diese Saturnwirkungen können besonders auftreten.

So daß man sprechen kann von Mon`denmenschen, den gewöhnlichen Somnambulisten, und von Sonnenmenschen, wie Jakob Böhme, setbst Paracelsus, wenn auch in geringerem Grade. Man kann auch sprechen von Saturnmenschen. Und ein Saturnmensch war gerade Swedenborg. Swedenborg ist ja auch wiederum einer, der der gewöhnlichenGelehrsamkeit, ja, man kann nicht einmal sagen,Kopfzerbrechen macht, sondern eigentlich Kopfzerbrechen machen sollte. Denn dieser Swedenborg war in der gewöhnlichen Wissenschaft auf der Höhe seiner Zeit, war wirklich eine Autorität. Bis in seine Vierzigerjahre war er auch leidlich anständig für unsere Wissenschaft, sagte nichts als das, worin die äußere Wissenschaft mitgehen konnte. Nur dann, dann wurde er allmählich benebelt. Wir müssen sagen, die Saturnkräfte wurden in ihm besonders rege. Die Menschen, die auf materialistischem Boden stehen, sagen, er sei verrückt geworden. Aber es ist halt doch etwas, was nachdenklich machen sollte, daß es so viele nachgelassene Werke von Swedenborg gibt, die jetzt sogar von einer schwedischen Gesellschaft herausgegeben werden und die anerkannt werden als wissenschaftliche Werke. Die bedeutendsten Gelehrten in Schweden befassen sich jetzt damit, den Swedenborg herauszugeben. Das sind aber die Werke, die er vor seiner Geistesschau - wollen wir jetzt sagen - verfaßt hat. Es ist unangenehm, zu sprechen von einem Menschen, der sozusagen der gescheiteste Mensch seines Zeitalters war bis in die Vierzigerjahre, und dem gegenüber man in späteren Jahren eigentlich sagen muß: Das ist ein Tor, gelinde gesprochen. - Aber Swedenborg ist durchaus nicht dümmer geworden, sondern in einem gewissen Momente, gerade nachdem er auf die Höhe der gewöhnlichen Wissenschaft seiner Zeit hinaufgeklommen war, fing er an, hineinzuschauen in die geistige Welt. Und da sozusagen sein Hineinschauen seinen Kopf ergriff, dasjenige Organ, das er - er nun wirklich - ganz besonders ausgebildet

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hatte, da das nun ergriffen wurde von Geistigkeit, von saturnhafter Geistigkeit, konnte er auf seine Art hineinschauen - nicht wie Jakob Böhme, der gespiegelt bekam an der Finsternis die inneren Geheimnisse der Natur - in den unmittelbaren Äther, da, wo die Abbilder höherer Geistigkeit im Äther erscheinen. Und er beschrieb diese geistige Welt so, wie sie eben Swedenborg beschrieben hat. Es ist nicht dasjenige von ihm geschaut worden, was er sich vorgestellt hat. Die Geistwesen sind anders, auf die er anspielt. Er sah aber auch nicht bloß eine Erdenspiegelung von diesen Geistern, sondern er sah die Wirkungen der Geister im Äther, er sah Äthergestaltungen. Das waren die Taten der Geister - die allerdings selbst nicht geschaut wurden - im Erdenäther. Während Jakob Böhme Spiegelbild er der Natur sah, sah er dasjenige, was im Erdenäther bewirkt wurde von diesen Geistern, deren Wirkungen er nur sah. Wenn also Swedenborg Engel beschreibt, so sind das nicht Engel, sondern Äthergestalten. Aber das, was ihm als Engel erschien, als Äthergestaltungen, das ist von Engeln bewirkt, das ist ein Abbild dessen, was der Engel tut. Und so muß man eben auf die Realität solcher Dinge immer hinschauen. Es ist natürlich ein Fehler, wenn man sagt: Swedenborg schaute die geistige Welt als solche, denn das war ihm eben nicht eigen. Aber er schaute eine Wirklichkeit.

Der gewöhnliche Somnambule, der Mondsüchtige tut eine Wirklichkeit. Er tut so mit seinem physischen Leib, wie er nur mit seinem Astralleib tun sollte. Jakob Böhme erst sah mit seinem physischen Leib, vor allen Dingen mit der Einrichtung seiner Augen so, daß er das Physische ausschloß, in die Finsternis schaute, aber in der Finsternis das Licht schaute, die Spiegelung der Naturgeister. Swedenborg schaute nicht Spiegelbilder, sondern die Ätherbilder des übergeordneten geistigen Daseins. Das ist eine Stufenfolge: vom nichtgeschauten automatischen geistig Durchdrungensein des Mondsüchtigen über das, ich möchte sagen, naturhafte «second sight» von Jakob Böhme, der nicht die Außenseite der Natur sah, son`dern die Spiegelung der Innenseite, bis hinauf zu Swedenborg, der nicht die Spiegelbilder, sondern die Realität im Äther sah, die Abbilder, nicht Spiegelbilder, Wirkungsbilder desjenigen, was oben in den höheren geistigen Regionen vor sich geht.

Und so sehen wir, wie wir sprechen können von Vergangenheit und

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Gegenwart der Menschen, wie aber die Vergangenheit im deutlichen Zeichen noch in der Gegenwart herinnen steht, wie eine Erbschaft da ist, in sogenannten abnormen Zuständen, die man begreifen muß. Und gerade wenn man so hinschauen kann auf die Vergangenheit urid auf dasjenige, was aus der Vergangenheit noch in die Gegenwart hereinragt, wird man mit Hilfe eines durchgreifenden Verständnisses des Mysteriums von Golgatha auch auf die Menschenzukunft ahnend hinweisen können. Das soll dann im morgigen Vortrage noch geschehen.

DER MENSCH IN VERGANGENHEIT, GEGENWART UND ZUKUNFT VOM GESICHTSPUNKT DER BEWUSSTSEINSENTWICKELUNG Stuttgart, 16. September 1923 Dritter Vortrag

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DER MENSCH IN VERGANGENHEIT,

GEGENWART UND ZUKUNFT VOM GESICHTSPUNKT

DER BEWUSSTSEINSENTWICKELUNG

Stuttgart, 16. September 1923

Dritter Vortrag

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Sie werden aus den gestrigen Ausführungen haben entnehmen können, daß ein gewisser Bewußtseinszustand, der dem Menschen in älteren Zeiten noch Erlebnis war, gewissermaßen verlorengegangen ist. Ich sagte ja, daß diese besondere Art des wachen Bewußtseins, wie wir es heute haben, das vorzugsweise in mehr oder weniger abstrakten Vor- stellungen, oder wenigstens in schattenhaften Bildern lebt, 'daß dieses Wachbewußtsein einmal nicht in derselben Form vorhanden war, da- für aber eine Art wachendes Träumen, träumendes Wachen, das aber nicht so empfunden werden konnte wie heute der Traum, sondern wie der Inbegriff von lebendigen Bildern, die einer mehr oder weniger geistigen Wirklichkeit entsprachen. Daß dann vorhanden war eine Art Schlafzustand, der traumlos war, aus dem aber ein Nacherleben so blieb, wie ich es Ihnen dargestellt habe. Darüber hinaus gab es aber einen dritten Bewußtseinszustand, jenen Bewußtseinszustand, der im Nacherleben eigentlich empfunden wurde wie ein Ruhen in dem Wellen der Mondenkräfte, die unter die Erde untertauchen, und die eigentlich in einer gewissen Weise den Menschen hinwegheben über die irdische Schwere und ihn sein kosmisches Dasein empfinden lassen. Das war ja das Wesentliche der alten Seelenverfassungen, daß sie das kosmische Dasein des Menschen mitempfanden. Heute, in dem gewöhnlichen Bewußtsein des Menschen, ist von diesem alten Bewußtseinszustand eigentlich nur ein schattenhafter Nachglanz geblieben, ein schattenhafter Nachglanz, der sogar von den allerwenigsten Menschen bemerkt wird, der einfach vor dem menschlichen Bewußtsein vorübergeht, ohne daß man darauf aufmerksam wird.

Ich will einmal diesen Bewußtseinsrest aus uralten Zeiten charakterisieren. Wenn der Mensch heute seine Träume betrachtet, so wird er finden, daß in diese Träume, die eine Art chaotischen Charakters annehmen,

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aus seinen Erlebnissen in diesem Erden`dasein das Mannigfaitigste einmündet. Längst Vergessenes taucht in den Traumerlebnissen auf, in mannigfaltiger Weise verändert; sogar im Leben Unbeachtetes kann in den Traumerlebnissen heraufkommen. Und auch die Zeiten, in denen die Erlebnisse geschehen sind, werden ja in mannigfaltigster Weise durcheinander gewürfelt. Aber wenn man dann genauer eingeht auf diese Traumeserlebnisse, so stellt sich doch etwas ganz Eigentümliches heraus. Man wird finden, daß im wesentlichen doch alles, was da in dem Trauminhalt herauftaucht, irgendwie, wenn auch noch so entfernt, anknüpft an die Erlebnisse der letzten drei Tage. Sie können träumen, daß Sie wieder vor sich haben etwas, was Sie vielleicht vor fünfundzwanzig Jahren erlebt haben. In aller Lebendigkeit steht es vor Ihnen, vielleicht etwas verwandelt, aber es ist da. Doch wenn Sie genauer zusehen, werden Sie immer Entdeckungen von der folgenden Art machen: In diesen Traum, der ein Erlebnis von vor fünfundzwanzig Jahren heraufbringt, spielt eine Persönlichkeit hinein, die, sagen wir, um etwas recht Abstraktes zu haben, Eduard heißt. Sie werden wenigstens finden, daß Sie irgendwo, wenn auch nur leise an Ihrem Ohr vorübergehend, das Wort Eduard gehört oder leise an Ihrem Auge vorübergehend es gelesen haben. Mit irgend etwas aus den letzten drei Tagen, wenn es auch ein noch so unbedeutendes Erlebnis ist, steht immer, auch das Entfernteste, was im Traum heraufgeholt wird, in Beziehung. Das beruht aber darauf, daß der Mensch die Erlebnisse von zwei, drei und vier Tagen - es ist natürlich eine solche Zeitangabe approximativ, annähernd nur - eigentlich ganz anders in sich trägt als dasjenige, was früher da war.

Der Mensch nimmt ja zunächst das, was er wahrnimmt, in seinen astralischen Organismus und seinen Ich-Organismus auf. Da führen zunächst die wahrgenommenen Erlebnisse ein unmittelbar mit dem Bewußtsein zusammenhängendes Leben. Dasjenige, was im Laufe von drei Tagen erlebt worden ist, geht doch noch in einer ganz intensiveren Weise an das Gefühl heran, als wenn wenigstens drei Tage vergangen sind. Wie gesagt, man beobachtet diese Dinge im gewöhnlichen Leben nicht, aber es sind eben doch Realitäten. Es rührt dies davon her, daß alles dasjenige, was vom Menschen wahrnehmend oder in Gedankenprozessen

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hereingenommen wird in den astralischen Organismus und in den Ich-Organismus, eingedrückt, eingeprägt werden muß dem Äther- oder Bildekräfteleib, aber auch in einer gewissen Beziehung wenigstens dem physischen Leib. Und diese Einprägung braucht zwei, drei, vier Tage, so daß man zwei- und dreimal schlafen muß über irgend etwas, das man erlebt hat, bis es in den Ätherleib und in den physischen Leib eingeprägt ist. Denn erst dann sitzt es sozusagen so fest, wenigstens im Ätherleibe, daß es nun bleibend Gedankenerinnerung für einen werden kann. Und so findet eigentlich beim Menschen fortwährend eine innere Wechselwirkung, eine Art von Kampf statt zwischen dem astralischen Leib und dem Ätherleib, und das Ergebnis dieses Kampfes ist stets, daß dasjenige, was der Mensch zunächst als Bewußtseinswesen erlebt, sich in die dichteren, materielleren Elemente seines Wesens einprägt, eingestaltet. Man trägt nach drei, vier Tagen dasjenige, was man früher nur als ein flüchtiges Sinneserlebnis gehabt hat, dann als eine Eintragung gewissermaßen in seinem Äther- oder Bildekräfteleib und in seinem physischen Leib mit sich.

Bedenken Sie nur, indem ich das beschreibe, wie wenig das eigentlich dem Menschen der heutigen Zeit zum Bewußtsein kommt. Aber es ist das etwas, was im menschlichen Seelen- und auch körperlichen Leben fortwährend sich abspielt. Jedes Erlebnis, das wir als Wahrnehmung haben, muß im Grunde genommen drei, vier Tage warten, bis es unser völliges Eigentum ist. Da pendelt es hin und her zwischen astralischem Leib und Ätherleib, weiß gewissermaßen nicht recht, ob es wirklich eingeprägt wird dem Ätherleib und damit auch dem physischen Leib.

Da geschieht nämlich eigentlich etwas außerordentlich Wichtiges.

Bedenken Sie nur, daß wir ja unserem wahren Wesen nach im Grunde nur sind unser Ich und unser astralischer Leib. Wir können von unserem Atherleib nicht sagen, daß er unser Eigentum ist. Die Menschen der materialistischen Zeit maßen sich an, ihren Ätherleib und namentlich ihren physischen Leib ihren Leib zu nennen. Aber physischer Leib und Atherleib gehören eigentlich ganz dem Kosmos an. Und indem im Laufe von drei, vier Tagen dasjenige, was wir im Ich und astralischen Leib erleben, dem Ätherleib und physischen Leib übergeben wird, gehört

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es uns nicht mehr allein, gehört es dem Kosmos an. Wir können eigentlich nur durch drei Tage hindurch sagen, daß irgend etwas, was wir mit der Welt abgemacht haben, nur für uns eine Bedeutung habe. Nach drei, vier Tagen haben wir es in das Weltenall eingeschrieben, ruht es im Weltenall darin, gehört nicht uns allein, gehört den Göttern mit.

In sehr alten Zeiten der Menschheitsentwickelung hatten die Menschen eben aus diesem heute verlorengegangenen Bewußtseinszustand, der eine Art tieferer Bewußtseinszustand als der gewöhnliche Schlaf war, eine deutliche Empfindung von dieser merkwürdigen Tatsache. Und die Eingeweihten, die Initiierten, die konnten Auskunft geben, was eigentlich hinter dieser merkwürdigen Empfindung steckte. Namentlich in der Zeitepoche, von der ich gestern gesprochen habe, der ägyptisch-chaldäischen Kulturepoche, war es nur mehr ein dunkles Gefühl, was die Menschen hatten. Aber die Initiierten der Mysterien wurden eingeweiht in das eigentliche Wesen dieser Sache, und das kam dadurch zustande, daß dazumal - während die Initiation heute ein rein innerlich seelisch-geistiger Vorgang sein muß, höchstens mit körperlichen Symbolen und körperlich-bildhaften Vorgängen - die Initiation im wesentlichen ein äußerer Vorgang war, und dasjenige, was sich äußerlich mit dem Menschen abspielte, das übertrug sich dann auf das Innere. Und die Initiation bestand vielfach darin - ich erzähle ein Beispiel, ich könnte auch andere erzählen -, daß der zu Initiierende nun durch seine Mysterienführer, die ihn initiierten, in diesen Zustand, der eigentlich heute verlorengegangen ist, etwa drei Tage lang versetzt wurde. Er wurde in diesen Zustand versetzt drei Tage lang, so daß er durchlebte, wie dasjenige sich verhält, was der Mensch in der Welt außerhalb des Menschen durchmacht in diesen drei Tagen, und wie es gewissermaßen hiniibertritt in das eigentliche Wesen des Menschen. Der Initiierte kam zu der Anschauung, was eine Vorstellung, was eine Empfindung, was ein Gefühl für Tatsachen durchmacht, bevor es Eigentum des Menschen wird. Aber dasjenige, was da auftrat, was innerhalb dieser Weisheit von jenem dem Menschen so verborgenen Zustande war, das enthält doch außerordentlich Bedeutungsvolles> so Bedeutungsvolles, daß es heute von der materialistischen Weltanschauung gar nicht einmal geahnt wird. Es enthält nämlich das Folgende.

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Ich kann mich am leichtesten begreiflich machen über das, was in dieser durch drei Tage lang in einem dumpfen Bewußtseinszustande bestehenden Initiation erreicht wurde, indem ich Sie zuerst an das Traumesleben, das heute noch jeder kennt, erinnere. Gewiß, das Traumesleben gehört zu dem, was genau studiert werden muß. Auch wenn man absieht von jedem Aberglauben, was ja selbstverständlich sein muß,wenn man in reiner, ich möchte sagen, nach echter Wissenschaft strebender Anschauung sich in das Traumesleben vertieft, so stellt es doch etwas außerordentlich Tiefes dar.

Denn wie tritt es eigentlich auf, dieses Traumesleben? Nun, wir kennen ja vielerlei Arten von Träumen. Aber halten wir uns an diese Art von Träumen, welche in Reminiszenzen an Erlebnisse besteht. Die Bilder von sOlchen Erlebnissen treten in diesen Träumen auf. Wie treten sie auf? Nun, Sie wissen, sie treten in außerordentlicher Verwandlung auf, stark verwandelt. Es kann durchaus sein, daß die Verwandlung, sagen wir, bis zu einem solchen Grad geht, daß einmal jemand träumt, der vielleicht nicht die geringste Aussicht hat, jemals im wirklichen Leben so etwas auszuführen, daß er in seinem Kleidermacherberufe den Staatsrock für einen hohen Minister zu fabrizieren hat. Er kann nicht die geringste Aussicht haben dafür, aber Röcke fabriziert er immer und hat er immer fabriziert, auch Röcke vielleicht, an denen er sein Wohlgefallen gehabt hat. Nun, in einen solchen Traum kann alles mögliche hineinspielen. Der Betreffende kann in einem vorigen Erden leben der Diener eines römischen Staatsmann es gewesen sein und dem Staatsmann haben die Toga anziehen müssen. Dumpfe Empfindung~kräfte bleiben, und dasjenige, was der Betreffende in diesem Leben durchmacht, färbt sich durch das, was aus früheren Erdenleben herüberstrahlt.

Ich gab nur eine der Ursachen an, warum sich Träume ihrem In- halte nach verwandeln. Aber immerhin, sie verwandeln sich stark, das weiß ja jeder. Und man muß sich eigentlich fragen: Was ist denn in diesen Träumen enthalten, was wirkt denn da drinnen? Es sind ja schließlich äußere Ereignisse, welche die Veranlassung zu dieser Art von Träumen geben, aber diese äußeren Ereignisse treten in einer ganz verwandelten Gestalt auf.

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Woher kommt denn das? Sehen Sie, das kommt von etwas, wovon sich allerdings die naturwissenschaftliche Anschauung der Gegenwart nicht das Geringste träumen läßt. Das kommt davon her, daß diejenige Gesetzmäßigkeit, die heute als die naturwissenschaftliche anerkannt wird, die in der Außenwelt überall gesucht wird durch Beobachtung, Experimentierkunst, daß diese Gesetzmäßigkeit, diese Summe von Naturgesetzen, von denen wir sprechen, gleich innerhalb der menschlichen Haut aufhört. Und wenn jemand eben glaubt, die Naturgesetze, die er in seinem Laboratorium konstatiert, seien auch diejenigen Gesetze, die innerhalb der menschlichen Haut wirken, so ist er bedeutsam auf dem Holzwege. Nicht nur, daß die Substanzen innerhalb seines Organismus, die der Mensch durch die Nahrungsaufnahme zu sich nimmt, verändert werden, auch die Gesetzmäßigkeiten der Substanzen bis in die geringsten atomistischen Einzelheiten ändern sich. Aber was im Traum vor dem Menschen erscheint, das ist nun nicht bloß das abstrakte Bild einer Wirklichkeit, sondern in dem Traum lebt das Weben der organischen Gesetze, in die der Mensch eingeschaltet ist. Der Traum steht dem Menschen näher als das abstrakte Denken des Tages. Der Traum enthält die Art und Weise, wie sich die äußeren Stoffe im Menschen benehmen als seine Gesetzmäßigkeit. Und als was stellt sich der Traum dar? Als ein Protest gegen die Wirklichkeit, die in die Naturgesetze eingespannt ist. Sie leben vom Einschlafen bis zum Aufwachen in der Welt, von der die Naturforscher sagen, nach diesen Gesetzen spielt sich alles in der Welt ab. In dem Augenblick> wo Sie durch den Traum, ich möchte sagen, nur ein Spinnwebchen durchstechen in die geistige Welt hinein, stellt sich das Traumerleben als ein Protest gegen die Naturgesetze dar. Der Traum kann nicht so verlaufen, wie die Ereignisse äußerlich verlaufen sind, sonst wäre er sehr nahe dem Wachen. Der Traum, der aus dem eigentlichen Schlaf auftaucht, der protestiert in seinem Zusammenhang gegen die Naturgesetze. Denn er geht näher an den Menschen heran.

In dieser Beziehung machen ja die materialistisch gesinnten Menschen der heutigen Zeit interessante Entdeckungen. Da gibt es ein Buch, ein interessantes Buch, das schon vor Jahren erschienen ist, von dem man eigentlich wirklich nur sagen kann, es ist so recht charakteristisch

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für die Geisteskonstitution gerade wissenschaftlich denkender Leute der Gegenwart: «Die Magie als experimentelle Naturwissenschaft, von einem gewissen Staudenmaier. Einige von Ihnen werden das Buch kennen. Der Mann wollte auch dahinterkommen, was denn eigentlich an der Geisteswelt ist. Von der Anthroposophie gestand er ja, daß er auch nur die gegnerischen Schriften gelesen hat; also da machen sich die Leute nicht gern heran, weil sie sich in der Anthroposophie doch sehr schwer zurechtfinden. Gerade wenn sie innerhalb der wissenschaftlichen Struktur der Gegenwart sich befinden, stellen sie sich sehr schwer in die Anthroposophie herein. Und so machte er denn zunächst Versuche, um hinter die Geisterwelt zu kommen, nach Art der spiritistischen Versuche. Er benahm sich das Bewußtsein, benebelte sich, bis er in eine Art mediumähnlichen Zustandes kam. Und dann schrieb er mechanische Schrift. Nun wunderte er sich, daß er da lauter dummes Zeug aufschrieb, daß das alles nicht stimmte mit dem, was er sonst wußte von der Wirklichkeit. Es stimmte nicht. Es stimmte vor allen Dingen das nicht, daß in dieser Schrift herauskam: Geister sprechen zu ihm. Denn das wußte er ja, daß das nicht möglich ist, daß Geister zu ihm sprechen. Aber das, was er aufschrieb, sagte ihm, daß Geister zu ihm sprechen. Und außerdem: es war furchtbar, was diese Nichtgeister alles ihn anlogen. Lesen Sie das nur in dem Buche nach, was da alles in die Hand einfloß an unglaublichen Lügen. Ja, er wurde ganz - ich will nicht ein böses Wort sagen -, also medial, fand sich selbst nicht mehr zurecht in der ganzen Sache. Da riet ihm ein Freund, er solle doch das ganze Ding lassen, und soll nun wiederum ein vernünftiges Leben führen, zum Beispiel auf die Jagd gehen. Nun ging er auf die Jagd, auf die Elsternjagd. Siehe da, es setzte sich sogar in das Jagen hinein dasjenige fort, was er da in sich erregt hatte. Er kriegte das nicht wieder los. Wenn er auf einen Baum hinaufschaute, war da nicht eine Elster, sondern ein schrecklicher Drache mit fürchterlichen Fängen, der ihn mit furchtbaren Augen ansah, ganz entsetzlich! Und überall gab es solches Zeug. Nun lebte er fortwährend in diesem inneren Kampf, sich doch zum normalen Menschentum zurückzufinden.

Ich führe Ihnen das an aus dem Grunde, weil hier experimentell gezeigt ist, daß überall, in dem Augenblick, wo man nun doch nicht nur

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wachend träumt, sondern durch solche Machinationen an dasjenige herankommt, wo das Innere des Menschen mitspricht, sofort der Protest gegen die äußere Naturordnung auftritt. Selbstverständlich empfindet man das als Lüge. Wenn man gewohnt ist, irgend jemanden, der einem Freund ist, immer als einen leidlich anständigen Menschen zu sehen und nachher, wenn man sich in diesem Zustand befindet, merkt man, der streckt einem fortwährend die Zunge heraus, macht lange Nasen, und grinst einen aus, wenn das in diesem Zustande vorkommt, dann sagt man: Die geistige Welt lügt einen an! - Man macht es wirklich so wie der Traum in einem solchen Fall. Nun> darinnen steckt doch wieder das Richtige, daß in jedem Fall, wo der Mensch an die geistige Welt herankommt, in die er mit dem eingeschlossen ist, was innerhalb seiner Haut liegt, dieses Dasein, das er nun betritt, gegen die Naturordnung protestiert. Daß in einem solchen unentwickelten Fall, wo man die Sache nicht beurteilen kann, in der Verlogenheit allerlei Elementarwesenheiten auftreten, ist nicht zu verwundern. Aber es ist immer ein Protest gegen die Naturordnung da, wo man an das Geistige herankommt, was schon der gewöhnliche Traum zeigt.

Und der Mensch müßte sich eigentlich sagen: Da trete ich ein in eine ganz andere Ordnung, und erscheint sie auch nur in der flüchtigen Gestalt des Traumes, so erscheint sie als ein Protest gegen die schönsten Naturgesetze, die man äußerlich durch Laboratorium und Experiment feststellen kann. - Aber sehen Sie, das ist die erste Etappe hin zur geistigen Welt. Auf dieser ersten Etappe trifft man den Protest gegen die Naturgesetze an. Da sind die Naturgesetze, ich möchte sagen, ihrer Majestät entsetzt> sobald man in das innere Wesen des Menschen eindringt.

Klar darüber, wie es nicht nur eine Naturordnung gibt, sondern wie in und hinter dieser Naturordnung eine geistige Ordnung steht, wurden nun die alten Eingeweihten, indem sie jene drei Tage durchmachten. Wer in dieser Weise mit der Initiation seine Bekanntschaft macIit, der kann ja in diese Dinge auch heute noch mit den heutigen Mitteln eindringen, kann durchmachen die Erlebnisse dieser drei Tage, wenn er zum erstenmal herantritt an die Erfahrung jener eigentlich furchtbaren Seelenqual! Denn es tritt da der Mensch in der Tat in eine Welt

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ein, wo alle Naturgesetze zusammenstürzen, wo das Weben des Traumes auftritt, in dem, selbst wenn die Reminiszenzen des gewöhnlichen Lebens hineinspielen, die Zusammenhänge andere werden, weil da die Naturgesetze nicht mehr gelten. Und man ist dann wirklich, wenn man die Naturgesetze als alles empfindet, vis-a`-vis dem Nichts zunächst.

Nun handelt es sich darum, daß man besonders schmerzlich, tief schmerzlich und tragisch als moderner Mensch, durch die Initiation tretend, dieses Hineinkommen in jene Region des Daseins empfindet, wo gegen dieNaturgesetze dieser Protest ausgesprochen wird, weil man ein Gefühl hat, daß da vor allen Dingen alles, was man früher im Intellekt gehabt hat, was sich ja nach den Naturgesetzen gerichtet hat, daß dieses intellektualistisch Seelenhafte ertrinkt. Man kann seelisch nicht mehr atmen, weil man sich zu stark gewöhnt hat an die Naturordnung. Und endlich sieht man, daß von einer ganz anderen Weltenseite her eben eine andere Welt hereinragt, die nicht in einer Naturordnung lebt, sondern in einer Geistordnung, die überall durchsetzt und durchwellt ist von dem, was heute nachempfunden wird aus der Tiefe des menschlichen Gewissens heraus als moralische Weltenordnung. Dasjenige, was man lernt sich zu sagen, ist dies: Hier ist die Naturordnung, sie nehmen meine Sinne wahr, für sie wird durch die Natur wissenschaft die Gesetzesmäßigkeit festgestellt. Tauche ich heraus aus dieser Naturordnung, dann tauche ich ein in eine Welt, die protestiert gegen diese Naturordnung, und in dem Wahrnehmen dieses Protestes gegen die Naturordnung ergießt sich überall her wie ein neues lichtvolles Lebenswasser, mit dem man wiederum atmen kann, dasjenige, was moralische Weltenordnung ist, die sich endlich zur geistigen Weltenor`dnung erweitert. - Das war die große Erkenntnis der Initiierten der alten Zeit, daß sie hereinragen sahen die reale moralische Weltenordnung in die physische reale Weltenordnung, indem sie zwischen drinnen erlebten den Protest gegen die physische Weltenordnung. Das wird eben im schwachen Nachglanz erlebt an dem Ereignis der drei Tage, von denen ich gesprochen habe. Dasjenige, was wir erleben in der äußeren Welt, seien es unsere Empfindungen, seien es unsere Handlungen: drei, vier Tage braucht es, um sich in unseren Organismus einzuprägen. Aber wenn es sicb eingeprägt hat, prägt es sich nicht in der

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Form ein, wie wir es äußerlich erlebt haben, prägt es sich ein als Impuls, der eine moralische Ausgestaltung in einer ganz anderen Gesetzmäßigkeit verlangt als die Naturordnung. Und würde der Mensch sehen, wozu seine Erlebnisse nach drei Tagen in seinem eigenen Inneren werden, so würde er sich sagen: Was ich auf naturhafte Weise im irdischen Dasein erlebt habe, das hat sich meinem ewigen Seinskern eingeprägt, so daß es nicht weniger real ist als in der äußeren Welt, aber in mir nunmehr als der Impuls einer moralischen Weltenordnung lebt, auf dem ich nun weiter auf den Ozean des Lebens hinausgehe. - So tragen wir die Ereignisse desjenigen, was wir naturhaft erlebt haben, als die moralischen Ursachen für unser späteres Leben in uns.

Aber es war in den letzten Zeiten der Menschheitsentwickelung so, daß, indem der Mensch untertauchte in jenen, ich möchte sagen, Unterschlaf, in den Zustand der Erdenumfassung, er in den äußeren Äther untertauchte. Und da findet dasjenige, was der Mensch erlebt hatte, seinen Ausgleich mit dem äußeren Äther. Der Mensch wurde sozusagen moralisch nicht nur in bezug auf die Richtung seines Innern hineingestellt in die moralische Weltenordnung, sondern in dem Unterschlaf, in der Erdenumfassung wurde er hineingestellt in die Moral des Kosmos. Und das ist der Menschheit verlorengegangen damit, daß eben aus dem Bewußtseinszustand ausgeschaltet wurde dieser Tiefschlaf, daß der Mensch nur jenen schwachen Nachklang in dem Dreitageserlebnis hat, das ich Ihnen geschildert habe. Der Mensch wäre sozusagen nach und nach aus der selbstverständlichen moralischen Weltenordnung herausgeworfen worden, wenn nicht etwas eingetreten wäre im Laufe der Erdenentwickelung. Dasjenige, was früher die einzelnen Initiierten durchgemacht hatten, um den Menschen sagen zu können, was da in den drei Tagen erlebt wird, das machte als ein weIt- geschichtliches Ereignis, als ein einmaliges Erdenereignis die ChristusWesenheit durch, die aus geistigen Welten in den Körper des Jesus von Nazareth heruntergestiegen ist und als Gott wirkliches Menschenleben geführt hat. Und dasjenige, was während der drei Tage durchgemacht wurde, wurde nun durchgemacht für die ganze Menschheit. Was früher durch den Tiefbewußtseinsschlaf gefunden werden konnte- nicht bewußt, aber wenigstens unterbewußt sich in den Menschen

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hineinsetzte -, was also auf eine nur naturhafte Weise vom Menschen durchgemacht worden ist, das mußte deshalb durchgemacht werden, damit der Mensch seine Verbindung finden könne mit dem, was für die Menschheit der Erde der Christus im Mysterium von Golgatha vollbracht hat. Das ist die stellvertretende Gottestat. Weil der Mensch einen Ruck heraufmachte in seiner Bewußtseinsentwickelung, mußte er dasjenige, was er früher in seiner Natur erlebte, auf moralische Art in bezug zu dem Christus Jesus durchleben. Und so hängt der Eintritt des Mysteriums von Golgatha zusammen mit dem ganzen Sinn der Erdenentwickelung, weil mit dem Sinn der menschlichen Bewußtseinsentwickelung. Und verstehen kann man nur, was eigentlich geschehen sollte durch das Mysterium von Golgatha, wenn man zurückblicken kann auf dasjenige, was einmal naturhaft geschehen ist und nunmehr moralisch zu geschehen hat.

Aber gerade in dieser Beziehung ist ja dieses moderne Bewußtsein, das zwischen Wachen und Schlafen und Träumen verfließt,noch nicht zu seiner inneren Harmonie gekommen. Denn was geht denn durch dieses moderne Bewußtsein, was ging immer mehr und mehr gerade seit dem 15.Jahrhundert, seitdem dieses Bewußtsein seine eigentliche Ausprägung gefunden hat, durch dieses moderne Bewußtsein? Ein einse1tiges Hinschauen auf die Naturordnung. Ja, an die glaubt man, und diese Naturoi`dnung glaubt man auch zu verstehen. Und man nennt dasjenige, was in dieser Naturordnung ist, das reale Dasein. Aber weiter will man nicht. Man will nicht bis zu jener Kraft des menschlichen Erkennens weiterdringen, der sich das Geistige ergibt, so wie sich die Naturordnung ergibt. Und so wurde es denn üblich in der neueren Zeit, von der moralischen Weltenordnung als von etwas zu sprechen, was nun so auch von irgendwo hereinkommt. Man vergaß dabei nur die Ehrlichkeit; denn wenn man in der Tat auf die Naturordnung hinschaut, wie man das immer weiter und weiter gewöhnt wurde, so könnte man eigentlich der moralischen Weltenordnung keine Realität zuschreiben. Man konnte eigentlich nur, ich möchte sagen, sich in einer etwas unehrlichen Weise hinweghelfen über dasjenige, was da vorlag, indem man sagt: Es gibt auf der einen Seite ein Wissen, auf der andern Seite einen Glauben. Das Wissen kann nicht Glauben werden, und der

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Glauben nicht Wissen werden, und dem Glauben gehört die moralische Weltenordnung an. - Das ist die bequeme Formel, die in der neueren Zeit vielfach üblich geworden ist. Man sieht sogar diese Trennung zwischen Glauben und Wissen als etwas echt Christliches an, während- dem das Christentum vor verhältnismäßig gar nicht langer Zeit, vor fünf bis sechs Jahrhunderten ganz gewiß noch nicht jenen Unterschied in dieser Art gemacht hat, ganz gewiß nicht das ältere Christentum. Und heute ist es noch immer nicht katholische Dogmatik, wenn auch katholischer Usus, zwischen Glauben und Wissen in dieser Art zu unterscheiden. Man findet sich eben nicht zurecht mit der Beziehung zur Naturordnung und der moralisch-geistigen Ordnung, weil man den Übergang nicht kennt, weil man schon den Traum nicht versteht, dej einen herausführt aus der Naturordnung und ein Protest gegenüber der Naturordnung ist, der gewissermaßen der große Vorbereiter ist. Denn ist man durch seine Vorbereitung durchgegangen, kann man stoßen an das, was moralische Weltenordnung, weil moralisch-geistige Weltenordnung ist.

Nur ein unbefangener Blick in die Vergangenheit des Menschen und in das, was die Gegenwart noch nicht hat, kann eigentlich zu einer befriedigenden Anschauung über diese Dinge führen, sonst bleiben auch die historischen Dokumente uralter Zeiten im Grunde genommen Dinge, die man anglotzt, die man aber durchaus nicht versteht. Sehen Sie, es ist heute vormittag in mannigfaltigster Weise von den Gegnern der Anthroposophie gesprochen worden. Manches kann man diesen Gegnern, allerdings nicht zu ihren Gunsten, aber zu ihrem Guten rech

nen. Man muß sich bei dem, was die Gegner über Anthroposophie sagen, wenigstens ich muß mich manchmal an eine Anekdote erinnern, die auf einer Wahrheit beruhen soll, die der berühmte Professor Kuno Fischer immer wieder erzählt hat. Er erzählte, er habe zwei Schulkollegen gehabt, die beide zusammenwohnten, es dürften Brüder gewesen sein; sie hatten einen außerordentlich simplen Onkel. Nun kam die Zeit, wo sie in der Mathematik die Logarithmen lernten und sich die Logarithmentafeln kaufen mußten. Der simple Onkel, der be,guckte sich nun diese Logarithmentafein. Er sah auf diesen Tafeln lauter Zahlen und da fragte er denn diese Schüler, seine Neffen, was denn das

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für Zahlen wären. Die wußten nun gar nicht, wie sie das dem Onkel beibringen sollten. Endlich fiel einem der Schlingel ein: Ja, das sind alle Hausnummern von Europa. - Der Onkel glaubte das, und fand auch zum Schluß, daß 'das ganz nützlich wäre, wenn man alle Hausnummern von London, Paris und so weiter gleich wisse. Sehen Sie> wie dieser Onkel vor den Logarithmentafeln gestanden ist, so stehen die Leute, die nicht innerlich hineinschauen in das, was die alten Dokumente verkünden, vor diesen alten Dokumenten. Die jetzigen Forscher, die diese Dokumente wieder herausgeben, sagen schließlich auch nicht viel anderes, als was der Onkel von den Logarithmen gesagt hat, indem er sie für Hausnummern von Europa ansah. Man muß nur wissen, wie weit die Auffassungsweise, die heute dem abstrakten Denken möglich ist, von der geistig-realen Tatsächlichkeit abweicht. Das muß man sich einmal ganz klarmachen. Dazu muß man den Mut haben. Sonst wird man nicht einsehen, wie der Mensch aus einer ganz anders gearteten Vergangenheit sich in die Gegenwart herein entwickelt hat. Und eigentlich leben wir schon in der Zeit, wo in der mannigfaltigsten Weise für den, der nun in der Lage ist, Selbstbeobachtung, Selbstbesinnung namentlich zu üben, die gegenwärtige Art des Durchlebens von Schlafen, Wachen und Träumen zu inneren Zwiespälten, zu inneren Konflikten führt. Denn geradeso wie abgebröckelt ist von der Menschheit dieser Tiefschlaf, der etwas so Bedeutsames für die Menschheit einer älteren Vergangenheit war, daß die Initiierten diesen Menschen auseinandersetzen mußten die Natur dessen, was der Mensch durchmachte in diesem Tiefschlaf, ebenso bröckelt ab dasjenige, was der heutige Schlaf ist. Nicht als ob der Mensch fortwährend nun in Zukunft träumen würde die ganze Nacht hindurch, aber er macht eigentlich diesen Zustand so durch, daß die Träume dumpfer werden. Wie sie sich seit alten Zeiten auch verwandelt haben aus den Wachträumen zu unserem abstrakten Vorstellen, so werden sich die heutigen chaotischen Träume abstumpfen, und der Mensch wird eben diesen dumpfen Traumschlaf haben. Der Traum wird ihm nicht zum Bewußtsein kommen. Darüber wird der heutige Wachzustand mit dem abstrakten, sogenannten logischen Denken sein. Aber dann wird ein Uberbewußtsein kommen, ein Uberbewußtsein, das heute schon in die Menschheit hereintritt für

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den, der diese Dinge versteht. Denn dieses Überbewußtsein, das befaßt sich namentlich mit dem menschlichen Willen und mit der Wirkung, die der Wille haben kann, indem er sich bewegt auf dem Nervensystem. Und wenn Sie heute die ungezügelte Art der menschlichen Willensentfaltung in weitesten Horizonten beobachten, und verstehen das mit der Initiationswissenschaft, dann sehen Sie schon, wie hereindringt in Seelenäußerungen - hereindringt selbst bis in physische Krankheitszustände - dasjenige, was die Ankündigung eines Überbewußtseins ist, eines höheren Bewußtseins als des gewöhnlichen Wachbewußtseins.

Aber es ist heute noch nicht etwas, was die Menschen erleben wollen, weil sie es nur erleben können, wenn sie Geisteswissenschaft zu ihrem Eigentum machen, diese Geisteswissenschaft, in der man ganz anders 'denken muß, als in der gewöhnlichen Welt gedacht wird, diese Geistes- wissenschaft, die wahrlich viel praktischer ist als die heutige theoretische Lebenspraxis, die eigentlich die tiefste Unpraxis ist. Diese Geistes- wissenschaft fügt aber zu dem gewöhnlichen abstrakten Denken ein innerlich lebendiges Denken hinzu. Das ist aber nicht etwas, was man willkürlich hinzufügen und willkürlich weglassen kann, das ist etwas, was sich ergibt, weil einfach eine gewisse Organisation in der Menschheit eintritt, die in älteren Zeiten nicht da war, die in der Gegenwart erst in den ersten Anlagen da ist. Die Bewegungsorgane des Menschen, Arme, Beine, Hände, Füße, bekommen eine immer mehr sich ändernde Blutzirkulation, der Mensch verändert sich. Dasjenige aber, was wir heute oftmals als Nervosität bezeichnen, das ist der Ausdruck dessen, daß eigentlich etwas in den Menschen herein will von einem höheren Zustand, der Mensch es aber noch nicht annimmt und dadurch unruhig wird, weil es noch etwas Fremdes ist. Er wird erst zur Ruhe kommen, wenn es ihm eigen sein kann.

So kann man hinschauen auf weitere drei Bewußtseinszustände, die dem Menschengeschlecht in Aussicht stehen, gegen die sich das Menschengeschlecht zuarbeitet: ein dumpfes Traumschlafen, ein Wachsein, ein Uberwachsein. Und alles dasjenige, was selbst in den äußeren Lebensverhältnissen heute die Menschheit so durchrüttelt und durch- schüttelt, hat seinen Grund darin, daß sich die Menschheit heute noch

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größtenteils unbewußt wehrt gegen dasjenige, was da aus geistigen Welten über die Menschheit kommen will. Aber es will kommen, es will herein. Namentlich an den Willen des Menschen will es heran. In einer ganz anderen Weise als der Mensch heute will, wird der Mensch verstehen müssen, daß da, wo Geistiges beginnt, die Sache über die Region geht, wo Protest gegen die Naturgesetze ausgesprochen wird. Daher wird der Mensch über das Mysterium von Golgatha auch nur zu einem Zukunftsverständnis kommen, wenn er sich aufschwingen wiI,d können zu der Erkenntnis, daß dasjenige, was der Inhalt des Mysteriums von Golgatha ist, nicht mit den Naturerkenntnissen begriffen werden kann, daß es aber begriffen werden kann mit dem, was man in sich ausbildet, wenn man mit richtigem Verständnis über die Stufe des bloßen Träumens, das den Naturprozeß ankündigt, in das Verständnis des anderen Ufers des Daseins eindringt. Denn von dem geistigen Ufer des Daseins müssen die Verständniselemente geholt werden, die dem Zukunftsverständnis für das Mysterium von Golgatha entsprechen. Es kommt durchaus darauf an, daß man in dieser Weise hin- einstellen kann dasjenige, was der Mensch in der Gegenwart erleben kann, zwischen die Vergangenheit und die Zukunft, daß sich der Mensch fühlen lernt als einen Übergang aus dieser Vergangenheit in die Zukunft. Dann wird er auch immer mehr und mehr Verständnis gewinnen können für den Gebrauch der geistigen Wahrheiten neben den natürlichen Wahrheiten.

Das, was die Menschen beirrt, stellt sich einem ja als ein leicht begreiflicher Irrtum dar, weil die Dinge, die falsch sind, so ungeheuer logisch sein können. Man bedenkt das heute nicht, daß die Dinge, die falsch sind, so ungeheuer logisch sein können. Was könnte denn logischer sein, als wenn man beobachtet, wie lange ungefähr dieses oder jenes Gesteinssediment braucht, um zu der oder jener Dicke zu kommen; was könnte denn natürlicher sein, als daß man dann ausrechnet, wenn irgendeine geologische Schichte soundso dick ist, daß man multipliziert die kleine Dicke mit der Zahl, berechnet wie oft sie in der großen Dicke enthalten ist, und man bekommt soundso viele Jahre heraus: zwanzig Millionen Jahre, zweihundert Millionen Jahre liegt eine Epoche - Silur, Devon, oder irgendeine Epoche zurück. Oh, die

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Rechnung ist so grandios richtig, es ist nichts dagegen einzuwenden, aber hier ist es gerade die vermeintliche Logik, die täuscht.

Mich erinnert immer diese Logik an die Logik, die einmal einer der größten Mathematiker aller Zeiten für sein eigenes Leben ausgeführt hat. Er wurde, als er schon ein ziemliches Alter erreicht hatte, plötzlich lungenkrank, und durch seine mannigfaltigen Beziehungen, die er zu Medizinern hatte, kam er darauf, wieviel kleine Abszesse er aushusten müsse, um diese Lungenkrankheit wegzubringen. Das war so eineRech nung, wie sich die Lunge weiterentwickelt: er brachte fünfzehn Jahre heraus. Er wird also fünfzehn Jahre leben, dann wird es gut sein. Nun starb er zwei Jahre danach. Ja, sehen Sie, das ist die Wirklichkeit. Das andere ist die Logik gewesen. Und in einem ebensolchen Verhältnis steht die Wirklichkeit auch im ganzen kosmischen All zu der Logik.

Die Dinge sind so ungemein leicht zu beweisen, weil die Logik nicht angegriffen werden soll, sondern verteidigt werden soll. Es soll aus- drücklich gesagt werden, es stimmt. Es stimmt ebenso, wie wenn einer berechnet: Mein Herz macht eine bestimmte Entwickelung durch. Es wird in einer gewissen Zeit einen bestimmten Zustand erreicht haben. Ich rechne aus, wie lange das dauern kann, bis es in diesen bestimmten Zustand kommt, und bekomme dreihundert Jahre heraus. Dann rechne ich dreihundert Jahre zurück, rechne aus, wie mein Herz vor dreihundert Jahren ausgeschaut hat. Nur habe ich als physischer Mensch mit diesem physischen Herzen nicht gelebt vor dreihundert Jahren! Und nach dreihundert Jahren werde ich auch nicht mehr leben. Aber ebensowenig hat die Erde gelebt in den Zeiträumen, die die Geologen ausrechnen, denn was 'die Erde für Schicksale durchgemacht hat, muß nach der Geistesordnung erkannt werden. Das ist das Berückende in der Wissenschaft der Gegenwart, daß die Dinge, die Illusionen sind, sich so strikte beweisen lassen, aber daß die Beweise nichts aussagen über die Wahrheit. So daß die Menschheit heute - sie bringt sich das nicht zum Bewußtsein, weil sie nicht will, aber unterbewußt - wirklich lebt in der Angst, daß ihr die Wahrheit eigentlich verlorengehen muß. Und diese Angst sehen wir heute schon aus zahlreichen menschlichen Äußerungen herausschimmern. Im Grunde ist es denjenigen, die heute aus dem Materialismus heraus Weltanschauungen formen, doch nicht

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recht geheuer. Sie empfinden überall eine gewisse Ängstlichkeit gegenüber den Grenzen, die sie auf der einen Seite nicht überschreiten wollen, die ihnen auf der andern Seite aber 'doch furchtbare Hindernisse für ein vollmenschliches Leben darstellen. Die Menschen fühlen schon daß sie, wenn sie dasjenige annehmen, was bloß Naturordnung ist, sie eigentlich damit nicht leben können, daß vor allen Dingen das, was so als Naturordnung in unsere Vorstellungen aufgenommen wird, nicht wiederum führen kann zu einem wirklich innerlich künstlerischen und religiösen Empfinden und Vorstellen. Wir dürfen nicht vergessen, daß dasjenige, was heute als Religionssystem vorhanden ist, herstammt aus jenen Zeiten, in denen die Menschen auf die Ihnen geschilderte Weise das Kosmische aus dem tiefen Schlaf ergründet haben. Aus jenen alten Zeiten stammen noch unsere sämtlichen religiösen Einrichtungen her.

Die religiösen Einrichtungen, nicht das Mysterium von Golgatha. Das ist nicht abhängig von irgendeiner religiösen Ansicht, das stellt sich als eine Tatsache in die Erdenentwickelung hinein. Das muß begriffen werden auch von jenen Bewußtseinszuständen, die eben erst in Vor- bereitung sind. Aber bis jetzt ist das Religionsschöpferische in der Menschheit seit vielen Jahrhunderten, ja Jahrtausenden unfruchtbar geblieben; unfruchtbar geblieben das wirklich künstlerische Vermögen. Denn wir leben eigentlich, mit einzelnen Ausnahmen von Renaissancen, wir leben nicht in ursprünglich elementarem Schaffen. Aber es will in die Gegenwart herein. Und jene menschliche Beunruhigung, die sich heute als die vorzüglichste Zivilisationserscheinung zeigt, die ist es, welche sozusagen darstellt die Geburtswehen einer neuen Zeit, einer neuen Zeit auf wissenschaftlichem, einer neuen Zeit auf künstlerischem, einer neuen Zeit auf sozialem, religiösem, moralischem Boden, der Zukunft des Menschen, die uns vor allen Dingen auf dem Herzen liegen muß, denn ihr muß die Menschheit entgegenleben. In keiner Zeit war das menschliche Ohr weniger geneigt> die Initiationswissenschaft zu hören, als in der heutigen. Man kann in einer gewissen Weise auch sagen, in keiner Zeit hatte die Menschheit das nötiger als in der heutigen.

Das ist der Grund, warum ich gerade zu dieser Tagung über Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft des Menschen von dem Gesichtspunkte der Bewußtseinsentwickelung einmal sprechen wollte.

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Natürlich konnte das in drei Vorträgen nur skizzenhaft geschehen, aber was gesagt worden ist, kann ja weiter ausgebaut werden in jedem einzelnen Gemüt. Denn mir scheint, daß gerade das Bewußtsein> weil es dem Menschen am nächsten dem eigenen Wesen liegt, auch dasjenige ist, was am leichtesten im einzelnen Menschen fruchtbar werden kann, ihn anregen kann, daß er immer mehr und mehr hineinkommt in das geistige Erleben selbst. Und dieser Art des geistigen Erlebens - nicht des materialistischen - bedarf es beim Menschen der Gegenwart, damit dieser Mensch der Gegenwart werden könne der Menscb der Zukunft. Aber es sind ja wirklich alle> ich möchte sagen, inneren Lebensgewohnheiten 'des Menschen, dadurch, daß er in sein ohnmächtiges abstraktes Denken und Vorstellen hineingekommen ist, zunächst so geworden, daß ihm wirklich, wenn er aufgeht in der Bildung der Gegen wart, das Reden vom Geistigen den Eindruck macht wie die Logarithmentafeln dem simplen Onkel, und daß er sich von dem, was in der Gegenwart doch immerhin da oder dort als gewaltige Wahrzeichen auftritt für ein Hereinwollen des Geistigen, daß er das sich so mißdeutet, als ob diese Dinge die Hausnummern Europas wären. Das ist ein etwas weit hergeholter Vergleich, aber im Zusammenhang mit dem, was ich gesagt habe, verständlicher Ver~eich. Denn das, was äußerlich heute so vieifachLebensgewohnheit ist, ich möchte besser sagen, Lebensbeurteilungsgewohnheit ist, das drängt sich auch hinein in das allerwissenschaftlichste Denken, und wird dort nicht nur Philistrosität, sondern Philistrosität und niederes banausisches Menschentum in aller- höchster Potenz, wird Moralheuchelei, die sich wissenschaftlich umbrämt und umkleidet. Und wenn einmal sich etwas hervorwagen will, wenn auch nur in einer leisen Spur, dann wird es heute als etwas auf- genommen, was man eigentlich nach der materialistischen Ansicht mit klarem Menschenverstand nur «verrückt» nennen kann.

Sehen Sie, auch dafür gibt es eine hübsche, auf Realität beruhende Geschichte. Es wurde ja im Beginne der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts der alt gewordene Philosoph Schelling von München nach Berlin berufen. Er hatte lange geschwiegen. Ein großer Ruf ging ihm voraus. Er sollte dort vortragen positive Philosophie im Gegensatz zu der negativen, wie er sie selber nannte. Wenigstens die Entwickelung

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des geistigen Lebens der Menschheit, die Entwickelung des Mysterienwesens,Religionswesens,wollte er in einer unendlich viel nöeferenWeise dazumal an der Berliner Universität entwickeln, als es von anderen bis heute geschehen ist. Als Schelling seine erste Vorlesung in Berlin hielt, da saßen in den ersten Reihen die erleuchtetsten Köpfe. Da saßen noch lange nicht die Studenten; da saßen die Professoren aller Fakultäten, die Leiter des Unterrichtswesens, die glänzendsten Vertreter des Geisteslebens, dann kamen erst ganz hinten die Studenten. Und man wartete tatsächlich sogar - insofern man da ehrlich warten konnte -, man wartete ehrlich auf dasjenige, was dieser große Ruf, der vorausgegangen war, nun zur Erfüllung bringen würde. Die Gesichter wurden immer länger und länger, als Schelling seine erste Vorlesung hielt. In dieser ersten Vorlesung sprach Schelling wirklich in einer besonderen Art vom Geiste, ja, er sprach vom Geist dazumal, wo das materialistische Zeitalter seine Kulmination vorbereitete, wo es gerade ankam in sein stärkstes Blühen. Er sprach vom Geist. Die Gesichter wurden immer länger und länger, man wußte nicht, was er will. Man wußte schlechterdings nicht, was er will. Der später berühmte Philosoph Trendelenburg saß in diesen ersten Reihen. Er sagte: Ja, er glaube ein ganz Weniges verstanden zu haben, das andere habe er alles nicht verstanden von dieser Philosophie, aber er sei nicht sicher, ob er dieses ganz klein Wenige verstanden habe. - Aber sehen Sie, eines Tages begegnete einer von denen, die diese Vorlesung gehört hatten, einem anderen, der auch dabei war. Die Leute hatten sich - und diese zwei Bekannten auch - tagelang die Köpfe zerbrochen: Warum ist denn eigentlich der Schelling nach Berlin berufen worden, denn er redet doch etwas, was kein Mensch verstehen kann? - Nun, der Freund konnte es dem andern sagen, er konnte ihm nämlich ankündigen, daß sich Schellings Tochter verlobt hatte mit dem Sohne des Unterrichts mlnisters. Nun konnte man begreifen, warum der Schelling nach Berlin gestrebt hat, jetzt hatte das Ganze einen realen Inhalt.

Ja, es sieht allerdings paradox aus, wenn man solche Dinge erzählt, aber man muß es so erzählen, denn so weit liegt dasjenige, was gerade die charakteristische Denkweise der Gegenwart erfassen kann, eben vorläufig ab von dem, was wahrhaftig nicht durch eine Willkür als

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Geisteswissenschaft auf die Zukunft hinweist, sondern weil es eine innere menschliche Notwendigkeit ist, weil das Menschengeschlecht der Dekadenz verfallen muß, wenn es nicht zu einer neuen Geistigkeit kommt. Denn nur diese neue Geistigkeit wird wiederum die drei vollen Zustände des Bewußtseins, zu denen es in der Zukunft kommen muß der abgedämpfteTraumschlaf, das gewöhnliche Wachen und das Über- wachen -, erleben können. Sonst wird der Mensch seine Menschheit in der Zukunft auf der Erde nicht erleben können. Denn die Gottheit will diesen zukünftigen dreigliedrigen Menschen aus dem gegenwärtigen dreigliedrigen Menschen heraus bilden, wie sie den gegenwärtigen dreigliedrigen Menschen, den träumenden, schlafenden, wachenden Menschen, aus dem alten bildträumenden, schlafenden mit dem Nachgefühl im Wachen, und tiefschlafenden Menschen heraus gebildet hat. Und der Mensch ist heute im Zeitalter der Freiheit - das habe ich für Anthroposophen ja oftmals auseinandergesetzt - angekommen. Er muß sich dazu entschließen, aus eigener freier Erkenntnis entgegenzuleben dem, was die Gottheit der Welt über ihn bestimmt hat.

Dann wird in der richtigen Weise heute nicht nur gedacht, sondern vor allen Dingen empfunden werden können über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Menschen. Dann wird aber auch gewollt werden können mit Bezug auf das Leben auf Erden im Sinne 'desjenigen, was eigentlich göttlich-geistige Weltenordnung sein soll von der Vergangenheit aus durch die Gegenwart hindurch, in die Zukunft hinein.

Davon wollte ich sprechen. Mit diesen Worten möchte ich diese Betrachtungen abschließen, möchte nur zum Schluß noch wünschen, daß nun morgen eine solche Diskussion hier beginnt, daß innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft etwas zu merken ist davon, daß wirklich jetzt gewollt werde in solcher Weise 'diese Gesellschaft zu gestalten, daß in dieser Gesellschaft gerade ein rechtes lebendiges Bewußtsein vorhanden sei von 'dem, was der Vollmensch sein soll> der Vollmensch, der sich richtig verstehen muß als der Mensch der Vergangenheit, der Mensch der Gegenwart, der Mensch der Zukunft. Denn diese drei sind auch eins. Und dasjenige, was der Mensch in Vergangenheit gewesen ist, in Gegenwart ist, was er in Zukunft sein wird,

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das wird erst einmal, ich möchte sagen, vor der göttlichen Weltenordnung umfassen den ganzen Anthropos. Aber er wird angestrebt werden müssen dadurch, daß eine enthusiastisch mit vollem Herzen ergriffene Anthroposophie hinleitet zu dem rechten, wahren Anthropos, dem totalen Menschen, dem Vollmenschen.

HINWEISE

#G228-1985-SE152 Initiationswissenschaft und Sternenerkenntnis

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HINWEISE

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Die in diesem Band gesammelten Vorträge erschienen erstmals in dieser Zusammenstellung in der I. Auflage. In dieser 2. Auflage sind die Hinweise ergänzt worden. Die Vorträge waren von Rudolf Steiner nicht zum Druck bestimmt, und er hat sie selbst nicht durchgesehen. Deshalb stammt auch der Titel des Bandes sowie die Titel der Vortrage nicht von ihm, ausgenommen desjenigen für die Vorträge von Stuttgart, 14. bis 16. September 1923, die für eine anthroposophische Tagung unter diesem Titel angekündigt waren. Soweit die Vorträge schon veröffentlicht waren, gehen die Titel auf die Heraus gaben durch Marie Steiner zurück (vergleiche Seite 4). Sämtliche Vorträge waren ferner abgedruckt in der Zeitschrift «Gegenwart> 1962/63, Jahrgang XXIV. Einige wenige Änderungen (in der 1. Auflage) gegenüber den früheren Ausgaben gehen auf erneute Prüfung des Stenogrammes zurück (siehe am Schluß der Hinweise).

Textunterlagen: Die drei Dornacher Vorträge und der Londoner Vortrag wurden von der Stenographin Helene Finckh mitstenographiert; der Stenograph der drei Stuttgarter Vorträge ist namentlich iiicht bekannt. Dem Druck liegen die von den Stenographen vorgenommenen Übertragungen in KIartext zugrunde.

Werke Rudolf Steiners innerhalb der Gesamtausgabe (GA) werden in den Hinweisen mit der Bibliographie-Nummer angegeben. Siehe auch die Übersicht am Schluß des Bandes.

zu Seite

9 zu dem früher Gesagten: Siehe Rudolf Steiner «Kulturphänomene>, GA Bibl.-Nr. 225.

25 seit der Newtonschen Zeit: Newton, englischer Mathematiker, Physiker und Astronom.

Kant-Laplacesche Theorie: Sie ist hervorgegangen aus Kants «Nebularhypothese in seiner Naturgeschichte und Theorie des Himmels» (1755), wonach sich die Erde aus einem Urnebel heraus gebildet hat und - unabhängig von Kant (und in vielem abweichend) - aus den Theorien in «Exposition du syste`me du monde» (1796) von dem Mathematiker und Astronomen Laplace.

25, 53 Einsteinsche Relativitktstheorie: Von dem Physiker Einstein ab 1905 formulierte allgemeine Relativitätstheorie.

35 Rämaniithan: (Solictor-General of Ceylon). «The culture of the soul among western nations>. New York und London 1906.

36 Denn eben, wo Begriffe fehlen . . .: Goethe, «Faust I>, Studierstube, Worte des Mephisto.

37 Pistis Sophia (griechisch «Glaube - Weisheit>): ein in koptischer Sprache erhaltenes gnostisches Buch aus dem 3.Jahrhundert.

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40/47 bei dem kleinen Vortragszyklus während der Delegiertenversammlung: «Drei PersPektiven der Anthroposophie>, Dornach 20. bis 23. Juli 1923, in «Kulturphänomene>, GA Bibl.-Nr. 225.

52 Euklid, griechischer Mathematiker.

54 Lavoisier, französischer Chemiker. In seinem Hauptwerk (2 Biinde, 1789) proPagierte er eine neue chemische Nomenklatur.

56 Cimabue, eigentlich Cenni di PePo, italienischer Maler.

Giotto die Bondone, italienischer Maler und Baumeister.

Raffael> eigentlich Raffaello Santi, italienischer Maler und Baumeister.

58 unsere Programme: Siehe die Kunstdrucke von Pastell- und Aquarellskizzen Rudolf Steiners, Rudolf Steiner Verlag.

59 ich habe geschildert: Vergleiche Hinweis zu Seite 40.

Eduard von Ha>,tmann: «Philosophie des Unbewußten> (1869); «Die Religion des Geistes» (1882); «Das Grundproblem der Erkenntnistheorie> (1889).

61 Veranstaltungen in Ilkley und Penmaenmawr: Vortragszyklen «Gegenwärtiges Geistesleben und Erziehung>, 14 Vorträge, gehalten im August 1923 in Ilkley, GA Bibl.-Nr. 307, und «Initiations-Erkenntnis>, 13 Vorträge, gehalten im August 1923 in Penmaenmawr, GA Bibl. -Nr.227.

69 wie ich es auch schon einmal. . . hier auseinandergesetzt habe: Vortrag London, 30. August 1922, in «Das Geheimnis der Trinität>, GA Bibl.-Nr. 214.

74 Buch . . . eines ceylonesischen Inders: Vergleiche Hinweis zu Seite 35.

76 Die Schlußworte des Vortrags vom 2. September 1923 in London erscheinen innerhalb der Gesamtausgabe in Nr. 253 der Bibliographie.

77 die schon gestern angedeuteten Betrachtungen: Bericht über die englische Reise in Domach am 9. September 1923. Siehe «Rudolf Steiner und die Zivilisationsaufgab,m der Anthroposophie. Ein Rückblick auf das Jahr 1923>, Dornach 1943.

92 Die Begmßööungsworte vor dem Vortrag finden sich in «Rudolf Steiner und die Ziviiisaö»ionsaufgaben der Anthroposophie. Ein Rückblick auf das Jahr 1923>, Domach 1943.

95 Sootus Erigena: Übersetzer der Schriften des Dionysius Areopagita. Verfasser von «De divina praedestione>, «De divisione naturae> (Die Einteilung der Natur). 1225 wurde vom Vatikan das Verbrennen aller seiner Schriften angeordnet.

96 Descartes (Cartesius), französischer Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschafter.

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99 Vortragszyklus in Penmaenmawr: Vergleiche Hinweise zu Seite 61.

Dr. Günther Wachsmuth: Seit ca. 1921 Mitarbeiter am Goetheanum. Begleitete damals Rudolf Steiner auf seinen Reisen. Seit Weihnachten 1923 Sekretär und Schatzmeister der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, sowie Leiter der naturwissenschaftlichen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaften am Goetheanum.

102 Landhausstraße in Stuttgart: Damals Haus der Anthroposophischen Gesellschaft. 109 jakob Böhme, Mystiker.

Swedenborg, (eigentlich Emanuel Swedberg), schwedischer Naturforscher und Theosoph.

125 jakob Böhme. . . das «Mysterium magnum> (1623); «De Signatura rerum» (1622); «Aurora oder Morgenröte im Aufgang> (1612).

128 Paracelsus (eigentlich Theophrastus Bombastus von Hohenheim), Arzt, Naturforscher und Philosoph.

137 Staudenmaier: «Die Magie als experimentelle Naturwissenschaft>, 1. Auflage 1912. Siehe auch den Vortrag vom 22. September 1923 in «Kulturphänomene>, GA Bibl.Nr. 225.

142 Kuno Fischer, Philosophiehistoriker.

146 einer der größten Mathematiker: Gemeint ist Leonhard Euler.

150 morgen eine solche Diskussion: Bezieht sich auf die Diskussion über Angelegenheiten der Anthroposophischen Gesellschaft am 17. September 1923 in Stuttgart, wovon jedoch keine Nachschrift erhalten ist.

Textkorrekturen zur 2. Auflage (1985)

Seite 20, 6. Zeile v. o.:

Eine Sprache wird innerlich vertieft, seelenvoll, wenn die Venus zum Beispiel in der Konjuktion steht zum Mars. Dagegen wird eine Sprache seelenlos, schellend, wenn die Venus und der Mars in Quadratur stehen..

In der 1. Auflage waren die Worte «Konjunktion> und «Quadratur> vertauscht. Seite 31, 13./14. Zeile v. u.:

Anthroposophie ist im äußersten Sinne Wissenschaft; statt Wesenheit.

Seite 87, 13. und 15. Zeile v. u.:

Merkurimpulse; statt Jupiterimpulse.

PERSONENREGISTER

#G228-1985-SE155 Initiationswissenschaft und Sternenerkenntnis

#TI

PERSONENREGISTER

#TX

(Die kursiv gesetzte Ziffer gibt jeweils die Seite an, zu der ein Hinweis besteht.)

Böbme, Jakob (1 57~1 624) 109, 125,

126, 128, 129


Cartesius, siehe Descartes

Cimabue(um 1240-um 1302) 56,57

Christus (siehe auch Jesus) 35, 36, 38, 60,

74, 89, 122, 140, 141


Descartes, Rene` (15961650) 96, 97

Einstein, Albert (18791955) 25, 53, 127

Euk1id (um 300 v. Chr.) 52

Euler, Leonhard (oline Namensnennung)

(1707-1783) 146


Fischer, Kuno (182~1907) 142

Giotto (12661337) 56, 57

Laplace, Pierre Simon Marquis de

(17491827) 25, 30

Lavoisier, Antoine Laurent deGoethe, Johann WoIfgang von

(17431794) 54 (17491832) 36, 105

Newton, Isaac (16431727) 25, 52

Hartmann, Eduard von (1842-1906) 59

Paracelsus, Pliilippus AureoIus

Tlieophrastus (14931541) 128

Jesus (siehe auch Christus) 35, 36, 60,

Raffael, Santi (14831520) 56, 57 140, 141

Rämanäthan, Pounarnbalam

(1851-1930) 35, 38, 60Kant, Immanuel (1 7241 804) 25, 30

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von

(17731854)148,149

Scotus Erigena, Johannes (um 800 -

um 877) 95

Staudenmaier, Franz Anton

(180~1856) 137

Swedenborg, Emanuel (1688-1772) 109,

128, 129

Trendelenburg, Friedrich Adolph

(1802-1872)149

Wachsmuth, Dr. Günther

(18931963) 99

INHALTSANGABEN erstellt von Konrad Donat

#G228-1985-SE156 Initiationswissenschaft und Sternenerkenntnis

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INHALTSANGABEN

erstellt von Konrad Donat

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Die geistigen Individualitäten unseres Planetensystems

Schicksalbestimmende und menschenbefreiende Planeten

ERSTER VORTRAG, Dornach, 27. Juli 1923

Mit Hilfe einer Initiationswissenschaft ist die Durchseelung und Durchgeistigung unseres Planetensystems zu erkennen. Im Mond leben in strenger Abgeschlossenheit geistige Wesenheiten. Sie bewahren die Urweisheit. Das, was der Mond äußerlich zurückstrahlt sind Kräfte, die mit dem Niederen in Tier und Mensch, besonders mit der Geschlechtlichkeit zusammenhängen. Die Wesenheiten des Saturn wirken als lebendiges Gedächtnis unseres Planetensystems. Schöpferische und empfangene Gedanken des Universums strahlen uns vom Jupiter zu, er ist der Denker unseres Planetensystems. Konstellationen zwischen Jupiter und Saturn hängen mit Renaissance-Epochen in der Weltgeschichte der Menschheit zusammen. Der Mars bewirkt Impulse der Sprache. Die Venus gibt alles liebevoll zurück, was von der Erde kommt. Die Stellung von Mars zu Venus (Quadratur) beeinflußt die Entwicklung der Sprache eines Volkes. Die Wesenheiten des Merkur sind die Meister des kosmischen Denkens. Der Mond als Träger der Vererbungskräfte. Venus und Merkur vermitteln das Seelisch-Geistige ('I`emperament). Mars, Jupiter und Saturn sind menschenbefreiende, Venus, Merkur und Mond sind schicksalbestimmende Planeten. Zwischen die planetarischen Individualitäten stellt sich die Sonne, Harmonie schaffend. Die Sonne als Flamme, wenn Freiheit im Weltall erscheint oder die Sonne als Substanz, wenn mißbrauchte Freiheit (als Schicksal) sich als Asche zusammenballt.

ZWEITER VORTRAG, Doinach, 28. Juli 1923 23

Bei der Anschauung der Himmelskörper ist seit der Newtonschen Zeit das Geistige verlorengegangen. Die mathematischen und physischen Begriffe werden seither auf das ganze Himmelsall ausgedehnt. Die Einsteinsche Relativitätstheorie zerstört diese populären Begriffe. Anthroposophie schildert anstelle physischer Begriffe eine moralische

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Weltordnung. Beispiel: Das Zustandekommen der Rückenmarkssäule bei Mensch und Tier durch Wirkungen der Wesenheiten, die sich ins Innere des Mondes zurückgezogen haben. Die alte orientalische Weisheit - heute in der Dekadenz - ist äußerlich im seelenvollen Anschauen des Weltalls erhalten. Rämanäthans Kritik an Europas Verständnis des Neuen Testamentes. Bei einem unbefangenen Lesen der Evangelien wird der Europäer einen geistigen Christus entdecken. In den vergangenen drei bis vier Jahrhunderten hat der Hang zur Unklarheit alle Begriffe getrübt. Dadurch ist letztlich auch das soziale Chaos bewirkt worden.

DRITTER VOR`TRAG, Dornach, 29. Juli 1923 40

Mensch und Tier und die Bewußtseinszustände Wachen, Schlafen und Träumen. Unterschiede bei Mensch und Tier zur Innen- und Außenwelt. Die Naturwissenschaft rechnet nach Gewicht, Maß und Zahl, mit Sinnesempfindungen weiß sie nichts anzufangen. Die von Gewicht, Maß und Zahl befreiten Sinnesempfindungen ('1`on, Farbe, Wärme, Kälte) haben eine entgegengesetzte Schwere. Mit dem Wahrnehmen dieses Ausdehnenwollens kommt der Mensch zum Erfassen geistiger Wesenheiten. Mit wachem Bewußtsein sieht der Mensch nur die Außenseite der Naturreiche, im Schlaf ist er bei dem, was als Geistiges in ihnen wohnt. Im Schlaf erlebt der Mensch den irdischen Wahrheitsbegriff. Das Empfinden des Schönen und der Traum. Voraussetzungen zum Schauen des Chaos. Wenn Chaos in Kosmos gewandelt wird entsteht Schönheit, was bei allem Künstlerischen der Fall ist. Die Idee der Güte (des Guten) im Zusammenhang mit dem Unterschied zwischen Innenwelt und Außenwelt und dem Wachzustand. Relativitätstheorie und Wirklichkeit. Die materialistische Wissenschaft verleugnet das Künstlerische. Ikonenmalerei, Madonnenbilder und die Schwerelosigkeit der Farbe (Hinweis auf die eigene Programm-Malerei). Mahnende Worte im Zusammenhang mit Angelegenheiten der Anthroposophischen Gesellschaft.

Der Mensch als Bild geistiger Wesen und geistiger

Wirksamkeiten auf Erden

London, 2. September 1923 61

Was sich mit dem Menschen während seines Schlafes zuträgt ist wichtiger als das, was zu Zeiten des Wachens geschieht. Wäre der Mensch

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ohne Schlaf würde er nicht in der Lage sein, etwas bewußt zu tun. Die Wirksamkeit höherer Hierarchien im Menschen während des Wachens und Schlafens. Die äußere Gestalt des Menschen ist ein Bild des Wirkens aller Hierarchien in seinem Innern. So wie die niedere Geistigkeit durch mineralisches, pflanzliches und tierisches Reich auf der Erde wirkt, so wirkt, was von höherer Geistigkeit auf den Menschen wirksam ist, durch die Sternenwelt auf ihn. Der Mond - äußerlich - als Spiegel physischer und geistiger Impulse aus dem Weltraum. In seinem Innern leben die früheren Lehrer der Urweisheit auf Erden. In den physischen Fortpflanzungskräften für Mensch und Tier wirken sie weiter. Als kosmisches Ich des Planetensystems bewahrt der Saturn das kosmische Gedächtnis und vermittelt das Karrna des Menschen. Zwischen dem Mond, der physische Vererbung vermittelt, und Saturn, der Karma vermittelt, stehen die anderen Planeten mit ihren Wirkungen. Beziehungen zwischen Mars und Venus gehen auf Erden beim Menschen in Sprach- und Gesangsorgane ein. Seit dem Verschwinden der gnostischen Erdenweisheit gibt das Mysterium von Golgatha die Kraft, Bewußtsein davon zu erwerben, was in den Sternenwelten vor sich geht. Der Mensch muß sich wieder als ein Bild geistiger Wesenheiten und geistiger Wirksamkeiten auf Erden anschauen lernen.

Die Sonneninitiation des Druidenpriesters und

seine Mondenwesenerkenntnis

Dornach, 10. September 1923 77

Sonnenwesen, früher mit der irdischen Entwicklung verbunden, leben nun außerhalb der Erde. An die Lehrer der Urweisheit, die heute im Inneren des Mondes leben, blieb innerhalb der Menschheit eine unbewußte Erinnerung zurück. In verschiedenen Entwicklungsepoclien einer sonnenhaften und einer mondenhaften Zivilisation treten diese Erinnerungen auf. In den Kromlechs erforschten die Druidenpriester die Geheimnisse des Weltalls. Sonnenkräfte allein lassen Zellen wuchern; Gestaltendes und Mannigfaltiges rührt von den mit den Sonnenkräften zusammenwirkenden Mondenkräften her. Elementarwesen waren bestrebt, ins Riesenhafte auszuwachsen. Solche aus dem Bereich des Wurzelhaften zu Frostriesen, riesenhaft Vergrößertes aus dem Blattwachstum zu Nebelstürmen und was aus der Blütenkraft riesenhaft wurde zu verheerendem Feuer. Meteorologische Vorgänge wurden als solche riesenhaft vergrößerte wesenhafte Kräfte, die in Naturwesen lebten, erkannt. Die Kenntnisse der Druidenpriester flossen in das

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soziale und religiöse Leben ein. Die Beobachtung der Pflanzen, der Riesen und der Naturwesen brachte Erkenntnisse, die zum Herstellen von Heilmitteln befähigten. Diese Zivilisation umfaßte Teile Nord- und Mitteleuropas. Eine Schrift gab es noch nicht. Erst Wotan - mit Impulsen des Merkur - brachte die Runenschrift und so den ersten intellektualistischen Einschlag. In der Baldursage ist dargestellt, wie der Intellektualismus diejenige Seelenverfassung ist, die mit dem Tode rechnet, jedoch gegen den Tod kein Heilmittel kennt. Die damit verbundene Todesfurcht kann seit dem Mysterium von Golgatha mit der ChristusGestalt, die auferstehen kann, geistig-seelisch geheilt werden.

Der Mensch in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

ERSTER VORTRAG, Stuttgart, 14. September 1923 92

Das Empfinden des Menschen zum Verlauf des geschichtlichen Werdens verlangt einen Zusammenschluß nicht nur mit der Gegenwart, sondern auch mit der Vorzeit. Die abendländischen Weltanschauungen betonten dazu mehr die Zeit, die orientalischen Weltanschauungen betonten mehr den Raum. Die Bewußtseinsentwicklung des Menschen ist zugleich das wichtigste Moment seiner Entwicklung. Vorstellen, Gefühl und Wollen und deren Wesens-Erlebnis in Wachen, Träumen und Schlafen. Seit dem 15. Jahrhundert ist das menschliche Denken anders geworden, heute ist es auf dem Höhepunkt. Im gegenwärtigen wissenschaftlichen Denken verliert sich der Mensch. Was auf Erden wahr ist, ist nicht analog auf den Kosmos zu übertragen, ebenso wie Wahrheit der Himmelssphären nicht auf die Erde übertragen, werden dürfen. Die Druiden-Priester erkannten die kosmischen Wirkungen und ordneten entsprechend soziale und wirtschaftliche Aufgaben. Steinkreis-Setzungen bei Penmeanmawr haben einen Grundriß wie das abgebrannte Goetheanum. Die Druiden-Priester wußten um die kosmischen Einflüsse auf Pflanze und Tier. Sie beherrschten Elementarwesen und nutzten dies zur Herstellung von Heilmitteln. Jakob Böhmes und Swedenborgs Geistesart als reale Erinnerung an frühere Erdenleben.

ZWEITER VORTRAG, Stuttgart, 15. September 1923 110

Die drei Etappen der menschlichen Bewußtseinsentwicklung. Den gegenwärtigen drei Bewußtseinszuständen Wachen, Träumen und Schlafen standen in älteren Zeiten das von Bildern - nicht Vorstellungen - erfüllte Bewußtsein gegenüber. Die reine Sinnesbeobachtung begann,

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als der Mensch sich aus der geistigen Welt verstoßen fühlte (Vorstellung vom Sündenfall). Mysterien strahlten dem Menschen Trost zu. Der Mysterienpriester und seine Erkenntnisse aus dem Wachträumen, dem Schlaf als Vergessenheitstrunk und aus der Erdenumfassung (im Schlaf). Der Erdanziehung wirken die Mondenkräfte (negative Schwere) entgegen. Auf dem Weg über diese Mondenwirkung konnte der Mysterienpriester den Geist in den Sternenhimmel erheben. Der Mysterienpriester lehrte die Wirkung der Sternenumgebung auf den Menschen der Erde (astrologische Initiation). Die Mysterienpriester führten so die Menschheit zum Geist der Natur zurück. Mit dem Verfall der in den alten Bewußtseinszuständen empfundenen Geistigkeit und durch das Mysterium von Golgatha kommt im Menschen der Impuls der Freiheit auf. Eine atavistische Wirkung der Mondenkräfte ist der Somnambulismus. Atavistische Sonnenwirkung (als Offenbarung innerer Geheimnisse der Natur) ist im Werk Jakob Böhmes enthalten. Tiefere Kräfte als die von Sonne und Mond kommen von den Planeten, vom Saturn als kosmisch-historisches Gedächtnis. Die in Swedenborg rege gewordenen Saturnkräfte. DRinER VORTRAG, Stuttgart> 16. September 1923 131 Eine Wahrnehmung (oder ein Gedankenprozeß) des Menschen braucht zwei bis vier Tage, bevor er in Ätherleib und physischen Leib eingeprägt ist und Erinnerung werden kann. physischer Leib und Ätherleib gehören ganz dem Kosmos an. Die Bedeutung der drei Tage für eine Einweihung in alter Zeit. Das Geschehen im Traum als Protest gegen die Naturgesetze. Staudenmaiers Versuche spiritistischer Art. Der Gegensatz von moralischer Weltordnung zur Naturwissenschaft. Die Erlebnisse des Menschen werden nach etwa drei Tagen einer moralischen Weltordnung eingeprägt. Bewußtseinsentwicklung als Folge des Mysteriums von Golgatha. Seit dem 15. Jahrhundert wird die moralische Weltordnung im «modernen Bewußtsein» dem Glauben zugeordnet (Hinweis auf Fischers Logarithmen-Anekdote). Nervosität als Ausdruck einer künftig veränderten Organisation des Menschen. Die Bewußtseinszustände der Zukunft: Dumpfer Traumschlaf, Wachen, Überwachen. Die gegenwärtige wissenschaftliche Logik und deren Illusionen im Gegensatz zur Wahrheit des Lebens. Nur mit einer neuen Geistigkeit wird das Menschengeschlecht gegenüber den künftigen Bewußtseinszuständen nicht in Dekadenz verfallen. Zur Diskussion am folgenden Tage. Der ganze Anthropos als Mensch der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.