GA 199

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Geisteswissenschaft als Erkenntnis
der Grundimpulse sozialer Gestaltung

Sechzehn Vorträge,
gehalten in Dornach vom 6. August bis 11. September 1920,
und eine Ansprache und ein Vortrag in Berlin
am 17. und 18. September 1920

GA 199

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Inhaltsverzeichnis


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ERSTER VORTRAG Dornach, 6. August 1920

Ich habe auszugehen von der ja sehr erfreulichen Tatsache, daß ich bei meiner Ankunft hier eine große Anzahl von Freunden finden konnte, die neu hier angekommen sind, um sich zu informieren über das, was hier geschehen ist und was von hier aus beabsichtigt wird in unserer anthroposophischen Bewegung. Ich begrüße auf das herzlichste alle die angekommenen Freunde und hoffe, daß sie allerlei Anregungen von ihrem diesmaligen Aufenthalte mitnehmen werden. Es ist ja unter den Freunden, die wir hier wieder sehen können, eine Anzahl solcher, die wir seit Jahren nicht gesehen haben. Und das alles, daß wir seit Jahren manche Freunde nicht sehen konnten, das - mit vielem andern - weist ja hin auf die Schwierigkeiten der Zeit, in der wir leben. Ich selbst komme zurück von einem Stuttgarter Aufenthalte, der mit den mannigfaltigsten, innerhalb unserer anthroposophischen Bewegung gelegenen Aufgaben erfüllt war, der in sich geschlossen hat unter anderem auch den Schluß des ersten Schuljahres der in Stuttgart gegründeten «Waldorfschule». Diese Waldorfschule gehört ja zu denjenigen Einrichtungen, welche im eminentesten Sinne aus unserer anthroposophischen Geistesbewegung heraus gedacht sind. Und was der Abschluß des ersten Schuljahres gezeigt hat, das ist, wie ich glaube, auch dann, wenn man durchaus große Anforderungen stellt, immerhin als etwas Befriedigendes zu bezeichnen. Ich darf das hier aussprechen aus dem Grunde, weil man ja auch wohl solchen Dingen gegenüber objektiv sein kann, auch wenn man mit dem ganzen Herzen daran hängt, und auch dann, wenn man in einer gewissen Weise die Sache selber eingerichtet hat.

Als befriedigend ist vor allen Dingen mit Bezug auf diese Waldorfschule anzusehen, daß die Lehrerschaft es durchaus verstanden hat, erstens sich völlig, so wie es gewollt worden ist, auf anthroposophischen Boden zu stellen. Es sollte dieses Sich-auf-anthroposophischen-BodenStellen so sein, daß - und aus den gegenwärtigen Zeitverhältnissen heraus mußte das sein - die Waldorfschule ja nicht etwa eine Weltanschauungsschule sein sollte, nicht eine Schule, in der man etwa Anthroposophie

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lehrt. Das war ja nicht die Absicht. Wir haben deshalb absichtlich den Religionsunterricht so eingerichtet, daß diejenigen Kinder, deren Eltern wollten, daß sie den evangelischen Unterricht besuchen, von dem evangelischen Pfarrer unterrichtet werden konnten, die katholischen von dem katholischen Pfarrer und nur für diejenigen, welche sich keiner der bestehenden Konfessionen zuzählen wollten, wurde abgesondert von dem übrigen Unterricht eine Art anthroposophischer Religionsunterricht gegeben. Aber außer dem war es durchaus nicht die Absicht, eine Weltanschauungsschule zu begründen, sondern es war die Absicht, was sich an praktischen, pädagogisch-didaktischen Impulsen ergeben kann aus unserer geisteswissenschaftlichen Anschauung und aus unserem geisteswissenschaftlichen Wollen heraus, daß das einmal in Erziehung und im Unterricht der Jugend wirklich angewendet werde. Also in der Handhabung des Unterrichts, in der Handhabung des ganzen Schulwesens, nicht im Inhalte, sollte das Anthroposophische zum Ausdrucke kommen in der besonderen Artung der Pädagogik und Didaktik und der verschiedenen Unterrichtsmethoden. Allerdings, wenn dann der Anthroposoph aus seinem anthroposophischen Wollen heraus den Unterricht befruchtet hat, dann zeigt es sich gerade bei dieser Befruchtung des Unterrichtes, wie belebend Anthroposophie wirkt, wenn sie eben wirklich Tat wird. Ich habe ja immer Gelegenheit gehabt, die Fortschritte während des ersten Schuljahres in der Waldorfschule zu beobachten; ich war ab und zu immer wiederum ein oder zwei Wochen da, konnte den Unterricht kontrollieren, konnte auch sehen, wie die einzelnen Klassen sich entwickeln. Ich konnte zum Beispiel bemerken, wie es unserem Freunde Dr. Stein gelungen war, den Geschichtsunterricht dadurch zu beleben, daß er anthroposophische Impulse in dasjenige hineingebracht hat, was eben schon Geschichtsunterricht für die älteren Schüler ist. Man konnte sehen, wie die Menschenkunde, der anthropologische Unterricht in der fünften Volksschulklasse befruchtet wurde von Fräulein Dr. von Heydebrand dadurch, daß sie nicht jene öde Menschenkunde den Kindern vorbrachte, wie das gewöhnlich in unseren Schulen der Fall ist, sondern daß sie wirklich diese Anthropologie befruchtete aus anthroposophischem Wollen. Und so könnte ich vieles im einzelnen anführen, aus dem Sie ersehen würden,

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wie, ohne daß man auch nur im entferntesten abstrakt Anthroposophie lehrt, gerade die Methodik, die Art der Behandlungsweise von Anthroposophie befruchtet werden kann und wie gerade diese praktische Anwendung anthroposophischen Wollens zeigt, daß tatsächlich Anthroposophie nicht eine abgezogene, abstrakte Weltanschauung bleiben muß, sondern daß sie unmittelbar eingreifen kann in das menschliche Tun, wenn es uns auch leider nur so wenig gestattet ist, in dieses menschliche Tun einzugreifen, sondern immer nur in so eingeschränkten Gebieten und auch eigentlich nur in solchen Gebieten, wie es eben die Waldorfschule ist. Und als wir dann das erste Schuljahr schlossen, da trat etwas auf, was, ich möchte sagen, zunächst auf scheinbar rein Äußerliches deutete, das aber in Wirklichkeit auf etwas sehr Innerliches deutet, wie ich gleich ausführen werde: eine völlige Neuerung trat auf, das waren die Zeugnisse.

Dieses Zeugniswesen ist ja wirklich das Elendeste in unserem Schulwesen, dieses äußerliche Herumtappen der Lehrer, um da die Note 1, 2, 3, 4, 5 und so weiter in die Zeugnisse hineinzuschreiben, das ist im Grunde genommen doch etwas, was in der fürchterlichsten Weise ertötend auf das Schulwesen wirkt. Unsere Zeugnisse sind hervorgegangen aus einer wirklichen Schulpsychologie, aus einer absoluten praktischen Anwendung der menschlichen Seelenkunde. Unsere Lehrer waren am Ende des ersten Schuljahres annähernd so weit, daß sie jedem Kinde ein den Charakterfähigkeiten entsprechendes, die Aussichten für das weitere Fortschreiten individuell bezeichnendes Zeugnis geben konnten. Kein Zeugnis glich dem andern. Keine Ziffernote war darin, sondern aus der individuellen Erkenntnis des Lehrers heraus gegenüber seinem Schüler wurde dem Schüler sein Wesen charakterisiert. Und so intim hatten sich bereits im Laufe des ersten Schuljahres die Lehrer in die Seele des Kindes zu vertiefen gesucht, daß sie jedem Kinde auf dem Zeugnis einen Geleitspruch mitgeben konnten, angemessen dem individuellen Charakter des einzelnen Kindes.

Diese Zeugnisse bilden eine Neuerung. Aber schließen Sie nicht daraus, daß man so etwas ohne weiteres irgendwo einführen kann, daß man es ohne weiteres irgendwo nachmachen kann, sondern das beruht tatsächlich auf dem ganzen Geiste der Waldorfschule, beruht darauf,

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daß in der Waldorfschule im ersten Schuljahr in der intensivsten Weise Schulpsychologie getrieben worden ist. Sorgfältig wurde von uns studiert, woher gewisse intime Erscheinungen in dem schnelleren oder langsameren Vorwärtskommen einer Klasse kommen. Und man kam schon im Laufe des ersten Schuljahres auf Dinge, die in gewisser Beziehung überraschend sind. So zum Beispiel stellte sich heraus, daß die ganze Konfiguration der Klasse eine ganz bestimmte ist, wenn der Zahl nach gleichviel Knaben und gleichviel Mädchen in der Klasse sind. Ganz anders stellt sich die Konfiguration, wenn die Majorität Knaben, die Minorität Mädchen sind, und umgekehrt wiederum, wenn die Majorität Mädchen, die Minorität Knaben sind. Wir haben alle Beispiele in unseren Klassen gehabt. Diese Imponderabilien, die man sonst gar nicht berücksichtigt, die sind in vieler Beziehung das Wesentliche.

Wenn man gewisse Dinge der Psychologie ausspricht, definieren will, dann sind sie im Grunde genommen schon gar nicht mehr das, um was es sich eigentlich handelt. Und das ist gerade ein großer Unfug in unserer Zeit, daß man die Dinge zu sehr in strammen Wortfolgen zum Ausdruck bringen will. Man kann die Dinge nicht ordentlich studieren, wenn man sie in strammen Wortfolgen zum Ausdruck bringen will. Man muß sich nur bewußt sein, daß dadurch, daß man die Dinge ausdrückt, sie eigentlich immer nur annäherungsweise bezeichnet werden.

Allerdings, wir sind ja immer in einer eigentümlichen Lage, wenn wir von den Ergebnissen unserer anthroposophisch orientierten geisteswissenschaftlichen Bewegung reden. Diese Waldorfschule, deren Lehrerschaft sich im eminentesten Sinne bewährt hat, konnte sich ja nur dadurch bewähren, daß wirklich zunächst die tüchtigsten, für die Pädagogik geeignetsten Menschen zusammengezogen worden sind. Man stößt ja heute leider, wenn man irgend etwas praktisch durchführen will, immer viel mehr als irgend jemand denkt, auf das eine große Hindernis, das ich nur so bezeichnen kann: die Welt ist heute arm an solchen Menschen, die für irgendwelche wirklichen Lebensaufgaben geeignet sind, und die Schwierigkeit würde wesentlich größer, wenn eine zweite Waldorfschule gegründet werden sollte. Da würde die Frage nach den geeigneten, wirklich tüchtigen Persönlichkeiten, die so aus dem Geiste anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft heraus wirken könnten,

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schon wesentlich schwieriger werden, weil man zu der einen [Schule] selbstverständlich alle diejenigen, die wirklich ernsthaft in Betracht kommen, zusammenziehen mußte. Dennoch, es ist einmal auf einem bestimmten Gebiete ganz zweifellos etwas erreicht worden. Aber ich möchte sagen, man sieht da eine Insel. Auf dieser Insel spielte sich ab im Laufe des ersten Schuljahres ein wirklich aus den Fundamenten der Anthroposophie herausgeholtes Unterrichts-Geisteswesen. Aber diese Insel hat Ufer, ist äußerlich begrenzt, und außerhalb dieser Ufer, da liegt die Finanzierung der Schule, da liegen die wirtschaftlichen Verhältnisse der Schule, die selbstverständlich drinnenstehen in dem niedergehenden wirtschaftlich-staatlichen Leben der Gegenwart. Und da beginnt bereits etwas, von dem man sagen muß: da sind die Aussichten nicht so, wie sie sein sollten, deshalb sein sollten, weil man doch solch einer Sache Verständnis entgegenbringen sollte. Aber steht man eigentlich dem, was schließlich die Waldorfschule aus dem Geiste heraus geleistet hat, in gewissem Grade verständnisvoll gegenüber? Zunächst ist von unserem Freunde Molt die Waldorfschule begründet worden, um den Waldorf-Kindern, den Kindern der Waldorf-Astoria-Fabrik, Unterricht zu geben. Nun waren schon im ersten Jahre viele fremde Kinder, die nicht der Waldorf-Astoria-Fabrik angehörten, in dieser Schule; so um zweihundertachtzig werden es gewesen sein. Jetzt sind bereits viele neue angemeldet; natürlich aus der Waldorf-Astoria-Fabrik nicht mehr als schon waren, höchstens diejenigen, die in dem entsprechenden Jahre geboren worden sind, und das sind nicht viele, also nur der Nachwuchs.

Aber wenn alles wirklich gut geht, das heißt, wenn außer den andern auch die wirtschaftlichen Verhältnisse geordnet werden können, dann werden wir nach den jetzigen Anmeldungen schon über vierhundert Kinder in der Waldorfschule haben. Dazu muß gebaut werden, dazu müssen neue Lehrer angestellt werden, es müssen Parallelklassen begründet werden. All das muß geschehen, und es wird in gewissem Sinne eine Art von Kreuzprobe sein, ob das finanzielle Verständnis der Menschen nachkommen wird jenem Verständnisse, das immerhin schon dadurch bekundet worden ist, daß uns so viele Menschen von außen her ihre Kinder bringen. Ich darf wohl betonen, daß es mir immerhin niedlich vorkam, als auf dem Korridor mir eine Mutter eines in der Waldorfschule

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vorhandenen Kindes vorgestellt wurde als die Frau Minister Soundso. Also immerhin auch diejenigen, die mit dem gegenwärtigen Staatswesen so liiert sind, und ähnliche andere Leute, bringen uns ihre Kinder in die Waldorfschule.

Die Dinge sollte man eigentlich auch in sozialer Beziehung einmal eingehender studieren. Man würde vielleicht gerade an solchen Erscheinungen, wie die Waldorfschule eine ist, merken können, was wirklich unserer Zeit not tut.

Das, was sich so handgreiflich in der Waldorfschule geltend machte, das war das Auftreten einer gewissen Oberflächlichkeit, die ja, wie ich oftmals hier ausgeführt habe, ein Charakteristikum gerade unserer Zeit ist. Auch an die Leitung der Waldorfschule ist es selbstverständlich herangetreten, daß da oder dort sich Leute fanden, die nun einmal ein bißchen hospitieren wollten, das heißt, etwas hineinriechen wollten in die Waldorfschule. Aber da kann man nicht viel sehen, denn auf die Einzelheiten kommt es dabei nicht an, sondern es kommt auf den ganzen Geist an, der in der Waldorfschule waltet, und der ist einfach der anthroposophische. Und statt daß die Leute, denen es zu langweilig ist, sich mit anthroposophischen Büchern zu befassen, hineingehen und sich einmal ansehen wollen, wie es in der Waldorfschule zugeht, sollten sie lieber sich in Anthroposophie vertiefen. Denn das, was der Waldorfschule den Geist gibt, die eigentliche Grundlage, das kann man lediglich an dem sehen, was an spirituellen Impulsen dem anthroposophischen Geistesleben zugrunde liegt. Dieses anthroposophische Geistesleben ist ja heute, wie ich für diejenigen, die länger hier sitzen, oftmals ausgeführt habe, eben nicht nur etwas, was sich an den einzelnen wendet, wenn er aus den Lebensnöten und aus den Seelennöten heraus den Aufblick zu den geistigen Kräften der Welt sucht, sondern diese Geisteswissenschaft ist etwas, was heute zu der Not unserer Zeit, zu dem ganzen Niedergang unserer Zeit sprechen muß. Da steht dann allerdings dem Verständnis dessen, was Geisteswissenschaft zu sprechen hat, die besondere Art des Verständnisses entgegen, die ein heutiger Mensch durchschnittlich allem entgegenbringen kann, was vor ihm in geistiger Beziehung auftritt. Es ist ja vielfach notwendig, daß, wenn geisteswissenschaftlich gesprochen wird, im Grunde genommen in einer ganz andern Sprache gesprochen

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werden muß als sonst. Man möchte sagen: Durch die Geisteswissenschaft erhalten die Worte in einer gewissen Beziehung eine neue Bedeutung.

Das zu fühlen, das zu empfinden, das ist durchaus notwendig. Und ich möchte Ihnen heute einiges von dem zeigen, welches Ihnen ersichtlich machen kann, wie notwendig es ist, nicht nur in alten Worten eine etwas andere Weltanschauung hören zu wollen, sondern mit dem Empfinden die Worte anders aufnehmen zu lernen.

Gehen wir von einem bestimmten Falle aus. Wenn heute geredet wird über irgendeine Weltanschauung, so bezeichnet man sie mit einem abstrakten Namen: Materialismus, Idealismus, Realismus, Spiritualismus und so weiter, und man ist einfach der Anschauung, daß man sagen kann: das eine oder das andere ist richtig oder unrichtig. Sagen wir> es ist heute einer Spiritualist. Ein Materialist kommt zu ihm und setzt ihm auseinander, wie er denkt, wie er zum Beispiel sich vorstellt, daß des Menschen Gedanken und Empfindungen ein Produkt des Gehirns sind. Dann wird der Spiritualist sagen: Du denkst unrichtig, ich werde dich logisch widerlegen, oder er wird sagen: Ich werde dich aus den Tatsachen heraus widerlegen. - Kurz, dasjenige, was in Frage kommt, wenn Menschen heute über Weltanschauungsfragen reden, das ist, daß sie das eine als richtig, das andere als unrichtig bezeichnen, daß also etwa der Spiritualist den Materialisten widerlegen will, das heißt, ihm beweisen will, daß er unrecht hat und daß es gut ist, wenn er die richtige Anschauung bekommt, so wie sie der Spiritualist zu haben vermeint.

In einer bloß solchen Lage ist Geisteswissenschaft nicht. Geisteswissenschaft will nicht nur zu einer andern logischen Erkenntnis führen als andere Weltanschauungen, Geisteswissenschaft muß werden, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt, Taterkenntnis. Die Erkenntnis muß in ihr zur Tat werden, zur Tat im ganzen kosmischen Weltzusammenhange. Ich will Ihnen das an bestimmten Beispielen darlegen. Wenn die Menschen, die heute die Welt naiv, aber mit ein wenig materialistischer Empfindung betrachten, die Augen, die Ohren nach außen wenden, Töne hören, Farben wahrnehmen, Wärmeempfindungen haben und dergleichen, dann sehen sie die äußere Sinneswelt. Werden sie dann Wissenschafter oder nehmen sie auch nur in populärer Weise in sich auf, was Wissenschaft sein will, dann werden sie sich gewisse Vorstellungen, gewisse

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Begriffe ausbilden oder auch einfach nur aufnehmen, die durch die Kombination dieser in der Außenwelt gesehenen Farbenelemente, Tonelemente, Wärmeelemente und so weiter entstanden sind. Es gibt ja Leute, die sagen, daß alles, was man zunächst sieht, äußere Erscheinung ist. Aber diese Anschauung, daß alles äußere Erscheinung ist, nehmen die Menschen nicht tief genug. Sie sehen zum Beispiel den Regenbogen. Allerdings, wenn sie den Regenbogen betrachten, sind sie schon durch das, was sie nun einmal schulmäßig gelernt haben, davon überzeugt, daß der Regenbogen nur eine Erscheinung ist, daß man zum Beispiel nicht dahin gehen kann, wo der Regenbogen ist und hübsch das eine Bein zunächst auf die Brücke setzen und so über den Regenbogen als einen festen Gegenstand hinwegmarschieren kann. Die Menschen sind überzeugt, daß sie das nicht können, daß der Regenbogen nur eine Erscheinung, ein Phänomen ist, das aufsteigt und das wiederum abflutet. Aber nur so lange sind sie davon überzeugt, daß sie es da draußen in der Außenwelt mit Erscheinungen zu tun haben, solange sie mit dieser Außenwelt nicht durch ihren Tastsinn, durch ihren Gefühlssinn in Berührung kommen. Sobald sie etwas in der Außenwelt greifen können, dann ist es ihrer Empfindung gemäß nicht mehr in demselben Grade eine Erscheinung, wenn auch die neuere Philosophie das vielfach behauptet hat, aber es ist nicht für die Menschen der Empfindung gemäß eine Erscheinung. Mindestens gelten gefühlsmäßig die Eindrücke des Tastsinnes zum Beispiel als etwas, was eine andere äußere Wirklichkeit verbürgt als zum Beispiel die Erscheinungswirklichkeiten des Regenbogens.

Und dennoch, alles, was wir mit den äußeren Sinnen wahrnehmen, enthält nur Erscheinungswelt, modifiziert vielleicht gegenüber den Erscheinungen des Regenbogens, aber doch nur Erscheinungswelt. Wie weit wir auch den Blick richten, wie weit wir auch hören, was wir auch hören können, was wir auch sonst wahrnehmen können, in der Außenwelt haben wir es überall mit Erscheinungen zu tun, mit Phänomenen. Das habe ich ja schon in meiner Einleitung zum dritten Bande von Goethes naturwissenschaftlichen Schriften darzustellen versucht. In der Außenwelt haben wir es mit einem Gewebe von Erscheinungen zu tun. Und wer es versucht, sei es durch das Experiment, sei es durch irgendwelche

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Kombinationen verstandesmäßiger Art, da draußen im Reiche der Erscheinungen etwas von Materie zu finden, so wie man sich Materie vorstellt, der ist auf dem Holzwege. Es gibt da draußen nichts, was man als Materie auffinden könnte. Da hat man es mit Erscheinungswelt zu tun.

Das ist etwas, was ja, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, aus dem ganzen Geiste der Geisteswissenschaft hervorgeht. Man hat es da draußen mit Erscheinungswelt zu tun. Nun wird derjenige, der heute auf dem Boden einer geläufigen Weltanschauung steht, kommen und sagen: Also ist es unrichtig, daß man die Materie draußen im Reiche der Erscheinungen suchen sollte. - Diese Redeweise kann Anthroposophie nicht teilen. Sie muß anders sagen. Sie muß sagen: Der Mensch kann durch das ganze Gefüge seines Geistes dazu kommen, in dem Gewebe, in dem Wogen der Phänomene, der Erscheinungen Materie suchen zu wollen, da draußen irgend etwas suchen zu wollen von Atomen, Molekülen und so weiter, welche Ruhepunkte sind in der Erscheinung. Die einen stellen sie wie kleine Schrotkörner vor, wenn auch nur ganz kleine, die andern stellen sie vor wie Kraftpunkte und sind sehr stolz darauf, sie so vorzustellen, wieder andere stellen sie vor als mathematische Fiktionen und sind noch stolzer darauf. Darauf kommt es nicht an, ob man sie sich als kleine Schrotkörner oder als Kraftpunkte oder als mathematische Fiktionen denkt, es kommt darauf an, ob man sich die Außenwelt atomistisch denkt. Darauf kommt es an. Es ist aber für den Geisteswissenschafter nicht bloß unrichtig, atomistisch zu denken. Ein solcher Begriff von richtig und unrichtig ist logisch, ist abstrakt, und Geisteswissenschaft hat es mit Realitäten zu tun. ich bitte Sie, das sehr ernst aufzufassen, wenn ich sage: Geisteswissenschaft hat es mit Realitäten zu tun. - Daher müssen gewisse Begriffe, die für die gewöhnliche, heute so abstrakt gewordene Weltanschauung bloße logische Kategorien sind, durch Reales ersetzt werden. Daher sprechen wir in der Geisteswissenschaft nicht bloß davon, daß derjenige etwas Unrichtiges denkt, der in der Außenwelt Atome und Moleküle sucht, sondern wir müssen das Denken, das so vorgeht, als ein ungesundes, als ein krankes Denken auffassen. Den bloß logischen Begriff des Unrichtigen müssen wir ersetzen durch den realen Begriff des Kranken, des Ungesunden. Und wir müssen hindeuten auf eine ganz bestimmte Seelenerkrankung

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wenn sie auch noch so viele Menschen ergriffen hat -, die sich dadurch ausspricht, daß man atomistisch denkt. Und diese Seelenverfassung ist diejenige des Schwachsinns. Es ist für uns nicht bloß logisch unrichtig, atomistisch zu denken, es ist der Ausdruck eines schwachsinnigen Geistes, bloß atomistisch zu denken, das heißt, in der Außenwelt etwas anderes zu suchen als dasjenige, was Phänomene sind, was schließlich gleichwertig ist mit der Erscheinung des Regenbogens. Man hat es verhältnismäßig leicht in andern Weltanschauungen, die Dinge zurechtzurücken: man widerlegt. Man glaubt, etwas getan zu haben, wenn man widerlegt hat. Geisteswissenschaftlich ist damit nicht alles getan, wenn man widerlegt hat, sondern da kommt es darauf an, daß man auf das gesunde und kranke Seelenleben hinweist, auf reale Prozesse, die sich im ganzen Menschen, im Körperlichen, Seelischen und Geistigen darleben. Und atomistisch denken, ist krank denken, ist nicht bloß unrichtig denken. Es ist ein realer ungesunder Prozeß, der sich abspielt im menschlichen Organismus, wenn wir atomistisch denken. Das ist das eine, worüber wir uns klar werden müssen bezüglich der Phänomene der Außenwelt, bezüglich des Erscheinungscharakters der Außenwelt.

Auch in bezug auf unser Inneres müssen wir uns klar werden. Viele Menschen suchen das Geistige im Innern. Zunächst findet man das Geistige im menschlichen Inneren nicht. Die wirklich objektive Betrachtung jeder abstrakten Mystik zeigt das. Was man manchmal Mystik nennt, ja vielleicht nicht manchmal, sondern was man in unserer Zeit sehr häufig Mystik nennt, besteht darin, daß man in sein Inneres hineinbrütet, daß man, wie man sagt, Selbsterkenntnis durch diese in sein Inneres-Hineinbrüten sucht. Was findet man, wenn man solche einseitige Mystik treibt? Gewiß, man findet interessante Dinge. Aber wenn man in den Menschen hineinschaut und einem da jene innerlich so wohlgefälligen Erlebnisse aufsteigen, die man als mystischen Inhalt bezeichnet, was sind sie eigentlich? Nun, das sind gerade die Dinge, welche uns auf das materielle Dasein hinweisen. Materie finden wir nicht in der Außenwelt, wo die Erscheinungen der Sinne sind, Materie finden wir In unserem Inneren. Wir sind jetzt so weit, daß wir diese Dinge in der richtigen Weise charakterisieren können. Da brodelt und kocht im menschlichen Inneren der Stoffwechsel im weitesten Umfange; und die

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Flamme, die der Stoffwechsel schafft, wenn sie ins Bewußtsein heraufschlägt, das ist die einseitige Mystik, von der viele glauben, daß es der Geist ist, den man im Inneren finden kann. Es ist nicht der Geist, es sind die Flammen des Stoffwechsels im Inneren des Menschen. Nicht in der Außenwelt finden wir die Materie, in uns selbst finden wir sie, und gerade durch einseitige Mystik finden wir sie. Daher täuschen sich viele, die nicht materialistisch sein möchten und die aber dieses Nicht-materialistisch-sein-Wollen begleiten mit den Worten, die sie etwa so aussprechen: Da draußen ist die niedere Materie; über die erhebe ich mich und wende mich dem eigenen Inneren zu, da finde ich den Geist. - Nichts vom Geiste zunächst ist weder draußen noch innen. Draußen sind die Erscheinungen, die meInanderwebenden Erscheinungen, und in unserem Inneren ist die Materie, da ist das Kochen und Brodeln der Materie. Und dieses Kochen und Brodeln der Materie läßt die Flammen aufflackern, die ins Bewußtsein hereinschlagen und die Mystik bilden. Mystik ist die innerlich wahrgenommene Körpermaterie des Stoffwechsels. Und diese Mystik ist wiederum nicht etwas, was man logisch widerlegen kann, sondern was man zurückführen muß auf reale Prozesse, wenn der Mensch sich dem Stoffwechsel in einseitiger Weise hingibt. So wie der Glaube, daß man in der äußeren Welt etwas von Materie finden kann, auf Schwachsinn hinweist, also auf eine reale Erkrankung des Geistig-Seelisch-Körperlichen des Menschen, so weist auf eine körperliche Ungesundheit das einseitige Weben in der Mystik hin. Es weist hin auf etwas, das sich ja ein bißchen beleidigend ausnimmt, wenn man es so einfach ausspricht. Aber es muß da ein Ausdruck angewendet werden, der gewissermaßen von jenseits des Hüters der Schwelle gesprochen ist, und dann heißt der Ausdruck «Kindsköpfigkeit». So wie man schwachsinnig wird durch atomistisches Denken über die Außenwelt, so wird man kindsköpfig, wenn man sich einer Mystik hingibt, die den Geist in dem Brodeln des inneren Stoffwechsels spüren will.

Kindsköpfigkeit hat natürlich auch eine gute Seite, denn wenn wir das Kind betrachten, so ist in dem Kinde sehr viel Geist, und Genialität besteht vielfach darin, daß sich der Mensch bis ins spätere Alter den kindlichen Geist bewahrt. Und wenn wir von jenseits der Schwelle die Welt betrachten, so sehen wir, wie der Geist es ist, der im Kinde zum

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Beispiel das Gehirn formt, jener Geist, der schon herauskommt aus der geistigen Welt, wenn wir durch die Konzeption oder Geburt in die physische Welt einziehen. Dieser Geist, der da aus der geistigen Welt herauskommt, der ist im Kinde am meisten tätig, verliert sich später.

Und da ist dann kindsköpfig nicht etwa ein Schimpfwort, sondern da bedeutet es nur, daß es eben der Geist ist, der aus einem fast chaotischen Klumpen heraus das Gehirn formt, der heruntergestiegen ist durch die Tat des Geistes aus der geistigen Welt in die physische Welt. Aber wenn dieser Geist, der eigentlich das Gehirn des Kindes formen soll, später nicht so wirkt, daß er sich hineinergießt in die Logizität, in die Erfahrung, in die Erlebnisse, sondern wenn er dann einseitig wirkt und die einzelnen materiellen Erlebnisse ausschließt, wenn er so weiter wirken will, wie er in den ersten sieben Lebensjahren gewirkt hat, dann wird man statt genial kindsköpfig. Und Kindsköpfigkeit ist ein Charakteristikum einer großen Anzahl von oftmals sehr hochmütigen Mystikern. Sie wollen weben und leben in dem Geist, der eigentlich im kindlichen Organismus tätig sein sollte, der ihnen aber verblieben ist, und den sie nun 1m Bewußtsein, indem sie sich selber außerordentlich viel darauf zugute tun, anstaunen, und während sie die bloße Materie des Stoffwechsels wahrnehmen, glauben sie, eine höhere Geistigkeit in ihrer einseitigen abstrakten Mystik wahrzunehmen.

Wiederum wollen wir nicht bloß den einseitigen Mystiker widerlegen, wenn wir wirklich auf dem Boden einer anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft stehen, sondern wir müssen zeigen, daß es auf einer kranken Konstitution des Geistes, der Seele, des Leibes beruht, wenn der Mensch, einseitig in sein Inneres hineinbrütend, den Geist finden will.

Ich habe Ihnen diese beiden Beispiele, die Ihnen ja hinlänglich aus der anthroposophischen Literatur bekannt sind, hier von einem gewissen Gesichtspunkte angeführt, um Ihnen zu zeigen, wie die Dinge ernst werden, wenn man aus dem gewöhnlichen heutigen Geistesleben hineintaucht in das anthroposophische. Da hat man es nicht zu tun mit etwas so Leichtwiegendem wie «falsch» oder «richtig», sondern um «gesund» oder «krank» in den organischen Funktionen. So muß man auf einer höheren Stufe das, was nach einer gewissen Richtung hin geht, als

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gesund, oder das, was nach einer andern Richtung geht, als krank bezeichnen. Und ich möchte, daß Sie aus diesen Andeutungen verstehen, wie Geisteswissenschaft Taterkenntnis ist, wie sie nicht stehenbleiben kann bei dem Charakter der gewöhnlichen Erkenntnis, sondern wie sie, wird dasjenige, was Realität ist. Der Erkenntnisprozeß, insofern er sich in der Geisteswissenschaft ausspricht, ist etwas, was real sich vollzieht im menschlichen Organismus.

In einer ähnlichen Weise muß charakterisiert werden dasjenige, was auf dem Gebiete des Willens lebt. Wenn wir vom Gebiete des Willens sprechen in unserem Zeitalter, das diesen grandiosen Niedergang enthält, über den wir oftmals gesprochen haben, wenn wir von dem sprechen, was sich als menschliche Willensimpulse ausbildet, und vom Charakter dieser Willensimpulse, dann sagen wir: Der Mensch ist gut oder böse. - Und es sind uns wiederum gut und böse sittliche Kategorien, die selbstverständlich ebenso notwendig sind wie die logischen Kategorien. Aber für dasjenige, was als Impulse aus der Geisteswissenschaft herausfließt, handelt es sich nicht allein um das, was man meint, wenn man irgendeine Handlung des Menschen als gut, eine andere als böse bezeichnet. Da handelt es sich darum, daß man - selbst im karmischen Zusammenhange -, wenn man eine Handlung als gut bezeichnet, sagen will: Der Mensch muß das Gute mit dem Bösen in irgendeiner Weise ausgleichen. Man meint etwas, was zur sittlichen Beurteilung des Menschen gehört. In dem Augenblicke, wo wir in die Gebiete hineinsteigen, welche die geisteswissenschaftlichen sind, handelt es sich um mehr, da handelt es sich darum, daß es eine gewisse Art und Weise des Denkens, Fühlens und Wollens für die Menschen gibt, die zum Aufstieg führt, die zu einer fruchtbaren Entwickelung führt, zu einem Vorwärtskommen in der Entwickelung. Auf der einen Seite haben wir das abstrakte Gute, das sittlich-abstrakte, außerordentlich wertvolle, aber eben sittlich-abstrakte Gute; wenn es sich aber um die Impulse der Geisteswissenschaft handelt, hat der Mensch nicht nur das Gute zu tun, oder wird der Mensch nicht nur das Gute tun, das ihn als einen sittlich guten Menschen erscheinen läßt, sondern er kann dasjenige tun oder denken oder fühlen, was die Welt in ihrer Entwickelung bloß in der äußeren Sinneswelt weiterbringt, oder er kann etwas tun, was nicht

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bloß böse ist und zur sittlichen Beurteilung beiträgt, sondern was auf die Weltenkräfte zerstörerisch wirkt. Das sollte schon in der «Pforte der Einweihung» angedeutet werden, da wo Strader und Capesius sprechen und darauf hingedeutet wird: Was hier in der sinnlichen Welt getan wird, was hier der sittlichen Beurteilung von Gut und Böse unterliegt, das sind hinter den Kulissen des Daseins Erscheinungen, die vorwärtswirkend-aufbauend oder niedergehend-zerstörend sind. Versuchen Sie nur zu fühlen diese ganze Szene, wo es blitzt und donnert, wo es in der Seelenwelt in einer sehr realen Weise hergeht, während Capesius und Strader dieses oder jenes besprechen, versuchen Sie diese Szene nachzufühlen, dann werden Sie sehen, wie sich da zur Realität steigert, was wir als die sittliche Welt hier auf dem physischen Plane erleben.

Das alles soll Ihnen zeigen, wie es beginnt, mit der Welt ernst zu werden in dem Augenblicke, wo man von der bloßen heute gewohnten Beurteilung nach logischen oder nach bloß äußerlich-menschlichen Kategorien zu den Realitäten aufsteigt, die uns entgegentreten, wenn wir die Welt geisteswissenschaftlich betrachten. Die Dinge werden ernst, aber sie müssen heute ausgesprochen werden, denn die Welt fordert heute ein neues Geistesleben. Heute gehen die Dinge in der Welt vor, die ein jeder sieht, die aber niemand eigentlich in ihrer realen Bedeutung verstehen will, weil man den Schritt nicht machen kann von der äußerlichen Abstraktheit zur Realität. Ich will Sie auf noch andere Beispiele hinweisen.

Sie erleben es heute, daß Sie hineinwachsen in eine Welt, in der es unter vielem andern, auf sozialem Felde zum Beispiel, Parteien gibt, liberale, konservative und alle möglichen andern Parteien. Die Menschen schlafen gegenüber dem, was diese Parteien sind. Wenn sie Wahlzettel erhalten, so bekennen sie sich zu einer oder der andern Partei, denken nicht viel darüber nach, was eigentlich das ist, was im ganzen öffentlichen Leben, dieses Leben durchwühlend, als Parteimeinung existiert. Man kann eben die Dinge nicht ernst nehmen. Da ist eine ganze Menge von Leuten, die plappern in der schönsten Weise alle möglichen Orientalismen von Maja in der Außenwelt nach; aber sobald sie einen Schritt in dieser Außenwelt machen wollen, dann bleiben sie nicht bei dem, was sie abstrakt nachplappern. Denn sonst würden sie zum Beispiel

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fragen: Maja? Also sind auch die Parteien Maja? Was ist denn die Wirklichkeit, auf die diese Maja hinweist?

Geht man geisteswissenschaftlich - und wir werden uns morgen genauer über diese Sache aussprechen - genauer auf diese Sache ein, dann findet man, daß Parteien in der äußeren physischen Welt da sind, indem sie Programme haben, Grundsätze haben, das heißt, indem sie abstrakten Ideen nachjagen. Aber alles, was äußerlich in der physischen Welt lebt, ist immer das Abbild, der Abglanz dessen, was in der geistigen Welt eine Realität intensiverer Art ist. Da haben wir immer die physische Welt (siehe Zeichnung, waagrechte Linie). Aber alles hier

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in der physischen Welt weist hin auf Geistiges. Und da oben in der geistigen Welt sind für diese physischen Dinge erst die eigentlichen Realitäten (siehe Zeichnung, rot). Da unten sind zum Beispiel die Parteien (orange); wovon sind sie Abglanz? Auf der Erde bekämpfen sich diese Parteien; da suchen sie eine Menge von Menschen unter einem abstrakten Programm zusammenzuhalten. Wovon sind denn diese Parteien der Abglanz? Was ist denn da oben in der geistigen Welt, wenn hier in der Maja die Parteien sind? In der geistigen Welt gibt es keine Abstraktionen, und die Parteien stehen unter Abstraktionen. Da oben gibt es nur Wesen. Da oben kann man sich nicht zu einem Parteiprogramm bekennen, sondern da kann man Anhänger dieses oder jenes

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Wesens, dieser oder jener Hierarchie sein. Man kann dort nicht bloß mit seinem Intellekt einem Programm anhängen, das gibt es da nicht; man muß mit seinem ganzen Menschen einem andern Wesen nachgehen. Was hier abstrakt ist, ist da oben wesenhaft, das heißt, das Abstrakte ist hier nur Schatten des Wesenhaften da oben. Und wenn Sie die beiden Hauptkategorien der Parteien, konservativ und liberal, nehmen, so ist es so, daß die konservative Partei ein Programm hat, die liberale Partei ein Programm hat; aber wenn man hinaufsieht, wovon das der Abglanz ist, dann zeigt sich: Ahrimanisches Wesen schattet sich hier (siehe Zeichnung, unterer Teil) im Konservativen ab, luziferisches Wesen schattet sich hier ab im Liberalen. Hier läuft man einem konservativen oder einem liberalen Programm nach, oben ist man Anhänger von einem ahrimanischen Wesen irgendeiner Hierarchie oder einem luziferischen Wesen irgendeiner Hierarchie.

Dabei kann es aber vorkommen, daß man in dem Augenblicke, wo man die Schwelle überschreitet das Wort «Schwelle» wird an die Tafel geschrieben), nötig hat, sich wirklich klar darüber zu sein, daß man sich nicht durch Worte täuschen läßt, sich keinen Illusionen hingibt. Man kann sehr leicht glauben, man gehöre zu irgendeinem guten Wesen. Aber damit, daß man irgendein Wesen mit einem guten Namen bezeichnet, ist es noch nicht ein gutes. Es kann zum Beispiel irgend jemand sagen: Ich bekenne mich zu Jesus, dem Christus. - In der geistigen Welt kann man sich nicht zu einem Programm bekennen, aber nach der ganzen Art und Weise, wie die Vorstellungen, die Begriffe von diesem Jesus, dem Christus, in seiner Seele leben, ist es nur der Name des Jesus, des Christus, in Wirklichkeit hängt er dann Luzifer oder Ahriman an und er gibt nur Luzifer oder Ahriman den Namen Jesus oder Christus.

Aber ich frage Sie: Wie viele Menschen wissen heute davon, daß Parteimeinungen Abschattungen sind von Wesenhaftem in der geistigen Welt? Manche wissen es, und die richten dann das, was sie tun, nach diesem Wissen ein. Ich kann Sie hinweisen auf solche, die so etwas wissen. Nehmen Sie die Jesuiten, die wissen das. Glauben Sie nicht, daß die Jesuiten meinen, wenn sie zum Beispiel in ihren Blättern jetzt gegen Anthroposophie schreiben, daß sie mit ihren Gründen da irgend etwas besonders träfen, was nicht widerlegt werden könnte. Aber auf Widerlegungen

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kommt es dabei nicht an. Und was man schließlich einwenden kann gegen solche Widerlegungen, das wissen die Jesuiten sehr gut, denn den Jesuiten kommt es nicht darauf an, mit Gründen für oder wider zu fechten, sondern ihnen kommt es darauf an, Anhänger zu sein eines gewissen Wesens, das ich aber heute noch nicht bezeichnen will, das sie aber ihren Anführer Jesus nennen, dem sie zugehören. Mag dieses Wesen sein, was immer, sie nennen es Jesus. Ich will nicht auf den Tatbestand genauer hinweisen; aber sie bezeichnen sich als Soldaten, ihn als den Anführer, und sie kämpfen nicht, um zu widerlegen, sie kämpfen, um Anhänger zu werben für die Kompanien, für das Heer des Jesus, das heißt desjenigen Wesens, das sie Jesus nennen. Und sie wissen ganz genau, daß, sobald man über die Schwelle hinaufschaut, es nicht auf abstrakte Kategorien, nicht auf logische Zusagen oder Widerlegungen ankommt, sondern daß es da ankommt auf die Heerfolge des einen oder des andern Wesens, während es unten auf der Erde sich um Redensarten handelt. Das ist aber dasjenige, was die Menschen heute so schwer begreifen wollen, daß, wenn wir heraus wollen aus dem Niedergang der Zeit, es sich nicht mehr handeln darf um bloße Abstraktionen, nicht bloß um das, was man sich denken kann, sondern daß es sich um Realitäten handeln muß Wir beginnen zu Realitäten aufzusteigen, wenn wir nicht mehr bloß von richtig oder unrichtig, sondern von gesund oder krank sprechen. Wir beginnen zu Realitäten aufzusteigen, wenn wir nicht von Parteiprogrammen oder Weltanschauungsprogrammen sprechen, sondern von der Gefolgschaft irgendwelcher realen Wesenheiten, die uns sogleich begegnen, wenn wir auf die Dinge hindeuten, die jenseits der Schwelle liegen. Es handelt sich heute darum, wirklich jenen ernsten Schritt zu machen von der Abstraktion zur Realität, von der bloß logischen Erkenntnis zur Erkenntnis als Tat. Und nur das kann herausführen aus all der Verwirrung, in der die Welt heute steckt.

Die Weltenlage - wir werden gerade in diesen Tagen, morgen und übermorgen, von dieser Weltenlage sprechen - kann heute nur derjenige gesund beurteilen, der sie mit Hilfe dessen betrachtet, was ihm Geisteswissenschaft an die Hand zu geben in der Lage ist. Sonst wird man die bedeutungsvollen Gegensätze, die heute zwischen Westen und Osten

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bestehen, nicht im richtigen Lichte sehen können. Aber was da äußerlich an schaubaren Realitäten auftritt, was ist es denn anderes als der in sich absurde Ausdruck von dem, was heute in den Köpfen der Menschen an Gedanken lebt? Wie treten uns denn diese Gedanken entgegen? - Ich möchte zum Schluß wiederum auf ein naheliegendes Beispiel hinweisen. Ich habe ja schon verschiedentlich darauf hingewiesen, was jetzt von katholischer, klerikaler Seite gegen Geisteswissenschaft, namentlich auch hier in der Schweiz, an Lügenhaftigkeit geleistet wird, damit man diese Geisteswissenschaft vernichten könne. Und Sie haben - diejenigen, die hier waren - schon manches Beispiel gesehen von dem, was da alles gerade von katholisch-jesuitischer Seite aufgefahren wird, um diese Geisteswissenschaft zu vernichten. Bedenken Sie, da bäumen sich diejenigen auf, allerdings mit nicht schönen Waffen, die die Schüler des katholischen Jesuitismus sind, und das brauche ich Ihnen nicht zu charakterisieren; diejenigen, die noch nicht sich informiert haben, können es ja leicht tun. Aber sehen Sie, die Schweiz gehört doch auch, und Mitteleuropa, wo dasselbe geschieht, das alles gehört doch eigentlich auch zur Welt, nicht wahr, und Amerika gehört auch zur Welt. Es wurde mir nun eine Zeitschrift gegeben, die in Amerika erscheint und in welcher auch anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft charakterisiert wird zur selben Zeit, als sie hier von jesuitischer Seite in der schlimmsten Weise charakterisiert wurde als etwas, was gegen die katholische Kirche, was gegen das Christentum gerichtet sei. Sie wissen ja, Pfarrer Kully hat gesagt, es gibt drei schlimme Dinge in der Welt, das eine ist das Judentum, das zweite ist die Freimaurerei, aber das Schlimmste alles Schlimmen, schlimmer als irgendein Bolschewismus, sei das, was hier in Dornach gelehrt werde. - Das stammt von katholischer Seite. So charakterisiert die katholische Seite die Anthroposophie. Wie Amerika nun? Ich möchte Ihnen eine kleine Stelle vorlesen, die zu der gleichen Zeit geschrieben ist wie das, was die katholischen Blätter hier geschrieben haben: «Wie die römisch-katholische Hierarchie immer darauf bestanden hat, daß die römische Kirche die einzige mit Autorität ausgerüstete ist», die protestantischen Sekten kommen für sie nicht in Betracht; nach der Meinung der römischen Kirche stehen sie außerhalb der Tore, sie werden nur als eine Menge von Häretikern angesehen, «so

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ist es selbstverständlich, daß die Kirche, auf die Steiner durch sein Mundwerk hinweist, keine andere sein kann als die römisch-katholische. Diese Voraussetzung ist bekräftigt, und jeder Zweifel über die Sache hört auf, wenn man die anderen okkulten Bücher Steiners durchgeht. Sie alle deuten auf dasselbe hin, nämlich seine Schriften sind rein irreführend, Schafhaut eines oberflächlichen Okkultismus überdeckt den Wolf des Jesuitismus.»

Also Sie sehen, in Amerika hält man die Anthroposophie für Jesuitismus, in Europa wendet sich der Jesuitismus in schärfster Weise gegen die Anthroposophie als den größten Feind der katholischen Kirche. So denkt man heute in der Welt. So ungefähr denken aber auch die Leute, wenn sie in Europa nebeneinander stehen; sie merken es nur nicht. Dann kommen noch einzelne schöne Sätze, die diesen Artikel beschließen: «Steiner beansprucht, Initiat zu sein. Mag sein. Aber ob er von der weißen Loge oder von den Brüdern der Schatten ist, kann man ahnen, wenn man erfährt, daß er auf seiten der Blut- und Eisen-Männer stand ..., und daß eine Anzahl seiner Schüler hier (in Amerika) interniert waren als deutsche Spione.»

Nun, Sie sehen, bald tönt es aus römisch-katholischem Horn, bald tönt es aus amerikanischem Horn! Aber all das kann Sie hinweisen darauf, wie es in den Köpfen unserer Zeitgenossen aussieht. Aus dem aber, was in den Köpfen gedacht wurde, hat sich das entwickelt, was in den Niedergang der Gegenwart hineingeführt hat, und der Aufgang muß wahrhaftig ganz woanders gesucht werden, als wo ihn viele Leute heute suchen. Davon wollen wir dann morgen weitersprechen.

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ZWEITER VORTRAG Dornach, 7. August 1920

Ich habe gestern in einem bestimmten Zusammenhange darauf hingewiesen, was eigentlich Parteimeinungen hier auf dem physischen Plane sind. Und da unser gegenwärtiges Leben durchaus beherrscht ist von Parteimeinungen aller Nuancen, so gehört es schon einmal zu den notwendigen Erkenntnissen, daß man sich mit dem Wesen der Parteimeinungen etwas befaßt. Ich habe gestern auch darauf hingewiesen, wie die Menschen heute, im abstrahierenden Zeitalter, geneigt sind, sich immerhin im allgemeinen zu einem solchen Satze zu bekennen: Alles ist Erscheinung, was man mit den Sinnen wahrnehmen oder mit dem gewöhnlichen Verstand begreifen kann, alles das ist Maja. - Aber wenn es dann darauf ankommt, solch eine allgemeine, abstrakte Wahrheit, zu der man vorgibt, sich zu bekennen, im Leben umfassend anzuwenden, dann reißt sozusagen der Lebensfaden, durch den bei den meisten Menschen heute die Seele verbunden wird mit der Lebenswirklichkeit. Parteimeinungen auf dem physischen Plane muß man ebenso als Abbilder auffassen von etwas, was übersinnlicher Natur ist, was in den geistigen Welten seine Wirklichkeit hat, hier in der physischen Welt nur sein Bild hat, wie man das zum Beispiel bei Naturerscheinungen oder für die kompliziertesten Naturerscheinungen für den physischen Menschen anerkennen muß. Ich sagte schon gestern: Parteimeinungen bilden sich dadurch, daß sich eine Anzahl von Menschen unter irgendeinem mehr oder weniger klar umrissenen, abstrakten Programm zusammentun. Man stellt eine Anzahl von Forderungen auf, die erfüllt werden sollen durch das oder jenes, man tut dann das oder jenes - meistens redet man das oder jenes -, um solchen Programmen, solchen Parteiideen zur Verwirklichung zu verhelfen. Also Menschengruppen, vereinigt gewissermaßen unter der Flagge einer abstrakten Idee, von der man aber hofft, daß sie sich verwirklichen könne: das ist dasjenige, was eine Partei ausmacht.

Für denjenigen, der tiefer, vor allen Dingen geisteswissenschaftlich in die Dinge hineinschauen will, kommt nicht so sehr das Programm mäßige

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in Betracht, denn das Wesen dieses Programmäßigen in seinem Weltzusammenhang muß er erst untersuchen. Für ihn kommt zunächst als äußere Erscheinung in Betracht, daß sich Menschengruppen bilden.

Nun sagte ich gestern: Wenn man von dem physischen Plan in die höheren Welten, in die Welten jenseits der Schwelle aufsteigt, dann gibt es nicht Abstraktionen, dann gibt es nicht abstrakte Forderungen, wie man sie als Parteiprogramme aufstellt, sondern sobald man die Schwelle übertritt, sobald man vorbeikommt an dem Hüter der Schwelle und nicht bei ihm stehenbleibt, was sehr viele tun, dann findet man, daß jenseits der Schwelle nur Wesenheiten sind. Da kann man gar nicht einem Programm folgen, da kann man nur dieser oder jener Wesenheit folgen, da kann man sich nicht gruppieren nach Maßgabe einer abstrakten Idee, sondern da muß man sich gruppieren um eine Wesenheit her- um. In bezug auf solche Sachen wäre heute der Menschheit ein Wissen intensiv notwendig. Aber gerade in bezug auf solche Dinge sträuben sich heute die Menschen in ganz erheblichem Maße gegen ein solches Wissen. Denn es ist dem Menschen der Gegenwart einmal ans Herz gewachsen, sich unter abstrakten Programmen zu vereinigen und nach einer ge wissen Verwirklichung solcher abstrakter Programme zu sehnen. Daß abstrakte Programme nur in der physischen Welt existieren, daß dasjenige, was man in abstrakte Ideen fassen kann, nur Gegenstand der physischen Welt sein kann, das wollen die Menschen, sie wollen es nicht einsehen, denn es ist ihnen unbequem. So vereinigen sich die Menschen - wenn ich hier durch diese Linie die Schwelle anzeige (siehe Zeichnung Seite 30), hier die Parteigruppen (blaue Kreise), hier ihre Pro,gramme (X) , so vereinigen sich diese Menschen zu Gruppen unter Parteiprogrammen. Aber diesen Parteiprogrammen entsprechen in der geistigen Welt Wesen (orange), und damit hängen diejenigen, die sich an ein Parteiprogramm ketten, gewissen Wesen der übersinnlichen Welt an. Wir haben entsprechend dem, was in der physischen Welt bloß Bild ist, in der überphysischen Welt Gruppierungen um Wesen (rote Kreise).

Es ist durchaus zu beachten, daß zu einer gedeihlichen Entwickelung in die Zukunft hinein dieses Wissen durchaus notwendig ist, weil immer mehr und mehr die Bewußtheit an die Stelle des Instinktes treten muß, wenn die Menschheit in ihrer Entwickelung voranschreiten will. Es ist

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#Bild S.030

durchaus noch ein Überbleibsel alter instinktiver Zusammenrottungen, wenn die Menschen sich heute unter Parteiprogrammen vereinigen und glauben, das, was sie da tun mit den Gruppierungen, das sei erschöpft mit ihrer Zusammenrottung und mit ihrem Bekenntnis zu dem entsprechenden Programm und mit ihren Taten oder meistens Worten, welche zur Verwirklichung dieses Programms getan oder gesprochen werden. Die Menschen geben vor, anzugehören irgendeiner Partei, einer sozialistischen oder liberalen Partei, einer Frauenbewegungspartei, einer spiritistischen Partei und so weiter; es würde, wenn ich Ihnen nur e1nen kleinen Teil von allen heute existierenden Parteien aufzählen würde, den heutigen Abend furchtbar in die Länge ziehen. Indem die Menschen glauben, mit dem, was sie da tun und reden innerhalb einer Partei, erschöpfe sich das Wesen dessen, was sie hier treiben auf dem physischen Plan, folgen sie unbewußt einer Wesenheit in der übersinnlichen Welt, die sie nicht kennen wollen. Denn dadurch, daß die Menschen etwas nicht wissen, macht das ja nicht, daß es nicht real ist. Wenn irgend jemand ein Liberaler ist und einem liberalen Programm angehört, wenn irgend jemand ein Frauenrechtler ist und einem Frauenrechtler

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programm angehört, so bedeutet das deshalb, weil er nicht weiß, daß er da gewissen Wesenheiten der übersinnlichen Welt folgt, nicht, daß er ihnen nicht in Wirklichkeit folgt. Er folgt ihnen in Wirklichkeit, er bildet die Gefolgschaft. Dadurch aber widerstrebt er gerade dem ganzen Geiste der Fortentwi&elung unseres Zeitalters. Denn dieser Geist fordert die Umwandlung alles instinktiv Unbewußten und Unterbewußten in ein bewußtes Wollen, in ein bewußtes Tun und Reden und Denken.

Wir kennen ja auch ältere Gruppierungen von Menschen, ältere Gruppierungen von Rassenzusammenhängen, und dann diejenigen Gruppierungen von Menschen, die heute noch ein ephemeres Schatten- dasein, aber ein deshalb nicht weniger lautes und wahnbehaftetes Da- sein führen: die Gruppierungen in Völker, wir kennen es ja. Und wenn Sie sich an den Zyklus erinnern, den ich 1910 in Kristiania gehalten habe über das Wesen der Volksseelen, dann werden Sie finden, daß man, wenn man diese Zusammenhänge von Rassen und Völkern ins Auge fassen will, auch nicht auf dem physischen Plan stehenbleiben kann, daß man auch dann nötig hat, in die überphysischen Welten hinaufzusteigen. Wir haben in diesem Vortragszyklus ja angeführt, wie solche Menschengruppierungen zusammengehalten und geführt sind von Wesen, die wir zu der Hierarchie der Archangeloi zu rechnen haben. Wir haben da gesehen, wie auch in solchen Völkergruppierungen eben übersinnliche Wesen unter den Menschen stehen.

Stellen wir uns jetzt vor das Seelenauge den Unterschied zwischen dem Verhältnis, in dem die Menschengruppen als Rassen, als Völker zu ihren übersinnlichen Wesenheiten stehen, und demjenigen Verhältnis, in welchem die Parteigruppen zu den übersinnlichen Wesenheiten stehen, so ist es so, daß die ersteren durchaus die Impulse, die ihnen gegeben werden von diesen übersinnlichen Wesenheiten, instinktiv zur Ausführung, zur Verwirklichung bringen. Und da ist es berechtigt, daß Instinktivität waltet in dem Befolgen der Impulse dieser übersinnlichen Weseiiheiten. Die Menschheit mußte sich herausarbeiten aus diesem instinktiven Folgen gegenüber den übersinnlichen Wesenheiten. - Es ist ja selbstverständlich, daß die Menschheit nicht gleich vom Anfange an in einer bewußten Weise etwa Völkergeistern, Erzengeln folgen konnte,

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sondern daß da instinktive Kräfte in dieses Folgen hineinspielen mußten. Die Menschen mußten gewissermaßen erst nach und nach zur Bewußtheit erzogen werden.

Aber je mehr man zurückgeht in der Entwickelungsgeschichte der Menschheit, desto mehr findet man, daß die Menschen alter Zeiten, wenn auch ein instinktives, so doch ein deutliches Bewußtsein gehabt haben, daß sie als Menschengruppen, als Rassegruppen, als Völkergruppen solchen übersinnlichen Wesenheiten folgten. Gewiß, in der mittleren Zeit, an die sich unsere neueste anschließt, ist solches Bewußtsein zum Teil verlorengegangen. Die Menschen haben ja immer mehr und mehr ihr Wissen von den übersinnlichen Welten abstellen müssen; aber eben, je mehr wir zurückgehen, desto mehr finden wir, wie die Menschen - wenn auch, wie gesagt, nur instinktiv - ihre Zusammengehörigkeit zu Rassen und Völkern so deuten, daß sie als Führer eine geistige, eine übersinnliche Wesenheit anerkennen. In älteren Zeiten, wenn auch ein sichtbarer Führer von Menschengruppen anerkannt wird, so ist es doch bei dem weitaus größten Teil derjenigen, die einem solchen sichtbaren Führer folgten, in ihrem deutlichen Bewußtsein gelegen, daß in diesem sichtbaren Führer inkarniert, verkörpert war der Volksgeist, so daß solche Menschengruppen fühlen, wie auch das, was sie sehen, die äußere Menschengestalt nur, gewissermaßen innerlich besessen ist von dem übersinnlichen Führer. Man mag das heute ansehen, wie man will, man mag das für einen alten Aberglauben halten: diejenigen, die über diese Dinge vom alten Aberglauben anders denken, die können ja warten bis in das dritte Jahrtausend, ob unsere Chemie, unsere Botanik, unsere Zoologie auch als ein Aberglaube des 19. und 20. Jahrhunderts angesehen werden von denjenigen, die dem Geiste derjenigen gleichkommen, die heute von altem Aberglauben in dem Falle sprechen.

Aber was ist denn nun für ein Unterschied zwischen der Art, wie solche Menschengruppen zu ihrer geistigen Führung stehen, und derjenigen Stellung, welche heute Parteimeinungen zu ihrer geistigen Führung haben? Parteiprogramme, die man in abstrakten Ideen umrissen entwickelt, die hatten diese alten Menschen nicht. Timur-Khan, oder Dschingis-Khan oder einem dergleichen wäre es schlecht bekommen, wenn er erst ein Parteiprogramm vor seine Menschengruppierungen

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hingestellt hätte wie etwa Dschingis-Khan, der gegenwärtige, den man heute Lenin nennt, etwa erst ein Parteiprogramm zwischen sich und die Seinigen hinstellt! Das ist ein beträchtlicher Gegensatz. Die Groß-Khane der ehemaligen Mongolen waren ohne Programm, aber diejenigen, die etwas wußten, die sahen in ihnen die lebendigen Verkörperungen übersinnlicher Wesenheiten. Die Groß-Khane der Gegenwart, Lenin und Trotzkij, tragen statt des Bewußtseins, die Sendboten eines höheren Weseris zu sein, ein abstraktes Parteiprogramm in ihrer Seele herum. Das ist ein beträchtlicher Unterschied, denn dadurch ist ja gesagt: diejenigen, die da unten im Parteiwesen herumlungern, die haben in ihrem Bewußtsein nur die abstrakten Ideen und sie leugnen es bewußt sich selber ab, daß sie in der Gefolgschaft irgendwelcher übersinnlicher Wesenheiten stehen.

Nur einzelne Menschengruppierungen lassen sich auf derlei Dinge nidit ein. Eine solche Gruppe habe ich Ihnen ja gestern bereits angeführt, die Gruppe der Jesuiten. Sie läßt sich auf die Kinderei von Parteiprogrammen nicht ein. Lesen Sie eben jenen Vortragszyklus, den ich unter dem Titel «Von Jesus zu Christus» in Karlsruhe gehalten habe, und der ja unserer hiesigen Klerisei ausgeliefert worden ist, dann werden Sie die Übungen verfolgen können, welche der Jesuit zu machen hat, um auf seinem Posten der rechte Mann zu sein. Dem überträgt man kein Parteiprogramm, dem kleidet man nicht irgendwelche abstrakte Forderungen in abstrakte Formeln, sondern dem zeigt man in Übungen, wie er dem geistigen Führer nachzufolgen hat; den erzieht man dazu, sich in der Gefolgschaft gegenüber einem übersinnlichen Wesen zu wissen. Und so wiederum ist es bei andern, sich mehr oder weniger geheimhaltenden Gruppierungen von Menschen in der Gegenwart, auch bei denjenigen, die vom Westen aus die große Politik machen, die ja fast Schritt für Schritt sich buchstäblich so verwirklicht, wie sie seit langer Zeit von diesen Trägern einer gewissen okkulten Politik im Westen vorgezeichnet worden ist. Das aber ist es, worauf es ankommt, daß man beachte den Geist des Fortschritts für unsere Zeit, daß man wiederum ein Bewußtsein erlange von dem Zusammenhang des Menschen mit der geistigen Welt und auch von dem Zusammenhange all desjenigen, was der Mensch hier auf Erden tut, mit Geschehnissen, mit

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Wesenhaftem in der geistigen Welt. Suchen sollte man nach denjenigen Wesenheiten in der geistigen Welt, welche an der Konstitution, an der Führung unserer Welt beteiligt sind, damit man wissen könne, in welche Gefolgschaft man sich mit dem einen oder dem andern, was man tut, wirklich begibt. Und man kann nicht heute irgend etwas für den gedeihlichen Fortschritt der Menschheit tun, ohne daß man auch nicht nur für die egoistischen Innenbedürfnisse der Seelen sich des Zusammenhanges mit der geistigen Welt bewußt wird, sondern man kann nur dann für diesen gedeihlichen Fortschritt der Menschheit etwas tun, wenn man sich voll bewußt wird, daß man auch mit denjenigen äußeren Taten, die sich zum Beispiel ausdrücken in den Parteimeinungen und ihren Nuancierungen, einen Zusammenhang mit der geistigen Welt schafft. Geisteswissenschaft soll nicht nur unsere Seele gewissermaßen beruhigen über die engsten Angelegenheiten unserer individuellen Persönlichkeit, sondern Geisteswissenschaft soll Impulse liefern für die ganze Gestaltung des Lebens. Das ist es, was in den letzten Zeiten wie ein Grundton durch alle meine Vorträge durchging. Denn wir sind nun einmal zur Abstraktheit gekommen und müssen aus der Abstraktheit heraus. Wir sind insbesondere in dem sogenannten praktischen Leben tief, tief in der Abstraktheit darinnen und insbesondere in dem Partei wesen sind wir in der Abstraktheit darinnen. Wir müssen aus diesem abstrakten Wesen heraus, wenn die europäische Katastrophe nicht zu einer vollständigen werden soll. Es handelt sich auf allen Gebieten darum, richtig zu sehen.

Vor allen Dingen aber ist das in Betracht zu ziehen, was ich einer Anzahl der Hiersitzenden schon vor meiner Reise nach Stuttgart gesagt habe, was ich aber auch heute wiederholen möchte aus dem Grunde, weil so zahlreiche fremde Gäste anwesend sind, und weil eigentlich für solche Dinge, die heute einmal in die Seelen einziehen müssen, jede Gelegenheit zu ergreifen ist, um sie geltend zu machen. Ich sagte gestern: Was als Geisteswissenschaft getrieben wird, muß eine ganz andere Art der Erkenntnis sein als das, was man heute gewöhnt ist, Erkenntnis oder Wissen zu nennen. Es muß eine Erkenntnis als Tat sein. Man muß sich bewußt sein, daß, indem man Erkenntnisse anstrebt, man von Realitäten zu reden hat, nicht von bloßen logischen Schemen. Ich sagte, man ist

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heute gewöhiit zu sagen: Der bekennt sich zum Materialismus, der Materialismus ist falsch, also widerlegt man ihn, und man glaubt, mit dieser Widerlegung habe man etwas getan. Ich habe gestern Beispiele dafür angeführt, wie solche Begriffe wie «richtig» und «unrichtig» weichen müssen viel realeren Begriffen auf dem Gebiete anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft. «Gesund» und «ungesund», das ist etwas, was auf Reales im Menschenleben hindeutet. Wir erkennen nicht bloß richtige und falsche Erkenntnisse an, wir erkennen gesunde und kranke Erkenntnisse an. Wir tauchen ein, indem wir die bloße Abstraktheit abstreifen, in das Gebiet der konkreten Wirklichkeit.

Das müssen wir noch in einem viel höheren Sinne betrachten. Wir wissen ja aus der jetzt schon so zahlreich veröffentlichten anthroposophischen Literatur, daß der Mensch aus einem geistig-seelischen Teil besteht - ich will ihIi skizzenhaft hier so andeuten (siehe Zeichnung,

#Bild S.035

blau) - und aus einem physischen Teil (rot). Wir wissen nun, daß gewisse theoretische Materialisten des 19 Jahrhunderts gesagt haben: Ach was, geistig-seelisch, das ist etwas, wovon man nicht zu sprechen hat,

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das ist etwas, was gegenüber der menschlichen Erkenntnis nirgends auf- tritt. Was in der sogenannten Menschenseele lebt als Denken, Fühlen und Wollen, das ist ja nur das Ergebnis des physischen Nervensystems, des physischen Gehirnes. Sie wissen, diesen theoretischen Materialismus müssen wir unterscheiden von dem praktischen Materialismus, der noch etwas ganz anderes ist und der insbesondere heute ganz kraß immer noch waltet. Der theoretische Materialismus hat seine Hochflut gehabt im 19. Jahrhundert. Derjenige, der nun nur gewöhnt ist, sich in den Vorstellungsarten zu bewegen, die man heute eben hat, der sagt: Nun ja, der Materialismus, der da behauptet, menschliche Gedankenempflndungen, Willensimpulse, seien nur der Ausfluß des Nervensystems, des Gehirns, dieser Materialismus ist falsch. Man muß ihn widerlegen. Und wenn man ihn widerlegt hat, so hat man bewiesen, daß der Mensch eben nicht bloß aus seinem physischen Leibe mit dem Nervensystem und dem Gehirn bestehe, sondern daß er ein Geistig-Seelisches habe. - Aber bei solcherWiderlegung kann die hier gemeinte Geisteswissenschaft nicht stehenbleiben, denn sie ist nicht bloß etwas, was in Logizität abläuft, sondern sie ist etwas, was im Tatsächlichen abläuft. Alles, was hier in der physischen Welt lebt, ist ein Abbild der geistigen, der seelischen Welt, aber nicht nur etwa so, wie man ein Bild hat, das man an die Wand malt, sondern es ist ein Abbild auch mit allen seinen Tätigkeiten, mit allen seinen Lebensäußerungen. So ist es in bezug auf den Menschen so: Der Mensch steigt herab aus der geistig-seelischen Welt durch die Konzeption oder durch die Geburt in die physische Welt; was er sich mitbringt aus der geistig-seelischen Welt, dieser Zusammenhang von Kräften, der arbeitet an jenem physischen Leib, der aus der Vererbungsströmung übernommen wIrd. Dieser Leib mit seiner ganzen Konfiguration wird ausgebildet durch das Geistig-Seelische, das herabsteigt (siehe Zeichnung Seite 35). Er wird aber nicht nur ausgebildet in bezug auf seine äußere Form, sondern auch mit Bezug auf seine inneren Tätigkeiten. So daß, wenn Sie dasjenige nur denken, was in Ihrer äußeren sinnlichen Wirklichkeit ist, Sie das ganz gut mit dem bloßen Gehirn denken können. Denn dieses Gehirn ist auch mit seinen Fähigkeiten ein Abbild des Geistig-Seelischen. Und wer sich einfach darauf beschränkt, nur das zu verarbeiten, was die äußere Sinneswelt gibt, oder was die

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gegenwärtigen Wissenschaften geben, der denkt eben bloß mit dem Gehirn, der ist bloß denkende Materie. Da ist gar nichts darüber zu sagen, der ist bloß denkende Materie. Heute ist die Zeit, wo man darüber hinauskommt, bloß denkende Materie zu sein, dadurch, daß man- solche Gedanken denkt, die nicht aus der Sinneswelt gewonnen sind, wie zum Beispiel die anthroposophisch orientierten Gedanken. Diejenigen Menschen, die heute durchaus sich nur an die Sinneswelt halten wollen, finden diese anthroposophischen Gedanken verrückt, irreal, phantastisch, weil sie in dem Momente, wo sie diese Gedanken denken sollen, eine starke Kraft anwenden müssen; sie müssen loskommen. Sie wollen diese Gedanken mit ihrem Gehirn denken. Damit kann man aber nur die äußeren physischen Gedanken denken, das äußere Physische. Mit diesen Gedanken kann man ganz gut Atome und Moleküle denken nach Art des gestern angeführten Schwachsinns; aber was in einem solchen Buche wie die «Geheimwissenschaft im Umriß» steht, das denkt sich nicht durch dieses Gehirn. Also ist es für sie eine Phantasie. Man muß sich einen Ruck geben, um loszubekommen das Geistig-Seelische. Dann kann man diese Gedanken schon denken, dann findet man diese Gedanken gar nicht mehr phantastisch und absurd, dann kann man sie denken, dann findet man sie in vollem Einklange mit dem Leben.

Aber im Laufe der letzten Jahrhunderte, seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, ist die Menschheit immer mehr dazu gekommen, ich möchte sagen, in sich selbst zusammenzusinken, das Geistig-Seelische einschlafen zu lassen und sich hineinsinken zu lassen in die Materialität des Körperlichen und nur zu denken mit dem physischen Gehirn, dieses physische Gehirn automatisch ablaufen zu lassen nach dem, was der Professor, wenn er da oben sitzt auf dem Katheder, in seinem eigenen Gehirn ebenso automatisch ablaufen läßt. Da oben der Gehirnautomat - da unten der Gehirnautomat folgt dem Automaten. Und ganze Gruppierungen von Menschen gehen über zu einem bloßen materiellen Funktionieren des Gehirnes, was ja das physische Denken ist, sinken in die Körperlichkeit hinein, geben sich nicht den Ruck von innen heraus, um dasjenige zu erfassen, was aus der übersinnlichen Welt gewonnen ist. So ist es immer mehr und mehr mit den Menschen der sogenannten zivilisierten

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Welt seit der Mitte des 15. Jahrhunderts geworden. Und in der Mitte des i9.Jahrhunderts war gerade derjenige Teil der Menschheit, den man innerhalb dieses zivilisierten Teiles von Europa und Amerika die Intellektuellen nennt, physische Denker geworden.

Wenn nun Büöchner oder Moleschott oder der dicke Vogt kamen und ein bißchen nachdachten und sich nicht bewußt wurden, daß da in ihrem eigenen Denken doch etwas dahintersteckt, was sich einen Ruck geben sollte, dann schauten sie sich die Menschen ihrer Gegenwart an und sie interpretierten sie ganz richtig, indem sie sagten: Individualismus,Spiritualismus - falsch; die Gehirne denken! - Es dachten ja auch nur die Gehirne, der Materialismus hatte ja recht. Das ist gerade das Geheimnis, daß die theoretischen Materialisten des 19.Jahrhunderts nichts Falsches sagten, sondern daß sie durchaus Richtiges sagten. Es wäre sogar eine Beleidigung gewesen, wenn der Kollege X von dem Kollegen Y gesagt hätte, er hätte Geist und Seele, denn jener konnte von ihm der Wahrheit gemäß nur sagen, daß da ein Hirn automatisch denkt. Es war also der Materialismus in der Mitte des i9.Jahrhunderts im Grunde genommen richtig, denn er bezieht sich auf ein gewisses Stadium in der Entwickelung der Menschheit, das dadurch charakterisiert ist, daß die Menschen eben materiell geworden sind, daß ihr Denken, Empfinden und Wollen aus der Materie heraus aufsteigt. Es sind dann sogar Mystiker gekommen, die sich in ihr Inneres vertieft haben; aber wir wissen ja: gerade diese Mystiker beobachteten nur das innere Kochen der Materialität innerhalb der Haut, bis es zur Flamme wird und ins Bewußtsein hin- einleuchtet.

Geisteswissenschaft würde Unrecht tun, wenn sie sich nun auf einen bloß logischen Standpunkt stellen wurde. Sie darf nicht sagen: Der Materialismus ist falsch, man widerlege ihn. - Solches Widerlegen ist die Sehnsucht unseres abstrahierenden Zeitalters. Geisteswissenschaft muß in der Erkenntnis Taten verrichten. Also erstens: die Widerlegung des Materialismus für die materiell gewordenen Menschen ist nicht wahr, zweitens ist nichts getan, wenn man den Materialismus bloß widerlegt, sondern es handelt sich darum, daß man heute unter die Menschen dasjenige bringt, was sie dazu veranlaßt, sich einen Ruck zu geben und wiederum herauszukommen aus der Materialität, Gedanken

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zu hegen und zu pflegen, die nachgedacht sind übersinnlichen Ergebnissen. Nicht zu widerlegen, sondern zu überwinden ist der Materialismus! Die Menschen müssen wiederum geistig-seelisch werden, müssen wiederum aufwecken ihr Geistig-Seelisches. Tat muß es sein, den richtigen Materialismus zu überwinden, nicht irgendwie ihn falsch zu widerlegen. Daß der Materialismus für die neuere Kulturentwickelung richtig geworden ist, das eben ist die üble Tatsache, nicht daß er eine falsche Weltanschauung ist. Und nicht darum kann es sich handeln, eine falsche Weltanschauung zu widerlegen, sondern den Menschen in bezug auf ihre seelischen Taten das an die Hand zu geben, daß sie das Materiellwerden der Menschheit überwinden, sich herausholen aus dem Materiellen. Tat muß die hier gemeinte Erkenntnis sein, nicht bloße Logik. Das ist es, um was es sich handelt.

Das aber will man so schwer einsehen heute, wie der Unterschied ist zwischen einem bloßen Herumreden in Bejahungen oder Verneinungen, wobei man nur in der Sphäre abstrakter Begriffe bleibt, und dem, was Tat ist, die unmittelbar aus dem Geistigen herausquillt. Man mache sich nur einmal klar, wie es etwas anderes ist, den Materialismus bloß logisch zu widerlegen, weil man der Meinung ist, er sei falsch, oder den richtigen Materialismus, der die Menschheit als eine Krankheit ergriffen hat, zu überwinden, damit die Gesundung durch die Spiritualität eintrete. Diesen Unterschied muß man sich klarmachen, denn darauf kommt es heute an, daß spirituelle Taten verrichtet werden und diese spirituellen Taten auch hineingetragen werden in das soziale Leben. Dieser Unterschied ist ein ganz intensiver zwischen dem Sich-Wohlgefallen in theoretischer Weltanschauung und dem aktiven Drisinenstehen in der Erkenntnis als Tat.

Auf diese Dinge muß das Augenmerk gerichtet werden, damit man den Unterschied zwischen anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft und andern ähnlichen Bestrebungen heute gewahr werde. Denn diese anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft muß durchaus begriffen werden als etwas, was mit den realen Kräften des Auf- und Niederganges im sozialen Leben zusammei1hängt, real zusammenhängt.

Blicken wir heute nach dem europäischen Osten, da sehen wir, wie sich über dem russischen Wesen, von dem sich der Mensch des Westens

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und Mitteleuropas heute kaum ordentliche Begriffe macht, etwas aus- breitet, was der mitteleuropäische und westeuropäische Mensch gut verstehen kann, wenn er es auch verabscheut, was sich da ausbreitet als Leninismus, als Trotzkiismus. Es gibt viele Menschen, die glauben, mit dem, was da im Osten einmal entstehen werde, habe dieser Len1n1smus und Trotzkiismus irgend etwas zu tun. Gar nichts haben sie zu tun mit dem, was da im Osten entstehen soll, sondern lediglich mit dem, was im Osten zugrunde geht, was weiter zugrunde gerichtet wird durch den Leninismus und Trotzkiismus. Das sind bloß zerstörende Kräfte, und was im Osten entstehen soll, muß sich gegen diese zerstörenden Kräfte herausentwi&eln. Man möchte sagen: Da im Osten hat man irgend etwas als Grundlage (siehe Zeichnung, grün), das beachtet man heute weniger. Darüber hat sich gebreitet in den letzten Jahren dieser Bolschewismus, Leninismus, Trotzkiismus als zerstörende Kräfte (weiß).

#Bild S.040

Aber das, was ich hier grün angedeutet habe, das will an die Oberfläche. Leninismus und Trotzkiismus sind lediglich die Fortsetzung des alten Zarismus, und Lenin ist, was ich hier schon einmal betont habe, der Zar, bloß in einem andern Gewande, im Grunde ganz dasselbe. Der Zarismus stirbt im Leninismus, aber als Zarismus stirbt er im

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Leninismus. Aber schon seit Jahrhunderten arbeitet sich auch gegen den Zarismus im Osten etwas heraus, was jetzt sein eigenes Dasein nur mißversteht, wenn es irgendwie dem Leninismus und dem Trotzkiismus entgegenkommt, und bis weit nach Asien hinein geschieht das. Die Menschen werden erst sehen, vor welchen Umwälzungen sie stehen; es ist nur eine Ruhepause zwischen der letzten Katastrophe und der folgenden. Die schlafenden Seelen werden eines Tages recht unsanft aufgeweckt werden aus ihrem Schlaf während der Ruhepause, werden sich die Augen wischen und die Zipfelmütze wegziehen, wenn sich die Katastrophe fortsetzt. Aber was sich trotzdem da herausarbeitet, das ist die Dorfgemeinde. Und nur derjenige versteht, was im Osten als eine soziale Konstitution sich herausarbeitet, der das Wesen der einzelnen Dorfgemeinden versteht. Die Dorfgemeinde ist das einzig Reale im Osten. Alles übrige ist Institution, die zugrunde geht.

Im Westen wird man zu verstehen haben, wodurch dieses Aggregat der Dorfgemeinde organisiert werden kann. Und wodurch das in einzelne Menschenindividualitäten verfaIlende Meinungsgewebe des Westens auch organisiert werden kann, das ist lediglich die Dreigliederung des sozialen Organismus. Die Dreigliederung des sozialen Organismus muß aufnehmen die einzelnen Glieder der östlichen Dorfgemeinden und muß die zerfallenden alten Organismen des Westens, die sich individualisieren, die als Aggregate in ihre Einzelheiten zerfallen, vor dem Untergang bewahren.

Für die nächste Zeit blüht der sogenannten zivilisierten Welt nur eine Alternative: das ist auf der einen Seite Bolschewismus, auf der andern Seite Dreigliederung. Und wer nicht einsieht, daß es nur diese zwei Dinge gibt für die nächste Zeit, der versteht heute von dem Gang der Ereignisse im großen eben nichts. Aber ein wirkliches Verständnis von diesen Dingen kann man sich ja nur verschaffen dadurch, daß man versucht, jene innere Erziehung, die man sich durch Geisteswissenschaft aneignet, auch anzuwenden auf die Betrachtung und die Handhabung der öffentlichen sozialen Verhältnisse.

Es tut einem heute immer furchtbar leid, wenn man Menschen ihre geistige Kapazität verpuffen sieht in allerlei alten Programmen Und wenn man so wenig sehen kann, wie die Menschen verstehen wollen,

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daß ein wirklich Neues notwendig ist, damit der letzte Rest des Alten, die äußerste Reaktion, der äußerste Konservativismus, nämlich der Bolschewismus überwunden werden kann. Mit denjenigen Programmen, die die heutigen mittleren und westlichen Staatsmänner machen, wird der Bolschewismus ganz gewiß nicht überwunden, denn in denen lebt nichts von dem, was in jedem Impuls der Zukunft leben muß, in denen lebt nichts von dem neuen Geist. Diesen neuen Geist aber braucht man. Und wenn dieser neue Geist nicht in den großen kulturpolitischen Unternehmungen vorhanden ist, so sind die kulturpolitischen Unternehmungen nur geeignet, die Menschheit in weitere Katastrophen dahingleiten zu lassen. Wenn dieser neue Geist nicht darinnen ist in den Parteimeinungen: die Menschheit gleitet weiter hinunter in Katastrophen.

Das ist dasjenige, was man jetzt in allen möglichen Formen überdenken und bedenken sollte. Man wird ja immer wieder gefragt: Ja, Dreigliederung ist schon schön, aber wie wird sich das und jenes ausnehmen, wenn die Dreigliederung des sozialen Organismus eingeführt sein wird? - Da meint eben der Gewürzkrämer, wie wird er dann seine Gewürze verkaufen, wenn die Dreigliederung eingeführt sein wird und so we1ter. - Hier in diesem Saale selbst ist ja vor einiger Zeit die Frage gestellt worden, wie es mit dem Besitz einer Nähmaschine im dreigliedrigen sozialen Organismus stehen werde. Wenn man nicht die Möglichkeit hat, diese Fragen im großen anzufassen und sich zu sagen: treten sie im großen in das soziale Leben ein, dann wird sich das einzelne schon nach ihnen ordnen, dann wird das einzelne schon seine Gestalt bekommen; wenn man nicht in der Lage ist, diese große Frage auch im großen anzufassen, so wird man sich niemals auf die Höhe der heutigen so harten Prüfungszeit der Menschheit stellen können. Aber da hat man schon nötig, seine alten, liebgewordenen Ideen heute in spiritueller Metamorphose zu sehen. Wahrscheinlich ist es auch hier noch so, daß, wenn man am Ende eines Schuljahres die Hefte der mitteleuropäischen Schüler Und Schülerinnen daraufhin durchsehen würde, was für Aufsätze sie gemacht haben, man bei einer großen Anzahl den Satz als Aufsatzthema finden würde: «Ein jeglicher muß seinen Helden wählen, dem er die Wege zum Olymp hinauf sich nacharbeitet.» Dar

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über schreiben Pensionatstöchter, Gymnasiasten und Realschüler schöne Aufsätze. Im Leben aber laufen die Menschen abstrakten Parteiprogrammen nach. Auch so etwas wie diesen Dichterspruch, der gewiß an der Stelle, wo er in der Dichtung steht, seine gute Berechtigung hat, muß man hier in spiritueller Metarmorphose lesen. Wir müssen die Anschauung in der geistigen Welt finden, die hinführt zu den geistigen Wesenhaftigkeiten, unter denen wir uns zusammengruppieren.

Was man früher als konservatives Programm, als liberales Programm anführte, was man heute als sozialdemokratisches Programm, als agrarisches Programm anführt, das alles ist Wischiwaschi, das alles ist abstrakte Formulierung ebenso wie alle Frauenvereinsprogramme, alle vegetarischen Programme und so weiter. Worauf es ankommt, ist, daß man den Gang der Welt kennt in seiner Durchpulsung durch geistige Mächte und daß man zum Beispiel sich die Antwort zu geben vermag, was waltet im Übersinnlichen über derjenigen Menschengruppe, die sich unter irgendeinem frauenvereinlerischen Programm vereinigt und so weiter. Heute muß mit einem gewissen Ernste alles ~hinaufgehoben werden in die Anschauung von der geistigen, von der übersinnlichen Welt, denn nur in dem Zusammenschauen der über sinnlichen mit der sinnlichen Welt ist es möglich, dasjenige zu finden, was uns in unserer heutigen Zeit schwerer Not und schwerer Prüfung wirklich vorwärtsbringen kann.

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DRITTER VORTRAG Dornach, 8. August 1920

Ich möchte heute einiges von dem in diesen Tagen Besprochenen dadurch vertiefen, daß ich an ein älteres Thema anknüpfe, welches eine Anzahl von Ihnen bereits kennen wIrd. Ich habe einmal vor Jahren über die Charakteristik der Gesamtsinnenwelt des Menschen gesprochen. Sie wissen ja, daß, wenn man von den Sinnen spricht, man in gebräuchlicher Art den Gesichtssinn, den Gehörsinn, den Geruchssinn, den Geschmackssinn Und den Tastsinn aufzählt. In der letzteren Zeit sind allerdings auch einige Wissenschafter veranlaßt worden, von andern, sozusagen mehr nach dem Inneren des Menschen hin gelegenen Sinnen zu sprechen, von einem Gleichgewichtssinn und so weiter. Aber dieser ganzen Anschauung von den menschlichen Sinnen fehlt einerseits der Zusammenhang und fehlt andererseits vor allen Dingen das in sich Geschlossene. Man hat es eigentlich immer nur mit einem Teil der menschlichen Sinnesorganisation zu tun, wenn man die gebräuchlich aufgezählten Sinne ins Auge faßt. Vollständig hat man die Sinnesorganisation des Menschen erst erschöpft, wenn man zwölf Sinne ins Auge faßt. Diese zwölf Sinne wollen wir uns heute einmal zunächst, ich möchte sagen, nur aufzählend und in kurzer Charakteristik vor Augen führen.

Man kann die Aufzählung und Charakteristik der Sinne irgendwo beginnen. Beginnen wir also zum Beispiel damit, daß wir den Sehsinn betrachten. Wir wollen zunächst ganz äußerlich, wie es ein jeder für sich konstatieren kann, die Charakteristik ins Auge fassen (siehe Zeichnung S. 48). Der Sehsinn vermittelt uns die Oberfläche der äußeren Körperlichkeit, die uns farbig, hell, dunkel und so weiter entgegentritt. Wir könnten in der mannigfaltigsten Weise diese Oberfläche beschreiben und würden dann dasjenige haben, was der Sehsinn vermittelt. Dringen wir nun durch die sinnliche Anschauung etwas ins Innere der äußeren Körperlichkeit, vermitteln wir uns durch unsere Sinnesorganisation dasjenige, was nicht an der Oberfläche liegt, sondern was sich mehr ins Innere des Körpers hinein fortsetzt, so muß das durch den Wärmesinn

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geschehen. Wiederum mehr gegen uns hergezogen, an uns gebunden, von der Oberfläche der Körperlichkeit gegen uns zugeneigt, nehmen wir Eigenschaften wahr durch den Geschmackssinn. Er liegt gewissermaßen auf der andern Seite des Sehsinnes. Wenn Sie Farben, Hell und Dunkel, und wenn Sie den Geschmack ins Auge fassen, dann werden Sie sich sagen: das was an der Oberfläche der Körperlichkeit Ihnen entgegen- tritt, ist etwas durch den Sehsinn Vermitteltes. Dasjenige, was in der Wechselwirkung mit Ihrem eigenen Organismus Ihnen entgegentritt, was sich gewissermaßen in der Empfindung loslöst von der Oberfläche und gegen Sie zugeht, das vermittelt der Geschmackssinn.

Nun stellen wir uns vor, daß Sie mehr noch in das Innere der Körperlichkeit gehen, als es durch den Wärmesinn möglich ist, daß Sie gewissermaßen nicht nur dasjenige, was die Körperlichkeit von außen durchdringt, aber allerdings im Inneren durchsetzt wie die Wärme, ins Auge fassen, sondern was innere Qualität der Körper durch ihre Wesenheit ist. Zum Beispiel: Sie hören eine metallene Platte, die Sie anschlagen, dann nehmen Sie etwas von der Substantialität dieser metallenen Platte wahr, also von dem inneren Wesen des Metallischen. Während, wenn Sie die Wärme wahrnehmen, Sie durch den Wärmesinn nur dasjenige wahrnehmen, was gewissermaßen als allgemeine Wärme die Körper durchdringt, aber dann allerdings im Inneren ist, so nehmen Sie also durch den Hörsinn dasjenige wahr, was schon mit dem inneren Wesen der Körper zusammenhängt. Gehen Sie jetzt nach der andern Seite, so bekommen Sie etwas, was der Körper auf Sie als Wirkung ausübt, was viel stärker innerlich ist als dasjenige, was wahrgenommen wird durch den Geschmackssinn. Das Riechen ist materiell viel innerlidier als das Schmecken. Das Schmecken geschieht gewissermaßen dadurch, daß die Körper uns nur berühren und dann unsere Absonderungen sich oberflächlich mit unserem Inneren vereinigen; das Riechen, das ist schon eine bedeutsame Veränderung in unserem Inneren, und die Nasenschleimhaut ist etwas, was viel innerlicher organisiert ist - natürlich materiell gemeint als die Geschmackswerkzeuge.

Wenn Sie dann noch weiter in das Innere des äußeren Körperlichen eindringen, wo das äußere Körperliche schon mehr seelisch wird, dann dringen Sie ein durch den Gehörsinn in das Wesen des Metallischen,

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bekommen Sie gewissermaßen die Seele des Metallischen, aber Sie dringen noch tiefer, namentlich in das Äußere ein, wenn Sie nicht nur durch den Gehörsinn wahrnehmen, sondern durch den Wortesinn, durch den Sprachsinn. Es ist eine vollständige Verkennung, daß man glaubt, mit dem Gehörsinn sei auch schon dasjenige erschöpft, was der Wortesinn in sich enthält: man könnte hören, aber man brauchte noch nicht den Inhalt der Worte so wahrzunehmen, daß man ihn versteht. Es ist auch in bezug auf die organische Gliederung ein Unterschied vorhanden zwischen dem bloßen Hören des Tones und dem Wortewahrnehmen. Das Hören des Tones ist vermittelt durch das Ohr, das Wortewahrnehmen ist durch andere Organe vermittelt, welche ebenso physischer Natur sind, wie diejenigen, die den Gehörsinn vermitteln. Und wir dringen auch tiefer in das Wesen eines Äußeren ein, wenn wir es verstehen durch den Wortesinn, als wenn wir sein inneres Wesen bloß tonhaft hören.

Noch mehr nach innen gelegen, schon ganz von den Dingen abgesondert, viel mehr noch, als das beim Geruchssinn der Fall ist, ist jene Vermittlung, die wir nennen können die Vermittlung durch den Tastsinn. Wenn Sie Gegenstände betasten, so nehmen Sie ja eigentlich nur sich selber wahr. Sie betasten einen Gegenstand, der Gegenstand drückt in einer gewissen Weise stark auf Sie, weil er hart ist, oder drückt nur wenig auf Sie, weil er weich ist. Sie nehmen aber nichts vom Gegenstande wahr, sondern Sie nehmen nur das wahr, was in Ihnen selber bewirkt wird: die Veränderung in Ihnen selber. Ein harter Gegenstand schiebt Ihnen Ihre Organe weit zurück. Dieses Zurückschieben als eine Veränderung in Ihrem eigenen Organismus nehmen Sie wahr, wenn Sie durch den Tastsinn wahrnehmen. Sie sehen, indem wir uns mit dem Sinneninneren da hineinbewegen> gehen wir aus uns heraus. Wir sind zunächst wenig aus uns heraus beim Geschmackssinn, mehr aus uns heraus sind wir bei der Oberfläche der Körper, bei dem Sehsinn. Wir dringen schon in den Körper ein durch den Wärmesinn, noch mehr dringen wir ein in das Wesen durch den Hörsinn, und schon gar in das Innere des Wesens hineinergossen sind wir durch den Wortesinn. Dagegen dringen wir in unser Inneres hinein, im Geschmackssinn ist schon etwas davon vorhanden, mehr beim Geruchssinn, mehr noch beim Tastsinn.

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Dann aber, wenn wir noch mehr in unser Inneres eindringen, so tritt in uns ein Sinn auf, welcher eigentlich gewöhnlich schon nicht mehr genannt wird, wenigstens nicht oft genannt wird, ein Sinn, durch den wir unterscheiden, ob wir stehen oder ob wir liegen, durch den wir auch wahrnehmen, wie wir, wenn wir auf unseren zwei Beinen stehen, uns im Gleichgewichte halten. Dieses Sich-im-Gleichgewicht-Fühlen, das wird vermittelt durch den Gleichgewichtssinn. Da dringen wir also schon ganz in unser Inneres ein; wir nehmen die Beziehung unseres Inneren zur Außenwelt wahr, innerhalb welcher wir uns im Gleichgewichte fühlen. Aber wir nehmen das ganz in unserem Inneren wahr.

Dringen wir noch mehr in die äußere Welt hinein, mehr noch, als wir es durch den Wortesinn können, so geschieht das durch den Gedankensinn. Und es gehört, um die Gedanken des anderen Wesens wahrzunehmen> wiederum einfach ein anderes Sinnesorgan dazu, als es der bloße Wortesinn ist. Dagegen, wenn wir noch mehr in unser Inneres hineindringen, dann haben wir einen Sinn, der uns innerlich vermittelt, ob wir in der Ruhe oder ob wir in der Bewegung sind. Wir nehmen nicht nur dadurch, daß die äußeren Gegenstände an uns vorübergehen, wahr, ob wir in Ruhe oder ob wir in Bewegung sind, wir können innerlich an unserer Muskelverlängerung und -verkürzUng, an der Konfiguration unseres Leibes, insofern sich diese verändert, wenn wir uns bewegen, wahrnehmen, inwiefern wir bewegt sind und so weiter. Das geschieht durch den Bewegungssinn.

Wenn wir Menschen gegenüberstehen, dann nehmen wir nicht nur ihre Gedanken wahr, sondern wir nehmen auch das Ich selber wahr. Und auch das Ich ist noch nicht wahrgenommen, wenn man bloß die Gedanken wahrnimmt. Gerade aus demselben Grunde, warum wir abgesondert den Hörsinn vom Sehsinn statuieren, müssen wir, wenn wir auf die feineren Gliederungen der menschlichen Organisation eingehen, auch einen besonderen Ichsinn, einen Sinn für die Ich-Wahrnehmung statuieren. Indem wir in das Ich eines andern Menschen wahrnehmend eindringen, gehen wir am meisten aus uns selber heraus.

Wann gehen wir am meisten in uns selber hinein? Nun, wenn wir im allgemeinen Lebensgefühl dasjenige wahrnehmen, was wir im wachen Zustande immer eben als unser Bewußtsein haben, daß wir sind, daß

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#Bild S.048

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wir uns innerlich erfühlen, daß wir wir sind. Das wird vermittelt durch den Lebenssinn.

Damit habe ich Ihnen die zwölf Sinne, die das vollständige System der Sinnesorgane geben, hingeschrieben. Sie sehen nun ohne weiteres daraus, daß eine gewisse Anzahl von unseren Sinnen gewissermaßen mehr nach außen gerichtet ist, mehr darauf gerichtet ist, in die Außenwelt einzudringen. Wir können, wenn wir das Ganze (siehe Zeichnung) als den Umfang unserer Sinnesweit ansehen, sagen: Ichsinn, Gedankensinn, Wortesinn, Hörsinn, Wärmesinn, Sehsinn, Geschmackssinn, das sind die Sinne, welche mehr nach außen gerichtet sind. Dahin- gegen, wo wir mehr uns selbst wahrnehmen an den Dingen, wo wir mehr die Wirkungen der Dinge in uns wahrnehmen, da haben wir die andern Sinne: Lebenssinn, Bewegungssinn, Gleichgewichtssinn, Tastsinn, Geruchssinn. Sie bilden mehr das Gebiet des Inneren des Menschen; es sind Sinne, welche sich nach innen öffnen und durch das Wahrnehmen des Inneren Uns unser Verhältnis zum Kosmos vermitteln (siehe Zeichnung, schrafflert). So daß also, wenn wir das vollständige System der Sinne haben, wir sagen können: Wir haben sieben mehr nach außen gerichtete Sinne. Der siebente Sinn ist schon zweifelhaft: Der Geschmackssinn steht schon an der Grenze zwischen dem, was die äußeren Körper betrifft und dem, was die äußeren Körper als Wirkung auf uns ausüben. Die andern fünf Sinne sind solche Sinne, welche uns durchaus innere Vorgänge zeigen, die in uns sich abspielen, die aber Wirkungen der Außenwelt auf uns sind. Was ich nun heute an diese Sinnesgliederung, die den meisten von Ihnen bekannt sein wird, anfügen möchte, ist das Folgende.

Sie wissen, wenn der Mensch aufsteigt von der gewöhnlichen Sinneserkenntnis zur höheren Erkenntnis, kann er es dadurch tun, daß er mit seinem Geistig-Seelischen aus seinem physischen Leib heraustritt. Dann treten die höheren Arten des Erkennens auf: Imagination, Inspiration, Intuition. Ich möchte sagen: beschreibend sind Imagination, Inspiration, Intuition ja geschildert in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» und in meiner Schrift «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?». Aber Sie werden sich leicht vorstellen können, daß wir, gerade wenn wir diese Gliederung der Sinne vor uns haben, zu einer besonderen

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Charakteristik dessen gelangen können, was Anschauung oder höheren Welten ist. Wir dringen aus uns heraus. Über welche Grenze schreiten wir denn da? Wenn wir in uns bleiben, wenn wir in uns stecken, dann sind die Sinne unsere Grenzen; wenn wir aus uns heraus- dringen, dann dringen wir durch die Sinne nach außen. Es ist ganz, ich möchte sagen, selbstverständlich, daß, wenn unser Geistig-Seelisches die Leibeshülle verläßt, es durch die Sinne nach außen dringt. Wir kommen also durch die äußeren Sinne, durch den Geschmackssinn, den Sehsinn, den Wärmesinn, den Hörsinn, den Wortesinn, den Gedankensinn und den Ichsinn nach außen. Wir werden nachher sehen, wohin wir koinmen, wenn wir durch die andere Grenze, wo die Sinne sich nach innen öffnen, nach innen dringen. Also wir dringen durch die Sinne nach außen, indem wir mit unserem Geistig-Seelischen gewissermaßen unsere Leibesgrenze verlassen. Da passieren wir zum Beispiel den Sehsinn nach außen: das heißt, wir dringen mit unserem GeistigSeelischen nach außen, indem wir unsere Sehwerkzeuge zurücklassen. Indem wir uns bewegen in der Welt, mit dem seelischen Auge sehend> aber die physischen Augen zurücklassend, wenn wir also gerade durch das Auge verlassen unsere Leiblichkeit, kommen wir in jene Region hinein, wo die Imagination waltet (siehe Zeichnung Seite 48).

Und wenn wir wirklich imstande sind, durch die Initiation gerade durch das Auge hinauszudringen in die geistige Welt, dann bekommen wir reine Imaginationen, Imaginationen, die, ich möchte sagen, Bilder sind, so wie der Regenbogen ein Bild ist, reine Bildimaginationen, webend und lebend im Seelisch-Geistigen. Noch tingiert mit den letzten Resten materiellen Daseins erscheinen die Bilder, wenn wir durch das Geschmacksorgan nach außen dringen. So daß wir also sagen können: Dringen wir durch das Geschmacksorgan nach außen, so sind die Imaginationen tingiert, also förmlich betupft mit Materialität. Wir bekommen nicht reine duftige Bilder wie beim Regenbogen, sondern wir bekommen etwas, was tingiert ist, was gewissermaßen im Bilde etwas wie eInen letzten Rest des Materiellen enthält: wir bekommen Gespenster, richtige Gespenster, wenn wir durch das Geschmacksorgan den physischen Leib verlassen. Verläßt man durch den Wärmesinn den physischen Leib, so bekommt man die Bilder auch tingiert. Die Bilder, die sonst rein sind,

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ich möchte sagen, wie der Regenbogen, die erscheinen dann so, daß sie uns seelisch in einer gewissen Weise affizieren. Das macht jetzt ihre Tingierung aus. Beim Geschmacksorgan verdichtet sich gleichsam das Bild zum Gespensterhaften.Wenn wir aber durch denWärmesinn nach außen gehen, bekommen wir allerdings auch Imaginationen, aber Imaginationen, welche seelisch wirken, welche sympathisch, antipathisch wirken, welche seelisch warm oder kalt wirken. Also die Bilder erscheinen nicht in der gleichen Weise gelassen wie die andern, sondern sie erscheinen warm oder kalt, aber seelisch warm oder kalt.

Wenn wir nun durch unser Ohr, durch den Gehörsinn unseren Leib verlassen, dann kommen wir hinaus in die geistig-seelische Welt und erleben die Inspiration. Also hier vorher (in der Zeichnung) erleben wir Imaginationen, tingiert mit seelisch Affizierendem; wenn wir durch den Gehörsinn unseren Leib verlassen, dringen wir in das Gebiet der Inspiration. Während sonst diese Sinne mehr nach außen hin gehen, dringt jetzt das, was da vom Wärmesinn zum Gehörsinn herüber- kommt, wenn wir den Leib verlassen, mehr in unser seelisch-geistiges Inneres ein. Denn Inspirationen gehören mehr dem seelisch-geistigen Inneren an als Imaginationen, wir werden mehr berührt, nicht nur affektiv, sondern wir fühlen uns durchdrungen mit Inspirationen, wie wir Uns leiblich durchdrungen fühlen mit der Luft, die wir eingeatmet haben, so fühlen wir uns seelisch durchdrungen mit den Inspirationen, in deren Region wir hineingelangen, wenn wir durch den Gehörsinn unseren Leib verlassen.

Wenn wir durch den Wortesinn, durch den Sprachsinn unseren Leib verlassen, dann tingieren sich wiederum die Inspirationen.Das ist etwas, was ganz besonders wichtig ist, daß man kennenlernt dasjenige Organ, das ebenso real da ist in der physischen Organisation, wie der Gehörsmn da ist, wenn man sich ein Gefühl erwirbt zunächst für das, was der Sprachsinn ist. Wenn man durch dieses Organ den physischen Leib mit dem Geistig-Seelischen verläßt, so tingiert sich die Inspiration mit innerlichem Erleben, mit dem Sich-Eins-Fühlen mit dem fremden Wesen.

Wenn wir durch den Gedankensinn unseren Leib verlassen, dann dringen wir in das Gebiet der Intuitionen. Und wenn wir durch den

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ichsinn unseren Leib verlassen, dann sind die Intuitionen tingiert mit Wesenhaftem der geistigen Außenwelt.

So dringen wir immer mehr und mehr in das Wesenhafte der geistigen Außenwelt ein, sobald wir mit unserem Geistig-Seelischen den Leib verlassen, und wir können immer hinweisen darauf, wie eigentlich das, was uns umgibt, die geistige Welt ist. Aber der Mensch ist gewissermaßen herausgedrängt aus der geistigen Welt. Was da hinter den Sinnen ist, nimmt er ja erst wahr, wenn er durch sein Geistig-Seelisches den Leib verläßt. Aber es drückt sich ab durch die Sinne: Es erscheinen uns die Intuitionen durch den Ich- und den Gedankensinn, aber nur die Abdrücke davon; die Inspirationen durch den Wortesinn und den Hörsinn, aber wiederum nur Abdrücke davon; die Imaginationen durch den Wärmesinn und den Sehsinn, und ein wenig durch den Geschmackssinn, aber abgetönt, hereingenommen, ins Sinnliche verwandelt. Schematisch könnte man die Sache so zeichnen: An der Grenze ist die Wahrnehmung der Sinneswelt (siehe Zeichnung, rot); gelangt man hinaus mit

#Bild S.052

dem Geistig-Seelischen, so dringt man in die geistige Welt ein (siehe Zeichnung, gelb) durch Imagination, Inspiration und Intuition. Und das zu Imaginierende, das zu Inspirierende, zu Intuitierende, das ist da draußen. Aber indem es in uns eindringt, wird es zu unserer Sinneswelt.

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Sie sehen: Atome sind nicht da draußen, wie es sich die Materialisten phantasieren, sondern da draußen ist die Welt des Imaginativen, des Inspirierten, des Intuitiven. Und indem diese Welt auf uns wirkt, entstehen die Abdrücke davon in den äußeren Sinneswahrnehmungen. Daraus sehen Sie, daß - wenn wir durch unsere Haut, welche die Sinnesorgane umschließt, gewissermaßen nach außen dringen, aber nach den verschiedenen Richtungen hin, in denen die Sinne wirken - wir dann in die objektive geistig-seelische Welt hineingelangen. Da dringen wir durch die Sinne, die wir als nach außen sich öffnend erkannt haben, in die Außenwelt ein.

Sie sehen also, daß der Mensch, wenn er durch seine Sinne in die Außenwelt dringt, wenn er die Schwelle, die, wie Sie daraus ersehen, sehr nahe ist, nach der Außenwelt hin überschreitet, er in die objektiv geistig-seelische Welt hineindringt. Das ist das, was wir durch Geistes- wissenschaft zu erreichen versuchen: in diese objektive geistig-seelische Welt einzudringen. Wir kommen zu einem Höheren, indem wir durch unsere äußeren Sinne in dasjenige eindringen, was innerhalb der Sinnes- weIt durch einen Schleier für uns bedeckt ist.

Wie ist es nun, wenn wir durch die inneren Sinne, den Lebenssinn, den Bewegungssinn, den Gleichgewichtssinn, den Tastsinn, den Geruchssinn in unser Inneres eindringen, wenn wir - ebenso, wie wir durch die äußeren Sinne nach außen dringen - durch diese inneren Sinne in uns eindringen? Da nimmt sich die Sache überhaupt anders aus. Schreiben wir uns noch einmal diese inneren Sinne auf: Geruchssinn, Tastsinn, Gleichgewichtssinn, Bewegungssinn, Lebenssinn. Was da eigentlich in uns vorgeht, das wird da nicht wahrgenommen. Wir nehmen im gewöhnlichen Leben eigentlich das, was im Bereiche dieser Sinne vorgeht, nicht wahr; das bleibt unterbewußt. Dasjenige, was wir im gewöhnlichen Leben durch diese Sinne wahrnehmen, ist schon heraufgestrahlt in das Seelische.

Sehen Sie, wenn das die äußere geistige Welt der Imagination, Inspiration, Intuition ist (siehe Zeichnung S. 54, rot), so strahlt sie gewissermaßen auf unsere Sinne, und durch die Sinne wird vor uns hingestellt, wird die sinnliche Welt eben erzeugt. Da wird also um eine Stufe hereingeschoben die äußere Geistwelt. Was aber diese Sinne umschließt, und

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#Bild S.054

was da unten in der Körperlichkeit wühlt (orange), das nimmt man unmittelbar nicht wahr. So wie man unmittelbar nicht wahrnimmt die objektive äußere Geistwelt, sondern nur in ihrer Hereingeschobenheit in unsere Sinne, so nimmt man unmittelbar auch nicht das wahr, was da in unserem Körper wühlt, sondern nur das Heraufgeschobensein in das Seelische. Man nimmt gewissermaßen die seelischen Wirkungen dieser Inneren Sinne wahr. Sie nehmen nicht die Vorgänge wahr, welche die Lebensvorgänge sind, sondern Sie nehmen wahr vom Lebenssinn (siehe Zeichnung Seite 48), was Gefühl ist davon, was Sie nicht wahrnehmen, wenn Sie schlafen, was Sie wahrnehmen als innere Behaglichkeit beim Wachen, als das Durchbehaglichtsein, was nur gestört ist, wenn eInem irgend etwas weh tut in seinem Inneren. Da ist der Lebenssinn, der sonst als Behaglichkeit heraufstrahlt, so, daß er gestört ist, geradeso wie ein äußerer Sinn gestört ist, wenn man zum Beispiel schlecht hört. Aber im ganzen lebt sich beim gesunden Menschen der Lebenssinn als Behaglichkeit aus. Jenes Durchdrungensein von Behaglichkeit, erhöht nach einer würzigen Mahlzeit, etwas herabgestimmt beim Hunger, dieses allgemeine innerliche Sich-Fühlen, das ist die in die Seele hineingestrahlte Wirkung des Lebenssinnes.

Der Bewegungssinn (siehe Zeichnung Seite 48), dasjenige, das da in uns vorgeht, indem wir durch Verkürzung und Verlängerung unserer Muskeln wahrnehmen, ob wir gehen oder stehen, ob wir springen oder tanzen, also wodurch wir wahrnehmen, ob und wIe wIr in Bewegung sind, das gibt, in die Seele hineingestrahlt, jenes Freiheitsgefühl des Menschen, das ihn sich als Seele empfinden läßt: Empfindung des eigenen freien Seelischen. Daß Sie sich als eine freie Seele empfinden, das ist die Ausstrahlung des Bewegungssinnes, das ist das Hereinstrahlen

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der Muskelverkürzungen und Muskelverlängerungen in Ihr Seelisches, so wie die innere Behaglichkeit oder Unbehaglichkeit das Hereinstrahlen der Ergebnisse, der Erfahrungen desLebenssinnesin Ihr Seelisches ist.

Wenn der Gleichgewichtssinn hereinstrahlt in das Seelische, da lösen wIr schon sehr stark dieses Seelische los. Denken Sie nur einmal, wie wenig wir darauf aus sind - wenn wir nicht gerade ohnmächtig geworden sind, dann wissen wir nichts davon -, unmittelbar wirklich zu empflnden, daß wir in die Welt im Gleichgewichte hineingestellt sind. Wie empfinden wir denn, in die Seele hineingestrahlt, die Erlebnisse des Gleichgewichtssinnes? Das ist schon ganz seelisch: wir empfinden das als innere Ruhe, als jene innere Ruhe, welche macht, daß, wenn ich von da bis hierher gehe, ich doch nicht zurücklasse den, der da in meinem Körper steckt, sondern ihn mitnehme; der bleibt ruhig derselbe. Und so könnte ich durch die Luft fliegen, ich würde ruhig derselbe bleiben. Das ist dasjenige, was uns unabhängig erscheinen läßt von der Zeit. Ich lasse mich auch heute nicht zurück, sondern ich bin morgen derselbe. Dieses Unabhängigsein von der Körperlichkeit, das ist das Hineinstrahlen des Gleichgewichtssinnes in die Seele. Es ist das Sich als Geist Fühlen.

Noch weniger nehmen wir wahr die inneren Vorgänge des Tastsinnes. Die projizieren wir ja ganz nach außen. Wir fühlen den Körpern an, ob sie hart oder weich sind, ob sie rauh oder glatt sind, ob sie seidig sind oder wollen; wir projizieren die Erlebnisse des Tastsinnes ganz in den äußeren Raum. Eigentlich ist das, was wir im Tastsinn haben, ein inneres Erlebnis, aber was da innerlich vorgeht, das bleibt ganz im Unbewußten. Davon ist nur ein Schatten vorhanden in den Eigenschaften des Tastsinnes, die wir den Körpern zuschreiben. Aber das Organ des Tastsinnes, das macht, daß wir die Gegenstände seiden oder wollen, hart oder weich, rauh oder glatt fühlen. Das strahlt auch ins Innere herein, das strahlt in die Seele herein; nur merkt der Mensch den Zusammenhang seines seelischen Erlebnisses mit dem, was der äußere Tastsinn ertastet, nicht, weil die Dinge sich sehr differenzieren - was da ins Innere hineinstrahlt und was nach außen hin erlebt wird. Aber dasjenige, was da ins Innere hineinstrahlt, ist nichts anderes als das Durchdrungensein mit dem Gottgefühl. Der Mensch würde, wenn

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er keinen Tastsinn hätte, das Gottgefühl nicht haben. Was da im Tastsinn sich als Rauheit und Glätte, Härte und Weichheit erfühlt, das ist das nach außen Strahlende; was sich zurückschlägt in der Seelenerscheinung, das ist das Durchdrungensein mit der allgemeinen Weltsubstantialität, das Durchdrungensein mit dem Sein als solchem. Wir konstatieren das Sein der äußeren Welt gerade durch den Tastsinn. Wir glauben noch nicht, wenn wir irgend etwas sehen, daß es auch im Raume vorhanden ist; wir überzeugen uns, daß es im Raume vorhanden ist, wenn der Tastsinn es ertasten kann. Dasjenige, was alle Dinge durchdringt, was auch in Uns hereindringt, was Sie alle hält und trägt, diese alles durchdringende Gottsubstanz kommt ins Bewußtsein und ist, nach innen reflektiert, das Erlebnis des Tastsinnes.

Der Geruchssinn: seine Ausstrahlung nach außen kennen Sie. Wenn der Geruchssinn aber seine Erlebnisse nach innen strahlt, dann merkt der Mensch schon gar nicht mehr, wie diese Inneren Erlebnisse mit den äußeren Erlebnissen zusammenfallen. Wenn der Mensch irgend etwas riecht, so ist das die Ausstrahlung seines Geruchssinnes nach außen; er projiziert die Bilder nach außen. Aber diese Wirkung projiziert sich auch nach innen. Der Mensch beachtet sie nur seltener als die Wirkung nach außen. Manche Leute riechen gern wohlriechende Dinge, da beobachten sie die Ausstrahlung des GerUchssinnes nach außen. Aber es gibt auch Leute, die sich dem hingeben, was da als die Wirkung des Geruchssinnes nach innen so intensiv das Innere ergreift, was nicht nur wie das Gottesgefühl den Menschen durchdringt, sondern was sich so hineinsetzt in den Menschen, daß er es als mystisches Einssein mit Gott empfindet.

5. Geruchssinn = mystisches Einssein mit Gott

4. Tastsinn = Durchdrungensein mit dem Gottgefühl

3. Gleichgewichtssinn = innere Ruhe, sich als Geist fühlen

2. Bewegungssinn = Empfindung des eigenen freien Seelischen

1. Lebenssinn = Behaglichkeit

Sie sehen, man muß sich, wenn man die Dinge durchschaut, so wie sie wirklich in der Welt sind, von manchem sentimentalen Vorurteile losmachen. Denn manch einer wird ganz sonderbare Gefühle haben, wenn

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er Mystiker sein will und nun erfährt, was eigentlich dieses mystische Erlebnis im Verhältnis zur Sinneswelt ist: es ist das in das Innere der Seele einstrahlende Geruchssinn-Erlebnis.

Man braucht vor solchen Dingen nicht zu erschrecken, denn auch unsere Empfindungen bilden wir ja nur in der äußeren konventionellen Scheinwelt, in der Maja. Und warum sollte man denn, wenn man den Geruchssinn nicht gleich als etwas vom Höchsten betrachtet, dieses Majaurteil über den Geruchssinn beibehalten? Warum sollte man denn nicht in der Lage sein, diesen Geruchssinn in seinem höheren Aspekt zu betrachten, wo er der Schöpfer der inneren Erlebnisse des Menschen wird? Ja, die Mystiker sind manchmal arge Materialisten, sie verdammen die Materie, sie wollen sich über die Materie erheben, weil die Materie etwas so Niedriges ist, und sie erheben sich über die Materie, indem sie sich innerlich wohlgefällig den Wirkungen des Geruchssinnes nach innen hingeben.

Wer für solche Dinge eine feinere Empfänglichkeit und Empfindlichkeit hat, der wird gerade bei ausgesprochenen Mystikern sympathischer Art, wie der Mechthild von Magdeburg oder der heiligen Therese oder Johannes vom Kreuz, wenn sie ihre inneren Erlebnisse beschreiben - und solche Persönlichkeiten beschreiben sehr anschaulich -, an der besonderen Art der Erlebnisse die Dinge «riechen». Mystik, auch bei Meister Eckhart oder bei Johannes Tauler, ist ebensogut, ja adäquater zu riechen, als mit Wollust durch die seelische Empfindung einzusaugen. Wenn man zum Beispiel die Beschreibung der mystischen Erlebnisse der heiligen Therese nimmt oder der Mechthild von Magdeburg, so hat man einen süßlichen Geruch in seinem Inneren, wenn man die Dinge okkult versteht. Wenn man die Mystik des Tauler, des Meister Eckhart nimmt, dann hat man so etwas von einem Geruch, wie etwa die Rautepflanze riecht, einen herben, aber nicht unsympathischen Geruch.

Kurz, das Eigentümliche, das Frappierende, das einem da entgegentritt, besteht darin, daß, wenn man sich durch die Sinne nach außen entfernt, man in eine höhere Welt hineinkommt, in eine objektiv geistige Welt. Wenn man hinuntersteigt durch Mystik, durch das Durchdrungensein mit dem Gottgefühl, durch die innere Ruhe des Sich-als Geist - Fühlen, durch das Sich-seelisch-frei-Fühlen, durch die innere Behaglichkeit:

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dann kommt man in Körperlichkeit, in Materialität hinein, was ich Ihnen ja schon angedeutet habe in diesen Betrachtungen. Beim Inneren Erleben kommt man, majahaft gesprochen, Immer in niedrigere Regionen hinein als diejenigen, die man schon im gewöhnlichen Leben hat. Beim äußeren Sich-Erheben über die Sinne kommt man in höhere Regionen hinein. Daraus sehen Sie wohl auch, wie es darauf ankommt, daß man sich über diese Dinge keinen Illusionen hingibt, daß man vor allen Dingen sich nicht der Illusion hingibt, daß man glaubt, man dringe in eIne besondere Geistigkeit ein, wenn man durch das mystische SichEinsfühlen mit dem Göttlichen In sein Inneres hineinsteigt. Nein, da steigt man nur In die Ausstrahlungen seiner Nase nach innen hinein. Und diejenigen Mystiker, die am meisten geliebt werden, die geben Uns durch ihre Beschreibungen dasjenige, was sie durch die Ausstrahlungen der nach innen fortgesetzten Nase in ihrem Inneren fühlen.

Sie sehen: redet man von jenseits der Schwelle, redet man von der geistigen Welt aus über die Angelegenheiten dieser Welt, dann muß man In ganz andern Worten reden, als die Menschen es sich von dieser physischen Welt aus vorstellen. Das sollte Sie eigentlich nicht verwundern, denn Sie brauchen ja nicht erwarten, daß die geistige Welt jenseits der Schwelle eine bloße Doublette dieser physischen Welt hier sei. Solche Doubletten können Sie einzig und allein erleben, wenn Sie die Beschreibungen der höheren Welt in der Esoterik des Islam lesen, oder wenn Sie die Beschreibungen des Devachan vom Herrn Leadbeater lesen. Da haben Sie, nur ein wenig verändert, aber im Grunde genommen Doubletten von dieser Welt. Das ist den Leuten sehr behaglich. Insbesondere bei denen, welche ein gewisses Salonleben in guten Kleidern und bei sonst hinreichenden Gelüstebefriedigungen hier in der physischen Welt führen, kann man es leicht flnden, daß sie auch jenen Devachansalon, in dem man sich dann aufhalten kann, wIe in eIner ähnlichen Weise in den Salons hier, nach ihrem Tode betreten, wie es ihnen ja auch Herr Leadbeater beschreibt. In dieser bequemen Lage ist derjenige nicht, der die Wahrheiten der geistigen Welten beschreiben muß. Der muß Ihnen sagen, daß das Durchdrungensein mit dem Gottgefühl zu der Projektion des Riechens nach innen führt, und daß der Mystiker eigentlidi dem wirklichen Okkultisten nichts anderes verrät, als wie er in

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seinem Inneren riecht. Zur Sentimentalität ist keine Gelegenheit bei wirklicher Betrachtung der Welt von der geistigen Seite aus. Ich habe es oftmals erwähnt: Dringt man wirklich in die geistige Welt hinein, dann beginnt der Ernst in solchem Maße, daß alle Dinge selbst andere Worte bekommen müssen, als sie hier haben, und daß die Worte selbst ganz entgegengesetzte Bedeutung bekommen. In die geistige Welt eindringen, heißt nicht bloß Gespenster der hiesigen Welt beschreiben, sondern man muß sich darauf gefaßt machen, daß man vieles von dem erlebt, was das Gegenteil der physischen Welt hier ist, vor allen Dingen aber das Gegenteil des Angenehmen ist.

Ich wollte Ihnen diesen Gesichtspunkt heute hinstellen, um Ihnen ein mehr allgemeines Gefühl zu vermitteln von dem, was unserer Zeit wirklich notwendig ist. Wenn man hinhorcht auf das, was einem heute vom Westen entgegentönt - im Osten, und je weiter man nach dem Osten hinkommt, ist es etwas anderes -, wenn ein Gedanke in westlicher Form wiedergegeben wird, dann ist es oft so,daß man sagt: so kann man nicht im Französischen sich ausdrücken, so kann man nicht im Englischen sich ausdrücken. Je weiter man nach Westen kommt, desto mehr findet man dieses Urteil. Was bedeutet dieses Urteil aber anderes als das Hängen an dem Physischen, das schon Erstarrtsein in dem Physischen gegenüber der wirklichen Welt? Was kommt es auf Worte an? Es kommt vielmehr darauf an, daß man sich über die Worte hinaus über die Dinge verständigt. Dann aber muß man auch die Worte loslösen können von den Dingen, und man muß nicht nur die Worte loslösen können, sondern man muß sogar die in der Sinneswelt erworbenen subjektiven Empfindungen loslösen können. Wenn man den Geruchssinn als einen niederen Sinn betrachtet, so ist das ein Urteil, gewonnen aus der Sinneswelt. Und wenn man sein inneres Korrelat, die Mystik als ein Höheres betrachtet, so ist das auch ein Urteil aus der Sinneswelt. Von jenseits der Schwelle angesehen, ist die Organisation des Geruchssinnes etwas außerordentlich Bedeutendes, und die Mystik ist nicht etwas so Großartiges, wenn sie von jenseits der Schwelle angesehen wird. Denn die Mystik ist durchaus ein Produkt der materiellen, physischen Welt, sie ist nämlich dieArt,wieMenschen in die geistigeWelt eindringen wollen, die eigentlich materialistisch bleiben, indem sie das, was hier ist, erst recht

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als Materie ansehen. Das ist ihnen zu niedrig, zu materialistisch. Würden sie allerdings eindringen in das, was da draußen ist, dann kämen sie gerade in die geistige Welt, in die Hierarchien. Statt dessen aber dringen sie in ihr Inneres: da tappen sie in die volle Materie innerhalb der eigenen Haut hinein! Das kommt ihnen allerdings als der höhere Geist vor. Aber es handelt sich nicht darum, daß wir durch unsere geist-seelischen Phänomene mystisch hinunterdringen in unsere Körper, sondern es handelt sich darum, daß wir durch unsere materiellen Phänomene, durch die Phänomene der Sinneswelt hindurchdringen in die Geistwelt hinein, in die Welt der Hierarchien, in die Welt der geistigen Wesenhaftigkeiten. Nicht eher, als bis die Welt es verträgt, solche Töne an- schlagen zu hören, nicht eher, als bis die Welt es verträgt, daß über die Welt ganz anders gesprochen wird als in den letzten vier Jahrhunderten, nicht eher, als bis die Welt es verträgt, daß wir auch unsere sozialen Urteile aus solchen vollständig umgewandelten Begriffen bilden, kommen wir zu Impulsen, die wiederum zu einem Aufgang führen. Wollen wir aber verbleiben in alledem, was wir uns angeeignet haben, und wollen wir daraus unser soziales Tun orientieren, dann segeln wir immer tiefer in den Niedergang hinein, dann geht es hinunter in den Niedergang des Abendlandes.

Worauf beruht so etwas, wie das Urteil Oswald Spenglers? Es beruht darauf, daß er ein sehr genialer Mensch ist, der aber nichts anderes denken kann als die gewöhnlichen Begriffe des Abendlandes, die man jetzt hat. Die analysiert er. Da rechnet er aus - was für diese Begriffe durchaus richtig ist -, daß mit dem Beginn des dritten Jahrtausends an die Stelle unserer Zivilisation die Barbarei getreten sein wird. Wenn man ihm von Anthroposophie redet, bekommt er einen roten Kopf, weil er es nicht ausstehen kann. Würde er verstehen, was durch die Anthroposophie in die Menschheit einziehen kann, wie sie die Menschen beleben kann, dann würde er sehen, daß einzig und allein durch sie der Niedergang abgewendet werden kann, daß man einzig und allein durch sie zu einem Aufstiege kommen kann.

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VIERTER VORTRAG Dornach, 14. August 1920

Sie werden aus dem Zusammenhange mancher Darlegungen der letzten Zeit mit allerlei Kundgebungen von außen eines wohl entnehmen können, daß unsere anthroposophische Bewegung in ein Stadium eingetreten ist, welches von jedem einzelnen, der sich an ihr beteiligen will, voraussetzt, daß er diese Beteiligung mit einem sehr ernsten Verantwortlichkeitsgefühl verbindet. Es ist ja in dieser Richtung öfters von mir gesprochen worden. Allein es wird nicht immer der Zusammenhang, um den es sich dabei handelt, in durchdringender Weise ins Auge gefaßt. Wir dürfen eben, gerade weil wir innerhalb unserer Bewegung stehen, nicht aus dem Auge verlieren, in welch ungeheuer ernster Zeit die europäische Zivilisation mit ihrem amerikanischen Anhange sich gegenwärtig befindet. Und wenn wir auch gar nicht von uns aus das eine oder das andere sagen würden - was aber durchaus zu sagen notwendig ist -, was als Zusammenhang besteht zwischen den Impulsen, die aus anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft kommen, und den zeitgeschichtlichen Ereignissen der Gegenwart: diese Ereignisse der Gegenwart würden heranschlagen an das, womit wir uns beschäftigen, und würden ganz zweifellos auch ohne unser Zutun sich mit dem beschäftigen, was in unserer Linie liegt. Es handelt sich darum, daß wir tatsächlich nicht die Augen verschließen vor der ganzen Bedeutung dessen, was mit solchen Worten angedeutet ist.

Es ist vielleicht einer Reihe von Freunden, denen es früher noch nicht klar war, gerade aus den gestrigen Darlegungen von Dr. Boos klar geworden, in welch notwendigem und sachlichem Zusammenhange die Dreigliederungsidee mit alledem steht, was auf dem Grunde der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft gewollt ist.

Der Weltengang gleicht gegenwärtig einem außerordentlich komplizierten Organismus, und aus den mannigfaltigsten Erscheinungen, die man sorgfältig beobachten muß, geht hervor, welchen Gang dieser organismus nimmt. Es geschieht heute sehr vieles, was zunächst scheinbar unbedeutend ins Dasein tritt. Dieses Unbedeutende, dieses scheinbar Unbedeutende bedeutet aber zuweilen etwas außerordentlich Einsdineidendes

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und Eingreifendes. Es geschehen Dinge wiederum, die im eminentesten Sinne zeigen, wie außerordentlich schwer es ist, sich aus den altgewohnten Vorstellungen heraus zu einer Anschauung aufzuschwingen, die der heutigen Zeit angemessen ist.

Sie sehen aus mancherlei Zeitungsäußerungen der letzten Tage, wie das, was hier von Dornach ausgeht, hinauswirkt in die Welt, wie es zum Teil von diesem oder jenem aufgenommen wird, und man soll eben solche Ereignisse außerordentlich ernst betrachten. Man soll sich darüber klar sein, daß im Grunde genommen jedes Wort, das von uns heute ausgesprochen wird, durch und durch bedacht sein muß, und daß wichtige Worte eigentlich nicht ausgesprochen werden sollten, ohne daß man sich die Verpflichtung auferlegt, sich von dem allgemeinen Weltengang, wie er eben heute ein außerordentlich komplizierter Organismus ist, Kenntnis zu verschaffen. Auf Dinge, die hier in Betracht kommen, wird mir noch obliegen, in der allernächsten Zeit einzugehen; aber ich möchte heute einleitend doch dieses bemerken, daß gerade durch die Verknüpfungen unserer Bewegung mit dem allgemeinen Weltengange es uns vor allen Dingen obliegt, wirklich ein volles Verständnis dafür zu erwerben, daß wir nicht mehr unsere Bewegung irgendwie sektenmäßig betreiben dürfen. Ich habe über dieses Faktum des öfteren gesprochen. Durchaus ist heute die Zeit gekommen, wo wir nötig haben, jeden einzelnen Mitarbeiter zu übernehmen, aber jeden einzelnen Mitarbeiter mit der breiten vollen Verantwortung für dasjenige, was er im Sinne unserer Bewegung vertritt. Und diese Verantwortung sollte doch so gestaltet sein, daß sie eben verknüpft ist damit, sich verpflichtet zu fühlen, nichts zu sagen, was nicht durch innere Gründe in rechtem Zusammenhang erscheint mit dem allgemeinen Gang der heutigen Weltereignisse. Am wenigsten im Einklang mit den heutigen Weltereignissen ist ein sektiererisches Treiben. Was heute vertreten werden soll, muß durchaus im Angesichte der ganzen Welt vertreten werden können und darf weder einen sektiererischen noch einen dilettantischen Charakter tragen, gleichgültig, ob es Gesprochenes oder ob es Getanes ist. Wir dürfen nicht zurückschrecken davor, durchzusegeln zwischen der Skylla und der Charybdis.

Gewiß wird sich mancher sagen und damit auf eine gewisse Skylladeuten:

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Wie soll ich mich denn darüber informieren, was heute geschieht, da der Gang der Ereignisse ein so verwickelter geworden ist, da man heute so schwer aus den Symptomen auf die innere Bewegung der Tatsachen schließen kann? - Aber das soll eben nicht, ich möchte sagen,zur Charybdis hinführen, das heißt, tatenlos zu sein; sondern es sollte eben zum richtigen Durchsegeln führen, nämlich zum Fühlen der Verpflichtung, sich, so gut es geht, mit allen nur zugänglichen Mitteln in Einklang zu versetzen mit dem Gang der allgemeinen Weltenereignisse.

Es ist ja gewiß leichter, sich zu sagen: Da ist die Anthroposophie, die lerne ich; auf ihrem Boden denke ich auch ein bißchen nach, erforsche das eine oder das andere und das vertrete ich dann vor der Welt. - Gerade dadurch kommen wir in die Sektiererei hinein, wenn wir so, gewissermaßen mit Scheuledern gegenüber den so großen, wichtigen Ereignissen der Gegenwart, einfach ohne rechts und links zu sehen, auf einem solchen Wege tätig sein wollen, wie ich es eben angedeutet habe. Uns obliegt es, den Gang der Ereignisse der Gegenwart zu studieren und vor allen Dingen bei diesem Studieren zugrunde zu legen dasjenige, was uns an Urteilen zukommen kann durch die Tatsachen, die aus anthroposophischer Geisteswissenschaft selber folgen.

Die ganzen Jahre her sind hier Tatsachen zusammengetragen worden mit dem Zwecke, daß auf Grundlage dieser Tatsachen der einzelne in die Lage kommt, sich ein Urteil zu bilden. Es dürfen diese Tatsachen nicht unberücksichtigt bleiben, wenn man von unseren Beobachtungen aus ein Urteil über irgend etwas, was heute geschieht, fällen will. Dies möchte ich heute nur im allgemeinen hingestellt haben und werde in der allernächsten Zeit auf Einzelheiten nach dieser Richtung eingehen.

Ich möchte heute einiges von dem vorbringen, was ergänzen wird, was ich letzten Sonntag hier über das Wesen des menschlichen Sinnesorganismus vorgebracht habe. Und ich möchte davon ausgehen, daß ich einen Gegensatz vor Sie hinstelle, den ich oftmals schon gerade an diesem Orte zum Ausdruck gebracht habe. Es besteht ja heute, ohne daß das große Publikum viel davon weiß, aber doch in dieser Richtung denkt, ich möchte sagen, das Inflziertsein durch die naturwissenschaftlidie Denkweise auf der einen Seite, und auf der andern Seite besteht bei dem einen noch ein alter traditioneller Glaube an sittliche oder

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religiöse Ideale, bei dem andern besteht nurmehr Skeptizismus, Zweifel- sucht in dieser Beziehung, bei dem dritten Gleichgültigkeit und so weiter. Dieser große Gegensatz, der durchzittert und durchzuckt heute im Grunde die ganze Menschheit: Wie verhält sich der notwendige Gang der Naturereignisse zu dem, was die Geltung der ethischen, sittlichen und religiösen Ideale ist?

Noch einmal will ich erwähnen, was ich ja vor eine große Anzahl von Ihnen bereits hingestellt habe: Wir haben eine naturwissenschaftliche Weltanschauung auf der einen Seite; sie glaubt, durch ihre Tatsachen etwas ausmachen zu können über den Weltengang, namentlich den Weltengang der Erde. Und wenn sie auch dasjenige, was sie sagt, als hypothesenhaft betrachtet, so impft sich das doch dem ganzen Denken, dem ganzen Empfinden und dem ganzen Fühlen der Menschheit ein. Man führt unser Erdendasein auf eine Art Nebelzustand zurück. Man betrachtet dann als durch rein naturgesetzliche Notwendigkeit hervorgebracht alles, was aus diesem Nebelzustand hervorgegangen ist, und man sieht auf den Endzustand unseres Erdendaseins hin, indem man wiederum starre, notwendige Naturgesetze zugrunde legt und sich Vorstellungen darüber macht, wie diese Erde zugrunde gehen wird. Und man hat, indem man eine solche Anschauung aufstellt, eine Grundvorstellung, welche heute auch schon ganz populär geworden ist, welche den Kindern in der Schule beigebracht wird; man hat die Grundvorstellung, daß der Stoff des Weltenalls, gleichgültig ob man ihn aus Atomen oder Ionen und dergleichen bestehen läßt, unzerstörbar sei, daß also gewissermaßen der Stoff beim Ausgangspunkt der Erdenbildung in einer gewissen Weise geballt war, sich dann umgewandelt, metamorphosiert hat, aber daß im Grunde genommen heute derselbe Stoff da ist, der im Beginn der Erdenentwickelung da war, und daß derselbe Stoff am Ende der Erdenentwickelung da sein wird, nur anders geballt, daß der Stoff unzerstörbar ist, daß alles nur Verwandlungen im Stoffe sind.

Man hat hinzugefügt zu dieser Anschauung diejenige von der sogenannten Erhaltung der Kraft, indem man eine gewisse Summe von Kräften im Beginne annimmt, sie sich umwandelnd denkt und sich im Grunde genommen wiederum dieselbe Summe von Kräften im Endzustande der Erde vorstellt.

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Es sind nur einzelne mutige Geister gewesen, welche sich gegen so etwas aufgebäumt haben. Einen habe ich als typisches Beispiel öfters vor Ihnen angeführt, Herman Grimm, der ja gesagt hat: Von einem Nebelzustand, von derKant-Laplaceschen Nebelessenz im Beginne des Erdendaseins oder des Weltendaseins spricht man; da soll sich durch rein natürliche Vorgänge alles herausgeballt haben, was auf unserer Erde ist, inbegriffen der Mensch. Und dann soll sich das umwandeln, bis es zuletzt als Schlacke wiederum in die Sonne zurückfällt. Herman Grimm meint, ein Aasknochen, um den ein hungriger Hund herum- läuft, sei ein appetitlicherer Anblick als diese Kant-Laplacesche Theorie vom Weltendasein, und es würde künftigen Zeiten schwer sein, kultur- historisch zu erhärten, wie es hat sein können, daß das 19. und 20. Jahr- hundert von dieser Krankheit, so etwas zu denken, hat ergriffen werden können. Einzelne mutige Geister, wie gesagt, haben sich aufgelehnt gegen diese Dinge. Aber diese Dinge werden heute so gelehrt, daß man von demjenigen, der dagegen etwas einwendet, wenn es ein Herman Grimm ist, sagt: Nun ja, ein Kunstgelehrter braucht ja von der Naturwissenschaft nichts zu verstehen. - Und wenn es ein anderer sagt, der von der Naturwissenschaft etwas verstehen will, so hält man ihn für einen Narren. Derlei Dinge gelten heute für selbstverständlich, und die wenigsten Menschen empfinden, welche Bedeutung dieses Selbstverständlichsein eigentlich hat. Wenn diese Anschauung auch nur ein Atom Richtigkeit hat, dann hat alles Reden von sittlichen und religiösen Idealen keinen Sinn, dann sind sittliche und religiöse Ideale aus den Gehirnen der Menschen herausgeboren und steigen auf wie Blasen - die sozialdemokratischen Theoretiker nennen sie eine Ideologie, um die Mensdien zu äffen -, die sich ja nur herausgeballt haben aus den Verwandlungen des Stoffes und die verschwinden werden, wenn unsere Erde in ihrem Endzustand angelangt ist. Alles, was wir uns vorstellen an sittlichen, an religiösen Idealen, ist lediglich Schaumblase dann. Denn die Realität, welche die naturwissenschaftliche Weltanschauung fordert, ist so geartet, daß sie gar nicht eine sittliche oder religiöse Weltanschauung zuläßt, wenn man diese naturwissenschaftliche Weltansdiauung 50 hinnimmt, wie sie von der Mehrzahl der Menschen geglaubt wird. Daher handelt es sich darum, daß die Zeit, die heute reif ist

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auf der einen Seite, dringend notwendig macht auf der andern Seite, daß aus ganz andern Quellen heraus, als die heutige Bildung sie hat, eine Weltanschauung geholt werde.

Diese Quellen, die es möglich machen, daß eine sittliche und eine religiöse Weltanschauung neben der naturwissenschaftlichen bestehe, können einzig und allein die geisteswissenschaftlichen Quellen sein. Aber diese geisteswissenschaftlichen Quellen müssen dann da aufgesucht werden, wo sie im vollen Ernst sprechen. Das Aufsuchen dieser Quellen wird vielen Menschen der Gegenwart schwer. Sie wollen sich lieber hinwegsetzen über jenen reinen Widerspruch, den ich heute wiederum vor Sie hingestellt habe, denn man hat nicht den Mut, der naturwissenschaftlichen Weltanschauung selber zu Leibe zu gehen. Man hört von denen, die man als Autoritäten betrachtet, das Gesetz von der Erhaltung des Stoffes und der Kraft sei sichergestellt und jeder sei ein Dilettant, der sich nicht an diese Gesetze hält. Man bringt eben gegenüber der ungeheuren Last der falschen Autorität, die heute auf der Menschheit liegt, den Mut nicht auf, von dieser Autorität weg zu den Quellen der Geisteswissenschaft zu gehen.

Und auch das lehren die äußeren Tatsachen, daß das Heil des Christentums, das Heil eines wirklichen Begreifens des Mysteriums von Golgatha von der Hinwanderung zu den Quellen der Geisteswissenschaft abhängt. Der äußere Gang der Ereignisse zeigt das ja. Sehen Sie sich die sogenannten fortgeschrittenen Theologen an, sehen Sie sich an, was von den fortgeschritteneren Vertretern des Christentums gelehrt wird. Der Materialismus hat ja auch die Religion ergriffen. Nicht mehr kann man einsehen, wie das geistig-göttliche Prinzip, das mit dem Na- men des Christus umrissen ist, vereinigt ist mit der menschlichen Persönlidikeit des Jesus von Nazareth, denn diese Vereinigung kann heute nur aus den Quellen der Geisteswissenschaft heraus gekannt werden.

Und so ist es denn dahin gekommen, daß auch die Theologie materialistis:h geworden ist, nur von dem «schlichten Manne aus Nazareth, spricht, von einem Menschen, der ja Großartigeres gelehrt haben soll als andere, der aber eben doch nur als ein großartigerer Lehrer in Betracht kommt, der nicht in Betracht kommt durch dasjenige Wesen, das er in seinem Leibe getragen hat. Und einer der bedeutendsten Theologen

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der Gegenwart, Adolf Harnack, hat ja das Wort geprägt: Nicht der Christus, sondern der Vater gehört in das Evangelium -, das heißt, das Evangelium soll nicht sprechen von dem Christus, weil solche Theologen wie Harnack im Grunde genommen den Christus gar nicht mehr kennen, sondern nur den Lehrer von Nazareth. Die Lehre dieses Menschen von Nazareth wollen sie noch annehmen; die Lehre von dem väterlichen Schöpfer der Welt, die gehöre ins Evangelium, nicht aber eine Lehre über den Christus Jesus selber!

Auf dieser Bahn der Naturalisierung, der Materialisierung würde das Christentum zweifellos fortschreiten, wenn ein geisteswissenschaftlicher Einschlag für dasselbe nicht kommen würde. Aus dem, was von altersher die Menschheit überkommen hat, kann sie in ehrlichem Sinne keinen Begriff aufbringen über die Vereinigung der göttlichen Und der menschlichen Natur in dem Christus Jesus. Dazu ist die Eröffnung neuer Quellen geistiger Wissenschaft notwendig. Und diese Eröffnung brauchen wir für das religiöse Leben; diese Eröffnung, wir brauchen sie aber auch für die von den Zeitereignissen geforderte Neugestaltung der sozialen Verhältnisse innerhalb unserer Zivilisation. Und wir brauchen vor allen Dingen eine völlige Neugestaltung der Wissenschaft, eine Durchdringung aller Wissenschaften mit geisteswissenschaftlichen Quellen. Ohne diese geht es nicht weiter. Und derjenige, der glaubt, man brauche sich nicht zu kümmern um den Gang des religiösen Lebens, um den Gang des sozialen Lebens, um den Gang der öffentlichen Ereignisse über die zivilisierte Welt hin, um den Gang der wissenschaftlichen Leistungen, wer da glaubt, man könne in sektiererisclier Abgeschlossenheit Anthroposophie treiben vor irgendeinem zusammengewürfelten Kreis, der sich dann als eine Summe von Fremdlingen innerhalb dieser Welt ausnimmt, der ist eben durchaus in einem schweren Irrtum befangen.

Bei allem, was hier von mir gesprochen wird, liegt immer zugrunde die Verantwortung gegenüber dem ganzen Gang der gegenwärtigen Weltereignisse. Bei jedem einzelnen Satze, bei jedem einzelnen Worte liegt diese Verantwortung zugrunde. Ich muß das schon erwähnen aus dem Grunde, weil es nicht immer in aller Schärfe eingesehen wird. Wenn heute in derselben Weise fortgefahren wird, von Mystik zu reden, wie

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viele im Laufe des 19. Jahrhunderts von Mystik geredet haben, dann steht das nicht mehr im Einklange mit dem, was die Welt heute fordert. Und wenn nur zu dem, was sonst im Gang der Weltereignisse geschieht, der Inhalt der anthroposophischen Lehre hinzugesetzt wird, so steht das ebenfalls nicht im Einklange mit den Anforderungen der Gegenwart. Erinnern Sie sich, wie im Mittelpunkt der Betrachtungen, die ich seit Jahrzehnten pflege, das Problem, das Rätsel der menschlichen Freiheit steht. Dieses Problem der menschlichen Freiheit, wir müssen es heute in den Mittelpunkt einer jeglichen und wirklich geisteswissenschaftlichen Betrachtung stellen.

Wir müssen dies aus zwei Gründen tun. Erstens deshalb, weil alles, was aus den alten Mysterien heraus aufgebracht worden ist, was durch die Initiationswissenschaft der alten Zeit vor die Welt hingestellt worden ist, weil alles das ohne ein wirkliches Begreifen des Rätsels der menschlichen Freiheit dasteht. Großartiges, Gewaltiges haben die Lehrer der alten Mysterien der Menschheit überliefern können. Großartiges, Gewaltiges liegt in den mythischen Überlieferungen der verschiedenen Völker, die ja auch esoterisch erläutert werden dürfen, freilich nicht so, wie man es oft macht. Großartiges liegt in den sonstigen Überlieferungen, die ihren Quell in der Initiauöonswisse`nschaft alter Zeit haben, wenn man sie nur in der richtigen Weise versteht. Aber eines liegt in alledem nicht, eines liegt nicht in der Initiationswissenschaft der alten Mysterien, nicht in den Mythen der verschiedenen Völker, auch wenn sie esoterisch verstanden werden, nicht in den Traditionen, die sich her- schreiben aus dieser Initiationswissenschaft: das ist das Rätsel von der menschlichen Freiheit. Denn derjenige, der von einer Initiationswissenschaft, von einer Einweihung der Gegenwart ausgeht, der begreift, wie Einweihung der Gegenwart sich hinstellt neben Einweihung der Vergangei1heit, der weiß, daß die Menschheit in ihrer Entwickelung über die Erde hin erst jetzt in das Stadium wirklicher Freiheit eintritt, und daß es einfach früher nicht nötig war, der Menschheit eine Initiationswissenschaft zu geben, die ganz imprägniert wäre von dem Rätsel der Freiheit. Was alles das Rätsel der Freiheit umschließt, in welche Lage die menschliche Seele versetzt ist, wenn sie das Rätsel der Freiheit völlig klar auf sie abgeladen findet, das ahnen die wenigsten Menschen heute.

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Alle Initiationswissenschaft muß ja ein neues Licht empfangen durch dieses Rätsel der menschlichen Freiheit. Das auf der einen Seite. Wir sehen, wie sich fortsetzen aus alten Zeiten in direkter Kontinuation, möchte ich sagen, Geheimgesellschaften, die zum Teil recht stark in dem` Leben der Gegenwart stehen, die aber nur das Alte bewahren, nur das Alte nachahmen, nur fortwirken im Sinne des Alten, und die doch nichts weiter sind, als Schatten des Alten, die nichts weiter sind als etwas, was, wenn es heute wirkt, der Menschheit schädlich sein muß.

Man muß einsehen, daß selbst die einstmals größten Mysterien, wollte sie heute jemand lehren, schädlich für die Menschheit wären. Niemand, der das Wesen gegenwärtiger Initiation versteht, kann wie etwas Gegenwärtiges lehren, was einst in den ägyptischen, in den chaldäischen, in den indischen, selbst in den griechischen Mysterien, die uns noch so nahestehen, gelehrt worden ist. Aber schließlich ist alles, was an Lehre über das Christentum vorgebracht worden ist bis jetzt, aus diesen traditionellen Lehren heraus vorgebracht worden. Und nötig haben wir, aus einer neuen Lehre neu das Mysterium von Golgatha zu verstehen. Das, wie gesagt, auf der einen Seite.

Auf der andern Seite sehen wir den Gang der Zeitereignisse. Wir sehen, wie aus unterbewußten, tiefliegenden Gründen der Menschenseele heraufzieht das Streben nach dem Freiheitsimpuls. Wir sehen, wie gewissermaßen dieser Ruf nach Freiheit das menschliche Streben der neueren Zeit durchtönt. Ja, er durchtönt dieses Streben, aber es durch- tönt so vieles das menschliche Streben, was nicht klar verstanden wird, was nur aus unterbewußten Tiefen herauftönt und was eben mit klarem Verständnis erst durchdrungen werden mUß. Man möchte sagen: Die Menschheit lechzt nach Freiheit! Die Initiationswissenschaft weiß, daß sie eine Initiationswissenschaft geben muß, beleuchtet von dem Lichte der Freiheit.

Und diese zwei Dinge, dieses Streben der Menschheit und dieses Herausschaffen einer Initiationsweisheit, beleuchtet mit dem Lichte der Freiheit, diese zwei Dinge müssen zusammenkommen. Sie müssen zusammenkommen auf allen Gebieten. Daher darf man heute nicht aus allen möglichen alten Untergründen heraus über die soziale Frage reden.

Man kann heute über sie nur dann reden, wenn man sie im Lichte der

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Geisteswissenschaft betrachtet. Das wird gerade der heutigen Menschheit so schwer. Warum? - Ja, die Menschheit strebt nach Freiheit, nach Freiheit der einzelnen Individualität, und mit Recht strebt sie darnach. Ich sage durchaus: mit Recht. Die Menschen können nicht mehr im Sinne des alten Gruppensystems mit den Gruppenseelen wirken. Die Menschen müssen Individualitäten bilden. Aber dieses Streben, Individualitäten zu bilden, das scheint zu widersprechen dem Hinhorchen auf das, was aus der Initiationswissenschaft kommt und was ja selbstverständlich zunächst durch einzelne Individuen kommen muß. Der alte Initiierte hatte Mittel und Wege, sich seine Schüler auszusuchen, seinen Schülern die Initiationsweisheit zu übertragen und auch Anerkennung für sie zu schaffen und Anerkennung für sich Und seine Mysterienstätte. Der moderne Initiierte kann das nicht haben, denn es würde notwendig machen, daß man aus gewissen Kräften und Impulsen der Gruppenseelenhaftigkeit heraus wirke, und das geht heute nicht. So steht heute die Menschheit da; jeder möchte von dem Standpunkte aus, auf dem er gerade steht, eine Individualität werden. Da will er selbstverständlich nicht auf das hören, was da durch Menschen als Initiationswissenschaft kommt. Aber ehe nicht die Menschen einsehen, daß sie nur gerade dadurch Individualitäten werden können, daß sie wiederum durch andere menschliche Individualitäten den Inhalt der Initiationswissenschaft aufnehmen, eher kann es nicht besser werden. Das hängt nicht nur zusammen mit einzelnen Weltanschauungsfragen, das hängt zusammen mit dem Grundcharakter unseres ganzen Zeitalters und mit den Auswirkungen dieses Zeitalters auf geistigem, auf staatlichem und wirtschaftlichem Gebiete. Nach Freiheit dürstet die Menschheit. Von Freiheit möchte die Initiationswissenschaft sprechen. Wir sind aber im gegenwärtigen Entwickelungsstadium der Menschheit eigentlich erst da angekommen, wo Freiheit durch den gesunden Menschenverstand wirklich begriffen werden kann. Heute muß man manches einsehen, was Sie aus unserer anthroposophischen Literatur entnehmen können und was ich hier wiederum von gewissen Gesichtspunkten aus kurz zusammenfassen möchte. Man muß heute begreifen, was für eine Art von Wesen der Mensch ist. Alles abstrakte Schwätzen von Monismus läuft gerade vorbei an dem wahren Monismus, der errungen sein will, nachdem man

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manches andere durchgemacht hat, den man aber nicht von vornherein als eine Weltanschauung deklamieren kann.

Der Mensch ist ein Doppelwesen. Auf der einen Seite steht dasjenige, was man - das Wort führt zu Mißverständnissen, aber wir haben ja in der Sprache so wenig Worte, die wirklich adäquat dasjenige ausdrücken, was man eigentlich ausdrücken möchte vom geisteswissenschaftlichen Standpunkte aus -, was man die niedere Natur des Menschen nennen könnte, die physisch-körperhafte Organisation, aus der zunächst der Mensch besteht. Diese physisch-körperhafte Organisation habe ich Ihnen das letzte Mal im Zusammenhange gerade mit der Sinnesorganisation geschildert. Wir wollen heute zunächst davon absehen und morgen auf die Sache wieder zurückkommen. Aber jeder von Ihnen, der einigermaßen die anthroposophische Literatur verfolgt hat, hat ja eine Vorstellung von dieser physisch-körperhaften Organisation des Menschen und auch davon, daß sie zusammenhängt mit dem, was zunächst unsere Umwelt ist. Das, was da draußen die Welt konstituiert, was draußen im mineralischen, im pflanzlichen, im tierischen Reiche lebt, das konstituiert physisch-körperhaft auch uns Menschen. Wir sind ja eine Art Zusammenfassung, heraufgehoben auf eine höhere Stufe, und man kann bildhaft sagen: die Krone der Schöpfung. Aber wir sind eben in physisch-körperhafter Weise ein Zusammenfluß dessen, was an Kräfte- und Stoffwirkungen außer uns vorgeht und was vor uns auftaucht durch unsere Sinneswahrnehmungen.

Dann haben wir unser Innenleben. Wir haben unser Wollen, unser Fühlen, unser Denken, unser Vorstellen. Wir können, wenn wir uns auf uns selbst besinnen, aufmerksam werden auf dieses Wollen, Fühlen, Denken in uns, und wir können dieses Wollen, Fühlen und Denken mit dem durchdringen, was wir unsere religiösen, unsere sittlichen und sonstigen Ideale nennen. Wir kommen da zu etwas, was man - wiederum führt das leicht zu Mißverständnissen, aber man braucht dieses Wort - den seelisch-geistigen Menschen nennen kann. Man kommt nicht zu- recht, wenn man nicht den Seelenblick hinwendet einerseits auf diesen geistig-seelischen Menschen, andererseits auf den physisch-körperlichen Menschen. Aber es ist notwendig, daß man, sei es durch ein wirklich unbefangenes Verfolgen der Tatsachen der Natur, sei es durch Vertiefung

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in die Geisteswissenschaft, es ist notwendig, daß man sich zum Bewußtsein bringe: diese physisch-körperhafte Organisation liegt eigentlich zunächst nicht vor in demjenigen, was irgendwelche menschliche Wissenschaft, wie sie heute in der exoterischen Welt existiert, um- fassen kann. Wenn ich das schematisch durch eine Zeichnung klarmachen soll, so möchte ich sagen: Wenn ich alles das zusammenfasse, wasmenschlich-physische Organisation ist und was im Zusammenhange steht mit

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der ganzen Umwelt (siehe Zeichnung, rot), so geht das bis zu einem gewissen Punkte - ich will das hier durch eine Linie zeichnen -, und straff davon verschieden, trotz aller moderner dilettantischer psychologischer Einwände, straff davon verschieden ist dasjenige, was man die geistig-seelische Natur des Menschen nennen kann (gelb), die ihrerseits mit einer Welt des Geistig-Seelischen in Verbindung steht, mit einer Welt, die der heutigen Menschheit sehr abstrakt vorkommt, weil sie sie nur auffaßt im Sinne der abstrakt-sittlichen oder im Sinne der religiösen Ideale, die auch immer mehr und mehr zu abstrakten Vorstellungen geworden sind. Beiden Gliedern der menschlichen Natur gegenüber muß man aber sagen: Das, was man heute als Wissenschaft ansieht, das

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umfaßt weder die physisch-körperliche noch die geistig-seelische Natur des Menschen. Die physisch-körperliche Natur des Menschen, man kann sie nicht erkennen. Lesen Sie die Gründe, warum man sie nicht erkennen kann, in meinem kleinen Büchelchen «Durch den Geist zur Wirklichkeits-Erkenntnis der Menschenrätsel». Wenn der Mensch nämlich bei einer Innenschau sich selber durchschauen würde, das heißt, bis auf den Grund hinunterschauen würde auf das, was da im Inneren eigentlich vorgeht, dann wurde er genau sehen können, was im Inneren vorgeht, in dem Sinne genau, wie die heutige Wissenschaft etwas «genau sehen» nennt. Dann würde der Mensch aber nicht das Wesen sein können, das er heute ist, denn er würde dann kein Gedächtnis haben können, er 'würde kein Erinnerungsvermögen haben. Indem wir die Welt anschauen, bleiben uns die Bilder der Welt als Erinnerungen, das heißt, die Welteindrücke schlagen überhaupt nur bis zu dieser Grenze hier (siehe Zeichnung, Pfeile) und da schlagen sie in die Seele zurück, und wir erinnern uns an sie. Und was da aus uns selbst in die Erinnerung zurückschlägt, das verdeckt uns das physisch-leibliche Innere des Menschen. Wir können da nicht hineinschauen, denn würden wir hineinschauen können, so wäre jeder Eindruck nur ein Augenblickseindruck. Es würde nichts als Erinnerung zurückgeworfen. Nur dadurch, daß sich diese Grenze hier verhält, wie sich ein Spiegel verhält - wir können auch nicht hinter den Spiegel schauen, sondern es werden uns die Eindrücke zurückgeworfen -, können wir nicht in unser Inneres schauen, es werden uns die Eindrücke zurückgeworfen, wenn wir nicht zur Geisteswissenschaft aufsteigen. Und würden sie nicht zurückgeworfen, so würden wir eben auch nicht im gewöhnlichen Leben die zurückgeworfenen Eindrücke der Erinnerung haben. Wir müssen als Menschen im Leben so organisiert sein, daß wir Erinnerungen haben. Dadurch aber ist uns verschlossen unsere physisch-leibliche Organisation. Wie man durch den Spiegel nicht hindurchschauen kann auf das, was hinter dem Spiegel ist, so kann man gewissermaßen nicht hinter den Erinnerungsspiegel oder unter den Erinnerungsspiegel schauen, auf das, was die leiblichphysische Organisation des Menschen ist.

Das ist wahre Psychologie, das ist das wahre Wesen der Erinnerung.

Und erst dann, wenn geisteswissenschaftliche Methoden so diesen Spiegel

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durchbrechen, daß für die geisteswissenschaftlichen Methoden - was ich auch schon in öffentlichen Vorträgen gesagt habe - eben nicht an das Erinnerungsvermögen appelliert wird, sondern ohne Erinnerung und jedesmal mit neuen Eindrücken gearbeitet wird, erst dann kommt man auch auf das Leiblich-Seelische, auf seine wahre Gestalt.

Ebenso ist es nach der andern Seite hin. Würden wir das GeistigSeelische, von dem ich Ihnen ja letzten Sonntag zeigte, wie es hinter dem Sinnlichen ist - nicht Atome oder Moleküle sind dahinter, sondern das Geistig-Seelische ist da in Wahrheit dahinter -, würden wir dies mit unserem gewöhnlichen alltäglichen Erkenntnisvermögen durchschauen, würden wir uns gewissermaßen nicht stoßen an den Pfählen, an den Grenzen der Naturwissenschaft, dann wäre in uns das nicht vor- handen, was wir wiederum zum menschlichen Leben brauchen, was wir erziehen müssen hier zwischen Geburt und Tod, dann wäre in uns nicht vorhanden die menschliche Liebefähigkeit. Die menschliche Liebefähigkeit wird in uns dadurch erzogen, daß wir zunächst in diesem Leben zwischen Geburt und Tod, wenn wir nicht zur Geisteswissenschaft schreiten, zu verzichten haben auf das Durchschauen des Sinnenschleiers, auf das Hineinschauen in die geistige Welt. Und Erinnerungsvermögen können wir nur dadurch haben, daß wir verzichten auf das Hinein- schauen in das Leiblich-Physische. Dadurch aber sind wir zwei großen Täuschungen ausgesetzt. Der einen Täuschung unterliegen die dogmatischen Anhänger der naturwissenschaftlichen Weltanschauung. Sie hören nicht hin auf die Initiationswissenschaft und kommen nicht in der Art, wie ich Ihnen das letzten Sonntag auseinandergesetzt habe, darauf, daß hinter dem Sinnenschleier nicht Materie, nicht Stoff, nicht das, was die Naturwissenschaft Kraft nennt, vorhanden ist, sondern durch und durch geistig-seelische Wesenheit. Es ist auch heute von mir noch mit aller Schärfe dasselbe zu betonen, was ich in meinem Kommentar zum dritten Bande von Goethes naturwissenschaftlichen Schriften, zu Goethes «Farbenlehre» hervorgehoben habe. Da draußen ist der Farbenteppich der Welt, da draußen ist Rot und Blau und Grün, und da draußen sind die andern Empfindungen. Hinter diesen stecken nicht Atome, stecken nicht Moleküle, hinter diesen stecken geistige Wesenheiten. Was aus diesen geistigen Wesenheiten an die Oberfläche getrieben wird, das lebt

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sich aus im Farbenteppich der Welt, im Tonzusammenhange, im Wärmezusammenhange der Welt und in all den andern Empfindungen, die uns die Welt vermittelt.

Diejenigen aber, die heute dogmatische Anhänger der naturwissenschaftlichen Weltanschauung sind, die durchschauen das nicht. Sie wollen nicht auf die Initiationswissenschaft hinhören. Die Folge davon ist, daß sie anfangen darüber zu spekulieren, was hinter den Farben, der Wärme und so weiter steckt, und dann zu einer stofflichen Konstruktion der Welt kommen. Die ist immer, wenn sie scheinbar noch so gut gegründet ist, wie die moderne Ionentheorie, nur erspekuliert, und man darf nicht hinter die Sinneswelt hinspekulieren, man darf hinter der Sinneswelt nur durch eine höhere, durch eine geistige Welt Erlebnisse haben, sonst muß man bei den Phänomenen stehenbleiben. Die Sinneswelt ist eine Summe von Phänomenen und sie muß als eine Summe von Phänomenen begriffen werden.

So wird uns heute ein Bild der Natur überliefert, das dann ausgedehnt wird über den Anfangszustand, über den Endzustand der Erde, jenes Bild der Natur, das eben sittliche, religiöse Weltanschauung für den ehrlich Denkenden ausschließt.

Auf die andere Klippe kommen diejenigen, welche nun ins Innere hineinschauen. Die bleiben meistens bei dem stehen, was sich spiegelt. Der gewöhnliche Mensch im Alltagsleben nimmt die Erinnerungswir kungen wahr, ich möchte sagen, er erinnert sich an das, was er gestern und vorgestern erlebt hat, wenn auch das Gestern und Vorgestern schon vor Jahren war. Derjenige, der nun ein Mystiker wird, treibt dann allerlei aus seinem Inneren an die Oberfläche und belegt es mit allerlei schönen mystischen Worten und Theorien. Aber es ist doch nichts anderes, als was ich hier neulich angedeutet habe, es ist nichts anderes als das Kochen und Brodeln des organischen Lebens im menschlichen Inneren. Denn durchdringt man diesen Spiegel, dann kommt man nicht zu dem, was etwa der Meister Eckhart oder Johannes Tauler in ihrer Mystik haben, sondern dann kommt man zu organischen Prozessen allerdings, von denen die Welt heute wenig ahnt. Und was noch mit so schönen mystischen Worten dargelegt wird, das verhält sich zu diesen organischen Prozessen nicht anders, als sich bei der Kerze die Flamme zu dem

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Brennstoff verhält: sie ist das Produkt dieser organischen Prozesse. Die Mystik eines Johannes vom Kreuz, einer Mechthild von Magdeburg, auch des Johannes Tauler und Meister Eckharts, sie sind schön, aber doch nur das, was aus dem organischen Leben heraufbrodelt und was nur deshalb in abstrakten Formen beschrieben wird, weil man nicht ein- sieht, wie dieses organische Leben tätig ist. Man lernt das geistige Leben nicht kennen, wenn man nicht erst dieses organische Leben kennenlernt. Der kann kein Geisteswissenschafter werden im wahren Sinne des Wortes, der das innerlich-brodelnde organische Leben in Mystik um- deutet. Gewiß> es sind schöne Worte, die da gesprochen werden. Aber man muß sich, wenn man über diese Dinge spricht, auf einen ganz andern Gesichtspunkt stellen können als den der äußeren Welt. Man muß sich eben nicht auf den menschlich hochmütigen Gesichtspunkt stellen, indem man sagt: Das innere organische Leben ist eben niederes Leben. - Es wird dadurch nicht höher, daß man seine Wirkung als Mystik bezeichnet, sondern man wird ins geistige Leben eben gerade dadurch getrieben, daß man dieses organische Leben in seinen organischen Wirkungen durchschaut, daß man weiß, je tiefer man in die Einzelnatur des Menschen hineinsteigt, desto mehr entfernt man sich vom Geistigen, man kommt ihm nicht näher. Man kommt nur auf geisteswissenschaftliche Weise dem Geistigen näher, nicht dadurch, daß man in sich selber hineinsteigt. Wenn man in sich selber hineinsteigt, dann hat man die Aufgabe, zu untersuchen, wie durch Zusammenwirkung von Herz, Leber und Niere Mystik zustande kommt, denn das tut sie.

Das habe ich ja öfters als die Tragik des modernen Materialismus hingestellt, daß dieser moderne Materialismus zuletzt eben die materiellen Wirkungen nicht erkennen kann, daß er gar nicht bis zu den materiellen Wirkungen kommt. Wir haben ja heute weder eine wirkliche Naturwissenschaft noch eine wirkliche Psychologie; denn eine wirkliche Naturwissenschaft führt zum Geiste, und eine Psychologie, die in dem Sinne, wie wir es heute wollen, fortschreitet, die führt zu der Erkenntnis von Herz, Leber, Niere und nicht zu den abstrakten Dingen, von denen die heutige dilettantische Psychologie redet. Denn was man heute oftmals Wollen, Fühlen, Denken nennt, sind abstrakte Worte, die konkreten Dinge fehlen den Leuten. Und es ist leicht, sogar wirklich ernst

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gemeinte Geisteswissenschaft des Materialismus zu zeihen, weil sie gerade in das Wesen des Materiellen hineinführt, um auf diesem Wege zum Geiste zu führen.

Der wirkliche Spiritualismus wird gerade das Wesen des Materiellen zu enthüllen haben. Dann wird er zeigen können, wie der Geist im Materiellen wirkt. Denn das muß ganz ernst genommen werden: Geisteswissenschaft darf nicht auf die bloße Logizität der Erkenntnis, sondern muß auf die Erkenntnis als Tat gehen. Es muß etwas getan werden im Erkennen. Es muß das, was im Erkennen sich abspielt, in den Gang der Weltereignisse eingreifen. Es muß etwas Tatsächliches sein. Gerade darauf habe ich mich ja bemüht, letzten Sonntag und in den vorhergehenden Tagen hinzuweisen. Es handelt sich einmal darum, daß man einsehe: Der Geist als solcher muß als Tatsache verstanden werden, es darf nicht eine Theorie vom Geiste ausgebildet werden. Theorien sollen dazu da sein, um zum lebendigen Empfinden des Geistes zu führen. Aus diesem Grunde ist es notwendig, daß von dem wirklichen Geisteswissenschafter so oft paradox gesprochen wird. Man kann heute nicht fortfahren, in den landläufigen Formeln zu sprechen, wenn man von wahrer Geisteswissenschaft spricht, sonst kommt man eben zu dem, wozu eine verderbliche Theosophie geführt hat, welche von allen möglichen Gliedern der Menschennatur spricht, vom physischen Menschen, vom ätherischen, vom astralischen Menschen; aber das wird immer nur «dünner». Der physische Mensch ist dicht, der ätherische ist dünner, der astralische ist noch dünner, dann gibt es ganz dünne, mentale und was noch alles, es wird immer dünner und dünner, ein wahrgenommener Nebel, aber Nebel bleibt es, es bleibt Materie! Darauf kommt es nämlich nicht an. ES kommt darauf an, daß man in der Substanz das Materielle über- windet. Da muß man dann oftmals Worte anwenden, die eine andere Prägung haben, als sie im alltäglichen Leben üblich ist.

Und so muß man schon sagen - morgen wird uns diese Sache noch klarer werden -, so muß man schon sagen: Nehmen wir auf der einen Seite einen Menschen, der durch und durch materialistische Gesinnung hat, der, sagen wir, verführt durch den Materialismus der Gegenwart, sich nicht zu der Anschauung eines Geistigen erheben kann, der durch und durch ein Materialist der Theorie nach ist und alles als Nonsens

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ansieht, was man über ein Geistiges behauptet, aber dasjenige, was er über die Materie sagt, nehmen wir an, das wäre geistvoll, das wäre etwas, was die Materie wirklich treffen würde, dann hätte der Mann Geist. Er würde zwar durch seinen Geist den Materialismus vertreten, aber er hätte Geist.

Nehmen wir einen andern, der sich in irgendeiner theosophischen Gesellschaft hat einschreiben lassen und den Standpunkt vertritt: Da ist der physische Leib, dann etwas dünner der ätherische Leib, noch dünner der astralische Leib, noch dünner der Mentalleib und so weiter. Um das zu behaupten, dazu gehört nicht viel Geist. Man kann wenig Geist haben und solch eine Theorie vertreten. Man vertritt im Grunde genommen nur als Lüge eine geistige Welt, denn man vertritt in Wirklichkeit nur eine materielle Welt, die man geistig umschreibt.

Wo wird derjenige, der nun wirklich auf den Geist geht, den Geist suchen, beim materialistischen Theoretiker, der den Geist hat, nur eben auf eine Weise, die logisch ist, oder bei dem, der sozusagen richtige Behauptungen aufstellt, aber in seinen Worten doch nur von Materie redet? - Der wirkliche Spiritualist wird vom Geiste bei dem ersteren reden, bei dem, der eine materialistische Weltanschauung vertritt, denn da kann Geist eben vorhanden sein, während beim Vertreten einer spirituellen Anschauung eben kein Geist vorhanden zu sein braucht. Und es kommt darauf an, daß der Geist wirkt, nicht daß man vom Geiste redet.

Das wollte ich heute nur zur Erläuterung von manchem sagen, was wie paradox sich ausnimmt. Der geistvolle Materialist kann mehr er- füllt sein vom Geiste als derjenige, der eine spirituelle Theorie vertritt, wenn er sie eben geistlos vertritt. Es hört eben bei der wahren Geisteswissenschaft die Möglichkeit auf, bloß logisch über Weltanschauungsgesichtspunkte zu streiten. Da beginnt die Notwendigkeit, den Geist in seiner Realität zu erfassen. Das kann man nicht, ohne daß man sich erst Vorbegriffe klarmacht, wie diejenigen sind, von denen wir heute gesprochen haben, von denen wir morgen weiter sprechen wollen.

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FÜNFTER VORTRAG Dornach, 15. August 1920

Ich möchte heute einiges für manchen hier schon wiederho lentlich Vorgebrachtes vor Ihnen entwickeln, was zu gleicher Zeit in gewisser Beziehung als eine Vorbereitung dienen kann für das, was morgen hier über die Bildung des sozialen Urteils vorzubringen sein wird. Ich möchte zunächst darauf aufmerksam machen, wie wir innerhalb der Bildungsgewohnheiten der Gegenwart davon ausgehen, über Weltanschauungsfragen so zu diskutieren, so uns Ansichten zu bilden, daß es uns dabei darauf ankommt, im logischen Sinne zu entscheiden: Was ist wahr, was ist falsch? Gerade das aber ist etwas, was sich wandeln muß in der Gegenwart. Johann Gottlieb Fichte sagte ja die schönen Worte: Man hat eine solche Philosophie, wie man ein Mensch ist. - Nun, man bildet sich nach seiner Veranlagung eine mehr materialistische oder spiritualistische Weltanschauung, eine realistische, eine idealistische oder eine liberale oder eine konservative oder eine sozialistische, eine politische Weltanschauung, oder auch man bildet sich eine philiströse oder eine fortschrittliche Ansicht in der Frauenfrage. Ich könnte noch lange diese Dinge hier aufzählen. Man bildet sich Ansichten, und man vertritt dann diese Ansichten, indem man sich vorstellt, man selbst habe das Richtige, der andere, der das Entgegengesetzte vertritt, habe das Falsche. Richtig und falsch ist etwas, was uns heute bei der Bildung eines Urteils ganz besonders interessiert.

Allerdings, man sieht schon - wie wir gleich nachher deutlich ausführen werden -, daß ein Übergang von diesem «Wahr und Falsch» zu etwas ganz anderem seinen Anfang nimmt. Aber vorerst wollen wir uns klarmachen, daß dieses «Wahr und Falsch» nicht immer so war wie heute. Noch in den älteren Zeiten des Christentums oder gar in den Zeiten des Ägyptertums, des Chaldäertums, gar nicht zu reden von den Zeiten, die vorangegangen sind diesen Kulturepochen, galt etwas ganz anderes, wenn man sich ein Urteil bilden wollte. Man bildete sich ein Urteil nicht so, daß man zunächst auf seine Logizität sah, sondern man hatte das Gefühl: Wenn jemand in einer bestimmten Weise urteilt, so

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urteilt er gesund; wenn er in einer andern Weise urteilt, so urteilt er krank. - Geradeso wie man sagt, wenn man jemanden pausbackig, gerötet, ein bißchen belebt sieht, er sei gesund, und wie man sagt, wenn man jemanden ganz dürr findet, käsig, weiß, mit schwarzen Rändern an den Augen, er sei kränklich, so sagte man, wenn jemand so oder so urteilte, er Urteile gesund oder krank. Man sah also in der Art und Weise, wie jemand urteilte, geradeso einen Ausfluß der ganzen Menschheitsorganisation wie im pausbackigen oder im hageren oder im käsigen Aussehen. Man beurteilte den Menschen mehr mit Bezug auf das, was er an sich ist, weniger mit Bezug auf das, was er gegenüber einer Umgebung ist, über die er sich Vorstellungen von richtig oder falsch macht.

Ich habe hier bereits früher hervorgehoben, für eine Anzahl von Ihnen, die damals dagewesen sind, daß wir in einer gewissen Weise auf diese Anschauungsart wiederum zurückkommen müssen. In einer gewissen Art ist ja der Entwickelungsgang der Menschheit so, daß bestimmte instinktive, atavistische Wahrheiten aus den alten Mysterien stammten, die dann verintellektualisiert, verabstrahiert worden sind. Und in diesem Intellektualismus, in dieser Abstraktion leben wir noch heute. Aber die neuere Initiationswissenschaft, die sich geltend machen muß, muß aus dem vollen Bewußtsein in gewisser Weise wieder auf frühere Empfindungen zurückkommen. Und so wird man sich in der Zukunft nicht darüber streiten - obzwar in eIner für die allgemeine Menschheit mehr oder weniger fernen Zukunft -, ob ein Urteil richtig oder falsch ist, wenn man sich ernstlich bemüht, an dem Aufgang der menschlichen Zivilisation mitzuarbeiten. Man wird jemanden, der zum Beispiel Atome und Moleküle in der äußeren Welt sucht, statt geistige Wesenheiten hinter dem Schleier des Sinnlichen zu sehen, als krankhaft urteilend bezeichnen; man wird finden, daß er an einer gewissen Art von Krankheit der Seele leidet, die man als Schwachsinn bezeichnen kann. Schwachsinnig wird man die Anschauung finden, daß die äußere Welt nicht in Goetheschem Sinne «Phänomen» ist, sondern daß dahinter so etwas wie reale Atome oder Moleküle verborgen seien. Schwachsinnig, nicht falsch, wird man das nennen, weil man finden wird, daß das aus einer unzulänglichen Organisation des ganzen Menschen hervorgeht. Und wenn jemand das, was aus seiner Organisation, aus dem Kochen

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und Brodeln von Leber, Magen und so weiter aufsteigt, was da aus dem Blute kommt, wenn jemand das wie eine erhabene Mystik beschreibt - es kann richtig so beschrieben werden, aber es handelt sich 'darum, wie man sich dazu stellt -, wenn jemand so sich dazu stellt, daß er darin etwas anderes sieht als die Flamme, welche aufbrennt aus der Organisation, dann wird man nicht sagen, das sei falsch, sondern man wird sagen, das sei kindsköpflg. «Kindsköpflg», habe ich Ihnen gesagt, ist ein Wort, welches von jenseits der Schwelle etwas anderes bedeutet als von diesseits der Schwelle. Von diesseits wird die Sache so aussehen, daß man sagt: Der Mensch muß reif werden im Verlaufe seines Lebens zwischen Geburt und Tod; er muß gesetzt, nüchtern werden, er kann nicht spielerisch in seinem Urteil bleiben wie das Kind. - Wenn man aber von jenseits der Schwelle, von der übersinnlichen Welt aus auf die sinnliche Welt blickt und sieht das aufwachsende Kind, dann sieht man, wie der Mensch heruntergestiegen ist aus der geistigen Welt, sich des physischen Leibes bemächtigt hat, wie dann das, was da heruntergestiegen ist, plastizierend an dem Fleischlich-Leiblichen der physischen Welt arbeitet. Und man sieht dann in ganz anderer Weise, wie das Geistig-Seelische viel vollkommener ist als das, was wir im Leben zwischen Geburt und Tod als unseren Verstand, als unsere Geistigkeit ausbilden können.

Ich habe früher angedeutet, daß diejenige Weisheit, welche aus der geistigen Welt heraus an der plastischen Gestaltung des menschlichen Gehirnes und der übrigen Menschheitsorganisation arbeitet, von dem Menschen innerlich errungen werden kann zwischen Geburt und Tod. Und Philosophen, wie zum Beispiel Max Dessoir, haben sich an solchen Dingen gestoßen, weil sie, wenn sie von der Seele reden, eben keine Ahnung haben von dem, was eigentlich das Geistig-Seelische ist. Kindsköpflg - von jenseits der Schwelle gesprochen - bedeutet eben, daß das Geistig-Seelische des Kindskopfes arbeitet an dem physischen Kopf. Und was wir hier von diesseits der Schwelle die Genialität eines Menschen nennen, ist nichts anderes als das Erhalten eines Quantums von dieser Kindsköpflgkeit durch das ganze Leben hindurch. Nur wenn man sich zuviel von dieser Kindsköpflgkeit erhält und nicht einsehen kann, wie das als das innere Fünklein, als der innere Gott und so weiter herausbrandet aus dem brodelnden Organismus, dann hat man nicht

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Genialität; dann hat man eben zuviel Kindsköpfiges. Das ist etwas, was eben objektiv in dieser Weise eingesehen werden muß. Wir müssen uns nur klar sein, daß die Dinge von jenseits der Schwelle anders zu benennen sind als von diesseits, daß die Worte eine andere Bedeutung erhalten.

Sprechen wir von diesseits der Schwelle von Kindsköpfigkeit, so meinen wir eigentlich etwas Schimpfliches; wenn wir von jenseits der Schwelle sprechen, so meinen wir das, was im richtigen Sinne als Genialität und im krankhaften Sinne als falsche Mystik im Menschen bleibt. Also solche falsche Mystik wird man krankhaft, wird man auch kindsköpfig nennen. Man wird übergehen zu solchen Bezeichnungen, die von dem bloß Abstrakt-Logischen wiederum zu dem Realen gehen. Wenn man von Riditig und Falsch spricht, dann meint man etwas, was im Menschen eben nur als Gedanke lebt, eine bloße Nichtübereinstimmung des Inneren mit dem Äußeren. Wenn man aber von krankhaftem Urteil spricht, dann meint man, daß im Menschen etwas nicht in Ordnung ist; das ist zum Beispiel der Fall, sagen wir, wenn er die phänomenale Welt für eine wirkliche materielle Welt hält, oder wenn er die Mystik für eine unmittelbare göttliche Kundgebung in seinem Inneren hält, nicht für ein Aufflackern der organischen Prozesse. Also man wird die Erkenntnis als Tat aufzufassen haben. Das ist das Wesentliche, dem wir durch die Geisteswissenschaft zusteuern müssen: wiederum Tatsächliches, Reales zu meinen, nicht bloß Logisches, wenn wir von dem sprechen, was vom Menschen kommt.

Wie gesagt, noch in den älteren Zeiten des Griechentums würde man ein solches Sprechen von Richtig und Falsch, wie wir es heute im Sinne der Logik meinen, nicht verstanden haben. Da hat man noch gesprochen von gesundem und ungesundem Urteil. Dann haben sich die Nachfolger des Platonismus allmählich zu der Logizität herausgearbeitet, die dann in der römischen Kultur am höchsten gekommen und dann in die späteren Zeiten übergegangen ist. Und eine besondere Ausprägung hat dieses Wahr und Falsch unter bestimmten Voraussetzungen in der Scholastik erhalten, die wie der Nachklang - nur auf einem andern Gebiete - der römischen Art des Urteilens war. In unserer Zeit ist man noch weit entfernt davon, sich wiederum in spiritueller Weise ein Verständnis von gesundem und krankhaftem Urteil zu erarbeiten, sondern

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man arbeitet sich in unserer Zeit zu etwas anderem hin. Man hat sich durchgearbeitet zu etwas, was nun ganz und gar vom Menschen losgelöst ist in bezug auf das Urteil. Wenn ich sage: Der Mensch urteilt gesund oder krank -, so weise ich auf seine Organisation hin; wenn ich sage: Der Mensch urteilt wahr oder falsch -, so sage ich wenigstens etwas über seinen Seelen- und Gemütszustand aus. Ich drüche damit aus, daß er ein Dummkopf oder ein gescheiter Mensch ist, das sind immerhin noch Eigenschaften von ihm. Davon aber ist man in der letzten Zeit abgekommen. Es hat sich eine besondere Weltanschauung schon einzelner Menschen bemächtigt. Und unter denen, die sich nicht in geisteswissenschaftliche Anschauungen finden werden, wird diese Weltanschauung populär werden, wird sich immer mehr und mehr verbreiten. Es ist das, was von Amerika ausgeht, aber sich auch schon im Abendlande geltend macht, zunächst allerdings unter den Philosophen, die immer mit solchen Sachen anfangen. Es ist der sogenannte Pragmatismus. Der redet auch schon nicht mehr von Wahr und Falsch im Sinne der alten Logik, der redet davon, daß Wahr dasjenige ist, was den Menschen befähigt, sich ins Leben zu schicken. Wenn jemand etwas behauptet, wobei er sich nicht ins Leben schickt, so behauptet er etwas Schädliches. Wenn jemand aber etwas behauptet, wodurch er sich gut durchfrißt durchs Leben, dann behauptet er etwas Nützliches. Wahr und Falsch, das betrachtet man in diesen Kreisen, die vom Pragmatismus ausgehen, schon mehr oder weniger als Wisdiiwaschi, etwas, dem sich die Menschen hingeben als eine Illusion. Dem gibt sich heute schon eine Philosophenschule hin, die, wie gesagt, in Amerika noch eine größere Ausbreitung hat als in Europa, aber immerhin in Europa in den verschiedensten Formen auch schon auf- tritt. Sie urteilt so, daß Wahr und Falsch nur Illusion ist, daß dasjenige, was man wahr nennt, eigentlich nur das ist, was der Mensch deshalb behauptet, weil es ihm nützlich fürs Leben ist. Falsch ist das, was der Mensch behauptet, weil es ihm schädlich fürs Leben wird. Diese An- schauung ist in Deutschland, wo man immer in diesen Dingen am gründlichsten ist, zu einer ganz besonderen Ausbildung gekommen durch die sogenannte «Philosophie des Als Ob». Diese «Philosophie des Als Ob», die von einem gewissen Vaihinger herrührt und die auch schon eine gewisse Verbreitung gefunden hat - ich glaube, es gibt jetzt sogar schon

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eine «Als Ob-Wissenschaft» oder so etwas Ähnliches -, die sagt: Das kann man allerdings nicht behaupten, daß es Atome gibt, daß es Moleküle gibt. Aber man kann sagen: Wir betrachten die Welt so, daß es uns nützlich ist, und da ist es uns nützlich, wenn wir die Welt betrachten, «als ob» es Moleküle und Atome gäbe, wir betrachten den Weltengang so, «als ob» sich sittliche Ideale verwirklichten. Das ist uns nützlich. Wir betrachten die Welt so, «als ob» sie von einem Gotte regiert würde.

Diese Als Ob-Philosophie, die Philosophie des «Als Ob» ist sehr charakteristisch für unsere Zeit. Sie ist die deutsche Ausgestaltung des amerikanischen Pragmatismus, der aber Schüler gefunden hat; zum Beispiel ist einer der Schüler Wlhelm Jerusalem, und der hat schon gesagt: «Wahr und falsch bedeutet ursprünglich gar nichts anderes als nützlich oder schädlich im biologischen Sinn». Wenn man von jemand sagen muß, daß er etwas Falsches behauptet, er aber dabei ein vermögender Mann wird, sich ins Leben schicken kann, dann sagen diese Logiker: Das ist wahr. - Aber das ist uns eine Illusion. In Wirklichkeit ist es nicht wahr, sondern etwas, was ihm nützlich ist, und das wird dann uminterpretiert, das wird dann «wahr» genannt. Und was ihm schädlich ist, das ist dann unrichtig, unwahr.

Eine andere Stelle bei Jerusalem sagt: «Die Wertung, die eine vollzogene Deutung auf Grund der Nützlichkeit oder Schädlichkeit der auf Grund derselben getroffenen Maßnahmen erfährt, diese Wertung und nichts anderes ist der Ursprung der Begriffe wahr und falsch.» - Ja, ich kann es Ihnen nicht anders vorlesen, es ist Philosophenstil!

Es ist schon fast Juristendeutsch. Also Sie sehen, hier werden die Begriffe Wahr und Falsch auf die Begriffe Nützlich und Schädlich zurückgeführt. Das ist der äußerste Tiefstand. Wir kommen her von den Begriffen Gesund und Krank, finden dann die Begriffe Wahr und Falsch. Die haften noch am Menschen: wenn e1ner wahr urteilt, ist er gescheit, wenn einer falsch urteilt, ist er dumm. Also es ist immerhin etwas, was noch auf menschliche Eigenschaften weist. Nun kommen wIr dazu, das Wahre nur im Nützlichen, das Falsche nur im Schädlichen zu finden. Das ist Gegenwartswahrheit! Die Philosophen sprechen es aus, aber die andern Menschen urteilen im Grunde genommen heute schon fast geradeso; sie wissen es nur nicht, aber sie urteilen im Grunde genommen

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ebenso. Und namentlich, wenn soziale Urteile gefällt werden, dann werden sie nicht anders als unter diesem Gesichtspunkte gefällt.

Die Entwickelung muß wiederum aufwärts gehen. Wir müssen zu- nächst in die Lage kommen, bei dem Wahren eine Empfindung, ein inneres Erlebnis zu haben, das uns selber die Empfindung des Gesunden gibt. Wir müssen uns gewissermaßen glücklich fühlen bei diesem Wahren und unglücklich beim Falschen. Das ist die Forderung der Zeit, die man in gesunder Weise anstreben muß. Wir müssen wieder zurückkehren zu Wahr und Falsch, aber mit Empfindung.

Das ist dasjenige, was als innerliche Zivilisationserziehung die Menschheit ergreifen muß, daß man nicht in gleichgültiger Weise sich über das Wahre und Falsche ergeht, wie man es jetzt tut, sondern innerlichen Anteil muß der Mensch haben können an der Wahrheit, an der Falschheit. Das empfindet man, wenn man heute hineinschaut in die Notwendigkeiten der Zeit, mit so furchtbarem Schmerz, daß die Menschen nach und nach so gleichgültig geworden sind gegen die eine oder gegen die andere Behauptung. Das war selbst noch vor einem Jahrhundert anders. Man hätte nur sehen sollen, wenn man vor einem Jahrhundert einer Versammlung gesagt hätte: Kindsköpfig, von jenseits angesehen, bedeutet dasselbe, was von diesseits angesehen unter Umständen als Genialität zu bezeichnen ist! - Wie von ihren Sitzen auf- gefahren wären ein Wilhelm von Humboldt oder ein Fichte oder dergleichen Leute, wenn man desgleichen damals gesagt hätte, wie der Mensch damals noch mit seinem ganzen Wesen bei diesen Dingen war. Heute kocht und brodelt das Blut nicht, wenn die eine oder die andere Behauptung getan wird. Die Seelen sind schlafend geworden. Das ist es, was den, der die Forderungen der Zeit durchschaut, mit Schmerz erfüllt, daß er sO sehr die schlafenden Seelen sehen muß. Und wir haben ja als äußerste Blüte dieserSchläfrigkeit derZeit jene theosophische Bewegung bekommen, wo man im Zuhören innerliche Wollust empfinden will, wo man will, daß die Dinge so gesagt werden, daß man sanft beruhigt und immer beruhigter wird, und daß sich harmonische Stimmung ausgießt über die Zuhörer, so daß alles sanft nach und nach einschlafen kann.

Und gerade dann fühlt man das ewig Mystische, wenn nach und nach sanft alles einschlafen kann!

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Das ist dasjenige, was wiederum anders werden muß, das ist das- jenige, was wir brauchen, daß unser Herz nach der einen oder nach der andern Seite springt, je nachdem die eine oder die andere Behauptung getan wird. Dann wird man nicht mehr mit bloßer logischer Neutralität untersuchen, ob etwas richtig oder unrichtig ist, sondern man wIrd selber gesund oder krank fühlen, je nachdem man etwas als wahr oder als falsch empfindet. Und dann wird man weiter aufsteigen. Aber Geistes- wissenschaft muß das schon jetzt kultivieren als etwas, was in uns hin- einfahren muß. Man wird in voller Bewußtheit zurückzukehren haben zu dem Urteil: gesund oder krank -, und das muß auf den Willen wirken. Wir müssen gleichsam innerlich von Willen erfüllt werden bei dem, was wir früher nur als wahr und als falsch empfunden haben. Der Wille muß sich regen. Wir müssen das Richtige wollen; wir müssen nicht wollen, sondern vernichten dasjenige, was unrichtig, das heißt krank ist. Diese Umstimmung des Menschen ist es, die angestrebt werden muß. Nicht bloß wiederum irgendeine andere mehr oder weniger richtige Anschauung darf angestrebt werden, über die man dann diskutieren kann, sondern angestrebt muß werden, was die Menschen innerlich gesund macht, das heißt, mit der Erkenntnis muß nicht bloß etwas angestrebt werden, worüber man sagen kann: Das ist logisch richtig -, sondern mit der Erkenntnis angestrebt werden muß etwas, was Tat ist, was Realität ist, wodurch etwas geschieht.

#Bild S.086

Sie sehen, auf das Leben kommt es an bei der wahren, wirklichen Geisteswissenschaft und nicht auf das, was heute etwa im Kopfe eines Professors lebt, der auf seinem Stuhle sitzt und da sich mit einer vollkommenen

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Gleichgültigkeit über das Wahre und Falsche ergeht, während man über seine Neutralität in eine Stimmung kommen könnte, daß man die Wände hinaufkriechen möchte. Gewiß wird mancher sagen: Ja, aber es soll ja gerade innerliche Gelassenheit, innerliche Ruhe entwickelt werden. - Solche Dinge darf man nicht mißverstehen. Innerliche Gelasseriheit, innerliche Ruhe bedeuten Gleichgewicht, und es handelt sich darum, daß wir tatsächlich, sagen wir, bei einem gesunden Urteil nach der einen Seite ausschlagen können, aber auch die Möglichkeit haben, die Gegenkräfte zu entwickeln, sodaß wir trotz des Ausschlagens eben im Gleichgewichte sind, das heißt, daß wir uns immer in der Hand haben. Bewußtes Gleichgewicht ist etwas anderes als schläfriges Gleichgewicht. Sie sehen also, bis in das Innerste der Wahrheitsbenennung muß hineingreifen das, was wir eine Evolution nennen im geisteswissenschaftlichen Sinne.

Wir können nicht über die Eigenschaften des Menschen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt sprechen, wenn wir uns nicht daran gewöhnen, die Worte in einem ganz andern Sinne zu gebrauchen, als es in dem Gebiete unserer heutigen Umgangssprache geschieht. Daher werden natürlich immer diejenigen Menschen, die nur das hören wollen,was sie schon haben, die Sprache der Geisteswissenschaft unverständlich finden, weil sie sich nicht nur daran gewöhnen müssen, daß die Worte in anderer Weise zusammengefügt werden, sondern daß auch in das Innere der Worte etwas anderes ergossen wird, als bisher ergossen worden ist. Wenn wir so in die Entwickelung des Menschen hineinschauen, dann hekommen wir erst ein Urteil darüber, wie anders der Mensch in der Vorzeit war, wie anders er wiederum werden wird in einer fernen Zukunft, und wie wir zu bewerten haben dasjenige, was in unserer MittelIage der Zivilisation vorhanden ist. Unsere Zeit ist von einer solchen Katas~~ophe durchschauert, daß es wichtig ist, sich zu einer wirklichen Menschenerkenntnis zu bequemen. Wir stehen gewissermaßen in diesen Tagen in einer Zeit allerwichtigster europäischer Entscheidung, und die Menschen ahnen kaum, was eben in diesem komplizierten Organismus vor sich geht, der das öffentliche Leben bildet. Fast noch wichtiger als Tage jüngster Vergangenheit sind die Tage jetzt für den weiteren Fortgang der europäischen Zivilisation. Man wird sich schon in die Tatsächlichkeit

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hineinfinden müssen, daß alles Haftenwollen am Alten verderblich ist, daß nur ein gründliches Schöpfen aus den Quellen, die durch die Geisteswissenschaft wieder eröffnet werden, zum Ziele führen kann.

Es ist merkwürdig, wie das, was einen gewissen Anblick gewährt jenseits der Schwelle, in den geistigen Welten, heute seine Schatten herein- wirft in diese so urmaterialistische Zeit. Man wurde ausgelacht vor zwei, drei Jahren, wenn man über die Impulse gesprochen hat, welche von gewissen Geheimgesellschaften des Westens und anderer Erdengebiete die öffentlichen Angelegenheiten bedingen. Über diese Dinge habe ich hier eine ganze Reihe von Vorträgen gehalten, und einer Reihe von Ihnen wird der Inhalt dieser Vorträge ja auf die eine oder andere Weise bekanntgeworden sein. Aber man wurde mehr oder weniger ausgelacht, wenn man davon sprach, daß die öffentlichen Angelegenheiten von Kräften durchsetzt sind, deren Ursprung man findet, wenn man hinein- leuchtet in gewisse Geheimgesellschaften, die Traditionen alter Initiationsweisheit haben und sie in falscher Richtung anwenden. Heute, in verhältnismäßig kurzer Zeit, ist das anders geworden. Die nüchterne englische Presse, die sich wahrhaftig zu besonderen Sprüngen nicht herbeiläßt, bringt jetzt wochenlang Artikel über das Bestehen von Geheimgesellschaften; und wenn auch diese Artikel von Ausgangspunkten handeln, die nichts anderes sind als eine aufgelegte Jesuitenmache, so muß man immerhin sagen: Wenn auch die Leute den Wind aus einer ganz falschen Ecke heraus spüren, man sieht heute schon auf so etwas hin. Und was wochenlang besprochen wird, was, ich möchte sagen, mit philologischer Genauigkeit besprochen wird, das weist darauf hin, wie gründlich sich in dieser Beziehung die Welt seit ein paar Jahren gewandelt hat. Nur übersehen es die Leute leicht, wenn selbst, wie gesagt, in den nüchternen englischen Zeitungen heute Zusammenstellungen gebracht werden wie diese, daß 1897 etwas vor die Welt trat wie eine Beschreibung künftiger Ereignisse. Man bringt das heute, indem man es auf der linken Seite in Spalten aufschreibt und auf der rechten Seite die Programme der Bolschewisten bringt und dasjenige, was jetzt geschieht. Was 1897 bereits bekannt war, es geschieht heute, und man kann es philologisch nachweisen, daß das heute Geschehende mit dem Früheren stimmt. Na- türlich weisen die Leute, ohne daß sie irgendeine Kenntnis von den tieferen

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Zusammenhängen haben, journalistisch auf diese Dinge hin. Natürlich spüren heute noch die wenigsten, um was es sich handelt bei solchen Dingen, daß es sich darum handelt, daß Leute, die tief im Hintergrunde der Erscheinungen stehen, aber deshalb doch die Fäden der Erscheinungen stramm in der Hand halten, unbekannt bleiben möchten und daher ihre Spuren auf andere überführen. Das ganze ist eine Mache, was da gedruckt wird, aber es ist eine wohlberechnete Mache, wenn man auf die Ursprünge zurücksieht, denn sie ist darauf berechnet, andere anzuschuldigen, damit die Menschheit nicht an diejenigen denke, die wirklich die Fäden in der Hand haben. Wie gesagt, es ist heute schon so, daß man die Verantwortung empfinden muß, hinzuschauen auf das, was sich eigentlich zuträgt.

Ich habe zu,manchem 1914 gesagt: Die Geschichte jener Kriegskatastrophe, die 1914 begonnen hat, darf nicht so geschrieben werden, wie frühere Dinge geschrieben wurden, einfach aus den Archiven heraus. Wenn man wirklich einsehen will, was 1914 begonnen hat, dann muß man zu okkulter Denkweise übergehen, dann muß man sich klar sein, daß wichtigste Persönlichkeiten, die über die ganze zivilisierte Welt hin an der Herbeiführung der Katastrophe beteiligt waren, umnebelt, im Bewußtsein getrübt waren. Diejenigen Momente aber, wo die Menschen Im Bewußtsein getrübt werden, das sind die Tore, durch die die ahrimanischen Mächte lenkend und leitend in die Welt hereinkommen. Wenn jemand an einem wichtigen Posten sitzt und in einem wichtigen Momente in seinem Bewußtsein getrübt wird, dann regiert nicht mehr er, dann regiert durch ihn Ahriman. Es regieren geistige Mächte in die 'Welt herein, solche wie ich jetzt meine, in diesem Falle ahrimanischer Art. Nur wenn man diese Zusammenhänge auf geisteswissenschaftliche Art verfolgen will, kann man die Ereignisse der letzten Jahre verstehen; und immer weniger und weniger wird es möglich sein, das, was über die z1vilisierte Welt hin geschieht, zu verstehen, wenn man es nicht von geisteswissenschaf:lichen Grundlagen aus verstehen will; man w1rd lange diskutieren können, ob der oder jener dies oder jenes gesagt hat vor drei oder vier oder mehr Jahren, oder es heute sagt. Viel wichtiger ist es heute, sich Menschenkenntnis anzueignen, so daß man weiß, wie gesund oder ungesund der oder jener an jener Stelle war oder ist, denn

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von dem hängt es ab, ob gute oder schlimme Mächte in den Gang der Ereignisse hereinwirken. Es ist richtig, daß der Weg zu dem Urteilen auf diese Art nicht gerade mit Rosen gebettet ist; denn wenn die Menschen in dieser Weise bei dem Hereinspielen übersinnlicher oder untersinnlicher Mächte in diese sinnliche Welt urteilen sollen, dann werden sie leicht dazu verführt, schwärmerisch zu werden, mystisch erhaben zu werden.

Notwendig ist für den, der Geisteswissenschaft im Ernste pflegen soll, nicht bloß der gewöhnliche Grad von Nüchternheit, sondern ein höherer Grad von Nüchternheit; gar keine Schwärmerei, gar kein Sich-Verlieren, ein festes Stehen auf einem festen Boden der Wirklichkeit, das ist notwendig. Zur Realität müssen wir uns erziehen, wenn wir so urteilen wollen, wie eigentlich heute schon geurteilt werden müßte.

Es ist eine große Gefahr, wenn jemand sagt, das, was er ausspricht, sei Ergebnis nicht von dem, was er will oder nicht will, sondern von höheren Mächten. Hinter dem steckt ja gewöhnlich nichts anderes als der purste Egoismus. Und die Mystiker, die sich der Welt vorstellen als Träger von dieser oder jener Geistigkeit, sind zumeist die größten Egoisten. Deshalb ist das erste, was notwendig ist auf dem Wege zu einer gewissen höheren Erkenntnis, das Nüchternwerden, das Hinwegsehenkönnen über all dasjenige, was mit dem Egoismus zusammenhängt. Schwärmerei ist in der Regel nur eine andere Form des Egoismus. Und insbesondere wird notwendig sein, daß die Menschheit auf dem Wege zur Geistigkeit sich einen gewissen Humor zulegt. Von diesem Humor ist die Welt heute weit entfernt. Und es ist außerordentlich schwer, mit dem Urteil der Welt zurechtzukommen, wenn es s1ch um solche Dinge handelt, weil ja da alles mögliche, was in den Tiefen der menschlichen Natur organisch west und webt, mitspricht.

Es ist vielleicht damit zunächst einmal angedeutet, was angedeutet werden mußte, um auf die Wichtigkeit des Weges hinzuweisen, zu einem geistigen Urteile zu kommen auf der einen Seite, und auf die Schwierigkeit, auf das Gefahrvolle dieses Weges auf der andern Seite. Auf diese beiden Dinge muß man hinschauen. Man darf sich nicht zurückhalten lassen vor den Gefahren; man darf aber auch nicht lässig werden gegenüber den Anstrengungen, die zu machen sind, um wirklich zu einem

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geistgemäßen Urteil zu kommen. Diese Dinge muß man immer im Auge haben, wenn man den Menschen in der Gegenwart verstehen will. Und ohne daß man den Menschen in der Gegenwart versteht, kann man zu keinem sozialen Urteil kommen. Den Menschen in der Gegenwart muß man so verstehen, daß man ihn wirklich voll ansieht als Seele, Leib Und Geist, daß man nicht nur hinzusehen vermag auf sein Leben zwischen Geburt und Tod, sondern auch auf das zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Und im Grunde genommen hat das Urteil «nützlich> oder «schädlich» keinen Sinn für das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, aber sehr viel Sinn gerade für diese Zeit zwischen Tod und neuer Geburt hat das Urteil «gesund» und «krank». Da sind die Seelen gesund unter den Nachwirkungen des irdischen Lebens, oder sie sind krank unter den Nachwirkungen des irdischen Lebens. Nützlich oder schädlich in dem Sinne, wie wir das hier erklären, für wahr oder falsch anzusehen, bedeutet zugleich, alle Weltbetrachtung nur auf die physische Welt beschränken. Und daß es einen Pragmatismus und eine Philosophie des «Als Ob» in der Gegenwart gibt, das ist das sicherste Zeichen dafür, daß die Menschen kein Gefühl haben für alles das, was jenseits der Schwelle von der physischen Welt zur geistigen Welt liegt.

Ein gesundes soziales Urteil wird aber nur zustande kommen auf der Grundlage dieser Initiationswissenschaft. Denn sehen Sie, nehmen wir das eine Gebiet des dreigliedrigen sozialen Organismus, nehmen wir das Materiellste und Prosaischeste, wie manche sagen, das Wirtschaftsleben. Wir wissen, dieses Wirtschaftsleben wird sich in einer gesunden Weise nur entwickeln, wenn es sich unter dem Assoziationsprinzip entwidLelt. Was heißt das? Das heißt, daß in der Zukunft die Menschen ein wirtschaftliches Urteil sich überhaupt nicht aus der einzelnen Individualität heraw entwickeln werden. Es wird natürlich erkenntnistheoretisch aus der Individualität stammen, aber gebildet werden wird es nicht aw der Individualität heraus. Ein wirtschaftliches Urteil bloß aus der Individualität heraus zu bilden, wird den Menschen der Zukunft, wenn sie sich richtig entwickeln, so vorkommen, wie der berühmte Jean Paulsche Schläfer, der mitten in der Nacht im finstern Zimmer aufwacht, nichts sieht, nichts hört, und nachdenkt, wieviel Uhr es ist, und es durch Nachdenken herauskriegen will. Man mUß im Einklange mit

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seiner Umgebung stehen, wenn man sich mitten in der Nacht ein Urteil bilden will, wieviel Uhr es ist. Und man wird in der Zukunft, wenn man sich ein wirtschaftliches Urteil bilden will, sagen wir, ein Preisurteil oder ein Urteil, wieviel Arbeiter in einer bestimmten Branche arbeiten dürften, man wird um sich haben müssen Assoziationen, solche Assoziationen, welche in dieser Branche produzieren, solche Assoziationen, welche in dieser Branche konsumieren. Und aus dem Zusammenfluß dessen, was von diesen Assoziationen ausgeht, wird man sich ein Urteil bilden. So wie man das heute will, von der Individualität aus, das würde eben dem Schläfer gleichkommen, der aus sich selbst heraus- kriegen will, wieviel Uhr es ist. Das hat sich ja eben gerade gezeigt, wie weit man mit einem solchen Urteil kommt, welches nicht auf assoziative Erfahrung gestellt ist.

Ich habe ja auch schon vor einer Anzahl von Ihnen ein anderes Bei- spiel angeführt. Wir haben im 19. Jahrhundert gebildete Diskussionen gehabt über die Nützlichkeit der Goldwährung, und Sie können von Leuten aller Parlamente Europas und in allen möglichen praktischen Gebieten Europas so in der Mitte des 19. Jahrhunderts und weiter bis in das letzte Drittel hinein immerzu die schönsten und geistreichsten Gründe dafür finden, warum Goldwährung kommen soll anstelle des Bimetallismus. Was haben sich die Leute davon versprochen? Sie haben gesagt, die Goldwährung werde den Freihandel bringen. Und was ist in Wirklichkeit eingetreten? Überall die Schutzzölle, das Gegenteil von dem, was die gescheiten Nationalökonomen und die gescheiten Parlamentarier gesagt haben! Ich meine das jetzt nicht humoristisch, wenn ich sage «die gescheiten Leute». Geirrt haben sich alle, aber ich nenne sie deshalb nicht dumm oder töricht; sie waren wirklich gescheit. Aber sie haben keine Erfahrung gehabt, keine wirtschaftliche Erfahrung; denn diese Erfahrung kann man eben nicht aus den Fingern saugen oder durch Nachdenken entwickeln, sondern nur dann gewinnen, wenn man im assoziativen Zusammenhang seine Fäden zu dem oder jenem zieht. Und wirklich so, wie man von den Uhren die Zeit abliest, so wird man aus den Assoziationen die Grundlagen ablesen für ein wirtschaftliches Urteil, das zu Taten führen kann.

Was bedeutet denn das alles? Sie werden sich erinnern, daß ich oftmals

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gesagt habe, wie an einem gewissen Ausgangspunkte unserer Menschheitsentwickelung eine Art Gruppenurteil, eine Gruppenseele vorhanden war. Da haben die Menschen aus Instinkt heraus in ganzen Gruppen gleich geurteilt, gleich empfunden. Es wären ja niemals Sprachen entwickelt worden, wenn die Menschen nicht in solchen Gruppen geUrteilt hätten. Es gab sogar, wie ich das in einigen Zyklen ausgeführt habe, ein Gruppengedächtnis. Also man ist ausgegangen von Gruppen, von instinktivem Gruppenurteil. Man kommt dann zu einem gewissen tiefsten Punkt, und man steigt wiederum hinauf durch die Assoziationen,

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aber jetzt bewußt, indem man 1m wIrtschaftlichen Leben die Menschen wiederum in Gruppen vereinigt, zu Assoziationen, die sich halten und tragen durch ihr wirtschaftliches Urteil. Man steigt wiederum hinauf zu dem assoziativen Urteil. Nur wird das so werden, daß diese Gruppen bewußt gebildet werden, daß jetzt mit vollem Bewußtsein geschieht, was früher atavistisch instinktiv geschah. Da haben Sie wiederum eine von denjenigen Begründungen, die aus der Geisteswissenschaft heraus gegeben werden können für die Notwendigkeit einer solchen sozialen Entwickelung, wie sie durch die «Kernpunkte der sozialen Frage» hin- gestellt werden. Diese Dinge sind eben so, daß sie sich mit absolut mathematischer Gewißheit ergeben, wenn man auf die Quellen eines wirklichen Erkennens eingeht. Diese Dinge sind nicht leichtsinnig in die Welt hineingesprochen, sondern aus den Fundamenten des Menschenlebens herausgeholt. Das aber hat unsere Zeit notwendig, daß aus Menschenerkenntnis heraus eine Welt sozial aufgebaut werde. Ohne das kommen wir nicht vorwärts, ohne das bleibt alles Reden von Links

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und Rechtspolitik, von allem dogmatischen Diktieren, daß die Menschen an einen Gott zu glauben haben> von der philiströsen bis zur liberalsten Auffassung der Frauenfrage, vom reaktionärsten Flügel bis zum bolschewistischen Flügel, ohne das bleibt das alles ein Herumreden, das keine Wirklichkeit begründen, sondern nur in die Zerstörung führen wird. Nur aus dem geistigen Erleben heraus wird die Wirklichkeit erfaßt werden können. Dann aber muß man auf eine wirkliche Menschenerkenntnis eingehen können, dann muß man sehen, wie so etwas, was als assoziatives Glied im Wirtschaftsleben in voller Bewußtheit gefordert wird, wie das eben im Aufstieg dasjenige ergibt, was im Abstiege verloren worden ist an atavistisch instinktivem Urteil. Mit wirklicher, echter, ganz durchschaubarer Wissenschaft hat man es zu tun; mit einer Wissenschaft, die so durchschaubar ist, wie der pythagoreische Lehrsatz, wenn auch gerade die Wissenschafter von heute auf diese Durchschaubarkeit nicht eingehen. Aber es muß eine genügend große Anzahl von Menschen geben, welche diese innere Kristallklarheit desjenigen Urteils durchschaut, das einzig und allein aus dem Niedergang zum Aufgang führen kann aus den Quellen der Geisteswissenschaft heraus.

Das habe ich mit auch als eine Art Vorbereitung sprechen wollen für morgen, wo wir dann hier sprechen wollen in Vorträgen und freier Diskussion über die Bildung des sozialen Urteils und über die Notwendigkeiten einer solchen Bildung des sozialen Urteils in den sozialen Zu- ständen der Gegenwart.

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SECHSTER VORTRAG Dornach, 20. August 1920

Ich möchte heute wieder einiges zusammenfassen von dem, was in den letzten Zeiten hier vorgebracht worden ist. Wir haben gesprochen von der sinnlichen Außenwelt im Verhältnis zu der menschlichen Innenwelt, und ich habe auf zweierlei besonders scharf hingewiesen. Ich habe darauf hingewiesen, daß die sinnliche Außenwelt durchaus aufgefaßt werden muß als eine Welt der Erscheinung, daß es zu den Vorurteilen unserer Zeit gehört, diese Anschauung von der Welt der Erscheinungen nicht in richtiger Weise zu deuten. Gewiß, da und dort taucht eine gewisse Erkenntnis davon auf, daß die sinnliche Außenwelt eine phänomenale, das heißt, eine Welt von Erscheinungen ist, nicht von irgendwelchen auch nur materiellen Wirklichkeiten. Aber man sucht dann hinter dieser Welt der äußeren Erscheinungen nach materiellen Realitäten, zum Beispiel nach Atomen, nach Molekülen und dergleichen. Dieses Suchen nach Atomen, Molekülen, kurz, überhaupt nach einer hinter der Erscheinungswelt stehenden Welt materieller Wirklichkeit, ist ganz genauso, wie wenn jemand, der zum Beispiel im Regenbogen, der eben augenscheinlich nur eine Erscheinung, ein Phänomen ist, nach allerlei molekularischen Entitäten suchen würde, nach molekularischen Materialitäten, die dahinterstehen müßten. Dieses Suchen nach materieller Realität gegenüber der Außenwelt, das ist, wie uns ja aus den verschiedensten Etken her die Geisteswissenschaft zeigt, etwas völlig Unbegründetes. Wir müssen uns klar sein darüber: Wir haben um uns herum in dem, was Sinneswelt ist, eine Erscheinungswelt, und wir dürfen nicht den Tastsinn gegenüber der Sinneswelt anders auffassen als so wie die andern Sinne. So wie wir den Regenbogen mit Augen sehen und dahinter nicht eine materielle Realität suchen, sondern eben als Erscheinung ihn hinnehmen, so müssen wir die ganze äußere Welt so hinnehmen, wie sie ist, in dem Sinne, wie ich das in meiner Einleitung zum FarbenlehreBand der Goetheschen Naturwissenschaftlichen Schriften vor Jahrzehnten dargestellt habe. Und die Frage stellt sich dann vor uns hin: Was ist nun hinter dieser Welt der Erscheinungen? Da sind nicht materielle

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Atome dahinter, da sind dahinter geistige Wesenheiten, da ist Geistigkeit dahinter. Das bedeutet viel, dies anzuerkennen; denn es bedeutet ja, daß wir zugeben: Wir sind nicht in einer materiellen Welt, sondern wir sind in einer Welt geistiger Realitäten!

Also wir haben, wenn wir uns als Menschen nach außen wenden - wenn das (siehe Schema) gewissermaßen die Grenze unseres Leibes ist -, die Sinneswelt, und hinter derselben die Welt geistiger Realitäten, geistiger Wesenheiten (rechts).

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Gehen wir jetzt in das menschliche Innere hinein, also wenden wir uns nach innen zu, dann haben wir zunächst, wenn wir von unsereii Sinnen nach innen gehen, dasjenige, was Inhalt Unserer Vorstellungswelt, Inhalt unserer Seelenwelt ist. Wenn wir die Sinneswelt die Welt sinnlicher Phänomene nennen, sinnlicher Erscheinungen, so haben wir, wenn wir von unseren Sinnen nach innen gehen, die Welt der geistigen Erscheinungen (links). Denn natürlich sind zunächst so, wie sie in uns sind, unsere Gedanken, unsere Vorstellungen keine Realitäten, sondern es sind geistige Erscheinungen. Und nun kommt eben alles darauf an, daß wir nicht glauben, wenn wir von dieser Seelenwelt noch tiefer in

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unser Inneres hineinsteigen, daß wir da kommen zu dem, was mystische Träumer voraussetzen, zu einer besonderen höheren Welt, sondern da kommen wir in die Welt unseres Organismus hinein, da kommen wir eben hinein in die Welt materieller Realitäten.

Und deshalb ist es wichtig, nicht zu glauben, daß man durch Hineinbrüten in sich ein Geistiges finden kann, sondern da soll man gerade suchen die Konstitution des menschlichen materiellen Organismus. Man soll nicht alle möglichen mystischen Realitäten in sich suchen, wie ich das ja von den verschiedenen Gesichtspunkten aus hervorgehoben habe, sondern man soll suchen hinter dem, was sich heraufdrängt in die Seele, das heißt, was geistige Erscheinung wird - gerade je tiefer und tiefer man in sich hineinsteigt -, das Zusammenwirken von Leber, Herz, Lunge und so weiter, von noch andern Organen auch, die gerade Mystiker nicht gerne genannt wissen wollen. Da lernen wir das eigentlich Materielle unseres irdischen Daseins kennen. Und gar mancher - das habe ich ja oft hervorgehoben -, der glaubt, da tief in sein Inneres hineinzusteigen und mystische Realitäten zu treffen, der trifft nur das, was seine Leber, seine Galle und ähnliche andere Organe ausbrüten. Wie sich der Talg zur Flamme bildet, so bildet sich dasjenige, was Leber, Lunge, Herz, Magen ausbrüten, zu dem, was dem Bewußtsein heraufleuchtet als mystische Erscheinungen.

Das ist es eben gerade, daß wirkliche Geisteswissenschaft den Menschen hinausführt über jegliche Art von Illusion. Es ist die Illusion der Materialisten, daß sie hinter der Sinneswelt nicht geistige Realitäten, sondern physische, materielle Realitäten finden können. Es ist die Illusion der Mystiker, daß sie finden können, wenn sie in ihre eigene Wesenheit hinuntersteigen, nicht die Welt der materiellen Organisation, sondem irgendwelche besonders göttliche Funken und dergleichen.

Das ist wichtig für echte Geisteswissenschaft, daß wir nicht suchen in der Außenwelt das Materielle, daß wir nicht suchen in der Innenwelt so, wie man sie zunächst durch innerliches Bebrüten bekomint, das Geistige.

Dies nun, was ich jetzt sagte, hat ja bedeutsame Folgen für unsere ganze Weltanschauung. Bedenken Sie nur, daß wir ja darlegen müssen, daß der Mensch vom Einschlafen bis zum Aufwachen mit seinem astralischen Leib und mit seinem Ich außerhalb des physischen Leibes und

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Ätherleibes ist. Wo ist er dann? - Das müssen wir uns ja als Frage vorlegen: Wo ist er denn dann? - Wenn wir annehmen, daß da draußen die Welt ist, welche die Physiker beschreiben, dann hat es überhaupt keinen Sinn, von einem Außer-dem-physischen-Leibe-Bestehen des astralischen Leibes oder des Ich zu sprechen. Wenn wir aber wissen, daß da jenseits der Sinneswelt die Welt der geistigen Realitäten liegt, aus der die Sinnenwelt hervorsprießt, dann haben wir eine Möglichkeit, uns vorzustellen, daß astralischer Leib und Ich in die geistige Welt, die hinter der Sinnenwelt liegt, hineinziehen. Sie sind wirklich in dem Teile der geistigen Welt, der der Sinnenwelt zugrunde liegt; so daß man also sagen kann: Schlafend dringt der Mensch in jene geistige Welt ein, die der Sinnenwelt zugrunde liegt. Aufwachend allerdings dringt er ein mit seinem Ich und mit seinem astralischen Leibe in dasjenige, was zunächst ätherische Wesenheit ist, und was die Welt materieller Organisation ist.

Man bekommt von dem, was man als anthroposophische Weltanschauung aufnehmen kann, überhaupt nur klare Vorstellungen, wenn man sich über solche Dinge klare Vorstellungen machen kann. Denn man wird sich dann vor allen Dingen nicht der TäuschUng hingeben, daß man irgendwie das Göttliche oder das unserem Menschen zugrunde liegende Geistige hinter der sinnlichen Umgebung suchen könne. Da ist nur das Geistige, das diese Sinnenwelt aus sich hervorbringt. Wir selbst als Menschen, wir wurzeln in der Geisteswelt. Aber in welcher Geisteswelt? In derjenigen Geisteswelt, die wir ja verlassen, indem wir in unseren physischen Leib uns verkörpern. Wir kommen ja aus jener geistigen Welt, die wir durchleben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt; wir treten durch die Geburt oder durch die Empfängnis in dieses physische Dasein ein. Die Welt aber, in der wir sind zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, die wir da verlassen, die ist eine andere geistige Welt als diese; sie ist eine geistige Welt und dadurch mit dieser verwandt. Aber jene geistige Welt spritzt aus sich hervor unsere SinnenweIt. Diejenige geistige Welt, von der wir sprechen - ich habe sie besprochen in dem Zyklus «Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt» -, diejenige Welt, die wir da durchleben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, die uns hervorspritzt, die

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uns hervorbringt, die erfassen wir nicht, wenn wir sie hinter der Sinneswelt suchen, die erfassen wir auch nicht, wenn wir sie in uns selber suchen. Da finden wir nur das Materielle unserer eigenen Organisation. Die erfassen wir, wenn wir überhaupt aus dem ganzen Raume herauskommen. Die ist nicht im Raume. Von der kann nur gesprochen werden, wie ich das auch oftmals betont habe, wenn wir einzig und allein die Zeit zugrunde legen, wenn wir sie als eine zeitliche auffassen. Daher kann alles, was wir an Beschreibungen haben über diese Welt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, selbstverständlich nur Imagination, nur Bild sein. Und wir dürfen nicht verwechseln diese Bilder, in denen wir uns notwendigerweise ausdrücken müssen, mit den Realitäten, in denen wir leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Es ist so notwendig, daß man auf dem Boden anthroposophischer Weltanschauung nicht bloß von allerlei phantastischen Dingen spricht, die man mit den alten Worten bezeichnet, wobei man doch mit den alten Worten nichts Neues eigentlich bezeichnet, sondern es ist notwendig, daß man seine Begriffs-, seine Vorstellungswelt bereichert, wenn man in diejenige Welt hinein senden will seine Gedanken, seine Vorstellungen, die wir durchleben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. So daß wir uns eine Vor- stellung aneignen können> welche außerordentlich wichtig ist, welche auch der Anlaß sein kann zu einem tiefen Nachdenken, allerdings zu einem unbequemen Nachdenken. Das ist die Vorstellung: Wenn wir durchlebt haben das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt> so verkörpern wir uns hier im Raume. Wir dringen aus etwas, was nicht räumlich ist, in den Raum ein. Der Raum hat nur eine Bedeutung für dasjenige, was hier von uns erlebt wird zwischen der Geburt und dem Tode. Und wiederum, wir dringen nicht nur aus unserem Leibe mit unserer Seele heraus, wenn wir durch die Pforte des Todes gehen, wir dringen aus dem Raume heraus; das ist wichtig.

Diese Vorstellung, die so geläufig war den Menschen noch bis zum 4., 5., 6. nachdiristlichen Jahrhundert> ja noch geläufig war solch einem Menschen, der erst im 9. Jahrhundert gelebt hat, wie Scotus Erigena> diese Vorstellung, daß das dem Menschen zugrunde liegende Geistige> das er durchlebt, wie man damals gemeint hat, nur nach dem Tode - wie wir jetzt sagen müssen: überhaupt zwischen dem Tode und einer

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neuen Geburt -, diese Vorstellung ist der neueren Zeit ganz verlorengegangen. Die neuere Zeit ist stolz, hochmütig auf ihr Denken, aber sie kann ja eigentlich nur das Räumliche denken. Sie lebt in jedem Gedanken nur so, daß sie den Raum mitdenkt. Aber man muß sich bemühen, um das Geistige zu denken, den Raum selber in seinem Denken zu überwinden. Sonst werden wir niemals in das wirkliche Geistige hineinkommen und werden vor allen Dingen niemals auch nur zu einer an- nähernd richtigen Naturwissenschaft kommen, geschweige denn zu einer Geisteswissenschaft. Gerade gegenüber unserer Zeit ist es von unendlicher Wichtigkeit, sich mit diesen feineren Unterscheidungen geisteswissenschaftlichen Erkennens bekanntzumachen. Denn das, was wir durch solche Begriffe uns aneignen, ist ja nicht bloß irgendeine Weltanschauung, irgendein Gedankeninhalt. Dieses Sich-Aneignen eines Gedankeninhaltes ist schließlich das Allerwenigste, was uns werden kann durch anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft. Denn es ist ganz gleich, ob nun schließlich jemand glaubt, die Welt besteht aus Molekülen und Atomen, oder ob er glaubt, der Mensch besteht aus dem physischen Leib, dann aus etwas, was dünner ist, dem Ätherleib, dann aus etwas, was noch dünner, noch nebuloser ist, dem Astralleib, was noch dünner ist, was weiß ich, was dann kommt: aus Mentalleib, und was noch kommt - immer dünner, dünner, dünner -, während schon der Ätherleib gar nicht mehr getroffen wird, wenn man nur von der Dünnheit spricht! Es ist schließlich gleich, ob man Materialist ist und die Welt als Atome sich vorstellt, oder ob man diese grobmaterialistische Vorstellung hegt, die gerade das Gemeingut der sogenannten theosophischen Gesellschaftslehren, oder wie man das nun nennen will, ist. Worauf es ankommt, das ist ja etwas ganz anderes, das ist, daß wir in der Lage sind, unsere ganze Seelenverfassung umzuwandeln, daß wir uns anstrengen müssen, anders zu denken für das Geistige, als wir gewohnt sind, für die äußere Sinneswelt zu denken. Nicht, wenn wir etwas anderes als die Sinneswelt als geistig denken, treten wir in Geisteswissenschaft ein, sondern wenn wir anders denken über das Geistige, als wir über die Sinneswelt denken. Über die Sinneswelt denken wir räumlich. Über das Geistige können wir höchstens innerhalb gewisser Grenzen zeitlich denken, weil wir uns selber in dieser geistigen Welt denken müssen. Und wir

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sind ja in der Zeit in einer gewissen Weise bedingt auch geistig, indem wir eben in einem bestimmten Zeitpunkte aus dem Leben zwischen Tod und Geburt in das Leben zwischen Geburt und Tod hineinversetzt werden.

Dieses Umgestalten der Gemütsverfassung, das ist es, worauf ich öfters hingewiesen habe, und was der gegenwärtigen Menschheit so not tut. Denn wodurch sind wir denn in die Kalamitäten der Gegenwart hineingekommen? Wir sind in die Kalamitäten der Gegenwart hinein- gekommen dadurch, daß mit den sogenannten neueren Fortschritten die Menschheit ganz und gar verlernt hat, in ihre Vorstellungen überhaupt noch das Geistige aufzunehmen. Dasjenige, was theosophische Lehre der sogenannten Theosophischen Gesellschaft ist, ist ja gerade der Versuch, mit materialistischen Gedankenformen das Geistige zu charakterisieren, also den Materialismus bis ins Geistige hineinzutreiben. Dadurch, daß man etwas geistig nennt, hat man ja nicht eine geistige Auffassung, sondern nur dadurch, daß man das für das Sinnliche geeignete Denken umgestaltet.

Wenn die Menschen nun miteinander leben sollen, dann sind sie eben nicht in bloß räumlichen Beziehungen, dann sind sie nicht in solchen Beziehungen, die sich ausdenken lassen mit dem, was heute durch die Naturwissenschaft allgemeines Denken geworden ist. Deshalb können wir keine sozialen Vorstellungen mehr ausbilden in der heutigen Weltanschauung, weil das Denken, an das sich die Menschheit gewöhnt hat durch die Naturwissenschaft, eben gar nicht dazu führt, das Zusammenleben der Menschen zu charakterisieren. Daher jene Abirrungen, die wir heute als allerlei soziale Weltauffassungen erleben, und die nur davon herrühren, daß es unmöglich ist> aus den Vorstellungen, von denen aus wir heute etwas als richtig oder unrichtig ansehen, auch wirklich über das Soziale zu denken. Erst wenn man sich bequemen wird, ins Geisteswissenschaftliche einzudringen, wird es wiederum möglich sein, das Soziale so zu denken, wie es gedacht werden muß, wenn nicht der Niedergang weiter erfolgen soll, sondern wenn ein Aufstieg erfolgen soll. Die Erziehung, welche Geisteswissenschaft an uns vollführt, ist viel wichtiger als der Inhalt der Geisteswissenschaft. Sonst kommen wir endlich dazu, immer mehr und mehr zu verlangen, daß die geistigen

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Dinge, wie man sagt, populär, das heißt`, grobsinnlich-wirklich dargelegt werden. Man kommt dazu, solche Dinge, die einfach in einer gewissen Weise gesagt werden müssen, damit man nicht phantasiert, sondern Realitäten sagt, wie das zum Beispiel geschehen mußte sowohl in unseren anthroposophischen Darstellungen, wie auch in meinem Buche «Die Kernpunkte der sozialen Frage», man kommt dazu, das dann unanschaulich zu finden. Ja, «anschaulich» ist etwas, worunter heute die Menschheit etwas ganz Sonderbares versteht. Es gibt heute Leute, welche auf diese Sehnsucht der Menschen, grobsinnlich anschaulich alles zu bekommen, spekulieren. Und sie spekulieren schon über den ganzen Umfang der Erde hin, nicht etwa bloß in einzelnen Territorien.

So zum Beispiel finde ich eine interessante Stelle in einem ganz vor kurzem erschienenen Buche, «Les forces morales aux Etats-Unis», von einer Französin geschrieben. Die Unterabteilungen sind: l>6glise, l`6cole, la femme. In diesem Buch findet sich eine interessante kleine Episode, welche zeigt, wie man von gewissen Seiten versucht, die Dinge der Beziehung des Menschen zur geistigen Welt anschaulich zu machen. Die Betreffende erzählt: Eines Abends promenierte ich mit einer Freundin im Broadway. Ich kam vor eine Kirche. Ein Überblick zeigte uns den Platz nur mit Männern angefüllt. Indigniert durch den Anblick, vermieden wir, etwas vorzudringen in das Innere. Ein Priester in der Sutane wurde unser ansichtig, kam heran, uns einzuladen, wir sollten weiter vorwärtsdringen. Da wir zögerten, fragte er uns über unsere Konfession. Wir sind nicht Katholiken, sagte ich. Er drang lebhaft in uns, in seine Kirche einzutreten und lud uns mit erhobenem Zeigefinger ein: Kommen Sie hierher, sagte er mit Überzeugung, hören Sie mich. Wenn Sie zum Beispiel nach Chicago gehen wollen, wie machen Sie das? Sie können, um dahin zu gehen, zu Fuß gehen, zu Wagen, zu Schiff oder mit dem Eisenbahnzug. Logischerweise werden Sie das schnellste und bequemste Mittel wählen. Das ist in diesem Fall der Eisenbahnzug. Selbstverständlich, wenn Sie wollen in den Garten Gottes kommen, werdeii Sie ebenso wählen diejenige Religion, welche Sie am schnellsten und sichersten dahin führen wird. Das ist die katholische Religion, welche der Expreßzug nach dem Paradiese ist. Die betreffende Mitteilerin

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sagt nur noch, daß sie so perplex war, daß es ihr gar nicht eingefallen ist, ihm zu sagen, daß er ja in seinem anschaulichen Vergleiche noch den Aeroplan vergessen habe, den er als eine noch schnellere Expedition hätte anführen können, um in das Paradies zu gelangen.

Sie sehen, hier wählt jemand, der darauf aus ist, den Vorurteilen der Menschen entgegenzukommen, anschauliche Vorstellungen. Es ist eine anschauliche Vorstellung für die katholische Religion, daß sie «der Expreßzug nach dem Himmel» ist. Das ist überhaupt der Zug der Zeit, anschauliche Vorstellungen, das heißt, solche Vorstellungen zu suchen, welche an die Leute keine Anforderungen des Denkens stellen. Das ist es aber, wo wir schon sehen müssen den Ernst des heutigen Lebens, der darin besteht, daß wir heraus müssen aus jener Anschaulichkeit, die zur Banalität und Trivialität wird und dadurch gerade den Menschen in den Materialismus für diejenigen Dinge herunterzieht, die eben gerade geistig erfaßt werden müßten. Man muß auch in solchen Symptomen durchaus dasjenige suchen, was für unsere Zeit das Allernotwendigste ist. Und immer wieder muß gesagt werden: Es darf nicht vorbeigegangen werden an solchen Symptomen, wir dürfen nicht mit verbundenen Augen heute durch unsere Welt gehen, die ein Organismus ist, der eben aus seinen Symptomen erkannt sein will, weil in diesen Symptomen dasjenige ruht, was durchschaut werden muß, wenn wIr aus unserem allgemeinen Niedergange zu einem Aufstieg kommen wollen.

Es ist aber notwendig, in diesem Punkte manche Dinge im rechten Lichte zu sehen. Dasjenige, was nun wirklich hervorgeholt ist aus geisteswissenschaftlichen Unterlagen in den «Kernpunkten der sozialen Frage», es ist wahrhaftig nicht entstanden aus irgendeiner Theorie her,aus, sondern aus dem ganzen breiten Leben heraus, nur daß dieses Leben eben geistig angeschaut ist. Und es kann die Menschheit heute nicht vorwärtskommen, wenn man sich nicht auf ein solches Anschauen des Lebens einstellt.

Ich möchte zwei Dinge des Lebens zusammenstellen, die mir in diesen i1,wiederum gezeigt haben, wie nötig es ist, die Menschheit heute hinzuführen zu dieser lebensvollen Erfassung der Wirklichkeit, aber zu gleicher Zeit einer geistigen Erfassung der Wirklichkeit. Denn sehen Sie, da las ich gestern einen Artikel von einem Journalisten, der, wie mir

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mitgeteilt wird, Rene` Marchand heißt und lange Zeit Journalist des «Figaro», des «Petit Parisien» war und so weiter, der dann mitgemacht hat den Krieg an der russischen Front, der ein gründlicher Gegner der Bolschewiki war, der dann mit dem General der Gegenrevolution zu tun hatte, ihr Anhänger war und der dann in einem Momente sich bekehrt hat zum Rätegedanken, zum Bolschewismus. Aus einem Gegner des Bolschewismus - steht hier - ist er zu einem Verfechter, zu einem rückhaltlosen Anerkenner ihrer Führer sowohl wie des Rätegedankens geworden. Es ist interessant, wie hier ein Mensch, der doch zu den In- tellektuellen gehört, denn er ist Journalist, der immerhin mit einer tieferen Auffassung des Lebens, mit einer tieferen Empfindung für das Leben lebt, der in dem lebt, was alttraditionell ist in dem, worinnen die schlafenden Seelen heute zumeist leben, wie ein solcher Mensch dann plötzlich darauf kommt: Das führt ja ganz gewiß zum Untergange! - Und da erscheint ihm als der einzige Zielpunkt nichts anderes als der Bolschewismus. Das heißt, der Mensch sieht nun, daß alles, was nicht Bolschewismus Ist, zum Untergange führt. Ich habe Ihnen ja gezeigt, wie Spengler das beschrieben hat. Marchand sieht nur den Bolschewismus, und von dem Bolschewismus glaubte er zunächst, daß er nur eine russische Angelegenheit sei. Aber dann fand er eben etwas ganz anderes, dann fand er, daß der Bolschewismus eine internationale Angelegenheit ist, die in der ganzen Welt sich ausbreiten muß, und: Es wurde mir jetzt klar, daß der Friede erst dann wiederhergestellt werden kann und die Prinzipien, die bis zu diesem Tag von den bürgerlichen Regierungen nur verkündet wurden, um die Massen zu täuschen, erst dann zur Wirklichkeit werden, wenn dieser neue Imperialismus - von der Entente - seinerseits zusammengebrochen ist, und wenn die Völker aller Länder die Leitung ihrer Schicksale frei in die eigenen Hände nehmen werden und so weiter. - Und dann erzählt er, wie er nun zu der Ansicht gekommen ist> daß nur dann, wenn die Welt durch und durch bolschewisiert wird, daß nur dann herrschen wird Gerechtigkeit, Eintracht, Friede, Recht, daß nur dadurch der Wiederaufbau kommen könne. Dieser Mann ist sich klar geworden, alles übrige führe zum Untergange. Und er sagt im Grunde genommen ganz zutreffend: Wenn das, was außer dem Bolschewismus da ist, weiter gepflegt werden soll, so muß es

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die Diktatur werden des alten Kapitalismus, des Bürgertums oder dessen, was dazugehört. Es muß die Diktatur werden der Lloyd George, Clemenceau, Scheidemann und so weiter. Will man das nicht, will man nicht in den Untergang hineinkommen, so gibt es nichts anderes als die Diktatur, die Diktatur des Bolschewismus. Und darin sieht er dann das einzige Heil.

Sie sehen, dieser Mann ist in einer gewissen Weise ehrlich, viel ehrlicher als alle die andern, die den Bolschewismus herankommen sehen und glauben, daß man das alte Regime ihm gegenüberstellen könnte. Er sieht wenigstens von all diesem Alten ein, daß es reif ist zum Untergange. Aber eine Frage muß sich einem aufdrängen gerade dann, wenn man auf geisteswissenschaftlichem Boden steht, wenn man so etwas erlebt; denn solch ein Mensch, wie dieser Rene` Marchand, ist eine Ausnahme. Es muß sich einem die Frage aufdrängen: Woher hat denn der Mann seine Kenntnis von dem allem? - Er hat seine Kenntnis daher, woher sie die meisten Menschen der Gegenwart haben, er hat sie aus den Zeitungen, aus den Büchern. Er kennt nicht das Leben. Denn die Menschen, die heute leben, kennen zum großen Teile das Leben überhaupt nur aus den Zeitungen, aus den Büchern. Gerade die führenden Schichten kennen das Leben ja nur aus den Zeitungen. Was haben wir alles erlebt in dieser Beziehung aus den Zeitungen, aus den Büchern! Wir haben es erlebt, daß die Leute sich ihre Weltanschauung gebildet haben vor Jahrzehnten noch aus französischen Komödien, daß sie die Literatur, die in einer Komödie vorkommt, besser kannten als das, was im Leben vorkommt, daß sie an den Wirklichkeiten des Lebens vorübergingen und sich eigentlich nur unterrichteten durch das, was sie von der Bühne herunter gesehen haben. Wir haben es später erlebt, daß die Menschen ihre Weltanschauung gebildet haben aus Ibsen oder aus Dostojewskij oder aus Toistol, daß sie nicht das Leben kannten, auch nicht die Bücher nach dem Leben beurteilen konnten, sondern im Grunde genommen nur das abgeleitete, auf dem Papier stehende Leben in sich aufnahmen. Und da entwickeln sie nun ihre Devisen, da gründen sie ihre Vereine für allerlei Reformen, ohne daß sie das wirkliche Leben kennen, das sie nur aus Ibsen oder aus Dostojewskij kennen, oder es so kennen, wie es einem oftmals zum Ekel werden mußte in der Zeit, als

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in allen Großstädten Europas zum Beispiel Hauptmanns «Weber» aufgeführt wurden. Die Lebensart der Weber, die erschien auf dem Theater. Diejenigen Menschen, die keine Ahnung hatten von dem, was im Leben vorgeht, dessen Karikatur ihnen hier auf der Bühne erschien, die betrachteten nun, weil es ja die «soziale Zeit» war, das Weberelend von den Brettern herunter und redeten auch über alle möglichen sozialen Fragen, indem sie nur in dieser Weise die Sachen kannten. Es sind im Grunde genommen alles Leute, die das Leben nicht kennen, die es nur In seiner Ableitung aus den Zeitungen, aus den Büchern kennen, aus dem, was eben heute Bücher sind. Ich rede nicht gegen die Bücher, man muß sie kennen; aber man muß die Bücher so lesen, daß man durch die Bücher hindurch auf das Leben schaut und schauen kann. Das aber ist es, daß wir heute In eInem Zeitalter der Abstraktionen leben, der ab- strakten Parteiforderungen, der abstrakten Vereinsforderungen und so weiter. Und so ist es mir interessant, daß auf einer Seite an einen herandringt ein so lebenswahrer Mann wie dieser Rene! Marchand, der aber zu gleicher Zeit für viele ein Orakel ist, denn er ist ein Journalist, der also gar nicht in die Lage kommt, sich nun zu fragen: Ja, kommt man von diesem Bolschewismus aus zu einer möglichen Lebensgestaltung? - Denn er kennt ja gar nicht das Leben, er vertauscht nur das, was er kennengelernt hat und was er reif findet zum Untergang, mit einer neuen abstrakten Formel, mit neuen Theorien. Und da mußte ich denn mit diesen Auslassungen eines Intellektuellen einen Brief vergleichen, den ich heute morgen bekam, wo mir jemand schreibt, der im Leben drinnen gestanden hat, der im Leben gerade dasjenige erfahren hat, was man heute zur Beurteilung der sozialen Lage erfahren kann, wie ihm das Buch «Die Kernpunkte der sozialen Frage» eine Art Erlösung geworden sei, ein Praktiker, der in der Weberei gearbeitet hat und durch und durch die Praxis kennt. Erst dann wird man überhaupt eine Ahnung haben von dem, was gemeint ist mit den «Kernpunkten der sozialen Frage» als einem Realitätsbuche, das aber aus der geistigen Welt hervorgeholt worden ist, wie alles, was heute dem Leben dienen soll, aus der geistigen Welt hervorgeholt worden sein muß, erst dann wird man wissen, was damit gemeint ist, wenn man es von dem Gesichtspunkte der Lebenspraxis aus beurteilt, wenn man weiß, daß es überall, in jeder Zeile, in

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jedem Wort nicht Theorie ist, sondern aus der Lebenspraxis herausgeholt ist, wenn man verstehen wird, daß es ein Buch ist für diejenigen, die tatkräftig ins Leben eingreifen wollen, nicht für solche, die über das Leben spintisieren und sozialistisch schwätzen wollen.

Diese Dinge, die sind es, die einem heute solchen Schmerz machen, daß diejenigen, die keine Ahnung von der Wirklichkeit haben, ein Wirklichkeitsbuch ein utopisches nennen, daß diejenigen dann, die keine Ahnung von der Lebenswirklichkeit haben und selber die Literatitis haben, auch ein solches Buch, das herausgeholt ist aus dem Leben, als ein Literatenbuch etwa auffassen. Und heute kommt es auf das Wie an, nicht auf das Was. Es kommt darauf an, daß wir uns Gedankenformen aneIgnen, die geeignet sind, Instrumente zu sein für die Erfassung des geistigen Lebens, denn in der Wirklichkeit ist überall geistiges Leben. Es gibt in unserer Umgebung da oder von jenseits der Sinneswelt geistige Realitäten, und aus diesen geistigen Realitäten muß der soziale Neuaufbau gemacht werden, nicht aus jenem Geschwätz, das im Leninismus und Trotzkiismus auftritt und das nichts anderes ist als die ausgepreßte Zitrone uralter spießbürgerlicher westlicher Anschauungen, die keine Macht haben überhaupt, irgendeine soziale Idee aus sich hervorzubringen. Man muß fragen, wo die Menschen sind, die heute mit der genügenden Intensität das Leben in dieser Weise durchschauen wollen.

Man wird es nicht durchschauen, wenn man es nicht vom Geiste aus durchschaut. Man wird das Leben zwischen Geburt und Tod nicht verstehen, wenn man sich nicht bequemen will, das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt zu verstehen. Denn man w1rd entweder krasser Materialist, wenn man nicht zum geistigen Leben gehen will, oder man wird ein Intellektualist, der in solchen Theorien lebt, die ihn nur fähig machen, das Leben zu begreifen, nachdem er es von Ibsen hat dramatisch darstellen gehört, oder von Dostojewskij oder von so jemandem. Aber darauf kommt es an, daß wir alles, was uns literarisch entgegentritt, zu verstehen wissen als eine Art von Fensterscheibe, durch die wir auf das Leben blicken. Das werden wir nur, wenn wir hinter der Sinneswelt die Geisteswelt, die Welt der geistigen Entitäten erblicken, und wenn wir endlich Abschied geben jenen Phantastereien von Atomen und Molekülen, aus denen uns die heutige Physik eine Welt aufbauen

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will, und aus denen folgen würde, daß die ganze Gegenwartswelt im Grunde genommen wahrhaft real nur aus Atomen und Molekülen besteht, und damit herausgeworfen wird alles Geistige und damit auch alles sittliche und religiöse Ideal. Davon will ich dann morgen weitersprechen.

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SIEBENTER VORTRAG Dornach, 21. August 1920

Eine wirkliche Erkenntnis desjenigen, was in der Menschheit als verschiedene Impulse waltet, und was erkannt werden muß, wenn man nach irgendeiner Richtung hin Stellung nehmen will innerhalb der Menschheit, ist nur möglich, wenn man versucht, sich zu vertiefen in die Verschiedenheiten, die bestehen zwischen der Seelenverfassung des einen Gliedes der Menschheit und der des andern Gliedes der Menschheit. Gewiß, notwendig ist es zum richtigen Fortschritt innerhalb der ganzen Menschheit, daß sich die Menschen verstehen, daß es also unter den Menschen ein Gemeinschaftliches gibt. Aber dieses Gemeinschaftliche kann sich nur entwickeln, wenn der Blick gerichtet wird auf das, was als Verschiedenheiten in den Seelenveranlagungen, in den Seelenentwikkelungen bei den verschiedenen Gliedern der Menschheit da ist. In einem Zeitalter des abstrakten Denkens, des bloßen Intellektualismus, wie es dasjenige ist, in dem wir jetzt leben, sieht man zu gerne nur nach den abstrakten Einheiten. Dadurch kommt man überhaupt nicht zum Verständnis der wirklichen konkreten Einheit. Man muß gerade durch das Erfassen der Verschiedenheiten zu der Einheit kommen. Und ich habe von den verschiedensten Gesichtspunkten aus hingewiesen namentlich auf die gegenseitigen Beziehungen, die sich zwischen dem Westen und dem Osten der Erdenbevölkerung aus diesen Verschiedenheiten heraus ergeben. Heute möchte ich wiederum von einem andern Gesichtspunkte auf solche Differenzierungen innerhalb der Menschheit hinweisen. Wenn man heute dasjenige nimmt, was einem gewöhnlich in die Augen fällt, wenn man auf die allgemeine Bildung hinsieht, was hat man denn dann eigentlich? Man hat, wenn man den Blick auf das richtet, was gewissermaßen die meisten Menschen in der zivilisierten Welt als ihre Gedankenformen haben, im Grunde genommen darinnen etwas, was im wesentlichen westliche Färbung und seinen Ursprung in der besonderen Charakterveranlagung des Westens hat. Ich meine so: Wenn Sie heute eine Zeitung in die Hand nehmen, die in Amerika, in England, in Frankreich, in Deutschland, in Österreich oder in Rußland erscheint,

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so werden Sie ja gewiß verspüren, daß da gewisse Unterschiede in der Art des Denkens und so weiter sind, aber Sie werden ein Gemeinsames bemerken. Dieses Gemeinsame rührt aber nicht davon her, daß etwa, wenn ich da das westliche Gebiet, da das mittlere Gebiet und da das Ostgebiet habe (siehe Zeichnung), dasjenige, was, sagen wir, in den

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Zeitungen und auch in den gewöhnlichen populären und wissenschaftlichen Literaturwerken zutage tritt, überall aufsteigen würde aus dem, was in den Tiefen der Volkstümer ruht. Sie lesen nicht zum Beispiel in einer Petersburger Zeitung, was aus dem Volkstum des Russentums aufsteigt, Sie lesen heute nicht einmal in einer Wiener oder Berliner Zeitung, was aus dem Volkstum der mittleren Welt aufsteigt, sondern dasjenige, was die Grundkonfiguration> den Grundcharakter angibt, das ist im Grunde genommen aus dem Westen aufgestiegen und hat sich hier in diese einzelnen Gebiete herein ergossen. Es ist also im wesentlichen über die zivilisierte Welt verbreitet die Grundnuance desjenigen, was eigentlich aus den Volkstümern des Westens aufgestiegen ist.

Man kann das, wenn man oberflächlich die Dinge ansieht, bezweifeln; aber wenn man etwas tiefer geht, so kann man die Dinge nicht mehr bezweifeln, von denen hier die Rede ist. Nehmen Sie, was etwa heute Gesinnung, Grundempfindung, Vorstellungsform, sagen wir, einer Wiener, Berliner Zeitung oder eines Wiener oder Berliner belletristischen oder auch wissenschaftlichen Buches ist. Vergleichen Sie das mit einem Londoner Buche - ganz abgesehen jetzt von der Sprache -, dann finden Sie darinnen bei einem solchen Vergleichen zwischen dem Wiener, Berliner

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und Londoner oder Pariser Buch oder selbst New Yorker und Chicagoer Buche mehr Ähnlichkeit als zwischen dem, was heute in der belletristischen und wissenschaftlichen Literatur an Gedanken und Vorstellungsformen in Wien oder Berlin zutage tritt, und dem, was zum Beispiel Fichte als seine besondere Nuance hat, die er durch seine Gedanken hindurch als belebendes Element ergießt. Ich will Ihnen einen einzelnen Fall sagen, an dem Sie das sehen können.

Es gibt einen Satz von Fichte, der ist so charakteristisch für diesen Johann Gottlieb Fichte, den großen Philosophen von der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert, daß ihn heute kein Mensch versteht. Dieser Satz heißt: «Die äußere Welt ist das versinnlichte Material der Pflicht.» Der Satz heißt nämlich nichts Geringeres als: Wenn man hinausschaut in die Welt der Berge, in die Welt der Wolken, Wälder, Flüsse, Tiere, Pflanzen, Mineralien, das alles ist etwas, was für sich selber gar keine Bedeutung, gar keine Realität hat> das alles ist eine bloße Erscheinung. Es ist bloß dazu da, daß der Mensch in seiner Entwickelung seine Pflicht verrichten kann; denn ich kann nicht meine Pflicht verrichten, wenn ich in einer Welt stehe, in der ich nicht umgeben bin von irgend etwas, das ich angreifen kann. Es muß Holz da sein, es muß ein Hammer da sein: das ist für sich gar nicht bedeutend, hat keine Materialität, sondern es ist nur das versinnlichte Material meiner Pflicht. Und dasjenige, was da draußen ist, ist dazu da, daß die Pflicht überhaupt zutage treten kann.-Das hat ein Mensch aus den innerstenEmpflndungen seiner Seele, aus der innersten Nuance seiner Seelenverfassung heraus und dann aus dem Volkstum heraus vor einem Jahrhundert geprägt. Das ist nicht populär geworden. Wenn heute die Leute von Johann Gottlieb Fichte reden, Bücher über ihn schreiben, in Zeitungsartikeln von ihm reden, dann reden sie so, daß sie bloß die äußere Wortform wahrnehmen. Verstehen tut keiner etwas von Fichte. Sie können alles, was jetzt über Fichte so von der gewöhnlichen Belletristik und Wissenschaft notiflziert wird, ruhig als etwas nehmen, was mit Johann Gottlieb Fichte überhaupt nichts zu tun hat; aber viel hat es zu tun mit dem, was aus dem westlichen Volkstum aufgestiegen ist, und was sich herüberergossen hat in dasjenige, was auch sonstige zivilisierte Welt ist.

Diese feineren Zusammenhänge, die durchschaut man nicht. Daher

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kommt man gar nicht darauf, in einer intensiv erschöpfenden Weise zu charakterisieren, worin das Wesentliche liegt, das aus den verschiedenen Volkstümern aufsteigt. Denn es ist heute ja alles überflossen von dem, was vom Westen aufsteigt und in das übrige hineinfließt. In Mitteleuropa, im Osten glauben die Leute in ihrem Volkstum zu denken. Das ist nicht der Fall zunächst. Sie denken gar nicht in ihrem Volkstum, sie denken in dem, was sie vom Westen angenommen haben.

In dem, was ich jetzt sage, liegt viel beschlossen von dem, was eigentlich das Rätsel der Gegenwart ist. Dieses Rätsel der Gegenwart kann nur dann gelöst werden, wenn man sich bewußt wird, welche spezifischen Qualitäten aus diesen einzelnen Gebieten aufsteigen. Da haben wir zunächst den Osten, diesen Osten, der ja heute sein wahres Bild nicht darbietet. Wäre nicht überhaupt die Verlogenheit zunächst die Grundeigenschaft des ganzen öffentlichen Lebens unserer Zeit, so würde ja die Welt heute nicht so unbekannt sein damit, daß dasjenige, was man Bolschewismus nennt, sich mit rasender Eile über den ganzen Osten aus- breitet, nach Asien hinein, daß das schon sehr weit ist. Die Leute sehnen sich darnach, zu verschlafen, was eigentlich geschieht, und sind sehr froh, wenn man ihnen nicht sagt, was da eigentlich geschieht. Daher kann man ihnen auch das natürlich sehr leicht vorenthalten, was in Wirklichkeit geschieht. So wird man es erleben, daß der Osten, daß ganz Asien überflossen wird von dem, was das äußerste, radikalste Produkt des Westens ist, von dem Bolschewismus, das heißt von einem ihm durch und durch fremden Elemente.

Will man hineinschaUen in das, was die Welt des Ostens aus den Tiefen des Volkstums aufsteigen läßt, dann kann man gewahr werden - weil der Osten in bezug auf das Urelement vollständig in die Dekadenz gekommen ist und eigentlich seiner selbst nicht mehr bewußt ist, weil der Osten gerade sich überschwemmen läßt von dem, was ich als den äußersten radikalen Ausläufer des Westens charakterisiert habe -, daß man die eigentliche Grundnuance des Empfindens des Ostens nur dann finden kann, wenn man in ältere Zeiten zurückgeht und sich an ihnen belehrt. Gewiß, es ist alles das noch in der Menschheit des Ostens enthalten, was einstmals in ihr enthalten war, aber es ist heute alles übergossen. Was im Osten gelebt hat, was im Osten die Seelen durchzittert

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hat, das lebt in den äußersten Ausläufern zuletzt da, wo es nicht mehr verstanden wird, wo es abergläubischer Kultus geworden ist, wo es heuchlerisches Gemurmel der Popen geworden ist in dem letzten, eben orthodox-russischen Kultus, unverstanden auch von denen, die diesen orthodoxen russischen Kultus zu verstehen glaubten. Es war eine Linie vom alten Indertum bis zu diesen bloß noch auf den Lippen heuchlerisch in die Menge hineingeplärrten Formeln des russischen Kultus. Denn diese ganze Veranlagung, die sich da auslebte, die diesem Osten seelisch das Gepräge gab, die es ihm auch heute gibt, aber unterdrückt, das ist die Veranlagung dazu, eine solche geistige Verfassung zu entwickeln, welche den Menschen zu dem Vorgeburtlichen hinlenkt, zu dem, was in unserem Leben vor der Geburt beziehungsweise vor der Empfängnis liegt. Ganz ursprünglich war dasjenige, was als Weltanschauung und Religiosität diesen Osten durchdrang, so, daß es zusammenhing damit, daß dieser Osten einen Begriff hatte, der dem Westen ja ganz verlorengegangen ist. Der Westen hat, wie ich das schon einmal hier erwähnt habe, den Begriff der Unsterblichkeit, aber nicht der Ungeburtlichkeit, des Ungeborenseins. Unsterblichkeit sagen wir, aber wir sagen nicht Ungeburtlichkeit. Das heißt, wir setzen in Gedanken das Leben fort nach dem Tode, wir setzen es aber nicht fort hinaus in die vorgeburtliche Zeit. Aber dieser Osten war durch die besondere Veranlagung seiner Seele, welche noch Imagination, Inspiration in die Gedanken, in die Vorstellungen hereinnahm, dazu veranlagt, durch dieses besondere in- haltliche Ausleben der Vorstellungswelt weniger hinzusehen auf das nachtodliche Leben als vielmehr auf das vorgeburtliche, und dieses Leben hier in der Sinneswelt für den Menschen als etwas zu betrachten, was ihm zukommt, nachdem er seine Aufgaben empfangen hat vor der Geburt, was er hier auszuführen hat im Sinne der empfangenen Aufgabe. Er war dazu veranlagt, dieses Leben als die Pflicht aufzufassen desjenigen, was einem von den Göttern gegeben worden ist, bevor man in diesen irdisch-fleischlichen Leib heruntergestiegen ist. Es ist eine selbstverständliche Forderung, daß eine solche Weltanschauung die wiederholten Erdenleben und die Leben zwischen Tod und Geburt in sich einbezieht, denn man kann wohl von einem einmaligen Leben nach dem Tode reden, aber nicht von einem einmaligen vor der Geburt. Das

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würde eine unmögliche Lehre sein. Denn derjenige, der überhaupt redet von der Präexistenz, der redet dann nicht von nur einem Erdenleben, wie Sie bei einer rechten t3berlegung sich klarmachen können. Es war ein Hinaufblicken in die übersinnliche Welt, welches durch die ganze Veranlagung dieser östlichen Seelen hervorgerufen war, aber es war ein Hinaufblicken so, daß man im Grunde genommen im Auge hatte dieses Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, bevor wir hier in das Erdenleben eingezogen sind. Alles andere, was gedacht wurde in politischer, in sozialer, in historischer Beziehung, in wirtschaftlicher Beziehung, es war nur eine Konsequenz von dem, was in der Seele ruhte in bezug auf dieses Hingeordnetsein auf das Leben vor der Geburt beziehungsweise vor der Empfängnis.

Dieses Leben aber, diese Seelenverfassung ist besonders geeignet dazu, den menschlichen Seelenblick hinaufzurichten nach dem Geistigen, zu erfüllen den Menschen mit der übersinnlichen Welt. Denn er betrachtet sich ja hier ganz und gar als ein Geschöpf der übersinnlichen Welt, als etwas, was nur das übersinnliche Leben hier durch das sinnliche Leben fortsetzt. Alles das, was dann später in die Dekadenz gekommen ist an Reichsgebilden, an sozialen Gebilden des alten Orients bis in die Konstitution hinein, ist so geworden, weil diese besondere Seelenverfassung zugrunde lag. Und heute ist diese Seelenverfassung, ich möchte sagen, überschüttet, weil sie schwach geworden ist, gelähmt geworden ist, weil sie nur, ich möchte sagen, wie aus rachitischen Seelengliedern heraus so verkündet worden ist, wie etwa durch Rabindranath Tagore, wie etwas, das in unbestimmte, nebulose Formeln ergossen wird. Heute ist man in praxi überschwemmt von dem, was als äußerster radikaler Flügel des Westens im Bolschewismus sich auslebt, und der Westen wird es zu erleben haben, daß das, was er selbst nicht haben will, sich nach dem Osten hinüber abschiebt, und daß ihm in einer gar nicht fernen Zeit von dem Osten dasjenige entgegenkommt, was er selber dorthin abgeschoben hat. Und es wird dann eine merkwürdige Selbsterkenntnis sein.

Aber wozu hat diese merkwürdige Entwickelung des Ostens geführt? Sie hat dazu geführt, daß die Menschen des Ostens all den heiligen inneren Eifer, den sie einmal dazu verwendet haben, um dem Impuls nach der übersinnlichen Welt Nahrung zu geben, um das Geistige in

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seiner Reinheit zu begreifen, nunmehr dazu verwenden, um die allermaterialistisdiste Anschauung von dem äußeren Leben mit religiöser Inbrunst aufzunehmen. Und immer mehr wird sich der Bolschewismus nach Asien hin so verwandeln, trotzdem er die alleräußerste Konsequenz der allermaterialistischsten Weltanschauung und sozialen Anschauung ist, immer mehr wird er sich dahin verwandeln, daß er da mit derselben religiösen Inbrunst ergriffen wird, wie ergriffen worden ist einstmals die übersinnliche Welt. Und man wird im Osten in denselben Formeln, in denen man einstmals geredet hat von dem heiligen Brahman, reden von dem wirtschaftlichen Leben. Denn dasjenige, was Grundveranlagung des Seelischen ist, das ändert sich nicht, das bleibt; denn nicht der Inhalt ist es, auf den es dabei ankommt. Man kann mit derselben religiösen Inbrunst das Allermaterialistischste ergreifen, mit der man vorher das Geistigste, das Spirituellste ergriffen hat.

Wenden wir den Blick von da ab nach dem Westen. Der Westen hat die verhältnismäßig am spätesten liegende menschliche Seelenentwickelung heraufgebracht. Sie muß uns besonders interessieren, denn sie hat diejenige Anschauung gebracht, die aufgestiegen ist wie ein Nebel im Westen und sich herüber ergießt über die ganze zivilisierte Welt. Es ist die Anschauungsweise, die am bedeutsamsten zum Ausdruck gekommen ist schon in Baco von Verulam, in Hobbes, in solchen Geistern, wie etwa unter den neueren der Nationalökonom Adam Smith, unter den Philosophen John Stuart Mill, unter den Historikern Buckle und so weiter. ES ist diejenige Denkweise, wo in den Vorstellungen, in den Gedanken nichts mehr liegt von Imagination, Inspiration, wo der Mensch ganz und gar angewiesen ist, nur sein Vorstellungsleben nach außen, nach der Siniiesweft zu richten und die Eindrücke der Sinneswelt nach den Verkcttungen von Gedanken aufzunehmen, die sich gerade an der Sinnes- weit ergeben. Philosophisch ist es am eklatantesten zum Ausdruck gekommen in David Hume, auch in andern, in Locke und so weiter. Es ist etwas sehr Eigentümliches, das aber gesagt werden muß. Wenn man nad1 diesem Westen blickt, dann muß man hinsehen, wie Geister wie zum Beispiel John Stuart Mill über die menschliche Gedankenverkettung sprechen. Das Wort Vorstellungsassoziation ist eigentlich ganz ein westliches Gebilde; aber es ist zum Beispiel in Mitteleuropa schon seit

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mehr als einem halben Jahrhundert so gang und gäbe geworden, daß man von diesen Vorstellungsassoziationen wie von etwas eigenem spricht. Man sagt zum Beispiel, wenn man Psychologie lehrt in John Stuart Millschem Sinn: Gedanken in der menschli`öchen Seele verbinden sich erstens so, daß ein Gedanke den andern umspannt, oder daß ein Gedanke sich an den andern schließt, oder daß ein Gedanke den andern durchdringt. Das heißt, man schaut auf die Gedankenwelt hin und sieht die einzelnen Gedanken wie einzelne kleine Bälle, die sich miteinander

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verbinden, die sich assoziieren (siehe Zeichnung). Wenn man konsequent wäre, müßte man alles Ich und alles Astralische ausstreichen und müßte da innerlich einen bloßen Mechanismus der Gedanken auf führen, und sehr viele Leute sprechen ja auch von diesem innerlichen Mechanismus der Gedanken. Der Mensch wird gewissermaßen seelisch ausgeweidet. Wenn man John Stuart Mill liest und seine deduktive und induktive Logik, so fühlt man sich seelisch versetzt in einen Seziersaal, wo verschiedene Tiere hängen, die ausgeweidet werden, denen das Innere herausgenommen wird. So fühlt man bei Mill des Menschen geistigseelisches Wesen herausgenommen. Er nimmt zuerst das Innere heraus und läßt die bloße äußere Hülle. Ja, da erscheinen dann die Gedanken nur wie sich assoziierende atomistische Gebilde, die sich zusammenballen, wenn wir ein Urteil bilden. Der Baum ist grün: da ist der eine Gedanke, grün, der andere, der Baum; die schwimmen zusammen. Da ist nicht das Innerste mehr lebendig, das ist ausgeweidet, da ist nur der Mechanismus der Gedanken und so weiter.

Dieses Vorstellen kommt nicht von der äußeren Sinneswelt, sondern es wird der äußeren Sinneswelt aufgedrängt. Ich habe daher in meinem

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Buche «Die Rätsel der Philosophie» darauf aufmerksam gemacht, daß solch ein Geist wie John Stuart Mill gar nicht irgendwie verwandt ist mit der inneren Welt, sondern sich einfach hingibt und sich nur w1e ein bloßer Zuschauer verhält, in dem die äußere Welt sich spiegelt. Es han-` delt sich darum, daß durch diese Denkweise gerade dasjenige kommt, was ich öfter charakterisiert habe: der Materialismus hat die Tragik, die Materie nicht mehr zu erkennen. Wie kann denn der Materialismus eindringen in die Materie, wenn er erst das, was die Materie eigentlich darstellt - denn wir haben gesehen: wenn man untertaucht in den Menschen, taucht man ja in das wahre Materielle der Erde ein -, wenn er das erst ausweidet in Gedanken. Es ist das jetzt schon zu einer äußersten Konsequenz gekommen in dieser Beziehung.

Diese äußerste Konsequenz ist heute schon zu verfolgen, nur daß die Leute niemals die Dinge im Zusammenhange sehen, sondern heute nur immer Einzelheiten sehen. Bedenken Sie, wohin es kommen muß, wenn alles wirkliche innere bewegliche Ich weg ist, also das, was gerade über den Geist in der Sinneswelt Aufklärung geben kann, aus dem Menschen herausgeweidet wird - denken Sie, wohin muß es denn zuletzt kommen? Dazu kommt es, daß der Mensch dann fühlt, er hat ja eigentlich nichts mehr vom wIrklichen Inhalt der Welt. Er schaut hinaus in die Sinneswelt. Er weiß nicht, daß dasjenige wahr ist, was wir gestern gesagt haben, daß hinter der äußeren Sinneswelt geistige Wesenheiten sind. Wenn er sich Illusionen hingibt, ja, dann nimmt er draußen Atome und Moleküle an. Er träumt von Atomen und Molekülen. Wenn er sich keiner Illusion hingibt in bezug auf das Äußere, so kann er nichts an- deres sagen als: Dieses ganze Äußere enthält ja keine Wahrheit. Es ist ja eigentlich nichts. - Aber innerlich hat er nichts gefunden. Er ist leer. Er muß sich selber suggerieren, daß irgend etwas in seInem Inneren ist. Er hat den Geist nicht, daher suggeriert er sich den Geist. Er bildet sich die Suggestion des Geistes. Und er ist nicht imstande, diese Suggestion aufrechtzuerhalten, wenn er nicht mit aller Schärfe abweist die Realität der Materie. Das heißt, er lebt sich vollständig ein in eine Weltanschauung, die den Geist nicht erkennt, sondern sich ihn suggeriert, sich bloß den Glauben an den Geist einsuggeriert und die Materie ableugnet. Sie haben den äußersten Ausläufer im Westen, Sie haben das Gegenbild

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dessen, was ich Ihnen im Osten eben charakterisiert habe, in der Christian Science der Mrs. Eddy. Sie mußte entstehen als die letzte Konsequenz solcher Anschauungen, wie die von Locke oder David Hume oder von John Stuart Mill. Es ist die Anschauung, die aber auch die letzte Konsequenz desjenigen ist, was heraufgezogen ist in der neueren Zeit in der unseligen Gliederung des ganzen menschlichen Seelenlebens in das Wissen und in den Glauben.

Geht man einmal dazu über, das Wissen auf der einen Seite zu haben, den Glauben auf der andern Seite, jenen Glauben, der nicht mehr Erkenntnis sein will, so führt das in letzter Konsequenz dahin, daß man überhaupt nicht mehr den Geist hat. Der Glaube hört schließlich auf, einen Inhalt zu haben. Dann muß man sich den Inhalt suggerieren. Man sucht nicht durch eine geistige Wissenschaft zum reinen Geist zu gelangen, man sucht eben den Geist und gelangt zu der Christian Science der Mrs. Eddy, diesen Geist, der als letzte Konsequenz in der Christian Science der Mrs. Eddy zum Ausdruck gekommen ist. Und diesen Geist atmet schon die ganze Politik des Westens seit längerer Zeit. Sie lebt nicht von Wirklichkeiten, sie lebt von selbstgemachten Suggestionen. Man kann ja selbstverständlich dann, wenn man nicht in die Tiefe hinein zu kurieren hat, auch mit der Christian Science bekanntlich kurieren, und die wunderbarsten Kuren werden erzählt. Ebenso kann man mit der Suggestionspolitik des Westens allerlei Erbauliches ausführen.

Aber diese Anschauung des Westens, sie hat doch Qualitäten, sie hat bedeutende Qualitäten. Sie hat die Qualitäten, die wir am besten er- kennen, wenn wir sie kontrastieren mit dem, was die Qualitäten des Ostens sind. Blicken wir zurück auf diejenigen Zeiten, wo die Qualitäten des Ostens besonders hervorgetreten sind, so waren es die Qualitäten, die zunächst das vorgeburtliche Leben ins Auge fassen konnten, ins Seelenauge fassen konnten, die also besonders auch geeignet sind, dasjenige eigentlich zu konstituieren, was in einem sozialen Organismus die geistige Welt sein kann, das geistige Glied sein kann. Im Grunde genommen ist alles, was wir in Mitteleuropa und im Westen aufgebracht haben, in einer gewissen Weise Erbgut des Ostens. Ich habe ja das schon einmal bei einer andern Gelegenheit erwähnt. Dieser Osten war besonders dazu veranlagt, das geistige Leben zu kultivieren. Der Westen ist

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ja besonders dazu veranlagt, Gedankenformen auszubilden; ich habe sie jetzt in einem etwas unvorteilhaften Lichte geschildert. Sie sind aber auch in einem vorteilhaften Lichte zu schildern, wenn man nämlich das- jenige, was von Baco von Verulam, von Buckle, von Mill, Thomas Reid, von Locke, von Hume, von Adam Smith, von Spencer oder von ähnlichen Geistern herrührt, Bentham zum Beispiel, wenn man all das nImmt und sich auf der einen Seite gesteht: Ja, das ist ja ganz gewiß nicht geeignet, durch Imagination oder Inspiration in eine geistige Welt einzudringen, die das vorgeburtliche Leben begreift. Aber andererseits muß man sagen, gerade wenn man studiert, wie eingedrungen ist diese Denkweise in unsere Wissenschaft des Abendlandes, wie sie lebt in unserer Wissenschaft des Abendlandes, man muß sagen, das alles zeigt sich besonders geeignet für das wirtschaftliche Denken. Und wenn einmal das wirtschaftliche Glied des sozialen Organismus ausgebildet werden soll, dann wird man in die Schule gehen müssen beim Westen: bei Thomas Reid, John Stuart Mill, Buckle, Adam Smith und so weiter. Sie haben nur den FeMer, daß sie auf die Wissenschaft, auf die Erkenntnis, auf das Geistesleben ihr Denken angewendet haben. Wenn man sich schult an diesem Denken und darüber nachdenkt, wie man Assoziationen zu bilden hat, wie man am besten zu wirtschaften hat, dann ist dieses Denken am Platze. Mill hätte nicht eine Logik schreiben sollen, sondern er hätte die geistige Kapazität, die er gehabt hat, um eine Logik zu schreiben, dazu verwenden sollen, einmal das Gefüge einer gewissen gewerblichen Assoziation in allen Einzelheiten zu beschreiben. Und man muß sagen, wenn man heute so etwas zustande bringen will wie mein Buch «Die Kernpunkte der sozialen Frage>, dann muß man gelernt haben, zu verstehen, auf welche Art im orientalischen Sinne man zum Geistigen gelangt, und auf welche Weise man, wenn auch noch jetzt sehr auf Irrpfaden, im Westen zum wirtschaftlichen Denken gelangt. Denn beide Dinge gehören zueinander, beide sind notwendig miteinander.

Auf dem Gebiete der Weltanschauung führt das allerdings zu solchen Aftergebilden, wie dieses von Mrs. Eddy eines ist, die Christian Science.

Aber man muß die Dinge nicht betrachten nach dem, was sie nicht sein können, man muß die Dinge betrachten nach dem, was sie sein können. Denn durch Zusammenwirken aller Menschen über das Erdenrund muß

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dasjenige entstehen, was Einheit der Menschen ist, nicht durch irgendein abstraktes theoretisches Gebilde, das man einfach hinpfahlt und das man dann als Einheit betrachtet.

Und man kann nun sich fragen: Woher eigentlich aus der menschlichen Organisation kommt dieses besondere Millsche, Bucklesche, Adam Smithsche Denken? Das orientalische Denken ist im Grunde genommen, besonders wenn man in die älteren Zeiten des Orientalismus zurückschaut, aus einem Verkehr mit der Welt entstanden, es ist dasjenige Denken, dasjenige Empfinden, welches einem so erscheint, wie wenn, ich möchte sagen, aus der Erde selbst die Wurzeln eines Baumes heraus- wachsen und Blätter kriegen. So erscheint einem zum Beispiel der alt- indische Mensch mit der ganzen Erde verbunden und seine Gedanken erscheinen einem hervorgewachsen aus dem irdischen Dasein auf geistige Weise, wie die Blätter, die Blüten eines Baumes einem hervorgewachsen erscheinen aus diesem Baume durch die ganzen Kräfte der Erde.

Das ist gerade dieses Verwachsensein mit der Außenwelt bei dem orientalischen Menschen, dieses Hereinnehmen jener Geistigkeit, von der ich Ihnen gesprochen habe, daß sie jenseits der Sinneswelt ist. Im Westen wird alles herausgeholt aus den Instinkten der Persönlichkeit, aus den Tiefen der Persönlichkeit. Ich möchte sagen, der Stoffwechsel des Menschen, nicht die äußere Welt ist es. Die Welt beim Orientalen wirkt auf die Sinne, wirkt auf den Geist, die in ihm aufleuchten lassen dasjenige, was er seinen heiligen Brahma nennt. Im Westen ist es das, was aus dem Stoffwechsel des Leibes aufsteigt, und was zu Vorstellungsassoziationen führt, was aber besonders taugt, eben das Wirtschaftsleben zu charakterisieren, was erst für das folgende Erdenleben ist. Denn was wir außer dem Kopf an uns tragen, ist ja das, was erst wahr zum Ausdrucke kommt, wie wir ausgeführt haben, in dem nächsten Erden- leben. Diesen Kopf haben wir von unserem vorigen Erdenleben; unsere Gliedmaßen, unseren Stoffwechsel tragen wir in das nächste Erdenleben hinein. Das ist Metamorphose von Erdenleben zu Erdenleben. Daher denkt man im Westen mit dem, was reif wird erst im nächsten Erdenleben. Es ist daher auch gerade dieses Denken des Westens darauf veranlagt, das Post-mortem-Leben ins Auge zu fassen, statt von der Ewigkeit, von der Unsterblichkeit zu sprechen, nicht zu haben das Wort

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«ungeburtlich», sondern nur zu haben das Wort «Unsterblichkeit». Es ist der Westen, welcher das Leben nach dem Tode als dasjenige hin stellt, wonach der Mensch vor allen Dingen sehen soll. Aber jetzt schon bereitet sich im Westen aus der ganz materialistischen Kultur in dieser Beziehung, ich möchte sagen, Radikales, aber gerade im radikalen Sinne Edles vor. Wer ein wenig sehen kann in die Tiefen desjenigen, was sich da vorbereiten will, der kommt zu einer merkwürdigen Entdeckung. Es wird zwar in der allerinnigsten Weise gestrebt nach dem Postmortem-Leben, nach irgendeiner Unsterblichkeit, also nach einem egoistischen Leben nach dem Tode, aber es wird so gestrebt, daß aus diesem Streben etwas Besonderes sich entwickeln wird; während ein großer Teil der Menschheit noch in einer Illusion lebt in diesem Punkte, entwickelt sich sonderbarerweise im Westen etwas ganz Merkwürdiges. Ein großer Teil der europäischen Menschheit hat ja, weil in ihm gewissermaßen einzelnes sich spiegelt von diesem Post-mortem-Leben, das der Westen sich ausbildete, er hat auch dieses Post-mortem-Leben, dieses Hinschauen auf das Leben nach dem Tode besonders ausgebildet. Aber am liebsten möchte dieser Europäer sagen: Ja, es ist mir verheißen von meiner Religion ein Leben nach dem Tode, aber ich brauche hier in diesem nichtigen, in diesem unbefriedigenden Erdenleben, in diesem nur materiellen Leben nichts zu tun, um die Seele unsterblich zu machen. Christus ist gestorben, damit ich unsterblich sei. Ich brauche nicht zu streben nach dieser Unsterblichkeit. Ich bin einmal unsterblich, Christus macht mich unsterblich. Oder dergleichen.

Im Westen bereitet sich etwas anderes vor, insbesondere in Amerika. Da sehen wir aus den verschiedensten, manchmal barocksten und trivialsten religiösen Weltanschauungen etwas aufstreben, was zwar ganz materialistische Formen hat, was aber zusammenhängt mit etwas, was Leben der Zukunft sein wird gerade mit Bezug auf diese Weltanschauung der Unsterblichkeit. Es macht sich geltend gerade in gewissen Sekten Amerikas der Glaube, daß man überhaupt nicht leben kann nach dem Tode, wenn man sich hier in diesem Erdenleben nicht angestrengt hat, wenn man nicht irgend etwas getan hat, wodurch man erwirbt dieses Leben nach dem Tode. Nicht bloß nach dem Muster irdischer Wahrheit ins Ewige verlegtes Richten nach Gut und Böse

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wird gesehen nach dem Tode, sondern derjenige zerfließt, zerflattert im Weltenall, der sich nicht hier anstrengt, damit er seine seelische Entwickelung eben durch den Tod tragen kann. Was man durch den Tod tragen will, das muß hier entwickelt werden. Und derjenige stirbt auch seelisch diesen zweiten Tod - um dieses Paulinische Wort zu gebrauchen -, der hier nicht dafür sorgt, daß seine Seele unsterblich werde. Das ist etwas, was sich allerdings im Westen als Weltanschauung entwickelt, nicht das langsame passive Dahinleben und Zuwarten, was wird nach dem Tode. Das ist dasjenige, was in gewissen Sekten Amerikas hervortritt. Es wird vielleicht heute noch wenig bemerkt, aber zahlreiche Empfindungen streben danach, dieses Leben hier moralisch und auch sonst so anzuschauen, die Lebensführung so einzurichten, daß man durch das, was man hier tut, etwas hindurchträgt durch die Pforte des Todes.

So hat sich einstmals im Orient entwickelt der besondere Hinblick auf das Leben vor der Geburt. Dadurch ist man in die Lage gekommen, dieses Leben hier als eine Fortsetzung dieses vorgeburtlichen, übersinnlichen Geisteslebens zu betrachten, und es hatte dadurch und nicht durch sich selbst seinen Inhalt. Und es entwickelt sich im Westen heute für die Zukunft etwas, was nicht in einer passiven, gleichgültigen Weise hier leben will und warten, bis man stirbt, weil einem dieses Leben nach dem Tode garantiert ist, sondern es entwickelt sich dasjenige, durch das man weiß: man trägt nichts durch die Pforte des Todes, wenn man hier nicht dafür sorgt, daß man etwas durch die Pforte des Todes trägt durch Aufnahme dessen, was aus demjenigen kommt, was man hat.

So ist das Denken des Westens auf der einen Seite eingestellt auf das wirtschaftliche Gestalten des sozialen Organismus, auf der andern Seite eingestellt darauf, die einseitige Post-mortem-Lehre auszubilden. Daher konnte auch dort der Spiritismus besonders sich entwickeln und von da aus die übrige Welt überfluten, der ja eigentlich nur erfunden worden ist, um den Menschen, die nicht mehr durch irgendwelche innere Entwickelung zu einer Unsterblichkeitsüberzeugung kommen können, eine Art Schein auszustellen, daß man wirklich unsterblich ist. Denn eigentlich wird man Spiritist zumeist aus dem Grunde, damit

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einem durch irgend etwas ein Schein der Gewißheit ausgestellt ist, man sei nach dem Tode unsterblich.

Zwischen diesen beiden Welten steht drinnen so etwas, wie es in Fichtes Worten liegt: Die äußere Welt ist das versinnlichte Material meiner Pfficht. - Diese Denkweise, ich sagte vorher, eigentlich verstehen sie die Leute heute nicht. Und was heute über Fichte geschrieben wird, das ist eigentlich ebenso, wie wenn der Blinde von der Farbe reden würde. Es ist namentlich in den letzten Jahren ungeheuer viel von dem Fichteschen Satz gesagt und gepredigt worden. Aber das alles war so, daß man sagen möchte: Fichte, der urmitteleuropäische Geist, ist eigentlich von den deutschen Zeitungen, von deutschen Belletristik- und Bücherschreibern amerikanisiert worden. Das sind eigentlich amerikanisierte Fichtes, die da einem entgegentreten. Da ist jene Nuance des menschlichen Seelenlebens, welche das mittlere Glied des sozialen Organismus besonders auszubilden hat, dasjenige, welches hervorgeht aus der Beziehung von Mensch zu Mensch. Es wäre ja gut, wenn mancher von Ihnen sich einmal - es ist nicht leicht - vertiefen würde in eine Schrift von Fichte, wo eigentlich so geredet wird, als wenn es überhaupt keine Natur geben würde; es wird zum Beispiel Pflicht und alles deduziert, indem erst bewiesen wird, daß es äußere Menschen auch gibt, in denen das versinnlichte Material der Pflicht zum Dasein kommen kann. Da lebt alles darinnen, ich möchte sagen als Rohmaterial, aus dem sich zusammensetzen muß der Rechts-, der Staatsorganismus im dreigliedrigen sozialen Organismus.

Und worauf beruht im Grunde genommen unser katastrophales Ereignis der letzten Jahre? Es beruht darauf, daß solche Dinge eben nicht lebendig durchschaut, nicht lebendig erfühlt worden sind. In Berlin macht man amerikanische Politik. Das taugt für Amerika sehr gut, just für Berlin taugt es nicht. Daher kam diese Berliner Politik in die Nullität. Denn denken Sie, wenn fortwährend in Berlin oder in Wien amerikanische Politik gemacht wurde, im Grunde genommen hätte man, abgesehen von der Sprache, zu Berlin auch sagen können New York und zu Wien Chikago, es wäre gar nicht so besonders verschieden gewesen. Wenn da - in der Mitte - etwas gemacht wird, was eigentlich durch und durch fremd ist, was in den Westen

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gehört und da gut am Platze ist, dann kommt dasjenige, was Urelement des Volkstums ist, und straft es Lügen, ohne daß die Menschen es wissen. Und so war es im Grunde genommen in den letzten Jahrzehnten. Das ist das Urphänomen dessen, was sich zugetragen hat, das Urphänomen, das darin besteht, daß man zum Beispiel den Fichteanismus mit Füßen getreten hat und zum Beispiel aus einem Instinkt heraus gelesen hat Ralph Waldo Trine. Eigentlich alle die aristokratischen Politikgigerln haben sich mit Ralph Waldo Trine beschäftigt und daher ihre besondere innere Anregung bezogen, oder irgend etwas anderes. Als die Sache besonders heiß geworden ist, ist es sogar Woodrow Wlson geworden. Und derjenige, der jetzt wiederum Präsident der Deutschen Republik werden möchte, der ist jetzt noch immer so, daß sein Gehirn automatisch abrollt die vierzehn Punkte von Woodrow Wilson. So daß wir erlebt haben, daß in der letzten Zeit im Großherzogtum Baden wieder einmal eine ehemals repräsentative deutsche Persönlichkeit Amerikanismus in die Welt hinausgebrüllt hat. Es ist das beste, unmittelbar anschauliche Beispiel, wie die Dinge eigentlich stehen. Nicht wahr, diese Zusammenhänge, diese urphänomenalen Zusammenhänge, sie muß man tatsächlich durchschauen, wenn man verstehen will, was heute eigentlich geschieht. Wenn man bloß die Zeitung hernimmt, die Reden liest des Prinzen Max von Baden, so herausliest, ohne Zusammenhang, dann ist das heute absolut wertlos, hat gar keinen Wert, ist ein bloßes Kaleidoskop von Worten. Derjenige allein versteht etwas von der Welt, der so etwas hineinstellen kann in den ganzen Weltzusammenhang. Und ehe nicht begriffen wird, daß es notwendig ist, daß man heute Verständnis für die Welt sich zu erobern hat, wenn man mitreden will, eher kann es nicht besser werden. Das charakteristischste Zeichen der Gegenwart ist, daß man glaubt, wenn eine Gesellschaft einen blechösen Satz als allgemeines Programm aufstellt - allgemeine Einigkeit unter allen Rassen, Nationen, Farben und so weiter -, so sei damit etwas getan. Damit ist nichts getan, als der Menschheit Sand in die Augen gestreut. Getan ist erst etwas, wenn man auf die Differenzierungen hinschaut, wenn man erkennt, was in der Welt ist. Die Menschen konnten früher aus ihren Instinkten heraus leben. Das ist ihnen jetzt genommen. Sie müssen lernen, bewußt zu

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leben. Bewußt leben kann man aber nur, wenn man hineinschaut in das, was wirklich geschieht.

Groß war der Osten in bezug auf die Präexistenz und in bezug auf die damit zusammenhängenden wiederholten Erdenleben. Groß war der Westen in seiner Veranlagung mit Bezug auf das Post-mortem-Leben. Hier in der Mitte (siehe Zeichnung Seite 126) ist die eigentliche, heute aber noch mißverstandene Geschichtskunde entstanden. Nehmen Sie zum Beispiel Hegel. Bei Hegel ist weder eine Präexistenz noch eine Postexistenz. Es gibt weder eine Vorgeburtlichkeit noch eine Nachtodlichkeit, aber es gibt ein geistvolles Erfassen der Geschichte. Hegel beginnt mit der Logik, kommt dann zur Naturphilosophie, entwickelt die Seelenlehre, entwickelt die Staatslehre und endet mit der Dreiheit: Kunst, Religion, Wissenschaft. Das ist der Weltinhalt. Von einer Präexistenz, von einer unsterblichen Seele ist nicht die Rede, sondern nur von dem Geiste, der hier im Diesseits lebt.

Präexistenz - Postexistenz - hier ist das unmittelbare Leben in der menschlichen Gegenwart, das Durchdringen der Geschichte. Lesen Sie sich dasjenige durch, was gerade von Hegel als Geschichtsphilosophie verfaßt worden ist. In den Bibliotheken ist es zumeist so, daß, wenn man aufschlägt, eine Seite noch an der andern klebt, man muß sie erst voneinander lösen. Es sind nicht viele Auflagen erschienen gerade von Hegels Büchern. In den achtziger Jahren hat Eduard von Hartmann geschrieben, daß es im ganzen Deutschland, wo es zwanzig Universitäten gibt mit philosophischen Fakultäten, überhaupt nur zwei Menschen gibt unter den Universitätsdozenten, die Hegel gelesen haben! Unwidersprochen konnte es bleiben, denn es war wahr; trotzdem haben selbstverständlich alle Schüler geschworen auf das, was ihnen ihre, den Hegel nicht gelesen habenden Professoren über Hegel gesagt haben. Aber machen Sie sich mit dem bekannt, so werden Sie sehen, daß da in der Tat Geschichtsauffassung zustande gekommen ist, das Erleben dessen, was sich zwischen Mensch und Mensch abspielt. Da ist auch das Holz, aus dem geschnitzt werden muß das Staats- oder rechtliche Glied des dreigliedrigen sozialen Organismus. Die Konstitution des geistigen Organismus ist zu lernen am Orient, die Konstitution des Wirtschaftlichen ist zu lernen am Westen.

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So muß man in die Differenzierung der Menschheit über die Erde hineinschauen, und man kann die Sache von der einen oder von der andern Seite verstehen. Geht man direkt auf das Ziel los, studiert man das soziale Leben, dann kommt man so zur Dreigliederung, wie ich sie in den «Kernpunkten der sozialen Frage» entwickelt habe. Studiert man so das Leben der Menschen über die Erde hin, dann kommt man dazu, sich zu sagen: Es ist etwas da mit besonderer Veranlagung für die Wirtschaft, es ist etwas da mit besonderer Veranlagung für den Staat, es ist etwas da mit besonderer Veranlagung für das geistige Leben. - Hier kann ein dreigliedriges Gebilde geschaffen werden, indem man die eigentliche Wirtschaft nimmt vom Westen, den Staat nimmt von der Mitte, das geistige Leben - selbstverständlich erneuert, das habe ich immer gesagt - vom Osten. Hier hat man den Staat, hier das wirtschaftliche Leben, hier das geistige Leben (siehe Zeichnung);

#Bild S.126

man hat die beiden andern von hier herüberzunehmen. So hat die Menschheit zusammeiizuwirken, weil an verschiedenen Orten der Erde die Ursprünge für diese drei Glieder des sozialen Organismus gefunden werden, die deshalb auch überall gehörig auseinandergehalten werden müssen. Und wenn die Menschen vei`inischen wollen in der alten Weise

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zum Einheitsstaat dasjenige, was dreigliedrig sein will, so wird doch nichts anderes daraus, als daß eine Einheit im Westen wird, wo das Wirtschaftsleben alles überflutet und alles andere nur in das Wirtschaftsleben eintaucht. Machen dann sich Theoretiker darüber her und studieren das, das heißt, geht Karl Marx von Deutschland nach London, dann studiert er: Alles muß wirtschaftliches Leben sein. - Und wird der Wahnsinn Marxens vollends, dann macht man die drei Glieder nur eingliedrig, aber nur mit dem Charakter der Wirtschaft. Beschränkt man sich auf das, was bloß Staats- oder Rechtsgebilde sein will, so man das Wirtschaftsleben des Westens nach, macht ein Scheingebilde des Wirtsdiaftslebens durch Jahrzehnte, was dann selbstverständlich zusammenbricht, wenn die Katastrophe kommt, was ja auch geschehen ist!

Der Orient, der das geistige Leben zunächst abgeschwächt hat, nimmt einfach vom Westen herüber das Wirtschaftsleben und impft sich etwas vollständig Fremdes ein. Gerade wenn man diese Dinge studiert, wird man sehen, daß Segen nur über die Erde kommen kann, wenn man überall dasjenige, was sich an verschiedenen Orten durch Natur entwickelt, durch die menschliche Tätigkeit im dreigliedrigen sozialen Organismus zusammenfaßt.

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ACHTER VORTRAG Dornach, 22. August 1920

Ich möchte noch einmal den Extrakt desjenigen geben, was ich gestern ausgeführt habe über die Differenzierung der Seelenanlagen der Völker, der Menschen überhaupt über die Erde hin. Ich habe angedeutet, wie verschiedene Anlagen und verschiedene Arten von Seelenverfassung in den verschiedensten Gegenden der Erde bei den Menschen vorhanden sind, so daß in der Tat ein jedes Erdengebiet durch seine Völkerschaft ein Bestimmtes beitragen kann zu dem, was die gesamte Menschheit leistet mit Bezug auf die gesamte Erdenzivilisation. Wir haben darauf aufmerksam machen müssen gestern, wie die orientalischen Völker, die Völker Asiens und dasjenige, was zu Ihnen gehört, vorzugsweise dazu veranlagt sind, dasjenige Element auszubilden, welches seinen Beitrag gibt in das geistige Glied der sozialen Organisation. Alles dasjenige, was vorzugsweise in der Menschheit geistige Entwickelung ist, also Wissen des Übersinnlichen, Gestalten des Übersinnlichen, dazu ist die orientalische Bevölkerung besonders veranlagt. Damit hängt es zusammen, daß diese orientalische Bevölkerung besonders dazu veranlagt ist, sich Vorstellungen, Ideen darüber zu machen, wie der Mensch aus geistigen Welten, die er durchlebt hat zwischen dem letzten Tode und dieser Geburt, heruntergestiegen ist in dieses irdische Dasein. Die Präexistenzlehre, jene Lehre, welche sich gewiß ist darüber, daß der Mensch ein geistiges Dasein durchgemacht hat, bevor er hier in den physischen Leib gekommen ist, das einzusehen, das liegt insbesondere in diesen orientalischen Anlagen. Daher auch die Anlage dazu, die Einsicht in die wiederholten Erdenleben zu haben. Man kann die Anschauung haben, daß das Leben nach dem Tode fortdauert, immer fortdauert, ohne daß man wiederkehrt auf die Erde. Aber man kann logischerweise nicht die Anschauung haben, daß das Leben hier auf der Erde eine Fortsetzung eines geistigen ist, ohne daran denken zu müssen, daß ja dann es selbstverständlich ist, daß dieses Leben sich wiederholen muß. So also war der Orientale ganz besonders dazu veranlagt, einzusehen, er habe gelebt in geistigen Welten vor diesem Erdenleben, und er habe gewissermaßen

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die Impulse, die Antriebe zu diesem Erdenleben erhalten eben aus der göttlich-geistigen Welt heraus.

Es hängt das zusammen mit der ganzen Art und Weise, wie der Orientale zu seinem Wissen, zu seiner ganzen Seelenverfassung gekommen ist. Für einige von Ihnen habe ich das schon angedeutet; es sind jetzt eine andere Anzahl von Freunden da, und ich möchte etwas noch einmal charakterisieren, das ich für einige schon charakterisiert habe.

Wir wissen, daß der Mensch ein dreigliedriges Wesen ist, daß er zerfällt in den Nerven-Sinnesmenschen, in den rhythmischen Menschen - der umfaßt jene Tätigkeiten, die in der Atmung, in der Blutzirkulation und so weiter gegeben sind -, und daß dann das dritte im Menschen der Stoffwechselmensch ist, alles dasjenige, was mit dem Stoffwechsel zusammenhängt. Nun kommen nicht über die ganze Erde hin etwa in gleichmäßiger Weise diese drei Glieder der menschlichen Organisation zum Ausdruck, sondern in verschiedener Weise.

Der orientalische Mensch ist heute daran - jetzt ist das alles, ich möchte sagen, in der Dekadenz, heute ist das alles unterdrückt, heute schläft das im orientalischen Menschen, aber wir müssen den orientalischen Menschen auch nicht kennenlernen nach seiner jetzigen Seelenverfassung, sondern wir müssen ihn vorzugsweise kennenlernen nach seiner Seelenverfassung, die er in einer sehr weit zurückliegenden Vor- zeit gehabt hat -, der orientalische Mensch ist heute daran, gerade weil diese Seelenverfassung zurückgegangen ist, und die Europäer und Amerikaner werden das in nicht zu ferner Zeit zu ihrem großen Schrecken bemerken, mit derselben Inbrunst, mit derselben religiösen Hingebung den Bolschewismus aufzunehmen, wie er einstmals aufgenommen hat die Lehre von dem heiligen Brahman. Was ist von den drei Gliedern der menschlichen Natur dasjenige, das im orientalischen Menschen ganz besonders zum Ausdruck gekommen ist? Es ist der Stoffwechselmensch. Gerade der älteste Orientale hat ganz im Stoffwechsel gelebt. Das wird für denjenigen in der Auffassung keinen Horror hervorrufen, der den Stoff nicht denkt im Sinne von Klumpen von Materie, sondern der weiß, daß in allem Stoff Geist lebt. Und dasjenige, was gerade der hohe Geist, der bewunderungswürdige Geist der Orientalen war, das war dasjenige, was aus dem Stoffwechsel der orientalischen Natur aufgestiegen

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ist und ins Bewußtsein hineingeglänzt hat. Dasjenige, was sich im menschlichen Stoffwechsel abspielt, hängt ja innig zusammen mit dem, wie die äußere Sinneswelt ist. Wir entnehmen dasjenige, was dann in uns Materie wird, der äußeren Sinneswelt. Wir wissen, daß hinter dieser äußeren Sinneswelt Geist ist. In Wahrheit essen wir Geist, und der gegessene Geist wird erst in uns Materie. Aber dasjenige, was wir da auf- nehmen, das war beim Orientalen so, daß es auch, nachdem es aufgenommen wurde, den Geist hergab. So daß derjenige, der die Dinge versteht, hinsieht auf die bewunderungswürdigen poetischen Leistungen der Veden, auf die Großartigkeit der Bhagavad Gita, auf die tiefe Philosophie der Veden und Vedanta, auf die indische Jogaphilosophie, und er wird sie deshalb nicht weniger bewundern, weil er weiß, daß das aus dem inneren Prozeß hervorgegangen ist als ein Produkt des Stoffwechsels, wie die Blüten des Baumes hervorgehen aus dem Stoffwechsel. Und wie wir den Baum anschauen und in seinen Blüten sehen dasjenige, was die Erde der Luft und dem Licht entgegentreibt, so sehen wir In dem, was der alte indische Mensch hervorgebracht hat in den Veden, in der Vedanta-, in der Jogaphilosophie, eine Blüte des irdischen Daseins selber. Es ist gewissermaßen auf der einen Seite dasjenige, was wir In den Blüten der Bäume sehen, Produkt der Erde, entgegengebracht der Luft und dem Lichte, aber Produkt der Erde, das heißt desjenigen, was auf dem Felde wächst als Weizen und Korn, auf den Bäumen als Obst und Früchte, genossen und verdaut von Menschen, verkocht von Menschen. In der besonderen alten indischen Natur wird es, statt zu Pflanzenblüten und Pflanzenfrüchten, zu den herrlichen Ausgestaltungen der Veden, der Vedanta- der Jogaphilosopbie, man sieht diesen alten indischen Menschen an so wie einen Baum, als Zeugen desjenigen,was die Erde in ihrem Stoffwechsel aus sich selber hervorsprießen lassen kann, indem sie in den Menschen hineinschießt - beim Baum durch die Wurzeln und durch den Saftstrom, beim Menschen durch die Nahrung-, und man lernt erkennen das Göttliche in demjenigen, wo es der Spiritualist verachtet, indem ihm die Materie so niedrig vorkommt.

Und dann hat der alte Inder ein Ideal. Er hat das Ideal, aus diesem seinem Erleben in dem Stoffwechsel herauszukommen zu dem höheren Glied der Menschennatur, zu dem rhythmischen System. Daher machte

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er seine Jogaübungen. Er machte besondere Atemübungen. Das übte er mit Bewußtsein. Dasjenige, was der Stoffwechsel aus ihm hervorbringt als geistige Blüte der Erdenentwickelung, das kommt unbewußt. Dasjenige, was er bewußt macht, ist: sein rhythmisches System, das Atmungs- und Blutsystem, in eine geregelte, in eine systematisierte Bewegung zu bringen. Und was tut er, indem er sich erhebt, indem das gerade dasjenige ist, was seine Erhebung ist, was tut er da? In diesem rhythmischen System, was geschieht da? Wir atmen die äußere Luft ein, wir übergeben der äußeren Luft dasjenige, was aus des Menschen Stoffwechsel entsteht, Kohlenstoff. In uns findet ein Stoffwechsel statt zwischen dem, was in uns Ergebnis des Stoffwechsels ist, und demjenigen, was in der Luft ist, die wir aufnehmen. Die heutige materialistischphysikalische Weltanschauung sieht in der Luft Stickstoff - weiß nicht, was das ist - und Sauerstoff - weiß nicht, was das ist - miteinander gemischt, sieht etwas rein Materielles. Der alte Inder nahm wahr die Luft, das heißt dasjenige, was da vorgeht, indem sich im Menschen verbindet dasjenige, was aus dem Stoffwechsel kommt, mit dem, was eingeatmet wird, was sich verarbeitet. In der Blutzirkulation nahm der alte Inder dann, indem er Sein Ideal, die Jogaphilosophie, erfüllte, wahr durch diesen Stoffwechsel die Geheimnisse der Luft, das heißt dasjenige, was geistig in der Luft ist. Er lernte kennen in der Jogaphilosophie dasjenige, was geistig in der Luft ist. Was lernt man da kennen? Da lernt man eben gerade kennen dasjenige, was in uns eingezogen ist, indem wir atmende Wesen geworden sind. Da lernt man erkennen dasjenige, was in uns eingezogen ist, als wir heruntergegangen sind aus den geistigen Welten in diesen physischen Leib. Da pflegt man dieses Wissen von der Präexistenz, von dem vorgeburtlichen Leben. Daher ist es in einem gewissen Sinne das Geheimnis derjenigen zunächst, die solche Jogaphilo sophie ausführen, hinter das Geheimnis des vorgeburtlichen Lebens zu kommen.

So sehen wir, daß der alte Inder im Stoffwechsel lebt, trotzdem er so Schönes, Großartiges, Gewaltiges hervorbringt, und sich künstlich hinaufschwingt zum rhythniischen System. Das alles ist in die Dekadenz gekommen. Das alles ist heute in Asien schlafend. In den asiatischen Seelen macht sich nur nebulos geltend in abstrakten Formen, wenn solche

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erleuchtete Geister wie Rabindranath Tagore von dem Ideal der Asiaten sprechen und schweIgen.

Und gehen wir von diesem Asien zu Mitteleuropa, da finden wir, daß sich dieser mitteleuropäische Mensch da, wo er wirklich ein solcher ist - ich habe ihn gestern dadurch charakterisiert, daß ich Sie hinwies auf Fichtes Satz: Die äußere Sinneswelt ist nur das versinnlichte Material meiner Pflicht, sie hat an sich keine Existenz, sie ist dazu da, damit ich etwas habe, womit ich meine Pflicht ausführen kann. - Der Mensch, der aus diesem Untergrunde in den mittleren Gegenden der Erde lebte und lebt, der lebt nun, geradeso wie der Inder im Stoffwechsel lebt, im rhythmischen System. Dasjenige, worinnen man lebt, bleibt unbewußt. Der Inder strebte noch als zu einem Ideal zum rhythmischen System hinauf, und ihm wurde es bewußt. Der Mitteleuropäer lebt in diesem rhythmischen System, ihm wird es nicht bewußt, und er gestaltet aus dadurch, daß er in diesem rhythmischen System lebt, alles dasjenige, was das rechtliche, das demokratische, das staatliche Element in der sozialen Organisation ist. Er gestaltet es einseitig aus, aber er gestaltet es in dem Sinne aus, wie ich das gestern angedeutet habe, denn er ist besonders dazu veranlagt, dasjenige auszugestalten, was im Wechselspiel geschieht zwischen Mensch und Mensch, im Wechselspiel zwischen dem Menschen und seiner Umgebung. Aber er hat wiederum ein Ideal. Er hat das Ideal, sich nun zum nächsten zu erheben, zu dem Nerven-Sinnesmenschen. So wie der Inder die Jogaphilosophie, das kunstvolle Atmen, das zur Erkenntnis auf besondere Art führt, als sein Ideal betrachtete, so der mitteleuropäische Mensch das Sich-hinauf-Schwingen zu Vorstellungen, die aus dem Nerven-Sinnesmenschen kommen, zu Vorstellungen, die ideell sind, zu Vorstellungen, die errungen werden durdi eine Erhebung, so wie die Jogaphilosophie errungen wird von dem Inder durch eine Erhebung.

Daher ist es auch notwendig, daß man sich bewußt werde, will man Leute, die aus solchen Untergründen heraus geschaffen haben, wie Fichte,Hegel, Schelling, wie Goethe, will man sie wirklich verstehen, so muß man sie so verstehen, wie der Inder seine Jogaeingeweihten verstand. Aber diese besondere Seelenveranlagung, die dämpft die eigentliche Geistigkeit. Man erlangt noch ein deutliches Bewußtsein davon, wie es

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zum Beispiel Hegel hat, daß die Ideen Wirklichkeiten sind. Dieses deutliche Bewußtsein hatte Hegel, Fichte, hatte Goethe, daß die Ideen Wirklichkeiten, Realitäten sind. Man gelangt eben auch dazu, so etwas zu sagen wie Fichte: Die äußere Sinneswelt ist für sich keine Existenz, son-` dern nur das versinnlichte Material meiner Pflicht. - Aber man kommt nicht zu jener Erfüllung der Ideen, welche der Orientale hatte. Man kommt dazu, zu Sagen, wie Hegel sagte: Es beginnt die Geschichte, es lebt die Geschichte. Das ist die lebendige Bewegung der Ideen. - Aber man beschränkt sich allein auf diese äußere Wirklichkeit. Diese äußere Wirklichkeit sieht man geistig, ideell an. Aber man kann nicht, gerade wenn man Hegel ist, weder von Unsterblichkeit noch von Ungeburtlidikeit reden. Die Hegelsche Philosophie beginnt mit der Logik, das heißt mit demjenigen, was der Mensch endlid, denkt, dehnt sich aus über eine gewisse Naturphilosophie, hat eine Seeleiilehre, die aber nur von der irdischen Seele handelt, hat eine Staatslehre und hat zuletzt als das Höchste, zu dem sie sich aufschwingt, die Dreigliederung von Kunst, Religion, Wissenschaft. Aber darüber geht es nicht hinaus, da geht es nicht in die geistigen Welten hinein. Auf geistigste Art hat solch ein Mensch wie Hegel oder Fichte beschrieben dasjenige, was in der äußeren Welt ist; aber gedämpft ist alles dasjenige, was hinausschaut über die äußere Welt. Und so sehen wir, daß gerade dasjenige, was kein Gegenbild in der geistigen Welt hat, das Rechtsleben, das Staatsleben, was nur von dieser Welt ist, daß das gerade die Größe ausmacht dieser Ideengebäude, die da auftreten. Man sieht die äußere Welt als geistig an. Man kommt aber nicht über diese äußere Welt hinaus. Aber man schult den Geist, man bringt dem Geist eine gewisse Disziplin bei. Und legt man dann Wert auf eine gewisse innere Entwickelung, so findet das statt, daß dadurch gerade, wenn man sich heranschult an dem, was da in diesem Gebiete der Welt an Erziehung des Geistes durch die Ideenwelt geleistet werden kann, man gewissermaßen innerlich hinaufgetrieben wird in die geistige Welt. Das ist ja das Merkwürdige.

Ich muß Ihnen gestehen, mir ist, wenn ich Schriften der Scholastiker lese, immer bei diesen Schriften der Scholastiker so zumute, daß ich mir sage: Das kann denken, das weiß zu leben in Gedanken. - Auf eine gewisse andere Art, mehr dem Irdischen zugewandt, sage ich mir das auch

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bei Hegel: Der weiß zu leben in Gedanken - oder bei Fichte oder bei Schelling. Selbst in der dekadenten Art, wie die Scholastik in der Neuscholastik zutage tritt, muß ich sagen, finde ich in der Scholastik immer noch mehr von entwickeltem Gedankenleben als zum Beispiel in der modernen Wissenschaft oder in der modernen populären Bücher- oder Zeitungsliteratur. Da ist schon alles Denken verdunstet und verduftet. Es ist schon wahr, die besseren Geister der Scholastik, in der Gegenwart zum Beispiel, denken Begriffe genauer als unsere Universitätsprofessoren der Philosophie. Aber das ist ja eben das Eigentümliche, wenn nun diese Gedanken auf einen wirken, wenn man zum Beispiel ein scholastisches Buch liest, so ein richtig scholastisch-katholisches Buch liest und es auf sich wirken läßt, gewissermaßen es zu einer Art von Selbsterziehung verwendet, die Seele wird über sich hinausgetrieben. Es wirkt wie eine Meditation. Es wirkt so, daß man zu etwas anderem kommt, Erleuchtung bewirkend. Und eine sehr merkwürdige Tatsache liegt vor.

Denken Sie sich einmal, solche modernen Dominikaner, Jesuiten, andere Ordensgeistliche, die sich in dasjenige, was jetzt noch von Scholastik vorhanden ist, hineinvertiefen, wenn sie nun ganz zu Ende wirken ließen auf sich dasjenige, was da an scholastischen Gedankenformen In ihnen erziehend wirkt, sie würden alle auf eine verhältnismäßig leichte Weise durch diese Erziehung zum Begreifen der Geisteswissenschaft kommen. Uberließe man diejenigen, die Neuscholastik studieren, ihrem eigenen seelischen Werdegang, es würde gar nicht lange dauern, würden gerade diese katholischen Ordensgeistlichen sehr bald Anhänger der Geisteswissenschaft werden. Daher hat man - was nötig, damit sie es nicht werden? Man verbietet es ihnen. Man gibt ihnen das Dogma, welches die ganze Sache kupiert, welches das nicht aufkommen läßt, was heraus aus der Seele die Entwickelung bewirken würde. Man könnte heute noch immer demjenigen, der sich entwickeln will zUr Geisteswissenschaft, als Meditationsbuch zum Beispiel jenes scholastische Buch in die Hand geben, das ich einmal hier vorgezeigt habe, das von einem Gegenwartsjesuiten verfaßt ist; aber ich habe Ihnen gesagt, es hat das Imprimatur durch jenen Erzbischof; es ist dasjenige kupiert, was entstehen würde im Menschen, wenn der Mensch sich ihm ganz frei überlassen könnte.

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Diese Dinge, die muß man durchschauen, denn dann wird man einsehen, welche Wichtigkeit es hat für gewisse Kreise, ja nicht es bis zu den Konsequenzen desjenigen kommen zu lassen, was entstehen könnte, wenn man die Dinge frei wirken ließe in den Seelen. Dieses mitteleuropäische Streben besteht eben darinnen, von dem selbstverständlichen rhythmischen Menschen hinauf sich zu erheben zum NervenSinnesmenschen, zu dem, der im ideellen Gebiete dasjenige hat, was er sich selbst erringt. Für diese Menschen ist die besondere Anlage vorhanden, das Leben der Erde als ein Geistiges zu begreifen. Das hat ja Hegel im umfassendsten Sinne getan.

Gehen wir jetzt zum westlichen Menschen. Ich habe gestern gesagt, daß der westliche Mensch gerade in seinen erleuchtetsten Geistern, in solchen wie Bentham, John Stuart Mill, Spencer, Buckle, sogar schon Baco von Verulam und andern, 7homas Reid und so weiter, in der Nationalökonomie Adam Smith, daß dieser westliche Mensch besondere Veranlagung hat, dasjenige Denken auszubilden, das man dann verwenden kann im wirtschaftlichen Teile des sozialen Organismus. Wenn man zum Beispiel die Philosophie von Spencer nimmt, dann sagt man sich: das ist ein Denken, welches ganz aus dem Nerven-Sinnesmenschen stammt, ganz und gar Produkt der Sinne und der Nerven ist, welches am besten taugen würde, wirtschaftliche Organisationen und Assoziationen zu machen. Es ist nur deplaciert von Spencer zu der Philosophie verwendet worden. Würde Spencer mit demselben Denken Fabriken einrichten, soziale Organisationen machen, dann wäre das am richtigen Platze. Daß er mit diesem Denken eine Philosophie macht, das ist deplaciert.

Das kommt davon her, daß jetzt der westliche Mensch nicht mehr lebt im rhythmischen System, sondern wieder eine Stufe höhergestiegen ist, er lebt selbstverständlich im Nerven-Sinnessystem des Menschen. Der Orientale lebt seiner Natur nach im Stoffwechsel, der Mensch der Mitte lebt seiner Natur nach im rhythmischen System, der westliche Mensch lebt seiner Natur nach im Nerven-Sinnessystem (siehe Schema). Stoffwechsel beim Orientalen: Er wendet sich hinauf und erstrebt das rhythmische System. Der mitteleuropäische Mensch lebt im rhythmischen System; er strebt hin zum Nerven-Sinnesmenschen. Der westliche

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Mensch lebt schon im Nerven-Sinnessystem. Wo strebt er hinauf? Er ist noch nicht daran, aber er ist darauf angewiesen, hinaufzustreben; er ist darauf angewiesen, über sich hinauszustreben. In der Karikatur kommt es zunächst zum Vorschein in dem, was ich Ihnen gestern charakterisiert habe in der Ableugnung des Stoffes, in der Selbstsuggestion des menschlichen Wesens der Mrs. Eddy, der Christian Science. Aber das ist zunächst die Karikatur, trotzdem als Karikatur ein Vorbote desjenigen, was gerade vom westlichen Menschen erstrebt werden muß. Es muß etwas Übermenschliches erstrebt werden, wobei ich durchaus nicht dies behaupten möchte, daß jeder, wenn er nun, statt aus dem NervenSinnesmenschen nach oben zu streben, hinunterstrebt in die Ohnmacht und so weiter, dadurch deshalb ein Übermensch wird.

#Bild S.136

Aber ich habe dann gestern damit geschlossen, daß ich sagte: So sind verteilt die menschlichen Fähigkeiten auf die verschiedenen Gebiete der Erde, und notwendig ist, daß ein wirkliches Zusammenwirken geschieht. Heute sind wir so, daß wir in bezug auf die Zivilisation ganz und gar abhängig sind schon von dem Nerven-Sinneswesen des Westens. Ich habe ein Paradoxon gebraucht, aber dieses Paradoxon drückt sehr klar die Wirklichkeit aus. Dasjenige, was in Wien denkt, was in Berlin denkt, sind nicht die Gedanken, die etwa aus dem Volkstum heraus

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gekommen sind und in Fichte oder bei Hegel kulminiert haben. Diese Geister sind überschüttet. Dasjenige, was heute in Mitteleuropa, in Wien oder Berlin in Büchern und Zeitungen steht, sind nicht die Gedanken formen Fichtes; das ist eine Lüge, wenn heute die Leute Fichte zitieren. Die Wahrheit ist vielmehr diese, daß verwandter ist das, was heute in Berlin oder Wien an die Öffentlichkeit dringt, mit dem, was in Chikago oder in New York gedacht wird, als mit dem, was in Fichte oder in Hegel gedacht worden ist.

Aber das mußte geschehen, daß diese drei Glieder, von denen dieses insbesondere zunächst als das Geistesleben veranlagt war, dann das Geistesleben herüberschickten als Tradition jenes Ursprünglichen, jenes Elementaren des geistigen Lebens, wIe sie war im Oriente, wo der Mensch drinnen lebt - wie er hier im physischen Leben steht - lebendig im Geistesleben selber. Davon fand sich nur der schattenhafte Nachklang in Mitteleuropa, davon findet sich nur die Tradition in Westeuropa. Dieses Westeuropa ist durch seine eigene Anlage für das Post-mortem-Leben charakterisiert, für dasjenige Leben, das ersehnt wird nach dem Tode. Ich habe Ihnen gestern gesagt, es bereitet sich bereits in Amerika, wenn auch in einzelnen Sekten, das Bewußtsein davon vor, daß der Mensch nicht bloß passiv sein darf hier in bezug auf das Seelenleben überhaupt, um etwas durch den Tod durchzutragen und in der geistigen Welt weiterzuleben, sondern daß er hier dasjenige er- werben muß durch seine Arbeit, durch sein Tun, was er durch die Pforte des Todes hindurchtragen will. Das Bewußtsein davon, daß der Mensch sich auflöst, wenn er hier nicht für seine Unsterblichkeit sorgt, wenn er hier nicht einen idealen Sinn entwickelt, wenn dieser ideale Sinn auch noch in karikaturhafter Weise zum Vorschein kommt, dieses Bewußtsein dringt in einzelnen Sekten des Westens bereits durch.

Dasjenige aber, was Staatsleben war, das ist erstrebt so, daß man im rhythmischen Menschen lebte und es hinauftrug in die Gedanken. Das ist insbesondere beim mittleren Menschen zum Vorschein gekommen. Es strahlte dann herüber nach dem Westen. Da liegt eine eigentümliche Ersrheinung vor, die man nur versteht, wenn man die Dinge innerlich ansrhaut. So sonderbar es manchem erscheinen wird, da ging etwas vor in Mitteleuropa. Es blieb selbstverständlich in dem rhythmischen System

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der Drang nach einem menschlichen Zusammenleben, nach einem sozialen menschlichen Zusammenleben in Freiheit. Das blieb zunächst tief im Unbewußten stecken (siehe Schema). Aber es lebt ja auch dasjenige unter den Menschen, was die Menschen nicht im Bewußtsein haben. Sagen wir also, im i 8. Jahrhundert lebte zunächst unbewußt da etwas Bestimmtes in Mitteleuropa, ohne daß es herauf konnte ins Bewußtsein; aber es strahlte nach dem Westen hinüber. Indem es hinüberstrahlte nach dem Westen, indem es aufgenommen wurde, indem es sich nicht selbstverständlich im Innern entwickelte, wurde es zur Leidenschaft, wurde es zur Empfindung und wurde die Französische Revolution.

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Schiller besann sich - (es wird auf das Schema gezeigt) da die Französische Revolution -; es gibt ja sogar ein Symbol davon, daß Schiller sich besonnen hat auf dasjenige, was da eigentlich vorging. Sie wissen ja, daß Schiller die Ehre widerfahren ist, zum französischen Bürger gemacht zu werden -, Schiller also, er besann sich; aber bei ihm lebte es zunächst im rhythmischen System. Nun, durch eigene Anschauung hob er es herauf und schrieb seine Briefe, die ästhetische Erziehung des Menschen betreffend.

Darinnen haben Sie das, was man damals sagen konnte über menschliches Zusammenleben, über menschliches Zusammenleben in einem wirklich freien Staat. Hume hat ja dann nur, ich möchte sagen, dieses staatliche Glied, das Schiller da ins Bewußtsein heraufgehoben hat in seinen «Ästhetischen Briefen», etwas pedantisch ins System gebracht. Das ist gerade etwas außerordentlich Bedeutsames, was in diesen Briefen über ästhetische Erziehung von Schiller da aus den Tiefen des Volkstums

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herausgeholt ist. Weil es so tief ist, wurde es ja dann auch, als überall der Nerven-Sinnesmensch herrschend wurde, nicht verstanden.

Ich habe öfter erzählt, daß in Wien ein eInsamer Mensch lebte, Heinrich Dein ha rdt hieß er. Er hat Briefe über Briefe über diese ästhetische Erziehung des Menschen geschrieben, sehr geistvolle Briefe. Der Mann hatte das Malheur, daß er einmal ein Bein brach auf der Straße, als er hinflel. Das Bein konnte eingerichtet werden, aber er konnte nicht genesen, er starb an dem Beinbruch, weil er unterernährt war. Das heißt, derjenige, der in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts noch Schillers «Ästhetische Briefe» in gewisseiihaftester Weise ausgelegt hat, starb den Hungertod. Und diese Deinhardtschen Briefe über Schillers ästhetische Erziehung des Menschen sind völlig vergessen!

Diese «ÄsthetischenBriefe» Schillers, sie wären eine gute Vorbereitung wiederum, um die Seele hinaufzuläutern zu einem geistigen Anschauen der Welt. Schiller konnte das noch nicht selber. Aber es wirkt immer, wenn der andere etwas aufnimmt, die Seele selbst erziehend, was von einem Menschen herrührt, der noch nicht hinaufkommt in die geistige Welt, es wirkt da so, daß er in die geistige Welt hineinsehen kann. Allerdings hat man in Europa statt dessen Ralph Waldo Trine und Marden und ähnliche Oberflächlichkeiten als ein besonderes Heilmittel für die Seelen verehrt, und die andern Dinge vergessen, die nun wirklich in die ,geistige Welt hinaufführen würden.

Diese Dinge müssen eben auch im ganzen Zusammenhange des Lebens und des Weltwesens erfaßt und begriffen werden. Man muß sich klar darüber sein, wie differenziert die verschiedenen menschlichen Fähigkeiten über die Erde hin sind. Und das ist schon zu sagen: während bisher dafür gesorgt worden ist, daß die tumultuarischen Schillerschen jugendwerke «Die Räuber» oder «Fiesko» oder «Kabale und Liebe» bekannt werden, und während die Menschen sich höchstens aufschwin zu den Sentimentalitäten der «Maria Stuart» oder zu den doch sehr veräußerlichten dramatischen Szenen der «Jungfrau von Orleans» oder der «Braut von Messina», sollte man heute damit beginnen, die «Ästhetischen Briefe» Schillers, in denen er sich selber - mit all seinen «Räubern», mit der ganzen «Maria Stuart» und mit dem «Wallenstein» - an Bedeutung für die Menschheit überragt, man sollte damit

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beginnen, diese «Ästhetischen Briefe» nicht bloß zu studieren, sond,ern auf sich wirken zu lassen. Denn wir sind heute darauf angewiesen, nicht bloß das Schulphilistergewäsche, das es gibt über unsere Klassiker, über Goethe, Schiller, vorzutradieren, sondern vor allen Dingen hier Revision zu machen und selber aufzusuchen, was an diesen Klassikern das Große war. Wir schwätzen fort dasjenige, was über den «Wallenstein» und die «Maria Stuart» und so weiter geredet worden ist von der Schulphilisterei mehr als ein Jahrhundert. Wir haben heute die Aufgabe, die Größe auf elementare Art selbst zu begreifen, denn nur dadurch kann die Menschheit vorwärtsschreiten. So liegt auch da die Notwendigkeit einer Umwandelung, einer Erneuerung. Auch dasjenige, was durch unsere Schulen die Menschen über «Maria Stuart», über den «Wallenstein», über die «Räuber» und so weiter lesen und hören, auch das muß umgestaltet werden. Wir bedürfen in dieser ernsten Zeit einer völligen Erneuerung, denn die Zeiten sind ernst.

Und sehen wir nach dem Westen hinüber, so fordert dieser Westen mit alledem, was er hervorbringen kann als den Ausdruck der Menschheit durch das Nerven-Sinnessystem, er fordert den Hinaufstieg in dasjenige, was über dem Menschenwissen in einer geistigen Welt liegt. Und ich habe Ihnen gestern gesagt: Zusammenwirken müssen, damit das Geistesleben, das Staatsleben, das 'Wirtschaftsleben im dreigliedrigen sozialen Organismus sich geltend machen könne, zusammenwirken müssen diese drei Elemente. Sagen wir nicht etwa bloß: Ex oriente lux! - Nehinen wir auf den Orient, studieren wir die Bhagavad Gita, studieren wir die Jogaphilosophie, studieren wir die Veden, ochsen wir dieses Zeug geradeso, wie wir gewohnt worden sind in Europa, die andern Dinge zu ochsen, fangen wir jetzt an, einmal die Orientalismen zu Ochsen, nachdem uns das andere langweilig geworden ist. Nein, damit kommen wir nicht vorwärts, denn dasjenige, was einmal für die Erde richtig war, wird es für die Gegenwart und Zukunft nicht wieder sein, ist etwas Vergangenes. Wir können es bewundern als etwas, was einmal für die Erde richtig gewesen war; wir können es aber nicht, wie es etwa eine Theosophische Gesellschaft tut, einfach wieder übernehmen in passiver Weise. Ebensowenig können wir dasjenige, was uns nach der alten Art überliefert worden ist von der europäischen Vergangenheit, einfach herübernehmen,

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können nicht sagen: Dasjenige, was in den Volkstümern des Orients, der Mitte liegt, das können wir einfach erneuern sondern wir müssen sagen: Wollen wir eine wirkliche Verbindung dieser drei Elemente, die allerdings in der menschlichen Natur veranlagt sind, erreichen, wie können wir das? - Nur wenn wir aufmerksam darauf werden, wie das Nerven-Sinnesleben, das schließlich schon auf uns alle übergegangen ist, über sich hinausgehen muß. Das heißt, wir müssen aufsteigen zu etwas anderem, was weder daraus (es wird gedeutet auf Zeichnung Seite 142), noch daraus, noch daraus kommen kann, sondern einzig und allein durch die neue Initiation, durch die neue Geisteswissensdiaft, was wirklich dadurch geholt wird, daß hinaufgestiegen wird aus dem modernsten Denken, das geschult ist an der Naturwissenschaft, an dem Nerven-Sinneswesen, indem wir hinaufsteigen zu der Wissenschaft der neuen Initiation und herausholen aus dieser neuen Initiation die Art und Weise, wie zusammenwirken können dasjenige, was einst Orient war, was später mittleres Wesen war, was jetzt westliches Wesen ist. Wir brauchen eine neue Wissenschaft der Initiation, die gerade die Einheit bewirken kann, die lebendige Einheit bewirken kann. Wir kommen in der neueren Zeit nicht zu einem Geistesleben, wenn wir nicht zu dieser neueren Initiationswissenschaft hinstreben. Wir kommen nicht zu einer Politik, wir kommen nicht zu einem Staatsleben, wenn wir in der alten Art weiterwirtschaften, wenn wir nicht anfragen bei denjenigen wissenschaftlichen Zweigen, die herauskommen aus der neueren Initiation: Wie soll sich die Politik der Zukunft gestalten? - Wir gelangen auch nicht zu einem Wirtschaftsleben, wenn wir nicht verstehen dasjenige, was nicht angewendet werden soll auf eine Philosophie, wie es Spencer getan hat, auf ein Staatssystem, wie es Adam Smith getan hat, sondern was angewendet werden soll bloß auf die Organisation des Wittsdiaftslebens, wenn wir das nicht auf die Organisation des Wirtsd1aftslebens anwenden. Aber wir müssen dann wissen, wie wir das eingliedern sollen in die beiden andern Systeme. Dazu brauchen wir aber die Wissensdiaft der Initiation. Wir können nicht vorwärtskommen, wenn wir nicht uns sagen können: Vom Verstehen, was einstmals orientalische Anlage war, gelangen wir zu dem, was das Wesen des Geisteslebens ist. Indem wir wirklich verstehen, was die Anlage des mittleren

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Menschen ist, gelangen wir dazu, wirklich zu verstehen, was das Rechtsoder Staatsleben ist. Indem wir das Westliche verstehen, gelangen wir dazu, zu verstehen, was das Wirtschaftsleben ist. Aber die drei fallen auseInander, wenn wir sie nicht in einer höheren Einheit verbinden können. Und wir werden sie nur In einer höheren Einheit verbinden können, wenn wir sie alle drei anschauen von jenem Gesichtspunkte, der sich uns ergibt durch die neuere Mysterik, die hier genannt wird anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft.

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Diese Dinge müssen durchschaut werden, denn derjenige, der sie durchschaut, der weiß, daß all das Streben, das sich heute auslebt, dem Untergang entgegenführt. Man rechnet mit den wichtigsten Faktoren nicht. Man sehe selbst auf die radikalsten Sozialisten hin. Sie mögen es subjektiv mit der Menschheit ehrlich meinen: sie rechnen aber nur mit Niedergangskräften. Sie machen eine falsche Lebensbilanz. Wir machen nur eine richtige Lebensbilanz, wenn wir aus der Wissenschaft des Geistes heraus erfassen nicht irgend etwas, was wir willkürlich hinstellen, indem wir sagen, so und so muß es sein, wenn die Menschheit glücklich sein soll und so weiter, sondern wenn wir uns fragen können: Was entsteht, wenn Geistesleben, Rechts- oder Staatsleben und Wirtschaftsleben in das richtige Verhältnis zueinander kommen, welcher soziale Organismus ergibt sich da? - Dann wird in diesem sozialen

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Organismus auch leben seine Durchgeistigung, das heißt, es wird in diesem sozialen Organismus neben dem, daß ein Wirtschaftsleben da sein wird, das möglich ist, das nicht dasjenige ist, von dem man träumt und von dem man phantasiert, sondern das dasjenige ist, das möglicherweise entstehen kann als das Bestmögliche, und wenn ein Staatswesen da ist, das wiederum das Bestmögliche ist, jenes Geistesleben da sein wird, das vereinigen wird das Leben vor der Geburt mit dem Leben nach dem Tode, welches sehen wird in dem Menschen, der hier in dieser physischen Welt lebt, das sich rechtlich orientierende Wesen, das hereinleuchten hat sein vorgeburtliches Leben im Geistesleben, das im wirtschaftlichen Leben kein Ideal, sondern nur ein Bestmögliches erreichen kann, das aber die Kräfte, die im Wirtschaftsleben sich betätigen, umwandeln kann gerade durch Initiationswissenschaft im Willen so, daß sie aufleuchten lassen das Post-mortem-Leben. Weil das so ist, ist anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft nicht irgendeine Theorie neben anderen, nicht irgend etwas, was sich als ein Partei- oder Sektenprogramm neben andere Parteien- oder Sektenprogramme hinstellt, sondern sie ist etwas, was hervorgeholt ist aus jenem Wissen, das man gewinnen kann, wenn man Erdenentwickelung und Menschheitsentwickelung in ihrem Zusammenwirken und in ihrer Ganzheit erfaßt.

Und gestehen muß man sich in der Gegenwart, daß jedes andere Verhältnis zur Welt oder die weltlichen Reformen zu nichts führen können, daß hervorgeholt werden muß aus der Wissenschaft der neueren Initiation dasjenige, was die Menschheit vorwärtsbringen kann.

Das muß heute immer wieder in den verschiedensten Formen ausgesprochen werden. Es ist hineingebaut worden in diesen Bau, es kommt in allen Einzelheiten dieses Baues zum Ausdruck. Wenn Sie das kleinste Stückchen hier sehen, so wird es Ihnen erzählen können von dem, was hier gemeint ist, was hier in verschiedener Art in Worten ausgesprochen wird. Das ist dasjenige, was der ganzen Sache hier einen gewissen einheitlichen Charakter gibt, was aber zu gleicher Zeit ausdrückt ein Wollen, welches innig zusammenhängt mit den Aufgangs-, nicht mit den Niedergangskräften der sich entwickelnden Menschheit, und wovon man daher wünschen möchte, daß es verstanden werde. Das ist es, wonach wir arbeiten möchten, wonach wir immer mehr und

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mehr arbeiten möchten, wonach wir jetzt arbeiten möchten durch die Herbstkurse, die abgehalten werden, in denen gezeigt werden soll, wie wirklich in die einzelnen Zweige der Wissenschaft hinein befruchtend wirken kann dasjenige, was von anthroposophisch orientierter Geistes- wissenschaft kommt. Und dann wird vielleicht auch einmal die Zeit kommen, wo die Menschen verstehen werden, was von hier aus eigentlich gewollt wird, wo so viel Verständnis in der Welt sein wird, daß es dazu kommt, daß wir diesen Bau auch einmal später in irgendeiner Zukunft, die heute noch im Nebel liegt, auch eröffnen können. Denn so- lange dieser Bau nicht eröffnet werden kann, ist immer noch etwas da von dem, welches zeigt, daß ein nicht genügendes Verständnis für das vorhanden ist, was hier gewollt ist.

Davon werde ich dann am nächsten Freitag um acht Uhr weiterreden.

Morgen ist der Vortrag unseres Freundes, des Grafen Polzer, um acht Uhr hier über die europäische Politik des letzten Jahrhunderts im Zusammenhange mit dem Testament Peters des Großen, ein anregender Gegenstand, über den sich hoffentlich eine Diskussion eröffnen wird. Dann werde ich am Freitag weiterreden über die angefangenen Fragen in ihrer Anwendung auf den einzelnen Menschen und gerade auf die Fragen, die die besonderen religiösen Fragen sind, Samstag um acht Uhr dann fortsetzen; Sonntag um ein halb sieben Uhr wird die nächste eurythmische Vorstellung sein und daran sich ein Vortrag anschließen.

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NEUNTER VORTRAG Dornach, 27. August 1920

Heute vor hundertfünfzig Jahren wurde in Stuttgart Hegel geboren, und man muß, indem man an diesem Tage sich dieser Tatsache erinnert, eigentlich unwillkürlich von dem Gefühl durchdrungen sein der unge­heuren Veränderung und Umwandlung, welche die Zeiten erfahren haben seit der Geburt dieses für die ganze moderne Zivilisation so außerordentlich charakteristischen Geistes. Hegel schließt ja in sich gewissermaßen den Extrakt des Geisteslebens jenes mitteleuropäischen Gebietes, das sich nach seinem Wirken so wesentlich verändert hat, das jetzt beginnt, von diesem mitteleuropäischen Gebiete, in dem es eine gewisse Rolle gespielt hat, geradezu ideell zu verschwinden.

Hegel ist in Stuttgart, im Schwabenlande geboren, hat die Jahre seiner Reifung, die Jahre der Entwickelung der besonderen Art seines Geistes in Mitteldeutschland verlebt und war dann in der letzten Epoche seines Lebens eine in Norddeutschland einflußreiche Persönlich­keit, einflußreich insbesondere für das Unterrichtswesen, aber auch für manche andere geistige Angelegenheiten Norddeutschlands. Am 27. Au­gust 1770 in Stuttgart geboren, kam Hegel, der sich langsam aus einer gewissen schwerfälligen Geistigkeit heraus entwickelte, im achtzehnten Lebensjahre an die Tübinger Universität, studierte dort Theologie und machte die Bekanntschaft vor allen Dingen des viel beweglicheren, geistig regsameren, jugendlichen Schelling, machte die Bekanntschaft des, ich möchte sagen, die schwermütigsten Empfindungen des alten Grie­chenland in die neuere Zeit heraufhebenden Hölderlin, verbrachte mit diesen beiden, mit Hölderlin und Schelling, in inniger Kameradschaft seine Studienjahre in Tübingen, wandte sich dann gleich Schelling Mit­teldeutschland, Thüringen, der Jenenser Universität zu, wo er zunächst, ebenso wie Schelling, angezogen durch die Persönlichkeit Johann Gottlieb Fichtes, seine ersten Versuche in Ausarbeitung eigener Weltanschau­ungsideen machte. Er wirkte an der Universität bis zum Jahre i 806. In diesem Jahre vollendete er sein erstes größeres, selbständiges Werk, «Die Phänomenologie des Geistes», wie man sagt, während die Kanonen

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Napoleons um Jena herum donnerten. In diesem Werke ist enthalten der Versuch, alles dasjenige in Gedanken wiederzuerleben, was das menschliche Bewußtsein erleben kann von seinen dumpfesten Welt-eindrücken bis zu jener Klarheit herauf, wo der Mensch in einer solchen Intensität die Ideenwelt durchlebt, daß ihm diese Ideenwelt selbst als die Substanz des Geistes erscheint. Man möchte sagen, etwas wie eine Weltreise des Geistes ist diese «Phänomenologie des Geistes».

Die damals schwierigen Verhältnisse in Deutschland brachten Hegel um seine Stellung an der Universitat in Jena. Er blieb aber weiter im mittleren Deutschland und redigierte zunächst ein Jahr etwa eine poli­tische Zeitung in Bamberg, war dann Gymnasialdirektor in Nürnberg, bis er für wenige Jahre Universitätsprofessor in Heidelberg wurde. Während seiner Nürnberger Zeit arbeitete er sein bedeutsamstes Werk, die «Wissenschaft der Logik» aus. In Heidelberg schrieb er seine «Enzy­klopädie der philosophischen Wissenschaften». Dann wurde er berufen an die ja aus dem Geiste Fichtes und Humboldts heraus begründete Ber­liner Universität, an der er eine einflußreiche Tätigkeit ausübte, welche Tätigkeit sich eben ausdehnte über das gesamte Unterrichtswesen, das von Berlin aus verwaltet werden konnte, und auch über andere geistige Angelegenheiten.

Hegel war eine merkwürdige Persönlichkeit schon äußerlich, wenn er vortrug. Er hatte seine geschriebenen Manuskriptblätter vor sich, die aber immer, wie es scheint, ungeordnet waren, so daß er fortwährend blät­terte, suchte. Er war etwas ungelenk im Darstellen, brachte nur schwer seine Sachen hervor. Der Gedanke in ihm arbeitete, arbeitete aus tiefen Untergründen der Seele heraus, während er vortrug, gestaltete sich außerordentlich schwer zum Worte, das wie stotternd und wie abgeris­sen hervorkam. Dennoch aber soll sein Vortrag, der in dieser Weise, wie fortwährend sich unterbrechend, an die Zuhörer herantrat, einen außerordentlich großartigen Eindruck gemacht haben auf diejenigen, die einen Sinn dafür hatten, auf eine solche Persönlichkeit einzugehen. Aber auch sonst hatte Hegel merkwürdige persönliche Eigenschaften. Er lebte sich wirklich ein in die ganze Struktur der Umgebung, in der er sich befand, er erlebte mit die Struktur dieser Umgebung. Und so kann man bemerken, wie er tatsächlich aus dem schwäbischen Milieu

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herauswächst, wie er gewissermaßen den Schwabengeist mit all seinen besonderen charakteristischen Merkmalen in sich hat, bis er - nachdem er die Universität absolviert hatte, war er einige Zeit auch Hauslehrer in der Schweiz und in Frankfurt am Main -, bis er in die Schweiz und nach Frankfurt am Main kam, wo er sich verhältnismäßig schnell wie­derum in die andere Umgebung einlebte.

Und dann kam er nach Jena, wo Fichtes Feuergeist wirkte, wo vor allen Dingen etwas war wie eine Zusammenfassung des ganzen mittel­europäischen Geisteswesens, eine Zeit, von der sich heute die Menschen kaum noch eine Vorstellung machen können. Es war ja so, daß, wenn Fichte in seiner Art die durchaus voll auf einer hohen geistigen Stufe stehenden Auseinandersetzungen im Hörsaale machte, die aber trotz­dem auf einer abstrakten Höhe standen, diese Auseinandersetzungen sich in Debatten bis in die Straßen und öffentlichen Plätze in Jena fort-setzten; so daß in der Tat solch ein Vortrag Fichtes nicht bloß eine Aus­einandersetzung mit irgendwelchen Problemen war, sondern ein Ereig­nis war, ein Ereignis auch in der Hinsicht, daß von allen irgendwie nicht allzuweit von Jena abliegenden Orten dazumal nach Weltanschauung bedürftige Persönlichkeiten in Jena sich einfanden. Und wer Briefschaf­ten liest, die ja reichlich vorhanden sind, in denen Persönlichkeiten sich aussprechen, die in Jena Fichte gehört haben, der stößt immer wieder und wiederum auf Stellen, die von dem ungeheuren geistigen Einfluß Fichtes sprechen. Ja, man muß sagen, nach vielen Jahren, nachdem Fichte längst gestorben war, nach Jahrzehnten noch drücken sich Per­sönlichkeiten, die ihn in Jena gehört haben, in der Weise aus, daß sie von jenem großen Einflusse auf ihre Seele sprechen, den sie erfahren haben durch Fichte in Jena.

Angeregt durch das, was da Gewaltiges an Geist in die Welt floß, war der philosophische Feuergeist Schelling, war auch der schwerfälligere Georg Friedrich Wilhelm Hegel, der sich aber mit Schelling zusammen-tat, um die Fichtesche Philosophie weiterzubilden. Schelling und Hegel gaben dazumal in Jena im Beginne des vorigen Jahrhunderts das «Kri­tische Journal der Philosophie» heraus, das sich in seinen Artikeln durch­aus auf den höchsten Höhen philosophischen abstrakten Denkens be­wegte, aber so, daß man sieht: die in dünne Abstraktionen gesenkten

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Auslassungen beschäftigen sich, wie unmittelbar aus dem menschlichen Herzen hervorsprudelnd, mit denjenigen Angelegenheiten des Men­schen- und Weltlebens, die die Gipfelpunkte alles Weltanschauungs­strebens nun einmal sind. Dann arbeitete sich Hegel zu einer gewissen Selbständigkeit heraus und schrieb eben bis i806 seine «Phänomenologie des Geistes», die aber eigentlich eine Phänomenologie des Bewußt­seins ist.

Immer stand Hegel, wie ich sagte, in dem ganzen Milieu darinnen. Tief in seinem Inneren arbeiteten die Rätsel, die in seiner Umgebung waren. Und so, wie es der Schwabengeist war mit seiner - nun, ich will nicht unhöflich sein - bei einzelnen auserlesenen Schwaben sich finden­den Tiefe, wie es der Schwabengeist war in seiner Jugend, der in ihm so recht zur Offenbarung kam, so war es dieser ganze, das neuere Geistes-streben in Konzentration zusammenfassende Philosophengeist, der ihn in Jena im Beginne des 19.Jahrhunderts ergriff, und aus dem heraus er schrieb und wirkte, aus diesem philosophischen Geist, der sich aber immer nährte an einem Überblicke, den er sich unaufhörlich über die allgemeine Weltlage machte.

Aus diesem heraus entstand auch Hegels «Logik», keine gewöhnliche Logik, sondern etwas ganz anderes. Sie ist im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts geschrieben. Man möchte sagen: Die allereigentüm­lichste Art des Strebens der Menschheit auf der höchsten Höhe tritt ge­rade in dieser Hegelschen Logik zutage.

Logik ist für Hegel etwas wie eine Art Zusammenfassung desjenigen, was das Griechentum in einer etwas andern Art, als es Hegel tat, unter Logos verstand - die Weltvernunft. Hegel war dazu gekommen, wäh­rend jenes inneren, tiefen Erlebens, das er durchmachte bei der Aus­arbeitung seiner «Phänomenologie des Geistes», so recht zu fühlen:

Wenn der Mensch sich erhebt bis zum intensiven Erleben der Idee, also der Ideen der Welt, dann ist dieses Erleben der Idee nicht mehr ein Gedankenerleben bloß, dann ist dieses Erleben der Idee ein Erleben des göttlichen Weltelementes in seiner Wahrheit, in seiner Reinheit, in seiner lichten Klarheit. Etwas, was in Mitteleuropa in den Geistern, in den Seelen seit Jahrhunderten pulste, es kam auf besondere Art in Hegel dazumal zum innerlich seelischen Dasein. Man braucht sich nur zu

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erinnern an die tiefe Mystik des Meister Eckhart, des Johannes Tauler -wir haben sie in diesen Tagen von einer andern Seite kennengelernt, aber tief bleibt sie doch, und das Erleben bleibt ja dasselbe, auch wenn man die tieferen okkulten Untergründe kennt, von denen ich vor eini­gen Tagen hier gesprochen habe-, man braucht nur zu denken an dieses mystische Erleben, wie es dann etwa in Valentin Weigel, selbst in Para­celsus, in Jakob Böhme innerliche Offenbarung wurde, und man braucht sich nur dasjenige, was Geister wie der Meister Eckhart oder der Johannes Tauler mehr aus einem intensiven Gefühle heraus als abstrakt erlebten, was Jakob Böhme in Bildern auseinanderlegte durch inneres Erleben, man braucht sich das nur in die helle, lichte Klarheit der Weltideen zu verwandeln und also an die Stelle von Gefühls- und Bildermystik Ideenmystik zu setzen, dann hat man das Erleben, das Hegels Erleben war, als er die «Logik» schrieb: ein Aufgehen der Seele in reinen Ideen, aber mit der Überzeugung, daß diese Ideen die Weltsubstanz sind, ein Leben in dem, was Nietzsche später genannt hat die kalte, eisige Ideen-region, aber bei Hegel ein Erleben der Ideen mit dem Bewußtsein, daß dieses Erleben der Ideen ein Zwiegespräch mit demWeltengeiste selber ist.

Was da Hegel erlebte, nicht in vagen Definitionen von einer Einheit der Welt, nicht in solchen vagen Begriffen, wie sie die Pantheisten aus­einandersetzen, sondern in konkreten Ideen, die zu verfolgen waren von dem einfachen Sein bis herauf zu der vollerfüllten Idee des Organis­mus und des Geistes, was da erlebt werden kann in aller Breite der ent­wickelten Ideenwelt, das faßte Hegel zusammen in seiner «Logik»; so daß in seiner «Logik» gegeben werden will ein Organismus der dem Menschen möglichen Ideen, die aber zu gleicher Zeit, indem sie der Mensch erlebt, die Gewißheit zeigen, daß sie dasselbe sind, wonach der Weltengeist die Wirklichkeit werden läßt. Daher nennt Hegel auch den Inhalt seiner «Logik» die Göttlichkeit vor der Erschaffung der Welt. Aber eisig ist die Region, in die der Mensch versetzt wird, der Hegels «Logik» nachstudiert, eisig ist diese Region, denn Hegel bewegt sich durchaus in demjenigen, was der gewöhnliche Mensch die äußerste Abstraktion nennt. Er beginnt als die einfachste Idee das Sein hinzu-setzen, geht dann in das Nichts über, schreitet fort vom Sein durch das Nichts dialektisch zum Werden, zum Dasein und so weiter, zum Fürsich-Sein,

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zum Wesen, zur Substantialität, zur Kausalität und so weiter; und man bekommt nicht dasjenige, was der gewöhnliche Mensch will, wenn er innerlich in seiner Seele erfüllt werden will von der göttlichen Weltenwärme; man bekommt eine Summe von, wie eben im gewöhn­lichen Leben gesagt wird, abstrakten Ideen.

Was ist diese «Logik»? Diese «Logik», wenn man sich in sie vertieft, sie wird schon zu einem Erlebnis; sie wird sogar zu einem Erlebnis, das einem viel Aufschluß geben kann über manche Geheimnisse des Men­schen und der Welt überhaupt. Man möchte sagen: Dasjenige, was man da erlebt an Hegels «Logik», es läßt sich im Grunde genommen erst durch die Geisteswissenschaft richtig charakterisieren. Man findet erst aus der Geisteswissenschaft heraus Worte, durch die man dieses Erlebnis charakterisieren kann. Es geht einem da ganz merkwürdig. Rosenkranz, der Schüler Hegels, der seinem Meister ganz ergeben war, er hat uns eine wirklich nicht nur liebenswürdig, sondern auch geistvoll geschrie­bene Biographie von Hegel geschenkt. Er spricht in dieser Hegel-Bio­graphie Worte aus, die, ich möchte sagen, für die Zeitentwickelung in gewisser Beziehung signifikant sind. Er sagt, etwa so Mitte der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts: Wir sind eigentlich die Totengräber der großen Philosophen. Und er zählt dann auf, wie die großen Philosophen um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert aus der europäischen Zivili­sation aufgestiegen sind, und wie sie eigentlich in jener Zeit gestorben waren. Man bekommt ein wehmütiges Gefühl, wenn man gerade diese Stelle in Rosenkranz' Hegel-Biographie liest, denn es ist etwas sehr Wahres ausgesprochen. Dieses 19. Jahrhundert, indem es immer mehr und mehr vorrückte, wurde zum Totengräber nicht nur der Philo­sophen, sondern der Philosophie, ja der großen Weltanschauungsfragen überhaupt. Dasjenige, was uns jetzt entgegentritt mit solchen Riesen-schritten, der Verfall der europäischen Zivilisation, er zeigte sich zuerst auf den philosophischen Höhen. Die anmaßenden philosophischen Systeme aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind ja im Grunde genommen Niedergang.

Aber auf dem Boden der Geisteswissenschaft kann man nicht so spre­chen, wie Rosenkranz gesprochen hat; auf dem Boden der Geisteswis­senschaft muß, ich möchte sagen, auch lebendig werden dasjenige, was

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äußerlich physisch tot ist. Denn dasjenige, was im Menschen ewig ist, wirkt ja ewig fort, auf der einen Seite in übersinnlichen Welten, auf der andern Seite aber auch in der irdischen Welt selber; und wenn es den Niedergangsimpulsen zufällt, die Totengräber zu haben, so fällt es der Geisteswissenschaft zu, das seelisch Ewig-Lebendige aus dem Toten her-auszusuchen und es in seinem Fortleben vor die Welt hinzustellen. Des­halb möchte ich auch heute nicht von dem toten Hegel sprechen, sondern von dem lebendigen Hegel.

Aber allerdings, Lebendige solcher Art, wie Hegel es war, sie werden in gewisser Beziehung zu gleicher Zeit zu scharfen Kritikern desjenigen, was in unserer Zeit zum Teil aus der Schläfrigkeit der Seele, zum Teil aus bösem Willen heraus sein Bündnis mit den Niedergangsmächten schließt. Und so muß ich vom geisteswissenschaftlichen Standpunkte sagen: Ja, wahr ist es, in einer kalten, eisigen Region zunächst abgezo­gener Begriffe verläuft die logische Dialektik Hegels. Man lebt eigentlich in lauter Begriffen, indem man die Hegelsche «Logik» durchlebt, die der gedankenlose Mensch nicht liebt, bei denen der gedankenlose Mensch sagt: Das interessiert mich nicht. - Aber gerade diese Begriffswelt Hegels, gerade diese Summe von scheinbaren Abstraktionen, gerade diese eisig kalten Begriffe, was sind sie denn? Man kann nachforschen in dem, was einem gerade die Geisteswissenschaft gibt, was diese Begriffe sind. Sie können ja ganz ohne Zweifel die ewige Weltvernunft selbst nicht sein, denn diese ewige Weltvernunft hätte nimmermehr aus dieser Summe von bloßen Abstraktionen heraus die ganze vielgestaltige und vor allen Dingen nicht die ganze wärmehaltige Welt erbilden können. Wie dünne Begriffsschleier - Hegel nennt selbst seine Ideen der Logik Schattenbilder -, so nehmen sich diese logischen Begriffe, diese logischen [deen aus.

Also dasjenige, was Hegel zunächst in seinem Glauben erlebte von dieser Logik, das kann sie natürlich nicht sein; sie ist eine Summe von Ideen, die beginnt bei dem Sein, geht durch das Nichts zum Werden und so weiter, durch lauter solche Begriffe, und endet bei der ihren Zweck in sich selber tragenden Idee, also bei dem, was das gewöhnliche Bewußtsein auch noch eine Abstraktion nennt. Also gewiß, die Welt erschaffen aus solchen Ideen hätte man nicht können, und dasjenige, was

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lebendiger Geist ist, was ja erfaßt werden muß im übersinnlichen Er­kennen als lebendiger Geist, das ist auch diese Logik nicht. Es ist schon, ich möchte sagen, aus einem subjektiven Empfinden heraus, wenn Hegel sagt, der Inhalt dieser Logik, das seien die Gedanken Gottes vor der Erschaffung der Welt. Man könnte nimmermehr die reiche Fülle der Welt irgendwie erfassen aus diesen Gedanken heraus. Und dennoch, das Erlebnis, wenn man sich nur überhaupt darauf einläßt, ist ein star­kes, ein gewaltiges. Was ist es denn eigentlich, was in dieser Logik ent­halten ist?

Wenn Sie hier unseren Bau betrachten - er soll als die Mittelpunkts-gruppe haben am Ostende in der Mitte eine Art Christus-Gestalt, über­ragt von Luzifer, und darunter, gewissermaßen in die Erde gestoßen von dem Menschheitsrepräsentanten, der in sich das seelische Gleich­gewicht vollständig hält, Ahriman. Es soll da dargestellt sein die volle Menschlichkeit in dieser Gruppe. Der Mensch ist ja in Wirklichkeit das­jenige, was das Gleichgewicht suchen muß zwischen dem, was über den Menschen hinaus will und zwischen dem, was den Menschen zum Boden hinunterzieht, zwischen dem Luziferischen und dem Ahrimanischen. Physiologisch, physisch gesprochen ist ja das Luziferische in uns die­jenige Kraft, die den Menschen zum Fieber, zum Pleuritischen bringt, dasjenige, was den Menschen in Wärmeverhältnisse bringt, die ihn auf­lösen, die ihn in der Welt zerstieben lassen, und dem Ahrimanischen, das ihn verknöchert, verkalkt. Seelisch gesprochen ist der Mensch das­jenige, was das Gleichgewicht suchen muß zwischen schwärmerischer Mystik, zwischen Theorie, zwischen alldem, was zu dem Wesenlosen, aber vom Lichte Durchhellten hinauf will, und demjenigen, was zum Pedantischen, zum Philiströsen, zum Materialistischen, zum Intellek­tualistischen den Menschen hinunterzieht. Geistig gesprochen muß der Mensch das Gleichgewicht halten zwischen dem, was ihn immer ein­schläfert, was ihn immer dazu bringt, wie sich hinzugeben an das Wel­tenall: das Luziferische, und demjenigen, was ihn immerfort aufweckt, was ihn durchzuckt mit jener Gewalt, die ihn nicht schlafen läßt: dem Ahrimanischen. Man begreift das menschliche Wesen nicht, wenn man es nicht hineinstellen kann in die Mitte zwischen dem Luziferischen und dem Ahrimanischen.

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Aber dasjenige, was da die Menschenseele in dieser Mitte erlebt, ist ein Kompliziertes, und die Menschenseele erlebt eigentlich dieses Kom­plizierte nur im Laufe der Zeit, im Laufe der Entwickelung, und man muß die einzelnen Etappen dieser Entwickelung verstehen. Man kann sagen: Wer Hegel versteht, wie er seine «Logik» ausarbeitet, der sieht, wie die Menschheit in dieser Zeit, da Hegel seine «Logik» ausarbeitet -im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts -, beginnt zu verkalken, be­ginnt materialistisch zu werden, dicht zu werden, in die Materie ver­strickt zu werden. Wie ein Versinken in die Materie im Wissen, im Er­kennen ist es in dieser Zeit. Und es erscheint einem wie im Bilde diese Menschheit, im Materiellen versinkend, Hegel wie in der Mitte stehend, mit aller Gewalt sich herausarbeitend und entreißend Ahriman das­jenige, was Ahriman Gutes hat: die abstrakte Logik, die wir brauchen zu unserer innerlichen Befreiung, ohne die wir nicht zum reinen Denken kommen, diese entreißend den Mächten der Schwere, diese entreißend den irdischen Mächten und sie hinstellend in ihrer ganzen kalten Ab-straktheit, damit sie nicht in demjenigen Elemente lebe, das das Ahri­manische im Menschen ist, sondern damit sie heraufkomme in das menschliche Denken. Ja, diese Hegelsche Logik ist den ahrimanischen Mächten entrissen, entrungen und der Menschheit gegeben; sie ist das­jenige, was die Menschheit braucht, ohne das sie nicht vorwärtskommen kann, was aber erst Ahriman entrissen werden mußte.

So bleibt die Hegelsche Logik tatsächlich etwas Ewiges, so muß sie fortwirken. Sie muß immer wieder gesucht werden. Man kann ohne sie nicht auskommen. Will man ohne sie auskommen, so verfällt man ent­weder in die Weichlichkeit der Schleiermacherei, oder man versinkt in dasjenige, in das man sogleich versunken ist, als man an Hegel sich heran-machte und ihn nicht fassen konnte. Denn da steht, ich möchte sagen, während auf der einen Seite das Bild des Hegel auftritt, der sich heraus-erhebt aus dem Ahrimanischen, der dasjenige, was von Ahriman als reine Logik für die Menschheit zu retten ist, für das menschliche Denken wirklich rettet, da steht auch auf der andern Seite das Bild von Karl Marx auf, der auch sich an Hegel orientierte, das Hegelsche Denken aufnimmt, aber von Ahrimans Klauen ergriffen wird und in die tiefsten Tiefen des materiellen Sumpfes hineingerissen wird, der mit Hegels

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Methode zum historischen Materialismus kommt. Da sieht man unwill­kürlich nebeneinander den nach aufwärts strebenden Geist, der dem Ahriman die Logik entreißt, und neben ihm denjenigen, der mit dieser Logik, weil man mit ihr sich eben aufrechterhalten muß durch alle inneren menschlichen Seelenkräfte, der versinkt in das Ahrimanische.

So steht schon Hegel da als ein Geist, den man nur fassen kann, wenn man ihn zu fassen sucht mit den Begriffen, die eigentlich nur wiederum die Geisteswissenschaft geben kann. Das ist dasjenige, was Hegel gewor­den ist aus jenen Wirkungen, die auf ihn ausgeübt worden sind durch die flammenden Fichte-Worte in Jena, deren Extrakt er dann in seiner Art ausgebildet hat während seiner Bamberger, während seiner Nürn­berger, während seiner Heidelberger Zeit.

Und dann wurde er nach Norddeutschland versetzt. Immer stand er darinnen in demjenigen, was seine Umgebung war. Sein Inneres weckte in menschlich-persönlicher Art auf das, was seine Umgebung war. So wurde er eben der einflußreiche Geist der Berliner Universität. Und jetzt erlebte die Welt von ihm dasjenige Werk, das er ja aus der Mitte der modernen Zivilisationswelt heraus schaffen mußte, wenn er wirklich ein solcher Geist war, der dieser Mitte voll angehörte. Wir haben ja charak­terisiert in den letzten Wochen den Osten, die Mitte und den Westen, haben gefunden, wie im Westen besonders das wirtschaftliche Denken blüht, im Osten das geistige Denken blühte, wie in der Mitte das Recht­liche, Staatliche zur besonderen Blüte sich erhoben hat. Fichte hat ein Werk über Naturrecht geschrieben. Mit Rechtsideen beschäftigten sich die erleuchtetsten Geister. Hegel stellte vor die Welt hin gerade in der Zeit, als er seinen Übergang nach Norddeutschland fand, seine «Grund­linien der Philosophie des Rechts, oder Naturrecht und Staatswissen­schaft im Grundrisse». All das, was man nennen könnte Verleumdung Hegels, ist ja vielfach gerade von diesem Buch ausgegangen, das den merkwürdigen Satz enthält: Alles Vernünftige ist wirklich und alles Wirkliche ist vernünftig. - Wer aber ermessen kann, daß ja Hegel es war, der den ahrimanischen Mächten die Menschenvernunft abgerungen hat, der wird auch ermessen, daß er ein Recht dazu hatte, überall in der Welt nun diese Vernunft zu suchen, diese Vernunft geltend zu machen. Und so wurde er - weil er sich lediglich in dem Ahrimanischen bewegte, das

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nicht hinaufführen kann in dasjenige, was vor der Geburt liegt, in das­jenige, was nach dem Tode wirkt -, er wurde zum Interpreten der Geistigkeit, aber nur der Geistigkeit des Irdisch-Physischen: er wurde zum Natur- und Geschichtsphilosophen. Aber er stellte dasjenige hin, was lebt in der Außenwelt im Verhältnis von Mensch zu Mensch, was sich dann systematisch ausbildet als organisiertes Menschenleben; er faßte das in seinem Begriff vom objektiven Geiste zusammen. Er sah in dem Ausleben des Rechtes, der Sitte, in dem Ausleben von Verträgen und so weiter, den in der sozialen Organisation selber wirksamen Geist. Er stand mit diesen Dingen nicht nur im räumlichen, sondern auch im zeitlichen Milieu durchaus drinnen. Es war ja noch der Geist der Zeit, wo insbesondere in dem Gebiete, in dem Hegel lebte, der Staat nicht so angebetet worden ist wie später. Deshalb ist es auch nicht richtig, wenn man dasjenige, was bei Hegel als Begriff des Staates auftritt, in demselben Lichte sieht, in dem man später den Staat sehen mußte. Hegel anerkannte zum Beispiel innerhalb seines Staatsgebildes noch freie Korporationen, ein korporatives Leben. Alles dasjenige, was im Preußischen später als antihuman zutage getreten ist, das war ja dazumal noch nicht vorhanden, als Hegel in einer gewissen Weise, ich möchte sagen, die Staatsidee gerade in Preußen theifizierte; aber es ging das hervor aus seinem Streben, in der Welt die Vernunft zu sehen, die Vernunft, die er in seiner Logik dem Ahriman abgerungen hatte.

Und nun muß man schon sagen: Das ist ja im Grunde die Tragik, die sich in so erschütternder Weise geschichtlich dann vollzogen hat. Das­jenige, was in Mitteleuropa lebt, es ist ja etwas, was nicht in derselben Weise angeschaut werden darf, wie der Westen es, insbesondere seit den Verlogenheiten der letzten Jahre, ansieht, es ist etwas, was gerade dadurch besonders zu charakterisieren ist, daß es selbst einem solchen Geist, wie Oswald Spengler einer ist, jetzt noch den Eindruck macht, es müsse aus ihm heraus die einzige Rettung, die einzige soziale Rettung geboren werden für die Niedergangszeiten; nicht um den Niedergang aufzuheben - an eine solche Aufhebung glaubt Spengler nicht -, aber um den Niedergang nur erträglich zu machen, der sich vollziehen wird, bis im Beginne des nächsten Jahrtausends die vollständige Barbarei da sein werde.

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Man darf sagen: Hegel steht in den zwanziger Jahren des 19. Jahr­hunderts wie der über das gesamte Unterrichtswesen Preußens gebie­tende Geist da, steht da mit jener Art von Vernünftigkeit, die ich Ihnen eben jetzt charakterisiert habe, die, ich möchte sagen, aus dem Eis des Ahriman geboren ist, aber die auch etwas hat von einer inneren Straff­heit der Geistorganisation, die nichts Mathematisches hat, die aber etwas von einer ungeheuren Kraft hat, etwas von Feingeistigkeit hat.

Und nun muß man eigentlich gestehen: Dasjenige, was da in diesem Mitteleuropa vorhanden war, was ja immerhin auch durch die Seite zu charakterisieren ist, daß es im 9. Jahrhundert noch Blutopfer in seiner Unkultur hatte, das hat Eigenschaften gezeitigt, die einen gewissen Wert haben dann, wenn sie von einer solchen Geistigkeit befehligt werden, wie sie die Hegelsche war. Aber die ist selten, die wiederholte sich nicht. Die Schüler Hegels waren alle im Grunde genommen kleine Geister, und derjenige, der in gewisser Beziehung ein großer Geist war, Karl Marx, verfiel sogleich den ahrimanischen Mächten, und was sich dann ausbreitete, das war eben dasjenige, was den Sturz in die ahri­manischen Tiefen vollzog. Aus dem, was da stürzte, hat Hegel etwas gerettet, was aber ewig sein muß, und was er daraus nur dadurch retten konnte, daß er es gerade aus diesem Element heraus rettete. Das mußte schon solch ein Extrakt, seelischer Extrakt des mitteleuropäischen We­sens vollbringen, wie Hegel es war: Schwabe von Geburt, Schwabe in bezug auf sein Jugendland, Mitteldeutscher, Franke und Thüringer in bezug auf seine Reifejahre, und in bezug auf die letzte Epoche seines Lebens so stark Preuße, daß er Preußen wie den Mittelpunkt der Welt empfand und Berlin die Mitte des Mittelpunktes nannte. Aber es liegt eine gewisse Kraft, wahrhaftig nicht eine physische Kraft, sondern eine andere Kraft, eine geistige Kraft in diesem Hegeltum, und es liegt in ihm etwas, das aufgenommen werden muß von jeder geistigen Weltanschau­ung. Denn rachitisch müßte werden jede Geisteswissenschaft, die nicht durchdrungen werden könnte von dem knöchernen Ideensystem, das dem Ahriman, dem verknöchernden Ahriman abgerungen worden ist durch Hegel. Man braucht dieses System. Man muß in einer gewissen Weise daran innerlich stark werden. Man braucht diese kühle Besonnen­heit, wenn man nicht in nebuloser, warmer Mystik verkommen will

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beim geistigen Streben. Man braucht auch die Kraft, die in Hegel lebte, man braucht seine Kraft zum Vernunftbekenntnis, wenn man nicht untersinken will in dasjenige, in das Karl Marx sogleich untergesunken ist, als er selbständig die Hegelsche Geistigkeit in sich verarbeiten wollte.

Es ist notwendig, es wäre notwendig, daß in diesem Zeitpunkte, der vielleicht einer der wichtigsten ist, noch wichtiger als 1914, möglichst viele Menschen sich gerade an das Bedeutsame in Hegel erinnern. Denn die Seelen könnten in einer gewissen Weise aufwachen gerade an Hegel. Und Aufwachen ist nötig. Man glaubt es nicht, man will es nicht glau­ben, welche Gefahren eigentlich in der Zivilisation Europas und seines amerikanischen Anhanges walten; man will nicht glauben, welche Nie­dergangskräfte vorhanden sind. Man rechnet ja eigentlich nur mit den Niedergangskräften heute im öffentlichen Leben. Die Aufgangskräfte will man nicht spüren. Lassen Sie uns einzelne charakteristische Dinge hervorheben, die gerade in den letzten Tagen einem aufstoßen können: Woran denkt denn zum Beispiel dasjenige, was jetzt Gesinnung wird in der zivilisierten Welt gegenüber dem geistigen Leben, jenem geistigen Leben, das eben überkommen ist - es ist nicht unser Geistesleben, wir wollen einen neuen Geist hineinbringen in die Zivilisation der Mensch­heit -, aber woran denkt denn dasjenige, was jetzt immer mehr und mehr als Gesinnung in bezug auf das geistige Leben sich ausbreitet? - Sie können das entnehmen einem Artikel, den der Rektor der Universität Halle vor ganz kurzer Zeit in den «Hallischen Nachrichten» unter der Überschrift «Abbau der Universitäten» geschrieben hat! Er schreibt: «Es scheint nun so viel festzustehen, daß tatsächlich von einer Regierungs­stelle der Vorschlag gemacht worden ist, einen Teil der deutschen Uni­versitäten abzubauen. Man hält andere erzieherische Aufgaben für wich­tiger und glaubt, daß für sie größere Mittel flüssig gemacht werden müßten. Und da diese fehlen, so will man einige Universitäten eingehen lassen, um eine Art Beamtenschule zu gründen, auf der Personen, die nicht durch die Universitäten gegangen sind, so weit gebildet werden sollen, daß sie die ihnen übertragenen Amter verwalten können.»

Beamtendressur, da beginnt es! In Rußland ist es im vollen Gange. Und die westlichen Menschen glauben nicht daran. Sie werden es bitter erleben müssen, daß auch sie werden daran glauben müssen, wenn nicht

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ein Aufwachen der Seelen stattfindet, wenn selbst die besten Geister fortwährend taube Ohren haben gegen alles dasjenige, was vom Geiste spricht, und in den alten Phrasen von Liberalismus, von Konservatis­mus, von Pazifismus, von allem möglichen die Welt unterhalten zu ihrem eigenen Amüsement, jedenfalls aber nicht zum Heile dieser Welt.

Und die Moralität, sie geht gerade unter unseren Intellektuellen in einer rasenden Art bergab. Dafür auch ein kleines Zeichen.

Ich sende voraus, daß Ernst Haeckel, als er von seiner Jenenser Pro­fessur zurücktrat, seinen nach Berlin gekommenen Schüler Plate selbst zu seinem Nachfolger bestimmte. Er setzte ihn ein sozusagen, denn Haeckels Stimme bedeutete an der Universität Jena etwas, als sich Haeckel pensionieren ließ; er setzte Plate ein in alle die Amter, die er hatte, in die Professur, in die Verwaltung des Zoologischen Instituts, aber auch des Phyletischen Museums, das für Haeckel selber gestiftet worden war durch die Haeckel-Stiftung, die zustande gekommen war; an Haeckels sechzigstem Geburtstag wurde dieses Phyletische Museum gegründet. Das alles war es, wovon Haeckel sich zurückzog und für das er seinen Schüler Plate einsetzte. Nun möchte ich Ihnen eine Nachricht der letzten Tage vorlesen:

«Vor einem Jahre, acht Tage nach Ernst Haeckels Tode, machte ein Nachruf Dr. Adolf Heilborns im zum erstenmal Mitteilung von dem Martyrium, welches Haeckel durch das Verhalten Professor Ludwig Plates in seinen letzten zehn Lebensjahren auferlegt wurde. Am 1. April 1909 hatte Haeckel den zoologischen Lehrstuhl in Jena, den er achtundvierzig Jahre hindurch eingenommen hatte, und das Direktorat des Zoologischen Instituts und des Phyletischen Museums an seinen Berliner Schüler Ludwig Plate abgetreten, wofür dieser der herzlichsten Dank aussprach. Eine der ersten Amtshandlungen Plates nach seiner Übersiedlung war die Forderung, Haeckel solle unverzüglich sein Arbeitszimmer im Zoologischen Institut räumen, und als Haeckel protestierte, kam die Erklärung: Diesen Auftakt und die weitere Entwicklung des Konflikts hat Heilborn als Haeckels Schüler und Freund in einfachen Worten an dieser Stelle

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erzählt, mit dem Erfolg, daß Professor Ludwig Plate eine Beleidigungs­klage beim Amtsgericht Jena gegen ihn eingeleitet hat. Nunmehr über­gibt Dr. Heilborn in einer kleinen Schrift (Hoffmann u. Campe, Hamburg/Berlin 1920) auf Grund unveröffentlichter Briefe und Aufzeichnungen Haeckels und offizieller Akten den ganzen Sachverhalt der Öffentlichkeit. Heilborn konnte sich der Wendung bedienen, die ein witziger Anwalt einmal vor Gericht gebraucht hat: Nichts belastet Plate schärfer als seine eigenen Äußerungen. Von Haeckel, der der Universität an Stiftungen über eine Million Mark, seine große Bibliothek und seine in 55 Jahren erworbenen Sammlungen unentgelt­lich zugeführt hatte, verlangt er eine Anzahl angeblich fehlender Bücher, ein anderes Mal eine größere Anzahl Pappkartons zurück. Und urteilt dann so: und: »

Soweit Plate - Haeckel. Ich muß an einen Vortrag denken, den Otto­kar Lorenz, einer der besseren Historiker der früheren Zeiten, einmal hielt. Ich bin mit seinem Inhalte nicht einverstanden gewesen, aber eine Wendung gleich im Anfange gefiel mir doch. Ottokar Lorenz hatte zu sprechen bei einem Schiller-Jubiläum über «Schiller als Historiker». Wie gesagt, ich bin mit dem Inhalt dessen, was er gesagt hat, nicht einverstan­den gewesen, aber er sagte: Ja, eigentlich ist vom Standpunkte der heu­tigen Wissenschaft über Schiller als Historiker nichts weiter mehr zu sagen. Wenn ich aber doch noch etwas sage, geschieht es im Auftrage des Hohen Senates und meiner Herren Kollegen - da saß alles herum, der Hohe Senat und die Herren Kollegen. Und so möchte ich sagen - jetzt kommt dasjenige, was als eine ganz besondere, nun, sagen wir, Enunziation des Hohen Senates und der Herren Kollegen erscheint. Da steht nämlich:

«In der akademischen Welt Jenas stand Plate ganz allein» - ich möchte wissen, ob er allein gestanden hat, wenn er ins Kolleg gekommen ist. - «In der akademischen Welt Jenas stand Plate ganz allein» - ich möchte wissen, ob er allein gestanden hat, wenn er ins Kolleg gekommen ist. — «Der Anatom Schwalbe schreibt einmal: ‹Es ist unglaublich, wie...

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sich Plate benommen hat. Mich wundert, daß die Studenten in Jena nicht reagiert haben. Das wäre eine wirklich gute Tat, wenn sie Plate herausgraulen könnten...›»

So schreiben die Professoren, die «Herren Kollegen», die furchtbar bedauern, daß die Studenten den Plate nicht hinausgegrault haben. Die Herren Kollegen aber, die so schreiben - selbstverständlich in Privat-briefen -, haben es wohl vermieden, unfreundlich zu sein mit Herrn Plate, wenn er ins Kolleg gekommen ist.

«Heinrich Heine sagt einmal, Lessings Gegner wurden dadurch, daß sie mit ihm in Verbindung gebracht waren, vor dem spurlosen Ver­schwinden bewahrt, wie das Insekt im Bernstein. Es wäre unhöflich, diesen Vergleich auf Lebende anzuwenden, so gut er auch in eine natur­wissenschaftliche Atmosphäre paßt. Wir begnügen uns deshalb mit der Bemerkung Heilborns, daß von Plates Namen und Werk nichts übrig bleiben wird, als die dunkle Erinnerung an das Martyrium, das er Haeckel bereitet hat.»

Man könnte sehr viel ähnliche Beispiele anführen für die Gelehrten-Moral, für die Moral unserer Intelligenz der Gegenwart; denn was da­durch zutage tritt, das ist, daß wir es heute nicht zu tun haben etwa bloß mit dem Kampf dieser oder jener Weltanschauung gegen die andere Weltanschauung; wir haben es zu tun heute mit dem Kampf der Wahr­heit gegen die Lüge, und die Lüge ist es, die ihre Waffen gegen die Wahr­heit richtet. Und wichtiger als alles Streiten um sonstige Begriffe ist heute der Kampf der Wahrheit gegen die Verlogenheit, die immer weiter und weiter die Menschen ergreift.

Man hat es vielleicht übertrieben gehalten, als ich gelegentlich eines Vortrages neulich sagte: Die Menschen in Europa schlafen. Sie werden bitter erfahren - ich sagte es aus einem andern Zusammenhange her­aus -, sie werden bitter erfahren müssen, wie dasjenige, was sich als äußerster Ausläufer der westeuropäischen Weltanschauung im Bolsche­wismus über ganz Asien verbreitet, etwas ist, was von Asien, von diesen Menschen Asiens aufgenommen wird mit derselben Inbrunst, mit der sie einstmals ihr heiliges Brahman aufgenommen haben. - Das wird es nämlich, und die moderne Zivilisation wird sich bekanntmachen müssen damit. Und man empfindet den tiefsten Schmerz, wenn man in Europa

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die schlafenden Seelen sieht, die so gar nicht dazu kommen, sich diesen Ernst, um den es sich heute handelt, wirklich vor die Seele zu rufen. Ein paar Tage, nachdem ich dieses hier ausgesprochen hatte, fand ich die folgende Nachricht: «Vor einigen Tagen hatte ich Gelegenheit, bei einem Vertreter der Sowjet-Republik eine 10 000-Rubelnote zu sehen. Was mich in Erstaunen setzte, war nicht die Höhe der Rubelnote; - was mir an jenem 10 ooo-Rubelschein auffiel, war vielmehr ein in der Mitte des Papiers fein und deutlich herausgearbeitetes Hakenkreuz, Svastika.» Jenes Zeichen, zu dem einstmals der Inder oder der alte Ägypter hin-geblickt hat, wenn er von seinem heiligen Brahman sprach, er erblickt es heute auf der Zehntausend-Rubelnote! Man weiß da, wo große Politik gemacht wird, wie man auf Menschenseelen wirkt. Man weiß, was der Siegeszug des Hakenkreuzes, Svastika, das eine große Anzahl von Menschen in Mitteleuropa bereits trägt - wiederum aus anderen Untergründen heraus -, man weiß was dieses bedeutet, aber man will nicht hinhorchen auf dasjenige, was aus den wichtigsten Symptomen heraus die Geheimnisse des heutigen geschichtlichen Werdens deuten will.

Diese Deutung kann aber nur erfolgen aus dem, was geisteswissen­schaftlich zutage treten kann. Man muß den Blick hinwerfen auf das­jenige, was gegenwärtig ist. Man muß den Blick hinwerfen auf die Verwüstungstendenz gegenüber dem alten Geistesleben, das verwan­deln will selbst den Rest dieses alten Geisteslebens in Beamtenschulen und -maschinerien, das zu einer solchen moralischen Tiefe herunter-gesunken ist, wie ich es Ihnen in bezug auf Herrn Plate mitgeteilt habe, der der unmittelbare Schüler Haeckels ist, der Lieblingsschüler des see­lisch so guten Haeckels. Das hat nicht Haeckel gemacht, das macht die ahrimanisch-materialistische Kultur. In dieser Zeit - in der man aber weiß, da, wo man bewußt zu Werke geht, wie man wirken muß -, in die­ser Zeit sollte man zurückdenken an solche Geister, wie es der hundert­fünfzig Jahre vorher in Stuttgart geborene Hegel ist, der in innerem see­lisch-geistigem Kampfe den ahrimanischen Mächten diejenigen Begriffe und Ideen abgerungen hat, die man braucht, um innerliche geistige Festigkeit genug zu haben, die Leiter hinauf in die geistige Welt zu ge­hen, der aber auch noch manches andere bietet an innerer Geistesdisziplin.

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Wahrhaftig, durch das, wie er jetzt leben kann, soll Hegel geschätzt werden von seiten der Geisteswissenschaft, und wegen dessen, was heute von ihm leben kann, sei heute an seinem hundertfünfzigsten Geburts­tage an ihn erinnert.

Er starb am 14. November 1831 in Berlin an der Cholera, am Todes­tage Leibnizens, des großen europäischen Philosophen. Was er hinter­lassen hat, ist zunächst in der äußerlichen Welt entweder verkannt wor­den, von Schülern verdummt worden, oder es ist direkt ins Ahrima­nische hinuntergezogen worden, wie im Marxismus. Durch Geistes­wissenschaft muß sich der Boden finden, wo dasjenige nicht begraben werden darf, was in Georg Friedrich Wilhelm Hegel als ein Ewiges vor hundertfünfzig Jahren in Stuttgart geboren worden ist, was die besten Geistesextrakte Europas in sich schließt, was gewirkt hat durch sechzig Jahre in Mitteleuropa. Es darf nicht begraben werden, es muß in der Geisteswissenschaft zu einem Leben erweckt werden, wie wir es wahr­haftig jetzt in diesem intellektuellen, moralischen und ökonomischen Niedergange brauchen.

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ZEHNTER VORTRAG Dornach, 28. August 1920

Ich habe hier öfter erwähnen müssen, wie notwendig zu den Kräften, die einen Neuaufbau der niedergehenden Zivilisation bewirken sollen, die Wissenschaft der Initiation ist, wie notwendig es ist, dasjenige zu erkennen, was sich ergibt aus jener Betrachtung der Welt, die möglich ist von jenseits der Schwelle zur übersinnlichen Welt aus. Man kann sagen, die geistige Entwickelung der Menschheit ist ausgegangen von einem Erkennen und demgemäßen Empfinden, Fühlen und Wollen, das hergenommen war von jenseits dieser Schwelle. Alles, was sich offenbart, wenn man zurückgeht zu den Urweistümern der Menschheit, wird ja verständlich, wenn man diese Urweisheit zurückführen kann zu den Offenbarungen, die aus dem Mysterienwissen gekommen sind, wenn man also annehmen kann, daß zunächst der Menschheit in ihrer Erdenentwickelung zugänglich waren Wissensquellen, Empflndungsquellen, Willensquellen, die durch die heute der Menschheit bekannten rein menschlichen Kräfte eben nicht zugänglich sind. Dann ist die Entwickelung so fortgeschritten, daß die Menschen immer mehr und mehr angewiesen worden sind auf das, was aus dem Menschen selber kommen kann, und das ist ja im wesentlichen der Inhalt jener Kräfte menschlicher Zivilisationsentwickelung, die in den letzten Jahrhunderten tätig waren.

Diese aus dem Menschen selbst bisher gekommenen Kräfte, sie haben ja einen Stand der Zivilisation hervorgerufen, der unbedingt, wenn er auf sich selbst angewiesen bliebe, in den Niedergang hineinführen würde. Das glauben ja die Menschen der weitesten Kreise heute noch nicht Sie reden und tun automatisch weiter im alten Stil und weisen zurück, was in einer neuen Art aus denselben geistigen Quellen, aber jetzt unmittelbar durch die Kräfte des Menschen, geholt wird, aus welchen einstmals die alte Mysterienweisheit geholt worden ist. Man muß ganz im Konkreten eingehen auf dasjenige, was sich da für die Menschheit der Gegenwart enthüllen kann gewissermaßen als eine Grundlage für alles das, was wir brauchen für die nächste Zeit an Naturwissen,

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brauchen an Wissen, welches hält die menschliche Ethik, die menschliche Sittenlehre, aber auch das soziale Wollen. Man muß da schon eingehen auf gewisse Dinge, die ja in den letzten Wochen hier von den verschiedensten Gesichtspunkten besprochen worden sind, die ich von einem gewissen Gesichtspunkte aus auch heute wiederum andeuten will.

Wenn wir wachend in der Welt stehen, sind wir ja zunächst umgeben von der äußeren Sinneswelt, von alldem, was im Grunde genommen die Eindrücke ausmacht, die auf unser Auge, Ohr, auf unsere Wärmeorgane, auf unsere Sinne überhaupt ausgeübt werden. Da breitet sich die äußere Sinneswelt um uns aus. Das Innenleben der meisten Menschen besteht ja im wesentlichen in nichts anderem als in einer Art weiterer Verarbeitung desjenigen, was die äußeren Eindrücke sind. Von jenseits der Schwelle nimmt sich nun das, was da äußere Welt ist, eben in einem andern Sinne aus als von diesseits der Schwelle. Sie wissen ja, wozu die Menschheit gekommen ist in den letzten Jahrhunderten, in denen sie sich im wesentlichen darauf beschränkt hat, die Welt von diesseits der Schwelle zu betrachten. Die Menschheit ist dazu gekommen, wenn ich schematisieren will, gewissermaßen sich selbst anzusehen. Wir nennen das, was man da selbst ansieht, den dreigliedrigen Menschen, den Kopfmenschen, den rhythmischen Menschen und den Gliedmaßen-Stoffwechselmenschen. Hier wollen wir schematisch andeuten jenen Teppich, der sich um uns herum ausbreitet (siehe Zeichnung Seite 165), der im wesentlichen den Inhalt der Sinneswelt ausmacht. Von diesseits der Schwelle spekulieren nun die Menschen, was hinter diesem Sinnesteppich ist. Sie reden davon, daß hinter diesem Sinnesteppich Moleküle, Atome und Stoffe allerlei Tänze aufführen. Sie geben diesen Tänzen die verschiedensten Namen, aber sie sind eben davon überzeugt, daß, wenn der Mensch hinaussieht aus seinen Augen, hinaushört aus seinen Ohren, kurz, hinauswahrnimmt aus seinen Sinnen, daß dahinter irgendeine Stoffwelt liegt.

Von jenseits der Schwelle enthüllt sich nichts von einer solchen Stoffwelt da draußen, sondern es zeigt sich sogleich, wenn der Mensch nur etwas hineinkommt in die Region, die jenseits der Schwelle liegt, daß hinter diesem Sinnesteppich ein bestimmtes Gebiet der geistigen Welt liegt,

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#Bild S.165

das heißt, wir haben es zu tun im wesentlichen mit Geistwelt, die hinter dieser sinnlichen Welt liegt.

Wenn wir darauf Rücksicht nehmen, daß der Mensch aus dem Ich, dem astralischen Leibe, dem Ätherleibe, dem physischen Leibe besteht, dann müssen wir sagen: Wenn der Mensch wach ist, also mit seinem Ich und seinem Astralleib untergetaucht ist in seinen Organismus, dann hat er keinen Anteil an der Welt, die hier als Geistesgebiet hinter dem Sinnesteppid1 liegt. Wenn der Mensch aber schläft, also sein Ich und seinen astralischen Leib herausgezogen hat aus seinem physischen Organismus, dann ist er mit seinem Ich und seinem astralischen Leib in diesem Gebiete der geistigen Welt darinnen. Der Mensch hat also vom Einschlafen bis zum Aufwachen Anteil an diesem Gebiet, das gewissermaßen hinter der Natur als eine geistige Naturwelt liegt. Man könnte auch sagen, es ist

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die Welt, der der Mensch angehört vom Einschlafen bis zum Aufwachen, ein gewisses Gebiet des geistigen Weltreiches, das ihm für diesen seinen Zustand des Schlafens eben zugewiesen ist.

In sich hinein sieht ja der Mensch auch nur bis zu einem gewissen Grade. Der Mensch kann in sich hinein bis zu einem gewissen Grade brüten, redet dann, wenn er von seinem Seelischen redet, von Gedanken, von Gefühlen, von Willensimpulsen. Er redet zumeist in einer höchst unbestimmten Art von diesen Gedanken, Gefühlen und Willensimpulsen. Er holt aus diesem Inneren, das ihm ein ziemlich Unbestimmtes bleibt, jene Gedanken hervor, die Erinnerungen bilden; aber er sieht nicht hinter dieses sein Inneres. Und wir können sagen: gerade so, wie hier gewissermaßen wie eine Scheidewand zwischen uns selbst und einem gewissen Gebiete der äußeren Welt eine Grenze liegt, so können wir eine Grenze ziehen, durch die der nach innen gerichtete Blick nicht dringt (siehe Zeichnung Seite 165). Würde allerdings der Mensch hinunterdringen in diese Region, die gewissermaßen jenseits des Spiegels liegt, der ihm seine Erinnerungen zurückwirft, so würde der Mensch nicht dasjenige entdecken, was viele illusionsbehaftete Mystiker glauben, die da glauben, man brauche nur in sich hineinzubrüten, dann werde man das höchste Geistige erkennen, sondern der Mensch würde da gerade die Geheimnisse seiner Organisation entdecken, die Geheimnisse dieses wunderbaren Aufbaues, der sich in dem menschlichen Organismus ausspricht. Der Mensch würde da, wenn er wirklich durchsehen würde, eben nicht etwa die Imagination einer Mechthild von Magdeburg oder eines Meister Eckhart oder einer heiligen Therese, sondern er würde die menschliche Organisation erblicken, was gewissen illusionsbehafteten Mystikern als etwas recht Prosaisches erscheinen würde, was allerdings nicht demjenigen als etwas Prosaisches erscheint, der für das eigentlich Geheimnisvolle des Weltenalls den richtigen Sinn hat. Denn es darf schon gesagt werden: viel wunderbarer als die Imaginationen der heiligen Therese oder der Mechthild von Magdeburg oder des Johannes Tauler, viel wunderbarer als diese Reminiszenzen, geschmiedet aus den Spiegelungen, die als Erinnerungen leben, durchdrungen von jenen Empfindungsimpulsen, die heraufstrahlen aus Leber, Magen, Milz und so weiter, viel wunderbarer als dieses alles, ja auch viel wunderbarer als alles das, was etwa

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dargestellt worden ist in den Urbildern der menschlichen Entwickelung in Mythen und Legenden und dergleichen, ist dasjenige, was sich da aufbaut in den prosaischen Organen des menschlichen Inneren. So sonderbar das klingt, die Wahrheit muß in diesem Punkte eben durchschaut werden. Aber was sich da aufbaut, das ist zunächst das wahrhaft Irdisch-Materielle, dasjenige, was eigentlich die irdische Materie ausmacht. In der Außenwelt finden wir nicht die irdische Materie. Die irdische Materie ist innerhalb der menschlichen Haut. Aber wiederum, diese Organe, dieser ganze innere Aufbau des Menschen, er ist nichts anderes als, ich möchte sagen, etwas, was herausgepreßt wird aus einem andern Geistgebiete. Ein Gebiet des Geistes ist es, das gewissermaßen aus sich herausschwitzt, was da an Organen im menschlichen Organismus ist. Hinter dieser Organologie, die zunächst entdeckt wird, wenn der Mensch in sein Inneres hineinschaut, wenn er durchschaut den Teppich der Erinnerungen, der sonst ihm entgegenstrahlt, wenn auch manchmal mystisch verbrämt, wenn er hindurchblickt durch diesen Erinnerungsteppich, so wie er durchblicken kann von jenseits der Schwelle durch den Teppich der äußeren Sinne, hinter dieser Organologie sieht er dann das andere Gebiet des Geistes, dem er nun angehört vom Einschlafen bis zum Aufwachen, das er als geistiges Gebiet eben nicht beachtet, das aber dasjenige geistige Gebiet ist, welches ihm die Kräfte gibt, die in seinen Gliedmaßen sich äußern.

Wenn wir über unsere Sinne nachdenken, so leben in unseren Sinnen Kräfte. Diese Kräfte sind im wesentlichen diejenigen, die eigentlich hinter dem Sinnesteppich liegen, die durch unsere Sinnesöffnungen in uns eindringen (siehe Zeichnung), ohne daß es gewußt wird, wenn der Mensch die Welt nur von diesseits der Schwelle beachtet.

Aber auch in unseren Organen leben Kräfte aus dem Gebiet des Geistes, das ich hier unten (siehe Zeichnung Seite 165, Pfeil) angedeutet habe. Und diejenigen Kräfte, die wir in unseren Armen, in unseren Beinen haben, das sind eigentlich die Kräfte, die aus dem andern Gebiete des Geistes kommen. So daß der Mensch in dem Augenblicke, wo er betrachtet wird von jenseits der Schwelle, als der Zusammenfluß von zwei Geistgebieten erscheint. Und was uns zunächst entgegentritt, wenn wir den Menschen hier in der irdischen Welt betrachten, das ist im

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Grunde genommen zunächst nur eine scheinbare Einheit. Diese scheinbare Einheit ist eigentlich der Mensch gar nicht. Der Mensch ist der Zusammenfluß der geistig wirkenden Kräfte aus den beiden Ihnen angedeuteten Gebieten. Und die Kräfte, die zum Beispiel in unseren Augen, in unseren Ohren leben, sie sind ganz anderer Herkunft zunächst als die Kräfte, die sich entwickeln, wenn wir unsere Beine voreinandersetzen, oder wenn wir unsere Arme bewegen. Man kann eine solche Vorstellung nicht hegen, ohne daß man gewahr wird, wie der Mensch gewissermaßen eingebettet ist in den ganzen Kosmos, wie er angehört durch seine Sinne einem gewissen Geistgebiet des Kosmos, wie er angehört durch seine Gliedmaßen einem andern Geistgebiet des Kosmos. Nur das, was etwa in der Mitte liegt, der rhythmische Mensch, das Lungensystem, das Herzsystem und all das, was dazu gehört, das ist eigentlich irdischen Ursprungs, das ist eigentlich gewissermaßen gewoben aus einer Art mittleren Welt heraus. So ist der Mensch an sich ein dreigliedriges Wesen. Und ohne diese Dreigliedrigkeit zu durchschauen, können wir den Menschen nicht verstehen. Ich sage, so nimmt sich der Mensch aus, wenn wir ihn von jenseits der Schwelle betrachten. Da stellt er sich hinein für uns als ein Glied in den ganzen Kosmos. Man wird gewahr durch Geisteswissenschaft, wie der Mensch darinnen lebt in dem ganzen Kosmos, herausgebildet ist aus diesem Kosmos, und man wird dann nicht mehr entfernt sein von der Wahrheit, von der zu erkennenden Wahrheit, daß der Mensch nicht nur dasjenige als seine Aufgabe zu erfüllen hat, was er hier vollbringt auf der Erde, sondern daß er Aufgaben zu erfüllen hat in der ganzen kosmischen Entwickelung, daß er gewissermaßen einen wesentlichen Rechnungsfaktor bildet in der ganzen geistigen kosmischen Entwickelung.

So daß man sagen kann: die Geisteswissenschaft eröffnet unseren Blick für das, was der Mensch als ein Glied des Kosmos ist. Denken Sie nur, wie, ich möchte sagen, liliputanerhaft sich dagegen ausnimmt, was der Mensch heute über den Menschen denkt. Heute ist es ja so, daß der Mensch nur das als sein Wissen aufnehmen will, was von diesseits der Schwelle her kommt. Er betrachtet nur das, was sich ihm offenbart zwischen Aufwachen und Einschlafen, Und was sich ihm offenbart zwischen der Geburt und dem Tode. Und er möchte auch alles, was der Mensch

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überhaupt hier auf der Erde als Aufgabe erfüllen kann, aus den Begriffen und Ideen heraus konstruieren, die sich aus dieser liliputanerhaften Betrachtung des Menschen ergeben. Dadurch kommen wir nicht vorwärts. Gerade dadurch kommen wir immer mehr und mehr in den Niedergang hinein, daß sich insbesondere unsere Intellektuellen nicht darauf einlassen, aus etwas anderem heraus die Aufgaben der Welt zu konstruieren als aus dem, was sie da zusammenlesen von alledem, was zwischen Aufwachen und Einschlafen und zwischen Geburt und Tod liegt. Aber dasjenige, was der Mensch vollbringt, ist etwas wesentlich Weiteres, und das kann nur durchschaut werden, wenn alles, was man so aufbringen kann aus der gewöhnlichen Lebensbetrachtung, durchleuchtet und befruchtet wird von dem, was gewußt werden kann aus dem Anblicke der Welt von jenseits der Schwelle her. Und es kann einfach nicht besser werden mit der Zivilisationsentwickelung der Welt, wenn nicht aufgenommen wird, was von jenseits der Schwelle für das menschliche Erkennen, Fühlen und Wollen erobert werden kann.

Man möchte sagen, man empfindet es heute ganz besonders schmerzlich, daß aus all dem Wissenstorso, aus diesem allseitig beschnittenen Wissen, das in den letzten drei bis vier Jahrhunderten von der Menschheit aufgestapelt worden ist, heute Lebensprogramme gemacht werden. Man ist gegenüber diesen Lebensprogrammen eigentlich in einer sonderbaren Lage. Es gibt heute Religionsgenossenschaften, sie leiten dem Wortlaute nach wenigstens dasjenige, was sie haben, von früheren Zeiten her, von Zeiten, in denen noch lebendig war das alte Mysterien- wissen. Es wird nicht mehr verstanden innerhalb der Religionsgenossenschaften. Es wird nur dem Wortlaute nach tradiert, es ist ausgepreßt, eine ausgepreßte Zitrone geworden. Es ist eigentlich im Grunde genommen nicht mehr da. Es kann ja in einem gewissen Sinne von dem einen oder von dem andern durchdrungen werden, namentlich wenn der eine oder der andere zu dem vordringt, wozu ihm vorzudringen gewöhnlich seine Kirche verbietet. Dann kann er gerade aus dem traditionellen alten konfessionellen Wissen vieles gewinnen. Wenn zum Beispiel heute, unabhängig von dem, was ihm vorgeschrieben ist, der Katholik nachdenkt über die Trinität, über die Inkarnation, da kann er zu etwas sehr Bedeutsamem kommen. Und gescheiter wäre es in vieler Beziehung,

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über die Trinität nachzudenken oder auch über das Credo nachzudenken, als diejenigen Bewegungen zu protegieren, die heute auftreten und aus dem heutigen Rumpf- und Torsowissen heraus ein neues Credo, ein neues Wissen schmieden. Denn viel kurzgeschürzter als das, was traditionell vom Alten geblieben ist, was aber eben von den Konfessionen verunstaltet wird, viel kurzgeschürzter ist das, was die Menschheit in den letzten Jahrhunderten aufgestapelt hat und was sie heute dazu verwendet, um scheinbar Verbesserungen einführende Bewegungen in der Welt zu lancieren. Es ist ja jammervoll, wenn man heute sieht, wie allerlei sozialistische oder Frauenbewegungen oder dergleichen, die aus dem Torsowissen der letzten Jahrhunderte heraus gezimmert sind, glauben, daß sie die Welt bewegen können, während sie nur vorbeireden an dem, worauf es eigentlich ankommt.

Es beruht das - das muß schon gesagt werden - auf einem gewissen schier unbesieglichen Hochmut der heutigen Menschheit, auf jenem Hochmut, der durchaus nichts lernen will. Wenn irgend jemand hineingewachsen ist in eine Bewegung, in irgendeine Partei, dann fühlt er gewöhnlich, daß die Partei just das noch nicht erlangt hat, was er nun gerade auf dem Standpunkte des Lebens, auf dem er steht, von selber hat, und nun tradiert er das. Das ist gerade der Jammer der Gegenwart, daß so viel kurzgeschürztes Zeug als reformatorisch auftritt. Wirklich Fruchtbares kann heute nur geleistet werden, wenn hineinfließt in all das, was man so als weltbewegend auftreten lassen will, dasjenige, was jenseits der Schwelle der sinnlichen Welt erforscht werden kann. Denn sehen Sie, da draußen ist ein gewisses Gebiet des Geistes, jenseits des Teppichs der Sinneswelt. Wozu ist denn dieses Gebiet des Geistes da? Dieses Gebiet des Geistes, denken Sie doch nur, daß es dieselbe Welt ist, in der wir, wenn wir wachen, nicht mit unserem Bewußtsein sind, aber in Wirklichkeit sind wir ja mit unserem ganzen Organismus drinnen; denn indem wir stehen, indem wir gehen, sind wir ja in dieser Welt drinnen, wir sehen sie nur nicht. Wir gehen ja fortwährend durch diese Welt, wir sind ja in ihr, wir handeln in ihr, und wenn wir in ihr eine Politik machen wie die bolschewistische, dann schlägt das, was die Bolschewisten nicht sehen, zurück auf die Menschheit, weil die Bolschewisten nur eine Welt zimmern wollen aus dem, was sie sehen. Aber

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sie sind nicht in der Welt, die sie sehen; sie sind in der Welt, die jenseits des Teppichs der Sinneswelt ist. Wenn heute Frauenbewegungen auftreten und allerlei verlangen, so verlangen sie es aus dem heraus, was sie sehen; aber sie verlangen es für die Welt, die sie nicht sehen. Daher schlägt immer dasjenige zurück aus der Welt, in der wir ja sind, was in Wirklichkeit da ist, was aber in den Forderungen, die aufgestellt werden, nicht da ist, weil die Leute sich stemmen dagegen, irgend etwas aufzunehmen aus der geistigen Welt.

Und diese Welt, dieses Gebiet hat natürlich seine Bedeutung im großen Kosmos. Wozu ist es denn da? Sehen Sie, wenn wir die Welt betrachten, in der wir leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, so ist das eine andere Welt als diejenige, die hier hinter dem Sinnesteppich ist. Diese Welt, die wir betreten zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, ist ein anderes Gebiet des Geistigen. Es ist dasjenige Gebiet des Geistigen, in dem im wesentlichen leben diejenigen Wesen, die wir anführen, wenn wir reden von den Hierarchien der Angeloi, Archangeloi und so weiter. Aber diese Welt jener Wesen der neun Hierarchien, diese Welt kann nur bestehen, wenn sie durch den physischen Menschen - und nur durch ihn kann sie es - in einen gewissen Verkehr, in einen Wechselverkehr tritt mit der Welt, die ich hier als das Gebiet der geistigen Welt jenseits des Sinnengebietes bezeichnet habe.

Wenn Sie in einem Hause leben und Sie wollen in einen Verkehr treten mit der äußeren Welt, ohne hinauszugehen, dann müssen Sie zum Fenster hinausschauen. Wenn die Götter der neun Hierarchien in einen Verkehr treten wollen mit dieser Welt, dann müssen sie das durch den Menschen hindurch tun. Sie können das nicht direkt, sie müssen es durch den Menschen hindurch tun. Das ist ein Weltgebiet, das von den Göttern nur durch den Menschen hindurch betrachtet werden kann. Der Mensch muß aus der Welt, die er durchlebt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, in diese physische Welt einziehen, um für die Götter zu vermitteln den Verkehr mit dieser Welt, die sich hier entwickelt (siehe Zeichnung Seite 165). Und diese Welt, die sich hier entwickelt jenseits des Sinnenteppichs, wozu ist die denn da? Die Welt, die außerdem noch da ist, die würde, wenn diese Welt nicht da wäre, sie würde nach allen Seiten zerstieben. Es ist die Welt, die sich nach allen Seiten zerstreuen

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würde (siehe folgende Zeichnung, Pfeile). Es ist die Welt, in der nur Abstoßungskräfte existieren. Und diese Welt hier, die jenseits des Sinnenteppichs liegt, die hält zusammen (Kreis) diese Welt. So daß wir sagen können: Indem der Mensch hinblickt auf die Welt jenseits des Sinnenteppichs, blickt er hin auf diejenige Welt, welche die Welt der zentripetal wirkenden Wesenheiten ist. Sie halten die Welt zusammen. Es ist die Tendenz vorhanden in der andern Welt, sich immer zu vergrößern, immer auszubreiten; diese Welt (Kreis) hält zusammen.

#Bild S.172

Aber mit dieser zentripetal wirkenden Welt kommen auch die Götter nur in Berührung durch den Menschen. Das ist der Sinn, daß der Mensch in den Kosmos eingetreten ist, daß die Welt der Götter in Beziehung kommen kann, in eine wahrnehmbare Beziehung, in einen Verkehr kommen kann mit dieser zentripetalen Welt.

Diese zentripetale Welt, wenn sie gesehen wird von jenseits der Schwelle aus, ist kalt, eisig. Sie ist eine Welt, welche im Grunde genommen berührt so, wenn man sie empfindet, wie etwas Erstarrendes, wie etwas Verkalkendes, aber sie ist voller Weisheit. Sie ist gewissermaßen ganz gewoben aus weisheitsvollen Gedanken, aber kalt, starr, Frösteln

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hervorrufend. Und die kalte, starre Kraftwelt hält die andere Welt zusammen. Der Mensch ist nicht so organisiert, daß er diese Welt unmittelbar fühlt. Derjenige, der das Gebiet jenseits der Schwelle betritt, der empfindet dieses Frösteln, dieses kalte Zusammenziehen. Und es ist das ein Zeichen, daß man wirklich mit seinem Ich und mit seinem astralischen Leib in die Welt kommt, in die der Mensch jede Nacht eintritt, aber ohne das Bewußtsein, also sie nicht empfindet. Es ist das Zeichen, daß man bewußt eintritt, wenn man eintritt in eine Welt, die einen frieren macht, die einen lichtvoll durchdringt mit unbegrenzt intensiver Weisheit, die einen aber frieren macht. Ohne dieses Frieren, ohne dieses Sich-in-Erstarrung-Fühlen kann man zunächst nicht mit dem Ich und mit dem astralischen Leib sich jenseits der Schwelle fühlen.

Das ist die Erfahrung, die da gemacht werden kann. Es ist etwas, was im Grunde genommen nur als Erfahrung erobert werden kann. Es muß eben im Sinne derjenigen Auseinandersetzungen, die Sie finden in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß», die alle hinreichen, um diese Erfahrungen zu machen, wenn sie nur konsequent verfolgt werden, es muß eben das Gebiet jenseits der Schwelle betreten werden. Es ist ein wirkliches Gebiet, geradeso wirklich wie das Gebiet der Sinneswelt.

Aber wenn man das kennt, wenn man begreift, daß es dieses Gebiet gibt - man kann die Welt nicht verstehen, wenn man nicht begreift, daß es dieses Gebiet gibt -, dann wird einem auch etwas anderes klar sein, nämlich: warum der Mensch herumgeht in diesem Gebiet. Nicht wahr, der Mensch kann ja nicht herumgehen mit diesem fortwährenden Frösteln, mit diesem fortwährenden Frieren. Daher ist ja ihm zunächst für sein gewöhnliches Bewußtsein die Grenze errichtet. Der Mensch würde wahrlich schlechte Nächte erleben, wenn er bewußt erleben würde die Zeit zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen. Aber warum geht denn der Mensch - er geht ja auch, wenn er wach ist, in dieser selben Welt herum -, warum geht er dadrinnen herum? Er bringt in diese Welt, in diese Welt der zentripetalen Weltenkräfte, dasjenige hinein, was in seinem Inneren lebt. Und wenn wir das, was im menschlichen Inneren an Kräften lebt - wir werden davon morgen noch genauer sprechen -, wenn wir das genau ins Seelenauge fassen, so ist es so, daß wir es mit

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dem Namen Liebe benennen können, Wärme, Seelenwärme, und der Mensch trägt die Seelenwärme in dieses kalte Gebiet hinein. Er ist der Erwärmer dieses Gebietes. Das ist etwas, was zunächst zu seiner kosmischen Aufgabe gehört. Der Mensch ist der Erwärmer dieses Gebietes. Indem, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Götter die Menschen geschaffen haben, haben sie geschaffen - nun lassen Sie mich trivial die Sache ausdrücken - die Öffnung gerade für dieses Gebiet, welches ihnen zusammenhalten muß die sonst auseinanderstiebende Welt.

Das ist nur ein Beispiel - wir werden morgen andere hören, und zwar andere, welche dann ins soziale Gebiet hinüberführen, so daß wir einsehen, welche Mission das soziale Leben der Menschen auf Erden für den ganzen Kosmos hat -, aber dies ist nur ein solches Beispiel, wie von jenseits der Schwelle aus der Mensch sich zeigt mit einer Aufgabe, die sich nicht erschöpft in dem, worin man gewöhnlich sonst seine Innerweltliche Aufgabe sieht, sondern wie der Mensch eine kosmische Aufgabe hat, wie er zu etwas da ist, was sozusagen im großen Weltenplane der göttlichen Geister liegt. Und wie man für das Dasein des Menschen als solchen einsehen muß, daß dieses Dasein eben dazu da ist, daß etwas im Weltenall geschieht, so muß man für alles, für die kleinsten Verrichtungen der Menschheit einsehen können, daß der Mensch wahrlich ein Glied dieses ganzen Kosmos ist, daß alles, was er tut, etwas bedeutet über das hinaus, was er zunächst mit seinem Bewußtsein wahrnehmen kann, etwas bedeutet im Zusammenhange mit dem ganzen Kosmos, daß man durch das Erweitern der gewöhnlichen kleinmenschlichen Empfindungen diese Empfindungen in kosmisches Weltempfinden umwandeln kann. Das ist das Wichtige in der Geisteswissenschaft. Und das ist das, was die Menschheit jetzt braucht.

Gerade in den letzten drei bis vier Jahrhunderten ist die ganze zivilisierte Menschheit gewissermaßen herausgefallen aus ihrem himmlischen Gebiete. Sie hat sich nurmehr beschäftigt mit dem, was sich ergibt durch Geburt und Tod und zwischen Aufwachen und Einschlafen. Das ganze Leben setzt sich heute nur aus diesem zusammen. Aber dieses Leben ist dem Tode geweiht, dieses Leben, das ist ein allmählich absterbendes Leben. Und setzen Sie noch so viele sozialistische Theorien und ihre Umwandlungen in sogenannte Taten in dieses Leben hinein, die befördern

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nur den Niedergang. Setzen Sie noch so viele Frauenbewegungen in dieses Leben hinein und lassen Sie diese Frauenbewegungen nicht befruchtet sein von einer neuen Geisteswissenschaft, immer weniger und weniger wird dasjenige erreicht werden können, was man eigentlich instinktiv will mit solchen Frauenbewegungen und dergleichen.

Man muß ja dasjenige, was heute befruchtet werden muß, immer an dem rechten Ende fassen. Oswald Spengler, der das Buch über den Untergang des Abendlandes geschrieben hat und wirklich aus wissenschaftlichen Voraussetzungen heraus richtig ausgerechnet hat, daß im Beginn des nächsten Jahrtausends der Untergang dieses Abendlandes unbedingt erfolgen muß - allerdings, wenn man nur das in Rechnung stellen kann, was Oswald Spengler zur Verfügung steht -, Oswald Spengler hat ja gewissermaßen recht: dieser Untergang wird wirklich erfolgen, wenn nicht von Geisteswissenschaft her ein Einschlag kommt. Den gibt er ja nicht zu, daher hat er recht von seinem Standpunkte aus, indem er nur über den Niedergang des Abendlandes schreibt. Aus dieser Niedergangsempfindung kann dieser Spengler, dieser Niedergangstheoretiker, manches bedeutungsvolle Wort sprechen. So zum Beispiel sagt er einmal recht treffende Worte über jene Spießerphilosophien oder Spießermystiken oder dergleichen, wie man es nennen will, die in der letzten Zeit aufgetreten sind, wie der Vegetarismus, die Reden über das Essen, so wie sie gewöhnlich geführt werden, namentlich wie sie in jenen Spießerjournalen geführt werden, die gewöhnlich in vegetarischen Restaurants aufliegen. Es ist eine Spießerphilosophie, es ist das Philiströseste, was sich denken läßt. Aber warum ist denn das so? Ist es im absoluten Sinne so? Ja, was da geredet wird, ist natürlich schon im absoluten Sinne spießig; aber man sah in den letzten drei bis vier Jahrhunderten nicht, was als Geist hinter diesen Dingen steckt. Die Leute reden ja heute nicht von dem Geist. Vegetarismus, Antialkoholismus und andere schöne Dinge, sie werden ja alle von dem pursten materialistischen Standpunkte aus erörtert. Was Geistiges dahintersteckt, wird ja nicht gesehen. Und so handelt es sich darum, daß gerade diese Dinge eigentlich gesiegt haben.

Das Spießerige kommt ja davon her, daß die Leute, die heute anfangen möchten, spirituell zu werden, eigentlich im Grunde oftmals die schlimmsten Materialisten sind, weil sie die Begriffe der andern Materialisten

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aufnehmen und von denen aus dann irgendwie ein spirituelles System aufbauen.

In dieser Beziehung sind ja selbst theoretische Konstruktionen außerordentlich interessant. Da gibt es zum Beispiel, wie ja die meisten von Ihnen wissen werden, in der Theosophischen Gesellschaft wirksam einen gewissen Leadbeater. Dieser Leadbeater hat allerlei Bücher geschrieben; besonders entzückt war eine große Anzahl von Leuten, als er so etwas wie eine okkulte Chemie geschrieben hat; sogar Gelehrte habe ich getroffen, die außerordentlich entzückt waren über diese okkulte Chemie.

Was ist da eigentlich geschehen? Jener Mr. Leadbeater hat kennengelernt die materialistische Chemie der Gegenwart mit ihren Molekülen und Atomen. Diese materialistische Chemie der Gegenwart mit ihren Molekülen und Atomen beschreibt den Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, das Eisenoxyd, das essigsaure Natron und so weiter, baut sie auf auf diesen Molekülen und Atomen. Leadbeater baut die geistigen Welten, baut die Geister, baut die Engel und so weiter aus solchen Atomen auf. Er macht einen Spiritualismus aus dem Materialismus heraus. Ich habe Leute gesehen, die geradezu entzückt herumgelaufen sind, als unter den mancherlei Dingen - es schwammen ja manchmal, nicht wahr, auf der Suppe der Theosophischen Gesellschaft solche Fettaugen herum -, als ein solches Fettauge einmal herumgeschwommen war das sogenannte «permanente Atom». Dieses permanente Atom: ein merkwürdiges Ding! Der Mensch stirbt, kommt wiederum zur Welt; was ist es, was da herübergeht? Die Leute konnten sich natürlich nicht denken, daß der menschliche Organismus von Kräften konstituiert wird. Das wäre ihnen geradezu eine Unmöglichkeit, zu denken, wie der Gliedmaßenmensch sich hinüberorganisiert in das nächste Leben, wie das Haupt hinüber- organisiert ist aus dem vorhergehenden Leben, denn sie stellen sich beim Haupte und bei den Gliedmaßen nur etwas Grobmaterielles vor, das eben natürlich ins Grab versenkt wird. Daß da Kräfte drinnen sind und daß diese Kräfte eigentlich gemeint sind, wenn man so spricht, das können sie sich nicht vorstellen. Es muß doch etwas hinüber ins nächste Erdenleben. Da ist ein Atom von diesen ganzen Millionen, Milliarden von Atomen, eines; das geht durch die geistige Welt durch, dann gruppieren sich die Atome des nächsten Organismus wiederum um dieses eine

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Atom, das permanente Atom. Es war geradezu das Entzücken von theosophischen Leuten, wie dieses Fettauge, das permanente Atom, geschwommen hat auf der Wassersuppe der Theosophischen Gesellschaft - auf der geistigen Wassersuppe.

Diese Dinge sollen ja wahrhaftig nur gesagt werden, um anzudeuten, wie in der Gegenwart alles, auch das, was nach dem Geistigen streben will, angefressen ist von den materialistischen Vorstellungen der letzten drei bis vier Jahrhunderte, und wie man aus diesen Vorstellungen heraus muß, um zu irgendeinem Aufbau zu kommen. Allerdings, es ist in der Gegenwart schon so, wie ich gestern sagte: es gibt Kräfte, die durchaus dasjenige nicht heraufkommen lassen wollen, was der Menschheit irgendwie zu einem Neuaufbau dienen kann.

Sie können fragen: Will denn die Menschheit ihren Untergang? - Man kann doch nicht annehmen, daß die Menschen den Untergang der ganzen Zivilisation wollen. Die Beobachtung zeigt es, sie wollen ihn, denn sie leben automatisch im alten Stile fort. Ich will Ihnen erklären, warum sie das wollen. Ich brauche Sie nur auf eine einzige Erscheinung hinzuweisen, dann wird Ihnen diese Erscheinung eine Erklärung sein können. Haben Sie noch nicht Insekten im Zimmer herumfliegen sehen, wenn ein brennendes Licht da ist und diese Insekten sich in das brennende Licht hineinstürzen? Studieren Sie einmal dieses Phänomen, dann werden Sie die Stimmung der Gegenwartsmenschheit im Bilde haben. Man muß nur die Erscheinungen der Natur nehmen als das, was sie sind, als Symptome für Kräftewirkungen im Weltenall. Nun, wir werden ja morgen von diesen Dingen weiter sprechen und die Brücke gerade zu einem gewissen sozialen Vorstellen hin zu finden versuchen.

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ELFTER VORTRAG Dornach, 29. August 1920

Eine Vorstellung versuchte ich durch die gestrigen Betrachtungen hervorzurufen von der Stellung des Menschen im Kosmos. Wenn der Mensch betrachtet wird von dem Gesichtspunkte jenseits der Schwelle, die zwischen den sinnlichen und den übersinnlichen Welten liegt, dann ergibt sich ja das Wesen des Menschen so, daß es sich darstellt als im ganzen Kosmos als ein Glied darinnenstehend. Und ich habe gestern zunächst versucht zu zeigen, wie gewissermaßen äußerlich der Mensch im Kosmos drinnensteht, indem ich darauf hingewiesen habe, wie ja hinter dem Teppich, der sich um uns herum ausbreitet und der die sämtlichen Sinneseindrücke enthält, eine geistige Welt ist. Ich habe betont, diese geistige Welt ist eine fröstelnde, eine kalte Welt. Es ist diejenige Welt, in der wir allerdings, wie Sie wissen, unbewußt sind zwischen dem Einschlafen und Aufwachen, in der wir uns aber in Wirklichkeit aufhalten, allerdings dann ihren eigentlichen Charakter nicht empfinden, sondern im Gegenteile den Verkehr der geistigen Welt mit ihr dadurch vermitteln, daß wir wärmende Liebe gerade in diese Welt hineintragen. Wir haben damit gegeben ein geistiges Gebiet. Jenes geistige Gebiet aber, das unsere eigentliche Umgebung ist, ist ein anderes geistiges Gebiet - ich habe gestern schon darauf hingewiesen -, ist dasjenige, was unterhalb jenes Spiegels liegt, der in uns die Erinnerungen zurückwirft. Dasjenige geistige Gebiet, aus dem aufsteigt die Gliederung namentlich unseres Gliedmaßenorganismus mit alledem, was zu diesem Gliedmaßenorganismus gehört, dieses geistige Gebiet ist es, nach dem allerdings der gewöhnliche Mystiker hinstrebt. Er findet es aber nicht, weil es erst dann aufgefunden wird, wenn der Mensch durch die Geheimnisse seines physischen und ätherischen Organismus durchdringt, um dann eben das zu entdecken, was diesen physischen und ätherischen Organismus formt, gestaltet, mit Bewegung durchdringt. Dieses Gebiet hat einen wesentlich andern Charakter, als das für die Außenwelt zu beschreibende geistige Gebiet. Dieses Gebiet braucht nicht erst durch den Menschen erwärmt zu werden. Dieses Gebiet ist gewissermaßen ein in

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sich den Eindruck der Wärme machendes Gebiet. Es ist das Gebiet, welches mit den entgegengesetzten Kräften ausgerüstet ist wie das vorige. Ich sagte, das vorige Gebiet ist ausgerüstet mit den Kräften, die den geistigen Kosmos zusammenhalten, mit den zentripetalen Kräften; dieses andere Gebiet, aus dem die Kräfte stammen, welche unsere Gliedmaßen bewegen, das ist mit den entgegengesetzten Kräften durchsetzt, mit den zentrifugalen Kräften, mit denjenigen Kräften, die fortwährend dadurch tätig sind, daß sie gewissermaßen das geistige Weltenall ins Weite auseinanderbreiten. Es sind die zentrifugalen Kräfte. Nur dürfen Sie sich unter diesen Kräften nicht physische Kräfte vorstellen, sondern geistige Wesenheiten. Wir sehen da gewissermaßen in die Konstitution des Weltenalls hinein. Wir bringen das, was das Weltenall konstituiert, in Zusammenhang mit dem, was in uns selbst ist. Wir verfolgen die Kräfte, die in unseren Augen, in unseren Ohren, kurz, in unserem Sinnesapparat leben, und wir erkennen sie als die Kräfte, die die Welt zusammenhalten. Wir finden in uns die Kräfte, durch die wir unsere Arme bewegen, unsere Beine bewegen, durch die noch manches andere in unserem Gliedmaßenorganismus geschieht, und wir müssen sie ansprechen als diejenigen Kräfte, die, wenn sie sich selbst überlassen wären, das Weltenall ins Weite zerstreuen würden. In diesen Kräftezusammenhang sind wir hineingestellt als Menschen. Innerhalb dieses Kräftezusammenhanges findet sich die Welt der verschiedensten Wesenheiten, jener Wesenheiten, mit denen jene neun Hierarchien, von denen wir ab und zu gesprochen haben, gerade durch den Menschen in Beziehung stehen. Der Mensch ist der Vermittler zwischen Götterwelten. Man möchte sagen: Die Götter begegnen sich durch den Menschen.

Man sieht da hinein in das Weltenall und sieht den Menschen in einer gewissen Beziehung als den Vermittler von Götterwelten. Man möchte, daß solches Bewußtsein die Menschenseelen durchdringe; denn aus diesem Bewußtsein allein können die egoistischen Elemente der alten Religionen überwunden werden. Diese Elemente der alten Religionen sind ja zum großen Teile durchaus auf den Egoismus aufgebaut. Wenn aus den bestehenden Konfessionen heraus den Menschen gepredigt wird, so geschieht es, um zu appellieren an ihre egoistischen Instinkte der Unsterblichkeit und dergleichen. Man redet, indem man aus den traditionellen

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Konfessionen heraus spricht, zu diesen egoistischen Instinkten.

Man muß nur ein Gefühl dafür haben, wie auf diese egoistischen Instinkte spekuliert wird. Geisteswissenschaft wird den Menschen so darstellen, daß er ein Bewußtsein bekommt, welche Rolle er im ganzen Kosmos spielt, wie zusammenhängen durch ihn eine Welt der zentripetalen Kräfte und eine Welt der zentrifugalen Kräfte, die sich im Grunde genommen nur im Menschen selbst begegnen (siehe Zeichnung).

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Wenn das, was ich jetzt gesagt habe, nicht eine graue Theorie bleibt, sondern wenn es übergeht in die ganze Gefühls- und Empfindungswelt des Menschen, dann fühlt er sich im Weltenall drinnenstehend und sagt sich: Ich bin um der Entwickelung des Weltenalls willen da, durch mich hindurch geht der Strom des kosmischen Geschehens. Dieses Gefühl eines Befestigtseins im Weltenall, das ist dasjenige, was das Bewußtsein der Gegenwart und der nächsten Zukunft durchziehen muß. Denken Sie nur einmal, wie dieses Gefühl entgegengestellt wird einem andern Gefühl, das durch die Kultur der letzten drei bis vier Jahrhunderte an die Oberfläche der menschlichen Entwickelung getrieben worden ist. Haben denn diese letzten drei bis vier Jahrhunderte aus sich selbst heraus irgend etwas von einem solchen Bewußtsein des Menschen getrieben? Nein, es wurde ja wissenschaftlich überhaupt nicht nachgedacht, was der Mensch im Weltenall ist und bedeutet. Es wurde der Blick geworfen auf die Tierreihe. Man lernte erkennen, wie eine Tierform aus der andern sich entwickelt, und man sagte dann: Nun, der Mensch ist die höchste der Tierformen.

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Man stückelte ihn gleichsam an als das höchste Tier an die niederen Tiere. Man lernte den Menschen in seiner Tierheit kennen. Man sprach gar nicht über das Wesen des Menschen. Das ist der Umschwung, der sich im Seelenhaften von heute ab in der Menschheit vollziehen muß, daß der Mensch sich wieder bewußt wird, wie er einen Durchgangspunkt für Götterkräfte bildet, wie er gewissermaßen der Platz ist, an dem sich Hierarchien begegnen, damit sie im Weltenall zusammenwirken können. Und wissen soll der Mensch: Wenn er niedrig von sich denkt und niedrig handelt und sein Menschheitsbewußtsein herabdrückt, dann wird er kein Vermittler sein zwischen den höheren und den niederen Welten. Sich fühlen als ein Wesen, das dem Kosmos angehört, das muß der Mensch lernen. Götterwesen, die den zentrifugalen Triebkräften dienen, Götterwesen, die den zentripetalen Kräften dienen, sie begegnen sich im Menschen.

Und wo finden sie ihren Ausgleich? Die zentripetalen Kräfte wirken vorzugsweise durch das menschliche Haupt, die zentrifugalen vorzugsweise durch den Gliedmaßenmenschen. Der mittlere Mensch, der rhythmische Mensch, er ist dasjenige Wesen, welches den Ausgleich, den Gleichklang, die Harmonie bewirken soll zwischen den zentripetalen und den zentrifugalen Weltenkräften. Bedenken Sie, was das bedeutet. Das bedeutet, wenn der Mensch eine gewisse Seelenverfassung in sich entwickelt, wenn der Mensch eine gewisse innere Gesinnung entwickelt, die ihm selbstverständlich, wie wir aus dem Verschiedensten gesehen haben, nur aus der Geisteswissenschaft heraus werden kann, dann gibt er seinem ganzen inneren Erleben eine gewisse Färbung, dann verläuft dieses innere Erleben in einer gewissen Weise. Und das drückt sich bis ins Organische hinein, bis in den Herz- und Atmungsrhythmus aus. Das heißt mit andern Worten: Wie der Mensch atmet, wie des Menschen Herz schlägt, das hat eine Bedeutung nicht nur innerhalb der menschlichen Wesenheit, das hat eine Bedeutung innerhalb des ganzen Kosmos. Und wenn wahrgenommen wird der menschliche Herzschlag, so bedeutet dies das Zusammenwirken verschiedener Götter- oder Geisterwelten. Das alte Wahrwort, daß der Mensch ein Tempel für das Göttliche ist, es steigt wiederum auf aus den neueren Erkenntnissen der Initiationswissenschaft.

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Und so wird denn, was aus diesen Erkenntnissen der Initiationswissenschaft aufsteigt, einen andern Charakter tragen müssen als das, was die alten traditionellen Konfessionen dem Menschen bringen können. Die rechnen mit seinem Egoismus. Womit rechnet dasjenige, was als Weltempfindung durch die Geisteswissenschaft kommen kann? Es rechnet mit der Verantwortung des Menschen gegenüber der Welt. Es appelliert vorzugsweise an die Verantwortungsgefühle. Es erhöht den Menschen, indem es ihm zeigt, wie er als ein wesentliches Glied im ganzen Weltenall drinnensteht.

Dieses Erringen eines gewissen Menschheitsbewußtseins, das ist es, was so dringend notwendig ist. Denn worauf beruht es denn, daß die Menschen heute in dieses Chaos kamen, in dem unsere soziale Ordnung über die ganze zivilisierte Welt hin zum Teil schon zerfallen ist, zum Teil zu zerfallen droht, worauf beruht es denn? Es beruht darauf, daß der Mensch vergessen hat dieses sein Stehen im Kosmos drinnen, daß der Mensch nichts wissen will von diesem seinem Stehen im Kosmos. Wer so sich im Kosmos darinnen fühlt, der wird begreifen, daß die Weltentwickelung nicht beschrieben werden darf bloß von dem ausgehend, was außerhalb des Menschen ist, sondern daß vorzugsweise im Menschen selbst die Kräfte sind, welche unserer Erde den Ursprung gegeben haben, welche unserer Erde ihr Ende geben werden und sie in andere Metamorphosen der Weltgestaltung überführen werden. Im Menschen müssen wir vorzugsweise dasjenige suchen, was wir wissen, was wir fühlen sollen, woraus wir unser Wollen gestalten sollen.

Was sind es für Kräfte, die vorzugsweise im menschlichen Haupte wirken und die ja verwandt sind den zentripetalen, den zusammenpressenden Kräften des Kosmos, was sind es für Kräfte? Es sind diejenigen Kräfte, die die ältesten Kräfte unseres Weltenalls sind. Erinnern Sie sich an meine Darstellungen in der «Geheimwissenschaft im Umriß», wie ich die alte Saturnentwickelung beschrieben habe, wie ich da hinweisen mußte darauf, daß sich herausgerungen hat aus dieser Saturnentwickelung das menschliche Sinnesleben. Was da zurückgeblieben ist aus dieser Saturnentwickelung, es liegt hinter unserem Sinnesteppich als die kalte, fröstelnde Welt, die sich eben aus dem Wärmezustand des Anfanges heraus entwickelt hat, in die wir heute Wärme hineinzutragen haben. Das,

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was da hinter dem Sinnesteppich liegt, ist gewissermaßen die älteste der Welten. Wir betreten sie unbewußt in der Zeit vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Wir wandeln aber eigentlich immerfort in ihr herum. Sie gibt uns alles dasjenige, was mit unseren Sinnen zusammenhängt. Die zentripetalen Kräfte wirken, gleichsam die Sinne von außen bildend, in unsere Sinne hinein, in unsere Augen, in unsere Ohren, und von da aus in unseren physischen Verstand, in dasjenige, was wir denken. Und indem wir durch die Welt denkend gehen, gehen wir eigentlich mit demjenigen menschlichen Besitz durch die Welt, der uns aus dieser Umgebung heraus gebildet wird, das heißt, mit den ältesten Kräften, die nun schon angekommen sind beim Zerfall. Das dürfen wir nie vergessen, daß dies die Kräfte sind, die eigentlich schon beim Zerfall angekommen sind.

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Man möchte sagen, die Sache ist so: Wenn man schematisch darstellt das Weltenall, auseinander, ins Weite strebend, aber an dieser Grenze zentripetal zusammengehalten werdend, es sind die ältesten Kräfte des Weltenalls (siehe Zeichnung). Sie zerbröckeln in einer gewissen Weise. Und aus diesen zerbröckelnden Kräften, aus diesen in den Tod schon

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übergehenden Kräften, aus diesen zum Chaos gewordenen Kräften steigt dasjenige auf, was unser Verstand ist, was unser menschlicher Intellekt ist.

Es war das Schicksal der neueren Menschheit, daß seit den letzten drei bis vier Jahrhunderten dieser Intellekt besonders entwickelt werden mußte. Aber dieser Intellekt, er steigt auf gewissermaßen aus dem sterbenden Chaos, das von der alten Saturnentwickelung geblieben ist. Die Menschen haben nun bis in diese Zeit herein, bis in das soziale Leben hinein reformierend wirken wollen aus diesen Kräften heraus. Aber diese Kräfte sind diejenigen Kräfte, die gerade dann normal wirken, wenn sie zerstörend sind. Wir könnten nicht denken, wenn wir diese Kräfte nicht hätten. Wir könnten unseren Intellekt nicht entwickeln, wenn wir diese Kräfte nicht hätten. Wir zerstören die soziale Ordnung, wenn wir sie durchsetzen wollten mit dem, was aus diesem unserem Intellekt heraus folgt.

Alles, wobei Gedanken tätig sein müssen, ist angewiesen darauf, daß es an diesen Intellekt appelliert, an den Intellekt, der aus dem Chaos aufsteigt. Aber wir dürfen das, was da aus dem Chaos aufsteigt, nicht zu sozialen Reformen verwenden. Im Osten Europas ist es jetzt so, daß die äußersten Ausläufer des europäischen Intellektualismus sozialreformatorisch auftreten. Was da im Osten Europas entstanden ist, es breitet sich über Asien, über Europa, über den Westen herüber aus, wenn nicht zeitig genug eine, aber jetzt nicht wieder intellektualistische, sondern, wie wir gleich sehen werden, eine andere Gegenwirkung zustande kommt. Wir brauchen zu unserem Geistesleben, zu unserem freien Geistesleben diese Kräfte. Wir brauchen sie, weil dasjenige, was vom menschlichen Intellekt getragen sein soll, nur aus dem Chaos aufsteigen kann. Aber sie sind nicht brauchbar, diese Kräfte, wenn sie sich vermählen mit den sozial wirkenden Kräften. Da ist jene Intelligenz schädlich, welche im engeren Geistesleben nützlich und fruchtbar ist. Dasjenige, was Erfindungen macht, was geistvolle Dichtungen formt, das muß aufsteigen aus dem Chaos, aus dem reifen Materiellen des menschlichen Organismus, das darf niemals glauben, daß es soziale Impulse geben kann in bezug auf das äußere Leben. Es ist wichtig, daß die Menschheit jetzt anfängt, in diese Dinge klar hineinzusehen. Sie wird nicht klar in

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sie hineinsehen, wenn sie immer wiederum ablehnt, Geisteswissenschaft zu berücksichtigen. Alles das aber, was das eigentliche Geistesleben groß macht, es muß aus diesem Chaos aufsteigen. Es muß dieses Geistesleben aus chaotischen Untergründen der Individualität des Menschen aufsteigen.

Da gliedert sich die Erziehungsfrage zusammen mit der allgemeinen Kulturfrage. Denn was auf diese Art der Menschheit gebracht werden soll, es muß ja aus dem Chaos aufsteigen, das der Mensch sich mitbringt, indem er durch die Geburt heruntersteigt aus höheren Welten. Er bringt sich den zerfallenden Gehirnorganismus mit. Und aus diesem chaotischen Gehirnorganismus steigt dasjenige auf, was das Geistesleben konstituieren kann. Am entgegengesetzten Ende der Menschheitsorganisation müssen sich entwickeln diejenigen Kräfte, die zugrunde liegen können den sozialen Ideen.

Da berühre ich allerdings etwas, das für die gegenwärtige Menschheit mit ihren furchtbaren Vorurteilen noch ganz unverständlich ist. Die gegenwärtige Menschheit glaubt, sie denkt bloß mit dem Kopfe. Das ist ein Unsinn. Man denkt und fühlt und will nicht bloß mit dem Kopfe, sondern mit dem ganzen Menschen. Arme und Beine sind ebensolche Seelenorgane wie der Kopf. Das ist eines der schlimmsten Vorurteile, daß das Seelenleben organisch einseitig dem Nervenleben zugeteilt worden ist. Nur das intellektualistische Leben ist dem Nervenleben zugeteilt. So daß also gerade aus den zentrifugalen Kräften heraus, aus den frischen organischen Kräften, die nicht das Chaos repräsentieren, sondern die gerade in der Gliedmaßenorganisation des Menschen und allem, was dazu gehört, leben, dasjenige sich entwickeln muß, was soziale Impulse abgeben kann, vorzugsweise soziale Impulse des äußeren Lebens, besonders des dritten Gliedes des sozialen Organismus, des wirtschaftlichen Lebens. Hier hat der Mensch es zu tun mit den jüngsten Bildungen. In seiner Hauptesorganisation, die der Geistesorganisation zugrunde liegt, hat man es zu tun mit den ältesten Bildungen. Hier in alledem> was zugrunde liegt der wirtschaftlichen Organisation, hat man es zu tun mit den jüngsten Bildungen, mit denjenigen Bildungen, die Träger des Menschenwillens sind, die beim Menschen heute im normalen Bewußtseinszustande durchaus im Unbewußten liegen, die aber heraufgeholt

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werden müssen durch Initiationswissenschaft, durch Mysterienwissenschaft aus dem Unbewußten. Und wie können sie heraufgeholt werden? Ich brauche Ihnen ja nicht zu schildern, wie das eigentliche freie Geistesleben zustande zu kommen hat. Das freie Geistesleben beginnt mit der Erziehung des Kindes, holt dasjenige heraus aus der kindlichen Individualität, was durch die Götter heruntergeschickt wird aus den geistigen Welten, wenn die Kinder durch die Geburt ins physische Dasein eintreten. Da arbeiten wir aus dem Chaos, aus der dunklen, nebeligen Tiefe heraus, um die menschlichen Genialitäten, um die menschlichen Veranlagungen aus dem Geiste heraus durch das Chaos der Materie in das physische Dasein hereinzuführen.

Anders steht die Sache, wenn wir appellieren müssen an das, was im Menschen das jüngste Glied seiner Organisation ist, wo er im normalen Bewußtsein völlig unbewußt ist, wo die Initiationswissenschaft alles heraufholen muß aus diesen unbewußten Tiefen. Wie geschieht das? Nun, beim sozialen Denken ist es anders als beim Denken aus dem Geistigen heraus. Beim Geistigen beruht alles auf der Entwickelung der Individualität. Beim sozialen Denken ist es so, daß man zum Beispiel statistisch ausrechnen kann, wieviel Menschen, sagen wir, von tausend Zwanzigjährigen sechzig Jahre alt werden. Man kann gut darüber Zahlen bekommen, indem man über ein gewisses Gebiet Tausende von Zwanzigjährigen annimmt; von diesen Tausenden Zwanzigjährigen, von denen sind nach zehn Jahren so und so viel Dreißigjährige, nach weiteren zehn Jahren so viel Vierzigjährige, wieder nach zehn Jahren so viel Fünfzigjährige, dann so viel Sechzigjährige da. Eine gewisse Rechnungsart, die Wahrscheinlichkeitsrechnung, stützt sich auf dasjenige, was man auf diese Weise aus dem zahlenmäßigen Gang von Menschengruppen-Entwickelung entnehmen kann. Und man kann sich mit sozialen Einrichtungen auf diese Rechnung verlassen. Die Versicherungseinrichtungen beruhen ja auf diesen Berechnungen. Wenn ich als Zwanzigjähriger mein Leben versichere, so habe ich zu zahlen nach dem Maße, das herauskommt, wenn man berechnet, wieviel von tausend Zwanzigjährigen zum Beispiel noch sechzig Jahre alt werden, also sagen wir, wieviel man auszuzahlen hat im sechzigsten Jahre. Und indem man die Sache sozial nimmt, indem man die Sache gruppenweise nimmt,

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stimmt die Sache, sonst würden ja alle Versicherungsgesellschaften zugrunde gehen müssen. Sie beruhen auf solchen Gruppierungen von Fakten in der Menschheitsentwickelung. Hat diese Berechnung für den einzelnen einen Wert? Und aus dieser Berechnung, bekommt man da heraus, wenn man ein Zwanzigjähriger ist, wie groß für einen die wahrscheinliche Lebensdauer noch ist? Niemand wird sich sagen: Also lebe ich nur so und so lange -, jene wahrscheinliche Lebensdauer, nach der man sein Leben versichert, ist eine andere als diejenige, mit der man rechnet als einzelner Mensch, als Individualität. Das steht auf ganz verschiedenen Gebieten des Denkens, des Urteilbildens. Man muß ganz anders über den Menschen denken, wenn man ihn versichern will, also eine soziale Einrichtung treffen will, als wenn man als Mensch, als einzelner Mensch über sein Leben denkt.

Und wenn man überhaupt zu sozialen Einrichtungen, namentlich denjenigen, die wirtschaftlicher Art sind, kommen will, was muß man dann tun? Man muß ganz nach Art dieser Versicherungsstatistik überhaupt Statistik treiben, man muß zusammenstellen dasjenige, was sich ergibt. Daraus bekommt man niemals jene Weisheit, die aufsteigt aus dem Inneren des Menschen, aus dem Chaos, sondern man bekommt etwas, was sich zahlenmäßig ausdrücken läßt. Sehen Sie sich doch um in alle dem, wozu die Menschen gekommen sind, namentlich diejenigen der westlichen Wissenschaft. Sie finden doch überall Statistik, und aus der Statistik wird erschlossen, wieviel man Zoll zahlen soll auf diesen oder jenen Artikel, wieviel man zu diesem oder jenem braucht und so weiter. Das ist eine ganz ähnliche Berechnung wie die Versicherungsberechnung. Indem man auf das eine hinschaut, auf das, was schöpferisch im Geistesleben steht, unterliegt man einer ganz andern Urteilsbildung, als indem man auf dasjenige hinschaut, was sozial sich in Menschengruppen einrichtet. Aber das, was sozial sich in Menschengruppen einrichtet, was man auf diese Weise berechnen kann, das hängt eben zusammen mit diesen zentrifugalen Kräften, das hängt zusammen mit den jüngsten Organisationskräften des Menschen, die es noch nicht bis zum Bewußtsein gebracht haben, deren Inhalt daher geschlossen werden muß aus der Statistik.

Diejenigen Menschen, die einen ganz besonderen Enthusiasmus haben,

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einen zynischen Enthusiasmus, wie ihn Nietzsche hatte, für alles das, was aus dem Inneren des Menschen, aus dem Chaos des Menschen entspringt und sich herausarbeitet aus diesem Chaos, die finden, daß eigentlich nur das einen Wert hat, was so aus diesem innersten Chaos heraus sich arbeitet, und alles Gruppenmäßige verachten sie. Nietzsche hat furchtbar verachtet alles dasjenige, was gruppenmäßig in der Welt ist. Daher hat Nietzsche auch insbesondere in seiner frühen Epoche die ganze Entwickelung der Menschheit so betrachtet, daß für ihn, für seine Weltbetrachtung nur einen Wert hatten die einzelnen auserlesenen Individuen. Die Weltgeschichte betrachtete Nietzsche so, daß sie eigentlich nur der Weg ist, damit die andern, Nichtsbedeutenden, den Umweg bilden zu den paar hervorragenden Individuen. Das war für Nietzsche Grundlage seiner ersten Weltbetrachtung. Er wollte überhaupt nur den Blick richten auf die paar Genies, welche die Menschheitsentwickelung hat. Das übrige, von dem sagte Nietzsche, es hole sichs der Teufel oder die Statistik. Das war ungefähr für ihn dasselbe. Aber auf diese Statistik wird ja heute dasjenige gebaut, muß gebaut werden, was sich bezieht auf die wirtschaftliche Gestaltung, auf die wirtschaftliche Urteilsbildung, die mit den zentrifugalen Kräften, mit den jüngsten Kräften der Menschheitsorganisation zu tun haben.

Aber aus dieser Statistik kann eigentlich etwas Heilsames doch nicht folgen. Trotzkij und Lenin haben aus solchen Statistiken ihre hauptsächlichste Wahrheit, und in dem rein wirtschaftlichen Denken des Westens spielt die Statistik eine große Rolle. Aber diese ganze Statistik hat eigentlich einen unmittelbaren Wert nicht. Ich möchte Sie doch darauf verweisen, versuchen Sie es einmal in einer, ich will sagen, noch so genialen Weise, sich Statistiken zusammenzustellen, Sie werden kaum sehr viel herausbekommen, und man muß schon sagen, was mit Statistik auch als Sozialwissenschaft getrieben worden ist, es ist ein ziemlich schlimmes Ding. Es kommt nicht viel dabei heraus und ist nicht viel dabei herausgekommen. Im Grunde genommen gruppieren die einen so die Zahlen, die andern gruppieren sie anders, und darnach kommen dann die verschiedensten Ratschläge in der Sozialwissenschaft heraus.

Woher rührt das? Das rührt davon her, daß eben die Kräfte, auf die sich das bezieht, die zentrifugalen Kräfte, eben doch die jüngsten Kräfte im

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Menschen sind, diejenigen Kräfte, die überhaupt noch zu keinem Bewußtsein heraufgekommen sind. Da irrt der Mensch noch kindlich herum in dieser Region. So daß wir sagen müßten: Wenn man auf dasjenige, was im Normalbewußtsein der Menschheit heute vorhanden ist, Sozialwissenschaft, soziale Impulse gründen wollte, so käme überhaupt nichts heraus. Ehe man sich nicht gesteht, daß die Wissenschaft und das Bewußtsein der Gegenwart impotent sind in bezug auf die Bildung eines sozialen Urteiles, so wie diese Wissenschaft, so wie dieses gewöhnliche Bewußtsein ist, ehe man sich das nicht zugesteht, eher gibt es keine klare Einsicht in dasjenige, was notwendig ist. - Denn was ist notwendig? Zu wissen, daß der einzelne überhaupt mit den Zahlen nichts machen kann, daß nur Assoziationen mit den Zahlen etwas machen können, Gruppen von Menschen, die diese Erfahrungen, gegenseitig einander ergänzend, verwerten. Aber solche Assoziationen, sie werden trotzdem nichts Besonderes ausrichten, wenn sie nicht Richtkräfte haben, und welches müssen diese Richtkräfte sein? Diejenigen, die aus dem imaginativen Erkennen kommen, die aufsteigen aus der Initiationswissenschaft. Es müssen Leute kommen, die in einem gewissen Sinne initiiert sind, und müssen die Erfahrungen der Assoziationen gerade im wirtschaftlichen Leben in die richtigen Bahnen bringen.

Wo wird man zuerst geisteswissenschaftliche Richtkräfte brauchen, wenn man die Bedürfnisse der Menschheit in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft richtig versteht? Man wird sie brauchen gerade auf dem Boden des Wirtschaftslebens. Da müssen sich Assoziationen bilden, da müssen diejenigen Erfahrungen, die die Assoziationen in ihren Zahlen zusammenstellen, ihre Richtkräfte erfahren durch jene Wirkungen, die einzig und allein aus der inneren Erfahrung in den höheren Welten gewonnen werden können. Das Geistesleben, das das Leben der Genies ist, das muß aus dem Chaos der natürlichen Organisation in der Erziehung herausgeholt werden. Dasjenige, was dem Wirtschaftsleben zugrunde liegt, das muß in seinen Richtkräften geholt werden aus der Initiationswissenschaft, und diese Initiationsrichtkräfte müssen ordnen, was gesammelt wird von den einzelnen Assoziationen aus diesem oder jenem Berufskreise, aus diesem oder jenem Industrie-, Ackerbaukreise und so weiter. Gerade das Wirtschaftsleben macht den Einfluß des Geisteslebens

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am allermeisten notwendig, und gerade im Wirtschaftsleben wird man nicht weiterkommen ohne dieses, denn im Wirtschaftsleben wird alles instinktiv bleiben, wenn es nicht dadurch zur Bewußtheit gebracht wird, daß es in dieser Weise sich entwickelt, wie ich gesagt habe. Daher müßte man sagen: Zunächst einen Besen her und alles das aus dem Wirtschaftsleben heraus, was den Geist negiert! Davon hängt das Heil der zukünftigen Menschheit ab. Alles, was nicht den Geist will, heraus aus dem Wirtschaftsleben, gerade aus dem Wirtschaftsleben! Da ist es am aller- notwendigsten, sonst kommt das wirtschaftliche Chaos und damit überhaupt das zivilisatorische Chaos. Und das zeigt sich ja, ich möchte sagen, klar und deutlich genug.

Es ist merkwürdig, wie das Denken der Menschen in diesem katastrophalen weltgeschichtlichen Augenblicke war. Die Menschen haben hereinbrechen sehen seit 1914 die Weltkatastrophe. Was haben sie sich gedacht? Sie haben sich gedacht: Nun, wenn nur nächstes Jahr Friede kommt, dann sind wir doch wiederum in Ordnung. - Und als der Friede nicht gekommen war: Nun, wenn er nur nächstes Jahr kommt! - und so weiter. Dann kam ein Friede, der aber nur Ausgangspunkt für eigentlich noch größere Konflikte war. Nun schlafen die Menschen weiter. Sie sehen nicht, wie von Monat zu Monat die Niedergangskräfte sich häufen, stärker werden. Sie wollen es nicht sehen. Warum wollen sie es nicht sehen? Weil sie den Geist nicht haben wollen, weil sie dasjenige nicht haben wollen, was einzig und allein der Welt wirklich aufhelfen kann. Es nützt nichts, heute zu glauben, man könne mit dem oder jenem, was herausragt aus dem Alten, Kompromisse schließen. Das geht nicht. Die Welt will neu gebaut sein, die Welt will aus neuen Quellen heraus neue Kräfte haben. Was als Initiationswissenschaft geltend gemacht werden muß, und aus dem solche Impulse kommen sollen, die ich charakterisiert habe, das ist das, was neu herein will in die Welt, und was man aufnehmen muß, weil vor allen Dingen dasjenige, was zu einem Aufstieg führen soll, ohne das verfallen muß, nicht weiterkommen kann. Es handelt sich darum, daß von diesen Dingen ein starkes Bewußtsein, namentlich in denjenigen Menschen sich festsetzt, welche gewissermaßen die größte Verantwortlichkeit haben in der nächsten Zeit - ich habe schon einmal von diesen Tatsachen hier gesprochen -, das ist die anglo-amerikanische Bevölkerung. Diejenigen Bevölkerungen,

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die in Mittel- und Osteuropa sind, sie liegen auf dem Boden. Die anglo-amerikanische Bevölkerung hat damit, daß sie dasteht als diejenige, deren Macht sich ausbreitet, deren Einfluß vor allen Dingen sich ausbreitet, die unbedingte Verantwortung, dem Geistesleben sich zuzuwenden.

Und man möchte sagen, deshalb war es von einer so großen Wichtigkeit, daß auf neutralem Boden der Repräsentant unserer Geistesbewegung während der katastrophalen Jahre stand. Hier in Dornach gab es einen neutralen Boden, auf dem sich aus allen Nationen finden konnten diejenigen Menschen, die kommen wollten, wo niemandem ein Hindernis in den Weg gelegt worden ist von dem, was im Boden der Geisteswissenschaft selbst wurzelt. Es ist, ich möchte sagen, herausgestellt worden aus Mitteleuropa dasjenige, was jetzt hier steht. Es sind wahrhaftig nicht die schlechtesten Kräfte dieses Mitteleuropas, die auch in materieller Beziehung das hingestellt haben, das jetzt dasteht, und was dasteht so, daß es frägt: Bringt ihm die Welt Verständnis entgegen? - Mitteleuropa kann so nicht gefragt werden: Bringt ihm die Welt Verständnis entgegen? - denn es liegt am Boden, das geht seiner geistigen, seiner wirtschaftlichen Entwertung entgegen. Daß es Werte in sich gehabt hat, mag daraus hervorgehen, daß es hierher stellen konnte diesen Bau. Jetzt steht er als Frage da, ob man ihm Verständnis entgegenbringt. Und es ist schon eine Weltfrage, eine Frage, die in die Welt hinaus gerichtet wird: Wird dieser Bau einstmals unvollendet dastehen, wie es ja heute mehr scheinen kann, wird er einmal unvollendet dastehen, wird er nur so viel gebaut sein, als von Mitteleuropa an ihm gebaut worden ist und als von neutralen Gebieten hinzugefügt worden ist? Oder wird von der angloamerikanischen Welt Verständnis entgegengebracht werden dieser Frage an die Menschheitszukunft? Man sollte diese Frage als eine tief bedeutungsvolle empfinden. Denn entweder wird man zum Geiste ja sagen, dann wird man auch die Mittel und Wege finden, das, was sonst unvollendet bleiben muß, fertig zu machen, oder man wird zum Geiste nein sagen, dann wird hier ein unvollendeter Bau stehen, zum Zeichen dafür, daß man dasjenige, was die Aufsteigekräfte sind, nicht verstehen wollte. Darin aber auch wird man die Frage verneint haben, ob man es mit dem Fortschritt der Menschheit ernst nehmen will.

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ZWÖLFTER VORTRAG Dornach, 3. September 1920

Es handelt sich gegenüber den geisteswissenschaftlichen Bestrebungen darum, daß man dasjenige, was eingesehen werden soll, nach und nach von den verschiedensten Gesichtspunkten her kennenlernt. Man kann sagen, die Welt erwartet gerade von dem, was geisteswissenschaftlich ist, eine leichtgeschürzte Überzeugungsmöglichkeit. Allein, die ist nicht so ohne weiteres zu schaffen. Denn gegenüber den geisteswissenschaftlichen Tatsachen handelt es sich darum, daß man die Überzeugung eigentlich entwickelungsgemäß erhält. Sie beginnt mit einem gewissen Stadium, das noch schwach ist, und man lernt dann dieselben Dinge von immer neuen und neuen Gesichtspunkten kennen, und dadurch verstärkt sich immer mehr und mehr diese Überzeugung. Das ist das eine> von dem ich heute ausgehen möchte. Das andere möchte anknüpfen an verschiedenes, das ich seit Wochen hier zur Erörterung gebracht habe, an- knüpfen an dasjenige, was gesagt worden ist über die Differenzierung der Menschheit über die zivilisierte Erde hin. Nur kurz lassen Sie mich einige der wesentlicheren Tatsachen andeuten, die für unsere Betrachtungen in diesen drei Tagen von einiger Wichtigkeit sind.

Ich habe darauf hingewiesen, in welchem Sinne der Orient die Quelle des eigentlichen Geisteslebens der Menschheit ist. Ich habe dann darauf hingewiesen, daß in mittleren Gegenden, Griechenland, Mitteleuropa, das Römische Reich - es erstreckt sich ja das, was zu sagen ist, über weite Zeiträume -, vor allen Dingen die Anlage dafür vorhanden ist, die rechtlichen, die staatlichen Begriffe zur Ausbildung zu bringen, und daß der Westen vorzugsweise daraufhin veranlagt ist, die wirtschaftlichen Begriffe zu der Gesamtzivilisation der Menschheit beizusteuern. Wenn wir nach dem Orient hinüberschauen - auch das ist ja schon er- wähnt worden -, so finden wir, daß heute sein zivilisatorisches Leben im wesentlichen in der Dekadenz ist, und wir müssen, um so recht einzusehen, was der Orient eigentlich für die Gesamtzivilisation der Menschheit ist, in ältere Zeiträume zurückgehen. Von den geschichtlich erlangbaren Dokumenten, die ein Beweis dafür sind, was der Orient ist,

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leuchten uns ja vor allen Dingen die Veden, die Vedantaphilosophie aus dem Orient entgegen und manches andere, was aber wiederum Zeugnis ist von dem, was in noch älteren Zeiten im Orient vorhanden war. Und diese Dinge weisen darauf hin, wie aus einer ursprünglichen, ganz geistigen Veranlagung der Menschheit des Orients ein Geistesleben geboren worden ist. Dann kamen für den Orient auch die Zeiten der Verdunklung dieses Geisteslebens. Wer aber das, was heute im Orient geschieht, selbst wenn es nur noch die Karikatur des Alten ist, in richtiger Weise ins Auge zu fassen versteht, der sieht auch heute in den dekadenten Dingen noch immer die Nachwirkung des alten Geisteslebens.

In einer etwas späteren Zeit hat sich über die mittleren Gegenden der Erde hin, im alten Griechenland, im alten Rom, später in jenen Gebieten, die sich vom Mittelalter ab über Europa ausgebreitet haben, entwickelt, was das eigentliche rechtliche oder staatliche Denken ist. Der Orient hatte ursprünglich kein eigentliches staatliches, hatte vor allen Dingen nicht das, was wir ein juristisches Denken nennen. Dem widerspricht auch nicht, daß es etwa Gesetzbücher gibt wie die des Hammurabi und dergleichen. Denn wer den Inhalt dieser Gesetzbücher nimmt, der wird aus dem ganzen Ton und der ganzen Haltung erkennen, daß es sich da um etwas anderes handelt als um eine Denkweise, die wir innerhalb des Abendlandes als eine juristische bezeichnen. Und im Westen ist es erst die neueste Zeit, wo sich ein eigentliches wirtschaftliches Denken entwickelt. Selbst die Wissenschaft, wie sie da getrieben wird, nimmt, wie ich ja schon ausgeführt habe, die Formen an, die eigentlich in das Wirtschaftsleben hineingehören.

Was das orientalische Geistesleben betrifft, so ist es ja interessant, zu beobachten, wie alles das, was das Abendland bisher gehabt hat, im Grunde genommen auch Erbe des orientalischen Geisteslebens ist, allerdings in Umwandlungen. Ich habe hier einmal aufmerksam darauf gemacht, wie sehr das orientalische Geistesleben sich umgewandelt hat innerhalb Europas. Da liegt ja doch die Tatsache vor, daß jene Fähigkeiten, die im Orient gewaltet haben, eine Anschauung der unsterblichen Menschenseele hervorgetrieben haben, aber so, daß diese Unsterblichkeit mit einer Ungeburtlichkeit eben wesentlich verbunden war. Das präexistente Leben, das Leben der Seele vor diesem irdischen Leben zwischen

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Geburt und Tod, das war vor allen Dingen das, was für den orientalischen Geist vor der Seele, vor der Anschauung der Seele lag. Das andere ergab sich gewissermaßen als eine Konsequenz. Und daraus ergaben sich dann jene großen Zusammenhänge, die vom Abendländer ja bis heute nur geahnt werden, die man die karmischen Zusammenhänge nennen kann, die dann einen Abglanz hinterlassen haben in der griechischen Schicksalsidee, aber nur einen schwachen Abglanz. Und was ist denn eigentlich übergegangen in das Abendland, selbst von denjenigen Begriffen, durch die man das Mysterium von Golgatha zu verstehen versucht hat, was ist denn übergegangen in diese abendländische Ausbildung? Etwas, was sehr stark gefärbt ist von juristischem Denken. Es ist etwas radikal verschiedenes, wenn man auf der einen Seite betrachtet den Weg der Seele im Sinne der orientalischen Weltanschauung, wie sie aus der geistigen Welt heruntersteigt in die physische Welt, wieder hinaufsteigt in die geistige Welt, wie man da nach großen Gesichtspunkten die Schicksalszusammenhänge ins Auge faßt, und das juristische Gericht- halten über die Seele, von dem diese orientalischen Vorstellungen im Abendlande durchdrungen worden sind. Man erinnere sich nur an das gewaltige Bild Michelangelos im Vatikan, in der Sixtinischen Kapelle, man erinnere sich daran, wie da der Weltenrichter wie der universelle Jurist über die Guten und über die Bösen urteilt. Das ist ins abendländische Juristische umgesetzte orientalische Weltanschauung, das ist in keiner Weise ursprüngliche orientalische Weltanschauung. Dieses juristische Denken liegt ganz außerhalb des orientalischen Anschauens. Und je weiter fortgeschritten gerade in Mitteleuropa die Anschauung vom Geistigen ist, um so mehr lief das Geistige in das Römisch-Juristische ein.

Also in mittleren Gegenden haben wir es vor allem zu tun mit dem, was veranlagt ist für das Juristisch-Staatliche. Nun aber ist die Zivilisation doch nicht bloß in der Weise differenziert über die Erde hin, sondern auch noch in einer andern Weise. Wenn man eingeht auf das, was der Orient geleistet hat, wenn man die besondere Nuance des Seelenlebens des Orients gerade da, wo dieses Seelenleben am größten ist, ins Auge faßt, dann findet man, daß dieses orientalische Seelenleben, trotzdem es vorzugsweise Geistiges produziert, von dem, wie gesagt, die ganze Menschheit weiterzehrte, im eminentesten Sinne instinktiv, atavistisch

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instinktiv ist. Es kommt heraus aus unterbewußten Imaginationen, die allerdings schon von einem gewissen Strahl des Bewußtseins übertönt sind. Aber es ist viel Unbewußtes, viel Instinktives darinnen.

So wird eigentlich das, was die Menschheit an geistigem Leben bisher hervorgebracht hat, so hervorgebracht, daß es hinaufweist in die höchsten Gebiete, deren die menschliche Seele teilhaftig werden kann; aber in einer Art instinktiven Höhenflugs wurden diese Gebiete erreicht. Es genügt nicht, wenn man den Begriffen oder den Bildern nachzeichnet, was der Orient ausgebildet hat, sondern man muß die besondere Art des Geistes- und Seelenlebens ins Auge fassen, durch die der Orientale gerade in seiner Blütezeit zu diesen Vorstellungen gekommen ist. Von dieser besonderen Seelenart, die ich hier auch schon charakterisiert habe> indem ich sie an das Stoffwechselleben anknüpfte, bekommt man allerdings nur eine Vorstellung, wenn man den ganzen ursprünglichen Seelenduktus von so etwas, wie die Veden und dergleichen sind, empfinden kann. Man darf eben durchaus nicht aus dem Auge verlieren, daß heute der Orient in seiner Dekadenz angekommen ist, und man dürfte zum Beispiel in keiner Weise jene mystisch-nebulose Art, die trotz seiner Größe Rabindranath Tagore auszeichnet, verwechseln mit dem, was wirklich das Wesen orientalischen Seelenlebens ist; denn Rabindranath Tagore hat allerdings dasjenige, was sich vom alten orientalischen Seelenleben bis heute herauf verpflanzt hat, aber er durch webt es mit allen möglichen neueren westeuropäischen Koketterien und ist vor allen Dingen ein koketter Geist.

Diese Dinge, die müssen nach und nach von der Geisteswissenschaft wirklich so erfaßt werden, daß man nicht bloß hingepfahlte Begriffe nimmt, sondern daß man die besondere Seelennuance, die dabei in Betracht kommt, wirklich ins Auge faßt. Also ein instinktives Geistesleben im Orient, durchwoben durch und durch von der Anschauung desjenigen, was sich als juristisch-staatliches Seelenleben entwickelt in den mittleren Gegenden. Da kommen wir dazu, daß sich das Halbinstinktive entwickelt, halbbewußt> halbinstinktiv. Es ist höchst interessant, wie,sagen wir, aus Fiehtes, aus Goethes, aus Schellings, aus Hegels Seele heraus sich ein rein juristisches Denken ergibt. Es ist rein juristisch, aber es ist halb instinktiv und halb stark bewußt. Das ist zum Beispiel gerade

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bei Hegel das Reizvolle, dieses halb Instinktive und halb Vollbewußte. Und etwas ganz Bewußtes tritt erst auf im Westen, in der westlichen Seele, wo aus den Instinkten selber das Bewußtsein sich herausbildet - es ist das Bewußte noch instinktiv in der westlichen Seele, aber es kommt instinktiv das Bewußte heraus - In dem westlichen wirtschaftlichen Denken. So daß da zum ersten Male die Menschheit angewiesen ist, aus dem Bewußtsein heraus zu einer Durchdringung auch der öffentlichen sozialen Angelegenheiten zu kommen.

Und da stellt sich denn etwas höchst Merkwürdiges heraus. Man könnte geradezu empfehlen, die Leute, denen es irgendwie darauf an- kommt, sollten jetzt versuchen, die ganze Konfiguration des Denkens der zivilisierten Menschheit zu verstehen, sollten sich bekanntmachen mit den Versuchen, zu einer sozialen Denkweise zu kommen, bei den englischen Denkern, sagen wir Spencer, Bentham, namentlich Huxley und so weiter. Diese Denker wurzeln ja alle in derselben Denkatmosphäre, in der Darwin wurzelte, und sie denken alle eigentlich so, wie Darwin dachte, nur bemühen sie sich, zum Beispiel Huxley, aus ihrem naturwissenschaftlichen Denken ein soziales Denken herauszuentwikkeln. Man hat ja ein merkwürdiges Gefühl, wenn man sich so vertieft, sagen wir, in die Huxleyschen Versuche, zu einem sozialen Denken zu kommen, sagen wir über den Staat, über das rechtliche Zusammenleben der Menschen. Man hat ein eigentümliches Gefühl. Man nehme einmal folgendes an: Jemand wollte sich ein Gefühl von dem, was ich hier meine, verschaffen, und er würde zu diesem Zwecke, sagen wir, so etwas wie Hegels Buch über das Naturrecht oder die Staatswissenschaften oder Fichtes Rechtsphilosophie in die Hand nehmen oder irgend etwas anderes, auch von unbedeutenderen Geistern Mitteleuropas, und würde hinterher etwa Huxleys Versuche, aus dem naturwissenschaftlichen Denken in ein staatliches Denken hineinzukommen, lesen. Da würde man etwa folgendes erleben. Man würde sich sagen: Ja, jetzt lese ich Fichte, jetzt Hegel, das alles, das sind ausgebildete Begriffe, das sind Begriffe, die wirklich stark konturiert und intensiv gemalt sind. Und nun lese ich Huxley oder Spencer: das ist primitiv, das ist, wie wenn man eben anfangen würde, über diese Dinge nachzudenken. - Wenn man solchen Dingen gegenübersteht, kommt man nicht etwa damit aus,

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daß man sagt, das eine war vollkommen, das andere unvollkommen. Mit solchen Dingen kommt man überhaupt nicht aus, wenn man Realitäten gegenübersteht.

Ich will Ihnen von einem ganz andern Gebiete her eine Parallelesagen. Es kann einem vorkommen, daß man über irgend etwas aus der Geisteswissenschaft heraus vorträgt, sagen wir über die vorhergehende Verkörperung der Erde, über die Mondenverkörperung. Man gibt allerlei an. Irgend jemand liest das, oder hört zu, der in ganz atavistischer Weise hellsichtig ist. Das kann eine Persönlichkeit sein, die äußerlich -logisch ist, die im gewöhnlichen praktischen Leben keine fünf Worte in logischer Weise aneinanderreihen kann, überall tapsig ist, so daß man sie zu dem oder jenem und zu allem andern auch noch dazu nicht gebrauchen kann im gewöhnlichen Leben. Nun hört solch eine Persönlichkeit das, was man eben über die Konfiguration irgendeiner Mondenzeit sagt, und die betreffende Persönlichkeit, die im äußeren Leben dumm und ungeschickt und so ist, daß sie kaum bis fünf ordentlich zählen kann, die aber atavistisch hellsichtig ist, die kann nun das aufnehmen, was sie da gehört hat, und sie kann es erweitern, kann weiteres ausbilden, und Dinge, die nicht gesagt worden sind, dazu finden. Aber die Dinge, die diese Persönlichkeit dann dazu findet, können von einer außerordentlich scharfsinnigen Logik durchzogen sein, von einer Logik, die bewunderungswürdig ist, während die Persönlichkeit im äußeren Leben tapsig und unlogisch ist, nicht fünf Worte logisch zusammenfügen kann. Das kann durchaus sein; denn wenn jemand atavistisch hellsehend ist, so fügt seine Bilder - und die Bilder kann er selber finden - in logischer Weise nicht sein Ich zusammen, sondern es fügen sie zusammen allerlei geistige Wesenheiten, die in ihm stehen. Deren Logik lernt man dann kennen, nicht seine Logik lernt man dann kennen.

So darf man nicht so einfach sagen, das eine steht höher, das andere steht tiefer, sondern man muß überall auf den speziellen Charakter der Sache eingehen. Und so ist es auch hier. Fichtes oder Hegels oder minderer Geister juristische oder sonstige Anschauungen, die sind halb instinktiv, nur halb vollbewußt. Dasjenige, was aber da im Westen als primitives wirtschaftliches Denken auftritt, das ist nun allerdings ganz bewußt; impertinent bewußt sind solche Dinge wie diese, die von

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Huxley oder von Spencer oder dergleichen Leuten, aber in primitiver Weise ausgedacht werden; aber sie sind eben primitiv. Dasjenige, was früher in instinktiver Weise zutage getreten ist oder in halbinstinktiver Weise, das kommt da in bewußter Weise, aber so recht hübsch im An- fange zum Vorschein. Ich will Ihnen das an eInem konkreten Beispiel verdeutlichen.

Huxley sagt sich: Man betrachte die Natur - er betrachtet sie selbstverständlich im darwinistischen Sinne -, da ist Kampf ums Dasein. Jedes Wesen kämpft rücksichtslos für seine Selbsterhaltung, und das Ganze kämpft so, daß die in der Natur Stärksten übrigbleiben, indem sie die Schwächeren ausrotten. - Das ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen, dem Huxley. Das aber kann sich doch nicht in die Menschheit herauf fortpflanzen. Freiheit, wie man sie Im menschlich-sozialen Leben suchen soll, gibt es in der Natur nicht, denn Freiheit kann es nicht geben, meint Huxley, in einem Reiche, wo ein jedes Wesen entweder sich rücksichtslos selbst behaupten oder sterben muß. Gleichheit kann es nicht geben da, wo die Tüchtigsten immer die andern aus der Welt schaffen müssen. Nun sieht Huxley weg von diesem Naturreiche auf das soziale Reich, und nun Ist er genötigt zu sagen: Ja, aber im sozialen Reich soll das Gute herrschen, soll Freiheit herrschen; da muß also etwas eintreten, was in der Natur noch nicht gefunden werden kann.

Es ist wiederum die große Kluft, die ich schon von den verschiedensten Gesichtspunkten aus charakterisiert habe. Sehr schön nennt Huxley einmal den Menschen «the splendid rebel», den glänzenden Rebellen, der gerade, um ein menschliches Reich aufzurichten, Rebell ist gegenüber alledem, was in der Natur herrscht. Da tritt also etwas ein, was in der Natur noch nicht vorhanden ist. Aber nun denkt Huxley eigentlich wiederum naturwissenschaftlich. Da ist er genötigt, natürliche Kräfte im Menschen zu finden, welche das soziale Leben konstituieren, welche sich gegen die Natur selber auflehnen. Er will etwas Konkretes finden, was im Menschen ist und was die menschliche soziale Gemeinschaft begründet; denn die sonstigen natürlichen Kräfte der natürlichen Reiche könIien diese soziale Gemeinschaft nicht begründen, denn da ist Kampf ums Dasein, da ist nichts von alledem, was die Menschen in einem sozialen Zusammenhang eben zusammenhalten könnte. Und dennoch, für Huxley

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gibt es ja wiederum nichts anderes als diesen natürlichen Zusammenhang. Also dieser «splendid rebel», der muß nun selber wiederum natürliche Kräfte haben, die eigentlich als Naturkräfte rebellieren gegen die allgemeinen Naturkräfte. Und da findet Huxley zwei Naturkräfte, die zugleich die Grundkräfte des sozialen Lebens sind. Die eine Natur- kraft, die ist eigentlich per nefas aufgestellt, denn sie kann noch nicht eigentlich ein soziales Leben, sondern nur den Familienegoismus begründen. Es ist dasjenige, was Huxley die Familienanziehung nennt, also dasjenige, was innerhalb der Blutsverwandtschaft wirkt. Das andere aber, was er anführt, und was nun eine Art Grundlage bilden könnte, eine Naturgrundlage für das soziale Leben, das ist das, was er nennt «human instinct for mimicry», Nachahmungsbegabung des Menschen, Begabung für Nachahmung.

Nun haben wir etwas, was im Menschen auftritt im Sinne von Huxley: Imitationskraft. Das heißt, der eine macht es dem andern nach, und deshalb geht nicht jeder bloß seine eigenen Wege, sondern es geht die ganze Gesellschaft, das soziale Leben gewissermaßen gleiche Wege, weil es einer dem andern nachmacht. Bis hierher kommt Huxley. Es ist interessant, denn Sie wissen, wir haben aufgestellt, wenn wir den Menschen verfolgen, vom ersten bis zum siebenten Jahre das Imitationselement, vom siebenten bis zum vierzehnten Jahre das Autoritätselement, und vom vierzehnten bis zum einundzwanzigsten Jahre das selbständige Urteilselement. Die wirken natürlich alle mit beim sozialen Gestalten. Aber Huxley bleibt beim ersten stehen; er arbeitet sich erst aus dem Primitiven heraus. Er hat nichts anderes als das, was im Menschen eigentlich nur bis zum siebenten Lebensjahre wirkt. Nichts Geringeres liegt eigentlich vor, als daß, wenn die soziale Gemeinschaft, wie sie Huxley sich denkt, wirklich bestehen würde, Sie aus lauter Kindern bestehen müßte und die Menschen immer Kinder bleiben müßten. Also die soziale Gesellschaft dieses Westens ist eigentlich erst dazu gekommen, das soziale Leben so weit zu denken, wie es für Kinder gilt. Weiter ist sie noch nicht gekommen, die mit voller Bewußtheit angestrebte Sozialwissenschaft. Das ist außerordentlich interessant.

Da sehen Sie das Primitive an einem besonderen Element. Da arbeitet aus dem naturwissenschaftlich-wirtschaftlichen Denken heraus dieser

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Westen und erlangt auf bewußte Weise etwas, was im mittleren Teile auf halbbewußte Weise oder auf halbinstinktive Weise auf einer höheren Stufe erlangt worden ist. Man kann diese Dinge geradezu Im einzelnen verfolgen, und sie werden interessant, wenn man sie im einzelnen verfolgt. Alle Dinge, welche die Geisteswissenschaft zutage fördert, sie können Immer durch Einzelheiten verfolgt werden. Es müßte nur bei einer genügend großen Anzahl von Menschen der genügende Fleiß entstehen, wirklich die Dinge der Geisteswissenschaft im einzelnen zu verfolgen.

Ich möchte sagen: Wird man denn da nicht wie mit der Nase darauf gestoßen, daß ja nun auch noch etwas anderes da sein muß, was mit- arbeitet an einer sozialen Gestaltung des Daseins? - Denn man kann doch nicht jetzt Sozietäten gründen, in denen nur diejenigen Kräfte walten, die Imitationskräfte sind; da würde man ja eigentlich nur Kinder drinnen haben können, und die Menschen müßten immerfort Kinder bleiben, wenn das Soziale nur dadurch entstünde, daß immer einer den andern nachahmt. Man muß, um nun wirklich zu etwas zu kommen, was auch wiederum Licht wirft auf das, was da primitiv versucht wird und was zusammenbringen kann Osten, Mitte und Westen, man muß von der Initiationswissenschaft ausgehen. Das heißt, wir müssen den Gedankengang, den wir jetzt versucht haben anzuknüpfen an das Vorliegende, den müssen wir jetzt anknüpfen an dasjenige, was die Initiationswissenschaft der Menschheit zu geben hat, damit diese Menschheit ein wirklich geistgemäß gestaltetes soziales Leben entwikkeln könne.

Die Menschen beachten ja nicht, wie die Umgebung des Menschen durchsetzt ist mit ganz genau differenzierten Kräften. Nicht wahr, die heutige Wissenschaftlichkeit bringt es dahin, sich zu sagen: Luft, die ist um uns, denn wir atmen sie ein, wir atmen sie aus. - Aber dasjenige, was eigentlich im Grunde genommen fast noch klarer ist als das «Luft ist um uns, zu unserem Leben, das beachten dann die Menschen nicht. Nehmen Sie folgendes ganz Einfache, das heute sich keiner sagt, das aber eigentlich sich jeder sagen könnte. Um uns Menschen herum breitet sich ein Tierreich aus. Dieses Tierreich weist Wesen in den mannigfaltigsten Gestaltungen auf. Veranschaulichen wir uns einmal im Geiste das ganze

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um uns herum sich ausbreitende mannigfaltige Tierreich. Ja, wenn da ein Tisch steht, so setzt jeder voraus: da sind irgendwie Kräfte vorhanden, die diesem Tisch diese Gestalt gegeben haben. Wenn da sich das Tierreich ringsherum ausbreitet, so müßte natürlich auch jeder voraus- setzen: da liegen in der Umgebung, geradeso wie die Luft da ist, diejenigen Kräfte, die den Wesen des Tierreiches diese Formen geben. Wir leben alle in demselben Reiche. Der Hund, das Pferd, der Ochs, der Esel, sie gehen ja nicht in einer andern Welt herum als in derjenigen, in der auch wir herumgehen. Und die Kräfte, die dem Esel die Eselsform geben, die wirken auch auf uns Menschen; wahrhaftig, sie wirken auch auf uns Menschen, und dennoch - verzeihen Sie, wenn man es radikal ausspricht - bekommen wir nicht die Eselsform. Es sind ja auch Elefanten in unserer Umgebung, und wir bekommen nicht die Elefantenform. Aber alle die Kräfte, die diese Formen bilden, die sind um uns herum. Warum bekommen wir denn nicht die Eselsforrn oder die Elefantenform? Weil wir andere Kräfte haben, die dem entgegenwirken. Wir würden die Esels- und die Elefantenform schon bekommen, wenn wir nicht andere Kräfte hätten, die dem entgegenwirken. Denn es ist schon so: wenn wir als Menschen einem Esel gegenüberstehen, da bekommt unser Ätherleib fortwährend die Tendenz, auch ein Esel zu werden. Er hat fortwährend das Bestreben, die Formen des Esels anzunehmen. Und nur dadurch, daß wir einen physischen Leib haben, der seine feste Form hat, dadurch verhindern wir unseren Atherleib, die Eselsform anzunehmen. Und wiederum, wenn wir einem Elefanten gegenüberstehen, will unser Ätherleib die Elefantenform annehmen, und nur dadurch, daß unser physischer Leib seine feste Form hat, wird der Ätherleib verhindert, ein Elefant zu werden, und so ein Hirschkäfer oder Mistkäfer und alles will der Ätherleib werden. Die ganzen Formen sind der AnIage nach in unseren Ätherleibern, und nur dadurch können wir diese Formen verstehen, daß wir sie innerlich gewissermaßen nachzeichnen.

Und unser physischer Leib verhindert uns nur, das alles zu werden. So daß wir sagen können: Das ganze Tierreich tragen wir in unserem Atherleib eigentlich in uns. Mensch sind wir nur im physischen Leib. Das ganze Tierreich tragen wir in unserem Ätherleib in uns.

Und wiederum sind wir umflossen von demselben Kräftegebiet, welches

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die Pflanzen formen bildet. Geradeso wie unser Ätherleib veranlagt ist, alle Tierformen anzunehmen, so ist unser Astralleib veranlagt, alle Pflanzenformen nachzubilden. Hier wird es schon angenehmer, Vergleiche zu machen, denn der Ätherleib ist von der Tendenz beseelt, wenn er einen Esel sieht, auch ein Esel zu werden; der Astralleib will bloß die Distel werden, die der Esel frißt. Aber dieser astralische Leib ist durchaus von der Tendenz durchseelt, sich auch denjenigen Kräften zu fügen, die ihren äußeren Ausdruck finden in den Pflanzenformen. So daß wir also sagen können, der Astralleib reagiert auf den Kräfte- komplex, der die Pflanzenwelt bildet.

Mineralreich: da ist wiederum ein Kräftekomplex, der die verschiedenen Formen des Mineralreiches bildet. Das wirkt in unserem Ich. Bei dem Ich, da haben Sie es nun ganz offenbar, denn Sie denken ja nur das Mineralreich. Bis zum Überdruß wird es ja immer gesagt, daß man nur das Tote begreifen kann mit dem Intellekt. Also das, was im Ich ist, versteht das Tote. So daß in diesem Kräftekomplex, der das Mineralreich formt, unser Ich lebt. Der physische Leib lebt als solcher eigentlich in keinem der Reiche, der hat ein Reich für sich, das wissen Sie ja. In meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» ist Mineralreich, Pflanzen- und Tierreich für sich aufgeführt, und das bedeutet, daß der physische Menschenleib ein Reich für sich hat. Aber das Tierreich ist eigentlich dem Ätherleib, das Pflanzenreich ist aus diesem Gesichtspunkte dem astralischen Leib, das Mineral dem Ich zugeteilt. Nun wissen Sie aber etwas anderes aus meinen verschiedenen Büchern. Sie wissen, daß während des Lebens gearbeitet wird an diesen verschiedenen Leibern. Ich habe es ja ausgeführt, wie gearbeitet wird an dem Ich, an dem Astralleib, an dem Ätherleib, sogar gearbeitet wird an dem physischen Leib. Ich habe das dort zunächst ausgeführt, ich möchte sagen, in menschlich humanistischer Absicht. Wollen wir es jetzt einmal von einem andern Gesichtspunkte ausführen.

Nehmen Sie einmal die mineralischen Begriffe, die der Mensch aufnimmt. Die Außenwelt erlebt er ja so, daß er sie in mineralischen Begriffen, Formen erlebt. Nur erleuchtetere Geister wie Goethe arbeiten sich hinauf zu den Bildformen, zu der Morphologie der Pflanzen, zu der Metamorphose. Da verwandeln sich die Gestalten. Aber die ge- wöhnliche,

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heute noch bestehende Ansicht, die lebt ja nur in den festen mineralischen Formen. Aber wenn nun das Ich diese Formen ausarbeitet, wenn es sie heraufarbeitet, was wird denn dann? Ja, dann wird das geistige Leben, das bewußte Geistesleben, das eine Gebiet des dreigegliederten sozialen Organismus. Das geistige Leben ist dasjenige, was das Ich bildet, indem es sich selber innerlich bearbeitet. Alles geistige Leben ist ja innerlich bildende Bearbeitung des Ich. Was das Ich aus dem mineralischen Reich gewinnt und wiederum umbildet in Kunst, Religion, Wissenschaft und so weiter, das ist geistige Welt, das ist umgebildetes Mineralreich, geistiges Gebiet.

Was entsteht nun dadurch, daß der Astralleib, der ja in unterbewußten Tiefen bei den meisten Menschen ist, eigentlich immer die Tendenz hat, alle möglichen Pflanzenformen zu werden? Wenn Sie das umbilden, was da im Astralleibe lebt, wenn das in halbinstinktiver, halbbewußter Form ins Bewußtsein heraufstrahlt, was entsteht dann? Dann entsteht das Rechts- oder Staatsgebiet.

Und wenn Sie dasjenige, was nun umgekehrt wird innerhalb des äußerlichen Lebens an dem, was der Mensch im Ätherleib von der Tierheit erlebt, wenn Sie das auffassen, was da von Mensch zu Mensch ist, dann bekommen Sie das dritte Gebiet des dreigliedrigen sozialen Organismus. Würden wir nur beim Ätherleib stehenbleiben, so wie er uns vorliegt von unserer Geburt her, so würden wir in diesem Ätherleib nur die Tendenz haben, bald ein Esel, bald ein Ochs, bald eine Kuh, bald ein Schmetterling, bald das oder jenes zu sein, wir würden die ganze Tierwelt nachbilden. Nun bilden wir nicht bloß die Tierwelt nach, sondern wir arbeiten den Ätherleib um als Menschen. Das tun wir im sozialen Leben, indem wir zusammenleben. Wenn wir einem Esel gegenüberstehen, will der Ätherleib ein Esel werden, wenn man einem Menschen gegenübersteht, kann man durchaus nicht, ohne eine tiefe Beleidigung auszusprechen, sagen, daß man da auch ein Esel werden wollte. Nicht wahr, wenn man einem Menschen gegenübersteht, so geht das nicht, wenigstens im normalen Leben geht es nicht, da muß man was anderes werden. Ich möchte sagen, da sieht man die Umwandlung, und da wirken diejenigen Kräfte, die im wirtschaftlichen Leben spielen. Das sind die Kräfte, wenn der Mensch dem Menschen in Brüderlichkeit gegenübersteht.

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In dieser Art beim brüderlich Gegenüberstehen, da wirken diejenigen Kräfte, die nun Bearbeitung des Ätherleibes sind, so daß durch die Bearbeitung des Ätherleibes das dritte Gebiet, das Wirtschaftsgebiet entsteht.

Tierreich: Ätherleib Wirtschaftsgebiet

Pflanzenreich: Astralleib Rechts- oder Staatsgebiet

Mineralreich: Ich Geistiges Gebiet

Und so wie der Mensch durch seinen Ätherleib auf der einen Seite mit dem Tierleben zusammenhängt, so hängt er auf der andern Seite, in der äußeren Umgebung, zusammen mit dem Wirtschaftsgebiet des sozialen Organismus. Wir können sagen: Da ist der Mensch nach innen, das heißt geistig, nach innen gesehen; zunächst vom physischen Leib nach dem Ätherleib gesehen, würden wir, wenn wir hineingehen in den Menschen, das Tierreich finden. Wenn wir hinausgehen, in der Umgebung, finden wir das Wirtschaftsleben.

#Bild S.204

Wenn wir hineingehen in den Menschen und aufsuchen,was er durch seinen astralischen Leib ist, dann finden wir das Pflanzenreich. Draußen entspricht im sozialen Zusammenleben dem Pflanzenreich das Rechtsleben. Wenn wir hineingehen in den Menschen, finden wir dem Ich entsprechend das Mineralreich. Draußen in der Umgebung, dem Mineralreich entsprechend, das geistige Leben. So daß der Mensch in seiner

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Konstitution zusammenhängt mit den drei Naturreichen. Indem er an seinem ganzen Wesen arbeitet, wird er ein soziales Wesen.

Sie sehen, man kann gar nicht zu einem Verständnis des Sozialen kommen, wenn man nicht in der Lage ist, zum Ätherleib, Astralleib und Ich aufzusteigen, denn man bekommt keinen Zusammenhang des Menschen mit dem Sozialen,wenn man nicht aufsteigt. Wenn man von der bloßen Naturwissenschaft ausgeht, da bleibt man stehen bei «human instinct for mimicry», beim Imitationsvermögen; man kann nicht weiter, man macht in Gedanken die ganze Welt zu einer Kinderei, weil das Kind noch am meisten natürliche Kräfte in sich hat. Will man weiter aufsteigen, dann braucht man eben die Einsicht in die Initiationswissenschaft, daß der Mensch mit dem Ätherleib zusammenhängt durch das Tierische, mit dem Astralleib durch die Pflanze, mit dem Ich durch das Mineralische, und daß er durch das, was er der Beobachtung des Mineralischen zu verdanken hat, das geistige Leben erlangt, daß er durch Umwandeln desjenigen, was er an tiefen Instinkten trägt, an Verwandtschaft hat in der Umgebung des Pflanzenreiches, das Rechts- und Staats- leben erlangt, daß dieser tiefe Instinkt dem Rechts- und Staatsleben entspricht. Daher hat das Staatsleben zunächst, wenn es nicht mit geistiger Rechtswissenschaft durchflutet ist, so viel Instinktives. Dann haben wir das Wirtschaftsgebiet, das im Grunde genommen Umwandlung jener inneren Erlebnisse ist, welche im Ätherleib erlebt werden.

Nun werden diese Erlebnisse nicht von innen heraus etwa durch die Initiationswissenschaft gehoben, denn Huxley kommt nicht durch die Initiationswissenschaft irgendwie dazu, den Zusammenhang des Mensdien mit dem Wirtschaftsleben zu ergründen, sondern er beobachtet das Außere, er beobachtet dasjenige, was wirtschaftlich draußen da ist. Der ganze Zusammenhang: Wirtschaftsgebiet, Ätherleib, Tierreich, ist ihm unklar. Er beobachtet das, was äußerlich ist. Da kann er allerdings nicht weiterkommen als bis zu dem, was das Primitivste, das Elementarste ist, die Imitationskraft.

Wir sehen daraus, daß, wenn die Menschen fortfahren wollten, aus der Naturwissenschaft heraus ein soziales Denken zu gewinnen, sie steckenbleiben würden bei Absurditäten, und es würde etwas ganz Furchtbares entstehen müssen. Es müßte entstehen ein soziales Leben

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über die ganze Erde hin, das die allerprimitivsten Zustände brächte, das die Menschheit zurückführte auf ein kindisches Zusammenleben. Es würde nach und nach die Lüge Selbstverständlichkeit werden, aus dem einfachen Grunde, weil die Menschen ja nicht anders könnten, wenn sie es auch wollten. Sie wären dreißig, vierzig, fünfzig Jahre alt, manche sogar noch älter, aber sie würden sich verhalten müssen, wenn sie mit dem Bewußtsein nur das erfassen wollten, was aus Naturwissenschaft folgt, wie die Kinder. Sie würden nur die Imitationsinstinkte entwickeln können. Man hat ja heute wirklich vielfach das Gefühl, daß nur die Imitationsinstinkte entwickelt werden. Da sehen wir, wie irgendwo wieder eine neue Reformbewegung radikaler Art auftritt. Sie hat aber nur die Imitationsinstinkte von irgendwelchem Universitätsphilister eigentlich in sich. Und so würde sich vieles von dem, was sich heute sehr illuster ausnimmt, wenn man es mit den gebräuchlichen verlogenen Worten beleuchtet, im Lichte der Imitationsanschauung ganz anders ausnehmen. Aber so viel versteht man eigentlich heute nur von der Welt, als im Lichte der Imitationsanschauung gesehen werden kann, wenn man nicht vorschreiten will von der gewöhnlichen offiziellen Wissenschaft zu der Wissenschaft der Initiation, zu der Wissenschaft, die aus den inneren Impulsen des Dasein heraus schöpft.

So habe ich Ihnen zu zeigen versucht, wie das, was der Gegenwart fehlt, das, woran sich zeigt, wo die Gegenwart steckenbleiben muß, weil sie nicht eindringen kann in die Wirklichkeit, wie das befruchtet und beleuchtet werden muß von der Initiationswissenschaft.

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DREIZEHNTER VORTRAG Dornach, 4. September 1920

Gestern versuchte ich von einer gewissen Seite her zu beleuchten die Notwendigkeit einer Gliederung in der sozialen Ordnung und wies darauf hin, daß dasjenige, was man Beweisführen nennen könnte innerhalb der Geisteswissenschaft, darin besteht, daß die Tatsachen, auf die hinzuweisen ist, von den verschiedensten Seiten her gestützt werden, und daß schließlich der Grad der Uberzeugung sich immer mehr steigert, je mehr man solche Stützen bekommt. Ich möchte kurz wiederholen, was vorgebracht worden ist. Wir kennen ja die Gliederung des Menschen, wir wissen, daß der Mensch sich gliedert in seinen physischen Leib, seinen Ätherleib, Seinen astralischen Leib und das, was wir das Ich nennen. Wir wissen aber auch, daß diese Gliederung des Menschen gewissermaßen etwas ist, was sich in Fluß befindet. Sie können meine Darstellungen verfolgen, wie ich sie gegeben habe in meiner «Theosophie», in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß», und Sie werden daraus ersehen, wie physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und zuletzt auch das Ich nichts eigentlich Festes sind, sondern wie die menschliche Entwickelung gerade darin besteht, daß der Mensch durch die wiederholten Erdenleben hindurch arbeitet an diesen Gliedern seines Organismus. So daß in einer bestimmten Zeit, nach einer bestimmten Summe von Erdenleben, der Mensch so geboren wird, daß man sagen kann, er besteht sozusagen normalerweise aus physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich. Dann aber beginnt er zunächst an seinem Ich zu arbeiten, arbeitet daran durch wiederholte Erdenleben hindurch. Ist das Ich verstärkt, hat das Ich eine gewisse innere Arbeit an sich verrichtet, dann geht diese Arbeit über auf den astralischen Leib. Wiederum, hat der astralische Leib auf diese Weise durch das Ich und durch sein eigenes Mithelfen eine innere Arbeit an sich verrichtet, dann geht diese Arbeit über auf den Ätherleib, und dann zuletzt auf den physischen Leib. Da aber kommen wir dann schon in weite Zukunflen hinein. Denn daß der Mensch durch diejenigen Erdenleben, die wir zunächst verfolgen, im wesentlichen der äußerlich-physischen Gestalt nach gleichbleibt, das

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wissen Sie. Aber diese menschliche Gestalt - das wissen Sie wiederum aus der Darstellung in meiner «Geheimwissenschaft» -, sie hat sich im Laufe der Zeit wesentlich verändert, sie wird sich auch in der Zukunft verändern. Sie wird zu diesen Veränderungen, diesen Metamorphosen gezwungen durch das, was die feineren Glieder, der astralische Leib, der Ätherleib vollbringen an dem physischen Leib. Und so wird zuletzt in fernen ZukUnften eben auch der physische Leib des Menschen andere Gestaltungen annehmen.

Nun aber hängt das, was der Mensch an seinen Gliedern arbeitet, ja zusammen mit der menschlichen Umgebung, so wie der Mensch, ich möchte sagen, von seinem Ursprunge her In seInen einzelnen Gliedern zusammenhängt mit der natürlichen Umgebung.

Man muß sich ja über das eine klar sein: Nehmen wir den physischen Leib des Menschen. Er steht innerhalb der Naturordnung als eine vereinzelte Erscheinung da. Er ist gewissermaßen herausgehoben aus der Naturordnung. Und wenn wir genügend ins Auge fassen die starke Differenzierung zwischen den Menschen und den verschiedenen Gliedern des Tierreiches, können wir nicht anders sagen als: Der Mensch ist nicht so einfach, wie es Entwickelungstheoretiker machen, an den Schluß des Tierreiches zu stellen, sondern er ist schon nicht nur eine Zusammenfassung der gesamten Tierwelt, aller Tierformen, sondern auch eine Zusammenfassung auf höherer Stufe. Diesen physischen Leib des Menschen können wir deshalb mit nichts anderem zusammenbringen als mit sich selbst. So daß wir in der ganzen Umgebung des Menschen, in der natürlichen Umgebung des Menschen nichts finden hier auf Erden, wo- mit wir den physischen Leib des Menschen gewissermaßen wie in eIne Klasse zusammenstellen können. Dieser physische Leib des Menschen steht also für sich da (siehe Schema).

Nun dringen wir vor, weiter nach innen gehend, zu dem Ätherleib. Da kommen wIr zu dem nächsten, schon beweglichen Gliede des Menschen. Und ich habe Ihnen ja gestern dargestellt - vielleicht sogar etwas merkwürdig dargestellt für manche Empfindungen -, wie beweglich dieser Ätherleib des Menschen ist. Er hat nun einmal die Tendenz, sich der Tierwelt in einer gewissen Weise gegenüberzustellen. Er hat eine gewisse Verwandtschaft mit der Tierwelt. Ich sagte: Wenn wir gegenüberstehen

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einem Elefanten oder einem Esel oder auch andern Tierformen, so hat unser Ätherleib die innerliche Tendenz - er wird verhindert, sie ganz auszuführen -, aber er hat die innerliche Tendenz, gerade die Tierform nachzuahmen, ähnlich zu werden der Tierform; wenn der Mensch einem Esel, einem Elefanten, einem Kalb gegenübersteht, so will der Ätherleib diese Formen annehmen. Er hat eine besondere Verwandtschaft zu diesen Tierformen. Durch die im physischen Leib konzentrierten Kräfte wird er verhindert, das auszuführen, aber er strebt darnach. Und es ist eine erste Erfahrung der Initiation, daß dieses innerliche Spannen und Drängen auftritt gegenüber der Tierwelt, daß man ähnlich werden will den Tieren. So daß man sagen kann, der Mensch ist in bezug auf seinen physischen Leib nicht verwandt mit der Tierwelt, aber sein Ätherleib zeigt eine ganz entschiedene Verwandtschaft mit der Tierwelt.

Nun schreiten wir zum astralischen Leib vor. Da finden wir eine gleiche innere Verwandtschaft mit der Pflanzenwelt. Der astralische Leib hat die Tendenz, wenn er der Pflanzenwelt gegenübersteht, pflanzenähnlich zu werden, und zwar derjenigen Pflanze, der er gegenübersteht, ähnlich zu werden. Ich habe Ihnen gestern mehr zum Memorieren gesagt: Wenn wir gegenüberstehen einem Esel, der Disteln frißt, so will der Ätherleib dem Esel und der astralische Leib der Distel gleichen. - Das ist so. In dieser Weise sind wir verwandt mit der Umgebung der Naturreiche. Also im astralischen Leib sind wir verwandt mit der Pflanzenwelt.

Und in bezug auf unser Ich, sagte ich Ihnen, sind wir verwandt mit der mineralischen Welt.

Physischer Leib

Ätherleib: Tierwelt

Astralleib: Pflanzenwelt

Ich: Mineralwelt.

Das ist natürlich, weil es dem unmittelbaren Bewußtsein vorliegt, dasjenige, was wir als Menschen am leichtesten eben auch für das gewöhnliche Bewußtsein konstatieren können. Unser ganzer Bewußtseinsinhalt ist ja eigentlich dieser Verwandtschaft mit der mineralischen Welt

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verdankt. Wir bilden unseren Bewußtseinsinhalt im wesentlichen aus an der mineralischen Welt, und ich habe Ihnen gesagt, weil der Mensch mit seinem Ich, wie es heute vorliegt, hinorganisiert ist auf die Mineralwelt, davon kommt es ja, daß wir eigentlich in unseren wissenschaftlichen Bestrebungen nicht vordringen können zum Ergreifen der Pflanzenwelt oder gar der Tierwelt, nicht vordringen können zum Ergreifen des Lebendigen, daß immer herumdiskutiert wird, ob das Lebendige begriffen werden könne, ob es nicht begriffen werden könne. Nur Men schen, welche von einer andern Art der Anschauung ausgehen, wie zum Beispiel Goethe, die erwerben sich ein Bewußtsein davon, daß in das Lebendige in einer gewissen Weise hineingedrungen werden kann. Und die Initiation gibt natürlich die Möglichkeit, dasjenige, was im astralischen Leib in bezug auf die Pflanzenwelt, im ätherischen Leib in bezug auf die Tierwelt vorgeht, in einer ähnlichen Weise innerlich zu verfolgen, wie man mit dem gewöhnlichen Bewußtsein nur die Verwandtschaft des Menschen mit der Mineralwelt verfolgt. Und dann, sagte ich Ihnen, arbeitet der Mensch an seinem Ich. Er arbeitet sein Ich durch seine wiederholten Erdenleben aus. Was aus dem Mineralreich herausgeborener Inhalt ist, das arbeitet er also um. Er macht daraus seine Wissenschaft, er macht daraus seine Kunst, er macht daraus seine Religion. All das, was als Kultur, als Zivilisationsinhalt in dieser Weise erscheint, das ist ja im Grunde genommen umgestaltetes Mineralreich.

Bedenken Sie nur, daß ja, wenn Sie, sagen wir, eine griechische Statue anschauen, daß Sie dann das Leben forthaben; aber alles das, was innerhalb des Mineralischen beschlossen ist, die Form, die Gliederung, das haben Sie durch ihre Umwandlung, also hier durch die künstlerische Umwandlung derjenigen Vorstellungen und Empfindungen, die Sie aus dem Mineralreich heraus unmittelbar in das Bewußtsein aufnehmen, erreicht. Und so ist es auch mit den andern Kulturinhalten. In diesem Kulturinhalt, da spricht sich, insofern die Kultur aus Kunst, Wissenschaft, Religion besteht, dasjenige aus, was das Ich an sich selber arbeitet, natürlich im menschlichen Zusammenwirken, und was im wesentlichen umgestalteter, aus dem Mineralreich gewonnener Inhalt ist. Wer wirklich unbefangen diese Dinge verfolgen kann, der wird finden, daß da umgestalteter, aus dem Mineralreich genommener Inhalt vorliegt. Wenn

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wir das, was in des Menschen sozialer Umgebung lebt, scharf abgrenzen, so finden wir: Alles das, was auf solche Weise entsteht, daß das Ich den aus dem Mineralreich gewonnenen Inhalt umgestaltet und daraus ein geistiges Leben formt, dasjenige formt, was unter uns lebt als Kunst, als Literatur, als Wissenschaft oder als Inhalt des Glaubens der Religionsgemeinschaften und so weiter, all das, was also im wesentlichen urnfaßt wird durch diese Umarbeit des Ich an sich selbst, all das begrenzt ganz scharf dasjenige, was wir das Geistgebiet des dreigegliederten sozialen Organismus nennen.

Sie können also hier eine Möglichkeit gewinnen, scharf zu umgrenzen das Geistgebiet des dreigliedrigen sozialen Organismus. Es gäbe kein Geistgebiet des sozialen Organismus, wenn das Ich nicht sein eigenes Wesen so umwandeln würde, daß es den aus dem Mineralreich gewonnenen Inhalt künstlerisch, religiös, wissenschaftlich verarbeitet.

Aber der Mensch wandelt ja auch seinen astralischen Leib um. Diesen astralischen Leib wandelt er nicht in derselben bewußten Weise um. Wenn wir den Kulturinhalt ansehen, so sind die bewußtesten Bestandteile dieses Kulturinhaltes die des Geistgebietes, wie wir es eben jetzt charakterisiert haben. Halb unbewußt gerade da, wo sie am schärfsten konturiert entstanden sind, halb unbewußt sind diejenigen Vorstellungen, die das Leben von Mensch zu Mensch regeln, diejenigen Vorstellungen, die das Recht umfassen und alles, was man zum Recht, nämlich zum Verhältnis von Mensch zu Mensch rechnen kann. Wer nicht jenen Unterschied begreift, der besteht zwischen einer Vorstellung, die dem religiösen oder dem wissenschaftlichen oder dem künstlerischen Gebiet angehört, und einer Vorstellung, die dem Rechts- oder Staatsgebiet an- gehört, der ist zweifellos kein guter Psychologe, kein Seelenkenner. Denn in ganz anderer Weise regeln wir den Verkehr von Mensch zu Mensch, regeln wir dieses dumpfe Bewußtsein: Was ist meine Pflicht gegen den andern Menschen? Was ist sein Recht gegen mich? Was ist mein Recht gegen ihn? - Alle diese Fragen, die da spielen von Mensch zu Mensch, die gehen aus einem viel dumpferen Bewußtsein hervor als dasjenige, was in Wissenschaft, Religion und Kunst lebt. Und das Gebiet, was da zwischen Mensch und Mensch sich abspielt, was eigentlich nicht in derselben Weise vom einzelnen Menschen entschieden werden

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kann, wie Wissenschaft, Kunst und Religion, sondern was nur entschieden werden kann durch das Zusammenleben der Menschen, durch das, ich möchte sagen, Sich-Verabreden und gegenseitige Sich-Verständigen der Menschen, das ist zu umfassen mit dem Gebiete des Rechts- oder Staatslebens, das ist das Rechtsgebiet des sozialen Organismus.

Noch dumpfer erlebt der Mensch ein drittes Gebiet, dasjenige, das dadurch entsteht, daß er seinen Ätherleib umgestaltet. Das ist ein Gebiet, von dem der Mensch eigentlich höchst indirekt, durch allerlei vage diätetische Vorschriften und dergleichen ein Bewußtsein erlangt. Es ist das Gebiet, welches fast schlafend von dem Menschen durchlebt wird, und was so wenig in das volle Bewußtsein heraufschlägt, daß es nicht einmal durch eine Verständigung von Mensch zu Mensch erhellt werden kann. Das Rechtsgebiet kann durch Verständigung von Mensch zu Mensch erhellt werden, und ein gewisses Ideal unserer sozialen Ordnung ist das, daß wir für das Rechtsgebiet die völlige Demokratie durchgeführt haben, wo alle mündig gewordenen Menschen in Gleichheit sich gegen überstehen und in Verständigung sich ihr Recht besorgen. Die Dumpfheit des Bewußtseins, das die Umwandlungen des astralischen Leibes zum Inhalte hat, sie reicht aus für den einzelnen Menschen, wenn er seine Stütze hat in der Verständigung mit andern einzelnen Menschen. Wissenschaft muß der Mensch für sich begreifen, Religion muß der Mensch für sich allein, Kunst muß der Mensch aus seinem innersten individuellen Quell, aus dem Quell seiner Persönlichkeit hervorbringen. Das ist dasjenige, was aus dem offensten, aus dem klarsten Bewußtsein hervorgehen muß. Da muß der Mensch ganz auf sich allein, auf seine Individualität gestellt werden. Man empfindet es ja schon als etwas doch ziemlich Abnormes, wenn in der neueren Zeit in der Kunst zuweilen die «Assoziation» entstanden ist; allerdings war es in der Regel nur eine Assoziation zu zweien, bei Dramendichtern, die zusammen Dramen gedichtet haben, so daß man zuweilen auf den Theaterzetteln gefunden hat das Spießbürgerlustspiel von X Y und U Z. Nicht wahr, gewöhnlich ist das ja doch, wie Eingeweihte auf diesem Gebiete wissen, nicht eine richtige Assoziation zu zweien gewesen, sondern in der Regel war es ja so, daß ein älterer Herr da war, der in der Jugend Theaterstücke geschrieben hat, und dem das Talent - wenn man das so nennen kann -,

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solche Theaterstücke zu schreiben, schon verraucht war. Der hat sich dann zusammengetan mit einem jüngeren Menschen, der noch ganz unbekannt war, hat den das Drama schreiben lassen, hat es dann so ein bißchen durchkorrigiert und hat nun seinen Namen dazugeschrieben. Dadurch ist der Dichter nun auch so in die Öffentlichkeit hinausgerutscht, und auf diese Weise haben sich Assoziationen auf diesem Gebiete ergeben. Aber es fühlt natürlich jeder, daß das etwas Abnormes ist, und daß dasjenige, was wirklich dem Geistgebiet angehört, auch der Persönlichkeit des Menschen ganz individuell angehören muß. Dagegen kommt der Mensch zurecht mit Bezug auf die Fixierung des Rechtes, wenn er als einzelner Mensch seine Stütze an einem andern einzelnen Menschen hat. Das genügt aber nicht bei einem dritten Gebiete, wo das Bewußtsein eigentlich nicht hinunterdringt. Im Ätherleib, wo sich eben Vorgänge abspielen, da genügt es nicht, daß der Mensch als einzelner einem andern einzelnen gegenübersteht. Wo der Mensch der Gesamtheit als einzelner gegenübersteht, da ist es notwendig, daß sich Assoziationen bilden, daß die Urteile durch Assoziieren von einzelnen Personen gebildet werden, daß also Personen ihre Erfahrungen zusammentragen und daß Taten, Werke hervorgehen aus den Assoziationen, nicht aus den einzelnen Persönlichkeiten. Wir werden da auf ein Leben verwiesen, wo der einzelne für sich nichts vermag, sondern wo er nur etwas vermag, wenn er in einer Assoziation drinnensteht und eine Assoziation wiederum in Wechselwirkung tritt mit einer andern Assoziation. Kurz, wir werden auf dasjenige verwiesen, was wirklich innerhalb der menschlichen Gesellschaft in dieser dumpferen Bewußtheit sich abspielt, wir werden auf das Wirtschaftsgebiet des sozialen Organismus verwiesen.

So daß wir sagen können: Sehen wir auf dasjenige, was der Mensch, so wie er heute ist, gewissermaßen nach rückwärts, gegen die Natur hin ist, so finden wir, er ist mit seinem Ätherleib in der Tierwelt begründet, mit seinem astralischen Leib in der Pflanzenwelt, mit seinem Ich in der mineralischen Welt. Aber er wandelt diese seine bestehenden Glieder schon um, er wandelt seinen Ätherleib um, und dadurch entsteht um ihn herum im menschlichen Zusammenleben dasjenige, worinnen er wiederum mit seinem Ätherleib in der Außenwelt, im sozialen Organismus

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begründet ist: das Wirtschaftsleben. Er ist mit seinem Astralleib im Rechtsgebiet des sozialen Organismus, und er ist mit seinem Ich im Geistgebiet des sozialen Organismus begründet. Wir stehen also als Menschen auf der einen Seite zusammengegliedert mit den drei Natur- reichen, stehen nach der andern Seite als Menschen hineingegliedert in das soziale Leben nach seinen drei verschiedenen Gliedern, dem Geistglied, dem Rechtsglied und dem Wirtschaftsglied.

Physischer Leib

Ätherleib: Tierwelt Wirtschaftsgebiet

Astralleib: Pflanzenwelt Rechtsgebiet

Ich: Mineralwelt Geistgebiet

Nun müssen wir uns auf einen Boden vollständig klarer Vorstellungsart stellen, um diese ganze Einsicht, die wir dadurch gewinnen, noch mehr zu vertiefen. Fassen wir das wohl auf, daß durch die Umwandlung, die wir vollziehen in den wiederholten Erdenleben, durch die Umwandlung des Ätherleibes, des Astralleibes, des Ich, das soziale Leben in seiner Gliederung bewirkt wird. Also wenn wir den Blick so wenden, dann finden wir gewissermaßen dasjenige, was der Mensch von sich aus durch seine Gliederung beiträgt, damit das soziale Leben entsteht. Aber nun wirkt das soziale Leben wiederum auf ihn zurück, auf den Menschen. Ich möchte sagen, wir haben bis jetzt die Willensseite des sozialen Lebens betrachtet, wir haben betrachtet, wie es entsteht, das soziale Leben, wie es herausfließt aus der Gliederung der Menschen- natur. Aber es ist ja dann da, wenn es heraUsgeflossen ist! Also es fließt das Wirtschaftsgebiet aus dem ätherischen Leib oder aus der Umwandlung des ätherischen Leibes, es fließt das Rechtsgebiet aus dem Astralleib, es fließt das Geistgebiet aus der Umwandlung des Ich, aber indem es dann ausgeflossen ist, ist dieses Geistgebiet, ist dieses Rechtsgebiet, ist dieses Wirtschaftsgebiet, sind diese drei Glieder ja Realitäten, und dann wirken sie wiederum zurück auf den Menschen. Also der Mensch setzt sie erst aus sich heraus, und sie wirken wiederum auf ihn zurück.

Diese zweite Art des Zusammenwirkens des Menschen müssen wir auch beachten. Das ist so, daß wir sagen können, das ist mehr von der Wahrnehmungsseite aus. Das, was wir hier betrachtet haben, war mehr

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von der Willensseite aus, wie der Mensch die Dreigliederung bewirkt. Jetzt wollen wir mehr zu der Wahrnehmungsseite gehen, was für Eindrü&e da entstehen, indem des Menschen Umgebung auf den Menschen wiederum zurü&wirkt. Und da zeigt sich denn der Beobachtung, daß das Geistgebiet zurückwirkt auf den physischen Leib des Menschen (siehe Schema Seite 217), allerdings nur in sehr spärlichem Grade, auf den physischen Leib im gegenwärtigen Erdenleben. Wir können zwar in einem gewissen Grade konstatieren, daß der Mensch, indem er sich mit einer Verwandtschaft zu seiner Umgebung entwickelt, von dieser Umgebung, insofern sie das Geistgebiet ist, etwas annimmt. Wächst der Mensch auf in einer gewissen Kunstatmosphäre, man kann es ihm, wenn man dafür eine Empfindung hat, ansehen an der Physiognomie, man kann es ihm, wenn er in einer philiströsen Atmosphäre aufwächst, an der Physiognomie ansehen. Aber das ist, möchte ich Sagen, doch etwas, was eben nur eine ganz feine Lebensnuance ist. Im ganzen können wir sagen: Es ist nicht so, daß der physische Leib des Menschen in bezug auf seine Gestaltung in diesem Leben eine starke Beeinflussung durch die Umgebung des Geistgebietes zeigt. Um so stärker ist diese Beeinflussung für die nächsten Erdenleben. Das ist allerdings so, daß wir in den nächsten Erdenleben stark jene Physiognomie tragen werden, die herkommt aus der geistigen Umgebung in diesem Erdenleben. Und so, wie wir jetzt ausschauen, wie wir jetzt unsere Physiognomie haben, ist es im wesentlichen das Ergebnis des Einflusses des Geistgebietes, in dem wir waren im früheren Erdenleben. Man kann schon, wenn man dafür eine Empfindung hat, vom Gesichte eines Menschen ablesen, in welcher Umgebung er in früheren Erdenleben war, wenn das auch nur, ich möchte sagen, in einem gewissen allgemeinen Sinne möglich ist. Aus diesen Dingen gehen auch gewisse Diskrepanzen hervor, die uns zuweilen recht stark entgegentreten im menschlicheii Leben.

Bedenken Sie einmal, nun> sagen wir, ein Mensch stamme in bezug auf sein voriges Erdenleben aus einer feingestimmten Familie und wächst jetzt auf in einer rohen Familie, dann trägt er jene feine Lebensnuance, von der ich vorhin gesprochen habe, wenn auch, ich möchte sagen, in unbeträchtlicher Weise, in seinem Gesichte. Vielleicht trägt er stark gerade dasjenige in seinem Gesichte, was er aus seinem früheren Erden-

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leben mitgebracht hat. Man begreift da oftmals nur aus diesem Zusammenhang, wie es kommt, daß ein roher Kerl eigentlich manchmal ein ganz feines Gesicht haben kann. Die Dinge im menschlichen Leben hängen eben durchaus in komplizierter Weise zusammen.

#Bild S.216

Nun werden Sie sagen: Ja, aber der Mensch nimmt doch für das nächste Erdenleben seinen physischen Leib nicht mit, er legt ihn ja ab. - Das ist in bezug auf die Materie der Fall, aber ich möchte das noch einmal wiederholen, was ich vor einiger Zeit gesagt habe. Das was Sie eigentlich sehen als den physischen Leib In seiner Form, das ist ja nicht der physische Organismus des Menschen, das ist eben die Form (siehe Zeichnung). Und in diese Form ist nur hineingegliedert die Materie. Sie ist aufgefaßt von der Form, und die Form ist etwas durchaus Geistiges, und diese Form meine ich, wenn ich jetzt von dem Einfluß des Geistgebietes auf den physischen Leib spreche. Das, was abgelegt wird, das sind ja nur die materiellen Teilchen, die ein- gegliedert sind. Die Form aber, die der Mensch hat, wird nicht abgelegt, sondern wirkt in das nächste Leben hineIn - namentlich das, was der Mensch entwickelt durch die Behendigkeit und Beweglichkeit seiner Gliedmaßen, seiner Hände und Arme, seiner Füße und Beine -, das kommt in der Kopfbildung des nächsten Lebens zum Vorschein.

Also der physische Organismus trägt durchaus seine Spuren in das nächste Erdenleben hinein, und er trägt sie hinein nach Maßgabe des ihn in diesem Erdenleben umgebenden Geistgebietes.

Dagegen wirkt das Rechtsgebiet zurück auf den ätherischen Leib (siehe Schema Seite 217). Bei dem ist es allerdings so, daß er nach dem Tode, während der physische Leib, also dasjenige, was materiell am physischen Leib ist - nicht die Form - der Erde übergeben wird, dem Kosmos übergeben wird, sich darinnen auflöst; aber das, was in ihm als Kräfte wirkt, das trägt sich hinüber in das nächste Erdenleben, wirkt wenigstens hinüber. Aber es wirkt nicht nur auf das nächste

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Erdenleben hinüber; da wirkt es sogar, wie man empirisch aus der Geisteswissenschaft wissen kann, in sehr geringem Grade hinüber. Während die Gestalt des physischen Leibes stark in das nächste Erdenleben hinüberwirkt und damit alles das, was der physische Leib sich erobert hat aus dem Geistgebiet, das ihn umgibt, wirkt dasjenige, was im ätherischen Leib nun aus dem Rechtsgebiete kommt, vor allen Dingen auf den Kosmos. Und das ist eine sehr wichtige Entdechung, welche die Initiationswissenschaft macht.

#Bild S.217

Wir leben in der Welt. Wir haben durch die Art und Weise, wie wir sozial in die Welt hineingestellt sind, eine gewisse Seelenverfassung. Wir stehen ja zu den Menschen, mit denen wir in Berührung kommen im Leben, nach Rechtsbegriffen oder Begriffen und Empfindungen, die ähnlich sind den Rechtsempflndungen. Das gibt unserer Seele eine gewisse Konfiguration. Grob gesprochen, stehe ich meinetwillen im Leben zu zehn Menschen in einem gewissen Verhältnisse, den einen Menschen liebe ich, den andern hasse ich, der dritte ist mir gleichgültig, von dem vierten bin ich abhängig, der fünfte ist von mir abhängig und so weiter. Also in der verschiedensten Weise sind meine Rechte und Pflichten gegen diese zehn Menschen konfiguriert. Das aber lädt sich als eine Seelenverfassung in mir ab, nicht nur in oberflächlicher Weise, sondern der Empfindungsgehalt meiner Seele hängt davon ab. Dieses vom Gesichtspunkte des Rechtsgebietes im sozialen Leben Darinnenstehen, das gibt meinem ätherischen Leib eine gewisse Konfiguration, die nun, wenn ich sterbe,

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sich überträgt auf den Kosmos. Was da In meinem ätherischen Leibe schwingt, das schwingt weiter, wenn der ätherische Leib von mir getrennt ist, im Kosmos, und das zieht da weiter seine Wellen.

Solche Dinge werden ja leider von dem, was man heute Wissenschaft nennt, gar nicht beachtet. Daher hat diese Wissenschaft kein Bewußtsein von den intimeren Zusammenhängen des Menschenlebens mit dem kosmischen Leben. Die Art und Weise, wie heute auf der Erde Wind und Wetter verlaufen, wie also der Rhythmus unseres äußeren Klimas sich vollzieht, ist im wesentlichen das Fortschwingen von Rhythmen, die durch das Rechtsleben im sozialen Organismus vergangener Zeiten veranlaßt worden sind. Der Mensch steht einmal mit der äußeren Wirklichkeit, auch der natürlichen Wirklichkeit, in einer gewissen Beziehung. Und es ist notwendig, einzusehen, daß dasjenige, was sich als Rechtsgebiet um uns herum entwickelt, nicht etwas bloß Abstraktes ist, was die Menschen begründen, was entsteht und wieder verschwindet, sondem das, was zunächst ideell ist, was zunächst im Rechtsgebiete lebt, es lebt in einer späteren Zeit des Erdendaseins in der Atmosphäre, in den Schwingungen, in der ganzen Konfiguration, in den Bewegungen der Atmosphäre.

Das richtig aufgefaßt, gibt dem Menschen eine Empfindung von se1- nem Zusammenhange mit dem ganzen Erdenleben. Es läßt ihm erst erscheinen, wie wichtig es ist, daß er dieses oder jenes Rechtsleben, ein gutes, ein schlechtes Rechtsleben entwickelt. Alles, was physisch ist, geht ursprünglich aus irgend etwas Geist-Geordnetem oder Geist-Ungeordnetem eigentlich hervor. Geisteswissenschaft muß eben darauf dringen, daß der Mensch einen vollen, lebendigen, bewußten Entwickelungszusammenhang mit dem Kosmos hat.

Wie ist es denn heute? Wir sind in unserer heutigen Zeit der Dekadenz dahin gekommen, daß wir mit abstrakten Begriffen die Natur um- fassen, eine Naturwissenschaft begründen, die eigentlich nichts enthält von dem, was im Menschen lebt, die einen Inhalt gibt, der im Grunde nicht der Inhalt des menschlichen Lebens ist. Und das, was der Mensch im Inneren erlebt, steht in keiner Beziehung zu dem, was da draußen vorgeht. Das steht auf der einen Seite.

Und auf der andern Seite soll der Mensch, ich möchte sagen, ganz

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abgesondert von diesem Naturwissen, das er entwickelt, eine Art Gottesbewußtsein oder ein Bewußtsein von seinem Verhältnis zu dem Gotte entwickeln. Beide Dinge wollen miteinander gar nichts zu tun haben, können eigentlich miteinander nichts zu tun haben nach der Art, wie sie sich bis in die Gegenwart herein ausgebildet haben. Dagegen zeigt uns Geisteswissenschaft, wie im einzelnen ganz konkret der Mensch nicht nur zusammenhängt mit der ganzen Welt, sondern wie er selber mit- arbeitet. Man sieht an dem, was entsteht, wie er lebte in früheren Erdenleben. Wir begründeten in früheren Erdenleben Rechtssysteme. Jetzt leben wir wieder. Jetzt haben wir ein bestimmtes Wetter, Wind und dergleichen, Jahreszeiten mit dieser oder jener Konfiguration: Wir erleben jetzt außen in der Atmosphäre, was wir einstmals als Rechtsordnung begründet haben. Da wächst der Mensch in seinem Bewußtsein zusammen mit dem, was seine Umgebung ist. Da redet man nicht nur im allgemeinen abstrakt herum, daß der Mensch ein Gottesbewußtsein in seinem Inneren hat und daß er mit der Außenwelt eine Einheit bildet, sondern da lernt man im einzelnen erkennen, wie diese Einheit gestaltet ist, wie der Mensch zusammenfließt mit dem, was im ganzen Welten- all ist.

Bedenken Sie doch nur einmal, was würde man vom Menschen wissen, wenn man keine Ahnung davon hätte, daß es das Blut seines Kopfes ist, das durch seine Beine rinnt, wenn man also nicht den ganzen Kreislauf der Geschehnisse im Organismus, insofern er in der Haut beschlossen ist, anschauen würde? Aber in derselben Weise, wie man nicht darf, sagen wir, den Kopf für sich betrachten und den Zusammenhang mit dem übrigen Organismus nicht ins Auge fassen, in derselben Art darf man nicht den Menschen in einem Erdenleben für sich betrachten, sondern man muß den Kreislauf der Metamorphose betrachten. Was das eine Mal eine geistig-soziale Rechtsordnung ist, das wird das andere Mal, freilich in fern davon gelegenen Zeiten, eine Naturordnung, und man kann mit Hilfe von Geisteswissenschaft sehen, wie die geistigideelle Rechtsordnung des einen Mals zusammeriliängt mit der natürlichen, atmosphärischen Ordnung des andern MaIs.

Wenn diese Dinge sich so entwickeln, daß dadurch des Menschen Fühlen von seinem Darinnenstehen in der Welt vertieft wird, der

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Mensch sich mit der Welt als eine Einheit fühlt, dann wird tatsächlich jene notwendige, unerläßliche Versöhnung von Wissenschaft und Religion eintreten, die für den Aufbau unseres sozialen Lebens absolut notwendig ist.

Wie das Rechtsgebiet auf den Ätherleib wirkt, das Geistgebiet auf den physischen Leib wirkt, so wirkt das Wirtschaftsgebiet auf den astralischen Leib, und wir können sagen, gerade auf dieses Innerlichste der Menschennatur wirkt das Wirtschaftsgebiet! Sie müssen unterscheiden: entstehen tut das Wirtschaftsgebiet aus dem Ätherleib heraus, aber wenn es zurückwirkt auf den Menschen, dann wirkt es auf den astralischen Leib zurück. Die Rückwirkung ist eine andere als diejenige, die vom Menschen ausgeht. Man kann sich diese Dinge nicht schematisch bloß konstruieren, sondern man muß sie empirisch aus der Anschauung hervorholen. Und gerade dadurch, daß das Wirtschaftsgebiet auf den astralischen Leib wirkt, gerade dadurch wird jene Brüderlichkeit, welche ja im Wirtschaftsgebiet sein soll, durch die Pforte des Todes durchgetragen, denn der astralische Leib wird für eine Zeitlang vom Menschen mitgenommen. Und was da durch die Brüderlichkeit in des Menschen Seele begründet wird, das wird durch den Tod in die geistige Welt hinein- getragen und wirkt als solches weiter. So daß dasjenige, was von andern Gesichtspunkten von mir schon erörtert worden ist, gerade durch diesen Gesichtspunkt wiederum zum Vorschein kommt.

Das Wirtschaftsgebiet, also die Art und Weise, wie sich der Mensch mit andern zusammen in Assoziationen die Grundlage für wirtschaftliche Urteile und wirtschaftliche Taten bildet, das wirkt auf den astralischen Leib des Menschen zurück, und das gestaltet den astralischen Leib des Menschen, und eigentlich trägt der Mensch diejenige Gestaltung des astralischen Leibes durch den Tod hindurch, die er aus der Brüderlichkeit des Wirtschaftslebens heraus sich erobert. Man darf nicht als Idealist oder gar als Mystiker das Wirtschaftsleben besonders gering achten, denn gerade im Wirtschaftsleben kann man die Brüderlichkeit entwickeln, wie wir oft ausgeführt haben. Und was da im scheinbar materiellen Leben als Geistiges hineingetragen ist, das erobert sich der Mensch gerade für sein höheres Reich. Was er im Geistgebiet begründet, das zieht er aus dem Mineralreich heraus, das ist etwas, was er im

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Grunde genommen in seinen Anlagen hat, die er sich durch die Geburt mitbringt. Was er aber ins wirtschaftliche Gebiet hineinträgt, das ist dasjenige, was so fest sich mit der Seele zusammenschließt, daß er es durch seinen Tod hindurchträgt.

Phys. Leib

Ätherleib: Tierwelt Wirtschaftsgebiet Astralleib

Astralleib: Pflanzenwelt Rechtsgebiet ~therleib

Ich: Mineralwelt Geistgebiet Physischer Leib

Willensseite Wahrnehmungsseite

Es ist schon so, daß wir sagen müssen: Ja, da glauben die Leute, Idealisten oder Mystiker zu sein und die Materie verachten zu müssen, aber man ist nicht dadurch Idealist, daß man die Materie verachtet, sondern man ist dadurch Idealist, daß man die Materie zu vergeistigen weiß. Und dem Wirtschaftsleben gegenüberzustehen in falscher Asketik, es verachten, gering achten, das ist nicht dasjenige, worauf es ankommt, sondern worauf es ankommt, ist, dieses Wirtschaftsleben so zu gestalten, daß der Geist ihm überall seinen Stempel aufdrückt, so daß gerade dieses Wirtschaftsgebiet des sozialen Organismus ein vom Menschen geprägtes durchgeistigtes Gebiet ist. Das ist auch das, worauf es für die Zukunft im wesentlichen ankommt. Und im kleinen, nicht wahr, macht sich das schon dadurch geltend - ich habe das schon einmal erwähnt -, daß die Menschen idealistisch zu sein glauben, geistig zu sein glauben, wenn sie dem Geiste, sagen wir, den Tribut des Materiellen versagen und meinen: Es ist nicht nötig, für das Geistige das oder jenes wirklich als Opfer darzubringen! Das Geistige ist ja eben das Geistige - sagen sie -, man muß es hoch schätzen, man muß es nicht dadurch in den Staub herunterziehen, daß man für das Geistige Geld etwa als Opfer hingibt! Darum ist man ein richtiger Idealist, wenn man sich sagt: Ja, ich verehre den Geist, aber ich halte meine Taschen zu und tue nichts für die Pflege des geistigen Lebens. - Man verachtet die Materie, man verachtet vor allen Dingen das Schlimmste der Materie, das Ahrimanischste der Materie, man macht so fest die Taschen zu, damit ja nichts heraus kann für die Pflege des Geisteslebens. Das sind Dinge, die doch auch ein wenig

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mit der Gesinnung zusammenhängen, die bei Idealisten und Mystikern so leicht aufkommt. Die Materie wird verachtet, statt daß sie durchgeistigt wird. Ja, die Materie verachten, woher kommt das? Weil die Idealisten und Mystiker heute oftmals die stärksten Materialisten sind, weil sie so gebändigt sind von der Materie, daß sie ihr gegenüber gar nicht anders aufkommen, als indem sie sich in eine Verachtung hinein- träumen. Sie träumen sich ja nur in eine Verachtung hinein. Und so verachten sie die Materie, weil sie selbst gegen sie nicht aufkommen würden, weil sie so tief in ihr drinnenstecken.

Man muß sich schon klar darüber sein, wie in unserer Zeit gewisse Empfindungen, Gefühle existieren, die eigentlich Masken sind. Und mancher, der heute als Mystiker einherstolziert, ist eigentlich nur Materialist, wie ich ja aus andern Gesichtspunkten gerade in diesen Wochen auch zu erklären versuchte. Aber Sie sehen vor allen Dingen wiederum aus dem, was ich heute Ihnen nahezubringen versucht habe, wie durch Geisteswissenschaft das Zusammengehörigkeitsgefühl des Menschen mit der Welt erwachen kann und immer intensiver und intensiver werden kann. Das ist in der Gegenwart notwendig!

Eigentlich hat es der Mensch bis zu einem gewissen Punkte seiner Entwickelung gebracht, weil er nichts dazu zu tun brauchte. Wir sind in der Erdenentwickelung von dem Ursprunge des Erdendaseins selber ausgegangen. Da haben göttlich-geistige Wesen am Beginne der Erdenentwickelung für uns gesorgt, da haben sie schon eingegliedert der Erdenorganisation den Boden, das Klima und sogar schließlich das geistige Leben; denn Sie wissen, daß große Lehrer in Mysterien da waren, deren Lehrer selber wiederum die Götter waren. So daß also nicht Menschliches aufgespeichert worden ist, sondern Göttliches übernommen worden ist. Da war von den Göttern besorgt worden alles das, was für die Menschheit geordnet vorhanden gewesen ist. Das aber - ich habe es Ihnen aus den verschiedensten Zusammenhängen her gezeigt -, alles das ist im wesentlichen verflogen in unserer Zeit; und das Katastrophale in unserer Zeit hängt damit zusammen, daß der alte Götterinhalt verflogen ist, daß die Menschen aus sich heraus einen neuen Inhalt schaffen. Sie schaffen diesen neuen Inhalt dann nicht nur für das Menschenleben im Geistgebiet, im Rechtsgebiet, im Wirtschaftsgebiet, sondern sie schaffen

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es für dasjenige, was aus diesen Gebieten hinausgeht bis in das Naturleben. Und die Zukunft der Erde muß des Menschen eigene Gestaltung, muß des Menschen eigene Sorge sein.

Daher hat ein solcher Mensch wie Spengler in bezug auf die gegenwärtige Mensckheitsanschauung ganz recht, wenn die Menschen nicht den Quell in sich anregen, der schöpferisch sein kann nicht nur für das Rechts- oder für das Wirtschafts- oder für das Geistesleben, sondern der schöpferisch sein muß aus diesen Gebieten heraus für das ganze Erden- leben, auch für das natürliche Erdenleben. Denn dann geht nicht nur die Zivilisation in die Barbarei über, wie Spengler heute schon wissenschaftlich beweist, sondern es geht die ganze Erde dem Untergang entgegen, erreicht ihr Ziel nicht. Möchten sich doch die Menschen durch- dringen mit diesem Bewußtsein, daß dasjenige, was in der Zukunft der Erdenentwickelung geschieht, an der Menschheit selber hängt. Dann könnte aus dieser Empfindung der starke Impuls hervorgehen, der heute notwendig wäre, um die durchaus absteigende Erdenordnung wiederum überzuführen in eine aufsteigende Erdenordnung, um aufzurufen die schläfrigen Seelen, die nicht sehen wollen, was eigentlich vor sich geht, um umzuwandeln diese schläfrigen Seelen in wachende Seelen. Denn eine wachende Menschheit brauchen wir heute, und eine wachende Menschheit ist einzig und allein diejenige, die dasjenige übersieht, was um sie herum vorgeht, und die auch die Aufgaben kennt, die im Gange der Mensdiheitsentwickelung liegen und in bezug auf welche die Menschheit in der Gegenwart gerade in starke Prüfungen hineingestellt wird.

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VIERZEHNTER VORTRAG Dornach, 5. September 1920

Es wird nötig sein, um über einiges, das im Anschlusse an das in der letzten Zeit Vorgebrachte gesagt werden muß, Verständnis hervorzurufen, Tatsachen, die schon erwähnt worden sind, ins Gedächtnis zurückzurufen. Wir haben ja gesehen, wie der Mensch zusammenhängt mit seiner Umgebung, mit den andern Reichen des Daseins. Wir haben gesehen, wie der ätherische Leib des Menschen hinweist auf das Tierreich, wie der astralische Leib des Menschen auf das Pflanzenreich hinweist, und das Ich des Menschen hinweist auf das mineralische Reich, und wir haben dann gesehen, wie durch die Arbeit, die das Ich an sich verrichtet in Gemeinschaft mit den andern Menschen, das heißt in der sozialen Ordnung, dasjenige entsteht, was wir eigentlich zunächst kennen als die Kulturentwickelung der Menschheit in Kunst, Religion und Wissenschaft. Im Grunde genommen sind die Inhalte, so sagte ich gestern, von Kunst, Religion und Wissenschaft ja nichts anderes als das, was durch diese Arbeit des menschlichen Ich an sich selbst entsteht. So daß wir da eines der Beispiele haben, wie der Mensch auch mit dem sozialen Leben zusammenhängt. Kunst, Religion, Wissenschaft, sind ja in weitestem Umfange die Inhalte des eigentlichen Geistgebietes des sozialen Organismus.

Wir haben dann dasjenige, was entsteht durch die Umwandlung des astralischen Leibes. Diese Umwandlung muß natürlich bei der gegenwärtigen Entwickelungsetappe der Menschheit wesentlich unterbewußter sein als das, was sich vollzieht im geistigen Gebiete der Kunst, Religion und Wissenschaft. Und das, was da durch die Umwandlung des astralischen Leibes entsteht, ist ja im wesentlichen das, was wir als das Rechtsgebiet im sozialen Organismus zu bezeichnen haben. Dann haben wir noch viel unbewußter das, was durch Umwandlung des menschlichen Ätherleibes in Gemeinschaft entsteht dadurch, daß Menschen zusammen sind. Und alles, was aus dem entspringt, was die Menschen tun, weil sie ihren Ätherleib umwandeln, das gehört im sozialen Organismus dem Wirtschaftsgebiete an. Da haben wir also die Beziehung, das Verhältnis

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des Menschen nach außen. Und wir haben gestern ja auch schon gesehen, was das für eine Bedeutung hat, daß der Mensch solche Beziehungen nach dem sozialen Leben draußen hat; denn dadurch bereitet der Mensch im wesentlichen eigentlich die Naturgrundlage für sein nächstes Erden- leben vor, wie wir gesehen haben. Er arbeitet gewissermaßen dadurch an dem Schaffen des irdischen Daseins selber. Und es wäre wünschenswert, daß in der Gegenwart das außerordentlich Wichtige und Bedeutungsvolle des Momentes, in dem wir in der Menschheitsentwickelung stehen, von möglichst vielen Leuten begriffen würde.

Man kann sagen, bis zu dieser weltgeschichtlidien Stunde hat für die Entwickelung der Menschheit im Grunde gesorgt dasjenige an Wesenheit, was über den Menschen stand in den höheren Hierarchien. Die Menschheit hat sich heraufgebildet, wie wir wissen, zu einer gewissen Entwi&elung des Ätherleibes schon in der alten indischen Kulturzeit, zu einer gewissen Entwiekelung des astralischen Leibes in der alten persischen Zeit, zu einer gewissen Entwickelung der Empflndungsseele in der ägyPtisch-chaldäischen Zeit, zu einer Entwickelung der Verstandesseele in der griechisch-lateinischen Zeit. Und jetzt ist die Menschheit daran, die Bewußtseinsseele aus den Tiefen des seelischen Daseins her- aufzuheben. Aber es kündigt sich, weil immer der Keim des folgenden in den vorhergehenden Entwiekelungen sein muß, schon dasjenige an, was Inhalt der nächsten Kulturepoche sein muß: die Entwickelung des Geistselbstes. Diese Entwickelung des Geistselbstes, die muß aber schon eine solche sein, die vom Menschen selbst ausgeht.

Wir sind durch die verschiedenen Erdenleben hindurchgegangen. Wenn wir von den Menschen der indischen Urzeit reden, der alten persischen Zeit, der ägyptisch-chaldäischen Zeit, der griechisch-lateinischen Zeit, so reden wir eigentlich von uns selber, denn wir waren es, welche dazumal unter ganz andern Verhältnissen gelebt haben, und wir waren es, die in einer tierischen, pflanzlichen, mineralischen Umgebung lebten, welche uns gewissermaßen noch zubereitet war aus dem Vermächtnis unserer göttlichen Vorfahren, die Menschen waren auf Mond, Sonne, Saturn, die dazumal dasjenige durchgemacht haben auf den Vorfahren der Erde, was wir jetzt durchmachen. Es bleibt immer für eine nächste planetarische Form, was Inhalt einer früheren planetarischen

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Form war. Wir haben gelebt von dem, was uns die Götter, die Wesen der höheren Hierarchien hinterlassen haben. Und jetzt stehen wir auf dem Punkt, wo die Erde vertrocknen und verdorren würde, wenn der Mensch nicht aus sich heraus gewissermaßen einen neuen Faden des Lebens spinnen würde.

Bedenken Sie, wie das eigentlich vorbereitet worden ist. Natürlich, wir haben in unserem sozialen Leben ein geistiges Leben drinnen, Und die Menschen des Abendlandes sind stolz auf das Geistesleben, sind stolz auf ihre Kunst, Religion und Wissenschaft. Man muß aber unterscheiden zwischen dem, was das Mysterium von Golgatha war: eine Tatsache, und der Art und Weise, wie es bisher verstanden worden ist durch das, was man an Vorstellungen, an Begriffen aus Religion, Kunst und Wissenschaft herausbekommen konnte. Man hat den Christus begriffen nach Maßgabe dessen, was man an Geistesinhalt hatte. Und wir haben im Abendland etwas begründet, was wie eine Fortsetzung der alten Geistigkeit ist. Aber im Grunde genommen, wenn man vermag, unbefangen auf das einzugehen, was an eigentlichem Geistesleben in Europa und seinem amerikanischen Anhang begründet worden ist> so ist es alles letzten Endes orientalisches Erbgut. Es ist nichts anderes. Gewiß, wir haben manches umgewandelt. Ich habe schon hingedeutet in diesen Vor- trägen, wie ja dasjenige, was im Orient ganz anders war> was im Orient einstmals grandios erfassen konnte die gesetzmäßigen Zusammenhänge zwischen den aufeinanderfolgenden Erdenleben des Menschen, was dann schattenhaft abgetönt war in der griechischen Weltanschauung zu dem Fatum, zu dem Schicksal, wie das durch das lateinisch-römische Element bis zu etwas Juristischem geworden ist. Ich habe angedeutet, wie man das empfindet, wenn man das Bild Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle anschaut, wo der Christus wie ein Weltenrichter, wie der Universaljurist dasteht und zwischen den Guten und den Bösen nach Juristischem entscheidet! Die Weltanschauung ist durchjuristet geworden. Das war sie als orientalische Weltanschauung nicht.

Und dann ist dazugekommen, was aus dem wirtschaftlichen Denken stammt. Bacon war derjenige, der eigentlich ganz vom wirtschaftlichen Denken ausgegangen ist, und ganz Europa ist in die Schule Bacons gegangen. Und was wir in unseren Wissenschaften haben, was heute als

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populäre Weltanschauung alle europäischen Kreise durchzieht, das ist das Ergebnis des westlichen, wirtschaftlichen Denkens, das, wie ich an- gedeutet habe, nur nicht beim wirtschaftlichen Gebiete stehengeblieben ist, sondern sich in die höheren Gebiete, in das Rechtsgebiet und auch in das geistige Gebiet hineinbegeben hat. Würden Geister, wie Huxley und Spencer, ihr Denken dazu verwenden, um wirtschaftliche Zusammenhänge zu ordnen, dann würden sie am rechten Platze sein. Dadurch, daß sie ihr besonders geartetes Denken dazu verwenden, um Wissenschaft zu begründen, sind Sie deplaciert. Aber die ganze Welt hat es ihnen nachgemacht.

Und so können wir sagen: Was wir an eigentlicher Geistigkeit haben, das ist im Grunde genommen nur veraltetes Erbgut des alten Orients. Dann hat begonnen in Griechenland, in Rom das juristische Denken, das staatsmäßige Denken. Es wäre einfach ein Unsinn, zu denken, daß im alten orientalischen Staatsgebilde dieses vorhanden gewesen wäre. Diese würdigen, patriarchalischen Gebilde, von denen die frühere chinesische Verfassung noch das letzte Bild gezeigt hat, sie waren nicht etwa in dem Sinne, wie der Europäer das auffassen kann, Staatsgebilde. Was wir als Rechtsgebilde haben, das war im Orientalismus noch gar nicht vorhanden. Das kam eigentlich schwach durch das griechische Denken und dann ganz stark durch das lateinische Denken in die abendländische Kultur hinein. So daß wir sagen müssen: Im Grunde genommen hat das ganze Geistesleben noch einen Charakter, der ihm gegeben war durch das, was der Orientale hatte. Aber bedenken Sie, wie ich die Entstehung dieses orientalischen Geisteslebens schildern mußte. Aus dem Stoffwechsel des Menschen, aus den inneren Impulsen des Stoffwechsels ist es aufgestiegen in den Veden, in der herrlichen Poesie des Orients. Man hat es zu suchen, wie es aus dem Stoffwechsel neu hervorwächst, so wie die Blüten und Früchte der Bäume heranwachsen. Und derjenige, der auf die Zu- sammenhänge sehen kann, wie sie in der Wirklichkeit sind, der weiß hinzuschauen auf die Blüten und Früchte der Bäume und sagt sich: Da ist der Saft, der aus der Erde heraussprießt, der in den Stamm geht, der in die Zweige schießt, der in den Blättern sich vergrünt, in den Blüten sich verfärbt, in den Früchten sich erreift; das bietet sich dann den Augen dar. - Sehen wir hin auf das, was als Stoffwechselergebnis da ist

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von dem, was eben mit dem Stoffe aus der Erde herausgezogen und vom Menschen aufgenommen wird, sehen wir uns das an, wie es sich verdaut, verkocht, wie es in das Blut übergeht, wie es sich verfeinert, verätherisiert im Leibe, im irdischen Leibe, so sprießt es und sproßt es und reift herauf wie das, was zu Blüten und Früchten und Bäumen wird. Es wird nur etwas anderes, wenn es durch Menschenorgane sprießt und sproßt und reift, es wird die poetische Frucht der Veden, es wird die philosophische Frucht der Vedantaphilosophie. Man hat dasjenige, was man da im Orient als Geistesleben angesehen hat, geradeso angesehen als eine Frucht der Erde, des Stoffwechsels, der durch den Menschen geht, wie man angesehen hat, was durch den Baum gehend grünt und Früchte trägt. Eng verbunden mit dem Wesen der Erde ist es, was in den Veden, was in der orientalischen Poesie erscheint. Es ist die Blüte der Erde. Und es ist Unsinn, wenn heute die Menschen unsere Erde zu jenem toten Produkt machen, als das sie etwa die Geologie anschaut, denn zur Erde gehört nicht nur, was aus ihr heraussprießt an Blüten und Früchten, sondern es gehört auch dasjenige dazu, was in der Menschheit Urzeiten in den Veden und in der Philosophie der Vedanta heraufgezogen ist. Und wer nur die Steine in oder auf der Erde entstehen sehen will, wer nur den Ackerboden sieht, wer also die Erde nur als ein Mineralisches annimmt, der kennt die Erde nicht, denn zur Erde ist auch das zu rechnen, was sie als Blüte und Frucht durch den Menschenleib in alten Zeiten trug.

Dann ist die andere Zeit gekommen, wo der Mensch sich schon von der Erde emanzipiert hat, wo der Mensch nicht mehr mit der Erde zusammenhängt, wo er nur noch zusammenhängt mit dem Klima, mit der Atniosphäre, wo er mehr sein rhythmisches System zum Ausdruck bringt als sein Stoffwechselsystem. Das ist die Zeit, in der nicht mehr die. großen geistigen Intuitionen des Altertums entstehen, sondern wo die Rechtsbegriffe sich entwickeln.

Und nun hat der Mensch begonnen in der neueren Zeit, namentlich mit Bacon, völlig in sich selbst sich zusammenzuschließen, sich abzusondern von der Erde, und das, was nur in ihm lebt, herauszugestalten als den bloßen Verstand im wirtschaftlichen Denken des Erdenwestens. So ist, ich möchte sagen, über die Erde hin differenziert dasjenige, was sich durch den Menschen entwickelt.

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Das sind alles Dinge, auf die der Mensch in der Gegenwart hinschauen

soll. Allerdings, dann muß der Mensch, wenn er auf diese Dinge hin- schauen will, seine Seele innerlich zum Erwachen bringen. Er muß zu verstehen suchen, was ihm geistige Wissenschaft geben kann. Er muß` sich sagen: Die Zeit ist vorüber, in der man sich einfach hinsetzen kann, nachdem gewissermaßen intensiv die Woche hindurch gearbeitet wor den ist, und dann sich ein Abstraktes über den Zusammenhang des Menschen mit einer göttlichen Weltenordnung beibringen lassen kann. Die Zeiten sind vorüber. Das ist antiquiert. An der Menschheit ist es heute, in der Konkretheit zu begreifen, wie die menschliche Wesenheit selbst zusammenhängt mit dem Kosmos, wie sie hineingestellt ist in den Kosmos. Und nur eine Folge dieses Erfassens wird sein, daß die Menschen die Notwendigkeit begreifen, das soziale Leben zu gliedern in das Geistesleben - das ja im Grunde genommen zunächst nur eine Art Erbschaft aus dem Oriente ist, das immer toter und toter geworden ist, denn unser Geistesleben ist heute tot - und die andern beiden Glieder. Der alte Orientale, der Orientale der Ui`weltzeiten, der würde noch gar nicht begriffen haben, was es heißt, man verstehe das Leben nicht. Heute sagen wir: wir verstehen das Leben nicht, denn wir leben nur - allerdings mit dem Ich, was der Orientale noch nicht getan hat -, aber eben nur im mineralischen, toten Reiche. Aber da muß Leben hineinkommen. Und was ist es deim im Grunde genommen, wenn wir als Menschen darnach streben, das Geistgebiet besonders hinzustellen in dem sozialen Organismus? Was ist es denn eigentlich, was wir da wollen?

Solange das Geistgebiet im Zusammenhang steht mit dem ganz anders gearteten Rechts- oder Staatsgebilde, oder gar mit dem Wirtschaftsleben, so lange kann die einzelne menschliche Individualität in dieses Geistesleben nicht das hineintragen, was in diesem Geistesleben drinnen sein muß. Verstehen wir uns gerade in diesem Punkte! Es ist aus den Denkgewohnheiten der Gegenwart heraus nicht leicht, gerade das zu verstehen, worauf es ankommt. Ich will in der folgenden Weise versuchen, verständlich zu machen, was eigentlich in diesem Punkte verstanden werden sollte.

Denken Sie sich einmal, der Staat macht seine Schulverordnungen. Diese Schulverordnungen werden gemacht, sei es nun aus despotisch

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tyrannischem Sinne heraus, sei es aus demokratischem Sinne heraus, aber diese Schulverordnungen werden gemacht. Wie werden sie gemacht? Nun, nehmen wir die Sache einmal einfach. Denken Sie sich einmal, drei Menschen setzen sich zusammen. Wenn sich drei Menschen zusammen- setzen, sind sie furchtbar gescheit in abstracto. Es ist einmal so, drei Menschen, die sich zusammensetzen, wissen im Grunde genommen über alle Dinge immer alles, und das wird nicht anders, auch wenn sich dreihundertsechzig Menschen zusammensetzen in irgendeiner Partei; sie wissen über alle Dinge immer alles. Man weiß ganz genau Paragraph i zu machen, wie in Religion unterrichtet werden soll, Paragraph 2, wie im Deutschen oder wie in einer andern Sprache unterrichtet werden soll, Paragraph 3, wie im Rechnen, Paragraph 4, wie in der Geographie unterrichtet werden soll. Man kann wunderbare Paragraphen ausarbeiten, die dann einen Idealzustand des Erziehungswesens darstellen würden, und man kann dann das zum Gesetze machen, das Gesetz kann realisiert werden. Es ist ganz gleichgültig, ob es drei Menschen oder dreihundert Menschen machen, es wird immer sehr gescheit sein, denn die Menschen sind ja sehr klug, wenn sie in Abstraktionen etwas zusammenfügen. Dann wird es Gesetz. Aber es ist dann anders, wenn man zum Beispiel vor der Schulklasse steht mit ganz bestimmten fünfzig Kindern, die haben ganz bestimmte Charaktere, die sind nicht das Wachs, für das

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man sie hält, wenn man Paragraph 1, 2 aus der vollen Klugheit heraus gestaltet hat, die sind etwas, was man nur so weit bringen kann, als es eben gebracht werden kann nach seinen besonderen Eigentümlichkeiten, nach seinen besonderen Fähigkeiten.

Aber es kommt noch etwas anderes dazu. Man steht nun selbst vor der Klasse und hat besondere Fähigkeiten. Die sind auch begrenzt. Und wer Erfahrung hat, der weiß, daß man in abstracto Gesetze machen kann, die so gut sind (siehe Zeichnung, links), aber, der gescheite Lehrer kann sie nur so gut erfüllen (siehe Zeichnung, rechts). Denn in Abstraktionen kann man alles zusammenbringen. In der Realität handelt es sich aber darum, daß man eben mit Realität zu rechnen

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hat. Der Staat als solcher kann über das Erziehungswesen, das ein Teil des Geistgebietes ist, nichts anderes zustande bringen als solche Abstraktionen. Die können ganz wunderbar sein, hervorragend gut, aber lassen Sie den Staat beiseite, lassen Sie ihn draußen aus dem Unterrichtswesen, aus dem Erziehungswesen, das ein Teil des Geisteslebens ist, machen Sie das Erziehungswesen abhängig von den Lehrern, die gerade in irgendeinem Zeitalter da sind: dann wird es Realität, dann wird es Wirklichkeit, dann wird es nicht zu einer Lüge, sondern zu dem, was es sein kann nach dem betreffenden Zeitalter. Das ist es, was nach Wirklichkeiten hin- arbeiten heißt. Aber ein anderes tritt dafür ein: Paragraph 1, 2,3, 10, 50, sie sind alle tot, und wie sie beobachtet werden, das ist im Grunde genommen etwas absolut Irrationales. Dasjenige, was durch die reale Lehrerschaft lebt, was im lebendigen Verkehre der realen Lehrerschaft zustande kommt, das lebt. Da haben Sie den Punkt, wo in das aus dem :ö.Mineralischen stammende Tote Leben hineinkommt. Es geht eine Sphäre höher. Wir bringen Leben, durchleuchtetes Leben in das Geistgebiet hinein, indem wir dieses Geistgebiet auf die menschlichen Individualitäten, nicht auf Paragraph 1, 2 und so weiter stellen. Wir bringen Leben hinein, wir durchdringen mit einem Ätherleib das Geistgebiet um uns herum aus dem, was aus dem lebendigen Menschen heraus kommt. Wenn Sie Ihre eigene Geistverfassung haben, wird dasjenige, was sonst tot ist, was sonst maschineller Gedanke, Maschinelles ist, ein lebendiges Wesen. Um die ganze Erde herum verbreitet sich das Geistgebiet als etwas innerlich Lebendiges. Das ist, was man innerlich verstehen muß. Man muß fühlen, wie Leben einströmt aus einer ungeahnten Seelentiefe heraus in das selbständige Geistesleben, wie wir tatsächlich dieses selbständige Geistesleben dadurch beleben, daß wir es auf die menschliche Individualität stellen.

Sie sehen, sehr intensiv hat mit Realitäten zu tun dasjenige, was aus der Geisteswissenschaft für das unmittelbare Leben geschöpft wird. Man mochte schon verzweifeln, möchte ich sagen, wenn man sieht, wie wenig Energie, wie wenig Enthusiasmus eigentlich in der Menschheit aufzu bringen ist für dieses Beleben des Geistgebietes. Es ist einem dann, als ob die Menschen von derselben Gesinnung beseelt wären, wie etwa der beseelt ist, der da möchte, daß nur totgeborene Kinder zur Welt kämen,

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der nicht möchte, daß der Funke des Lebens in das hineinkommt, was sonst tot zur Welt käme. So ist es einem gegenüber der heutigen Menschheit. Sie sitzt auf einer toten Kultur, wie mit Pech an ihre bequemen Stühle angeklebt, und will sich nicht erheben zur Begeisterung für die Belebung des Geisteslebens. Begeisterung brauchen wir vor allen Dingen, denn aus dem toten Gebräuchlichen wird dieses Geistesleben nicht belebt.

Und für sich das Rechtsgebiet als zweites (siehe Schema Seite ~33): Es ist aus Instinkten, aus halben Instinkten, sagte ich, herausgeboren. Es war noch etwas halb Unbewußtes, so daß es ins Bewußtsein heraufschillerte, indem das Rechtsgebiet bisher aus dem griechischen, aber namentlich aus dem lateinischen, römischen Leben geboren wurde und dann weiter ausgebaut wurde. Nun soll es selbständig auf seine eigene demokratische Basis gestellt werden. Was ist entstanden unter dem, was der Impuls des Rechtsgebietes bisher war? Da sind eben gerade die Rechtsparagraphen entstanden, jene Rechtsparagraphen, an denen der Mensch so wenig Anteil hat, daß ich sagen muß, mir war im Leben kaum etwas, was mir so viel Bitterkeit auf die Zunge gelegt hat, als wenn ich mit irgendeinem Rechtsanwalt zu tun hatte. Es ist mir ja im Leben öfter passiert. Da kommt man zu dem, der der Vertreter des Rechtes ist, der der Gelehrte des Rechtes ist. Ein bestimmter Fall liegt vor. Man sieht diesen Rechtsanwalt zu irgendeinem Schrank gehen, zu irgendeinem Fach dieses Schrankes. Er nimmt ein Aktenbündel heraus. Er bringt mit aller Mühe dasjenige zusammen, was er im Augenblicke liest; er steht ganz außerhalb der Sache. Man will wissen, wie das sich in den Rechtsorganismus einfügt. Er geht zu seiner Bibliothek, nimmt irgendein Gesetzbuch heraus und blättert und blättert, und es kommt nichts heraus, weil er im Grunde genommen ganz unbekannt damit ist. Nichts von dem, was menschlich zusammenhängt mit den Dingen, liegt in solcher Sache. Mir ist einmal passiert, daß eine Art Prozeß, den ich zu führen hatte, durch Jahre alle möglichen Hinschriften und Herschriften veranlaßt hat; ich w~l den ganzen Hergang nicht erzählen. Dann stellte sich zuletzt heraus, daß es nötig war, auch ein internationales Gesetzbuch zu der Sache zu haben. Nun hatte die ganze Sache zweieinhalb Jahre vielleicht gedauert, da sagte mir der gute Mann: Ja, ein internationales Gesetzbuch habe ich nicht, das müssen Sie mir beschaffen. Sie

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müssen mir überhaupt die Unterlagen schaffen, wenn ich Ihnen weiter Rat geben soll! - Nun, wer mich kennt, weiß, daß ich in solchen Sachen ganz gewiß nicht renommiere. Ich bilde mir auch gar nichts ein. Ich habe dann jenes internationale Gesetzbuch beschafft, und in zwei Stunden war mir klar, wie der ganze Fall liegt. Denn man braucht nur mit gesundem Sinn in die Dinge hineinzublicken, so weiß man, daß in zwei Stunden erledigt werden kann, was sonst durch zwei Jahre sich hinzieht. So weit entfernt steht das, was im sozialen Organismus aus den drei Gliedern sich verquickt hat, das, was menschlicher Anteil ist, von dem, was als Rechtsordnung eigentlich besteht. Wir müssen zurück zu einem Leben, welches das, was im Recht lebt, so empfindet, wie wir die äußeren Sinnesdinge empfinden. Wir müssen lebendig mit dem, was als Rechtsorganismus da ist, zusammenhängen.

Das ist der wahre Sinn der Demokratie, daß Menschliches hinein- komme in die toten Paragraphen, daß mitempfunden wird, was in den toten Paragraphen sonst lebt. Und so, wie in das Geistgebiet durch das, was aus der Geisteswissenschaft geboren werden kann, das Leben hinein- kommt, so wird durch das, was gewollt wird durch Geisteswissenschaft, in das Rechtsgebiet die Empfindung hineinkommen. Empfunden wird werden, was von Mensch zu Mensch lebt.

Und wir gehen zum dritten Gebiet, zum Wirtschaftsgebiet. Wir wissen, daß sich das sehr im Unterbewußten vollzieht, daß der einzelne Mensch heute gar nicht in der Lage ist, aus dem, was vorliegt, in voll- bewußter Weise zu durchdringen, was im Wirtschaftsgebiet vorliegt. Es müssen sich Assoziationen bilden, wo die Erfahrung des einen durch die Erfahrung des andern ergänzt wird. Aus den Assoziationen, aus Gruppenbildungen heraus muß sich dann das Urteil bilden. Während wir auf dem Geistgebiet, jeder einzelne individuell, das, was unseren An- lagen gemäß ist, heraussetzen müssen, muß das, was im Wirtschaftsgebiet tätig ist, aus dem Gruppenurteil herauskommen. Dann wird aus diesem Gruppenurteil dasjenige herauskommen, was waltende Vernunft ist. Im Wirtschaftsleben wird waltende Vernunft sein.

1. Geistgebiet: Leben Ätherleib

2. Rechtsgebiet: Empfindung Astralleib

3. Wirtschaftsgebiet: Vernunft Ich

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Vernunft wird walten im Wirtschaftsleben. Das heißt, wir tragen das, was wir in uns durch die Erbschaft der Götter entwickelt haben, das, was wir entwickelt haben als Ätherizität, was wir entwickelt haben für die Empfindung als Astralleib, was wir entwickelt haben als Vernunft für das Ich, das tragen wir hinaus. Auf dem Wirtschaftsgebiete müssen wir es noch nicht als Individualitäten hinaustragen, deshalb tragen wir es durch Assoziationen, durch Gruppen hinaus. Aber was wir uns individuell in unserem Ich entwickelt haben, Vernunft, das wird zu einem das ganze Wirtschaftsgebiet Durchdringenden, wenn in der entsprechenden Weise auf Assoziationen hingearbeitet wird. So daß wir hinaustragen in die soziale Ordnung das, was der Impuls in unserem Ätherleib ist, in das Geistesleben, indem wir das Geistesleben beleben. Was in unserem Astralleib als Empfindung pulsiert, wir tragen es hinaus in das Rechtsgebiet, und was in unserem Ich als Vernunft pulsiert, wir tragen es hinaus In das Wirtschaftsgebiet. Wir haben als Menschen in der kosmischen Ordnung ein Dreifaches errungen: Ätherleib, Astralleib und Ich; wir scheiden aus der Welt wieder mit Ätherleib, Astralleib und Ich. Wir geben es an die Welt ab. Wir gestalten aus uns heraus die Weltenordnung. Warum sollte denn das auch anders sein? In den niederen Tierreihen ist uns manches vorgebildet, indem die Spinne zum Beispiel aus sich herausspinnt dasjenige, was da geschehen soll. Der Mensch muß in der Tat zum Weltenschöpfer werden, muß das, was künftig seine Umgebung sein wird, aus sich herausgestalten. Wir tragen die Zukunft in uns. Ich habe es von den verschiedensten Gesichtspunkten aus erörtert.

Was nützen alle philosophischen Redereien über die Realität der Welt! Wir können uns ja überzeugen von dieser Realität der Welt, in- dem wir auf die Realitäten der Zukunft schauen. Was in der Zukunft real sein wird, wir tragen es heute in Idealität in uns. Gestalten wir die Welt, dann wird sie real sein. Das darf nicht bloß als Theorie in uns leben, das muß als Empfindung, als innerster Lebensimpuls in uns sein. Dann haben wir ein Erkenntnisverhältnis zu unserer weltlichen Umgebung und zu gleicher Zeit ein religiöses Verhältnis zu unserer Umgebung. Aus diesem Impuls heraus wird auch die Kunst etwas ganz anderes werden in der Zukunft. Es wird die Kunst etwas werden, was sich verbindet mit dem unmittelbaren Leben. Es wird unser Leben selber

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künstlerisch sich gestalten müssen. Ohne das werden wir in das Banausentum eines Lenin oder Trotzkij oder eines Lunatscharskij hineinsegeln müssen. Denn dasjenige, was errettet aus diesem Sumpfe, das ist allein der Geist, den der Mensch aus sich selber heraus schafft. Und wir werden das Rechtsleben, soll es nicht völlig veröden, mit Empfindungen durchdringen müssen und das Wirtschaftsleben mit Vernunft.

Es war einer, der blickte zurück auf die Art und Weise, wie sich die Welt entwickelt hat. Er schaute sie an und sagte: Alles Wirkliche ist vernünftig, und alles Vernünftige ist wirklich. - Er schaute eben auf das hin, was die Welt durch die alten Götter geworden ist, er schaute nicht in die Zukunft. Es war Hegel, über den ich hier am 27. August gesprochen habe an seinem hundertfünfzigsten Geburtstag. Aber wir stehen heute auf dem Punkte, wo die Welt unvernünftig wird, wo der Mensch sie wieder vernünftig machen muß. Und das muß man wissen, das muß übergehen in Denken, Fühlen und Wollen. Und es gibt nur diese einzige soziale Reform: zu wissen, was der Mensch für einen Anteil an der Gestaltung der Weltenordnung wird nehmen müssen.

Das ist es, was wir uns, ich möchte sagen, jeden Morgen und jeden Abend vorsagen sollen im Geiste, damit wir neu begreifen, welcher Unsinn es ist, wenn wir von einer Ewigkeit der Materie, von einer Erhaltung des Stoffes sprechen. Alles was Stoff um uns ist, es wird vergehen. Was in uns als Ideale lebt, das wird an der Stelle dessen sein, was durch die Vernichtung des Stoffes leere Räume hat, in welche leeren Räume sich dasjenige hineinstellt als künftige Realität, was in uns vorläufig nur als das Ideelle lebt.

So muß sich der Mensch zusammengebunden fühlen mit der Weltenordnung. So muß der Mensch neuerdings die Christus-Worte fühlen: «Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.» Wer diesen Ausspruch versteht, der weiß, daß er ein echter und ursprünglich christlicher ist, denn das Christentum geht aus von der Vernichtbarkeit des Stofflichen und der äußeren Kraft, und die neuere naturwissenschaftliche Weltanschauung spottet des Christentums, indem sie die Erhaltung des Stoffes und der Kraft lehrt. Denn Himmel und Erde, das heißt, aller Stoff wird vergehen, und alle Kraft wird vergehen, aber dasjenige, was in des Menschen Seele sich formt und in dem

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Worte lebt, das wird Welt der Zukunft sein. Das ist Christentum. Dieses Christentum, neu begriffen, das muß ausrotten das Widerchristentum, das Antichristentum der modernen materialistischen Weltanschauung, die von der Erhaltung des Vergänglichen, des Stoffes und der Kraft phantasiert. Und so weit ist es gekommen, daß dasjenige, was Christentum ist: die Ewigkeit des Geistes, die Vergänglichkeit des Stoffes zu bekennen, daß das heute als ein Wahnsinn gilt gegenüber dem festbegründeten Phantasmus von der Erhaltung des Stoffes und der Kraft. Und 50 weit ist es gekommen, daß wir lügen, indem wir vorgeben, noch Christen zu sein, während wir die Hand bieten zur Verbreitung einer Weltanschauung, die widerchristlich, antichristlich ist. Wer festhält an den Stoffgrundlagen der neueren Naturwissenschaft, der würde nur wahr und ehrlich sein, wenn er das Christentum abschwören würde. Und gar Vertreter der christlichen Konfessionen, Pfarrer, Pastoren, welche mit der neueren Naturwissenschaft ihre Kompromisse schließen, sie sind ganz gewiß in Wirklichkeit innerlich die schärfsten Feinde des Christentums. Es geht nicht anders, als daß in diesen Dingen begonnen wird, klar und ehrlich zu sehen. Uber diese Dinge muß durchaus immer mehr und mehr in vollem Ernste gesprochen werden. Ohne das geht es nicht weiter. Alles Herumreden in den Reformgedanken, von denen heute alle möglichen Vereine, alle möglichen Reformbewegungen schwätzen, ist Phantastik, ist nur Wasser auf die Mühle derer, die den Niedergang herbeiführen. Erneuerung ist allein zu hoffen von dem Erfassen des lebendigen Geistes, jenes lebendigen Geistes, der seinen Quell finden muß in dem, was schaffender Mensch ist, und was die Grundlage ist für die Realität der Zukunft, nicht nur irgendeiner ideellen Zukunft, sondern der kosmischen Zukunft.

Wahrhaftig, ehe nicht die moderne Menschheit mit derselben Glut diese Metamorphose des modernen Denkens aufnimmt, mit welcher Glut einmal in älteren Zeiten Weltanschauungen aufgenommen worden sind, eher wird der Niedergang sich nicht in den AUfgang verwandeln. Das, was man so sagt, man möchte, daß es nicht bloß mit Vor- stellungen bequem erfaßt werde, man möchte, daß es empfunden werde> daß es gefühlt werde, daß es durchpulste den Willen. Denn ehe es nicht empfunden wird, ehe es nicht gefühlt wird, ehe es nicht durchpulst den

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Willen, ist alles Reden davon, daß aus der katastrophalen Zeit herausgekommen werden soll, ein Unding. Die meisten Menschen wissen nicht, in welcher furchtbaren Weise wir hineinsegeln in den Untergang, der nun schon ergreift das Physische. Aber das Physische, es ist immer die Folge des Geistigen. Das Physische der Zukunft wird die Folge des Geistigen sein, das wir heute in unserer Seele tragen; das Physische, das jetzt geschieht, rührt von vergangenem Geistigen her, und jüngst geschehenes Physisches rührt von längst vergangenem Geistigen der Menschheit her. Wenn uns heute verkündet wird, daß etwa von sechshundert Berliner Schulkindern durchschnittlich weit mehr als hundert keine Schuhe und Strümpfe haben zur Zeit und auch nicht die Aussicht haben, sie zu bekommen, wenn uns verkündet wird, daß weit mehr als hundertfünfzig von diesen sechshundert Kindern solche Eltern haben, die ihnen nicht einmal die Rationen mehr kaufen können, so und so viele, die nicht einmal mehr warmes Frühstück bekommen, bevor sie zur Schule kommen, daß im Laufe des letzten Schuljahres über hundert an Tuberkulose gestorben sind - zählen Sie sich das zusammen -, dann, meine lieben Freunde, haben Sie materielle Vorgänge. Diese materiellen Vorgänge, sie sind die äußere Ausgestaltung desjenigen, was die Menschheit an Geistigkeit in den letzten Jahrhunderten heraufgetragen hat. Fragen möchte man heute: Will man weiter soziale, will man Frauenbewegungen, will man alle möglichen Reformbewegungen in der Fortsetzung der Gedanken pflegen, die solche Früchte getragen haben, oder will man aus einem neuen Quell heraus schaffen und schöpfen? Diese Frage soll mit leuchtenden Lettern sich hinstellen vor unsere Seele, indem wir über den Punkt fühlen und empfinden, an dem wir jetzt stehen.

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FÜNFZEHNTER VORTRAG Dornach, 10. September 1920

Wenn wir uns heute einen Überblick verschaffen über das, was durch die zivilisierte Welt geht, was in ihr vorhanden ist, so finden wir eigentlich - wir dürfen es schon, nachdem wir ja manches andere zur Erklärung vorausgeschickt haben, sagen - einen werdenden Trümmerhaufen der Zivilisation. Wir müssen, wenn wir verstehen, was Geisteswissenschaft uns über die Weltengeheimnisse sagen kann, uns ja ganz klar darüber sein, daß alles, was äußerlich in der physischen Welt geschieht, seinen Ursprung hat in der geistigen Welt. In der geistigen Welt liegen die Veranlassungen für das, was sich auch zu irgendeiner Zeit im geschichtlichen Werden der Menschheit vollzieht. Daß wir im gegenwärtigen Zeitaugenblicke in einer solchen Menschheitsverfassung leben, wo der Mensch darauf angewiesen ist, aus seinem eigenen Inneren heraus etwas zum Neuaufbau beizutragen, das ist eine andere Wahrheit, die wir uns nicht oft genug vor das Seelenauge stellen können. Wir leben nicht mehr In einer Zeit, in der der Glaube hinreicht, daß die Götter schon helfen werden. Die Götter rechnen in der heutigen Zeit gar nicht damit, daß sie und ihre Absichten von den Menschen erkannt werden. Und es ist vieles, was vor verhältnismäßig kurzer Zeit noch nicht in der Menschen Absichten gestellt war, eben heute in der Menschen Absichten gestellt.

Eine solche Wahrheit muß in ihrem vollen Ernste und im Grunde genommen von jedem einzelnen ins Auge gefaßt werden. Um das zu können, dazu wird vor allen Dingen notwendig sein, daß wir manche Dinge, aus denen wir herausgewachsen sind, verstehen. Der Mensch ist ja nach und nach während des materialistischen Zeitalters dazu gekommen, alles, ich möchte sagen, von einem gewissen absoluten Gesichtspunkte aus zu fassen, von einem solchen absoluten Gesichtspunkte aus, der noch dazu eigentlich zeitlich sehr beschränkt wird. Ist heute einer fünfundzwanzig Jahre alt, dann fühlt er sich dazu berufen, über alles zu urteilen. Er hat den Glauben, daß man ohne irgendwie weiter eine Entwickelung oder so etwas durchzumachen, ein abschließendes Urteil über alles haben könne. Er wird vielleicht, wenn er dann fünfzig Jahre

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alt geworden ist, mit einiger Überlegenheit auf seine Urteils fähigkeit von vor fünfundzwanzig Jahren herunterblicken, aber er wird nicht irgendwie, sagen wir, sich erzogen fühlen, mit fünfundzwanzig Jahren nach dem reiferen Urteil der Fünfzigjährigen hinzuschauen und mit ihm zu rechnen. Unter den Ursachen, die unserer chaotischen Gegenwart zugrunde liegen, ist die eben gekennzeichnete wahrhaftig nicht eine der geringsten, sondern eine der allerwichtigsten, allerdings eine solche Ursache, die einmal mitwirken mußte an der ganzen Entwickelung der Menschheit. Denn nur dadurch, daß der einzelne Mensch in einer gewissen Weise sich völlig emanzipiert fühlt von allem Weltenzusammenhang und sich sogar nicht einmal bloß persönlich, das heißt im Leben zwischen Geburt und Tod, sondern in jedem Zeitpunkte dieses Lebens auf einen absoluten Standpunkt stellt, auf den Standpunkt, daß er souverän urteilen kann über alles, nur dadurch, daß unter den vielen Lebensillusionen - und in der bloß physischen Welt ist ja gewissermaßen alles Illusion - sich auch diese eingestellt hat, wird die Menschheit den einzelnen Menschen zur Freiheit allmählich hingeleiten.

Aber beachtet werden muß der große Unterschied dieses unseres Zeitalters, das von einem solchen Gesichtspunkte ausgeht, von jenen Zeitaltern, in denen ganz andere Lebensimpulse dem menschlichen Dasein zugrunde lagen. Und auf solche früheren Lebensimpulse, die wiederum die späteren werden sollen, zu denen alles Streben in der Gegenwart wiederum hindrängen soll, auf solche Lebensimpulse in früheren Zeiten muß schon hingeschaut werden. Sie sind ja nur langsam und allmählich verschwunden in der Menschheitsentwickelung, und man unterschätzt das ganze Tempo der neuzeitlichen Geistesentwickelung, wenn man in ihm nicht den schriellen Ablauf sieht, der in wenigen Jahrhunderten Ungeheures von dem, was an Geistigkeit vorher vorhanden war, hinweggeschmolzen hat durch die Impulse des Materialismus.

Versetzen wir uns einmal, um Ausgangspunkte zu gewinnen für eine wirkliche Gegenwartsbetrachtung, wie wir sie dann morgen anstellen wollen, zurück, nun, sagen wir in die beste Zeit des alten ägyptischen Lebens. Im alten ägyptischen Leben oder im alten chaldäischen Leben waren selbstverständlich auch in der äußeren Welt soziale Einrichtungen da; diese sozialen Einrichtungen waren inauguriert und getroffen von

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gewissen Menschen. Aber diese Menschen urteilten nicht so, daß sie in ihren weisen Köpfen ausspintisierten, wie man die besten sozialen Einrichtungen trifft, was für das Zusammenleben der Menschen nach ihrer Meinung das Richtige sei, sondern sie wandten sich an die Initiationsstätten. Und im Grunde genommen war der initiierte Weise, der in die Geheimnisse des Weltenalls eingeweiht wurde in den Initiationsstätten, der wirkliche tonangebende Berater der obersten sozialen Lenker, die zum großen Teile selbst, je nach ihrer Würdigkeit und Reife, Eingeweihte waren In die Weltengeheimnisse. Und wenn man Bestimmungen treffen sollte über das, was in der sozialen Ordnung geschehen sollte, dann fragte man im wahren Sinne des Wortes nicht an beim gescheiten menschlichen Kopfe, sondern man fragte an bei dem, was die Himmelszeichen deuteten. Denn man wußte, wenn ein Stein zur Erde fällt, so hat das mit Kräften der Erde zu tun; wenn es regnet, hat es mit Kräften der Luft, des Luftumkreises zu tun. Wenn aber menschliche Schicksale sich vollziehen sollen, die aufeinander bestimmend wirken sollen, dann hat das nichts zu tun mit irgendwelchen Naturgesetzen, die man hier auf diese Weise gewinnen kann, sondern dann hat das zu tun mit denjenigen Gesetzen, die im Kosmos verfolgt werden konnten aus dem, was etwa der Gang der Sterne zeigte. So wie wir die Zeit ablesen von der Uhr, so las man den Gang der Sterne ab. Aber, wIe wIr nicht sagen: Mein Zeiger steht da unten rechts und der andere links -, sondern wie wir sagen: Diese Zeigerstellung bedeutet uns, daß die Sonne vor so und so vielen Stunden untergegangen ist und dergleichen -, so sagten sich diese Menschen, die den Gang der Sterne ablasen: Diese und jene Konstellation der Sterne bedeutet uns diese und jene Absicht jener göttlich-geistigen Wesenheiten, welche leitend und lenkend sind für alles, was man menschliches Geschick nennen kann. - Man schaute auf die Absichten der geistigen Mitgenossen des Kosmos, indem man hinaufblickte zum Gang der Sterne, und man war sich klar darüber: Nicht alles, was der Mensch zu wissen braucht, enthüllt sich hier auf dieser Erde, sondern das Wichtigste sogar, was der Mensch zu wissen braucht, die Kräfte, die in seinem sozialen Leben wirken, die enthüllen sich aus dem, was Im Kosmos beobachtbar ist, außerhalb der irdischen Welt. Man wußte, man kann nicht die Angelegenheiten der Menschheit auf Erden

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besorgen, wenn man nicht die Absicht der Götter im außerirdischen Raume erforscht. Man gliederte also dasjenige, was in der sozialen Ordnung hier vollzogen werden sollte, an Außerirdisches an.

Nun fragen wir uns: Wo ist denn heute Geneigtheit dazu vorhanden, irgendwie diese großen Zeichen des außerirdischen Kosmos zu erforschen, wenn da oder dort wiederum der Glaube auftritt, es muß diese oder jene Reformbewegung ins Leben gerufen werden? Das ist ein viel wichtigeres Kennzeichen des Materialismus, daß der Mensch nicht mehr befrägt das außerirdische Weltenall zur Ordnung seiner irdischen Angelegenheiten, als alles das, was als naturwissenschaftlicher Materialismus aufgetreten ist. Und man ist nicht dadurch Spiritualist, daß man Theorien aufstellt über den Menschen und über irgend etwas anderes in der Welt, sondern man wird erst dadurch Spiritualist, daß man wiederum die Angelegenheiten der irdischen Menschheit an das Außer- irdische anzuknüpfen verstehen wird.

Da muß man aber vor allen Dingen die Überzeugung haben, daß sich die Dinge dieser Welt nicht ordnen lassen nach den durch die bloße naturwissenschaftliche Bildung anerzogenen Urteilen. Da muß man in die ganze zivilisatorische Erziehung hineinbringen können die Fähigkeit, eben wiederum Außerirdisches mit Irdischem zu verbinden. Da ist vor allen Dingen notwendig, genauer hinzuschauen, wie diese Fähigkeit im Laufe der Menschheitsentwickelung verlorengegangen ist, wie wir dazugekommen sind, alles nur vom irdischen Gesichtspunkte aus beurteilen zu wollen. Nehmen wir etwas, was jetzt durch die Welt geht, und was Bestandteil einer sozialistischen Agitation ist.

Sie alle haben gehört, daß überall auftaucht das Bestreben, Arbeitspflicht einzuführen, das heißt, den Menschen durch irgendwelche soziale Ordnung zu verpflichten, aus den gesetzlichen Bestimmungen der so- zialen Ordnung heraus zu arbeiten, nicht mehr bloß an das zu appellieren, was den Menschen zur Arbeit zwingt - den Hunger und andere Dinge -, sondern geradezu gesetzlich festzulegen die Arbeitspflicht.

Wir sehen, wie auf der einen Seite aus sozialistischer Agitation heraus diese Arbeitspflicht gefordert wird. Wir sehen, wie in Sowjetrußland diese Arbeitspflicht geradezu schon zu einer gewissen Feststellung, einer allgemeinen Menschheitskasernierung geführt hat. Wir sehen auch, wie

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begeistert radikale sozialistische Menschen für diese Arbeitspflicht sind. Wir sehen allerdings auch, wie die schlafenden Seelen der Gegenwart solche Notizen aufnehmen wie die, daß da und dort wiederum ein Ministerium sogar beschlossen hat, die allgemeine Arbeitspflicht einzuführen.

Man liest das wie irgendeine andere Notiz, kümmert sich nicht viel darum. Man steht auf, wie man sonst aufgestanden ist, man frühstückt, man ißt zu Mittag, man geht im Sommer aufs Land, man kommt wieder zurück, und man benimmt sich im allgemeinen heute, trotzdem die grundlegendsten Dinge durch die Welt gehen, so, wie man sich halt seither benommen hat, wie man es gewohnt worden ist seither. Aber die Menschheit sollte heute nicht an den alten Gewohnheiten durchaus festhalten; die Menschheit sollte ernst nehmen, um was es sich heute handelt: das Umlernen über alle Verhältnisse des Lebens. Und selbst wenn wir bekämpfen sehen so etwas wie die Forderung der allgemeinen Arbeitspflicht, von welchen Gesichtspunkten aus werden denn solche Dinge bekämpft? Man muß sagen, die Bekämpfer sind in der Regel nicht viel gescheiter als diejenigen, die diese Forderungen aufstellen, denn es wird höchstens gesagt: Ja, kann denn den Menschen die Arbeit noch freuen? - und dergleichen. All die Gründe, die für und gegen aufgeführt werden, sie sind in der Regel gleich viel wert, denn sie entspringen aus den gleichen Urteilen, die sich nur auf das beschränken, was hier zwischen der Geburt und dem Tod sich abspielt, sie gehen nicht hervor aus einer genügenden Durchdringung des Lebens. Und wenn der Geistesforscher kommt und sagt: Nun ja, führt die allgemeine Arbeitspflicht ein, ihr werdet nach zehn Jahren eine furchtbare Statistik haben, denn die Selbstmorde werden in rasender Eile zunehmen -, dann wird man das als eine Phantasterei betrachten und wird nicht eingehen darauf, daß ein solches Urteil aus einer inneren Erkenntnis der Zusammenhänge des Weltenalls genommen ist, wird sich nicht einlassen darauf, Geisteswissenschaft zu studieren und den Boden zu finden, von dem aus man ein solches Urteil berechtigt finden kann. Sondern man wird eben weiterleben, die einen aufstehend, frühstückend, mittagessend, aufs Land gehend im Sommer und dergleichen mehr, die andern in irgendeiner andern Weise schlafend; man wird nicht ernst nehmen, um was es sich handelt. Andere werden Vereine gründen, soziale oder Frauen

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Vereine und dergleichen, was ja ganz schöne Dinge sind, was aber, wenn es nicht angeknüpft wird an die eigentlich kosmische Ordnung, nur in den Wind hineingesprochen ist. Unsere Zeit ist viel zu hochmütig, um irgendwie hinauszukommen über jene absoluten Gesichtspunkte, die annehmen, daß man in jedem Lebensalter unbedingt über alles ein abschließendes Urteil hat.

Ich habe in diesen Tagen oder in den letzten Wochen gezeigt, wie die verschiedenen Zweige des dreigliedrigen sozialen Organismus auf den verschiedenen Territorien der Erdenentwickelung ihren Ursprung haben. Im Grunde genommen, sagte ich, ist alles unser geistiges Leben nur eine Umwandlung dessen, was im Orient vor langer Zeit entstanden ist. Aber wenn wir das durchprüfen, was wir ja nach der einen Seite hin in den letzten Wochen viel geschildert haben, mit Bezug auf diejenigen Gesichtspunkte, die ich jetzt eben angegeben habe, dann ist das so, daß alles Wissen dieses Orients, insofern es sich auf das Menschenschi&sal bezog, abgelesen war von dem Gang der Sterne, abgelesen war von dem, was außerirdisch, außertellurisch ist. Und die griechische Schicksalsidee war der letzte Ausläufer eines solchen außerirdischen Wissens.

Dann kam dazu das Wissen des mittleren Territoriums; das war, wie wir angedeutet haben, ein mehr juristisches Wissen, das war etwas, was der Mensch mehr aus sich selbst heraUsspann. Das knüpfte nicht an die Beobachtungen an, die aus dem außerirdischen Kosmos kamen. Und ich habe Ihnen gesagt, man merkt es auch der höheren Weltanschauung an, wie sie im Abendländischen durchjuristet worden ist, wie gewissermaßen das, was als Menschheitsentwickelung sich abspielt, unter juristische Begriffe gestellt worden ist. Strafe verhängte der Weltenrichter geradeso, wie der irdische Jurist Strafe für irgendein äußeres Vergehen verhängt. Juristische Art der Anschauung, juristische Art der Vorstellung, das ist dasjenige, was die ganz andere Art der orientalischen Vorstellungen der geistigen Welt durchdrungen hat.

Und diese Anschauung von der geistigen Welt, die hing damit zusammen, daß in den Initiationsstätten diejenigen, die dazu reif befunden wurden, eben eingeweiht wurden in das, was aus den sichtbaren, aber die übersichtbare Welt offenbarenden höheren Gebieten auf die Erde herunterwirkt. Und dann lenkte man das, was auf der Erde zu

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geschehen hat, nach diesen Intentionen der Einweihung. Bei einem solchen Wissen ist es natürlich notwendig, daß mehr ins Auge gefaßt wird als der einzelne Standpunkt in irgendeinem Lebensjahre, von dem aus man dann ein absolutes Urteil über alles mögliche fällt. Von dem Gesichtspunkte aus muß ins Auge gefaßt werden die ganze Entwickelung des Menschen, aber auch das, was sich der Mensch durch die Geburt hereinbringt ins irdische Dasein, und was sich ihm offenbaren kann, wenn er im irdischen Dasein eine Offenbarung des überirdischen Daseins erblickt.

So ist im Grunde genommen in der neueren Zeit durchjuristet worden, was einstmals eine Art Himmelswissenschaft war. Diese Himmels- wissenschaft selber, ihr Schicksal muß man ein wenig ins Auge fassen.

Denn, was heiliges Wissen im Orient war, was in den Initiationsstätten In seiner reinsten Form vor vielleicht zehntausend Jahren im Orient gepflegt worden ist, ja, was noch später in Ägypten, wenn auch nicht mehr in so reiner Form, doch immerhin in relativ reiner Form gepflegt worden ist, das wurde, nachdem es in einer gewissen Weise popularisiert worden war, auf den Straßen des späteren kaiserlichen Roms von Schwindlern und Gauklern, allerdings umgewandelt in sichtbare Zauberkünste, verzapft. Das ist eben der Gang der Weltenereignisse, daß etwas, was in einem gewissen Zeitalter heilig ist, nachher zum Allerunheiligsten werden kann. Und während das orientalische höchste Wissen in der späteren römischen Kaiserzeit der Straße angehörte, entwickelte sich aus dem Römertum selbst heraus auf Grundlage des späteren Ägyptertums das juristische Denken, das dann weltbeherrschend wurde. In der Folgezeit, aber nur langsam und allmählich, ist dann verglommen und erstorben, was einstmals im Orient von den Sternen herunter als Menschenweisheit geholt worden ist. Denn im 13.Jahrhundert, da sagte noch Thomas von Aquino: Das menschliche Schicksal, alles, was an Schicksal in der sublunarischen Welt geschieht, wird gelenkt von den Sternenintelligenzen. Es ist aber deshalb für den Menschen nicht etwas Unvermeidliches. - Also der katholisch-christliche Kirchenlehrer des 13. Jahrhunderts spricht von den Sternen, den Planeten nicht bloß als den physischen Planeten, sondern er spricht von den Intelligenzen, die in diesen Planeten wohnen, und die die eigentlichen

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Lenker dessen sind, was Menschenschicksal genannt werden soll. Was einstmals im Orient aufgegangen ist, im 12., 13., 14. Jahrhunderte war es noch durchaus, wenn auch in den letzten Ausläufern, vorhanden als diese Seite der christlich-katholischen Kirche. Und es ist einfach eine furchtbare Entstellung der gegenwärtigen katholischen Kirche, wenn diese Dinge den Gläubigen vorenthalten werden, wenn zum Beispiel die Annahme von Beseelung und Durchgeistigung der einzelnen Sterne, der Planeten zum Beispiel, als eine Ketzerei hingestellt wird, denn die Kirche verleugnet damit nicht nur das Christentum, sie verleugnet selbst ihre letzten Lehrer, welche noch einen unmittelbareren Zusammenhang mit den Quellen des Geisteslebens gehabt haben, als die Gegenwart irgendwie hat. Deshalb muß man sagen, es ist noch nicht so lange her, daß völlig vergessen worden ist, was die Welt noch durchgeistigt vorstellte. Würden die Menschen die Wahrheit heute lehren über das, was selbst noch gewaltet hat in dem Geistesleben des 11., 12., 13., 14., 15. Jahrhunderts, würden sie nicht nach vorgefaßten Meinungen das entstellen, was da geherrscht hat, dann würde selbst das noch befruchtend sein können für eine Durchgeistigung der gegenwärtigen Weltanschauung, so daß der Materialismus, der naturwissenschaftliche Materialismus oder der Materialismus der Mystiker oder der Materialismus der Theosophen nicht bestehen könnte, namentlich nicht bestehen könnte der Materialismus der katholischen Kirche. Denn ausgegangen ist das, was in den Dogmen der katholischen Kirche vorliegt, von der reinsten geistigen Wissenschaft. Aber diese reinste geistige Wissenschaft sah überall Geistiges im Weltenall.

Das alles, was da Geistiges im Weltenall gesehen worden ist durch das Seelenauge, das ist abgestreift worden. Das Weltenall ist vermaterialisiert worden. Dann bleibt natürlich nichts anderes zurüch als das bloß geglaubte Wort. Denn die Dinge liegen so, daß zum Beispiel hinter der Trinität, der Lehre von dem Vater, Sohn und Geist, die tiefsten Mysterien liegen. Aber in dem, was heute als dieses Trinitätsdogma gelehrt wird, liegt eben nichts mehr. Auf der einen Seite sind es die Worte, der Glaube der Bekenntnisse, auf der andern Seite ist es die geistlose NaturwIssenschaft. Die können beide die Menschheit aus dem Elend, in das sie heute hineingeraten ist, wahrhaftig nicht retten. Aber daß die Rettung

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möglich werde, dazu ist eben notwendig, daß eine genügend große Anzahl von Menschen sich innerlich aufrütteln. Denn es liegt im menschlichen Inneren, besonders in der heutigen Epoche, die Möglichkeit, jene Fäden geistig-seelischer Art zu finden, die, wenn sie in der richtigen Weise in ihrer Kraft innerlich empfunden werden, dazu führen, daß verstanden wird, was aus Geisteswissenschaft heraus zur Beleuchtung sowohl des Naturlebens wie des sozialen Lebens geholt werden kann. Nur darf man eben nicht die schlechten Gewohnheiten des inneren Menschenlebens, wie sie sich heraufgebildet haben in den letzten Jahrhunderten, durchaus beibehalten wollen. Und diese schlechten Gewohnheiten bestehen darinnen, daß man meint, man könne sich ruhig, passiv verhalten, dann werden schon die Götter in einen eindringen, alles offenbaren im Inneren, mystische Tiefe werde ein innerliches Licht er- hellen und so weiter. Dazu ist das heutige Zeitalter nicht geeignet. Das heutige Zeitalter fordert von dem Menschen innere geistig-seelische Tätigkeit, und es fordert ein Hinblicken auf das, was sich im Inneren offenbaren will. Dann findet man unter allen Umständen dasjenige, was sich im Inneren offenbaren will. Aber man muß eben den Willen haben zu einer solchen inneren geistigen Tätigkeit. Man muß schon nicht glauben, daß mit irgendeinem iunerlichen pseudomystischen Ausleben besonders viel herauskommt, sondern man muß vor allen Dingen den Geist in den äußeren Weltendingen verfolgen.

Ich habe Sie aufmerksam darauf gemacht, was zum Beispiel im Osten, in Asien geschehen ist. Einstmals, sagte ich, war es in Asien so, daß der Mensch sein Herz aufgehen fühlte, seine Seele warm durchdrungen fühlte, wenn er, gelenkt von dem Gedanken an das heilige Brahman, den Blick richtete auf das große äußere Zeichen, auf die Swastika, auf das Hakenkreuz. Da ging ihm das Innere auf. Diese innere SeelenstirIniung, die war etwas für ihn. Heute, wenn der Orientale die russische Zweitausend-Rubelnote - die ja heute nicht viel bedeutet, denn man bezahlt nicht mehr nach Scheidemünzen, sondern nach Tausend-Rubelnoten -, wenn einer eine gewöhnliche Zweitausend-Rubelnote empfängt, so empfängt er auf dieser Zweitausend-Rubelnote die schön ausgeführte Swastika, das Hakenkreuz. Selbstverständlich sind jene tausendjährigen Empfindungen rege, die einstmals das heilige Brahman

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innerlich erschauten, wenn der Blick gerichtet wurde auf das Hakenkreuz. Heute lenken sich dieselben Empflndungsqualitäten hin nach der Zweitausend-Rubelnote.

Glauben Sie, daß man die Welt geistig betrachtet, wenn man nicht hinschaut auf so etwas und sich sagt: Das sind die ahrimanischen Mächte, die hier ihr Wesen treiben; darinnen liegt überirdische Vernunft, wenn auch eben ahrimanische Vernunft? - Glauben Sie, daß man damit auskommt, wenn man bloß sagt: Ach, das ist die äußere materielle Welt! Wir lenken den Blick himmelwärts auf die geistigen Inhalte und lenken nicht den Blick auf dasjenige, wovon sie nur Worte haben? - Wollen Sie das Geistige, so müssen Sie es suchen auch da, wo es sich in seinen großen Verirrungen erweist im Weltengange selbst, der sich äußerlich abspielt, denn von da aus können Sie die Anfänge finden auch zu dem andern. Das ist die Tragik des heutigen Zivilisationszeitalters, daß man sich vorstellt, überall wirken nur menschliche Kräfte, die ihren Ursprung zwischen Geburt und Tod haben, während unsere Welt überall durchdrungen ist von übersinnlichen Mächten, geistigen Gewalten, die sich in den verschiedenen Dingen, die geschehen, äußern. Und will man irgend etwas tun, will man Absichten entfalten, daß dies oder jenes anders werde, so braucht man den Blick zu jenen geistigen Mächten, die geistigen Mächten entgegenarbeiten können, und die geistigen Mächte, die entgegenarbeiten können, müssen durch die Tätigkeit des eigenen Inneren im Menschen geboren werden.

Aber zu alldem braucht man eben den wirklichen Aufblick in die geistige Welt. Dieser Aufblick in die geistige Welt ist natürlich vielen Leuten unangenehm. Daher ist dem größten Teile der Welt heute höchst unangenehm überhaupt das Reden von der Initiationswissenschaft. Denn eines muß diese Initiationswissenschaft unter allen Umständen dem Menschen klarmachen. Der Mensch ist organisiert auf seinen Verstand zunächst. Gewiß, er trägt andere Faktoren seiner Organisation in sich, die Faktoren der Verdauung, des Stoffwechsels, des Herzschlages, der Atmung, also physiologische Vorgänge. Er trägt Instinkte in sich, also Seelenentitäten und so weiter. Er trägt aber dann etwas in sich, was man die Intelligenz nennt. Und auf diese Intelligenz ist das gegenwärtige Zeitalter besonders stolz. Aber woher haben wir die Intelligenz?

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Der Materialismus glaubt, wir haben die Intelligenz daher, weil - nun ja, nicht wahr, da unten, da geschehen diejenigen Prozesse, welche in der Leber, im Herzen wirken, dann verfeinern sie sich, bilden die Prozesse im Gehirn drinnen. Diese Prozesse im Gehirn, das sind bloß ein bißchen andere als diejenigen, die sich in der Leber oder im Magen abspielen, aber diese selben Prozesse, die bewirken das Denken. Wir wissen, es ist nicht so. Diese Prozesse, die sich im Gehirn so abspielen wie die Prozesse, die sich in der Leber oder in dem Magen abspielen, würden gar kein Denken bewirken, sondern da oben geschieht etwas, und fortwährend bilden sich aus den Aufbauprozessen Zerstörungsprozesse heraus. Hier oben wird nicht nur aufgebaut, sondern abgebaut. Hier oben

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fällt immerfort Materie heraus ins Nichts, so daß wir es nicht zu tun haben mit einem Aufbau im Gehirn. Dieser Aufbau ist nur zur Ernährung des Gehirns da, nicht zum Denken. Dasjenige, was zum Denken ist, ist das, was abfällt. Wenn Sie nach denjenigen Prozessen blicken wollen im Gehirn, die mit dem Denken etwas zu tun haben und sie vergleichen wollen mit dem übrigen Organismus, so müssen Sie nicht mit den Aufbauprozessen oder aufbauenden Wachstumsprozessen die Denkprozesse vergleichen, sondern mit dem, was die Ausscheidungsprozesse sind. Das Gehirn scheidet fortwährend aus und, wie gesagt, die Vernichtungs-, die Zerstörungs-, die Todesprozesse, das sind Begleitprozesse für dasjenige, was Intelligenz ist. Und könnten wir im Gehirn nicht ausscheiden, so könnten wir nicht denken. Würden wir im Gehirn nur aufbauen, so würden wir instinktiv dumpf dahinleben, könnten es

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höchstens bis zu einem ganz dumpfen Träumen bringen. Zum hellen, klaren Denken bringen wir es gerade dadurch, daß das Gehirn absondert, ausscheidet. Und das Denken ist überhaupt nur zur Parallelisierung von Ausscheidungsprozessen. Indem sich im menschlichen Organismus dasjenige herauslöst, was für ihn unbrauchbar ist, kann sich das Denken festsetzen aus geistigen Welten heraus.

Nun, nehmen Sie dieses Denken, das insbesondere seit der Mitte des I 5. Jahrhunderts groß geworden ist, dieses Denken, auf das der heutige Mensch so stolz ist, es entsteht dadurch, daß wir unser Gehirn zerstören, abbauen, daß wir Ausscheidungsprozesse im Gehirn bewirken. Nehmen Sie nun an, man wäre ein Trotzkij oder Lenin und ginge nach Rußland - befördert durch Ludendorff im gut versperrten Wagen und begleitet von Dr. Helphand, das war ja einstmals der Zug, der aus der Schweiz durch Mitteleuropa durchging, geleitet von solchen Leuten wie Dr. HeIphand, und der lediglich Lenin nach Rußland brachte unter der Protektion von Ludendorff -, nehmen Sie an, man ist solch ein Mensch und glaubt, aus den Prozessen, die die Intelligenzprozesse sind und die die einzigen sind, aus denen sich das naturwissenschaftliche Denken der letzten Jahrhunderte herausgebildet hat, mit diesen Prozessen könne man ausbilden die soziale Ordnung. Was wird das für eine soziale Ordnung? Die Nachbildung dessen, was da drinnen während der Denkprozesse vor sich geht. Glauben Sie nicht, daß wir da drinnen was anderes bilden als da draußen, wenn sie bloß als Denkprozesse angewendet werden. Wollen Sie mit diesen Denkprozessen eine soziale Ordnung bilden, dann ist das ein Zerstörerisches, geradeso wie Denkprozesse in Ihrem Kopf eine Zerstörung bewirken, ganz genau so. Das Denken, auf die Realität angewendet, zerstört. Solche Dinge kann man nur einsehen, wenn man in die tieferen Geheimnisse des Menschenwesens und der ganzen Welt hineinschaut. Deshalb hat es die Menschheit heute notwendig, in diese Dinge hineinzuschauen, wenn sie überhaupt nur irgendein gültiges Urteil über öffentliche Angelegenheiten abgeben soll. Es hilft heute gar nicht, aus den Voraussetzungen der letzten Jahrhunderte über irgendwelche soziale Angelegenheiten zu sprechen, denn das ist alles Wischiwaschi. Um was es sich handelt, das ist, sich zu sagen: Da müssen ganz andere Prozesse im menschlichen Geistesleben Platz greifen, da

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muß wiederum die Wissenschaft der Initiation kommen und aus geistigen Quellen dasjenige hervorholen, was aus bloßen Intelligenzquellen niemals hervorgeholt werden kann. Und eine Sozialwissenschaft der Gegenwart kann nur entspringen aus der Initiationswissenschaft, kann nur Im Gefolge der Geisteswissenschaft auftreten. Durchaus aus dem Fundamente heraus kann und soll das begriffen werden.

Das ist es, um was es sich beim gegenwärtigen Menschen eigentlich handelt, daß er nicht bloß in oberflächlicher Weise irgendeine Beziehung zur Geisteswissenschaft erlangt, sondern daß er ermessen lernt, wie gründlich diese Geisteswissenschaft mit dem menschlichen Schicksal in der Zukunft zusammenhängt.

Da muß allerdings, damit der Mensch so etwas ermessen kann, eine Empfindung für dasjenige in dem Menschen Platz greifen, was sich mit vollem Ernst aus geistigen Quellen heraus geltend macht. Damit aber eine solche Empfindung Platz greifen kann, muß vieles weg, muß vor allen Dingen die allgemeine Weltfrivolität weg. Ich habe neulich in dem Vortrag, den ich hier für die Lehrer der Umgebung gehalten habe, ein Symptom, wie solche Weltfrivolität heute auftritt, angedeutet. Einer unserer Freunde arbeitete in London dafür, daß eine Anzahl von Künstlern hier erscheinen sollte im August, um diesen Bau kennenzulernen und um eine Art von Mittelpunkt zu bilden, von dem ausgehen könnte dasjenige, was jetzt so notwendig ist, wenn dieser Bau jemals zu Ende geführt werden sollte. Es wird dargestellt einem englischen Journalisten, nicht einer gewöhnlichen Tageszeitung, sondern einer Zeitung, die sich «Architect» nennt, die also schon ernster aufgefaßt sein will, was da gewollt wird; es wird ihm sogar schriftlich eine Beschreibung vorgelegt. Der Bursche ist aber so frivol, daß er hinschreibt: Es steht der Besuch von denen und denen in Dornach in Aussicht. Dr. Steiner hat selbst versprochen, die Leute zu instruieren über dasjenige, was da in Dornach geschieht, und man meint, daß man zehn Tage wird verwenden können zu diesem Ausflug nach Dornach; davon entfallen ja vier Tage auf die Reise, und dann die übrigen sechs Tage werden sich die Besucher von dem Schock erholen können, den sie zunächst von dem ersten Eindruck in Dornach haben werden. - Also, der Frivoling hat keine Ahnung von dem, worüber er schreiben soll, der Frivoling ist nur imstande, für seine

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Zeilenschinderei einen blöden Witz zu machen, damit seine Leser entsprechend weiter verfrivolisiert werden.

Dahin sind wir gekommen, daß von vornherein die allgemeine GemütsstiInmung der Menschen so verdorben ist, verdorben ist durch diese Art von Journalisten, so verdorben ist, daß überhaupt nicht mehr die Rede sein kann von irgend etwas, was sich vielleicht geltend machen kann, sondern daß das einzige, was man tut, ist, daß man die Veranlassung nimmt, einen blöden, einen frivolen Witz zu machen. Man wird gewiß nicht weiterkommen, wenn man den Ernst, mit dem solche Dinge besprochen werden sollen, nicht einsieht. Man wird gewiß nicht weiterkommen, wenn man in solchen Dingen etwas Unbedeutendes sieht, wenn man etwa sagt von einem gewissen blasierten Standpunkte aus: Ach, solch ein Journalist, dem darf man das nicht so hoch anrechnen. - Gewiß, von einem gewissen Gesichtspunkte aus braucht man die Zeilenschinderei nicht besonders hoch anzurechnen, aber man muß sie anrech1ien nach dem, was sie in der Welt nach ihren Wirkungen bedeutet.

Diese Dinge sind natürlich durchaus ernst, und diese Dinge stehen schon so, daß sie einem immer wieder und wiederum die Worte auf die Zunge legen: Dieser Bau hier, er soll ein Wahrzeichen sein für das, was geschehen soll zum Aufbau der Menschheit. - Es ist schließlich doch so, daß von einer gewissen Seite her alles getan worden ist, um diesen Bau so zu machen. Auch das Schicksal hat das Nötige dazu getan. Schließlich ist es so, daß dieser Bau zuerst durchaus von den Mittelländern hierhergestellt worden ist in der Hauptsache, im wesentlichen. Dann, als die Mittelländer anflngen, auf dem Boden zu liegen mit ihren Mitteln, dann haben sich in sehr bedeutsamer, anerkennenswerter Weise die neutralen Länder finden lassen, für diesen Bau etwas zu tun. Diejenigen, die durften aus den Mittelländern heraus für diesen Bau etwas tun, sie haben sich alle Mühe gegeben über die von Haß und Gegnerschaft durchwühlte Kriegspsychose hindurch, diese Stätte hier so zu halten, daß nun wirklich Menschen aller Weltgegenden, aller Nationen sich hier finden konnten. Dieser Bau ist hinübergerettet worden über alle Zeiten des Chauvinismus, und niemandem wurde hier die Möglichkeit genommen, mit den andern freundschaftlich sich zu finden, aus welchem

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Teile der Welt er auch kommen möchte. Aber aus alledem geht hervor einmal, daß ja die Unmöglichkeit vorhanden ist, daß aus den früheren Quellen heraus dieser Bau zu Ende geführt wurde, daß nun von den- jenigen Gebieten aus für diesen Bau etwas getan würde, die eben durchaus in der Lage sind, weil sie ja im Beginne sind einer Zeit, in der sie nicht gestört sind durch das Darniederliegen am Boden, die durchaus in der Lage sind, für diesen Bau etwas zu tun. Und man möchte hoffen, daß einstmals nicht durch die Welt die Erzählung ginge: Es hätte sollen ein Wahrzeichen entstehen für das aufgehende Geistesleben; diejenigen, die von der Weltenwelle hinweggefegt und untergegangen sind, sie haben als Letztes zurückgelassen, so viel sie tun konnten. Diejenigen aber, die nicht hinweggefegt worden sind, diejenigen, die gerade haben anfangen können das neue Leben, die haben nicht gesehen, was ihnen die Untergehenden hingestellt haben.

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SECHZEHNTER VORTRAG Dornach, 11. September 1920

Von dem Umschwung, der sich notwendigerweise in unserer ganzen Zivilisation vollziehen muß, habe ich nun in einer ganzen Reihe von Vorträgen gesprochen. Und vor allen Dingen ist, was nach dieser Richtung hin gesprochen worden ist, so gesprochen worden, daß an den Willen der Menschen appelliert wird. Wir leben heute in einem Zyklus der Menschheitsentwickelung, in dem die Menschen die innere Aktivität finden müssen, um zu diesem notwendigen Umschwunge das ihrige beizutragen. Denn es wird menschliche Seelensubstanz sein, die in die Objektivität, in das äußere Leben wird überzufließen haben, und von den Menschen selbst wird getan werden müssen, was da erscheinen soll. Und man kann im heutigen Entwickelungszyklus der Menschheit nicht mehr in passiver Weise abwarten, daß von irgendwelchen, den Menschen ganz ferne stehenden göttlichen Mächten ohne menschliches Zutun eingegriffen werde in die menschliche Entwickelung.

Nun handelt es sich darum, daß man in der Lage ist, solch&Dinge an den einzelnen Erscheinungen des sozialen Lebens zu verstehen, auch des Naturlebens, aber wir reden heute von einzelnen Erscheinungen des sozialen Lebens. Ich möchte von einer ganz bestimmten Tatsache ausgehen. Nehmen wir einmal an, irgendwo läßt sich jemand melden, meinetwillen, er schickt seine Karte zunächst; darauf steht: Edmund Müller. Aber was wäre man für ein Mensch, wenn man, nachdem man diese Karte «Edmund Müller» bekommt, denken würde, es kommt ein Müller, der Korn zu Mehl mahlt! Denn vielleicht ist derjenige, der Edmund Müller heißt und sich melden läßt, sagen wir zunächst ein Baumeister oder Professor oder ein Hofrat oder sonst irgend etwas. Nicht wahr, niemand ist in einem solchen Fall berechtigt, aus dem Namen Müller irgend etwas herauszuholen, sondern es handelt sich darum, daß man vielleicht noch gar keine Gedanken faßt, sondern abwartet, was hinter dem Namen Müller steckt, oder aber, man weiß es aus irgendwelchen andern Lebenszusammenhängen heraus, welche Wesenheit, welche wirkliche Lebensentität hinter diesem Namen Müller steckt.

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Man sieht in einem solchen Falle ein, wie unrecht man haben würde> aus dem Namen Müller auf den Charakter der eintretenden Persönlichkeit zu schließen. Oder wenn sich irgend jemand meldet, der zum Beispiel «Schmied» heißt, so wird man auch nicht schließen, daß er ein Schmied sei oder dergleichen. Das heißt, wir haben denjenigen Worten gegenüber, die wir als Eigennamen empfinden, das Bedürfnis, durch etwas, was nicht aus dem Namen folgt, dahinterzukommen, mit was oder mit wem wir es eigentlich zu tun haben.

Nun, auch Eigennamen haben in dieser Richtung eine bestimmte Geschichte durchgemacht. Jemand, der heute «Schmied» heißt, hat nichts mehr mit einem Schmied zu tun. Wer «Müller> heißt, hat nichts mehr mit einem Müller zu tun. Aber die Namen kommen doch ursprünglich davon her, daß in irgendeinem Dorfe in der Zeit, als es noch nicht eine solche Namengebung gegeben hat wie heute, man gemeint hat: der Schmied habe es gesagt; da hatte man aber den wirklichen Schmied gemeint. Oder der Müller hat es gesagt oder getan, oder: Ich habe den Müller gesehen. - Wer in Dörfern gelebt hat, weiß, daß man dort oftmals nicht mit Eigennamen die Leute bezeichnet, sondern daß man sagt: den Schmied oder den Baumeister oder so irgend jemanden habe man gesehen. Also da hatte ursprünglich der Name Veranlassung gegeben, aus ihm heraus, aus dem Worte heraus auf dasjenige zu schließen, was hinter den Worten steckt.

Denselben Weg, welchen solche Eigennamen machen, bei denen wir diesen Weg schon in völliger Klarheit heute überschauen können, denselben Weg machen in der Zeit der Entwickelung, der wir entgegen- gehen, in der Zeit vom fünften in den sechsten nachatlantischen Zeitraum hinein, alle Worte durch, wird die ganze Sprache durchmachen. Dennoch stecken wir als Menschen heute noch fast über den ganzen Umfang der Sprache hinüber darinnen, unsere ganze Weisheit im Grunde aus der Sprache heraus zu nehmen. Im Grunde verhalten wir uns gegenüber dem weitaus größten Umfang der Sprache so, daß wir aus den Worten auf die Sache schließen. Man kann es nun bequem finden, aus den Worten auf die Sache zu schließen; aber der Gang der Menschheitsentwickelung ist eben ein anderer, und solchen Dingen gegenüber muß man sich so verhalten, wie auch, ich möchte sagen, den Naturerscheinungen

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gegenüber. In solchen Dingen gibt es objektive Notwendigkeiten. Objektive Notwendigkeiten gibt es ja auch gegenüber der Naturkausalität in dem Gebiete des Lebens, das viele Menschen bloß in einer luftigen Abstraktheit empfinden und auch ausleben. Kommt es doch - ich habe öfters davon gesprochen - sehr häufig vor, daß man sagt: Ja, ich habe dies oder jenes ja nicht gewollt, nicht gemeint, ich habe es anders gemeint, ich habe bei diesem oder jenem diese oder jene Absicht gehabt. - Aber wenn das Kind noch so sehr die Absicht hat, sich nicht zu verbrennen und greift in das Feuer, so verbrennt es sich eben doch. Über die Dinge des Lebens entscheiden nicht die Absichten, die nicht in das Leben untertauchen, sondern nur höchstens jene Absichten, die wirklich in das Leben untertauchen oder eben die Tatsachen und die gesetzmäßigen Zusammenhänge dieser Tatsachen.

An diese Denkungsweise sich zu gewöhnen, das ist vor allen Dingen aus geisteswissenschaftlichen Untergründen heraus im eminentesten Sinne notwendig. Und so muß man sich auch daran gewöhnen, zu denken: So schön es auch wäre, wenn man in bequemer Weise bei den Worten bleiben könnte, so ist es doch so, daß der objektive Gang und die objektive Gesetzmäßigkeit der Menschheitsentwickelung anders sprechen, so sprechen, daß die ganze menschliche Auffassung, das ganze menschliche Seelenleben sich emanzipiert von den Worten, und daß die Worte immer mehr und mehr zu bloßen Gebärden werden, daß sie immer mehr zu dem werden, was hindeutet auf die betreffende Wesenheit, auf die betreffende Sache, was aber nicht mehr die betreffende Sache restlos bezeichnet, restlos etwa erklärt. Wenn man es ernst nimmt zum Beispiel mit geisteswissenschaftlichen Darstellungen, muß daher das eintreten, was man mir so häufig übelnimmt: daß man gar nicht mehr in derselben Weise die Worte gebrauchen kann, wie es in der Gegenwart üblich ist, die Worte und die Sätze zu gebrauchen. Denn, wenn man Geisteswissenschaftliches vertritt, so vertritt man ja heute im eminentesten Sinne eine Zukunftssache, so vertritt man etwas, was in der Zu- kunft Eigentum der Menschheit werden muß. Da muß man also in einer gewissen Beziehung vorausnehmen, was in der Zukunft eben eintreten soll. Man muß in seinen Willen dasjenige aufnehmen, was in der Zu- kunft einzutreten hat. Und so muß geisteswissenschaftlich so dargestellt

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werden, daß ja schon die Worte in einer gewissen Weise gebärdenhaft hindeuten auf das eigentlich Wirkliche, das dahinterliegt. Und da das, was wir heute im Sinne des sozialen Aufbaues denken, wie ich gestern auseinandergesetzt habe, aus dem Geisteswissenschaftlichen herausgeboren werden muß, so ist es auch notwendig, daß gerade bei den dem sozialen Aufbau dienenden Dingen von einem solchen Gesichtspunkt aus gesprochen werde. Das war zum Beispiel, was man bei meinen «Kernpunkten der sozialen Frage» durchaus nicht verstehen wollte.

Man wollte durchaus im alten Stile irgend etwas dargestellt finden, was eben nicht im alten Stil dargestellt werden kann, weil es der Zukunft angehört. Und im Grunde genommen zeigt sich das, was hier vorliegt, am besten darinnen, daß eigentlich fast sämtliche Fragestellungen, die bis jetzt angeknüpft worden sind von dieser oder jener Seite an die Darlegungen der «Kernpunkte der sozialen Frage», immer ganz von der alten Denkweise ausgehen, daß gar nicht der Versuch gemacht wird, sich hineinzufinden in die umgewandelte, in die neue Denkweise.

Und so können wir sagen: Vor allen Dingen muß sich bei der Darstellung sozialer Zusammenhänge der Zukunft zunächst zeigen, daß hinein getaucht werden muß in diese Emanzipation eines Seelenlebens, das nicht mehr an den Worten haftet. Wer meine Darstellungen auf den verschiedensten Gebieten des Geisteswissenschaftlichen, in letzter Zeit auch auf dem Gebiete des Sozialen, verfolgt, wird finden, daß ich stets bemüht bin, von den verschiedensten Seiten her eine Sache zu erklären, daß ich in der Regel statt eines Satzes zwei Sätze gebrauche, weil der eine Satz gewissermaßen von der einen Seite auf die Sache hindeutet, der andere Satz von der andern Seite, und dann in dem Zuhörer oder in dem Leser ein Gefühl davon hervorgerufen wird: er soll gewissermaßen über die Worte und über die Sätze hinausgehend an die Sache herankommen. Das ist dasjenige, was mit Bezug auf die Umwandlung der menschlichen Sprachbedeutung für das menschliche Seelenleben gesagt werden muß. Und das ist eine wichtige Sache. Sie ist deshalb wichtig, weil ein größerer Teil von dem, was heute in der Verwirrung der Denkweisen und Vorstellungen vorkommt, eigentlich von nichts anderem herrührt, als daß die objektiven, gesetzmäßigen Impulse der Menschheitsentwickelung schon verlangen, daß wir uns frei machen von

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der Sprache, daß aber die Menschen aus den bequemen Denkgewohnheiten heraus eben nicht loskommen wollen von dem Hängen an der Sprache. Und solch eine Erscheinung, klar aufgefaßt, sie führt dann zu einem tieferen Verständnis des ganzen Werdeganges der Menschheit. Wir können geradezu die Brücke schlagen zu hochgeistigen Tatsachen von dieser Umwandlung unserer Sprache oder unserer Sprachen. Natürlich ist es bei der einen Sprache mehr, bei der andern weniger der Fall. Aber das ist dann eine Sache der speziellen Behandlung der Sprache, der Sprachbedeutungen in den einzelnen, wie ich dargestellt habe, differenzierten Territorien der menschlichen Zivilisation.

Nun stehen wir im fünften nachatlantischen Entwickelungszeitraum der Menschheit, und wir nähern uns dem sechsten nachatlantischen Entwickelungszustande. Diese Entwickelungszustände sind ja nicht so, daß man zwischen dem einen und dem andern ganz scharfe Grenzen ziehen kann, sondern der eine geht mit seinen Eigentümlichkeiten in den andern über, und der nächstfolgende wirft längst, bevor er entsteht, seine Schatten voraus, man könnte auch sagen: seine Lichter voraus. Man muß die Lichter erfassen, wenn man mit seiner Seele teilnehmen will an der Entwickelung der Menschheit. Die eine, gewissermaßen überhistorische Tatsache, daß wir uns entgegenzuarbeiten haben dem sechsten nachatlantischen Zeitraum, wollen wir einmal in Verbindung bringen mit der uns auch allen bekannten andern Tatsache> daß der Mensch mit seinem geistig-seelischen Wesen aus einer geistigen Welt zur irdischen Verkörperung heruntersteigt durch die Geburt oder durch die Empfängnis, daß er dann hier auf der Erde durchlebt das Leben zwischen der Geburt und dem Tode, daß er dann durch die Todespforte geht, und indem er durch die Todespforte geht, sein Geistig-Seelisches wiederum hinüberträgt in jene Lebensumgebung, die eben durchaus geistiger, seelischer Art ist.

Nun müssen wir uns klar darüber sein - und wie bedeutsam das zum Beispiel gerade für die Erziehungskunst ist, das ist in dieser Zeit auch hier dargelegt worden -, daß wir herunterbringen aus der geistigen Welt, in den Wirkungen wenigstens, dasjenige, was wir in dieser geistigen Welt erlebt haben. Geradeso wie man sonst, wenn man einen Ort verläßt und vielleicht zu dem andern hingeht, außer seinen Kleidern

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noch sein Geistig-Seelisches aus dem alten Ort in den neuen hineinträgt, so bringt man auch aus der geistig-seelischen Welt durch Empfängnis und Geburt in diese Welt mit die Folgen, die Wirkungen dessen, was man in der geistigen Welt durchgemacht hat. Und in dem Zeitraume, den die Menschheit eben jetzt durchlebt hat, und von dem wir ja wissen, daß er etwa in der Mitte des i 5. Jahrhunderts der nachchristlichen Zeit begonnen hat, in diesem Zeitraume brachte sich der Mensch mit sein geistig-seelisches Wesen mit bildlosen Kräften des Seelenlebens, bildlosen Kräften. Daher ist in diesem Zeitraume auch vorzugsweise das intellektuelle Leben entstanden und hat das intellektuelle Leben geblüht. Es ist also gewissermaßen dem Menschen in diesem Zeitraume, bevor er heruntergestiegen ist durch Empfängnis oder Geburt in das physische Leben, eingeprägt etwas Eigenschaftsloses, etwas Bildloses. Daher auch die geringe Anlage der Menschheit, die sich seit der Mitte des 1 5. Jahrhunderts entwickelt hat, für ursprüngliche Schöpfungen der Phantasie. Die Phantasie ist ja in Wahrheit nur eine irdische Widerspiegelung der überirdischen Imagination. Die Renaissance ist kein Gegenbeweis, denn gerade, daß man nicht zu einer Naissance, sondern zu einer Renaissance greifen mußte, beweist, daß eine ursprüngliche Phantasie nicht da war, sondern eine solche Phantasie, die die Befruchtung aus früheren Zeiten brauchte. Kurz, es ist so, daß die Seele in einer gewissen Weise mit Kräften durchzogen war, die bildlos sind. Und jetzt beginnt - und darinnen liegt vielfach der Grund für das Stürmische unserer Zeit -, jetzt beginnt die Zeit, in welcher die Seelen aus der geistigen Welt, indem sie durch die Empfängnis und die Geburt zum irdischen Leben heruntersteigen, sich Bilder mitbringen. Bilder, wenn sie mitgebracht werden aus dem geistigen Leben in dieses physische Leben herein, müssen unter allen Umständen, wenn Heil für den Menschen und für sein soziales Leben entstehen soll, unbedingt sich mit dem astralischen Leib verbinden, während sich das Bildlose nur verbindet mit dem Ich. Und es war vorzugsweise die Auslebung des Ich, welche in der Menschheit seit der Mitte des 15. Jahrhunderts geblüht hat. Jetzt aber beginnt die Zeit> wo der Mensch fühlen muß: In dir leben aus vorgeburtlichem Leben heraus Bilder, die mußt du in dir während des Lebens lebendig machen. Das kannst du nicht mit dem bloßen Ich, das muß

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tiefer in dich hineinwirken; das muß bis in den astralischen Leib hinein- wirken.

Nun ist es ja zunächst meistens so bei der Menschheit, daß sie wider- strebt diesem Hineinleben der vor der Empfängnis erlebten Bilder in den astralischen Leib. Die Menschen stoßen gewissermaßen das zurück, was sich aus den Tiefen ihres Wesens heraus in den astralischen Leib hineinleben soll. Die Nüchternheit, das Prosaische der neueren Zeit ist ja ein Grundcharakterzug, und es gibt heute sogar breite Strömungen, die sich dagegen wehren, daß man durch die Erziehung schon dafür sorgt, daß dasjenige, was aus der Seele aufsteigen und im astralischen Leib sich geltend machen will, auch wirklich zur Geltung komme. Es gibt trockene Nüchtlinge, welche die Erziehung durch Märchen, Legenden, durch das, was von der Phantasie durchstrahlt ist, eigentlich ausschließen möchten. In unserem Waldorfschulsystem haben wir gerade in den Vordergrund gestellt, daß der Unterricht und die Erziehung bei den die Volksschule betretenden Kindern ausgehen von bildhafter Darstellung, von einem lebendigen Hinstellen der Bilder, von Legendarischem, von Märchenhaftem. Und auch dasjenige, was die Kinder zunächst erfahren sollen über die Wesen und Vorgänge im Tierreich, im Pflanzenreich, im Mineralreich, soll nicht in trockener, nüchterner Weise gesagt werden, sondern das soll gekleidet werden in das Bildhafte, in das Legendarische, in das Märchenhafte. Denn was da tief drinnen sitzt in der Kinderseele, das sind die in der geistigen Welt empfangenen Imaginationen. Die wollen herauf. Und wenn der Lehrer oder der Erzieher sich richtig zum Kinde verhält, bringt er ihm Bilder entgegen. Und indem der Lehrer Bilder vor das kindliche Gemüt hinstellt, zucken herauf aus dem kindlichen Gemüte diejenigen oder besser gesagt, die Kräfte der verbildlichenden Darstellung, die empfangen worden sind vor der Geburt oder, sagen wir, vor der Empfängnis.

Wenn nun das unterdrückt wird, wenn der trockene Nüchtling heute erzieht und unterrichtet, dann bringt er schon von früher Jugend etwas, was schon eigentlich gar nicht dem Kinde verwandt ist, an das Kind heran: die Buchstaben. Denn die Buchstaben, wie wir sie heute haben, die haben nichts mehr mit alten Bilderbuchstaben zu tun, sind etwas dem Kinde im Grunde genommen Fremdes, das erst aus dem Bilde herausgeholt

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werden sollte, so wie wir in der Waldorfschule versuchen, es zu machen. Man bringt das Unbildliche an das Kind heran; das Kind aber hat da in seinem Leibe Kräfte - ich meine natürlich die Seele, wenn ich jetzt vom Leibe spreche, wir sagen ja auch der «Astralleib» -, das Kind bat in seinem Leibe Kräfte sitzen, welche es zersprengen> wenn sie nicht heraufgeholt werden in bildhafter Darstellung. Und was ist die Folge? Verloren gehen diese Kräfte nicht; sie breiten sich aus, sie gewinnen Dasein, sie treten doch in die Gedanken, in die Gefühle, in die Willensimpulse hinein. Und was entstehen daraus für Menschen? Rebellen, Revolutionäre, unzufriedene Menschen, Menschen, die nicht wissen, was sIe wollen, weil sie etwas wollen, was man nicht wissen kann, weil sie etwas wollen, was mit keinem möglichen sozialen Organismus vereinbar ist, was sie sich nur vorstellen, was in ihre Phantasie hätte gehen sollen, da nicht hineingegangen ist, sondern in ihre sozialen Treibereien hineingegangen ist.

Und so kann man sagen, daß diejenigen Menschen, die es in okkultistischer Weise nicht ehrlich meinen mit ihren Mitmenschen, sich nur nicht zu sagen getrauen: Wenn heute die Welt revoltiert, da ist es der Himmel, der revoltiert, das heißt der Himmel, der zurückgehalten wird in den Seelen der Menschen, und der dann nicht in seiner eigenen Gestalt, sondern in seinem Gegenteile zum Vorschein kommt, der in Kampf und Blut zum Vorschein kommt, statt in Imaginationen. Es ist daher gar kein Wunder, wenn jene Menschen, die sich an solchem Zerstörungswerk der sozialen Ordnung beteiligen, eigentlich das Gefühl haben, sie tun etwas Gutes. Denn was spüren sie in sich? Den Himmel spüren sie in sich; er nimmt aber nur karikaturhafte Gestalt an in ihrer Seele. So ernst sind die Wahrheiten, die wir heute einsehen sollen. Zu den Wahrheiten sich zu bekennen, um die es sich heute handelt, das sollte kein Kinderspiel sein, es sollte durchaus von dem allerallergrößten Ernst durchzogen sein. Es wird einem ja im allgemeinen nicht leicht, solche Dinge darzustellen, denn erstens liebt man sie doch nicht, zweitens hängen die Leute an Worten. Und derjenige, der sagt, der Himmel revoltiere in der Menschenseele, der wird selbstverständlich nach den Worten ausgelegt, und man merkt nicht, wie er sich erst bemüht, zu zeigen, daß man da noch etwas wissen muß, wodurch man mit dem Worte

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«Himmel» etwas anderes noch verbindet als das, was man mit dem Worte Himmel zu verbinden gewohnt ist, gerade so, wie man, wenn sich Herr Müller melden läßt> darunter auch nicht einen Müller, der Korn mahlt, zu verstehen hat. Dieses Emanzipieren von der Sprache ist` im einzelnen konkreten Fall durchaus notwendig, wenn wir in dem Sinne, wie es die Gesetze der Menschheitsentwickelung verlangen, jetzt wirklich vorwärtskommen wollen.

Da sehen wir, wie in das soziale Leben dasjenige hineinschießt, was eigentlich aus dem vorgeburtlichen Leben stammt. Und wer die Zusammenhänge kennt, der weiß, daß er in dem, was hier auf der Erde in Karikatur erscheint, wiederum zu erkennen hat dasjenige, was eigentlich himmlisch ist. Das ist mit Bezug auf das Soziale. Aber es kommt noch etwas anderes dazu.

In der Zeit des Intellektualismus, die sich also vorzugsweise entwikkelt hat seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, bekamen die Menschen auch außerordentlich wenig mit aus dem Schlafesleben heraus an Imaginationen für das wache Leben. Selbst diejenigen, die etwas lebendigere Träume haben, sie haben ja die Neigung, diese Träume ganz rationalistisch, intellektualistisch zu erklären. Rationalistisch und intellektualistisch sind in dieser Richtung zum Beispiel die Theosophen. Wie viele Menschen im Laufe der Zeit zu mir gekommen sind und rationalistische Erklärungen ihrer Träume haben wollten, das wäre in einem kleinen Buche nicht zu beschreiben, nur in einem großen! Um was es sich da handelt, das ist, daß selbst jene Imaginationen, die sich im Traume dar- leben> auf ein tieferes Geistesleben weisen. Ich habe oft gesagt, beim Traume kommt es gar nicht an auf das Äußerliche; das hat sich schon emanzipiert vom eigentlichen Inhalt. Und was wir da an Inhalt empfangen und dann in Worte der Sprache umsetzen, von der wir uns eigentlich schon emanzipieren müssen, das ist nicht der wahre Verlauf des Traumes, das hat mit dem wahren Verlauf des Traumes eigentlich furchtbar wenig zu tun. Dasjenige, was der Trauminhalt ist, das ist die Dramatik des Traumes, wie ein Bild auf das andere folgt, wie sich Knoten schürzen und lösen, so daß man denselben geistigen Inhalt auf mancherlei Weise als Traum erleben kann. Der eine kommt und schildert, er sei einen Berg hinangestiegen, er konnte ganz gut bis zu einem gewissen

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Punkte hinansteigen, dann plötzlich steht er vor eInem Abgrund, er kann nicht weiter. - Ein anderer erzählt: Er ging einen Weg, alles in der Umgebung freute ihn. Da trat plötzlich, als er an eInen bestimmten Punkt des Weges kam, ein Mensch mit einem Dolch auf ihn zu, der ihn tötete. - Zwei ganz verschiedene Traumbilder! Der geistige Vorgang, der dahintersteckt, kann aber ganz derselbe sein; er kann sich das eine Mal ausleben durch das Hinansteigen auf einen Berg und sich vor eInem Abgrund fühlen, das andere Mal durch das Gehen eines Weges in Freude, bis man vor eInem Menschen steht, der einen töten will. Auf den Inhalt der Bilder kommt es nicht an, sondern auf den dramatischen Verlauf, daß man irgend etwas durchmacht, das sich entgegenstellt. Auf diese Dynamik, die hinter diesen Bildern steht, darauf kommt es an. Derselbe Kräfteverlauf kann sich in die einen und in die andern Bilder hüllen und in hunderterlei Bilder kleiden. Erst dann verstehen wir die geistige Welt, wenn wir wIssen, wie das, was hier in der physischen Welt sich als Träume darlebt, oder was aus der geistigen Welt heraus sich so verbildlicht, daß es der physischen Welt ähnlich ist, wie das eben nur Bild ist. Aber solange man die Neigung hat, die Bilder rationalistisch, rein vernunftgemäß auszulegen, so lange steht man auch dem Traumesleben des Schlafes gegenüber auf intellektualistischem Standpunkte. Und um was es sich handelt, das ist, dieses Traumesleben des Schlafes eben zu verstehen als den Ausdruck eines tieferen geistigen Lebens. Dann ist es erst imaginativ erfaßt; dann fassen wir die Bilder als dasjenige, was steht für den Inhalt. Und dann wenden wir uns nicht gegen dasjenige, was heute für den Menschen beginnt: aus dem Schlafe heraus in ähnlicher Weise innere seelische Forderungen zu stellen, wie die Imagination vor der Geburt beziehungsweise vor der Empfängnis.

Denn wir beginnen heute auch anders zu schlafen, als im regulären Leben der intellektualistischen Zeit seit der Mitte des 1 5. Jahrhunderts geschlafen worden ist. Da brachte sich der Mensch wenig Neigung mit ins Aufwachen hinein für dasjenige, was die Bilder erleben will und nicht deuten. Jetzt sind wir an dem Punkte der Menschheitsentwickelung, wo wir auch aus dem Schlafe heraus die Imaginationen nehmen, die sich einleben wollen nicht bloß in unser Ich, wo die Ratio herrscht, sondern wo sich die Bilder hineinleben wollen in unseren astralischen

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Leib. Wenn wir dem entgegenarbeiten, so stoßen wir wiederum etwas zurück, was aus den Tiefen der Menschenseele in das Bewußtsein herauf will, und wir arbeiten dem ganzen Entwickelungsgang der Menschheit entgegen. Und es handelt sich auch da darum, daß wir nicht dem Entwickelungsgang der Menschheit entgegenarbeiten, sondern daß wir im Sinne dieses Entwickelungsganges der Menschheit arbeiten. Wir tun es, wenn wir erstens unsere Kultur wiederum durchziehen mit möglichst vielem, was mit der geistigen Welt in irgendeiner Weise zusammenhängt. Natürlich handelt es sich für das äußere Leben darum, daß wir uns mit dem durchdringen, was aus der geistigen Welt heraus erfaßt ist, daß wir uns also durchdringen mit einer wirklichen geistigen Erkenntnis, uns durchdringen mit etwas, was in dieser physischen Welt aus der physischen Welt heraus nicht begriffen werden kann. Dem war die ganze abgelaufene Periode des Menschenlebens eigentlich zuwider. Nehmen Sie einen Fall, den ich ja auch schon öfter angeführt habe.

Nicht wahr, das Christentum trat so an die Menschen heran, daß sie es eigentlich in seinem Wesen nur verstehen können, namentlich, daß sie das Mysterium von Golgatha in seinem Wesen nur verstehen können, wenn sie sich zum Verständnisse eines Übersinnlichen bequemen. Denn vorgestellt muß werden, daß ein Wesen, das vorher nicht mit der Erdenentwickelung verbunden war, wie der Christus, sich mit dem Menschen Jesus von Nazareth verbunden hat, daß übersinnliche Vorgänge sich abgespielt haben; vorgestellt muß werden, daß schon Geburt und Empfängnis anders waren für dieses Ereignis von Golgatha als für gewöhnliche menschliche Vorgänge. Kurz, es werden Anforderungen gestellt aus der Christologie heraus, das Mysterium von Golgatha im übersinnlichen Sinne zu verstehen. Es gibt eine interessante Stelle bei einem neueren Naturforscher, wo gewettert wird gegen die «conceptio immaculata», wo gesagt wird: zu behaupten, daß es eine unbefleckte Empfängnis gibt, sei eine freche Verhöhnung der menschlichen Vernunft.

Nun, das muß der moderne Rationalist, der rein intellektualistische Mensch schon so empfinden. In gewissem Sinne ist es ja eine freche Verhöhnung der menschlichen Vernunft, was aus dem geistigen Leben heraus gewollt wird. Aber es handelt sich darum, daß wir eben in einem

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Zeitalter leben, wo wir dazu übergehen müssen, das geistig Erlebte zwischen dem Einschlafen und Aufwachen so hereinzubringen auch in das wache Leben, daß unser astralischer Leib - nicht bloß unser Ich, was der Sitz der Ratio, des Intellektualismus ist -, daß unser astralischer Leib bildhaft durchsetzt, durchzogen werden kann. Und es ist interessant, daß selbst die Theologie des 19. Jahrhunderts sich so entwickelt hat, daß sie entgegengesetzt hat der Christologie den Rationalismus, den reInen Intellektualismus. Immer mehr und mehr hat sich die moderne Theologie dazu veranlaßt gefühlt, den Christus als solchen überhaupt zu verleugnen und den schlichten Mann aus Nazareth, den bloßen Jesus als eine etwas über die andern Menschen hervorragende menschliche Persönlichkeit hinzustellen. Man wollte sich nicht dazu bequemen, etwas Übersinnliches zu begreifen. Man wollte dasjenige, was eben übersinnlich an den Menschen herantreten soll, was einen aufwecken soll zum Übersinnlichen, das wollte man mit den Begriffen, die hier in der sinnlichen Welt gewonnen werden, begreifen.

Ein protestantischer Theologe, mit dem ich einmal über diese Angelegenheit sprach, sagte mir, nachdem wir längere Zeit darüber gesprochen hatten: Ja, wir modernen Theologen, wir sollten uns eigentlich nicht mehr Christen nennen, denn wir haben eigentlich keinen Christus mehr; wenn der Name «Jesuit» nicht schon vergeben wäre, so müßten wir ihn für uns in Anspruch nehmen. - Das ist etwas, was nicht ich sage, sondern was mir als Geständnis seiner eigenen Seele einmal ein protestantischer Theologe der neueren Färbung sagte.

Wer aber den ganzen Charakter unserer Zeit durchschaut, der wird eben verstehen, daß wir vordringen müssen zu einem solchen Erfassen des Mysteriums von Golgatha, das uns, gerade weil es die Zentralerscheinung unserer Menschheitsentwickelung ist, herausreißt aus dem irdischen Vorstellen und uns mit allen Kräften hinzieht, etwas zu begreifen, was aus dem Umfange des Irdisch-Sinnlichen heraus eben nicht zu begreifen ist. Wer bei allem an dem Umfang des Irdisch-Sinnlichen hängenbleiben will, der sagt: Die conceptio immaculata ist eine freche Verhöhnung der menschlichen Vernunft.

Wer die Aufgabe des gegenwärtigen Menschen versteht, der sagt: Ich muß mir solche Vorstellungen aneignen. Dann allerdings muß ich mich

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emanzipieren von der heute gebräuchlichen Art der Worte, muß nicht nur, wenn sich mir einer namens Schmied oder Müller anmeldet, vermuten, daß der eine mit dem Hammer und der andere mit dem mehlbesprühten Mahlkittel komme, sondern ich muß etwas ganz anderes vermuten, als was ich aus den Worten deduzieren kann. So muß ich mich auch gewöhnen, mich zu emanzipieren von dem, was den Worten eingeprägt worden ist aus dem bloßen sinnlich-physischen Leben.

Für uns heute ist das Mysterium von Golgatha in der Tat die erste Probe, ob wir mitgehen wollen zum Begreifen von etwas, was über die Sphäre des Physisch-Sinnlichen hinausgeht. Daher können wir uns auch heute nicht mehr begnügen mit einer bloßen traditionell-historischen Darstellung des Christentums, sondern wir brauchen ein schöpferisches Erfassen des Mysteriums von Golgatha, wir brauchen aus der Geistes- wissenschaft heraus imiere Kraft der Seele, welche in einer neuen Weise an das Mysterium von Golgatha herankommt und dieses Mysterium von Golgatha als eine übersinnliche Tatsache zu begreifen in der Lage Ist. Und dann müssen wir, wenn wir so das Mysterium von Golgatha in den Mittelpunkt des menschlichen Denkens und Empfindens und Fühlens stellen, den Anfang nehmen wiederum besonders bei der Erziehung und schon das Kind darauf vorbereiten, daß es nicht unterdrückt oder unterdrücken muß die Imaginationen, die aus den Tiefen der Seele her auf wollen. Wir müssen ihm entgegenkommen mit Verbildlichung der, Darstellungen.

Das ist der tiefere Grund, warum ich im letzten Heft der «Sozialen Zukunft», das ein Erziehungsheft ist, das Erziehen und Unterrichten im eminentesten Sinne als eine Kunst hingestellt habe. Wo so verfahren werden muß vom Lehrer und vom Erzieher, wie wirklich vom Künstler auch verfahren wird, ja sogar in einem höheren Stile so verfahren werden muß, wo es nicht geht, daß man in einer abstrakten Pädagogik abstrakte Grundsätze gibt, sondern wo es darauf ankommt, daß man in das Wesen des Menschen eindringt und durch dieses Eindringen in das Wesen des Menschen dazu kommt, aus dem Menschen heraus abzulesen, was man in jedem einzelnen Falle zu tun hat. Der Künstler kann nicht, wenn er irgend etwas bildet, nach abstrakten Regeln vorgehen. Eine Ästhetik hat eine ganz andere Aufgabe, als für den Künstler Regeln

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zu bilden. Der Künstler kann nicht einmal bei dem, was er heute schafft, sich nach dem richten, was er gestern geschaffen hat: Er muß in jedem Augenblick bestrebt sein, schöpferisch, ursprünglich zu sein. So muß es, In e1nem noch höheren Stile sogar, der Lehrer sein. Man darf nicht aus einer gewissen Gesinnung heraus sagen: Ja, wenn wir solche Lehrer haben wollen, da müssen wir noch drei-, vierhundert Jahre warten. - Daß wir sie nicht haben können, das rührt eigentlich nur davon her, daß wir so etwas sagen. Wir können sie in dem Augenblicke haben, wo wir die starke Kraft des Bekenntnisses dazu haben; aber eben die starke, und nicht die passive Kraft des Bekenntnisses ist nötig dazu. So handelt es sich darum, daß wir dasjenige, was der astralische Leib erlebt vom Einschlafen bis zum Aufwachen, dann, wenn wir herüberkommen im Aufwachen, nun im astralischen Leib wirklich darinnen erleben und dem Ätherleib einprägen. Das kann nur durch eine Verbildlichung des ganzen Kulturlebens geschehen.

Diese Verbildlichung des ganzen Kulturlebens, diese von den Gesetzen der Menschheitsentwickelung geforderte Verbildlichung, sie wird nur dann eintreten, wenn das ganze Geistesleben in die freie Entscheidung derjenigen gestellt ist, die am Geistesleben beteiligt sind, wenn nicht Instruktionen, Schulvorschriften von dem ja notwendig außerhalb des Geisteslebens stehenden Staate gegeben werden. Denn da kann man alles mögliche Schöne und Gute verkündigen. Es handelt sich nicht darum, daß man in abstracto von Staats wegen pädagogische Verordnungen gibt, Lehrpläne aufstellt und dergleichen, sondern es handelt sich darum, daß man Im emanzipierten Geistesleben drinnen die aus ihrer eigenen freien Persönlichkeit heraus handelnden Menschen hat, und daß man mit ihnen dasjenige leistet, was man mit diesen Menschen leisten will oder kann.

Daß der Mensch gegenwärtig beginnt, anderes mitzUbringen durch Empfängnis und Geburt, als er seit der Mitte des 14. Jahrhunderts mitgebracht hat, daß er auch beim Aufwachen anderes aus dem Schlafe her- aus bringt, beides fordert, daß man aufmerksam auf solche Dinge hinschaut, daß man wirklich sich durchdringt mit dem Wissen von e1ner so einschneidenden Tatsache. Woher soll man denn ein solches Wissen von einer so einschneidenden Tatsache gewinnen, als aus der Geisteswissen

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schaft? Mit den Dingen, um die es sich da handelt, beschäftigt sich ja die äußere Bildung, die äußere Wissenschaft heute eben durchaus nicht. Sie geht an ihnen vorbei, und sie muß nach ihren Methoden an ihnen vorbeigehen. Und ich möchte sagen, am bittersten wird die Sache, wenn man sieht, wie merkwürdig diskrepant die inneren Forderungen der Menschheitsentwickelung oftmals zu dem stehen, was von der menschlichen Seite her diesen Forderungen entgegengebracht wird. Da trat eben in der neueren Zeit diese Forderung auf, mit dem zu rechnen, was aus der geistigen Welt hereinfließt in den Menschen. Und als man intellektualistisch war, als man nicht rechnete mit dem, was hereinfließt aus der geistigen Welt, hypothetisierte man Atome, Moleküle und so weiter.

Man dachte sich, die Körper, die Volumen sind, die weisen zurück auf atomistische Gestaltungen und so weiter. Aus den Ursachen der menschlichen Entwickelung trat das Bedürfnis auf, Geistiges zu erfassen. Und dieser Instinkt, Geistiges zu erfassen, er lebte sich ja auch zum Beispiel in so etwas aus wie in der Theosophischen Gesellschaft. Aber einer der Helden dieser Theosophischen Gesellschaft ist zum Beispiel ein Mr. Leadbeater; der hat eine okkulte Chemie geschrieben. Was hat er dabei getan? Das Horrible hat er getan, daß er die geistige Welt nun atomistisch vorstellt, das heißt, die materialistische Art und Weise des Denkens wird in die geistige Welt hineingetragen. Ich habe neulich schon einmal das ganz Groteske hervorgehoben: Einmal trat nämlich etwas ganz besonders Gescheites in der Theosophischen Gesellschaft auf. Man wollte beweisen: Da ist ein Leben, da ist das nächste Leben (siehe Zeichnung). Nun, nicht wahr, da muß doch etwas herübergehen aus dem vorhergehenden in das nächste Leben. Den

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Leib sieht man verfallen. Der richtige Materialist sagt, der Leib verfä`llt, dann ist es aus mit dem Menschen. Ja, aber der Theosoph will doch, daß ein nächstes Erdenleben kommt; da muß etwas herübergehen! Der richtige Materialist sagt, alle Atome vereinigen sich mit der Erde. Der TheosoPh dachte ja auch nicht anders als materialistisch, aber er wollte zu gleicher Zeit «theosophisch» denken; er wollte, daß da was herüber- geht. Und da sagte er: Ja, die Atome, die fallen ja alle in die Erde herein; ein Atom aber, das bleibt, und das geht durch die ganze Zeit durch in dem Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Da erscheint es wiederum: das ist das permanente Atom. - Ein Atom! Da waren die Theosophen ganz besonders stolz, als sie dieses «permanente» Atom entdeckten! Sie hatten keine Ahnung davon, daß sie ja damit gerade den Materialismus in die spirituelle Weltauffassung hineintrugen! Dieser Materialismus hat sie dazu verführt, daran zu glauben, daß irgend etwas - was, das haben sie nie gesagt - von den vielen Atomen, die da in die Erde hineinsinken, daß eines gerettet wird; und dieses glücklich gerettete permanente Atom, das sei dann das, was im nächsten Erden- leben wiederum auftritt. Uber dieses permanente Atom ist viel geschrieben worden. Es ist nichts anderes als ein Beweis dafür, daß in die spirituelle Wissenschaft hineingetragen werden sollte dasjenige, über das man nicht hinauskommen konnte: der Materialismus, der ja übrigens schon in der ganzen Darstellung des Menschen steckt, wenn man es so macht, wie es vielfach in der Literatur der Theosophischen Gesellschaft gemacht wird, wo eben, wie ich oftmals gesagt habe, der physische Leib dicht ist, dann der Ätherleib dünner, der Astralleib wiederum dünner. Und dann geht es schon in solche Dünnheiten über, daß auch das Denken und Vorstellen ganz dünn wird; aber man hat eben immer noch etwas Materielles, Nebelartiges; so daß Buddhi und Atma zwar Nebel sind, aber eben doch noch ein Nebel. Man hat nicht den Willen, den Materialismus wirklich abzulegen auch im Vorstellungsleben und aus dem Vorstellen des Materiellen zum Vorstellen des Spirituellen hinüberzugehen.

Diese Dinge, die beweisen alle, wie eng verbunden die Menschen mit alten Vorstellungsweisen sind. Und eigentlich müßte aus solchen Betrachtungsweisen jeder, der ehrlich sich zur Geisteswissenschaft

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bekennen will, die innere Aufforderung schöpfen, sich zu prüfen, inwiefern er losgekommen ist von alten materialistischen Vorstellungen, oder inwiefern er durchaus, auch indem er sich irgend etwas Geistiges vorhält, dieses Geistige in materialistischen Bildern vorstellt und sich nicht bewußt ist, daß es eben Bilder sind.

Es handelt sich immer darum, daß man sich dessen bewußt ist. Denn, wenn ich, sagen wir, einen von Ihnen hier auf diese Tafel zeichnen würde, so könnte ich von dem Bilde ja sehr viel haben, wenn der Betreffende nicht mehr da ist. Aber wenn ich mir vorstellen würde, daß der mir die Hand gibt, oder daß er zu mir spricht, also er das Wesen selber ist, so würde ich ein Phantast sein. So darf man sich natürlich das Geistige in Bildern versinnlichen, aber man muß sich immer klar sein darüber, daß man es mit sinnlichen Bildern zu tun hat. Bei den Worten aber müssen sich die Menschen immer klarer und klarer werden, daß die Sprache auf dem Wege ist, das Wort zur Gebärde zu machen, und daß wir nicht weitergehen sollen, als uns durch das Wort auf etwas, was nicht mehr im Worte liegt, hindeuten zu lassen. Denselben Weg, den die Eigennamen genommen haben, müssen alle andern Worte nehmen.

Für Philosophen könnte ich da sogar noch etwas sehr Schönes sagen. Die Philosophen der neueren Zeit haben vielfach Theorien aufgestellt. Wenn ich sage: Das Kind ist klein - von dem «klein» haben sie eine Vorstellung, von «Kind» haben sie eine Vorstellung; aber das «ist», die Kopula dessen, was es eigentlich bedeutet -? Oh, es ist viel geschrieben worden über diese Kopula, auch im philosophischen Sinne, nicht bloß im grammatischen oder philologischen Sinne. Und alles, was geschrieben ist, krankt an dem einen, daß in der Tat dieses «ist» heute eben die Bedeutung, über die die Leute reden, nicht mehr hat, daß es sich auch von seiner Bedeutung emanzipiert hat, daß der Seelengehalt schon ein anderer geworden ist. Und so philosophiert man eigentlich über dasjeiiige, was nicht mehr lebendig in der Seele lebt.

Das ist nur eine philosophische Zwischenbemerkung, die ja vielleicht weniger Bedeutung hat, die Sie aber darauf aufmerksam machen soll, daß dasjenige, was nicht bemerkt wird von der äußeren Welt, nicht etwa von den Philosophen gleich bemerkt wird. Im Gegenteil, es ist vielfach so, daß die Philosophen die letzten sind, die die Dinge, die sich in der

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Welt wirklich vollziehen, bemerken. Und viele unserer philosophischen Systeme hinken eigentlich hinter manchem andern, was außer ihnen noch da ist, beträchtlich nach!

Ich wollte Ihnen, vorzugsweise ausgehend von dem Beispiel der Sprache, heute zeigen, wie ganz im Konkreten sich die Menschheitsentwickelung gegenwärtig darstellt. Man schaut nur hin auf das, was da eigentlich geschieht für die Menschheitsentwickelung, wenn man auf Übersinnliches schaut. Anthropologie kann nicht mehr dasjenige finden, was sich eigentlich abspielt, sondern allein Anthroposophie. Daher muß das anthroposophische Kulturdenken gerade dem zugrunde liegen, was heute Arbeit ist an dem Fortschritt der Menschheit.

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ANSPRACHE bei der Generalversammlung des Berliner Zweiges Berlin, 17. September 1920

Nach verhältnismäßig langer Zeit kann ich heute wieder zu Ihnen sprechen. Die Wichtigkeit der heute abzuhaltenden Generalversammlung und die Gelegenheit meiner gegenwärtigen kurzen Anwesenheit in Deutschland bewirken dieses. Wir stehen ja in einer Zeit, deren Zusammenhang mit meiner längeren Abwesenheit Sie ganz gewiß schon überlegt haben. Der Zusammenhang zwischen den Zeitereignissen und der geringen Tätigkeit - wenn überhaupt von einer solchen zu sprechen ist -, die ich gerade für den Berliner Zweig entfalten kann, ist ja für Sie wohl offenkundig.

Ich möchte, bevor wir in die geschäftsordnungsmäßige Behandlung unserer heutigen Tagesordnung eintreten, nur wenig vorausschicken. Ich möchte zunächst daran erinnern, wie ich im Frühfrühling des Jahres 1914 in einem Wiener Vortragszyklus Worte gesprochen habe, welche auf dasjenige hindeuten sollten, was dann kam. Dazumal sprach ich eben jene Worte, die ja seither in den Zyklusschriften gedruckt vorliegen. Ich sprach dazumal die Worte, daß die zivilisierte Menschheit in einer Art von gesellschaftlichem Krankheitsprozeß, in einer Art von gesellschaftlichem Karzinom oder Krebskrankheit lebt; daß die ganze Art und Weise, wie die geistigen, staatlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse verlaufen, eine solche ist, daß es unbedingt zu einem Ausbruch dieser schleichenden Krebskrankheit kommen müsse, daß sie aus einem chronischen in einen akuten Zustand übergehen müsse. Selbstverständlich haben dazumal ganz kluge Leute einen solchen Ausspruch, der aus blutender Seele heraus auf die nächste Zukunft hindeutete, für eine Art Phantasterei gehalten, für ein phrasenhaftes Umschreiben einer pessimistischen Stimmung. Man hat ja natürlich dazumal in den weitesten Kreisen der Welt lieber gehört auf solche Stimmen wie diejenige, die etwas später sogar als diese zum Beispiel durch eine offizielle Persönlichkeit hier im Deutschen Reichstage erklungen ist, wo gesagt worden ist, daß die Beziehungen der mitteleuropäischen Regierungen zu den Regierungen der andern europäischen Länder durchaus befriedigende

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seien und daß man in der nächsten Zeit mit einer allgemeinen Entspa,nnung zu rechnen habe. Sie erinnern sich vielleicht noch des andern Wortes, das dazumal in öffentlicher Reichstagsverhandlung hier in Berlin gesprochen worden ist: daß die freundnachbarlichen Beziehungen zum Petersburger Hofe sich immer günstiger und günstiger gestalten, daß auch gute Beziehungen zu London vorhanden seien und so weiter. So haben ja dazumal die Praktiker gesprochen, während diejenigen, die aus der geistigen Welt heraus sprachen, von einer Krankheit, von einem schleichenden Karzinom sprechen mußten. Im Grunde genommen wird auch heute noch so gesprochen, und zwar recht gründlich, von denjenigen, die sich noch immer als Praktiker dünken, trotzdem diese Praxis die Erfolge der letzten Jahre gebracht hat. Es wird noch immer so gesprochen. Und dasjenige, was an geistigen Untersuchungen hervor- geholt wird, auch an sozialen Erkenntnissen, wird entweder in den Wind geschlagen oder, wie es ja in Deutschland der Fall ist, auf das allerheftigste angefeindet; noch dazu, was das Schlimmste ist, auf allen möglichen geheimen Wegen angefeindet und verleumdet, in schlimmster Weise verleumdet> so daß anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, und was mit ihr zusammenhängt, heute vielleicht zu dem Allerverleumdetsten gehört, das überhaupt in der Welt sich geltend macht. Und dennoch ist vorauszusetzen, daß es heute schon eine Anzahl von Seelen gibt, welche aus der ganzen Haltung dieser anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft die Empfindung bekommen haben, daß aus ihr allein dasjenige hervorgehen kann, was zur Rettung aus dem allgemeinen Niedergang führen kann. Man muß das heute sagen, selbst dann, wenn die törichte oder böswillige Menschheit von irgendeiner Eitelkeit oder einem Ehrgeiz sprechen würde, aus denen heraus solche Dinge gesagt werden.

Ich kann sagen - ich will diese einleitenden Worte kurz fassen -, daß die ganze Haltung und die ganze Art der Auseinandersetzungen, wie ich sie während der eigentlichen Kriegszeit pflegen mußte, nicht verstanden worden sind. Es begann ja im Jahre 1914 eine Zeit, in der Betrachtungen im gewöhnlichen Sinne des Betrachtens aufhören mußten und in denen dasjenige, was durch Worte geschehen sollte, Taten zu werden hatte. Aber die Menschheit ist gewöhnt, Worte nach dem

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Sinne des Journalistenstils zu nehmen, und nicht nach jenem Stil, der gerade durch die Geisteswissenschaft in die Menschheit hineinkommen soll. So wurde denn gerade während der sogenannten Kriegsjahre vieles mißverstanden. Es wurde vor allen Dingen nicht hingesehen auf etwas, was ich für mich im eminentesten Sinne als wichtig empfand. Ich habe vor Ablauf des ersten Kriegsjahres, was ja den meisten bekannt sein wird, eine kleine Schrift erscheinen lassen: «Gedanken während der Zeit des Krieges». Diese Schrift ist verhältnismäßig schnell verkauft worden. Und wenn man die Dinge von jenem Standpunkte aus zu betrachten gehabt hätte, von dem leider heute noch immer, trotzdem die Not so groß geworden ist, die Dinge betrachtet werden, so wäre es aus äußerlichen Gründen eine Selbstverständlichkeit gewesen, eine neue Auflage der ersten großen Auflage zu machen. Ich habe mich dieser neuen Auflage widersetzt aus dem einfachen Grunde, weil diese Schrift ihre Aufgabe nicht erfüllt hat. Diese Schrift - Sie können sie heute wieder zur Hand nehmen, sofern sie noch vorhanden ist - war eine Frage an das deutsche Volk. Diese Schrift durfte nicht etwa so aufgenommen werden, daß man sich dadurch verleiten ließ, in denselben Ton zu verfallen, in den sehr viele Angehörige der mitteleuropäischen Länder während des Krieges verfallen sind, Und der heute gerade da, wo man mit heimlich schleichendem Gift Anthroposophie verleumdet, der gebräuchliche Ton ist. Aber von dem, was ich erwartet habe von dieser Schrift, als Verständnis erwartet habe, ist auch nicht das allermindeste eingetroffen. Nur dann, wenn es eingetroffen wäre, hätte es einen Sinn gehabt, diese Schrift in einer neuen Auflage erscheinen zu lassen. Sie erschien also nicht, sie verschwand aus dem öffentlichen Leben, mußte meiner Auffassung nach aus dem öffentlichen Leben verschwinden. Der Beweis des Unverständnisses, der dadurch geliefert war, mußte in einer gewissen Weise außerordentlich ernst genommen werden. So ist auch gerade manches gründlich mißverstanden worden, was ausgesprochen wurde, um die Geister zu erheben, um die Geister zu befeuern, um dasjenige zur Geltung zu bringen, was gerade in Mitteleuropa hätte zur Geltung kommen konnen: ein Wiederaufleben jenes Geisteslebens, das um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert durch Mitteleuropa gezogen ist. Im Grunde genommen ist Geisteswissenschaft

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das Wiederaufleben dieses Geisteslebens in derjenigen Form, in der es heute den Menschen gebracht werden muß.

Nehmen Sie das, was heute in Zeitungen aller Schattierungen, in populären Schriften; auch in wissenschaftlich populären Schriften geschrieben wird, nehmen Sie das, was geschrieben wird in Königsberg oder Berlin, in Wien oder in Graz, in Miinchen oder Stuttgart, und vergleichen Sie es mit demjenigen, was in Paris, in Rom, in London, iii Chicago, in New York heute geschrieben wird: Sie finden eine große Ähnlichkeit, Sie finden den gleichen Grundton darinnen, einen Geist, der überwunden werden muß. Fragen wir dagegen nach einer anderen Ähnlichkeit, fragen wir nach der Ähnlichkeit, die herrscht zwischen dem, was heute in Berlin, Wien, Dresden, Leipzig, Stuttgart, München, Hamburg, Bremen geschrieben wird, und dem, was einstmals Geister wie Herder, Goethe, Fichte, Schiller verkündeten, dann müssen wir sagen: Das ist grundverschieden. Und all die Deklamationen, die Platz gegriffen haben mit der Anführung von Fichteschen oder gar von Goetheschen Sätzen, all dasjenige, was da produziert worden ist, ähnelt mehr demjenigen, was in Chicago, New York, London, Paris, Rom geschrieben wird, als dem Geiste von Herder, Fichte, Schiller, Goethe. Die Flutwelle, welche von Westen aus das mitteleuropäische Leben überschwemmt hat, hat auch dasjenige hinweggeschwemmt, was in uns leben sollte, und nichts war in dem, was in den letzten Jahrzehnten gelebt hat, von dem alten Geiste zu merken. Das mußte der Welt vor Augen geführt werden, als die Katastrophe über Mitteleuropa herein- gebrochen war, das entrang sich meiner Seele, als ich meinen «Aufruf an das Deutsche Volk und die Kulturwelt» verfaßte. Das, was damit verbunden war, konnte eben nicht bloß fortgesetzt werden, wie es früher in der Ihnen bekannten Form bis zum Jahre 1914 gepflogen werden mußte.

Damals konnte ich nicht appellieren an eines, wovon man glauben mußte, daß man nach 1918 daran appellieren könne. Man konnte nicht appellieren an das, was der Beweis des Niederganges der allgemeinen Zivilisation ist, an die Not. Man mußte seit 1918 glauben, daß die Not, die über Mitteleuropa gekommen ist, die Seelen weckt, sie empfänglich macht für die Sprache, die gemeint war in dem «Aufruf an das Deutsche

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Volk und die Kulturwelt». Gewiß konnte es nicht so bleiben, daß die anthroposophische Bewegung gepflegt wurde wie früher. Früher hatte man denjenigen Dienst zu leisten, der selbstverständlich in der anthroposophischen Bewegung immer geleistet werden muß, der auch heute und in aller Zukunft geleistet werden muß: das Ewige in der Menschenseele zu pflegen, dasjenige, was über Geburt und Tod hinausgeht, was über die bloß sinnliche Welt hinausweist in die übersinnliche Welt. Und zu warten hatte man, ob nun aus den Seelen, aus den schlafenden Seelen der neueren Zivilisation da oder dort diejenigen Seelen hervorgehen, die in Wirklichkeit etwas verstehen von dem, was mit Geisteswissenschaft gemeint ist. Da konnte man noch nicht an den äußeren Beweis durch die Not appellieren. Nun aber, nach 1918, war die Zeit gekommen, in der etwas ganz anderes als Voraussetzung vor das geistige Auge gerückt werden mußte. Die Menschheit hätte einsehen können, wohin sie durch das Überhandnehmen des Materialismus gekommen war. Denn was wir erlebt haben und was wir fortdauernd erleben und in noch wuchtigerer Weise in der Zukunft erleben werden, das ist das äußere Kai`rna des Materialismus auf dem geistigen, auf dem staatlichen, auf dem wirtschaftlichen Gebiete. Es ist die Folge der Unterlassung, die darin besteht, daß die Menschen nicht in sich die aktive Kraft finden wollten, in der Seele das Geistesleben zu pflegen. Da kam dann die Zeit nach der Verfassung dieses «Aufrufs an das Deutsche Volk und die Kulturwelt>, wo es vor allen Dingen darauf ankam, in positiver Weise nach irgend etwas Tatsächlichem hinzuarbeiten. Das ergab sich rein aus den Lebensmöglichkeiten heraus. Ich mußte die ersten Hände ergreifen, die mir entgegenkamen, denn jeder Augenblick drängte. Ich mußte die ersten Hände ergreifen, die mir entgegenkamen: es waren diejenigen, die mir aus Stuttgart entgegenkamen. Da handelte es sich zunächst darum> dasjenige zu hegen und zu pflegen, was aus der Initiative einiger Freunde dort gehegt und gepflegt werden konnte. Hätte dazumal die Menschheit verstanden, um was es sich handelt, hätte sie nicht selbst unter der Lehre der Not versagt, dann hätte es genügt, von einem Zentrum aus so etwas zu machen, denn das hätte vorbildlich wirken können. Allein, was ist geschehen?

Damit Sie sehen, wie die Dinge aufzufassen sind, möchte ich etwas

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berühren. Bevor ich im Frühling 1919 von der Schweiz aus nach Stuttgart zu der ersten Vortragstournee gefahren bin, kam ein weltbekannter Paziflst zu mir, der den «Aufruf an das Deutsche Volk und die Kultur- weIt» unterschreiben wollte, aber etwas zögerte und noch einige Informationen über diesen Aufruf haben wollte. Er sagte mir dazumal: Auf was rechnen Sie eigentlich in Deutschland? - Ich glaube, so sagte er: Sie rechnen auf die zweite Revolution. - Es war Frühling 1919 und man rechnete in Deutschland damals vielfach auf die zweite Revolution nach der ersten vom Herbst 1918. Er glaubte, daß das, was durch die Dreigliederung des sozialen Organismus in die Welt kommen soll, als eine Art Vehikel, als eine Art Weg benutzt werden sollte für das, was in den Impulsen einer zweiten Revolution liege. Ich sagte: Nein! Das ist durchaus nicht meine Meinung. Es ist durchaus nicht meine Meinung, erstens weil ich überhaupt nicht glaube, daß aus denjenigen Leuten, die etwa die zweite Revolution in Deutschland machen würden, irgendein Verständnis für die Dreigliederung des sozialen Organismus in wahrem Sinne unmittelbar hervorgehen könnte, so lange die alten Führer da sind, und zweitens, sagte ich, weil ich überhaupt nicht an eine zweite Revolution glaube. Ich glaube vielmehr, daß diese zweite Revolution in einem chronischen Siechtum bestehen und nicht zu einem akuten Ausbruch kommen wird. Dasjenige> worauf ich einzig und allein rechne, ist, daß sich für das, was aus geistigen Untergründen heraus geboren wird, möglichst viele Seelen finden, die es unbefangen aufnehmen aus den Zeitnotwendigkeiten heraus, ganz abgesehen von dem, was durch die Intentionen der alten Führer geschieht. - Also ich rechnete nicht mit denjenigen Dingen, von denen vielfach geglaubt worden ist, daß ich mit ihnen rechne. Als ich dann nach Stuttgart kam, war es in einem gewissen Sinne selbstverständlich, daß zunächst die breiten Massen des Volkes angesprochen wurden. Diese breiten Massen des Volkes, obwohl auch vielfach gelähmt durch die Ereignisse des Krieges, waren diejenigen, die zunächst etwas hören sollten. In meiner innersten Seele wußte ich, wie die Dinge stehen; denn ich wußte, daß, solange die Führer, die aus der alten Zeit herüberragen - ob sie nun die Führer der rechtsstehenden oder die Führer der linksstehenden Parteien, auch der am weitesten linksstehenden, sind -, die Parteien fest in der Hand haben, die Menschen

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fest in der Hand haben, so lange mit den Menschen nichts anzufangen ist. Aber denken Sie doch, was geschehen wäre, wenn ich gesagt hätte, ich wäre nicht dafür, mich an die weiten Kreise des Volkes zu wenden. Es hätte mir niemand zu glauben gebraucht, aber wenn e& nicht geschehen wäre, so hätte man hinterher gesagt: Hätte er sich nur an die breiten Kreise des Volkes gewendet, dann wäre alles ganz anders geworden! - Wenn es sich um Wirklichkeiten handelt, muß man auch durch Wirklichkeiten beweisen. Und es mußte erst durch die Wirklichkeiten bewiesen werden, daß aus sämtlichen linksstehenden Parteien die Verleumder und Phrasenhelden sich auftaten gegen das, was durch die Dreigliederung eben anfing, den breitesten Massen des Volkes verständlich zu werden. Wir waren auf gutem Wege. Man darf sagen, wir haben von drei zu drei Tagen Tausende von Leuten gewonnen. Aber gerade das Verständnis, das von den breiten Massen des Volkes der Dreigliederung entgegengebracht wurde, gerade das war es, was die alten Führer zu ihren Verleumdungen, zu ihrem Phrasengedresche brachte, und so kam es, daß uns zunächst scheinbar auf dieser Seite der Boden unter den Füßen entzogen wurde.

Und was war von der andern Seite zu hoffen? Nun, es nützt ja nichts, sich in diesen Dingen einen Nebel vor die Augen zu machen, sondern einzig und allein hilft uns in der Gegenwart, die Wahrheit zu sprechen. Mir sagte damals eine führende Persönlichkeit, die herausgewachsen war aus derjenigen Partei, die sich durch eine sonderbare Interpretation des Wortes «Deutsch-Demokratische» Partei nannte und nennt, die in einer jener Versammlungen erschien, die dazumal gehalten worden sind: Ja, wissen Sie, wenn wir in der Lage wären, mehr Leute vor den breiten Massen des Volkes reden zu lassen, die die Dinge in dieser Weise zum Verständnis bringen können, dann gut, dann könnte man ja mitmachen. Aber auf zwei Augen darf das nicht gestellt sein und deshalb verlassen wir uns vorläufig mehr auf die Schießgewehre, auf die Gewalt, und werden es noch für die nächsten fünfzehn bis zwanzig Jahre dahin bringen, die breiten Massen des Volkes damit niederzuhalten. - Das war im wesentlichen die herrschende Bourgeoisiegesinnung; das andere war die Proletarierwirtschaft.

So bleibt denn eigentlich nichts anderes übrig als das, was aus geistigen

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Untergründen herausgeholt worden ist, eben in der Weise zu vertret,en, daß sich immer mehr und mehr Menschen finden, in deren Köpfe die Sache hineingeht. Dahinter muß aber namentlich noch das stehen, was aus dem herausgeboren ist und hätte gepflegt werden sollen, das noch vor dem Krieg an die Grenze der Schweiz, Frankreichs und Deutschlands hingestellt worden ist, damit es von Mitteleuropa hinausschaut in die weite Welt, hinausschaut besonders nach dem Westen, und was dann auch seinen Namen erhalten hat, den es haben muß: den Namen des Goetheanum. Denn heute stehen wir in geistigen Dingen vor Weltaufgaben! Heute stehen wir vor geistigen Dingen nicht so wie vor etwa bloß persönlichen Angelegenheiten. Denn dieses Stehen vor geistigen Dingen wie vor persönlichen Angelegenheiten würde uns eben in den Ruin hineinführen. Das ist es schließlich, was meine Tätigkeit in der letzten Zeit auf Süddeutschland und die Schweiz beschränken mußte. Ich sehne mich wahrhaftig danach, daß auch eine andere Zeit wieder anbricht, wo der Horizont des Wirkens wiederum größer werden kann. Allein, das hängt ja nicht von mir allein ab, das hängt vor allen Dingen von dem Verständnis ab, das man der Sache entgegenbringt. Ich werde vielleicht noch in diesen Tagen Gelegenheit haben, auf einiges hinzuweisen von jener Art des Verstehens, die von gewissen Kreisen ausgeht, die mehr im Unterirdischen durch Brieffälschungen, durch Interviewfälschungen, durch Verleumdungen und Lügen arbeiten.

Für jetzt sei das, was ich eben gesagt habe, nur gesagt, um hinzu- deuten auf die Gründe, die es notwendig gemacht haben, daß die Berliner Tätigkeit von uns selber für eine Zeit verlassen werden mußte, um auf die Umstände hinzudeuten, die es notwendig machten, auch für Berlin zu appellieren an das, woran man eben appellieren mußte in dieser Zeit. Haben wir denn nicht durch fast zwei Jahrzehnte Anthroposophie über ein großes Territorium hin getrieben? Durfte man da nicht hoffen, daß sich Menschen finden würden, die selbständig weiterarbeiten? Sie haben sich auch gefunden. Sie haben sich auch hier in Berlin gefunden, und mit Hilfe dieser Freunde muß zunächst versucht werden, die Berliner Arbeit fortzusetzen. Zu diesem Zwecke sind wir hier zunächst zusammengekommen. In dieser Generalversammlung soll geurteilt werden über die Fortsetzung der Arbeit hier in Berlin.

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SIEBZEHNTER VORTRAG Berlin, 18. September 1920

Unter denjenigen Vorstellungen der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft, die am fruchtbarsten, am intensivsten und auch am notwendigsten werden wirken müssen für die Entwickelung des Menschenseelenwesens gegen die Zukunft hin, wird diejenige sein von dem vorgeburtlichen menschlichen Dasein. Bedenken wir einmal, was nach dieser Richtung zu jenen Vorstellungen und Empfindungen, welche die abendländische Menschheit lange beherrscht haben, hinzukommen wird. Wenn heute der gläubige, der irgendeiner Konfession zugehörige Mensch von der Ewigkeit, von der Unsterblichkeit der Menschenseele spricht, so denkt er zunächst ja an nichts anderes als an das Lebendigbleiben, das Bestehenbleiben der Menschenseele nach dem Tode. Man wird in der Zukunft, wenn die Anschauung der Geisteswissenschaft eine genügend große Anzahl von Menschen wird ergriffen haben, vor allen Dingen von dem vorgeburtlichen Dasein der Menschenseele sprechen, von dem Aufenthalt der Menschenseele in geistigen Welten, bevor sie heruntersteigt zum physischen Erdendasein, von alldem, was der Geburt oder der Empfängnis vorausgeht, ebenso wie von dem, was für diese Menschenseele nach dem Tode folgt. Man stellt sich heute noch nicht genügend vor, welche Bedeutung ein solches Sprechen von dem vorgeburtlichen Dasein haben wird für das ganze menschliche Leben, nicht nur für das innere, sondern auch für das äußere Menschenleben.

Bedenken wir nur einmal zunächst, was es heißt, wenn wir das werdende Kind anschauen, sehen, wie von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat die Physiognomie des Antlitzes von innen heraus sich gestaltet, wie diese oder jene Züge auftreten, sich glätten, zurückgehen und so weiter. Man macht sich noch nicht klar, in welche Geheimnisse des Daseins man eigentlich hineinblickt, wenn man solch ein werdendes Menschenwesen betrachtet. Mit welcher Innigkeit wird solch ein werdendes Menschenwesen angeschaut werden, wenn das Bewußtsein zugrunde liegt: bevor dieses Menschenwesen empfangen ,oder geboren worden ist, war sein Seelisch-Geistiges oben in seelischgeistigen

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Welten, hatte Erlebnisse durch seelisch-geistige Organe, wie während des physischen Daseins der Mensch Erlebnisse durch seine physischen Organe hat.

Wir können noch einen Schritt weiter nach dem Inneren der Menschenseele gehen, und dann auch von diesem Gesichtspunkte aus den Umschwung der Anschauungen in dieser Beziehung ermessen. Nehmen wir die verschiedenen Konfessionen, die heute aus ihren jahrhundertealten Traditionen heraus in Predigt und Lehre zu den Menschen sprechen von der Ewigkeit, von der Unsterblichkeit der Menschenseele. Man sollte über diese Dinge nicht von einem theoretischen Standpunkt aus sprechen, man sollte sprechen von dem Standpunkte des Lebens aus; man sollte verfolgen, aus welchen EmPfindungsnuancen heraus Predigt und theologische Lehren in bezug auf die Ewigkeit der Menschenseele zumeist fließen. Ich sage jetzt nicht, dem Inhalt der Lehre nach, sondern mehr den Motiven, den Empfindungen, den Gefühlen nach, aus denen heraus gesprochen wird in Predigt und theologischer Lehre. Nicht wahr, der Mensch kann ja, ganz abgesehen von dem, was wahr ist, ein aus dem innersten Seelenegoismus heraus entspringendes Gefühl haben: Die Seele soll nicht zugrunde gehen, wenn der Leib zerfällt! Es ist schon etwas von einem inneren Seelenegoismus, was da wünscht, man möchte nicht zugrunde gehen. Man kann das Ereignis der Auflösung nicht ertragen, man dürstet nach dem Verbleiben der Menschenseele im Dasein nach dem Tode. Dieses Gefühl des Dürstens nach der Unsterblichkeit nach dem Tode, das ist es, an das zunächst Predigt und theologische Lehre appellieren. Das ist es, was die Untergründe abgibt, aus denen heraus über die Ewigkeit der Seele zu den Menschen aus den verschiedensten Konfessionen heraus gesprochen wird. Man findet Gläubige, indem man dem geheimen, dem inneren Seelenegoismus entgegenkommt. Man sagt ja im Grunde genommen den Menschen etwas, wonach sie dürsten, dessen Gegenteil sie durchaus nicht hören wollen. Indem man ihnen von dem Verbleiben im Dasein nach dem Tode spricht, findet man den Zugang zu dem menschlichen Glauben. Man würde sonst den Zugang zu dem Menschenglauben nicht finden, wenn die Menschenseele nicht aus Egoismus heraus dürstete nach der Unzerstörbarkeit der Seele nach dem Tode.

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Nun wissen wir aus der Geisteswissenschaft, daß diese Menschenseele gewiß nach dem Tode ihr Dasein behält, und wir konnten auch aus vielen Darstellungen, die gegeben worden sind im Laufe der Arbeit innerhalb dieser Bewegung, sehen, daß man aus der Initiationswissenschaft heraus mit Genauigkeit von den Erlebnissen nach dem Tode sprechen kann.

Nicht von dem, was da wirklich nach dem Tode liegt, soll zunächst gesprochen sein, sondern von den Motiven, aus denen heraus die Lehre von der Unsterblichkeit gepredigt wird. An diese Motive wird Geisteswissenschaft nicht appellieren können. Namentlich wird sie dann nicht appellieren können, wenn sie sprechen soll von dem Dasein der Menschenseele vor der Geburt oder vor der Empfängnis, denn im Grunde genommen kommt man da nicht dem Seelenegoismus entgegen. In der Regel denken die Menschen wenig daran, wie es mit ihnen war vor der Geburt oder vor der Empfängnis, wie es war mit ihren Erlebnissen, bevor sie herunterstiegen in einen irdischen Leib. Das ist ihnen mehr oder weniger gleichgültig, und nicht eine gleiche Sehnsucht geht dahin wie nach dem Leben nach dem Tode. Zustimmung für dieses Gebiet wird man nur finden bei denjenigen, bei welchen der Trieb rege ist, das menschliche Wesen überhaupt zu erkennen, bei welchen rege ist die Sehnsucht, jene Kraft in der menschlichen Seele aufzufinden, die als eine unsterbliche wirklich zugrunde liegt dem, was wir in der äußeren physischen Welt durch unseren Leib sind. In unserer abendländischen Zivilisation, die, wenn ihr nicht neue Kräfte eingefügt werden, dem Untergange verfallen ist, finden sich wenig Neigung und auch wenig Begriffe, an die man sich wenden kann, wenn von diesem Leben der Menschenseele vor der Geburt oder vor der Empfängnis die Rede sein soll. Sie wissen ja, die Kirchen betrachten diese Lehre als eine Ketzerei, und die Kirchen wissen nicht, daß sie im Grunde genommen damit nicht eigentlich Christentum lehren, sondern daß sie lehren aristotelische Philosophie. Denn als im Mittelalter die Philosophie des Aristoteles in die Kirchenphilosophie aufgenommen worden ist, da befestigte sich innerhalb der Kirchenphilosophie die Lehre von der Entstehung, von der Schöpfung jeder einzelnen Menschenseele mit der Geburt, respektive mit dem Werden des Menschenkeims im Leibe der Mutter. Und so

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wurde allmählich der Glaube erweckt, als ob dieses Leugnen der Präexistenz der Menschenseele zur wirklichen Kirchenlehre des Christentums gehörte. Es gehört nicht dazu. Zur wirklichen praktischen Lehre des Christentums gehört das Eindringen in die geistigen Welten. Das Eindringen in die geistigen Welten kann nicht sein ohne die Erkenntnis der Präexistenz der Menschenseele.

Aber die abendländische Zivilisation ist infiziert durch die Bekenntnisse; sie ist so weit gekommen, daß wir eigentlich nicht einmal in der Sprache ein Hilfsmittel haben, um das auszudrücken, was auf diesem Gebiete die Wahrheit ist. Wir sprechen, wenn wir noch innerhalb einer religiösen Weltanschauung stehen oder innerhalb irgendeiner vernünftigen philosophischen Weltanschauung, von der Unsterblichkeit der Menschenseele. Indem wir das Wort «Unsterblichkeit» der Menschenseele haben, deuten wir schon darauf hin, daß wir im Grunde genommen damit nur das Sterben negieren, nicht die Geburt, denn wo hätten wir ein gebräuchliches Wort, welches ebenso hinweisen würde auf die Präexistenz, wie das Wort Unsterblichkeit auf die Postexistenz hinweist. Wo hätten wir ein Wort wie «Ungeborenheit», das genau die gleiche Berechtigung hat vor wirklich geistiger Erkenntnis wie «Unsterblichkeit»? Das kann Ihnen der beste Beweis dafür sein, was verlorengegangen ist im Abendlande, gerade durch das Wirken der Konfess1onen: die Wahrheit über das Wesen des Menschen. Bis in die Sprache hinein ist diese Wahrheit verlorengegangen. Denn wir müssen bis in die Sprache hinein das Bewußtsein dafür hervorrufen, daß die Menschenseele ewig ist, daß sie ebenso vor der Geburt da ist wie nach dem Tode. Wir brauchen ebenso ein Wort für Ungeborenheit, wie wir ein Wort haben für Unsterblichkeit. Dann aber fragen Sie eine gesunde Logik, wenn Sie an ein vorgeburtliches Dasein denken, eine Logik, die wirklich zu Ende denkt, ob Sie dann noch imstande sind, nicht von wiederholten Erdenleben zu sprechen. Sie können, wenn Sie nur von Unsterblichkeit reden, von einer Postexistenz, allerdings glauben: Dieses eine Erdenleben, und dann eine Ewigkeit ganz anderer Art! Sie werden das logischerweise nicht mehr können, wenn Sie von Präexistenz sprechen. Sonst müßten Sie sich fragen: Ja, wie kommt es, daß nun nicht doch mit der Geburt die Seele geschaffen wird? Warum sollte sie geschaffen werden irgend

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eine Streeke vor der Geburt? Kurz, Sie kommen unbedingt zu den wIederholten Erdenleben, wenn Sie von Präexistenz sprechen. Im Grunde genoinnien ist man noch niemals in der Erdenzivilisation zu der Anschauung der Präexistenz gekommen, ohne von den wiederholten Erdenleben zu sprechen.

Aber bedenken Sie, wenn sich diese Lehre von der Präexistenz nun nicht bloß als eine Theorie kundgibt, wenn sich diese Anschauung in alles Gefühlsleben, und namentlich in das Willensleben der Menschen hineinfindet, wenn der Mensch sich fühlt als ein solches Wesen, das herabgestiegen ist aus geistigen Welten und sich im physischen Leib verkörpert hat, was das bedeutet für die ganze Auffassung dieses Erdendaseins! Sie sind sich dann bewußt, hier auf dieser Erde ein Sendbote der göttlich-geistigen Welt zu sein; Sie wissen, dieses Leben hier ist eine Fortsetzung eines geistigen Lebens. Alles dasjenige was wir an Pflichtgefühl, was wir an Fähigkeiten in uns tragen, wird durchleuchtet und durchkraftet von diesem Bewußtsein, denn wir wissen, daß uns die Götter heruntergeschi&t haben in dieses physische Dasein. Dieses physische Dasein bekommt erst eine Aufgabe, die nicht von ihm selber gestellt ist, sondern die ihm gestellt ist von Himmelshöhen. Das ist ja das Eigentümliche der Geisteswissenschaft, daß sie nicht bloß gegen den Intellekt spricht, sie muß auch zum Intellekt sprechen, denn die Dinge müssen begriffen werden. Aber indem wir die Vorstellungen aufnehmen, die aus der Initiationswissenschaft kommen, durchdringen sie unser ganzes Menschenwesen, durchdringen sie nicht bloß unsere Gedanken> durchdringen sie unser Gefühl, unsere Empfindungen, durchdringen sie unseren Willen, geben sie uns ein Bewußtsein vom Wesen unseres ganzen Menschen. Wie man sich in die Welt hineinstellt unter dem Bewußtsein der Präexistenz der Menschenseele, das wird besonders bedeutungsvoll sein für die Zivilisation der Zukunft. Das wird die Menschen durchleuchten und durchkraften mit etwas, was gebraucht wird, um wieder herauszukommen aus den Niedergangskräften, die sonst ganz zweifellos die abendländische Zivilisation im Beginn des dritten Jahrtausends in die Barbarei hineintreiben werden. Aber auch die einzelnen Zweige des Lebens, sie bekommen ein ganz besonderes Gepräge, wenn man solch eine Anschauung zugrunde legen kann.

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Es ist auch hier wohl öfter zu Ihnen gesprochen worden von der in Stuttgart begründeten Waldorfschule. Sie soll in gewisser Weise in Unterricht und Erziehung praktisch machen anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft. Etwas besonders Bedeutungsvolles in der Pädagogik der Waldorfschullehrer sind nicht etwa die abstrakten Grundsätze, die Sie sonst in pädagogischen Lehrbüchern oder in staatlich approbierten Lehrvorschriften finden können, sondern da wirken als ganz besonders wichtige Dinge zum Beispiel die Gefühle, mit denen der Lehrer die Klasse betritt. Eines derjenigen Gefühle, die da ganz besonders pädagogisch wirksam werden, von dem jeder Lehrer durchdrungen ist, weil er von dieser Seite aus in seinen Beruf eingeführt worden ist, das ist die Ehrfurcht vor jenem göttlichen Keim, der sich von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat heraUsdrängt aus dem Inneren des Wesens, das heruntergestiegen ist aus der ewig geistigen Welt in diese physische Welt. Das Bewußtsein, daß der Lehrer durch das Tor des Menschenleibes etwas zu tun hat mit einem Wesen, das heruntergestiegen ist zu ihm aus geistigen Welten, das macht jene tiefe Ehrfurcht aus, die der Lehrer dann hat vor jenem Menschenwesen, das sich als ein Geistig-Seelisches im physischen Leib immer mehr und mehr herausgestaltet. Man mag es heute schon glauben oder nicht: Ein Lehrer, der diese Ehrfurcht vor dem werdenden Menschen hat, hat eine geheime Kraft in sich, durch die er ganz anders unterrichtet und erzieht, als ein Lehrer, der diese Ehrfurcht nicht hat, der glaubt, der Mensch wäre entstanden, indem er sich als physischer Leib los gelöst hat von dem Leib der Mutter. Denn man unterrichtet und erzieht nicht allein mit Begriffen und Ideen, man erzieht vor allen Dingen mit jenen geheimnisvollen Kräften und Mächten, welche als Imponderabilien übergehen von dem Lehrer auf das Kind.

Dafür läßt sich ein Beispiel anführen, das als ein besonders wichtiges angeführt werden darf. Man kann als Lehrer nachdenken, wie man dem oder jenem Kinde die Idee der Unsterblichkeit beibringt. Nicht wahr, nach heutiger Auffassung ist der Lehrer der Gescheite und das Kind der Dumme. Der gescheite Lehrer denkt nach: Wie bringe ich dem dummen Kinde die Idee der Unsterblichkeit bei? - Da wird er etwa dem Kinde sagen: Sieh dir an die Schmetterlingspuppe! Da drinnen sitzt ein

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Sdimetterling, er bricht aus, er entfaltet sich, nachdem die Puppe gesprengt ist. Genau so ist es mit deiner unsterblichen Seele in deinem Leibe: der Leib wird gesprengt. Die unsterbliche Seele ist nur nicht so sichtbar wie der Schmetterling, aber für eine übersinnliche Anschauung ist sie sichtbar, sie fliegt in geistige Welten. - Gewiß, man kann sich das ausdenken und durch einen solchen Vergleich dem Kinde die Unsterblichkeitsidee beibringen. Meines Erachtens wird das Kind nicht sehr gefördert, wenn ihm diese Unsterblichkeitsidee von dem sehr gescheiten Lehrer im Sinne der heutigen Zeit beigebracht wird, denn der glaubt selber nicht daran! Er hat es nur ausgedacht. Wenn aber irgendeiner von unseren Waldorfschullehrern dem Kinde auf diese Weise die Unsterblichkeit beibringt, so ist das ganz anders. Der glaubt nämlich selber an dieses Bild, der ist von der Wahrheit durchdrungen, daß die Schmetterlingspuppe und der auskriechende Schmetterling von den Göttern selber so angeordnet sind, daß sie das Bild der Unsterblichkeit der Menschenseele darstellen. Der ist davon durchdrungen: Da ist dieselbe Erscheinung: auf einer niedrigeren Stufe der auskriechende Schmetterling, und auf einer höheren Stufe die aus dem Leibe herauskommende Seele.

Und dieses Bild hast nicht du gemacht, sondern es ist von göttlich-geistigen Mächten selber in die Natur hineingestellt worden. - Der glaubt daran mit derselben Inbrunst, wie das Kind daran glauben soll, und auf diesen Glauben kommt es an. Hat der Lehrer diesen Glauben, so wird er ihn auch in dem Kinde befestigen, hat er ihn nicht, hat er ihn nur als eine abstrakte Idee in sich, so wirkt er nicht fruchtbar. Denn es kommt auf die Gefühle an, die in das Klassenzimmer hineinströmen, auf die Gefühle kommt es an, die in unserer Seele entzündet werden aus dem Bewußtsein der Präexistenz.

Nimmt man ernst all das, was aus dieser vorgeburtlichen Existenz folgt, dann erst bekommt man einen wirklichen Begriff von dem Zusammenhang der Menschenseele mit dem Menschenleibe. Wenn Sie heute irgendein Handbuch der Seelenkunde - Psychologie nennt man das - nehmen, so finden Sie alle möglichen Theorien, wie die Menschenseele auf den Menschenleib wirkt und so weiter. Sie würden nicht sehr gescheit werden durch diese Theorien, es sind abstrakte Gedankengespinste, und wenn Sie sie durchgenommen haben, wissen Sie nicht viel mehr, als Sie

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früher wußten; denn da werden bloß allerlei Hypothesen aufgeste`llt, wie die Seele auf den Leib wirkt.

Weiß man, wie das vorgeburtliche Menschenwesen sich verkörpert im Leib, dann verfolgt man den werdenden Menschen im Kinde ganz anders. Da haben wir zwei Etappen im werdenden Menschen. Die eine Etappe ist gegeben mit dem Zahnwechsel um das siebente Jahr herum.

Was bedeutet dieser Zahnwechsel? Es ist eine viel stärkere Veränderung in dem ganzen menschlichen Organismus, als man gewöhnlich glaubt. Aber man beobachtet die Dinge heute nur äußerlich. Wenn man sich einmal gewöhnen wird, die Dinge seelisch zu betrachten, wie dieses aus der Geisteswissenschaft folgen kann, was wird man einsehen? Man wird sich sagen: Merkwürdig! Das Kind bis zum Zahnwechsel bildet sich nicht ganz gefestigte Begriffe, es erinnert sich zwar an manches, aber es leg die Erinnerung nicht in Begriffe fest; es tritt noch nicht eigentliche Intelligenz auf. Beobachten Sie nur ernstlich einmal ein Kind> wie da im Laufe des Zahnwechsels immer mehr und mehr die Fähigkeit für die eigentliche Intelligenz entsteht. Man hat ja heute gar kein Gefühl dafür, welcher Unterschied besteht zum Beispiel zwischen einem sieben- und fünfjährigen Kinde mit Bezug auf die Ausbildung der Intelligenz. Würde man nur beobachten - die Waldorfschullehrer müssen es beobachten, denn das liegt ihrem ganzen Unterricht und ihrer Erziehung zugrunde -, wie diese Seele nach und nach herauskommt nach dem siebenten Jahr, dann würde man gleich einsehen, wohin man zu blicken hat, wenn man die Frage beantworten will: Ja, wo war denn das alles, was da als Intelligenz herauskommt nach dem siebenten Jahr? Wo steckte denn das? Das steckte im Leibe unten, war tätig im Leibe. Dasselbe, was sich emanzipiert mit dem siebenten Jahr und Intelligenz wird, das war unten im Leibe, gestaltete den Leib und machte seinen Schlußpunkt in bezug auf dessen Gestaltung mit dem Herausdrängen der zweiten Zähne. Die Kraft, die in den zweiten Zähnen sich zum Dasein drängt, sie ist in dem ganzen Organismus tätig gewesen. Aber es ist eine Kraft, welche nur bis zum siebenten Jahr im Leibe tätig ist, dann hat sie im Leibe nichts mehr zu tun, dann wird sie Intelligenz; sie war früher auch schon Intelligenz, aber sie arbeitete im Leibe. Sehen Sie sich an, was im Leibe des Kindes bis zum siebenten Jahr geschieht, und sehen Sie nach

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her, was das Kind als Intelligenz hat nach dem siebenten Jahr, dann haben Sie dasselbe. Durch die Geburt ist die Intelligenz heruntergestiegen; zunächst war sie noch nicht als Intelligenz, als seelische Wesenheit tätig, das wird sie erst allmählich nach dem siebenten Jahr: da haben Sie konkret das Zusammenwirken der Seele mit dem Leibe. Und jetzt können Sie, was da hauptsächlich bis zum siebenten Jahre im Menschenleibe arbeitete, Sie können es ja anschauen. Jetzt haben Sie nicht törichte, abstrakte Begriffe vom Zusammenwirken von Leib und Seele, die aus den Fingern gesogen sind, wie sie in unseren Lehr- und Handbüchern stehen, jetzt haben Sie konkrete Anschauungen von dem, was in Blut und Nerven, in Muskeln und Knochen sieben Jahre hindurch arbeitete und dann Intelligenz des Kindes wird.

So lernt man den Menschen in seiner ganzen Wesenheit, in seinem seelischen und seinem leiblichen Wesen kennen, wenn man allmählich eindringt in das, was Geisteswissenschaft zu geben vermag, jetzt steht der Mensch ganz anders vor uns. Es ist merkwürdig: die materialistische Wissenschaft wollte das Materielle erkennen und konnte doch nichts davon wissen, wie die Kräfte ausschauen, die zum Beispiel im kindlichen Menschenleibe bis zum siebenten Jahr wirken. Nun kommt Geistes- wissenschaft und lehrt das Materielle wirklich kennen, sie dringt gerade ein in das Materielle. Das ist ja die Tragik des Materialismus: Er wird Immer abstrakter und abstrakter und lehrt das Materielle überhaupt nicht mehr kennen. Was weiß denn der heutige Mediziner von Leber und Niere, von Magen und Lunge, das heißt von materiellen Gebilden? Wenn einmal dasjenige, was ich innerhalb des diesjährigen Frühjahrskurses in Dornach zu zeigen versuchte, was aus Geisteswissenschaft für Medizin und Naturwissenschaft überhaupt folgen kann, wenn einmal das etwas eindringen wird in unsere Wissenschaft, so wird man sehen, daß geistige Erkenntnis gerade dazu berufen ist, hineinzuleuchten in das materielle Wesen, während ein Materialist vor der ganzen Welt dasteht wie der Blinde vor der Farbe. Gerade das materielle Dasein lernt der Materialist nicht kennen.

Eine zweite Etappe im Leben des Menschen ist die geschlechtliche Reife, die beim männlichen Geschlecht besonders durch den Stimmwechsel in die Erscheinung tritt und auch beim weiblichen Geschlecht in

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körperlichen Veränderungen besteht; nur daß diese mehr über den ganzen Körper verbreitet sind und nicht in einem Organ so klar hervor- treten wie beim Stimmwechsel des Mannes; in beiden Fällen um das vierzehnte Jahr herum. Wiederum eine wesentliche Veränderung im Organismus. Was geht da eigentlich vor? Ja, was wird denn anders nach der Geschlechtsreife? Es wird anders das ganze Willensleben des Menschen! Versuchen Sie zu vergleichen den neunzehnjährigen mit dem dreizehnjährigen Menschen und den Blick hinzuwenden auf das konkrete Willensleben. Das ganze Willensleben wird anders, es könnte ja sonst nicht das Liebegefühl in das Willensleben hineinkommen. Wiederum solch ein Umschwung im seelischen Leben! Wenn wir geisteswissenschaftlich erforschen, um was es sich handelt, kommen wir auf das Folgende: Wir wachsen immer mehr mit der Außenwelt zusammen, insbesondere in der Zeit vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife; wir ergreifen immer mehr von dieser Außenwelt, unser Wille wird immer orientierter und orientierter, wir lernen unseren Willen in Übereinstimmung bringen mit den Dingen und Vorgängen der Außenwelt. Wenn man den ganzen Komplex, der hier vorliegt, wirklich studiert, dann findet man, daß in dieser Zeit der Mensch sich aneignet, und zwar durch seinen Verkehr mit der äußeren Welt, nicht von innen heraus, das Willenselement. Es war eine tiefe Intuition, als der Dichter sagte: «Es bildet ein Talent sich in der Stille, sich ein Charakter in dem Strom der Welt.» Das Talent sproßt von innen heraus auf, der Charakter, das heißt das Willenselement, bildet sich im Strom der Welt, im Austausch der inneren Kräfte mit äußeren Kräften. Aber der Mensch muß sich wehren gegen das, was ihm von der äußeren Welt kommt; das Innere muß reagieren, das Innere muß dasjenige stauen, was von der Außenwelt kommt. Diesem willensbildenden Element, das von dem Wechselverkehr mit der äußeren Welt an den Menschen herantritt, dem tritt eine innere Kraft entgegen: das staut sich beim Mann im Kehlkopf, beim Weibe in andern Organen, und dieses Stauen, dieses Zusammenprallen des äußeren Willenselementes mit dem inneren Willenselement, das drüßt sich aus in der Umwandlung des Kehlkopfes oder ähnlicher Organe. Da sehen Sie auch das Geistige der Außenwelt an dem Menschen arbeiten.

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Jetzt bringen Sie das zusammen mit den Anschauungen der Geistes- wissenschaft, die Sie bereits kennen. Wir wissen, wir steigen herunter aus der geistig-seelischen Welt durch Empfängnis oder Geburt in das Physische. Wir wissen auf der andern Seite, daß wir in bezug auf unseren Astralleib und unser Ich jedesmal beim Einschlafen in eine geistige Welt kommen. Die geistige Welt, die uns unsere Seele gibt, sie arbeitete an unserer Gestaltung bis zum siebenten Jahr und wird von da ab unsere Intelligenz. Dieser Intelligenz tritt entgegen - allerdings schon von der Geburt an, aber mit der Geschlechtsreife ganz besonders stark, weil dann der Austausch mit der freigewordenen Intelligenz stattfindet -, tritt entgegen das Willenselement. Und dieser Kampf zwischen äußerem Willenselement und innerem Intelligenzelement, zwischen derjenigen Geistigkeit, die wir durchschlafen, die wir durchmachen vom Einschlafen bis zum Aufwachen, und derjenigen geistigen Welt, die wir durchgemacht haben vor unserer Geburt beziehungsweise Empfängnis,der KamPf zwischen dem, was wir mitgebracht haben, und dem, was wir jede Nacht durchschlafen, er drückt sich aus in dem Werden unseres Kehlkopfes, in dem Werden desjenigen, was bei der Geschlechtsreife im Organismus ist. Geistiges wirkt mit Geistigem zusammen. Wir durch- wandern eine geistige Welt vom Einschlafen bis zum Aufwachen; in dieser geistigen Welt ist der Wille verborgen, der uns mitgeteilt wird; in unserem Organismus ist die Intelligenz verborgen, die wir durch die Geburt in das physische Dasein mitbringen. Wir können so den Menschenleib verstehen, wenn wir ihn als äußerliche Offenbarung desjenigen empfinden, was sich aus dem Geistigen heraus vollzieht.

Überall wo wir hinblicken, insbesondere dann, wenn wir den Menschen ins Auge fassen, finden wir, daß der Welt geistige Kräfte zugrunde liegen, und wir verstehen den Menschen erst dann, wenn wir die Wechselwirkung dieser geistigen Kräfte wirklich ins Auge fassen. Das wird diese Menschheit gegen die Zukunft hin aufnehmen. Dann wird sie nicht begreifen können, wie einmal ein Zeitalter hat dazu kommen können, zu sagen: Da breitet sich eine Sinneswelt aus, in dieser Sinneswelt wirken Atome, wirken Moleküle, kleine Körperchen, deren Aneinanderstoßen durch gewisse Bewegungen des Lichtes oder der Elektrizität hervorgerufen werden sollen. - Nein, da wirken nicht Atome und Moleküle,

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da wirken geistige Kräfte! Hinter dem, was sinnlich ist, wirkt der Geist. Das wird der große Umschwung sein, daß der Mensch nicht mehr glauben wird, er ginge durch eine Nebelwolke von Atomen und Molekülen, sondern daß er sich bewußt sein wird, er geht mit jedem Schritt durch geistige Welten, und geistige Welten sind es, die in ihm leben, geistige Welten sind es, die ihn aufbauen, die ihn umgestalten. Gerade so, wie uns der materialistische Glaube, wie uns die bloße Post-mortemLehre hineingeführt hat als letzte Konsequenz in das, was jetzt im Osten Europas vorgeht, so wird uns hineinführen die Geistlehre in ein wirklich menschenwürdiges zukünftiges Dasein. Aber nur diese, einzig und allein diese kann zu einem wirklichen sozialen Aufbau führen. Aus dem Geist heraus muß der soziale Aufbau kommen, und ehe die Menschheit dieses nicht einsieht, eher kann es nicht besser werden, muß es immer schlechter und schlechter werden.

Sie werden gewiß alle ein Christus-Wort aus dem Evangelium öfters durch Ihre Seele haben ziehen lassen: «Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.» Was bedeutet dieses Christus-Wort? Es hat keinen Sinn für denjenigen Menschen, der an Atome und Moleküle glaubt, denn dieser nimmt an: Es gab einmal vor diesem Erdendasein mit Tieren, Pflanzen und Menschen ein Nebelgebilde, aus dem sich allmählich die Sonne herausballte, aus dem sich die Planeten herausballten, und durch das Zusammenballen und Durcheinanderwirbeln sind Pflanzen, Tiere und Menschen entstanden. - Gesund empfinden die Menschen, die, wie zum Beispiel der bekannte Kulturhistoriker Herman Grimm, sagen: Künftige Zeitalter werden Mühe haben, diesen Wahnsinn der Kant-Laplaceschen Theorie überhaupt nur zu erklären, denn ein Aasknochen, um den ein hungriger Hund seine Kreise zieht, ist ein appetitlicherer Anblick als diese Theorie! - Das sagt ein gesund empfindender Mensch. Denn, indem wir hinausblicken in die Welt der Sinne, was ist denn hinter den Farben, was ist denn hinter den Tönen? Nicht Atome und Moleküle, sondern geistige Kräfte, die stoßen mit unseren geistigen Kräften zusammen und bilden so diesen Farben- und diesen Tonteppich, der um uns her ausgebreitet ist, oder auch diesen Wärmeteppich. Wenn also in Wahrheit das vorhanden ist, was ich schon in den achtziger Jahren in meiner Einleitung

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zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften gekennzeichnet habe: Die sich metamorphosierenden Empfindungen, und hinter diesen eine geistige Welt, dann werden wir dasjenige empfinden, was man sehen würde, wenn man jetzt von der Erde nach einem andern Stern fahren und von diesem Stern aus die Erde ansehen könnte. Da würde man nicht dasjenige sehen, was in unserer Umgebung ist an Bäumen, an Wolken, an Pflanzen und Tieren, da würde man nur wahrnehmen dasjenige, was innerhalb der menschlichen Haut ist; und das, was Sie in dem Stern sehen, ist nicht dasjenige, was die Wesen dieser andern Sterne sehen, denn das hat keine Bedeutung für einen fremden Stern. Das Licht, das Ihnen von andern Sternen entgegenstrahlt, ist nicht ein Vorgang in der äußeren Welt, das ist ein Vorgang in den Wesen, die diese Sterne bewohnen; geradeso wie das, was innerhalb Ihrer Haut ist> allein für das Schauen auf einem andern Stern von der Erde sichtbar ist. Wenn Sie das begreifen, dann werden Sie nicht mehr sagen: Die Erde ist aus einem Atomhaufen entstanden, der sich zusammengeballt hat. - Da bildet man sich Ideale, was soll aus solchen Idealen werden, wenn die Erde wieder übergeht in einen Atomhaufen? Verklungen, vergessen, vernichtet wäre die ganze moralische Welt, wäre alles, was jemals aus ethischen, sittlichen, religiösen Idealen aufgetaucht ist, wenn nur der Stoff, nur die Kraft ewig wären. Kraft und Stoff lösen sich auf in Empfindungen. Ewig ist der Geist, deri wir in uns selbst tragen, und dieser Geist erscheint auch physisch auf einem fremden Weltkörper.

Das, was außerhalb der Menschenhaut ist, ist gar nicht da für einen andern Weltkörper. Daher können wir sagen: Uns umgibt eine Natur; wir werden immer wieder und wieder geboren; die Natur wird nicht mehr da sein, die Natur wird einer andern Platz gemacht haben. Was von allem, das jetzt da ist, da Sein wird, ist nur das~emöge, was innerhalb der menschlichen Haut lebt. Aus einer tief intuitiven Erkenntnis heraus sagte daher Christus Jesus: «Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen!» Alles das, was du außen siehst, wird vergehen, aber meine Worte, die aus meinem Mund herauskommen, werden nicht vergehen, die werden bestehen!

Und nun blicken wir von diesem Gesichtspunkt aus auf die heutige Weltlüge hin! Da hören wir von den Kanzeln herab verkündigen, die

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Menschenseele sei unsterblich, da hören wir auf den Universitäten verkündigen, der Stoff und die Kraft seien ewig, und dann kommen die feigen Kompromißmenschen und wollen die beiden Dinge zusammen leimen. Ehrlich wäre nur, wenn diejenigen, die an die Ewigkeit des Stoffes glauben, sagen würden: Es gibt keine Ewigkeit der Seele - und diejenigen, die an die Ewigkeit der Seele glauben, die müssen die Ewigkeit des Materiellen leugnen, die müssen sich zu dem wahrhaft christlichen Wort bekennen: Hinmiel und Erde werden vergehen, aber meine Worte, das heißt der Inhalt meiner Seele, werden nicht vergehen! - Beide Dinge sind miteinander unvereinbar. Würde man mutig sein, so würden die materialistischen Universitätslehrer sagen, das Christentum gilt für uns nicht. Und diejenigen, die das Christentum zu verkündigen haben, würden um des Christentums willen den Materialismus der Universitäten bekämpfen müssen. Daß man es nicht tut, daß man die Dinge zusammenleimen will, das ist die große Lebenslüge unserer Zeit. Und wo die Gesinnung der Lügenhaftigkeit herrscht, da dehnt sich die Saat, da dehnt sich der Keim des Lügens aus, da schleicht er in die andern Lebensverhältnisse hinein. Das hat er genügend getan im Laufe der Zeit, weil man nicht neben der Postexistenz an Erkenntnis appellieren wollte, die unbedingt zur Präexistenz, zum vorgeburtlichen Leben hinweist. Weil man bloß von Postexistenz reden wollte, was nur an den Seelenegoismus, nicht an die Erkenntnis appelliert, daraus entspringt alle Unwahrhaftigkeit des Lebens, die heute auf so vielen Gebieten herrscht, weil sich der Geist des Unwahren nicht aufhalten läßt, wenn er unser Bestes, unsere innerste Überzeugung ergreift.

Aber nur im Zusammeiihang mit dem ganzen Menschenleben können diese Dinge richtig und voll gewürdigt werden. Das ganze Mittelalter und einen großen Teil der neueren Zeit hindurch sprach man von «richtig> und . Jeder Mensch glaubte selbstverständlich, er habe das Richtige, und was nicht damit übereinstimmte, sei das Unrichtige, und wenn die Menschen über das Richtige und Unrichtige sprachen, dann redeten sie vom Gesichtspunkte der Logik. Logik war der große Stolz der Menschheit. Heute ist es schon fast nicht mehr so. Von Amerika herüber ist eine Lehre gekommen, die bereits die Philosophie ergriffen und in Deutschland eine besonders groteske Form angenommen

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hat. Das ist nun nicht mehr die logische Lehre von Wahr und Falsch, das ist der sogenannte Pragmatismus, die Lehre vom Nützlichen. Man glaubt an eine Sache als wahr nicht deshalb, weil man sie logis durchschaut hat, sondern Leute wie James und andere sagen: Ach was,` wahr oder falsch ist nur ein anderer Ausdruck für das, was nützlich oder schädlich ist! - Wir merken, irgend etwas ist uns nützlich, deshalb sagen wir, es sei wahr; wir merken, irgend etwas sei uns schädlich, deshalb sagen wir, es sei falsch! In Deutschland hat sich dieses als die Philosophie des «Als ob> geltend gemacht, und es gibt wirklich ein dickes Buch darüber von einem gewissen Universitätsprofessor Vaihinger, der lange in Halle Philosophie gelehrt hat. Die Philosophie des «Als Ob» bedeutet ungefähr: Man weiß nicht, ob es Moleküle oder Atome gibt, aber es ist nützlich, die Welt so zu erklären, als ob es Atome gäbe; man weiß nicht, ob das Gute irgendeine ewige Bedeutung hat, aber es ist nützlich, die Welt so zu erklären; man weiß nicht, ob es einen Gott gibt, aber es ist nützlich für den Menschen, nützlicher als das Entgegengesetzte, die Welt so anzuschauen, als ob es einen Gott gäbe und so weiter. Ich drücke es nur mit ein paar paradigmatischen Worten aus. Diese Philosophie des «Als Ob» ist die deutsche Umgestaltung der amerikanischen Lehre, daß das Nützliche wahr und das Schädliche falsch ist.

Neben diesen Anschauungen gab es in allen alten Kulturen noch eine andere. Im späteren Griechentum war sie schon nicht mehr vorhanden; im älteren Griechentum ist sie für alle diejenigen, die diese Zeit nicht professorengemäß, sondern wahrheitsgemäß studieren, noch bemerkbar. Da redete man nicht im logischen Sinne von einer Anschauung, sie sei oder «falsch», da redete man von einer Anschauung so, daß man sagte, sie sei «gesund» oder die einen gesund oder krank machen, aber wenn wir von Seele und Geist reden, reden wir nicht mehr von gesund oder krank, da sind wir zum Abstrakten übergegangen, zur bloßen Theorie. In alten Kulturen hatte man die Empfindung, wenn irgend jemand etwas sagte, was richtig war: Das organisiert seinen Geist gut,

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da ist er gesund. - Wenn er etwas sagte, was schief war, was wir heüte abstrakt «falsch» nennen, da empfand man konkret: Das kommt aus einer kranken Seelenstimmung heraus. - «Gesund» und «krank», das war etwas, was man auch von der Seele sagte, was man von der Seele vor allen Dingen empfand. Aus dieser Empfindung heraus stammt das Wort, über das die Gelehrten später lange philologische Abhandlungen verfaßt haben, das Wort «Katharsis» in der griechischen Tragödie, ein Wort, das aus den Mysterien kommt. Katharsis geht nach Aristoteles in der Menschenseele vor sich, wenn sie eine Tragödie ansieht. Da wird Furcht und Mitleid erregt, damit Furcht und Mitleid zu einer Art Krisis, Katharsis führt, und der Mensch gereinigt wird in Furcht und Mitleid. Da wird der Vorgang, der in der Menschenseele vorgeht, indem sie eine Tragödie ansieht, wie ein Gesundungsprozeß aus der erkrafteten Seele heraus geschildert. Da haben Sie in der Ästhetik, in der Kunst, noch drinnen den Begriff des Gesund- und des Krankmachenden.

Dazu müssen wir wieder zurückkommen! Wir müssen wieder den Begriff bekommen davon, daß das, was wir im Abstrakten das Richtige nennen, davon herkommt, daß die Seele, die heruntersteigt aus dem vorgeburtlichen Dasein, den Körper bezwingt, daß sie ihn organisieren kann, daß er sich als plastisches Material den Seelenkräften fügt, die ihn gesund machen. Das ist das Wahre. Was aus einer Seele kommt, die ihren Körper nicht als Apparat gebrauchen kann, die sich schief äußert, dunkel äußert durch ihren Körper, das ist das Seelisch-Kranke. Wir müssen wieder lernen die Begriffe wahr und falsch durch gesund und krank zu ersetzen. Wir müssen wieder empfinden jenen inneren Schmerz, der uns überkommen kann, wenn irgend jemand unrichtige Ansichten äußert, wir müssen empfinden die innere Befriedigung am Wahren. Das aber werden wir nicht, bevor wir nicht ebenso vom vorgeburtlichen Dasein sprechen, wie wir vom nachtodlichen Dasein sprechen, bevor wir nicht lernen, ein Wort wie Ungeborenheit ebenso zu gebrauchen wie Unsterblichkeit, was beweist, wie weit wir abgekommen sind von der Erkenntnis jener geistigen Welt, der der Mensch eigentlich entstammt.

Solche Dinge, die ich heute nur kurz zusammengefaßt habe, finden Sie eingehender in mannigfaltigen Ausführungen in Zyklen und

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Büchern dargestellt. Aus solchen Betrachtungen können Sie ersehen, was es für einen Umschwung in der ganzen Verfassung der Menschenseele bedeuten wird, wenn dasjenige, was der Nerv der Geisteswissenschaft ist, die menschlichen Gemüter wirklich ergreift, wenn die Menschen in der Welt mit einem solchen Bewußtsein ihres Wesens herumgehen werden, wie es ihnen werden kann aus der Geisteswissenschaft heraus. Die Menschen fronen heute nur dem Egoismus der Seele, der eine Postexistenz festhalten will, sie wollen nicht vordringen zum eigentlichen Ergreifen der Menschenseele, die vor der Geburt ebenso Erlebnisse hatte, wie sie nach dem Tode Erlebnisse haben wird. Die ganze, volle Ewigkeit der Menschenseele begreift nur der, der nicht nur von einer Unsterblichkeit, sondern von einer Ungeborenheit aus der Erkenntnis heraus reden kann. Glauben können wir, weil der Glaube immer aus dem Wunsche an das nachtodliche Leben kommt, wissen können wir von dem vorgeburtlichen und von dem nachtodlichen Leben als zwei Dingen, die voneinander untrennbar sind. Erkenntnis geht auf die volle Wesenheit der Menschenseele, Glaube geht nur auf die Post-mortemExistenz. Das ist es, was der Mensch erobern muß: Erkenntnis des Geistigen; das ist es aber, wogegen sich die gegenwärtigen Menschen so stemmen. Wirkliche Erkenntnis der geistigen Welt kann nur aus der Geisteswissenschaft fließen. Aus ihr wird kommen eine Verfassung der Menschenseele, die gesund ist, nicht bloß wahr ist, und die physische Gesundung wird ein notwendiges Ergebnis der geistigen Gesundung sein. Dann wird der Mensch nicht wie die heutige Geologie die Erde anschauen als eine große mineralische Kugel, sondern wird sie ansehen als Geistwesen, in welchem er selber ein Glied ist. Das ist es, worauf wir hinarbeiten müssen.

Dies sollte den ersten Teil meiner heutigen Betrachtungen bilden.

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HINWEISE

Textgrundlagen: Die von Rudolf Steiner in Dornach gehaltenen Vorträge wurden von der Berufsstenographin Helene Finckh, die Ansprache in Berlin und der in Berlin gehaltene Vortrag von Walter Vegelahn mitstenographiert und in Klartext übertragen. Dieser Text liegt der Herausgabe zugrunde.

Änderungen gegenüber der 1. Auflage von 1967: Unter Hinzuziehung der Originalstenogramme wurden einige Textkorrekturen vorgenommen. Eine Übersicht folgt im AnscMuß an die Hinweise, S. 309.

Die Inhaltsangaben wurden erweitert, die Hinweise ergänzt. Ferner wurde ein Personenregister hinzugefügt.

Der Titel des Bandes stammt vom Herausgeber der ersten Auflage.

Zeitschriftenveröffentlichungen

Die Dornacher Vorträge, ausgenommen diejenigen vom 8. und 27. August 1920, waren abgedruckt in den «Blättern für Anthroposophie», 6. Jg. 1954 und 7. Jg. 1955. Die Vorträge vom 3., 4. und 5. September waren außerdem veröffentlicht in «Das Goetheanum», 9. Jg. 1930, Nr. 3~0; 16. Jg. 1937, Nr. 57 und 9-10.

Werke Rudolf Steiners innerhalb der Gesamtausgabe (GA) werden in den Hinweisen mit der Bibliographie-Nummer angegeben. Siehe auch die Übersicht am Schluß des Bandes.

Zu Seite

9 bei meiner Ankunft hier: Rudolf Steiner verweist damit auf seine Rückkehr von Stuttgart, wo er in der Zeit vom 24. Juli bis 2. August einen öffentlichen Vortrag und zwei Vorträge vor Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft gehalten hatte; hinzu kamen noch Konferenzen mit den Lehrern der Freien Waldorfschule, Besprechungen im Zusammenhang mit Dreigliedertingsaktivitäten sowie Ansprachen in der Waldorfschule und in «Der Kommende Tag AG« und anderes.

Waldo`J`scbule: Sie wurde als einheitliche Volks- und höhere Schule von Emil Molt, Direktor der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, und Rudolf Steiner, der die Leiwng bis zu seinem Tod im März 1925 innehatte, im Jahre 1919 gegründet. Auf der Grundlage der von ihm entwickelten Menschenkunde und Erziehungskunst arbeiten heute über 200 Schulen in Europa und in Übersee. - Siehe Rudolf Steiners Vorträge über Erziehungskunst, innerhalb der Gesamtausgabe in den Bänden Bibl.-Nrn. 295311.

l0 Walter Johannes Stein, 1891-1957, Caroline von Heydebrand, 188~1938; beide seit 1919, dem Gründungsjahr, Lehrer an der Freien Waldorfschule in Stuttgart.

13 von unserem Freunde Molt: Dr. h.c. Emil Molt, Kommerzienrat, 18761936. Siehe auch den Hinweis zu S. 9: Waldorfsihule.

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16 in meiner Einleitung zum dritten Bande: Siehe die «Vorrede« und die «Einleitung» zu «Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften«, herausgegeben und kommentiert von Rudolf Steiner in «Kürschners Deutsche National-Literatur«, Bd. 116, 1890, S. I-XXX. Buchausgabe der Einleitungen zu allen Bänden innerhalb der Rudolf Steiner-Gesamtausgabe unter dem Titel «Goethes Naturwissenschaftliche Schriften«, CA BibI.-Nr. 1. Nachdruck der fünf Bände von Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften nach der Erstauflage in «Kürschners Deutsche National-Literatur» als GA Bibl.-Nr. 1 a-e im Jahre 1975 erschienen. Sonderausgabe Dornach 1982.

22 «Die Pforte der Einweihung (Initiation). Ein Rosenkreuzermysterium«, Mysteriendrama von Rudolf Steiner (1910). Siehe «Vier Mysteriendramen«, GA Bibl.Nr. 14; Taschenbuchausgabe in zwei Bänden, TB 607 und 608.

24 die Jesuiten . . . in ihren Blättern: Siehe «Stimmen der Zeit«, Freiburg i. Br.

1918-1920: Otto Zimmermann S. J., Josef Kreitmaier S. J., Konstantin Noppel S. J.

26 Pfarrer Kul/y: Max Kully (187~1936), katholischer Pfarrer von Arlesheim bei Basel; unter dem Pseudonym «Hilarius«: «Drei Irrlichter« in «Katholisches Sonntagsblatt des Kantons Baselland und seiner Umgebung«, Basel 1920, Nr. 23 (6. Juli): «Heute tauchen vornehmlich drei Irrlichter auf- derJud, der Freimaurer und der Theosoph. «

Ich möchte Ihnen eine kleine Stelle vo4esen: Trotz eingehender \achft>rschungen war die Quelle des Artikels nicht auffindbar.

31 wenn Sie sich an den Zyklus erinnern, den ich 1910 in Kristiania gehalten habe: Siehe Rudolf Steiner «Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhange mit der germanisch-nordischen Mythologie«, CA Bibl.-Nr. 121. Taschenbuchausgabe TB 613.

33 W/adimir Iljitsch Lenin, eigentlich Uljanow, Simbirsk 187~1924 Gorki bei Moskau, Griinder der UdSSR, bedeutendster Theoretiker des dialektischen Materialismus. Aus russischem Bauernadel stammend, Führer der Bolschewisten, wurde im November I917 Vorsitzender des Rates der Volkskommissare und zum Gründer der Sowjetunion (1922), deren Regierungschef er bis zum Tode blieb.

Lew Trotzkij (Leib Bronstein), 18791940, engster Mitarbeiter von Lenin, wurde 1929 von Stalin verbannt, emigrierte nach Mexiko, starb dort durch Attentat.

jenen Vortragszyk/us. . . « Von Jesus zu Christus«: Elf Vorträge, darunter ein einleitender öffentlicher Vortrag. Karlsruhe 4. bis 14. Oktober 1911, CA Bibl.-Nr.

131. Taschenbuchausgabe TB 645.

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38 Ludwig Büchner, 18241899, Arzt; schrieb u. a. «Kraft und Stoff«, 1855; «Die Stellung des Menschen in der Natur«, 1869; «Gott und die Wissenschaft«, 1897.

Jacob Mo/eschott, 1822-1893, Physiologe; schrieb u. a. «Der Kreislauf des Lebens«, 2 Bde.

Car/ Vogt, 1817-1895, Zoologe; schrieb u. a. «Zoologische Briefe«, 1851-52; «Köhlerglaube und Wissenschaft«, 1854; «VorIesungen über den Menschen«, 1863.

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41 Dreigliederung des sozialen Organismus: Da sich der Einheitistaat sowohl monarchistischer als auch parlamentarischer Prägung als unfähig erwiesen hat, die drängenden sozialen Fragen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zu Iösen, entwickelte Rudolf Steiner im Jahre 1917 die «Dreigliederung des sozialen Organismus». Dieser zufolge sollte das gesamte öffentliche Leben wesensgemäß in die drei Gebiete des Geisteslebens, Wirtschaftslebens und Rechtslebens gegliedert werden. In Anlehnung an die 1deale der Französischen Revolution «Freiheit», «Gleichheit», «Brüderlichkeit» ordnete er dem Geistesleben das Freiheitsprinzip, dem Rechtsleben das Gleichheitsprinzip und dem Wirtschaftsleben das Brtiderlichkeitsprinzip zu. - Siehe hierzu seine grundlegende Schrift aus dem Jahre 1919 «Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft», GA Bibl.-Nr. 23, Taschenbuchausgabe TB 606; «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 191~1921», GA Bibl.-Nr. 24. Siehe innerhalb der Gesamtausgabe auch die Bände Bibl.-Nrn. 328-341; ferner die Schriftenreihe «Beiträge zur Rudolf Steiner-Gesamtausgabe» (vormals «Nachrich

- ten der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung») Heft 15, 24/25, 27/28 und 88.

42 «Ein jeglicher muß seinen Helden wählen . . . ». Worte des Pylades in Goethes «lphigcnie auf Tauris.., ll. Aufzug, l. Auftritt.

44 Ich habe einmal vor jahren über die Charakteristik der Gesamtsinnenwelt des Menschen gesprochen: Siehe Rudolf Steiner «Anthroposophie, Psychosophie, Pneumatosophie«, GA Bibl.-Nr. 115; «Der menschliche und der kosmische Gedanke«, GA BibI.-Nr. 151; «Kosmische und menschliche Geschichte«, Bd. I und II, GA Bibl.-Nrn. 170 und 171. Siehe auch die Schriftenreihe «Beiträge zur Rudolf Steiner-Gesamtausgabe«, Heft 14, 34 und 58/59.

49 «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» (1904), CA Bibl.-Nr. 10; Taschenbuchausgabe TB 600. Zu den Begriffen Imagination, Inspiration und Intuition siehe auch die Schrift «Die Stufen der höheren Erkenntnis» (1905), CA BibI.Nr. 12.

57 Mystiker: Siehe hierzu Rudolf Steiners Schrift «Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung» (1901), GA Bihl.-Nr. 7; Taschenbuchausgabe TB 623.

Mechthild von Magdeburg, 1207-1290, Mystikerin; schrieb «Fließendes Licht der

Gottheit«.

Heilige Therese: Theresia von Jesu, 15131582, spanische Heilige.

johannes vom Kreuz (Juan de la Cruz), 1542-1591, Mystiker, TheoIoge, Reformator des Karmeliterordens.

Meister Eckhart, I26O~l327, Dominikaner, Mystiker.

johannes Tau ler, l30~I361, Schüler Meister Eckharts, Mystiker, Dominikanerprediger.

58 Charles Webster Leadbeater, 1847-1934. Theosophischer Schriftsteller und engster Mitarbeiter Annie Besants. Verfaßte u. a. «Die Devachan-Ebene. Ihre Charakteristik und ihre Bewohner», Leipzig o. J., Th. Grieben`s Verlag.

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60 Oswald Spengler, 1 88~1 936. «Der Untergang des Abendlandes», München 1922.

61 aus den gestrigen Darlegungen von Dr. Boos: Eine Nachschrift befindet sich im Nachlaß von Roman Boos. In der von Anna-Maria Balaster-von Wartburg 1973 im Verlag «Die Pforte» herausgegebenen Bibliographie der Werke von Roman Boos ist folgender Titel (vgl. S. 83) angegeben: «Über den Zusammenhang der anthroposophischen Geistesrichtung und der Dreigliederungsarbeit». Roman Boos (18891952) hatte den für Freitag, den 13. August 1920, vorgesehenen Vortrag Rudolf Steiners übernommen und den Inhalt seiner Ausführungen Rudolf Steiner, dessen Rückkehr von einer Reise sich verzögert hatte, mündlich referiert.

62 Zeitungsäußerungen der letzten Tage: Diese Zeitungsäußerungen betrafen die durch die französische, deutsche und schweizerische Presse gehende Nachricht, daß der deutsche Außenminister Simons sich gegenüber dem Berichterstatter des «Impartial» als Anhänger der von Rudolf Steiner vorgeschlagenen Reform («Dreigliederung des sozialen Organismus») bekannt habe (vgl. u. a. «Basler Nachrichten« 1920, Nr. 345, 14. Aug., worin diesbezüglich ein entsprechender Artikel der «Vossischen Zeitung« vom 6. August zitiert ist). Im Vortrag vom 22. April 1921 in Dornach hat Dr. Steiner, veranlaßt durch einen besonders plumpen Artikel, in welchem Simons als «Lieblingsschüler des Theosophen Steiner» bezeichnet wird, folgendes geäußert: «In derjenigen Wochenschrift, die zumeist der Ausdruck ist einer weitverbreiteten öffentlichen Meinung, sehen wir in der letzten Nummer Stimmung gemacht gegen das, was Simonssche Politik ist. Selbstverständlich hat anthroposophische Geisteswissenschaft ebensowenig wie irgend etwas zu tun mit der Simonsschen Politik. Aber zusammengeworfen wird heute aus einem tiefen Unwährhaftigkeitsgeiste heraus anthroposophische Geisteswissenschaft mit Simonsscher Politik. »

63 was ich letzten Sonntag hier. . . vorgebracht habe: Siehe den dritten Vortrag dieses Bandes.

64 was ich ja vor eine große Anzahl von Ihnen bereits h in ges teIlt habe: Siehe den in Dornach am 28. März 1920 gehaltenen Vortrag, in: »Heilfaktoren für den sozialen Organismus», GA Bibl.-Nr. 198.

65 Herman Grimm, 18251901. Das Zitat lautet wörtlich: »Längst hatte, in seinen (Goethes) Jugendzeiten schon, die große Laplace-Kantsche Phantasie von der Entstehung und dem einstigen Untergange der Erdkugel Platz gegriffen. Aus dem in sich rotierenden Weltnebel - die Kinder bringen es bereits aus der Schule mit - formt sich der zentrale Gastropfen, aus dem hernach die Erde wird, und macht, als erstarrende Kugel, in unfaßbaren Zeiträumen alle Phasen, die Episode der Bewohnung durch das Menschengeschlecht mit einbegriffen, durch, um endlich als ausgebrannte Schlacke in die Sonne zurückzustürzen; ein langer, aber dem heutigen Publikum völlig begreiflicher Prozeß, für dessen Zustandekommen es nun weiter keines äußeren Eingreifens mehr bedürfe, als die Bemühung irgendeiner außenstehenden Kraft, die Sonne in gleicher Heiztemperatur zu erhalten.

Es kann keine fruchtlosere Perspektive für die Zukunft gedacht werden, als die, welche uns in dieser Erwartung als wissenschaftlich notwendig heute aufgedrängt werden soll. Ein Aasltsiochen, um den ein hungriger Hund einen Umweg machte, wäre ein eririschendes appetitliches Stück im Vergleiche zu diesem letzten Schöpfungsexkrement, als welches unsere Erde schließlich der Sonne wieder anheimfiele, und es ist die Wißbegier, mit der unsere Generation dergleichen aufnimmt und zu

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glauben vermeint, ein Zeichen kranker Phantasie, die als ein historisches Zeitphänomen zu erklären die Gelehrten zukünftiger Epochen einmal viel Scharfsinn aufwenden werden.

Niemals hat Goethe solchen Trostlosigkeiten Einlaß gewährt. »

Goethe-Vorlesungen, 2. Bd.; 8. Aufl., Berlin 1877, 23. Vorl. S. 17I f.

66 Gesetz von der Erhaltung des Stoffes und der Kraft: Aufgestellt im Jahre 1842 von Julius Robert Mayer (18141878) dem Arzt und Naturforscher, wobei jedoch zu beachten ist, daß «die Sache nicht in der feingeistigen Art, wie sie bei Mayer behandelt wird, in die Menschenseelen übergegangen ist, sondern in einer viel gröberen Weise (Joule, Helmholtz)« (Rudolf Steiner, «Erdensterben und Weltenleben», GA Bibl.-Nr. 181, 12. Vortrag). Vergleiche hierzu auch «Robert Mayer über die Erhaltung der Kraft«, Vier Abhandlungen Mayers, herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Dr. A Neuburger, Leipzig o. J.

67 Adolf von Harnack, 1851-I930. Das Zitat lautet wörtlich: «Nicht der Sohn, sondern allein der Vater gehört in das Evangelium, wie es Jesus verkündet hat, herein», nach: «Das Wesen des Christentums«, Leipzig 1900.

73 in meinem kleinen Büchelchen: Rudolf Steiner, «Durch den Geist zur Wirklichkeits-Erkenntnis der Menschenrätsel: Philosophie und Anthroposophie. Vier Märchen (aus den Mysteriendramen). Anthroposophischer Seelenkalender. Der Seelen Erwachen, 7. und 8. Bild«, Berlin 1918. Zusammengestellt auf Bitten von Freunden für die deutschen Frontsoldaten.

74 letzten Sonntag: Siehe den dritten Vortrag dieses Bandes.

was ich in meinem Kommentar zum dritten Bande von Goethes naturwissenschaftlichen Schriften. . . hervorgehoben habe: Siehe Hinweis zu S. 16.

75 was ich hier neu/ich angedeutet habe: Siehe den zweiten Vortrag dieses Bandes.

76 johannes vom Kreuz, Mechthild von Magdeburg, johannes Tau/er und Meister

Eckhart: Siehe Hinweise zu S. 57.

79 was morgen hier über die Bildung des sozialen Urteils vorzubringen sein wird: Siehe den öffentlichen «Diskussionsabend« über Dreigliederung mit einleitendem Vortrag von Rudolf Steiner: «Urteilsbildung in den drei Gliedern des sozialen Organismus«, «Gegenwart«, 12. Jg. (1950/51), Heft 7 u. 8/9.

johann Gottlieb Fichte, 1762-1814. Das Zitat lautet wörtlich «Was für eine Philosophie man wähle, hängt... davon ab, was man für ein Mensch ist; denn ein philosophisches System ist nicht ein roter Hausrat, den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des, der es hat. » Aus «Erste und zweite Ein1eitung in die Wissenschaftslehre und Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre«, 1797 (1. Einleitung, Abschn. 5).

81 Ich habe früher angedeutet: Siehe Rudolf Steiner «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit. Geisteswissenschaftliche Ergebnisse über die Menschheits-Entwickelung«, GA Bibl.-Nr. 15, Taschenbuchausgabe TB 614.

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81 wie zum Beispiel Max Dessoi>, 1867-1947, Professor für Philosophie in Berlin; Herausgeber der «Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft». Schrieb u. a. «Vom Jenseits der Seele. Die Geheimwissenschaften in kritischer Betrachtung», Stuttgart 1917. Siehe auch das 2. Kapitel «Max Dessoir über Anthroposophie» in Rudolf Steiners Schrift «Von Seelenrätseln», GA Bibl.-Nr. 21, Taschenbuchausgabe TB 637.

83 Hans Vaihinger,1852-1933, «Die PhiIosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus. Mit einem Anhang über Kant und Nietzsche», Berlin 1911.

84 Wilhelm jerusalem,1842-1910, der 1908 eine Übersetzung der Schrift «Der Pragmatismus« von William James herausgegeben hat, hat die Gedanken der Zitate mehrfach niedergelegt, u. a. in seiner Schrift «Einleitung in die Philosophie«, 5. u. 6. Aufl., Wien 1913. Das von Rudolf Steiner angeführte Zitat ist aus Jerusalems Schrift «Der kritische Idealismus und die reine Logik», 1905, S. 162 ff.

88 eine ganze Reihe von Vorträgen:Siehe Rudolf Steiner, «Zeitgeschichtliche Betrachtungen«, I. Teil, GA Bibl.-Nr. 173.

in den nüchternen englischen Zeitungen: «The Morning Post», London 1920 (12.-30. Juli). - Auch als Flugschrift erschienen mit dem Titel «The Causes of World Unrest», London 1920 (mit einer Einleitung des Herausgebers der «Morning Post»).

92 Bimeta/lismus:Doppelwährung, Währungssystem auf der Basis zweier Währungsmetalle (meist Gold und Silber); seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts meist von der Goldwährung abgelöst.

93 in einigen Zyk/en:Siehe zum Beispiel Rudolf Steiner, «Ägyptische Mythen und Mysterien und ihre Beziehung zu den wirkenden Geisteskräften der Gegenwart», CA Bibl.-Nr. 106.

95 meiner Einleitung zum Farben/ehre-Band: Siehe Hinweis zu S. 16.

98 Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt,GA Bibl.-Nr. I53.

99 Johannes Scotus Erigena, um 810 bis um 877; Übersetzer der Schriften des Dionysius Areopagita; Verfasser von «De divina praedestinatione», «De divisione naturae«. I225 wurde vom Vatikan das Verbrennen aller seiner Schriften angeordnet.

102 «Die Kernpunkte der sozialen Frnge»: Siehe Hinweis zu S. 41.

Sophie Chefte`/e, «Les forces morales aux Etats-Unis (l`e`glise, I`ecole, Ia femme)», Paris 1920, S. 77.

104 Rene` Marchand: Die Quelle des Zitates war nicht auffindbar.

ich habe Ihnen ja gezeigt: Siehe Rudolf Steiners Vortrag vom 2. Juli 1920 in

Dornach: «Oswald Spenglers . Die Notwendigkeit einer neuen Initiationsweisheit. Appell an das Wollen», in «Heilfaktoren für den sozialen Organismus», GA Bibl.-Nr. 198.

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105 David L/oyd George, 1863-1945, englischer Staatsmann, Premierminister von 1916 bis 1922

Eugine C/emenceau, 1841-1929, französischer Staatsmann.

Philipp Scheidemann, 1 86~1 939. Von Februar bis Juni 1919 deutscher Reichskanzler.

Henrik Ibsen, 1 82~1 906, norwegischer Dichter.

Fedor Michai/owitsch Dostojevskij, 1821-1881, russischer Dichter.

Lev To/stoj, 1828-1910, russischer Dichter.

106 Gerhart Hauptmann, 1862-1946, Schauspiel «Die Weber», Berlin 1892.

111 Johann Gott/ieb Fichte, 1762-1814, «Appellation an das Publikum über die ihm beigemessenen atheistischen Äußerungen«, 1799, S. 46.

114 Rabindranath Tagore, 1861-1941, indischer Dichter und Religionsphilosoph.

115 Francis Baco von Verulam, 1 561-1 626, englischer Philisoph und Staatsmann, Begründer des Empirismus

Thomas Hobbes, 1588-1679, englischer Philosoph.

Adam Smith, 17231790, englischer Philosoph und Soziologe.

john Stuart Mill, 18061873, englischer Philosoph und Nationalökonom, einer der Begründer des Positivismus.

Hen`y Thomas Buckle, 1821-1862, englischer Kulturgeschichtsschreiber.

David Hume, 1711-1776, englischer Philosoph und Staatsmann.

John Locke, 1632-1704, englischer Philosoph.

117 «Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umnß dargestellt» (1914), CA

Bibl.-Nr. 18, Taschenbuchausgabe TB 610/611.

118 Ma`y Baker-Eddy, 1821-1910, Gründerin der «Christian Science«.

119 Herbert Spencer, 18201903, englischer Philosoph.

jeremy Bentham, 1748-1832, englischer Rechtsgelehrter, Begründer der Nützlichkeitsphilosophie.

Thomas Reid, 17101796, schottischer Philosoph.

124 Ralph Wa/do Trine, 18661958, amerikanischer Schriftsteller.

Woodrow Wi/son, 18561924, Präsident der USA 19131921. Proklamierte in einer Ansprache vor dem Amerikanischen Kongreß am 8. Januar 1918 ein in vierzehn Punkte zusammengefaßtes «Programm des Weltfriedens«. Ubersetzung in «Die Reden Woodrow Wilsons«, englisch und deutsch, Bern 1919.

Prinz Max von Baden, 18661929, wurde im Herbst 1918 deutscher Reichskanzler und richtete am 5. Oktober 1918 ein Friedensangebot an Präsident Wilson auf Grundlage von dessen «Vierzehn Punkten«.

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125 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, 177~1831; vollständige Ausgabe von Hegels Werken, Berlin 1832-1844.

Eduard von Hartmann, 1842-1906, Philosoph.

132 Rabindranath Tagore: Siehe Hinweis zu S. 114.

Fichtes Satz: Siehe Hinweis zu S. 11 l.

133 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Siehe Hinweis zu S. 125.

134 jenes scho/astische Buch . . ., das ich hier einmal vorgezeigt habe: Alfons Lehmen SJ, 1847-1910, «Lehrbuch der Philosophie auf aristotelisch-scholastischer Grundlage«, 1. Bd.: Logik, Kritik, Ontologie, 4. verb. Aufl. (hrg. v. P. Beck SJ), Freiburg i. Br. 1917; vergleiche dazu den Vortrag vom 10. Juli 1920, in Rudolf Steiner, «Heilfaktoren für den sozialen Organismus», GA Bibl.-Nr. 198.

135 Bentham, John Stuart Mill etc.: Siehe die Hinweise zu den Seiten 115 u. 119.

139 Heinrich Marianus Deinhardt, 1821-1879, «Beiträge zur Würdigung Schillers. Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen». Neu herausgegeben von G. Wachsmuth, Stuttgart 1922.

Ra!ph Wa/do Trine: Siehe Hinweis zu S. 124.

Orison Swett Marden, 1 85-1924, amerikanischer Schriftsteller.

144 wonach wir jetzt arbeiten möchten durch die Herbstkurse: Erster anthroposophischer Hochschulkurs am Goetheanum in Dornach, vom 27. September bis 16. Oktober 1920. In diesem Zeitraum fanden etwa 100 Vorträge und künstlerische Veranstaltungen statt. Neben einigen Vorträgen über künstlerische Fragen und den Goetheanumbau hielt Rudolf Steiner die Vortragsreihe «Grenzen der Naturerkenntnis«, GA Bibl.-Nr. 322.

Vortrag des Grafen Polzer: Ludwig Graf von Polzer-Hoditz, 1869-1945; später gedruckt als «Der Kampf gegen den Geist und das Testament Peters des Großen», Stuttgart 1922.

145 Friedrich Wi/he/m Schelling, 1 77~1 854.

Friedrich Hölderlin, 1 77~1 843.

Johann Gott/ieb Fichte, 1762-1814.

149 Meister Eckhart, Johannes Tau/er: Siehe Hinweise zu Seite 57.

wenn man die tieferen okku/ten Untergründe kennt, von denen ich vor einigen

Tagen hier gesprochen habe: Siehe den vierten Vortrag dieses Bandes.

Daher nennt Hegel auch den Inhalt seiner «Logik»: Siehe «Wissenschaft der Logik«, 1. Teil, «Die objektive Logik. Einleitung: Allgemeiner Begriff der Logik«. Wörtlich heißt es dort: «Die Logik ist sonach als das System der reinen Vernunft, als das Reich des reinen Gedankens zu fassen. Dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie ohne Hülle an und für sich selbst ist. Man kann sich deswegen ausdrücken, daß dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist. »

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150 Karl Rosenkranz, 180~1879, Philosoph und Literaturhistoriker. «Hegels Leben», Berlin 1844; Vorrede S. XII ff.

152 unseren Bau: Siehe Rudolf Steiner, «Der Baugedanke des Goetheanum» (mit Bildern vom ersten Goetheanum), Stuttgart 1985. Siehe auch «Wege zu einem neuen Baustil«, GA Bibl.-Nr. 286.

154 merkwürdigen Satz: Wörtlich: «Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.« Vorrede zu den «Grundlinien der Philosophie des Rechts . . .« (1821).

157 Artikel... in den «Hallischen Nachrichten»: Prof. Paul Menzer: «Abbau der Universitäten?« «Hallische Nachrichten« 1920, 32. Jahrg., Nr. 180 (18. Aug.).

158 Ludwig Plate, 1862-1937.

an Haecke/s 60. Geburtstag wurde dieses Phy/etische Museum gegründet: Das Phyletische Museum der Universität Jena wurde 1907 gegründet und war laut Gründungsurkunde «bestimmt für den Ausbau und die Verbreitung der Entwicklungslehre sowie der Morphologie und Anthropologie». Haeckel hatte bereits 1886 den Museumsplan mit Hilfe der sog. Ritterstiftung verwirklichen wollen, war aber am Widerstand des Geldgebers Paul von Ritter gescheitert. Es ist sehr wohl möglich, daß Haeckel an seinem 60. Geburtstag im Beisein von Dr. Steiner über dieses Museumsvorhaben gesprochen hat. Zum 60. Geburtstag Haeckels sammelten seinen Schüler und Freunde Geld für eine Marmorbüste. Dabei kam mehr Geld ein als gebraucht wurde. Dieser Überschuß von 1894 in Höhe von 10 000 Mark war bei der Gründung des Museums noch vorhanden und wurde in das Gründungskapital mit übernommen. In einer Fußnote zu einem Brief von Haeckel an Carneri vom 21. 3. 1907 schreibt der Herausgeber der Briefe, Georg Uschmann: «Von großer Bedeutung für die Popularisierung der Entwicklungslehre war die Errichtung des in Jena. Schon lange schwebte Haeckel der Gedanke einer solchen vor, d. h. einer öffentlichen Schausammlung, in welcher die wichtigsten auf die Phylogenie bezüglichen Tatsachen zweckmäßig zusammengestellt und durch beweisende Objekte, Präparate, Bilder, Erklärungen dem Verständnis nähergebracht werden. Die erforderlichen Geldmittel kamen durch Stifrungen zusammen. «

Von diesen Verhältnissen wußte Rudolf Steiner.

Nachricht der /etzten Tage: E. F. «Haeckel und - Plate«, «Berliner Tageblatt«, Ahendausgabe vom 19. August 1920.

und als Haecke/protestierte: Der Artikelschreiber E. F. geht mit seiner Schilderung an dem wirklichen Sachverhalt vorbei. Vergleiche hierzu die Darstellung Heilborns auf S. 12 u. 13 seiner Schrift «Die Lear-Tragödie Ernst Haeckels«: «Eine der ersten Amtshandlungen Plates nach seiner Übersiedlung war die Forderung, Haeckel solle unverzüglich sein Arbeitszimmer im Zoologischen Institut räumen. Der greise Forscher war damals wieder einmal von schwerem Rheumatismus heimgesucht. Um Plates Verlangen erfüllen zu können, mußte er sich in das Institut hinübertragen lassen, wie mir der Instirutsdiener, der treue, alte Pohle, mit grimmiger Verwünschung Plates unter Tränen erzählte, und im Beisein Pohles und der Tochter Haeckels ging dieser übereilte Umzug vor sich, bei dem es galt, die Briefe, Akten, Bücher usf. hinüber ins Phyletische Museum zu schaffen. Nach zwei Tagen

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war alles drüben, und Haeckel stand gerade in seinem Arbeitszimmer, als auch der neue Museumsdirektor alsbald erschien und erklärte, er nehme für seine Mäusezucht, 84 Kisten mit lebenden Mäusen, zu Vererbungsversuchen aus Berlin mitgebracht, das Assistentenzimmer des Museums in Anspruch. Haeckel - ich benütze hier seine eigenen, bisher noch unveröffentlichten Aufzeichnungen - protestierte dagegen wegen des unleidlichen Schmutzes und Gestankes dieser Zuchtanstalt, fragte, ob diese Mäusezucht denn wirklich nirgendwo anders in Jena als gerade in dem funkelnagelneuen Museum untergebracht werden könnte und schlug vor, ein Zimmer (das sogenannte Ceylonzimmer) im Zoologischen Institute hierfür zu wählen. Das wollte Plate aber nicht, weil der üble Geruch ihm im anstoßenden Laboratorium zu lästig würde. Als Haeckel darauf meinte, er dürfe bei der Einrichtung des Phyletischen Museums, das ja andern Zwecken diene als einer Mäusezucht, doch wohl auch noch etwas mitzureden haben, zumal das Museum ihn zwei Jahre Lebensarbeit und einen Teil seines Vermögens gekostet habe, erklärte Plate, sich in seiner ganzen Würde fühlend: Es kam zu einem heftigen Wortstreit, und der greise Haeckel sagte schließlich: Das war der Auftakt zu der Lear-Tragödie. Das war der erste Dankeszoll des und der erste Ausdruck seiner !»

159 Ottokar Lorenz, 1832-1904, österreichischer Historiker.

Gustav Schwa/be, 18441916. Direktor des Anatomischen Instituts in Jena von 1873 bis 1880. Schrieb u. a. ein «Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane», Erlangen 1886.

175 Oswald Spengler: Siehe Hinweis zu S. 60.

176 Leadbeater: Siehe Hinweis zu S. 58.

177 Der Schluß des Vortrags bezieht sich auf damals aktuelle Angelegenheiten der Mitgliedschaft und wird zusammen mit ähnlichen Textstellen in einem gesonderten Band der Gesamtausgabe erscheinen.

188 Friedrich Wilhelm Nietzsche, l 8441 900.

Die Weltgeschichte betrachtete Nietzsche so: Siehe hierzu seine «Unzeitgemäßen Betrachtungen«, 1873.

Trotzkij und Lenin: Siehe die Hinweise zu S. 33.

192 was gesagt worden ist über die Differenzierung der Menschheit über die zivilisierte Erde hin: Siehe den siebenten Vortrag dieses Bandes.

195 Rabindranath Tagore: Siehe Hinweis zu S. 114.

196 Spencer, Bentham: Siehe die Hinweise zu S. 119.

die Hux/eyschen Versuche, zu einem sozialen Denken zu kommen: Thomas H. Huxley, l82~1895; eine Sammlung seiner Essays erschien 1893-94 in 9 Bänden; deutscher Auszug mit Einleitung v. A. Tille als «Soziale Essays», 1897.

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196 Hege/s Buch über das Naturrecht oder die Staatswissenschaften: «Grundlinien einer Philosophie des Rechts», 1821.

Fichtes Rechtsphi/osophie: « Grundlage des Naturrechts«, 1796.

207 « Th eosophie. Einführung in die übersinn/iche We/terkenntnis und Menschenbestimmung«, GA Bibl.-Nr. 9, Taschenbuchausgabe TB 600.

223 Spengler: Siehe Hinweis zu S. 60.

226 Bacon: Bacon von Verulam, siehe Hinweis zu S. 115.

227 Hux/ey: Siehe Hinweis zu S. 196.

Spencer: Siehe Hinweis zu S. 119.

235 A. W. Lunatscharskij, 1875-1933, russischer Schriftsteller und Politiker.

Hegel, über den ich gesprochen habe: Siehe den neunten Vortrag dieses Bandes.

«Himmel und Erde werden vergehen.. .»: Matth. 24, 35; Mark. 13, 31; Luk. 21, 33.

237 Dem Vortrag ließ Rudolf Steiner noch einige Mitteilungen folgen, die sich auf damals aktuelle Angelegenheiten. die Anthroposophie in der Öffentlichkeit einerseits und die Mitglieder andererseits betreffend, bezogen. Sie werden zusammen mit ähnlichen Textstellen in einem gesonderten Band der Gesamtausgabe erscheinen.

244 Thomas von Aquino, 12261274; siehe seine Schrift «Der Engel der Schule. Betrachtungen über die drei Wege des geistlichen Lebens», bearbeitet von D. Mettenleiter, Regensburg 1854, S. 235. Siehe auch Rudolf Steiner, »Die Philosophie des Thomas von Aquino«, GA Bibl.-Nr. 74, Taschenbuchausgabe TB 605.

249 Erich Ludendorff 1865-1937, deutscher General.

Alexander He/phand, gestorben 1924, nannte sich selbst Parvus-Helphand, russischer Sozialist, zeitweise als politischer Flüchtling in Deutschland, spielte für das Zustandekommen der bolschewistischen Revolution sowie des Friedens von BrestLitowsk (1918) eine bedeutende Rolle. Siehe hierzu Georg Wolf «Warten aufs letzte Gefecht«, Köln 1961.

250 eine Zeitschrifl, die sich

253 eine interessante Stelle bei einem neueren Natu,forscher: Ernst Haeckel, «Anthropogenie oder Entwicklungsgeschichte des Menschen«, 4. Aufl. Leipzig 1891, S. 871.

254 Ein protestantischer Theologe: Max Christlieb, 1862-1916. Siehe Rudolf Steiner, «Mein Lebensgang«, GA Bibl.-Nr. 28, Kap. XX; Taschenbuchausgabe TB 636.

2555 im letzten Heft der «Sozialen Zukunft»: «Die pädagogische Zielsetzung der Waldorfschule in Stuttgart«, in «Soziale Zukunft», Zürich, 1. Jg., 5.-7. Heft, Februar 1920; innerhalb der Gesamtausgabe in dem Band «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1911-1921«, GA Bibl.-Nr. 24, S. 266276.

308

267 Mr. Leadbeater: Siehe Hinweis zu Seite 58 und 268.

268 dieses «permanente Atom: Zusammen mit Annie Besant verfaßte Leadbeater die Schrift «Okkulte Chemie. Eine Reihe hellseherischer Beobachtungen über die chemischen Elemente. Atomlehre», übersetzt aus dem Englischen von R. Lange, Leipzig 1909. Dort ist auch die von Leadbeater aufgestellte Theorie über das «permanente Atom» dargestellt.

273 eine kleine Schrift: «Gedanken während der Zeit des Krieges», Berlin 1915; innerhalb der Gesamtausgabe in dem Band «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 191~1921«, GA Bibl.-Nr. 24, S. 279-332.

276 ein weltbekannterPazifist: Wilhelm Förster (1869-1966); siehe Hans Kühn, «Dreigliederungszeit«, Dornach 1978, S. 36.

277 eine führende Persönlichkeit: Konnte nicht festgestellt werden.

287 innerhalb des diesjährigen Frühjahrskurses: Siehe Rudolf Steiner, «Geisteswissenschaft und Medizin« (Erster Ärztekurs), GA Bibl.-Nr. 312.

288 «Es bildet ein Talent sich in der Stille . . .>: Goethe, «Tasso« I, 2.

290 «Himmel und Erde werden vergehen...>: Siehe Hinweis zu S. 235. Herman Grimm: Siehe Hinweis zu S. 65.

293 William James, 1842-1910; gilt als der bedeutendste Vertreter der modernen introspektiven Psychologie. Professor für Philosophie an der Havard-Universität.

Hans Vaihinger: Siehe Hinweis zu S. 83. 295 Dies sollte den ersten Teil meiner heutigen Betrachtungen bilden: Vom zweiten Teil liegen keine Unterlagen vor.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.