GA 205

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Menschenwerden,
Weltenseele und Weltengeist

Erster Teil
Der Mensch als leiblich-seelische Wesenheit
in seinem Verhältnis zur Welt

Dreizehn Vorträge, gehalten in Stuttgart, Bern
und Dornach vom 16. Juni bis 17. Juli 1921

GA 205

1967

Inhaltsverzeichnis


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ERSTER VORTRAG Stuttgart, 16. Juni 1921

Es war mir ein Bedürfnis, trotzdem dieser mein Aufenthalt in Stuttgart andern Dingen gewidmet sein sollte, an diesem Abend zu Ihnen über ein anthroposophisches Thema zu sprechen, und ich will heute einiges mitteilen über das Verhältnis des Menschen zu der Weltumgebung die­ses Menschen, insoferne diese Weltumgebung in das Wesen des Men­schen hereinspielt. Ich möchte dieses Thema so gestalten, daß sein Inhalt ganz besonders bezüglich sein kann auf mancherlei, das notwendig ist, gegenüber dem zivilisatorischen Rückgang in unserer Zeit zu bedenken.

Wenn wir manches zusammennehmen, das wir im Laufe der Jahre aus anthroposophischer Geisteswissenschaft heraus kennengelernt haben über den Menschen, dann kann sich uns vieles zusammenfassen in jener Dreigliederung des Menschen, die ja auch schon öfters vor unsere Seelen hingetreten ist, in der Dreigliederung Geist, Seele, Leib. Wenn wir vom geisteswissenschaftlichen Standpunkte auf unsere heu­tige Bildung, auf dasjenige hinschauen, was immer mehr und mehr unsere heutige Bildung durchdringt, dann müssen wir sagen, die Ent­wickelung der Menschheit ist allmählich dahin gekommen, eigentlich nur das Leibliche am Menschen der Betrachtung zu unterwerfen. In bezug auf diese Betrachtung des Leiblichen haben wir allerdings heute ein umfassendes Wissen und noch mehr ein Bestreben, dieses Leibliche in seiner Beziehung zu den übrigen Welterscheinungen kennenzulernen. Allein wir leben in dem Zeitpunkte, in dem immer mehr und mehr auch wiederum der Blick sich hinrichten muß auf das Seelische und auf das Geistige. Gerade wenn man das Leibliche so sorgfältig betrachtet, wie das durch die heute übliche Erkenntnis der Fall ist, so muß man eigent­lich durch diese Betrachtung des Leiblichen hingelenkt werden auch zur Betrachtung des Seelischen und des Geistigen.

Ich möchte von Erscheinungen ausgehen, welche heute eigentlich gar nicht verstanden werden können, weil man nur das Leibliche be­trachtet, und welche dennoch, ich möchte sagen, als große Fragen da sind vor dem Menschen. Wenn wir das menschliche Leibliche betrachten,

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so fügt es sich ein in die ganze Naturordnung, und die Erkenntnis hat sich allmählich bemüht, diese Naturordnung ganz zusammenzu­setzen aus notwendig zusammenhängenden Ursachen und Wirkungen. Eingegliedert denkt man sich auch das menschliche Leibliche in diese Kette von Ursachen und Wirkungen und erklärt es daraus. Das ist ja im weiteren und eigentlichen Sinne der materialistische Charakter unseres heutigen Erkennens, daß man den Blick nur hinrichtet auf die natürlichen Ursachen und Wirkungen und die Art, wie sich das mensch­liche Leibliche herausgliedert aus diesen Ursachen und Wirkungen mit einer Art mechanischer Notwendigkeit.

Aber da treten vor den Menschen sogleich gewisse Erscheinungen hin, die allerdings in gewissem Sinne abnorme Erscheinungen sind, die aber wie große Rätsel, wie Fragezeichen dastehen, wenn man bloß stehenbleibt bei der rein natürlichen Erklärung nach Ursache und Wirkung. Wir sehen, wie sich die menschliche Leiblichkeit entfaltet. Der Naturforscher kommt und sucht dieselben Gesetze im mensch­lichen Leibe, die er draußen in der übrigen Natur sucht. Er sagt viel­leicht, sie seien nur komplizierter im menschlichen Leibe, aber sie seien dieselben Gesetze, die auch draußen in der Natur sind. Und siehe da, wir sehen einzelne Gesetze, aus denen heraus, allerdings in abnormer Weise, sich gewisse Erscheinungen bilden, welche unmöglich zunächst in diesen Gang der Naturereignisse eingegliedert werden können. Der materialistische Denker bemüht sich - er ist allerdings heute noch nicht dazugekommen, aber er betrachtet es als ein Ideal-, das gewöhnliche Wollen im Menschen, das gewöhnliche Fühlen im Menschen, das Den­ken oder Vorstellen im Menschen so als Wirkungen der leiblichen Vor-gänge zu erklären, wie wir etwa die Flamme erklären durch die Ver­brennung des Brennstoffes. Und man kann durchaus sagen, wenn auch natürlich solche Erklärungen heute noch nicht erreicht sind, so darf in einer gewissen Weise der Naturforscher sagen, es werde einmal die Zeit kommen, wo man auch aus der menschlichen Leiblichkeit heraus er­klären wird das Denken, das Fühlen, das Wollen, wie man erklärt die Flamme aus dem Verbrennen des Brennstoffes. Wie aber müßten wir uns zum Beispiel zum menschlichen Vorstellen verhalten, wenn diese Anschauung restlos richtig wäre?

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Wir unterscheiden solche Vorstellungen im Leben, die wir anneh­men, weil wir sie als richtig bezeichnen können, und solche Vorstel­lungen, die wir abweisen, weil wir sie als unrichtig bezeichnen, weil wir von ihnen sagen, sie seien ein Irrtum. Aber in der Naturordnung kann doch nur alles aus den Ursachen folgen und regelrechte Wirkung der Ursachen sein. Wir können also gemäß der Naturordnung sagen: Der Irrtum, die Täuschung, sie gehen ebenso hervor aus notwendigen Ur­sachen wie die richtige, die berechtigte Vorstellung. - Da also kommen wir schon vor ein Rätsel: Warum bedingen die Erscheinungen der Natur, die doch alle notwendig sein sollen, das eine Mal im Menschen des Wahre, das andere Mal das Falsche?

Aber wir werden noch mehr vor ein Rätsel geführt, wenn wir in einzelnen Menschen aufsteigen sehen das, was wir täuschende Visionen, was wir falsche Halluzinationen nennen, von dem wir wissen, daß es uns etwas bis zur Anschaulichkeit vorgaukelt, ohne daß es in einer Wirklichkeit wurzelt. Wie kommen wir dazu, nun etwa zu sagen, wir dürfen etwas als unberechtigte Halluzination hinstellen, wenn doch alles das, was im Menschen sich vollzieht, in notwendiger Weise aus der Naturordnung, die auch in ihm ist, hervorgeht? Wir müßten den Halluzinationen ebenso eine Berechtigung zuschreiben wie demjenigen, was wir wahre Eindrücke und wahre Vorstellungen nennen. Und den­noch, wir sind - und wir dürfen es fühlen und ahnen - mit Recht da­von überzeugt, daß Halluzinationen als solche abgewiesen werden müssen. Warum müssen sie abgewiesen werden? Warum dürfen sie nicht als ein berechtigter Inhalt des menschlichen Bewußtseins aner­kannt werden? Und wie können wir sie überhaupt als Halluzinationen erkennen?

Wir werden uns über diese Rätsel nur aufklären können, wenn wir auf anderes hinschauen, das uns zunächst erinnern kann an die Hallu­zinationen, das aber von uns der Empfindung gemäß nicht in demselben Sinne als unberechtigt anerkannt werden kann wie die Halluzinatio­nen, und das sind die Erzeugnisse der menschlichen Phantasie. Diese Erzeugnisse der menschlichen Phantasie, sie steigen zunächst aus un­ergründlichen Tiefen des menschlichen Seelenlebens herauf, sie leben sich aus in Bildern, die sich zaubervoll hinstellen vor die menschliche

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Seele, und sie sind der Ursprung von manchem, was das Leben verschönt, was das Leben erhebt. Alles Künstlerische wäre nicht denk­bar ohne diese Erzeugnisse der Phantasie. Dennoch sind wir uns auch gegenüber den Erzeugnissen der Phantasie bewußt, daß sie nicht wur­zeln in einer festen Realität, daß wir sie anzusehen haben als etwas, was uns täuscht, wenn wir ihm Wirklichkeit im gewöhnlichen Sinne desWortes zuschreiben. Dann aber kommen wirnoch zu etwas anderem.

Wir kennen aus unserer Geisteswissenschaft die erste Stufe der über­sinnlichen Erkenntnis. Da sprechen wir von Imagination, da sprechen wir von der imaginativen Erkenntnis, da schildern wir, wie die Seele durch gewisse Übungen dazukommt, in der Anschauung einen bild­lichen Jnhalt zu haben, der aber von dem Geistesforscher jetzt, trotz­dem er als ein bildhafter Inhalt auftritt, nicht als ein Traum angesehen wird, sondern angesehen wird als das, was sich auf eine Wirklichkeit bezieht, was eine Wirklichkeit abbildet.

Wir haben gewissermaßen drei Stufen des Seelenlebens vor uns: die Halluzination, die wir als eine völlige Täuschung anerkennen, das Phantasiegebilde, von dem wir wissen, daß wir es irgendwie hervor­geholt haben aus der Wirklichkeit, daß es aber dennoch nicht so, wie es auftritt in uns als Phantasiegebilde, mit der Wirklichkeit unmittelbar etwas zu tun hat, und wir haben drittens die Imagination, die auch als Bild auftaucht oder als eine Summe von Bildern in unserem Seelenleben und die wir beziehen auf eine Wirklichkeit. Der Geistesforscher weiß diese Imagination ebenso durch das Leben auf eine Wirklichkeit zu beziehen, wie er die sichere Wahrnehmung der Farbe oder des Tones auf eine Wirklichkeit bezieht. Und derjenige, welcher sagt, die Ima­gination, die wirkliche Imagination könne man nicht in ihrer Wirklich­keit beweisen, sie könne auch eine Täuschung sein, dem muß man er­widern -, wer sich eingelebt hat in diesen Dingen des Seelenlebens, der sagt: Du kannst auch nicht wissen, daß ein heißes Stück Stahl ein wirkliches heißes Stück Stahl ist und nicht ein bloß gedachtes, ein bloß vorgestelltes. - Beweisen kann man das nicht durch Gedanken, wohl aber durch das Leben. Jeder weiß durch die Art, wie er im Leben in Zusammenhang kommt mit der äußeren physischen Wirklichkeit, das bloß vorgestellte heiße Eisen, das einen nicht brennt, von dem wirklichen

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heißen Eisen zu unterscheiden. Und so weiß im Leben der Gei­stesforscher zu unterscheiden eben durch die Berührung, in die er durch die Imagination mit der geistigen Welt kommt, das bloß Vor­gestellte dieser geistigen Welt von dem, was durch die Imagination auf eine Wirklichkeit dieser geistigen Welt hinweist.

Nun, man versteht nicht die Beziehung dieses dreigliedrigen Sy­stems, Halluzination, Phantasiegebilde, Imagination, wenn man nicht das Wesen des Menschen im Verhältnis zu seiner ganzen Weltumgebung geisteswissenschaftlich zu durchdringen vermag. Der Mensch ist eben durchaus ein Wesen, das sich gliedert in Geist, Seele und Leib. Wenn wir den Menschen zunächst betrachten so, wie er sich uns darbietet zwischen Geburt oder sagen wir Empfängnis und Tod, dann haben wir ihn ja in bezug auf unsere unmittelbaren Erlebnisse in seiner Leib­lichkeit vor uns. Diese Leiblichkeit des Menschen, sie versteht man ja auch mit heutiger Wissenschaft nur zu einem sehr geringen Teil. Diese Leiblichkeit ist eine sehr, sehr komplizierte. Sie wird einem immer mehr und mehr ein wunderbares Gebilde, je mehr man sie gerade bis in ihre Einzelheiten zu verfolgen vermag. Aber die Antwort auf die Frage: Wie versteht man diese Leiblichkeit? - sie muß doch von einer andern Seite her kommen und sie kommt uns nur von der Seite, die uns die Geisteswissenschaft dann bietet, wenn sie uns auf den Geist weist.

Aber nehmen Sie wiederum vieles zusammen, was in den verschie­denen Vorträgen der verflossenen Jahre gesagt worden ist, so werden Sie sich eigentlich sagen können: So wie wir zwischen der Geburt und dem Tode vom Menschen seine Leiblichkeit vor uns haben, so haben wir in dem Leben, das der Mensch vollbringt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, seine Geistigkeit, seinen Geist vor uns. Und betrachten wir so, wie ich es getan habe in dem Vortragszyklus, den ich 1914 im Frühjahr in Wien gehalten habe, das Leben des Menschen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, dann betrachten wir in derselben Zeit Wachstum und Entwickelung des menschlichen Geistes, wie wir Wachstum und Entwickelung des menschlichen Leibes betrachten, wenn wir den Menschen verfolgen von seiner Geburt bis zum Tode. Es ist wirklich so, wenn wir den Blick richten auf das eben geborene

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Kind und wenn wir dann die Entwickelung des Menschen verfolgen, wie er sich aus der Kindheit herausentwickelt, wie er immer reifer und reifer wird, wie dann der Verfall kommt, wie dann der Tod eintritt:

Wir verfolgen da mit unseren äußeren Sinnen und kombinieren unsere äußeren Sinneseindrücke mit dem Verstande, wir verfolgen da den menschlichen Leib in seinem Werden. Ebenso verfolgen wir den mensch­lichen Geist in seinem Werden, wenn wir Wachstum, Reifwerden des Geistes betrachten, wenn wir ankommen bei dem, was ich in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» genannt habe die Mitternachtsstunde des Daseins zwischen Tod und neuer Geburt, wenn wir dann sehen seine Annäherung wiederum zum physischen Leben; wir betrachten da den Geist, und wir müssen dann hinschauen auf die Beziehung dieses Geistes, der uns eigentlich in seiner Urgestalt entgegentritt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, zu dem, was uns hier in der phy­sischen Welt als sein Leib in seinem Werden entgegentritt.

Nun, da tritt uns durch die Geistesforschung die bedeutsame, die wichtige Tatsache entgegen, daß das, was wir als Leib hier erleben, was uns als Leib sich offenbart, daß das in einer gewissen Beziehung ein Bild ist, ein äußeres Bild, ein getreues Abbild ist dessen, was wir als Geist beobachten zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, und das, was wir als Geist betrachten in der zuletzt jetzt angedeuteten Weise, das ist das Vorbild für das, was wir hier im physischen Leben als Leib betrachten. So müssen wir uns eben die Beziehung des Geistigen zum Leiblichen konkret vorstellen. Derjenige, der nichts weiß von dem Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, der weiß im Grunde genommen auch nichts von dem menschlichen Geiste.

Aber wenn wir nun vor dem Menschen stehen, wie er uns in der sich uns offenbarenden Leiblichkeit zwischen Geburt und Tod ent­gegentritt und wir uns dann mit dem Bewußtsein ausrüsten, daß das ein Abbild des vorgeburtlichen Geistigen ist, dann sagen wir uns: Was ver­mittelt zwischen dem Vorbild und dem Abbild? Was macht, daß das Vorbild, das ja in der Zeit vorangeht dem Abbilde, was macht, daß dieses Vorbild in dem Abbild sich ausgestaltet? - Wir könnten viel­leicht auf eine solche Vermittlung erkennend verzichten, wenn der Mensch gleich ganz vollkommen auftreten würde, wenn er gewissermaßen

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so geboren würde, daß unmittelbar sein geistiges Vorbild sich gleich in den vollkommenen Menschen verwandeln würde und er nicht mehr wachsen und werden müßte, sondern vollkommen vor uns stehen würde. Dann könnten wir sagen: In einer jenseitigen Geisteswelt ist der Geist des Menschen, hier in der physischen Welt ist das physische Abbild. Wir beziehen das physische Abbild auf das geistige Vorbild. -Aber so ist es ja nicht, wie wir wissen, sondern durch die Geburt tritt der Mensch zunächst als ein unvollkommenes Wesen ins sinnliche Da­sein und der Mensch wird erst allmählich, langsam ähnlich seinem Vorbilde. Da muß, da der Geist nur bis zu der Empfängnis oder noch etwas in das Embryonalleben hinein wirkt, also bis zur Geburt wirkt, da muß, da der Geist dann gewissermaßen den Menschen entläßt, eine Vermittlung sein, etwas da sein, was zum Beispiel im zwanzigsten Jahre dasjenige, was vorher noch nicht ganz seinem geistigen Vorbild entsprochen hat, auch jetzt noch so gestaltet, daß es immer mehr seinem geistigen Vorbilde entspricht. Und dasjenige, was da im Physischen nachbildet das geistige Vorbild, das ist das Seelische, das ist die Seele.

Und so finden wir den Menschen hineingestellt in seine ganze Welt-umgebung. Wir verfolgen sein geistiges Dasein dann zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, sein leibliches Dasein dann zwischen der Ge­burt und dem Tode, und wir schauen auf sein seelisches Dasein hin als auf dasjenige, was das Vorbild herausgestaltet nach und nach in dem physischen Leibe, in dem leiblichen Abbilde. Dann kommt für den Menschen gewissermaßen der Mittelpunkt seiner Erdenentwickelung um das fünfunddreißigste Jahr herum. Dann tritt der Verfall ein. Dann wird gewissermaßen der Mensch immer verhärteter und verhärteter seiner Leiblichkeit nach. Aber das, was da in ihm sich ausgestaltet, das bereitet sich schon vor, um im Tode wiederum in seinem Geistigen, rein Geistigen aufzugehen, damit der Mensch dann wiederum in der gei­stigen Form zwischen dem Tod und einer nächsten Geburt sich aus-leben kann. Was ist es da wiederum, was das Leibliche immer mehr bereit macht, so daß es im Tode wiederum geistig werden kann? Es ist wiederum das Seelische. Dieses Seelische bereitet uns also zu einem Ab-bilde unseres Geistes in der ersten Hälfte unseres Lebens vor. Es bereitet uns vor, wieder Geist zu werden in der zweiten Hälfte unseres Lebens.

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Und so bekommen wir die menschliche Trinität Geist, Seele, Leib. So bekommen wir ein konkrete Vorstellung von dieser Beziehung zwischen Geist, Seele, Leib. Aber wir bekommen auch noch eine Vorstellung des Leiblichen, welche in sich klar ist, welche in sich in dem Sinne, wie das sein muß, widerspruchslos ist. Denn wenn das Leibliche ein ge­treues Abbild des Geistigen ist, dann müssen sich auch alle geistigen Verrichtungen in dem Leiblichen abbilden, dann muß in dem Leib in materieller Form verfolgbar sein das, was geistig ist. Und wir brau­chen uns dann nicht zu verwundern, daß in der neueren Erkenntnis aufgetreten ist der Materialismus und gesagt hat, das Leibliche, das wäre der Ursprung des Geistigen. Wenn man nur das nimmt, was sich im Menschen zwischen Geburt und Tod entwickelt, namentlich als Vorstellen entwickelt, so findet man alles das, was im Vorstellungs­leben lebt, in den Abbildern des menschlichen Leibes. Man kann den Menschen bis zu seinem Vorstellen hin im Leibe verfolgen, und man kann zu der Täuschung der materialistischen Auffassung kommen, weil man in der Tat jene feinen Verästelungen der leiblichen Organi­sation finden muß, welche im Denken, im Vorstellen zum Vorschein kommen.

Man kann also auf diese Weise Materialist werden. Man kann Ma­terialist werden, weil das Leibliche ein getreues Abbild des Geistigen ist. Und wenn man nichts weiß von dem Geistigen, dann kann man mit dem Leiblichen zufrieden sein, sich beschränken auf das Leibliche, dann kann man glauben, in dem Leiblichen sei der ganze Mensch ent­halten. Aber dieses Leibliche entsteht mit dem Embryonalleben, löst sich auf nach dem Tode. Dieses Leibliche ist vergänglich, und alles das, was wir auch als Vorstellungsleben entwickeln, gebunden an dieses Leib­liche, ist vergänglich. Und dennoch, es ist ein getreues Abbild des Gei­stigen. Es ist dieses Leibliche namentlich ein getreues Abbild des Geisti­gen, wenn wir auf die Tätigkeit dieses Leiblichen hinschauen. Wir üben eine Tätigkeit in den feinen Organisationen unseres Nerven-Sinnes-systems aus, und diese feine Tätigkeit ist durchaus ein Abbild einer geistigen Tätigkeit, die sich vollzogen hat zwischen dem Tod und einer neuen Geburt.

Und wenn wir auf diese leibliche Tätigkeit nun hinschauen, wenn

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wir uns vergegenwärtigen, wie sie - ich habe es angedeutet - wie see­lisch vermittelt ist, so müssen wir sagen: Diese Leiblichkeit ist Bild, ist Abbild und das Geistige finden wir erst in der zugehörigen Geistes­welt. - Hier in dieser physischen Welt ist der Mensch, sofern er in dieser physischen Welt ist, durchaus ein materielles Wesen, und in der Organisation seiner Materialität drückt sich zu gleicher Zeit aus das getreue Abbild des Geistigen. Allerdings lebt in ihm die Seele, die das Geistige vermittelt, aber zum ganzen Menschen gehört das, was bis zum Embryonalleben hineinlebt, was sich dann verwandelt in dasjenige, in das sich der Mensch nach dem Tode wiederum zurückverwandelt: das Geistige. Geistiges, Seelisches und Leibliches hängen so zusammen. Aber wenn wir das richtig durchschauen - versuchen Sie nur, das, was ich Ihnen vor die Seele gestellt habe, richtig zu durchschauen -, so werden Sie sich sagen: Das, was der Mensch als Kraft des Denkens entfaltet, in das muß hineinspielen, wenn auch nur im Nachklang, durch die Seele vermittelt, das, was vorgegangen ist vor seinem Em-bryonalleben. - Das heißt mit andern Worten: Wenn ich jetzt Vorstel­lungen hege, so lebt eine gewisse Kraft in meinem Vorstellungsleben, aber diese Kraft, die ist nicht bloß aus dem Leibe heraus entwickelt; im Leibe ist nur ihr Nachbild. Diese Kraft schwingt gewissermaßen nach, sie ist ein Nachschwingen desjenigen Lebens, das ich vor meinem Embryonalleben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt zugebracht habe. Dieses Leben muß in mein heutiges hereinspielen. Wenn der ge­wöhnliche Mensch der heutigen Zeit vorstellt, so ist es in der Tat so, daß in seinem Vorstellen lebt der Nachklang, das Nachschwingen seines vorgeburtlichen Lebens.

Und wie kommt der Mensch dazu, sich ein Sein zuzuschreiben? Er kommt dazu, sich ein Sein zuzuschreiben dadurch, daß er unbewußt eine Erkenntnis davon hat: Indem ich vorstelle, lebt in mir nach, schwingt nach mein vorgeburtliches Sein, und mein Leib ist ein Nach-bild dieses vorgeburtlichen Seins. - Wenn er nun selbst anfängt, solch eine Tätigkeit zu entwickeln, wie sie eigentlich nur entwickelt werden soll durch Nachschwingen des vorgeburtlichen Daseins, was dann? Dann entwickelt der Leib in diesem physischen Dasein, weil er einmal ein Nachbild ist, unberechtigterweise aus sich heraus etwas, was der

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vorstellenden Tätigkeit ähnlich ist. Und das kann in der Tat ein­treten. Wenn wir im normalen Leben stehen und denken und vorstel­len, schwingt in uns nach unser vorgeburtliches Leben, und da der Mensch dreigliedrig ist, so kann das Nerven-Sinnesleben ausgeschaltet werden und jeder andere Teil kann anfangen nachzuäffen diejenige Tätigkeit aus dem rein Leiblichen heraus, welche eigentlich nach-schwingen sollte aus dem vorgeburtlichen Dasein.Wenn der rhythmische Mensch oder der Stoffwechsel-Gliedmaßenmensch aus sich heraus eine solche Tätigkeit unberechtigterweise entwickelt, die dem berechtigten Vorstellen, das nachschwingt aus dem vorgeburtlichen Leben, ähnlich ist, dann entsteht die Halluzination. Und Sie können haarscharf, wenn Sie geisteswissenschaftlich die Sache betrachten, unterscheiden die be­rechtigte Vorstellung, die zu gleicher Zeit, indem man sie anerkennt als berechtigte Vorstellung, ein lebendiger Beweis für das präexistente Leben ist, Sie können sie unterscheiden von der Halluzination, die da­durch, daß sie da sein kann, daß sie die Nachäffung der aus dem Ewigen herauskommenden Vorstellungskraft aus dem Leibe heraus ist, ein lebendiger Beweis ist, weil sie Nachäffung ist, daß auch das Ursprüng­liche, das sie nachäfft, vorhanden ist, die aber durchaus aus dem Leibe heraus gekocht ist und die daher als Unberechtigtes dasteht. Denn der Leib hat im physischen Leben nicht die Berechtigung, aus sich heraus nachzuäffen diejenige Vorstellungsweise, die geboren sein soll aus dem geistigen Leben des vorgeburtlichen Menschen heraus.

Solche Erwägungen muß man in der Tat anstellen, wenn man über jene törichten Vorstellungen hinwegkommen will, die heute als Defini­tionen gelten über Halluzinationen und dergleichen. Man muß schon hineinschauen in das Gefüge des ganzen Menschen, wenn man das halluzinatorische Leben unterscheiden will von dem wirklichen Vor-stellungsleben. Und wenn dann höher ausgebildet wird das wirkliche Vorstellungsleben, wenn es bewußt aufgenommen wird und wenn ihm hinzugefügt wird dieses Bewußtsein, daß man nicht nur den Nachklang im Vorstellen erlebt vom vorgeburtlichen Leben, sondern wenn man diesen Nachklang nun ganz bewußt zum Bilde macht und dadurch von dem Nachklang zurückschaut zu der Wirklichkeit, dann kommt man zur Imagination.

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So unterscheidet der wirkliche Geisteswissenschafter Halluzination, die ein Herausgekochtes aus dem physischen Leibe ist, von der Ima­gination, die ins Geistige hineinweist, die sich zurückversetzt in das Geistige, so daß man sagen kann: Beim Halluzinierenden kombiniert der Leib, beim Imaginierenden, der sich zurückversetzt vom Nach-klang in die vorgeburtliche Welt, kombiniert der Geist; er verlängert sein Leben hinaus über das physische Dasein und er läßt den Geist kombinieren. In ihm kombiniert der Geist. Diejenigen Menschen, die aus Vorurteilen oder, wie es heute schon geschieht, aus bösem Willen heraus immer wiederholen, die Imagination der Geisteswissenschaft könne auch Halluzination sein, die übersehen geflissentlich die Tat­sache, daß der Geistesforscher streng zu unterscheiden weiß gerade zwischen Halluzination und Imagination, daß er es ist, der im streng­sten Sinne des Wortes das eine von dem andern fest abgegrenzt unter­schieden hinstellen kann, während das, was heute in der gebräuchlichen Wissenschaft über Halluzinationen gesagt ist, überall ohne Grund und Boden dasteht, überall Willkürdefinitionen sind. Und es ist eigentlich nur ein Beweis dafür, daß die heutige Wissenschaft nicht weiß, was Halluzinationen sind, daß sie das, was ihr als Imagination entgegen­tritt, nicht unterscheiden kann von dem halluzinatorischen Leben.

Bei dem Charakter, den die Insinuationen annehmen, die auf diesem Gebiete gemacht werden, muß man heute schon reden von bewußten Verleumdungen, die auf diesem Gebiete getan werden. Es ist nur Faul­heit unserer Wissenschafter gegenüber dem, was geisteswissenschaftliche Forschung ist, daß sie überhaupt solche Dinge in die Welt setzen. Wür­den sie nicht zu faul sein, auf die Geisteswissenschaft einzugehen, so würden sie eben sehen, wie strenge Unterscheidungen zwischen hallu­zinatorischem und imaginativein Leben in der Geisteswissenschaft sta­tuiert werden.

Das aber muß man in seinem Bewußtsein aufnehmen, wenn man ehrlich sich zu unserer Bewegung bekennen will, daß in unserer Zeit­genossenschaft die Böswilligkeit ist, die aus der Faulheit entstammt, und man muß die Faulheit, die dann bis zur Lügenhaftigkeit führt, in unserer heutigen Zeitbildung verfolgen bis zu ihren Schlupfwinkeln hin; einen andern Weg hat heute das, was Geisteswissenschaft ist, nicht

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mehr. So daß wir sagen können: Im halluzinatorischen Leben kom­biniert der Leib, im imaginativen Leben kombiniert der Geist, und der Mensch fühlt sich auch völlig aus der Welt zwischen Geburt und Tod hinausentrückt, wenn er sich im imaginativen Leben voll drinnen fühlt.

Zwischen beiden steht die Seele. Die Seele ist die Vermittlerin, ge­wissermaßen das Geistig-Flüssige, welches vom Geiste, dem Vorbild, zum Leibe, dem Nachbild, hin vermittelt. Das darf nicht nach irgend­einer Seite hin scharf konturiert sein, das muß flüssige Konturen haben, verschwimmende Konturen haben; demgegenüber darf man nicht in bestimmter Weise sagen, es wurzelt in der Wirklichkeit, oder es wur­zelt nicht in der Wirklichkeit. Bei den Halluzinationen, weil sie nur gekocht sind aus dem Leibe heraus, der aber nichts Wirkliches kochen kann, wenn er nicht im Nachklange des vorgeburtlichen Lebens lebt, bei dem Leibe und seinen Halluzinationen kann man sagen, das wurzelt nicht in der Wirklichkeit. Bei den Imaginationen und bei ihren abstrak­ten Abbildern, den Gedanken, kann man sagen, sie wurzeln in der Wirklichkeit.

Bei den Gebilden, die aus der Kombination der Seele hervorgehen, bei den Phantasiegebilden haben wir nun etwas Verschwimmendes; sie sind wirklich-unwirklich. Sie werden aus der Wirklichkeit genom­men, die scharfen Konturen der Wirklichkeit werden abgetönt, ver­blassend gemacht, verschwimmend gemacht. Wir fühlen uns heraus­gehoben aus der Wirklichkeit, aber wir fühlen zu gleicher Zeit, daß das doch etwas ist, was für unser Innenleben, für unser ganzes Welten­leben etwas bedeutet. Wir fühlen den Zwischenzustand zwischen Hal­luzination, zwischen täuschender Halluzination und wirklicher Ima­gination in dem vermittelnden Phantasiegebilde, und wir dürfen sagen: In der Halluzination kombiniert der Leib, in den Phantasiegebilden kombiniert die Seele, in der Imagination, deren Abbild die abstrakten Gedanken für das gewöhnliche Leben sind, kombiniert der Geist. - Hier haben Sie die dreifache Wesenheit des Menschen in seiner Betätigung und in seinem Verhältnis zu seiner Weltumgebung. Wir dürfen sagen:

Stehen wir im Geiste, ob in dem schattenhaften Abbilde der Gedanken, ob in der Imagination, durch die wir uns dann hinauferheben zu den höheren Stufen der Erkenntnis, kombinieren wir die Wirklichkeit;

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stehen wir innerhalb der Seele und ihrer Phantasiegebilde, so kombi­nieren wir etwas, was hin- und herschwebt zwischen Wirklichkeit und Unwirklichkeit; kombiniert der Leib, dann gaukeln uns die Halluzina­tionen etwas vor, was tatsächlich einer Unwirklichkeit entsprechen kann.

Wenn Sie das, was ich jetzt entwickelt habe, nehmen, dann werden Sie sich sagen: Ja, eine unbefangene Betrachtung des Menschen liefert uns diese Trinität Geist, Seele, Leib. Und sogar in bezug auf das, was sich betätigt durch die Wesenheit des Menschen, können wir in drei­facher Art unterscheiden Halluzination, Phantasiegebilde, Imagina­tion, und werden da hingewiesen auf Leib, Seele und Geist. - Sehen Sie, so ist es bei Anthroposophie, daß man immer tiefer und tiefer in ihr Wesen eindringen muß, um zu sehen, wie sie aus ihrer Ganzheit heraus die Einzelheiten belegt.

Wir sehen, wie man zuerst hinstellen muß in einer mehr abstrakten Weise die Gliederung des Menschen in Leib, Seele und Geist, wie das dann sich anfüllt immer mehr und mehr mit konkretem Inhalte. Wenn man die Beziehungen sucht zwischen so etwas, das man so hingestellt hat, zum anderen, so bekommt man immer mehr und mehr Belege. Aber das ist notwendig beim anthroposophischen Leben, daß man immer weiter und weiter dringt. Das ist aber das, was gerade der heutige Mensch, der sich so furchtbar gescheit fühlt, nicht liebt. Der heutige Mensch liebt es nicht, sich etwa zu sagen: Ich habe jetzt einen anthro­posophischen Aufsatz gelesen, ich habe einen anthroposophischen Vor­trag gehört, ja, klar ist mir die Sache noch nicht, aber ich werde war­ten, ich werde sehen, was da noch alles kommt. - Würde er warten, dann würde er sehen, daß immer weiter zu andern Dingen vorgeschrit­ten wird, und daß zuletzt dann bestimmt alles zutrifft, daß das eine der Beweis des andern wird. Und demjenigen, der da sagt: Wenn das eine der Beweis des andern ist, dann ist ja das Ganze im Weltenall doch ohne Grund und Boden, dann hält immer eins das andere -, demjeni­gen, der diese Einwendung macht, sagen Sie nur, er könne nicht an­nehmen die Beschreibung, die ihm die Astronomie von der Erde gibt. Da wird ihm auch gesagt, daß ein Stück der Erde die ganze trage und daß das Ganze ohne Grund und Boden dasteht. Derjenige, der andere

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Beweise als dieses Tragen des einen durch das andere will, er beachtet nicht, daß in dem Falle, wo man zu Totalitäten kommt, dies eben das Charakteristische ist, daß eins das andere trägt.

Das, was notwendig ist, um überhaupt so etwas, wie wir es heute entwickelt haben, vor unsere Seele hinzustellen, das ist, daß nicht nur geredet wird immer vom Geiste - man kann natürlich gut vom Geiste reden und eigentlich einen blauen Dunst meinen -, sondern daß man geistig vom Geiste redet, daß man tatsächlich vom Geiste erfaßt ist und das eine an das andere in der Welt so gliedert, daß das Schaffen des Geistes zum Vorschein kommt. Derjenige, der nur materiell denkt, der kann eben nicht unterscheiden Halluzination von Imagination und von Phantasiegebilden, wenn er sie nebeneinanderstellt. Derjenige aber, der den lebendigen Geist sieht in der Vermittlung der drei, der zieht die Fäden von dem einen zu dem andern hinüber, der ist in seiner Betrach­tungsweise mit lebendigem Seeleninhalte erfüllt, der redet, indem der Geist in seinen Worten lebt. Man soll nicht bloß von dem Geiste reden in der Wissenschaft, man soll den Geist reden lassen in der Geistes­wissenschaft. Bitte, denken Sie über diesen Satz nach, der in der Tat sehr wichtig ist, wenn das Wesen der Geisteswissenschaft verstanden werden soll: Man soll nicht bloß über den Geist oder von dem Geist reden, man soll in geistiger Weise den Geist reden lassen. - Gerade darin wird man frei, denn der Geist nimmt einen in freier Weise auf und man drückt durch den eigenen Geist das Wesen desselben aus. Über den Geist muß in geistiger Art gesprochen werden, das ist mit flüssigem Denken, nicht mit den verhärteten Gedanken, die einer materialistisch denkenden Wissenschaft entsprechen.

Wenn wir aber dieses nehmen, dann ist es, was gerade, ich möchte sagen, in den Kernpunkt dessen führt, was eigentlich innerste Aufgabe unserer Zeit ist, und was uns allein hinüberretten kann über den Ver­fall, der als ein so starker Impuls in unserer ganzen heutigen Zivilisa­tion drinnen ist. Wir können sagen: Fühlen wir uns heute ganz unbe­fangen mit echter, wirklicher Hingabe an das Erkennen in der Welt darinnen, dann werden wir wie durch eine sich über uns ausgießende Weltengnade dazu geführt, so zu denken, daß wir geistig über die Welt denken.

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Dies ist dasjenige, was im Grunde genommen als eine Eigenschaft der Weltenentwickelung erst eingetreten ist am Ende des 19. Jahr­hunderts. Derjenige, der unbefangen die Menschheitsentwickelung ver­folgt, der wird sehen, daß die Weltenentwickelung so war, daß sie vor dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine andere Aufgabe hatte, daß aber, man möchte sagen, die Tore des Geistigen sich geöffnet haben und daß wir heute vor der Aufgabe stehen, nachdem die materialistische Betrachtung der Natur die großen Triumphe gefeiert hat, die Welt wiederum geistig zu betrachten. Denn rhythmische Bewegung ist auch des Menschen Werden, durch das der Mensch als einzelner hindurch­geht im Rhythmus der wiederholten Erdenleben. Rhythmisch ist dieses Leben. In rhythmischer Wiederkehr geht der Mensch dasjenige durch, was sich einmal auslebt in solchem geistigen Menschheitsstreben, wie es zum Beispiel in der Mitte des 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt hatte, wo man nur den Sinn auf das Materielle hinrichtete und alles materiell erklären will, und unserer jetzigen Zeit, wo wir wiederum zurückkehren müssen zu einer geistigen Betrachtung, weil, wenn wir unbefangen unsere Seele erfüllen lassen von dem, was aus der Welt kommt, diese Seele eben angefüllt wird mit dem Drang zu einer gei­stigen Betrachtung der Welt.

Das ist im Grunde genommen das Geheimnis, möchte ich sagen, des heutigen Tages. Derjenige, der heute mit dem Geiste lebt, der muß sich sagen: Die Tore von der übersinnlichen Welt zur sinnlichen Welt sind eröffnet für das Erdendasein. So wie die Dinge der sinnlichen Außenwelt zu uns sprechen durch Farben und Töne, so spricht heute deutlich eine geistige Welt zu den Menschen. Aber die Menschen sind noch gewöhnt, die alte, bloß abbildliche materielle Welt zu sich spre­chen zu lassen, und sie haben daher den Kampf eröffnet in allen For­men gegen das Hereinströmen der geistigen Art der Betrachtung. Dieser Kampf tritt auf in der materialistisch wissenschaftlichen Betrachtungs­weise; dieser Kampf tritt auf in den furchtbaren materialistischen Kämpfen, die den Anfang des 20. Jahrhunderts erschüttert haben. Aber geradeso wie in einer älteren Zeit der Menschheitsentwickelung einmal die Menschen zu stark zum Geistigen aufgestrebt haben und daher in Illusionen und Schwärmereien verfallen sind, welche in ihrem

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Leibe haben aussprechen lassen wollen das Geistige, so gerät derjenige, der heute den Geist bekämpft, wie es im Grunde genommen noch die Mehrzahl der zivilisierten Menschen tun, in die Fangarme der Nacht, die dem Herabkommen des Geistigen in die physische Welt heute widerstrebt. Und wir haben daher heraufziehen sehen das, was unbe­dingt kommt in diejenigen Seelen, die dem Hereinströmen des Geistigen widerstreben: wir kommen zu dem, was das Auftreten der Lüge ist, was wir so furchtbar haben hereinströmen sehen während der Zeit des Weltkrieges. Es war allerdings schon vorher vorbereitet, und wir leben heute in einer Zeit, wo nicht nur die Welt widerstrebt der Erkenntnis, wo die Welt geradezu in einer furchtbaren Weise den Hang entwickelt, Unwahres zu sagen. Und Unwahres ist im Grunde genommen das meiste von dem, was heute gerade gegen Anthroposohie und gegen alles das, was mit Anthroposophie zusammenhängt, von den Gegnern her-aufgebracht wird. Welch tiefe Unwahrhaftigkeit tritt bei denjenigen auf, welche heute sich geradezu gerieren als die Träger der Wahrheit, welche sich nennen die Verkünder der Wahrheit!

Dafür ein Beispiel - ich muß immer naheliegende Beispiele an­führen, so leid es mir tut -: Es erscheint in Stuttgart ein Blatt, das heißt sich: Stuttgarter Evangelisches Sonntagsblatt. Dieses Stuttgarter Evangelische Sonntagsblatt brachte in Nr.19 auf Seite 149 einige Sätze, welche unter anderem das Folgende enthalten. Da hat jemand etwas vorgetragen, ein Stadtpfarrer a. D. Jehle, über die kirchenfeind­lichen Strömungen der Gegenwart. Da sei viel Wertvolles zum Ver­ständnis des Monismus und des Freidenkertums gesagt worden, und da legte jener Stadtpfarrer a. D. Jehle die tieferen Gründe des von A. Drews so erbittert geführten Kampfes gegen die Geschichtlichkeit Jesu klar, und er beleuchtet sodann die christliche Wissenschaft, die im schärfsten Gegensatz zur materialistischen Weltauffassung alles Ma­terielle für unwirklich erklärt, und weiter: «die Theosophie Steiners, der den Pfarrer Rittelmeyer zum Dank für seine Gefolgschaft zum wiedergekommenen Bernhard von Clairvaux erklärt».

Nun, meine lieben Freunde, ein Freund von uns hat sich bemüht, eine Richtigstellung dieser Sache zu erlangen. Die Sache ist auch an den Pfarrer Ritte/meyer herangekommen und der Pfarrer Rittelmeyer

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hat dann an diejenigen, die so etwas in die Welt setzen, den folgenden Brief geschrieben: «In Nr.19 des Stuttgarter Evangelischen Sonntagsblattes vom 8. Mai lese ich soeben einen Bericht über die Jahresversammlung der Evangelisch-Kirchlichen Vereinigung, auf der Herr Pfarrer Jehle in einem Vortrag über die kirchenfeindlichen Strömungen der Gegenwart behauptet hat, Herr Dr. Steiner habe . Dieser Satz widerspricht in allem völlig der Wahr­heit. Weder hat Herr Dr. Steiner mich je direkt oder andeutend zum wiedergekommenen Bernhard von Clairvaux oder zu etwas Ähnlichem erklärt - weder mir selbst gegenüber, noch, wie ich mit Bestimmtheit sagen kann, irgend einem andern gegenüber - noch habe ich selbst etwas Derartiges von mir gesagt oder gedacht. Ich bitte Sie, auf Grund der Pressegepflogenheiten dieser Richtigstellung nach ihrem vollen In­halt Raum zu geben. Gestatten Sie noch, daß ich meiner tiefen Trauer Ausdruck gebe über den Tiefstand der kirchlichen Polemik, die hier wieder einmal zum Ausdruck kommt. Jedes törichte Geschwätz ist willkommen, wenn es nur den vermeintlichen Gegner herabsetzt, und nicht einmal die unter anständigen Menschen sonst allgemein üblichen Gepflogenheiten der vorherigen Vergewisserung werden eingehalten. Ich erhoffe mir doch recht sehr von Ihnen eine Empfindung dafür, welche niedrige Gesinnung hier Herrn Dr. Steiner sowohl wie mir zu­getraut ist, und an welche tiefstehenden Instinkte sich eine solche Mit­teilung, nur auf Grund eines leicht als unwahr festzustellenden Klat­sches, im Hörer und im Leser wendet.»

Nun, sehen Sie, die letzten Worte hat das Stuttgarter Evangelische Sonntagsblatt überhaupt nicht abgedruckt, von der niedrigen Gesin­nung und so weiter, sondern nur die ersten Worte, und läßt dazusetzen:

«Zu dieser Erklärung» - die also unvollständig abgedruckt ist! -«können wir hier nur bemerken: Persönliche Mitteilungen des Redners (die dann auch dem Betroffenen zugegangen sind) sowie seine so vielen unserer Leser bekannte und bewährte Persönlichkeit schließen für jeden, der ihn kennt, auch den leisesten Zweifel aus, daß er die Äuße­rung nach bestem Wissen und Gewissen wiedergegeben hat.»

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Also man muß hören, daß derjenige, der zunächst apostrophiert wird, erstens sagt, daß die ganze Sache erlogen ist, zweitens sagt, daß die Sache von einer niedrigen Gesinnung ist. Dann zieht man sich in dieser Weise aus der Affäre und fügt noch hinzu: «Betreffs ihrer For­mulierung und Wiedergabe im Bericht unseres Blattes, die ohne Wissen und Willen des Redners und ohne die letzte Durchsicht des mittler­weile in Urlaub gereisten Schriftleiters erfolgt ist» - also der Redner hat das zwar gesagt, aber man entschuldigt die Wiedergabe damit, daß man ihm die Wiedergabe nicht gesagt hat, und man entschuldigt den­jenigen, der in übler Weise demjenigen, der dann die Wiedergabe ge­tadelt hat, gedient hat, entschuldigt diesen wieder damit, daß er im Bade ist - «bedauert der Berichterstatter und mit ihm der Redner wie der Schriftleiter, daß sie wider unsere Absicht von verschiedenen Le­sern» - also sie bedauern nicht, daß sie eine Lüge verbreitet haben, sondern das Folgende, sie bedauern - «daß sie wider unsere Absicht von verschiedenen Lesern, wie Herr Pfarrer Dr. Rittelmeyer uns mit­teilt, dahin mißverstanden werden konnte, als trauten wir ihm die Eitelkeit zu, an solcher Ernennung Freude zu haben, und als hätte Herr Dr. Steiner mit dieser Eitelkeit gerechnet.»

Also es wird nicht zugestanden, daß man eine Lüge verbreitet hat, sondern bedauert, daß die Leser so etwas verstanden haben, als ob man auf die Eitelkeit gerechnet hätte. Und nun geht es weiter: «So sehr wir aus sachlichen Gründen die Förderung der Sache Rudolf Steiners durch einen Vertreter der Kirche bedauern, so fern lag uns doch der Gedanke einer persönlichen Herabsetzung. Wir zweifeln auch nicht, daß Herr Pfarrer Rittelmeyer von dem Gedanken an eine solche Ernennung durch Rudolf Steiner peinlich überrascht worden ist.»

Da wird also der Schein hervorgerufen, als ob Herr Pfarrer Rittel-meyer peinlich überrascht worden wäre, als er hörte, daß ich ihn dazu ernannt habe, während er ausdrücklich meint, er sei peinlich über­rascht worden, daß eine solche Lüge von dem Evangelischen Sonntags-blatt verbreitet wird.

«Im übrigen kennen uns, glaube ich, unsere regelmäßigen Leser zu gut, um uns eine Absicht persönlicher Verunglimpfung oder gar fal­scher Nachrede zuzutrauen, sie wissen auch, daß wir mit besserer und

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schönerer Arbeit reichlich beschäftigt sind.» - Dies zu beurteilen, über­lasse ich den Lesern des Evangelischen Stuttgarter Sonntagsblattes.

Sehen Sie, so arbeiten heute diejenigen, die sich die Vertreter, die offiziellen Vertreter der Wahrheit nennen und welche zahlreiche Men­schen für verpflichtet halten zu dieser Vertretung der Wahrheit. Man braucht nur so etwas hinzustellen, um aufmerksam darauf zu machen, wo heute der Hang zur Unwahrheit ist. Aber es ist noch nicht in genug weite Kreise der Abscheu, der genügend große Abscheu verbreitet vor solcher Unmoral, vor solcher Wider-Religion, die sich christlicher Sonntags-Gottesdienst nennt.

Man braucht ja nur auf ein einzelnes solches Symptom, von denen man heute Hunderte vorführen könnte, hinzuweisen, um zu zeigen, wo überall heute - und das wird noch viel schlimmer werden, denn wir leben eben in unserer Zeit -, wo heute die Ausgangspunkte sind, die sich dann zusammenballen zu jenen pöbelhaften Auftritten, wie sie bei unseren letzten Eurythmievorstellungen in Frankfurt und Baden-Baden stattgefunden haben. Genau dieselbe Eurythmievorstellung, die man hier mit voller Anteilnahme am letzten Sonntag gesehen hat, dieselbe Eurythmievorstellung wurde in Frankfurt und Baden-Baden mit aller­lei Schlüsseln und ähnlichen Instrumenten ausgejohlt und ausgepfiffen, natürlich nicht aus sachlichem Urteil, sondern aus dem Zusammen­treffen von zwei Dingen. Erstens aus dem Kampf, der geführt wird aus Gründen, die Sie ja wohl wiederum heute und schon öfter von mir gehört haben, in weiter Ausdehnung geführt wird gegen die Geltend­machung des Hereinströmens des geistigen Lebens in unsere physische Welt und geltend gemacht wird heraus aus dem Hang zur Unwahr­haftigkeit. Man hat nicht viel Augen noch für sie, aber sie muß verfolgt werden bis in ihre äußersten Schlupfwinkel hinein. Und das andere, das ist die Unfähigkeit, die mit der Faulheit, mit der Unbequemlich­keit im Bunde ist. Wenn sich ein angesehenes Blatt von hier, ich habe es bereits hier erwähnt, dazu herbeiläßt, ein autoritatives Urteil für seine Leser prägen zu wollen, dann wendet es sich an eine der gegen­wärtigen Autoritäten, zum Beispiel den Professor Traub in Tübingen; und in einem dieser Artikel, ich habe es hier schon erwähnt, fand man ganz merkwürdige Worte. Da schreibt einfach dieser Universitätsprofessor

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hin, der das Recht heute noch hat, soviele junge Seelen, wie man sagt, für ihren Beruf vorzubereiten, da schreibt der hin: In der Weltanschau­ung Rudolf Steiners bewegen sich die geistigen Dinge, geistigen Wesen­heiten in der geistigen Welt wie Tische und Stühle in der physischen Welt! - Nun, hat jemand schon jemals bei nüchternem Kopfe Tische und Stühle sich bewegen sehen in der physischen Welt? Der Professor Traub in Tübingen, der hat den Stil, nunmehr zu schreiben, daß ich in meinen Schriften davon rede, daß sich in der geistigen Welt die Wesenheiten bewegen wie Tische und Stühle in der physischen Welt. Da er wahrscheinlich nicht zugibt, ein Spiritist zu sein, der Professor Traub, so will ich wenigstens nicht so unhöflich sein, ihm den andern Zustand zuzumuten, während er diesen Artikel geschrieben hat, in dein man gewöhnlich die Tische und Stühle bewegt sieht.

Aber das sind die Autoritäten, an die man sich wendet, wenn man ein Urteil verlangt über das, was als Geisteswissenschaft heute auftritt. Diese Dinge werden nur immer nicht mit genügender Schärfe hinge-stellt, und sie werden vor allen Dingen auch von vielen unserer Freunde nicht mit genügender Schärfe gedacht und empfunden. Und immer wiederum erleben wir es, daß das geschieht, daß wenn jemand irgend etwas gegen uns sagt und wir schildern ihn seinem ganzen Charakter nach, daß man nicht ihm das übel nimmt, daß er ein Lügner ist, son­dern man nimmt uns das übel, daß wir sagen, er ist ein Lügner. Das haben wir gerade in den letzten Wochen, man möchte sagen, von Tag zu Tag gerade hier und sonstwo erlebt.

Man darf schon von einer Unfähigkeit sprechen, wenn solches Zeug hingeschrieben wird, wie der Professor Traub in Tübingen hinschrieb, der außerdem in demselben Aufsatz geschrieben hat: Geheimwissenschaft kann keine Wissenschaft sein, einfach weil sich die Begriffe «geheim» und «Wissenschaft» ausschließen; was geheim ist, ist keine Wissen­schaft. - Nun frage ich Sie, wenn einer ein wissenschaftliches Buch schrieb und ein anderer die Schrulle hat, das hundert Jahre geheimzu­halten, ist das deshalb weniger wissenschaftlich, weil es geheimgehalten wurde? Wissenschaftlich ist es doch gewiß nicht dadurch, daß es ge­heim oder öffentlich gehalten wird, sondern durch seinen wissenschaft­lichen Charakter! Man muß wirklich von allen Geistern eines gesunden

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Denkens verlassen sein, wenn man einen solchen Satz nur hinschreiben kann.

Und ein anderes, hier darf es gesagt werden, wir sind unter uns, es muß eben von mir manches gesagt werden, weil es leider von anderer Seite zu wenig gesagt wird. Wir bemühen uns jetzt in der Begleitung der Eurythmie seit vielen Jahren einer Rezitations- und Deklamations­kunst, welche wiederum zu den alten guten Kunstprinzipien zurück­geht, wiederum erinnert an dasjenige, was in der Poesie eigentlich Kunst ist, der Rhythmus, der Takt, das Tonhafte, das Bildhafte, wäh­rend in unserer unkünstlerischen Zeit eigentlich die Dichtung nur mehr prosaisch rezitiert wird. Man rezitiert das Prosaische, das Wortwört­liche, man geht nicht zurück zu dem Untergrunde des Rhythmischen, des Taktmäßigen; und weil in Begleitung unserer Eurythmie das wie­derum gesucht wird, was zum Beispiel Goethe meinte, als er mit dem Taktstock wie ein Kapellmeister selbst seine Jambendramen einstu­dierte mit seinen Schauspielern, indem er auf das wirklich Künstlerische in der Poesie hinwies, weil wir von einem Unkünstlerschen wiederum zu einem Künstlerischen zurückgehen, deshalb erheben die Protektoren oder die Leute selbst, die heute, während sie vorgeben, Dichterisches zu rezitieren, allerlei Prosaisches quaken und blöken, die erheben sich quakend und blökend aus ihrer Unfähigkeit heraus und pöbeln an diejenigen, die sich widmen dem Rezitieren, das wiederum die wirk­liche Kunst dieses Rezitierens zur Geltung bringen will.

Ich bedaure, daß ich das selbst sagen muß, aber was nützt es; wenn die Dinge nicht formuliert werden von andern, so müssen sie eben schon von mir formuliert werden. Und ich kann nicht anders, als ge­rade in diesem Kampf sehen eine andere Form des Kampfes der Un­fähigkeit, wie sie zum Beispiel bei Traub bis in die Gedankenlosigkeit hinein nachgewiesen werden kann, ein Kampf der Unfähigkeit der Blö­ker gegen das, was versucht, eine wirkliche Rezitation zu sein. Man kann begreifen, daß das, was aus der Unfähigkeit heraus wirkt, selbst blökt oder seine Protektoren blöken läßt, aber wir haben die Ver­pflichtung, das Geistesgut zu schützen, und wir müssen, wenn es uns auch übelgenommen wird, mit starken Worten auf das hinweisen, was der Grundschaden unserer Zeit ist.

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Ich habe Ihnen heute gesprochen von einem der Geisteswissenschaft entsprechenden Thema und ich mußte - nun, es war schon in der Zeit, wo unsere Stunde vorüber war, es war also eine Zugabe - wiederum auslaufen lassen meine Betrachtungen in etwas, was aber zeitgeschicht­lich gar sehr mit dem rein geisteswissenschaftlichen Hauptthema zu­sammenhängt. Ich bedaure es, daß ich meine Betrachtungen in solche Auseinandersetzungen auslaufen lassen muß, allein wir leben nicht in einem Wolkenkuckucksheim, wir leben in der Welt drinnen, und wenn wir den nötigen Enthusiasmus haben, wenn wir fühlen die heilige Ver­pflichtung, heute einzutreten für die Sache der anthroposophischen Erkenntnis und ihres Auswirkens, dann müssen wir mit klaren Augen sehen, wo die Gegnerschaft liegt, und dann müssen wir in uns, indem wir uns über diese Dinge verständigen, den starken Willen entwickeln, dieser Gegnerschaft heimzuleuchten. Denn einzig und allein dadurch werden wir uns verbinden demjenigen, was gegenüber dem Nieder­gang wiederum zu einem Aufgang führt, was die Impulse sind, die gegenüber dem Kampf gegen Geist und Seele die Geltendmachung des Geistes und der Seele im irdischen Leben bewirken wollen. Damit wir in richtigem Sinne miteinander zusammen empfinden können in der starken Geltendmachung der Kraft, die Geist und Seele zur Geltung bringen will, zur Geltung bringen kann, darum müssen wir uns ver­ständigen über all das, was wider Geist und wider Seele ist.

Nicht wollte ich über die Gegner klagen oder schimpfen, zu Ihnen aber wollte ich sprechen, um das anklingen zu lassen, was notwendig ist, damit unsere Seelen zusammenklingen in der Arbeit für Geist und Seele. Davon dann weiter, wenn wir uns wiederum sehen.

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ZWEITER VORTRAG Bern, 28. Juni 1921

Es soll heute hier von etwas ausgegangen werden in der Betrachtung, das zum Teil schon angedeutet worden ist, als ich das letzte Mal von dieser Stelle aus zu Ihnen sprechen konnte. Was heute immer wiederum vor dem Menschen auftauchen muß als eine Art von Zeitenrätsel, das zu gleicher Zeit aber ein tiefes Menschheitsrätsel ist, das ist die Frage: Wie hängen denn zusammen die Erscheinungen der Natur, denen wir ja als physische Menschen unterworfen sind, und die Erscheinungen der moralischen, der ethischen, der sittlichen Welt, zu der wir uns doch in irgendeiner Weise bekennen müssen, weil wir uns sonst nicht unsere eigene Menschenwürde zuerkennen können? - Es mag jemand noch so materialistisch gesinnt sein in bezug auf Erkenntnis, aber wenn er nur einigermaßen ein Bewußtsein hat von seiner Menschenwürde, so wird er den Unterschied zwischen Gut und Böse, Sittlich und Un­sittlich gelten lassen, und er wird von der sittlichen Welt vielleicht, wenn er materialistisch gesinnt ist, widerwillig, aber doch in irgend­einer Weise wenigstens fragend, wenigstens zweifelnd zu dem aufblicken, was eine geistige Welt ist, eine geistige Weltenordnung, welche die natürliche Welt durchzieht, der wir durch unseren phy­sisch-sinnlichen Leib angehören. Aber wenn man das, was aus der heutigen Zeitenbildung herauskommen kann, um uns gewissermaßen über das Wesen der Welt aufzuklären, ins Auge faßt, so ergibt sich unbedingt heute ein tiefer Zwiespalt für das menschliche Denken, für das menschliche Empfinden, für alle menschlichen Impulse, ein Zwie­spalt, der so ohne weiteres nicht auszugleichen ist, aus dem sich der Mensch heute nicht leicht herausfinden kann. Auf der einen Seite steht das, wovon ihm die Naturwissenschaft berichtet, die heute so un­geheure Erfolge hat, jene Naturwissenschaft, welche von der Betrach­tung der äußeren sinnlichen Welt aufsteigt zu berechtigten oder unbe­rechtigten hypothetischen Anschauungen sogar über den Weltenan­fang und das Weltenende, und auf der andern Seite steht da die Forde­rung der sittlichen, der moralischen Welt. Aber wie soll der Zwiespalt

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zwischen beiden ausgeglichen werden, wenn man aus ganz notwendig naturwissenschaftlichen Betrachtungen heraus erfährt: Einstmals war eine Art von Weltennebel; aus diesem Weltennebel heraus hat sich der Kosmos, hat sich unsere Erde geformt, zunächst so, daß sie nur eine Art von mineralischem Gewoge darstellte. Dann allmählich hat sich herausgebildet das Pflanzliche, das Tierische. Zuletzt ist der Mensch aufgetreten. Und wenn man dann dieselbe Denkweise, dieselbe Art von Gesetzmäßigkeit, die man ins Auge gefaßt hat, weiter ausdehnt auf das Erdenwerden, so kommt man darauf, wie dereinst diese Erde wiederum in eine Art mineralisches Gewoge zurückkehren wird, wie der Schau­platz, auf dem wir herumgehen, nicht mehr lebendigeWesen wird tragen können, wie, mit einem andern Worte, dieser Schauplatz ein großer Kirchhof sein wird, der alles begraben hält, was an Lebendigem, an Durchseeltem und Durchgeistigtem einmal vorhanden war. Da stehen wir also zwischen der mineralisierten Welt und wiederum der minerali­sierten Welt mitten darinnen, sind herausgebildet aus dieser minerali­sierten Welt mit allen unseren Organen, die eigentlich nur Gebilde dar­stellen, in denen sich die Stoffe, die die äußere Welt konstituieren, komplizierter ineinanderweben, als das in der Außenwelt der Fall ist.

Aus dem, was da als Mensch entstanden ist innerhalb dieser natur­wissenschaftlich hypothetischen Welt, tritt nun die Forderung auf, sittlich zu sein, gut zu sein, treten Ideen, Ideale auf im Menschen, und die Frage muß entstehen: Was wird aus diesen Forderungen der sitt­lichen Welt, was wird aus den Idealen, aus den Ideen, wenn einstmals alles das, was wir naturwissenschaftlich begreifen, einschließlich des Menschen, dem großen Endfriedhof verfallen sein wird?

Gewiß, man kann ja sagen, das ist die Ausdehnung naturwissen­schaftlicher Denkweise bis zum Hypothetischen, und man braucht eigentlich so weit nicht zu gehen. Aber dann müßte man ja wenigstens die Frage aufwerfen: Wohin soll man sich also wenden? Wo kann man irgendeinen Aufschluß über die Stellung des Menschen im Weltenall gewinnen, insofern er ein sittliches Wesen ist, ein Wesen, das in sich Ideen und Ideale trägt? - Diese Frage müßte man aufwerfen, wenn man der Naturwissenschaft nicht zugesteht, Hypothesen zu bilden über Erdenende und Erdenanfang.

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Aber aus alldem, was die gegenwärtig anerkannte menschliche Wis­senschaft, die im Grunde genommen ganz aus der Naturwissenschaft heraus sich gebildet hat, dem Menschen darbietet, kann eben einfach nicht Aufschluß gegeben werden über die Stellung des Menschen inner­halb des Weltenalls. Ich möchte das, was da als ein Zwiespalt herein-tritt in alles menschliche Fühlen in der Gegenwart und was im Grunde genommen innig zusammenhängt mit all den Niedergangskräften, die sich so furchtbar geltend machen in unserer Zeit, erläutern, indem ich einen solchen Menschen der Gegenwart hinstelle, der so recht alles das aufgenommen hat, was man als Aufklärung, als Bildung, als wissen­schaftliche Erkenntnis in unserer Zeit gelten läßt, was da anerkannt ist, einen Menschen also, der sich so recht gescheit fühlt in der Gegen­wart. Ich will ihn auf die eine Seite stellen, und auf die andere Seite will ich einen Menschen der griechischen Kulturgemeinschaft stellen, einen Menschen, der in der vorsokratischen Zeit gelebt hat, etwa noch in der Zeit, aus der so weniges erhalten ist, wie einzelne Aussprüche der großen Philosophen Heraklit, Anaxagoras und so weiter. Einen solchen gebildeten Griechen möchte ich hinstellen neben den ganz ge­scheiten Menschen der Gegenwart. Und zwar nicht etwa einen Grie­chen in seiner gegenwärtigen Wiederverkörperung, da würde er ja wahrscheinlich auch, wenn er in einem Menschenleib drinnen wäre, ein ganz gescheiter Mensch der Gegenwart sein, sondern ich möchte ihn hier hereinstellen, wie er als Grieche war. Also in seiner Verkörperung als Grieche möchte ich ihn gegenüberstellen einem ganz gescheiten Menschen der Gegenwart.

Ein solcher Mensch der Griechenzeit würde sagen: Ja, ihr neueren Menschen, ihr wißt ja überhaupt nichts mehr vom Menschen, weil ihr auch von der Welt im Grunde genommen nichts Wirkliches wißt. -Wieso? - würde der gescheite Mensch der Gegenwart sagen. Er würde sagen: Wir haben kennengelernt etliche siebzig Elemente, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel und so weiter. Wir sind allerdings jetzt auf dem Punkte, wo es scheint, daß alle diese Elemente wiederum auf eines zurückgeführt werden können; aber so weit sind wir halt noch nicht, daß wir sie auf eines zurückführen. Wir erkennen an diese zweiundsiebzig Elemente, die sich vermischen und entmischen, verbinden

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und entbinden, und die eigentlich alles miteinander ausmachen, was da in der physisch-sinnlichen Welt vorgeht. Was man auch sieht, es beruht auf der Verbindung und Entbindung dieser Elemente.

Da würde der Grieche sagen: Das ist ja recht schön, daß ihr jetzt so viele Elemente habt, etliche siebzig; aber mit all diesen Elementen lernt ihr den Menschen ganz gewiß nicht kennen. Davon kann gar keine Rede sein, denn der Anfang der Menschenerkenntnis - würde der alte Grieche sagen -, der muß damit gemacht werden, daß man nicht von zweiundsiebzig oder sechsundsiebzig Elementen, von Wasser­stoff, Sauerstoff, Stickstoff und so weiter spricht, sondern der Anfang der Menschenerkenntnis muß damit gemacht werden, daß man sagt: Alles, was uns äußerlich sinnlich umgibt, besteht aus Erde, Wasser, Luft und Feuer.

Nun würde der gescheite Mensch der Gegenwart sagen: Ja, das war einmal, das war in der kindlichen Zeit, als man noch nicht so viel ge­wußt hat wie wir heute. Da hat man gesagt: Erde, Wasser, Luft und Feuer, aber über diese Kindereien sind wir hinaus. Da hat man vier Elemente angenommen; jetzt wissen wir, daß es sechsundsiebzig Ele­mente gibt. Das war eine ganz kindliche Anschauungsweise. Wir wissen, daß das Wasser kein Element ist. Wir wissen, daß die Luft auch nicht als Element angesprochen werden darf. Wir wissen, daß die Wärme, das Feuer überhaupt kein Stoff ist. Wir sind ungeheuer gescheit. Ihr wart eben noch auf einer kindlichen Stufe der Weltanschauung.

Nun könnte vielleicht der Grieche erwidern: Ich habe mich schon etwas befaßt mit eueren etlichen siebzig Elementen, und so, wie ihr sie betrachtet - und auf die Art der Betrachtung kommt es an -, ge­hören diese etlichen siebzig Elemente für unser Vorstellungsleben zu der Erde, gar nicht zum Wasser, gar nicht zur Luft, gar nicht zum Feuer, sondern zu der Erde. Es ist ja schön von euch, daß ihr diese Erde differenziert und spezifiziert und sie auch in großer Mannig­faltigkeit in zweiundsiebzig oder sechsundsiebzig Elemente gespalten denken könnt, das ist alles schön; wir waren noch nicht so weit, diese interessanten Einzelheiten kennenzulernen, aber wir haben das alles zusammengefaßt unter dem Ausdrucke «Erde». Aber was wir unter Wasser, unter Luft und unter Feuer verstanden, davon versteht ihr

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gar nichts, und weil ihr davon nichts versteht, könnt ihr auch keine Menschenerkenntnis haben. Denn seht ihr - so würde der Grieche die­ser Zeit sagen -, vom Menschen gibt es zweierlei, erstens den Menschen, der zunächst zwischen Geburt und Tod, zuerst als Kind, dann als er­wachsener Mensch herumwandelt, und dann den Menschen, der einige Tage als Leichnam daliegt und dann im Grabe ist. Wir reden nur vom physischen Menschen - würde der Grieche sagen -, und da gibt es eben diese zweifache Gestalt: den Menschen, der von der Geburt bis zum Tode herumwandelt, und dann den Menschen, den man ein paar Tage als Leichnam sieht und der nachher im Grabe liegt. Und das, was ihr kennenlernt aus euren zweiundsiebzig oder sechsundsiebzig Elementen, die sich verbinden und entbinden, das bezieht sich nur auf den Men­schen, der im Grabe liegt, auf den menschlichen Leichnam. So wie sich die Dinge verhalten im Menschen als menschlicher Leichnam, das kann man erkennen mit eurer Chemie und Physik; aber gar nichts kann man erkennen damit von dem Menschen, der zwischen Geburt und Tod lebendig herumwandelt. Ihr habt eine Wissenschaft, die sich nur auf das Beobachten des Menschen, nachdem er gestorben ist, bezieht. Ihr versteht gar nichts vom Menschen, der lebt. Ihr habt glücklich eure Wissenschaft dazugebracht, daß sie eine Wissenschaft vom toten Men­schen ist, gar nicht vom lebenden Menschen. Denn wollt ihr dieWissen­schaft von dem lebenden Menschen haben, dann müßt ihr zunächst betrachten das umfassende, das universelle Weben und Leben desjeni­gen, was wir «Wasser» nennen. Wir nennen auch nicht das grobe, flüssige Element, das im Bache rinnt, Wasser, sondern wir nennen alles das Wasser, wo Kaltes und Feuchtes in der Welt ineinanderspielt; das nennen wir Wasser - so würde der Grieche sagen. Und indem wir uns eine lebendige Vorstellung machen wollen von dem, was da ineinander-spielt von Feuchte und Kälte in allen Formen, dann bekommen wir zunächst die Notwendigkeit, jetzt nicht mehr mit bloßen Begriffen, mit bloßen Ideen, mit bloßen Abstraktionen vorzustellen, sondern in Bildern. Und der Grieche wird nun sagen: Wenn man wahrnehmen kann Feuchtigkeit mit irgendeiner Empfindung von Kälte, wenn das in anderes Feuchtes übergeht, gestaltet durch das feuchte Element oder sich offenbarend in einer andern Empfindung von Kälte, dann bekommt

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man webende, lebende Bilder in Feuchtigkeit und Kälte. Und man steigt auf zum Begreifen des Pflanzlichen und man fängt an, das Ineinanderweben des Feuchten und Kalten so zu verstehen, daß, nun nicht in dem grob materiellen Wasser, sondern in diesem Weben von Kälte und Feuchte die Pflanzenwelt im Frühling ersteht in Bil­dern, wie sie sich dem Boden entreißt, wie sie durch das Feuchte in sich sich dem Kalten entreißt, denn die Erde ist trocken und kalt. Und in dem Bilden der Pflanzenwelt durch Frühling, Sommer und Herbst hindurch sieht man ein anderes von diesem Weben des wässerigen Ele­mentes, und in eins wachst uns die gewaltige Imagination dieses äuße­ren Webens und Lebens des Wässerigen. Aber da ist die ganze Pflan­zenwelt mit ihren Gestaltungen drinnen.

Und so sagt der Grieche: Nicht auf ein Sinnliches kommt es uns an, sondern auf das, was man als Übersinnliches hat; webendes Kaltes und Feuchtes, auf das kommt es uns an. Und wir gewahren das Weben und Leben der Pflanzenwelt in diesem flüssigen, wässerigen Elemente darinnen. Lernen wir das kennen, aber jetzt nicht durch abstrakte Be­griffe, sondern durch diese Bilder, die uns selber zu innerer Regsam­keit stimmen, dann brauchen wir nur einen Blick in uns zurückzuwer­fen und wir gewahren in dem, was wir draußen verfolgen können im Frühling, Sommer, Herbst und Winter, in der aufsprießenden Pflan­zenwelt, in dem Überwundenwerden der Kälte durch Wärme, in alle­dem, was sich da abspielt gegen den Herbst hin und wiederum gegen den Winter zu, in alldem gewahren wir eben etwas, das wir dann als Miniaturbild uns vorstellen können. Wenn der Mensch einschläft, ge­schieht in ihm etwas, das ganz ähnlich ist dem Frühling, und indem der Mensch weiterschläft, geschieht etwas Ähnliches in ihm, wie das sprießende, sprossende Sommerleben ist. Und indem der Mensch dann wieder wach wird, geht es dem Winterleben zu. Man sieht ein Minia­turbild des äußeren Lebens, insofern dieses äußere Leben das Vegeta­tive hervorbringt, in dem, was der menschliche Ätherleib ist. Der Grieche würde gesagt haben: In euren zweiundsiebzig oder sechsund­siebzig Elementen lernt ihr eben nur den menschlichen Leichnam ken­nen. Aber dieser menschliche Leichnam ist durchzogen von etwas, das man nur in Bildern kennenlernen kann, aber in solchen Bildern, die

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einem entstehen, wenn man das Vegetative also durchsetzt denkt von dem wäßrigen Element. Da lernt man erkennen, was von der Geburt bis zum Tode als der ätherische Leib das regsam macht, was ihr durch eure etlichen siebzig Elemente kennenlernt als das Element des Todes. Und indem ihr nicht aufsteigt zu dem wäßrigen Elemente, lernt ihr auch niemals den Menschen als ein Lebendiges kennen.

Aber nun beginnt noch etwas anderes. Das ist eben Erde, was im Menschen das Tote darstellt. In dem Augenblick, wo der Mensch stirbt, wird sein Leichnam von der Erde übernommen, da wird er über­nommen von den etlichen siebzig Elementen; da dehnt sich über ihn die Gesetzmäßigkeit aus, die irdische Gesetzmäßigkeit, die Gesetz­mäßigkeit des Erdenelementes. Wo ist die Gesetzmäßigkeit desjenigen Elementes, das das Wässerige ist? Diese Gesetzmäßigkeit ist eben nicht auf der Erde, diese Gesetzmäßigkeit ist draußen im Kosmos. Und willst du suchen - so würde der Grieche sagen -, wer da hervorbringt dieses Wogen des Kalten und Feuchten durch Frühling, Sommer, Herbst und Winter, so mußt du hinaufschauen in das kosmische Element, zunächst zu den Planeten, dann zu den Fixsternen, hinaufschauen in die Weiten des Kosmos. Dein irdisches Element, das hat nur Geltung in bezug auf den Menschen, wenn er im Grabe liegt; der Mensch, der hier auf der Erde herumwandelt, steht in jedem einzelnen Momente, insofern er seinen Ätherleib in sich trägt, unter den Gesetzen des Kosmos. Es sind die Gesetze, die hereinwirken aus dem Weben der Planeten oder aus den Kräften der Fixsterne. - Und so wesentlich war für den Griechen in derjenigen Zeit noch, die ich angedeutet habe, das wäßrige Element, daß er gesagt hätte: Jn dem, was das wäßrige Element ist, das die Erde umgibt, umnebelt, oder wiederum in Gewittern sich entlädt, insofern dieses wässerige Element wirkt, wirkt der Kosmos in die Erde herein mit seinen Kräften. Was da vorgeht in dem wäßrigen Elemente, das hat man nicht im Elemente der Erde oder unten im Irdischen überhaupt zu suchen, sondern man hat es zu suchen im Kosmos, und der Mensch steigt da schon hinauf in das kosmische Element, indem er einfach regsam in sich hat seinen Ätherleib, das, was die Elemente entreißt dem Schicksal, nun, sagen wir der Chemie zwischen Geburt und Tod.

Aber damit hat man eigentlich noch lange nicht den Menschen in

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Wahrheit erfaßt. Man hat da erst erfaßt, was ihn als Lebekräfte durch­zieht, was ihn wachsen macht, was bewirkt, daß er verdauen kann, was ihn begleitet als Lebekräfte zwischen Geburt und Tod. Aber ein drittes - und der Grieche der Zeit, von der ich gesprochen habe, würde auch darauf noch hinweisen -, ein drittes macht sich ja im Menschen geltend, das gewiß schon tätig ist die ganze Zeit zwischen der Geburt und dem Tode, aber doch eigentlich in einer ganz besonderen, eigen­tümlichen Weise sich geltend zeigt, nicht so, wie die gewöhnlichen Lebenskräfte. Das sind die Kräfte, die in unserem rhythmischen System liegen, in unserem Atmungssystem, in unserem Blutzirkulationssystem und so weiter, alles das, was in uns Rhythmus, rhythmische Tätigkeit ist.

Sie werden einen gewissen Zusammenhang ahnen können zwischen Ihrem nun nicht bloßen Leben, sondern seelischen Wesen, und dem Atmen, wenn Sie folgendes, was ja jeder Mensch kennt, sich vor die Seele rücken. Sie werden schon manchmal aufgewacht sein mit einer besonderen Angst. Sie tauchen mit dem Bewußtsein auf aus einer Angst­lichkeit und Sie merken: Es ist irgend etwas mit Ihrem Atmen nicht richtig. Gewiß, der Zusammenhang zwischen dem Atmen und dem Seelenleben ist ein geheimnisvoller; aber wahrgenommen wenigstens kann er werden, wenn der Mensch mit Alpdrücken aufwacht, und wenn er merkt, in welcher Unregelmäßigkeit des Atmens er drinnen ist. Es ist schon ein Zusammenhang zwischen dem seelischen Leben, zwischen all den in uns wogenden Empfindungen und Gefühlen, den Angst- und Furchtgefühlen, den Freude-, den Lustgefühlen und dem Atmungsrhythmus und dem Zirkulationsrhythmus. Dieses rhythmische System ist noch etwas anderes als das bloße Lebenssystem. Dieses rhyth­mische System hat mit unserem seelischen Wesen zu tun, es hat stark mit unserem Seelenleben und Seelenwesen zu tun. Die Luft ist es ja, die man atmet, die eigentlich anregt das ganze rhythmische System, und in alten Zeiten hat man noch gesprochen von dem Elemente der Luft und seinem Verhältnis zum Menschen, zum Beispiel in der Zeit, wo in den Mysterienschulen jene Rhythmen studiert wurden, die die menschliche innere Tätigkeit regeln, jene Rhythmen, aus denen aber zu gleicher Zeit hervorgeholt worden ist das Versmaß des Homer, der

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Hexameter. Sie haben, wenn Sie das Durchschnittsnormalmaß des At­mungsrhythmus und des Zirkulationsrhythmus nehmen, das Folgende: Sie haben ungefähr in der Minute achtzehn Atemzüge und viermal so viel Pulsschläge. Blutrhythmus zum Atmungsrhythmus verhält sich wie vier zu eins. Nehmen Sie den Hexameter: lang, kurz, kurz - lang, kurz, kurz - lang, kurz, kurz: drei Versfüße und die Zäsur ist das vierte. Die vier Pulsschläge, die auf die Hälfte des Atemzuges gehen; nach der Zäsur: Daktylus, Daktylus, Daktylus, wiederum die Zäsur. Die innere Gestaltung des Homerverses und überhaupt die innere Ge­staltung der alten Verse, sie ist hergenommen von dem menschlichen rhythmischen System. In der eigentümlichen Gestaltung des Home­rischen Verses finden wir den Ausdruck des Verhältnisses von Blut­zirkulation zu Atmungsrhythmus. Man fühlte, indem man ernst nahm das Luftelement, das sich mit dem Menschen vereinigt und wiederum sich vom Menschen trennt, daß man mit dem Luftelement etwas in sich aufsaugt, was mit den regulären Erlebnissen der menschlichen Seele zu tun hat. Und indem der Grieche angefangen hat, von dem Luft-elemente zu sprechen, hat er angefangen, von den schönsten und auch von den gewöhnlichen Seiten des menschlichen Seelenlebens zu spre­chen, und er hat sich erinnert, daß der Mensch im Laufe eines vierund­zwanzigstündigen Tages 25 920 Pulsschläge zählt, und daß die Sonne einmal herumgeht mit ihrem Frühlingspunkt in 25920 Jahren um das ganze Himmelsgewölbe. Und er hat den Weltenrhythmus in Einklang gebracht mit dem Tagesrhythmus des Menschen. Er hat hingewiesen auf den Zusammenhang zwischen Weltenseele und Menschenseele, und er hat gesagt: Mit dem Leben, das zwischen Geburt und Tod verfließt, das uns in seinem vierundzwanzigstündigen Verlauf jeweils ein Minia­turbild darstellt von Frühling, Sommer, Herbst und Winter, von dieser wäßrigen Gesetzmäßigkeit, die sich ausbreitet für das Kalte und Feuchte im Weltenraum, die beherrscht wird vom Kosmischen, in die­sem Verhältnis zwischen dem menschlichen Ätherischen und dem Kos­mischen, das sich in den Jahreszeiten, das sich in dem Witterungswechsel ausdrückt, das geregelt wird durch die Bewegungen der Planeten, in diesem Verhältnis haben wir das, was sich im menschlichen Ätherleib ausdrückt. Kommen wir zum rhythmischen System, so müssen wir uns

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zum Luftelemente wenden. Wir müssen uns wenden an das, was in alten Zeiten, in denen man es noch besser verstanden hat, Veranlassung gegeben hat zur Bildung jenes Seelischen, das im Versbau zutage ge­treten ist, weil man ahnte den Zusammenhang zwischen Menschenseele und Weltenseele. Man kommt noch in das Räumliche, wenn man das Leben betrachtet. Man muß allerdings aufsteigen in das Kosmisch­Räumliche. Aber man kommt aus dem Raume heraus und nimmt das wahr, was hereingeschickt wird aus der Zeit als der Rhythmus in den Raum, wenn wir uns zum rhythmischen System wenden.

Sie sehen, in dem rhythmischen Elemente, das das Luftelement ist, nahm der Grieche noch etwas wahr von dem, wovon er sagte: Men­schenseele wurzelt in Weltenseele, und die Weltenseele selber ist es, die in ihrem Rhythmus lebt und die die Miniaturbilder ihres Rhythmus' hereinschickt in das menschliche Leben. Draußen bewirkt die Welten-seele, daß der Frühlingsaufgangspunkt jedes Jahr um ein Stückchen vorrückt, in 25920 Jahren rückt er herum um den ganzen Sonnenlauf, und in 25920 Pulsschlägen hat der Mensch im Tage ein Miniaturbild in seinem Rhythmus von einem ungeheuer langen Weltenrhythmus. Der Mensch stellt in vierundzwanzig Stunden in sich einen Rhythmus dar, der ein Abbild ist eines 25 920 Jahre lang dauernden Weltenjahres. So wurzelt der Mensch in der Weltenseele, indem er mit seiner Seele in der Weltenseele drinnen ist, drinnen lebt.

Erhebt man sich dann herauf zum Elemente des Feuers, dann hat man nicht bloß das Seelische, sondern das Geistige, das uns mit dem Ich durchdringt, dann hat man auch das, was mit dem Elemente des Blutes seinen physischen Ausdruck gewinnt. Wie man das Verhältnis der Menschenseele zur Weltenseele durch das Luftelement wahrnimmt, so durch das Wärme- oder Feuerelement das Verhältnis des Menschen-geistes, des Menschen-Ich zu dem Weltengeiste. Hinaufgeführt in gei­stige Regionen wurde der Mensch in früheren Zeiten, indem er hörte von jenen Elementen, von denen der heutige ganz gescheite Mensch meint, sie seien einer kindlichen Vorstellungsweise entsprungen. Im Gegenteil, wir müssen wiederum den Rückweg finden zu dieser Vor­stellungsweise; nur müssen wir sie voll bewußt erreichen, nicht instink­tiv, wie es in der damaligen Zeit war.

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Dringen wir aber zunächst ins wäßrige Element hinein, so erleben wir die Welt selber als ein großes Lebendiges, denn wir werden gleich in den Kosmos mit seinen Quellen des Lebendigen hinausgeführt. Wir erleben die Welt als ein Lebendiges. Indem wir in das rhythmische Element hineinkommen, erleben wir die Welt als ein Durchseeltes, und dringen wir dann in das Wärmeelement hinein, so erleben wir die Welt als ein Durchgeistigtes.

Aber man kann das wäßrige Element nicht kennenlernen durch unsere abstrakten Begriffe, durch alle die Begriffe, die Sie heute be­kommen können, wenn Sie durch die Volksschule, durch die Real­schule, durch Gymnasium, Universitäten durchgehen; mit allen diesen Begriffen erlangen Sie nichts, womit Sie das wäßrige Element begreifen könnten. Das muß mit Imagination erfaßt werden, das enthüllt sich nur in Bildern. Dann muß auch in einer gewissen Beziehung die ge­wöhnliche abstrakte Denkweise in eine konkrete Denkweise umgewan­delt werden, in künstlerisches Auffassen der Welt. Da wird nun so­gleich der heutige Philosoph kommen und sagen: Das gibt es nicht, in Bildern die Welt erfassen; künstlerisch die Welt erfassen, das gibt es nicht. Ich konstruiere eine Erkenntnistheorie; die Naturgesetze müs­sen mit Logik umspannt werden. Man muß alles das, was man von der Welt begreifen will, in abstrakte Begriffe, in abstrakte Gesetze bringen können. - Das mag der Mensch halt fordern und er mag solche Er­kenntnistheorien begründen, aber wenn die Natur künstlerisch schafft, dann läßt sie sich eben nicht mit solchen Erkenntnistheorien einfangen; dann muß sie eben in Bildern begriffen werden. Nicht wir können der Natur vorschreiben, wodurch sie sich begreifen lassen soll, sondern wir müssen es ihr ablauschen, wodurch sie sich begreifen lassen will. Und sie läßt sich nun schon einmal in ihrem wäßrigen Elemente der Pflanzenwelt nur durch Imagination begreifen, und sie läßt sich in ihrem rhythmischen Leben bis hinaus in die Weltenweitenrhythmen nur begreifen durch die Inspiration, durch das Verfolgen des rhyth­mischen Lebens, durch das Sich-Hineinleben in das Atmungsleben.

Wenn Sie Alpdrücken haben, dann drückt Sie der Rhythmus der Welt, der so vehement über Sie kommt, daß Sie ihn nicht aushalten können. Wenn Sie aber, nachdem Sie gewisse Übungen durchgemacht

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haben, nun selber hineinkriechen können in dieses Luftelement, selber sich bewegen können mit dem Rhythmus, dann geraten Sie in die Welt der Inspiration hinein, dann sind Sie außerhalb Ihres Leibes, so wie die Luft selber, die einzieht, außerhalb Ihres Leibes ist. Dann bewegen Sie sich mit der Luft in den Leib hinein, heraus. Dann gehen Sie über zum Begriff dessen, was der Mensch in Wahrheit ist, nicht dessen, was nach seinem Tode im Grabe liegt und was die heutige Wissenschaft begreifen kann.

Aber man muß sich zugleich aufschwingen von abstrakten Begrif­fen, von bloß logischen Bildern zu Imaginationen, zu Inspirationen und dann zu Intuitionen. Heute aber wird das abstrakte Leben ganz beson­ders weit gebracht. Es ist geistvoll. Man kann sich ja so schön das Fol­gende ausdenken. Ich habe es vielleicht auch hier schon einmal ange­führt, aber es ist wichtig, auf solche Dinge immer wieder hinzuweisen.

Man fährt mit einer annehmbaren Geschwindigkeit an zwei Orten vorüber. An dem einen Ort wird ein Kanone losgelassen, in einem andern Orte, den man später passierte, wird in einem etwas späteren Zeitpunkte auch eine Kanone losgelassen. Dann hört man den Kano­nenknall von dem Orte, wo später losgeschossen wird, natürlich erst, nachdem man den Knall von dem ersten Orte gehört hat. Nun kann man sich recht gut das Folgende ausdenken: Wenn man sich immer schneller und schneller bewegt, dann kommt man endlich dazu, daß man sich mit der Geschwindigkeit des Schalles bewegt. Wenn man sich so schnell bewegt, wie der Schall sich bewegt, dann wird man, wenn man am zweiten Orte vorbeikommt, die zwei Knalle zu gleicher Zeit wahrnehmen können. Und bewegt man sich dann noch schneller als der Schall, so wird man den späteren Knall zuerst wahrnehmen und den früheren später, weil man ihm davongeflogen ist, indem man sich schneller bewegt als der Schall.

Solche Spekulationen macht man heute viele. Man denkt sich: Wie höre ich zwei Kanonen, die losgelassen werden, wenn ich mich schneller bewege als der Schall? Ich fliege dem Schall davon; dann, nicht wahr, muß ich auch das später Abgeschossene früher hören als das, was früher losgelassen ist und dem ich ja davongelaufen bin! - Sehen Sie, da haben Sie die Möglichkeit, etwas ganz Logisches zu bilden, aber

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wirklichkeitsgemäß ist es nicht. Denn wenn Sie sich so schnell bewegen würden wie der Schall, würden Sie selbst Schall sein und Sie würden selbst tönen, Sie würden ins Tönen übergehen, Sie würden zusammen-fließen mit dem Schall. Es ist überhaupt unmöglich für jemanden, der wirklichkeitsgemäß denkt, solche Spekulationen anzustellen. Aber sol­che Spekulationen werden heute angestellt. Man nennt sie Einsteinsche Theorie. Einstein geht nach Amerika; die Zeitungen verbreiten, daß er riesige Erfolge gehabt hat, daß er aber in London gesagt hätte, kein einziger Mensch hätte ihn in Amerika verstanden. Dann hat er also seinen Erfolg gehabt bei all denen, die ihn nicht verstanden haben. Mag sein. In London aber war eine große Narretei, indem man diese Abstraktionen, die ja aus einem ganz abstrakten Kopfe entsprungen sind, als das größte, bedeutsamste Weltereignis hingestellt hat, und selbst der alte Lord Haldane sich noch bemüßigt gefunden hat, her­vorzuheben, was da eigentlich geschehen ist. Im Grunde genommen ist wirklich nichts anderes geschehen, als daß durch einen Menschen auf die Spitze getrieben worden ist die Abstraktionskraft, der Unwirk­lichkeitsgeist, die Beschäftigung mit Begriffen und Ideen, die jeder Wirklichkeit völlig fremd sind, die noch weniger in sich haben als die Kraft derjenigen Logik, die sich auf den toten Menschen im Grab be­zieht; denn mit Einsteinschen Begriffen kann man nicht einmal mehr den Leichnam begreifen, sondern nur noch einen Extrakt des Leich­nams. Aber es ist im Grunde genommen gar kein Korrektiv vorhanden gegen das, was da sich unter der Menschheit heute ausbreitet. Dieses Korrektiv ist lediglich in der anthroposophischen Geisteswissenschaft vorhanden, die wiederum zu wirklichkeitsgemäßen Begriffen den Weg zu finden sucht. Und diese wirklichkeitsgemäßen Begriffe führen uns wiederum hinaus in die Welten zum Beispiel, die sich als die kosmi­schen Welten noch räumlich ausnehmen. Da haben wir die Welt als ein großes Lebendiges vor uns, so ungefähr, wie Goethe aus einer mäch­tigen Intuition in dem Prosahymnus «Die Natur» von dieser Welt gesprochen hat. Dann aber kommt man, von dieser Welt aufsteigend, zur Weltenseele, zum Weltenrhythmus, zu demjenigen, was im Grunde genommen einmal die Sphärenharmonie genannt worden ist. Zu Wel­tenrhythmen kommt man, wenn man es ausbildet, wenn man es umsetzt

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in Imaginationen, in Rhythmen, wo man das hat, was ich ver­suchte, in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» darzustellen, wo also der Weltenrhythmus dargestellt ist und aus dem Weltenrhythmus heraus die Gestaltung der Saturn-, Sonnen-, Monden- und der Erden-zeit und der zukünftigen Jupiterzeit, Venuszeit, Vulkanzeit. Diese Dinge, sie sind die Herausgestaltung des Weltengeschehens aus dem Weltenrhythmus. Aber schauen Sie sich die Art und Weise an, wie da gesprochen wird von diesen aufeinanderfolgenden, sich vollziehenden Weltenrhythmen! Erstens gehört der Mensch diesen Weltenrhythmen an. Der Mensch entsteht nicht aus irgendeinem Gewirbel heraus, aus einem mineralischen oder aus einem tierischen Gewirbel heraus, son­dern der Mensch entsteht aus dem durchgeistigten Weltenganzen her­aus, und so weit wir Welt finden, finden wir auch den Menschen.

Aber Sie finden noch etwas anderes; wenn Sie herankommen an diejenige Welt, wo von Rhythmen die Rede ist, können Sie nicht anders, als, indem Sie von dieser Welt sprechen, zugleich von göttlich-geistigen Wesenheiten sprechen. Glauben Sie, daß es einen Sinn hat, von der Welt, von der einem ein heutiges Physikbuch oder Chemiebuch erzählt, da von Angeloi, Archangeloi, Archai zu reden? Natürlich wäre das sehr deplaciert, wenn man erst von den besonderen Verbindungen des Kohlenstoffs, von den Ätherverbindungen des Kohlenstoffs in der Chemie sprechen würde, von Alkohol und so weiter! Wenn man alle diese Formeln aufführen würde mit ihrem Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und so weiter und dann sagen würde: Das ist von Engeln, das ist von Erzengeln -, das geht natürlich nicht. Aber wenn man hin­aufkommt in diejenige Region, wo man genötigt ist, das Werden der Erde hervorgehen zu lassen aus Saturn-, Sonnen-, Mondenwerden, wenn man dieses Gewebe erschaut, das in der Welt, in den Welten-rhythmen lebt, das hereinspielt in die menschliche Seele durch den inneren menschlichen Rhythmus, den man seeelisch bis in den Vers hinein verfolgen kann, wenn man gleichzeitig hinweisen kann, wie sich der Vers baut im Verhältnis vom Blutrhythmus zum Atmungs-rhythmus; wenn man in diese Regionen hinaufkommt, wo man schil­dert Saturn, Sonne, Mond und so weiter, dann ist man genötigt, von Wesenheiten der geistigen Hierarchien zu sprechen. Man kommt hinein

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in eine Welt, in der wirkliche geistige Wesenheiten sind, nicht bloß in eine Welt, in der jener verschwommene Pantheismus leben soll, zu dem sich heute noch manche, die nicht Materialisten sein wollen, aufschwin­gen und sagen: Die Welt ist durchgeistigt.

Nun ja, die Welt ist durchgeistigt, ein Geistiges breitet sich überall aus - es ist ungefähr so, wie wenn einer sagt: Ein Löwe; du behauptest, der hat einen Kehlkopf, mit dem er brüllt, und eine Speiseröhre und Luftröhre und Lunge und Magen -, das geht mich nichts an, von dem will ich nicht reden, der ist nur ganz «durchlöwt». - So ungefähr, wie wenn einer sagen würde, der ist ganz durchlöwt, ist das philosophische Getue der Pantheisten, die überall das nebulos Geistige ausgebreitet denken.

Will man aber wirklich von dem Geistigen reden, so muß man von einzelnen geistigen Wesenheiten reden. Dann muß man wissen, wie man, sobald man vom Wasserelement ins Luftelement hinaufsteigt, den geisti­gen Wesenheiten begegnet, die gerade in den Hierarchien beschrieben werden. Sobald man in das Feuerelement hineinkommt, kommt man zu der höchsten Hierarchie: Throne, Cherubim, Seraphim, und dann erst zu der eigentlichen geistigen Weltengestaltung, in der allerdings dann der Mensch nicht mehr einzelnes unterscheiden kann. Aber bevor man in das hineinkommt, was oberflächliche Pantheisten als das nebulose All-Eine bezeichnen möchten, kommt man eben durch die Welt, in der die einzelnen konkreten geistigen Wesenheiten leben. Und in diesen konkreten geistigen Wesenheiten erkennt man jetzt das, was auch in der uns umgebenden Natur lebt. Denn man kommt ja der uns umgebenden Natur auf ihre Grundlagen. In der Natur, die uns umgibt und die wir mit unserer Chemie und Physik betrachten, kann ja der Mensch nicht drinnen sein. Der Mensch kann nur in einer Natur drinnen sein, in der auch das wässerige, das Luft-, das Feuerelement ist.

Sobald wir in das luftige Element kommen, haben wir da die Wesen­heiten, die wir als Angeloi, Archangeloi und so weiter beschreiben. Da kommen wir in das konkrete geistige Weltenwesen hinein. Da kommen wir auch in eine Welt hinein, die wir zugleich moralisch und physisch begreifen können. Man sieht es nur nicht, weil man sich heute den Blick benebelt, daß aus derselben Welt, aus der real zum Beispiel das Versmaß

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heraustönt, auch die reale Moral heraustönt. In der Welt, in der die sechsundsiebzig Elemente sind, ist allerdings nicht der Ursprung der Moral; aber da ist auch nicht das vom Menschen enthalten, was den Menschen belebt; auch in der Welt, die kosmisch-räumlich ist, mn der Welt, die vom Elemente des Wassers beherrscht wird, ist noch nmcht die moralische Welt. Aber in dem Augenblicke, wo wir das rhyth­mmsche Element betreten, kommen wir zugleich in die Welt des Mora­lischen hinein. Und vor dieser Aufgabe steht der Mensch der Gegen­wart, die moralische Welt wiederum als eine reale zu erkennen, zu er­kennen, daß derselbe Stoff oder dieselbe Substanz, woraus sein astra­lischer Leib geformt ist, enthalten ist in den moralischen Ideen. Dieselbe Substanz, aus der unser Ich geformt ist, ist enthalten in den religiösen Jdeen und in dem religiösen Ideal.

Wir müssen wiederum die Brücke finden zwischen der Naturbe­trachtung und der Betrachtung der geistigen Welt, aber nicht nur der allgemein verschwommenen geistigen Welt, sondern der geistigen Welt, aus der unsere moralischen Intuitionen kommen. Auf dieses Inein­anderspielen der Welt der Wahrnehmungen und der Welt der Intui­tionen wollte ich ja schon hinweisen mn meiner «Philosophie der Frei­heit», 1893. Ich wollte zeigen, wie die konkreten moralischen Intuitio­nen einer Welt, die jenseits der Welt der Wahrnehmungen liegt, ent­nommen werden und eingefügt werden der Welt.

Das ist eben schließlich die große Aufgabe der Gegenwart, nicht stehenzubleiben bei derjenigen Welt, die eigentlich für den Menschen nur anwendbar ist dann, wenn er mm Grabe liegt, sondern aufzusteigen zu derjenigen Welt, die uns den Menschen zeigt, wenn er das Seelische darlebt in dem Rhythmus des Physischen. Aber eben in dem Rhythmus des Physischen lernt man den Rhythmus des Physischen mn seinem Wesen verstehen. So lernt man den Weltenrhythmus verstehen, und den Weltenrhythmus kann man nicht verstehen, ohne zu verstehen die Quellen, die Ursprünge der moralischen Welt. Dann erst kann ein solches Verstehen dazukommen, sich zu sagen: Ja, ich habe gegenwärtig eine Naturwissenschaft, sie ist anwendbar auf den Menschen als Leich­nam. - Selbstverständlich muß sie dann überhaupt von dem Welten-leichnam stammen, hergenommen sein von dem in der Welt, was zugrunde

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geht. Sie muß sich beziehen auf dasjenige von der Erde, was einmal der Erdenleichnam wird. In dem aber, was wir erfassen im Rhythmischen, was wir zum Beispiel ausgießen in Versen, in Bildern, überhaupt in Geistigem, so daß es lebt, wie es in den Rhythmen lebt, und was wir intuitiv erfassen in unseren moralischen Idealen, in dem schaffen wir etwas, was den Erdentod überdauert, wie die einzelne menschliche Seele den menschlichen Tod überdauert. Die Erde wird zugrunde gehen nach den Naturgesetzen, die wir heute erkennen; nach diesen Gesetzen wird die Erde zugrunde gehen. Und nach den Gesetzen, die wir erkennen, indem wir uns der geistigen Welt nähern, und nach den Gesetzen, die wir erkennen, wenn wir moralische Intuitionen fas­sen, wenn wir wirklich religiöse Intuitionen fassen, nach diesen Ge­setzen bildet sich die Seele, bilden sich die Menschenseelen, die die Erde, wenn sie tot abfällt, verlassen werden zu neuem zukünftigem Dasein.

Und so ist es, daß wir heute eine offiziell anerkannte Wissenschaft haben: sie lehrt das Tote, sie lehrt das, nach dem die Erde einstmals im großen Weltengrabe zugrunde gehen wird. Und wir brauchen eine Geisteswissenschaft, die sich ernsthaft bemüht um dasWort des Christus Jesus: « Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.» Eine Geisteswissenschaft brauchen wir, die die wirk­liche, die wahre Inhaltlichkeit dieser Christus-Worte sucht, denn diese Worte, die handeln von Rhythmus, handeln von Moral, handeln von dem Göttlichen, handeln von dem, was zu neuen Daseinsstufen über­geht, wenn die Erde und auch der Kosmos auseinanderfallen und Leich­nam werden. Und wir müssen das Bewußtsein davon haben, daß wir heraus müssen aus einer Wissenschaft, die nur vom Tode erzählt, und hinüber müssen zu der Wissenschaft, die sich zum Lebendigen und durch das Lebendige zum Seelischen und Geistigen erhebt.

Bis zum Jahre 333, ungefähr bis zu der ersten Hälfte des 4. nach­christlichen Jahrhunderts, gab es eigentlich immer noch eine Mysterien-wissenschaft; eigentlich sind erst im 6. Jahrhundert die letzten grie­chischen Weisen vollständig vertrieben worden. Aber diese Mysterien-wissenschaft, was wollte sie eigentlich? Diese Mysterienwissenschaft wollte den Menschen hinweghelfen über die große Gefahr des physischen

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Lebens. Und dazumal war noch verhältnismäßig leicht hinweg­zuhelfen über die große Gefahr des physischen Lebens, weil die Men­schen noch etwas von zusammenfassender Kraft, von Gruppenseelen gehabt haben. Diese Gruppenseelenhaftigkeit war noch immer sehr groß bis zum 4. nachchristlichen Jahrhundert. Erst seitdem dieVölker­wanderung gekommen ist und die Gruppenseelenhaftigkeit durch das besondere Element, das von den germanischen Völkerschaften aus­ging, durchbrochen worden ist, ist die Sache anders geworden. Aber diese Mysterien haben ja nur einzelne herangezogen, die sie als be­sonders Auserlesene betrachtet haben, und sie in den Mysterien zu be­sonderem geistigem Bildungsgrade hinaufentwickelt. Aber dadurch haben sie nicht nur für diese einzelnen Initiierten und Eingeweihten etwas getan, sondern, weil Gruppengeist gewaltet hat, war für die übrige Umgebung, innerhalb welcher der Lehrende oder sonst Einge­weihte wirkte, alles zugleich mitgetan. Besonders wenn wir zurück­gehen in die ältere ägyptische Zeit, da waren einige wenige Eingeweihte, aber die waren zugleich die intellektuellen Leiter auf allen Gebieten, die Leiter des gesamten ägyptischen Volkes, und weil Gruppenseelen­haftigkeit da war, ging ihre Kraft über auf die andern Leute, die nicht eingeweiht waren. So hatte man damals nur einzelne einzuweihen.

Was wurde durch diese Einweihung eigentlich beabsichtigt? Es war eigentlich nichts Geringeres beabsichtigt, als daß man die Menschen über die Gefahr hinwegbrachte, sterblich zu werden in ihren Seelen. In Agypten hatte man nämlich noch eine andere Auffassung von der Unsterblichkeit als heute. Heute denkt man sich eigentlich die Un­sterblichkeit als etwas, was einem jedenfalls zukommt, dessen man gar nicht verlustig gehen kann. In den samothrakischen Mysterien hat man zum Beispiel gelehrt: Es gibt vier Kabiren; drei von diesen töten immer den vierten. - Aber eigentlich meinte man, der Mensch habe physischen Leib, Atherleib, astralischen Leib und Ich. Physischer Leib ist zunächst als physischer Leichnam dem Tode verfallen. Der Äther-leib zerstiebt im Kosmischen, der astralische Leib geht auch in einer gewissen Weise auf, wie ich es dargestellt habe in meiner «Theosophie», Wenn das Ich sein Selbstbewußtsein nicht rettet durch Teilnahme an dem Geistigen, dann töten die drei auch das Ich und ziehen es hinunter

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in die Sterblichkeit. Man suchte in den Mysterien die Unsterblichkeit des Menschen zu retten. Man stellte sich nicht vor, daß man sich die Un­sterblichkeit durch Gebete erwerben könnte; man stellte sich nicht vor, daß man bloß passiv zu der Unsterblichkeit sich verhalten kann und dergleichen, sondern man stellte sich vor, daß diejenigen, die initiiert wurden, durch die besondere Umwandlung ihres Seelenwesens, durch ihre Auferweckung, durch das Aufwachen ihres Ich über die Gefahr hinwegkamen, sich nicht im Geiste zu erfassen und dadurch den Weg ihres sterblichen Leibes gehen zu müssen. Und indem einzelne Einge­weihte diese Kraft hatten, jenseits des sterblichen Leibes noch denken zu können, konnten sie auch, weil Gruppenseelengeist da war, sie den andern Menschen mitteilen. Heute ist nicht mehr Gruppenseelenhaftig­keit. Seit dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts hat sich das immer mehr und mehr vorbereitet; heute sind wir dazu berufen, die Freiheit als individuelle Menschen auszubilden. Heute sind wir im Grunde ge­nommen auf dem Punkt, wo wir der entgegengesetzten Gefahr gegen­überstehen.

Während die Menschen bis ins 4. nachchristliche Jahrhundert vor der Gefahr standen, gewissermaßen sich im geistigen Element nicht er­fassen zu können, so daß man sie zum Aufwachen bringen mußte in die­sem geistigen Elemente, ist der Mensch heute durch die besondere Aus­bildung seines physischen Leibes, durch die besondere Ausbildung der Materie eigentlich so recht ein Denker, und er lebt furchtbar stark in Gedanken. Diejenigen Menschen, die glauben, sie leben in der Wirk­lichkeit, die leben erst recht in Gedanken. Die Menschen sind heute furchtbare Abstraktlinge, fallen auch auf alles Abstrakte sofort herein, weil sie eine innere Verwandtschaft zum Abstrakten haben. Aber dieses Abstrakte, diese Gedanken, die da ausgeheckt werden, sind nicht nur falsch ausgedeutet, wenn man sagt, sie sind vom Gehirn abhängig; die sind wirklich vom Gehirn abhängig, weil das Gehirn die Vorgänge nachmacht, die der Mensch vor der Geburt oder vor der Konzeption, vor der Empfängnis in der geistigen Welt macht. Das Gehirn ist der Imitator desjenigen, was meine Seele getan hat, bevor sie herunter-gestiegen ist. Indem nun dieses Denken, das heute mit einer besonderen Vollkommenheit ausgebildet ist, ein bloßes Gehirndenken ist, hat der

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Materialismus recht. Es muß immer wieder betont werden: Mit Bezug auf das heute geltende Denken hat der Materialismus recht, denn es ist die bloße Imitation des wahren, lebendigen Denkens. Und daher muß der Mensch dazukommen, die Freiheit zu erfassen im Denken und sich dadurch zu retten, das heißt, er muß dazukommen, nicht bloß sein Gehirn denken zu lassen, sondern so sein Denken zu ergreifen, daß er gewahr wird: er mst emn freies Wesen. Deshalb habe ich den großen Wert gelegt auf das reine Denken, auf das freie Denken, das sich zu­gleich erfaßt als Wille, so daß man denkt, aber eigentlich will, so daß das Wollen und das Denken ein Substantielles sind, das sich in reiner Freiheit erfaßt, wie ich das in meiner «Philosophie der Freiheit» dar­gestellt habe. Es soll dem Menschen zeigen: Du bist nur frei, wenn du dasjenige in dir erfassest, dein Unsterbliches, durch das du dich retten kannst, durch das du dich hinüberretten kannst über den Tod der vier Kabiren.

Allerdings, man betritt da einen Boden, der, ich möchte sagen, aus dünnem Eis besteht, den der moderne Mensch nicht gern betreten wmll, weil er am liebsten möchte, daß ihm von irgendwelchen äußeren weltlichen Mächten seine Unsterblichkeit auf irgendeine Weise garan­tiert würde, daß er nicht irgend etwas dazu tun müßte, um in sich das aufzuwecken, was sonst einschlafen könnte, was sonst den Tod mit­machen könnte, indem der menschliche Leib durch den Tod geht. Und indem wir in der modernen Menschheit das Denken immer ähnlicher machen dem physischen Ablauf der Gehirnvorgänge, geht in der Tat diese moderne Menschheit nicht etwa nur der Gefahr entgegen, nichts mehr von der Unsterblichkeit zu verstehen, sondern die moderne Menschheit geht der Gefahr entgegen, die Unsterblichkeit zu verlieren. Das ist ja das größte Ideal des Ahriman, den Menschen in seiner Indi­vmdualität zu vernichten, ihn nicht mehr individuell sein zu lassen, aber die Kräfte, die er hat, die Denkkraft, hereinzunehmen in die irdischen Kräfte, daß, wenn einmal die Erde ein großer Leichnam sein wird, dieser Leichnam durchwoben sein wird von all den Kräften, die der Mensch durch seine Logik der Erde einverleibt. So daß man eine große Erdenspinne haben würde, in der die etlichen siebzig Elemente voll­ständig zerpulvert leben würden; aber darinnen wie riesige, ineinander

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sich verfilzende Spinnen das menschliche Denken, nach dem Muster des bloßen abstrakten Denkens hineinverwoben. Das ist das Ideal, das Ahriman erreichen möchte: den Menschen die Individualitäten zu vernichten, um die Erde umzuformen aus der Kraft des mensch­lichen Denkens in ein Gewebe von riesigen Gedankenspinnen, aber realen Spinnen. Das ist das ahrimanische Ziel, dem entgangen werden muß dadurch, daß der Mensch nun wirklich erfaßt ist von der Geist-sprache: «Nicht ich, sondern der Christus in mir», indem das wahre Ich lebendig in ihm wird, das unsterbliche Ich, das verstehen kann die Worte: «Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte wer­den nicht vergehen.» Diejenige Weisheit kann nicht vergehen, die Rea­lität ist, die jene Realität in sich faßt, durch welche, wenn die Erde ein Leichnam ist, das ganze Wesen des Menschen sich zu neuem Dasein fortpflanzt. Mit dem neuen Jerusalem in der Apokalypse soll von sol­chem Dasein gesprochen werden. Aber verstanden müssen diese Dinge wiederum werden. Das größte Hindernis solchen Verständnisses ist selbstverständlich alle Einsteinerei und dergleichen, all das, was heute als die große, furchtbare Abstraktionssucht durch die Welt geht, die ganz dazu geeignet ist, die Niedergangskräfte weiterzuentwickeln; während es zum Heile der Menschheit einzig und allein nur sein kann, sich der Aufgangskräfte zu bedienen, der wirklichen Leibes- und See­len- und geistigen Kräfte. Das ist es, was ich heute zu Ihnen sprechen wollte.

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DRITTER VORTRAG Dornach, 24. Juni 1921

Nach den historischen Betrachtungen, die wir angestellt haben, werden wir uns heute einiges vor die Seele führen über den gegenwärtigen Menschen, das uns dann die Möglichkeit bieten wird, das Hineinge­stelitsein dieses gegenwärtigen Menschen in die ganze Zeit, in den näch­sten Tagen genauer zu betrachten. Wir müssen uns ja klar darüber sein, daß der Mensch, so wie er als geistiges, seelisches, leibliches Wesen vor uns steht, nach drei verschiedenen Richtungen verschieden in der Welt drinnensteht. Das ergibt sich ja schon, wenn wir den Menschen, ich möchte sagen, rein äußerlich betrachten. Seinem Geiste nach geht er unabhängig von den äußeren Erscheinungen durch die Welt; seiner Seele nach ist er nicht so unabhängig von den äußeren Erscheinungen. Man braucht nur gewisse Zusammenhänge, die durch das Leben hin sichtbar sind, zu betrachten, und man wird finden, wie das eigentlich seelische Leben gewisse Zusammenhänge hat mit der äußeren Welt. Man kann seelisch bedrückt sein, man kann seelisch erheitert sein. Erinnern Sie sich, wie oftmals Sie im Traume sich bedrückt fühlten, wie Sie dieses Bedrücktfühlen, wenn Sie aufwachen, zurückführen müssen auf eine Unregelmäßigkeit im Atmungsrhythmus. Das ist eine grobe Erscheinung, könnte man sagen, und dennoch, immer ist alles seelische Leben nicht ganz ohne einen ähnlichen Zusammenhang mit dem rhythmischen Leben, das wir durchmachen in unserem Atmungs­rhythmus, in unserem Blutzirkulationsrhythmus und dem äußeren rhythmischen Leben des ganzen Kosmos. Alles, was in der Seele vor­geht, hängt zusammen mit dem Weltenrhythmus. Wenn wir also auf der einen Seite als geistige Wesen bis zu einem hohen Grade uns unab­hängig fühlen von unserer Umwelt, können wir es nicht in bezug auf unser seelisches Leben, denn unser seelisches Leben steht im allgemeinen Weltenrhythmus darinnen.

Noch mehr stehen wir in den allgemeinen Weltenerscheinungen dar­innen als leibliches Wesen. Man braucht wiederum zunächst nur von groben Erscheinungen auszugehen. Man ist als leibliches Wesen schwer,

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man hat ein Gewicht. Andere bloß mineralische Wesenheiten haben auch ein Gewicht. Mineralische Wesen, pflanzliche Wesen, tierische Wesen und der Mensch als leibliches Wesen, sie alle gliedern sich ein in die allgemeine Schwere, und wir müssen sogar in einem gewissen Sinne uns erheben über diese allgemeine Schwere, wenn wir unseren Leib zum physischen Werkzeug des geistigen Lebens machen wollen. Wir haben das ja öfters erwähnt, wenn es auf das bloße physische Gewicht unseres Gehirnes ankäme, so wäre das ja so groß - eintausenddreihun­dert bis eintausendfünfhundert Gramm -, daß es uns alle Adern, die unter dem Gehirne sind, zerdrücken würde. Aber dieses Gehirn unter­liegt dem Archimedischen Prinzip, indem es im Gehirnwasser schwimmt. Es verliert so viel von seinem Gewichte durch das Schwimmen im Ge­hirnwasser, daß es eigentlich nur zwanzig Gramm wiegt, also nur mit zwanzig Gramm auf die Adern der Gehirnbasis drückt. Sie sehen dar­aus, daß eigentlich das Gehirn viel mehr nach oben strebt als nach unten. Es widerstrebt der Schwere. Es reißt sich heraus aus der allge­meinen Schwere. Aber es macht dabei nichts anderes als irgendein an­derer Körper, den Sie ins Wasser geben, und der ebensoviel von seinem Gewichte verliert, als das Gewicht des verdrängten Wasserkörpers ist.

Sie sehen also ein Wechselspiel unseres ganzen leiblichen Wesens mit der äußeren Welt. Und zwar ist es so, daß wir hier nicht nur wie mit dem seelischen Weben in einen Rhythmus eingegliedert sind, sondern daß wir ganz drinnenstehen in diesem äußeren physischen Leben. Wenn wir an einer bestimmten Stelle des Erdbodens stehen, drücken wir auf diese Stelle des Erdbodens; wenn wir weggehen nach einer andern Stelle, drücken wir auf eine andere Stelle des Erdbodens. Wir sind also physische Wesen als leiblicher Mensch wie andere physische Wesen der andern Naturreiche auch.

Wir können also sagen: Mit unserem geistigen Menschen sind wir in einer gewissen Weise von der Umwelt unabhängig, mit unserem seelischen Menschen sind wir in den Rhythmus der Welt einge­gliedert, mit unserem leiblichen Menschen sind wir in die ganze übrige Welt so eingegliedert, wie wenn wir gar nicht Seele und Geist wären. Diese Unterscheidung müssen wir durchaus ins Auge fassen. Denn wir kommen auch nicht zu einem Verständnisse des höheren

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Wesens des Menschen, wenn wir nicht diese dreifache Stellung des Menschen zu seiner ganzen Umgebung ins Auge fassen. Wir wollen uns jetzt einmal die Umgebung des Menschen ansehen. In der Umgebung des Menschen haben wir zunächst - ich fasse verschiedenes, das wir seit vielen Monaten betrachtet haben, nur von andern Gesichtspunkten aus, jetzt zusammen - alles dasjenige, was von Naturgesetzen beherrscht wird. Stellen Sie sich einmal das Weltenall vor, von Naturgesetzen beherrscht, eingespannt in diese Naturgesetze die gesamte sichtbare oder sonst durch die Sinne wahrnehmbare Welt. Wir wollen dies zu­nächst als erste Umwelt des Menschen in Betracht ziehen.

Wenn wir diese Welt in Betracht ziehen - eine einfache Überlegung zeigt, daß wir es ja dann nur mit der eigentlichen irdischen Welt zu tun haben. Nur waghalsige und unbegründete Hypothesen der Phy­siker können davon sprechen, daß denselben Naturgesetzen, die wir hier auf der Erde beobachten um uns herum, etwa auch der außer-irdische Kosmos unterliegt. Ich habe Sie öfter darauf aufmerksam ge­macht, wie überrascht die Physiker sein würden, wenn sie an die Stelle hinaufkommen könnten, wo die Sonne ist. Die Physiker betrachten ja die Sonne als so etwas wie einen großen Gasofen, allerdings ohne Wände, so ungefähr wie ein brennendes Gas. Man würde dieses bren­nende Gas nicht finden, wenn man an die Stelle des Kosmos käme, wo die Sonne ist. Man würde an der Stelle des Kosmos, wo die Sonne ist, etwas finden, was allerdings sehr unähnlich ist der Vorstellung der Physiker. Wenn das hier (es wird gezeichnet) den Raum umschließt, den wir uns von der Sonne eingenommen denken, so ist an dieser Stelle nicht nur nichts vorhanden von all den Materien, die wir auf der Erde hier finden, sondern es ist nicht einmal dasjenige vorhanden an dieser Stelle, was wir den leeren Raum nennen. Denken Sie sich einmal zu­nächst den erfüllten Raum; Sie haben ja, indem Sie hier auf der Erde leben, immer den erfüllten Raum um sich. Ist er nicht von irgend­welchen festen oder flüssigen Substanzen durchsetzt, so ist er durchsetzt von Luft oder mindestens von Wärme, von Licht und so weiter. Kurz, wir haben es stets mit dem erfüllten Raum zu tun. Sie wissen aber, daß man ja auch, wenigstens annähernd, einen leeren Raum herstellen kann, wenn man aus dem Rezipienten der Luftpumpe die Luft auspumpt.

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Nun stellen Sie sich vor, wir haben irgendeinen erfüllten Raum; wir wollen ihn mit dem Buchstaben A bezeichnen und ein Plus davor­setzen, + A. Jetzt können wir den Raum immer leerer und leerer machen, da wird das A immer kleiner und kleiner werden; aber der Raum ist erfüllt, deshalb bezeichnen wir das immer noch mit Plus. Wir können - obzwar wir das in der Tat nicht mit irdischen Verhält­nissen durchführen können, denn wir können den Raum ja nur an­nähernd leer machen -, aber wir können uns denken, daß immerhin ein luftleerer Raum vollständig herstellbar wäre. Dann wäre eben in dem Teil des Raumes, der dann leer gemacht ist, nur Raum. Ich will ihn als Null bezeichnen. Er hat Null Inhalt. Nun können wir es aber so machen mit dem Raume, wie Sie es mit Ihrem Portemon­naie machen können. Wenn Sie Ihr Portemonnaie gefüllt haben, können Sie immer mehr und mehr herausnehmen; zuletzt ist einmal Null darinnen. Wenn Sie aber jetzt weiter Geld ausgeben wollen, können Sie aus dem Portemonnaie nichts mehr herausnehmen, wenn schon Null drinnen war, aber Sie können Schulden machen. Da ist noch weniger als Null dann im Portemonnaie drinnen, wenn Sie Schulden haben. So können Sie sich auch den Raum denken nicht nur leer, sondern ich möchte sagen saugend, weniger darinnen als Null, -A. Und von diesem Saugeraum, von diesem Raum, der nicht nur leer ist, sondern der einen Inhalt hat, der das Gegenteil von materieller Er­fülltheit ist, von diesem Raum ist der Raum eingenommen, den man sich von der Sonne ausgefüllt zu denken hat. Also die Sonne ist inner­lich saugend, nicht drückend wie ein Gas. Sie ist von negativer Mate­rialität erfüllt.

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Das will ich nur als Beispiel anführen, damit Sie sehen, daß man nicht irdische Gesetzmäßigkeit so einfach auf den außerirdischen Kos­mos übertragen kann. Da sind ganz andere Verhältnisse im außer-irdischen Kosmos zu denken als diejenigen, die wir in unserer Umge­bung auf der Erde kennenlernen. So daß wir, wenn wir zuerst sprechen von einer gewissen Gesetzmäßigkeit, wir sagen müssen: Wir sind von Gesetzmäßigkeit innerhalb des irdischen Daseins umgeben, und in diese Gesetzmäßigkeit ist die Welt des Stofflichen eingeschlossen, die uns zunächst zugänglich ist. - Stellen Sie sich diese Welt des irdischen Da­seins vor: Sie brauchen sich nur die Vorgänge, die in der mineralischen Welt geschehen, vor Augen zu führen, vor die Seele zu rücken, so haben Sie dasjenige, was zunächst, insofern Sie es sehen, ganz eingeschlossen ist in diese Gesetzmäßigkeit des irdischen Daseins. Also wir können sagen: Da ist eingeschlossen erstens die mineralische Welt; zweitens aber ist noch etwas anderes eingeschlossen. Wenn wir herumgehen, oder auch wenn wir herumgetragen werden, kurz, wenn wir uns nur gewissermaßen, wenn ich mich grob ausdrücken darf, als Gegenstände benehmen in dieser physischen Welt, dann leben wir in derselben Ge­setzmäßigkeit. Für die irdische Gesetzmäßigkeit ist es nämlich gleich­gültig, ob ein Straßenstein herumgetragen wird, bewegt wird, oder ob der Mensch herumgetragen wird oder sich selber bewegt; das ist für die irdische Gesetzmäßigkeit ganz einerlei. Sie brauchen sich das nur zu überlegen. Für die irdische Gesetzmäßigkeit kommt nichts anderes in Betracht als die Ortsveränderung des Menschen, die er allerdings selber bewirken kann. Das hängt dann mit andern Dingen zusammen; aber wenn man bloß irdische Gesetzmäßigkeit studiert, dann kann es einem gleichgültig sein, was innerhalb der Haut des Menschen vor­geht, oder was in der Seele des Menschen vorgeht. Da kommt nur die Lageveränderung im irdischen Raume in Betracht.

Wir können also sagen: Das zweite ist, außer der mineralischen Welt, der bewegte Mensch, und zwar der äußerlich bewegte Mensch (siehe Aufstellung Seite 62). - Wir finden keinen andern Bezug der äuße­ren Welt zum Menschen, insofern sie irdisch ist und vor unseren Sinnen auftritt, als lediglich den Bezug zum äußerlich bewegten Menschen. Wenn wir irgendeinen andern Bezug zum Menschen suchen wollen,

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dann müssen wir gleich zu etwas anderem unsere Zuflucht nehmen. Und da kommen wir allerdings zum Außerirdischen, zu unserer außer-irdischen Umgebung, insofern wir zum Beispiel die Mondenumgebung studieren, dasjenige, was vom Monde ausgeht. Es tritt ja, wenigstens für das Bewußtsein vieler Menschen, noch etwas von der Wirkung des Mondes auf die Erde zutage. Die Menschen glauben in weitem Um-kreise an solche Wirkungen des Mondes auf die Erde, zum Beispiel an den Zusammenhang der Mondesbewegungen mit den Regenphasen. Gelehrte Leute der Gegenwart betrachten das als Aberglaube. Ich habe Ihnen, wenigstens einigen von Ihnen, ja erzählt, daß das einmal in Leipzig einen niedlichen Tatsachenbestand gegeben hat.

Der interessante Naturphilosoph und Asthetiker, Gustav Theodor Fechner, hat sogar ein Buch verfaßt über den Einfluß des Mondes auf die Witterungsverhältnisse. Er war der Universitätskollege des bekann­ten Botanikers und Naturforschers Schleiden. Schleiden war selbstver­ständlich als moderner Materialist tief davon durchdrungen, daß sich so etwas nur auf Aberglauben stützen könne, was da sein Kollege Gustav Fechner über den Einfluß der Mondesphasen auf die Witterung geltend machte. Nun waren aber außer den beiden Gelehrten an der Universität Leipzig auch derer beiden Frauen, die Frau Schleiden und die Frau Fechner, und es waren dazumal noch so einfache Verhältnisse in Leipzig, daß man Regenwasser für die Wäsche sammelte. Nun be­haupteten die Frauen, man könne bei gewissen Mondesphasen eben mehr Regenwasser auffangen und dadurch mehr Wasser zum Waschen bekommen als bei andern Mondesphasen. Und die Frau Professor Fechner sagte, sie glaube an das, was ihr Mann veröffentlicht habe über den Einfluß der Mondesphasen auf die Witterung; deshalb möchte sie mit der Frau Professor Schleiden, die nicht daran glaube, übereinkom­men, daß diese ihre Tonnen hinstelle, wie es der Meinung des Profes­sor Schleiden entspreche; sie würde ja nach dessen Meinung gerade-soviel Regenwasser bekommen als sie, die Frau Professor Fechner, nach dem guten Rat ihres Mannes bekomme. Und siehe da, trotzdem der Professor Schleiden die Anschauung des Professor Fechner als außer­ordentlich abergläubisch angesehen hat, ging die Frau Professor Schlei­den auf diesen Handel nicht ein, sondern wollte auch zu den andern

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Mondesphasen ihre Tonnen hinstellen, um das Regenwasser zu be­kommen.

Nun, weniger sichtbar ist zunächst für unser heutiges wissenschaft­liches Bewußtsein der Einfluß von den Kräften anderer planetarischer Weltenkörper. Aber würde man - wie das nun geschehen soll in unserem wmssenschaftlich-physiologischen Institut in Stuttgart - einmal genauer studieren zum Beispiel die Linie, nach der die Pflanzenblätter am Sten­gel wachsen, so würde man finden, wie jede einzelne Linie sich an die Bewegung der Planeten anschließt, wie diese Linien gewissermaßen Miniaturbilder der Planetenbewegungen darstellen. Und man würde

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finden, daß man manches auf der Oberfläche der Erde nur begreift, wenn man das Außerirdische kennt und dieses Außerirdische nicht ein­fach identifiziert mit dem Irdischen; wenn man voraussetzt, daß eine Gesetzmäßigkeit vorhanden ist, die kosmisch und nicht tellurisch ist.

Also wir können sagen, wir haben eine zweite Gesetzmäßigkeit mnnerhalb des kosmischen Daseins. Wird man einmal studieren diese kosmischen Einflüsse - und man wird das ganz empirisch studieren können -, dann wird man erst eine wirkliche Botanik haben. Denn was als unsere Pflanzenwelt auf der Erde wächst, wächst nicht in der Weise aus der Erde heraus, wie es sich die materialistische Botanik vorstellt, sondern wird herausgezogen aus der Erde durch die kosmi­schen Kräfte. Und was durch die kosmischen Kräfte so im Pflanzen-wachstum herausgezogen wird, durchsetzt wird es von den minerali­schen Kräften, die gewissermaßen das kosmische Pflanzengerippe

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durchsetzen, so daß es sinnlich sichtbar wird. So daß wir sagen können, eingeschlossen ist in diese kosmische Gesetzmäßigkeit erstens die pflanz­liche Welt; zwemtens - aber allerdings so, daß es nicht so leicht zu kon­statieren ist wie bei der pflanzlichen Welt, weil es sich eine gewisse Selbständigkeit erringt und unabhängig wird von dem Rhythmus der äußeren Vorgänge, dennoch aber den Rhythmus innerlich nachahmt -wird eingeschlossen in diese kosmische Gesetzmäßigkeit alles das, was mnnere Bewegung des Menschen ist, also durchaus physische, aber innere Bewegung des Menschen. In die irdische Gesetzmäßigkeit ist also erstens der äußerlich bewegte Mensch eingeschlossen; wenn Sie aber hinschauen auf Ihre Verdauung, auf die Bewegung der Nahrungsstoffe in den Verdauungsorganen, wenn Sie im weiteren schauen jetzt nicht auf den Rhythmus, sondern auf die Bewegung des Blutes durch die Blutgefäße - und es gibt noch vieles andere, was sich im Inneren des Menschen bewegt -, dann haben Sie ein Bild von dem, was im Inneren des Menschen sich bewegt, gleichgültig, ob er steht oder geht. Das kann nicht so ohne weiteres eingegliedert werden in die erste Gesetzmäßig­keit, sondern das muß eingegliedert werden in die kosmische Gesetz­mäßigkeit, geradeso wie die Form und auch die Bewegungen der Pflan­zen; nur gehen diese beim Menschen langsamer vor sich als die Formen und die Bewegungen der Pflanzen. So daß wir sagen können: Zweitens sind da eingegliedert die inneren Bewegungen des Menschen (siehe Auf­stellung Seite 62).

Sie können nun den Kosmos nehmen, ich möchte sagen bis in un­bestimmte Entfernungen, irgendwie hat alles in dieser Weise Einfluß auf das Leben, das sich auf der Erdoberfläche entwickelt. Aber wenn dieses beides nur vorhanden wäre, wenn nur vorhanden wäre irdische Gesetzmäßigkeit und kosmische Gesetzmäßigkeit in dem Sinne, wie ich sie jetzt vor Sie hingestelit habe, so würde nichts anderes auf der Erde vorhanden sein können als die mineralische Welt und die pflanz­liche Welt, denn der Mensch könnte da natürlich nicht vorhanden sein. Bewegen könnte er sich, wenn er vorhanden sein könnte, und innerliche Bewegungen könnten vorhanden sein, aber das gibt natürlich noch nicht den Menschen. Auch nicht Tiere könnten auf der Erde vorhan­den sein, real könnten nur vorhanden sein Mineralien und Pflanzen.

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Es muß dasjenige, was zunächst kosmische Gesetzmäßigkeit und kos­mischer Seinsinhalt ist, durchsetzt und durchwebt sein von etwas, das wir überhaupt nicht mehr zum Raume rechnen können, demgegenüber wir nicht mehr vom Raume sprechen können.

Natürlich ist alles, was unter eins und zwei fällt, im Raume zu den­ken, aber wir müssen von etwas sprechen, was nicht mehr im Raume als vorhanden gedacht werden kann, was aber zunächst durchsetzt alle kosmische Gesetzmäßigkeit. Sie brauchen nur daran zu denken, wie beim Menschen seine Bewegungen, semne mnneren Bewegungen mit sei­nem Rhythmus zusammenhängen. Zunächst landet ja gewissermaßen dasjenige, was die Bewegung unserer Nahrungsstoffe in uns ist, in der Blutbewegung. Aber die Blutbewegung findet ja nicht so statt, daß das Blut einfach als der Nahrungssaft die Adern durchläuft. Das Blut be­wegt sich rhythmisch, und außerdem steht dieser Rhythmus wiederum mn einem bestimmten Verhältnis zum Atmungsrhythmus, indem Sauer­stoff für die Blutbildung verbraucht wird. Wir haben diesen doppelten Rhythmus. Ich habe einmal darauf hingewiesen, wie auf diesem Ver­hältnis des Blutrhythmus zum Atmungsrhythmus, von vier zu eins, mnnere seelische Gesetzmäßigkeit so beruht, daß Metrik und Versmaß eigentlich davon abhängen.

Wir sehen also, daß dasjenige, was sich da abspielt als innere Be­wegung, mit dem Rhythmus zusammenhängt, und von dem Rhythmus haben wir gesagt, daß er in Beziehung steht zum Seelenleben des Men­schen. Ebenso müssen wir das, was wir in den Bewegungen der Sterne haben, in Beziehung bringen zur Weltenseele. So daß wir zum dritten sprechen können von der Gesetzmäßigkeit innerhalb der Weltenseele (siehe Aufstellung Seite 62), und darinnen haben wir eingeschlossen erstens die Tierwelt und zweitens alles dasjenige, was zunächst mit Bezug auf den leiblichen Menschen seine rhythmischen Vorgänge sind. Diese rhythmischen Vorgänge innerhalb des Menschen stehen ja im Verhältnisse zum gesamten Weltenrhythmus. Wir haben auch davon schon gesprochen, wollen uns aber das jetzt für die nächsten Betrach­tungen dieser Tage wieder vor die Seele führen.

Sie wissen, achtzehn Atemzüge hat ungefähr der Mensch in der Minute. Rechnen Sie das sechzigmal, so bekommen Sie die Atemzüge

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in der Stunde. Nehmen Sie das vierundzwanzigmal, so bekommen Sie die Atemzüge des Tages: Sie bekommen ungefähr 25920 Atemzüge für den normalen Menschen im Laufe des Tages. Diese Zahl der Atemzüge bildet also den Tag- und Nachtrhythmus im Menschen. Wir wissen, daß der Frühlingsaufgangspunkt der Sonne mit jedem Jahr etwas wei­terrückt, so daß gewissermaßen die Sonne um das Himmelsgewölbe ihren Frühlingsaufgangspunkt vorwärtsrückt. Und die Dauer der Zeit, nach welcher dieser Frühlingsaufgangspunkt wieder an seinen alten Ort zurückkommt, ist 25920 Jahre. Das ist der Rhythmus zunächst unseres Weltenalls, und unser Atemrhythmus in vierundzwanzig Stun­den ist ein Miniaturabbild davon. Wir befinden als also mit unserem Rhythmus eingesponnen in den Weltenrhythmus, durch unsere Seele in die Gesetzmäßigkeit der Weltenseele.

Das vierte, das wir betrachten können, ist nun die Gesetzmäßig­keit, die dem ganzen Weltenall zugrunde liegt, wie auch alle drei frü­heren Gesetzmäßigkeiten, jene Gesetzmäßigkeiten, innerhalb welcher wir uns fühlen, wenn wir unserer selbst als geistige Menschen uns be­wußt werden. Wenn wir unserer selbst als geistige Menschen uns be­wußt werden, dann ist das ja so, daß wir uns klar darüber sein müssen:

Wir können zunächst das oder jenes von der Welt nicht begreifen, denn mit dem heutigen Intellektualismus, der schon einmal die all­gemeine geistige Kulturkraft ist, wird ja das wenigste begriffen; wir begreifen also mit unserem Geiste in einem bestimmten menschlichen Entwickelungszustande zunächst wenig. Aber es liegt in der Selbst­auffassung des Geistes selber, daß er sich sagt: Wenn er sich entwickelt, so können ihm keine Grenzen gegeben sein. Er muß sich in das Welten-all hinein erkennend, fühlend, wollend entwickeln können. Und so müssen wir, indem wir unseren Geist in uns tragen, ihn beziehen auf eine vierte Gesetzmäßigkeit innerhalb des Weltengeistes (siehe Auf­stellung Seite 62).

Und nun erst kommen wir zu dem, was darinnen eingeschlossen ist als reales Wesen, denn der Mensch könnte ja innerhalb der andern Ge­setzmäßigkeiten gar nicht da sein. Da kommen wir erst dazu, den Menschen zu finden, aber im Speziellen vom Menschen dasjenige, was sein Nerven-Sinnesapparat ist, alles das, was zunächst der physische

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Träger des geistigen Lebens ist, also die Nerven-Sinnesvorgänge. Es ist ja beim Menschen so, daß zunächst der ganze Mensch in Betracht kommt, der seinen Kopf, das heißt, den hauptsächlichsten Berger der Nerven-Sinnesorgane trägt, und dann dieser Kopf selber. Der Mensch ist gewissermaßen dadurch Mensch, daß er seinen Kopf hat, und das menschlichste am Menschen ist der Kopf, ist das Haupt.

1.) Gesetzmäßigkeit innerhalb dem irdischen Daseins

Eingeschlossen: 1) Die mineralische Welt 2) Der äußerlich bewegte Mensch

2.) Gesetzmäßigkeit innerhalb des kosmischen Daseins

Eingeschlossen: 1) Die pflanzliche Welt 2) Die inneren Bewegungen

des Menschen

3.) Gesetzmäßigkeit innerhalb der Weltenseele

Eingeschlossen: 1) Die Tierwelt 2) Die rhythmischen Vorgänge

4.) Gesetzmäßigkeit innerhalb des Weltengeistes

Eingeschlossen: 1) Der Mensch 2) Die Nerven-Sinnesvorgänge

So daß uns schon da der Mensch zweimal begegnen darf. Nun gibt uns das zunächst - wenn wir es als Zusammenfassung betrachten von dem, was wir in den letzten Wochen besprochen haben - ein Bild des Zusammenhanges der Menschen mit der Umwelt, aber mit jener Um­welt, die nicht bloß die räumliche ist, denn auf die räumliche Welt bezieht sich nur emns und zwei, sondern auch mit derjenigen Welt, die die nichträumliche ist. Darauf bezieht sich dann drei und vier. Das wird ja insbesondere den Menschen der Gegenwart schwer, zu denken, daß irgend etwas nicht im Raume sein könnte, oder daß es keinen Sinn hat, vom Raume zu reden, wenn man auch von Realitäten spricht. Ohne das kann man aber nicht zu einer geistigen Wissenschaft auf­steigen. Wer im Raume bleiben will, kann nicht zu geistigen Entitäten aufsteigen.

Ich habe Ihnen das letzte Mal, als ich hier sprach, von der Welt­anschauung der Griechen gesprochen, um Sie darauf hinzuweisen, wie zu andern Zeiten die Menschen die Welt anders angesehen haben, als das heute der Fall ist. Dieses Bild, von dem ich Ihnen eben gesprochen habe, ergibt sich dem Menschen der Gegenwart; es ergibt sich ihm, wenn er einfach vorurteilslos, ungehindert durch das, was an Schutt die heutige Wissenschaft aufwirft, die Welt betrachtet.

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Nun muß ich zu dem, was ich Ihnen über die griechische Anschau­ung gesagt habe, noch einiges hinzufügen, damit wir den Anschluß finden an dasjenige, was ich durch dieses Schema Ihnen habe sagen wollen. Wenn der Mensch ganz gescheit ist, dann sagt er: Die räum­liche Welt besteht aus etlichen siebzig Elementen, die verschiedene Atomgewichte haben und so weiter, und diese Elemente gehen Syn­thesen ein, man kann Analysen mit ihnen vollführen und so weiter. Auf chemischen Verbindungen und chemischen Entbindungen beruht dasjenige, was in der Welt vorgeht in bezug auf diese etlichen siebzig Elemente. Daß sie weiter zurückgeführt werden können auf etwas Ursprünglicheres, darum wollen wir uns im gegenwärtigen Augen­blicke weniger kümmern. Im allgemeinen gelten ja der populären Wis­senschaft heute diese etlichen siebzig Elemente.

Ein Grieche, nicht in seiner gegenwärtigen Verkörperung, da würde er ja natürlich auch so denken wie die gegenwärtigen Menschen, wenn er gelehrt wäre, aber sagen wir, wenn er als alter Grieche wiederum hereingeschneit kommen könnte in die gegenwärtige Welt, dann würde er sagen: Ja, das ist ja ganz schön, diese etlichen siebzig Elemente, aber mit dem kommt man nicht weit, die sagen eigentlich nichts über die Welt aus. Da haben wir ganz anders über die Welt gedacht. Wir haben gedacht, die Welt besteht aus Feuer, Luft, Wasser, Erde.

Da würde der Mann der Gegenwart sagen: Das ist eben einer kind­lichen Auffassungsweise eigen. Über das sind wir längst hinaus. Wir lassen ja in den Aggregatzuständen, in den gasigen Aggregatzuständen das Luftförmige gelten, im flüssigen Aggregatzustand das Wässerige und im festen Aggregatzustand lassen wir die Erde gelten. Aber Wärme gilt uns überhaupt nicht mehr als irgend etwas, das man so anspricht wie du. Wir sind eben über diese kindlichen Vorstellungen hinaus. Wir haben dasjenige, was die Welt für uns konstituiert, in unseren etlichen siebzig Elementen.

Da würde der Grieche sagen: Ganz schön, aber Feuer oder Wärme, Luft, Wasser, Erde, das ist uns etwas ganz anderes, als was du dir dar­unter vorstellst. Und was wir uns darunter vorgestellt haben, davon verstehst du gar nichts. - Nun würde zuerst der heutige Gelehrte etwas sonderbar berührt sein davon, und er würde meinen, er stünde eben

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einem Menschen auf kindlicherer Kulturentwickelungsstufe gegenüber. Aber der Grieche würde vielleicht - denn er würde gleich überschauen, was der moderne Gelehrte eigentlich in seinem Kopfe hat -, er würde sich ganz gewiß nicht zurückhaltend verhalten, sondern er würde sagen: Ja, weißt du, was du deine zweiundsiebzig Elemente nennst, das gehört alles für uns zu der Erde dazu; es ist ja schön, daß du das differenzierst, daß du das weiter spezifizierst, aber die Eigenschaften, die du bei deinen zweiundsiebzig Elementen anerkennst, die gehören für uns zur Erde dazu. Von Wasser, Luft und Feuer verstehst du gar nichts, davon weißt du gar nichts.

Und er würde weiter reden, der Grieche - Sie sehen, ich wähle nicht eine weit im Orient zurückgelegene Kulturepoche, sondern nur einen wissenden Griechen -, er würde sagen: Was du da von deinen zweiundsiebzig Elementen mit ihren Synthesen und Analysen sagst, ist ja alles ganz schön, aber was glaubst du, worauf sich das bezieht? Es bezieht sich ja alles lediglich auf den physischen Menschen, wenn er gestorben ist und im Grabe liegt. Da gehen seine Stoffe, da geht sein ganzer physischer Leib die Prozesse durch, die du kennenlernst in deiner Physik, in deiner Chemie. Das, was du innerhalb der Strukturverhält­nisse deiner etlichen siebzig Elemente kennenlernen kannst, das bezieht sich ja gar nicht auf den lebenden Menschen. Du weißt gar nichts von dem lebenden Menschen, weil du nichts weißt von Wasser, Luft und Feuer. Man muß erst etwas wissen von Wasser, Luft und Feuer, dann weiß man etwas vom lebenden Menschen. Durch das, was du mit deiner Chemie umfassest, weißt du nur etwas von dem, was mit dem Menschen geschieht, wenn er gestorben ist und im Grabe liegt, von dem, was der Leichnam als seine Prozesse durchmacht. Von dem weißt du nur, wenn du mit deinen etlichen siebzig Elementen kommst.

Er würde ja nun mit dem weiteren bei dem gegenwärtigen Gelehr­ten nicht sonderlich Glück haben, der Grieche, aber er würde sich vielleicht in der folgenden Weise bemühen, ihm noch etwas klarzu-machen. Er würde ihm sagen: Sieh einmal, wenn du deine zweiund-siebzig Elemente betrachtest, so ist das für uns alles Erde. Wir betrach­teten zwar nur das Allgemeine; aber wenn du das auch spezifizierst:

es ist eben nur ein genaueres Kennen, und durch das genauere Kennen

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dringt man nicht in die Tiefen. Wenn du aber wüßtest, was wir als Wasser bezeichnen, so hättest du ein Element, an dem, sobald es über­haupt in sein Weben und Leben kommt, nicht mehr bloß die irdischen Verhältnisse tätig sind, sondern das Wasser in seiner ganzen Wirksam­keit unterliegt kosmischen Verhältnissen.

Der Grieche verstand unter dem Wasser nicht das physische Wasser, sondern er verstand darunter all das, was an Gesetzmäßigkeit vom Kosmos auf die Erde hereinspielt, in das die Wasserstoffbewegung ein­bezogen ist. Und innerhalb dieser Wasserstoffbewegung lebt wiederum das pflanzliche Element. Der Grieche schaute - indem er von allem Erdigen dasjenige unterschied, was im lebend-webenden Wasserele­ment ist - in diesem lebend-webenden Elemente zu gleicher Zeit die ganze Gesetzmäßigkeit des vegetabilischen Lebens, das eingespannt ist in dieses wässerige Element. So daß wir sagen können: Dieses wässe­rige Element können wir schematisch irgendwohin auf die Erde in irgendeiner Weise hinstellen, aber vom Kosmos aus determiniert hin-stellen. Und nun können wir von unten hinauf irgendwie sprossend, in allerlei Weise sprossend das mineralische Element denken, das eigent­lich irdische Element, das dann die Pflanzen durchsetzt, gewissermaßen

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durchspritzt mit dem irdischen Elemente. Aber was der Grieche sich unter dem wässerigen Elemente dachte, war etwas wesentlich Neues, und es war das für ihn eine ganz positive Anschauung. Und er schaute das nicht in Begriffen an, er schaute das in Bildern an, in Imaginationen.

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Wir müssen allerdings bis in die platonische Zeit zurück­gehen - denn durch Aristoteles ist diese Anschauungsweise verdorben worden -, wir müssen bis auf Plato, auf die vorplatonische Zeit zurück­gehen, und finden dann, wie der wirklich wissende Grieche in Imagina­tion dasjenige angeschaut, hat, was da im wässerigen Element lebte und die Vegetation eigentlich trug, und was er durchaus auf den Kosmos bezog.

Nun würde er weiter sagen: Siehst du, das, was da im Grabe liegt, wenn der Mensch gestorben ist, und was gesetzmäßig durchzogen ist von den Strukturgesetzen, die in deinen etlichen siebzig Elementen wirken, das ist eingespannt zwischen der Geburt, oder sagen wir der Empfängnis und dem Tode, in das ätherische Leben, in das aus dem Kosmos hereinwirkende ätherische Leben. Von dem bist du durchsetzt, wenn du ein lebendiger Mensch bist, und von dem verstehst du nichts, wenn du nicht von Wasser als einem besonderen Elemente redest, und wenn du nicht hinausschaust in die Pflanzenwelt als eingespannt in das wässerige Element, wenn du nicht diese Bilder, diese Imaginationen siehst.

Wir Griechen - würde er sagen -, wir redeten gewiß vom Atherleib des Menschen, aber wir erdichteten nichts über den Atherleib, sondern wir sagten: Was einem da erscheinen kann vor dem Seelenauge, wenn man im Frühling die aufsprießende, grünwerdende Pflanzenwelt sieht, wenn man die allmählich sich verschieden färbende Pflanzenwelt sieht, wenn man diese Pflanzenwelt zum Fruchten kommen sieht im Sommer und die Blätter welk werden sieht gegen den Herbst zu, was einem da erscheinen kann, wenn man einen solchen Jahreslauf in der Vegetation sieht und ein inneres Verständnis dafür hat, das setzt sich zu einem ebenso in Bezug, wie man sich durch Brot und Fleisch, die man ißt, zur mineralischen Welt in Bezug setzt; ebenso setzt man sich zu dem in Bezug, was im Jahreslauf draußen sichtbar ist in der vegetabilischen Welt. Und durchdringt man sich mit der Anschauung, daß überhaupt ja alles in uns im vierundzwanzigstündigen Lauf wie in einem Miniatur-bild abläuft und dann sich durch das ganze Leben hindurch wieder­holt, so haben wir in uns ein Miniaturbild dessen, was da draußen aus dem wässerigen, ätherischen Elemente heraus, aus dem Kosmos heraus

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die Umwelt konstituiert. Wir können, wenn wir mit Verständnis diese äußere Welt anschauen, sagen: Das, was da draußen ist, lebt in unserem Inneren. - Geradeso wie wir sagen: Der Spinat wächst da draußen, ich pflücke ihn, ich koche ihn und esse ihn und dadurch habe ich ihn im Magen, das heißt in meinem physischen Leibe -, so können wir sagen: Da draußen im Jahreslaufe webt und lebt ein ätherisches Leben, und das habe ich in mir.

Nicht das physische Wasser ist es, an das der Grieche dachte, aber das, was er in diesen Imaginationen erfaßte und zum Menschen in lebendige Beziehung brachte, das lag seiner Anschauung zugrunde. Und so würde er weiter sagen zu seinem Unterredner: Du studierst den Leichnam, der im Grabe liegt, weil du nur Erde studierst, denn deine etlichen siebzig Elemente sind Erde. Wir studierten den lebenden Menschen. Wir studierten während unserer Zeit auch den Menschen, der noch nicht gestorben ist, der aus innerer Regsamkeit heraus wächst und sich bewegt. Das kann man nicht, wenn man nicht aufsteigt zu den andern Elementen.

So war es bei den Griechen, und würden wir weiter zurückkommen, dann würde uns mit aller Deutlichkeit das Luftelement und das Feuer-oder Wärmeelement entgegentreten. Das wollen wir später auch noch betrachten; aber ich will zunächst heute darauf hinweisen, wie dieses, daß der Mensch in seinem Inneren nicht die richtigen Kräftezusammen­hänge sieht, in der Tat davon abhängt, daß er diese Kräftezusammen­hänge auch in der Außenwelt nicht finden kann, daß er verzichtet auf diese Kräftezusammenhänge. Und das ist das Charakteristische unserer Kulturentwickelung seit dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts, daß das Verständnis für diese Zusammenhänge der Elemente einfach ver­lorengegangen ist, damit aber auch verlorengegangen ist das Verständ­nis für den lebendigen Menschen. Wir studieren den Leichnam in der offiziellen Wissenschaft. Wir haben ja öfter gehört, daß diese Phase schon einmal in der Entwickelungsgeschichte der Menschheit kommen mußte, aus andern Gründen allerdings kommen mußte, nämlich damit die Menschheit durch die Phase der Freiheitsentwickelung durchgehen könne. Aber ein gewisses Verständnis für Natur und Mensch ist seit dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts verlorengegangen. Das Ver­ständnis

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hat sich bisher beschränkt auf dieses bloße eine Element, die Erde. Und wir müssen wiederum den Rückweg antreten. Wir müssen uns wiederum zurückfinden durch die Imagination zu dem Elemente des Wassers, durch die Inspiration zu dem Elemente der Luft, durch die Intuition zu dem Elemente des Feuers. Im Grunde genommen ist es auch ein Aufstieg zu den Elementen, was wir als einen Aufstieg in der höheren Erkenntnis gesehen und gedeutet haben, den Aufstieg von dem gewöhnlichen gegenständlichen Erkennen durch die Imagination, In­spiration zur Intuition. Davon wollen wir dann übermorgen weiterreden.

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VIERTER VORTRAG Dornach, 26. Juni 1921

Vorgestern sprachen wir davon, wie etwa ein Grieche derjenigen Zeit, in der noch eine gewisse verinnerlichte Erkenntnis vorhanden war, gedacht haben würde über die Weltanschauung, über das wissenschaft­liche Weltbild der Gegenwart, und ich versuchte dann vorzuführen, wie von dem Gesichtspunkt imaginativer Erkenntnis solch ein Grieche dasjenige beschrieben haben würde, was wir gewohnt sind, den mensch­lichen Ätherleib zu nennen, im Verhältnis zu dem Elemente des Was­sers. Ich sagte: Der imaginativen Erkenntnis würde sich ein gewisser Zusammenhang ergeben der gesamten Wasserwirkung, des Wellens und Webens des Wasserelementes, des Strebens nach der Weite, des Sich­Senkens nach der Erde, und ein Zusammenhang dieser, ich möchte sagen, Kräfteentfaltungen nach der Weite und nach dem Zentrum mit dem Gestalten, mit dem Bilden des pflanzlichen Elementes in seinen einzelnen Formen. Wir kommen da zu einer konkreten Gestaltung des Inhaltes der imaginativen Welt, wenigstens eines Teiles der imagina­tiven Welt. Praktisch für das menschliche Anschauen ist eine solche Erkenntnis nur zu erlangen, wenn eine Entwickelung angestrebt wird, wie sie eben beschrieben worden ist in meinem Buche: «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», zum Ziele der imaginativen Erkenntnis.

Nun würde man aber mit einer solchen Erkenntnis noch immer un­bekannt bleiben dem gegenüber, was in der früheren Weltanschauung das Luftelement genannt wurde. Dieses Luftelement, es kann so, wie es zum Beispiel die Alten aufgefaßt haben, nur in sogenannter inspirierter Erkenntnis durchdrungen werden. Sie werden nahekommen dieser in­spirierten Erkenntnis, diesem Erleben des Luftelementes, wenn Sie ver­suchen, sich folgendes klarzumachen. Ich habe schon des öfteren er­wähnt, wie heute der Mensch im Grunde genommen recht äußerlich betrachtet wird. Man braucht ja nur sich daran zu erinnern, wie heute anatomische, physiologische Bilder von dem Menschen gemacht wer­den. Sie werden so gemacht, daß man irgendwelche scharfen Konturen

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von den inneren Organen hinzeichnet, von Herz, Lunge, Leber. Gewiß, diese scharfen Konturen, diese Grenzlinien von Herz, Lunge, Leber und so weiter, sie haben ja eine gewisse Berechtigung. Allein wir zeichnen mit ihnen den Menschen so, wie wenn er durch und durch ein fester Körper wäre, aber er ist das ja nicht. Der Mensch besteht zum aller-geringsten Teile aus festen mineralischen Substanzen. Wenn wir, ich möchte sagen, selbst ein Maximum nehmen, so können wir höchstens acht Prozent als fest im Menschen annehmen; zu zweiundneunzig Pro­zent ist der Mensch eine Flüssigkeitssäule, ist er gar nicht fest. Das Feste ist nur eingelagert im Menschen. Davon wird sehr wenig Bewußt­sein erweckt bei den gegenwärtigen Schülern der Physiologie, der Ana­tomie und so weiter. Den wässerigen Menschen, den Flüssigkeitsmen­schen lernen wir aber nicht kennen, wenn wir ihn so zeichnen mit den festen Grenzen seiner Organe, sondern der Flüssigkeitsmensch ist etwas, was in fortwährender Strömung ist; sein Organismus ist ein fortwäh­rend in sich Bewegliches. Und in diesen Flüssigkeitsorganismus lagert sich ja jetzt der Luftorganismus erst ein. Die Luft strömt ein, ver­bindet sich mit den Substanzen im Inneren, quirlt sie, wenn ich so sagen darf, auf.

Dadurch, daß der Mensch dieses Luftelement in sich hat, bildet er eigentlich eine vollständige Einheit mit der äußeren Welt. Die Luft, die ich jetzt in mir habe, ich habe sie ja vor ganz kurzer Zeit nicht in mir gehabt; sie war draußen. Die Luft, die ich jetzt in mir habe, sie wird nachher wiederum draußen sein. Man kann ja gar nicht davon sprechen, daß der Mensch, wenn wir ihn diesem dritten Elemente, dem Luftelement gemäß betrachten, innerhalb seiner Haut abgeschlossen ist, und erst recht nicht dem Wärme- oder Feuerelement gegenüber. Man kann nicht sagen, daß der Mensch ein abgeschlossenes Wesen ist.

Nun stellen wir dem, was wir so als den vollständigen Menschen betrachten, als denjenigen Menschen, der nicht nur organisiert ist im Festen, sondern der organisiert ist im Flüssigen, im Luftförmigen und in dem Elemente der Wärme, in der konfigurierten, ineinander sich bewegenden Wärme, dem stellen wir gegenüber den Menschen, wie er ist, wenn er schlafend mit seiner Seele und mit seinem Geiste außerhalb des Leibes und Ätherleibes ist. Was vom Aufwachen bis zum Einschlafen

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den Menschen durchseelt und durchgeistet, das ist ja nicht da in der Zeit zwischen dem Einschlafen und Aufwachen. Das ist dann in einer andern Welt, die auch durchzogen ist von Gesetzmäßigkeit. Und wir müssen uns jetzt fragen: Von welcher Gesetzmäßigkeit ist die Welt durchzogen, in der sich der Mensch zwischen dem Einschlafen und Aufwachen befindet? - Wir haben gestern vier Arten von Gesetz­mäßigkeiten angegeben: erstens die Gesetzmäßigkeit innerhalb der irdischen Welt, zweitens die Gesetzmäßigkeit innerhalb der kosmischen Welt, drittens die Gesetzmäßigkeit innerhalb der Weltenseele und vier­tens die Gesetzmäßigkeit innerhalb des Weltengeistes. Wir fragen uns: Wo ist jetzt der Mensch mit seiner Seele und mit seinem Geiste oder mit seinem seelischen Teil und mit seinem Ich zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen? - Nun, eine Überlegung und der Vergleich mit dem, was wir bisher besprochen haben, ergibt Ihnen, daß hier astra­lischer Leib und Ich sind in der Zeit zwischen dem Einschlafen und Aufwachen, in dem Gebiete der Weltenseele und des Weltengeistes.

1. Gesetzmäßigkeit innerhalb der irdischen Welt

2. Gesetzmäßigkeit innerhalb der kosmischen Welt

3. Gesetzmäßigkeit innerhalb der Weltenseele } Astr. Leib, Ich

4. Gesetzmäßigkeit innerhalb des Weltengeistes }

Und wir müssen ganz ernst nehmen, was wir vorgestern erwähnt haben, daß wir ja mit den beiden ersten Welten, mit der irdischen und der kosmischen Welt, das gesamte Gebiet des Raumes erschöpft haben. Wir kommen also, indem wir diese Gebiete betreten, schon außerhalb der Gebiete der Räumlichkeit. Das ist etwas, was wir uns immer klarer vor die Seele stellen müssen: Jedes Schlafen führt den Menschen nicht nur, wie man oftmals sagt, außerhalb seines physischen Leibes, sondern es führt ihn außerhalb des gewöhnlichen Raumes. Es führt ihn in eine Welt, die überhaupt nicht verwechselt werden darf mit der Welt, die sinnlich angeschaut werden kann. Aus dieser Welt heraus ist aber alle Gesetzmäßigkeit, welche zugrunde liegt dem rhythmischen Menschen, jenem Menschen, der sein Flüssigkeitselement und auch sein Luftele­ment mit Rhythmus durchorganisiert. Der Rhythmus erscheint im

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Raume, aber der Quell des Rhythmus, die Gesetzmäßigkeit, welche den Rhythmus hervorbringt, die strömt in jedem Punkte des Raumes aus außerräumlichen Tiefen hervor. Die wird überall reguliert von einer realen Welt, die jenseits des Sinnesraumes ist. Und stehen wir gegenüber jenem wunderbaren Wechselspiel, das sich abspielt im inner­menschlichen Rhythmus durch die Atemzüge und durch den Puls, dann nehmen wir eigentlich in diesem Rhythmus etwas wahr, was aus geisti­gen, außerräumlichen Untergründen hereinreguliert wird in die Welt, in der sich der Mensch auch als physischer Mensch befindet. Wir können gar nicht das Element des Luftartigen verstehen, wenn wir nicht zu einem solchen konkreten Verstehen der rhythmischen Äußerung des Menschen innerhalb dieses Luftartigen kommen können.

Wenn man noch mit der Imagination dasjenige erfaßt, was ich Ihnen vorgestern beschrieben habe, das Weben und Wesen der pflanz­lichen Welt und das damit parallel gehende Weben und Wesen des menschlichen Ätherleibes, dann ist man noch in der Welt, in der man sonst auch ist; man muß sich nur erdentrückt denken, gewissermaßen hinausergossen in den ganzen Kosmos. Aber geht man über zu dem Luftelemente, dann muß man sich herausversetzen aus dem Raum, dann muß man die Möglichkeit haben, in einer Welt sich zu wissen, die nun nicht mehr räumlich ist, sondern nur noch zeitlich, in der nur noch das Zeitliche eine gewisse Bedeutung hat. In Zeiten, in denen man solche Dinge lebendig angeschaut hat, sah man das, was solchen Welten an­gehört, auch in einer solchen Weise an, daß man das Hineinspielen des Geistigen in die menschliche Betätigung auf dem Umwege durch den Rhythmus wirklich sah. Und ich habe aufmerksam darauf gemacht, wie der Grieche der griechischen Urzeit herausgegliedert hat den Hexa­meter: drei Pulsschläge mit der Zäsur, was einen Atemzug gibt, weitere drei Pulsschläge mit der Zäsur oder mit dem Ende des Verses gibt den vollen Hexameter: in zwei Atemzügen die entsprechenden acht Puls­schläge. Das Zusammenklingen der Pulsschläge mit der Atmung, es wurde kunstvoll gestaltet beim Rezitativ des griechischen Hexameters. Wie, man möchte sagen, die geistig-übersinnliche Welt den Menschen durchrieselt, wie sie hereinrieselt in die Blutzirkulation, in den Blut-rhythmus und sich synthetisiert, vier Pulsschläge, vier Pulsrhythmen

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zu einem Atmungsrhythmus, das wurde wiedergegeben in jener Sprach­gestaltung, die der Hexameter ist. Alle ursprünglichen Bestrebungen, Verse zu bauen, sind hervorgeholt aus dieser rhythmischen Organi­sation des Menschen.

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Real wird für den Menschen selbst die Welt, aus der dieses rhyth­mische Sich-Betätigen kommt, erst dann, wenn der Mensch schlafend bewußt wird. Die Tätigkeit, in der der Mensch dann schlafend, aber bewußt lebt, spielt eben in seinen Rhythmus herein. Was da zugrunde liegt, bleibt unbewußt dem gewöhnlichen Alltagsbewußtsein und erst recht dem gewöhnlichen heutigen wissenschaftlichen Bewußtsein. Wird das aber bewußt, dann tritt nicht nur dasjenige auf vor dem Menschen, was ich gestern beschrieb, die wogende, webende, wellende Pflanzen­welt, sondern dann tritt etwas auf, was jetzt nicht Bilder der gewöhn­lichen Tierwelt sind, denn die wären räumlich, sondern es tritt auf ein deutliches Bewußtsein - das aber nur außerhalb des Leibes, nicht inner­halb des Leibes auftreten kann -, welches zum Inhalte hat die kon­kreten Bilder, aus denen sich dann die Gestalten der Tiere im Raume bilden. Geradeso wie unsere menschliche rhythmische Tätigkeit her­einsprudelt aus dem Außerräumlichen, so sprudeln herein aus dem Außerräumlichen die Gestalten, die dann in den verschiedenen Tieren sich organisieren.

Das erste, was erlebt wird, wenn man bewußt jenen Zustand durch-macht, der sonst unbewußt zwischen dem Einschlafen und Aufwachen durchgemacht wird, was man da erlebt, indem man untertaucht in diese Welt, die der Quell unseres Rhythmus ist, das ist, daß einem die tierische Welt in ihren Formen verständlich wird. Die Tierwelt kann nicht in ihren Formen erklärt werden aus äußeren physischen Grund­lagen, Kräften. Wenn die Zoologen oder Morphologen glauben, die Löwenform, die Tigerform, die Schmetterlingsform, die Käferform aus irgend etwas erklären zu können, was hier im physischen Raume zu finden ist, so täuschen sie sich sehr. Es ist das, woraus die Formen der Tiere zu erklären sind, nicht aus irgend etwas zu erklären, was hier im

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physischen Raume zu finden ist. Man trifft es an auf die Weise, wie ich es jetzt beschrieben habe, wenn man eben in die dritte der Gesetz­mäßigkeiten hineinkommt, in die Gesetzmäßigkeiten der Weltenseele.

Und ich möchte jetzt wiederum zurückverweisen auf den Griechen, den ich ja vorgestern in ein Gespräch gebracht habe mit dem modernen Gelehrten, der alles weiß; das heißt, er gibt ja zuweilen zu, daß er nicht alles weiß, aber er prätendiert, daß auf seine Art mindestens alles er­klärt werden müsse. Der Grieche würde sagen: Auf deine Art kann überhaupt nichts erklärt werden, denn ich habe davon gehört, daß du so etwas hast wie eine Logik. Da zählst du allerlei abstrakte Begriffs­formen, Kategorien auf, Sein, Werden, Haben und so weiter. Diese Logik ist etwas, was eine Gesetzmäßigkeit der Begriffe, der Ideen dar­stellen soll. Ja, aber diese abstrakte Logik - ich denke jetzt an einen Griechen der vorsokratischen Zeit, an einen Griechen derjenigen Zeit, aus der dann die Philosophien des Thales, des Heraklit, des Anaxagoras hervorgegangen sind, die ja äußerlich nur zum Teil erhalten sind -, das, was ihr die Logik nennt - würde ein solcher Grieche sagen -, das hat ja erst ein Mensch gemacht, der eigentlich nicht mehr viel gewußt hat von den Geheimnissen der Welt. Das hat erst Aristoteles gemacht, nach­dem er gründlich seinen Philisterverstand auf den Platonismus ange­wendet hat. Gewiß, Aristoteles ist ein großer Mann, aber eben ein großer Philister, der die wirkliche Logik ganz korrumpiert hat, der die wirkliche Logik zu einem Gespinst gemacht hat, das sich zur Reali­tät verhält, wie eben etwas ganz dünn gesponnenes Wesenloses zu etwas dicht Realem. Und die wirkliche Logik - würde ein Grieche dieser Zeit sagen, der eben in seiner Art ein Wissenschafter gewesen ware - um­faßt diejenigen Formen, die in der Tierwelt äußerlich-räumlich werden, und die man findet, wenn man bewußt wird zwischen Einschlafen und Aufwachen. Das ist Logik, das ist der reale Inhalt des logischen Be­wußtseins.

In der Tierwelt ist eben nichts anderes vorhanden als das, was im Menschen auch vorhanden ist, aber im Menschen ist es vergeistigt, und so kann er denken, so kann er die logischen Formeln denken, die in der äußeren Welt in dem Raume schwimmen und Tiere werden. Es ist schon so: Wenn wir zwischen dem Aufwachen und Einschlafen im

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gewöhnlichen Bewußtsein unsere Begriffsformen wälzen, die eine Be­griffsform mit der andern verbinden, dann tun wir in ideeller Bezie­hung dasselbe, was die Außenwelt tut, indem sie die verschiedenen Formen des Getieres gestaltet. Geradeso wie man sein Ätherisches betrachtet, wenn man den Blick wendet auf die Pflanzen und diese Pflanzenwelt sich eingebettet denkt in das Element des Wassers, ge­radeso begreift man die eigene Seelenwelt - meinetwillen kann sie die Astralwelt genannt werden -, wenn man mit diesem lebendigen Weben, das bewußt wird dem Bewußtsein zwischen Einschlafen und Auf­wachen, sich durchdringt und das äußere Gestalten der Tierwelt ver­steht. Man muß sich dann das eigene Gestalten der ideellen Welt ein­gesponnen denken in den Rhythmus des luftigen Elementes.

Sie können sich ja eine ganz konkrete Vorstellung machen aus mancherlei, das ich Ihnen über den Menschen angedeutet habe. Nehmen Sie den Vorgang ganz konkret: Sie atmen ein, die Luft geht die Ihnen bekannten Wege durch die Lunge. Dadurch aber, daß Sie eingeatmet haben, schlägt in den Raum, in dem das Rückenmark, aber auch die Rückenmarksflüssigkeit eingebettet ist, die Einatmungsluft hinein; durch den Arachnoidealraum wird dieses Wasser, das das Rückenmark umgibt, gegen das Gehirn hin rhythmisch geworfen. Das Gehirnwasser kommt in Tätigkeit. Diese Tätigkeit, in die das Gehirnwasser kommt, das ist die Tätigkeit des Gedankens. In Wirklichkeit wellt der Gedanke auf dem Atemzuge, der sich dem Gehirnwasser überträgt, und dieses Gehirnwasser, in dem das Gehirn schwimmt, das überträgt seinen rhyth­mischen Schlag nun auf das Gehirn selbst. Im Gehirn leben die Ein­drücke der Sinne, die Eindrücke der Augen, der Ohren durch die Ner­ven-Sinnesbetätigung. Mit dem, was da von den Sinnen her im Gehirn lebt, schlägt der Atemrhythmus zusammen, und in diesem Zusammen-schlagen entwickelt sich jenes Wechselspiel zwischen Sinnesempfinden und jener Gedankentätigkeit, jener formalen Gedankentätigkeit, die äußerlich in den Tierformen ihr Leben hat, und die dasjenige ist, was der Atmungsrhythmus bewirkt, indem er sich unserem Gehirnwasser im Arachnoidealraum mitteilt und dann dasjenige umspielt, was im Gehirn durch die Sinne lebt. Da lebt alles dasjenige drinnen, was nun ideell in uns zur Tätigkeit gelangt aus dem Rhythmus heraus.

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Das ist das Wesentliche, daß Sie versuchen, allmählich einzudringen in die Art, wie das Geistige hereinspielt in die physisch-sinnliche Welt. Das ist gerade der große Kulturschaden unserer Zeit, daß wir eine Wissenschaft haben, die zum Geiste in abstrakten Formen, in rein intellektualistischen Formen gelangt, während das Geistige begriffen werden muß in seinem schöpferischen Elemente, sonst bleibt die mate­rielle Welt wie ein Hartes, Unbezwungenes außerhalb des Geistigen da. Wir mussen hineinschauen, wie dieses Element der dritten und vierten Gesetzmäßigkeit ganz konkret hereinspielt in das, was wir selber aus­führen.

Es gehört zu dem Wunderbarsten, was wir da gewahr werden, wenn wir den eigentlichen inneren Grund dessen kennenlernen, was sich mit jedem Atemzug vollziehen kann; was sich nicht vollzieht, sondern voll­ziehen kann, indem die Einatmung heraufspielt ins Gehirnwasser Nun kommt der Rückschlag: Das Gehirnwasser wird wiederum durch den Arachnoidealraum heruntergedrängt, und dann kommt es zur Ausat­mung. Das ist dann wieder ein Hingeben an die Welt, das ist ein Zu­sammengehen mit der Welt. Aber in diesem Ich-Werden - Zusammen­gehen mit der Welt - Ich-Werden - Zusammengehen mit der Welt, darin liegt im wesentlichen dasjenige, was sich im Atmungsrhythmus ausdrückt.

So muß man reden, wenn man von jener Wirklichkeit redet, die gemeint ist mit dem Elemente der Luft, während Erde eben alles das umfaßt, was in unseren etlichen siebzig chemischen Elementen ent­halten ist. Sie sehen ja: Das, was Leichnam wird, ist der Gesetzmäßig­keit der zweiundsiebzig Elemente unterworfen. Dasjenige aber, was diesen Leichnam zunächst in Regsamkeit bringt, so daß er wächst, daß er verdauen kann, das ist aus dem Kosmos hereingeströmt. Was diesen Organismus durchdringt, so daß er nicht nur wächst, nicht nur ver­dauen kann, sondern daß er immerzu in rhythmischer Tätigkeit sich entfaltet, in Puls- und Atmungsrhythmus, das kommt aus einer außer-räumlichen Welt. Und wir studieren diese außerräumliche Welt ebenso mm Luftelemente, denn da offenbart sie sich, wie wir die kosmische, nicht die irdische Welt, im Wasserelemente studieren, denn da offen­bart sie sich. Und was sie für den heutigen Chemiker, für den heutigen

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Phyisker offenbart, das kommt nur aus dem in sich differenzierten Erdenelemente.

Wir können dann auch den Übergang finden zu dem Wärme- oder Feuerelemente; aber das ist eigentlich nur möglich in einem Momente, der sich praktisch für den Menschen ergibt, wenn er die Fähigkeit er­langt hat, nicht nur bewußt aus seinem Leibe herauszugehen, sondern mit diesem Bewußtsein in die andern Wesen unterzutauchen. Das ist ein Unterschied. Man kann lange die Fähigkeit haben, aus seinem Leibe herauszugeben, wenn noch etwas Egoismus zurückgeblieben ist gegenüber der Welt, so kann man zwar alles das auffassen, wovon ich bis jetzt gesprochen habe, aber man kann nicht in diese äußere Welt wirklich untertauchen, man kann sich ihr nicht hingeben. Kommen solche Elemente einer wirklichen übersinnlichen Liebe hinzu, eines Untertauchens in diejenige Welt, in der man lebt zwischen dem Ein­schlafen und Aufwachen, dann erst lernt man eigentlich praktisch das Element der Wärme oder des Feuers kennen. Und dann lernt man im Grunde genommen erst kennen das wahre Wesen des Menschen. Denn was äußerlich durch die Sinne angesehen wird, das ist ja zunächst nur ein Scheinbild des Menschen, das ist der Mensch von der andern Seite, von der Seite des Scheines.

Steigt man auf zu dem Elemente des Wassers, so zerfließt einem ja zunächst die ätherische Wesenheit des Menschen. Sie wird, ich möchte sagen, zu einem Miniaturbild von Winter, Sommer, Herbst und so weiter. Kommt man zu dem Elemente der Luft, dann gewahrt man ein rhythmisches Sich-Bewegen. Den geschlossenen Menschen, den Men­schen, wie er als ewiger Mensch ist, den lernt man nur kennen inner­halb des Elementes der Wärme. Da schließt sich wiederum alles zu­sammen, schließen sich zusammen jene Bewegungen und Webungen des Wasserelementes und die Rhythmen und Rhythmisierungen des Luft-elementes. Sie gleichen sich aus, sie harmonisieren sich und entharmoni­sieren sich im Wärmeelemente, im Feuerelemente, und da kann man das wirkliche Wesen des Menschen kennenlernen. Da ist man eigentlich erst wirklich in dem vierten, in der Gesetzmäßigkeit des Weltengeistes darinnen.

Wenn man also heute hört aus früherer Wissenschaft von Erde,

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Wasser, Feuer, Luft, sollte man sich nicht vorstellen: Wie haben wir es so herrlich weit gebracht mit unserer gegenwärtigen Wissenschaft -, sondern man sollte sich vorstellen: Ein ganz anderes Bewußtsein von dem Wurzeln des Menschen in übersinnlichen Tiefen war vorhanden. Daher wußte man auch etwas von der verschiedenen Stellung des Erdenelementes zu diesem Übersinnlichen. Gewissermaßen ist das Erdenelement ganz außerhalb der Sphäre des Übersinnlichen. Es kommt ihm schon nahe das Wasserelement; mit der im kosmischen Raume ausgebreiteten Sphärenwelt ist eigentlich dieses Wasserelement viel verwandter als mit dem, was Erde selber ist. Wir kommen aber aus dem Raume völlig heraus, wenn wir den Quell dessen suchen, was in uns den Luftrhythmus, also unsere Luftorganisation ausmacht; denn mn bezug auf unsere Luftorganisation sind wir rhythmisierend, ent­rhythmisierend und so weiter. Und wir kommen endlich zu dem uni­versellen Außerräumlichen, zu dem, was auch die Zeit noch überwindet, wenn wmr mn das Feuerelement hineinkommen, in das Wärmeelement. Da aber lernen wir erst den ganzen in sich abgeschlossenen Menschen kennen. Dieses findet man dann wirklich, wenn man es wieder ent­deckt hat - und es ist schon einmal notwendig, daß man es heute wiederum entdeckt -, man findet es dann noch, obwohl korrumpiert, mn der Literatur, die zurückliegt hinter dem 15. Jahrhundert.

Da ist vor ein paar Jahren das Werk eines schwedischen Gelehrten erschienen über die Alchemie. Dieser schwedische Gelehrte liest einen Vorgang, von einem Alchemisten beschrieben, und er sagt: Wenn man diesen Vorgang heute nachprüft, dann ist er der reine Unsinn, dann kann man sich gar nichts dabei vorstellen. - Man kann ganz gut be­greifen, wenn der Chemiker von heute, selbst der schwedische, der etwas vorurteilsloser ist als der mitteleuropäische, die Ausdrücke nimmt, in die dasjenige gekleidet ist, was auch nur in der korrumpier­ten Literatur der älteren Zeiten vorhanden ist, das nachmacht und dann sagt, daß gar nichts dabei herauskommt! Ich habe den Vorgang, den der gute schwedische Gelehrte nicht verstehen kann, aufgesucht in der Literatur, die dem schwedischen Gelehrten vorgelegen hat, und in diesem Vorgang, der dort beschrieben ist in der Literatur, war aller­dings ein Stück des Embryonalvorganges, der Embryoentwickelung des

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Menschen gegeben! Das zeigte sich sehr bald. Aber man mußte die Sache lesen können! Der heutige Gelehrte liest so etwas, er wendet die Ausdrücke an, die in seiner Chemie stehen, die er gelernt hat. Nun stellt er seine Retorten auf und macht den Vorgang nach: Unsinn! - Das­jenige, was er gelesen hat, ist das Stück eines Vorganges, das sich im mütterlichen Leibe bei der Embryonalbildung vollzieht. Sehen Sie, so mst der Abgrund, der aufgetan ist zwischen dem, was der heutige Ge­lehrte lesen kann, und dem, was einmal gemeint war.

Aber all die Dinge, die da beschrieben werden, sind beschrieben unter dem Einflusse solcher Vorstellungen, wie wir sie heute wiederum hervorsuchen aus neuerer Geisteswissenschaft. Entdeckt man sie nicht wieder, dann kann man diese Schriften gar nicht lesen. Sie waren in einer ganz andern Weise, als wir sie heute entdecken, vorhanden. Sie waren mnstmnktiv, atavistisch vorhanden, aber sie waren eben vorhan­den und die Menschheit hat sich gewissermaßen herausgehoben zum Verständnisse des bloßen Erdenelementes. Wir müssen wiederum den Eingang finden in die Elemente, die uns nun nicht bloß den Leichnam des Menschen erklären, sondern die uns wiederum den ganzen Menschen, den lebenden Menschen erklären. Dazu ist allerdings notwendig, daß man lernt, innerhalb unserer Zivilisation ganz ernst zu nehmen, was in der Präexistenzfrage gegeben ist.

Als die Präexistenz hinausgeworfen wurde aus der abendländischen Kulturentwickelung, da war eigentlich das selbstlose Forschen aus die­ser Kulturentwickelung herausgeworfen. Wenn heute die Prediger von Unsterblichkeit predigen: bitte, nehmen Sie alle Predigten, ich habe ja schon öfter darauf aufmerksam gemacht, sie appellieren im Grunde genommen an den menschlichen Egoismus. Man weiß, der Mensch fühlt sich unbehaglich, er hat Furcht vor dem Aufhören des Lebens. Gewiß, es hört nicht auf. Aber man appelliert nicht an seine Erkenntniskräfte, wenn man davon spricht, sondern man appelliert an seine Todesfurcht, an semnen Willen, fortleben zu wollen, wenn der Leib ihm genommen ist; man appelliert an seinen Egoismus mit andern Worten. Das kann man nicht, wenn man von der Präexistenz spricht. Eigentlich ist es insbesondere den Leuten der Gegenwart zunächst höchst einerlei, wenn sie auf ihren Egoismus schauen, ob sie vorher, bevor sie geboren oder

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konzipiert worden sind, gelebt haben. Sie leben jetzt, dessen sind sie gewiß. Deshalb sind sie nicht sehr besorgt um die Präexistenz, sie sind um die Postexistenz besorgt; denn wenn sie auch jetzt leben, so wissen sme nicht, ob sie nach dem Tode leben werden. Das hängt mit ihrem Egoismus zusammen. Aber da sie schon einmal leben, so sagen sie sich, wenn auch unbewußt oder instinktiv, wenn sie nicht Erkenntnis ge­trieben haben: Nun, ich lebe, und wenn ich auch vor meiner Geburt oder Konzeption nicht gelebt habe, so macht mir das nichts aus, wenn ich nur jetzt angefangen habe zu leben und nicht wieder aufhöre!

Das ist die Stimmung, aus der heraus im Grunde heute die Gefühle geholt werden, durch welche die Menschen für die Unsterblichkeit be­geistert werden. Deshalb haben wir in den bekannten Sprachen ein Wort für Unsterblichkeit als Anweisung zur Ewigkeit an dem Ende des Lebens, aber nicht, wie ich Ihnen ja auch schon öfter gesagt habe, in den gebräuchlichen Kultursprachen ein Wort für Ungeborenheit. Das müssen wir natürlich nach und nach ebenso erobern. Das spricht mehr zu der Erkenntnis, das spricht mehr zu der Unegoität, zu dem egois­musfreien Erkennen des Menschen. An das muß wiederum appelliert werden. Und überhaupt muß die Erkenntnis mit der Moral, mit der Ethik durchzogen werden. Ehe nicht wiederum der Laboratoriums­tisch eine Art Altar, ehe nicht das Synthetisieren und Analysieren eine Art Geisteskunst ist und man sich bewußt ist, man greift ein in die Weltenentwickelung, indem man dies oder jenes tut, ehe kann es mit unserer Kulturentwickelung nicht aufwärtsgehen. Wir kommen unbe­dingt in einen furchtbaren Niedergang hinein, wenn nicht in weiteren Kreisen eingesehen wird: Man muß zu egoismusfreier Erkenntnis, zu durchmoralisierter Erkenntnis gelangen, muß jene mit den höheren Welten gar nicht rechnenden Analysen und Synthesen, wme wmr sme heute haben, überwinden. Man muß wiederum so etwas verstehen lernen wie den Rhythmus, der hineinspielt in unser Leben, wie das­jenige, was in die Wärme hineinspielt. Denn in die Wärme spielt eben das Moralische hinein; und indem es einfach Wärmeunterschiede, Wärmetingierungen gibt, gibt es in Wirklichkeit die weltdurchwellende Moralität, in der sich der Mensch entwickelt. Das alles muß nach und nach der Menschheit bewußt werden. Und es ist nicht bloß, möchte ich

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sagen, eine idealistische Schrulle, die uns auffordert, in dieser Zeit die Zeichen der Zeit zu deuten, sondern es sprechen die Zeichen der Zeit selber dahingehend, daß diese Vertiefung nach dem Übersinnlichen versucht werden muß.

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FÜNFTER VORTRAG Dornach, 1. Juli 1921

Ich möchte heute im Zusammenhange mit den Ausführungen, die ich vor acht Tagen und früher gemacht habe, einiges wie eine Episode aus­führen, das uns dann zur Fortsetzung unserer Betrachtungen hinüber­leiten kann. Wir sehen, indem wir die Welt erleben, an der Welt und an uns manches als abnorm, vielleicht auch als krankhaft an, und das gewiß von einem Gesichtspunkte aus mit Recht; aber damit, daß wir mm absoluten Sinne irgend etwas als abnorm oder als krankhaft an­sehen, haben wir die Welt noch nicht verstanden. Ja, wir versperren uns oftmals den Weg zum Verständnis der Welt, wenn wir bei solchen Abschätzungen des Daseins, wie gesund und krank, richtig, unrichtig, wahr, falsch, gut, böse und so weiter einfach stehenbleiben. Denn was von emnem Gesichtspunkte aus sich als krankhaft, als abnorm aus­nimmt, hat von emnem andern Gesichtspunkte aus im Ganzen des Welt­zusammenhanges seine volle Berechtigung. Ich will gleich einen kon­kreten Fall anführen und Sie werden sehen, was gemeint ist.

Mit Recht sieht man das Auftreten sogenannter Halluzinationen oder auch Visionen als etwas Krankhaftes an. Halluzinationen, Ge­bilde, die vor dem menschlichen Bewußtsein auftreten und für die bei einer genaueren kritischen Prüfung der Mensch nicht die entsprechende Realität finden kann, solche Halluzinationen, solche Visionen sind etwas Krankhaftes, wenn wir sie betrachten von dem Gesichtspunkte des menschlichen Lebens, so wie es sich uns darstellt zwischen der Ge­burt oder der Empfängnis und dem Tode. Aber damit, daß wir die Halluzinationen als etwas Abnormes bezeichnen, als etwas, was ja ganz gewiß nicht hereingehört in den normalen Ablauf des Lebens zwischen Geburt und Tod, haben wir das Wesen der Halluzinationen eben durchaus nicht begriffen.

Sehen wir jetzt einmal ab von einer jeglichen solchen Beurteilung der Halluzinationen. Nehmen wir sie so, wie sie bei dem Halluzinie­renden auftritt. Sie tritt auf als ein Bild, das in einer intensiveren Weise mit der ganzen Subjektivität, mit dem Eigenleben verbunden ist

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als die gewöhnliche äußere Wahrnehmung, die durch die Sinne ver­mittelt wird. Die Halluzination wird intensiver innerlich erlebt als die Sinneswahrnehmung. Die Sinneswahrnehmung verträgt es außerdem, durchsetzt zu werden mit scharfen kritischen Gedanken; der Hallu­zination gegenüber vermeidet es der Halluzinierende, sie mit scharfen kritischen Gedanken zu durchsetzen. Er lebt in der schwebenden, we­benden Bildlichkeit.

Was ist denn das, in dem der Mensch da lebt? Ja, man kann das nicht kennenlernen, wenn man nur dasjenige kennt, was in das gewöhn­liche menschliche Bewußtsein zwischen der Geburt und dem Tode ein­tritt. Denn in dieses Bewußtsein tritt unter allen Umständen der Inhalt der Halluzination als etwas Unberechtigtes hinein. Es muß die Hallu­zination von einem ganz andern Gesichtspunkte gesehen werden; dann kann man ihrem Wesen nahekommen. Und dieser Gesichtspunkt ergibt sich, wenn im Verlaufe der Entwickelung zu höherem Schauen der Mensch dazu kommt, sein eigenes Leben und Weben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt kennenzulernen, namentlich das Leben und Weben der eigenen Wesenheit, wenn dieses Leben der Geburt, der Kon­zeption zu, schon um Jahrzehnte nahe kommt. Wenn man also die Fähigkeit erlangt, sich in dasjenige einzuleben, in dem ja auf ganz nor­male Weise der Mensch lebt, wenn er sich der Geburt oder der Konzep­tion nähert, dann lebt man sich in die wahre Gestalt dessen ein, was un­normal, als Halluzination im Leben zwischen Geburt und Tod auftritt.

Wie wir hier im Leben zwischen Geburt und Tod umgeben sind von der Welt der Farben, von der Welt, die wir in jedem Lufthauch und so weiter fühlen, kurz, von der Welt, die wir uns eben vorstellen als von uns erlebt zwischen Geburt und Tod, so lebt unser eigenes seelisch-geistiges Wesen zwmschen dem Tod und einer neuen Geburt in einem Elemente, das durchaus identisch ist mit dem, was in uns auftritt in der Halluzination. Wir werden gewissermaßen, und zwar gerade un­serer Leiblichkeit nach, aus dem Elemente der Halluzination heraus geboren. Was in der Halluzination auftritt, das, ich möchte sagen, durchschwebt und durchweht die Welt, die der unsrigen zugrunde liegt, und wir tauchen auf, indem wir geboren werden, aus diesem Elemente, das uns abnorm in der halluzinatorischenWelt vor die Seele treten kann.

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Was ist denn dann die Halluzination im gewöhnlichen Bewußtsein? Nun, wenn der Mensch das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt durchlebt hat, sich durch Konzeption und Geburt in das phy­sisch-sinnliche Dasein hereinbegeben hat, dann haben gewisse geistige Wesenheiten jener höheren Hierarchien, die wir kennengelernt haben, eine Intuition gehabt, und das Ergebnis dieser Intuition, das ist der physische Leib. So daß wir sagen können: Gewisse Wesenheiten haben Intuitionen; das Ergebnis dieser Intuitionen ist der menschliche phy­sische Leib, der nur dadurch entstehen kann, daß ihn die Seele durch­dringt, indem sie auftaucht aus dem Elemente der Halluzinationen. Was geschieht, wenn nun in krankhafter Weise Halluzinationen vor dem gewöhnlichen Bewußtsein auftreten? Ich kann Ihnen das eigent­lich nur bildlich veranschaulichen, aber es ist natürlich, daß ich es Ihnen nur bildlich veranschaulichen kann, denn Halluzinationen sind ja Bilder; also ist es selbstverständlich, daß man da mit abstrakten Begriffen nicht viel ausmachen kann, daß man da bildlich veranschau­lichen muß.

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Nun denken Sie sich das Folgende: Dieser menschliche physische Leib ist ja, wie ich Ihnen neulich ausgeführt habe, nur zum geringsten Teile eigentlich so, daß man ihn in festen Konturen hat; er ist zum größten Teile wässerig, er ist auch luftförmig und so weiter. Dieser

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menschliche physische Leib hat eine gewisse Konsistenz, er hat eine gewisse natürliche Dichte. Wenn nun diese natürliche Dichte zu einer unnatürlichen gemacht wird, wenn sie unterbrochen wird - stellen Sie sich vor symbolisch, dieser physische Leib würde etwas zusammen­gezogen in seiner Elastizität -, dann wird das ursprüngliche halluzina­torische Element, aus dem heraus er geboren ist, herausgepreßt, so wie das Wasser aus einem Schwamm herausgepreßt wird. Nichts anderes ist das Entstehen des halluzinatorischen Wesens, als daß aus dem physi­schen Leib das eigene Element, aus dem heraus er entsteht, aus dem her­aus er geformt wird, aus ihm ausgepreßt wird. Und das Krankwerden, das sich äußert im halluzinatorischen Bewußtseinsleben, das weist immer auf eine Ungesundheit des physischen Leibes hin, der sich geistig gewissermaßen aus sich herauspreßt.

Wir werden ja durch diese Tatsache darauf hingewiesen, daß unser Denken in einem gewissen Sinne durchaus das ist, wovon der Materia­lismus redet. Unser physischer Leib ist wirklich in gewissem Sinne ein Abbild von dem, was präexistent, vor der Geburt oder vor der Kon­zeption, in geistigen Welten vorhanden ist. Er ist ein Abbild. Und das Denken, das im gewöhnlichen Bewußtsein auftritt, dasjenige Denken, auf das die Gegenwart am meisten stolz ist, das erklären die Materia­listen nicht mit Unrecht als etwas, was ganz und gar an den physischen Leib gebunden ist. Es ist einfach so: Dieses Denken, dessen sich der heutige Mensch, namentlich seit der Geburt der neueren naturwissen­schaftlichen Denkweise, seit dem 15. Jahrhundert, bedient, dieses Den­ken geht als solches mit dem physischen Leib zugrunde, hört auf mit dem physischen Leibe. Das, was Sie oftmals in der heute gebräuchlichen, aber erst in der heute, nicht in früheren Jahrhunderten gebräuchlichen katholischen Philosophie finden, als ob das abstrakte, intellektuelle Getriebe der Seele den Tod überdauerte, das ist falsch, das ist nicht richtig. Denn dieses Denken, das gerade das charakteristische Seelen­leben der Gegenwart darstellt, das ist durchaus gebunden an den phy­sischen Leib. Was den physischen Leib überdauert, das tritt erst in der nächsthöheren Stufe der Erkenntnis auf, in dem Imaginieren, in dem bildlichen Vorstellen und so weiter.

Sie werden sagen: Ja, dann hat derjenige, der keine bildlichen Vorstellungen

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hat, überhaupt keine Unsterblichkeit! - Die Frage kann man so gar nicht stellen: Man habe keine bildlichen Vorstellungen - denn das heißt gar nichts. Sie können sagen: Ich habe keine bildlichen Vor­stellungen in meinem Alltagsbewußtsein, ich bringe sie nicht in mein Alltagsbewußtsein herein. - Aber bildhafte Vorstellungen, Imagina­tionen bilden sich fortwährend in einem aus, nur werden sie verwendet mm organischen Prozeß des Lebens; sie werden die Kräfte, aus denen der Mensch fortwährend seinen Organismus neu aufbaut. Unsere materia­listische Philosophie und unsere materialistische Naturwissenschaft meint, daß, wenn der Mensch schläft, er aus irgend etwas die ver­brauchten Organe wiederum aufbaut; aus was, darüber macht sich die Naturwmssenschaft dann nicht viel Kopfzerbrechen. So ist es aber nicht, sondern gerade in unserem Wachleben bilden wir fortwährend, auch wenn wir nur das alltägliche intellektualistische Bewußtsein ent­wickeln, Imaginationen, und diese Imaginationen, die verdauen wir gewissermaßen seelisch, und davon bauen wir unseren Leib auf. Weil diese Imaginationen den Leib aufbauen, deshalb werden sie für das gewöhnliche Bewußtsein nicht abgesondert wahrgenommen. Die Ent­wickelung zum höheren Schauen beruht darauf, daß wir uns partiell, für außen, diesem Arbeiten am physischen Leibe entziehen, und daß wir dasjenige, was sonst im physischen Leibe unten kocht und brodelt, heraufbringen in das Bewußtsein. Daher gehört zum höheren Schauen Geisteswissenschaft, weil das ja nicht lange anhalten kann, denn sonst würde der Organismus in seiner Gesundheit untergraben. Also ist auch das Imaginieren durchaus beim gewöhnlichen Seelenleben vorhanden, nur wird es in den Leib hinein verdaut zwischen Geburt und Tod. So daß wir sagen itönnen: Auch da geschieht während des gewöhnlichen Lebens eine unterbewußte Tätigkeit, die auch nichts anderes ist als etwas, das, wenn es zum Bewußtsein kommt, ein Halluzinieren ist. -Das Halluzinieren ist durchaus etwas, was eine geregelte elementa­rische Tätigkeit im Dasein ist. Es darf eben nur nicht zur Unzeit in unserem Bewußtsein auftreten. Es muß das Halluzinieren, so wie es gewöhnlich auftritt, gewissermaßen mehr das Unterbewußte unseres Daseins sein. Und wenn der Leib auspreßt, ich möchte sagen, seine Ur­substanz, dann kommt er eben dazu, dieses Ausgepreßte seiner Ursubstanz

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dem gewöhnlichen Bewußtsein einzuverleiben, und dann tre­ten Halluzinationen auf. Halluzinieren heißt nichts anderes als, der Leib schickt ins Bewußtsein dasjenige herauf, was er eigentlich ver­wenden sollte zum Verdauen, zum Wachsen oder zu sonst etwas in sich.

Das hängt wiederum mit dem zusammen, was ich oftmals ausein­andergesetzt habe mit Bezug auf die Illusionen, die sich die Menschen gegenüber gewissen Mystikern machen. Es ist so, wie wenn man, ich möchte sagen, das Heilige wegwischen würde von den Mystikern, wenn man auf das zugrunde Liegende aufmerksam macht. Ich sagte: Nehmen Sie solche Halluzinationen, die einen wunderschönen poetischen Cha­rakter haben, wie diejenigen, die solche Persönlichkeiten, wie Mecht­hild von Magdeburg oder auch die Heilige Therese beschreiben. Ja, schön sind die Dinge, aber was sind sie in Wirklichkeit? - Wer diese Dinge durchschaut, der findet: Sie sind aus den Organen des Organis­mus herausgepreßtes Halluzinieren. Sie sind die Ursubstanz. Und wer die Wahrheit beschreiben will, muß schon manchmal Vorgänge, die dem Verdauen sehr verwandt sind, bei der Mechthild von Magdeburg oder der Heiligen Therese beschreiben, wenn dann die schönsten my­stischen Poesien dem Bewußtsein entquellen.

Man sollte eigentlich nicht sagen, daß dadurch das Aroma hinweg-genommen wird von manchen Erscheinungen der geschichtlichen Mystik. Die Wollust, die manche Menschen empfinden, wenn sie an Mystik denken, oder wenn sie selber Mystik erleben wollen, diese Wollust wird allerdings damit etwas auf das Richtige zurückgeführt. Und vieles mystische Erleben ist eben nichts anderes als innere Wollust, die durchaus poetisch schön für das Bewußtsein zum Vorschein kom­men kann. Aber das, was da zerstört wird, ist ja nur ein zerstörtes Vor­urteil, eine zerstörte Illusion. Derjenige, der wirklich in dieses mensch­liche Innere vordringen will, der muß schon einmal das mitmachen, daß er nun nicht die wunderschönen Beschreibungen solcher Mystiker findet, sondern die Herausgestaltungen seiner Organe, Leber, Lunge und so weiter, aus dem Kosmos, aus dem Halluzinieren des Kosmos. Und im Grunde genommen ist nicht das Aroma von der Mystik weggenommen, sondern eine höhere Erkenntnis eröffnet, wenn wir sagen können, wie die Leber sich herausbildet aus dem halluzinierenden Kosmos, wie sie

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gewissermaßen sich zusammensetzt aus dem, was in sich verdichtet, als umgewandelter Geist, als umgewandelte Halluzination erscheint. Auf diese Weise sieht man in das Leibliche hinein, und man sieht den Zu­sammenhang dieses Leiblichen mit dem ganzen Kosmos.

Ja, nun wird aber natürlich der ganz gescheite Mensch kommen -und man hat ja immer, wenn man die Wahrheit auseinandersetzen will, etwas Rücksicht zu nehmen auf die ganz gescheiten Menschen, die dann ihre Einwendungen machen, wenn man versucht, die Wahrheit ausein­anderzusetzen -, und dieser ganz gescheite Mensch wird sagen: Was erzählst du uns da, daß sich die menschliche Gestalt aus dem Kosmos herausbildet! Wir wissen doch, daß der Mensch aus dem Mutterleibe herausgeboren wird. Wir wissen doch, wie er als Embryo aussieht und so weiter! - Ja, da liegt eben eine durch und durch falsche Vorstellung zugrunde, die wir, obwohl wir Ähnliches schon vor unsere Seele haben treten lassen, nochmals ins Auge fassen wollen.

Wenn wir die Gestalten der äußeren Natur überschauen - bleiben wir zunächst einmal bei der mineralischen Welt stehen -, so finden wir da die mannigfaltigsten Gestalten. Wir sprechen sie als Kristallgestal­ten an. Aber wir finden auch andere Gestalten in der Natur, und wir finden, daß eine gewisse Konfiguration, innerliche Konfiguration her­auskommt, wenn sich, sagen wir, Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel miteinander verbinden. Wir wissen: Wenn sich Kohlenstoff und Sauerstoff zu Kohlensäure verbinden, entsteht ein Gas von einer gewissen Schwere; wenn sich Kohlenstoff mit Stickstoff verbindet, entsteht das Zyangas und so weiter. Aber da bilden sich immer Stoffe, denen der Chemiker nachgehen kann, die gewissermaßen nun nicht immer eine außerliche Kristallisation haben, aber eine inner­liche Konfiguration. Man hat sogar in der neueren Zeit diese innere Konfiguration angedeutet durch die bekannten Strukturformeln der Chemie.

Nun hat man immer eine gewisse Voraussetzung gemacht. Das ist diese. Man hat die Voraussetzung gemacht: Die Moleküle, wie man sagt, werden immer komplizierter und komplizierter, je mehr man aus dem mineralischen Unorganischen zum Organischen heraufkommt. -Und man sagt: Das organische Molekül, das Zellenmolekül besteht

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aus Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff und Schwefel. Die sind in irgendeiner Weise verbunden. Aber sehr kompliziert sind sie verbunden -, sagt man. Und man betrachtet es als ein Ideal der Natur­wissenschaft, darauf zu kommen, wie nun diese einzelnen Atome in den komplizierten organischen Molekülen verbunden sein können. Man sagt sich zwar: Das wird noch lange dauern, bis man finden wird, wie Atom an Atom lagert in dem Organischen, in dem lebendigen Mole­kül. - Aber das Geheimnis besteht darin: Je organischer ein Stoffzu­sammenhang wird, desto weniger bindet sich chemisch das eine an das andere, desto chaotischer werden die Stoffe durcheinandergewirbelt; und schon die gewöhnlichen Eiweißmoleküle, meinetwegen in der Ner­vensubstanz, in der Blutsubstanz, sind eigentlich im Grunde genommen innerlich amorphe Gestalten, sind nicht komplizierte Moleküle, son­dern sind innerlich zerrissene anorganische Materie, anorganische Ma­terie, die sich entledigt hat der Kristallisationskräfte, der Kräfte über­haupt, die die Moleküle zusammenhalten, die die Atome aneinander-gliedern. Das ist schon in den gewöhnlichen Organmolekülen der Fall, und am meisten ist es der Fall in den Embryomolekülen, in dem Eiweiß des Keimes.

Wenn ich hier schematisch den Organismus und hier den Keim, also den Beginn des Embryos zeichne, so ist der Keim das allerchaotischste an Zusammenwürfelung des Stofflichen. Dieser Keim ist etwas, was sich emanzipiert hat von allen Kristallisationskräften, von allen che­mischen Kräften des Mineralreiches und so weiter. Es ist absolut an einem Orte das Chaos aufgetreten, das nur durch den andern Organis­mus zusammengehalten wird. Und wir haben dadurch, daß hier dieses chaotische Eiweiß auftritt, die Möglichkeit gegeben, daß die Kräfte des ganzen Universums auf dieses Eiweiß wirken, daß dieses Eiweiß in der Tat ein Abdruck von Kräften des ganzen Universums wird. Und zwar sind zunächst diejenigen Kräfte, die dann formbildend sind für den ätherischen Leib und für den astralischen Leib, in der weib­lichen Eizelle vorhanden, ohne daß noch die Befruchtung eingetreten ist. Durch die Befruchtung wird dieser Gestaltung auch noch dasjenige einverleibt, was physischer Leib und was Ich ist, was Ich-Hülle, also Gestaltung des Ich ist. Das also hier ist vor der Befruchtung und dieses

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hier ist rein kosmisches Bild, ist Bild aus dem Kosmos heraus, weil sich das Eiweiß eben emanzipiert von allen irdischen Kräften und dadurch determinierbar ist durch das, was außerirdisch ist. In der weiblichen Eizelle ist in der Tat irdische Substanz den kosmischen Kräften hinge­geben. Die kosmischen Kräfte schaffen sich ihr Abbild in der weiblichen Eizelle. Das geht so weit, daß bei gewissen Gestaltungen des Eies, zum Beispiel in gewissen Tierklassen, Vögeln, selbst in der Gestaltung des Eies etwas sehr Wichtiges gesehen werden kann. Das kann natürlich nicht bei höheren Tieren und nicht beim Menschen wahrgenommen werden, aber in der Gestaltung des Eies bei Hühnern können Sie das Abbild des Kosmos finden. Denn das Ei ist nichts anderes als das wirk­liche Abbild des Kosmos. Die kosmischen Kräfte wirken hinein auf das determinierte Eiweiß, das sich emanzipiert hat vom Irdischen. Das

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Ei ist durchaus ein Abdruck des Kosmos, und die Philosophen sollten nicht spekulieren, wie die drei Dimensionen des Raumes sind, denn wenn man nur richtig weiß, wo man hinzuschauen hat, so kann man überall die Weltenrätsel anschaulich dargestellt finden. Daß die eine Weltenachse länger ist als die beiden andern, dafür ist ein Beweis, ein anschaulicher Beweis einfach das Hühnerei, und die Grenzen des Hühnereies, die Eierschalen, sind ein wirkliches Bild unseres Raumes. Es wird schon notwendig sein - das ist eine Zwischenbemerkung für Mathematiker-, daß unsere Mathematiker sich damit befassen, welches dieBeziehungen sind zwischen derLobatschewskijschen Geometrie zum Beispiel oder der Riemannschen Raumdefinition, und dem Hühnerei, der Gestaltung des Hühnereies. Daran ist außerordentlich viel zu ler­nen. Die Probleme müssen eigentlich im Konkreten angefaßt werden.

Sie sehen, wir finden da, indem wir uns das determinierbare Eiweiß vor die Seele rücken, das Hereinwirken des Kosmos, und wir können im einzelnen aussprechen, wie der Kosmos hereinwirkt. Es ist ja aller­dings wahr: Man kann an dieser Stelle heute noch nicht sehr weit gehen, denn würden die Menschen durchschauen, wie sich diese Be­trachtungen nun weiter fortsetzen ließen, so würde heute noch der fürchterlichste Unfug mit einem solchen Wissen getrieben werden, ins­besondere in der Gegenwart eines außerordentlichen moralischen Tief-standes der zivilisierten Erdenbevölkerung.

Nun haben wir gewissermaßen betrachtet, wie unser Leib zu Vor­stellungen kommt: er preßt aus sich heraus die halluzinatorische Welt, aus der er entstanden ist. Außer dem Leibe tragen wir mit unserem Wesen herum unser Seelisches. Wir werden es besser betrachten, wenn wir zunächst das Seelische einmal auslassen und nach dem andern, nach dem Geistigen hinschauen. Geradeso wie wir zwischen Geburt und Tod hier herumgehen, uns von außen beschauen und sagen: Wir tragen unseren Leib an uns -, so haben wir zwischen dem Tod und einer neuen Geburt ein geistiges Dasein. Das entspricht ja einem innerlichen Be­schauen, aber wir reden, wenn ich mich so ausdrücken darf, zwischen Tod und neuer Geburt von unserem Geistigen auch nicht anders, als wir hier im physischen Leben von unserem Leibe reden. Man gewöhnt sich hier, von dem Geistigen als dem eigentlichen Urgrund von allem

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zu reden. Aber das ist eigentlich eine illusorische Ausdrucksweise. Man sollte von dem Geistigen als dem reden, was einem eigen ist zwischen Tod und neuer Geburt. So wie einem der Leib hier zwischen Geburt und Tod eigen ist, so wie man hier verleiblicht ist, ist man zwischen Tod und neuer Geburt vergeistigt. Und dieses Geistige, das hört nicht etwa auf, wenn wir den Leib annehmen, der sich aus der Welthallu­zination herausbildet, sondern es wirkt nach.

Stellen Sie sich den Moment der Konzeption beziehungsweise einen Moment zwischen der Konzeption und der Geburt vor. Es kommt nicht darauf an, daß wir gerade diesen Zeitpunkt genau ins Auge fassen, aber stellen Sie sich irgendeinen Zeitpunkt vor, den der Mensch durch-schreitet, indem er aus dem Geistigen ins physische Dasein herunter-steigt, so werden Sie sich sagen: Von diesem Zeitpunkte an gliedert sich physisches Dasein in das Geistig-Seelische des Menschen hinein. Das Geistig-Seelische macht gewissermaßen die Metamorphose durch nach dem Physischen hin. Nun hört aber die Kraft, die uns eigen war zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, nicht etwa auf mit diesem Moment, wo wir ins physisch-sinnliche Dasein hereintreten, sondern sie wirkt fort, aber sie wirkt in einer ganz eigentümlichen Weise fort. -Ich möchte das schematisch so darstellen.

Nehmen Sie also die Kraft von dem letzten Tod, die da in der gei­stigen Welt in Ihnen wirkt, bis - ich will es Geburt nennen - in die gegenwärtige Geburt herein. Da wirken dann weiter die Kräfte des

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physischen Leibes, Ätherleibes und so weiter. Da wäre ein neuer Tod (rot, dunkel schraffiert). Aber diese Kraft, die uns da eigen war bis zu der Geburt, die dauert fort, und doch wieder nicht fort, möchte man sagen; denn ihre eigentliche Wesenheit hat sie ergossen in das Leibliche, das sie durchgeistigt. Was hier fortdauert von dieser Kraft, was gleichsam

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in derselben Richtung läuft, das sind nur Bilder, das ist nur ein Bilddasein. So daß wir zwischen der Geburt und dem Tode in uns lebendig das Bild dessen haben, was wir zwischen dem Tod und einer neuen Geburt hatten. Und dieses Bild ist die Kraft unseres Intellektes. Unser Intellekt ist nämlich gar nicht eine Realität zwischen Geburt und Tod, sondern er ist das Bild unseres Seins zwischen dem Tod und einer neuen Geburt.

Diese Erkenntnis löst nicht nur Erkenntnisrätsel, sondern zugleich Kulturrätsel. Die ganze Konfiguration unserer neuzeitlichen Kultur, die ja vom Intellekt abhängt, die wird einem anschaulich, wenn man weiß, das ist eine Bildkultur, das ist eine Kultur, die von gar keiner Realität geschaffen ist, die von dem Bild, allerdings jetzt sogar von einem Bild der spirituellen Realität, geschaffen ist. Wir haben eine abstrakte geistige Kultur. Der Materialismus ist ja eine abstrakte gei­stige Kultur; man denkt in den feinsten Gedanken, wenn man die Ge­danken verleugnet und Materialist wird. Die materialistischen Ge­danken waren im Grunde genommen recht scharfsinnig, aber sie gingen natürlich in den Irrtum hinein. Es ist durchaus das Bild einer Welt, das da kulturwirkend ist, nicht eine Welt selbst.

Diese Vorstellung ist schwierig; aber bemühen Sie sich, sie zu haben. Sie finden es nur leicht, im Raume Bilder vorzustellen. Wenn Sie vor einem Spiegel stehen, so schreiben Sie dem Bilde, das Ihnen erscheint, keine Realität zu, sondern sich selbst schreiben Sie die Realität zu, nicht dem Bilde. Was hier räumlich sich abspielt, das spielt sich hier wirklich zeitlich ab. Sie haben in dem, was Sie als Intellekt erleben, das Spiegelbild, das eigentlich zurück sich spiegelt, das nach Ihrem früheren Dasein zuruck sich spiegelt. In Ihnen, in Ihrer Leiblichkeit haben Sie eine spiegelnde Platte, nur daß sie in der Zeit wirkt, und die wirft zurück das Bild von dem vorgeburtlichen Leben. Nur werden fortwährend in dieses intellektualistische Bild die Seinswahrnehmungen hineingeworfen, die Sinneswahrnehmungen. Es vermischen sich die Sinneswahrnehmungen darinnen. Deshalb nimmt man nicht wahr, daß es eigentlich zurückgeworfen wird. Man lebt in der Gegenwart. Kommt man durch solche Übungen, wie ich sie beschrieben habe in «Wie er­langt man Erkenntnisse der höheren Welten?» dazu, die Sinneswahrnehmungen

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wirklich herauszuwerfen und lebendig in diesem Bildsein zu leben, dann gelangt man dadurch tatsächlich in das vorgeburtliche, in das präexistente Leben hinein. Es ist dann die Präexistenz eine Tatsache. DasBild des Präexistenten ist ja in uns, wir müssen es nur durchschauen; dann gelangen wir dazu, hineinzuschauen in dieses Präexistente.

Im Grunde genommen hat jeder Mensch diese Möglichkeit, wenn er nur eben nicht in das andere Phänomen verfällt, daß er, wenn er die Sinneswahrnehmungen ausschaltet, in einen gesunden Schlaf versinkt. Das ist ja bei den meisten Menschen der Fall. Sie schalten die Sinnes­wahrnehmungen aus, dann ist aber auch das Denken nicht mehr da. Aber wenn man die Sinneswahrnehmungen wirklich ausschalten kann und das Denken noch lebhaft bleibt, dann sieht man nicht hinein in die Raumeswelt, sondern zurück in die Zeit, die man zuletzt verlebt hat zwischen dem letzten Tod und dieser Geburt. Man sieht sie zunächst sehr undeutlich, aber man weiß: die Welt, in die man hineinschaut, das ist die Welt zwischen dem Tod und dieser letzten Geburt. Die Wahrheit, eine wahre Überschau von dem zu bekommen, das hängt nur davon ab, daß man nicht einschläft, wenn man die Sinneswahr­nehmungen unterdrückt, daß das Denken so lebhaft bleibt, wie es mit Hilfe der Sinneswahrnehmungen oder im Besitze der Sinneswahrneh­mungen ist.

Wenn man aber in dieser Weise also durch sich hindurchsieht nach seinem präexistenten Leben und dann natürlich weiter sich schult, dann treten die konkreten Konfigurationen auch in dieser geistigen Welt auf, dann ersteht vor uns eine geistige Umwelt. Dann tritt das Entgegen­gesetzte ein. Wir leben hier innerhalb der physischen Welt. Wir pressen nicht aus unserem Leibe seine Halluzinationen heraus, aber wir holen uns aus unserem Leibe heraus und versetzen uns in unser präexistentes Leben, füllen uns dort mit geistiger Wirklichkeit an. In die Welt, die in Halluzinationen flutet, in die tauchen wir unter, und indem wir ihre Realitäten wahrnehmen, nehmen wir nun nicht Halluzinationen wahr, sondern Imaginationen. Indem wir uns also zum geistigen Anschauen erheben, nehmen wir Imaginationen wahr.

Es ist natürlich tölpelhaft, es ist nicht einmal anständig, möchte ich sagen, wenn jemand heute Wissenschafter sein will und immer wieder

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und wiederum mit dem Einwande gegen Anthroposophie kommt: Nun ja, was da in Anthroposophie geboten wird, das könnte ja auch bloß halluzinatorisch sein; man kann das nicht von Halluzination unter­scheiden. - Es sollten nur jene Leute sich wirklich befassen mit der ganzen Methode des Forschens in der Geisteswissenschaft, dann wür­den sie finden, daß gerade da ganz scharf und präzise die Grenze ge­zogen wird zwischen Halluzinationen und der Imagination.

Und was liegt zwischen beiden? Nun, ich habe Sie jetzt aufmerksam gemacht auf der einen Seite auf das leibliche Umkleidetsein zwischen Geburt und Tod, auf der andern Seite auf das geistige Umkleidetsein zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Das Seelische ist die Ver­mittelung zwischen beiden. Das Geistige wird hereingetragen in das physische Dasein durch das seelische Leben; das, was im Physischen erlebt wird, wird wiederum durch das Seelische hinausgetragen durch den Tod ins Geistige. Das Seelische ist der Vermittler zwischen Leib und Geist.

Wenn der Leib als Leib vorstellt, stellt er Halluzinationen vor, bezie­hungsweise er bringt Halluzinationen in das Bewußtsein herein. Wenn der Geist als Geist vorstellt, hat er Imaginationen. Wenn nun die Seele, die die Vermittlerin ist zwischen beiden, ihrerseits ins Vorstellen kommt, wenn also die Seele als Seele vorstellt, dann entstehen weder die unberechtigten, dem Leibe abgepreßten Halluzinationen, noch dringt sie vor zu den geistigen Realitäten, aber sie hat das unkonturierte Zwischenfeld: das sind die Phantasien. So daß Sie sagen können: Stellt der Leib vor - er ist nicht im Leben zwischen Geburt und Tod zum Vorstellen da, aber stellt er dennoch vor, stellt er also unberechtigt, anormal vor, so entstehen Halluzinationen. Stellt der Geist vor, indem er sich wirklich heraushebt aus dem Leibe und zu Realitäten kommt, so hat er Imaginationen. Die Seele bildet die Vermittlerin zwischen den Halluzinationen und den Imaginationen in den nicht scharf konturier­ten Phantasien.

Wenn der Leib als Leib vorstellt: Halluzinationen

Wenn die Seele als Seele vorstellt: Phantasien

Wenn der Geist als Geist vorstellt: Imaginationen

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Und indem wir diese Vorgänge hier schildern, schildern wir reale Vorgänge. Im intellektualistischen Denken haben wir ja nur das Bild des präexistenten Seelenlebens, das Bild also eines durch und durch imaginierten Lebens, das auftaucht aus dem Halluzinatorischen. Aber real ist unser intellektuelles Leben nicht. Wir selbst sind nicht real, indem wir denken, sondern wir entwickeln uns zum Bilde, indem wir denken. Sonst könnten wir auch nicht frei sein. Die Freiheit des Menschen beruht darauf, daß unser Denken nicht real ist, wenn es reines Denken wird. Ein Spiegelbild kann nicht eine Causa sein. Wenn Sie irgendein Spiegelbild vor sich haben, etwas was bloß Bild ist und Sie richten sich darnach, dann determiniert es nicht. Wenn Ihr Denken eine Realität ist, gibt es keine Freiheit. Wenn Ihr Denken Bild ist, dann ist Ihr Leben zwischen Geburt und Tod die Schule der Freiheit, weil keine Causa im Denken liegt. Und Causa-los muß das Leben sein, das ein Leben in Freiheit ist.

Das Leben in Phantasie dagegen ist nicht völlig frei; dafür ist es real, als Vorstellungsleben real. Das freie Leben, das in uns ist, ist dem Denken nach kein reales Leben, sondern indem wir das reine Denken haben und aus dem reinen Denken heraus den Willen zur freien Tat entwickeln, erfassen wir im reinen Denken die Realität an einem Zipfel. Aber da, wo wir selbst aus unserer Substanz dem Bilde Realität ver­leihen, da ist die freie Handlung möglich. Das wollte ich schon in meiner «Philosophie der Freiheit» 1893 darstellen auf rein philoso­phische Weise, um eben einen Unterbau zu haben für ein Späteres. Dar­auf wollen wir dann morgen weitere Betrachtungen gründen.

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SECHSTER VORTRAG Dornach, 2. Juli 1921

Ich werde heute einiges von dem weiter auszuführen haben, was ich gestern schon angeschlagen habe. Ich erinnere an etwas, das die mei­sten von Ihnen bereits von mir gehört haben. Wenn der Mensch durch den Tod geht, so bleibt ja der physische Leib in den Erdenkräften zurück; der ätherische Leib löst sich auf in die kosmischen Kräfte hin­ein und der Mensch findet weiter sein Leben, sein Dasein durch die Gebiete, die da liegen zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Nun sagte ich, daß wir am Menschen selbst die Formkräfte verfolgen kön­nen, die von einem Leben in das andere hinüberragen. Wir wissen ja, daß der Mensch im wesentlichen ein dreigliedriges Wesen ist mit drei selbständigen Gliedern. Ich meine zunächst in bezug auf die Formkräfte des physischen Leibes, der physischen Organisation. Wir haben die Nerven-Sinnesorganisation, die natürlich über den ganzen Leib sich ausbreitet, aber wesentlich im Haupte lokalisiert ist, wir haben die rhythmische Organisation, Atmungsrhythmus, Zirkulationsrhythmus und andere Rhythmen; dann haben wir die Stoffwechsel-Gliedmaßen­organisation, die wir als eine zusammenfassen, weil ja das Bewegen des Menschen organisch innig zusammenhängt mit dem Stoffwechsel.

Sie wissen ja, jeder Mensch hat ein anders geformtes Haupt. Wenn wir nun diese Kräfte nehmen, die das Haupt des Menschen formen - Sie dürfen natürlich dabei nicht an die physischen Substanzen denken, sondern an die Formkräfte, an dasjenige, was dem Haupte seine Phy­siognomie, seinen ganzen Charakter, seinen phrenologischen Ausdruck gibt -, wenn wir diese Kräfte nehmen, so sind das die in die Form übergegangenen Kräfte aus dem Gliedmaßen-Stoffwechselorganismus der vorigen Inkarnation. Also wir haben im Haupte, im Kopfe, die metamorphosische Umbildung des Gliedmaßen-Stoffwechselmenschen der vorigen Inkarnation. Und wenn wir wiederum das nehmen, was wir als unsere Gliedmaßen, als unseren Gliedmaßen-Stoffwechsel-Organismus in dieser Inkarnation haben, so gehen diese Formkräfte eine Metamorphose ein und bilden unser Haupt für die nächste Inkarnation.

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Also wir können, wenn wir die menschliche Gestaltung ver­stehen, direkt durch eine entsprechende Ausbildung des metamorpho­sischen Gedankens gewissermaßen vom heutigen menschlichen Haupte zurückblicken auf die Gliedmaßen-Stoffwechselorganisation der vori­gen Inkarnation, und wir können von der jetzigen Gliedmaßen-Stoff­wechselorganisation blicken auf die Hauptesorganisation der nächsten Inkarnation.

Diese Anschauung, die da in unserer Geisteswissenschaft und über­haupt in der Geisteswissenschaft aller Zeiten eine gewisse Rolle spielt, die Wahrheiten von den wiederholten Erdenleben, sie hängen keines­wegs in der Luft, sondern wer die menschliche Organisation versteht, kann sie unmittelbar aus dieser menschlichen Organisation auch ab­lesen. Nur ist ja die heutige wissenschaftliche Richtung so weit als mög­lich davon entfernt, sich überhaupt auf solch eine Untersuchung, wie sie hier notwendig wäre, beim Menschen einzulassen. Man kann natür­lich, wenn man durch bloße äußerliche Anatomie und Physiologie den Menschen studiert, unmöglich zu einer andern als zu der törichten An­schauung kommen, daß man die Leber ebenso untersuchen kann wie die Lunge. Man legt auf den Seziertisch die Leber neben die Lunge und betrachtet diese als gleichwertiges Organ, die in gleicher Weise aus Zellen bestehe und so weiter. Da kann man überhaupt nichts heraus­bekommen über dieses Dinge, und zwei Organsysteme, die so von­einander verschieden sind wie Lunge und Leber, die kann man nicht bloß auf ihre Konfiguration aus Zellen heraus so äußerlich studieren, wie das notwendigerweise nach den heutigen Anschauungen geschehen muß.

Nun muß man, wenn man wirklich die einschlägigen Verhältnisse kennenlernen will, sich einlassen auf Methoden, durch die man eine Anschauung gewinnen kann über diese Dinge. Wenn die Methoden entsprechend ausgebildet werden, die ich beschrieben habe in «Wie er­langt man Erkenntnisse der höheren Welten?», so verstärkt sich, er­kraftet sich die menschliche Erkenntnis - ich wiederhole hier einiges von dem, was ich ja auch schon in öffentlichen Vorträgen drüben im Bau im Herbste auseinandergesetzt habe -, es verstärkt sich die ge­wöhnliche Erkenntnis, die wir haben, durch die wir hinausschauen

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durch die Sinne in die Umwelt und durch die wir hineinblicken in unser Inneres, wo wir dann unser Denken, Fühlen, Wollen zunächst über­blicken. Und wenn wir diese Erkenntnis erweitern, wenn wir sie so er­weitern, wie das eben durch die Übungen möglich ist, die oftmals be­schrieben worden sind, dann verändert sich zunächst unser Anblick gegenüber der äußeren Welt, und zwar so, daß sich uns als Nächstes dieses ergibt: Man sieht ein, es ist ein völliger Unsinn, so von Atomen zu reden, wie es die gegenwärtige Weltanschauung tut. Dasjenige, was da hinter den Sinnesanschauungen ist, hinter den Sinnesqualitäten, hinter Gelb, Rot, hinter Cis, hinter G und so weiter, das sind nicht Schwingungen, sondern das ist geistige Wesenhaftigkeit. Die Welt nach außen hin wird immer geistiger, je weiter wir in der Erkenntnis vor­dringen. So daß man wirklich aufhört, alle jene Konstruktionen ernst zu nehmen, welche aus chemischen oder sonstigen Vorstellungen geholt sind. Aller Atomismus wird einem gründlich ausgetrieben, wenn man die Erkenntnis nach außen erweitert. Hinter den Sinneserscheinungen ist geistige Welt. Wenn wir dagegen durch solch eine erweiterte Er­kenntnis tiefer in das Innere hineinblicken, dann tritt - ich habe schon gestern darauf hingewiesen - nicht jenes verworrene mystische Schauen auf, das ja allerdings einen Übergang bildet, das seine gute Berechti­gung hat, das aber so erklärt werden muß, wie ich das gestern getan habe, sondern es tritt auf, wenn die Erkenntnis nach dem Inneren hin sich entwickelt, eine psychische Erkenntnis der Organe. Wir lernen wirklich unser Inneres erkennen. Während nach außen unsere Erkennt­nis sich immer mehr spiritualisiert, materialisiert sie sich zunächst nach dem Inneren zu. Nach dem Inneren zu wird nicht der nebulose Mysti­ker, sondern der wirkliche Geistesforscher eben die einzelnen Organe erkennen lernen; er lernt den differenzierten menschlichen Organismus kennen. Wir gelangen nicht anders in die geistige Welt als auf dem Um­wege durch das Anschauen unserer inneren Materialität. Ohne daß man Lunge, Leber und so weiter kennenlernt, lernt man auch nicht auf dem Umwege durch das Innere irgendeinen geistigen Enthusiasmus kennen, der also aus der Verworrenheit der gewöhnlichen Mystik herausarbeitet und zu einer konkreten Erkenntnis der inneren Organe des Menschen hinarbeitet.

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Da lernt man dann allerdings das Gefüge des Seelischen genauer kennen. Erstens lernt man aufgeben das Vorurteil, als ob unser See­lisches nur beigeordnet wäre dem Nerven-Sinnesapparat. Nur die Vor­stellungswelt ist dem Nerven-Sinnesapparat beigeordnet, die Gefühls­welt schon nicht mehr. Die Gefühlswelt ist direkt dem rhythmischen Organismus beigeordnet, und die Willenswelt ist dem Stoffwechsel­Gliedmaßenorganismus beigeordnet. Wenn ich etwas will, so muß in meinem Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus etwas vor sich gehen. Das Nervensystem ist nur dazu da, daß man Vorstellungen haben kann von dem, was im Willen eigentlich geschieht. Es gibt keine Willens-nerven, ich habe das oftmals ausgesprochen; die Einteilung der Nerven in sensitive und in Willensnerven ist ein Unsinn. Die Nerven sind einer­lei Art, und die sogenannten Willensnerven sind zu nichts anderem da, als die Vorgänge des Willens innerlich wahrzunehmen; sie sind auch sensitive Nerven.

Wenn wir dies durchstudieren, so kommen wir zuletzt dazu, die menschliche Organisation in ihrer Ganzheit zu nehmen. Nehmen Sie die Lungenorganisation, Leberorganisation und so weiter, Sie kommen dazu, nach dem Inneren schauend, gewissermaßen die Oberfläche der einzelnen Organe zu überblicken, natürlich durch geistigen Blick nach innen. Was ist diese Oberfläche der Organe? Diese Oberfläche der Or­gane ist nämlich nichts anderes als ein Spiegelungsapparat für das see­lische Leben. Was wir wahrnehmen und auch was wir gedanklich ver­arbeiten, das spiegelt sich an der Oberfläche unserer sämtlichen inneren Organe, und diese Spiegelung bedeutet unsere Erinnerungen, unser Ge­dächtnis während des Lebens. Also was sich da, nachdem wir es wahr­genommen und verarbeitet haben, an der Außenfläche unseres Herzens, unserer Lunge, unserer Milz und so weiter spiegelt, was da zurückge­worfen wird, das ist dasjenige, was die Erinnerungen abgibt. Und bei einer gar nicht sehr weitgehenden Trainierung können Sie schon be­merken, wie gewisse Gedanken auf den ganzen Organismus zurück-strahlen in der Erinnerung. Da sind die verschiedensten Organe be­teiligt. Wenn es sich zum Beispiel handelt um die Erinnerung, sagen wir sehr abstrakter Gedanken, da ist außerordentlich stark beteiligt daran die Lunge, die Lungenoberfläche. Wenn es sich mehr um gefühlsgefärbte

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Gedanken handelt, um Gedanken also, die eine Gefühlsnuance haben, da ist sehr stark die Leberoberfläche daran beteiligt. So daß wir wirklich im einzelnen gut beschreiben können, wie die einzelnen Organe des Menschen beteiligt sind an dieser Rückstrahlung, die dann als Gedächtnis, als Erinnerungsvermögen auftritt. Wir dürfen nicht, wenn wir das Seelische ins Auge fassen, sagen: Im Nervensystem allein liegt der Parallelorganismus für das seelische Leben; im ganzen menschlichen Organismus liegt diese Parallelorganisation für das menschliche Seelenleben.

In dieser Beziehung sind viele Erkenntnisse, die instinktiv einmal vorhanden waren, einfach verlorengegangen. Sie sind noch in gewissen Worten vorhanden, aber die Menschen spüren nicht mehr, wie in den Worten Weisheiten aufbewahrt sind. Zum Beispiel, wenn jemand dazu veranlagt ist, seine Erinnerungen immer in einem Depressionszustand heraufkommen zu sehen, so nannten das die Griechen Hypochondrie:

Unterleibsknorpeligkeit, eine Verknöcherung im Unterleib, wo also die Spiegelung durch diese Verknöcherung in einer solchen Weise zu­stande kommt, daß der Betreffende in seinen Erinnerungen einen Quell der Hypochondrie hat. Es ist überall der ganze Organismus an diesen Dingen beteiligt. Das ist etwas, was durchaus ins Auge gefaßt werden muß.

Nun, ich sprach, indem ich vom Erinnerungsvermögen sprach, von der Oberfläche der Organe. Es schlägt gewissermaßen überall das, was wir erleben, an die Oberfläche, wird reflektiert, und das führt zu den Erinnerungen. Aber es geht auch etwas hinein in den Organismus. Im gewöhnlichen Leben setzt sich das um, macht eine Metamorphose durch, so daß das Organ eine Absonderung hat. Die Organe, die so etwas verrichten, sind ja meist Drüsenorgane; sie haben eine innere Ab­sonderung, und da setzt sich während des Lebens zunächst dasjenige um, was an solchen Kräften hineingeht. Aber nicht alles wird in dieser Weise in organischen Stoffwechsel und dergeichen umgesetzt, sondern die Organe nehmen in sich etwas auf, was in ihnen dann latent wird, eine innere Kraft bildet. So zum Beispiel alle Gedanken, die wir auf­nehmen von der Art, daß sie, ich will sagen, mehr an die Anschauung der Außenwelt anknüpfen, daß wir uns durch diese Gedanken Bilder

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der äußeren Gegenstände bilden: die Kräfte, die in diesen Gedanken entwickelt werden, werden gewissermaßen in der Lunge, im Inneren der Lunge aufgespeichert. Und nun wissen Sie, daß das Innere der Lunge ja in Regsamkeit kommt durch den Stoffwechsel, durch die Gliedmaßenbewegung, und da bilden sich diese Kräfte so um, daß während des Lebens zwischen Geburt und Tod unsere Lunge gewisser­maßen ein Reservoir von Kräften ist, in das der Stoffwechsel-Glied­maßenorganismus fortwährend hineinspielt. Wenn wir sterben, so sind ja solche Kräfte aufgespeichert. Selbstverständlich, der physische Stoff fällt ab, aber diese Kräfte, die gehen nicht verloren, die gehen mit uns durch den Tod und durch das ganze Leben zwischen Tod und neuer Geburt hindurch. Und wenn wir in eine neue Inkarnation eintreten, so sind es vorzugsweise diese Kräfte, die in der Lunge waren, welche unser Haupt äußerlich formieren, welche äußerlich uns die Physio­gnomie unseres Hauptes aufdrücken. Was der Phrenologe studieren will an der äußeren Hauptesform, das müßte man vorgebildet suchen im Inneren der Lunge in der vorigen Inkarnation.

So konkret kann man von Leben zu Leben hin die Umwandlung der Kräfte verfolgen. Dann bilden diese Dinge nicht mehr bloß ab­strakte Wahrheiten, sondern sie werden konkret angeschaut, wie man auch die physischen Dinge konkret anschaut. Und die geistige Wissen­schaft hat nur dann einen wirklichen Wert, wenn man so in die einzel­nen Konkretheiten eindringt. Wenn man nur im allgemeinen redet von den wiederholten Erdenleben und so weiter, so sind das ja nur Worte. Eine Bedeutung hat das erst, wenn man auf die einzelnen Kon­kretheiten dabei eingehen kann.

Wenn man nun dieses in der Lunge Aufgespeicherte nicht in der richtigen Weise beherrscht, dann wird es so ausgepreßt, wie ich gestern sagte, daß ein Schwamm ausgepreßt wird, und dann entstehen aus dem, was eigentlich erst in der nächsten Inkarnation kopfformend her­auskommen sollte, vorzugsweise solche abnormen Erscheinungen, die man gewöhnlich als Zwangsgedanken bezeichnet oder auch in irgend­einer Weise als Illusionen. Es ist ein interessantes Kapitel einer höheren Physiologie, bei Lungenkranken zu studieren, welche merkwürdigen Vorstellungen da auftreten im Hochstadium der Lungenkrankheiten.

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Das hängt zusammen mit dem, was ich eben jetzt auseinandergesetzt habe, mit diesem Herauspressen der Gedanken. Die Gedanken, die da herausgepreßt werden, sind deshalb Zwangsgedanken, weil sie schon die formende Kraft in sich haben. Die Gedanken, die wir jetzt normal im Bewußtsein haben sollen, die dürfen nur Bilder sein, die dürfen nicht eine formende Kraft in sich haben, dürfen uns nicht zwingen. Durch die lange Zeit zwischen Tod und neuer Geburt, da zwingen sie, da sind sie Kausalitäten, da wirken sie dann formend. Jetzt dürfen sie uns nicht überwältigen, sie dürfen nur beim Übergang von einem Leben ins andere ihre Kraft ausüben. Das ist dasjenige, was da in Be­tracht kommt.

Wenn Sie nun in derselben Weise, wie ich es jetzt für die Lunge auseinandergesetzt habe, die Leber studieren, dann finden Sie: Da wird ebenso im Inneren der Leber konzentriert an Kräften alles dasjenige, was in der nächsten Inkarnation sich hinüberleitet in die inneren Dis­positionen des Gehirnes. Also wiederum auf dem Umwege des Stoff­wechselorganismus des jetzigen Lebens gehen die inneren Kräfte der Leber hinüber, aber jetzt nicht in die Form des Kopfes wie die Lunge, sondern in die innere Disposition des Gehirnes. Ob jemand ein scharfer Denker ist in der nächsten Inkarnation, hängt davon ab, wie er sich in der gegenwärtigen Inkarnation benimmt. So daß also auf dem Umweg durch den Stoffwechsel in der Leber bestimmte Kräfte auftreten; wenn diese Kräfte aber ausgepreßt werden in der gegenwärtigen Inkarnation, dann führen sie zu Halluzinationen oder starken Visionen.

Sie sehen also jetzt im Konkreten, was ich gestern mehr im Ab­strakten andeutete, wie durch Auspressen aus den Organen diese Dinge herauskommen, die dann ins Bewußtsein eindringen und aus dem all­gemeinen halluzinatorischen Leben, das hinüberspielen soll von In­karnation zu Inkarnation, sich in der einen Inkarnation geltend machen und dadurch eben in dieser Weise zum Vorschein kommen.

Studieren wir in derselben Weise alles das, was mit dem Nieren­abscheidungssystem zusammenhängt, dann sehen wir, wie sich darinnen diejenigen Kräfte konzentrieren, welche in der nächsten Inkarnation mehr nach der emotionellen Seite hin die Kopforganisation beeinflussen, veranlagen. Die Nierenorgane, die Abscheidungsorgane, die bringen

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im wesentlichen dasjenige hervor, was mit der Temperamentsanlage im weitesten Sinne, aber auf dem Umwege durch die Kopforganisation, für die nächste Inkarnation vorbereitet wird. Wenn diese Dinge in der gegenwärtigen Inkarnation ausgepreßt werden, dann zeigen sie all die nervösen Zustände, all die Zustände, die mit Erregungen des Menschen zusammenhängen, namentlich aber innere Erregungen, Gemütserregun­gen, eben hypochondrische Zustände, Depressionszustände und so wei­ter, alle die Zustände, die mit dieser Seite des Stoffwechsels besonders zusammenhängen. In der Tat, alles, was mehr, ich möchte sagen, nach der Gefühls- und Emotionsseite hin gedächtnismäßig ist, das hängt auch zusammen mit dem, was reflektiert wird an den Nierenorganen. Wenn wir Lungenreflektionen, Leberreflektionen nehmen, so sind das mehr die Gedächtnisvorstellungen, die eigentlichen Gedächtnisvor­stellungen. Gehen wir zum Nierensystem, so haben wir das, was wir als bleibende Gewohnheiten dieser Inkarnation haben, und das Innere des Nierensystems bereitet eben, wie gesagt, auf dem Umweg durch die Kopforganisation die Temperamentsanlagen im weiteren Sinne für die nächste Inkarnation vor.

Studieren wir in eben demselben Sinne das Herz. Das Herz ist auch in bezug auf die geisteswissenschaftlichen Untersuchungen ein außer­ordentlich interessantes Organ. Sie wissen ja, daß unsere triviale Wis­senschaft die Herzerkenntnis sich ungeheuer leicht macht. Sie sieht das Herz als eine Pumpe an, eine Pumpe, die das Blut durch den Körper pumpt. Nun, man kann nichts Unsinnigeres meinen als dieses, denn das Herz hat überhaupt nichts zu tun mit irgendeinem Pumpen des Blutes, sondern das Blut wird durch die ganze Regsamkeit des astralischen Leibes, des Ich, in Tätigkeit versetzt, und das Herz ist nur der Reflex dieser Bewegungen. Die Bewegung des Blutes ist eine Eigenbewegung, und das Herz bringt nur zum Ausdruck, was die Bewegung des Blutes, die Kräfte verursachen. Das Herz ist tatsächlich nur das Organ, das ausdrückt die Blutsbewegung; das Herz hat gar keine Aktivität in bezug auf die Blutsbewegung. Die gegenwärtigen Naturwissenschafter werden ganz fuchswild, wenn man von dieser Sache spricht. Ich habe einmal vor vielen Jahren, ich glaube 1904 oder 1905, auf einer Reise nach Stockholm einem Naturforscher, einem Mediziner, diese Sache

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auseinandergesetzt, und er wurde fast tobsüchtig darüber, daß man das Herz nicht mehr als Pumpe ansehen soll, sondern daß es das Blut selber ist, das durch seine Vitalität in Bewegung kommt und daß das Herz eben nur eingefügt ist in die allgemeine Blutsbewegung und sie mitmacht im Schlage und so weiter.

Nun, an dem Herzen wird allerdings etwas reflektiert, was schon nicht mehr bloß eigentlich Gedächtnis- oder Gewohnheitssache ist, sondern es spiritualisiert sich da schon, wenn es an die Außenwand des Herzens kommt, das Leben. Denn was da zurückgeworfen wird vom Herzen, das sind die Gewissensbisse. Das ist einfach, ich möchte sagen, ganz physischerseits zu nehmen: die Gewissensbisse, die in unser Be­wußtsein hereinstrahlen, sie sind dasjenige, was von unseren Erlebnissen durch das Herz reflektiert wird. So lehrt es einen die spirituelle Er­kenntnis des Herzens. Wenn wir aber in das Innere des Herzens hin­einschauen, so sammeln sich da auch Kräfte durch den ganzen Stoff­wechsel- und Gliedmaßenorganismus. Und weil das spiritualisiert ist, was mit dem Herzen, mit den Herzkräften zusammenhängt, spiritua­lisiert sich da hinein auch dasjenige, was mit unserem äußeren Leben, mit unseren Handlungen zusammenhängt. Und so paradox, so sonder­bar es klingt für einen Menschen, der sehr gescheit ist im Sinne der Gegenwart, es ist einmal so: Was da im Herzen an Kräften zubereitet wird, das sind die karmischen Anlagen, das sind die Anlagen des Karma. Es ist geradezu empörend töricht, vom Herzen zu sprechen als einem bloßen Pumpwerk, denn das Herz ist dasjenige Organ, das aus dem Gliedmaßen-Stoffwechselorganismus, durch die Vermitte­lung des Gliedmaßen-Stoffwechselorganismus hineinträgt in die nächste Inkarnation, was wir gerade als Karma auffassen.

Sie sehen, lernt man diese Organisation kennen, dann lernt man sie differenzieren und sie erscheint einem dann im Zusammenhange mit dem ganzen Leben, das über Geburt und Tod hinausgeht; man sieht dann hinein in dieses ganze Gefüge des Menschen. Von dem Haupt konnten wir nicht reden, indem wir von Umformungen sprachen, denn das Haupt wird einfach abgeworfen; diese Kräfte sind mit dieser In­karnation erfüllt, sie sind eben umgewandelt von der vorigen Inkarna­tion her. Dasjenige aber, was wir in diesen vier Hauptsystemen, im

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Lungen-, Nieren-, Leber- und Herzsystem haben, das geht auf dem Umwege durch den Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus formbildend hinüber und bildet unser Haupt in allen seinen Anlagen in der nächsten Inkarnation. Und wir müssen innerhalb der Organe die Kräfte suchen, welche dasjenige, was wir jetzt durchmachen, hinübertragen in die nächstfolgende Inkarnation.

Der Stoffwechsel des Menschen, der ist keineswegs jenes bloße re­tortuale Brodeln und Kochen, von dem die heutige Physiologie spricht. Sie brauchen ja nur einen Schritt zu machen, so wird ein Stoffwechsel vollführt. Dieser Stoffwechsel, der da vollführt wird, der ist nicht bloß der chemische Vorgang, den man untersuchen kann mit den Mitteln der Physiologie, der Chemie, sondern der ist zugleich moralisch gefärbt, der trägt eine moralische Nuance. Und diese moralische Nuance wird tatsächlich aufgespeichert im Herzen und als karmische Kraft hinüber-getragen in die nächste Inkarnation. Und den ganzen Menschen stu­dieren, heißt, in ihm die Kräfte finden, die durchaus über das Erden-leben hinausreichen. Unser Haupt selbst ist ja eine Kugel. Nur dadurch, daß der übrige Organismus daran hängt, ist die Kugelgestalt beein­trächtigt. Unser Haupt wird ganz aus dem Kosmos herausgebildet. Wir müssen ja, wenn wir durch den Tod durchgehen, in unserer Or­ganisation, wie sie uns dann geistig-seelisch bleibt, eigentlich uns an­passen dem ganzen Kosmos. Der ganze Kosmos nimmt uns dann auf. Und ungefähr bis zu dem Zeitpunkte, der in der Mitte drinnen liegt zwischen zwei Inkarnationen - ich habe ihn in einem meiner Myste­riendramen die Mitternachtsstunde des Daseins genannt -, bis zu die­sem Zeitpunkt, wenn ich mich so ausdrücken darf, vergrößern wir uns immer in die Umwelt hinein. Wir werden nach und nach ganz identisch mit der Umwelt. Und was da von uns in die Umwelt hin­ausgeht, das gibt die Konfiguration für das Astralische und das Äthe­rische der nächsten Inkarnation.

Das ist dasjenige, was im wesentlichen aus dem Kosmos herein die Mutter bestimmt. Durch den Vater und die Befruchtung kommt das­jenige, was im physischen Leibe konfiguriert ist und was im Ich ist. Dieses Ich geht, so wie es dann ist, nach der Mitternachtsstunde des Daseins eigentlich in eine ganz andere Welt über. Es geht in diejenige

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Welt über, durch die es dann diesen Weg nehmen kann durch die väter­liche Natur. Das ist ein außerordentlich bedeutsamer Vorgang. Es ist wirklich so, daß die Zeit bis zur Mitternachtsstunde und von der Mit­ternachtsstunde an - beide Teile sind ja zwischen Tod und neuer Ge­burt - eigentlich sehr verschieden sind voneinander. Ich habe diese Erlebnisse in meinem Wiener Vortragszyklus von 1914 von innen aus geschildert. Wenn wir sie mehr von außen anschauen, müssen wir eben sagen: Das Ich wird in der ersten Hälfte, bis zur Mitternachtsstunde, mehr kosmisch und bereitet dasjenige vor im Kosmos, was dann auf dem Umwege durch die Mutter in die nächste Inkarnation hineingeht. Und vön der Mitternachtsstunde des Daseins bis zur nächsten Geburt geht das Ich in dasjenige über, was eigentlich in den alten Mysterien Unterwelt genannt wurde, und auf dem Umwege durch diese Unter­welt nimmt es den Weg durch die Befruchtung. Und da kommen im Grunde genommen die zwei Pole des Menschen zusammen durch die Mutter und den Vater, von der Oberwelt und von der Unterwelt.

Dieses, was ich jetzt sage, war aus der instinktiven älteren Erkennt­nis heraus, wenigstens soviel mir bekannt ist, ein wesentlicher Inhalt der ägyptischen Mysterien. Die ägyptischen Mysterien führten ja ganz besonders die Menschen zu der Erkenntnis gerade dessen, was sie da­mals die oberen und die unteren Götter nannten, die obere und die untere Götterwelt. Und man kann schon sagen, in dem Befruchtungs­akte vollzieht sich ein polarischer Ausgleich der oberen und der unteren Götterwelt, und das Ich geht zwischen dem Tod und einer neuen Ge­burt zuerst durch diese obere Welt und dann durch die untere Welt. Es ist durchaus in älteren Zeiten nicht diese eigentümliche Nuance schon dagewesen, die heute manche verbinden mit Ober- und Unterwelt. Die obere ist bei den heutigen Menschen immer die gute, und die untere ist immer die schlechte. Diese Nuance war ursprünglich nicht damit ver­bunden, sondern es waren eben nur die zwei Polaritäten, die an der Gesamtweltbildung teilnehmen mußten. So daß man in der unmittel­baren Erfahrung die Oberwelt mehr als die Lichtwelt wahrnahm, schaute, die untere Welt mehr als die Welt der Schwere: Schwere und Licht als die beiden Polaritäten, mehr nach außen die Sache ausge­drückt. So sehen Sie, daß man im Konkreten die Dinge schildern kann.

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Ich habe Ihnen für die andern Organe gesagt, daß das Ausfließen halluzinatorisches Leben werden kann, insbesondere was aus dem Leber-system herausgepreßt wird. Wenn aber das Herz seinen Inhalt auspreßt, dann ist es also eigentlich das System von Kräften, herausgedrängt und ins Bewußtsein gebracht, das in der nächsten Inkarnation jene eigen­tümliche Veranlagung, sein Karma auszuleben, hervorruft. Wenn man beobachtet, wie das Karma sich auswirkt, so kann man ja sagen: Es läßt sich eigentlich dieses Ausleben des Karma von der Seite der Men­schen nur schildern wie eine Art von Hunger und Sättigung. - Das muß man so auffassen. Gehen wir zunächst vom Standpunkt der ge­wöhnlichen Lebensanschauung aus, nehmen wir ein markantes Ereignis:

Eine Frau begegnet einem Mann und fängt an, ihn zu lieben. - Nun ja, das ist wirklich ungefähr so angesehen, wie wenn Sie aus der Sixtini­schen Madonna ein Stückchen herausschneiden würden, zum Beispiel gerade ein Fingerchen vom Jesusknaben herausschneiden und das an­schauen würden. Sie haben natürlich ein Stück von der Sixtinischen Madonna, aber Sie sehen nichts. So sehen Sie auch nichts, wenn Sie anschauen: Eine Frau begegnet einem Mann und fängt an, ihn zu lieben. - Denn so ist es nicht, das muß man nach vorne zurückver­folgen. Bevor die Frau an den Mann herangekommen ist, ist sie an andere Orte der Welt gegangen, ist früher woanders gewesen, noch früher wieder woanders gewesen. Sie können überall Gründe finden, warum die Frau von dem einen Ort zu dem andern gegangen ist. Das verbirgt sich natürlich im Unterbewußten, aber es ist Vernunft dar­innen, es ist durchaus Zusammenhang darinnen, und man kann, wenn man zurückgeht bis in die Kindheit, den Weg zurückverfolgen. Die be­treffende Frau - dabei soll niemandem etwas aufgemutzt werden -, die geht durchaus die Wege vom Anfange an, die dann landen in dem betreffenden Ereignis. Der Mensch, wenn er geboren wird, hat Hunger, das zu tun, was er tut, und er läßt nicht früher nach, bis die Sättigung kommt. Das Hindrängen zum karmischen Ereignis ist eine Folge eines solchen allgemeinen spirituellen Hungergefühles; man wird hinge-trieben. Das ist einmal der ganze Mensch: er hat solche Kräfte in sich zu späteren Ereignissen trotz der Freiheit, die trotzdem vorhanden ist, aber die spielt ja auf einem andern Gebiete. Der Mensch trägt diese

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Kräfte in sich. Nun, diese Kräfte, die da als ein solcher Hunger sich äußern, der dann zur karmischen Erfüllung führt, diese Kräfte, die so sich ausleben, die werden im Herzen konzentriert. Und wenn sie aus­gepreßt werden und also in der jetzigen Inkarnation ins Bewußtsein kommen: sie bleiben deshalb im Herzen doch vorhanden, aber sie kommen ins Bewußtsein herein, es bilden sich Bilder von ihnen, die dann Anregungen bilden; dann gibt das die Tobsucht. Tobsucht ist im Grunde genommen nichts anderes - man kann das in der Realität stu­dieren - als das in dieser Inkarnation verfrühte Ausleben einer Karma­kraft für die folgende Inkarnation. Bedenken Sie, wie anders man sich angewöhnen muß, die Weltereignisse anzusehen, wenn man diese Zu­sammenhänge erfaßt. Natürlich, wenn man ein tobsüchtiger Mensch ist in seiner gegenwärtigen Inkarnation, oder wenn man gar jener König gewesen wäre, der einmal in Spanien regiert hat, so sagt man: Wenn ihm Gott die Welt zu schaffen überlassen haben würde, so würde er es besser gemacht haben. - Und so stellen ja die Leute Fragen, wie:

Warum hat Gott die Tobsucht erschaffen? - Es hat die Tobsucht schon ihre ganz guten Gründe, aber alles, was in der Welt wirkt, kann eben auch deplaciert zum Vorschein kommen. Und dieses deplacierte Zum­Vorschein-Kommen, das in diesem Falle namentlich durch luziferische Kräfte bewirkt wird - alles, was verfrüht bewirkt wird in der Welt, wird durch luziferische Kräfte bewirkt -, dieses Zum-Vorschein-Kom­men der karmischen Kräfte der nächsten Inkarnation in einer früheren Inkarnation bildet die Tobsucht. Sie sehen, man kann förmlich in den Abnormitäten eines gegenwärtigen Lebens dasjenige studieren, was sich in die andern Leben hinüber fortsetzen soll.

Sie können sich doch denken, was für ein gewaltiger Unterschied ist zwischen dem, was jetzt durch unsere ganze Inkarnation im Herzen ruht, und dem Zustand, in dem dasselbe sein wird, wenn es die ganze lange Entwickelung durchgemacht hat zwischen dem Tode und einer neuen Geburt und dann in einem neuen Leben im äußeren Verhalten des Menschen zum Vorschein kommt. Dennoch, wenn Sie in das Innere Ihres Herzen hineinschauen, so können Sie - allerdings jetzt in Latenz, nicht in einem voll ausgeführten Bilde - ziemlich gut wahrnehmen, was Sie im nächsten Leben treiben werden. Man kann also nicht nur

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im allgemeinen, in abstracto sagen: Es bereitet sich im gegenwärtigen Leben vor, was im nächsten Leben sich karmisch auswirkt -, sondern man kann geradezu, ich möchte sagen, die Kassette aufweisen, worin das Karma der folgenden Zeiten ruht. Das sind die Dinge, die ganz im Konkreten durchschaut werden müssen, wenn man wirkliche Gei­steswissenschaft treiben will.

Nun können Sie sich doch denken, was für eine ungeheure Bedeu­tung diese Dinge einmal gewinnen werden, wenn man sie studieren wird und zur allgemeinen Bildung machen wird. Was weiß denn die heutige Medizin von der Möglichkeit einer teberkrankheit, von der Möglichkeit einer Herzkrankheit, da sie ja das Allerwichtigste nicht kennt: wozu diese Organe da sind! Das kennt sie ja doch nicht. Sie findet nicht einmal einen richtigen Zusammenhang zwischen Erregungs­halluzinationen und, sagen wir, dem Nierensystem, währenddem die ruhigen Halluzinationen, die Halluzinationen, die bloß auftreten und da sind, wie ich gerade vorhin ausgeführt habe, sozusagen Leberhallu­zinationen sind. Solche Halluzinationen, die so auftreten, daß sie am Menschen herumkriechen, möchte ich sagen, die dazu führen, daß der Betreffende die Dinge so abstreifen möchte, die kommen aus dem Nierensystem. Das sind die Erregungshalluzinationen, die mit dem emotionellen System, mit dem Temperamentssystem zu tun haben. Man kann aus diesen Dingen heraus, aus solchen Symptomen heraus viel sicherer diagnostizieren als aus den diagnostischen Mitteln, die heute vielfach angewendet werden. Und sehr unsicher sind rein äußer­liche diagnostische Mittel gegenüber dem, was solche Diagnosen er­geben würden, wenn man diese Dinge studieren würde.

Nun hängen aber alle diese Dinge mit der Außenwelt zusammen. Ich sagte, die Lunge als innerliches Organ, als Organsystem, sie enthält eigentlich zusammengepreßt die Zwangsgedanken und alles das, was wir aufnehmen, indem wir die äußeren Dinge wahrnehmen und diese in der Lunge eben konzentrieren. In ganz anderer Weise verhält sich dann die Leber zur Außenwelt. Dadurch, daß die Lunge gerade, ich möchte sagen, das Gedankenmaterial bewahrt, dadurch ist die Lunge ganz anders konfiguriert. Sie hängt mehr zusammen mit dem irdischen Elmente, mit dem Erdenelemente; die Leber, die das Halluzinieren im

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besonderen birgt, das ruhige Halluzinieren, das erscheinende Halluzi-nieren, die hängt zusammen mit dem Wassersystem, mit dem Wasser also. Und das Nierensystem, es klingt paradox, hängt mit dem Luft-element zusammen. Man meint natürlich, das müsse die Lunge sein, aber die Lunge hängt mit dem Erdenelemente zusammen als Organ, allerdings nicht nur mit ihm. Dagegen mit dem Luftelemente hängt als Organ zusammen gerade das Nierensystem, und das Herzsystem hängt mit dem Wärmeelemente zusammen als Organ; es ist ganz aus dem Wärmeelemente herausgebildet. Also dieses Element, das das gei­stigste ist, das ist auch dasjenige, was dann aufnimmt in diese ungemein feinen Wärmestrukturen, die wir ja auch, ich möchte sagen, im Wärme-Organismus haben, die Anlage für das Karma.

Da nun wiederum der ganze Mensch mit der Außenwelt in Bezie­hung steht, so können Sie sich sagen: Also Lunge wird mit der Außen­welt eine besondere Beziehung haben in bezug auf das erdige Element, Leber in bezug auf das wässerige Element. - Sehen Sie nun auf die erdi­gen Qualitäten der Pflanzen hin, so haben Sie in diesen die Heilmittel zu suchen für alles das - aber allerdings ist das im weitesten Umkreise dann aufzufassen -, was mit Erkrankungen zusammenhängt, die in der Lunge ihren Ursprung haben. Nehmen Sie dasjenige, was in der Pflanze zirkuliert, was mehr die Säftezirkulation der Pflanzen ausmacht, so haben Sie darinnen das Heilmittel zu suchen für alles, was mit der Leberorganisation zusammenhängt. Und so ergibt ein Studium des Wechselverhältnisses der Organe mit der Umwelt tatsächlich auch die Grundlage für eine rationelle Therapie.

Unsere gegenwärtige Therapie ist ein Sammelsurium von empiri­schen Notizen. Zu einer wirklichen rationellen Therapie kann man erst kommen, wenn man auf diese Weise die Wechselbeziehungen zwischen der Organwelt im menschlichen Inneren und der Außenwelt studiert. Allerdings muß man dann überwinden die wollüstige Sehn­sucht nach der subjektiven Mystik. Wenn man durchaus nicht weiter­kommen will als bis zu dem bekannten Gottesflämmchen des Meister Eckhart und so weiter, wenn man bloß Wollust im Inneren ausgießen, schöne Bilder haben will und nicht durchdringen will durch dieses ganze Element zu der konkreten Konfiguration der inneren Organe,

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dann kann man auch nicht zu wirklich bedeutsamen therapeutischen Erkenntnissen durchdringen. Denn diese therapeutischen Erkenntnisse ergeben sich auf dem Wege echter Mystik, die also zum Konkreten des Inneren des Menschen aufrückt. Ebenso wie wir da in das Innere des Menschen hineindringen und auf dem Umwege durch dieses Innere kennenlernen das Herübergehen durch die Inkarnationen, ebenso wie wir also dieses innere Leben des Menschen kennenlernen, gelangen wir, wenn wir das Äußere betrachten, durch die Sinneswelt, durch den Sin­nesteppich hindurch ins Geistige. Da kommen wir in die Welt der gei­stigen Hierarchien hinauf, die wir nicht auf dem Umwege durch innere Mystik gefunden haben, sondern die werden auf dem Wege durch eine tiefere Anschauung der äußeren Welt gefunden. Und auf diesem Wege ergibt sich auch dasjenige, was man ja dann zuerst in Analogien aus­drücken kann. Aber es sind nicht bloße Analogien, sondern es sind da durchaus tiefere Beziehungen vorhanden.

Wir atmen, nicht wahr, und ich habe Ihnen das letzte Mal die Atem-züge ausgerechnet für vierundzwanzig Stunden. Rechnen wir achtzehn Atemzüge auf die Minute, so haben wir in der Stunde sechzig mal acht­zehn, und in vierundzwanzig Stunden 25920 Atemzüge in Tag und Nacht. Wenn Sie nun einen andern Rhythmus im Menschen nehmen, so ist es der Rhythmus von Tag und Nacht selber. Am Morgen beim Aufwachen saugen Sie in Ihren physischen Leib und Ätherleib hinein den Astralleib und das Ich. Es ist auch ein Atmen. Sie atmen morgens herein, und Sie atmen am Abend beim Einschlafen den astralischen Leib und das Ich wieder aus, also ein Atemzug in vierundzwanzig Stunden, in einem Tag. Das sind dreihundertfünfundsechzig solche Atemzüge im Jahr. Und nehmen Sie das Durchschnittsalter eines Men­schen, zweiundsiebzig Jahre, so haben Sie ungefähr dieselbe Zahl; würde ich nicht zweiundsiebzig genommen haben, sondern etwas dar­unter, so würde ich dieselbe Zahl bekommen haben. Das heißt, wenn Sie das gesamte irdische Leben des Menschen nehmen und Sie sehen in einem Tag im Einschlafen und Aufwachen einen Atemzug, so haben Sie in einem Leben auch so viel solches Ein- und Ausatmen des astra­lischen Leibes und des Ich, wie Sie in vierundzwanzig Stunden Atem-züge haben. Sie machen während eines Lebens auch so viel solche Atemzüge,

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die im Ausatmen und Einatmen des Ich und des astralischen Lei­bes bestehen. Diese Rhythmen entsprechen sich durchaus, und wir sehen, wie da der Mensch in die Welt eingefügt ist. Das Leben des Tages, Sonnenauf- und -untergang, also das einmalige Herumgehen entspricht einem inneren Sonnenauf- und -untergang, der von der Ge­burt bis zum Tode dauert.

Sie sehen, der Mensch gliedert sich da in die ganze Welt hinein. Und ich möchte heute diese Betrachtung damit abschließen, daß ich Sie auf eine Idee hinweise, die ich Sie bitte, ein bißchen durchzudenken, durch­zumeditieren. Die heutige Wissenschaft stellt sich vor: Das ist das Weltgeschehen. In diesem Weltgeschehen ist einmal die Erde entstan­den. Dann wird wiederum die Erde, wenn die Entropie erfüllt ist, in den Wärmetod aufgehen und so weiter. - Wenn man heute sich so eine Anschauung bildet wie die Kopernikanische oder irgendeinen modi­fizierten Kopernikanismus, dann nimmt man eigentlich nur Rücksicht auf die Kräfte, die den Urnebel gebildet haben und so weiter, und das Menschenleben ist dabei im Grunde genommen das fünfte Rad am Wagen. Denn der Geologe, der Astronom sieht ja gar nicht hin auf den Menschen. Es fällt ihm gar nicht ein, die Ursache für eine künftige Weltgestaltung im Menschen irgendwie zu suchen. Der Mensch ist über­all dadrinnen in diesem Weltgeschehen, aber er ist das fünfte Rad am Wagen. Das Weltgeschehen läuft ab, er hat nichts damit zu tun. Stellen Sie sich aber das so vor: Dieses ganze Weltgeschehen nimmt ein Ende, hört da auf, verliert sich im Raume. Es hört auf, und für das, was dann da weiter draußen geschieht, liegen die Ursachen immer innerhalb der

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menschlichen Haut, im Menschen; die setzen sich fort. Und dasjenige, was hier Welt ist, das ist nur innerhalb des Menschen veranlagt in der Vorzeit. - So ist es nämlich in Wirklichkeit. Und wie uns Weisheits­bücher solche Dinge überhaupt in ihrer Sprache sagen, so weist auf diese Dinge hin das Wort des Christus Jesus: «Himmel und Erde wer­den vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.» Alles, was materielle Welt ist, sinkt hin, aber dasjenige, was aus dem Geiste und der Seele kommt und in Worten sich ausspricht, das überlebt den Niedergang der Welt und lebt sich in die Zukunft hinein. Die Ursachen für die Zukunft liegen nicht außerhalb unserer Haut, die haben nicht die Geologen zu untersuchen, sondern die haben wir im Inneren zu suchen, in den nach inwärts liegenden Kräften unserer Organisation, die zunächst in unser nächstes Erdenleben hinübergehen, aber dann weitergehen in andere Metamorphosen. So daß, wenn Sie die Zukunft der Welt suchen, Sie in den Menschen hineinschauen müssen. Das was äußerlich ist, das vergeht ganz.

Das 19. Jahrhundert hat eine Barriere aufgerichtet gegen diese Er­kenntnis, und diese Barriere heißt das Gesetz von der Erhaltung der Energie. Das Gesetz von der Erhaltung der Energie setzt eben die um den Menschen herumliegenden Kräfte fort. Das wird aber alles ver­gehen, verschwinden. Und dasjenige, was im Menschen erst entsteht, das bildet Zukunft. Das Gesetz von der Erhaltung der Energie ist das Falscheste, das man sich denken kann. In Wirklichkeit aufgefaßt heißt das nichts anderes, als eben den Menschen zum fünften Rad im Welt­geschehen zu machen. Aber nicht das Wort von der Erhaltung der Energie ist richtig, sondern das andere Wort: «Himmel und Erde wer­den vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.» Das ist das richtige Wort. Nur stehen diese zwei Worte in diametralem Gegensatz. Und nichts weiter als Gedankenlosigkeit ist es, daß heute gewisse An­hänger von diesen oder jenen positiven Bekenntnissen Bibelgläubige und zugleich Anhänger der theoretischen Physik sein wollen. Das ist nichts als eine Unehrlichkeit, die aber heute kulturschöpferisch auf­tritt, und diese Unehrlichkeit muß aus dem Kulturschöpferischen -was aber eigentlich ein Antischöpferisches ist - heraus, wenn wir aus Niedergangskräften in Aufgangskräfte hineinkommen wollen.

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SIEBENTER VORTRAG Dornach, 3. Juli 1921

Nach den Betrachtungen, die wir angestellt haben, wird nun eine Grundtatsache des menschlichen Lebens und Wesens gut vor unsere Seele hintreten können. Es ist ja gerade dann, wenn man sich auf eine genauere Betrachtung des Verhältnisses des Menschen zu seiner Umwelt einläßt, immer eine Art Rätsel, wie es denn komme, daß man nicht hineinschauen kann in das eigentliche Wesen der äußeren Welt. Diese äußere Welt liegt uns vor in ihren Phänomenen, in ihren Ereignissen und auch, wenn wir nur ein schwaches Erkenntnisbedürfnis haben, müssen wir vermuten, daß hinter diesen Erscheinungen, die uns als farbige, als tönende, als wärmende Welt und so weiter vorliegen, erst das eigentliche Wesen der Wirklichkeit verborgen ist. Gewissermaßen ein Schleier ist da, und hinter diesem Schleier ist erst das eigentliche Wesen der Wirklichkeit. Auf der andern Seite liegt ein ähnliches Rät­sel vor mit Bezug auf dasjenige, was menschliches Inneres ist. Ich habe ja in den letzten Tagen darauf hingedeutet, wie dieses menschliche Innere seine Organrätsel enthüllt, wenn man erst wirklich hineinge­langt in dieses Innere. Aber es liegt doch zunächst für das gewöhnliche Bewußtsein die Tatsache vor, daß man nicht so tief hinunterschauen kann ins eigene Innere, um die Natur von Lunge, Leber und so weiter, wie wir das gestern besprochen haben, wirklich durchschauen zu kön­nen. Nun, diese Tatsache des Vorhandenseins zweier Rätsel, des Rätsels gegenüber der Unerkennbarkeit der äußeren Welt, des Rätsels der Un­erkennbarkeit der inneren Welt, diese Tatsache versteht man aus der Erkenntnis des ganzen Wesens des Menschen heraus, wenn man sich einläßt darauf, die ganze menschliche Natur einmal ins Auge zu fassen, die ja nur die eine Seite hier zwischen Geburt und Tod uns zeigt, die andere Seite zwischen dem Tod und einer neuen Geburt hat.

Aber betrachten wir zunächst den Menschen, wie er sich uns dar­bietet hier zwischen der Geburt und dem Tode. Wir brauchen da zu­nächst eine innere seelische Tatsache, die mit unserem ganzen normalen Tagesleben zusammenhängt, wir brauchen die innere Tatsache des Gedächtnisses.

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Ich habe gestern davon gesprochen, wie dieses Gedächtnis eigentlich beruht auf einer Rückspiegelung an den Außenseiten der inneren Organe. Aber wir brauchen ja dieses Gedächtnis für unser Seelenleben. Ich habe öfters auf Tatsachen hingewiesen, welche zeigen, wie die Störung dieses Gedächtnisses unser ganzes normales Leben hier zwischen Geburt und Tod untergraben kann. Es war dies ein Beispiel, welches zeigte, daß das Erinnerungsvermögen sich im Menschen aus­löschen kann. Solche Fälle sind ja auch sonst bekannt. Sie können in psychologischen Werken von zahlreichen solchen Fällen lesen. Es ist ja eine ganz bekannte Tatsache, daß das geschehen kann, und in klei­nerem Maßstabe findet sich diese Erscheinung viel häufiger, als man eigentlich denkt. Und Sie brauchen sich ja auch nichts anderes vorzu­stellen, als daß einfach für solche Menschen diese Vorgänge, ohne daß sie im gewöhnlichen Sinne des Wortes davon wissen, so sind, wie für Sie vom Einschlafen bis zum Aufwachen jede Nacht: das Bewußt­sein ist ausgelöscht. Aber es übt eine solche abnorme Diskontinuität des Bewußtseins einen außerordentlich bedeutsamen Einfluß auf das ganze Persönlichkeitsbewußtsein aus. Es kommt der Mensch nicht mehr mit sich zurecht, wenn er so etwas durchgemacht hat; es ist ihm nach­träglich im Leben eigentlich etwas Furchtbares. Daraus aber können Sie sehen, wie wichtig es ist, für das gewöhnliche Leben zwischen Ge­burt und Tod - mit Ausnahme der Schlafenszustände - die Kontinuität des Bewußtseins zu haben.

Die Kontinuität des Bewußtseins hängt ja zusammen mit unserem Gedächtnis. Wir brauchen also das Gedächtnis, um das gewöhnliche Leben normal zu unterhalten. Nun besteht, wenn man eine okkulte Entwickelung durchmacht, eine andere Tatsache. Es besteht die Tat­sache, daß man nötig hat, solche Seelenkräfte zu entwickeln, welche eigentlich für die Momente des geistigen Schauens dieses gewöhnliche Gedächtnis auch auslöschen. Solange man nämlich dieses gewöhnliche Gedächtnis hat, kann man im Grunde genommen nicht in die geistige Welt hineinschauen. Und bei Schülern der okkulten Entwickelung stellt sich gewöhnlich als ein Erlebnis dieses heraus, daß sie anfangs, wenn sie beginnen, an ihrer Entwickelung zu arbeiten, gewisse Schau­ungen haben und dann später darüber klagen, daß sie diese Schauungen

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nicht mehr haben, daß sie ausbleiben. Das beruht darauf, daß es für solche Schauungen, wenn sie echte, wahre Schauungen sind, wenn sie nicht Halluzinationen sind, eigentlich kein Gedächtnis gibt. Es ist nicht möglich, sich wiederum an eine Schauung zu erinnern, denn die Schau­ung ist etwas Reales. Sehen Sie ein Stück Kreide an und sehen Sie wieder weg, so haben Sie das Erinnerungsbild. Wollen Sie aber die Kreide vor sich haben, die reale Kreide, dann müssen Sie wieder zu­rückkehren zur Wahrnehmung, Sie müssen wiederum das Reale vor sich haben. Für dieses Reale hilft Ihnen das Gedächtnis gar nichts. Wenn Sie ein heißes Eisen berühren, so verbrennen Sie sich. Sie können noch soviel von der Hitze in der Erinnerung haben, Sie verbrennen sich nicht dabei. Sie müssen, weil die Schauung Sie in Zusammenhang bringt mit etwas Realem und nicht ein bloßes Bild ist, wiederum zu ihr zu­rückkehren. Es handelt sich darum, daß man zu der Schauung wieder­um zurückkehrt, nicht sich bloß erinnert, denn ein wirkliches Schauen ist ein wirkliches okkultes Erlebnis und kann nicht Erinnerung werden, sondern man kann nur auf indirekte Weise wiederum dazu kommen. Man kann sich sagen: Bevor die Schauung eingetreten ist, habe ich dies oder jenes durchgemacht im gewöhnlichen Bewußtsein. Daran kann man sich dann erinnern, und man muß diese Etappe wiederum herauf-rufen bis zu dem Punkte, wo die Schauung eingetreten ist; dann kommt man bei dem Punkte an. Sie kann nicht wieder unmittelbar eintreten, aber man muß den Weg gewissermaßen wiederum zurück-machen. Das berücksichtigen viele nicht; sie glauben, man könne sich an eine Schauung im gewöhnlichen Sinne erinnern. Man muß also in einer gewissen Beziehung sogar bei der okkulten Entwickelung das Gedächtnis untergraben. Das ist durchaus notwendig, es läßt sich das gar nicht verhindern. Deshalb muß man sagen: Derjenige, der eine solche okkulte Entwickelung anstrebt, der muß vor allen Dingen sicher sein, daß er im gewöhnlichen Leben ein vernünftiger Mensch ist, das heißt, daß er ohne irgendwelche falschmystischen Anwandelungen einen gesunden Verstand und ein gesundes Gedächtnis hat. Wer im ge­wöhnlichen Leben schon irgendwie herumschwefelt oder schwimmelt, ist nicht geeignet, eine okkulte Entwickelung durchzumachen. Man muß durchaus die Möglichkeit haben, sich an die Ereignisse des Tages

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mit aller Bestimmtheit zu erinnern, dann kann man es wagen, zu den Schauungen vorzudringen, für die es eben nicht ein solches Erinnern gibt. Die Vorsichten, die anempfohlen werden für eine okkulte Ent­wickelung, sind durchaus eben in der Sache selbst begründet. So können Sie sagen: Für das gewöhnliche Bewußtsein ist das Gedächtnis da, und es gehört zu einem normalen Leben zwischen Geburt und Tod dieses Gedächtnis.

Nun kann ich Ihnen schematisch aufzeichnen, wie sich das mensch­liche Wesen im Besitze dieses Gedächtnisses verhält. Ich will es Ihnen etwa so aufzeichnen (siehe Zeichnung Seite 128). Es ist das, was ich jetzt aufzeichne, nicht als solches vorhanden, aber es ist im Ätherleib wahrzunehmen. Ich zeichne schematisch als diese Linie das, was eigent­lich über den ganzen Leib ausgedehnt ist, und Sie müßten sich dann vorstellen, daß vom Kopf, also von den Sinneswahrnehmungen, Sin­nesorganen, bis zu dieser Linie dasjenige ist, was außerhalb der Organe ist. Diese Linie soll die schematische Grenzlinie für die Organe des Menschen sein: Hier wird zurückgespiegelt, und jenseits dieser Linie liegen also Herz, Lunge, Leber und so weiter. Hier (Pfeile) wird zu-rückgespiegelt. Das ist symbolisch die Linie des menschlichen Gedächt­nisses. Sie können sich förmlich vorstellen: Wir haben in unserem Inneren ein Häutchen; es ist eigentlich das Grenzhäutchen zwischen dem Ätherleib und dem Astralleib, nur ist es in Wirklichkeit nicht räumlich, es ist eben schematisch gezeichnet. Es wird dasjenige, was wahrgenommen ist, durch die Kraft der Organe, die dahinter sind, zurückgeworfen; es wird dadurch gespiegelt, aber es wird eben dennoch hier gespiegelt, und wir können nicht durchschauen im gewöhnlichen Bewußtsein, wir können durch die Gedächtnishaut nicht in das Innere des Menschen hineinschauen. Das Gedächtnis deckt uns das Innere des Menschen zu. Es muß das Innere des Menschen zudecken, sonst wäre der Mensch nicht normal im gewöhnlichen Leben zwischen Ge­burt und Tod. Das Gedächtnis ist dasjenige, was uns unser gewöhn­liches Bewußtsein nach innen zu verschließt. Sobald dieses Gedächtnis unterbrochen wird, sobald also irgendwo ein Riß entsteht, wie es durch die okkulte Entwickelung geschieht, sehen wir so, wie ich es gestern beschrieben habe, in unsere Organe hinein.

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Nun haben wir die Antwort auf das Rätsel des Nicht-nach-Innen­schauen-Könnens. Es muß zugedeckt sein dieses Innere, sonst würden wir nicht normal sein im Leben zwischen Geburt und Tod, denn wir brauchen dieses Gedächtnis. Also das Innere unseres Selbst wird uns verhüllt durch unsere Gedächtnisspiegelung. Das ist dasjenige, was Sie als eine Lösung dieses Rätsels haben müssen.

Nach der andern Seite, nach der Seite der Außenwelt, da sehen wir gewissermaßen ausgebreitet den Sinnenschleier und sehen nicht da­hinter. Wir wollen einmal die Sache so auffassen, daß wir uns sagen:

Wie wäre es, wenn wir dahintersehen würden, wenn wir also, nach außen schauend, nicht den Sinnenschleier hätten, hinter dem die Wesen­heit der Welt liegt, sondern wenn das überall durchbrochen wäre, wenn man da überall durchschauen und durchgucken könnte, wie wäre es dann? - Wir würden stets mit unserer Wahrnehmung, mit unserer An­schauung in die Dinge hineinfließen. Wir würden mit den Dingen zu­sammenfließen. Wir könnten uns nicht unterscheiden von den Dingen. Und was wäre die Folge? Niemals könnten wir, wenn wir uns nicht unterscheiden könnten von den Dingen, die Gefühle der Liebe ent­wickeln, denn Liebe beruht darauf, daß man nicht hinüberfließt in den andern, sondern daß man eine Individualität bleibt, getrennt ist und dennoch hinüberfühlt. Wir sind so organisiert, daß wir liebefähig sind zwischen Geburt und Tod. Und in der okkulten Entwickelung muß diese Liebefähigkeit wiederum durch Imagination, Inspiration, Intuition ersetzt werden. Wir müssen gewissermaßen die Liebefähig­keit durchbrechen. Es würde unser Leben total ruinieren, wir würden kaltherzig werden, wenn wir im gewöhnlichen Leben die Liebe nicht hätten. Daher ist es wieder notwendig, daß derjenige, der nach dieser Richtung hin eine okkulte Entwickelung durchmacht, vor allen Din­gen im höchsten Grade die Liebefähigkeit entwickelt. Hat er sie so entwickelt, daß er sie nicht verlieren kann durch die okkulte Entwicke­lung, daß er sie trotz dieser Entwickelung behält, dann kann er es wagen, den Sinnenschleier zu durchdringen und in die wirkliche Ob­jektivität hinauszuschauen. Sie sehen das zweite Rätsel vor Ihre Seele hingestellt. Der Mensch muß so organisiert sein, daß er gedächtnisfähig und liebefähig ist.Weil er liebefähig sein muß, kann er mit dem gewöhnlichen

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Bewußtsein nicht hinter den Sinnenschleier hinüberschauen, und weil er gedächtnisfähig sein muß, kann er nicht in das eigene Innere hineinschauen.

Das ist dasjenige, was eigentlich die Wahrheit der so falschen Kant­schen Philosophie ist. Kant wollte die menschliche Subjektivität unter­suchen und hat einige ganz abstrakte Begriffe hingepfahlt, die eigent­lich nichts besagen. In Wirklichkeit ist es so, daß wir den Menschen zwischen Geburt und Tod als gedächtnis fähiges und liebefähiges Wesen verstehen müssen. Da lernt der Mensch das kennen, was in der Emp­findung lebt, da lernt der Mensch kennen, was in der Liebe lebt. Und das hat er durch die Pforte des Todes hinüberzutragen. Aber deshalb sind wir auf der Erde, damit wir in diesen beiden Fähigkeiten uns ver­vollkommnen.

Wenn nun der Mensch durch das Gedächtnis auseinanderzuhalten hat sein wahrnehmendes und denkendes Wesen, das außerdem hier an den Sinnenschleier stößt, dann entwickelt er, hauptsächlich durch das Haupt - aber der Mensch ist ja im Ganzen Haupt -, das Leben, das wir als das Leben des Bewußtseins bezeichnen. Dieses Leben des Bewußtseins bleibt beim Gedanken stehen. Der Gedanke wird Er­innerungsbild. Aber wir dringen nicht weiter vor als bis zum Erinne­rungsbild. Da wird der Gedanke aufgehalten; nur dadurch, daß er da aufgehalten wird, kann er ja immer wiederum zurückkommen als Er­innerung. Da wird der Gedanke aufgehalten, und unser normales Leben zwischen Geburt und Tod beruht eigentlich darauf, daß wir den Ge­danken nicht hinunterlassen in die Organe. Seine Kräfte kommen hin­unter, wie ich das gestern geschildert habe, aber den Gedanken als solchen, wie er lebt in uns als Bild, den können wir nicht hinunterlassen. In dem Augenblicke, wo wir sterben, da wird der Gedanke das, was er im gewöhnlichen Bewußtsein nicht werden soll: da wird der Gedanke Imagination. Diese Imagination, die in der okkulten Ent­wickelung mit aller Mühe erstrebt wird, die tritt ein, wenn der Mensch durch den Tod geht. Alle seine Gedanken werden Bilder. Der Mensch lebt dann ganz in Bildern. Man kann daher den Toten nur verstehen, wenn man diese Bildersprache kennengelernt hat. Sofort nach dem Tode verwandeln sich die Gedanken in Bilder. Mit diesen Bildern lebt

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der Mensch ja einige Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Dann werden die Bilder nach und nach Inspiration. So wächst die Seele tatsächlich weiter. Die Bilder werden Inspiration. Da fängt der Mensch dann an, die Sphärenmusik wahrzunehmen. Da wird für ihn die Sphärenmusik etwas Reales. Er lebt in der Welt der Weltentöne. Und zuletzt wächst er zusammen mit dem objektiv-geistigen Weltenall. Seine Seele wird ganz Intuition. Er wird gewissermaßen eins mit dem Weltenall.

Das ist zugleich der Punkt, wenn eine Zeitlang diese Intuition da war, wo die Weltenmitternacht eintritt, von der ich auch gestern wieder sprach. Nun beginnt der Rückweg, und die Intuition ist nun geeignet, etwas aufzunehmen, was der Mensch allmählich verlassen hat, indem er hier auf der Erde gelebt hat. Wenn der Mensch nämlich durch des Todes Pforte getreten ist, lebt er durch andere Kräfte, als diejenigen sind, die wir hier auf der Erde den Willen nennen. Er lebt sich in kosmischere Kräfte ein. Der Wille wird, ich möchte sagen, ab­sorbiert, der Wille schwindet allmählich dahin. Aber wenn der Mensch an der Weltenmitternacht angekommen ist, also nachdem er durch den imaginativen Zustand, durch den Inspirationszustand, Intuitionszu­stand durchgegangen ist und gewissermaßen auf der Höhe des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt angekommen ist, dann füllt sich die Intuition wiederum mit Wille an. Der Gedanke wird wiederum willens-mäßig, und dieser Wille durchsättigt immer mehr und mehr die Seele, die nun wiederum zur Inspiration sich durchringt, dann zur Imagina­tion. Wenn sie bei der Imagination angekommen ist und eine Zeitlang sie durchgemacht hat, dann ist sie wiederum reif, hier verkörpert zu werden. Aus dem Bilde heraus bildet sich auf die Weise, wie ich es ge­schildert habe, was dann als umgewandelter Gliedmaßen-Stoffwechsel­mensch der vorigen Inkarnation da auftritt. Sie sehen also, durch die­jenigen Stufen, welche angestrebt werden bei der okkulten Entwicke­lung, steigt der Mensch hinauf bis zur Weltenmitternacht, und er geht dann den umgekehrten Weg wiederum herunter bis zur Imagination und kommt bei der Gedankenbildung an, wenn er sich verkörpert.

Während dieser ganzen Zeit nimmt der Mensch den Willen auf. Und nun, indem der Mensch wiederum ins physische Dasein kommt,

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sehen wir, wie das, was aus dem Kosmos hereinwirkt, was er in sich aufgenommen hat von der vorigen Inkarnation, im Bilde ist, und im Bilde ist noch der Wille drinnen. Wir haben also jetzt hier eine willens­durchtränkte Imagination.

Wenn der Mensch also vor der Konzeption ankommt bei einem neuen physischen Leben, hat er zwar eine Imagination, aber eine wil­lensdurchtränkte Imagination. Aus der Imagination, die im wesent­lichen ja dasjenige ist, was schon da war als Bild, entsteht das Haupt und was zunächst dazugehört, und der Wille, der bemächtigt sich der neuen Gliedmaßen und des Stoffwechsels. So daß sich dieses hier ver­teilt auf das Haupt und auf den übrigen Menschen. Das Haupt ist im wesentlichen, ich möchte sagen, kristallisierter, erstarrter Gedanke; was im übrigen Menschen lebt, ist organisierter Wille. Eigentlich kann der Mensch nur im Haupte wirklich aufwachen. Nicht wahr, Ihre Gedanken kennen Sie, Ihre Vorstellungen sind im gewöhnlichen Be­wußtsein - das kann man zu allen heutigen Merischen sagen; was im Willen vorgeht, ich habe es öfter erwähnt, das ist den Menschen genau so unbekannt wie das, was im Schlafe vor sich geht. Denn wie weiß man, wenn man einen Arm hebt, im gewöhnlichen Bewußtsein, was da vor sich geht! Man nimmt wahr, daß der Arm gehoben wird, die Vor­stellung hat man, aber der Willensakt als solcher bleibt im Schlaf, ver­hältnismäßig so, wie das Schlafen zwischen Einschlafen und Aufwachen ist. Also kann man sagen: Mit Bezug auf den Gliedmaßen-Stoffwech­selmenschen schläft der Mensch auch bei Tag; er erwacht eigentlich

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nur in bezug auf seinen Hauptesmenschen. - Das wirkt alles wiederum zusammen.

Die offizielle Wissenschaft heute spricht von einer gewissen Logik. Sie spricht in der Logik von Vorstellung, von Urteil und von Schluß. Ja, stellen wir einen solchen Schluß vor uns hin. Der bekannte Schluß, der in allen Logiken steht, bezieht sich ja auf die berühmte logische Persönlichkeit. Also: Alle Menschen sind sterblich, Cäsar ist ein Mensch, also ist Cäsar sterblich. - Das ist der Schluß. Jedes Glied des Schlusses ist ein Urteil: Alle Menschen sind sterblich - ist ein Urteil, Cäsar ist ein Mensch - ist ein Urteil, also ist Cäsar sterblich - ist ein Urteil. Das Ganze ist ein Schluß. Mensch, Cäsar, sind Vorstellungen.

Wenn Sie heute einen Menschen fragen, der nun wiederum zu den ganz Gescheiten gehört - wir müssen uns immer an die ganz Gescheiten halten, denn die geben ja den Ton an -, dann sagt er: Alles das geht so vor, daß es sich im Nervensystem abspielt. Das Nervensystem ist der Vermittler von Vorstellung, Urteil, Schluß, sogar von Gefühl und Wille. - Aber schon bei diesem Vorstellen, Urteilen und Schließen ist es nicht so, wie das heutige offizielle Denken meint. Nur das Vorstellen als solches ist nämlich eigentlich eine Kopfangelegenheit. Wenn Sie ein Urteil fällen, dann müssen Sie allerdings durch Vermittelung des Ätherleibes fühlen, wie Sie auf den Beinen stehen. Sie urteilen nämlich gar nicht mit dem Kopf, Sie urteilen mit den Beinen, allerdings mit den Beinen des Ätherleibes. Derjenige, der urteilt, auch wenn er liegt, streckt seine Ätherbeine aus. Urteilen beruht nicht auf dem Kopfe, Urteilen beruht auf den Beinen. Das glaubt einem natürlich heute keiner, aber wahr ist es doch. Und Schließen, das beruht auf den Armen und Händen, überhaupt auf dem, was sich beim Menschen heraushebt aus dem, was auch das Tier hat. Das Tier steht auf den Beinen, das Tier ist selbst ein Urteil, aber es schließt nicht. Der Mensch schließt. Dazu hat er seine Arme frei bekommen, dazu sind seine Arme da, nicht zum Gehen. Der Mensch hat seine Arme frei, damit er ein Wesen ist, das schließen kann. Und was sich vollzieht, indem man auf seine Äther-beine tritt, und was sich vollzieht, indem man seinen Astralarm bewegt, das ist Urteil, das ist Schluß, das spiegelt sich bloß im Haupte als Vor­stellung und wird dann auch zur Vorstellung. So daß man den ganzen

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Menschen braucht, nicht bloß den Nerven-Sinnesmenschen, damit Ur­teil und Schluß zustande kommen.

Nun, wenn Sie das in Betracht ziehen, dann werden Sie sich sagen:

Der Mensch holt aus seinem Gliedmaßensystem eigentlich Urteil und Schluß heraus. Das sind nämlich schon Willensakte im Grunde genom­men, und das kommt aus einem unbestimmteren Zustande heraus, als das Vorstellen ist. Geradeso wie wir des Morgens aufwachen, so er­leben wir im Grunde genommen, wenn wir mit einem Schluß fertig sind. Wir haben ihn aus der ganzen Tiefe unseres Wesens hervorgeholt. Dasjenige, was vom vorigen Leben bis zu diesem Leben alt geworden ist, was sich im Kopfe auslebt, das führt uns dazu, Vorstellungen haben zu können durch den Kopf. Da sind wir in bezug auf den Kosmos alt, wenn wir geboren werden. Und daß unser Wille sich erneuert hat, das ist, weil wir in bezug auf den Kosmos jung geworden sind. Es ist immer dasjenige, was wir als Haupt an uns tragen, erinnernd an die vorige Inkarnation. Es ist das Alte. Was der Gliedmaßen-Stoffwechselmensch ist, das hat sich der Wille erobert, indem er in diese Inkarnation her-einzieht. Das wird ihm eigentlich vermittelt durch den Mutterleib. Denn das andere - man braucht ja nur die äußere empirische Embryo­logie zu studieren, so wird es bestätigt - wird eigentlich aus dem Kos­mos herein in die Mutter konstruiert. Das Haupt ist eben ein Abbild des Kosmos, wird durch äußere Kräfte bewirkt. Derjenige, der das leugnen will, der soll auch nur sagen, es sei ein Unsinn, daß der Magne­tismus der Erde die Magnetnadel stellt. Der Physiker geht, wenn er die Magnetnadel erklären will, aus der Magnetnadel heraus; der Phy­siologe, der Embryologe, der Biologe, der bleibt, wenn er den Embryo erklären will, im Mutterleib drinnen. Das ist ebenso unsinnig, wie wenn man die Magnetnadel nur aus sich selbst erklären wollte. Man muß herausgehen zum ganzen Kosmos. Wir haben zunächst das Haupt in der ganzen Entwickelung und darangegliedert nur wird der übrige Leib, den sich der Wille erobert, der sich an die Imagination herange­macht hat während des Durchganges durch das Leben zwischen Tod und neuer Geburt von der Mitternachtsstunde des Daseins an.

Nun, wenn wir diesen Menschen hier betrachten (siehe Zeichnung Seite 128), so finden wir alles, was sich auf das Denken und auf die

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Wahrnehmung bezieht, oberhalb des Gedächtnishäutchens, alles, was sich auf den Willen bezieht, unterhalb. Das wirkt herauf, wirkt aus dem Unbewußten herauf, das man erst auf die Weise findet, wie wir es gestern auseinandergesetzt haben. Da wirkt der Wille herauf. In bezug auf den Willen sind wir schlafend. Und so haben wir eigentlich den Menschen wirklich als eine Dualität im Leben zwischen Geburt und Tod. Der Mensch ist schon ein Monon, aber er ist es in bezug auf die ganze Welt, und er muß es im Werden herstellen, dieses Monadische. Er muß es immer wieder erneuern. Aber in Wirklichkeit ist der Mensch zwischen Geburt und Tod dualistisch: der Gedanke gewissermaßen mit der Wahrnehmung auf der einen Seite, der Wille mit dem Gemüt auf der andern Seite.

Dadurch aber ist der Mensch eigentlich, ich möchte sagen, der Durchschnitt durch zwei Welten. Denn bitte, seien Sie ehrlich und fragen Sie sich, was haben Sie denn in jedem Momente Ihres Lebens im Bewußtsein? Ihre Erinnerungsvorstellungen, dasjenige, was Sie er­lebt haben seit dem zweiten, dritten Jahr oder fünften, sechsten Jahr, das ist der Inhalt des Bewußtseins. Und was von unten da durchkommt, was aus dem Willen herausquillt, das ist die Liebe, die Liebefähigkeit. Und eigentlich ist der Mensch nichts anderes als dasjenige, was da im Durchschnitte erscheint als Erinnerungsbilder und Liebe. Es ist im Grunde genommen der Mensch so: oberhalb ist eine Welt, die kos­mischer Gedanke ist, unterhalb ist eine Welt, die kosmischer Wille ist. Und immerzu ist der Mensch der Angriffspunkt für Luzifer von der Willensseite her und der Angriffspunkt für Ahriman auf der Gedan­kenseite (siehe Zeichnung). Ahriman möchte fortwährend den Men­schen ganz zum Kopfe machen. Luzifer möchte fortwährend dem Menschen den Kopf abschlagen, daß er gar nicht denken kann, daß alles auf dem Umwege durch das Herz in Wärme herausströmt, daß er ganz überfließt von Weltenliebe und ausfließt in die Welt als Wel­tenliebe, als ein kosmisch-schwärmerisches Wesen ausfließt.

In unserem Zeitalter, in unserer hochgepriesenen Kultur haben wit vorzugsweise ahrimanische Einflüsse tätig. Diese ahrimanischen Ein-flüsse, sensitivere Menschen haben sie immer verspürt. Als ich noch ein ganz junger Mensch war, redete ich einmal mit einem österreichischen

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Dichter, der dazumal sehr bekannt war; der hatte eine feine Empfindung für das, was in der Kultur heraufzieht, und er drückte das halbbildlich aus, aber dieses Halbbildliche war für ihn eine Wirklich­keit. Er sagte zu mir - es ist mir, als ob es heute geschehen wäre: Wie wir heutigen Menschen wären, das sei eigentlich ein furchtbares Los; ein furchtbares Los, 4as die Menschheit treffen wird, wenn die Dinge so fortgehen, wie sie jetzt gehen. Denn der Mensch wird allmählich die Geschicklichkeit seiner Glieder verlieren, er wird nicht mehr ordentlich gehen können, er wird immerfort radfahren und sich mechanisch wei­terbewegen; er wird auch die unmittelbare Geschicklichkeit seiner Hände verlieren, alles wird technisch. Geradeso wie ein Muskel ver­kümmert, der nicht gebraucht wird, so wird alles das allmählich ver­kümmern und der Mensch wird nur Kopf werden. Der Kopf wird immer größer werden, und zuletzt wird sich der Mensch so fortkugeln mit einem ganz verkrüppelten übrigen Organismus.

Dieses Bild stand, ich möchte sagen, wie ein Alpdruck vor diesem österreichischen Dichter - Hermann Rollett hieß er -, und er schilderte das ganz anschaulich, denn es bedrückte ihn ganz ungeheuer diese Vor­stellung, daß die Menschen einmal rollende Köpfe werden durch unsere Kultur. Aber es liegt etwas sehr Wahres dem zugrunde. Es liegt das zugrunde, daß tatsächlich in unserer Zeit die Mächte außerordentlich stark sind, welche unseren Kopf immer mehr und mehr entwickeln möchten. Mit dem physischen Kopf gelingt es ihnen nicht gerade ganz besonders gut, aber mit dem Ätherkopf gelingt es schon besser. Also es ist tatsächlich so, daß in unserer Zeit uns die ahrimanischen Mächte zu ganzen Kopfmenschen machen möchten, daß sie uns ganz und gar um­gestalten möchten zu bloßen Denkern.

Aber für den Menschen in seiner gesunden Entwickelung ist der andere Pol da, der Willenspol, der immer entgegenarbeitet, wenn wir sterben, so daß der Wille den Gedanken ergriffen hat. Der Gedanke darf noch nicht allein sein. Wenn wir geboren werden, da haben wir neuen Willen gesammelt, aber der Gedanke sondert sich ab, findet unseren Kopf; der Wille bemächtigt sich des andern Leibes. Während wir auf der Erde leben, ist ein fortwährendes Wechselwirken da zwi­schen Wille und Gedanke in uns. Der Wille bemächtigt sich des Gedankens,

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und wir müssen dieses Zusammengesetzte aus Wille und Ge­danke wiederum durchtragen durch den Tod. Ahriman möchte uns daran verhindern. Der möchte, daß der Wille abgesondert bleibt, daß der Gedanke nur in uns besonders ausgebildet würde. Dann verlören wir unsere Individualität, wenn es zuletzt wirklich zu dem käme, was Ahriman eigentlich will. Wir verlören vollständig unsere Individua­lität. Wir würden mit einem geradezu übertriebenen, instinktiv aus­gebildeten Gedanken im Momente des Todes ankommen. Aber den könnten wir Menschen nicht halten, diesen Gedanken, und Ahriman könnte sich seiner bemächtigen und ihn einfügen der übrigen Welt, so daß dieser Gedanke in der übrigen Welt weiterwirkte. Das ist tatsäch­lich das Schicksal, das der Menschheit droht, wenn sie den gegen­wärtigen Materialismus fortsetzt, daß die ahrimanischen Mächte so stark werden, daß Ahriman den Menschen die Gedanken wegstehlen kann und sie der Erde einverleiben kann in ihrer Wirksamkeit, so daß die Erde, die eigentlich zugrunde gehen sollte, konsolidiert wird. Ahri­man arbeitet darauf hin, daß die Erde konsolidiert wird, daß die Erde als Erde bestehen bleibt. Ahriman arbeitet gegen das Wort: «Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.» Er will, daß die Worte weggeworfen werden und daß Himmel und Erde bestehen bleiben. Das kann nur erreicht werden, wenn den Men­schen die Gedanken gestohlen werden, wenn die Menschen entindivi­dualisiert werden.

Wenn Ahriman weiterwirken könnte, wie er es seit dem Jahre 1845 ja ganz besonders gekonnt hat, dann würden zunächst die menschlichen Gehirne immer steifer und steifer werden, und die Menschen würden wie unter Zwangsgedanken leben, unter materialisierten Gedanken, wie ich das gestern auseinandergesetzt habe. Es würde sich das beson­ders darin zeigen, daß die Menschen auch in der Erziehung so geführt würden, daß sie nicht bewegliche Gedanken haben, sondern daß sie, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben, ganz fixierte Gedanken haben. Nun bitte ich Sie, fragen Sie sich, ob das nicht schon im hohen Grade vielfach gegenwärtig erreicht ist! Denken Sie nur, wie fixiert die Gedanken vieler Menschen heute sind. Kann man den Menschen heute noch viel beibringen? Ihre Gedanken sind so starr, so fest, daß

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man ihnen nicht viel beibringen kann. Das ist schon ahrimanisch ver­wendet. Und Ahriman bemüht sich, das immer zu steigern, immer mehr die Gedanken zu Zwangsgedanken zu machen. Und ein solches wirksames Produkt dieser Zwangsgedanken auf wissenschaftlichem Gebiete ist der Atomismus. Da wird hinter dem Sinnenschleier nicht Geist vermutet, sondern lauter Atome, überall schwingende Atome, wirbelnde, schwingende Atome. Natürlich können Sie mit nichts an­derem hinter diesen Sinnenschleier kommen als mit den Gedanken. Aber Ahriman hat die Leute schon so verwirrt, daß sie ihre Gedanken schon materialisiert haben. Sie glauben nicht mehr daran, daß sie ei­gentlich da nur eine Welt von Gedankenatomen konstruieren, son­dern sie betrachten das als Wirklichkeit; sie setzen also die Gedanken

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da hinaus. Das ist durchaus ahrimanisierte Welt. Wir haben heute eine ahrimanisierte Wissenschaft, eine durch und durch ahrimanisierte Wis­senschaft.

Daß man das hat, tritt einem zuweilen im Leben in einer furcht­baren Weise entgegen. Ich habe zum Beispiel einmal - es ist jetzt viel­leicht fünfunddreißig Jahre her - ein Manuskript bekommen. Es war ein sehr gelehrtes Manuskript. Es sollte aufstellen das Menschendiffe­rential - ich erzähle Ihnen eine wahre Geschichte -, das heißt, dasjenige Differential, daß, wenn man integriert, man den Menschen bekommt. Wenn man also integriert vom Fuß bis zum Kopf, bekommt man den Menschen. Es war eine sehr gelehrte Abhandlung. Und der Arzt, der mir das brachte, der sagte: Sie können den Verfasser auch kennen­lernen -, denn er war bei ihm auf der Klinik. Und als ich den Mann kennenlernte, sagte der: Ja, das ist so, ich habe das selber erlebt, ich bestehe ja ganz aus Differentialatomen, überall sind Differentiale, ich bin nur ein Integral. - Er hatte sich ganz differenziert vorgestellt in lauter Atomen; das war eine intellektuell-ahrimanische Bewußtseins-art. Aber sie ist ja schließlich, ich möchte sagen, nur das starr gewordene System des Atomismus. Denn als mir dieses Manuskript gebracht wurde, mußte ich mich erinnern, daß es ja eine Laplacesche Weltenformel gibt:

da soll es möglich sein, aus den Vorgängen der Atome durch Integra­tion - wobei man jetzt nicht vom Fuß bis zum Kopf integriert, sondern wo man einfach vom Weltenanfang bis zum Weltenende zu integrieren hat - auszurechnen, wenn man irgendeinen speziellen Wert einsetzt, nun, sagen wir, wann Cäsar den Rubikon überschritten hat und der­gleichen! Nicht wahr, einfach indem man die Atome in der Welten-formel vorbringt, in der entsprechenden Weise behandelt. Diese ganze Denkweise sah zum Verzweifeln ähnlich der Abhandlung, die jener Mann von sich selber gemacht hat, der sich ganz als ein zwischen den Grenzen von Fuß und Kopf eingeschlossenes Integral angesehen hat. Man kann da schon, wenn man die Dinge richtig anschaut, durchaus in das Ahrimanischwerden unserer Kultur hineinschauen.

Dem muß natürlich entgegengearbeitet werden, und das kann nur dadurch geschehen, daß unsere Begriffe wiederum zur Bildlichkeit gebracht werden, daß wir also nicht bloß arbeiten mit abstrakten Begriffen,

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sondern daß wir unsere Begriffe zur Bildlichkeit bringen. Dann werden wir, wenn wir hinausgehen durch die Pforte des Todes, schon Bilder mitbringen, und wir finden den Anschluß an dasjenige, was die Welt fordert. Sonst geht die Menschheit der Gefahr entgegen, sich selbst zu verlieren, und was eigentlich durch das Hineinfließen des Willens in die Gedanken individualisiert werden sollte, das wird mine­ralisiert, wird zur allgemeinen Erde gemacht, und die Erde würde ein Weltenwesen werden, aber die Menschheit würde seelisch in einen großen Friedhof einmünden.

Man muß zuweilen solche Kulturausblicke machen. In unserer Zeit ist es durchaus notwendig, solche Kulturausblicke zu machen. Denn derjenige, der die Dinge der Entwickelung heute genauer zu über­schauen vermag, der weiß, wie rasch wir uns im Grunde genommen dieser Verknöcherung unserer Kultur nähern. Ich möchte auch bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt lassen, daß man ja bis zum Jahre 869, bis zum achten allgemeinen ökumenischen Konzil in Konstan­tinopel die Gliederung des Menschen hatte in Leib, Seele und Geist. Nun ist ja, wie ich öfter erwähnt habe, auf diesem achten allgemeinen ökumenischen Konzil für das Abendland die Formel aufgestellt wor­den: Es darf nicht geglaubt werden, daß der Mensch aus Leib und Seele und Geist besteht, sondern nur aus Leib und Seele, und die Seele hat einige geistige Eigenschaften. Das ist dann allgemein übergegangen. Im Mittelalter war es ketzerisch, häretisch, zu glauben, der Mensch bestünde aus Leib, Seele und Geist. Heute finden die Philosophiepro­fessoren durch unbefangene Wissenschaft: Der Mensch besteht nur aus Leib und Seele. Diese «unbefangene Wissenschaft» ist nichts anderes als ein Beschluß des achten allgemeinen ökumenischen Konzils. Aber das strebt nach einem andern hin. Man kann sagen: Durch dieses achte ökumenische Konzil hat die Menschheit verloren das Bewußtsein über den Geist, das wieder errungen werden muß. Gehen wir aber auf dem Wege weiter, den ich Ihnen jetzt geschildert habe, so verliert die Menschheit auch noch das Bewußtsein über die Seele.

Bei den Materialisten des 19. Jahrhunderts war dieses Bewußtsein über die Seele schon bis zu dem Grade verschwunden, daß man sagte:

Das Gehirn sondert Gedanken ab wie die Leber Galle. Man hat also

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eigentlich nur noch das Bewußtsein der leiblichen Vorgänge gehabt. Und in der Tat, es bestehen heute schon, ohne daß es die Menschen wis­sen, in gewissen Untergründen, wo allerlei Gesellschaften nach solchen Dingen hinarbeiten, die Tendenzen, etwas Ähnliches herbeizuführen wie 869 auf dem Konzil von Konstantinopel, nämlich zu erklären: Der Mensch besteht nicht aus Leib und Seele, sondern der Mensch besteht aus dem Leib, und die Seele ist bloß etwas, was aus dem Leibe heraus sich entwickelt. Es ist daher unmöglich, den Menschen seelisch zu er­ziehen; man muß also ein Mittel, ein materielles Mittel finden, womit man den Menschen in einem gewissen Lebensalter impft, und dann wird er seine Talente ausbilden durch Impfung. - Diese Tendenz be­steht durchaus. Sie liegt in der geraden Linie der ahrimanischen Ent­wickelung: nicht mehr Schulen zu gründen, um zu lehren, sondern mit gewissen Stoffen zu impfen. Man kann das nämlich. Es ist nicht so, als ob man es nicht könnte. Man kann es; aber man macht den Menschen zu einem Automaten. Man würde dasjenige riesig beschleunigen, was man sonst auf dem Wege des Gedankenzwanges, durch eine Erziehung, die auf Gedankenzwang hinarbeitet, erreicht. Es gibt schon durchaus Substanzen, die man gewinnen kann, wodurch der Mensch, wenn er zum Beispiel mit sieben Jahren geimpft würde, sich die Volksschule gut ersparen könnte; er würde nämlich ein Gedankenautomat. Er würde außerordentlich gescheit werden, aber er würde kein Bewußtsein da­von haben. Es würde so ablaufen diese Gescheitheit. Aber was liegt vielen Menschen heute schon daran, ob der Mensch ein inneres Leben hat oder nicht, wenn er nur äußerlich herumläuft und das oder jenes tut! Diejenigen Menschen, die sich heute vorzugsweise der ahrima­nischen Kultur ergeben - und die gibt es auch -, streben durchaus nach solchen Idealen hin. Schließlich, was könnte es denn Reizvolleres geben für eine Gesinnung, wie sie sich heute immer mehr verbreitet, als einen Impfstoff zu finden, statt sich mit den Kindern jahrelang abzuplagen! Man muß diese Dinge drastisch darstellen. Solange man sie nicht dra­stisch darstellt, merkt nämlich die Menschheit der Gegenwart nicht, zu welchen Zielen sie hinstrebt. Durch einen solchen Impfstoff würde eben einfach das erreicht werden, daß der Ätherleib gelockert würde im physischen Leibe. Sobald der Ätherleib gelockert wird, ist das Spiel

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zwischen dem Universum und dem Ätherleib ein außerordentlich leb­haftes und der Mensch würde Automat werden. Denn der physische Leib des Menschen muß hier auf der Erde durch geistigen Willen er­zogen werden.

Aus dem vollen Bewußtsein, das man vor Augen hat gegenüber der Automatisierung des Menschen, sind die Methoden für die Waldorf­schule, die pädagogischen Methoden für die Waldorfschule ausfindig gemacht. Sie sollen durchaus in dieser Beziehung ein Kulturmotor sein, der wiederum zur Spiritualisierung hinführt. Denn es ist im Grunde genommen - man kann das schon sagen - heute vor allen Dingen not­wendig, daß das geistige Leben unter den Menschen als geistiges Leben besonders gepflegt werde. Daher sollte man auch wacker hinsehen auf alles das, was als Symptom zur Besserung bei einzelnen Menschen her­vortritt. Ich habe es bei andern Gelegenheiten oftmals hervorgehoben, wie die Menschheit heute darnach strebt, an Stelle der wirklichen Lebenspraxis die Routine zu setzen; Routine, was ja Mechanisierung des Lebens ist.

Ich mußte mich neulich sehr freuen, als ich las, wie es doch noch Menschen gibt, die außer der gewöhnlichen Lebensroutine eine wirk­liche Lebenspraxis auch im praktischen Leben immer schon als etwas Wichtiges angesehen haben. Es ging nämlich neulich einmal die Nach­richt durch die Welt, wie Edison seine Leute geprüft hat, die er für Praktiker vorbereiten wollte. Es interessierte ihn gar nicht, ob ein Kaufmann gut buchführen kann. Das, sagte er, lernt einer in drei Wochen, wenn er sonst ein geschickter, vernünftiger Mensch ist. -Alle diese Spezialitäten, die interessieren ihn gar nicht, das bringt man schon fertig. Und es ist richtig. Aber Edison legte den Menschen, von denen er wissen wollte, ob sie auch etwas im praktischen Leben taugen, Fragen vor, Fragen von dieser Art etwa:Wie groß ist Sibirien? -Also wenn er irgendeinen prüfen wollte, ob er ein guter Buchhalter ist, fragte er nicht, ob er richtig eine Bilanz verfertigen kann, sondern: Wie groß ist Sibirien? - Oder: Wenn ein Zimmer fünf Meter lang, drei Meter breit und vier Meter hoch ist, wieviel Kubikmeter Luft faßt es dann? - und ähnliche Fragen. Er legte Fragen vor: Was steht an der­jenigen Stelle, wo Cäsar den Rubikon überschritt - und so weiter, ganz

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allgemeine Fragen, und je nachdem der eine mehr oder weniger solche allgemeine Fragen beantworten konnte, stellte Edison ihn zum Buch­halter oder so etwas an. Ob er also gut Bücher führen kann oder nicht, das interessierte ihn gar nicht, denn das wußte er: Wenn jemand eine solche Frage beantworten kann, so ist ein Beweis dafür geliefert, daß er seine Schulzeit nicht vergebens abgesessen hat, daß er als Kind mit be­weglichen Gedanken sich heranentwickelt hat; und das verlangte er.

So sollte eigentlich die Praxis gestaltet werden, während wir in der letzten Zeit gerade dem Gegenteil zugesteuert haben und immer mehr in Spezialisierungen verfallen sind, so daß schließlich wirklich es zum Verzweifeln war mit den Leuten, die man für die Praxis brauchte. Sie waren überhaupt nicht mehr zu gewinnen für irgend etwas, was außer­halb der Kassette war, in die sie gerade eingepfercht sein wollten. Man muß schon sagen: Auch auf diese Weise muß in die Beweglichkeit der Gedanken hineingearbeitet werden. Wenn in solcher Weise in die Be­weglichkeit der Gedanken hineingearbeitet wird, dann werden sich diese Gedanken nicht verhärten und Ahriman wird einen schweren Stand haben. Aber Sie werden selber sehen, wenn Sie das Leben be­trachten, wie wenig die Edisons da sind, die gerade solche praktischen Grundsätze haben. Das, worauf es ankommt, ist, hinzuarbeiten nach der Bildlichkeit der Begriffe; wer nach der Bildlichkeit der Begriffe hinarbeitet, wird nicht mehr sagen können, er verstehe Geisteswissen­schaft nicht. Denn gerade der Ruck, den sich ein Mensch gibt, um von dem Abstrakten die Bildlichkeit der Begriffe zu bekommen, der be­deutet auf der einen Seite die Möglichkeit, so etwas zu begreifen: Die Erde hat sich aus Mond, Sonne, Saturn entwickelt. Auf der andern Seite mischt sich für das innere Leben in die bildlichen Vorstellungen, in die Imaginationen, Gefühlsleben herein. Der Vollmensch tritt wirk­lich ein.

Neulich einmal wurde hier mitgeteilt, daß ein Kritiker der Anthro­posophie gesagt hat, die Anthroposophie wäre keine Wissenschaft, weil sie dasjenige, wozu sie kommt, aus dem ganzen Menschen heraus schöpft; eine Wissenschaft aber dürfe nur aus dem Intellekt heraus schöpfen. Also Sie sehen, man definiert zuerst, was eine Wissenschaft ist, daß die nicht aus dem ganzen Menschen schöpfen darf, und dann

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sagt man: Es ist falsch, wenn aus dem ganzen Menschen geschöpft wird. - Auf diese Weise kann man natürlich alles in Grund und Boden definieren. Darauf kommt es gerade an, daß wir die einseitige Kopf­kultur wiederum ausdehnen zu einer Vollmenschenkultur. Und es ist ja eigentlich nur das falsche Bewußtsein, das zu dieser Kopfkultur kommt und das sich dann ausbildet im praktischen Leben. Denn der falsche Glaube, daß wir mit dem Kopfe urteilen, schließen, der verleitet die Menschen zu der Kopfkultur. Wir urteilen mit den Beinen und schlie­ßen mit den Armen. Weiß man das einmal, daß der ganze Mensch schon notwendig ist zu einem Urteil und zu einem Schluß, dann wird man nicht mehr sich sträuben gegen den Grundsatz: Wirkliche Wahr­heit muß aus dem ganzen, aus dem vollen Menschen herauskommen. Das ist dasjenige, worauf ich Sie heute hinweisen wollte.

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ACHTER VORTRAG Dornach, 8. Juli 1921

Wir wollen heute zur Vorbereitung für die beiden nächsten Betrach­tungen uns vor die Seele rufen einiges über das Wesen des Menschen, insofern der Mensch ein Gedankenwesen ist. Gerade diese Eigenschaft des Menschen, daß er ein Gedankenwesen ist, die wird ja wissenschaft­lich heute verkannt, in einer ganz falschen Weise gedeutet. Man denkt, Gedanken, wie sie der Mensch erlebt, kommen in dem Menschen zu­stande, der Mensch sei gewissermaßen der Träger der Gedanken. Kein Wunder, daß man diese Anschauung hat, denn eigentlich ist ja die Wesenheit des Menschen nur einer feineren Beobachtung zugänglich. Der gröberen Beobachtung entzieht sich gerade diese Menschenwesen­heit.

Wenn wir den Menschen als Gedankenwesen betrachten, so ge­schieht es ja deshalb, weil wir im Wachzustande, vom Aufwachen bis zum Einschlafen, wahrnehmen, daß er seine sonstigen Erlebnisse mit Gedanken, mit dem Inhalt seines Denkens begleitet. Diese Gedanken-erlebnisse kommen einem so vor, als ob sie auf irgendeine Weise im Inneren des Menschen entstehen und als ob sie in einer gewissen Weise für die Zeit zwischen dem Einschlafen und Aufwachen, also für den Schlafzustand, aufhören würden. Und weil man der Meinung ist, Ge­dankenerlehnisse seien für den Menschen eben da, so lange er wacht, verlieren sich aber im Schlafe in irgendein Unbestimmtes, über das man sich nicht weiter Aufklärung zu verschaffen versucht und man sich die Sache eben so vorstellt, so kann man eigentlich über den Men­schen als Gedankenwesen sich nicht aufklären. Eine feinere Beobach­tung, die ja noch gar nicht besonders stark vorrückt bis in diejenige Region, die ich gezeichnet habe in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», zeigt, daß das Gedankenleben durchaus nicht jenes Einfache ist, als das man es sich gewöhnlich vor­stellt. Wir brauchen nur dieses gewöhnliche Gedankenleben, das grobe Gedankenleben, dessen jeder gewahr wird, der eben den Menschen zwischen Aufwachen und Einschlafen betrachtet, zunächst zu vergleichen

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mit einem für das gewöhnliche Bewußtsein allerdings proble­matischen Element, mit dem Element des Träumens.

Gewöhnlich läßt man sich doch eigentlich nicht auf etwas anderes ein, wenn von Träumen die Rede ist, als auf eine allgemeine Charak­teristik des Träumens. Man vergleicht den Zustand des Träumens mit dem Zustand des wachen Denkens und findet, daß im Träumen will­kürliche Gedankenverbindungen, wie man etwa sagen würde, vor­handen sind, daß Bilder sich aneinanderreihen, ohne daß in dieser An­einanderreihung ein solcher Zusammenhang wahrnehmbar wäre, wie er wahrnehmbar ist in der äußeren Seinswelt. Oder auch man bezieht dann dasjenige, was im Traum abläuft, auf die äußere Sinneswelt, sieht, wie es gewissermaßen herausragt, wie es nach Anfang und Ende sich nicht eingliedert in die Vorgänge der äußeren Sinneswelt.

Gewiß, bis zu diesen Beobachtungen dringt man ja vor, und in bezug auf diese Beobachtungen sind ja durchaus schöne Resultate zu ver­zeichnen. Aber was man nicht bemerkt, das ist, daß erstens, wenn der Mensch sich ein wenig, ich möchte sagen, einem Anflug der Versenkung überläßt, ein wenig sich gehen läßt und die Gedanken frei laufen läßt, er dann wahrnehmen kann, wie in diesen gewöhnlichen Gedanken-ablauf, der sich anschließt an den äußeren Verlauf der Ereignisse, sich etwas doch hineinmischt, was dem Träumen nicht unähnlich ist, auch dann, wenn wir im wachen Zustande sind. Man kann schon sagen:

Vom Aufwachen bis zum Einschlafen verläuft gewissermaßen - wäh­rend wir uns anstrengen, unser Gedankenleben den äußeren Verhält­nissen, in die wir hineinverwoben sind, anzupassen - ein unbestimmtes Träumen. Gewissermaßen wie zwei Ströme, die da sind, kann es uns vorkommen: die obere Strömung, die wir beherrschen mit unserer Willkür, und eine untere Strömung, die eigentlich wirklich so verläuft, wie die Träume selbst in ihrer Bilderaufeinanderfolge verlaufen. Ge­wiß, man muß sich ein bißchen dem inneren Leben hingeben, wenn man das bemerken will, wovon ich eben jetzt spreche. Aber es ist immer vorhanden. Man wird immer bemerken: eine Unterströmung ist da. Da wirbeln die Gedanken durchaus so bildhaft ineinander, wie sie in den Träumen durcheinanderwirbeln, da reiht sich das Bunteste anein­ander. Da kommen Reminiszenzen aus allem möglichen, die ebenso

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wie der Traum nach dem bloßen Wortgleichklang andere Gedanken an sich heranrufen, sich mit ihnen verbinden. Und Menschen, welche sich innerlich gehen lassen, Menschen, welche zu bequem sind, um sich den äußeren Verhältnissen mit ihrem Gedankenablauf anzupassen, die können bemerken, wie ein inneres Streben besteht, sich hinzugeben solchen wachen Träumen.

Dieses wache Träumen unterscheidet sich von dem gewöhnlichen Träumen nur dadurch, daß die Bilder verblaßter sind, daß die Bilder mehr vorstellungsähnlich sind. Aber in bezug auf das gegenseitige Ver­hältnis dieser Bilder unterscheidet sich dieses Wachträumen gar nicht besonders von dem sogenannten wirklichen Träumen. Es gibt ja alle Grade von Menschen, von jenen an, die überhaupt gar nicht bemerken, daß ein solches waches Träumen in den Unterströmungen ihres Be­wußtseins vorhanden ist, die also ganz am Leitfaden der äußeren Er­eignisse ihre Gedanken ablaufen lassen, bis zu denen, die sich dem wachen Träumen hingeben und in ihrem Bewußtsein ablaufen lassen, wie, ich möchte sagen, die Gedanken daselbst sich ineinander verweben und verstrudeln wollen. Von solchen träumerischen Naturen, wie man sie auch nennt, bis zu denen, die ganz trockene Naturen sind, die nichts gelten lassen als das, was genau übereinstimmt mit irgendeinem Tatsachenverlauf, gibt es ja alle Grade von menschlichen Naturen. Und wir müssen sagen, ein größerer Teil dessen, was die Menschen künstlerisch, dichterisch und so weiter befruchtet, entstammt dieser Unterströmung des wachen Träumens während des Tages.

Das ist die eine Seite der Sache. Man sollte sie durchaus berücksich­tigen. Man würde dann wissen, daß eigentlich in uns fortwährend ein wogendes Träumen stattfindet, das wir nur bändigen durch unseren Verkehr mit der Außenwelt. Und man würde dann auch wissen, daß es im wesentlichen der Wille ist, der sich an die Außenwelt anpaßt, und der in die sonst regellos verlaufende innere Gedankenmasse System, Zusammenhang, Logik hineinbringt. Der Wille ist es, der in unser Denken Logik hineinbringt. Aber wie gesagt, das ist nur die eine Seite.

Die andere Seite der Sache ist diese: Auch da kann man wiederum bemerken, beobachten - kaum daß man nur etwas hineinkommt in die­jenigen Regionen, die ich in meinem Buche »Wie erlangt man Erkenntnisse

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der höheren Welten?» beschrieben habe -, wie man, wenn man aufwacht, etwas mitnimmt aus dem Zustande heraus, in dem wir vom Einschlafen bis zum Aufwachen waren. Und wenn man nur einiges hinzufügt zu dem, was man da wahrnehmen kann, dann wird man sehr deutlich bemerken können, wie man gleichsam aus einem Meere von Gedanken aufwacht, wenn man eben aufwacht. Man wacht durchaus nicht aus dem Unbestimmten, aus der Finsternis gewissermaßen auf, sondern man wacht eigentlich aus einem Meere von Gedanken auf, von Gedanken, die allerdings den Eindruck machen: sie waren sehr, sehr bestimmt, während man geschlafen hat, aber man kann sie nicht festhalten, wenn man in den Wachzustand übergeht.

Und wenn man solche Beobachtungen fortsetzt, wird man bemerken können, daß diese Gedanken, die man gewissermaßen mitbringt aus dem Schlafzustand, sehr ähnlich sind den Einfällen, den Erfindungen, die wir haben in bezug auf irgend etwas, das wir in der äußeren Welt verrichten sollen, daß sogar diese Gedanken, die wir so mitbringen beim Aufwachen, sehr ähnlich sind den sittlichen Intuitionen, wie ich sie in meiner «Philosophie der Freiheit» genannt habe.

Während wir bei der ersteren Art von Gedankenweben, das ja ge­wissermaßen als Unterströmung unseres klaren Bewußtseins verläuft, immer das Gefühl haben, wir stehen mit unserem wachen Träumen uns selbst gegenüber, da brodelt und sprudelt etwas in uns, können wir das bei dem Letztcharakterisierten nicht sagen. Bei dem Letztcharakteri­sierten müssen wir uns vielmehr sagen: Wenn wir beim Aufwachen wiederum in unseren Leib und zum Gebrauche unseres Leibes zurück­kehren, dann sind wir nicht imstande, dasjenige festzuhalten, in dem wir denkend gelebt haben vom Einschlafen bis zum Aufwachen.

Wer diese beiden Seiten des menschlichen Lebens sich so recht zum Bewußtsein bringt, der wird aufhören, Gedanken nur als etwas zu be­trachten, das gewissermaßen im menschlichen Organismus gemacht wird. Denn namentlich dasjenige, was ich zuletzt charakterisiert habe, aus dem wir uns herausheben beim Aufwachen, das können wir gar nicht als irgendein Produkt des menschlichen Organismus als solchem unmittelbar ansehen, sondern das können wir nur ansehen als etwas, was wir erleben zwischen dem Einschlafen und Aufwachen, wenn wir

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aus unserem Leibe herausgerissen sind mit unserem Ich und mit unserem astralischen Leibe.

Wo sind wir denn dann? Diese Frage muß man sich zunächst auf­werfen. Wir sind mit unserem Ich und mit unserem astralischen Leib außerhalb unseres physischen und unseres ätherleibes. Eine einfache Erwägung, der man gar nicht entkommen kann, wenn man sich nur unbefangen dem Leben hingibt, muß uns sagen: In demjenigen, was uns erscheint, wenn wir die Sinne auf die Außenwelt richten, als der Sinnesschleier der Welt, als alles das, was Sinnesqualitäten uns dar-bieten, in dem sind wir, wenn wir außerhalb unser sind. Nur erlischt dann eben für das gewöhnliche Leben das Bewußtsein. Und wir fühlen, warum da das Bewußtsein erlischt, wenn wir eben des Morgens aus diesem Zustande aufwachen. Wir fühlen uns in unserem Leibe dann schwach, zu schwach, um darinnen festzuhalten, was wir erlebt haben vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Es können unser Ich und unser astralischer Leib, indem sie in den physischen und in den Atherleib untertauchen, nicht festhalten dasjenige, was sie da erlebt haben. Und indem sie dann teilnehmen an den Erlebnissen, die durch den Leib ge­macht werden, löscht sich für sie aus, was vom Einschlafen bis zum Aufwachen erlebt wird. Und wie gesagt, nur wenn wir Einfälle haben, die sich auf die äußere Welt beziehen, oder auch wenn wir sittliche Intuitionen haben, dann erleben wir so etwas wie das, was uns bei einer unmittelbaren Betrachtung erscheinen muß als dasjenige, worin wir leben zwischen dem Einschlafen und Aufwachen.

Wenn wir die Sache so ansehen, dann bekommen wir einen sehi:

deutlichen Gegensatz zwischen unserem Inneren und der äußeren Welt. Dann wirft uns das auch in gewissem Sinne ein Licht auf die Aussage, die wir oftmals machen, daß die äußere Welt, so wie sie sich uns vom Aufwachen bis zum Einschlafen darbietet, eine Art Täuschung, eine Art Maja ist. Denn in dieser Welt, die da ihre Außenseite uns zeigt, stecken wir darinnen, wenn wir nicht in unserem Leibe, sondern wenn wir außerhalb unseres Leibes sind. Dann tauchen wir unter in die Welt, die wir sonst nur durch unsere Sinnesoffenbarung wahrnehmen. So daß wir uns sagen müssen: Diese Welt, die wir da durch unsere Sinnesoffen­barung wahrnehmen, die hat Untergründe, Untergründe, die eigentlich

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ihre Ursachen, ihre Wesenheiten enthalten. Und diese Ursachen und diese Wesenheiten unmittelbar wahrzunehmen, sind wir im ge­wöhnlichen Bewußtsein zu schwach.

Dennoch ergibt schon ein unbefangenes Beobachten etwas, was weit hineinreicht in die Regionen, die beschrieben sind in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?»; ein unbefangenes Beobachten er­gibt schon dasjenige, was ich schematisch etwa in der folgenden Weise darstellen kann. Wenn ich das gewöhnliche Gedankenleben darstellen will, so geschieht es dadurch, daß ich es umfassen lasse all das, was der Mensch innerlich-gedanklich durchlebt vom Aufwachen bis zum Ein­schlafen in Anlehnung an die äußeren Wahrnehmungen oder auch in Anlehnung an seine physischen Schmerzen, physischen Lustgefühle und so weiter. Was also im gewöhnlichen Bewußtsein da gedanklich erlebt wird, das möchte ich zunächst schematisch etwa so darstellen (siehe Zeichnung, weiß). Unter diesem also, wie ein wachendes Träu­men, webt und lebt, nicht den Gesetzen der Logik unterworfen, das­jenige, was ich zuerst dargestellt habe (rot unten). Dagegen, wenn wir zwischen dem Einschlafen und Aufwachen in die Außenwelt über­gehen, leben wir, wie wir in Reminiszenz nach dem Aufwachen wahr­nehmen können, wiederum in einer Welt des Gedankens, aber der Ge­danken, die uns aufnehmen, die nicht in uns sind, aus denen wir her­auskommen beim Aufwachen (rot außen). So daß wir gewissermaßen durch unser gewöhnliches Denken zwei Gedankenwelten voneinander geschieden haben: eine innere Gedankenwelt und eine äußere Gedan­kenwelt, eine Gedankenwelt, die den Kosmos, der uns aufnimmt beim Einschlafen, erfüllt. Wir können die letztere Gedankenwelt eben die kosmische Gedankenwelt nennen. Die erstere ist irgendeine Gedanken­welt; wir wollen noch näher auf sie eingehen im Laufe dieser Tage.

So sehen wir uns gewissermaßen mit unserer gewöhnlichen Ge­dankenwelt hineingestellt in eine allgemeine Gedankenwelt, welche wie durch eine Grenze auseinandergehalten wird, und von der ein Teil in uns, ein Teil außer uns ist. Dasjenige, was in uns ist, es erscheint uns sehr deutlich eben als eine Art von Traum. Es ruht immer auf dem Grund unserer Seele ein chaotisches Gedankengewebe, wir können sagen, etwas, was nicht von Logik durchzogen ist. Aber diese äußere

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Gedankenwelt, ja, wahrnehmen kann sie ja allerdings das gewöhnliche Bewußtsein nicht. Also aus unmittelbarem Anschauen, aus unmittel­barem Erleben kann die Natur dieser äußeren Gedankenwelt nur ent­hüllen das wirkliche geistige Schauen, das dann schon tiefer in die Regionen eintritt, die in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» beschrieben werden. Aber dann stellt sich auch heraus: Diese Gedankenwelt, in die wir da eintauchen zwischen dem Einschlafen und Aufwachen, das ist eine Gedankenwelt, die nicht nur so logisch ist, wie unsere gewöhnliche Gedankenwelt logisch ist, sondern die eine viel höhere Logik enthält. Wenn man den Ausdruck nicht mißverstehen will, so möchte ich diese Gedankenwelt eine überlogische Gedanken­welt nennen. Sie ist, ich möchte sagen, ebensoweit über der gewöhn­lichen Logik gelegen, wie unsere träumerische Welt, unsere wachende träumerische Welt unter der Logik gelegen ist.

Wie gesagt, das kann man nur durch geistiges Schauen ergründen. Aber es gibt einen andern Weg, durch den Sie dieses geistige Schauen in diesem Punkte kontrollieren können. Es ist Ihnen doch klar, in ge­wisse Regionen des eigenen Organismus kann das gewöhnliche Bewußt­sein nicht untertauchen. Ich habe davon in den letzten Vorträgen viel gesprochen. Ich habe gesagt: Dadurch, daß wir für das gewöhnliche Bewußtsein unser Gedächtnis, unser Erinnerungsvermögen haben, ist

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uns gewissermaßen nach innen hin eine Haut gezogen gegenüber unse­ren inneren Organen. Wir können nicht unmittelbar durch innere An­schauung beobachten, was die inneren Organe sind, Lunge, Leber und so weiter. Aber ich sagte auch: Es ist eine falsche Mystik, eine nebulose Mystik, welche nur so nach dem Inneren hinein phantasiert und etwa so redet wie die Heilige Therese oder die Mechthild von Magdeburg, die allerlei schöne poetische Bilder finden - die Schönheit soll nicht be­stritten werden -, die aber nichts weiter sind als organische Ausflüsse. Gibt man sich nicht dieser nebulosen Mystik hin, sondern der wirk­lichen Geisteserforschung, so kommt man gerade, wenn man nach dem Inneren des Menschen vordringt, zu der Erkenntnis der Organe. Man sieht geistig die Bedeutung von Lunge, Leber, Niere und so weiter, man durchstößt geistig das Erinnerungshäutchen und kommt zu einem inne­ren Durchschauen des Menschen. Aber das ist etwas, was man mit dem gewöhnlichen Bewußtsein eben nicht erreichen kann. Mit dem gewöhn­lichen Bewußtsein ist es nur möglich, äußerlich durch die Anatomie zu beobachten, wie die Organe sich ausnehmen, wenn man sie als ange­hörig der gewöhnlichen physischen und mineralischen Welt betrachtet. Aber innerlich anzuschauen, was sie an Kräften durchdringt, was sie durchsetzt, was in ihnen tätig ist, was ich Ihnen ja in den letzten Tagen beschrieben habe, dazu gehört ein wirklich ausgebildetes geistiges An­schauen.

Also da ist etwas in dem Menschen drunten, das er nicht erreichen kann mit dem gewöhnlichen Bewußtsein. Warum kann er es mit dem gewöhnlichen Bewußtsein nicht erreichen? Weil es eben nicht allein ihm angehört. Was mit dem gewöhnlichen Bewußtsein zu erreichen ist, das gehört allein dem Menschen an. Dasjenige, was da unten in den Organen pulsiert, das gehört nicht allein dem Menschen an, das gehört dem Menschen als einem Weltenwesen an, das gehört zugleich dem Menschen und zugleich der Welt an.

Vielleicht wird es uns durch die folgende Erörterung am allerdeut­lichsten. Wenn wir den Menschen schematisch anschauen und haben irgendein Organ, Lunge oder Leber in ihm, so haben wir in einem solchen Organe Kräfte. Diese Kräfte sind nicht bloß innere menschliche Kräfte, diese Kräfte sind Weltenkräfte. Und wenn alles, was äußere

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physische Welt ist und uns als physische Welt vor das Anschauen tritt, wenn das alles einstmals mit dem Erdenuntergang verschwunden sein wird, so wird weiter wirken dasjenige, was jetzt als innere Kräfte unserer Organe existiert. Man möchte sagen, alles, was unsere Augen sehen, unsere Ohren hören können, alle äußere Welt ist eine Welt, die zunächst abklingt mit dem Erdenende. Was unsere Haut bedeckt, was wir im Inneren tragen, was umschlossen wird von unserer Organisation, das enthält geistig dasjenige, was fortbesteht, wenn die äußere Welt, die unsere Sinne sehen, einstmals nicht mehr da sein wird. Im Grunde genommen arbeitet innerhalb der menschlichen Haut etwas, was über die Erde hinauslebt; innerhalb der menschlichen Haut liegen die Zen­tren, die Kräfte dessen, was über das Erdendasein hinausarbeitet. Wir stehen als Mensch nicht bloß in der Welt, damit wir für uns unsere Organe umschließen, wir stehen in der Welt als Mensch, damit der Kosmos selber innerhalb unserer Haut sich gestaltet. In demjenigen, wohin unser gewöhnliches Bewußtsein nicht reicht, umschließen wir etwas, was nicht bloß uns, was der Welt angehört. Das, was da der Welt angehört, ist es auferbaut aus dem, was die chaotischen Vorgänge des wachen Träumens darstellen?

Wir brauchen ja nur zu betrachten diese chaotischen Vorgänge des wachen Träumens und Sie werden sich sagen: Die ganze Struktur, alles das, was Sie da gewissermaßen als Unterströmung Ihres Bewußt­seins wahrnehmen, das ist ganz gewiß nicht der Erbauer Ihrer Organe, Ihres ganzen Organismus. Der Organismus würde schön ausschauen, wenn alles das, was in Ihrem Unterbewußtsein da chaotisch herumlebt, Ihre Organe, Ihren ganzen Organismus aufbauen würde! Sie würden schon sehen, was Sie für sonderbare Karikaturen wären, wenn Sie ein Abbild dessen wären, was da in Ihrem Unterbewußtsein pulsiert. Nein, geradeso wie die äußere Welt, die sich uns durch die Sinne offenbart, gewissermaßen offenbart an der Oberfläche, die sie uns zuneigt, wie diese Welt aus den Gedanken aufgebaut ist, die wir erleben zwischen dem Einschlafen und Aufwachen, so sind wir selbst in dem, was wir in uns nicht erreichen mit dem gewöhnlichen Bewußtsein, auferbaut aus denselben äußeren Gedankenkräften. Wenn ich also vollständig das darstellen will, was der Mensch ist, so müßte ich schematisch so

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zeichnen. Ich müßte sagen: Da ist die umliegende Gedankenwelt (rot). Diese umliegende Gedankenwelt baut auch den menschlichen Organis­mus auf, und dieser menschliche Organismus erzeugt, gewissermaßen auf ihm flutend, die höhere Gedankenwelt (weiß), der sich zuneigt die sinnliche äußere Maja zwischen unseren Gedanken und der umliegen­den Welt (blau).

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Versuchen Sie sich einmal recht gegenwärtig zu machen, wie es eigentlich nur ein kleiner Teil von Ihnen selbst ist, was Sie da mit dem Bewußtsein umspannen, und wie ein großer Teil von Ihnen selbst aus derselben äußeren Welt aufgebaut ist, in die Sie untertauchen zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen. Aber das ist ja auch schließlich bei unbefangener Betrachtung des Menschen noch von einer andern Seite her zu bemerken, und ich habe auf diese Seite auch schon öfter hier hingedeutet.

Der Mensch umfaßt eigentlich mit seinem gewöhnlichen Bewußt­sein nur seine Gedanken; seine Gefühle sind schon wie unter den Gedanken

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schwimmende Träume. Gefühle tauchen auf, fluten ab. Der Mensch durchschaut sie nicht in der Klarheit, in der er seine Gedanken, seine Vorstellungen durchschaut. Aber ganz gleich mit dem Erleben zwischen dem Einschlafen und Aufwachen ist das Erleben desjenigen, was in uns während des Tages willensmäßig ist. Und was weiß der Mensch - so sagte ich Ihnen oft - von dem, was vorgeht, wenn er durch den Willen seine Hand oder seinen Arm bewegt! Er kennt das alles vorstellungsgemäß, er weiß zuerst: Ich will meinen Arm bewegen. Das ist eine Vorstellung. Er weiß dann, wie das aussieht an seiner Gestalt, wenn er den Arm bewegt hat: wieder Vorstellung. Was er davon in seinem gewöhnlichen Bewußtsein weiß, das ist ein Gewebe von Vor­stellungen; unter diesem Gewebe von Vorstellungen fluten Gefühle. Aber was da als Wille in ihm wirkt, das schläft auch während des Wachens geradeso stark, wie unser ganzer Mensch schläft vom Ein­schlafen bis zum Aufwachen.

Was schläft da? Das, was da unten schläft, was aus dem äußeren Kosmos in uns hineingebaut ist, das ist genauso etwas Schlafendes, wie draußen die Mineralien und Pflanzen schlafend sind für uns. Das heißt:

Wir dringen nicht von außen in sie ein, sehen nicht hinunter in das, was für uns kosmisch ist. Wir weben und leben in diesem Kosmischen vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Und in demselben Maße, wie wir die äußere Welt durchschauen, leben wir uns in unsere eigene Organi­sation ein. In demselben Maße hören wir auf, bloß Erinnerungsreminis­zenzen zu haben, wie wir sie aus den Ereignissen des Lebens schälen, sondern wir bekommen Vorstellungen von Kräften, die unsere Organe -die Lunge, die Leber, den Magen und so weiter - konstituieren, aufer­bauen. In demselben Maße, wie wir lernen, die äußere Welt zu durch­schauen, lernen wir unser Stück Kosmos zu durchschauen, das wir ein­gegliedert haben, in dem wir sind, das in unserer Haut ist, ohne daß wir im gewöhnlichen Bewußtsein etwas davon wissen.

Was nehmen wir uns denn des Morgens beim Aufwachen aus diesem Kosmos mit? Dasjenige, was wir uns mitnehmen, das erlebt sich für den unbefangenen Beobachter sehr deutlich als Wille. Und im Grunde genommen unterscheidet sich das wache Denkleben von dem, was da unten träumend im Unterbewußtsein strömt, auch eben durch nichts

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anderes, als daß es vom Willen durchströmt wird. Der Wille ist es, der Logik hineinbringt, und die Logik ist im Grunde genommen nicht eigentlich eine Denklehre, sondern die Logik ist eine Lehre davon, wie der Wille die Gedankenbilder ordnet und bändigt und sie in eine ge­wisse äußere Ordnung bringt, die dann dem äußeren Weltenverlauf entspricht.

Wenn wir aufwachen mit einem Traum, da nehmen wir besonders stark dieses Gewoge da unten von chaotischen, unlogischen Bilder-wirbeln wahr, und wir können es bemerken, wie wir einschlagen sehen in dieses chaotische Bilderwirbeln den Willen, der dann das, was da in uns lebt, so anordnet, daß es eben logisch geordnet ist. Aber wir nehmen nicht die Weltenlogik mit, was ich eben früher überlogisch ge­nannt habe, wir nehmen nur den Willen mit.

Wie kommt es denn, daß dieser Wille nun doch in uns logisch wirkt? Sehen Sie, hier liegt ein wichtiges Menschengeheimnis, etwas außer­ordentlich Bedeutsames. Es ist dieses: Wenn wir untertauchen in unsere für das gewöhnliche Bewußtsein nicht vorhandene kosmische Existenz, wenn wir untertauchen in unsere ganze Organisation, dann spüren wir in unserem Willen, der sich da ausbreitet, die kosmische Logik unserer Organe. Wir spüren die kosmische Logik unserer Organe.

Es ist außerordentlich wichtig, daß man sich das ganz klarmacht, daß, wenn wir des Morgens aufwachen, also eintauchen in unseren Leib, wir durch dieses Eintauchen gezwungen werden, den Willen in einer gewissen Weise zu formen. Wäre unser Leib nicht schon in einer gewissen Weise geformt, der Wille, der würde nach allen Seiten qual­lenhaft wirbeln beim Aufwachen; der Wille könnte beim Aufwachen quallenhaft nach allen Seiten chaotisch streben. Das tut er nicht, weil er in die bestehende Menschenform eintaucht. Da taucht er unter, nimmt alle diese Formen an; das gibt ihm die logische Gliederung. Das macht es, daß er aus dem Menschenleib heraus den sonst chaotisch durcheinanderwirbelnden Gedanken die Logik gibt. In der Nacht, wenn der Mensch schläft, ist der Mensch eingespannt in die Überlogik des Kosmos. Die kann er nicht festhalten. Aber wenn er nun in den Leib untertaucht, so nimmt der Wille die Form des Leibes an. Genau so, wie wenn Sie Wasser in ein Gefäß hineingießen und das Wasser die

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Form des Gefäßes annimmt, so nimmt der Wille die Form des Leibes an. Aber nicht nur, wie wenn Sie Wasser in ein Gefäß gießen und das Wasser nimmt die ganze Form des Gefäßes an, nicht nur so ist es beim Willen, daß er die Raumesformen annimmt, sondern er fließt in die kleinsten Aderchen überall hinein. Das kann sich ja nicht bewegen -höchstens beim Professor Traub bewegen sich Tische und Stühle im Raume von selbst, das ist jedoch theologische Universitätslogik, sonst bewegt sich solch ein Gerät nicht -, na nimmt das Wasser die ruhende Form an und nur an den Außenwänden stößt es an. Aber beim Men­schen gliedert sich dieser Wille ganz hinein in alle einzelnen Verzwei­gungen und von da aus beherrscht er dann den sonstigen chaotischen Bilderablauf.

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Dasjenige, was man da also als Unterströmung wahrnimmt, das ist, möchte ich sagen, losgelassen vom Leib. Das ist auch wirklich losge­lassen vom Leib, das ist etwas, was zwar mit dem Menschenleib ver­bunden ist, was aber eigentlich fortwährend sich frei zu machen strebt vom Menschenleib, was fortwährend heraus will aus den Formen dieses Menschenleibes. Dasjenige aber, was der Mensch beim Einschla­fen herausträgt aus dem Leib, was er in den Kosmos hineinträgt, was dann untertaucht, das fügt sich dem Gesetz des Leibes an.

Nun ist es so, daß mit all der Organisation, die des Menschen Kopf-Organisation ist, der Mensch bloß zu Bildern käme. Es ist ein allge­meines physiologisches Vorurteil, daß wir zum Beispiel mit dem Kopf auch urteilen und schließen. Nein, wir stellen mit dem Kopf bloß vor. Wenn wir den Kopf bloß hätten und der übrige Leib wäre untätig für unser Vorstellungsleben, dann würden wir wachende Traumer sein. Der Kopf hat nämlich nur das Vermögen, wachend zu träumen. Und wenn wir auf dem Umwege über den Kopf am Morgen wieder zurück­kehren in unseren Leib, indem wir den Kopf passieren, kommen uns die Träume ins Bewußtsein. Erst wenn wir tiefer in unseren Leib wieder eindringen, wenn sich der Wille nicht nur dem Kopf, sondern der übrigen Organisation wiederum anpaßt, erst dann ist dieser Wille wieder in der Lage, Logik in die sonst bildhaft ineinanderwurlenden Bilderkräfte hineinzubringen.

Das führt Sie dann zu etwas, was ich auch schon in den verflossenen Vorträgen vorgebracht habe. Man muß sich klar sein darüber, daß der Mensch vorstellt mit dem Haupte und daß er in Wirklichkeit urteilt, so sonderbar und paradox es klingt, mit den Beinen und auch mit den Händen, und dann auch wiederum schließt mit den Beinen und Hän­den. So entsteht, was wir einen Schluß, ein Urteil nennen. Wenn wir vorstellen, ist es nur das Bild, das in den Kopf zurückgestrahlt wird, urteilend und schließend sind wir als ganzer Mensch, nicht bloß als Kopfmensch. Dagegen kommt natürlich nicht auf, daß, wenn irgend­ein Mensch verstümmelt ist, er dann etwa nicht urteilen und schließen könne oder dürfe, denn es kommt darauf an, wie die Dinge veranlagt sind bei solchen, denen gewissermaßen zufällig das eine oder andere Glied fehlt.

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Gelernt muß werden, das, was der Mensch geistig-seelisch ist, in Zusammenhang zu bringen mit dem ganzen Menschen, sich klarzu­werden darüber, daß wir Logik in unser Vorstellungsleben hinein­bringen aus denselben Regionen heraus, die wir gar nicht mit dem ge­wöhnlichen Bewußtsein erreichen, die von dem Gefühlswesen und dem Willenswesen eingenommen werden. Unser Urteilen und unser Schlie­ßen geschieht aus denselben Schlafregionen unseres eigenen Inneren heraus, aus dem unser Fühlen und unser Wollen heraustönt.

Am meisten kosmisch ist in uns die mathematische Region. Die mathematische Region gehört uns nicht einmal bloß als ruhendem Menschen an, sondern als herumgehendem Menschen. Wir bewegen uns ja immer irgendwie in mathematischen Figuren. Wenn wir das äußerlich ansehen an einem herumgehenden Menschen, so sehen wir etwas Räumliches; wenn wir es innerlich erleben, erleben wir die uns innerliche Mathematik, die eine kosmische ist, nur daß das Kosmische uns auch aufbaut. Die Raumesrichtungen, die wir draußen haben, die bauen uns auch auf und in uns erleben wir sie. Und indem wir sie er­leben, abstrahieren wir sie, nehmen die Bilder, die sich im Gehirn spiegeln und verweben sie mit dem, was sich äußerlich räumlich in der Welt uns zeigt.

Es ist schon notwendig, daß heute aufmerksam darauf gemacht wird, daß eigentlich dasjenige, was der Mensch mathematisierend in die Welt hineinlegt, dasselbe ist, was ihn aufbaut, was also kosmischer Natur ist. Denn durch den unsinnigen Kantianismus ist der Raum bloß zu einer subjektiven Form gemacht worden. Er ist nicht eine subjektive Form, er ist etwas, was wir gerade in derselben Region real erleben, wo wir das Willensmäßige erleben. Und da scheint es herauf. Da wird das Heraufscheinen zur Welt etwas, mit dem wir dann durchdringen dasjenige, was sich äußerlich darbietet.

Die heutige Welt ist noch weit entfernt davon, dieses innerliche Verwobensein des Menschen mit dem Kosmos studieren zu können, dieses Darinnenstehen des Menschen in dem Kosmos. Ich habe auf dieses Darinnenstehen eklatant aufmerksam gemacht in meiner «Philo­sophie der Freiheit», wo Sie an bemerkenswerten Stellen finden wer­den, wie ich zeige, daß der Mensch unter dem gewöhnlichen Bewußtsein

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zusammenhängt mit dem ganzen Kosmos, daß er ein Glied ist des ganzen Kosmos, und daß dann gewissermaßen aufblüht aus diesem allgemein Kosmischen das Individuell-Menschliche, das dann mit dem gewöhnlichen Bewußtsein umfaßt wird. Gerade diese Stelle meiner «Philosophie der Freiheit» ist von den wenigsten verstanden worden; die meisten haben nicht gewußt, um was es sich handelt. Es ist auch kein Wunder, daß in einem Zeitalter, in dem die Abstraktion bis zur Einsteinerei blüht, daß in einem Zeitalter, in dem diese allerdings in sich außerordentlich geistreiche, aber eben absolut abstrakte Anschau­ung als etwas Besonderes der Welt vorgeführt wird, dasjenige nicht verstanden wird, was in die Wirklichkeit, eben in die wahre Wirklich­keit einführen will.

Es muß immer wieder betont werden: Es genügt nicht, daß irgend etwas logisch ist. Logisch ist die Einsteinerei, wirklichkeitsgemäß ist sie nicht. Aller Relativismus ist als solcher nicht wirklichkeitsgemäß. Das wirklichkeitsgemäße Denken fängt erst da an, wo man nicht mehr die Realität verlassen kann, indem man denkt. Nicht wahr, es liest heute der Mensch, oder hört, möchte ich sagen, ganz gelassen zu, wenn der Einstein sagt als Beispiel: Wie würde es sein, wenn eine Uhr mit Licht­geschwindigkeit in den Kosmos hinausflöge? - Ja, das hört sich heute ein Mensch ganz ruhig an. Eine Uhr, die mit Lichtgeschwindigkeit in den Kosmos hinausfliegt, das ist ungefähr für denjenigen, der wirk­lichkeitsgemäß in seinem Denken lebt, wirklichkeitsgemäß in seiner Seele lebt, ungefähr so, wie wenn einer sagt: Wie wird der Mensch, wenn ich ihm den Kopf abschneide, und dazu ihm die rechte Hand und die linke Hand oder den rechten Arm und so weiter abschneide? - Er hört eben auf, ein Mensch zu sein. So hört dasjenige, was man noch berechtigt ist vorzustellen, wenn man davon redet, daß eine Uhr mit Lichtgeschwindigkeit in den Kosmos hinausfliege, gleich auf, eine Uhr zu sein! Es ist nicht möglich, das vorzustellen. Das Wirklichkeitsge­mäße muß festgehalten werden, wenn man zu einem gültigen Denken kommen will. Logisch, geistvoll kann etwas in ungeheurem Maße sein, aber es braucht noch nicht wirklichkeitsgemäß zu sein. Ein wirklich­keitsgemäßes Denken aber brauchen wir in diesem Zeitalter. Denn das abstrakte Denken führt uns endlich wirklich dazu, eben die Wirklichkeit

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vor lauter Abstraktionen nicht mehr zu sehen. Und heute bewun­dert die Menschheit die Abstraktionen, die ihr in dieser Weise darge­boten werden. Daß man diese Abstraktionen irgendwie logisch belegt oder dergleichen, darauf kommt es nicht an. Es kommt darauf an, daß der Mensch lernt, mit der Wirklichkeit zusammenzuwachsen, so daß er nicht mehr etwas anderes sagen kann als dasjenige, was eben auch aus der Wirklichkeit heraus gesprochen wird.

Aber solche Vorstellungen über den Menschen selbst, wie ich sie Ihnen heute wiederum vorgeführt habe, die geben eine Art Anleitung zu einem wirklichkeitsgemäßen Denken. Sie werden vielfach heute verspottet von denen, die dressiert sind durch unser abstraktes Denken. Durch drei bis vier Jahrhunderte ist ja die abendländische Menschheit dressiert durch bloße Abstraktion. Aber wir leben in dem Zeitalter, wo eine Umkehr nach dieser Richtung stattfinden muß, wo wir den Weg zurück zur Wirklichkeit finden müssen. Materialistisch sind die Menschen geworden, nicht weil sie die Logik verloren haben, sondern weil sie die Wirklichkeit verloren haben. Logisch ist der Materialismus, logisch ist der Spiritualismus, logisch ist der Monismus, logisch ist der Dualismus, logisch ist alles, wenn es nur nicht eben auf wirklichen Denkfehlern beruht. Aber dadurch, daß etwas logisch ist, entspricht es noch nicht der Wirklichkeit. Wirklichkeit kann nur gefunden wer­den, wenn wir unser Denken selber immer mehr und mehr herein­bringen in diejenige Region, von der ich gesagt habe: Im reinen Denken hat man das Weltgeschehen an einem Zipfel. - Das steht in meinen erkenntnistheoretischen Schriften, und das ist dasjenige, was als Grund­lage eines Weltverständnisses gewonnen werden muß.

In dem Augenblicke, wo man das Denken noch hat, trotzdem man keine sinnliche Anschauung hat, in dem Augenblick hat man das Den­ken zugleich als Wille. Es ist kein Unterschied mehr zwischen Wollen und Denken. Denn das Denken ist ein Wollen und das Wollen ist dann ein Denken. Wenn das Denken ganz sinnlichkeitsfrei geworden ist, dann hat man das Weltgeschehen an einem Zipfel. Und das ist es, was man vor allen Dingen anstreben muß: den Begriff zu bekommen von diesem reinen Denken. Von diesem Punkte aus wollen wir dann mor­gen weiter reden.

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NEUNTER VORTRAG Dornach, 9. Juli 1921

Den Menschen in das Weltenall erkenntnismäßig hineinzustellen, das war ja in den letzten Wochen die Aufgabe, die hier gestellt worden ist in diesen Betrachtungen. Nun hatte ich gestern versucht anzudeuten, wie der Mensch auf der einen Seite hineingestellt ist in die kosmische Gedankenwelt, aus der er auch herausgebildet ist seiner ganzen Orga­nisation nach, so daß der Mensch auf der einen Seite, indem er hin­blickt auf dasjenige, was in seiner sinnlichen Anschauung, seiner ge­wöhnlichen Erfahrung von ihm selbst nicht erfaßt wird für das ge­wöhnliche Bewußtsein, in bezug auf diese seine Organisation sich als dem Kosmos angehörig zu denken hat und nur sich gewissermaßen als dem eigenen Selbst angehörig zu denken hat in bezug auf das ge­wöhnliche Vorstellungsleben, das, wie ich gezeigt habe, sich hineinstellt auf der einen Seite zwischen das kosmische Denken und jenes Denken, von dem ich gesagt habe, daß es bemerkt werden kann als ein Unterstrom des gewöhnlichen Bewußtseins. Dieses letztere würde nun auch zu dem gehören, was der Mensch gewissermaßen als seinem eigenen Selbst angehörig zu betrachten hat. Damit haben wir gestern versucht, einiges Licht zu werfen auf den Menschen, insofern er ein Gedanken-erlebnis hat, oder in die Gedankenwelt hineingestellt ist.

Je mehr man sich aufschwingt zu dieser Anschauung, desto mehr wird man lernen, den Menschen hineinzustellen in alles Weltenwerden, in alles das, was ihn erscheinen läßt als ein Stück des kosmischen Wer­dens. Und wenn man so aufmerksam wird auf jenes Stück des Men­schen, das sich nun aus dem gewöhnlichen Gedankenerleben und aus der Unterströmung, die ich gestern charakterisiert habe, zusammen­setzt, dann gerade wird man auch begreifen, wie der Mensch durch den Besitz dieses gewissermaßen aus dem Kosmos herausgestellten Stückes eine freie, auf sich gestellte Wesenheit ist.

Diese Betrachtung des Menschen kann man noch weitertreiben, und wir wollen heute einmal versuchen, den Menschen hineinzustellen in den Zusammenhang der übrigen Naturreiche. Da brauche ich ja nur

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darauf aufmerksam zu machen, daß ich schon öfter gesagt habe, wie unrichtig es ist, bloß im Sinne der heutigen Anatomie und Physiologie das Verhältnis des Menschen, sagen wir zum tierischen Reiche zu be­trachten. Gewiß, wenn man den Menschen zunächst seiner Gesamtform nach betrachtet, wie sich diese Gesamtform zusammensetzt aus den einzelnen Organen, dann wird man bemerken, daß der Mensch unge­fähr dieselbe Zahl von Knochen, von Muskeln und so weiter hat wie die höheren Tiere, daß diese Organe oder Organsysteme umgestaltet, metamorphosiert sind. Man wird den Menschen anschließen können an die Tierreihe. Etwas ganz anderes aber ergibt sich - und ich habe ja das oft auseinandergesetzt -, wenn man das ins Auge faßt, was den Menschen in einer ganz besonderen Weise hineinstellt in den Kosmos. Da muß bemerkt werden: Des Tieres Rückensäule, die Rückgratsäule, liegt im wesentlichen horizontal, parallel der Erdoberfläche; des Men­schen Rückgratsäule steht senkrecht auf der Erdoberfläche. Wenn man nun nicht der Meinung ist, daß alles auf dem Grobmateriellen beruht, sondern wenn man sich durchringt zu der Anschauung, daß dasjenige, was ist, in seiner Wesenheit auf dem ganzen Hineingestelltsein in ein zusammenhängendes Weltensystem beruht, dann wird man schon dieser besonderen Lage des menschlichen Rückgrats eine entsprechende Be­deutung beimessen. Dadurch ist ja auch das Haupt des Menschen in eine ganz andere Lage zu der gesamten Organisation gebracht. Und wenn man sich nur einmal aufgeschwungen hat zu der Anschauung:

Der Kosmos ist durchwirkt und durchwebt von Gedanken -, dann wird man, insoferne der Kosmos als räumlich zu gelten hat, in den Gedankenströmungen, die durch den Kosmos gehen, ein Wesentliches sehen, und man wird bemerken können, daß es nicht einerlei ist, ob diejenige Strömung, die beim Menschen längs des Rückgrates geht, sich hineinstellt in die radiale Richtung der Erde, oder ob sie wie beim Tiere parallel läuft mit der Oberfläche der Erde.

Dieses Hineingestelltsein des Menschen in einer gewissen Weise in den Kosmos, das hat man dann anzuschauen mit Bezug auf die Ge­samtorganisation, also auch für die einzelnen Organe. Jedes Organ und jedes Organsystem liegt ja im Verhältnis zum Kosmos beim Menschen anders als beim Tiere. Das wird nicht beeinträchtigt dadurch, daß etwa

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jemand sagt, beim Schlafen liege auch die Rückgratsäule des Menschen horizontal, denn es kommt nicht darauf an, wie die einzelne Lage zu­fällig ist, sondern es kommt darauf an, wie das ganze Wachstum ver­anlagt ist, wie gewissermaßen ein Organsystem eingesetzt ist in den ganzen Organismus. Und wenn man dies einmal ins Auge faßt, daß wir also da haben tierisches Rückgrat: parallel zur Erdoberfläche, menschliches Rückgrat: senkrecht zur Erdoberfläche, dann wird man auch andere Vorgänge, die im Menschen zu betrachten sind, erst in der rechten Weise zu würdigen verstehen. Und da lenke ich zunächst Ihre Aufmerksamkeit auf ein anderes seelisches System als dasjenige, das wir gestern betrachtet haben. Wir haben gestern das Gedankensystem betrachtet; wir wollen heute das Willenssystem betrachten.

Auch dieses Willenssystem, wir können es so betrachten, daß wir uns bewußt werden: Des Menschen Leben zerfällt in seiner Aufein­anderfolge rhythmisch in die Zustände des Schlafens und des Wachens. Im Wachen ist der Mensch ganz hingegeben seiner Leiblichkeit; im Schlaf ist das Ich und der astralische Leib außer der Leiblichkeit, so­wohl der physischen wie der ätherischen Leiblichkeit. Wenn wir des Morgens aufwachen, sagte ich Ihnen gestern, bringen wir aus den Gedanken des Weltenalls höchstens eine leise Erinnerung mit. So daß wir uns bewußt werden können: In der ganzen Zeit vom Einschlafen bis zum Aufwachen waren wir untergetaucht in einem wogenden Meer von Weltengedanken. Aber was wir uns mitbringen beim Aufwachen und was uns dann den ganzen Tag über bestimmt während des Wa­chens, das ist der Wille, das ist das Heraussteigen aus diesem nächt­lichen, oder sagen wir, während unseres Schlafes unser Element bil­denden Gedankenmeer des Kosmos. Wir tauchen mit dem Willen auf, der, wie ich Ihnen charakterisiert habe, Logik hineinbringt in unser inneres Seelenleben. Wir merken eventuell noch, indem wir aufwachen, in den Träumen, die sich herandrängen, wie unser Seelenleben wäre, wenn nicht dieser Wille, den wir uns mitbringen beim Aufwachen, logisch hineindringen würde.

Dieser Wille schlägt also gewissermaßen ein in das, was da wogt und wirbelt in dem menschlichen Organismus. Fassen wir dieses Ein­schlagen des Willens einmal recht genau ins Auge. Werden wir uns bewußt,

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wo hinein der Wille da schlägt: Es ist eben das chaotische Durch­einanderwirbeln von Traumbildern und eben auch von jenen Traum­geweben, die wir als Unterströmungen des gewöhnlichen Bewußtseins haben. So daß wir sagen können: Während wir schlafen, entlöst sich dem organischen Getriebe in uns dieses Gedankengewebe, das ganz übertönt ist von dem logikdurchwobenen Gedankengewebe des wachen-den Zustandes vom Aufwachen bis zum Einschlafen. Es ist also dieses chaotische Durcheinanderwogen der Traumesbilder und Traumesvor­stellungen, in das der Wille einschlägt, den wir beim Aufwachen aus dem Kosmos mitbringen in unseren Organismus hinein. Sehen wir zu, was dieser Wille zunächst mitbringt.

Dieser Wille, der da hineinschlägt, bewirkt zunächst, daß die Ge­danken nicht so heraufkommen, wie sie in diesem träumerischen Chaos sind. Wir würden schlecht wegkommen im Leben, wenn die Gedanken so heraufkommen würden, wie sie in diesem träumerischen Chaos sind. Wie müssen denn Gedanken sein, wenn sie im normalen Seelenleben heraufkommen? Sie müssen irgendwie zusammenhängen mit unserem Leben. Sie müssen in irgendeiner Weise sich erinnern können. Das ist gewissermaßen das erste, oder das auf erster Stufe Stehende, was dieser einschlagende Wille mit unseren Gedanken vornimmt. Er ordnet sie so, daß wir das richtige Erinnerungsbild in uns tragen. Wir können also sagen: Wir haben gewissermaßen da, aus unserem Organismus auf­wirbelnd, das chaotische Gedankengewebe (siehe Zeichnung Seite 157, rot). - Es ist das also etwas, was besonders stark ist bei träumerischen Naturen, die ja oftmals gar nicht damit zufrieden sind, sich den nor­malen Erinnerungen des Lebens hinzugeben, die Freude, Wohlgefallen daran haben, wenn nach allerlei Anklängen und Verwandtschaften die Gedanken sich zusammenfinden, sich wieder voneinander trennen. Die träumerischen Naturen werden von diesem chaotischen Gedanken-gewebe überwältigt. Aber auch der seiner selbst ordentlich bewußte Mensch wird immer bemerken, wenn er sich nur ein wenig während des Wachens, ich möchte sagen, aus der Hand gibt, daß dieses Durch­einanderwirbeln der Gedanken im Hauptuntergrunde eben als ein Unterstrom vorhanden ist. Der Wille, der da einschlägt beim Auf­wachen, er trifft dieses Gedankengewebe. Woraus kommt es?

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Nun, im Bette lag der physische Leib (blau) und der ätherleib (gelb). Was ich Ihnen hier schematisch auf die Tafel gezeichnet habe, das ist im Grunde genommen das, was wir abends im Bette liegen lassen, wenn wir einschlafen, und des Morgens wieder antreffen. Wir lassen unseren Willen da hineinschlagen. Diesen einschlagenden Willen will ich durch diese Linien hier charakterisieren (siehe Zeichnung, Pfeile von oben). Das erste also, was da der Wille zu tun hat, ist, dieses chao­tische Gedankengewebe umzugestalten zu unserem normalen Gedächt­nis. Wir können also sagen, zunächst gestaltet dieser einschlagende Wille das Gedankengewebe um zu dem normalen Gedächtnis. Man möchte sagen: Da ist das, was wir des Morgens antreffen, ätherleib, physischer Leib, noch sehr mächtig in dem Gedächtnis. Die spiegeln uns diese Gedanken zurück. - Aber es ist doch der Wille, der da einschlägt und der wirklich etwas zu tun hat, indem er da einschlägt. Man kann das schon bemerken. Versuchen Sie nur einmal, ganz ordentlich dar-aufzukommen, wie, wenn Sie des Morgens aufwachen, alles wie wir­belnde Ströme herauf will aus der Seele wie ein Ereignis, das Sie er­lebt haben im fünften, im siebenten Jahre, wiederum im sechsten Jahre, wiederum im fünfzehnten Jahre, meinetwillen im fünfundsechzigsten Jahre, dann im einundzwanzigsten, siebzehnten Jahre, wiederum im achten Jahre, wie das alles bunt durcheinander wirbelt und wurlt. Da hinein hat der Wille zu schlagen. Dann gliedert er gewissermaßen das alles wiederum so, daß es ein ordnungsmäßiges Gedächtnis ist, daß Ihnen ein Ereignis, das im neunten Jahre sich abgespielt hat, sich nicht vorne hinwurlt vor das, was sich im achten Jahre abgespielt hat und dergleichen. Da schlägt also der Wille hinein, und er formt aus die­sem chaotischen Traumgewebe das Gedächtnis. im Gedächtnis mer­ken Sie noch wenig den Willen. Die meisten Menschen werden über­haupt noch nicht im Gedächtnis den Willen erblicken wollen. Aber er ist darinnen, es ist nur dieses Einschlagen des Willens, insofern er das Gedächtnis formt, viel unbewußter.

Das zweite ist etwas, an dem der Mensch schon merkt, wie sein Wille drinnen ist. Das ist dasjenige, was nun dieser Wille, den wir uns mitbringen beim Aufwachen, aus diesem Gedankengewoge auch macht:

das ist die Einbildungskraft, das ist die Phantasie (siehe Zeichnung).

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Das ist das zweite Element. Da merken Sie schon, daß Sie sich mit Ihrer Willkür drinnen bewegen können. Indem das Gedächtnis ge­formt ist, müssen Sie noch gezwungen werden durch Ihren Organis­mus, da wirkt physischer Leib, ätherleib stark; in der Phantasie weni­ger stark, da können Sie sich mit Ihrem Willen darinnen bewegen. Aber es ist doch ein gewaltiger Unterschied zwischen einem Menschen, der phantasievoll ist und einem träumenden Menschen, der sich diesem Gewoge des willkürlichen Denkens einfach hingibt. Ein Mensch, der seine Phantasie walten läßt, der weiß, wie sein Wille waltet in diesen ineinanderwogenden Bildern, und er formt sie nach seinem Willen.

#Bild s. 157

Nun aber das dritte. Das dritte, das ist nun schon etwas, was auf der einen Seite wirklich ganz und gar dem Willen hingegeben ist und auf der andern Seite doch wiederum so ist, daß der Wille sich nicht so frei bewegt wie in der Phantasie. Es ist das logische Denken, von dem

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wir im Leben und in der Wissenschaft ja abhängig sind. Da, in diesem logischen Denken, ist durchaus unser Wille tätig; aber er begibt sich seiner eigenen Freiheit und unterwirft sich den Gesetzen der Logik. Doch ist es sein Tun, daß er sich dem Gesetze der Logik unterwirft. Das ist also das dritte: das logische Denken.

Warum ist das logische Denken auf der einen Seite durchaus dem Willen unterworfen? Würden wir nicht aus unserem Willen heraus unser logisches Denken bilden, so wären es Zwangsgedanken. Wir müssen durchaus aus unserem Willen heraus unsere logischen Gedanken bilden. Aber wir bilden sie so, daß wir uns nach der Außenwelt richten, die ja im wesentlichen die große Lehrmeisterin auch der Logik zunächst ist. Wir durchtränken die chaotische Bilderwelt mit den Gesetzen der Logik. Wir geben uns also durch den Willen hin an diese Gesetze der Logik; wir begeben uns in gewissem Sinne des willkürlichen Waltens. Der Wille ist auf der einen Seite frei im Denken, auf der andern Seite begibt er sich seiner Freiheit zugunsten eben des Logischen. Aber in diesen drei Etappen, Gedächtnis, Phantasie, logisches Denken, ist der Wille tätig; jener Wille, der vom Einschlafen bis zum Aufwachen eben nicht in dem menschlichen physischen und ätherorganismus wirkt und der des Morgens beim Aufwachen einschlägt in den physischen und den ätherischen Organismus, und der dieses, ich möchte sagen, unbe­stimmte Feuer des ätherischen und physischen Leibes, das in dem Ge­dankengewoge sich entfacht, durchgliedert in Gedächtnis, Phantasie, logisches Denken.

Es ist im logischen Denken schon so, daß wir nun nicht mehr ganz in uns waltend sind mit unserem Willen. Das sind wir nicht. Wenn wir unsere Phantasie walten lassen, in der wir unseren Willen deutlich mer­ken, dann wissen wir, wie wir in uns sind; wenn wir unser logisches Denken walten lassen, so sind wir nicht mehr völlig in uns. Wir wissen, daß wir uns da ganz und gar dem Kosmos anpassen, aber nicht nur etwa dem außermenschlichen Kosmos, sondern dem ganzen Kosmos, der den Menschen mit umschließt. Denn selbstverständlich gilt die Logik nicht nur für den außermenschlichen Kosmos, sondern sie gilt auch für den Kosmos plus dem Menschen. Logik ist weder subjektiv noch objektiv, sondern Logik ist beides zu gleicher Zeit.

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Wir sehen da also gewissermaßen, welchen Anteil dasjenige hat, was wir uns am Morgen aus der Schlafeswelt in unser Seelenleben herein mitbringen. Und wir können ungefähr auch wissen: Wenn das­jenige, was da als Wille eingetaucht ist, wiederum sich zurückzieht in die kosmische Gedankenwelt, waltet in uns wiederum nur dasjenige, was aus dem physischen Leib und ätherleib aufsteigt.

Nun ist dieses die eine Seite des Willens, die in uns da waltet. Es ist gewissermaßen die kosmische Seite des Willens, diejenige Seite, die wir abends aus uns herausnehmen, morgens wiederum in uns zurück­bringen. Aber Selbstbesinnung wird ja den Menschen lehren, daß nicht nur dieser Wille in ihm vorhanden ist, von dem ich eben jetzt gespro­chen habe, denn dieser Wille äußert sich im wesentlichen im sogenann­ten Seelenleben, im Gedächtnis, in Phantasie, in logischem Denken. Aber wenn wir gehen, wenn wir greifen, wenn wir irgendwie uns eines Instrumentes bedienen, da ist ja auch der Wille tätig. Da ist dieser Wille nicht so bloß seelisch tätig, wie ich es jetzt beschrieben habe, da faßt dieser Wille in sich unsere physische Organisation und unsere ätherorganisation. Ich darf also nicht bloß den Willen in diesen Pfei­len hier charakterisieren, sondern ich muß den Willen auch den phy­sischen und den Atherleib durchziehend darstellen (siehe Zeichnung Seite 157, Pfeile von unten). So daß ich sagen muß: Der Wille ist auch in dem vorhanden, was beim Schlafen im Bette liegen bleibt. - Der Wille, der in diesem letzteren Sinne charakterisiert werden muß, der kommt gewissermaßen entgegen dem andern Willen, der während des Schlafens nicht in dem physischen Leib des Menschen ist. Und zu einer äußeren Tätigkeit wird im Grunde genommen dieser letztere Wille. Also dieser Wille, der in den Organen lebt, der in der physischen und in der ätherorganisation lebt, wird dadurch aufgerufen, daß der andere Wille ihm entgegenkommt. Aber wenn wir als wacher Mensch tätig sind, so können wir deutlich diese zwei Willenssphären unter­scheiden.

Beachten Sie, daß da auf der einen Seite Wille wirkt, der dem Willen, der von der andern Seite kommt, entgegenwirkt. Wir haben gewissermaßen das Zusammenwirkende zweier Willensströmungen. Die eine Willensströmung durchwirbelt den menschlichen Organismus

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und der ganze Zusammenhang zeigt Ihnen, daß Sie sie ansehen müssen als von unten nach oben wirbelnd. Die andere Strömung durchwirbelt von oben nach unten. Da kommen die Richtungen im Kosmos zur Geltung, da merken wir, daß es beim Tiere anders sein muß, indem die Hauptrichtung seiner Leibesorganisation gerade senkrecht auf die Hauptrichtung der Leibesorganisation des Menschen steht. Anders eingegliedert in den Kosmos sind die Richtungen des Willens. Also auch wenn wir, ich möchte sagen, auf die Differenzierungen des Men­schen eingehen, wenn wir uns klarmachen, wie dieses menschliche Wesen aus einzelnen Strömungen sich zusammensetzt, dann merken wir die Wichtigkeit des Hineingestelltseins des Menschen in den Kosmos.

Nun betrachten wir etwas weiter diese zwei Willensströmungen. Sie werden, wie bei vielen Dingen der Geisteswissenschaft, nicht in der Weise vorgehen können, daß Sie, ich möchte sagen, wie in der mathematischen Ableitung eins aus dem andern geben, sondern in der Geisteswissenschaft stellt sich die Sache, wie man zu den Wahrheiten kommt, so: eine Wahrheit stellt sich neben die andere hin und man muß nachher den Zusammenhang suchen. Bei oberflächlichen Tröpfen führt dann das sehr leicht zu dem Einwande, daß man nicht «beweist». Es ist gerade so, wie wenn jemand verlangen würde, wenn er irgendwo auf dem Felde ein Pferd und eine Kuh sieht, die neheneinanderstehen und die ganz gewiß aus irgendeiner Ursache nebeneinander stehen, man solle ihm aus dem Pferd heraus beweisen, daß die Kuh danebensteht. Man kann natürlich nicht aus der Wesenheit des Pferdes beweisen, daß die Kuh danebensteht. Diesen Inhalt hat ungefähr der Einwand, den sehr viele Leute in bezug auf das Beweisen in der Geisteswissenschaft machen.

Ich möchte Ihnen nun eine andere Tatsache neben diejenige stellen, die ich eben jetzt angeführt habe und die Sie nach und nach versuchen müssen mit dem, was ich eben auseinandergesetzt habe, in den gehöri­gen Zusammenhang zu bringen.

Alles, was seelisch im Menschen ist, drückt sich auch in der Körper­lichkeit aus, prägt sich der Körperlichkeit ein. Der Mensch ist organi­siert dazu, daß er durch das Aufwachen anfacht Gedächtnis, Phanta­sie, logisches Denken, daß er sie gewissermaßen wiederum in sich ruhen

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läßt während des Schlafens. Das ist eine Art Rhythmus. Dieser Rhyth­mus stellt sich einem andern gegenüber: der Willensströmung, die ich hier als in den Organen befindlich angegeben habe. Was sich da ein­ander gegenübersteht als zwei Strömungen, Sie können es, ich möchte sagen, abgebildet im Menschen wiederfinden: Sie können es finden, indem Sie hinblicken auf jenes System, das gegeben ist durch den menschlichen Atmungsrhythmus. Ich habe schon vor einigen Tagen darauf aufmerksam gemacht, wie der Atmungsrhythmus wirklich im Zusammenhang gedacht werden kann mit dem Einschlafen und Auf­wachen. Wenn auch das Atmen natürlich das Schlafen überdauert, so merkt man den Zusammenhang dennoch in alldem, was zum Beispiel während des Schlafens irgendwie eine Beeinträchtigung des ruhigen Atmens bewirkt. Es liegt dieser Zusammenhang zwischen dem Atmen und dem Rhythmus des Aufwachens, Einschlafens, Aufwachens, Ein­schlafens nicht so offen, aber es ist dieser Zusammenhang, dieses Ver­hältnis doch da. Und wir haben, wenn wir den Menschen in bezug auf sein Nach-aufwärts-Streben betrachten, als etwas Wesentliches,was mit diesem Aufwärtsstreben zusammenhängt, den Atmungsrhythmus ins Auge zu fassen, das ganze Atmungssystem, auch insofern es sich aus­drückt in dem Sprechsystem. Wir atmen, wir sprechen als Menschen nach oben im wesentlichen, wenn auch das sich gerade durch die Lage unseres Halses umformt zum Sprechen nach vorne. Da haben wir den einen Rhythmus, einen einheitlichen Rhythmus.

Wir haben einen andern Rhythmus, wir haben den Rhythmus der Zirkulation, den Rhythmus, der uns im Pulsschlag gegeben ist, und wir wissen ja, daß der Pulsrhythmus zum Atmungsrhythmus sich ungefähr verhält wie vier zu eins. Sie brauchen nur ein wenig im Sinne des Ana­tomischen, Physiologischen nachzudenken, so werden Sie sich sagen:

Im Pulsrhythmus, im Rhythmus der Zirkulation haben wir dasjenige, was sich nach unten innig zusammenschließt mit dem Stoffwechsel­Gliedmaßensystem des Menschen. Das eigentliche rhythmische System haben wir für sich, ich möchte sagen, herausgegliedert in dem Atmungs-system. Je mehr man sich einläßt auf eine Charakteristik des Atmungs-systems einerseits und auf eine Charakteristik des Pulssystems anderer­seits, um so mehr merkt man, daß man alles dasjenige, was da als

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Organ vorhanden ist für die Bildung von Gedächtnis, Phantasie, von logischem Denken sogar, in Zusammenhang bringen darf mit dem Atmungsrhythmus, und daß man all das andere, was da zusammen­hängt mit dem Willen, der die Organe durchströmt, in Zusammenhang bringen darf mit dem Pulsrhythmus, indem es sich nach oben äußert. So wie der Wille, der in unseren Organen ist, zusammenschlägt mit dem Willen, den wir beim Aufwachen aus dem Kosmos heraus mit­bringen, so schlägt der Atmungsrhythmus mit dem Pulsrhythmus, mit dem Zirkulationsrhythmus zusammen. Und da haben wir in dem In­einanderwirken von Atmungsrhythmus und Pulsrhythmus förmlich leiblich gegeben dasjenige, was dem Menschen von unten heraufstößt und was von oben herunterschlägt, aber so, daß das von oben Her­unterschlagende viermal langsamer ist als das von unten Heraufschla­gende. Würde ich diesen Strich machen als die Zeitbetrachtung für den Atmungsrhythmus, so müßte ich für den Pulsrhythmus vier an­nehmen.

#Bild s. 162a

In der Tat beruht alles, was der Mensch an Kunst, an rhytmischer Kunst entwickelt, auf diesem Verhältnis des Pulsrhythmus zum At­mungsrhythmus. Ich habe das bei Gelegenheit der Auseinandersetzung über Rezitationskunst schon gesagt. Sie können noch mehr ins einzelne gehen. Sie können denken, wenn Sie den Pulsrhythmus mehr zugrunde legen, so bekommen Sie: kurze Silbe, lange Silbe. Wenn Sie den At­mungsrhythmus kombinieren mit dem Pulsrhythmus, bekommen Sie zum Beispiel dasVersmaß des Hexameters und so weiter. AlleVersmaße beruhen auf diesem Verhältnisse der Rhythmen, die im Menschen sel­ber sind.

#Bild s. 162b

Nun sieht man, wenn man auf den Blutrhythmus sieht, gewisser­maßen mehr auf das Körperliche, wenn man mehr auf den Atmungs-rhythmus sieht, sieht man auf das Seelische. Der Atmungsrhythmus ist

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mit dem Seelischen viel mehr verwandt als der Blutrhythmus. Der Atmungsrhythmus öffnet sich auch nach außen, wie sich die Logik, das logische Denken nach außen öffnet. Nun, auf Unregelmäßigkeiten dieser Rhythmen beruhen Unregelmäßigkeiten des menschlichen Le­bens. Sie können sich ja denken, wenn wirklich ein solches Verhältnis des Rhythmus vier zu eins besteht oder eins zu vier, dann muß es etwas bedeuten, wenn, sagen wir, der Atmungsrhythmus zu lang oder der Pulsrhythmus zu kurz wird. Und dennoch kann das beim Menschen der Fall sein. Es kann sogar in einer sehr unbedeutenden Weise der Fall sein; dann äußert es sich gleich.

Nun will ich einmal die radikalen Fälle hinstellen. Denken Sie sich, ein Mensch gerät in Aufregung. Er fängt an, leidenschaftlich zu werden. Über irgend etwas fängt er an zu schimpfen. Das kann gehen bis zum Toben. Oder ein Mensch gerät in den Zustand, den man so bezeichnet:

die Gedanken, sie wollen nicht, sie stehen still; man kann nicht recht denken, sie bleiben aus. So wie das Toben vorhin der radikalste Auf­schluß war, wie es vom Leidenschaftlichwerden durch Schimpfen, durch Fauchen zum Toben kommt, so kommt es, wenn die Gedanken stillstehen, nach und nach zu einer Art von Ohnmacht. Das erstere, das Leidenschaftlichwerden, das Emotionellwerden, das beruht auf einem Zuschnellwerden des Pulsrhythmus. Das Gedankenaufhalten, das Ohnmächtigwerden beruht auf einem Zulangsamwerden des At­mungsrhythmus.

Sie sehen also, der Mensch selber ist eingesponnen in den ganzen Weltenrhythmus, und von dem, wie er dadrinnen ist in diesem Welten-rhythmus, hängt es ab, wie er uns körperlich, seelisch entgegentritt. Das Emotionelle drückt sich ja auch körperlich aus: die Strömung, die durch den Organismus von unten nach oben geht, wird zu schnell, sie durchschüttelt die Organe, und wenn es zum Toben kommt, sieht man, wie die Organe durchschüttelt werden. Die Strömung, die von oben nach unten geht, wird zu langsam, die Gedanken wollen nicht von oben nach unten gehen. Sie sehen da wiederum, wie es darauf an­kommt, daß wir uns eine Vorstellung machen können, wie der Mensch drinnensteht in dem ganzen Weltenzusammenhang, wie er sich ein­gliedert, wie es nur eine kindische Vorstellung ist, wenn man die Knochen,

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die Muskeln und so weiter abzählt und sagt: Der Mensch ist nur ein höheres tierisches Gebilde -, und nicht Rücksicht nimmt darauf, daß es auf dieses Hineinstellen in den ganzen kosmischen Zusammen­hang ankommt.

Nun werde ich Ihnen etwas sagen, das scheinbar sehr weit weg liegt von dem, was ich jetzt ausgeführt habe, das sich aber trotzdem in dem morgigen Vortrage mit dem, was ich eben ausgeführt habe, zusammengliedern wird zu einem Ganzen. Gehen wir jetzt über vom menschlichen Sein zum menschlichen Werden. Sie wissen, daß wir jetzt leben im sogenannten fünften nachatlantischen Zeitraum, der be­gonnen hat etwa 1415 oder 1413 und der da weitergehen wird. Ihm geht der vierte voran, der begonnen hat etwa 747 vor dem Mysterium von Golgatha, und diesem der dritte, der wiederum weiter zurückgeht bis in das 4. Jahrtausend.

Nun, wenn wir diese Zeiträume betrachten, so können wir uns von ihrer Aufeinanderfolge folgendes schematisches Bild machen. Sie den­ken sich, bitte, daß dem atlantischen Zeitraum vorangegangen ist der, den ich in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» den lemurischen genannt habe. Ich will hier nur die letzten Phasen dieses lemurischen Zeitraumes annehmen, will jetzt die sieben aufeinanderfolgenden Kul­turzustände der atlantischen Zeit zeichnen:

#Bild s. 164

und jetzt haben wir dann daranschließend urindische, urpersische, ägyptisch-chaldäische, griechisch-lateinische, und jetzt unsere fünfte Zeit; das würde der letzte Zeitraum sein. Ich habe Ihnen da die aufein­anderfolgenden Zeiträume schematisch dargestellt.

Sie wissen nun auch aus meiner «Geheimwissenschaft» und aus andern Darstellungen, die ich gegeben habe, daß ein solcher Zeitraum ungefähr so lange dauert, bis der Frühlingspunkt der Sonne den ganzen Durchgang durch den Tierkreis vollendet hat. Es ist das nur ungefähr, aber für dasjenige, was wir jetzt in Betracht ziehen wollen, wird dieses

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Ungefähr seine gute Bedeutung haben. 747 vor dem Ereignis von Gol­gatha trat der Frühlingspunkt in das Tierkreiszeichen des Widders. Er blieb in diesem Tierkreiszeichen bis ins 15. Jahrhundert. Da ging er über und ist jetzt im Tierkreisbild der Fische. Vor 747 war der Früh­lingspunkt im Zeichen des Stieres, also die ganze ägyptisch-chaldäische Kulturzeit hindurch ging die Sonne im Frühling im Sternbild des Stieres auf; daher der Stierdienst. Dann die urpersische Zeit; die verlief so, daß die Sonne aufging im Sternbilde der Zwillinge. Im Sternbilde des Krebses ging die Sonne auf während der urindischen Zeit. Dann kommen wir schon in die atlantische Zeit zurück und haben die sieben Kulturzeiträume in der atlantischen Zeit. Nun bitte ich Sie, einmal folgendes ins Auge zu fassen und es vor Ihre Seele hinzustellen als eine Frage, die wir uns heute zunächst einmal vorlegen.

Zeichnen wir uns einmal die Folge der Tierkreisbilder ein. Da haben wir also: Widder, Stier, Zwillinge, Krebs, Löwe, Jungfrau, Waage, Skorpion, Schütze, Steinbock, Wassermann, Fische. Wir wer­den nun hier schematisch einzeichnen, wie es mit den aufeinander­folgenden Kulturperioden steht. Wir wissen, jetzt stehen wir im Fischezeichen

#Bild s. 165

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in dem Frühlingspunkte, haben den fünften nachatlantischen Kulturzeitraum. Wir gehen zurück (siehe Zeichnung, Seite 165, dunkel schraffiert): Widder vierten nachatlantischen Kulturzeitraum, Stier dritten nachatlantischen Kulturzeitraum, Zwillinge zweiten nachat­lantischen Kulturzeitraum, Krebs ersten nachatlantischen Kulturzeit­raum. Wir kommen nun schon in die atlantische Zeit zurück. Die sieben Zeiträume der atlantischen Zeit (hell schraffiert): Löwe der siebente, Jungfrau der sechste, Waage der fünfte, Skorpion der vierte, Schütze der dritte, Steinbock der zweite, Wassermann der erste; und nun kom­men wir in die lemurische Zeit zurück und wir sind wiederum bei den Fischen.

Sie sehen, wenn Sie den wichtigen Zeitpunkt der letzten Kultur, des letzten Kulturzeitalters der lemurischen Zeit ins Auge fassen, und wenn Sie sich einmal durchlesen, was ich über diesen wichtigen Zeitraum der Erden-Menschheitsentwickelung in meiner «Geheimwissenschaft» dar­gestellt habe, dann werden Sie vor eine große Frage treten. Wenn Sie das nehmen, was ich in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» dar­gestellt habe, namentlich auch in den Darstellungen, die dann separat erschienen sind als «Unsere atlantischen Vorfahren», dann werden Sie sehen, wie man eigentlich von der Menschheit, insofern sie heute Menschheit ist, erst von diesem Zeitraum an sprechen kann, und dieser Zeitraum ist derjenige, wo der Frühlingspunkt in demselben Tierkreis-zeichen war, in dem er jetzt wiederum ist. Wir haben als Menschheit einen vollständigen Kreislauf um den Himmel durchgemacht und sind in einer gewissen Beziehung wiederum angekommen beim Ausgangs­punkt.

Dieses, was ich jetzt sagte, bezieht sich auf das menschliche Werden. Wir haben öfter versucht darzustellen, wie sich das menschliche Seelen­leben geändert hat in der Zeit bis zur atlantischen zurück. Wir wissen, wie anders dieses ganze menschliche Seelenleben in der urindischen Zeit etwa war, wie es noch anders war in der atlantischen Zeit. Aber wenn Sie meine Schrift über die atlantischen Vorfahren lesen, so wer­den Sie sehen, daß wir da schon in der atlantischen Zeit zurückkom­men in eine solche Zeit, in der sich die menschliche Konfiguration auch körperlich so äußert, wie der Mensch seelisch dazumal war. Während

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in der nachatlantischen Zeit wesentlich das Seelenleben anders wirkt, wird ja während der atlantischen Zeit der ganze Körper metamorpho­sisch umgestaltet. Wir kommen also immer mehr und mehr, ich möchte sagen, zurück von der Region, die ich hier oben als die seelische charak­terisiert habe, zu derjenigen, die hier unten als die leibliche ist, die von der andern Willensströmung durchsetzt wird. Und indem wir in der Atlantis weiter zurückkommen, kommen wir zurück auf die Metamor­phosen, die sich auf die Leibesgestaltung beziehen. So daß wir sagen, während des Durchganges des Frühlingspunktes durch die Fische waren die Menschen in der Leibesgestalt, wie sie ist, kaum erst da (dunkel schraffiert). Hier gestaltet es sich immer mehr und mehr leiblich aus. Und hier beginnt es sich erst seelisch auszugestalten, um hier wiederum zu dem Punkte, von dem sie einstmals in bezug auf ihre Leibesgestal­tung ausgegangen ist, zurückzukommen. So daß Sie sagen können, den Tierkreiszeichen von den Fischen, Wassermann, Steinbock, Schütze, Skorpion, Waage bis hierher zur Jungfrau (hell schraffiert) entspricht die Umgestaltung der menschlichen Leibesform; und erst diesen oberen Tierkreiszeichen entspricht für uns die Umgestaltung des seelischen Wesens des Menschen.

Diese Dinge muß man sich zunächst aus der Geisteswissenschaft heraus vorhalten und man wird sehen, daß man da eigentlich erst an dem Punkt steht, wo man sich Begriffe und Vorstellungen bilden kann über die Wesenhaftigkeit des Menschen. Auf der andern Seite aber dürfte schon wenigstens ahnungsgemäß ein Licht fallen auf das, was ich oftmals hier gesagt habe, daß wir in einem wichtigen Zeitalter leben. Denn während wir uns als Menschheit auf der Erde entwickelt haben, ist der Frühlingspunkt der Sonne herumgegangen im ganzen Welten-raume und ist in unserem Zeitalter wieder zurückgekommen. Wir müssen also Aufgaben erfüllen, die gewissermaßen sich daher leiten, daß die Menschheit an ihren Ausgangspunkt zurückgekommen ist, daß sie in ihrem Seelenleben etwas unternehmen muß, was entspricht diesem Zurückkommen an den Ausgangspunkt. Ich wollte heute nur hindeuten auf dasjenige, was auf unsere Empfindungen sich abladen kann aus einer solchen Betrachtung über die Wichtigkeit des gegenwärtigen menschlichen Zeitenraumes. Allerdings gilt das, was ich gesagt habe,

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für die fortgeschrittensten Glieder der zivilisierten Menschheit; aber auf die kommt es ja im Grunde genommen für die Entwickelung der Menschheit eigentlich an.

Wie sich diese Dinge dann gerade mit Bezug auf das letztere ver­halten, davon wollen wir dann morgen weitersprechen.

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ZEHNTER VORTRAG Dornach, 10. Juli1921

Gestern am Schlusse habe ich aufmerksam darauf gemacht, daß der Frühlingspunkt der Sonne seit jener Zeit, seit welcher wir nach geistes-wissenschaftlicher Anschauung die Entwickelung der Menschheit auf Erden zu rechnen haben, einen Umkreis von den Fischen zu den Fischen gemacht habe. Wenn ich in diesem Zusammenhange gesprochen habe von der Entwickelung der Menschheit auf Erden, so muß das selbst­verständlich richtig verstanden werden. Wir sprechen ja von der Ge­samtentwickelung der Menschheit so, daß wir sie ihrem Wesen nach beginnen lassen schon in der alten Saturnzeit, und daher kann es sich natürlich nur um eine Teilentwickelung der Menschheit handeln, wenn hier gesprochen wird von der Entwickelung der Menschheit auf Erden. Aber man kann ja die Sache sich so vorstellen: Der Mensch hat ganz selbstverständlich während der eigenen Saturn-, Sonnen- und Monden­zeit eine wesentlich andere Gestaltung gehabt, eine Gestaltung, die gar nicht zu vergleichen ist mit derjenigen, welche die jetzige Menschengestaltung ist. Und wenn hier jetzt von der Gestaltung der Menschheit auf Erden gesprochen wird, so bedeutet es, daß eben die Vorbereitungen zu dieser physischen Menschengestaltung damals am Ende des lemu­rischen Zeitalters begonnen haben, daß sie sich herausgebildet haben so, wie ich das ja in meinen Schriften beschrieben habe, in der atlan­tischen Zeit, also gerade in derjenigen Zeit, die einen solchen vollen Umlauf des Frühlingsaufgangspunktes der Sonne darstellt.

Nun wollen wir uns heute einmal darüber verbreiten, welchen Ver­hältnissen der Mensch eigentlich in dieser Zeit, in der er also gewisser­maßen wiederum an seinen Ausgangspunkt zurückgekehrt ist, unter­worfen war. Ich möchte schematisch noch etwas vor Sie hinstellen, damit Sie im völligen Bilde desjenigen sind, was ich eigentlich mit diesen Ausführungen meine. Wir können nicht sagen: Die Menschen-entwickelung sei so abgelaufen seit der letzten lemurischen Zeit, wo der Frühlingsaufgangspunkt der Sonne auch in den Fischen war, daß wir diese Entwickelung als einen Kreislauf so zeichnen, daß er einfach in

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sich selbst zurückläuft. Das würde falsch sein. Wir müssen uns diesen Kreis, denn selbstverständlich gebe ich damit nur ein Bild der Ent­wickelung, wir müssen uns ihn spiralförmig denken. Wir müssen uns also denken, daß, wenn der Ausgangspunkt der Entwickelung in der

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alten lemurischen Zeit hier liegt, diese Entwickelung so zurückkehrt, daß der Mensch natürlich auf eine höhere Stufe seines Wesens gestiegen ist, aber auf dieser höheren Stufe in bezug auf sein Verhältnis zum Kosmos gewissermaßen zu seinem Ausgangspunkte im gegenwärtigen Zeitalter zurückgekehrt ist. Und wie er in diesen Verhältnissen drinnen zu leben hatte, das wollen wir uns heute einmal vor die Seele führen.

Ich habe vor einiger Zeit vor einem engeren Kreise in Stuttgart Vor­träge gehalten über ein mögliches astronomisches Weltenbild. Ich habe darauf hingewiesen, wie ja durch lange Zeiträume hindurch das soge­nannte Ptolemäische Weltenbild von der Menschheit als richtig ange­sehen worden ist. Dieses Ptolemäische Weltenbild ist durchaus geist-reich, ist durchaus so, daß es, ich möchte sagen, in gewissen Linien-formen geometrisch dasjenige zusammenfaßt, was zusammengefaßt werden muß, wenn wir den Anblick, den wir von den Sternen, ihren Stellungen und ihren Bahnen haben, durch bildliche Gestaltungen aus­drücken wollen. Dann, aus gewissen Verhältnissen heraus, die ja auch öfter von mir geschildert worden sind, ist dies Ptolemäische Welten-system ersetzt worden durch dasjenige, das im wesentlichen, wenn auch mit gewichtigen Veränderungen, heute noch als das richtige an-gesehen wird, durch das Kopernikanische. Ich habe nun in Stuttgart gezeigt, daß auch dieses Kopernikanische Weltensystem ja nichts ande­res ist, als eine durch Linien bewirkte Zusammenfassung dessen, was wir eben sehen, wenn wir unsere Augen oder Fernrohre oder etwas anderes in den Kosmos hinausrichten, und ich habe gezeigt, daß man

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keineswegs sagen kann, dieses Kopernikanische Weltensystem sei nun etwa um so viel richtiger als das Ptolemäische Weltensystem; es ist nur eine andere Art Zusammenfassung der Erscheinungen. Und ich habe dann versucht, selbst zusammenzufassen diese Erscheinungen in An­knüpfung an dasjenige, was der Mensch - der ja, wenn zum Beispiel die Erde eine Bewegung hat, diese Bewegung mitmachen muß - in sich selber erfahren kann. Ich will heute nur das Ergebnis, das andere ist ja heute für uns nicht wichtig, vor Ihre Seele hinstellen.

Wenn man nämlich anfängt, diese Erscheinungen nicht in einseitiger Weise, wie es sowohl vom Ptolemäischen wie vom Kopernikanischen Weltensystem geschieht, zusammenzufassen, sondern wenn man alles berücksichtigt, was einem vorliegt, dann kommt man zu der Überzeu­gung, diese Zusammenfassung werde zuletzt so kompliziert, daß man eigentlich gar nicht mehr mit einem einfachen Weltensystem, welches man durch den Stift oder mit dem Planiglobium darstellt, auskommen kann. Es ist gar nicht möglich im Grunde genommen, die Dinge in so einfacherWeise zusammenzufassen, wie man sie gewöhnlich zusammen­fassen möchte. Und man kann ja auf diesem Wege zu etwas sehr Merk-würdigem kommen, das ich ganz einfach vor Sie hinstellen möchte, weil schon einmal auch, so paradox sie den Menschen der Gegenwart erscheinen mögen, diese Dinge besprochen werden müssen.

Die Menschen glauben ja, die Wissenschaft der Gegenwart sei das Allergescheiteste, was es jemals gegeben habe, es könne im Grunde ge­nommen nichts Gescheiteres geben. Und aus diesem Glauben heraus geht allerdings die Menschheit einem furchtbaren Kulturschicksal ent­gegen. Aber es muß schon einmal das Richtige auch in einer gewissen Weise hingestellt werden. Wenn man nämlich immer weitere und wei­tere Umstände berücksichtigt, so kommt man zuletzt in eine solche Seelenverfassung gegenüber der Kompliziertheit des Weltensystems hinein, daß diese Seelenverfassung sehr ähnlich ist derjenigen, welche man hat, wenn man gerade eben aufgewacht ist und die chaotischen Seelenbilder erlebt, von denen ich gestern und vorgestern gesagt habe, daß sie als Unterströmung in uns selber sitzen. Ich habe Ihnen schema­tisch den menschlichen Organismus aufgezeichnet nach ätherleib und physischem Leib und sagte: Es tauchen aus ihm diese chaotischen Bilder

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auf, die eigentlich auch während des Tages immer da sind. Man kann sie bei träumerisch veranlagten Naturen sehr wirksam finden, aber jeder bemerkt sie auf dem Grund seiner Seele. Und insbesondere können sie stark bemerkt werden, wenn der Mensch morgens untertaucht mit seinem Ich und astralischen Leib in seinen physischen Leib und äther-leib. - Nun meine ich nicht diese Bilder selber - diese Bilder sind natür­lich bei den entsprechenden Menschen entsprechend ihrerVollkommen­heit oder Unvollkommenheit sehr dichterisch, phantasievoll, oder sie sind urchaotisch, das letztere jedenfalls in den häufigeren Fällen -, aber ich meine die Seelenstimmung, in die man kommt, wenn man sich als leidlich logisch denkender Mensch, aus der Gewöhnung, in Logik zu denken, nun in diese Bilderwelt hineinversetzt fühlt. Es ist die Seelen­stimmung gemeint, in die jener kommt, der sich nun nicht mit all den Vorurteilen und Vereinfachungsfaxereien, die da herrschen, wenn man sich Weltensysteme konstruiert, sondern der sich ganz vorurteilslos an die Sache heranmacht. Dann kommt man gegenüber dem, was man zu­letzt erreicht, gegenüber der Kompliziertheit, gegenüber dem Ausein­andergewobensein, in eine ähnliche Seelenstimmung hinein.

Gewiß, unsere Zeit hat es dahin gebracht - und das ist sogar gegen­über der Seelenveranlagung der meisten Menschen eine große Wohl­tat -, daß jeder Schulbub ganz genau weiß: Im Brennpunkt einer Ellipse steht die Sonne, da drehen sich die Planeten herum, die Fixsterne stehen still und so weiter. - Jeder Schulbub weiß das, und das ist ungeheuer einfach. Wenn man aber vorurteilslos und ohne theoretische Faxereien an diese Dinge herangeht, findet man nicht diese Einfachheit, sondern es komplizieren sich in einer ungeheuren Weise die Dinge, und man kommt eben zuletzt in eine solche Seelenstimmung hinein, wie ich sie geschildert habe, in der man sich sagt: Man muß auslaufen in etwas, was aus dem Bestimmten ins Unbestimmte, aus den bestimmt gezogenen Linien in problematisch gezogene Linien übergeht. - Man kommt eben in eine Seelenstimmung hinein, die einem sagt: Was du da in deinen Kopf hereinnimmst' das ist im Grunde genommen ein Bild, ein Bild, das gewoben ist und das du zwar vereinfachen kannst, wie wenn du dir, sagen wir, von der Raffaelschen Madonna ein Schema machst. Aber geradeso wie man da von der Raffaelschen Madonna nicht das

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Ganze haben würde, das man in dem Bilde vor sich hat, ebensowenig hat man im Kopernikanischen System dasjenige vor sich, was da im Weltenraum eigentlich in Form eines Bildes, das eine Unendlichkeit von Details und Einzelheiten in sich schließt, vor uns steht. Gerade wenn Sie solch eine Erwägung anstellen, werden Sie begreifen: Wenn man gegenüber den Erscheinungen des Weltenalls sich zuletzt so etwas sagen muß, dann kann man ja eigentlich der Realität als solcher nicht gegenüberstehen; denn man steht dem, was sich einem darbietet, in einer Seelenstimmung gegenüber wie der Bilderwelt, die wir antreffen, wenn wir des Morgens aus dem Kosmos in unseren Leib hineingehen. Also es kann keine Rede davon sein, daß man da der Realität gegen­übersteht.

Das sind solche Erwägungen, die angestellt werden müssen, wenn man im vollen Sinne des Wortes eine Anschauung davon haben möchte, was das eigentlich heißt: Wir leben mit unserem Bewußtsein in der Welt der Täuschung, der Maja. Wir leben auch gegenüber dem Bilde, das wir uns vom Weltenraum und seinen Erscheinungen machen, eben in Maja. Und wir können schließlich auch die Erscheinungen, welche die Sinnes-welt um uns herumwebt, betrachten, und wir kommen zu etwas ähn­lichem. Wir kommen zwar nicht zu dem, wozu eine, ich möchte sagen, tolpatschige Erkenntnistheorie am Ende des 18. und im Verlaufe des 19. Jahrhunderts gekommen ist, die ja immer fort und fort wiederholt:

Ja, da draußen sind die Erscheinungen, etwa durch mechanische und dynamische Gesetze zu begreifende Wellenschwingungen, oder wie man neuerdings sagt, Elektronen, und die üben einen Eindruck auf unsere Sinne, und das, was da von uns dann wahrgenommen wird, das ist nur eine Wirkung desjenigen, was da draußen ist; aber das ist eben nur die Erscheinung für uns. - In diesem Sinne von Erscheinungen für uns zu sprechen, ist eben durchaus eine tolpatschige Erkenntnistheorie. Mit solch einer Anschauung kann man ja so seine sonderbaren Erfahrungen machen.

Man braucht nur mit einigen Linien sich da oder dort heute gegen diese Erkenntnistheorie zu wenden, dann taucht irgendeiner auf und sagt: Aber Kant hat gesagt...! - In den Kantianismus haben sich näm­lich die Leute so eingesponnen, daß sie ihn für eine Art vonBibel halten;

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viele wenigstens. Sie ändern das oder jenes, aber im ganzen halten sie ihn für eine Art von Bibel. Da kann man ja seine merkwürdigen Er­fahrungen machen. Ich habe über solche Fragen einmal Kurse in Berlin gehalten, es war im Winter von 1900 auf 1901, in demselben Winter, von dem dann Herr von Gleich verkündigt hat, daß ein gewisser Win­ter mich über Theosophie unterrichtet hat - er hat den Winter 1900 auf 1901 verwechselt mit einem Herrn Winter, der mich unterrichtet haben soll über Theosophie! Ich weiß nicht, ob er es gelesen hat, oder man es ihm erzählt hat, daß ich einmal im Winter diese Vorträge ge­halten habe, die dann gedruckt wurden, sie sind in Berlin im Winter 1900 auf 1901 gehalten, und da wurde das Wort «Winter» für den Namen des Herrn Winter genommen. Ja, es ist dieses Argument nicht gescheiter als die andern dummen und verlogenen Argumente des Gene­rals von Gleich. Aber sehen Sie, bei diesen Vorträgen in Berlin saß auch ein ausgepichter Kantianer. Ich kann nicht sagen, er hörte zu, denn er schlief meistens, und ich weiß ja nicht, wie viele Leute beim Schlafen zuhören können, aber ich konnte dazumal konstatieren, daß der Herr nur aufwachte, wenn er irgendwie Kant anbringen konnte. Und da passierte es einmal, daß ich ein Argument wiederholte - es war gar nicht von mir -, in dem gesagt wird: Wenn man nun wirklich von dem Ding an sich so spricht wie Kant, daß es völlig unbekannt ist, da könnte es ja aus Stecknadeln bestehen, so daß hinter den Sinneserschei­nungen überall nur Stecknadeln sein könnten. - Als ich dies aber sagte, fuhr der Betreffende wie von einer Tarantel gestochen auf und sagte:

Hinter den Erscheinungen ist nicht Raum und Zeit. Stecknadeln sind doch im Raume, also kann das Ding an sich nicht aus Stecknadeln bestehen! - Es ist nur eines von den Beispielen, die einem so häufig be­gegnen, wenn die Leute glauben, daß an ihrer Bibel, an ihrer Kanti­schen Bibel irgendwie gerührt wird.

Nun, es ist also nicht so, daß gewissermaßen irgendwelche «Dinge an sich» Wirkungen in uns hereinwerfen, die dann bloß Sinnesquali­täten auslösen, so daß wir eigentlich nur in unsere Sinnesqualitäten eingesponnen wären; so ist es nicht. Aber etwas anderes ist richtig. Ich bitte, nehmen Sie nur einmal das Folgende: Stellen Sie sich da-draußen auf, sagen wir, um elf Uhr vormittags und schauen Sie sich die

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umliegende Gegend an, aber schauen Sie sie genau an, nicht so, wie manche Leute sie zeichnen, denn das ist ja nur ein Unsinn, was da ge­zeichnet wird, das gibt ja natürlich nicht den Sinnesschein wieder, son­dern schauen Sie sie um elf Uhr an, um zwölf Uhr an mit all ihren Beleuchtungseffekten. Der ganze Sinnesteppich hat sich um zwölf Uhr völlig verändert, um fünf Uhr, um acht Uhr völlig verändert. Das Bild, das um Sie ist, verändert sich fortwährend. Sie haben es niemals mit irgend etwas anderem als mit ineinandergesponnenen Wirkungen, Effekten zu tun. Ein Baum - was sehen Sie vom Baume? Sie sehen das zurückgeworfene Licht, Sie sehen vielleicht die vom Winde bewegten Blätter und so weiter, kurz, Sie sehen niemals irgend etwas Bleibendes. Sie sehen einfach eine objektive Erscheinung. Während die tolpatschige Erkenntnistheorie von einer subjektiven Erscheinung spricht, sehen Sie eine objektive Erscheinung, und diese objektive Erscheinung teilt sich natürlich auch dem Auge mit. Geradeso wie der Baum die Lichtstrah­len in einer Weise auffängt, zurückwirft und so weiter, so steht auch das Auge in einer gewissen Beziehung zu den Lichtstrahlen, und wir können sagen: Das Phänomenale, das Erscheinhafte, das Scheinhafte, die Maja-Natur, die ausgebreitet ist in der Sinneswelt um uns herum, die ist natürlich auch vorhanden in unserem subjektiven Bild; aber weil sie objektiv veränderlich ist, ist sie auch in dem subjektiven Bild ver­änderlich.

Das ist dasjenige, was ich zum Beispiel gerade erhärten wollte in der ersten Abteilung meiner «Philosophie der Freiheit» oder in meinem Büchelchen «Wahrheit und Wissenschaft» und so weiter. Also auch dann, wenn wir der Welt gegenüberstehen, haben wir es nicht mit einer bleibenden, dauerhaften Realität zu tun, wir haben es mit einem, man möchte sagen, im Augenblicke Kommenden und Vorübergehenden zu tun. Wir haben es mit Erscheinungen zu tun. Und wollten wir dieses Bild theoretisch konstruieren, dann kämen wir wiederum auf nichts anderes als auf die paar Linien in der Sixtinischen Madonna. Und so ist es in allem, wo wir drinnenstehen. Wir stehen in der Welt der Phäno­mene, der Maja drinnen, aber trotzdem wir so mit all unserem Wahr­nehmungsvermögen in dieser Welt der Maja drinnenstehen, sind wir nicht angewiesen auf diese Welt. Denn ganz klar ist es uns, wenn wir

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des Morgens mit unserem Ich und mit unserem astralischen Leib aus dem Kosmos herauskommen und in unseren ätherleib und in unseren physischen Leib untertauchen, daß dasjenige, in das wir da untertau­chen, ein Objektives, ein Wahres enthält. Gewiß, das, was uns da als chaotische Bilder entgegenwirbelt, das ist nur eine Erscheinung; aber dasjenige, in das wir untertauchen, das enthält ein Wahres. Und in dem Augenblicke, wo wir 50 untertauchen, gleichgültig ob wir durch das:

Ich will meine Glieder bewegen -, oder daß wir durch das: Ich will meine Vorstellungen in Phantasiegestaltungen bringen -, oder sagen wir durch das: Ich will meine Vorstellungen in logische Denkzusam­menhänge bringen -, in demjenigen, was uns da wird, indem wir in unseren Leib untertauchen, in dem, wissen wir, haben wir etwas, was nicht von uns abhängt, was wir empfangen, was uns aufnimmt. Und der Moment des Aufwachens, er ist derjenige, der uns unser Seins-gefühl mitteilt.

Dieses Seinsgefühl' das ist gewissermaßen etwas, was durchwellt und durchzieht unser gesamtes Vorstellen. Aber unser Vorstellen selbst bewegt sich mehr in der Welt der Phänomene, des Scheins, der Maja. Und dehnen wir dasjenige, was ich so aus den gewöhnlichen Erleb­nissen heraus darstelle, dehnen wir das einmal aus auf den ganzen Menschen.

Wer mit Hilfe solcher Erkenntnisse, wie sie gewonnen werden kön­nen auf Grundlage meiner Darstellungen in «Wie erlangt man Er­kenntnisse der höheren Welten?», den ganzen Menschen betrachten kann, der weiß bald, wie dasjenige vom Menschen, was als seelisch-geistiges Wesen den Zustand durchmacht zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, wie das hereindringt in die physische Welt, sich verleib­licht, um den Zustand zwischen der Geburt und dem Tode durchzu­machen, und dann neuerdings einen Zustand zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Einige wichtige Details gerade über diese Vor-gänge habe ich ja in den letzten Vorträgen hier entwickelt. Wenn dann erkenntnismäßig der Moment eintritt, wo man zurückschauen kann in die Welt, die vor der Geburt oder vor der Empfängnis liegt, da merkt man: Die Welt, aus der eigentlich dasjenige aufgebaut ist, aus dem uns unser Seinsgefühl kommt, diese Welt haben wir zwischen dem Tod und

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einer neuen Geburt durchgemacht. Das richtige Seinsgefühl' das gar keiner Zweifelsucht, gar keinem Skeptizismus ausgesetzte Seinsgefühl bekommt man auch erst dann, wenn man zurückblickt in diese vor der Empfängnis liegende Daseinswelt.

Aber nun zeigt sich etwas Bedeutsames, Sie können das schon aus meinen Wiener Vorträgen vom Frühling 1914 entnehmen, ich will es jetzt in einer andern Form vor die Seele hinstellen, da zeigt sich näm­lich etwas, was uns entgegentritt, bevor der Mensch zu seiner physi­schen Verkörperung herunterkommt aus dem Zustande zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. In dieser Zeit schwindet nämlich immer mehr und mehr dem Menschen die Lust am Sein, die Lust am Dasein. Der Mensch geht ja, indem er zwischen dem Tod und einer neuen Ge­burt sich entwickelt, ich möchte sagen, durch eine absolute Sättigung mit Seinsgefühl hindurch. Das gehört zu den Errungenschaften, die der Mensch an sich zieht zwischen Tod und neuer Geburt, daß er, nachdem er die ersten Stadien nach dem Tode durchgemacht hat, immer mehr und mehr durch das Verhältnis zur Welt, in das er dann hineinkommt, zu einem stark durchdringenden Seinsgefühl kommt, zu einem - wenn ich mich des Ausdruckes bedienen darf - Verankertsein in dem Sein der Welt. Und das wird immer stärker und stärker, bis eine Art Über­sättigung mit Seinsgefühl eintritt, und dann, gegen das Ende der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt, tritt, ich möchte sagen, eine wahre Übersättigung mit Seinsgefühl ein. Ich könnte es auch anders nennen. Ich könnte sagen, ein wahrer Hunger nach Nichtsein tritt in dem Wesen des Menschen ein. Diejenigen geistig-seelischen Wesenheiten, die als Menschen auf die Erde herunterkommen, die zeigen tatsächlich, bevor sie auf die Erde herunterkommen, einen starken Hunger nach Nichtsein. Und aus dieser Seelenverfassung oder Geistesverfassung könnten wir sagen: Indem da der Mensch hungernd ist nach Nichtsein, stürzt er sich in dieser Verfassung in die Maja, in diejenige Welt, die wir eben vor uns haben sowohl der Sternenwelt gegenüber wie der irdisch-phänomenalen Welt gegenüber. Es ist eine Sehnsucht nach dieser nichtseienden Welt, nach dieser Welt, der gegenüber man in Seelen­stimmungen ist wie den chaotischen Vorstellungen gegenüber, wenn man auf ihren Grund geht, dieser Welt, die eigentlich in jedem Augenblicke

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einen andern Aspekt uns darbietet. Wir sind ja, indem wir uns hereinleben in diese Welt, ganz und gar in einer Scheinwelt, in einer Majawelt. In diese Majawelt will das Geistig-Seelische untertauchen, und damit haben wir es eigentlich zu tun. Das andere sind mehr oder weniger Nebenwirkungen. Das ist der stärkste Impuls, der im geistig-seelischen Menschen lebt, wenn er sich dem Erdendasein nähert: diese Sehnsucht nach der Maja, diese Sehnsucht, in dem weichen, durch-dringlichen Phänomen zu leben, nicht im durchsättigten intensiven Sein. Und dasjenige, was den Menschen dann als ätherleib und als phy­sischen Leib umhüllt, das ist herausgeboren aus dem Kosmos, mit dem wird er umkleidet. Ich habe ja in diesen Tagen dargestellt, wie der Embryo im mütterlichen Leibe aus dem Kosmos herausgestaltet wird.

Wir müssen uns also vorstellen: Der Mensch kommt im Grunde aus einer ganz andern Welt. In der bekommt er diesen Hunger nach dem Nichtsein' nach dem Leben in der Maja, indem er sich dem physischen Erdendasein nähert, und er wird aufgenommen, indem er sich in die Maja stürzt mit seinem Ich und mit seinem astralischen Leib (siehe Zeichnung, rot, blau), von dem ätherleib und von dem physischen Leib (gelb, rot); die aber werden im mütterlichen Leibe durch die Be­fruchtung als seine Umkleidung aus dem Kosmos heraus gebildet. Der Mensch kommt da aus einer Welt, die nicht die räumlich-zeitliche ist, die man im Raume nicht finden kann, aber er wird umkleidet im Raume mit demjenigen, was im mütterlichen Leibe ausgebildet wird. In das taucht er dann immer beim Aufwachen unter. Beim Einschlafen taucht er wiederum aus ihm empor. Da bildet sich ein Rhythmus des Untertauchens in die Leiblichkeit, des Heraus-sich-Holens aus dieser Leiblichkeit.

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Die heutigen Vorstellungen sind tatsächlich so, daß man mit ihnen gegenüber der Wirklichkeit große Schwierigkeiten hat. Dieses Zusam­mengehen zum Beispiel einer ganz andern Strömung, die der Mensch durchmacht, bevor er zu seiner Verleiblichung kommt, und des äußer­lichen, das ihn dann umhüllt, das ja vorher nichts Wesentliches mit ihm zu tun hat - wie es wirklich wird, habe ich bei andern Gelegenheiten geschildert -, dieses Zusammenwirken, das kann kaum die heutige Wissenschaft in sachgemäßer Weise schildern, weil ihr dazu die Be­griffe fehlen.

Dasselbe merkt man auf einem andern Gebiete. Wenn heute der Phy­siologe von Licht oder von Farbe redet, dann ist es ihm vor allen Din­gen darum zu tun, da irgend etwas, was das Auge macht, zu schildern, herauszubekommen. Aber das ist in Wirklichkeit eigentlich gerade so, als wenn jemand jetzt irgendeine der Persönlichkeiten, die hier sitzen, schildern wollte und vor allen Dingen diese Schreinerei hier schildern würde, weil Sie hier hereingegangen sind. Im Grunde genommen hat das Licht, das da im Auge ankommt und im Auge sich geltend macht, nicht viel mehr mit dem Auge zu tun als Sie mit der Schreinerei, wenn Sie hereingegangen sind und die Schreinerei Sie jetzt auch umhüllt. Schildert jemand die Schreinerei und Sie, so schildert er natürlich das auch als ein Ganzes. Aber das ist nicht so. Man hat es eben schwer, wenn man die Wahrheit gegenüber den heutigen vertrackten Vorstel­lungen finden will.

Und so können wir sagen: Dasjenige, was Geistig-Seelisches des Menschen ist, das kommt vor allen Dingen aus einem Drang nach dem Nichtsein in diese Welt des Irdischen herein. Und jeder wachlebende Zustand, also jeder Zustand, der vom Aufwachen bis zum Einschlafen durchgemacht wird, der ist eine neue Erziehung zum Sein, eine Neu-imprägnierung des Bewußtseins mit dem Sein.

Der Mensch ist in dem Zustande, in dem er zuletzt ist zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, ich möchte sagen, so froh, wenn er an­kommen kann hei seiner physischen Verkörperung, er ist so froh. - Ich habe Ihnen oftmals geschildert, wie das Gehirn im Gehirnwasser schwimmt. Wenn das ganze Gewicht, eintausenddreihundertfünfzig Gramm oder so etwas, auf die Adern unter dem Gehirn drücken würde,

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da würden die Adern zerquetscht werden, könnten nicht bestehen; aber das Gehirn drückt ja nur mit zwanzig Gramm etwa. Warum? Weil das Gehirn im Gehirnwasser schwimmt. Und Sie kennen das Archimedi­sche Prinzip. Nicht wahr, es ist von Archimedes gefunden worden. Er war einmal in einer Wanne und badete, da fühlte er, wie er da immer leichter wird im Bade, und da war er über diese Entdeckung so erfreut, daß er sogleich nackt durch die Straßen lief - man konnte das im Alter­tum eher als heute, wenn man wissenschaftlicher Forscher war - und rief: Ich hab's, ich hab's! -, nämlich, daß jeder Körper in einer Flüssig­keit so viel von seinem Gewicht verliert, als das Gewicht des Wasser-körpers ist, das man verdrängt. Also wenn Sie ein Gefäß mit Wasser haben und Sie geben einen festen Körper hinein, so wird er leichter, als er in Wirklichkeit außerhalb des Wassers ist, und zwar wird er um so viel leichter, als die von ihm verdrängte Wassermenge wiegt, das heißt, um sein eigenes Gewicht, wenn Sie ihn aus Wasser sich gestaltet denken.

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Wenn also hier zum Beispiel ein Würfel wäre und Sie denken sich den­selben als Wasserwürfel und wiegen ihn, so würde der wirkliche Wür­fel um das Gewicht des Wasserwürfels leichter. Und so wird das Gehirn leichter bis auf zwanzig Gramm, drückt nur mit zwanzig Gramm, weil es im Gehirnwasser schwimmt. Das Gehirn folgt also nicht seiner vol­len Schwere. Es wird nach aufwärts getrieben. Man nennt das auch

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Auftrieb, diese Kraft, die nach oben treibt. Darauf freut sich der Mensch, daß er in etwas kommt, das ihn eigentlich nach oben zieht, das ihn richtig nach oben zieht. Und er lernt an den zwanzig Gramm wiederum schwer sein, und an der Schwere lernen wir das Seinsgefühl. Der Mensch wird wiederum mit Seinsgefühl durchdrungen zwischen der Geburt und dem Tode. Und das wird ihm dann ausgebildet und vermehrt in der Entwickelung nach dem Tode.

Das ist dasjenige, was, ich möchte sagen, so dem Bewußtsein der modernen Menschheit entschwunden ist, daß der größte Philosoph im Beginn dieser neueren Zeit, Cartesius oder Descartes, die Formel ge­prägt hat: Cogito ergo sum - Ich denke, also bin ich. - Es ist die un­sinnigste Formel, die man sich denken kann, denn gerade indem man denkt, ist man nicht. Man ist gerade außer dem Sein. Cogito ergo non sum - ist die wirkliche Wahrheit. So weit sind wir heute entfernt von der wirklichen Wahrheit, daß eben der größte neuzeitliche Philosoph an die Stelle der Wahrheit das Gegenteil gesetzt hat. Wir eignen uns das Seinsgefühl gerade dann an, wenn das Denken sich erfühlt im Organismus, wenn das Denken sich eingebettet fühlt in dem, was schwer ist. Das ist nicht bloß ein populäres Bild, das ist die Realität gegenüber den Erscheinungen.

Aber das kann uns lehren, wie der Mensch, so wie er sich zunächst weiß, sich wissend zu der Erde herunterbegibt, eigentlich untertaucht in die Maja und innerhalb der Maja dasjenige lernt, was er wiederum braucht nach dem Tode: das Seinsgefühl.

Nun, wenn man das schildert, was ich Ihnen jetzt geschildert habe, dann hat man etwas, was spezifisch menschlich in der menschlichen Entwickelung ist. Dieses, ich möchte sagen, rhythmische Sich-Bewegen zwischen Seinsgefühl und Nichtseinsgefühl' Sie können es sich für die Meditation in der folgenden Weise vor Augen führen. Sie können sagen, wenn man in bloßen Gedanken lebt: Ich bin nicht. - Wenn man mit Bezug auf den Willen lebt, der physisch ruht im Stoffwechsel-Glied­maßenmenschen' dann sagt man: Ich bin. - Und zwischen beiden, zwi­schen dem Stoffwechselmenschen und dem reinen Gehirnmenschen, der sagt: Ich bin nicht -, wenn er sich versteht, denn dasjenige, was im Gehirn lebt, sind bloß Bilder; das, was dazwischen liegt, ist die rhythmische

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Abwechslung zwischen: Ich bin und Ich bin nicht. - Dafür ist das äußere Physische die Atmung. Die Ausatmung erfüllt den At­mungsprozeß mit demjenigen, was aus dem Stoffwechsel kommt, mit der Kohlensäure. Ich bin - ist Ausatmung. Ich bin nicht - ist Ein­atmung.

Ich bin nicht

Ich bin - Ich bin nicht

Ausatmung - Einatmung

Ich bin

Die Einatmung ist verwandt dem: Ich bin nicht - des Denkens. Die Einatmung verläuft ja so, daß wir die Atemluft in unsere Rippen auf­nehmen, das Wasser des Arachnoidealraumes nach oben drängen, da­durch das Gehirnwasser nach oben drängen. Wir bringen die Schwin­gung des Atmungsprozesses ins Gehirn. Das ist das Organ des Gedan­kens. Der Einatmungsprozeß dem Gehirn übertragen: Ich bin nicht. Wiederum Ausatmen, das Gehirnwasser - durch den Arachnoideal­raum - drückt auf das Zwerchfell, Ausatmung, die mit Kohlenstoff geschwängerte, zu Kohlensäure gewordene Luft: Ich bin - aus dem Willen heraus. Ausatmung: aus dem Willen heraus.

Das alles ist, so aufgefaßt, ein rein menschlicher Vorgang, denn der­jenige, der das auf das Tier übertragen will, etwa weil das Tier auch atmet, gleicht eben einem Menschen, der ein Rasiermesser nimmt, um sich das Fleisch zu zerschneiden, weil es eben ein Messer ist. Gewiß atmen die Tiere auch, aber die tierische Atmung ist eben etwas anderes als die menschliche Atmung, so wie ein Rasiermesser etwas anderes ist als ein Tischmesser. Wer seine Definitionen von dem äußeren Anblick der Sache hernimmt, der wird niemals zu irgendeiner brauchbaren Welterklärung kommen. Der Tod ist etwas anderes beim Menschen, etwas anderes beim Tier, etwas anderes bei der Pflanze. Wer von einer Definition des Todes ausgeht, kommt ebensowenig zu irgendeiner brauchbaren Erklärung wie derjenige, der von der Definition eines Messers ausgeht und etwa sagt: Ein Messer ist etwas, das auf der einen Seite so fein ist, daß es andere Gegenstände durchschneidet. - Das gibt natürlich einen schönen Allgemeinbegriff' aber man kann nichts verstehen

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von dem, was wirklich ist. Also es sind spezifisch menschliche Vorgänge, die ich Ihnen geschildert habe. Es sind diejenigen mensch­lichen Vorgänge, die der Mensch durchgemacht hat, während der Früh­lingspunkt den Umkreis gemacht hat von den Fischen zu den Fischen. Das ist gerade die Zeit in der Erdenentwickelung, wo der Mensch in den führenden Teilen der Völker im allerwesentlichsten das alles durch­gemacht hat, was ich Ihnen jetzt beschrieben habe, und was alles dahin tendiert, daß man sieht, wie es eigentlich zugeht, wie der Mensch, indem er in die physische Welt sich durch die Geburt herunterversetzt, sich in die Maja stürzt, und mit dem Tode aus der Maja wieder herausgeboren wird, bereichert durch das Seinsgefühl, das er braucht für das weitere Leben nach dem Tode. Das ist eine allerwichtigste Tatsache, dieses Herausgeborensein durch den Tod mit dem Seinsgefühl, während das Geborenwerden das Sich-stürzen der geist-seelischen Wesenheit des Menschen in die Maja hinein ist. Gerade dadurch, daß wir in die Maja, also in eine Bilderwelt hinein uns stürzen, sind wir frei. Niemals könn­ten wir frei sein, wenn wir mit unserem Bewußtsein zwischen Geburt und Tod in einer Tatsachenwelt wären. Nur dadurch sind wir frei, daß wir in einer Bilderwelt sind. Bilder, die im Spiegel sind, die deter­minieren uns nicht kausal. Eine Tatsachenwelt würde uns kausal de­terminieren. Was Sie dem Bild, das vor einem hängt, entgegenbringen, das muß aus Ihnen stammen. Die Erscheinungen der Welt determinie­ren uns als Menschen in demjenigen nicht, was ich in meiner «Philoso­phie der Freiheit» das reine Denken genannt habe, das nicht aus dem Organismus herauskommt. Was aus dem Organismus herauskommt, ist, wie Sie gesehen haben, mit dem Seinsgefühl durchtränkt, wenn auch im Gehirn dieses Seinsgefühl in einem so geringen Prozentsatze vorhanden ist, daß es etwa zwanzig zu eintausenddreihundertfünfzig ist. Auf das muß man immer wieder und wieder hinblicken, wie der Mensch eigentlich die Sehnsucht nach der Maja entwickelt, indem er zum irdischen Leben geboren wird, und wie das irdische Leben ihn er­zieht zum Seinsgefühl. Das ist dasjenige, was wir durchgemacht haben während der Zeit von der letzten lemurischen Periode bis in unsere Periode hinein, wo ein Sonnenzyklus von 25920 Jahren, wo ein großer Weltenzyklus durchgemacht worden ist.

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Nun aber stehen wir eben in derjenigen Zeit, in welcher die Ent­wickelung wieder an ihrem Ausgangspunkt angekommen ist, aber ich habe sie so gezeichnet, daß ich sagte: Spiralförmig müssen wir sie sche­matisch andeuten (siehe Zeichnung Seite 170). - Die Entwickelung der Menschheit ist zwar an ihrem Ausgangspunkt angekommen, aber auf einer höheren Stufe. Diese höhere Stufe, was bedeutet sie aber? Diese höhere Stufe bedeutet, daß wir uns als Menschheit bis jetzt mit dem Geborenwerden immer in die Maja gestürzt haben und dann aus dem physischen Dasein heraus das Seinsgefühl bekommen haben. Aber die Erde hat sich ja auch mittlerweile verwandelt, die Erde ist heute nicht mehr derselbe Organismus, der sie war in der lemurischen Zeit oder in der atlantischen Zeit. Die Erde ist heute, wie ich oftmals aus­geführt habe, bereits in einem Auflösungsprozeß begriffen.

Das weiß auch die Geologie. Lesen Sie es nach in den schönen geo­logischen Ausführungen von Eduard Sueß, «Das Antlitz der Erde»:

Die Erde ist in einem Zerbröckelungsprozesse, die Erde ist in einem Auflösungsprozesse. - Das bewirkt, daß wir jetzt nicht mehr alle Mög­lichkeiten bekommen, um uns das Seinsgefühl in genügender Weise wiederum anzueignen. Und die Menschheit steht jetzt, wo ein Zyklus vollendet ist in der Weise, wie ich das eben und gestern dargelegt habe, vor der Gefahr, durch Tode zu gehen, in denen sie ein zu geringes Seinsgefühl entwickelt hat, weil einfach unsere Erde nicht mehr die nötige Intensität des Seinsgefühls hergibt. Es eröffnet sich mit dieser neuen Periode, die ich Ihnen jetzt als eine Periode des ganzen Kosmos dargelegt habe, die Aussicht für die Menschheit, mit einem, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu großen Leichtigkeitsgefühl durch den Tod hindurchzugehen. Die Menschheit mag materialistischer und immer materialistischer werden, die Folge davon, wenn sie immer materia­listischer wird, wird sein, daß sie ein nicht genügendes Schwere- oder Seinsgefühl durch die Pforte des Todes trägt.

Das ist etwas, was für den Kenner der Weltenverhältnisse heute schon ganz klar ist: Seelen gehen heute durch die Pforte des Todes, die gewissermaßen durch ihr eigenes Nichtseinsgefühl emporgetragen wer­den, so daß sie das Entgegengesetzte durchmachen, was ein Mensch, der ins Wasser fällt und nicht schwimmen kann, durchmacht - der versinkt.

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Diese Seelen sinken, wenn sie durch die Pforte des Todes gehen, nach oben, durch das geringe Schwergewicht, das sie haben. Wie man in der geistigen Welt den Ausdruck Schwergewicht gebraucht, das tritt einmal an einer wichtigen Stelle in meinen Mysterien auf. Sie steigen nach oben, verlieren sich. Das kann nur dadurch paralysiert werden, daß die Menschen von den Begriffen, die heute einfach von selbst er­langt werden können und die in unserem ganzen Leben figurieren, zu dem sich erheben, was mit einer gewissen Anstrengung des physischen Lebens erreicht werden muß: das ist, solche Begriffe, die eben nicht das physische Leben allein hergibt, die man durch Geisteswissenschaft erwirbt.

Was sagen Ihnen die Leute, die durchaus beim heutigen Denken stehenbleiben wollen, über die Geisteswissenschaft? Sie sagen Ihnen:

Ja, was da geschildert wird zum Beispiel in dieser Steinerschen «Ge­heimwissenschaft», das ist ja phantastisch, das ist ja willkürlich, das kann man sich ja nicht vorstellen! - Warum sagen das die Leute? Die Leute können Kreide sehen, Tische sehen, Beine sehen, und sie können nur das vorstellen, was ihnen einmal in dieser Weise vor die Seele getreten ist; sie wollen sich nichts anderes vorstellen, als was sie sich von dem Leithammel der äußeren physischen Wirklichkeit angeeignet haben. Sie wollen keine innere Aktivität entwickeln im Vorstellen. Wer die «Geheimwissenschaft im Umriß» studieren will, der muß sich selber anstrengen. Wenn er einen Ochsen anglotzt, da hat er allerdings eine Wirklichkeit, er braucht sich nicht anzustrengen, sondern er braucht ihn nur anzuglotzen und sich dann einen sogenannten Begriff zu bilden, der gar kein Begriff ist. Um was es sich handelt, ist, daß eben die Be­griffe, die durch die Geisteswissenschaft, also zum Beispiel durch meine «Geheimwissenschaft» oder «Theosophie» oder durch die andern Bücher angedeutet werden, diese innere Aktivität fordern. Ein großer Teil der Menschheit, der heute erst recht materialistisch ist, weil er die Geisteswelt materialistisch bilden will, die Spiritisten, die möchten sich erst recht nicht einlassen auf dieses Durchdenken, Durcharbeiten der «Geheimwissenschaft»; die lassen sich lieber irgend etwas vorzaubern durch Schrenck-Notzing oder andere, wo ihnen solche Klumpen, die menschenähnlich geformt sind oder dergleichen, so vor die Seele treten,

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daß sie wiederum ganz passiv bleiben können; sie brauchen sich dabei gar nicht anzustrengen.

Aber dabei wird man immer leichter und man arbeitet gegen sein Fortbestehen nach dem Tode. Dadurch aber, daß man sich hineinar­beitet in die Aktivität, die man nötig hat, um in die Geisteswissenschaft einzudringen, dadurch muß man gerade das Physische stärker an­strengen, stärker sich verbinden mit dem Physischen, als es heute unter sogenannten normalen Verhältnissen der Fall ist. Man muß die Begriffe gewichtiger machen. Dadurch aber auch nimmt man sein Seinsgefühl mit durch den Tod und ist dann dem Leben nach dem Tode gewachsen.

Das ist ja etwas, nicht wahr, was der heutige Mensch so gern hat:

nichts zu dem hinzutun, was ihm im Leben entgegentritt. Wenn er etwas dazutun soll, aktiv sein soll, so wird ihm das gleich unbequem. äußerlich im sozialen Leben haben wir ja immer darnach gestrebt, soviel zu lernen und nach solchen Schablonen zu lernen, wie es der Staat vorschreibt; so daß wir, wenn wir glücklich fünfundzwanzig, sechsundzwanzig Jahre alt und referendarreif geworden sind, dann so hineingeschoben werden in irgendein Schema und Anspruch haben nach so und so viel Jahrzehnten auf Pensionierung; nun sind wir sicher. Wir sind allerdings erst in den zwanziger Jahren, aber wir sind für das ganze Leben versichert. Wir lassen unseren Leib pensionieren - das wird uns von vornherein zugesichert -, dann kommt noch die Kirche, das Kirchenbekenntnis' das fordert auch nichts anderes, als daß wir passiv dem uns hingeben, was uns da geboten wird. Und die Kirche pensioniert dann unsere Seele, wenn wir tot sind; die versichert sie uns, ohne daß wir etwas dazutun, als höchstens im Glauben leben, wie schon vorher unser Leib pensioniert worden ist. Das ist etwas, wo­mit gebrochen werden muß, wenn die Kultur nicht an ihrem Nieder­gang ankommen soll. Innere Aktivität, inneres aktives Mittun mit dem, was der Mensch aus sich macht, sogar was er aus sich macht als einem unsterblichenWesen, das ist notwendig. Der Mensch muß arbeiten an seiner Unsterblichkeit. Das ist dasjenige, was sich die meisten Men­schen gern wegzaubern lassen möchten. Sie glauben, eine Erkenntnis kann einen nur etwas von dem lehren, was ja sowieso ist, kann einen höchstens lehren, der Mensch sei unsterblich. Es gibt solche, die sagen:

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Ja, hier lebe ich, wie eben das Leben hier es gibt; was nach dem Tode sein wird, das werde ich ja dann schon sehen.

Nichts wird er sehen, gar nichts wird er sehen! Denn das Argument ist ungefähr ebenso geistreich wie dasjenige der Anzengruberschen Persönlichkeit: So wahr ein Gott im Himmel ist, bin ich ein Atheist! -Von derselben Logik sind diese Dinge. Die Sache ist so, daß in bezug auf das Geistig-Seelische, indem wir es in unsere Erkenntnis herein-nehmen, wir den Geist reif machen, nach dem Tode nicht den ent­gegengesetzten Zustand von einem im Schwimmen Versinkenden, das heißt, von einem wesenlos Steigenden durchzumachen. Wir müssen ar­beiten an unserer Wesenheit, damit sie in der richtigen Weise durch den Tod durchgehen kann. Und Aneignung geistiger Erkenntnis ist nicht bloß Aneignung einer abstrakten Erkenntnis, ist Durchdringung des Geistig-Seelischen des Menschen mit den Kräften, die den Tod besiegen.

Das ist im Grunde genommen in Wahrheit ja die christliche Lehre. Daher soll der Mensch nicht bloß, wie es ein neueres Bekenntnis durch­aus will, den Glauben an Christus haben, sondern er soll das Paulus­wort beherzigen: «Nicht ich, sondern der Christus in mir.» Die Kraft des Christus in mir, entwickelt muß sie werden wollen und ausgebildet muß sie werden! Der Glaube als solcher kann durchaus den Menschen nicht retten, sondern einzig und allein das innere Zusammenarbeiten mit dem Christus, das innere Sich-Erarbeiten der Christuskraft, die ja immer da ist, wenn man sie sich erarbeiten will, die aber erarbeitet werden muß. Initiative, Aktivität, das ist es, womit die Menschheit sich wird erfüllen müssen. Und einsehen wird sie müssen, daß der bloß passive Glaube den Menschen einfach zu leicht macht, so daß allmäh­lich die Unsterblichkeit auf der Erde sterben würde. Das ist das Be­streben des Ahriman. Und inwiefern es das Bestreben des Ahriman ist, das wollen wir dann in einem nächsten Vortrag uns vor die Seele führen, denn wir stehen heute in dem Kampf zwischen den ahrimani­schen und den luziferischen Mächten drinnen. Und ebenso wie wir in einer gewissen Weise unsere Unbewußtheit behütet haben, indem der Frühlingspunkt einen Umkreis gemacht hat, werden wir in den näch­sten Umkreis hineingehen müssen so, daß wir mit vollem Bewußtsein

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uns hineinstellen in dasjenige, was die Weltenwesenheit durchwebt:

der Kampf der luziferischen mit den ahrimanischen Geistern. In die Wirklichkeit, nicht bloß in eine abstrakte Erkenntnis werden wir durch Geisteswissenschaft geführt. Davon dann das nächste Mal weiter.

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ELFTER VORTRAG Dornach, 15. Juli 1921

Ich werde heute einige Wahrheiten zusammenfassen, die uns dann wiederum dienen werden, um in den nächsten Tagen weitere Ausfüh­rungen nach einer gewissen Richtung hin zu geben. Wenn wir unser seelisches Leben ins Auge fassen, so können wir sagen, daß nach dem einen Pol hin in diesem Seelenleben das gedankliche Element, das Denken liegt, nach dem andern Pol hin das Willenselement, zwischen beiden das Gefühlselement, dasjenige, was wir im gewöhnlichen Leben das Fühlen, den Inhalt des Gemütes und so weiter nennen. Im wirk­lichen seelischen Leben, so wie es sich in uns abspielt in unserem Wach-zustande, ist natürlich niemals einseitig bloß das Denken vorhanden oder der Wille, sondern sie sind immer in Verbindung miteinander, sie spielen ineinander. Nehmen wir an, wir verhalten uns im Leben ganz ruhig, so daß wir etwa sagen können, unser Wille sei nach außen hin nicht tätig. Wir müssen dann doch, wenn wir während einer solchen nach außen gerichteten Ruhe denken, uns klar sein darüber, daß Wille waltet in den Gedanken, die wir entfalten: indem wir einen Gedanken mit dem andern verbinden, waltet der Wille in diesem Denken. Also selbst wenn wir gewissermaßen scheinbar bloß kontemplativ sind, bloß denken, so waltet in uns wenigstens innerlich der Wille, und wenn wir uns nicht gerade tobsüchtig verhalten oder nachtwandeln, können wir ja nicht willentlich tätig sein, ohne unsere Willensimpulse von Ge­danken durchströmen zu lassen. Gedanken durchziehen immer unsere Willensbetätigung, so daß wir also sagen können: Auch der Wille ist niemals im Seelenleben abgesondert für sich vorhanden. Aber was so abgesondert für sich nicht vorhanden ist, das kann doch verschiedenen Ursprunges sein. Und so ist auch der eine Pol unseres Seelenlebens, das Denken, ganz andern Ursprunges als das Willensleben.

Schon wenn wir nur die alltäglichen Lebenserscheinungen betrach­ten, werden wir ja finden, wie das Denken eigentlich sich immer auf etwas bezieht, was da ist, was Voraussetzungen hat. Das Denken ist zu­meist ein Nachdenken. Auch wenn wir vordenken, wenn wir also uns

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etwas vornehmen, das wir durch den Willen dann ausführen, so liegen ja einem solchen Vordenken Erfahrungen zugrunde, nach denen wir uns richten. Auch dieses Denken ist in gewisser Beziehung natürlich ein Nachdenken. Der Wille kann sich nicht richten auf dasjenige, was schon da ist. Da würde er ja selbstverständlich immer zu spät kommen. Der Wille kann sich einzig und allein richten auf das, was da kommen soll, auf das Zukünftige. Kurz, wenn Sie ein wenig über das Innere des Gedankens, des Denkens und über das Innere des Willens nachdenken, Sie werden finden, das Denken bezieht sich auch schon im gewöhn­lichen Leben mehr auf die Vergangenheit, der Wille bezieht sich auf die Zukunft. Das Gemüt, das Fühlen, steht zwischen beiden. Wir begleiten mit Gefühl unsere Gedanken. Gedanken freuen uns, stoßen uns ab. Aus unserem Gefühl heraus führen wir unsere Willensimpulse ins Leben. Fühlen, der Gemütsinhalt, steht zwischen dem Denken und dem Wollen mitten drinnen.

Aber so wie es schon im gewöhnlichen Leben, wenn auch nur an­deutungsweise der Fall ist, so steht es auch in der großen Welt. Und da müssen wir sagen: Dasjenige, was unsere Denkkraft ausmacht, was das ausmacht, daß wir denken können, daß die Möglichkeit des Ge­dankens in uns ist, das verdanken wir dem Leben vor unserer Geburt beziehungsweise vor unserer Empfängnis. Es ist im Grunde genommen in dem kleinen Kinde, das uns entgegentritt, schon im Keime all die Gedankenfähigkeit vorhanden, die der Mensch überhaupt in sich ent­wickelt. Das Kind verwendet die Gedanken nur - Sie wissen das aus Vorträgen, die ich schon gehalten habe - als Richtkräfte zum Aufbauen seines Leibes. Namentlich in den ersten sieben Lebensjahren, bis zum Zahnwechsel hin, verwendet das Kind die Gedankenkräfte zum Auf­bau seines Leibes als Richtkräfte. Dann kommen sie immer mehr und mehr als eigentliche Gedankenkräfte heraus. Aber sie sind eben als Ge­dankenkräfte durchaus veranlagt im Menschen, wenn er das physische, das irdische Leben betritt.

Dasjenige, was als Willenskräfte sich entwickelt - eine unbefangene Beobachtung ergibt das ohne weiteres -, das ist beim Kinde eigentlich wenig mit dieser Gedankenkraft verbunden. Beobachten Sie nur das zappelnde, sich bewegende Kind in den ersten Lebenswochen, dann

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werden Sie sich schon sagen: Dieses Zappelnde, dieses chaotisch Sich-Bewegende, das ist von dem Kinde erst erworben dadurch, daß seine Seele und sein Geist von der physischen Außenwelt her mit physischer Leiblichkeit umkleidet worden sind. In dieser physischen Leiblichkeit, die wir erst nach und nach entwickeln seit der Konzeption und seit der Geburt, da liegt zunächst der Wille, und es besteht ja die Entwickelung des kindlichen Lebens darinnen, daß allmählich der Wille gewisser­maßen eingefangen wird von den Denkkräften, die wir schon durch die Geburt ins physische Dasein mitbringen. Beobachten Sie nur, wie das Kind zunächst ganz sinnlos, wie es eben aus der Regsamkeit des physischen Leibes herauskommt, seine Glieder bewegt, und wie nach und nach, ich möchte sagen, der Gedanke hineinschlägt in diese Be­wegungen, so daß sie sinnvoll werden. Es ist also ein Hineinpressen, ein Hineinstoßen des Denkens in das Willensleben, das ganz und gar in der Hülle, die den Menschen umgibt, lebt, wenn er geboren bezie­hungsweise wenn er empfangen wird. Es ist dieses Willensleben ganz und gar darinnen enthalten.

So daß wir schematisch etwa den Menschen so zeichnen können, daß wir sagen, er bringt sich sein Gedankenleben mit, indem er heruntersteigt

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aus der geistigen Welt. Ich will das schematisch so andeuten (siehe Zeichnung, gelb). Und er setzt das Willensleben an in der Leib­lichkeit, die ihm durch die Eltern gegeben wird (rot). Dadrinnen sitzen

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die Willenskräfte, die sich chaotisch äußern. Und dadrinnen sitzen die Gedankenkräfte (Pfeile), die zunächst als Richtkräfte dienen, um eben den Willen in seiner Leiblichkeit in der richtigen Weise zu durch-geistigen.

Diese Willenskräfte, sie nehmen wir dann wahr, wenn wir durch den Tod in die geistige Welt hinübergehen. Da sind sie aber im höchsten Maße geordnet. Da tragen wir sie hinüber durch die Todespforte in das geistige Leben. Die Gedankenkräfte, die wir mitbringen aus dem übersinnlichen Leben in das Erdenleben, die verlieren wir eigentlich im Verlauf des Erdenlebens.

Bei Menschenwesen, die früh sterben, ist es etwas anders, wir wollen jetzt zunächst vom normalen Menschenwesen sprechen. Das normale Menschenwesen, das über die fünfziger Jahre alt wird, das hat eigent­lich im Grunde genommen die wirklichen Gedankenkräfte, die aus dem früheren Leben mitgebracht werden, schon verloren und sich eben die Richtungskräfte des Willens bewahrt, die dann durch den Tod hinüber-getragen werden in das Leben, das wir betreten, wenn wir durch des Todes Pforte gehen.

Man kann ja annehmen, daß jetzt in einem der Gedanke sitzt: Ja, wenn man also über fünfzig Jahre alt geworden ist, dann hat man sein Denken verloren! - In einem gewissen Sinne ist das sogar für die mei­sten Menschen, die sich heute für nichts Geistiges interessieren, durch­aus der Fall. Ich möchte nur einmal, daß Sie wirklich darauf ausgehen, zu registrieren, wieviel ursprüngliche, originelle Gedankenkräfte durch diejenigen Menschen heute hervorgebracht werden, die über fünfzig Jahre alt geworden sind! Es sind in der Regel die automatisch sich fortbewegenden Gedanken der früheren Jahre, die sich im Leibe ab-gedrückt haben, und der Leib bewegt sich dann automatisch fort. Er ist ja ein Bild des Gedankenlebens, und der Mensch, der rollt so nach dem Gesetz der Trägheit, nicht wahr, in dem alten Gedankentrott weiter fort. Man kann sich heute kaum vor diesem Fortlaufen im alten Gedankentrott anders bewahren, als daß man auch während des Lebens solche Gedanken aufnimmt, welche geistiger Natur sind, welche ähnlich sind den Gedankenkräften, in die wir versetzt waren vor unse­rer Geburt. So daß in der Tat immer mehr die Zeit heranrückt, wo die

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alten Leute bloße Automaten sein werden, wenn sie sich nicht beque­men, Gedankenkräfte aus der übersinnlichen Welt aufzunehmen. Na­türlich, automatisch kann der Mensch sich weiter denkend betätigen, es kann so ausschauen, als ob er dächte. Aber es ist nur ein automatisches Fortbewegen der Organe, in die sich die Gedanken hineingelegt haben, hineinverwoben haben, wenn nicht der Mensch erfaßt wird von jenem jugendlichen Element, das da kommt, wenn wir Gedanken aus der Geisteswissenschaft aufnehmen. Dieses Aufnehmen von Gedanken aus der Geisteswissenschaft ist eben durchaus nicht irgendein Theoretisie­ren, sondern es greift schon ganz tief im menschlichen Leben ein.

Besondere Bedeutung aber gewinnt die Sache, wenn wir jetzt des Menschen Verhältnis zur umliegenden Natur ins Auge fassen. Ich ver­stehe jetzt unter Natur all das, was uns umgibt für unsere Sinne, dem wir also ausgesetzt sind vom Aufwachen bis zum Einschlafen. Das kann man in einer gewissen Weise in der folgenden Art betrachten. Man kann sich das einmal vor Augen führen - ich meine vor geistige Augen -, was man so sieht. Wir nennen es den Sinnesteppich. Ich will es schematisch so aufzeichnen. Hinter allem, was man sieht, hört, als Wärme wahrnimmt, die Farben in der Natur und so weiter - ich

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zeichne ein Auge als Schema für das, was da wahrgenommen wird -, hinter diesem Sinnesteppich ist etwas. Die Physiker oder die Menschen der gegenwärtigen Weltanschauung sagen: Dahinter sind Atome und die wirbeln -, und nachher, nicht wahr, da wirbeln sie weiter, da ist gar kein Sinnesteppich, sondern irgendwie im Auge oder im Gehirn oder irgendwo oder auch nicht irgendwo, da rufen sie dann die Farben und die Töne und so weiter hervor. Nun stellen Sie sich aber, bitte, ganz unbefangen einmal vor, daß Sie anfangen zu denken über diesen Sinnesteppich. Wenn Sie anfangen zu denken und nicht von der Illu­sion ausgehen, Sie könnten dieses riesige Heer von Atomen konstatie­ren, das da von den Chemikern so in militärischer Denkweise ange­ordnet wird, sagen wir zum Beispiel, da steht Unteroffizier C, dann zwei Gemeine, C, 0, 0, und dann noch ein Gemeiner als ein H; nicht wahr, so haben wir das ja militärisch angeordnet: Ather, Atome und so weiter. Nun, wenn man, wie gesagt, sich dieser Illusion nicht hingibt, sondern stehenbleibt bei der Wirklichkeit, dann weiß man: Der Sinnes-teppich ist ausgebreitet, da draußen sind die Sinnesqualitäten, und das, was ich noch über dasjenige, was in den Sinnesqualitäten liegt, mit dem Bewußtsein umfasse, das sind eben Gedanken. Es ist in Wirklichkeit nichts hinter diesem Sinnesteppich als Gedanken (blau). Ich meine, hinter dem, was wir in der physischen Welt haben, ist nichts anderes da als Gedanken. Daß diese von Wesen getragen werden, darüber werden wir noch sprechen. Aber man kommt zu dem, was wir in unse­rem Bewußtsein haben, nur dahinter mit den Gedanken. Die Kraft aber, zu denken, die haben wir aus unserem vorgeburtlichen Leben beziehungsweise aus dem Leben vor unserer Empfängnis. Warum ist es denn nun, daß wir durch diese Kraft hinter den Sinnesteppich kommen?

Versuchen Sie nur einmal, sich recht vertraut zu machen mit dem Gedanken, den ich eben angeschlagen habe, versuchen Sie sich die Frage ordentlich vorzulegen auf Grundlage dessen, was wir nun gerade wie­derum angedeutet haben, was wir in vielen Zusammenhängen schon betrachtet haben. Warum ist es so, daß wir hinter den Sinnesteppich mit unseren Gedanken hinuntergelangen, wenn unsere Gedanken doch aus unserem vorgeburtlichen Leben stammen? Sehr einfach: weil dahinter

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dasjenige ist, was gar nicht in der Gegenwart ist, sondern was in der Vergangenheit ist, was der Vergangenheit angehört. Das, was unter dem Sinnesteppich ist, ist in der Tat ein Vergangenes, und wir sehen das nur richtig, wenn wir es als ein Vergangenes anerkennen. Die Vergan­genheit wirkt herein in unsere Gegenwart, und aus der Vergangenheit heraus sprießt dasjenige, was uns in der Gegenwart erscheint. Stellen Sie sich eine Wiese vor, die beblumt ist. Sie sehen das Gras als grüne Decke, Sie sehen die blumige Ausschmückung der Wiese. Das ist Gegen­wart, aber das wächst aus der Vergangenheit hervor. Und wenn Sie durch das hindurchdenken, dann haben Sie darunter nicht eine atomi­stische Gegenwart, dann haben Sie in Wirklichkeit darunter die Ver­gangenheit als verwandt mit dem, was von Ihnen selber aus der Ver­gangenheit herstammt.

Es ist interessant: Wenn wir über die Dinge nachzudenken be­ginnen, so enthüllt sich uns von der Welt gar nicht die Gegenwart, sondern es enthüllt sich die Vergangenheit. Was ist Gegenwart? Die Gegenwart hat gar keine logische Struktur. Der Sonnenstrahl fällt auf irgendeine Pflanze, er glänzt dort; im nächsten Augenblick, wenn die Richtung des Sonnenstrahls eine andere ist, glänzt es nach einer andern Richtung. Das Bild ändert sich in jedem Augenblick. Die Gegenwart ist eine solche, daß wir sie nicht umfassen können mit Mathematik, nicht mit der bloßen Gedankenstruktur. Was wir mit der bloßen Ge­dankenstruktur umfassen, ist Vergangenheit, die in der Gegenwart fortdauert.

Das ist etwas, was dem Menschen sich enthüllen kann als eine große, als eine bedeutsame Wahrheit: Denkst du, so denkst du im Grunde ge­nommen nur die Vergangenheit; spinnst du Logisches, denkst du im Grunde genommen über dasjenige nach, was vergangen ist. - Wer diesen Gedanken erfaßt, der wird auch in dem Vergangenen keine Wunder mehr suchen. Denn indem sich das Vergangene in die Gegen­wart hereinspinnt, muß es eben in der Gegenwart sein wie es als Ver­gangenes ist. Denken Sie, wenn Sie gestern Kirschen gegessen haben, so ist das eine vergangene Handlung; Sie können sie nicht ungeschehen machen, weil sie eine vergangene Handlung ist. Wenn aber die Kir­schen die Gewohnheit hätten, bevor sie in Ihrem Munde verschwinden,

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zuerst ein Zeichen irgendwohin zu machen, so würde dieses Zeichen bleiben. Sie könnten an diesem Zeichen nichts ändern. Wenn da jede Kirsche, nachdem Sie gestern Kirschen gegessen haben, ihre Vergangen­heit in Ihren Mund hineinregistriert hätte, und nun einer kommen würde und fünf ausstreichen wollte, könnte er sie zwar ausstreichen, aber die Tatsache würde sich nicht ändern. Ebensowenig können Sie irgendein Wunder verrichten in bezug auf alles, was Naturerscheinun­gen sind, denn die sind alle Hereinragungen aus dem Vergangenen. Und alles, was wir mit Naturgesetzen umfassen können, ist schon ver­gangen, ist kein Gegenwärtiges mehr. Das Gegenwärtige können Sie nicht anders als durch Bilder erfassen, das ist ein Fluktuierendes. Wenn ein Körper hier aufleuchtet, so entsteht ja ein Schatten. Sie müssen ge­wissermaßen den Schatten sich richtig begrenzen lassen und so weiter. Sie können den Schatten konstruieren. Daß der Schatten wirklich ent­steht, das kann nur durch die Hingabe an das Bild eruiert werden. So daß man sagen kann: Schon im gewöhnlichen Leben bezieht sich das Begrenzen, ich könnte auch sagen, das logische Denken, auf die Ver­gangenheit. Und die Imagination, die bezieht sich auf die Gegenwart. In bezug auf die Gegenwart hat der Mensch immer Imaginationen.

Denken Sie doch nur einmal, wenn Sie logisch leben wollten in der Gegenwart! Nicht wahr, logisch leben heißt, einen Begriff aus dem andern hervorholen, gesetzmäßig von einem Begriff zum andern über­gehen. Nun, versetzen Sie sich nur einmal ins Leben. Sie sehen irgend­ein Ereignis: ist das nächste logisch darangegliedert? Können Sie das nächste Ereignis logisch aus dem vorhergehenden ableiten? Wenn Sie das Leben überblicken, ist es nicht in seinen Bildern ähnlich wie der Traum? Die Gegenwart ist ähnlich wie der Traum, und nur daß sich in die Gegenwart die Vergangenheit hineinmischt, das bewirkt, daß diese Gegenwart gesetzmäßig verläuft, logisch verläuft. Und wenn Sie irgend etwas Zukünftiges in der Gegenwart erahnen wollen, ja, wenn Sie nur irgend etwas denken wollen, was Sie in der Zukunft verrichten wollen, dann ist das ja zunächst ganz ungegenständlich bei Ihnen vorgegangen. Was Sie heute Abend erleben werden, steht nicht als Bild in Ihnen, sondern als etwas, was unbildlicher als ein Bild ist. Es steht höchstens als Inspiration in Ihnen. Die Inspiration bezieht sich auf die Zukunft.

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Logisches Denken: Vergangenheit

Imagination: Gegenwart } Intuition

Inspiration: Zukunft

Wir können uns auch durch ein einfaches Schema klarmachen, um was es sich da handelt.Wenn der Mensch - ich will ihn hier durch dieses Auge charakterisiert haben (siehe Zeichnung Seite 198) - auf den Sinnes-teppich hinblickt, so sieht er ihn in seinen sich verwandelnden Bildern, aber er kommt jetzt und bringt Gesetze in diese Bilder hinein. Er bildet sich eine Naturwissenschaft aus den wechselnden Bildern der Sinnes-welt. Er bildet sich eine Fachwissenschaft. Aber denken Sie einmal nach, wie diese Naturwissenschaft ausgebildet wird. Man untersucht, man untersucht denkend. Sie können unmöglich, wenn Sie eine Wissen­schaft ausbilden wollen über das, was sich als Sinnesteppich ausbreitet, eine Wissenschaft, die in logischen Gedanken verläuft, diese logischen Gedanken aus der Außenwelt heraus gewinnen. Wenn das, was als Gedanken - und Naturgesetze sind ja auch Gedanken -, wenn das, was als Gesetze der Außenwelt erkannt wird, aus der Außenwelt selbst folgte, ja, dann wäre ja nicht notwendig, daß wir irgend etwas lernten über die Außenwelt, dann müßte derjenige, der zum Beispiel sich dieses Licht da ansieht, ganz genau die elektrischen Gesetze und so weiter wissen, wie der andere, der es gelernt hat! Ebensowenig weiß der Mensch, wenn er es nicht gelernt hat, irgend etwas, sagen wir über die Beziehung eines Kreisbogens zum Radius und so weiter. Da bringen wir die Gedanken, die wir in die Außenwelt hineintragen, aus unserem Inneren hervor.

Ja, es ist so: Dasjenige, was wir als Gedanken in die Außenwelt hin-eintragen, bringen wir aus unserem Inneren hervor. Wir sind zunächst dieser Mensch, der als Hauptesmensch konstruiert ist. Dieser sieht auf den Sinnesteppich hin. Im Sinnesteppich drinnen ist dasjenige, was wir durch Gedanken erreichen (siehe Zeichnung Seite 198, weiß) und zwi­schen diesem und zwischen dem, was wir in unserem eigenen Inneren haben, was wir nicht wahrnehmen, ist eine Verbindung, gewisser­maßen eine unterirdische Verbindung. Daher kommt es, daß wir das­jenige, was wir in der Außenwelt nicht wahrnehmen, weil es in uns

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#Bild s. 198

hineinragt, aus unserem Inneren in Form des Gedankenlebens hervor­holen und in die Außenwelt hineinlegen. So ist es schon mit dem Zählen. Die Außenwelt zählt uns gar nichts vor; die Gesetze des Zählens liegen in unserem eigenen Inneren. Aber daß das stimmt, rührt davon her, daß zwischen diesen Anlagen, die da sind in der Außenwelt und unse­ren eigenen irdischen Gesetzen, ein unterirdischer Zusammenhang ist, ein unterkörperlicher Zusammenhang, und so holen wir die Zahl aus unserem Inneren heraus. Die paßt dann zu dem, was draußen ist. Aber der Weg ist nicht durch unsere Augen, nicht durch unsere Sinne, son­dern der Weg ist durch unseren Organismus. Und dasjenige, was wir als Mensch ausbilden, das bilden wir als ganzer Mensch aus. Es ist nicht wahr, daß wir durch die Sinne irgendein Naturgesetz erfassen; wir er­fassen es als ganzer Mensch.

Diese Dinge muß man in Erwägung ziehen, wenn man das Ver­hältnis des Menschen zur Umwelt in der richtigen Weise sich zum Gemüte führen will. Wir sind ja fortwährend in Imaginationen drin­nen, und man brauchte nur unbefangen das Leben mit dem Traum zu vergleichen. Wenn der Traum abläuft, so läuft er gewiß sehr chaotisch ab, aber er ist dem Leben viel ähnlicher als das logische Denken. Neh­men wir einen extremen Fall. Wenn Sie - na, ich will sogar eine Unter­haltung unter vernünftigen Menschen der Gegenwart annehmen: Sie

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hören zu, reden selber mit. Denken Sie einmal nach, was da, sagen wir, im Laufe einer halben Stunde hintereinander geredet wird, ob mehr Zusammenhang darinnen liegt, wenn Sie es in seiner Aufeinanderfolge betrachten, als im Traume ist, oder ob es ein solcher Zusammenhang ist wie im logischen Denken. Wenn Sie verlangen würden, daß sich da logisches Denken entwickelt, dann würden Sie wahrscheinlich zu großen Enttäuschungen kommen. Die gegenwärtige Welt tritt uns durchaus in Bildern entgegen, so daß wir eigentlich im Grunde ge­nommen fortwährend träumen. Die Logik müssen wir ja erst hinein­bringen. Die Logik entringen wir uns aus unserer Vorgeburtlichkeit; wir bringen sie erst in den Zusammenhang der Dinge hinein und treffen dadurch auch auf das Vergangene in den Dingen. Die Gegenwart um­fassen wir mit Imaginationen.

Wenn wir dieses imaginative Leben, das uns in der sinnlichen Gegenwart fortwährend umgibt, betrachten, so können wir uns sagen:

Es gibt sich uns dieses imaginative Leben. Wir tun nichts dazu. - Den­ken Sie nur einmal, wie Sie sich haben anstrengen müssen, um zum logischen Denken zu kommen! Das Leben zu genießen, das Leben zu betrachten, haben Sie sich gar nicht anzustrengen brauchen, das ent­hüllt seine Bilder von selbst vor Ihnen. Nun, da haben wir es eben gut im Leben in bezug auf das Bildervorstellen der gewöhnlichen Umwelt. Nichts anderes braucht man aber, als nun auch die Fähigkeit sich zu erwerben, so Bilder zu machen - aber jetzt durch eigene Tätigkeit, wie man es sonst im Denken tut - und Bilder zu erleben durch innere An­strengung, wie es sonst beim Denken geschieht. Dann sieht man nicht nur die Gegenwart in Bildern, dann dehnt man das bildliche Vor­stellen auch aus auf das Leben vor der Geburt oder vor der Empfäng­nis, dann sieht man vor die Geburt hin oder vor die Empfängnis. Und wenn man da in Bildern hineinschaut, dann bevölkert sich das Denken mit den Bildern, und dann wird das vorgeburtliche Leben Realität. Wir müssen uns nur durch Ausbildung derjenigen Fähigkeiten, von denen gesprochen wird in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», angewöhnen können, in Bildern zu denken, ohne daß diese Bilder sich uns, wie das im gewöhnlichen Leben der Fall ist, von selber geben. Wenn wir dieses Bilderleben, in dem wir eigentlich immer

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drinnenstehen im gewöhnlichen Leben, zu einem Innenleben machen, dann schauen wir in die geistige Welt hinein, und dann erblicken wir allerdings die Art und Weise, wie unser Leben eigentlich verläuft.

Heute betrachtet man es ja ziemlich ausschließlich als geistig, wenn jemand - ich habe darüber öfter gesprochen - das materielle Leben richtig verachtet und sagt: Ich strebe zum Geist, Materie bleibt tief unter mir. - Das ist eine Schwäche, denn nur derjenige gelangt wirk­lich zu einem spirituellen Leben, der nicht die Materie unter sich zu lassen braucht, sondern der die Materie selbst in ihrer Wirksamkeit als Geist begreift, der alles Materielle als ein Geistiges und alles Geistige, auch in seiner Offenbarung als Materielles, erkennen kann. Das wird insbesondere bedeutsam, wenn wir auf Denken und Wollen hinblicken. Höchstens noch die Sprache, die ja einen geheimen Genius in sich ent­hält, die hat noch etwas von dem, was auf diesem Felde zur Erkenntnis führt.

Beachten Sie das Wollen in seiner Grundlage im gewöhnlichen Leben: Sie wissen, es geht hervor aus dem Begehren; selbst das idealste Wollen geht aus dem Begehren hervor. Nun, nehmen Sie die gröbste Form des Begehrens. Die gröbste Form des Begehrens, welche ist sie? Der Hunger. Daher ist auch alles, was aus dem Begehren hervorgeht, im Grunde immer verwandt dem Hunger. Aus dem, was ich Ihnen heute andeuten will, können Sie ja entnehmen, daß das Denken der andere Pol ist, er wird sich daher wie das Entgegengesetzte zum Be­gehren verhalten. Wir können sagen: Wenn wir das Begehren dem Wollen zugrunde legen, haben wir dem Denken die Sättigung zu­grunde zu legen, die Gesättigtheit, nicht den Hunger.

Das entspricht eigentlich im tiefsten Sinne dem Tatbestand. Wenn Sie unsere Hauptesorganisation als Menschen nehmen und die andere Organisation, die daran hängt, so ist es in der Tat so: Wir nehmen wahr. Was heißt das, wir nehmen wahr? Wir nehmen wahr durch unsere Sinne. Indem wir wahrnehmen, wird eigentlich fortwährend etwas in uns abgetragen. Es geht etwas von außen in unser Inneres. Der Lichtstrahl, der in unser Auge dringt, der trägt eigentlich etwas ab. Es wird gewissermaßen in unsere eigene Materie ein Loch hineinge­bohrt (siehe Zeichnung Seite 201). Da war Materie, jetzt hat der Lichtstrahl

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ein Loch hineingebohrt, jetzt ist Hunger vorhanden. Dieser Hunger muß gesättigt werden, er wird aus dem Organismus, aus der vorhandenen Nahrung heraus gesättigt; das heißt, dieses Loch füllt sich aus mit der Nahrung, die in uns ist (rot). Jetzt haben wir gedacht, jetzt haben wir dasjenige, was wir wahrgenommen haben, gedacht:

indem wir denken, füllen wir fortwährend die Löcher, welche die Sinneswahrnehmungen in uns bilden, mit Sättigung aus, die aus unse­rem Organismus aufsteigt.

Es ist außerordentlich interessant zu beobachten, wenn wir die Kopforganisation ins Auge fassen, wie wir aus unserem übrigen Or­ganismus heraus durch die Löcher, die da entstehen, durch Ohren und durch Augen, durch die Wärmeempfindungen, da sind überall Löcher, hineinlegen die Materie. Der Mensch füllt sich ganz aus, indem er denkt, indem er dasjenige, was da ausgelocht ist, ausfüllt (rot).

#Bild s. 201

Und wenn wir wollen, so ist es ähnlich. Nur wirkt es dann nicht von außen herein, so daß wir ausgehöhlt werden, sondern da wirkt es von innen. Wenn wir wollen, entstehen überall in uns Höhlungen; die müssen wiederum mit Materie sich ausfüllen. So daß wir sagen können, wir bekommen negative Wirkungen, aushöhlende Wirkungen,

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sowohl von außen wie von innen und schieben fortwährend unsere Materie hinein.

Das sind die intimsten Wirkungen, diese aushöhlenden Wirkungen, die eigentlich in uns das ganze Erdensein vernichten. Denn indem wir den Lichtstrahl empfangen, indem wir den Ton hören, vernichten wir unser Erdendasein. Wir reagieren aber darauf, wir füllen das wiederum mit Erdendasein aus. Wir haben also ein Leben zwischen Vernichtung des Erdendaseins und Ausfüllen des Erdendaseins: luzi­ferisch, ahrimanisch. Das Luziferische ist eigentlich fortwährend be­strebt, partiell aus uns ein Nichtmaterielles zu machen, uns ganz hin­wegzuheben aus dem Erdendasein; Luzifer möchte nämlich, wenn er könnte, uns ganz vergeistigen, das heißt entmaterialisieren. Aber Ahri­man ist sein Gegner; der wirkt so, daß fortwährend dasjenige, was Luzifer ausgräbt, wiederum ausgefüllt wird. Ahriman ist der fort­währende Ausfüller. Wenn Sie den Luzifer plastisch gestalten und den Ahriman plastisch machen, so könnten Sie ganz gut, wenn die Materie durcheinander durchginge, Ahriman immer hineindrängen in die Höhlung

#Bild s. 202

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von Luzifer, oder Luzifer drüberstülpen. Aber da innen auch Höhlungen sind, muß man auch hineinstülpen. Ahriman und Luzifer, das sind die beiden entgegengesetzten Kräfte, die im Menschen wirken. Er selbst ist die Gleichgewichtslage. Luzifer, mit fortwährendem Ent­materialisieren, ergibt fortwährend Materialisieren: Ahriman. Wenn wir wahrnehmen, das ist Luzifer. Wenn wir über das Wahrgenommene denken: Ahriman. Wenn wir die Idee bilden, dieses oder jenes sollen wir wollen: Luzifer. Wenn wir wirklich wollen auf der Erde: Ahriman. So stehen wir zwischen den beiden darinnen. Wir pendeln zwischen ihnen hin und her, und wir müssen uns schon klar sein: Wir sind als Menschen zwischen das Ahrimanische und das Luziferische in der in­timsten Weise hineingestellt. Eigentlich lernt man den Menschen nur kennen, wenn man diese zwei entgegengesetzten Pole an ihm in Be­tracht zieht.

Da haben Sie eine Betrachtungsweise, welche durchaus weder auf ein abstraktes Geistiges bloß geht - denn dieses abstrakte Geistige ist ja ein nebulos Mystisches -, noch auf ein Materielles, sondern alles, was materielle Wirkung ist, ist zu gleicher Zeit geistig. Wir haben es überall mit Geistigem zu tun. Und wir durchschauen die Materie in ihrem Da­sein, in ihrer Wirksamkeit, indem wir überall den Geist hineinschauen können.

Ich habe Ihnen gesagt: Die Imagination kommt uns in bezug auf die Gegenwart von selbst. Wenn wir die Imagination künstlich ausbilden, so schauen wir in die Vergangenheit hinein. Wenn wir die Inspiration ausbilden, schauen wir in die Zukunft hinein, so wie man in die Zu­kunft hinein rechnet, indem man etwa Sonnenfinsternisse oder Mon­denfinsternisse berechnet, nicht in bezug auf die Einzelheiten, aber auf die großen Gesetzmäßigkeiten der Zukunft in einem höheren Grade. Und die Intuition faßt alle drei zusammen. Und der Intuition sind wir eigentlich fortwährend unterworfen, nur verschlafen wir das. Wenn wir schlafen, sind wir mit unserem Ich und mit unserem astralischen Leibe ganz in der Außenwelt drinnen; wir entfalten da jene intuitive Tätigkeit, die man sonst bewußt entfalten muß in der Intuition. Nur ist der Mensch in dieser gegenwartigen Organisation zu schwach, um dann bewußt zu sein, wenn er intuitiert; aber er intuitiert in der Tat

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in der Nacht. So daß man sagen kann: Schlafend entwickelt der Mensch die Intuition, wachend entwickelt er - bis zu einem gewissen Grade natürlich - das logische Denken; zwischen beiden steht Inspira­tion und Imagination. Indem der Mensch aus dem Schlafe herüberkommt ins wachende Leben, gehen sein Ich und sein astralischer Leib in den physischen Leib und in den Ätherleib herein; dasjenige, was er sich da mitbringt, ist die Inspiration, auf die ich Sie schon in den ver­flossenen Vorträgen aufmerksam gemacht habe. Wir können sagen:

Schlafend ist der Mensch in Intuition, wachend im logischen Denken, aufwachend inspiriert er sich, einschlafend imaginiert er. - Sie sehen daraus, daß diejenigen Tätigkeiten, die wir anführen als die höheren Tätigkeiten der Erkenntnis, dem gewöhnlichen Leben nicht fremd sind, sondern daß sie durchaus im gewöhnlichen Leben vorhanden sind, daß sie nur ins Bewußtsein heraufgehoben werden müssen, wenn eine höhere Erkenntnis entwickelt werden soll.

#Bild s. 204

Worauf immer wieder hingewiesen werden muß, das ist, daß in den letzten drei bis vier Jahrhunderten die äußere Wissenschaft eine große Summe von rein materiellen Tatsachen zusammengefaßt und in Ge­setze gebracht hat. Diese Tatsachen müssen erst wiederum geistig durch­drungen werden. Aber es ist gut - wenn ich so sagen darf, obwohl es zunächst paradox klingt -, daß der Materialismus da war, sonst wären

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die Menschen in die Nebulosität herein verfallen. Sie hätten zuletzt überhaupt allen Zusammenhang mit dem Erdendasein verloren. Als im 15. Jahrhundert der Materialismus begann, war nämlich die Mensch­heit im hohen Grade daran, luziferischen Einflüssen zu verfallen, nach und nach immer mehr und mehr ausgehöhlt zu werden. Da kamen eben die ahrimanischen Einflüsse seit jener Zeit. Und in den letzten vier, fünf Jahrhunderten haben sich die ahrimanischen Einflüsse bis zu einer gewissen Höhe entwickelt. Heute sind sie sehr stark geworden und es ist die Gefahr vorhanden, daß sie über ihr Ziel hinausschießen, wenn wir ihnen nicht entgegenhalten dasjenige, was sie gewissermaßen erlahmen macht: wenn wir ihnen nicht das Geistige entgegenhalten.

Aber da handelt es sich darum, daß man gerade für das Verhältnis des Geistigen zum Materiellen das richtige Gefühl entwickelt. Es gibt in der älteren deutschen Denkweise ein Gedicht, das man «Muspilli» genannt hat, das sich zuerst in einem Buche gefunden hat, das Ludwig dem Deutschen im 9. Jahrhundert gewidmet war, das aber natürlich aus viel früherer Zeit stammt. In diesem Gedicht liegt etwas rein Christliches vor: es wird uns der Kampf des Elias mit dem Antichrist vorgeführt. Aber die ganze Art und Weise, wie diese Erzählung ver­läuft, dieser Kampf des Elias mit dem Antichrist, erinnert an die alten Kämpfe der Sagen, der Bewohner von Asgard mit den Bewohnern von Jötunheim, den Bewohnern des Riesenreiches. Es ist einfach das Reich der Asen in das Reich des Elias verwandelt worden, das Reich der Rie­sen in das Reich des Antichrist.

Diese Denkweise, die uns da noch entgegentritt, die verhüllt die wahre Tatsache weniger als die späteren Denkweisen. Die späteren Denkweisen, die reden eigentlich immer von einer Dualität, von dem Guten und Bösen, von Gott und dem Teufel und so weiter. Aber diese Denkweisen, die man in der späteren Zeit ausgebildet hat, stimmen nicht mehr zu den früheren. Jene Menschen, die den Kampf ausgebildet haben zwischen dem Götterheim und dem Riesenheim, die haben in den Göttern nicht dasselbe gesehen, wie es etwa der heutige Christ unter dem Reiche seines Gottes versteht, sondern diese älteren Vorstellungen haben zum Beispiel oben Asgard, das Reich der Götter gehabt, und unten Jötunheim, das Reich der Riesen; in der Mitte entfaltet sich der

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Mensch, Midgard. Das ist nichts anderes als in germanisch-europäischer Art dasselbe, was im alten Persien als Ormuzd und Ahriman vorhan­den war. Da müßten wir nun in unserer Sprache sagen: Luzifer und Ahriman. Wir müßten Ormuzd als Luzifer ansprechen und nicht etwa bloß als den guten Gott. Und das ist der große Irrtum, der begangen wird, daß man diesen Dualismus so faßt, als wenn Ormuzd nur der gute Gott wäre und sein Gegner Ahriman der böse Gott. Das Verhält­nis ist vielmehr das wie von Luzifer zu Ahriman. Und in Mittelgard, da wird in der Zeit, in der dieses Gedicht «Muspilli» abgefaßt ist, noch ganz richtig nicht vorgestellt: Der Christus läßt oben sein Blut her­unterstrahlen -, sondern: Elias ist da, der sein Blut herunterstrahlen läßt. - Und der Mensch wird in die Mitte hineingestellt. Die Vor­stellung war in der Zeit, in der wahrscheinlich Ludwig der Deutsche dieses Gedicht in sein Buch hineingeschrieben hat, noch eine richtigere als die spätere. Denn die spätere Zeit hat das Sonderbare begangen, die Trinität außer acht zu lassen; das heißt, die oberen Götter, die in Asgard sind, und die unteren Götter, die Riesengötter, die im ahri­manischen Reich sind, diese als das All aufzufassen, und zwar die oberen, die luziferischen, als die guten Götter und die andern als die bösen Götter. Das hat die spätere Zeit gemacht; die frühere Zeit hat noch diesen Gegensatz zwischen Luzifer und Ahriman richtig ins Auge gefaßt, und daher so etwas wie den Elias in das luziferische Reich hineingestellt mit seiner emotionellen Prophetie, mit demjenigen, was er dazumal verkündigen konnte, weil man den Christus hineinstellen wollte in Mittelgard, in dasjenige, was in der Mitte liegt.

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Wir müssen wiederum zurück zu diesen Vorstellungen in vollem Bewußtsein, sonst werden wir, wenn wir nur von der Dualität zwischen Gott und dem Teufel sprechen, nicht wiederum zu der Trinität kom­men: zu den luziferischen Göttern, zu den ahrimanischen Mächten und dazwischen zu dem, was das Christus-Reich ist. Ohne daß wir dazu vorrücken, kommen wir nicht zu einem wirklichen Verständnis der Welt. Denken Sie, es ist darin ein ungeheures Geheimnis der geschicht­lichen Entwickelung der europäischen Menschheit, daß der alte Or­muzd zu dem guten Gott gemacht worden ist,während er eigentlich eine luziferische Macht ist, eine Lichtmacht. Dadurch allerdings hat man die Genugtuung haben können, daß man wiederum den Luzifer so schlecht wie möglich machen konnte; weil einem der Luzifername nicht gepaßt hat für den Ormuzd, hat man den Luzifer auf den Ahriman hinge-leitet, hat einen Mischmasch gemacht, der noch bei Goethe in seiner Mephistophelesfigur nachwirkt, indem sich da ja auch Luzifer und Ahriman miteinander vermischen, wie ich ausdrücklich in meinem Büchelchen «Goethes Geistesart» gezeigt habe. Es ist in der Tat die europäische Menschheit, die Menschheit der gegenwärtigen Zivilisation in eine große Verwirrung hineingekommen, und diese Verwirrung geht schließlich durch alles Denken. Sie wird nur wettgemacht dadurch, daß man aus der Dualität wieder in die Trinität hineinführt, denn alles Duale führt zuletzt in etwas, in dem der Mensch nicht leben kann, das er als eine Polarität anschauen muß, in der er den Ausgleich nun wirk­lich finden kann: Christus ist da zum Ausgleich des Luzifer und Ahri­man, zum Ausgleich von Ormuzd und Ahriman und so weiter.

Das ist das Thema, das ich einmal anschlagen wollte und das wir dann in den nächsten Tagen in verschiedenen Verzweigungen weiter­führen wollen.

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ZWÖLFTER VORTRAG Dornach, 16. Juli 1921

Gestern habe ich hier damit geschlossen, daß im Laufe der neueren Zeit eine Verwirrung eingetreten ist in bezug auf die Auffassung, was der in der persischen Dualität sich auslebende Ormuzd-Ahriman eigent­lich ist. Ich habe auch darauf aufmerksam gemacht, wie zurückgegan­gen werden kann zu den älteren europäisch-germanischen Anschau­ungen, wie zum Beispiel in dem Gedichte, das bekanntgeworden ist als «Muspilli»-Gedicht, als das Gedicht von dem Firmament, der Erde, in durchaus christlicher Form der Gegensatz eines oberen, luziferischen, und eines unteren, ahrimanischen Prinzips zum Ausdrucke gekommen ist. Ich sage, in durchaus christlicher Form, denn es ist nicht infiziert worden von demjenigen, aus dessen Seelenverfassung der Gegensatz des Oben und Unten im Sinne des «Muspilli»-Gedichtes geschwunden ist. Es ist nicht vorausgesetzt worden, daß gewissermaßen zu der oberen Geistigkeit das Christus-Prinzip gehört, sondern es ist zu der oberen Geistigkeit das Elias-Prinzip erhoben, und Elias ist es, der da kämpft mit seinem herabträufelnden Blute gegen den Antichrist, was ja nichts anderes ist, als in christlicher Form das ahrimanische Prinzip aus­drückend. Es ist also in diesen älteren europäisch-germanischen Vor­stellungen noch ein deutliches Bewußtsein davon vorhanden, daß man zu unterscheiden habe ein oberes Prinzip und ein unteres Prinzip, obere Kräfte und untere Kräfte, und daß gewissermaßen in dem Christus-Prinzip die Ausgleichung, die Harmonisierung der beiden Prinzipien zu suchen ist. Man wird auch leicht einsehen können, wenn man das Elias-Prinzip nach oben versetzt hat, das Antichristprinzip nach unten, daß dann in dem oberen Prinzip gewissermaßen dasjenige gegeben ist, was nach dem moralischen Impuls der Weltenordnung geht, in dem ahrimanischen Prinzip das, was nach dem intellektuellen Impuls der Weltenentwickelung geht.

In einem solchen Bewußtsein vom Oberen und vom Unteren hat man überhaupt eine Polarität gesehen, die in der Weltenordnung vor­handen ist. Wenn man sagt oben und unten, so ist das ja natürlich in

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einer gewissen Weise auf den Menschen projiziert. Und wir wissen ja, daß der Mensch das Oben und Unten dadurch bestimmt, daß er die wesentlichste Richtung seines Rückgrats vertikal orientiert hat. Da­durch entsteht das Oben und Unten. Das ist also durchaus relativ ge­meint. Aber das, worauf heute hingedeutet wird, ganz abgesehen von dem Oben und Unten, das ist ein gewisser polarischer Gegensatz. Dieser polarische Gegensatz tritt uns ja im Menschen in einer außer­ordentlich komplizierten Weise entgegen. Aber man kann diesen pola­rischen Gegensatz, ich möchte sagen, mehr veräußerlicht, auch in der Welt studieren, und es ist außerordentlich nützlich, die Weltenordnung gewissermaßen so zu betrachten, daß sie einem durch ganz besondere Erscheinungen, in denen sich gewisse Kräfte radikal ausbilden, verrät, welche Geheimnisse eigentlich in ihr walten.

Nun, im Menschen drückt sich ein gewisser Gegensatz weniger deut­lich aus, der Ihnen aber sehr deutlich vor das Auge treten kann, wenn Sie die Organisation nur völlig ins Auge fassen. Geradeso wie der Mensch ist ja natürlich auch das Vogelgeschlecht aus der ganzen Wel­tenordnung herausgewachsen. Aber dieses Vogelgeschlecht, das zeigt uns die in der Welt waltenden Geheimnisse nach einer gewissen Rich­tung hin wesentlich deutlicher, als wir das zunächst beim Menschen sehen können, bei dem wir es erst dann wiederum in einer komplizierte­ren Weise anwenden müssen.

Was ist denn das Charakteristische des Vogelgeschlechtes? Das Cha­rakteristische des Vogelgeschlechtes ist, daß der Vogel vor unsere Wel­tenordnung, insoweit sie uns in der physischen Sphäre gegeben ist, zu­nächst in der Eiform an die äußere Weltöffentlichkeit tritt, wenn ich so sagen darf. Der Vogel tritt in der Eiform vor die Weltöffentlichkeit. Dann muß das Ei zerschlagen werden. Der Vogel entwickelt sich aus dem Ei heraus, und es wird Ihnen ja bekannt sein - denn das werden Sie ja doch wohl schon gesehen haben, wie solch ein Hühnchen aus­sieht, wenn es eben aus dem Ei geschlüpft ist -, es wird Ihnen schon aufgefallen sein, wie eigentlich erst mit dem Ausschlüpfen aus dem Ei so recht lebendig wird das Wachstum dessen, was Federn sind und so weiter. Nun, diesen Gegensatz, wenn ich so sagen darf, des Eidaseins und des äußeren Daseins dann mit den Federn, den finden wir ja beim

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Menschen zunächst nicht so deutlich zum Ausdrucke gekommen. Der Mensch wird ja nicht im Ei in die Weltöffentlichkeit versetzt, und es wird ihm ja auch später erlassen, mit einer solchen Vorbereitung diese Welt zu betreten, daß ihm Federn wachsen. Aber was haben wir da für einen Gegensatz im Vogelgeschlecht in bezug auf die Eiform und auf die spätere Lebensform?

Wenn Sie das Ei ganz äußerlich betrachten, so tritt Ihnen ja natür­lich zunächst die kalkige Schale entgegen. Diese kalkige Schale hat eine gewisse Form. Aber im Grunde genommen können Sie nicht diese kalkige Schale zu etwas Wesentlichem beim Vogel rechnen, denn sonst könnte man sie nicht abfallend haben. Sie kann nicht zu etwas Wesent­lichem beim Vogel gehören. Man kann sie, wenn man trivial spricht, eine Schutzhülle des jungen Wesens nennen. Aber jedenfalls, in die Form des Vogels hinein wirkt ja eigentlich nicht etwas, was in der Kalkschale besonders lokalisiert ist. Wir haben also diese Absonderung der Materie in der äußeren Schale. Diese Absonderung der Materie haben wir wie etwas, was aus der Organisation des Vogels herausge­stoßen wird, wie etwas, was abgeworfen wird, etwas, was gewisser­maßen der Vogel in der späteren Zeit zu seiner Entwickelung nicht brauchen kann; es ist also etwas, was herausgeworfen wird. Es müssen also in dem Wesen dadrinnen Kräfte sein, welche dasjenige, was da im Ei ist, absondern, aus sich herauswerfen.

#Bild s. 210

Wenn man diese ganze Sache betrachtet, so kommt man eigentlich innerhalb dessen, was sich an Naturgesetzlichkeit innerhalb des Irdi­schen darbietet, nicht damit zu Rande. Man muß da zu Hilfe nehmen, was in der «Geheimwissenschaft im Umriß» gesagt ist. In der «Geheimwissenschaft»

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haben Sie ja den Hinweis darauf, wie in einer gewissen Epoche der Entwickelung unserer Erde sich der Mond absondert von der Erde, wie die Materie des Mondes herausgesondert wird aus der Erde. Diesen Prozeß ahmt eigentlich dasjenige nach, was hier statt­findet in einer gewissen Weise. Geradeso wie die Bildungskräfte des ganzen Erdenkosmos einstmals die Mondenkräfte von sich abgesondert haben, so sondert die Materie des Vogels diese Kalkschale ab als etwas, man möchte sagen, Übermineralisches. Und was ist denn das, was da in dieser Kalkschale zunächst drinnen war? (Siehe Zeichnung Seite 210, rot.)

Dasjenige, was in dieser Kalkschale zunächst drinnen war, das ist ja durch diese Kalkschale geschützt gewesen vor den Kräften, die im Umkreis der Erde wirken. Würde das Hühnchen zu früh diesen Kräf­ten ausgesetzt sein, sagen wir, der Sonne zu früh ausgesetzt sein, so würde es ja selbstverständlich absterben. Es würde nicht aushalten die Kräfte, die im Umkreis der Erde sind. Es handelt sich also darum, daß das Wesen, das da durch die Kalkschale geschützt ist, in einer Welt lebt, die eigentlich nicht die irdische ist.

Was ist das für eine Welt, in der dieses durch die Kalkschale ge­schützte Wesen lebt? Diese Welt ist diejenige, die wir durchgemacht haben durch Saturn-, Sonnen- und Mondenentwickelung und die auf­gehört hat, die jetzt als Erdenentwickelung nicht mehr da ist. Es ist eben durchaus die Vergangenheit in dem Gegenwärtigen noch darin­nen. Und wenn wir uns sagen: Alles, was außerhalb einer Eischale ist, gehört zur Erde -, so haben wir in dem, was innerhalb einer Eischale ist, alles das, was nicht zur Erde gehört, was mit der Erde selber nichts zu tun haben will, was gewissermaßen nicht mitmachen will die Erden-entwickelung. Denn es muß erst heranreifen, die Schale zerbrechen und dann reif geworden sein zur Erdenentwickelung.

Hier ist auch der Punkt, wo man auf etwas anderes aufmerksam machen darf. Man darf auf folgendes aufmerksam machen: Nicht wahr, nicht alle Wesen, die veranlagt sind im Ei, werden wirklich ge-boren. Eine ganze Menge von Vogeleiern gehen zugrunde, und gar erst von den Eiern zum Beispiel von Fischen und dergleichen, das geht ja alles zugrunde. Und außerdem - ich weiß nicht, ob es immer opportun

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ist, die Dinge so ganz trocken auseinanderzusetzen, die Menschheit liebt ja, vieles im Unbewußten zu lassen, aber gegenüber den kommen­den Zeiten ist der Menschheit eine gewisse Summe von Erkenntnissen notwendig, und man muß sich eben nicht weiter verschließen vor diesen Erkenntnissen -, außerdem geht ja eine große Zahl von Vogel-eiern auch dadurch zugrunde, daß die Menschen sie essen. Die erreichen ja ihr Ziel nicht. Und es ist nun die Frage: Was geht mit alledem vor, was also einschließlich des letzteren Faktums sich entwickelt vom Ei-inhalt, ohne daß es zum reifen Hühnchen oder reifen Vogel oder reifen Fisch auf der Erde wird, was geht mit alldem vor? - Der gewöhnliche Materialist wird sagen: Nun ja, da schafft die Natur halt unsinnig, ins Blinde hinein, und so und so viel von dem, was die Natur schafft, geht eben einfach zugrunde. - Das ist aber nicht richtig, sondern diejenigen Wesenssubstanzen, die da in der Eischale drinnen sind in irgendeiner Weise, die werden nur nicht reif für das Erdendasein, aber sie sind reif in ihren Kräften für das vorirdische Dasein, für das Dasein, das wir selbst, das die Erdenwesen durchgemacht haben während der Saturn-, Sonnen- und Mondenzeit. Und das ist das luziferische Dasein. Sie wer­den Substanzen, aus denen sich das luziferische Dasein weiter nährt. Alles, was an Eiern zugrunde geht, gibt den Wesenheiten, gibt gewissen geistigen Wesenheiten Nahrung. Nun wollen wir aber dasjenige be­trachten, was die Erde betrifft.

Wir haben also, wenn wir das Vogelgeschlecht betrachten, zunächst das Luziferische in dem Ei-Inhalte gegeben, das, was als solches mit der Erde nichts zu tun haben will, was nicht auf der Erde da sein will, was sich, ich möchte sagen, mit einer Mauer umgibt gegen die Gesetze der Erde, die erst dann eingreifen, wenn dasjenige, was sonst auf der Erde wirkt, Wärme, Licht, die Hülle gesprengt hat.

Und was greift da ein? Da greifen ein die entgegengesetzten Kräfte. Wenn Sie das Vogelei vor sich hinlegen, so können Sie sich sagen: Dadrinnen sitzt in seiner Wesenheit Luzifer. Wenn Sie einem Vogel die Federn auszupfen, dann können Sie sagen: Hier habe ich das reinste Bild der ahrimanischen Richtungskräfte. Da wirken die ahrimanischen Richtungskräfte, auch bei den feinen, daunenhaften Federchen, die Sie beim auskriechenden Küchlein finden. Da haben schon die ahrimanischen

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Kräfte durch die Schale hindurch gewirkt. Sie waren schon im Kampfe mit demjenigen, was sich durchaus nicht von Federn durch­ziehen lassen will. Wenn Sie also das Federkleid des Vogels betrachten, dann haben Sie das reinste Bild des Ahrimanischen.

Daher können Sie sagen: Schaue ich ein Ei an, so verhüllt sich mir Luzifer. Er verrät sich mir nur durch die äußere Gestalt, die er abwirft, durch dasjenige, was an Materie ausgeworfen wird in gewisser Weise. -Was also abfällt, ob es eine Vogeleischale ist, ob es eine Schlangenhaut ist, die abgeworfen wird und so weiter, das ist aus dem luziferischen

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Prinzip, aus den luziferischen Kräften herausgeworfen. In dem, was da abgeworfen wird, kann man noch etwas sehen von der eigentlichen Gestaltung der luziferischen Kräfte. Sie wirken eigentlich, wenn sie rein wirken, in Spiralen. Und in demjenigen, was Sie als Federkleid haben, oder was Sie überhaupt so haben, daß es von außen sich in das Leibliche hineinversetzt, da haben Sie das Ahrimanische. Das wirkt in seinen Richtungskräften tangential. Nehmen Sie einen Pfauen-schwanz und betrachten Sie ihn recht genau und denken Sie sich dabei:

Das ist das reinste Bild von ahrimanischen Richtekräften.

Nun, natürlich müssen Sie sich klar sein darüber, daß überall Luzi­fer und Ahriman ineinander- und durcheinanderwirken, daß wir also nur Bilder davon haben. Aber diese Bilder sind tatsächlich im Vogel­geschlechte am allerschönsten zu haben; denn wir brauchen nur dieses Vogelgeschlecht so zu betrachten, wie ich es eben hingestellt habe.

Nun bleiben aber natürlich die Kräfte, die innerhalb der Eischale sind, im Vogel drinnen auch tätig. Der Vogel hat also diese Kräfte, die da innerhalb der Eischale drinnen waren (rot), ringsherum die ahrima­nischen Kräfte (blau) im Federkleide. Beim Vogel haben Sie auch noch die Möglichkeit, geradezu lokalisieren zu können das Ätherische und

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das Physische. Wenn Sie nämlich all das nehmen, was der Vogel behält von dem Luziferischen, das erst in der Eischale drinnen war, was er da behält an Wachstumkräften, dann haben Sie dasjenige, was dem Äther­leib unterliegt. Also das, was ich rot gezeichnet habe, das sind diese Kräfte, und das unterliegt namentlich der Tätigkeit der Ätherkräfte. So daß man beim Vogel auch sagen kann: Was der Vogel mitbekommt an Erbschaft aus dem Ei, das steht zeitlebens, zeitvogellebens unter dem Einfluß der Lebenskräfte, der ätherischen Kräfte. Und was er sich angliedert als sein Federkleid, das steht zeitlebens unter dem Einfluß der physischen Kräfte (Pfeile). Und das, was dazwischen ist, sein Fleisch, die Muskeln und so weiter, das steht zeitlebens unter dem Ein­fluß der astralischen Kräfte (gelb). Beim Vogel haben wir also eine Möglichkeit, gewissermaßen zu lokalisieren: das Astralische im Fleisch und den Muskeln, das Physische im Federkleide und das Ätherische in demjenigen, was ihm als Wachstumskräfte aus dem Ei-Inhalte bleibt.

Beim Menschen ist das viel komplizierter. Der Mensch lebt nicht äußerlich in einem Ei. Er entwickelt im Leibe der Mutter sein Luzife­risches, das der Vogel noch nach außen trägt. Daher kommt auch noch

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nicht Ahriman über ihn im Leibe der Mutter. Beim Vogel ist das so, daß er gewissermaßen zeigt, wie er das Luziferische, ohne daß es eigentlich

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auf Abwege gerät, herausträgt in die Welt, und wie er auch wie­derum das Ahrimanische annimmt. Beim Menschen können Sie das einzelne an Beispielen mit besonderer Deutlichkeit sich ausprägen sehen. Zwischen den Menschen und dem Vogelgeschlecht können wir ja dann das Säugetiergeschlecht einfügen.

Beim Menschen haben Sie zunächst einen sehr merkwürdigen Unter­schied gegenüber dem Vogel. Nehmen Sie die Vogelbeine. Die Vogel-beine sind in der Regel, wenn Sie die Menschenbeine dagegen betrach­ten, eigentlich recht verkümmerte Organe. Woher mag das kommen, daß der Vogel gerade solche Beine hat, wie er hat? Nehmen Sie Spatzen-beine: Was sind das für jämmerliche Stäbe gegenüber dem, was der Mensch als seine stolzen Beine hat, nicht wahr! Nehmen Sie also diese verkümmerten Vogelbeine - ja, wenn Sie die ganze verkümmerte Ge­stalt des Vogels betrachten, werden Sie sich sagen: Der Vogel ist ja zunächst für das Fliegen berechnet, er hebt sich von der Erde ab, daher auch die Gestalt seiner Beine. Sie sind gewissermaßen nur Andeutungen seiner Zugehörigkeit zur Erde. Der Mensch hebt nicht seine Beine von der Erde ab. Der Mensch kann nicht fliegen. Er setzt seine beiden Beine wie stolze Säulen auf die Erde hin. So wie sie ausgebildet sind, diese Beine, sind sie wesentlich eine Erdengabe. Der Vogel bekommt diese Erdengabe nicht, weil er gar nicht in dieser Weise an die Erde ge­bunden ist, weil er von der Erde abgesondert ist. Und der Mensch ist, indem er diese Erdengabe bekommt, in dieser Erdengabe mehr an die ahrimanischen Kräfte gebunden als der Vogel. Der Vogel bekommt gewissermaßen auch seine ahrimanischen Kräfte nicht so fertig von der Erde her wie der Mensch. Beim Menschen schießt, sproßt Ahriman in die Beine und von da aus in den ganzen übrigen Organismus herauf. Beim Vogel sproßt Ahriman in die Federn.

Nun, wenn Sie sich den Menschen anschauen, wie er mehr für die Erde gebaut ist schon seinen Beinen nach, dann werden Sie wiederum sich sagen können: Warum hat der Mensch keine Federn? - Der Mensch hat keine Federn, weil er eben nicht als Vogel für die Erde gebaut ist. Würde der Mensch in der Luft herumfliegen, würde er eben auch Federn haben, weil dann die ahrimanischen Kräfte von ganz andern Richtungen her auf ihn wirken würden. So hat er nur diese wenigen

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Ansätze des Ahrimanischen, die in den Haaren vorliegen. Das sind die ahrimanischen Ansätze, die er hat. Sie sind im Kopf am stärksten, was schon ein Beweis dafür ist, daß der Kopf beim Menschen sehr viel Ahrimanisches hat, was wir ja auch aus andern Erkenntnissen bereits geschöpft haben.

Wenn Sie die Säugetiere betrachten, so werden Sie sich sagen: Die sind noch mehr an die Erde gebunden als der Mensch. Diese Säugetiere sind auch mit dem an die Erde gebunden, womit der Mensch nicht an die Erde gebunden ist, zum Beispiel mit den vorderen Gliedmaßen; denn die Affen gehen auch nur in seltenen Fällen aufrecht, und das tun selbst die Hunde, wenn sie aufwarten, aber es ist ihnen nicht natürlich. Es ist selbst dem Gorilla nicht natürlich, aufrecht zu gehen, er klettert; es sind wirkliche Greiforgane, sie sind zum Fortbewegen, diese vor­deren Gliedmaßen. Der Mensch ist also halb abgehoben von der Erde, der Vogel ist ganz abgehoben von der Erde, das Säugetier ist mit seinen vorderen Gliedmaßen ebenso wie mit seinen hinteren Gliedmaßen an die Erde gebunden. Es ist also ganz und gar ein Erdenwesen in gewisser Beziehung. Der Mensch macht sich wieder frei von der Erde durch die aufrechte Stellung seines Rückgrats, das Säugetier ist ganz und gar an die Erde gebunden. Danach ist auch die ganze übrige Gestalt des Säuge-tieres gebaut. Das Säugetier hat von der Region, von der der Vogel seine Federn hat, gewissermaßen nur seine Haare, die eigentlich von außen eingebaut sind in den Organismus.

Wenn Sie das alles berücksichtigen, so werden Sie sich sagen: Man kann, wenn man die Beziehungen eines Wesens - eines Säugetieres, Vogels, Menschen, und man könnte jetzt auch auf die andern Wesen übergehen -, man kann, wenn man das Verhältnis dieser Wesen zur Umwelt betrachtet und einen vollständigen Überblick hat, aus dem Verständnisse für das Verhältnis zur Umwelt die Gestalt des Wesens finden. - Sie können sich die Gestalt konstruieren. Sie können sich sagen, der Vogel hat in sich das luziferische Prinzip, welches die Erde ganz und gar nicht mag, daher sondert sich der Vogel in seinem Ei so­lang als möglich von der Erde ab; dann gelangt er dazu, daß die Erde möglichst wenig auf ihn wirkt. Seine Beine bleiben verkümmert, und die die Erde umgebenden Kräfte, die nächsten Kräfte der Erde, die in

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dem Wärmemantel die Erde umgeben, die wirken dann auf den Vogel. Er wird daher diejenige Gestalt bekommen müssen, die er eben hat:

verkümmerte Beine und so weiter. Der Mensch ist an die Erde ge­bunden durch die unteren Gliedmaßen; er macht sich frei. Das Säuge­tier steht mitten drinnen, steht mit vier Säulen auf der Erde auf: es wird aus der Erde herausgebildet. Es sind also die aus der Erde direkt herauswirkenden Kräfte, die vorzugsweise auf das Säugetier wirken.

Solche Dinge hat eine ältere, instinktive Wissenschaft sehr gut ge­kannt. Daher hat sie in dem, was beim Menschen sich am unabhängig­sten von der Erde bildet, weil es eigentlich nur eine Metamorphose des früheren Erdenlebens ist, daher hat eine frühere Anschauung im Kopfe des Menschen einen Vogel, einen Adler gesehen. In dem Gliedmaßen­Stoffwechselmenschen, der ganz zur Erde hin organisiert ist, hat eine frühere Anschauung gesehen einen Ochsen oder einen Stier oder eine Kuh, weil das ein Tier ist, das nun ganz zur Erde hin organisiert ist. In dem mittleren Teile des Menschen, der gewissermaßen das Verbin­dungsglied zwischen dem Adler und der Kuh oder dem Kalb ist, in diesem mittleren Menschen hat man dasjenige gesehen, was allerdings sich loslöst in einer gewissen Weise gerade durch den Stoffwechsel von dem Irdischen; das können Sie daraus sehen, nicht wahr, daß der Löwe einen sehr kurzen Darm hat. Sein Stoffwechselsystem ist außerordent­lich primitiv, dagegen ist sein Brustsystem, sein Herzsystem in ganz besonderer Weise ausgebildet. Daher auch seine Leidenschaft, seine Wut und so weiter. Den Löwen hat die ältere, instinktive Anschauung in dem mittleren Teil des Menschen gesehen. Das waren durchaus An­schauungen, die auf etwas fußten.

Nun müssen wir in einer andern, ich möchte sagen, viel bewußteren Weise wiederum auf diese Dinge zurückkommen. Wir müssen uns zum Beispiel klarwerden, daß wir Menschen mit unserem Ich uns von allen Tieren unterscheiden. Unser Ich ist ja für die weitaus meisten Menschen heute noch ein sehr schlafendes Organ. Wenn man glaubt, das Ich wache sehr stark, so irrt man sich eigentlich. Denn in dem Willen - das habe ich Ihnen schon auseinandergesetzt - schläft der Mensch eigentlich ja auch, und indem das Ich sich willentlich betätigt, haben wir es zu tun nicht mit etwas, was als Ich vor uns steht, sondern

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vielmehr mit etwas, was so vor uns steht, wie eigentlich die Nacht vor uns steht. Wir rechnen, obwohl die Nacht dunkel ist, ja auch mit der Nacht in unserem Leben. Wenn Sie wirklich zurückschauen auf Ihr Leben, dann besteht es nicht nur aus demjenigen, was taghell war, son­dern es besteht auch aus den Nächten. Aber sie sind gewissermaßen immer ausgestrichen aus dem Zeitenverlaufe. Ähnlich ist es mit unse­rem Ich. Unser Ich ist für das gewöhnliche Bewußtsein eigentlich da­durch bemerkbar, daß es für das Bewußtsein nicht da ist; es ist schon da, aber für das Bewußtsein ist es nicht da. Es fehlt einem etwas an der Stelle, und daher sieht man das Ich. Es ist wirklich so, wie wenn man eine weiße Wand hat und eine Stelle nicht mit Weiß bestrichen hat; dann sieht man das Schwarze. Und so sieht man als das Ausgelöschte eigentlich unser Ich im gewöhnlichen Bewußtsein. Und so ist es auch während des Wachens: das Ich ist eigentlich zunächst immer schla­fend; aber es scheint durch als Schlafendes durch die Gedanken, die Vorstellungen und durch die Gefühle, und daher wird das Ich auch im gewöhnlichen Bewußtsein wahrgenommen, das heißt, es wird ver­meint, daß es wahrgenommen werde. Wir können also sagen: Unser Ich wird eigentlich zunächst nicht unmittelbar wahrgenommen.

Nun glaubt eine vorurteilsvolle Psychologie, Seelenlehre, daß dieses Ich eigentlich im Menschen drinnensitzt; da, wo seine Muskeln sind, sein Fleisch ist, seine Knochen sind und so weiter, da sei auch das Ich drinnen. Wenn man das Leben nur ein wenig überschauen würde, so würde man sehr bald wahrnehmen, daß es nicht so ist. Aber es ist schwer, eine solche Überlegung heute vor die Menschen hinzubringen. Ich habe es im Jahre 1911 schon versucht in meinem Vortrage auf dem Philosophenkongreß in Bologna. Aber diesen Vortrag hat ja bis heute keiner noch verstanden. Ich habe da versucht zu zeigen, wie es eigent­lich mit dem Ich ist. Dieses Ich liegt eigentlich in jeder Wahrnehmung, das liegt eigentlich in alldem, was Eindruck auf uns macht. Nicht da-drinnen in meinem Fleische und in meinen Knochen liegt das Ich, son­dern in demjenigen, was ich durch meine Augen wahrnehmen kann. Wenn Sie irgendwo eine rote Blume sehen: in Ihrem Ich, in Ihrem ganzen Erleben, das Sie ja haben, indem Sie an das Rot hingegeben sind, können Sie ja das Rot von der Blume nicht trennen. Mit alldem

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haben Sie ja zugleich das Ich gegeben, das Ich ist ja verbunden mit Ihrem Seeleninhalt. Aber Ihr Seeleninhalt, der ist doch nicht in Ihren Knochen! Ihren Seeleninhalt, den breiten Sie doch aus im ganzen Raume. Also dieses Ich, das ist noch weniger als die Luft in Ihnen, die Sie eben einatmen, noch weniger als die Luft, die vorher in Ihnen war. Dieses Ich ist ja verbunden mit jeder Wahrnehmung und mit alldem, was eigentlich im Grunde genommen außer Ihnen ist. Es betätigt sich nur im Inneren, weil es aus dem Wahrnehmen die Kräfte hineinschickt. Und ferner ist das Ich noch verbunden mit etwas anderem: Sie brau­chen nur zu gehen, das heißt, Ihren Willen zu entwickeln. Da aller­dings geht Ihr Ich mit, beziehungsweise das Ich nimmt an der Be­wegung teil, und ob Sie langsam schleichen, ob Sie laufen, ob Sie im Kieb itzsch ritt sich bewegen oder irgendwie sich drehen und dergleichen, ob Sie tanzen oder springen, das Ich macht alles das mit. Alles was an Betätigung von Ihnen ausgeht, macht das Ich mit. Aber das ist ja auch nicht in Ihnen. Denken Sie, es nimmt Sie doch mit. Wenn Sie einen Reigen tanzen - glauben Sie, der Reigen ist in Ihnen? Der hätte ja gar nicht Platz in Ihnen! Wie hätte der Platz? Aber das Ich ist dabei, das Ich macht den Reigen mit. Also in Ihren Wahrnehmungen und in Ihrer Betätigung, da sitzt das Ich. Aber das ist eigentlich gar nie in Ihnen im vollen Sinne des Wortes, etwa so, wie Ihr Magen in Ihnen ist, sondern das ist eigentlich immer etwas, dieses Ich, was im Grunde außerhalb Ihrer ist. Es ist ebenso außerhalb des Kopfes, wie es außer­halb der Beine ist, nur daß es im Gehen sich sehr stark beteiligt an den Bewegungen, welche die Beine machen. Das Ich ist wirklich sehr stark beteiligt an der Bewegung, welche die Beine machen. Der Kopf aber, der ist an dem Ich weniger beteiligt.

Aber wovon unterscheiden sich des ferneren die Beine beziehungs­weise überhaupt die Gliedmaßen mit dem Stoffwechsel von dem Kopfe? Beim Kopfe ist auch der ätherische Leib und der astralische Leib ver­hältnismäßig selbständig, der Kopf ist am meisten physischer Leib. Dieser Kopf, der also schon ein so alter Kerl ist, daß er aus der vor­hergehenden Inkarnation stammt, der ist am meisten physisch gewor­den, der ist wirklich der ärgste Erdenbewohner. Dagegen bei den Beinen beziehungsweise bei den Gliedmaßen und bei dem Stoffwechsel ist es so,

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daß der ätherische Leib und der astralische Leib innig verbunden sind mit dem physischen Leib. So daß wir sagen können: Bei den Beinen ist es so, daß der ätherische Leib und der astralische Leib verbunden sind mit dem physischen Leib; nur das Ich ist relativ frei von den Bei­nen und nimmt die Beine nur mit, wenn sich die Beine bewegen. Und beim Stoffwechsel ist es auch so: die Stoffwechselorgane sind im we­sentlichen mit dem ätherischen und mit dem astralischen Leib ver­bunden.

Wir können jetzt sagen: Wodurch unterscheidet sich der Kopf des Menschen von dem Stoffwechsel-Gliedmaßenmenschen? - Dadurch, daß der Kopf eigentlich freien Ätherleib, freien Astralleib und freies Ich hat; der Gliedmaßen-Stoffwechselmensch hat nur freies Ich, wäh­renddem der Ätherleib und der Astralleib im Gliedmaßen-Stoffwech­selmenschen an den physischen Leib gebunden sind; sie sind nicht frei von ihm.

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Vielleicht ist Ihnen die Sache noch verständlicher, wenn ich Ihnen das Folgende sage. Denken Sie sich, es fiele Ihrem astralischen Leib

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oder Ihrem Ätherleib, dem Teil, der Ihren Stoffwechsel-Gliedmaßen­menschen zu versorgen hat, einmal ein, sich ebenso zu benehmen, wie sich der Ätherleib und der astralische Leib des Kopfes benehmen: der wollte auch frei werden. Denken Sie, der hätte diese sonderbare Idee, er wollte auch frei werden. Sagen wir zum Beispiel, der astralische Leib Ihres Stoffwechselmenschen wollte sich so benehmen, wie sich sein Kollege, der astralische Leib des Kopfes benehmen darf - er ist nur ein anderer Teil, also sage ich: sein Kollege. Was entsteht da? Da entsteht - was gar nicht sein darf, weil es der Gestalt des Menschen widerspricht - das, daß unser Unterleib ein Kopf werden will, daß er dem Kopfe ähnlich werden will. Und das Eigentümliche ist, was beim Kopfe gesund ist, das macht den Unterleib krank. Im Grunde ge­nommen ist es eine Generaleigenschaft aller Krankheiten des Unter­leibs, daß der Unterleib die Konfiguration des Kopfes annimmt.

Es ist das ja nur ein Spezialfall, was ich zum Beispiel ausgeführt habe für das Karzinom in einem Stuttgarter oder Zürcher Vortrag, wo ich gezeigt habe, daß die Karzinombildung darauf beruht, daß an einem Teil des menschlichen Leibes, wo sich nach innen keine Sinnes­organe ausbilden sollen, plötzlich der astralische Leib anfängt, Sinnes­organe ausbilden zu wollen. Das Karzinom ist ja nur ein an einer un­rechten Stelle sein wollendes Ohr oder Auge. Das wächst hinein. Da will sich ein Ohr oder Auge bilden. Wenn sich also dieser astralische Leib oder auch der Ätherleib des Unterleibes so benehmen will, wie sich der astralische oder der ätherische Leib im Kopfe benimmt, dann entsteht die Krankheit des Unterleibes.

Und umgekehrt, wenn der Kopf auch anfängt - leise fängt er es an bei den migräneartigen Zuständen - so leben zu wollen wie der Unterleib, daß er seinen astralischen Leib oder seinen Ätherleib her-einzieht in seine Angelegenheiten, dann wird der Kopf krank. Wenn er seinen Ätherleib hereinzieht, so entstehen die migräneartigen Zu­stände. Wenn er seinen astralischen Leib hereinzieht, entsteht noch Schlimmeres.

Das sind die Dinge, die Ihnen zeigen, wie kompliziert diese mensch­liche Natur ist. Diese menschliche Natur kann man nicht so studieren, wie es die heutige triviale Wissenschaft macht, sondern man muß sie

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so studieren, daß man sie in all ihrer Komplikation betrachtet, daß man also sich sagt: Der Kopf kann nicht sein wie der Unterleib, denn wenn der Kopf ist wie der Unterleib, kann er nur krank sein. Wenn also zum Beispiel das Großhirn anfängt, zu stark seinen Stoffwechsel zu entwickeln, wenn es anfängt, zu stark Absonderungsprozesse zu ent­wickeln, so entstehen eben Krankheiten. Und diese starken Absonde­rungsprozesse rühren eben davon her, daß der Kopf zu stark seinen Ätherleib in Anspruch nimmt. Sobald aber unser Unterleib sich selbst überlassen wird, wenn er also sozusagen kopfähnlich wird, Anlage kriegt, etwa Sinnesorgane auszubilden, dann bilden sich seine Krank­heiten aus. Sie können also sagen: Der Kopf des Menschen hat freien Ätherleib, freien Astralleib, freies Ich. Der Stoffwechsel-Gliedmaßen­mensch hat gebundenen Ätherleib, das heißt, an die physische Materie gebundenen Ätherleib, gebundenen astralischen Leib und nur freies Ich. Und der mittlere Mensch, der rhythmische Mensch hat gebunde­nen Ätherleib, freien Astralleib und freies Ich.

Kopf: freier Ätherleib,

freier Astralleib, freies Ich

Rhythmischer Mensch: gebundener Ätherleib,

freier Astralleib, freies Ich

Stoffwechsel-Gliedmaßenmensch: gebundener Ätherleib, gebun­dener Astralleib, freies Ich

Hier haben Sie eine Übersicht über die menschliche Konstitution von einem Gesichtspunkte aus, der außerordentlich wichtig ist, denn dadurch bekommen Sie einen Eindruck von dem, wie das Ich eigent­lich gegenüber dem ganzen Menschen etwas Freies hat, wie das Ich eigentlich, und zwar vom Aufwachen bis zum Einschlafen, hinein-wirkt in den Menschen, aber wie es verhältnismäßig immer frei von dem Menschen bleibt, wie es eigentlich verbunden ist mit der äußeren Wahrnehmung sowohl wie mit dem, was der Mensch als äußere Be­wegung macht, wie es aber nicht eigentlich vollständig aufgeht in den

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menschlichen Leib. Worin lebt das Ich des Menschen? Kann man irgendwie das sehen, worin das Ich des Menschen lebt?

Nun, etwas annähernd kann man es schon sehen in dem, was sich entwickelt in den Federn der Vögel. Der Mensch bekommt keine Federn, aber sein Ich lebt in den Kräften, die in unserer Umgebung sind und die beim Vogel die Richtkräfte für seine Federn sind. Darin lebt das Ich äußerlich. Und wir können diese Richtkräfte noch deut­licher sehen. In den Vogelfedern sehen wir sie gewissermaßen festge­halten durch den Vogelkörper; aber diese Kräfte bilden zu gleicher Zeit die Richtlinien für frei sich bewegende Wesen: das sind die In­sekten. Wenn Sie die herumschwirrenden Insekten sehen und sie ima­ginativ erfassen, dann haben Sie in diesem ein Bild von dem, worin Ihr Ich lebt. Denken Sie sich einmal in Ihrer Umgebung herumschwirrende Insekten: Käfer, Fliegen, schöne Schmetterlinge, häßliche Bremsen und Hummeln und alles mögliche; denken Sie sich das alles, was da in den verschiedensten Richtlinien um Sie herumschwebt: da wird äußerlich sichtbar dasjenige, in dem Ihr Ich tatsächlich drinnen lebt. Und es ist mehr als ein bloßes Bild, wenn man sagt: Da leben häßliche Gedanken, wie Hummeln, wie Bremsen, schöne Gedanken wie Schmetterlinge; manches Menschen Gedanken beißen einen wie böse Fliegen und so fort. Nur ist das eine geistig, das andere physisch. Des Menschen Ich lebt eben durchaus in der Umgebung.

Das hat eine außerordentlich starke Tragweite, und es beruht vieles von wirklicher Weltenerkenntnis darauf, daß man dasjenige, was man sieht, richtig taxiert, daß man nicht bloß im allgemeinen von einem Geiste schwefelt und schwabelt, sondern daß man dasjenige, was man in abstrakt-geistiger Form meinetwillen innerhalb seines Ich erlebt, auch im Bilde draußen sehen kann. Denn alles, was geistig vorhanden ist, ist auch im Bilde in der Welt vorhanden. Irgendwo ist das, was bloß geistig vorhanden ist, auch im Bilde vorhanden. Man muß nur richtig das Bild zu taxieren wissen. Und wenn da das Ahrimanische in unser Ich hereinkommt, indem das Ich sich in den Schmetterlingen und in den Vogelfedern dadraußen, das heißt, in den Richtkräften da draußen findet, so hat unser Ich aber wiederum die Fähigkeit, sich allerlei Formen von innen zu bilden. Wir konstruieren uns ja den Kreis,

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wir konstruieren die Eiform, das Dreieck; wir bauen uns auch aus dem Inneren eine Welt auf. Und wenn wir darnach forschen, so werden wir finden: Das sind gerade diejenigen Kräfte, die herausgeworfen werden aus dem luziferischen Prinzip.

Ich habe neulich gesagt: Die Mathematiker, wenn sie den Raum studieren, sollten die Beziehung der Raumdimensionen zum Hühnerei einmal ins Auge fassen; da würde etwas sehr Interessantes herauskom­men. Das ist der Gegensatz: Wir leben mit dem Ich sowohl in den Formen, die wir in dieser Weise in die Welt hineinkonstruieren können, wie in demjenigen, was aus der Welt herauskonstruiert ist. Wir leben auf der einen Seite in dem, was sich im Hühnerei von der Welt ab­schließt durch die Schale, im Luziferischen; wir erleben in demjenigen, was sich einsetzt in dem Vogelleib in den Federn und was herumflattert in den Schmetterlingen und in den Insekten überhaupt, mit unserem Ich die Wahrnehmung und die Teilnahme an unseren Bewegungen.

Ja, wer die verschiedenen wunderbaren Schattierungen der Vogel­welt versteht, der versteht auch manches von der Beschaffenheit der Menschenseele in ihrem Verhältnis zur Welt. Denn was der Vogel in seinem Gefieder nach außen kehrt, was er uns entgegenschimmern läßt, das schimmert durch unser Ich in dem verflimmernden, verschillern­den, verglitzernden Wahrnehmen von außen nach innen.

So muß man versuchen, die Welt mit Hilfe der Bilder zu erfassen. Unsere heutige abstrakte Wissenschaft erfaßt eben das Allerwenigste von der wirklichen Welt.

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DREIZEHNTER VORTRAG Dornach, 17. Juli 1921

Es ist in der Tat sehr vieles von den Gesetzmäßigkeiten, von den Ge­heimnissen des Weltendaseins in dem Bewußtsein der Menschheit da­durch verdeckt worden, daß jene Mißverständnisse eingetreten sind, die ich gestern und vorgestern auseinandergesetzt habe in bezug auf die Auffassung der polarischen Gegensätze des Ormuzd und Ahriman. Vor allen Dingen ist eigentlich nur dadurch der neuzeitliche Materialismus möglich geworden, der die Menschheit erfüllt mit dem Bewußtsein: Es gibt um uns herum Gegensätze, welche durch die heutige gebräuch­liche Wissenschaft erforscht werden und aus denen heraus man das Weltenall wird allmählich begreifen können. - Eine einfache Erwägung kann lehren, daß auf diesem Wege ein Begreifen des Weltenalls niemals möglich sein kann. Denn denken Sie einmal zurück an einiges, das ich ja vor ein paar Wochen hier ausgeführt habe, und setzen Sie es für sich selbst ins rechte Licht, denken Sie daran, wie ja diejenigen Menschen, die heute als naturwissenschaftliche gelten, sich auf den Menschen eigentlich nur beziehen, insofern der Mensch nach seinem Tode Leich­nam ist. Dasjenige, was von den übrigen Naturgesetzen, von dem übri­gen Naturgeschehen den Menschen durchzieht, nachdem er Leichnam geworden ist, das kann zunächst erklärt werden nach den gebräuch­lichen Naturgesetzen. Was aber im Menschen lebt schon zwischen der Geburt und dem Tode, das widerstrebt diesen Naturgesetzen, das wider­setzt sich diesen Naturgesetzen. Und man müßte, wenn man nur einiger­maßen heute nicht nach Vorurteilen, sondern nach wirklichen Urteilen sich richten würde, sich sagen: Der Mensch kämpft zwischen der Ge­burt und dem Tode, eigentlich schon von seiner ersten Embryonal­anlage an, gegen das, was von Naturgesetzen, wie wir sie heute in un­serer Wissenschaft erfassen, beherrscht ist.

Nehmen Sie die umliegende Natur und alles das, was Physik, Che­mie, Physiologie, Biologie und so weiter heute über diese Natur sagen, vergegenwärtigen Sie sich das alles, was so über die Natur gesagt wird und denken Sie dann an den Menschen, wie er lebt zwischen Geburt

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und Tod, dann werden Sie sich sagen: Dieses ganze Leben ist ein Kampf gegen dasjenige Reich, das von diesen Naturgesetzen beherrscht wird. Nur dadurch, daß gewissermaßen die menschliche Organisation von diesen Naturgesetzen nichts wissen will, sie bekämpft, gerade dadurch ist der Mensch Mensch zwischen der Geburt und dem Tode.

Daraus aber können Sie schon ersehen, daß, wenn das menschliche Werden hineingestellt werden soll in das Weltenall, in den Kosmos, es nötig ist, für das Weltenall dann andere Gesetzmäßigkeiten, eine an­dere Art von Werden anzunehmen. Also mit unseren heutigen Natur­gesetzen stellen wir eine Welt vor, in der der Mensch, ja eigentlich auch schon die Pflanze und das Tier gar nicht drinnen sind. Wir wollen aber heute nur den Menschen im Verhältnis zu der übrigen Natur betrach­ten. Der Mensch ist nicht in derjenigen Natur darinnen, welche die heutige Wissenschaft beherrscht. Ja, der Mensch lehnt sich auf mit jedem Atemzuge gegen diese Natur, von der diese Wissenschaft spricht.

Man kann aber dennoch sprechen von dem Kosmos, von dem All, denn aus dem Schoße dieses Kosmos geht ja auch der Mensch hervor, so wie er als physischer Mensch zunächst vor uns steht. Dann müssen wir aber diesen Kosmos eben von anderer Wesenheit denken als das, was wir zum Seeleninhalt haben, wenn wir im Sinne der heutigen Wis­senschaft reden. Wir werden uns einen Begriff machen können von dem, was mit dem Angedeuteten eigentlich gemeint ist, wenn wir uns folgende, durch geistige Wissenschaft konstatierte Tatsache vor die Seele rücken.

Betrachten wir einmal den Moment, in dem der Mensch stirbt, jugendlich stirbt, oder nach Erreichung eines normalen Alters stirbt. Der Leichnam bleibt zurück. Wir können diesen Vorgang vergleichen, und es ist das mehr als ein Vergleich, sagen wir mit dem Häuten der Schlange oder auch mit dem Abwerfen der Schale des jungen Vogel­getiers. Es wird der Leichnam abgeworfen, und dasjenige, was da ab­geworfen wird, wird ebenso von den Naturgesetzen, die wir mit der heutigen Wissenschaft im Sinne haben, aufgenommen, wie zum Beispiel die Schlangenhaut, wenn sie abgeworfen wird, aufgenommen wird von den äußeren Naturgesetzen und sich nicht mehr nach den Wachstums-gesetzen der Schlange richtet. Dasjenige also, was Leichnam wird vom

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Menschen, das wird aufgenommen von den Erdengesetzen. Aber man hat ja als Mensch zwischen Geburt und Tod die menschliche Form, die menschliche Gestalt. Die löst sich auf, die hört auf zu bestehen. Der Leichnam hat in einem gewissen Sinne noch diese Gestalt, aber er hat sie gewissermaßen nur aus Nachahmung, er ahmt diese Gestalt noch nach. Es ist die Gestalt, die der Leichnam hat, nicht mehr dieselbe, die wir während unseres Lebens zwischen Geburt und Tod haben. Denn dieser Gestalt ist eigen, daß sich der Mensch in ihr erfühlt, daß sich der Mensch mit ihr bewegen kann; dieser Gestalt ist eigen eine gewisse Kräftesumme, die sich entfaltet, wenn sich der Mensch bewegt. Das alles ist ja fort, wenn nur der Leichnam noch vorliegt. Das also, was eigentlich dem Leichnam seine Gestalt gibt, das ist vom Leichnam fort, das verschwindet aber schon, wenn der Mensch eben gestorben ist. Der Mensch nimmt das nicht mit. Er nimmt seinen Ätherleib einige Zeit mit - von dem wollen wir zunächst absehen -, aber jedenfalls das, was seine physische Form, seine physische Gestalt ist, nimmt er nicht mit. Er verliert gewissermaßen diese physische Gestalt. Genauer kann man das etwa so ausdrücken: Würde man die Bewegungen, die Regsamkei­ten des Menschen verfolgen, nachdem er seinen Leib verlassen hat, nachdem er durch die Todespforte gegangen ist, so würde man andere Bewegungen und Regungen finden, als diejenigen sind, die die phy­sische Form macht.

Also das, was eigentlich in der physischen Form da ist, das hört für den äußeren Anblick auf, wenn der Mensch durch des Todes Pforte gegangen ist. Der Leichnam hat nur diese Form gehabt, und er behält sie noch. Er verliert sie nach und nach, sie ist ihm nicht mehr eigen. So wie wenn Sie - falls ich einen groben Vergleich gebrauchen darf -eine Topfform haben, und diese über den Teig des Kuchens stülpen:

es hat der Kuchen dann auch die Form, aber er hat nichts von der Topfform, und man kann nicht sagen, daß der Kuchen, den Sie dann haben, diese Form durch seine eigene Materie hat; nein, er hat sie von dem Topf bekommen, der darübergestülpt war. Und so wie dieser Kuchen die Form des Topfes beibehält, wenn Sie den Topf wegnehmen, so behält auch der Leichnam die Form des Menschen bei, wenn diese Form weggenommen wird. Aber diese Form selbst, die eigentlich die

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Form ist, mit der wir herumgehen, die hört auf, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes tritt. Daß wir diese Form haben, daß diese Form sich herausbilden kann aus den Weltengesetzen, wie sich ein Kristall aus den Weltengesetzen herausbildet, das liegt jedoch in den Welten-gesetzen drinnen. So daß wir uns fragen dürfen: Was wird denn aus dieser Form? Und da bekommen wir durch geisteswissenschaftliche Untersuchung die Antwort: Aus dieser Form ernährt sich weiter, erhält sich weiter dasjenige, was Geist ist von der Hierarchie, die wir die Archai nennen, die Urgründe. So daß wir sagen können: Aus der menschlichen Form geht etwas über in das Reich der Archai.

Es ist in der Tat so, daß die physische Form, die wir durch die Ge­burt erhalten und die wir ablegen mit dem Tode, aus dem Reich der Archai, der Urgründe, der Urkräfte herausgeht, daß wir also eigentlich unsere physische Form dadurch haben, daß wir umfangen werden von einem Geiste aus dem Reiche der Archai. Wir stecken in einem Geiste, der aus dem Reiche der Archai drinnen war, der nun wiederum zurück­zieht dasjenige, was er uns geliehen hat während unseres Lebens.

Sehen Sie, es ist wiederum so etwas, wodurch man erkennt, wie man eigentlich dem ganzen Kosmos angehört. Es ist schon so, daß gewisser­maßen die Archai ihre Fühlhörner vorstrecken. Wenn das einer der Archai ist, so streckt er sein Gebilde vor:

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das bildet die menschliche Form, dadrinnen ist dann erst der Mensch. Sie können sich Ihr Dasein innerhalb des Kosmos nur richtig vorstel­len, wenn Sie sich gewissermaßen umkleidet vorstellen mit einem Auswuchs

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der Archai. Wenn Sie sich nun vorstellen, daß der Mensch -wie ich das in diesen Tagen ja auch auseinandergesetzt habe - in der lemurischen Zeit als solch ein Wesen, wie es der Erdenmensch ist, erst entsteht und erst allmählich diese Form annimmt, dann bekommen Sie in dem, was man als Beschreibung liefern kann, wie ich sie in der «Ge­heimwissenschaft im Umriß» gegeben habe von der Umgestaltung der menschlichen Form - erinnern Sie sich nur, wie das von mir in der Schilderung der atlantischen Welt beschrieben worden ist -, dann be­kommen Sie dasjenige, was eigentlich die Archai tun; dann bekommt man eine Schilderung, wie die Archai aus ihrem Reiche herunter in das Erdenreich arbeiten, wie sie die menschliche Gestalt metamorphosieren. Dieses Metamorphosieren der menschlichen Gestalt von der lemuri­schen Zeit bis zu derjenigen Zeit, wo die menschliche Gestalt von der Erde verschwinden wird, ist durchaus etwas, was aus dem Reiche der Archai herunter konstituiert, gestaltet wird. Und indem in einer solchen Weise die Archai an dem Menschen arbeiten, bringen sie zu gleicher Zeit dasjenige hervor, was im wahren Sinne des Wortes der Zeitgeist ist. Denn dieser Zeitgeist hängt innig zusammen mit der Ge­staltung der Menschen, indem gewissermaßen ihre Haut in eine gewisse Form gebracht wird. Der Zeitgeist ist im wesentlichen in der aller-äußersten Empfindungssphäre der Menschen sitzend. Und versteht man das Arbeiten dieser Archai, dann versteht man auch, wie sich nicht nur die menschlichen Gestalten wandeln, sondern wie sich im Laufe des Erdenseins auch die Zeitgeister wandeln.

Nun wissen Sie, daß in der Ordnung der Hierarchien hinter den Archai die Geister der Form liegen, die Exusiai (siehe Aufstellung Seite 236). Wenn Sie aufschauen im Erdendasein von dem, was den Menschen konstituiert zu seiner Form, zu dem, was nun dem ganzen Erdenplaneten von seinem Anfang bis zu seinem Ende eigen ist, dann bekommen Sie etwas Umfassenderes an äußerer kosmischer Gesetz­mäßigkeit als dasjenige, worin schon die menschliche Form ist. Denn, nicht wahr, wir haben ja, indem wir die Erdenentwickelung beschrei­ben, zuerst einen Nachklang der alten Saturnzeit, wir nennen das die polarische Epoche; wir haben einen Nachklang der alten Sonnenzeit, die hyperboräische Epoche, einen Nachklang der alten Mondenzeit,

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die lemurische Epoche. Dann kommt erst die eigentliche Erdenzeit, die erste Erdenzeit, die atlantische Epoche, und jetzt leben wir in der nach-atlantischen Epoche. Der Mensch hat sich in seiner Form erst heraus­gebildet. Die Erde muß umfassendere Gesetze haben, als sie sich bloß in dem Stück der Erdenentwickelung ausdrücken, in welchem der Mensch mit seiner heutigen Form beziehungsweise mit den Metamor­phosen seiner heutigen Form möglich ist. Wir müssen zurückschauen auf den ersten Erdenbeginn, wo der Mensch noch nicht seine Form erlangt hatte, wo er noch als geistig-ätherisches Wesen da war, und wir müssen hinblicken auf dasjenige, was ja auch noch geschehen wird auf der Erde, wenn nach einer Reihe von Jahrtausenden die Menschen von der Erde als physische Wesen verschwunden sein werden. Dann wird ja eine Zeitlang noch die physische Erde weiterbestehen, ja, es werden sie sogar Menschen bewohnen, aber nicht mehr in sichtbaren Menschen­gestalten, sondern als ätherische Wesen.

Nehmen wir diese ganze Gestaltung der Erde einschließlich des Menschen, aber hinausgehend über den Menschen: wenn wir die Ge­setze, von denen ja wirklich unsere heutigen Naturgesetze nur der allerkleinste Teil sind, mit dem geistigen Blick umfassen, dann haben wir darinnen dasjenige, was in das Reich der Exusiai gehört. Aus dem Reich der Exusiai hat sich ebenso herausgestaltet das Irdische, wie sich das Menschliche aus dem Reich der Urkräfte herausgestaltet hat, das Menschliche zusammen mit alldem, was in der Erde sein muß, damit der Mensch überhaupt entstehen kann. So daß wir sagen können: Die irdische Form geht über, wenn sie einmal sich auflösen wird, in das Reich der Exusiai.

Wenn wir nun das zweite Glied der menschlichen Wesenheit be­trachten, den menschlichen ätherischen Leib, so ist es auch so, daß wir ihn durchaus nicht als unser völliges Eigentum ansprechen dürfen, sondern geradeso wie die physische Form eigentlich dem Reich der Archai angehört und wir eingekleidet sind in eine Ausstülpung des Reiches der Archai, so sind wir in bezug auf unseren ätherischen Leib eingekleidet in eine Ausstülpung des Reiches der Erzengel, der Arch­angeloi. So daß wir sagen können: Wenn wir durch des Todes Pforte gehen, behalten wir noch kurze Zeit diesen ätherischen Leib. Wir wissen,

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daß er sich dann auflöst, aber seine Auflösung bedeutet nicht, daß er ins Nichts verschwindet, sondern er geht zurück ins Reich der Arch­angeloi. Die machen wiederum Anspruch auf ihn; die senken gleichsam einen Teil ihres Wesens nach dem irdischen Menschenreich hin und konstituieren dadurch den menschlichen Ätherleib Zeit seines Lebens. Wir können also sagen: Aus dem menschlichen Ätherleib geht etwas über in das Reich der Archangeloi.

Und in bezug auf den astralischen Leib, da ist es allerdings so, daß ja nun ein ähnliches Verhältnis zu dem Reich der Angeloi, der Engel besteht wie in bezug auf die physische Form zum Reich der Archai und in bezug auf den Ätherleib zum Reich der Archangeloi. Unseren astralischen Leib haben wir auch nicht ganz eigen. Er ist eine Aus­stülpung der Engelwesen. So daß wir sagen können: Aus dem mensch­lichen astralischen Leib geht mit dem Tode etwas über in das Reich der Angeloi. Wir haben unseren astralischen Leib auch wie eine Ein-kleidung unseres Wesens aus dem Reich der Angeloi. Also Sie sehen, wie wir eigentlich dadurch, daß wir eine physische Menschenform haben, einen Ätherleib, einen astralischen Leib haben, eingefaßt sind in die Reiche der nächsthöheren Hierarchien. Und dadurch, daß wir an den Erdengesetzen teilnehmen, daß wir als Menschen auf der Erde herumgehen, ein Wollen entwickeln können, Handlungen entwickeln können auf der Erde, kurz, teilnehmen an den Erdengesetzen, dadurch nehmen wir auch teil an dem Reiche der Exusiai, der Geister der Form, der Elohim.

Aber hier tritt ein bedeutsames Moment auf. Wenn Sie Ihre phy­sische Form betrachten in dem Zustande, in welchem Sie schlafend sind: wenn Ihr Leib im Bette liegt, da hat er seine Form; Sie finden diese Form wieder am Morgen. Diese Form ist ja durchaus noch nicht aufgelöst, und da kann man nicht sagen, daß der physische Leib Leich­nam ist, daß der bloß wie beim Topf die Abformung hat, sondern da ist die Form wirklich da. So daß die Archai, indem sie teilnehmen an dieser Form mit dem, was vom Menschen auf der Erde nun einmal als physisches Wesen vorhanden ist, immerfort verbunden sind. Ebenso sind die Archangeloi verbunden mit dem menschlichen Ätherleib Aber anders liegt die Sache mit Bezug auf den menschlichen astralischen

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Leib. Dieser menschliche astralische Leib ist ja vom Einschlafen bis zum Aufwachen keineswegs verbunden mit der physischen Menschen-form; dieser astralische Leib ist gewissermaßen in einer ganz andern Umgebung vom Einschlafen bis zum Aufwachen als vom Aufwachen bis zum Einschlafen. Und da handelt es sich darum, daß, während unweigerlich verbunden ist von der Geburt bis zum Tode das Archai­prinzip mit der physischen Form, das Archangeloiprinzip mit der ätherischen Wesenheit, es mit dem Angeloiprinzip, mit dem Engel-prinzip so ist, daß es gewissermaßen den Menschen begleiten muß von einem Zustand zum andern und wieder zurück. Es muß gewissermaßen dieses Prinzip der Angeloi, diese Wesenhaftigkeit der Angeloi mit­machen den Weg in den Schlafzustand hinein und wieder vom Schlaf­zustande zurück.

Sie sehen, da tritt ein neues Element auf, wenn wir von dem An­gelos reden. Und in der Tat, da handelt es sich darum, daß es von dem Menschen selbst abhängt - von seiner Gesinnung, von seiner Hin­lenkung seiner ganzen Gefühlswelt zur geistigen Welt -, ob der Engel mitgeht, wenn er aus dem physischen Leib und aus dem Ätherleib her-ausgeht in den Schlafzustand hinüber. Bei Kindern geht er mit, aber bei dem Menschen, der eine gewisse Reife erlangt hat, hängt das tat­sächlich von der Gesinnung des Menschen ab, hängt davon ab, ob der Mensch innerlich in seiner Seele eine Verwandtschaft hat mit dem Engel. Und wenn diese Verwandtschaft nicht vorhanden ist, wenn der Mensch nur an das Materielle glaubt, wenn der Mensch nur Gedanken des Materiellen hegt, da geht der Engel nicht mit.

Denn, wenn Sie sich den Vollmenschen denken (siehe Zeichnung Seite 234), die Erde als Ergebnis der Exusiai (rot außen), den mensch­lichen physischen Leib als Ergebnis der Archai (rot innen), den mensch­lichen Ätherleib als Ergebnis der Archangeloi (gelb), jetzt den mensch­lichen astralischen Leib als Ergebnis des Wirkens der Angeloi (blau), wenn Sie sich das alles vorstellen, so können Sie sagen: Solange der Mensch wacht, ist der Engel im Schoße der Erzengel, der Archai, der Exusiai, kurz, der höheren geistigen Wesenheiten. Wenn der Mensch herausgeht aus seinem physischen Leib und aus seinem Ätherleib und er mit materialistischer Gesinnung herausgeht, dann würde ja der Engel

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#Bild s. 234

sein Gebiet, die Zugehörigkeit zu den Erzengeln, zu den Archai, zu den Exusiai, verleugnen, wenn er mitginge. Sie sehen, hier kommen wir in ein Gebiet, wo die menschliche Gesinnung maßgebend ist für ein wich­tigstes Ereignis, für eine wichtigste Tatsache innerhalb des Menschen-lebens, für die Tatsache, ob der Mensch während seines Schlafes teil­haftig ist der Gegenwart des Engels oder nicht.

Man kann heute nicht sagen: Nun, wenn es Engel gibt, so brauchen wir ja im wachen Zustand nicht an sie zu glauben, denn wenn wir schlafen, werden sie sich schon um uns annehmen. - Nein, sie gehen dann nicht mit, wenn sie bei Tag verleugnet werden! Das ist etwas, was sehr tief in die Geheimnisse des Menschendaseins hineinführt und was Ihnen zugleich zeigt, wie des Menschen Gesinnung sich durchaus ebenso hineinstellt in die ganze kosmische Gesetzmäßigkeit, wie, sagen wir, des Menschen Blutkreislauf sich hineinstellt in dasjenige, was die äußere Naturwissenschaft überblickt oder eigentlich auch nicht überblickt.

Der Mensch selbst ist dann ja mit seinem Ich und der Anwartschaft auf ein selbständiges Wesen in dem Ganzen eingeschlossen. Aber zu diesem Ich-Bewußtsein kam ja der Mensch erst im Verlauf des Erden-daseins. Und langsam kam er dazu. Und gehen wir zurück in die alten Zeiten, wo es die sogenannte instinktive Hellsehergabe der Menschheit gab, da hatten noch die Menschen dieses Ich-Bewußtsein vollständig nicht. Wenn diese alten Bewohner der Erde ihre besonderen Schauungen

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hatten, diese instinktiven Schauungen, dann waren das eigent­lich nicht ihre eigenen Schauungen, denn dieses Ich war noch gar nicht erweckt. Das gab sich hin dem, was der Engel dachte, dem, was der Erzengel fühlte, dem, was der Arché wollte. Das lebte im Schoße dieser Wesenheiten. Wir blicken heute auf die wunderbare alte Urweisheit zurück. Aber die ist gar keine menschliche Weisheit im Grunde ge­nommen, sondern sie ist eine Weisheit, die dadurch auf die Erde ge­kommen ist, daß Archai, Archangeloi, Angeloi die Menschen umklei­deten und in die Menschenseelen hereinkamen durch diese Urweisheit, die viel höhere Wesenheiten eigentlich besessen und sich angeeignet haben, bevor die Erde Erde geworden ist. Und der Mensch muß mit Hilfe seines Engels, dem er in der Gesinnung verbunden sein soll, sich erwerben seine eigene Weisheit. Dieser Zeit gehen wir eben entgegen. Und jetzt in diesem Zeitraum, der nun eingetreten ist, wo der Mensch schon immer mehr das Ich erweckt hat, da war der Mensch, wenn er sich nicht durch eigenen Entschluß dazu aufraffte, gewissermaßen ver­lassen von dem, was der Engel, der Erzengel in ihm dachte.

Dadurch aber, daß der Mensch verlassen wurde von diesen Engeln, kam er so recht erst in Verbindung mit dem irdischen Dasein. Und dieses In-Verbindung-Kommen mit dem irdischen Dasein, das ist es, was den Menschen auf der einen Seite frei macht, das ist aber auch das­jenige, was die Notwendigkeit für den Menschen hervorruft, nun aus seiner Kraft wiederum hinaufzustreben zu dem, was den höheren Hier­archien möglich macht, mit dem Menschen, in seinem Bewußtsein zu leben. Dem muß entgegengestrebt werden, daß wir wiederum solche Gedanken bekommen, daß die Engel mit uns leben können. Das sind die Gedanken, die wir nur bekommen können aus der Imagination der Geisteswissenschaft heraus. Und wenn wir dadurch unser ganzes Füh­len zur Welt wiederum orientieren, daß wir solche Gedanken bekom­men, dann können wir wiederum hinaufreichen in das Reich der Arch­angeloi. Der Mensch steht ja jetzt vor der Gefahr, wenn er aufwachend wiederum zurückkehrt in seinen physischen Leib, überhaupt gar nicht zu ahnen, daß er da einen Atherleib hat, und daß in diesem Ätherleib die Substanz der Archangeloi drinnen waltet. Er muß das erst wieder lernen. Und er muß lernen, daß die Urkräfte, die Arohai walten in

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seiner physischen Form. Er muß verstehen lernen den Moment des Ein­schlafens und den Moment des Aufwachens.

Denn der Mensch kam, indem er zu seinem Ich vorrückte, indem dieses Ich erlebt wurde, aus dem Reiche der höheren Hierarchien her­aus. Er wurde ein selbständiges Wesen. Dadurch aber kam er in ein anderes Reich, in das Reich des Ahrimanischen hinein. Das Ich geht, und zwar jetzt namentlich wachend, in das Reich des Ahriman.

Die irdische Form geht in das Reich der Exusiai

Aus der menschlichen Form geht etwas über in das Reich der Archai

Aus dem menschlichen Ätherleib geht etwas über in das Reich der Archangeloi

Aus dem menschlichen astralischen Leib geht etwas über in das Reich der Angeloi

Das Jch geht in das Reich des Ahriman (Maja des Ahriman)

Am stärksten wurde die Gefahr, in das Reich des Ahriman hinein­zuverfallen, etwa im Jahre 333 vor dem Mysterium von Golgatha. Das ist die Zeit, in der man zum bloßen Intellekt, zu der bloßen Logik über­gegangen ist. Dann trat das Mysterium von Golgatha ein, lebte sich alsbald in die Menschheit hinein. Und vom Jahre 333 ab nach dem Mysterium von Golgatha, da begann die Zeit, seit welcher der Mensch bewußt hineinstreben muß in das Reich der höheren Hierarchien.

Allerdings, er hat sich bis jetzt, weil seit dem 15.Jahrhundert an­dererseits der Intellektualismus erst recht eingetreten ist, noch nicht wieder erhoben aus dem ahrimanischen Reiche. Aber dadurch, daß er in dem Intellekt, also nicht in einer Wirklichkeit lebt, lebt er ja eigent­lich im Bilde, er lebt in der Maja. Und das ist sein Glück. Er lebt nicht im wirklichen Reich des Ahriman, sondern er lebt in der Maja des Ahriman, in dem bloßen Schein, in dem Sinne, wie ich das in diesen Tagen ausgeführt habe. Dadurch kann er wiederum heraus und kann wiederum die Umkehr machen. Aber er kann sie eben nur aus Freiheit machen. Denn es ist Maja, es sind Bilder, in denen wir leben; die ganze intellektualistische Kultur ist nur Bild. Seit jener Zeit, seit 333 wurde es in die Freiheit des Menschen gestellt, hinaufzustreben. Die katholische

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Kirche gab sich alle Mühe, das zu verhindern; sie muß nach die­ser Richtung endlich überwunden werden. Der Mensch muß hinauf-streben nach den geistigen Welten.

333 v. Chr.

333 n. Chr.

666

Wenn Sie sich diese zwei Zahlen zusainmenaddieren, bekommen Sie 666. Das ist die «Zahl des Tieres», wo der Mensch am meisten ausge­setzt war, wirklich hinunterzusinken in das Reich der Tiere. Aber er bleibt natürlich dem ausgesetzt, auch nach dem Jahre 333, wenn er, nachdem die Maja des Ahriman eingetreten ist, nicht hinaufstrebt. So handelt es sich darum, daß dadurch, daß wir hineingesegelt sind in das Reich des Ahriman bis zu dessen Maja, wir dadurch freie Wesen ge­worden sind. Das konnte keine Vorsehung, das konnte uns keine Wel­tenweisheit vorenthalten, in das Reich des Ahriman hineinzusegeln, sonst hätte sie uns unfrei gelassen.

Aber bedenken Sie, es ist etwas anderes, ob der Mensch sich eine geistige Gesinnung aneignet und dadurch sein astralischer Leib mit dem Angelos verbunden bleibt, wenn er schlafend ist, oder aber, wenn sich der Mensch keine geistige Gesinnung aneignet, der Angelos nicht mitgeht mit dem schlafenden Menschen, denn dann bringt sich der Mensch aus dem Schlafe dasjenige mit, was Inspiration des Ahriman ist. Und in der Tat, so ist es: Die ganze materialistische Denkweise, dieses ganze Angefülltsein des Menschen mit materialistischen Gedan­ken, sie taucht in der gegenwärtigen Epoche mit immer größerer und größerer Schnelligkeit aus dem Schlafzustande der Menschen auf. Sich schützen kann der Mensch gegen die Tatsache, daß er immer wiederum sich aus dem Schlafe dasjenige mitbringt, was ihn zum Materialismus, das heißt zum Verbundensein mit der Erde, zum Übergehen in die Materie, zur Sterblichkeit in seiner Seele verurteilt, verhüten kann er es nur dadurch, daß er sich mit der Gesinnung durchdringt, die ihn er­füllt, wenn er geisteswissenschaftliche Begriffe aufnimmt. Der Schlaf-zustand ist also an sich etwas, was langsam den Materialismus heraufbringt.

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Aber Ahriman macht auch sonst Anstrengungen, den Menschen von seinem Engel zu entfernen, und immer mehr und mehr häufen sich diese Zustände. 1914 waren sie besonders arg, wo aus ahrimanischen Kräften heraus die Menschen betäubt worden sind, wo ihr Bewußtsein, ihr gerades Bewußtsein ihnen genommen worden ist, so daß sie in Zu­stände gekommen sind, wo der Engel nicht mittat und wo daher die ahrimanischen Einflüsse groß wurden. Aus diesem Grunde war es, warum ich 1914 so vielen Leuten sagte: Man solle nicht glauben, daß zum Beispiel die richtige Ansicht über die Kriegsentstehungl9l4jemals aus äußeren Dokumenten ersichtlich werden könne. Früher konnte man aus den Dokumenten, die in den Archiven waren, irgend etwas erforschen. Was diesmal geschah, geschah tatsächlich mehr geistig, aus der geistigen Welt her, und ein großer Teil derjenigen Menschen, die mitgetan haben dazumal, taten das nicht mit ihrem vollen Bewußtsein, sondern waren hinübergeführt durch ahrimanische Kräfte in Lähmun­gen des Bewußtseins, wo also das Reich der Angeloi nicht mitgetan hat. Es ist die Notwendigkeit vorhanden, wenn man unsere Zeit begreifen will, hinzuschauen auf das Hereinwirken der geistigen Welt in diese unsere Zeit. Es ist durchaus diese Notwendigkeit vorhanden.

Aber es ist noch in vieler anderer Beziehung heute das Bestreben vorhanden, das aus ahrimanischen Untergründen herauskommt, den Menschen gewissermaßen loszulösen von seiner Verbindung mit dem Reiche der Angeloi, Archangeloi, Archai, Exusiai und so weiter, den Menschen an das Ahrimanische heranzuziehen, die ganze Kultur an das Ahrimanische heranzuziehen. Denken Sie nur, wie oft man heute hört - ich habe das ja immer wieder gesagt, seit vielen Jahren erwähnt-, wenn irgendeiner wieder einmal gelogen hat, tüchtig knüppeldick ge­logen hat: Aber er hat das geglaubt, was er gesagt hat, er hat das aus bestem Wissen und Gewissen gesagt. - Ja, das ändert ebensowenig etwas an der objektiven Tatsächlichkeit, wie es etwas ändert, wenn Sie mit bestem Wissen und Gewissen Ihren Finger in die Flamme stecken; da wird Ihnen keine Vorsehung helfen, daß Sie Ihren Finger nicht ver­brennen, wenn Sie ihn auch mit bestem Wissen und Gewissen hinein-stecken. Ebensowenig hilft im Weltenzusammenhange - und es wäre auch traurig, wenn es anders wäre - die Berufung auf das beste Wissen

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und Gewissen. Der Mensch hat nicht etwa die Freiheit, aus bestem Wissen und Gewissen heraus die Unwahrheit zu sagen, sondern der Mensch hat die Verpflichtung, sich darum zu kummern, daß dasjenige wahr ist, was er sagt. Er hat so mit der Welt in Zusammenhang zu stehen, daß dasjenige, was er als Gedanken hegt, aus der Welt heraus geboren ist, daß es nicht in Abschnürung von der Welt einzig und allein bei ihm lebt. Man kann von dem, was man mit bestem Wissen und Gewissen sagt, wenn es nicht wahr ist, nur feststellen, daß man es mit Abschnürung von der Welt sagt. Denn wenn irgendeiner schreibt: Da im Bau steht eine Gruppe, dic hat oben luziferische Merkmale und unten ahrimanische Züge - und wenn dann die andern behaupten, was immer wieder geschieht, er habe es mit bestem Wissen und Gewissen gesagt, so bedeutet dies, daß durch eine solche Gesinnung Ahriman zum Herrscher der Welt erklärt wird. Denn derjenige, der so etwas behaup­tet, hat die Verpflichtung, sich davon zu überzeugen, ob das stimmt, was er sagt, oder nicht! Und es ist ein ahrimanischer Einfluß, wenn das heute selbst in die Jurisprudenz übergegangen ist, wenn man etwas nicht streng verfolgt, was so als Lüge behauptet wird, und sagt, er habe es im guten Glauben, in diesem oder jenem guten Glauben getan. Dieser gute Glaube ist etwas, was eben gerade im schlimmsten Sinne Ver­führung und Versuchung des Ahrimanischen ist. Es gibt im Grunde genommen kein versucherischeres und verführerischeres Wort als die-ses vom guten Glauben. Denn dieser gute Glaube, der ist das Faulbett für die im eminentesten Sinne träge Menschheit, die nicht die Ver­pflichtung fühlt, wenn sie etwas behauptet, sich erst davon zu über­zeugen, ob es wahr ist oder nicht, ob etwas den Tatsachen entspricht oder nicht.

Und derjenige, der gegen das Überhandnehmen des Ahriman wirk­lich im Ernste kämpfen will, im Konkreten kämpfen will, der muß gegen dieses: Irgend etwas ist im guten Glauben gesagt worden - in erster Linie kämpfen; denn durch dieses Berufen auf den guten Glau­ben schnürt sich der Mensch ab von dem objektiven Weltenzusammen-hang. Dasjenige, was in uns so lebt, daß wir uns für befugt halten, es zu behaupten, das muß auch mit dem Weltenzusammenhang überein­stimmen, das darf nicht bloß uns entsprechen; denn was sonst noch in

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der Außenwelt ist, ist von Engeln verlassen, ist dem Ahriman aus­geliefert. Und alles das, was als Unwahrheit im guten Glauben behaup­tet wird, ist etwas, was am stärksten die Menschen in das Ahrimanische treibt, was sie am starken Strick in das Ahrimanische hineinzieht. Und die Berufung auf den guten Glauben bei Unwahrheiten ist heute das beste Mittel, die Weltzivilisation der ahrimanischen Wesenheit auszu­liefern.

Sie sehen, wenn man hineinschaut in dasjenige, was eigentlich die Welt konstituiert, dann muß man so etwas begreifen. Man muß aber nicht nur im allgemeinen phantasieren wie die bloße nebulose Mystik von Angeloi, Archangeloi, Archai und so weiter und bei Theorien blei­ben, sondern man muß die Welt da haben, wo sie konkret ist. Denn es ist in der Tat so, daß die Menschen den Beistand der Welt der Angeloi verlieren, indem sie sich aufs Faulbett des guten Glaubens legen für dasjenige, was sie nicht geprüft haben und was sie dann trotzdem be­haupten.

Diese Dinge zeigen, wie mit dem wirklichen Leben, mit dem un­mittelbar wirklichen Leben dasjenige zusammenhängt, was herausfließt als eine Gesinnung, uns zu durchdringen mit geisteswissenschaftlichen Wahrheiten und Erkenntnissen. Und diese geisteswissenschaftlichen Wahrheiten und Erkenntnisse, sie müssen bis in die Einzelheiten des Lebens herunter ihre Kraft schicken.

Gerade dieses ist es, was viele Leute so erbost macht auf das, was Geisteswissenschaft ist: daß Geisteswissenschaft nicht auch eine Theo­rie ist wie die andern Weltanschauungen, sondern daß sie etwas Leben­diges ist, daß sie von den Menschen fordert, vor allen Dingen solch eine Faulheit zu überwinden - Faulheit im doppelten Sinne - wie diese, die in dem Geltendmachen des guten Glaubens beim Vertreten der Un­wahrheit liegt. Das mögen die Menschen nicht gerne und überall sind die Ausreden rege: Der oder jener hat irgend etwas im guten Glauben behauptet. - Dadurch ist unsere Wissenschaft, vor allen Dingen die historische Wissenschaft, gründlich verdorben. Denn Sie können sich leicht denken, daß solche Leute, die in dieser Weise mit bloßen Behaup­tungen von dem Kaliber, wie ich es Ihnen erzählt habe, vor die Welt hintreten, keinen Glauben verdienen, auch wenn sie irgend etwas anderes

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behaupten, wenn sie zum Beispiel irgendwie äußere Wissenschaft vertreten; dann muß man erst nachprüfen, ob der das von einem an­dern abgeschrieben hat, der noch zu der besseren Generation gehörte, wo man sich noch innerlich verpflichtet fühlte zu dem, was man hin-schrieb. Und wenn Sie sehen, wie heute Menschen offiziell nachahmen diese Frohnmeyers, dann werden Sie sehen, wie groß das Vertrauen zur offiziellen Wissenschaftlichkeit und ihren Vertretern sein kann! Das ist aber das Wichtigste, daß hingeschaut werde auf diese Dinge. Und wünschen möchte man sich, recht sehr wünschen möchte man für die Geisteswissenschaft eine solche Anhängerschaft, die wirklich tief durchdrungen davon wäre, daß heute ein ernstes Sich-Bekennen not­wendig ist zu Erkenntnissen, die einen starken Weltumschwung be­wirken. Denn es geht heute mit kleinen Dingen nicht ab.

Das ist dasjenige, wovon man wünschen möchte, daß es denn doch Platz griffe: daß Anthroposophie sich eine enthusiastische Anhänger­schaft erwerben könnte, die glühend wäre für Realisierung dieser An­throposophie. Ich habe drüben im Bau erwähnt, daß uns heute wieder­um von jener Seite her, wo die Lügen nach Dutzenden gezählt werden können, eine neue, wie man es nennt: sensationelle, das heißt eine Skandalbroschüre angekündigt wird. Die Leute sind am Werk. Warum? Weil die aus ihren schlechten Seelenempfindungen heraus stark enthu­siastisch empfinden können. Sie können stark enthusiastisch lügen. Man muß sich angewöhnen, ebenso stark enthusiastisch die Wahrheit vertreten zu können, sonst werden wir mit der Zivilisation nicht wei­terkommen können, meine lieben Freunde!

Wer heute in der Welt sich umblickt, der muß sich klar darüber sein, daß ernsthaftig der Weg zurück zu den Hierarchien gesucht werden muß, heraus aus der ahrimanischen Umklammerung. Dazu gehört aber, daß man in den Einzelheiten an die Dinge geht. Immer wiederum tauchen die Dinge auf, daß, wenn irgendein ruchloser Gegner kommt und das oder jenes hineinschmeißt in die Welt, selbst unsere eigenen Anhänger noch kommen und sagen: Das muß man noch prüfen, ob der oder jener es nicht aus dieser oder jener Schwäche begangen hat. - In der Anthroposophischen Gesellschaft ist leider immer die Sehnsucht vorhanden, viel mehr dasjenige anzuklagen, was aus der Wahrheit

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heraus spricht, als solche Gegner anzuklagen, die aus ihren Seelenunter-gründen heraus alle Wahrheit in den Kot treten möchten. Solange es noch in der Anthroposophischen Gesellschaft selber Usus ist, immer wieder Mitleid zu haben mit der Lüge, so lange kommen wir nicht vorwärts.

Es muß das immer wiederum von Zeit zu Zeit gesagt werden, daß wir die Lüge als Lüge erkennen müssen; denn die Lüge ist es, in die Ahriman sich verschlüpft, und die Lüge ist es zumeist, die, wenn sie gelogen hat, sich auf den guten Glauben, auf das beste Wissen und Ge­wissen beruft. Ich habe Ihnen Beispiele genug angeführt, wo man auf diesen guten Glauben, auf dieses beste Wissen und Gewissen sich beruft:

prüfen Sie aber die Tatsachen und sehen Sie diesen ahrimanischen Ein­fluß des sogenannten guten Glaubens, der sogar bis in unsere Juris­prudenz hinein unentwegt spielt, so daß man sagen kann, daß bis in die Jurisprudenz die Menschheit von Ahriman ergriffen worden ist. Das sind die Dinge, die ernsthaft ins Auge gefaßt werden müssen. Soll die Anthroposophische Gesellschaft das sein, was sie sein will, dann muß sie von einem glühenden Wahrheitsgefühl durchdrungen werden, denn das ist heute identisch mit einem glühenden Gefühl für den Fortschritt der Menschheit. Alles übrige ist nur erfüllt von dem Willen, der in die Niedergangskräfte hineinführt und immer weiter hineintreibt.

Was ich heute sage, sage ich nicht, um wieder einmal so etwas vor­zubringen, sondern weil die Zeichen der Zeit dazu drängen, daß ein­zelne Menschen solches wissen.

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HINWEISE

Hinweise auf Bände der Gesamtausgabe, bei denen kein Erscheinungsjahr angegeben sind, betreffen vorgesehene Bände.

zu Seite

13 in dem Vortragszyklus: «Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt». Gesamtausgabe Dornach 1959, Bibl.-Nr. 153.

24 Arthur Drews, 1865-1935, Religionsphilosoph, in seinem Werk «Die Christus-Mythe«, Jena 1909, 2.Band 1911.

Friedrich Rittelmeyer, 1872-1938, Mitbegründer der Christengemcinschaft und deren erster Erzoberlenker.

27 Pro Jessor Dr. Friedrich Trauh: Verfasser von «Rudolf Steiner als Philosoph und Theosoph». Tübingen 1919.

31 als ich das letzte Mal.. zu Ihnen sprechen konnte:Am 14. Dezember 1920, »Der Fortgang der Seelen durch die wiederholten Erdenleben. Das sozialgeschicht­liche Leben in seiner Wirklichkeit». Der Vortrag kommt wieder heraus in der Gesamtausgabe im Bande Bibl.-Nr. 202 «Die Brücke zwischen der Weltgeistig­keit und dem Physischen des Menschen - Die Suche nach der neuen Isis, der göttlichen Sophia».

33 Herakleitos, um 500 v. Chr., griechischer Philosoph aus Ephesos.

Anaxagoras, 500-428 v.Chr., griechischer Philosoph in Athen.

38 Homer, 9. Jahrhundert v. Chr., griechischer Dichter.

43 Albert Einstein, 1879-1955, Physiker. Begründer der Relativitätstheorie.

Lord R. B. Haldane, 1856-1928, liberaler Politiker.

46 lernt man den Rhythmus des Physischen in seinem Wesen verstehen: Eine an­dere Nachschrift hat: . . . lernt man das Physische in seinem Wesen verstehen.

57 Gustav Theodor Fechner, 1801-1887, Philosoph. «Professor Schleiden und der

Mond«, Leipzig 1856.

Matthias Jakoh Schleiden, 1804-1881, Botaniker.

62 was wir in den letzten Wochen besprochen haben: Siehe den Vortrag vom

5. Juni 1921, in «Perspektiven der Menschheitsentwickelung». Basel 1958.

das letzte Mal, als ich hier sprach: Siehe den vorigen Hinweis.

66 Aristoteles, 384-322 v. Chr., griechischer Philosoph.

Platon, 427-347 v.Chr., griechischer Philosoph.

74 Thales, um 640-547 v. Chr., griechischer Philosoph aus Milet.

Herakleitos, Anaxagoras: Siehe Hinweis zu Seite 33.

78 Das Werk eines schwedischen Gelehrten: Theodor Svedberg, schwedischer Che­miker. Vermutlich handelt es sich um sein Werk «Die Materie», 1912, deutsch 1914.

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87 Mechthild von Magdeburg, 1212-1294, Mystikerin. Heilige Therese von Jesu, 1515-1582, Mystikerin.

91 Nikolaus Jwanowitsch Lobatschewskij, 1793-1856, russischer Mathematiker. Bernhard Rieman,', 1826-1866, Mathematiker.

96 «Die Philosophie der Freiheit», Grundzüge einer modernen Weltanschauung.

12. Aufl. Gesamtausgabe Dornach 1962, Bibl.-Nr. 4.

98 in öjientlichen Vorträgen: «Grenzen der Naturerkenntnis.» 8 Vorträge, vom

27. September bis 3. Oktober 1920. Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 322.

107 in meinem Wiener Vortragszyklus: Siehe Hinweis zu Seite 13.

111 Meister Eckhart, um 1260-1327, Mystiker.

120 Immanuel Kant, 1724-1804, Philosoph.

126 Hermann Rollett, 1819-1904, österreichischer Dichter und Kunstschriftsteller.

129 Laplacesche Welten formel: Pierre Simon Laplace, 1749-1827, französischer Astronom und Mathematiker.

132 Thomas Alva Edison, 1847-1931, nordamerikanischer Erfinder.

142 Heilige Therese, Mechthild von Magdeburg: Siehe Hinweis zu Seite 87.

147 Professor Dr. Friedrich Traub: Siehe Hinweis zu Seite 27.

150 Albert Einstein: Siehe Hinweis zu Seite 43.

162 über Rezitationskunst schon gesagt: «Die Kunst der Rezitation und Deklama­tion», Gesamtausgabe Dornach 1967, Bibl.-Nr. 281; «Methodik und Wesen der Sprachgestaltung», Gesamtausgabe Dornach 1964, Bibl.-Nr. 280.

164 «Die Geheimwissenschaft im Umriß». Gesamtausg. Dornach 1962, Bibl.-Nr. 13.

166 «Unsere atlantischen Vorfahren»: Abgedruckt in «Aus der Akasha-Chronik». Gesamtausgabe Dornach 1964, Bibl.-Nr. 11.

170 in Stuttgart Vorträge gehalten: «Das Verhältnis der verschiedenen naturwissen­schaftlichen Gebiete zur Astronomie». Stuttgart, 1.-18. Januar 1921, Gesamt­ausgabe Bibl.-Nr. 323.

Claudius Ptolemäus, 87-165, Astronom und Geograph. Nikolaus Kopernikus, 1473-1543, Astronom.

174 Gerold von Gleich, Generalmajor a. D. Trat 1921/22 mit Vorträgen und Bro­schüren gegen Dr. Steiner auf.

Vorträge die dann gedruckt wurden: «Die Mystik im Aufgange des neu­zeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung». Gesamtausgabe Dornach 1960, Bibl.-Nr. 7.

177 aus meinen Wiener Vorträgen vom Frühling 1914: Siehe Hinweis zu Seite 13.

181 René Descartes: Cartesius, 1596-1650, französischer Philosoph und Mathema­tiker.

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184 Eduard Sueß, 1831-1914, Geologe. «Das Antlitz der Erde», 1883-1888.

185 in meinen Mysterien: In «Der Seelen Erwachen», 5. Bild, in «Vier Mysterien-dramen». Gesamtausgabe Dornach 1956, Bibl.-Nr. 14.

Albert Freiherr von Schrenck-Notzing, 1862-1929, Nervenarzt. Vorkämpfer auf dem Gebiet wissenschaftlicher Hypnose- und Suggestionsforschung.

187 Ludwig Anzengruber, 1839-1889, Wiener Schriftsteller.

207 in meinem Büchelchen: «Goethes Geistesart in ihrer Offenbarung durch seinen Faust und das Märchen ». Gesamtausgabe Dornach 1956, Bibl.-Nr. 22.

219 in meinem Vortrage auf dem Philosophenkongreß in Bologna: «Die psycholo­gischen Grundlagen und die erkenntnistheoretische Stellung der Theosophie», 8. April 1911. Abgedruckt in «Philosophie und Anthroposophie», Gesammelte Aufsätze 1904-1918, Gesamtausgabe Dornach 1965, Bibl.-Nr. 35.

222 in einem Stuttgarter. . . Vortrag: 14. Januar 1921. Gesamtausgabe Bibl.-Nr. 76.

241 diese Frohnmeyers: D. L. Johannes Frohnmeyer, Pfarrer, schrieb in seinem Werk «Die theosophische Bewegung, ihre Geschichte, Darstellung und Beurteilung», Stuttgart 1920: »Es wird gegenwärtig in Dornach eine 9 m hohe Statue des Idealmenschen gemeißelt: nach oben mit luziferischen Zügen, nach unten mit tierischen Ahrimans.»

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.