GA 194

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Die Sendung Michaels

Die Offenbarung
der eigentlichen Geheimnisse des Menschenwesens

Zwölf Vorträge, gehalten in Dornach
vom 21. November bis 15. Dezember 1919

GA 194

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Inhaltsverzeichnis


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ERSTER VORTRAG Dornach, 21. November 1919

Ich möchte in diesen Tagen etwas sprechen über die Art und Weise, wie wir Menschen der Gegenwart in der Lage sind, uns zu stellen zu derjenigen geistigen Macht, von der wir sagen können, daß sie als die Macht des Michael eingreift in das geistige und damit auch in das übrige Geschehen der Erde. Es wird notwendig sein, daß wir dasjenige, was dabei in Betracht kommt, heute einmal vorbereiten. Denn es sind verschiedene Gesichtspunkte notwendig, welche die menschliche Verständigkeit befähigen, die verschiedenen Eingriffe der eben bezeichneten Macht aus den Symptomen, die wir ja immer in unserer Umgebung bemerken, wirklich wiederzu­geben. Wir müssen ja festhalten, daß wir, wenn wir ernsthaft von der geistigen Welt sprechen wollen, immer blicken können auf dasjenige, was sich als Offenbarungen der geistigen Mächte hier in der physischen Welt zeigt. Man sucht gewissermaßen durch den Schleier der physischen Welt durchzudringen zu demjenigen, was in der geistigen Welt wirksam ist. Das, was in der physischen Welt vorhanden ist, kann ja beobachtet wer­den von jedem Menschen; das, was in der geistigen Welt wirksam ist, dient dann dazu, die Rätsel, welche die physische Welt gibt, aus der gei­stigen Welt heraus zu lösen. Man muß nur die Rätsel des physischen Lebens in der riclitigen Weise empfinden. Es handelt sich gerade bei diesen wichtigen Dingen darum, daß manches, was gerade in der Zeit, die diesen Vorträgen vorangegangen ist, von mir hier gesagt worden ist, in vollem Ernste aufgefaßt werde. Man kann nun einmal nicht verbinden die persönlichsten Auffassungen der Welt mit einem wirklichen Ver­ständnisse desjenigen, was durchgreifend nicht nur die ganze Menschheit, sondern geradezu die Welt angeht. Man muß sich frei machen von den bloß persönlichen Interessen. Man wird ja dasjenige, was die Persönlich­keit in der Welt zu tun hat und was sie von sich als ihren Wert zu begreifen hat, gerade am besten dann einsehen, wenn man sich von dem Persönlichen im engeren Sinne frei gemacht hat.

Nun wissen Sie, daß unserer Entwickelung, die wir als unsere Erdenentwickelung aufzufassen haben, vorangeht eine andere Entwickelung, daß

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wir also in einer vollen kosmischen Entwickelung drinnenstehen. Sie wissen aber erstens, daß diese Entwickelung weiterschreitet, daß diese Entwickelung an einem Punkt angelangt ist, über den sie hinausgehen wird zu weiteren, fortgeschritteneren Stufen. Sie wissen aber auch zwei­tens, daß wir es zu tun haben, wenn wir die Welt als solche betrachten, mcht nur mit denjenigen Wesen, die uns zunächst im irdischen Felde entgegentreten, also im mineralischen, im pflanzlichen, im tierischen Reiche, im menschlichen Reiche, sondern daß wir es zu tun haben mit Wesen, die diesen Reichen übergeordnet sind, und die wir zusammen-gefaßt haben als die Wesen der höheren Hierarchien. Wir müssen immer, wenn wir von der vollen Entwickelung sprechen, auch auf diese Wesen der höheren Hierarchien Rücksicht nehmen.

Diese Wesen machen ja ihrerseits auch eine Entwickelung durch, die wir verstehen können, wenn wir Analogien fmden zu unserer eigenen menschlichen Entwickelung und zu derjenigen, die sonst in den verschie­denen Reichen der Erde vorhanden ist. Ich bitte Sie, nur das Folgende einmal zu berücksichtigen. Sie wissen, wir Menschen sind durchgedrungen durch eine Sattirn-, Sonnen-, Mondenentwickelung und sind auf unserer Erde angekommen, so daß wir, wenn wir unsere kosmische Entwicke­lung ins Auge fassen, davon sprechen können, daß wir als Menschen, wie wir uns nun in der Erdenumgebung fühlen, auf der vierten Stufe unserer Entwickelung angelangt sind.

Betrachten wir einmal die unmittelbar über unserer Menschenstufe stehenden Wesen, die wir als die Angeloi bezeichnen. Wir können, wenn wir bloß die Analogie geltend machen, sagen: Diese Wesenheiten, wenn sie auch ganz andere Formen haben als die Form des Menschendaseins ist und zunächst für physische Menschensinne unsichtbar sind, sie haben die Entwickelungsstufe des Jupiter.

Gehen wir dann zu den Archangeloi, so haben sie die Entwickelungsstufe, welche die Menschheit auf der Venus erlangt haben wird. Und gehen wir zu den Archai, zu den Zeitgeistern, also zu denjenigen Wesenheiten, die ganz besonders hereinragen in unsere irdische Entwickelung, so stehen diese bereits in der Vulkanentwickelung.

Nun entsteht die bedeutsame Frage: Es gibt ja nun auch die nächst höherstehende Klasse von Wesenheiten, welche der Hierarchie der sogenannten

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Formgeister angehört. Wenn wir uns fragen, auf welcher Stufe stehen diese Formgeister, dann müssen wir uns sagen: Sie sind bereits hinausgerückt über dasjenige, was wir Menschen zunächst als unsere Znkunfisentwickelung, als die Vulkanentwickelung erblicken. Sie sind also auf einer Stufe angelangt, von der wir sagen müssen: Wenn wir unsere, für unsere Betrachtungen zunächst hinreichenden Stufen als sieben Stufen bezeichnen, so sind diese Wesenheiten, die wir die Formgeister nennen, auf der achten Stufe angelangt. Wir können also sagen: Wir Menschen stehen auf der vierten Stufe der Entwickelung, nehmen wir die achte Stufe, so finden wir da die Formgeister.

Nun können wir aber nicht uns etwa diese Stufenfolge der Entwickelung nebeneinander denken, sondern wir müssen uns denken, daß das alles durcheinandergeschoben ist. So wie etwa der Luftkreis, der die Erde umgibt und durchdiingt, so ist auch diese achte Entwickelungssphäre, welcher die Formgeister angehören, so, daß sie durchdringt die Sphäre, in der wir uns zunächst als Menschen befinden. Wir wollen zunächst diese zwei Stufen der Entwickelung streng ins Auge fassen.

Wir wollen uns sagen: Wir Menschen als solche, wir befinden uns in einer Sphäre, welche eine vierte Stufe der Entwickelung erlangt hat. Nun befmden wir uns aber außerdem, wenn wir zunächst von allem übrigen absehen, in dem Reiche, das die Formgeister um uns und durch uns als das ihrige zu betrachten haben. Nehmen wir nun konkret den Menschen in seiner Entwickelung. Wir haben ja öfter die Entwickelung dieses Men­schen in seiner Gliederung unterschieden. Wir haben unterschieden die Hauptesentwickelung von der übrigen Entwickelung des Menschen. Wir teilen die übrige Entwickelung wiederum in zwei Glieder, in die Brust-entwickelung und in die Gliedmaßenentwickelung. Davon wollen wir jetzt zunächst absehen. Wir wollen uns nur auf den Standpunkt stellen, daß wir im Menschen haben alles dajenige, was zur Hauptesentwicke­lung gehört, und alles dasjenige, was dem übrigen Menschen zuerteilt ist.

Nun denken Sie sich einmal bildlich die Sache so, daß Sie sich etwa eine Meeresoberfläche denken, den Menschen wie im Meere watend, im Meere sich vorwärts bewegend, so daß nur sein Kopf herausragt, dann würden Sie durch dieses Bild - es ist selbstverständlich ein Bild - die Lage des gegenwärtigen Menschen haben. Alles dasjenige, worinnen der Kopf

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wurzelt, würden wir zu der vierten Stufe der Entwickelung zu rechnen haben, und dasjenige, worinnen der Mensch watet, worinnen er sich zwar gehend, oder wir können sagen, schwimmend vorwärts bewegt, würden wir zu bezeichnen haben als die achte Stufe der Entwickelung. Denn es ist das Eigentümliche, daß der Mensch in einer gewissen Weise entwachsen ist mit seinem Haupt demjenigen Elemente, in dem die Geister der Form ihr eigentümliches Wesen entfalten. Der Mensch ist gewissermaßen eman­zipiert mit Bezug auf seine Hauptesbildung von demjenigen, was durch-imprägniert wird von den Wesen der Geister der Form.

Nur dadurch, daß man dieses gründlich versteht, kann man wirklich zu einer Auffassung des Menschen kommen. Denn nur dadurch wird man die besondere Stellung, die der Mensch in der Welt hat, in der richtigen Weise erfassen. Man wird nämlich nur dadurch richtig erfassen, daß der Mensch, insofern er einen gewissen schöpferischen Einfluß auf sich zu verspüren hat von seiten der Geister der Form, diesen schöpferischen Einfluß nicht verspürt unmittelbar durch die Fähigkeiten seines Hauptes, sondern verspürt durch dasjenige, was von seinem übrigen Organismus als Wirkung auf das Haupt ausgeübt wird. Sie wissen ja, wir atmen, und das Atmen steht mit unserem Blutkreislauf im Zusammenhange, wenn wir äußerlich physiologisch sprechen. Das Blut wird aber auch in das Haupt getrieben. Dadurch ist das Haupt in einem organischen, in einem lebensvollen Zusammenhange mit dem übrigen Organismus. Es wird genährt, es wird belebt von dem übrigen Organismus.

Sie müssen zwei Dinge genau unterscheiden. Das eine ist, daß das Haupt m unmittelbarem Zusammenhange steht mit der Außenwelt. Wenn Sie eine Sache sehen, so nehmen Sie diese Sache durch Ihre Augen wahr. Da ist ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Außenwelt und Ihrem Haupte. Wenn Sie aber das Leben Ihres Hauptes betrachten, wie es unterhalten wird durch den Atmungs- und Blutkreislaufprozeß, dann haben Sie heraufschießend das Blut von dem übrigen Organismus in das Haupt, und Sie können sagen, da haben Sie keinen unmittelbaren Zusam­menhang Ihres Hauptes mit der Umgebung, sondern einen mittelbaren.

Sie müssen natürlich nicht pedantisch unterscheiden, indem Sie sagen, nun ja, die Atemluft wird ja durch den Mund eingezogen, also gehört die Atmung auch zum Haupte. Ich habe deshalb gesagt, das ist nur ein Bild.

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Organisch gehört dasjenige, was durch den Mund eingezogen wird, nicht eigentlich zum Haupte, sondern es gehört zu dem übrigen Organismus.

Wenn Sie einmal diese Grundbegriffe, die wirjetzt aufgenommen haben, zunächst ins Auge fassen wollen, wenn Sie festhalten wollen an der Idee, daß wir drinnenstehen in zwei Sphären, in derjenigen Sphäre, in die wir gebracht sind dadurch, daß wir Saturn-, Sonnen-, Mondenentwickelung durchgemacht haben und innerhalb der Erdenentwickelung stehen, daß wir also auf der vierten Stufe unserer Entwickelung stehen, wenn Sie ferner in Betracht ziehen, daß wir außerdem drinnenstehen in einem Leben, in einer Sphäre, welche so angehört den Formgeistern, wie uns die Erde angehört, welche aber unsere Erde durchdringt und nur unser Haupt aus­schließt, so daß wir mit unserem ganzen übrigen Organismus, mit all dem, was nicht Sinnesauffassung ist, stehen in dieser achten Sphäre: wenn Sie dies ins Auge fassen, so haben Sie eine gewisse Grundlage geschaffen für das Folgende.

Doch ich will noch durch andere Begriffe eine gewisse Grundlage schaffen. Wenn wir unser Leben unter solchen Einflüssen betrachten wollen, so können wir es nicht anders betrachten, als indem wir ins Auge fassen diejenigen an dem Weltengeschehen mitwirkenden Wesenheiten, die wir öfter schon erwähnt haben: die luziferischen und die ahrimanischen Wesen­heiten. Fassen wir zunächst nur einmal, ich möchte sagen, das Alleräußer­lichste an diesen Wesen, an den luziferischen und ahrimanischen Wesen­heiten ins Auge. Sie bewohnen ebenso wie wir Menschen die Sphären, in denen wir eben drinnenstehen. Wenn wir ihr Äußerlichstes ins Auge fassen, so können wir sagen: Alle luziferischenWesenheiten können wir uns vorstel­len als Inhaber derjenigen Kräfte, die wir als Menschen dann verspüren, wenn wir phantastisch werden wollen, wenn wir einseitig uns der Phantasie hinge­ben, wenn wir einseitig uns der Schwärmerei hingeben, wenn wir - um mich bildlich auszudrücken - mit unserem Wesen über unseren Kopf hinaus wollen. Wenn wir als Mensch mit unserem Wesen über unseren Kopf hinaus wollen, so sind das Kräfte, welche in unserer Menschenorganisation eine ge­wisse Rolle spielen, die aber die universellen Kräfte derjenigenWesen sind, die wir luziferische Wesen nennen. Denken Sie sich Wesen, ganz geformt aus dem, was in uns über unseren Kopf hinaus streben will, so haben Sie die luzi­ferischen, die mit unserer Menschenwelt in einer gewissen Beziehung stehen.

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Denken Sie sich umgekehrt alles dasjenige, was uns auf die Erde drückt, alles dasjenige, was uns zu nüchternen Philistern macht, was uns dazu bringt, materialistische Gesinnungen zu entwickeln, was uns durchdringt mit dem, was wir nennen können trockenen Verstand und so weiter, so haben Sie die ahrimanischen Mächte.

Man kann alles dasjenige, was ich jetzt eben mehr seelisch gesagt habe, auch mehr leiblich ausdrücken. Man kann sagen: Der Mensch ist eigentlich immer in einer Art Mittelpunktslage zwischen dem, was sein Blut mit ihm will, und dem, was seine Knochen mit ihm wollen. Die Knochen wollen uns fortwährend zum Erstarren bringen, die Knochen wollen uns mit an­deren Worten auch leiblich ahrimanisch machen, verhärten. Das Blut möchte uns über uns selbst hinaustreiben. Pathologisch gesprochen: Das Blut kann fiebrig werden, dann wird der Mensch auch organisch in die Phantasterei hineingetrieben; die Knochen können ihr Wesen ausdehnen über den übrigen Organismus, dann verknöchert der Mensch, er wird sklerotisch, wie es fast jeder Mensch im Alter bis zu einem gewissen Grade wird. Dann trägt er das tötende Element in seinem Organismus in sich:

Das ist das Ahrimanische. Man kann sagen: Alles dasjenige, was im Blute liegt, hat die Hinneigung zum Luziferischen, alles dasjenige, was in den Knochen liegt, hat die Hinneigung zum Ahrimanischen, und der Mensch ist die Gleichgewichtslage zwischen beiden, so wie er die Gleichgewichts­lage sein muß in seelischer Beziehung zwischen der Schwärmerei und der nüchternen Philistrosität.

Wir können aber auch in einer gewissen Weise tiefer diese beidenWesen­heiten charakterisieren. Wir können einmal uns die luziferischen Wesen­heiten anschauen, was sie gewissermaßen im kosmischen Dasein für Inter­essen haben. Und da findet man, daß die luziferischen Wesenheiten vor allen Dingen das Interesse haben im Kosmos, die Welt, namentlich die Menschenwelt, abtrünnig zu machen von denjenigen geistigen Wesen­heiten, die wir als die eigentlichen menschenschöpferischen Wesenheiten auffassen müssen. Die luziferischen Wesenheiten möchten nichts anderes, als die Welt, man könnte sagen, von den göttlichen Wesenheiten abtrünnig machen. Nicht so sehr, daß luziferische Wesenheiten in erster Linie die Absicht hätten, sich selber die Welt anzueignen. Sie werden aus Verschie­denem, was ich schon gesagt habe über die luziferischen Wesenheiten, ent­nehmen

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können, daß das nicht die Hauptsache ist bei den luziferischeii Wesenheiten, sondern die Hauptsache ist: von dem, was der Mensch emp-finden kann als seine eigentlichen göttlichen Wesenheiten, abtrünnig zu machen die Welt, frei zu machen die Welt davon.

Die ahrimanischen Wesenheiten haben eine andere Absicht. Sie haben die entschiedene Absicht, namentlich das Menschenreich, aber damit die übrige Erde, in ihre Machtsphäre zu bekommen, von sich abhängig zu machen, namentlich zunächst die Menschen als solche zu beherrschen. Während also die luziferischen Wesenheiten darauf hinarbeiten zunächst und immer hin-gearbeitet haben, die Menschen abtrünnig zu machen von dem, was die Menschheit als ihr Göttliches empfinden kann, haben die ahrimanischen Wesenheiten die Tendenz, die Menschheit und alles, was dazu gehört, in ihre Machtsphäre allmählich einzubeziehen.

So ist eigentlich in unserem Kosmos, in den wir hineinverwoben sind als Menschen, ein Kampf vorhanden zwischen den fortwährend nach Freiheit, nach universeller Freiheit strebenden luziferischen Wesenheiten, und den nach einer immerwährenden Macht und Kral: strebenden ahrimanischen Wesenheiten. Dieser Kampf durchdringt alles, in dem wir drinnenstehen. Das bitte ich Sie als die zweite für unsere weitere Betrachtung wichtige Idee festzuhalten. Die Welt, in der wir drinnenstehen, ist durchdrungen von luzi­ferischen und ahrimanischen Wesenheiten, und es besteht dieser gewaltige Gegensatz zwischen der befreienden Tendenz der luziferischenWesenheiten und der nach Macht strebenden Tendenz der ahrimanischen Wesenheiten.

Wenn Sie diese ganze Sache ins Auge fassen, dann werden Sie sich sagen:

Verstehen kann ich die Welt eigentlich nur, wenn ich sie mit Bezug auf die Dreizahl ins Auge fasse. Denn wir haben auf der einen Seite alles dasjenige, was luziferisch ist, auf der anderen Seite alles dasjenige, was ahrimanisch ist, mitten hineingestellt den Menschen, der als ein Drittes, wie im Gleich­gewichtszustande zwischen beiden, sein Göttliches empfinden muß. Nur dadurch kommt man mit dem Weltverständnis zurecht, daß man diese Dreiheit zugrunde legt, daß man sich klar darüber ist: Es ist dieses mensch­liche Leben wie ein Waagebalken. Hier das Hypomochlion, da eine Waag­schale, das Luziferische, das aber in Wirklichkeit hinaufzieht. Auf der an­deren Seite das Ahrimanische, das inWirklichkeit hinunterzieht. DenWaage­balken im Gleichgewicht zu erhalten, das ist das Wesen des Menschen. Es

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haben diejenigen, die eingeweiht waren in solche Geheimnisse, immer betont in der geistigen Menschlieitsentwickelung, daß man das Welten-dasein, in das der Mensch hineingestellt ist, nur im Sinne der Dreizalil ver­stehen kann, daß man nicht verstehen kann die Welt, wenn man sie gewisser­maßen auffassen will in ihrer Grundstruktur im Sinne der anderen Zahlen als im Sinne der Dreizahl. So daß wir sagen dürfen, in unserer Sprache sprechend: Wir haben es zu tun im Weltendasein mit dem Luziferischen, das die eine Waagschale, dem Ahrimanischen, das die andere Waagschale darstellt, und dem Gleichgewichtszustande, der uns darstellt den Christus-Impuls.

Nun können Sie sich denken, daß es durchaus im Interesse der ahrimani-schen und der luziferischen Mächte liegt, dieses Geheimnis der Dreizahl zu verhüllen. Denn die richtige Durchdringung dieses Geheimnisses der Drei-zahl befähigt ja die Menschlieit, den Gleichgewichtszustand zwischen ahri­manischen und luziferischen Mächten herzustellen. Das heißt auf der einen Seite, alle Tendenz nach Freiheit, das Luziferische, zu benützen zu einem gedeihlichen Weltenziele, auf der anderen Seite das gleiche zu tun mit dem Ahrimanischen. Des Menschen normalster Geisteszustand besteht darin, in der richtigen Weise sich hineinzuversetzen in diese Trinität der Welt, in diese Struktur der Welt, insofern ihr die Dreizahl zugrunde liegt.

Es bestand nun und besteht - wir werden die Quellen dieses Bestehens schon noch genauer morgen und übermorgen zu besprechen haben - ein­mal in dem, was auf das menschliche Geistes- und Kulturleben Einfluß hat, eine starke Tendenz, den Menschen zu verwirren in bezug auf diese Bedeu­tung der Dreizahl. Eine starke Tendenz besteht, den Menschen mit Bezug auf diese, wir dürfen sagen, heilige Dreizahl zu verwirren. Und wir können in der neueren Menschlieitskultur sehr deutlich sehen, wie fast ganz zu­gedeckt wird diese Gliederung nach der Dreizahl durch eine Gliederung nach der Zweizahl. Bedenken Sie nur einmal, daß man ja sogar, um den Goetheschen «Faust» richtig zu verstehen, wie ich das öfter hier auseinander­gesetzt habe, wissen muß, daß bis in dieses gewaltige Weltengedicht hinein die Verwirrung mit Bezug auf diese Dreizahl spielt. Hätte Goethe zu seiner Zeit schon ganz durchschauen können, wie es sich eigentlich mit diesen Dingen verhält, dann hätte er nicht bloß dargestellt als den Gegner des Faust, als denjenigen, der Faust herabzieht, die mephistophelische Macht,

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sondern er hätte dieser mephistophelischen Macht, von der wir ja wissen, daß sie identisch ist mit der ahrimanischen Macht, gegenübergestellt die luziferische Macht, und es würden Luzifer und Mephistopheles als zwei Parteien im «Faust» auftreten. Das habe ich ja schon wiederholt hier aus­geführt. Man kann auch, wenn man die Goethesche Mephistopheles-Figur studiert, genau sehen, wie Goethe überall durcheinandergebracht hat in der Charakteristik des Mephistopheles das luziferische und das ahrimanische Element. Die Figur des Mephistopheles ist bei Goethe gewissermaßen aus zwei Elementen gemischt. Es ist keine einheitliche Gestalt. Es ist bunt durch­einandergeworfen das luziferische und das ahrimanische Element. Ich habe das in meinem kleinen Büchelchen « Goethes Geistesart» ausführlicher aus­einandergesetzt.

Diese Verwirrung, die also bis in den Goetheschen «Faust » hineinspielt, ist durchaus darauf begründet, daß nach einer gewissen Richtung hin - in älterer Zeit war es anders - in der neueren Menschlieitsentwickelung sich der Wahn geltend gemacht hat, an die Stelle der Dreizahi, wenn man auf die Weltstruktur sieht, die Zweizahi zu setzen: das gute Prinzip auf der einen Seite, das böse Prinzip auf der anderen Seite, Gott und den Teufel.

Denken Sie nur, daß wir also festzustellen haben: Will jemand sachgemäß in die Weltenstruktur hineinblicken, dann muß er die Dreizalil anerkennen, muß anerkennen, daß sich gegenüberstehen das luziferische und das ahri­manische Element, und daß das Göttliche besteht in dem Gleichgewicht-halten zwischen beiden. Dem haben wir gegenüberzustellen den Irrwahn, der eingezogen ist in die Geistesentwickelung der Menschheit mit der Zwei­heit, mit Gott und dem Teufel, mit den geistig-göttlichen Mächten oben und den teuflischen Mächten unten. Es ist so, wie wenn man den Menschen gewissermaßen hinausbringen, hinausquetschen würde aus der Gleichge­wichtslage, wenn man ihm verhehlt, daß das eigentliche Heil des Weltenver­ständnisses in dem richtigen Auffassen der Dreizalil besteht, und wenn man ihm vormacht, daß irgendwie die Weltenstruktur bedingt sei durch eine Zweizahl. Dennoch ist bestes menschliches Streben diesem Irrtum verfallen.

Will man auf diesen Punkt eingehen, dann muß man das gar sehr ohne alles Vorurteil tun, dann muß man wirklich einmal sich hinausversetzen in eine vorurteilslose Sphäre. Dann muß man gar sehr unterscheiden zwischen den Sachen und den Namen. Dann muß man sich nicht verführen lassen zu

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der Meinung: dadurch, daß man einer Wesenheit einen bestimmten Namen gibt, sei diese Wesenheit auch schon in der richtigen Weise vom Menschen empfunden.

Fassen wir einmal den Begriff deijenigen Wesenheiten, die der Mensch als seine göttlichenWesenheiten empfinden soll, dann müssen wir uns sagen: Der Mensch kann richtig dieseWesenheiten nur empfinden, wenn er sie sich denkt als das Gleichgewicht bewirkend zwischen dem luziferischen und dem ahrimanischen Prinzip. Er kann dasjenige, was er als sein Göttliches emp-finden soll, niemals als Richtiges empfinden, wenn er auf diese Dreigliede­rung nicht eingeht. Betrachten Sie von diesem Gesichtspunkte aus einmal eine Dichtung wie «Das verlorene Paradies» von Milton, oder betrachten Sie eine Dichtung wie K!opstocks Messiade, die unter dem Einflusse des «Ver­lorenen Paradieses» von Milton entstanden ist. Da haben Sie im Grunde mchts von einem wirklichen Verständnis einer dreigliedrigen Weltstruktur, da haben Sie einen Kampf zwischen vermeintlich Gutem und vermeintlich Bösem, den Kampf zwischen dem Himmel und der Hölle. Da haben Sie so recht in die menschliche Geistesentwickelung den Irrwahn der Zweiheit hineingetragen. Da haben Sie dasjenige, was vielfach im populären Bewußt­sein wurzelt als der wahnvolle Gegensatz zwischen Himmel und Hölle, in zwei neuere Weltgedichte hineingetragen.

Es nützt nichts, wenn Milton oder Klopstock die Wesen des Himmels als göttlicheWesen bezeichnen. GöttlicheWesen, wie sie der Mensch empfinden soll, wären sie nur, wenn zugrunde läge die dreigliedrige Struktur des Weltendaseins. Dann würde man sagen können: Da findet ein Kampf statt zwischen dem guten Prinzip und dem bösen Prinzip. So aber, wie die Sache liegt, wird eine Zweiheit angenommen, dem einen Glied dieser Zwei­heit das Gute beigelegt, Namen gefunden, die den Wesen beigelegt werden, die eigentlich vom Göttlichen hergenommen sind, und auf die andere Seite das teuflische, das antigöttliche Element gestellt. Was ist damit eigentlich in Wirklichkeit getan? Damit ist in Wirklichkeit nichts Geringeres getan, als daß das wirklich Göttliche aus dem Bewußtsein herausgerückt ist, und daß das Luziferische mit dem göttlichen Namen belegt wird, daß wir in Wahr­heit vorliegen haben einen Kampf zwischen Luzifer und Ahriman, und daß nur dem Ahriman luziferische Eigenschaften beigelegt werden, und dem Reiche des Luzifer werden die göttlichen Eigenschaften beigelegt.

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Sie sehen, von welch ungeheurer Tragweite eine solche Betrachtung eigentlich ist. Während die Menschen glauben, mit einer solchen Gegen­überstellung, wie man sie findet in Miltons «Verlorenem Paradies» oder in Klopstocks «Messias», habe man es zu tun mit dem Göttlichen und den höllischen Elementen, hat man es in Wahrheit zu tun mit dem luziferischen und dem ahrimanischen Elemente. Vom wirklich göttlichen Elemente liegt kein Bewußtsein vor, dagegen werden dem luziferischen Elemente die göttlichen Namen beigelegt.

Nun sind Miltons «Verlorenes Paradies» und Klopstocks «Messias» eben nur die Geistesschöpfungen, die herausragen aus dem neueren Bewußtsein der Menschheit. Denn dasjenige, was sich in diesen Dichtungen auslebt, ist allgemeines Bewußtsein der Menschheit. Es istja eingezogen in dieses neuere Bewußtsein der Menschlieit der Irrwahn der Zweizahl, und es ist hintan­gehalten worden die Wahrheit von der Dreizahl. Tiefstes, das die Mensch­heit in der neueren Zeit hervorgebracht hat, zu dem sie von einem gewissen Gesichtspunkte aus mit Recht hinschaut als zu den größten Hervorbringun­gen: der neueren Zeit, ist eine Kulturmaja, ist eine große Täuschung und ent­sprungen aus der großen Täuschung der neueren Menschheit. Das alles, was m diesem Irrwahn wirkt, das ist im Grunde genommen Schöpfung der ahri­manischen Einflüsse,jener Einflüsse, die sich einstmals konzentrieren werden in der Inkarnation des Ahriman, von der ich Ihnen schon gesprochen habe. Denn dieser Irrwahn, in dem wir drinnenstehen, ist nichts anderes als das Ergebnis jener falschen Weltbetrachtung, die für die Menschen der neueren Kultur, der neueren Zivilisation überall hervorsprießt aus der Welt, indem sie entgegensetzen Himmel und Hölle. Der Himmel wird als Göttliches angesehen, so wie sie ihn schildern, und die Hölle wird als das Teuflische angesehen, während in Wahrheit man es zu tun hat auf der einen Seite mit dem himmlisch genannten Luziferischen und mit dem höllisch genannten Ahrimanischen.

Wir müssen nur bedenken, welche Interessen da in der neueren Geistes­geschichte walten. Sogar die Dreigliederung des menschlichen Organis­mus oder des Menschenwesens im Ganzen istja in einer gewissen Beziehung, wie ich es Ihnen öfters erwähnt habe, für die abendländische Zivilisation durch das achte ökumenische Konzil von Konstantinopel im Jahre 869 aus der Welt geschafft worden. Es ist zum Dogma erhoben, daß der Christ nicht

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zu glauben habe an eine dreigliedrige Menschenwesenheit, sondern nur an eine zweigliedrige Menschenwesenheit. An Leib, Seele und Geist zu glauben gilt als verpönt, und die mittelalterlichen Theologen und Philosophen, die noch viel wußten von der Wahrheit, die hatten eine große Mühe, sich um diese Wahrheit herumzudrücken, denn die sogenannte Trichotomie, die Gliederung des Menschen in Leib, Seele und Geist, war für ketzerisch erklärt worden. Sie mußten die Zweiheit lehren: der Mensch bestehe aus Leib und Seele, nicht aus Leib, Seele und Geist. Und das ist ja dasjenige, wovon ge­wisse Wesen, wovon gewisse Menschen gut wissen, was es für eine unge­heure Bedeutung hat für das menschliche Geistesleben, die Zweigliederung an die Stelle der Dreigliederung zu setzen.

Auf solche Tiefen muß hingeblickt werden, wenn man richtig verstehen will, warum in der August-Nummer der «Stimmen der Zeit» von dem Jesuitenpater Zimmermann darauf hingewiesen wird, daß eines der neueren Dekrete des heiligen Offlziums von Rom den Kathohken bei Strafe, nicht die Absolution in der Beichte zu erlangen, verbietet, theosophische Schriften zu lesen oder zu haben oder sich an irgend etwas Theosophischem zu betei­ligen. Das interpretiert der Jesuitenpater Zimmermann in den «Stimmen der Zeit», die früher «Stimmen von Marialaach» geheißen haben, so, daß es vor allen Dingen anzuwenden sei auf meine Anthroposophie, daß also vor allen Dingen darauf gesehen werden müsse, daß diejenigen Katholiken, welche als echte Katholiken von Rom angesehen werden wollen, sich nicht zu beschäftigen haben mit antliroposophischer Literatur. Als einer der Hauptgründe wurde da angeführt, daß unterschieden werde die mensch­liche Wesenheit in Leib, Seele und Geist, daß also ein Ketzerisches gelehrt werde gegenüber dem Rechtgläubigen, das darin bestehe, den Menschen zu unterscheiden in Leib und Seele.

Ich habe Ihnen ja auch erwähnt, daß diese Unterscheidung in Leib und Seele, ohne daß sie es wissen, auf die modernen Philosophen übergegangen ist, die glauben, vorurteilslose, voraussetzungsloseWissenschaft zu betreiben, die glauben, wirklich zu beobachten, um dadurch zu der Einsicht zu kom­men, daß der Mensch bestehe aus Leib und Seele. InWahrheit befolgen auch sie nur dasjenige, was durchjenes Dogma in die neuere Geistesentwickelung hineingekommen ist. Was heute als Wissenschaft angesehen wird, ist im Grunde genommen ganz abhängig von solchen Dingen, wie sie im Laufe der

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neueren Menschheitsentwickelung in die Welt hineinversetzt worden sind. Glauben Sie nicht, daß Sie durch irgendwelche guten Worte, die Sie oftmals meinen, Leuten geben zu müssen, welche aus solchen Ecken heraus Anthro­posophie verketzern, diese Leute bekehren können, oder daß Sie sie zu einem gewissen Wohlwollen bekehren können gegenüber der Anthropo­sophie. Anthroposophie muß sich durch sich selbst in der Welt Eingang verschaffen, nicht durch die Protektion irgendwelcher, und wären sie auch als noch so christlich angesehene Mächte. Durch innere Kraft allein kann Anthroposophie dasjenige erreichen, was sie in der Welt erreichen soll.

Bedenken Sie, der Christus-Impuls ist nur zu begreifen, wenn man ihn als den Gleichgewichtsimpuls ansieht zwischen dem Ahrimanischen und dem Luziferischen, wenn man ihn in die Trinität richtig hineinzustellen weiß. Was muß man tun - so kann man die Frage aufwerfen -, wenn man die Menschen irreführen will über den eigentlichen Christus-Impuls? Man muß die Menschen ablenken von der wahrenWeltengliederung nach der Dreizalil und muß sie hinführen zu dem Irrwahn der Zweizahl, die nur da ihre Be­rechtigung hat, wo es sich um das Offenbare handelt, nicht da, wo es sich darum handelt, auch hinter dasjenige zu kommen, was hinter dem Offen­baren steht, was in der Sphäre des Wahren liegt.

Wir müssen uns klar sein darüber, daß wir in solchen Dingen durchaus über bloße Namen hinauskommen müssen. Dadurch, daß man irgend etwas Christus nennt, hat man den Christus nicht getroffen. Und man kann ver­hindern, daß der Christus getroffen werde mit dem Christus-Namen, wenn man an die Stelle der Dreizahi die Zweizahl stellt. Wollte irgend jemand den Menschen sicher davon abbringen, einen richtigen Begriff von dem Christus zu erringen, dann hätte er nur nötig, an die Stelle der Dreizahl die Zweizalil zu setzen. Und soll dann auf den Christus4mpuls in einem wahr­haftigen Sinne wiederum hingedeutet werden, dann ist es notwendig, daß der Zweizalil die Dreizahl entgegengesetzt werde. Man braucht nicht auch ein Ketzererklärer zu werden neben Ketzererklärern. Sie brauchen von heute ab nicht Miltons «Verlorenes Paradies» oder Klopstocks «Messias» für ver­dammte Teufelsschtiften zu erklären, Sie können sich an der Schönheit und Größe selbstverständlich weiter erfreuen. Aber Sie sollen sich klar werden darüber, daß in solchen Schriften, insofern sie die Blüten gerade der popu­lären neueren Menschheitszivilisation sind, von Chtistus überhaupt nicht

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die Rede ist, sondern daß solche Schriften hervorgehen aus dem Irrwalm, daß man alles dasjenige, was nicht der Menschlieitsentwickelung zugehört, auf der einen Seite nach dem Teuflischen hin rechnen darf, und daß man auf der anderen Seite das Göttliche bekommt. Nein, man bekommt bloß das Luziferische. Und schreibt man dann ein «Verlorenes Paradies», dann be­schreibt man in Wirklichkeit die Austreibung der Menschen aus dem Reiche des Luzifer in das Reich des Ahriman, und man schildert die Sehnsucht der Menschen nicht nach dem Göttlichen, man schildert die Sehnsucht der Men­schen nach dem verlorenen Paradiese, das heißt aber nach dem Reiche des Luzifer. Schöne Beschreibungen der menschlichen Sehnsucht nach dem luzi­ferischen Reiche mögen Sie sehen in Miltons «Verlorenem Paradies», mögen Sie sehen in Klopstocks «Messias»; aber eben das sollen Sie darinnen sehen, denn das sind sie.

Gar sehr sind gewisse Vorstellungen, die in die neuere Menschheit einge­zogen sind, zu revidieren. Wir stehen heute, indem wir im Ernste uns an-schicken, antliroposophisch zu denken und zu empfinden, nicht vor kleinen Entscheidungen, wir stehen vor großen Entscheidungen. Wir stehen davor, ein Wort, das Nietzsche oftmals gebraucht hat, sehr ernst zu nehmen. Das Wort von der Umwertung gewisser Werte, es muß sehr, sehr ernst genom­men werden. Die Menschheitsleistungen der neueren Zeit müssen gar sehr umgewertet werden.

Man braucht deshalb durchaus nicht auch ein Ketzerverdammer zu wer­den. Wir führen fortwährend Szenen aus dem Goetheschen «Faust» auf, und ich habe Jahrzehnte dem Studium Goethes gewidmet. Aber aus meiner kleinen Schrift « Goethes Geistesart» können Sie entnehmen, daß mich das nicht blind gemacht hat gegen die falsche Charakteristik, die in der Goethe­schen Mephistopheles-Figur lebt. Es wäre durchaus philiströs, zu sagen:

Goethes Mephistopheles ist falsch, also weg damit. Da würde man es ja machen wie gewisse Ketzerrichter. In diese Lage dürfen wir uns als moderne Menschen nicht bringen. Aber wir dürfen uns auch nicht in bequemer Weise bei dem befriedigen, was den breitesten Menschenmassen aus dem neueren Geistesleben wie in Fleisch und Blut übergegangen ist. Ungeheuer viel wird die Menschheit lernen müssen. In bezug auf vieles wird sie Um-wertungen vornehmen müssen.

Alles das hängt zusammen mit der Sendung des Michael gegenüber denjenigen

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Wesen der höheren Hierarchien, mit denen er wiederum in Ver­bindung steht. Und wie wir dazu kommen können, diejenigen Impulse, die von der Michael-Wesenheit in unser irdisches Menschendasein hereinstrahlen, zu verstehen, davon wollen wir dann morgen und übermorgen sprechen.

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ZWEITER VORTRAG Dornach, 22. November 1919

Ich habe Ihnen gestern von jenem Irrtum gesprochen, der eingezogen ist in unser neuzeitliches Geistesleben und der heute noch von wenigen Menschen eigentlich in der richtigen Weise bemerkt wird. Sie haben wohl aus diesen Auseinandersetzungen herausgefühlt, daß wir gerade mit dem Ilinweis auf diesen Irrtum an einer sehr wichtigen Stelle geisteswissenschafilicher Be­trachtungen stehen. Es wird durchaus notwendig sein für eine gedeihliche Entwickelung des geistigen Lebens der Menschheit, daß in diesem Punkte klar gesehen werde. Ich habe Sie hingewiesen auf solche Kulturerzeugnisse, die wie Miltons «Verlorenes Paradies» oder Klopstocks «Messias» so recht herausgeboren sind aus dem allgemeinen populären Denken der letzten Jahrhunderte. Ich habe Sie aber auch darauf hingewiesen, wie gerade an diesen, in bezug auf das Künstlerische, in bezug auf das allgemein Geistige hervorragenden Kulturerzeugnissen, bemerkbar ist, vor welchen Gefahren das menschliche Seelenleben steht, wenn nicht durchschaut wird, wie un-möglich der Mensch zu einem wahren, für ihn notwendigen Gottesbegriff und damit auch Christus-Begriff kommen kann, wenn er sich nur vorstellt, daß die Weltstruktur, das Geistige inbegriffen, im Sinnbilde einer Zweiheit zu begreifen ist. Gerade indem man gewissermaßen nur die Zweiheit unter­schied, auf der einen Seite das Gute, auf der anderen Seite das Böse, verfiel man in den Fehler, zum Bösen alles hinzuzurechnen, was wir bezeichnen mußten im Laufe der Zeit als das Luziferische und als das Ahrimanische. Nur hat man nicht erkannt, daß man zusammengeworfen hat zwei Welt-elemente in eines. Dadurch ist es gekommen, daß man auf der anderen Seite nach dein Guten hin in der Tat die luziferischen Elemente geschoben hat, daß man mit anderen Worten glaubte, Göttliches zu verehren, Göttliches zu erkennen, daß man vom Göttlichen mit Namen sprach, aber doch das luziferische Element in dieses Göttliche hineinmischte. Dadurch aber wird es auch unserer Zeit so schwer, zu einem reinen Begriff des Göttlichen und zu einem reinen Begriff des Christus-Impulses in der Menschheits- und Weltenentwickelung zu kommen. Wir sind gewohnt worden, aus der Kul­tur der Jahrhunderte heraus, wegen der Anerkennung dieser Zweiheit auf

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der einen Seite zu sprechen von dem Seelischen, auf der anderen Seite zu sprechen von dem Leiblichen oder Körperlichen. Und wir haben den Zu­sammenhang verloren zwischen jenen Vorstellungen, die uns das Seelisch-Geistige vermitteln, und denjenigen Vorstellungen, die uns das Leibliche vermitteln. Wir sprechen heute, und am meisten tut das unsere Schul­psychologie, wenn wir vom Denken, vom Wollen, vom Gemüte, vom Fühlen sprechen, kaum von etwas anderem als von Wortklängen. Wir kommen zu keinen wirklichen inneren inhaltsvollen Vorstellungen von diesem seelischen Elemente. Und wir sprechen auf der anderen Seite von einem entgeistigten Materiellen, von einem seelenlosen Materiel­len, und wir klopfen gleichsam auf dieses äußere harte, steinhafte, seelenlose Materielle und können keine Brücke bauen von ihm zum Seelischen hinüber.

In zwei Elemente auseinandergefallen ist uns das Geistige, das überall, und das Leibliche, das zu gleicher Zeit ein Geistiges ist. Mit bloßen Theorien kommt man zu einer solchen Brücke zwischen dem Leiblichen und Geistigen nicht. Und da man nicht dazu kommt, hat vor allen Dingen unser ganzes wissenschaftliches Denken diesen Charakter eines Zwiespaltes zwischen Leiblichem und Geistigem oder Seelischem angenommen. Man möchte sa­gen: Auf der einen Seite sind die verschiedenen Glaubensbekenntnisse dahin-ein verfallen, auf ein Geistiges hinzuweisen, ohne in der Lage zu sein, dar­zulegen, wie dieses Geistige unmittelbar eingreift ins Leiblich-Körperliche, wie es schöpferisch tätig ist an dem Leiblich-Körperlichen, auf der anderen Seite aber betrachtet heute ein seelenlosesWissen, eine seelenlose Naturan­schauung das Körperliche so, daß sie nirgends durch die leiblichen Vor­gänge hindurchschauen kann auf das in diesen leiblichen Vorgängen wal­tende Geistig-Seelische. Wer von diesem Gesichtspunkte aus die natur-wissenschaftliche Anschauung, wie sie sich entwickelt hat im Laufe des neun­zehnten Jahrhunderts und in das zwanzigste Jahrhundert herein, überblickt, der wird sich sagen müssen: Alles dasjenige, was uns da auftritt, erscheint wie eine Folge dessen, was eben charakterisiert worden ist. Wir müssen aber vor allen Dingen das Richtige, das unsjetzt schon folgen kann aus mannigfa­chen Voraussetzungen, die wir ja hier auch hinlänglich besprochen haben, hinzusetzen, bevor wir den Irrwahn, der heute das Richtige zudeckt, voll ein­sehen können. Man spricht heute vom Menschen wie von einer einheitlieben

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Wesenheit, gleichgültig, ob man vom Seelischen spricht oder ob man von' Leiblichen spricht. Man spricht vom Seelischen als einer emlieitlichen Wesenheit, rian spricht vom Leiblichen als einer einheitlichen Wesenheit. Und dennoch, Sie werden aus unseren Betrachtungen gesehen haben, daß im Metischenwesen vor allen Dingen der Ihnen schon angedeutete große Gegensatz wa'tet zwischen all dem, was Hauptes- oder Kopfbildung ist, und all dem - wir wollen es jetzt nicht weiter gliedern, Sie wissen, es kann auch weiter gegliedert werden, aber wir wollen es jetzt in eins zusammen­fassen -, was der Mensch an sich trägt außer seiner Hauptes- oder Kopfes­bildung. Man fragt nach der Entwickelung des Menschen. Man muß in ganz aiuderer Art fragen nach der Entwickelung des Menschen in bezug auf seine Ilauptesbildung, Kopfbildung, und nach der Entwickelung des Men­schen iti bezug auf die übrige Leibesbildung.

Weriti wir die Kopfbildung des Menschen - fassen wir sie zunächst ganz körperlich auf - ins Auge fassen, insofern diese Kopfbildung den Organis­mus enthält für das sinnliche Wahrnehmen oder für das Denken oder Vor­stellen, dann müssen wir allerdings weit zurückblicken in die kosmische Entwickelung des Menschen. Dann müssen wir uns sagen: Dasjenige, was heute s4nen Ausdruck fmdet in der menschlichen Hauptesbildung, das hat sich nach und nach entwickelt und umgeformt. Es hat sich hindurchent-wickelt: durch die alte Saturnbildung, durch die alte Sonnenbildung, durch die alte Mondenbildung und ist dann weiterentwickelt worden während der Erdenzeit. Aber so ist es nicht mit dem, was die andere Leiblichkeit des Menschen ist. Es wäre ganz falsch, eine einheitliche Entwickelungsgeschichte zu suchen für den ganzen Menschen.Wir können sagen: Die Haupteshil dung, die wnist zurück auf die vorhergehenden planetarischen Stufen unserer Erdenbildung: Mondenbildung, Sonnenbildung, Saturnbildung. Dasjenige, was zuletzt seinen unmittelbaren Abschluß gefunden hat in dem mensch­lichen Haupte, das geht auf eine weite Entwickelung zurück. Wenn wir aber dazufügen alles übrige, was zum Menschen gehört, so dürfen wir nicht zurückgehen bis zu der Saturnbildung, sondern wir müssen sagen: Das­jenige, was der Mensch an sich trägt außer seinem Haupte, das können wir höchstens, insoweit es die Brustbildung ist, zurückverfolgen bis in die plane­tarische Mondenzeit, dasjenige, was die Gliedmaßen sind, ist erst während der Erdenforniation an den Menschen herangekommen. Wir betrachten

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den Menschen nur dann richtig, wenn wir etwa das folgende vergleichs-weise sagen. Aber bitte, fassen Sie das vergleichsweise auf

Sie können sich sehr leicht hypothetisch vorstellen: durch irgendwelche organischen Verhältnisse im Kosmos, durch irgendwelche Anpassungs­verhältnisse, verbunden mit inneren Wachstumsverhältnissen, würde der Mensch irgendwelche neue Gliedmaßen ansetzen. Sie würden dann nicht zurückverfolgen die ganze Menschengestalt bis zur früheren Entwicke­lung, sondern Sie würden sagen: Der Mensch, insofern er sich entwickelt hat, muß zurückverfolgt werden; aber in einem gewissen Zeitpunkte hat sich erst dieses oderjenes Glied angesetzt. Daß wir versucht sind, nicht so zu denken mit Bezug auf das Haupt und den übrigen Menschen, das rührt nur davon her, weil, rein in bezug auf die äußere Raumesgröße, der übrige Mensch größer ist als sein Haupt. Die Wahrheit ist doch diese, daß die Hauptesbildnng am weitesten zurückgeht und daß die andere Bildung erst spätere Ansätze darstellt. Spricht man überhaupt von einem Zusam­menhang des Menschen mit der Tierwelt in bezug auf die Entwicke­lung, dann kann man nur sagen: Dasjenige, was im menschlichen Haupte ist, das geht zurück auf eine frühere Tierbildung. Das menschliche Haupt ist umgewandelte Tiergestalt, sehr stark umgewandelte Tiergestalt.

Der Mensch hat äußerlich, allerdings in ganz anderen physikalischen Ver­hältnissen, eine Tierbildung gehabt, als es noch gar keine Tiere gab. Die Tiere haben sich später zum Menschen hinzugebildet. Dasjenige aber, was im Menschen Tierbildung gehabt hat, das ist heute menschliches Haupt, menschlicher Kopf geworden. Und dasjenige, was an den Kopf angesetzt ist als der übrige Organismus, das ist erst gleichzeitig mit der Entwickelung der Tiere an den Kopf angesetzt worden, das hat also nichts zu tun mit einer wirklichen Tierabstammung. So daß wir eigentlich sagen müssen: Das zunächst scheinbar edelste Glied des Menschen, sein Kopf, weist uns zurück auf die Tierheit; in bezug auf das hat der Mensch selbst früher eine Art Tiergestalt gehabt. Dasjenige aber, was wir sonst an uns tragen, das haben wir neben der Entwickelung der Tiere als gewissermaßen organischen Ansatz zum Kopfe in der kosmischen Entwickelung hinzu erhalten.

Nun ist das Haupt in einem gewissen Sinne unser Denkorgan geworden. Unser Denkorgan ist also gerade dasjenige geworden, welches Tierabstam­mung hat, wenn wir so sagen dürfen. Nur hat es allerdings eine sonderbare

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lichen Wesenheit, gleichgültig, ob man vom Seelischen spricht oder ob man vom Leiblichen spricht. Man spricht vom Seelischen als einer einheitlichen Wesenheit, man spricht vom Leiblichen als einer einheitlichen Wesenheit. Und dennoch, Sie werden aus unseren Betrachtungen gesehen haben, daß im Menschenwesen vor allen Dingen der Ihnen schon angedeutete große Gegensatz waltet zwischen all dem, was Hauptes- oder Kopfbildung ist, und all dem - wir wollen es jetzt nicht weiter gliedern, Sie wissen, es kann auch weiter gegliedert werden, aber wir wollen es jetzt in eins zusammen­fassen -, was der Mensch an sich trägt außer seiner Hauptes- oder Kopfes-bildung. Man fragt nach der Entwickelung des Menschen. Man muß in ganz anderer Art iragen nach der Entwickelung des Menschen in bezug auf seme Hauptesbildung, Kopfbildung, und nach der Entwickelung des Men­schen in bezug auf die übrige Leibesbildung.

Wenn wir die Kopfbildung des Menschen - fassen wir sie zunächst ganz körperlich auf - ins Auge fassen, insofern diese Kopfbildung den Organis­mus enthält für das sinnliche Wahrnehmen oder für das Denken oder Vor­stellen, dann müssen wir allerdings weit zurückblicken in die kosmische Entwickelung des Menschen. Dann müssen wir uns sagen: Dasjenige, was heute seinen Ausdruck fmdet in der menschlichen Hauptesbildung, das hat sich nach und nach entwickelt und umgeformt. Es hat sich hindurchent­wickelt durch die alte Saturnbildung, durch die alte Sonnenbildung, durch die alte Mondenbildung und ist dann weiterentwickelt worden während der Erdenzeit. Aber so ist es nicht mit dem, was die andere Leiblichkeit des Menschen ist. Es wäre ganz falsch, eine einheitliche Entwickelungsgeschichte zu suchen für den ganzen Menschen.Wir können sagen: Die Hauptesbil dung, die weist zurück auf die vorhergehenden planetarischen Stufen unserer Erdenbildung: Mondenbildung, Sonnenbildung, Saturnbildung. Dasjenige, was zuletzt seinen unmittelbaren Abschluß gefunden hat in dem mensch­lichen Haupte, das geht auf eine weite Entwickelung zurück. Wenn wir aber dazufügen alles übrige, was zum Menschen gehört, so dürfen wir nicht zurückgehen bis zu der Saturnbildung, sondern wir müssen sagen: Das­jenige, was der Mensch an sich trägt außer seinem Haupte, das können wir höchstens, insoweit es die Brustbildung ist, zurückverfolgen bis in die plane-tarische Mondenzeit, dasjenige, was die Gliedmaßen sind, ist erst während der Erdenformation an den Menschen herangekommen. Wir betrachten

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den Menschen nur dann richtig, wenn wir etwa das folgende vergleichs­weise sagen. Aber bitte, fassen Sie das vergleichsweise auf

Sie können sich sehr leicht hypothetisch vorstellen: durch irgendwelche organischen Verhältnisse im Kosmos, durch irgendwelche Anpassungs­verhältnisse, verbunden mit inneren Wachstumsverhältnissen, würde der Mensch irgendwelche neue Gliedmaßen ansetzen. Sie würden dann nicht zurückverfolgen die ganze Menschengestalt bis zur früheren Entwicke­lung, sondern Sie würden sagen: Der Mensch, insofern er sich entwickelt hat, muß zurückverfolgt werden; aber in einem gewissen Zeitpunkte hat sich erst dieses oderjenes Glied angesetzt. Daß wir versucht sind, nicht so zu denken mit Bezug auf das Haupt und den übrigen Menschen, das rührt nur davon her, weil, rein in bezug auf die äußere Raumesgröße, der übrige Mensch größer ist als sein Haupt. Die Wahrheit ist doch diese, daß die Hauptesbildung am weitesten zurückgeht und daß die andere Bildung erst spätere Ansätze darstellt. Spricht man überhaupt von einem Zusam­menhang des Menschen mit der Tierwelt in bezug auf die Entwicke­lung, dann kann man nur sagen: Dasjenige, was im menschlichen Haupte ist, das geht zurück auf eine frühere Tierbildung. Das menschliche Haupt ist umgewandelte Tiergestalt, sehr stark umgewandelte Tiergestalt.

Der Mensch hat äußerlich, allerdings in ganz anderen physikalischen Ver­hältnissen, eine Tierbildung gehabt, als es noch gar keine Tiere gab. Die Tiere haben sich später zum Menschen hinzugebildet. Dasjenige aber, was im Menschen Tierbildung gehabt hat, das ist heute menschliches Haupt, menschlicher Kopf geworden. Und dasjenige, was an den Kopf angesetzt ist als der übrige Organismus, das ist erst gleichreitig mit der Entwickelung der Tiere an den Kopf angesetzt worden, das hat also nichts zu tun mit einer wirklichen Tierabstammung. So daß wir eigendich sagen müssen: Das zunächst scheinbar edelste Glied des Menschen, sein Kopf, weist uns zurück auf die Tierheit; in bezug auf das hat der Mensch selbst früher eine Art Tiergestalt gehabt. Dasjenige aber, was wir sonst an uns tragen, das haben wir neben der Entwickelung der Tiere als gewissermaßen organischen Ansatz zum Kopfe in der kosmischen Entwickelung hinzu erhalten.

Nun ist das Haupt in einem gewissen Sinne unser Denkorgan geworden. Unser Denkorgan ist also gerade dasjenige geworden, welches Tierabstam­mung hat, wenn wir so sagen dürfen. Nur hat es allerdings eine sonderbare

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Tierabstammung. Wenn Sie heute ein menschliches Haupt nehmen, so wer­den Sie ihm anatomisch vielleicht nicht gleich das ansehen, was zurückweist auf Tiergestalt. Genauer angesehen werden Sie aber doch erkennen, wenn Sie nur richtig zu deuten verstehen die Form der Organe des Hauptes, wie sie umgestaltete Organe der Tierheit sind.

Nun, wenn wir dieses ins Auge fassen, müssen wir allerdings zugleich erwähnen, daß die Umgestaltung aus der Tierheit heraus für das menschliche Haupt dadurch zustande gekommen ist, daß in dieses Haupt bereits einge­zogen ist eine rückwärts gerichtete Entwickelung. Dasjenige, was voll lebendigen Lebens war in früheren Stadien der Entwickelung, ist im mensch­lichen Haupte bereits auf dem Wege des Absterbens, ist im menschlichen Haupte in einer rückwärts gerichteten Entwickelung. Ich habe einmal ge­sagt: Würden wir als Menschen nur Haupt sein, so könnten wir eigentlich niemals leben, so müßten wir im Grunde fortwährend sterben, denn der organische Zusammenliang des menschlichen Hauptes durch die Kräfte des Hauptes selbst ist nicht ein Lebensvorgang, sondern ein Sterbensvorgang. Das, was im Haupte ist, wird fortwährend neu belebt vom übrigen Orga­nismus aus. Daß das Haupt auch teilnimmt am allgemeinen Leben des Organismus, das verdankt es dem übrigen Leben des Organismus. Würde sich das Haupt nur denjenigen Kräften überlassen können, für die es orga­msicrt ist, den sinnlichen Wahrnehmungskräften und den Vorstellungs-kräften, so würde das Haupt fortwährend absterben. Das Haupt hat fort­während die Tendenz zu sterben, es muß fortwährend belebt werden. Und \vcnn wir denken, wenn wir sinnlich wahrnehmen, so geht in unserem Haupte, in unserem Nervensystem überhaupt und seiner Verbindung mit den Sinnesorganen, nicht ein aufsteigender, dem Wachstum oder derglei­chen angemessener Lebensprozeß vor sich, denn da würden wir nur schla­fen können, in tiefen Schlaf versunken sein, da würden wir niemals hell denken können. Nur dadurch, daß fortwährend der Tod durch unser Haupt zieht, daß eine fortwährende Rückentwickelung da ist, daß die orga­nischen Prozesse fortwährend zurückgenommen werden, dadurch greift in unserem Haupte das Denken und das sinnliche Wahrnehmen Platz.

Wer in materialistischer Weise aus Gehirnprozessen das Denken oder das Sinneswahrnehmen erklären will, der weiß eben gar nicht, welche Vorgänge im Haupte vor sich gehen. der glaubt, da gehen solche Prozesse vor sich, die

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sich mit dem organischen Wachstum oder dergleichen vergleichen lassen. Das ist nicht der Fall. Dasjenige, was parallel geht dem Sinneswahinehmen und dem Vorstellen, das sind Absterbeprozesse, das sind Abtrageprozesse, Zerstörungsprozesse. Das Organische, das Materielle muß erst abgetragen, muß erst zerstört werden, dann erhebt sich über dem organischen Zcr­störungsprozeß der Denkprozeß.

Diese Dinge werden heute von der Menschheit so aufgefaßt, daß man versucht, ihre Natur äußerlich zu erschließen. Der Mensch denkt, der Mensch nimmt sinnlich wahr, was aber da parallel in seinem Organismus vorgeht, davon weiß er nichts, das bleibt ihm ganz im Unbewußten sitzen. Nur durch diejenigen Vorgänge, die ich geschildert habe in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», kann man allmäh­lich aufsteigen zu einer solchen Erkenntnis, die nicht bloß in dem lebt, was man fast nur mit seiner Worthedeutung das Seelische nennt: im Sinneswalir­nehmen und im Denken. Bei einer Entwickelung, die die Seele durchmacbt in dieser Art, kann sie auf der einen Seite sich dem Denken, dem Sinnes­wahrnehmen hingeben und gleichzeitig wahrnehmen, was da im Gehirn geschieht. Da nimmt man nicht dasjenige wahr, was man sonst etwa als Wachstumsprozeß empfmdet, da nimmt man wahr einen Abbauprozeß, der stets wiederum ausgeglichen werden muß vom übrigen Organismus aus.

Das ist die tragische Begleiterscheinung einer wirklichen Erkenntnis unserer Hauptestätigkeit. Der hellsichtige Mensch kann sich nicht erfreuen etwa an einem Aufblühen der organischen Prozesse des Hauptes, wenn er denkt, wenn er sinnlich wahrnimmt, sondern er muß sich bekannt machen mit einem Zerstörungsprozeß. Er muß sich aber auch bekannt machen damit, daß der materialistisch Gesinnte annimmt, solche Prozesse spielen sich im menschlichen Haupte ab, welche gerade ausgeschlossen sind, wenn der Mensch denkt oder wenn der Mensch sinnlich wahrnimmt. Gerade das Gegenteil von dem, was wirklich wahr ist, muß der Materialismus für sich annehmen.

Also wir haben es beim menschlichen Haupte zu tun mit einer Entwicke­lung zwar aus der Tierheit heraus, aber jetzt schon mit einer rückläufigen Entwickelung, mit einem Abbauprozeß. In aufsteigender Entwickelung ist unser anderer menschlicher Organismus. Von diesem anderen menschlichen Organismus dürfen wir nicht etwa glauben, daß er nun keinen Anteil hat an dem Seelisch-Geistigen und seinem Erleben im Menschen. Fortwährend

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wird nicht nur das Blut aus dem übrigen Organismus heraufgesendet in das Haupt, sondern fortwährend steigen auch auf in das Blut jene seelisch-geistigen Gedankengebilde, aus denen die Welt gewoben ist, aus denen auch unser Organismus gewoben ist. Diese seelisch-geistigen Gedankengebilde, die nimmt der Mensch heute in seinem normalen Zustande noch nicht wahr, aber es ist das Zeitalter eingetreten, in dem der Mensch beginnen muß das­jenige wahrzunehmen, was aus seinem eigenen Wesen aufsteigt an Ge­dankengebilden. Sie wissen ja, wir schlafen nicht bloß vom Einschlafen bis zum Aufwachen, mit einem Teil unseres Wesens schlafen wir den ganzen Tag über. Wir sind eigentlich nur wach in bezug auf unser Denken, Vor­stellen und Sinneswahrnehmen. Wir träumen in bezug auf unser Gefühls­leben, wir schlafen völlig in bezug auf unser Willensleben. Denn von dem, was wir wollen, wissen wirja nur die Gedanken, die Ideen, nicht den Vor­gang des Willens. Was der Wille eigentlich macht, das vollzieht sich für unser Bewußtsein so unbewußt wie das Schlafesleben vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Aber wenn wir fragen: Auf welchen Wegen kann allein das Wissen von dem wirklich Göttlichen an den Menschen herankommen?, dann können wir nicht verweisen auf den Weg durch das Haupt, auf den Weg durch die Sinneswahrnehmung und durch das Denken, sondern dann können wir nur verweisen auf den Weg, der durchgeht durch unseren übrigen Organismus. Und das große, gewaltige Geheimnis liegt vor, daß der Mensch sein Haupt entwickelt hat in einer langen Entwickelungsreihe, daß dann hinzugekommen ist dasjenige, was sein übriger Organismus ist, daß das Haupt bereits eine rückläufige Entwickelung angetreten hat, daß aber dasjenige, was der Mensch als sein Göttliches empfinden kann, durch den übrigen Organismus zu ihm sprechen muß, nicht durch das Haupt. Denn das ist wichtig, daß man sich klar ist darüber: Durch das Haupt spra­chen zu Menschen zunächst nur die luziferischen Wesenheiten. Und wir können sagen: Dem Menschen wurde zu seinem Haupte hinzu erschaffen der übrige Organismus, damit zu ihm sprechen können seine Götter. Am Ausgangspunkt der Bibel steht nicht: Und Gott sandte dem Menschen den Lichtstrahl und er ward eine lebendige Seele - sondern: Gott blies dem Menschen den lebendigen Odem ein und er ward eine lebendige Seele. -Hier wird richtig erkannt, daß durch eine Nicht-Hauptestätigkeit zu dem Menschen der göttliche Impuls kam.

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Daraus wird es Ihnen aber auch verständlich sein, daß zunächst dieser göttliche Impuls zum Menschen nur kommen konnte in einer Art unbe­wußten Hellsehens, oder wenigstens durch ein Verständnis desjenigen, was durch unbewußtes Hellsehen gegeben wurde. Wenn Sie von unserer Bibel das Alte Testament ansehen, so werden Sie es finden müssen - wir wissen das ja von anderen Betrachtungen aus - als ein Ergebnis eines unbewußten Hellsehens. Dessen waren sich auch diejenigen bewußt, die Mithilfe geleistet haben beim Zustandekommen des Alten Testaments. Ich kann Ihnen heute hier nicht das Zustandekommen des Alten Testaments schildern, aber ich möchte Sie doch hinweisen darauf, in wie vielen Betrachtungen wir über solche Dinge uns ergangen haben, wie Sie bei den Lehrern des alten hebräi­schen Volkes durchaus das Bewußtsein überall fmden, daß ihr Gott zu ihnen gesprochen hat nicht durch die unmittelbaren Sinneswahrnehmungen, nicht durch das gewöhnliche Denken, nicht durch alles dasjenige also, wofür das Haupt der Vermittler ist, sondern daß ihr Gott zu ihnen gesprochen hat durch Träume - worunter sie nicht gewöhnliche Träume, sondern von Wirklichkeit durchtränkte Träume verstanden -, was da Gott zu ihnen ge­sprochen hat durch solche heliseherischen Momente wie zu Moses aus dem Dombusch und ähnlichem. Und wenn man die Eingeweihten dieser alten Zeit gefragt hat, wie sie sich vorstellen, daß die göttlichen Rufe zu ihnen kommen, dann haben sie gesagt: Zu uns spricht der Herr, dessen Name unaussprechlich ist, aber er spricht durch sein Antlitz zu uns. - Und das Antlitz ihres Gottes nannten sie den Michael, jene geistige Macht, die wir zu der Hierarchie der Archangeloi rechnen. Ihren Gott empfanden sie als den unbekannt hinter den Erscheinungen auch des Hellsehers bleibenden. Wenn der Hellseher aber sich durch die innere Verfassung seiner Seele zu seinem Gotte erhob, so sprach zu ihm Michael. Aber dieser Michael sprach nur dann, wenn die Menschen sich versetzen konnten in einen anderen Zustand, als der gewöhnliche Bewußtseinszustand war, wenn die Men­schen sich versetzen konnten in einen Zustand einer gewissen Hellsichtig­keit, durch den dasjenige ins Bewußtsein hereintrat, was sonst nur am Men­schen schafft und lebt entweder vom Einschlafen bis zum Aufwachen, oder aber durch den unterbewußt bleibenden Willen, der eigentlich auch schläft, auch dann, wenn wir tagwachend sind.

Und so nannte man in der alten hebräischen Geheinflehre die Jahve-Offenbarung

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die Offenbarung der Nacht und empfand die Jalive-Offen­barung durch die Michael-Offenbarung als die Offenbarung der Nacht. Man sah auf der einen Seite hinein in die Welt nach dem, was sie einem geben konnte durch die Sinneswahrnehmung und durch das menschliche verständige Denken, und sagte sich: Auf diesem Wege kommen Erkennt­nisse, kommt ein Wissen an den Menschen heran, das zunächst das Göttliche nicht enthält. Wenn aber der Mensch aus diesem Bewußtseinszustand heraus sich zu einem anderen Bewußtseinszustand entwickelt, dann spricht zu ihm Gottes Angesicht, der Michael, und offenbart ihm die eigentlichen Geheim­nisse, die mit dem Menschenwesen zusammenhängen, offenbart ihm das-jenigc, was ihm eine Brücke baut zwischen dem Menschen undjenen Mäch­ten, die nicht wahrgenommen werden können in der äußeren Sinneswelt, die nicht erdacht werden können mit dem an das Gehirn gebundenen Ver­stand.

So muß man sagen: Es lebten die Menschen in den vorchristlichen Zeiten so, daß sie hinschauen konnten auf der einen Seite auf die Sinneserkenntnis -die war da als Richtschnur für die Erdenverrichtungen - und hinschauten auf der anderen Seite nach jener Erkenntnis, die der Mensch nur haben würde - er hat sie nicht gehabt - für das gewöhnliche Bewußtsein, wenn dieses Bewußtsein wach bliebe, während es schläft zwischen dem Einschla­fen und Aufwachen. Der Mensch ist in der Umgebung von geistigen We­senheiten - das wußte man -, wenn er wacht. Und diese geistigen Wesen­heiten sind nicht seine schöpferischen Wesenlieiten - so dachte man im Alten Testament in der Zeit, aus der das Alte Testament stammt -, diese Wesen­heiten sind die luziferischen Wesenheiten. Die Wesenlieiten, die als die schöpferisch-göttlichen gegenüber der Menschheit empfunden wurden, die wirkten an dem Menschenwesen vom Einschlafen bis zum Aufwachen, oder an denjenigen Teilen des Menschenwesens, die auch während des Tag­wachens schlafen. Den Regierer der Nacht, so nannte man in der Zeit, aus der das Alte Testament stammt, den Gott Jalive, und den Diener des Regie-rers der Nacht, so nannte man, wie man sagte, das Antlitz Jalives, den Michael. Und an den Michael dachte man, wenn man all die prophetischen Eingebungen meinte, durch die man mehr begriff als dasjenige, was durch die Erkenntnis der Sinneswelt kommen würde.

Und welches Bewußtsein steckt denn hinter all dem? Hinter all dem

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steckt das Bewußtsein, das herausgewachsen ist aus jener Seinssphäre, in wel­cher die denjahve mit umschließenden Mächte wesen, während die mensch­liche Hauptesbildung umgeben ist von luziferischer Wesenheit. Es war ein Geheirinis, das man durch alle alten Tempel trug, und mit dem man der Wahrheit wirklich recht nahestand, daß, indem aus dem Organismus des Menschen herausragt das menschliche Haupt, der Mensch sich durch sein Haupt zugewendet hat den luziferischen Wesenheiten. Man wußte gewisser­maßen, indem das Haupt aus dem menschlichen Organismus herausragt, ragt Luzifer aus dem menschlichen Organismus heraus. Diejenige Macht, welche das menschliche Haupt aus der Tierheit heraus zu seiner jetzigen Gestalt geführt hat, ist eine luziferische Macht. Und diejenige Macht, die der Mensch als göttliche empfinden soll, die muß aus dem Nachtzustand des übrigen Organismus in das menschliche Haupt heraufströmen. So lag das­jenige, was der Mensch wissen konnte in den vorchristlichen Zeiten.

Dami schlug ein in die Erdenentwickelung das Mysterium von Golgatha. Und wir wissen ja, daß das Mysterium von Golgatha bedeutet eine Ver­einigung eines überirdischen Wesens mit der menschlichen Erdenentwicke­lung durch den Leib des Jesus von Nazareth, eine solche Vereinigung, daß durch den Tod auf Golgatha diese Wesenheit, die wir die Christus-Wesen-heit nennen, sich verbunden hat mit der menschlichen Erdenwesenheit. Was ist dadurch in der Erdenentwickelung geschehen?Ja, dadurch hat die Erden-entwickelung eigentlich erst ihren Sinn bekommen. Dann hätte die Erde nicht ihren Sinn, wenn der Mensch auf dieser Erde sich entwickeln würde, dastehen würde mit seinen Sinnen und mit seinem an das Haupt gebundenen Verstande, die zunächst einen luziferischen Ursprung haben, die äußere Erdenwelt, die auf die Erde strömende Lichteswelt der Sonne und der Sterne wahrnehmen würde, aber im Schlafeszustand verharren müßte, um das Göttliche wahrzunehmen. Nimmermelir würde dadurch die Erde ihren Sinn bekommen, denn der wachende Mensch gehört mit der Erde zusam­men. Der schlafende Mensch ist sich seines Zusammenhanges mit dem Erdensein zunächst nicht bewußt. Dadurch, daß die Christus-Wesenlieit gewohnt hat in einem Menschenleib, der durch den Tod gegangen ist, da­durch hat sich innerhalb der Erdenentwickelung etwas wie ein Ruck voll­zogen. Alles in dieser Erdenentwickelung hat einen neuen Sinn bekommen. Die Möglichkeit hat sich zunächst herausgebildet, daß der Mensch nach und

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nach fähig werde, seine schöpferischen göttlichen Mächte auch während des Tages, während des gewöhnlichen Wachens, das heißt im gewöhnlichen Bewußtseinszustande, zu erkennen. Darüber herrscht heute nur noch Irr­tum aus dem Grunde, weil die seit dem Mysterium von Golgatha verflossene Zeit noch nicht hingereicht hat den Menschen dazu zu führen, auch im Tag-wachen nun hineinzuschauen in diejenige Welt, in die hineinschauen konn­ten die Propheten des Alten Testamentes in den Zeiten, die sie empfanden als durchdrungen von Offenbaruiigen ihres Regierers der Nacht, desjahve, und seines Antlitzes, des Michael. Es bedurite einer Durchgangszeit. Aber mit dem Ablauf des neunzehntenjahrhunderts - die ganze orientalische Weisheit weist hin, aber von einem völlig anderen Gesichtspunkte, auf die Wichtigkeit dieses Ablaufes des neunzehnten Jahrhunderts - ist die Zeit eingetreten, wo die Menschen erkennen müssen, daß etwas erfüllt ist, was früher nicht erfüllt war, wo die Menschen erkennen müssen: Jetzt ist in ihnen die Fähigkeit latent,jetzt ist in ihnen die Fähigkeit zum Aufwecken reif, durch die Tages-offenbarung hindurch zu sehen dasjenige, was früher nur in der Nachtoffen-barung durch Michael vermittelt worden ist.

Dem aber mußte noch ein großer Irrtum vorangehen, gewissermaßen eine Erkenntnisnacht vorangehen. Ich habe ja öfters gesagt, daß ich durch­aus nicht übereinstimme mit denjenigen, die immer sagen, unsere Zeit ist eme Übergangsepoche. Ich weiß ganz gut, jede Zeit ist eine Übergangs-epoche. Aber bei solchen formal abstrakten Bestinirnungen will ich nicht stehen bleiben, denn es kommt darauf an, daß man angebe, worinnen der Übergang einer bestimmten Zeit besteht. Der Übergang in unserer Zeit be­steht darinnen, daß die Menschen erkennen sollen: Durch die Tagerkenntnis hindurch muß kommen dasjenige, was früher nur Nachterkenntnis war. Mit anderen Worten: Michael war der Offenbarer durch die Nacht und soll werden in unserer Zeit der Offenbarer während des Tages. Michael soll werden aus einem Nachtgeist ein Taggeist. Für ihn bedeutet das Mysterium von Golgatha die Umwandlung aus einem Nachtgeist in einen Taggeist.

Aber dieser Erkenntnis, die sich schneller als wir heute glauben, Bahn brechen sollte unter den Menschen, dieser Erkenntnis mußte ein noch grö­ßerer Irrtum vorangehen, der größtdenkbare Irrtum, der eigentlich in der Menschheitsentwickelung möglich war, trotzdem man ihn heute noch in vielen Kreisen als eine besonders wichtige und wesentliche Wahrheit ansieht.

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Völlig verhüllt hat sich der neueren Menschheit der Ursprung des menschlichen Hauptes, völlig verhüllt hat sich die mit dem menschlichen Haupte verbundene luziferische Geistigkeit. Der Mensch wurde, wie ich sagte, auch leiblich als eine Einheit genommen. Man fragte nach seiner Ab­stammung, und es wurde einem zur Antwort gegeben, der Mensch stamme von der Tierheit ab, während in Wahrheit nur dasjenige, was am Menschen das Luziferische ist, von der Tierheit abstammt. Dasjenige aber, durch das früher gesprochen haben zu ihm aus seinem Schlafeszustande heraus seine göttlichen Schöpfer, das ist erst entstanden - nachdem nebenher die Tiere entstanden sind - als Ansatz des menschlichen Hauptes. Man hat alles am Menschen zusammengeworfen und spricht von der Abstammung des Men­schen von der Tierheit. Das ist etwas wie eine Erkenntnisstrafe, die in die Menschheit hereingekommen ist, wobei ich das Wort «Strafe» in einem etwas umgedeuteten Sinne meine.

Woher kann denn eigentlich diese Tendenz stammen, daß der Mensch die Dichtung erfand, e? stamme von der Tierheit ab, während der wahre Vor­gang der ist, den wir zunächst hingestellt haben bezüglich der Abstammung des Hauptes und des übrigen Organismus. Was hat dem Menschen einge­geben die Dichtung: der ganze Mensch stamme von der Tierheit ab?

Sehen Sie, in der Zwischenzeit, die zwischen dem Mysterium von Gol-gatha und unseren Tagen verflossen ist, und die in gewissem Sinne eine Vor­bereitung war für das Verständnis des Mysteriurns von Golgatha, in dieser Zeit, in der zurückgetreten ist die alte heidnische Weisheit, durch die man ja zunächst auch das Christentum erfassen wollte, und in der noch nicht völlig reif war die neue Geist-Erkenntnis, in dieser Zeit stahl sich allmählich in die Menschheitsentwickelung herein das ahrimanische Element. Und in-dem man nicht erkannte das luziferische Element in dem menschlichen Haupte, konnte man auch nicht erkennen das ahrimanische Element, mit dem das Göttliche im Kampfe liegt, in der übrigen menschlichen Organisa­tion. Und so entstand denn die rein ahrimanische Dichtung, der Mensch stamme ab aus der Tierreihe.

Daß der Mensch von der Tierreihe abstamme, ist eine ahrimanische Ein­gebung. Diese Wissenschaft hat rein ahrimanischen Charakter. Der Ver­dunkelung jener Weisheit, welche uns darauf hinweist, wie im menschlichen Haupte luziferische Bildung ist, verdankt man den Irrwahn, der Mensch

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stamme ab von der Tierreihe. Indem man das eine in bezug auf die Abstam-mung des menschlichen Hauptes nicht mehr in der richtigen Weise durch­schauen konnte, lernte man auch das andere nicht in der richtigen Weise durchschauen. Und so schlich sich herein in das menschliche Anschauen die Meinung von der Verwandtheit des Menschen als ganzen Wesens mit der Tierheit. Und so schlich sich in die Auffassung des menschlichen Wesens das­jenige auch ein, was im Grunde genommen in der neueren Zivilisations­entwickelung eine ganze Weltanschauung durchdrungen hat: das mensch­liche Haupt wurde zum Edelsten gemacht, das andere ihm entgegengestellt, so wie man entgegenstellt Gutes und Böses in der Welt, den Himmel und die Hölle, eine Zweiheit statt der Dreiheit. In Wahrheit hätte man wissen sollen, daß der Mensch zunächst dasjenige, was er durch sein Haupt in der Welt erringt, zwar der Weisheit der Welt verdankt, aber der luziferischen Weisheit, und daß diese luziferische Weisheit erst nach und nach durch­drungen werden muß von anderen Elementen.

Diejenige geistige Macht, welche - nachdem die Menschlieitsentwickelung durchgegangen war durch Saturn-, Sonnen- und Mondenentwickelung und die Erdenentwickelung begonnen hatte - das luziferische Wesen in die menschliche Hauptesbildung einorganisiert hat, das ist die Michael-Macht. « Und er stieß seine gegnerischen Geister herunter auf die Erde», das heißt:

Durch dieses Herunterwerfen der dem Michael gegnerischen luziferischen Geister wurde der Mensch zunächst durchdrungen mit seiner Vernunft, mit dem, was dem menschlichen Haupte entsprießt.

So ist es Michael, der seine Gegner dem Menschen gesandt hat, damit der Mensch durch die Aufnahme dieses gegnerischen, dieses luziferischen Ele­mentes zunächst seine Vernunft erhalten hat. Dann trat in der Menschheits-entwickelung das Mysterium von Golgatha ein. Die Christus-Wesenheit ging durch den Tod des Jesus von Nazareth. Die Christus-Wesenheit ver­band sich mit der Menschheitsentwickelung.

Die Vorbereitungszeit ist verflossen. Michael selber hat in übersinnlichen Welten an den Ergebnissen des Mysteriums von Golgatha teilgenommen. Michael hat seit dem letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts eine ganz besondere Stellung innerhalb der Menschheitsentwickelung. Das erste, was eintreten muß durch eine richtige Erkenntnis dieser Stellung des Menschen zu dem Michael, muß sein, daß man hineinsieht in solche Geheimnisse, wie

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wir sie zum Beispiel mit Bezug auf das menschliche Haupt und den übrigen menschlichen Organismus heute versuchen hinzustellen.

Das Wesentliche muß sein, daß den Menschen klar werde: Weil sie nicht erkannt haben den wirklichen Ursprung des menschlichen Hauptes, konn­ten sie nur in einen Irrwahn verfallen mit Bezug auf den Ursprung des gan­zen Menschen. Weil sie sich nicht vorstellen wollten, daß die luziferische Bildung zunächst Platz gegriffen hat im menschlichen Haupte, verfielen die Menschen in den Wahn, daß dasjenige, was mit dem menschlichen Haupte zusammenhängt, zurückzuführen sei auf gleichen Ursprung mit dem ganzen übrigen Menschen. Diese Geheimnisse muß die Menschheit durchschauen. Die Menschheit muß zu der Möglichkeit kommen, kühn und tapfer sich gegenüberzustellen der Erkennrnis, daß sie an sich von innen aus durch das Ergreifen neuer göttlicher Geheimnisse etwas zu verbessern habe an alledem, was ihr gegeben werden kann durch die bloße Einsicht des Hauptes, durch die bloße menschliche irdische Weisheit oder Gescheitheit. Und zuerst muß Korrektur geübt werden können an dem großen Irrtum, der der Umkehr hat vorausgehen müssen, an dem Irrtum, der da liegt in der materialistischen Ausdeutung der Entwickelungslehre von dem Ursprung des ganzen Men­schen aus der Tierreihe heraus.

Nur das wird der Weg sein, um wiederum zur Möglichkeit zu kommen, überhaupt in diesem Menschen, wie er vor uns steht, nicht auf der einen Seite ein bloß Geistig-Seelisches, das nur in einem Leibe wohnt, zu sehen, und auf der anderen Seite ein seelenloses Leibliches, sondern zu schauen das Konkret-Geistige, das da arbeitet, wenn auch in einer luziferischen Weise, an dem menschlichen Haupte, das Konkret-Göttlich-Geistige, das an dem ganzen Menschen arbeitet, das einen Gegner allerdings bekommt in der außer dem Haupte befindlichen Organisation in der ahrimanischen Natur.

In Imaginationen gesprochen, können wir zurückweisen daraul, wie das Luziferische dem Menschen einverleibt worden ist durch den Michael-Impuls; durch dasjenige, was der Michael geworden ist, muß ihm nun wiederum das Ahrimanische genommen werden. Vor unserer äußeren Wissenschaft steht heute unserem Bewußtsein gegenüber der Mensch so, als wäre das die Wahrheit, was wir durch Anatomie, Physiologie und so weiter erkennen, oder was wir in der äußeren Sinnesbeobachtung an dem Menschen vor uns haben. Wir müssen fähig werden, den Menschen

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so anzusehen, daß wir in jeder seiner Fibem das Geistige, das konkret-geistige Wesen mit dem Leiblichen schauen. Wir müssen uns bewußt sein: Im lebendigen Menschen rinnendes Blut ist nicht dasjenige, was wir ab­tropfen lassen, sondern dieses im lebendigen Menschen rinnende Blut ist durchgeistigt in einer besonderen Art. Aber wir müssen den Geist kennen-lernen, der durch das Blut pulst. Wir müssen den Geist kennenlernen, der durch das Nervensystem dann pulsiert, wenn das Nervensystem gerade in einer Absterbephase ist und so weiter und so weiter. Wir müssen in allen einzelnen Lebensäußerungen das geistige Element mit sehen können.

Michael ist der Geist der Stärke. Er muß befähigen, indem er in die Menschheitsentwickelung einzieht, nicht die abstrakte Geistigkeit auf der emen Seite zu haben, und auf der anderen die Materiahtät, die wir beklop-fen, die wir durchichneiden, und von der wir keine Ahnung haben, daß sie im Grunde genommen nur eine äußere Offenbarungsform auch des Geisti­gen ist, Michael muß uns durchdringen als die starke Kraft, die das Mate­rielle durchschauen kann, indem sie im Materiellen zu gleicher Zeit das Geistige sieht, indem im Materiellen überall der Geist gesehen wird. Auf eine alte Stufe des Menschheitsbewußtseins wurde hingewiesen, da wurde gesagt: Es lebte in dieser alten Zeit das Wort in geistiger Weise, aber das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnet - so drückt es der Evangelist aus. Es hat sich vereinigt mit dem Fleische das Wort, und die Michael-Offenbarung ist dem vorangegangen. Das alles sind Vorgänge im menschhchen Bewußtsein, auf die da hingedeutet wird. Der umgekehrte Prozeß muß beginnen, dieser umgekehrte Prozeß, der darinnen besteht, daß man zu dem Worte des Evangelisten ein anderes hinzuzufügen hat. In unserem Bewußtsein muß die Kraft sich ansetzen, zu sehen, wie der Mensch aufluimmt dasjenige, was aus geistigen Welten durch den Christus-Impuls sich mit der Erde vereinigt hat und mit der Menschheit sich ver­binden muß, damit die Menschheit nicht mit der Erde zugleich zugrunde gehe. Gesehen muß werden, wie der Mensch nicht nur in sein Haupt herein, sondern in seinen ganzen Menschen auftuimmt das Geistige, wie er sich ganz durchdringt mit dem Geistigen. Dazu kann nur der Christus-Impuls helfen. Dazu muß aber auch die Interpretation des Christus-Impulses durch den Michael4mpuls helfen. Dann wird hinzugefügt werden können zu den Worten des Evangelisten: Und die Zeit muß kommen, da das

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Fleisch wiederum zum Worte wird und lernet im Reich des Wortes zu wohnen.

Es ist nicht eine Erfindung irgendeines späteren Hinzuschreibers, wenn am Schluß der Evangelien steht, daß manches ausgelassen ist. Mit diesem ist zugleich hingewiesen auf dasjenige, was erst nach und nach sich der Menschheit enthüllen kann. Der versteht die Evangelien schlecht, der sie so betrachtet, als ob sie zu bleiben haben, wie sie sind, und nicht angetastet werden dürfen. Sie müssen ausgelegt werden nach dem Worte des Christus Jesus, das sagte ich immer zu Ihnen: Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Erdenzeiten. - Das heißt aber: Ich habe mich euch nicht nur geoffenbart m den Tagen, in denen die Evangelien geschrieben sind, ich werde durch meinen Taggeist Michael hereinsprechen zu euch immerdar, wenn ihr den Weg zu mir sucht. Ilir werdet hinzufügen dürfen durch die fortlaufende Christus-Offenbarung zu den Evangelien, was zwar nicht im Evangelium des ersten Jahrtausends, wohl aber im Evangelium des zweiten Jahrtausends gewußt werden kann, und zu dem immer Neues hinzugefügt werden kann in den folgenden Jahrtausenden. - Denn so wahr es ist, was in dem Evan­gelium steht: Im Urbeginne war dasWort, und das Wort ist Fleisch gewor­den und hat unter uns gewohnet - ebenso wahr ist es, daß wir hinzufügen müssen der Offenbarung: und das Menschenfleisch muß wiederum durch-geistigt werden, damit es fähig werde, im Reiche des Wortes zu wohnen, um zu schauen die göttlichen Geheimnisse. - Die Fleischwerdung des Wor­tes ist die erste Michael-Offenbarung, die Geistwerdung des Fleisches muß die zweite Michael-Offenbarung sein.

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DRITTER VORTRAG Dornach, 23. November 1919

Vorgestern habe ich hier davon gesprochen, wie wir als Mitglieder der Menschheit zunächst einmal in einer Sphäre leben, die wir bezeichiien kön­nen als unsere vierte Entwickelungssphäre. Wir wissen, daß die Erdenent­wickelungso vor sich gegangen ist, daß dasjenige, was jetzt Erdenentwicke­lung ist, sich nach und nach herausgestaltet hat aus der Saturnentwickelung, daß daraus die Sonnenentwickelung geworden ist, daraus die Monden-entwickelung, daraus die Erdenentwickelung. Wenn wir nun diese vier aufeinanderfolgenden Gestaltungen des Erdenpianeten, zu dem selbst-verständlich die Menschheit als solche gehört, ins Auge fassen, so dürfen wir auf den Menschen nur sehen, insofern der Mensch ein Haupteswesen ist. Wir müssen uns aber auch klar sein darüber, daß, indem wir so sprechen, für uns alles, was wir als Haupt des Menschen bezeichnen, der symbolische Ausdruck ist für dasjenige, was dem menschlichen Sinneswahmehmen angehört, was der menschlichen Intelligenz angehört, und was wiederum ins soziale Leben überfließt durch die menschliche Sinneswahmehmung, durch die menschliche Intelligenz. Auch alles das, was der Mensch in seiner Entwickelung durchmacht dadurch, daß er Sinneswahrnehmungswesen ist, dadurch daß er ein intelligentes Wesen ist, alles das müssen wir umfassen. So daß gewissermaßen, wenn ich sage « der Mensch als Haupteswesen», dies bildlich gesprochen ist für all das andere, was ich eben erwähnt habe.

Wir sprechen leichten Herzens davon, daß wir als physische Menschen im Lufikreis drinnen sind. Wir müssen auch einsehen, daß dieser Luftlireis zu uns selber gehört. Denn, nicht wahr, diejenige Luft, die ebenjetzt in uns ist, war vor kurzer Zeit noch außer uns. Wir sind als Menschen außerhalb dieses Luftkreises gar nielit denkbar. Aber wir haben uns sogar gewöhnt als mo­derne Menschheit zu glauben, es wäre auch früher so gewesen - was gar nicht der Fall ist -, von diesen Dingen wie der Luft und dergleichen nur in der modernen Art zu sprechen. Wir finden es heute schon absonderlich, wenn wir davon sprechen, daß wir, ebenso wie wir in der Luft wandeln, in einer Sphäre wandeln, welche gewissermaßen die Bedingungen dazu ent­hält, daß wir Sinneswesen, daß wir intelligente Wesen sind, kurz, daß wir

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alles das an uns liaben, was in dem eben erwähnten Sinne symbolisch aus­gedrückt werden kann dadurch, daß wir Haupteswesen sind. Nun aber habe ich Ihnen gesagt, daß dieses eben nur die eine Sphäre ist, in der wir sind. Wir befinden uns jedoch in verschiedenen Sphären und wollen jetzt zu einer menschheitlich praktischen Sphäre vorschreiten und alles das ins Auge fassen, worin wir dadurch leben, daß unserer Erde drei Entwicke­lungsstadien vorangegangen sind und wir in dem vierten sind. Das alles wollen wir durch die diese Kreisfläche (es wird gezeichnet) charakterisiert sein lassen, in der wir darinnen leben gewissermaßen als in unserer vierten Entwickelungssphäre. Außerdem leben wir in einer anderen Entwickelungs­sphäre dadurch, daß diese Entwickelungssphäre so zu den geistigen Wesen­heiten, die unsere Schöpfer sind, gehört, wie diese vierte Entwickelungs-sphäre zu uns gehört. Sehen wir jetzt zunächst einmal von uns Menschen ab, sehen wir auf diejenigen Wesen, die wir immer genannt haben in der Reihenfolge der über uns stehenden Hierarchien die Geister der Form, die Geister alles schöpferischen Formwesens, so müssen wir so sprechen, daß wir die Sphäre, die wir diesen unseren schöpferisch göttlichen Geistern zuschrei­ben, als Menschen erst erreichen, wenn die Erde noch drei weitere Entwicke­lungsstadien, die Sie in meiner «Geheimwissenschaft» als Jupiterstadium, Venusstadium, Vulkanstadium bezeichnet fmden, durchschritten hat und beim achten Stadium angekommen ist. Da also, wo wir Menschen stehen werden nach der Vulkanentwickelung, stehen diese schöpferischen Geister. Da ist ihre Sphäre, die zu ihnen so gehört, wie die vierte Sphäre zu uns. Aber diese zwei Sphären müssen wir uns ineinandergeschoben, einander durchdringend denken. Wenn ich also die andere Sphäre, die ich jetzt ge­nannt habe, als die achte bezeichne, so leben wir eben nicht bloß in der vierten, sondern auch in dieser achten Sphäre, dadurch, daß mit uns zu­sammen unsere göttlichen Schöpfer in dieser Sphäre leben.

Wenn Sie nun diese achte Sphäre ins Auge fassen, dann leben darinnen aber nicht nur unsere göttlichen Schöpfergeister, sondern darinnen leben außerdem die ahrimanischen Wesenheiten. So daß dadurch, daß wir in der Umgebung der achten Sphäre leben, wir zusammen mit unseren von uns als unsere göttlichen Mächte empfundenen Geistern leben, aber auch mit den ahrimanischen Wesenheiten. In der vierten Sphäre leben mit uns, genau gesprochen, die luziferischen Geister. So also steht es gewissermaßen

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mit der Verteilung dieser geistigen Wesenheiten. Wir können auf diese geistigen Wesenheiten nunmehr eingehen, wenn wir erfassen dasjenige, was mit den entsprechenden Umgebungen dieser Sphären von uns selbst in Verbindung steht.

Da offenbart sich dem Schauen der Initiationswissenschaft zunächst, daß dadurch, daß wir in der vierten Sphäre unserer Entwickelung leben, wir, wie gesagt, wahrnehmende und intelligente Wesen sind. Aber wir dürfen nie vergessen, daß eben in diese Intelligenz, wobei wir immer die Sinnes-wahrnehmungen mit der Intelligenz zugleich bezeichnen wollen, herein-spielt die luziferische Macht. Diese luziferische Macht ist eigentlich innig verbunden mit der besonderen Art von Intelligenz, die heute noch der Mensch wesentlich als seine eigentliche, ihm zukommende Intelligenz an­sieht, mit der er am liebsten als seiner Intelligenz wirtschaftet. Und dennoch, diese Intelligenz ist dem Menschen nur dadurch zugeteilt worden, daß jene höhere Wesenheit, von der ich als der Michael-Wesenheit gesprochen habe, luziferische Geister herabgestoßen hat in die Sphäre der Menschen, in die vierte Sphäre der Menschen, und dadurch in den Menschen der intelligente Impuls eigentlich hineingekommen ist.

Sie können fühlen, was dieser intelligente Impuls in der Menschheit be­deutet, wenn Sie das unpersönliche Element der noch gegenwärtigen menschlichen Intelligenz ins Auge fassen. Nicht wahr, wir Menschen haben viele persönliche Interessen. Wir begegnen einander mit unseren persön­lichen Interessen, und in bezug auf unsere persönlichen Interessen sind wir eben individualisiert. Aber diese Individualisierung macht halt vor der Intelligenz. In bezug auf die Intelligenz, in bezug auf die Logik haben wir, alle Menschen, das Gleiche und rechnen mit diesem Gleichen. Dieses Gleiche hätten wir nicht, wenn nicht der luziferische Einfluß, durch Michael ver­rnittelt, auf die Menschheit ausgeübt worden wäre.

Wir verstehen uns in dieser einfachen Weise nur dadurch, daß wir eine gemeinsame Intelligenz haben, nur dadurch, daß die gemeinsame Intelligenz eben von der luziferischen Geistigkeit herrührt. Nun, diese luziferische Geistigkeit, sie ist entstanden dadurch, daß Michael die Menschen sozusagen durchdrungen, influenziert hat mit der luziferischen Wesenheit. Diese luzi­ferischen Einflüsse, sie haben sich in der menschlichen Geschichtsentwicke­lung weiter ausgestaltet. Neben ihnen hat sich manches andere im Menschen

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entwickelt. Aber heute noch immer wird diese luziferische Geistig­keit, die wir unsere Intelligenz nennen, als das den Menschen eigentlich Auszeichnende in weitesten Kreisen empfunden.

Sie müssen, um sich vielleicht die Sache noch klarer zu machen, einmal Ihre Seelenblicke richten auf etwas anderes, was uns Menschen auch sogar über die ganze Erde hin zusammenführen kann, wenn es einmal über die ganze Erde hin sich verbreitet. Das ist der Christus-Impuls. Aber der Christus4mpuls ist etwas anderes als der Intelligenz-Impuls. Der Intelligenz­Impuls hat etwas Zwingendes. Sie können nicht die Intelligenz der Mensch­heit zu Ihrer persönlichen Angelegenheit machen. Sie können nicht plötzlich sich entschließen, irgend etwas, was durch Intelligenz zu entscheiden ist, persönlich zu entscheiden, ohne daß Sie eben herausfallen aus dem sozialen Leben der Menschheit als wahnsinnig. Aber Sie können auf der anderen Seite auch wiederum kein anderes Verhältnis zu dem Christus-Impals gewinnen, als ein persönliches. Es kann niemand im Grunde genommen dem andern hineinsprechen in das Verhältnis, in das der andere sich zu Christus versetzen will. Das ist eine persönliche Angelegenheit letzten Endes. Aber dadurch, daß der Christus durch das Mysterium von Golgatha gegangen ist und mit der Erdenentwickelung sich verbunden hat, ist es so, daß, wenn ganz unabhängig voneinander noch so viele Menschen den Christus-Impuls zu ihrem persönlichen machen, so wird er ganz von selber der gleiche. Das heißt, die Menschen werden zusammengeführt durch etwas, was jeder für sich macht, nicht zwangsweise, wie durch die Intelli­genz, sondern dadurch, daß eben durch den Christus4mpuls selber sich das Verhältnis in jedem Menschen zu dem Christus so bildet, daß es bei jedem Menschen, indem es sich in der richtigen Weise bildet, dasselbe ist. Das ist der Unterschied zwischen dem Intelligenz-Impuls und dem Christus-Impuls. Der Christus4mpuls kann über die ganze Menschheit hin gleich sein und ist doch für jeden einzelnen eine persönliche Angelegenheit. Die Intelligenz ist nicht eine persönliche Angelegenheit.

Nun, wo hinein ist denn der Christus-Impuls gefallen? Das können wir uns beantworten nach Andeutungen, die ich schon gegeben habe. Wir wissen, die Kopfentwickelung ist schon eine rückschreitende, eine rück­läufige. In bezug aufsein Haupt ist der Mensch gewissermaßen in einem fort­währenden Absterben drinnen. So daß wir also auf die kosmische Tatsache

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hinweisen können: Michael hat die luziferischen Scharen in das Reich der Menschheit heruntergestoßen. Die luziferischen Scharen haben so zu ihrem Wohnsitz das menschliche Haupt bekommen, aber das menschliche Haupt im absterbenden Charakter.

Hier begannen sie, diese luziferischen Scharen, fortdauernd gegen das Absterben des menschlichen Hauptes anzukämpfen. Und hier berühren wir ein zwar altbekanntes, in den verschiedensten Formen bekanntes, aber der neueren Menschheit fast ganz verhülltes Geheirunis der Menschennatur. Der Mensch trägt, wenn man seine göttliche Entwickelung ins Auge faßt, in seinem Haupt eine absterbende Entwickelung, ein fortwährendes Er-sterben. Aber diesem fortwährenden Ersterben geht ein Anfachen des Lebens von seiten Luzifers parallel. Fortwährend will Luzifer unser Haupt zu einem so lebendigen machen, wie unser übriger Organismus ein leben­diger ist. Dadurch würde, wenn man auf das Organische sieht, Luzifer abtrünnig machen die Menschheitsentwickelung von ihrer göttlichen Rich­tung, wenn es ihm gelänge, tatsächlich das menschliche Haupt so zu be­leben, wie der übrige Organismus des Menschen belebt ist.

Aber dagegen eben muß die göttliche Richtung der menschlichen Ent­wickelung sich wenden. Denn der Mensch muß verbunden bleiben mit der Erdenentwickelung, damit er mit der folgenden Erdenentwickelung durch die Jupiter-, Venus- und Vulkanentwickelung weitergehen könne. Der Mensch würde diesen Weg, der ihm vorgezeichnet ist, nicht gehen, sondern er würde einem Kosmos einverleibt werden, der durch und durch intelligent wäre, wenn Luzifer sein Ziel erreichen würde.

Ich möchte sagen, physiologisch gesprochen ist es eben so, daß Luzifer fortwährend in uns so tätig ist, daß er uns die Lebenskräfie, die das Haupt des Menschen durchdringen wollen, heraufsendet aus unserem übrigen Organismus. Seelisch gesprochen, will Luzifer fortwährend unserem Intelli­genzinhalte, der ja nur Gedanken umschließt, Bilder umschließt, einen substantiellen Inhalt geben. Luzifer hat fortwährend die Tendenz - ich spreche dasselbe, was ich vorhin physisch gesprochen habe,jetzt seelisch -, Luzifer hat fortwährend die Tendenz, wenn wir formen, im Geiste ein Bild formen, irgend etwas, was meinetwillen künsderische Gestaltung ist, dem einen wirklichen substantiellen Gehalt zu geben, also unsere Gedankenin­halte, unsere Vorstellungsinhalte zu durchdringen mit der gewöhnlichen

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irdischen Wirklichkeit. Dadurch würde er dasjenige erreichen, daß wir als Menschen verließen die andereWirklielikeit und in eine Gedankenwirklich­keit überfliegen würden, die dann eine Realität wäre, nicht bloße Gedanken wäre. Diese Tendenz ist fortwährend mit unserem Menschenwesen ver­bunden, daß unsere PhantasienWirklichkeiten werden sollen, und die größt­denkbaren Anstrengungen werden gemacht, damit die menschlichen Phan­tasien Wirklichkeiten werden können.

Nun hängt aber alles dasjenige, was es in der Menschheit gibt an inneren Krankheitsursachen, mit dieser luziferischen Tendenz zusammen. Das Durch­schauen der Arbeit Luzifers in dieser Beziehung, des Hineinpressens von Vitalitätskräften in die absterbenden Kräfte des menschlichen Hauptes, das bedeutet in Wahrheit letzten Endes die Diagnose sämtlicher innerer Krank­heiten. Und naturwissenschaftlich-medizinische Entwickelung muß dahin gehen, auf dieses luziferische Element zuletzt die Erkenntnis aufzubauen. Dies, einen solchen Einschlag zu geben, gehört zu den Tendenzen des in unsere menschliche Entwickelung hereinbrechenden Michael-Einflusses.

Umgekehrt ist der ahrimanische Einfluß da. Er macht sich zunächst gel­tend aus der achten Sphäre heraus, aus der geschaffen ist unser übriger Organismus - außer dem Haupte -, der ist voller Vitalität, er ist durch seine eigene Organisation für die Vitalität geschaffen. Da hinein wirken nun die ahrimanischen Mächte. Die sind umgekehrt bestrebt, in die Vitalitätskräfte des übrigen Organismus hineinzusenden die Todeskräfte, die eigentlich der göttlichen Entwickelung nach in das Haupt gehören. So daß wir aus der achten Sphäre heraus die Kräfte des Todes in dieser Weise durch den Umweg des Ahriman vermittelt erhalten. Das ist wiederum physisch gesprochen.

Seelisch gesprochen müßte ich mich so ausdrücken: Es wirkt alles das­jenige, was aus dieser achten Sphäre hereinwirkt, auf den menschlichen Willen, nicht auf die Intelligenz. Aber dem menschlichen Willen liegt der Wunsch zugrunde; in dem Willen steckt immer etwas vom Wünschen. Dasjenige, was als Wunschnatur zugrunde liegt dem Wollen, in das ver­sucht fortwährend Ahriman hineinzubringen das persönliche Element des Menschen. Und dadurch, daß in der Wunschnatur das persönliche Element des Menschen verborgen liegt, dadurch ist unsere menschliche Seelen­Willenstätigkeit eben ein Abdruck unseres Entgegengehens dem Tode. Statt daß wir uns von den göttlichen Idealen durchdringen lassen, diese hineindringen

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lassen in unser Wünschen und dadurch in unseren Willen, wird etwas Persönliches in unser Wünschen, in unsern Willen hineingebracht.

So sind wir wirklich in dem Gleichgewichtszustande zwischen dem luzi­ferischen und dem ahrimanischen Elemente. Das luziferisch-ahrimanische Element überliefert uns Krankheit und Tod im Physischen, im Seelischen entwickelt es uns all dasjenige, was als Täuschung auftritt dadurch, daß wir das eine oder das andere, was nur der Gedankenwelt, Vorstellungswelt, Phantasiewelt angehört, als eine Wirklichkeit ansehen. In bezug auf das geistige Element ferner dringt gerade die Begierde des Egoismus auf diesem Wege in unser Menschenwesen ein.

Nun, so sehen wir verbunden mit der Menschennatur diese Dualität Luzifer-Ahriman. Und wie sich die moderne zivilisierte Menschheit über diese Dualität täuscht, täuschen kann, das habe ich Ihnen an Miltons «Ver­lorenem Paradies», an Klopstocks «Messias» und an Goethes «Faust» erläutert. Nun handelt es sich darum, daß wir als Menschheit in der Erdenentwicke­lung an einem Punkt angelangt sind, der sich dadurch charakterisieren läßt, daß wir gewissermaßen die Mitte der Erdenentwickelung schon überschrit­ten haben. Nicht wahr, die Sache ist so: Die Erdenentwickelung war zu­nächst eine ansteigende, erreichte einen Höhepunkt, ist seit jener Zeit eine absteigende. Aus gewissen Gründen, die wir heute nicht zu erörtern brau­chen, war eine Art von gleichbleibendem Niveau bis in die griechisch-lateinische Zeit, bis in das fünfzehnte Jahrhundert herein. Seit jener Zeit ist aber die Erdenmenschheitsentwickelung eine wirklich absteigende.

Die physische Erdenentwickelung ist schon viel länger eine absteigende. Schon in der Zeit, die unserer letzten Eiszeit vorangegangen ist, also vor der atlantischen Katastrophe, begann die absteigende Erdenentwickelung in physischer Beziehung. Das ist etwas, was man heute nicht als Anthroposoph den Leuten zu sagen braucht, das ist etwas, was die Geologie bereits weiß, wie ich öfter erwähnt habe, daß, indem wir heute über die Erdschollen hinüberschreiten, an zahlreichen Erdenstellen wir bereits die absteigende Erdenrinde zu überschreiten haben. Sie brauchen nur in besseren Geologien die Beschreibungen der Erdenentwickelung nachzulesen, so werden Sie das auch heute schon als das Ergebnis der physischen Wissenschaft konstatieren können, daß die Erde auf der absteigenden Stufe ihrer Entwickelung ist. Aber auch dasjenige, was in uns Menschen west, das ist auch in absteigender

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Entwickelung. Wir haben nicht mehr zu rechnen darauf als Menschen, daß uns aus unserer Leibesentwickelung herauf noch irgendein Aufschwung kommt. Wir müssen den Aufschwung ergreifen dadurch, daß wir auf den Menschen hinschauen lernen in dem, wodurch er ans der Erdenentwickelung hinaus zu den folgenden Gestalten der Erdenentwickelung führt. Wir müs­sen lernen auf den Zukunftsmenschen schauen. Das heißt michaelisch den­ken. Ich will Ihnen genauer charakterisieren, was michaelisch denken heißt.

Wenn Sie heute Ihrem Nebenmenschen gegenübertreten, so treten Sie ihm eigentlich mit einem ganz materialistischen Bewußtsein gegenüber. Sie sagen sich, wenn Sie dieses auch nicht laut, nicht einmal im Gedanken sagen, aber Sie sagen es sich eigentlich in den intimeren Gründen Ihres Bewußt­seins: Das ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, das ist ein Mensch aus Erden-stoffen. Sie sagen sich das auch beim Tiere, Sie sagen sich das auch bei der Pflanze. Aber das, was Sie sich da Mensch, Tier, Pflanze gegenüber sagen, sagen Sie sich mit Recht nur dem Mineral gegenüber, nur der mineralischen Wesenheit gegenüber. Fassen wir gleich den extrernsten Fall, den Menschen, auf. Nehmen wir, so wie er durch die äußere Erscheinung formiert ist, den Menschen zunächst in bezug auf seine äußere Gestalt. Das, was er soals seine äußere Gestalt ist, das sehen Sie gar nicht in Wirklichkeit, dem treten Sie gar nicht mit Ihrem physischen Wahrnebmungsvermögen entgegen, son­dern das ist ausgefüllt, sogar zu mehr als neunzig Prozent, mit Flüssigkeit, mit Wasser. Und das, was da als Mineralisches ausfüllt die Gestalt, das sehen Sie mit Ihren physischen Augen. Was der Mensch von der äußeren minera­lischen Welt mit sich vereinigt, das sehen Sie. Den Menschen, der das ver­einigt, den sehen Sie nicht. Sie reden nur richtig, wenn Sie sich sagen: Das­jenige, was da vor mir steht, das sind die Stoffpartikelchen, die die mensch­liche Geistgestalt in sich aufspeichert, das macht mir das Unsichtbare, was da vor mir steht, sichtbar. - Der Mensch ist unsichtbar, richtig unsichtbar. Sie alle sind hier, wie Sie hier sitzen, unsichtbar für physische Sinne. Nur sitzen so und so viele Gestalten da, die haben durch eine gewisse innere inlziehungskraft Stoffpartikelchen angesammelt. Die sieht man, diese Stoff-partikelchen. Man sieht nur Mineralisches. Die wirklichen Menschen, die hier sitzen, sind unsichtbar, sind übersinnlich. Daß man sich mit vollem Bewußtsein in jedem Augenblick seines wachen Lebens so etwas sagt, das macht die michaelische Denkweise aus, daß man aufhört, den Menschen anzuschauen

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als dieses Konglomerat von mineralischen Partikelchen, die er nur in einer gewissen Weise anordnet. Die Tiere tun es auch, die Pflanzen tun es auch, nur die Mineralien tun es nicht. Daß man sich dessen bewußt wird:

Wir wandeIn unter unsichtbaren Menschen - das heißt michaelisch denken. Wir sprechen von ahrimanischen Wesenheiten und von luziferischen

Wesenheiten, wir sprechen von den Wesenheiten der Hierarchie der Ange­loi, Archangeloi, Archai und so weiter. Das sind unsichtbare Wesenheiten. Wir lernen sie erkennen an ihren Wirkungen. Wir haben viele von diesen Wirkungen besprochen, auch jetzt in diesen Tagen wiederum. Wir lernen diese Wesenheiten erkennen aus dem, was sie tun. Ja, ist es denn mit den Menschen anders? Wir lernen den Menschen, der unsichtbar ist, hier in der physischen Welt dadurch kennen, daß er mineralische Partikelchen in einer menschenähnlichen Form so anordnet, so übereinanderlagert. Das ist aber nur eine Tätigkeit, eine Wirkung des Menschenwesens. Daß wir auf eine andere Weise uns die Wirkungen von Ahriman und Luzifer, die Wirkungen von Angeloi, Archangeloi, Archai und so weiter klarmachen müssen, das heißt eben nur, diese Wesenheiten auf eine andere Art kennenlernen. Aber in bezug darauf, daß diese Wesenheiten übersinnlich sind, unterscheiden sie sich von uns gar nicht, wenn wir nur mit Vernunft an das herangehen, was Menschenwesen ist.

Sehen Sie, das ist michaelisch denken: einzusehen, daß wir uns im Wesen ja gar nicht unterscheiden von den übersinnlichen Wesenheiten. Die Mensch­heit konnte ohne dieses Bewußtsein auskonimen, als ihr noch die Minerale etwas gaben. Aber seit die mineralische Welt in absteigender Entwickelung ist, ist der Mensch angewiesen, hineinzuwachsen in eine geistige Auffassung seiner selbst und der Welt. Daß wir die innere Kraft finden können, daß wir wirklich nicht mit dem Bewußtsein durch die Welt zu gehen brauchen, diese regelmäßige Stoffpartikelchen-Anhäufung sei der Mensch, sondern der Mensch sei ein übersinnliches Wesen, diese Stoffpartikelchen deuteten uns nur hin mit einer Gebärde der äußeren mineralischen Welt: da ist ein Mensch, - die Kraft, solches Bewußtsein zu entwickeln, die kann der Mensch haben seit den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, die kann er in höherem Maße haben. Und nur wegen der ahrimanischen Ein­flüsse, wie ich sie charakterisiert habe vor acht Tagen hier, wehrt der Mensch dieses innere Bewußtsein zurück, will er an dieses innere Bewußtsein nicht

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herantreten. Eins hängt mit dem anderen zusammen im Menschenleben. Und so wie wir unter dem Irrwahn herumgehen, der Mensch sei ein sinn­liches Wesen, nicht ein übersinnliches Wesen, so gehen wir unter anderen Iriwahnen herum. Wir sprechen von Entwickelung und denken immer, nun, das geht so hintereinander vorwärts, immer weiter und weiter. Sie wissen, das war nicht möglich, eine solche Entwickelung künstlerisch zu gestalten an unserem Bau. Als ich die Kapitäle ausgestaltete, da mußte ich das erste, zweite, dritte Kapitäl in aufsteigender Entwickelung zeigen, das vierte steht in der Mitte, das fünfte steht in absteigender Entwickelung, das sechste ist wieder einfacher, das siebente am einfachsten wieder. Da mußte ich zu der aufsteigenden Entwickelung die absteigende Entwickelung hin­zufügen.

Die haben wir tatsächlich in unserem Haupte. Während unser übriger Organismus noch in einer aufsteigenden Entwickelung ist, befmdet sich unser Haupt bereits in absteigender Entwickelung. Dann, wenn man glaubt, Entwickelung läge nur im Aufsteigen vor, dann entfernt man sich von der wahren Wirklichkeit, dann redet man so, wie Haeckel unter gewissem Irr-wahn-Einfluß geredet hat: erst einfache Wesen, dann Weiterentwickelung, wieder kompliziertere Wesen und so weiter und so weiter ins Unendliche fort, immer komplizierter, immer vollkommener. Das ist Unsinn. Jede Entwickelung, die vorwärtsschreitet, tritt auch wiederum den Rückweg an. Alles Aufsteigen wird gefolgt von einem Absteigen, und alles Aufsteigen trägt schon die Anlage zum Absteigen in sich. Das gehört zu den verfäng­lichsten Täuschungen der neueren Menschheit, daß dieser neueren Mensch­heit abhanden gekommen ist der Zusammenhang zwischen Evolution und Devolution, Entwickelung und wiederum rückläufigem Werden. Denn wo aufsteigende Entwickelung ist, da muß sich die Anlage zu rückläufiger Ent­wickelung ergeben. Dann geht in dem Momente, wo eine aufsteigende Ent­wickelung anfängt, rückläufig zu werden, das Physische in die geistige Ent­wickelung hinein. Denn sobald das Physische beginnt, rückläufig zu werden, ist für eine geistige Entwickelung Platz. In unserem Haupte ist für eine geistige Entwickelung Platz, weil eine physisch rückläufige Entwickelung da ist. Wir werden aber nicht früher das Menschenwesen und damit die übrige Welt durchschauen, bevor wir in die Lage kommen, die Dinge im rechten Lichte zu sehen, also unsere Intelligenz wirklich in den Zusammenhang

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mit der luzierischen Entwickelung zu bringen, so wie ich es darge-stellt habe. Denn dann werden wir diese Dinge in der richtigen Weise be­werten und werden wissen, daß unsere Intelligenz einen Einschlag braucht, wenn sie tatsächlich den Menschen an sein Ziel bringen soll. Es muß Luzifer verhindert werden durch das Christus-Prinzip, den Menschen abtrünnig zu machen von seiner ihm vorbestimmten göttlichen Richtung.

Ich sagte schon, eins hängt mit dem andern zusammen. Sehen Sie, der Mensch ist unter dem Einflusse desselben Irrwahns, der den göttlichen Mäch­ten gewisse luziferische Eigenschaften beigelegt hat, heute geneigt, einseitig in der Darstellung des Schönen zum Beispiel ein Ideal zu sehen. Gewiß, man kann das Schöne als solches darstellen. Aber man muß sich bewußt sein: Würde man sich nur an das Schöne hingeben als Mensch, dann würde man in sich kultivieren diejenigen Kräfte, die in das luziferische Fahrwasser hin-einführen. Denn in der wirklichen Welt ist ebensowenig wie die einseitige Entwickelung - zu der die rückläufige gehört, zu der Evolution die Devo­lution - einseitig vorhanden das bloße Schöne. Das bloße Schöne, verwen­det von Luzifer, um die Menschen zu fesseln, zu blenden, würde gerade die Menschheit frei machen von der Erdenentwickelung und sie nicht mit der Erdenentwickelung zusammenhalten. In der Wirklichkeit haben wir, so wie mit einem Ineinanderspiel von Evolution und Devolution, es zu tun mit emem Ineinanderspielen, und zwar einem harten Kampfe der Schönheit gegen die Häßlichkeit. Und wollen wir Kunst wirklich fassen, so dürfen wir niemals vergessen, daß das letzte Künstlerische in der Welt das Inein­anderspielen, das Im-Kampfe-Zeigen des Schönen mit dem Häßlichen sein muß. Denn allein dadurch, daß wir hinblicken auf den Gleichgewichtszu-stand zwischen dem Schönen und dem Häßlichen, stehen wir in der Wirk­lichkeit darinnen, nicht einseitig in einer nicht zu uns gehörigen Wirklich­keit, die aber mit uns erstrebt wird in der luziferischen, in der alirimanischen Wirklichkeit. Es ist sehr notwendig, daß solche Ideen, wie ich sie eben ge­äußert habe, in die menschliche Kulturentwickelung einziehen. In Griechen-land - Sie wissen, mit welchem Enthusiasmus ich von dieser Stelle aus oft­mals über die griechische Bildung gesprochen habe-, da konnte man sich einseitig der Schönheit widmen, denn da war noch nicht die Menschheit von der absteigenden Erdenentwickelung ergriffen, wenigstens nicht im Griechenvolke. Seit jener Zeit aber darf der Mensch den Luxus sich nicht

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mehr gönnen, etwa bloß das Schöne zu kultivieren. Das würde Flucht aus der Wirklichkeit sein. Er muß sich kühn und tapfer gegenüberstellen dem realen Kampfe zwischen Schönem und Häßlichem. Er muß die Dissonanzen im Kampfesspiel mit den Konsonanzen in der Welt empfinden können, mit­fühlen, mitleben können.

Dadurch kommt Stärke in die Menschheitsentwickelung, und von dieser Stärke kommt auch die Möglichkeit, jene innere Bewußtseinsverfassung zu haben, die uns nun wirklich über die Täuschung hinwegliebt, der Mensch bestehe ja in seinem wahren Wesen in den übereinandergetürmten Stoffen, mineralischen Stoffpartikelchen, die er nur in sich zusammengezogen hat. Heute könnte man eigentlich schon physisch sagen, daß der Mensch wahr­haftig in seiner Wesenheit gar nicht das Kennzeichen trägt für die minerali­sche Natur, die äußerlich physische Natur. Das äußere Mineral ist schwer. Aber dasjenige, was uns zum Beispiel befähigt, Seelisches zu entwickeln -ich sage jetzt nicht das Intelligente-, das ist nicht an die Schwere gebunden, sondern an das Gegenteil der Schwere, an dasjenige, was man den Auftrieb der Flüssigkeit nennt. Ich habe es Ihnen ja dargestellt bei anderen Gelegen­heiten, wie unser Gehirn im Gehirnwasser schwimmt. Wenn es da nicht schwimmen würde, so würden die darin liegenden Blutäderchen erdrückt. Als Archimedes einmal im Bade war, da fand er, daß er leichter würde, und war so erfreut, daß er damals sein Heureka rief. Sie habenja das alles in der Physik gelernt. Wir leben also nicht vom Heruntergezogenwerden seelisch, sondern wir leben vom Hinaufgezogenwerden. Nicht dadurch, daß unser Gehirn schwer ist, sondern daß unser Gehirn durch sein Schwimmen in der Gehirnflüssigkeit leichter ist, dadurch leben wir eigentlich seelisch. Wir leben durch dasjenige, was uns von der Erde wegzieht. Das kann man heute sogar schon physisch sagen.

Worauf ich aber hindeuten wollte in diesen drei Tagen, das war und ist, daß wir gegenüber dem modernen Leben brauchen eine Seelenverfassung, die sich wirklich in jedem Momente des tagwachen Lebens bewußt ist des Übersinnlichen in der unmittelbaren Umgebung, die sich nicht der Täu­schung hingibt, die Menschen sehe man für wirklich an, weil man sie sieht und die Geister sieht man nicht für wirklich an, weil man sie nicht sieht. Man sieht in Wahrheit die Menschen auch nicht. Gerade das ist die Täu­schung, daß man glaubt, man sähe sie. Wir unterscheiden uns gar nicht von

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den Wesen der höheren Hierarchien. Zu lernen, die Gleichartigkeit aufzu­fassen zwischen den Wesen der höheren Hierarchien und uns selbst, sogar den Tieren und den Pflanzen, das ist die Aufgabe, die der modernen Mensch­heit gestellt ist

Wir reden davon, daß durch das Mysterium von Golgatha der Christus­Impuls in die Erdenentwickelung, zunächst in die Menschlieitsentwickelung emgezogen ist, mit ihr nun verbunden ist. Die Leute sagen, sie sehen ihn nicht. Ja, sie können ihn solange nicht sehen, solange sie sich über den Men­schen selber täuschen, solange sie etwas ganz anderes als den Menschen an­schauen, als der Mensch wirklich ist. In dem Augenblicke, wo das nicht eine Theorie ist, sondern lebendig empfundene Wirklichkeit der Seele ist, die uns befähigt, in dem Menschen ein Übersinnliches zu sehen, in dem Augen­blicke erziehen wir in uns die Fähigkeit, den Christus-Impuls mitten unter uns überall wahrzunehmen, aus unserer Überzeugung heraus überall sagen zu können: Sucht ihn nicht durch äußere Gebärde, er ist überall unter euch. -Aber die Menschheit müßte auch die Bescheidenheit und Demut entwickeln, daran zu glauben, daß zu dem Heranerziehen eines solchen Bewußtseins, das im Menschen von vornherein überall ein übersinnliches Wesen sieht, wirk­lich etwas gehört. Wenn man sich es theoretisch sagen kann, so ist damit eben nocht nichts getan. Erst wenn man wirklich nicht glaubt, es empfin­dungsgemäß als eine Absurdität ansieht, daß dasjenige, was einem da be­gegnet, der wirkliche Mensch ist, erst dann ist man in der Seelenverfassung drinnen, die ich eigentlich meine.

Wenn Sie imstande wären, da hinauszugehen auf den Bauplatz, um so viel zusammenzuraffen von allerlei Dingen, die da liegen, daß Sie das durch ge­schickte Handhabung so vor sich hinhalten könnten, daß der, der Ihnen be­gegnet, nichts von Ihnen sehen würde, sondern Ziegeltrümmer, Holz-trümmer und so weiter: Sie würden nicht sagen, diese Ziegeltrümmer und Holztrümmer, die in einer gewissen Form angeordnet sind, die seien der Mensch. Aber etwas anderes machen Sie mit den mineralischen Stoffen auch nicht, die Sie in einer gewissen Anordnung Ihren Mitmenschen ent­gegentragen. Sie sagen doch, diese mineralischen Stoffe, weil Ihre physi­schen Augen sie sehen, das sei der Mensch. In Wahrheit ist das nur die Gebärde, die auf den wahren Menschen hindeutet.

Wenn wir zurückblicken in vorchristliche Zeiten, dann werden wir finden,

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daß sichtbarlich, ich möchte sagen, Gottes Boten auf die Erde herab­kamen und sich dem Menschen offenbarten, dem Menschen sich begreif­lich machten. Der größte auf die Erde herabkommende Gottesbote, der Christus, war auch zu gleicher Zeit derjenige, der am letzten ohne des Men­schen Zutun in dem größten Enlenereignis sich offenbaren konnte. Jetzt leben wir in der Zeit der Michael-Offenbarung. Die ist ebenso da wie die anderen Offenbarungen. Aber sie drängt sich dem Menschen nicht mehr auf, weil der Mensch in seine Freiheitsentwickelung eingetreten ist. Wir müssen der Offenbarung des Michael entgegenkommen, wir müssen uns vorberei­ten, so daß er in uns die stärksten Kräfte hereinsendet, daß wir des Über­sinnlichen in der unmittelbaren Erdenumgebung uns bewußt sind. Ver­kennen Sie nicht, was in dieser Michael-Offenbarung, wenn die Menschen sich durch Freiheit ihr nähern würden, für die Menschen der Gegenwart und der nächsten Zukunft gegeben wäre. Verkennen Sie nicht, daß heute die Menschen aus den Überresten alter Bewußtseinszustände nach Lösung der sozialen Frage streben. Alles dasjenige, was aus alten Bewußtseins-zuständen der Menschheit hat gelöst werden können, das ist gelöst. Die Erde ist im absteigenden Aste ihrer Entwickelung. Mit jenem Nachdenken, das vom Alten heraufgekommen ist, werden die Forderungen, die heute auftauchen, nicht gelöst. Die werden allein gelöst bei einer Menschheit mit einer neuen Seelenverfassung. Die Aufgabe, die wir haben, die ist diese: dazu zu wirken, daß diese neue Seelenverfassung unter die Menschen kommt. Wir sehen es heute, ich möchte sagen, als etwas, was wie ein furcht­barer Alp auf unsere Seele drückt, daß die Menschen nicht heraus können aus den Vorstellungen, die Jahrtausende lang gepflegt worden sind. Wir sehen heute, wie fast automatisch ablaufen die Ergebnisse dieserjahrtausende­alten Vorstellungen, die schon alles Inhalts entkleidet worden sind und im Grunde genommen nur mehr die Worthülsen enthalten. Es wird geredet allüberall unter uns von menschlichen Idealen. Dasjenige, was wirklich in diesen Idealen steckt, ist nichts, es sind nur Wortklänge, denn die Mensch­heit braucht eine neue Seelenverfassung. Es erklang einmal ein Ruf in die Menschheit herein, den wir in unsere Sprache übersetzen: Ändert den Sinn, denn die Zeit ist nahe herbeigekommen! - Aber dazumal konnten die Menschen noch aus den alten Seelenverfassungen heraus den Sinn ändern. Jetzt ist diese Möglichkeit abgelaufen, jetzt muß, wenn das erfüllt werden

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soll, was dazumal verlangt worden ist, es aus einer neuen Seelenverfassung heraus erfüllt werden. Michael hat die Jahve-Überlieferung, den Jahve-Einfluß den Menschen vermittelt. Seit dem Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ist er daran, wenn wir ihm nur entgegengehen, das Verständnis für den Christus4mpuls im wahren Sinne des Wortes zu ver-mitteln. Aber wir müssen ihm entgegengehen. Und wir gehen ihm ent­gegen, wenn wir zweierlei erfüllen.

In bezug auf unsere eigene Seelenverfassung können wir uns sagen: Wir müssen von einem gewissen Irrtum zurückkommen. Ich möchte Sie nicht allzu sehr belasten mit engen Abstraktionen, philosophischen Weltanschau­ungen, aber auf das muß ich Sie doch aufmerksam machen, weil es ein Symptom für die neuere Menschheitsentwickelung ist, daß in der Morgen­röte der neueren Zeit zum Beispiel ein solcher Philosoph wie Cartesius ge­lebt hat. Er hat noch etwas gewußt von dem Geistigen, das zum Beispiel durch das absterbende menschliche Nervensystem spielt. Aber er hat zu gleicher Zeit den Satz ausgesprochen: Ich denke, also bin ich. - Das ist das Gegenteil von der Wahrheit. Indem wir denken, sind wir nicht, denn im Denken haben wir nur das Bi]d des Wirklichen. Wir hätten vom Denken nichts, wenn wir mit dem Denken in der Wirklichkeit darinnen steckten, wenn das Denken nicht bloß ein Spiegelbild wäre. Wir müssen uns bewußt werden des Spiegelcharakters unserer Vorstellungswelt, des Spiegelcharak­ters unserer Gedankenwelt. In dem Augenblicke, wo wir uns dieses Spiegel-charakters bewußt werden, werden wir appellieren an einen anderen Quell der Wirklichkeit in uns. Von diesem will uns Michael sprechen. Das heißt, wir müssen versuchen, unsere Gedankenwelt in ihrem Spiegelungscharakter zu erkennen, dann werden wir der luziferischen Entwickelung entgegenar­beiten. Denn die hat alles Interesse daran, Substanz hineinzugießen, und den trügerischen Schein vorzuspiegeln, als ob Substanz in unserem Denken wäre. Es ist nicht Substanz, es ist bloß Bild darinnen. Wir werden die Sub­stanz aus etwas anderem holen, aus tieferen Schichten unseres Bewußtseins. Das ist das Eine. Wir brauchen nur das Bewußtsein, daß unsere Gedanken uns schwach machen, dann werden wir an die Stärke des Michael appellie­ren, denn der soll der Geist sein, der uns auf dasjenige in uns weist, was stär­ker ist in uns als der Gedanke, während wir gelernt haben durch die neuere Zivilisation, vorzugsweise auf den Gedanken zu sehen und dadurch schwache

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Menschen geworden sind, weil wir den Gedanken selbst für etwas Wirkliches gehalten haben. Wenn wir auch noch so von der bloßen abstrak-ten Intelligenz uns wegwenden, wir tun es nur zum Scheine, wir sind unter der furchtbaren Sklavenknute der Intelligenz als moderne Menschen und senden nicht aus den tieferen Schichten unseres Wesens hinein in die Ge­danken selber dasjenige, was drinnen sein soll.

Das zweite ist, daß wir in unsere Wünsche und damit in unseren Willen dasjenige hineinbringen, was lediglich aus einer solchen Realität folgt, die wir als übersinnliche erkennen müssen. Das habe ich ja des öfteren hier er­wähnt, daß sich das nicht völlig Emstnehmen des übersinnlichen Charakters des Mysteriums von Golgatha bitter gerächt hat. Ich habe Sie aufmerksam gemacht auf solch eine Anschauung, wie zum Beispiel die des liberalen Theologen Adolf Harnack. Solche liberalen Theologen gibt es viele, die ruhig eingestehen: Aus historischen Dokumenten heraus ist kein Beweis für die Realität des Mysteriums von Golgatha zu finden. Ja, in derselben Art historisch zu beweisen, wie zu beweisen ist das Dasein des Cäsar oder das Dasein des Napoleon, in derselben Art historisch zu beweisen ist das Dasein des Christus Jesus nicht. Warum? Weil in dem Mysterium von Gol­gatha ein Ereignis hingestellt werden sollte vor die Menschen, zu dem die Menschheit nur einen übersinnlichen Zugang haben soll. Sie sollte gar kei­nen sinnlichen Zugang haben. Damit die Menschheit gerade durch das Mysterium von Golgatha lerne, zum Übersinnlichen sich zu erheben, des­halb sollte es keinen sinnlichen, keinen äußerlich sinnlich historischen Be­weis geben.

Damit aber ist uns auf zweierlei hingedeutet, dem wir entgegengehen müssen. Zuerst erkennen in der unmittelbaren Sinneswelt, also in der Men­schen-, Tier- und Pflanzenwelt das Übersinnliche, das ist der Michaels­Weg. Und seine Fortsetzung: in dieser Welt, die wir so selber als eine über-sinnliche erkennen, den Christus-Impuls darinnen zu finden.

Indem ich Ihnen dieses schildere, schildere ich Ihnen zu gleicher Zeit die tiefsten Impulse der sozialen Frage. Denn der abstrakte Völkerbund, er wird das internationale Problem nicht lösen. Mit diesen Abstraktionen bringt man die Menschen über die Erde hin nicht zusammen. Aber die Geister, die die Menschen ins Übersinnliche führen, und von denen wir in diesen Tagen gesprochen haben, die werden die Menschen zusammenbringen.

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Äußerlich geht heute die Menschheit schweren Kämpfen entgegen. Und es wird gegenüber diesen schweren Kämpfen, an deren Anfang wir erst stehen - ich habe das oftmals hier erwähnt - und die die alten Impulse der Erdenenwickelung ad absurdum führen, keine politischen, ökonomischen oder geistigen Heilmittel geben, die aus der Apotheke der alten geschicht-lichen Entwickelung heraus genommen sind. Aus dem, was von alten Zeiten kommt, stammen die Fermente, welche zunächst Europa an den Anfang semes Abgrundes gestellt haben, welche Asien und Amerika gegeneinander bringen werden, welche vorbereiten werden einen Kampf über die ganze Erde hin. Entgegenwirken kann diesem ad-absurdurn-Führen der mensch­lichen Entwickelung einzig und allein dasjenige, was die Menschen auf den Weg zum Geistigen hin führt: der Michaels -Weg, der seine Fortsetzung in dem Christus-Weg findet.

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VIERTER VORTRAG Dornach, 28. November 1919

Im Anschlusse an manches, das ich in den Vorträgen der vorigen Woche hier vorgebracht habe, möchte ich heute gerade etwas Vorbereitendes sagen, das dann morgen und übermorgen weiter ausgebaut werden soll. Es wird sich darum handeln, Ihnen mancherlei auf eine andere Art, als das bisher geschehen ist, ins Gedächtnis zurückzurufen, mancherlei von dem, was wir brauchen werden, um unser ja bereits angeschlagenes Thema weiter zu ver­folgen.

Wenn wir uns klarmachen, wie der Verlauf der Erdenentwickelung war, so können wir dies am besten dadurch, daß wir immer, ich möchte sagen, die Ereignisse auf den Schwerpunkt der Erdenentwickelung hin betrachten, anordnen. Denn durch diese Anordnung kommt eine gewisse Struktur in all dasjenige hinein, in dem der Mensch durch die Entwickelung der Mensch­heit in seiner eigenen Entwickelung darinnensteht. Dieser Schwerpunkt ist ja, wie Sie wissen, das Mysterium von Golgatha, durch das alle übrige Erdenentwickelung erst ihren Sinn, ihren wahren inneren Gehalt er­halten hat.

Wenn wir zurückgehen in der Entwickelung der abendländischen Mensch­heit, die ja den Impuls des Mysteriums von Golgatha wie einen Einschlag herein empfangen hat aus dem Orient, so müssen wir uns sagen: Etwa im fünften Jahrhundert vor dem Eintritte dieses Mysteriums von Golgatha beginnt, und zwar aus der griechischen Kultur heraus, eine Art von Vor­bereitung für dieses Mysterium von Golgatha. Wir können sagen, es ist ein gewisser einheitlicher Zug in dem griechischen Denken, Empfinden und Wollen durch etwa viereinhalb Jahrhunderte vor dem Eintritte des Myste­riums von Golgatha. Und dieser einheitliche Zug leitet sich ein durch die Gestalt des Sokrates, setzt sich dann fort in aller griechischen Kultur, eigent­lich auch im Künstlerischen ist derselbe Zug bemerklich, er setzt sich fort in der gewaltigen, überragenden Persönlichkeit des Plato und bekommt dann einen mehr, ich möchte sagen, gelehrt aussehenden Charakter in Aristoteles.

Sie wissen ja aus den verschiedenen Darstellungen, die ich gegeben habe,

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daß das Mittelalter, namentlich in der Zeit nach Augustinus, besonders be­müht war, die Anleitung, die man bekommen konnte aus der Denkweise des Aristoteles heraus, zu benützen, um alles das zu verstehen, was sich an das Mysterium von Golgatha, seine Vorbereitung und seinen Nachklang, anschließt. Dadurch ist gerade das griechische Denken so wichtig geworden, auch für die christliche Entwickelung des Abendlandes bis zum Ende des Mittelalters, daß eigentlich griechisches Denken dazu benützt worden ist, um zu durchdringen den Gehalt des Mysteriums von Golgatha. Wir tun gut, wenn wir uns klarmachen, was da eigentlich in diesen letzten Jahr­hunderten vor dem Einschlag des Mysteriums von Golgatha in Griechen­land geschehen ist.

Das, was da sich abgespielt hat im Denken, Empfinden, Wollen des grie­chischen Menschen, ist eigentlich der letzte Ausklang einer heute nicht mehr gewürdigten Urkultur der Menschheit. Mit unseren geschichtlichen Betrach­tungen können wirja diese Dinge walirhaftig nicbt in ihrem rechten Lichte sehen, denn unsere geschichtlichen Betrachtungen gehen nicht bis zu jenen Zeiten zurück, in denen eine über die damals zivilisierte Erde hin sich erstreckende Mysterienkultur alles menschliche Wollen und Empfinden im Grunde durchdrungen hat. Wir müssen schon in die Jahrtausende, in welche die Geschichte nicht mehr reicht, zurückgehen, mit den Methoden zurück­gehen, die Sie ja wenigstens andeutungsweise finden in meinem Buche «Die Geheimwissenschaft», um zu schauen, welcher Art diese menschliche Urkultur war. Sie hatte ihren Quell in den alten Mysterien, in jenen alten Mysterien, zu denen von großen führenden Persönlichkeiten zugelassen wurden diejenigen Menschen, die man objektiv zur unmittelbaren Ein­weihung geeignet finden mußte. Durch solche Eingeweihte wiederum strömte dasjenige, dessen diese Eingeweihten als Erkenntnis teilhaftig ge­worden waren in den Mysterien, zu den anderen Menschen hinaus. Und man kann im Grunde genommen die ganze alte Kultur nicht verstehen, wenn man nicht den Mutterboden der Mysterienkultur ins Auge faßt. Bei Aischylos sieht man, wenn man nur will, diesen Mutterboden der Mysterien noch ganz deutlich. In Platos Philosophie kann man ihn auch verspüren. Aber dasjenige, was eigentlich die Menschheit durch Mysterien an Offen­barungen über das Göttliche erhalten hat, das ist geschichtlich verloren ge­gangen. Das ist nur im primitivsten noch in dem enthalten, was geschichtlich

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nachweisbare Kultur geworden ist. Nun, was da eigentlich geschehen ist, das kann eben am besten dadurch beurteilt werden, daß man sich klar­macht, was denn eigentlich in der nachsokratischen Zeit des Griechentums noch zurückgeblieben ist von jener Urmysterienkultur, in der auch das Griechentum wurzelt. Es ist zurückgeblieben eine gewisse Art des Denkens, eine gewisse Art des Vorstellens.

Sie wissen ja, in der äußeren Geschichte wird erzählt, wie Sokrates die Dialektik begründet hat, wie er eigentlich der große Lehrmeister des Den­kens war, jenes Denkens, das dann Aristoteles mehr wissenschaftlich den­kend ausgebildet hat. Aber dies, was so griechische Denkungs- und Vor­stellungsweise war, das ist eigentlich nur der letzte Ausklang der Mysterien-kultur, denn die Mysterienkultur war eine sehr inhaltsvolle. Man hat in die Gesamtanschauung des Menschen geistige Tatsachen, die grundlegende Ursachen für unsere Weltordnung sind, erkenntnismäßig aufgenommen. Die Inhalte, die gewaltigen, großen Inhalte sind allmählich verglommen. Aber die Art des Denkens, welche die Mysterienschüler ausgebildet haben, die Vorstellungsart, die Konfiguration des Denkens, die ist geblieben, und die ist eigentlich historisch geworden, historisch geworden zunächst im griechi­schen Denken, dann wiederum im mittelalterlichen Denken, im Denken der christlichen Theologen, dieja sich im wesentlichen für ihre Theologie ange­eignet haben dieses griechische Denken, um aus der Denlischulung heraus mit den Gedankenformen, mit den Ideen und Begriffen, die im Grunde eine Fortsetzung des griechischen Denkens waren, das zu begreifen, was durch das Mysterium von Golgatha in die Welt geflossen ist. Was mittelalterliche Philosophie, sogenannte Scholastik ist, ist durchaus ein Zusammenfluß der geistigen Wahrheiten des Mysteriums von Golgatha mit griechischem Den­ken. Die Ausarbeitung, die gedankenmäßige Durcharbeitung der Golgatha­Mysterien, die ist durchaus - wenn ich mich des trivialen Ausdrucks be­dienen darf - mit dem Handwcrkszeug des griechischen Denkens, der griechischen Dialektik gemacht worden. Bis zum Mysterium von Golgatha verffießen ungefähr von dem Verlust des Inhaltes der Mysterien, von dem Auftreten des bloß Formalen, des bloß Gedankenmäßigen der alten Myste­rien viereinhalb Jahrhunderte. Wir können approximativ sagen: viereinhalb Jahrhunderte. So daß wir also uns vorzustellen haben: In einer vorgeschicht­lichen Zeit breitet sich über die damals zivilisierte Erde die Mysterienkultur

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aus. Die wird gleichsam so weiterentwickelt, daß nur ein Destillat zurück­bleibt, die griechische Dialektik, das griechische Denken. Dann tritt das Mysterium von Golgatha ein. Das wird zunächst im Abendlande begriffen mit dieser griechischen Dialektik. Wer sich ganz einleben will etwa in die noch durchaus Theologie tragende Wissenschaft, sagen wir, selbst erst des zehnten, elften, zwölften, dreizehnten, vierzehnten Jahrhunderts, der muß anders sein Denken einrichten, als heute die Menschlieit aus der natur-wissenschaftlichen Vorstellungsart heraus gewöhnt ist. Diejenigen Men­schen, die heute gewöhnlich über die Scholastik urteilen, können ihr nicht gerecht werden, weil sie alle im Grunde nur naturwissenschaftlich geschult sind, und die Scholastik eine andere Gedankenschulung voraussetzt, als die heutige naturwissenschaftliche Schulung ist.

Nun leben wir heute in einem Zeitpunkte, in dem wiederum viereinhalb Jahrhunderte verflossen sind, seit diese andere Denkweise, die naturwissen-schaftliche Denkweise die Menschheit ergriffen hat. Um die Mitte des vier-zehnten jahrhunderts beginnt das. Da fangen im Abendlande die Menschen an, so zu denken, wie wir es dann schon bis zu einem gewissen Grade hell ausgebildet finden bei Galilei etwa oder bei Giordano Bruno. Das wird dann heraufgetragen bis in unsere Zeiten. Ja, das ist scheinbar dieselbe Logik wie die griechische Logik, und dennoch eine ganz, ganz andere Logik. Das ist eine Logik, die ebenso abgelesen ist allmählich an den Naturvorgängen, wie abgelesen war die griechische Logik an dem, was die Mysterienschüler, was die Mysten schauten in den Mysterien.

Und jetzt wollen wir uns einmal den Unterschied klarmachen, der da besteht zwischen den viereinhalb Jahrhunderten vor dem Auftreten des Mysteriums von Golgatha in der damals ja fast einzig zivilisierten Welt, der griechischen, und unseren viereinhalb Jahrhunderten, in denen die Mensch­heit erzogen wurde durch die naturwissenschaftliche Schulung. Denken Sie sich einmal die Mysterienkultur wie eine Art Chimborasso der mensch­lichen Geisteskultur in sehr alter Zeit. Diese Mysterienkultur wird dann in Griechenland - ich will das dem Faden nach beschreiben - Logik, bis zu dem Mysterium von Golgatha. Das wird dann im Mittelalter fortgesetzt durch die Scholastik. Da haben wir diesen letzten Ausläufer, diesen Aus­klang der alten Mysterienkultur durch viereinhalb Jahrhunderte. Und nun seit dem fünfzehnten Jahrhundert beginnt eine neue Art der Vorstellungsweise,

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wir könnten sie die Galileische nennen. Wir sind ungefähr so weit entfernt von dem Ausgangspunkte, wie die Zeit betrug, die man gebraucht hat von dem Auftreten dieser griechischen Denkweise bis zu dem Mysterium von Golgatha. Aber während das ein Ausklang ist, gewissermaßen eine Abendröte, haben wir es zu tun mit einem Vorklang, mit etwas, was herauf sich entwickeln muß, was wir hinaufbringen müssen zu einer gewissen Höhe. Die griechische Kultur stand an einem Ende. Wir stehen an einem Anfange.

Vollständig verstehen werden wir diese Zusammenstellung eines Endes und eines Anfanges nur, wenn wir geisteswissenschaftlich einmal auf die Entwickelung der Menschheit von einem gewissen Gesichtspunkte aus ein­gehen.

Ich habe Ihnen ja früher schon einmal ausgeführt und bin wiederholt darauf zurückgekommen, daß in der Gegenwart nicht umsonst jene Selbst­erkenntnis der Menschlieit versucht wird, die geliefert werden soll durch die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft. Denn die weitaus größte Mehrzahl der Menschheit steht ja vor einer bedeutungsvollen Zukunfts­möglichkeit. Sehen Sie, es ist da notwendig, daß man ernst nehme die Tat­sache, daß die sich fortentwickelnde Menschheit der Geschichte ein sich fortentwickehider Organismus ist. Wie beim einzelnen Organismus die Geschlechtsreife eintritt, und auch später epochale Übergänge da sind, so sind schon einmal auch in der Geschichte der Menschheit epochale Über­gänge da. Heute setzen die Menschen noch der Lehre von den wiederholten Erdenleben immer wieder und wieder den Einwand entgegen: ja, die Men­schen erinnern sich nicht daran, die Menschen erinnern sich nicht an ihr früheres Erdenleben.

Wer die Entwickelungsgeschichte der Menschheit, wie ich gerade an­deutete, als einen Organismus auffaßt, der sollte sich nicht wundern - wenn er diese Entwickelungsgeschichte wirklich sachgemäß ins Auge faßt -, daß die Menschen sich heute nicht an ihre früheren Erdenleben im gewöhnlichen Erkennen erinnern. Denn ich frage Sie: An was erinnert sich der Mensch im gewöhnlichen Leben denn eigentlich? An dasjenige, was er zuerst gedacht hat. Was er nicht gedacht hat, an das erinnert er sich ja nicht. Denken Sie, wie viele Ereignisse im Tage von Ihnen unbeachtet bleiben. Sie erinnern sich nicht daran, weil Sie sie nicht gedacht haben, trotzdem sie sich vielleichtin

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Ihrer Umgebung zugetragen haben. Sie können sich nur an das­jenige erinnern, was Sie gedacht haben.

Nun ist die Entwickelung der Menschheit in den früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden nicht so gewesen, daß die Menschen sachgemäß sich wirklich das Wesen des Menschen klargemacht haben. Es gibt zwar seit dem griechischen Denken wie eine Sehnsucht das «Erkenne dich selbst», aber dieses «Erkenne dich selbst» soll erst erfüllt werden durch wirkliche Geisteserkenntnis. Erst dadurch, daß die Menschen einmal ein Leben an­wenden - wozu die Menschheit erst in unserer Zeit reif geworden ist -, um in Gedanken zu erfassen das eigene Selbst, erst dadurch wird für das nächste Erdenleben vorbereitet das Erinnern. Denn man muß zuerst nachgedacht haben über dasjenige, woran man sich erinnern soll. Nur diejenigen, die in früheren Zeiten durch die Einweihung, die ja nicht immer in Mysterien erworben sein muß, wirklich sachgemäß hinschauen konnten auf das eigene Selbst, die können in der Gegenwart - und die Menschen sind ja nicht so selten, die es können - wirklich zurückblicken auf frühere Erdenleben. Aber die Sache liegt doch so, daß die Menschen auch in bezug aufihre rein körper­liche Entwickelung eine Umwandlung durchmachen. Diese Dinge lassen sich nicht physiologisch äußerlich, aber geisteswissenschaftlich beobachten. Die Menschheit ist heute nicht so, wie sie vor zwei Jahrtausenden war mit Bezug auf ihre körperliche Konstitution, und sie wird nach zwei Jahrtausenden wiederum nicht so sein wie heute. Über diese Sache habe ich ja öfter ge­sprochen. Die Menschen leben in eine Zeit, in eine Zukunftszeit hinein, in der - wenn ich mich banal ausdrücken möchte - die Gehirne anders kon­struiert sein werden, als die Gehirne heute beim Menschen konstruiert sind in äußerer Beziehung. Das Gehirn wird die Möglichkeit der Rückerinnerung an frühere Erdenleben haben. Aber diejenigen, die heute nicht vorgesorgt haben werden durch Nachdenken über das eigene Selbst, die werden diese Fähigkeit, die doch in ihnen mechanisch sein wird, nur wie eine innere Nervosität - um den heutigen Ausdruck zu gebrauchen -, wie einen inneren Mangel empfinden. Sie werden nicht finden, was ihnen fehlt, weil die Mensch­heit mittlerweile mit Bezug auf ihre Körperlichkeit reif wird, zurückzu-schauen auf ihre früheren Erdenleben. Aber wenn sie nicht vorbereitet hat diese Rückschau, so kann sie nicht zurückschauen. Dann empfmdet sie die Fähigkeit nur als einen Mangel. Deshalb liegt es im richtigen Erkennen der

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gegenwärtigen Umwandlungskräfte der Menschheit selbst, daß durch antaroposophisch orientierte Geisteswissenschaft die Menschen zur Selbst­erkenntnis gebracht werden. Nun kann man, und heute will ich das zunächst andeuten, nun kann man auch heute schon darauf hinweisen, wie das be­sondere Erlebnis sein wird, das den Menschen nahelegen wird, mit den frü­heren Erdenleben zu rechnen.

Heute leben wir noch in einem Zeitalter, wo jene Empfindungsnuancen eigentlich bei wenigen Menschen, aber doch schon bei wenigen Menschen angedeutet sind, die immer mehr und mehr vorhanden sein werden. Heute werden diese Empfindungsnuancen noch nicht recht beachtet. Ich will sie Ihnen schildern in der Weise, wie sie einmal auftreten werden. Die Men­schen werden hineingeboren werden in die Welt und werden sich sagen: Ja, ich werde, indem ich mit den anderen Menschen zusammenlebe, ent­weder bewußt oder unbewußt erzogen für ein gewisses Denken. Es steigen mir Gedanken auf. Ich werde in eine gewisse Art des Vorstellens hinein-geboren und erzogen. Aber zu gleicher Zeit sehe ich mir die äußere Um­gebung an: mein Denken, mein Vorstellen paßt nicht recht zur äußeren umgebenden Welt. - Diese Empfmdungsnuance ist heute schon bei ein­zelnen Menschen vorhanden. Sie müssen denken in einer Richtung, die ihnen so erscheint, als ob die äußere Natur etwas ganz anderes sagte, als ob die äußere Natur etwas ganz anderes verlangte von ihnen. Wo einmal solche Menschen aufgetreten sind, die diese Diskrepanz gefühlt haben zwischen dem, was sie denken müssen, und dem, was die äußere Natur sagt, da hat man sie ausgelacht. Hegel zum Beispiel ist ein klassisches Beispiel dafür. Er hat gewisse Gedanken - nicht alle Hegelschen Gedanken sind ja töricht -über die Natur geäußert, sie systematisch zusammengestellt. Darin sind die Spießer gekommen und haben gesagt : Ja, das sind deine Ideen über die Natur. Aber schaue dir einmal diesen oder jenen Vorgang in der Natur an, das ist ja nicht so. Da sagte Hegel: Um so schlimmer für die Natur.

Das erscheint natürlich ganz paradox, und dennoch, es liegt subjektiv durchaus Begründetes in dieser Empfmdung darinnen. Es ist durchaus mög­lich, daß man ganz unbefangen sich auf der einen Seite dem eingeborenen Denken überläßt und sich sagt, es müßte eigentlich die Natur anders sich formen, wenn sie wirklich diesem Denken entsprechen würde. Dann kommt

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man allerdings nach einiger Zeit darauf, sich auch an das zu gewöhnen, was der Natur abgelauscht ist. Da merken die meisten Menschen dann nicht, daß sie eigentlich dann, wenn sie herangereift sind, das zu beobachten, was der Natur abgelauscht ist, im Grunde genommen etwas wie eine Doppel­seele in sicli haben, wirklich etwas wie zwei Wahrheiten. Diejenigen, die das schon richtig bemerken, können sehr darunter leiden, weil dadurch in die Seele eine Diskrepanz hineingebracht wird. Aber das, was ich Ihnen jetzt schildere, was heute bei wenigen Menschen, aber bei diesen schon vor­handen ist, obwohl sie es oftmals nicht sehen, das wird immer mehr und mehr überhandnehmen. Die Menschen werden immer mehr und mehr sich sagen : Ja, so wie ich geboren bin, so zwingt mich eigentlich mein Kopf dazu, über die Natur mir ein Bild zu machen. Es stimmt eigentlich nicht recht mit der Natur. Dann lebe ich mich in das Leben hinein, und im Laufe der Zeit eigne ich mir auch dasjenige an, was die Natur sagt. Dann muß ich einen Ausweg schaffen.

Diese zwiespältigen Empfindungen werden unsere Seelen ganz besonders haben, wenn sie wiederum auf die Erde zurückkommen werden. Da wird nämlich deutlich auftreten eine Art innerer Gedanken- und Emp£indungs­quell, durch den man sich sagen wird: Ja, du empftndest, wie die Welt eigentlich sein sollte, aber sie ist nicht so, sie ist anders. - Dann wiederum wird man sicli in diese Welt hineinleben, man wird eine zweite Art von Gesetzmäßigkeit kennen lernen und wird einen Ausgleich suchen müssen. Worauf wird das beruhen?

Nehmen Sie an, der Mensch geht durch die Geburt ins physische Dasein. Er bringt sich mit dasjenige, was in seinem Denken und Empfinden das Ergebnis seines früheren Erdenlebens ist. Während er mit diesem Erden-leben nicht vereint war, hat sich tatsächlich das äußere Erdenleben in einer gewissen Weise verändert. Er empfindet eine Diskrepanz zwischen dem Denken, dessen Wirkungen er mitbringt aus dem früheren Erdenleben, das mcht mehr stimmt zu dem, wie die Dinge geworden sind in der Zcit, in der er abwesend war von der Erde. Und nun lebt er sich allmählich in sein neues Leben hinein und nimmt keineswegs in sein Bewußtsein dasjenige voll­ständig auf, was von ihm aus der Umgebung abgelauscht werden kann. Er mmmt es nur, ich möchte sagen, wie durch Schleier auf. Er verarbeitet es ja erst nach dem Tode, darin trägt er es in das nächste Leben wiederum hinein.

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Immer wird der Mensch in dieser Zweiheit seines Seelenlebens drinnen­stehen. Immer wird der Mensch gewahr werden : Du bringst dir etwas mit, dem gegenüber die Welt neu ist, in die du als physischer Mensch durch die Geburt hineingewachsen bist. Aber durch deinen physischen Menschen nimmst du jetzt in dieser Welt etwas auf, was nicht gleich vollständig in deine Seele dringt, was du erst nach dem Tode wiederum zu verarbeiten hast.

In diese Art, das Leben zu empfinden, müßte der gegenwärtige Mensch sehr intensiv eigentlich sich hineinleben. Denn nur dadurch, daß man sich in so etwas hineinlebt, wird man gewahr die Kräfte, die eigentlich durch unser Dasein pulsen, und die einem sonst ganz entgehen. Und wir sind ein­gesponnen in sie. Aber wenn wir nicht versuchen, sie mit dem Bewußtsein zu durchdringen, bleiben sie im Unterbewußten und machen uns bis zu einem gewissen Grade seelisch krank. Dieses Auseinanderfallen wird der Mensch immer mehr wahrnehmen: das Auseinanderfallen desjenigen, was ihm aus dem vorigen Lebenslauf bleibt, und desjenigen, was sich in diesem Lebenslauf für den nächsten Lebenslauf vorbereitet. Und weil der Mensch diese Zweiheit immer mehr empfinden wird, wird er eine innerliche Ver­mittlung brauchen, eine wirkliche innerliche Vermittlung. Und die große Frage wird immer brennender werden : Wie kommt der Mensch zu dieser innerlichen Vermittlung? Dieser Frage gegenüber können wir nur eine Antwort finden, wenn wir das Folgende überlegen.

Ich habe Ihnen öfters ausgeführt : Wir sind als Menschen im gewöhnlichen Leben zwischen Aufwachen und Einschlafen eigentlich nur vollständig wach für unser Vorstellungsleben. Das Vorstellungsleben, das bedeutet vollständig wachen. Nicht vollständig wachen tun wir, auch wenn wir sonst wachen, mit Bezug auf unser Gefühlsleben. Unsere Gefühle sind nämlich, auch wenn wir für unsere Vorstellungen und Gedanken voll wach sind, innerhalb un­seres Bewußtseins von keiner anderen Daseinsstufe als sonst die Träume. Wer untersuchen kann in diesem Felde, der weiß es durch unmittelbare Anschauung, daß in unserem Bewußtsein die Gefühle nicht lebendiger sind, nur läßt die Vorstellung, durch die wir die Gefühle repräsentiert haben, das anders erscheinen. Aber das Gefühlsleben als solches kommt aus den Unter­gründen des Bewußtseins so herauf, daß das, was da heraufwogt, gleich ist einem Träumen. Und der Wille in seinem eigentlichen Leben bedeutet für

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uns etwas, was in uns schläft, auch wenn wir sonst wachen. In bezug auf den Willen schlafen wir. So daß wir also däese drei Bewußtseinszustände auch wachend in uns tragen. Wir gehen herum bei Tag wachend in unserem Vorstellungsleben, täuschen uns, daß wir auch im Willen wach sind, weil wir von dem, was unser Wille vollbringt, Vorstellungen haben. Aber was der Wille erlebt, das geht nicht in unser Bewußtsein herauf, sondern nur das Vorstellungsbild. Wir träumen unsere Gefühle, wir verbringen schlafend unsere Wollungen. Aber, wenn man durch die imaginative Erkenntnis her­aufholt dasjenige, was sonst in den Gefühlen träumt, es zu vollständiger, klarer Welterkeunmis bringt, dann merkt man : Nicht nur in unseren Vor­stellungen und Gedanken ist Weisheit, wenn ich das jetzt so nennen darf-wir können es technisch so nennen, wenn es auch bei vielen Menschen Un­weisheit ist -, Weisheit ist in unseren Gedanken, Weisheit ist aber auch in unseren Gefühlen, und Weisheit ist auch in unserem Willen. Wir können mit Bezug auf das heutige Menschendasein eigentlich nur klar sprechen über dasjenige, was in unserem Vorstellungsleben ist. Was in der Gefühlswelt lebt, darüber hat die Menschheit heute im allgemeinen kaum andere Ideen als über das Traumleben, und dennoch ist Weisheit darinnen.

Am ehesten ist es ja für denjenigen möglich, der ernsthaftig die Übungen auf die eigene Seele anwendet, die in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» beschrieben sind, kennenzulernen ein gewisses inneres Seelenwogen, das gewissermaßen traumhaft verläuft, für die meisten Menschen nur traumhaft verläuft, nicht viel mehr Regelmäßig­keit hat als das gewöhnliche Träumen. Aber so viel Ordnung kann verhält­nismäßig bald hereingebracht werden in dieses innere Erleben, daß man merkt : Zwar dieselbe Logik herrscht nicht in diesem innerlichen Erleben -manchmal herrscht eine sehr groteske Logik, und die verschiedensten Ge­dankenfetzen ordnen sich zusammen, spielen sich traumhaft ab, es herrscht manchmal eine merkwürdige Logik darinnen-, aber daß darinnen sich doch etwas abspielt, das kann, wie gesagt, als eine erste innere Erfalirung, die noch sehr primitiv ist, derjenige erkennen, der nur ein wenig auf das eigene See­lenleben das anwendet, was in meinem Buche «Wie erlangt man Erkennt­nisse der höheren Welten?» geschildert ist. Da taucht ja, wenn der Mensch hinuntertaucht in dieses Gewoge wacher Träume, in der Tat eine neue Realität auf gegenüber der gewöhnlichen Realität des äußeren Lebens. Dann

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kann der Mensch verhältnismäßig bald bemerken, daß da eine neue Realität auftaucht. Er kann auch verhältnismäßig bald bemerken, daß in diesem Ganzen auch Weisheit darinnen ist, aber eine Weisheit, die er nicht fassen kann, für die er sich nicht reif genug fühlt, um sie ins Bewußtsein voll her-einzubringen. Es entschlüpft ihm immer wieder, und er weiß nicht, was das soll. Und so merkt denn der Mensch, kann es wenigstens merken, daß Weis­heit nicht nur durchilutet die Oberschichte seines Bewußtseins, das ihn durchdringt im gewöhnlichen wachen Tagesleben, sondern daß darunter eine andere Schichte seines Bewußtseins liegt, die ihm nur unlogisch er­scheint, weil er sie selber so nennt, weil er ihre Weisheit noch nicht erfassen kann. Man kann sagen : In dem Augenblicke, wo man sich vollständig das imaginative Erkennen angeeignet hat, da hören diese wachen Träume auf, so grotesk zu sein, wie sie im gewöhnlichen Leben erscheinen, dann durch­dringen sie sich mit einer Weisheit, die nur hinweist auf einen anderen Realitätsgehalt, auf eine andere Welt als die Sinneswelt ist, die wir mit der gewöhnlichen Weisheit überschauen.

Im gewöhnlichen Leben wogt herauf in unser alltägliches Bewußtsein aus dieser Unterschichte des Bewußtseins nur die Gefühlswelt. Und aus einer tieferen Schichte, die noch darunterliegt, wogt herauf die Willenswelt, die aber auch von Weisheit durchzogen, die durchaus auch von Weisheit durch­zogen ist. Mit dieser Weisheit sind wir auch verbunden, nur bekommen wir sie erst recht nicht in unser gewöhnliches Bewußtsein herauf. So daß wir sagen können : Wir sind eigentlich als Menschen beherrscht von drei Be­wußtseinsschichten. Das erste ist unser Vorstellungsbewußtsein, in dem wir alle Tage drinnen leben. Das zweite ist ein Imaginationsbewußtsein. Und das dritte ist ein inspiriertes Bewußtsein, das aber sehr tief unten bleibt, das zwar in uns wirkt, richtig wirkt, aber dessen Eigenart wir nicht im gewöhn­lichen Leben erkennen. Wenn nur einigermaßen unsere Gegenwartsphilo­sophie nicht so begriffsstutzig wäre, wie sie ist, so würde dieser Gegenwarts­philosophie sehr stark auffallen - ich sage nicht demjenigen, der mit dieser Philosophie nichts zu tun hat, aber Philosophen sollten so etwas begreifen können, sie tun es aber heute nicht -, es sollte aber dieser Gegenwarts-philosophie sehr stark auffallen, in ganz anderer Intensität noch auffallen, was für ein großer Unterschied ist zwischen dem, was man an Wahrheiten rein auf Grundlage der äußeren Naturbeobachtung bemerkt, und demjenigen,

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was man in den Wissenschaften fmdet, zum Beispiel aus Mathematik und Geometrie heraus, mit denen man ja bestrebt ist, die äußere Natur zu ver­stehen.

Man kann mit einem gewissen Recht sagen : Für die Wahrheiten, die sich der Mensch aneignet durch äußere Beobachtung - es ist ja das so oft wieder­holt worden in der Philosophie-Geschichte, daß es eigentlich für den Philo­sophen selber überflüssig sein sollte, diese Dinge besonders scharf auseinan­derzusetzen -, für das, was äußerlich zu beobachten ist, können wir niemals eigentlich von einer Sicherheit sprechen. Kant oder Hume habenja das ganz besonders deutlich ausgeführt, indem sie grotesk sogar behauptet haben :

Wir beobachten zwar, daß die Sonne aufgeht, aber wir haben aus dem Beobachten heraus nicht ein Recht zu behaupten, daß die Sonne nun morgen auch aufgehen wird. Wir schließen nur daraus, daß bisjetzt die Sonne immer aufgegangen ist, daß sie auch morgen aufgehen wird. - So ist es mit den Wahrheiten, die wir äußerlich aus der Beobachtung entlehnen. Aber so ist es zum Beispiel nicht mit den mathematischen Wahrheiten. Haben wir sie einmal begriffen, dann wissen wir, die gelten auch für alle Zukunft. Wer da weiß, aus inneren Gründen beweisen kann, daß das Quadrat über der Hypo­tenuse gleich ist der Summe der Quadrate über den beiden Katheten, der weiß, daß niemals einer ein rechtwinkliges Dreieck wird zeichnen können, für welches das nicht gilt.

Mit diesen mathematischen Wahrheiten ist es anders als mit den Wahr­heiten, die man aus den äußeren Beobachtungen kennt. Diese Tatsache weiß man, aber man ist nicht in der Lage, mit den Mitteln des heutigen Forschens den Grund einzusehen. Der Grund liegt darinnen, daß die mathematischen Wahrheiten tief aus dem Inneren des Menschen herauskommen, daß die mathematischeWahrheit im dritten Bewußtsein, hier in der unteren Schichte des Bewußtseins entspringt, und ohne daß der Mensch etwas davon ahnt, in sein oberstes Bewußtsein heraufschießt, wo er sie dann innerlich sieht. Die mathematischen Wahrheiten haben wir dalier, daß wir uns selbst mathema­tisch in der Welt verhalten. Wir gehen, stehen und so weiter, wir beschrei­ben da Linien. Durch dieses Willensverhältnis zur Außenwelt bekommen wir eigentlich die innere Anschauung von der Mathematik. Die Mathema­tik entsteht da unten im dritten Bewußtsein (siehe Schema) und schießt herauf.

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vorstellungsleben : vollständiges Wachen : Weisheit

Gefühl : Träumen : Weisheit

Wille : Schlafen : Weisheit

I. Vorstellungsleben

II. Imaginationen

III. Inspirationen

Wir haben also im Grunde genommen, wenn auch in diesem Fall der Ursprung dem gewöhnlichen Bewußtsein nicht vorliegt, wenigstens von einem teile dieses unterschichtigen Bewußtseins sehr klare Vorstellungen. Die mathematischen, die geometrischen Vorstellungen, die kommen uns da herauf. Traumhaft, verworren wird nur die mittlere Schichte. Die mittlere Schichte, die hat etwas von traumhaft Verworrenem. Da oben im Ober­stübchen, da, wo das gewöhnliche Tagwachen im Vorstellungsleben statt­fmdet, da sind wir wieder klar. Und dann ist in uns das klar, was da herauf-spielt aus der dritten Schichte des Bewußtseins. Was dazwischen ist, das er­reicht die meisten Menschen nur wie ein verworrenes Wachträumen. Das ist sehr bedeutsam, daß wir diese Tatsache uns klarmachen. Denn mit die­sem Bewußtsein waren insbesondere die Griechen in diesen viereinhalb Jahrhunderten verbunden. Dieses Bewußtsein I haben sie aufgenommen, dasjenige, was ihnen als Rest der Mysterienkultur zurückgeblieben ist. Und das ist ein rein luziferisches Element, ein rein luziferisches Element. Ich habe es Ihnen neulich beschrieben. Es ist die intellektualistische Kultur. In unse­rem Kopfe ist es sehr klar. Er ist von Weisheit durchdrungen, von einer all­gemein gültigen Weisheit. Aber das ist ein luziferisches Element in uns (siehe Schema).

Und wiederum, was da unten ist, was die heutigen Wissenschafter so sehr lieben, Kant schon sehr geliebt hat, so daß er gesagt hat : es ist nur so viel Wissenschaft der Natur gegenüber vorhanden, als Mathematik drinnen ist -, das ist rein ahrimanisches Element, das da durch unser Menschen-wesen heraufkommt. Das ist alirimanisches Element.

Es genügt nicht, daß wir von irgend etwas wissen, daß es richtig ist. Wir wissen, daß die Dinge, die wir intellektuell durch unseren Kopf begreifen, richtig sind, aber es ist eine Gabe des luziferischen Elementes. Und wir wissen,

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daß die Mathematik richtig ist, aber diese mächtige Richtigkeit der Mathematik, die verdanken wir dem Ahriman, der in uns sitzt. Und das unsicherste Element ist in der Mitte. Das sind scheinbar unlogisch wogende Träume.

Ich will Ihnen noch ein anderes Kenzizeichen anführen, damit Sie die ganze Wichtigkeit dieser Sache begreifen. Im Grunde genommen rührt all das mathematische Durchdringen der Welt, wie es aufgekommen ist durch Galilei, Giordano Bruno, aus dieser tieferen Schichte des Bewußtseins her. Viereinhalb Jahrhunderte sind verflossen, seit wir uns das aneignen, vier­einhalb Jahrhunderte, seit wir dieses ahtimanische Element bemüht sind in unser menschliches Denken und Empfinden einzuführen. Während in die hellste Klarheit des Bewußtseins hineinschien der letzte Nachklang der Mysterienkultur im griechischen Denken, ist in den untersten, dunkelsten Schichten unseres Bewußtseins erst der Aufgang desjenigen, was seinen Chimborasso erst in der Zukunft erringen soll. Das muß da herauf


I. Vorstellungsleben (Luzifer)

II. Imaginationen Bewußtsein

III. Inspirationen (Ahriman)

Wir Menschen stehen nijt unserem Seelenleben wirklich so, daß dieses Seelenleben wie ein Waagebalken ist, der das Gleichgewicht zunächst su­chen muß zwischen dem luziferischen Element auf der einen Seite, dem ahrimanischen Element auf der anderen Seite. Nur daß das luziferische Ele­ment in unserem heflen Kopfe liegt, das ahrimanische Element unten liegt in der Weisheit, die unseren Willen durchzieht. Dazwischen müssen wir das Gleichgewicht suchen in etwas, was eigentlich zunächst uns nicht als von etwas durchzogen erscheint.

Wie kommt Weisheit in diesen mittleren Teil des Menschen hinein? So wie der Mensch zunächst in der Welt steht, wird er seinem Kopfe nach von Luzifer gehalten, wird er seiner Stoffwechsel-Weisheit nach, der Glied­maßen-Weisheit nach von Ahriman gehalten. Aber dem Herzen nach -denn dasjenige, was da als der mittlere Zustand des Bewußtseins geschildert ist, das ist ebenso abhängig von unserer Herzorganisation mit dem mensch­lichen Rhythmus, lesen Sie darüber nach in meinem Buche « Von Seelenrätseln»,

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wie unsere Intellektualität mit dem Kopfe zusammenhängt -, in diese Sphäre unseres Daseins muß nach und nach eine ebenso große Ord­nung hineinkommen, wie sie in die Kopfweisheit durch die Kopflogik hin­eingekommen ist, wie sie in alles dasjenige, was wir auf ahrimanische Weise wissen, durch die Mathematik, Geometrie, überhaupt durch diese äußerlich rationelle Naturbeobachtung kommt. Wodurch kommt in diesen mittleren Teil unseres Menschenwesens die innere Logik, die innere Weisheit, Orien­tierungsfähigkeit hinein? Durch den Christus4mpuls, durch dasjenige, was in die Erdenkultur übergegangen ist durch das Mysterium von Golgatha.

Es gibt eine geisteswissenschaftliche Anatomie, die uns zeigt, was Kopf-kultur ist, die uns zeigt, was Stoffwechselkultur ist, die uns auch zeigt, was diejenige organisationssphäre ist, die zwischen beiden darinnenliegt, und was diese braucht. Es gehört zu unserem Menschenwesen die Durchdringung mit dem Christus-Impuls.

So daß wir uns sagen können : Nehmen wir einen Augenblick hypothe­tisch an, das Mysterium von Golgatha wäre nicht in die Erdenentwickelung hereingekommen, dann würde der Mensch die Kopfweisheit auch haben. Er würde auch dasjenige haben, was seit dem fünfzehntenjahrhunderte her­aufgekommen ist. Aber er würde mit Bezug auf seine Mittelpunktswesen­heit leer und öde sein. Er würde immer mehr und mehr bloß den Zwiespalt empfinden zwischen den beiden angeführten inneren Sphären. Er würde nicht den Gleichgewichtszustand herbeiführen können. Diesen Gleichge­wichtszustand können wir nur herbeiführen dadurch, daß wir uns immer mehr und mehr durchdringen mit dem Christus4mpuls, der den Gleich­gewichtszustand hervorruft zwischen dem luziferischen und dem ahrimani­schen Elemente.

Daraus ersehen Sie, daß wir sagen können : In diesen vorchristlichen vier­einhalb Jahrhunderten ist dem Menschen beschert worden wie eine Vor­bereitung zum Mysterium von Golgatha der letzte Ausläufer der alten Mysterienkultur, der sich festgesetzt hat wie eine Kopfeserinnerung an diese alte Mysterienkultur. Und in der neueren Zeit, durch viereinhalb Jahr­hunderte, ist durch das Menschenwesen gegangen die Vorbereitung für eine neue Geistesrichtung, für eine neue Art von Mysterienkultur. Aber daß diese beiden auch in der geschichtlichen Entwickelung der Menschheit ver­bunden werden können, dazu mußte das Mysterium von Golgatha objektiv

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in die Menschlieitsentwickelung hineingestellt werden. Von außen betrach­tet verläuft die Menschheitsentwickelung so, daß das Mysterium von Gol­gatha als eine objektive Tatsache hineingestellt wird. Innerlich aber verläuft die Menschlieitsentwickelung so, daß die Menschen mittlerweile heran­wachsen, bis sie vorn fünfzehntenJahrhundert ab jenen neuen Einschlag be­kommen, den ich Ihnen eben charakterisiert habe als einen Ahriman-Ein­schlag, und durch den sie erst recht empfinden werden : sie brauchen die Möglichkeit, eine Brücke zu bauen zwischen dem einen und dem anderen.

So können wir innerlich den dreigliedrigen Menschen begreifen. Und wir werden ihn noch genauer begreifen, wenn wir mit dem, was ich Ihnen heute gesagt habe, etwas verbinden, was ich schon wiederholt erwähnt habe. Dem alten Griechen mit seinen letzten Resten aus der alten Mysterienknltur wäre es gar nicht möglich gewesen - außer daß es aufgetreten ist bei einigen Ent­arteten, aber auch nicht in dem Grade, wie in unserer Zeit -, es wäre ihm gar nicht möglich gewesen, atheistisch zu sein. Der Atheismus ist im Grunde genommen erst ein neueres Gebilde, wenigstens in seinen radikalen Aus-gestaltungen. Denn der Grieche, der wirklich Dialektik innehatte, der fühlte noch im Denken, sogar im inhaltslosen Denken das Walten des Göttlichen.

Wenn man dies weiß und dann auf das Auftreten des Atheismus sieht, auf die völlige Leugnung des Göttlichen, dann kommt man darauf, worauf eigentlich dieser Atheismus beruht. Atheisten - man braucht natürlich gei­steswissenschaftliche Methoden, um das zu erkennen -, Atheisten sind nur diejenigen Menschen, bei denen - es kann ja das in sehr feinen Struktur­verhältnissen sein, aber es ist so - etwas nicht in der Ordnung ist organisch. Der Atheismus ist in Wirklichkeit eine Krankheit.

Das ist dasjenige, was wir zuerst festhalten müssen: Der Atheismus ist eine Krankheit. Denn wenn unser Organismus vollständig gesund ist, so kann er in seinen einzelnen Gliederungen nicht anders zusammenwirken, als daß wir unsern Ursprung aus dem Göttlichen - ex deo nascimur - selber empfinden.

Das Zweite ist allerdings etwas anderes. Der Mensch kann das Göttliche empfinden, aber keine Möglichkeit haben, den Christus zu empfinden. Man macht in dieser Beziehung heute nicht sehr feine Unterschiede. Man begnügt sich heute zu sehr mit Worten, auch auf anderen Gebieten. Wenn man näm­lich heute den eigentlichen geistigen Gehalt recht vieler abendländischen

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Menschen prüft und sich nicht nach den Worten richtet - sie sagen, sie glau­ben an eine Freiheit des Willen und so weiter -, zeigt es sich, wie die ganze Konfiguration des Denkens widerspricht diesem, was sie damit ausdrücken. Nur im Zusammenhang der Kultur sind sie gewohnt worden, von Christus zu sprechen, von Freiheit und so weiter. In Wirklichkeit ist eine große Anzahl unter uns lebender Menschen nichts weiter als Türken; denn ihr Glaubensinhalt ist genau derselbe fatalistische - wenn auch dieser Fatalismus oftmals als Naturnotwendigkeit geschildert ist -, wie der Glaubensinhalt der Mo­hammedaner ist. Der Mohammedanismus ist viel verbreiteter, als man denkt. Wenn man eben nicht auf die Worte geht, sondern auf den geistig-seelischen Inhalt, dann sind manche Christen eigentlich Türken, viele Chri­sten sind Türken. Und so nennen sich die Leute auch Christen, wenn sie auch nicht den Übergang finden können zwischen dem Gott, den sie emp­finden und dem Christus.

Ich brauche Sie nur hinzuweisen auf das klassische Beispiel eines moder­nen Theologen, Adolf Harnack, der das «Wesen des Christentums» schrieb. Bitte, machen Sie die Probe, streichen Sie im «Wesen des Christentums »überall den Christus-Namen aus und schreiben Sie bloß den Gottes-Namen hin, es ändert gar nichts an dem Inhalt dieses Buches. Es besteht gar keine Not­wendigkeit, daß der Mann das, was er aussagt, von dem Christus aussagt. Er braucht es nur auszusagen von dem allgemeinen, von dem der Welt zu­grunde liegenden Vater-Gotte. Es ist gar keine Nötigung, daß er dasjenige, was er aussagt, auf den Christus bezieht. Wo er etwas beweist, ist es äußer­lich und innerlich unwahr, indem er eben aus den Evangelien die einzelnen Mitteilungen entlehnt; aber in der Art, wie er sie verarbeitet, ist keine Ver­anlassung, sie an den Christus anzulehnen. Man muß die Möglichkeit ge­winnen, den Christus nicht so aufzufassen, daß man ihn identifiziert mit dem Vater-Gotte. Das können schon ganz besonders sehr viele neuere evan­gelische Theologen nicht mehr: einen Unterschied machen zwischen dem allgemeinen Gottes-Begriff und dem Christus-Begriff Christus nicht zu finden im Leben ist etwas anderes, als Gott nicht zu finden, den Vater-Gott nämlich. Daß es sich hier nicht darum handelt, irgendwie die Göttlichkeit des Christus zu bezweifeln, wissen Sie. Es handelt sich nur darum, daß man innerhalb der Sphäre des Göttlichen genau unterscheiden muß zwischen dem Vater-Gott und dem Christus-Gott. Aber das drückt sich auch aus in

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dem Seelenleben des Menschen. Gott-Vater nicht zu finden, ist eine Krank­heit; den Christus nicht zu finden, ist ein Unglück. Denn mit dem Christus ist der Mensch so verbunden, daß er innerlich darauf angewiesen ist. Aber er ist angewiesen auf etwas, das als ein historisches Ereignis sich abgespielt hat. Er muß im äußeren Leben hier auf der Erde einen Zusammenhang finden mit dem Christus. Findet er ihn nicht, so ist das ein Unglück. Es ist eine Krankheit, Atheist zu sein, den Vater-Gott nicht zu finden. Es ist ein Unglück, den Sohnes-Gott nicht zu finden, den Christus.

Und was ist das, den Geist nicht zu finden? Nicht die Möglichkeit zu haben, die eigene Geistigkeit zu erfassen, um den Zusammenhang der eige­nen Geistigkeit mit der Geistigkeit der Welt zu finden, das ist eine Schwachgeistigkeit; ein seelischer Schwachsinn ist es, den Geist nicht anzuerkennen.

An diese drei Mängel der menschlichen Seelenverfassung bitte ich Sie, sich noch einmal zu erinnern - dann werden wir in der richtigen Weise in dieser Betrachtung morgen fortfahren können -, sich zu erinnern an das­jenige, was ich Ihnen heute von einem anderen Gesichtspunkte aus wieder über die drei Bewußtseine gesagt habe, und sich zu erinnern daran : Atheist zu sein, den Gott, aus dem wir geboren sind - den wir finden müssen bei einer vollständig gesunden Organisation - nicht zu finden, ist eine Krankheit, und den Christus nicht zu finden, ist ein Unglück, den Geist nicht zu finden, ist ein seelischer Schwachsinn.

In dieser Weise unterscheiden sich auch die Wege des Menschen zur Trinität voneinander. Und das wird für die Menschheit immer mehr und mehr notwendig, auf diese konkreten Dinge des Seelenlebens einzugehen, nicht immer in allgemeinen, verschwommenen, nebulosen Dingen stecken zu bleiben. Und zu dieser Nebulosität hat man heute eine ganz besondere Neigung. Zu ersetzen diese Neigung durch die Neigung, ins Konkrete des Seelenlebens wiederum einzutreten, das ist eine wesentliche Aufgabe der Zeit.

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FÜNFTER VORTRAG Dornach, 29. November 1919

Der Mensch kann nur dadurch ein wirkliches, seine Seele tragendes Be­wußtsein erlangen, daß er aufnimmt wenigstens die wichtigsten, die wesent­lichsten Gesetze der menschlichen Entwickelung. Dasjenige, was sich zuge­tragen hat im Lauf der menschlichen Entwickelung, das müssen wir erken­nen, in unser Seelenleben hereinbringen. So ist einmal die Aufgabe des gegenwärtigen Menschen. Nun handelt es sich darum, daß man - ich be­merkte das schon in diesen Tagen - völlig ernst nehme, daß die Entwicke­lung der Menschheit selbst eine Art lebendige, eine Art Wesensentwicke­lung ist. Wie in dem einzelnen menschlichen Individuum gesetzmäßiges Wachstum ist, so in der Entwickelung des ganzen Menschengeschlechtes. Und da in der Gegenwart einmal der Zeitpunkt ist, wo gewisse Dinge ins Bewußtsein herauf müssen und der Mensch ja in den wiederholten Erden-leben teilgenommen hat an den verschiedenen Gestaltungen der Mensch­heitsentwickelungsgeschichte, so ist auch notwendig, daß man Verständnis entwickele für die Verschiedenheiten der menschlichen Seelenstimmungen in den einzelnen Epochen der Menschheitsentwickelung. Ich habe schon öfter gesagt : Dasjenige, was wir heute Geschichte nennen, das ist eigentlich eine fable convenue aus dem Grunde, weil bei dieser abstrakten Aufzählung von Ereignissen und bei diesem Suchen nzch Ursache und Wirkung im äußerlichsten Sinne gegenüber den geschichtlichen Hergängen gar nicht Rücksicht genommen wird auf die Umwandlungen, auf die Metamorpho­sen des menschlichen Seelenlebens selber. Wenn man von diesem Gesichts­punkte aus Proben macht, so könnte man sich schon überzeugen, wie vor­urtei]svoll es ist, wenn man glaubt, daß ungefähr so, wie die Seelen der Men­schen jetzt gestimmt sind, sie bis in jene Zeiten waren, in die noch die ersten Dokumente der Geschichte zurückreichen. Das ist nicht der Fall. Menschen, auch einfachste, primitivste Menschen des neunten, zehnten nachchristlichen Jahihunderts, sie waren ganz anders in der Seele gestimmt als die Menschen nach der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts. Man kann das verfolgen bis in die Niederungen des Menschengeschlechtes hinein, kann es auch auf den Höhen verfolgen. Versuchen Sie zum Beispiel einmal, sich eine Kenntnis zu

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verschaffen des merkwürdigen Werkes von Dante über die «Monarchie». Wenn Sie so etwas lesen, aber nicht lesen wie eine Kuriosität, sondern lesen mit einem gewissen kulturhistorischen Spürsinn, dann wird Ihnen auffallen, wie m emem solchen Buche eines Repräsentanten seiner Zeit Dinge drinnen-stehen, die unmöglich aus der Seele eines Gegenwartsmenschen heraus ge­sprochen sein könnten. Ich will nur eines erwähnen.

Dante versucht in diesem Buche, das in seinem Sinne eine ernsthafte Ab-handlung über die Rechtsgrundlage, über die politische Grundlage der Monarchie sein soll, darzulegen, daß die Römer das vorzüglichste Volk der Erde waren. Er versucht darzulegen, daß es ein Urrecht der Römer war, den ganzen Erdball, soweit er dazumal in Frage kam, zu erobern. Er versucht darzulegen, daß diese Eroberung des ganzen Erdballes durch die Römer ein größeres Recht sei als etwa das Selbständigkeitsrecht einzelner kleiner Völ­kerschaften, denn Gott habe es so gewollt, daß die Römer über einzelne kleine Völkerschaften herrschten, zum Wohle dieser einzelnen kleinen Völ­kerschaften. Viele Beweise ganz aus dem Geiste seiner Zeit heraus bringt Dante vor für diese Berechtigung des Römertums, den Erdkreis zu beherr­schen. Einer dieser Beweise ist auch der folgende. Er sagt : Die Römer stam­men doch ab von Aeneas. Aeneas hat dreimal geheiratet. Zuerst die Creusa. Dadurch aber, durch diese Heirat, habe er sich als der Stammvater das Recht erworben, Asien zu beherrschen. Zweitens habe er geheiratet die Dido. Dadurch habe er sich als Urvater der Römer das Recht erworben, Afrika zu beherrschen. Dann habe er geheiratet die Lavinia. Damit habe er sich das Recht erworben - das heißt für die Römer -, Europa zu beherrschen. Her-man Grimm, der diese Sache einmal besprochen hat, macht dazu die, ich glaube nicht unzutreffende Bemerkung : Ein reines Glück, daß dazumal Amerika und Australien noch nicht entdeckt waren!

Aber diese Schlußfolgerung war für einen erleuchteten Geist der Dante-Zeit, ja für den hervorragendsten Geist der Dante-Zeit etwas ganz selbst­verständliches. So etwas war dazumal einejuristische Darlegung. Nun bitte ich Sie, sich vorzustellen, daß bei irgendeinem Juristen der Gegenwart eine solche Schlußfolgerung aufträte. Sie können sich es nicht vorstellen. Ebenso wenig können Sie sich vorstellen, daß die Denkweise in bezug auf andere Gründe, die Dante vorbringt, aus der Seelenverfassung eines Gegenwarts-menschen herauskäme.

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So ergibt eine ganz naheliegende Tatsache, wie man hinsehen muß auf die Umwandlung der Seelenverfassungen der Menschen. Diese Dinge nicht zu verstehen, das ging in einer gewissen Weise an bis in unsere Zeit herein. Das geht in unserer Zeit nicht mehr an und wird insbesondere nicht gegen ilie Zukunft hin für die Menschheit angehen, aus dem einfachen Grunde, weil die Menschheit bis in unsere Zeiten herein oder wenigstens bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts - seit der französischen Revolution ist es schon allmählich anders geworden, aber es blieben immer alte Reste der betreffenden Seelenverfassungen zurück -, weil die Menschheit bis in unsere Zeit herein - also mit der Einschränkung, die ich eben gemacht habe - ge­wisse Instinkte hatte. Und aus diesen Instinkten heraus konnte sie ein Be­wußtsein entwickeln, das seelentragend war. So wie aber der sich fort-wandelnde Organismus der Menschheit nunmehr geworden ist, sind diese histinkte nicht mehr da, und der Mensch muß sich in bewußter Weise er­werben den Zusammenhang mit der ganzen Menschheit. Das istja schließ­lich die ganze Bedeutung, die tiefere Bedeutung der sozialen Frage in der Gegenwart. Dasjenige, was die Leute parteimäßig vielfach sagen, ist nur eine Formulierung obenhin. Dasjenige, was eigentlich in den Untergründen der Menschenseelen wogt, das spricht sich aus in solchen Formeln. Aber das, was wogt, das ist eben, daß die Menschheit fühlt, man müsse bewußt den Zusammenhang des einzelnen mit der ganzen Menschheit erringen, das heißt, einen sozialen Impuls sich aneignen.

Nun kann man das nicht, ohne daß man das Gesetz der Entwickelung wirklich ins Auge faßt. Tun wir das noch einmal, nachdem wir es für andere Fragen schon wiederholt getan haben. Nehmen wir zum Beispiel die Zeit vom vierten nachchristlichen Jahrhundert bis etwa ins sechzehnte nach-christliche Jahrhundert herein. Da fmden wir, wie das Christentum im zivillsierten Europa sich ausbreitet. Wir finden dieser Ausbreitung jenen Charakter aufgeprägt, von dem ich gestern und öfter gesprochen habe. Wir finden, daß in dieser Zeit noch alle Sorgfalt darauf verwendet wird, durch menschliche Vorstellungen und menschhche Begriffe, wie sie vom Griechen­tum übermittelt worden sind, die Geheimnisse von Golgatha zu verstehen. Dann beginnt aber eine veränderte Form der Entwickelung. Wir wissen, daß sie eigentlich schon früher einsetzt, um die Mitte des fünfzehnten Jahr­hunderts. Sichtbar, deutlich wird sie erst etwa im sechzehnten Jahrhundert.

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Dann beginnt das naturwissenschaftlich orientierte Denken zuerst die obere Menschheit zu ergreifen, aber sich immer weiter und weiter auszudehnen.

Nun fassen wir einmal dieses naturwissenschaftlich orientierte Denken einer bestimmten Eigenschaft nach ins Auge. Es gibt viele solche Eigen­schaften, däe man erwähnen kann für das naturwissenschaftlich orientierte Denken, aber wir wollen heute wiederum eine besonders hervorheben. Das ist diese, daß, wenn man so recht handfester neuerer Denker im heutigen Sinne ist, man nicht zurechtkommt mit der Frage : Naturnotwendigkeit und menschliche Freiheit. Immer mehr drängte das Naturdenken der neueren Zeit dahin, den Menschen als ein Glied der übrigen Natur zu denken, die man auffaßt als einen Strom von fest einander bedingenden Ursachen und Wirkungen. Gewiß sind ja viele Menschen auch heute da, die sich klar dar­über sind, daß Freiheit, das Erlebnis der Freiheit, eine Tatsache des mensch­lichen Bewußtseins ist. Aber dies hindert nicht, daß, wenn man sich so recht hineinfindet in die besondere Konfiguration des Naturdenkens, man da nicht zurechtkommt. Denkt man so, wie die heutige Naturwissenschaft das will, über die Wesenheit des Menschen, so kann man eben mit diesem Denken nicht vereinigen das Denken über die menschliche Freiheit. Manche machen sich es leicht mit der menschlichen Freiheit, mit dem menschlichen Verantwortlichkeitsgefühl. Ich kannte einen Strafrechtslehrer, der begann seine Vorlesungen über das Strafrecht jedesmal damit, daß er sagte : Meine Herren, ich habe Ihnen Strafrecht vorzutragen. Das beginnen wir damit, daß wir als Axiom annehmen, es gäbe eine menschliche Freiheit und Verant­wortlichkeit. Denn gäbe es keine Freiheit und keine Verantwortlichkeit, so könnte es kein Strafrecht geben. Nun gibt es aber ein Strafrecht, denn ich muß es Ihnen vortragen, also gibt es auch eine Verantwortlichkeit und Freiheit. - Diese Argumentation ist etwas einfach, aber sie ist doch auch hinweisend darauf, wie schwer die Menschen heute noch zurechtkommen, wenn sie fragen sollen : Wie vereinigt Naturnotwendigkeit sich mit Frei­heit? Das heißt aber mit anderen Worten nichts anderes als : Immer mehr und mehr ist der Mensch durch die Entwickelung der letzten Jahrhunderte gezwungen worden, eine gewisse Allmacht der Naturnotwendigkeit zu denken. Man sagt es sich nicht mit diesen Worten, aber dennoch, es wird gedacht eine gewisse Allmacht der Naturnotwendigkeit. Was ist diese All­macht der Naturnotwendigkeit?

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Wir werden uns am besten verstehen, wenn ich Sie an etwas erinnere, das ich schon öfters erwähnt habe. Die heutigen Denker glauben, sie handeln -oder denken vielmehr - vorurteilslos, bloß wissenschaftlich forschend, wenn sie behaupten, der Mensch bestunde aus Leib und Seele. Nicht wahr, bis zu dem angeblich großen, eigentlich nur von seines Verlegers Gnaden großen Philosophen Wilhelm Wundt behaupten die Leute, wenn man unbefangen denkt, so müsse man den Menschen gliedern in Leib und Seele, wenn über-haupt noch die Seele gelten gelassen wird. Und nur schüchtern wagt sich der Versuch derWahrheit hervor, den Menschen zu gliedern in Leib, Seele und Geist. Die Philosophen, die heute glauben, vorurteilslos den Menschen in Leib und Seele zu gliedern, die wissen eben nicht, daß ihre Gliederung nur das Ergebnis eines historischen Vorganges ist, der seinen Ausgangspunkt genommen hat vom achten allgemeinen Konzil von Konstantinopel, wo die katholische Kirche den Geist abgeschafft hat, indem es zum Dogma erhoben worden ist, daß fortan der richtig gläubige Christ nur zu denken habe, der Mensch bestünde aus Leib und Seele, und die Seele habe auch einige geistige Eigenschaften. Das war Kirchengebot. Das lehren heute noch die Philosophen und wissen nicht, daß sie bloß dem Kirchengebote folgen, sie glauben vorurteilslose Wissenschaft zu treiben. So steht es tatsächlich heute um manches, was man «vorurteilslose Wissenschaft» nennt.

So ähnlich ist es auch mit der Naturnotwendigkeit. Diese ganze Ent­wickelung vom vierten Jahrhundert bis ins sechzehnte Jahrhundert, die kristallisierte immer mehr einen ganz besonderen Gottesbegriff heraus. Wenn man auf die Feinheiten der geistigen Entwickelung dieser Jahrhun­derte eingeht, so kommt man darauf, daß immer mehr und mehr ein ganz bestimmter Gottesbegneff aus dem menschlichen Denken herausgearbeitet wurde, der Gottesbegn.ff, der eigentlich gipfelt in dem Diktum : Gott, der Allmächtige. Es wissen die wenigsten Menschen, daß es zum Beispiel für den Menschen vor dem vierten nachchristlichen Jahrhundert keinen rech­ten Sinn gehabt hätte, von Gott dem Allmächtigen zu sprechen. Wir trei­ben keine Katechismus-Wahrheiten; da steht natürlich drinnen : Gott ist allmächtig, allweise und allgütig und so weiter. Das alles sind Dinge, die mit den Wirklichkeiten nichts zu tun haben. Vor dem vierten Jahrhundert würde niemand, der verständig war in diesen Dingen, der mit diesen Dingen wirklich mitgegangen ist, daran gedacht haben, die Allmacht als

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eine Grundeigenschaft des göttlichenWesens zu betrachten, sondern da war noch die Nachwirkung der griechischen Begriffe. Und wenn man an das göttliche Wesen gedacht hat, so würde man in erster Linie nicht gesagt haben : Gott, der Allmächtige, sondem : Gott, der Allweise.

# Bild s. 80

Die Weisheit war dasjenige, was man zunächst als die Grundeigenschaft dem göttlichen Wesen beigelegt hat. Und der Begriff der Allmächtigkeit, er ist erst vom vierten Jahrhundert an allmählich eingedrungen in die Idee von dem göttlichen Wesen. Das entwickelt sich weiter. Der Persönlich­keitsbegriff wird fallen gelassen, und übertragen wird das Prädikat auf die bloße, immer mehr und mehr sogar mechanisch vorgestellte Naturord­nung. Und der Begriff der neueren Natumotwendigkeit, dieser Allmacht der Natur, ist nichts anderes als das Ergebnis der Entwickelung des Gottes-begriffes vom vierten Jahrhundert bis ins sechzehnte Jahrhundert. Nur daß abgeworfen wurden die Persönlichkeitseigenschaften, und daß herüber-genommen wurde in die Struktur des Naturdenkens dasjenige, was dazu­mal für den Gottesbegriff genommen worden ist.

Die echten Naturwissenschafter von heute würden sich natürlich kräftig wehren, wenn man ihnen so etwas sagt. Geradeso wie manche Philosophen glauben, vorurteilslos über den Menschen zu denken, indem sie ihn nur aus Leib und Seele bestehen lassen, während sie in Wahrheit nur befolgen das achte allgemeine ökumenische Konzil von Konstantinopel von 869, gerade-so wie diese Philosophen abhängig sind von einer historischen Strömung, so sind sie alle - die Haeckelianer, die Darwmisten, alle, alle bis zu den Physikern mit ihrer Naturordnung - nichts anderes als Abhängige der­jenigen theologischen Richtung, die sich ausgebildet hat in der Zeit von Augustinus bis Calvin. Diese Dinge müssen durchschaut werden. Denn das ist das Eigentümliche einer jeden Evolutionsströmung, daß sie eine ge­wisse Evolution in sich schließt, aber auch eine Involution oder Devolution. Und während sich entwickelte der Begriff« Gott der Allmächtige», war die

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Unterströmung in den unterbewußten Sphären des menschlichen Seelen­lebens vorhanden, die dann die tonangebende Oberströmung wurde : die Natumotwendigkeit (siehe Schema rot). Und seit dem sechzehnten Jahr­hundert ist wiederum eine neuerliche Unterströmung da, die gerade in unserer Zeit sich vorbereitet, Oberströmung zu werden.

# Bild s. 81

Das ist es, was wir als das Charakteristikon des Michael-Zeitalters an­führen müssen, daß dasjenige, was sich vorbereitet hat in Form einer Unter-strömung der Naturnotwendigkeit, von jetzt ab werden muß eine Ober-strömung. Aber es muß verstanden werden der innere Geist der Erden-entwickelung, wenn man überhaupt zu irgendeinem möglichen Begriffe kommen will von dem, was sich eigentlich da vorbereitet.

Ich habe Sie neulich einmal darauf aufmerksam gemacht, daß eigentlich das, was von selbst geht in der irdischen Entwickelung und namentlich in der Menschheitsentwickelung, sich in absteigender Linie bewegt. Die Erdenmenschheit und die Erdenentwickelung selbst ist eigentlich in der Dekadenz. Ich habe Sie darauf aufmerksam gemacht, daß das ja sogar heute schon eine geologische Wahrheit ist, daß ernsthaft zu nehmende Geologen zugeben, die Erdkruste sei bereits in einem Verfallsprozesse. Aber insbesondere ist in einem Verfallsprozesse durch die Kräfte, die eigent­lich sinnlich-irdisch sind, die Menschheit selbst. Und der Menschheits­prozeß muß so weitergehen, daß die Menschheit aufnimmt geistige Im­pulse, die gegen die Dekadenz arbeiten. Daher muß bewußtes Geistesleben in die Menschheit eintreten. Wir müssen uns klar sein darüber : den Höhe­punkt der Erdenentwickelung, den haben wir bereits überschritten. Damit die Erdenentwickelung weitergehen kann, muß Geistiges immer klarer und deutlicher aufgenommen werden.

Das scheint zunächst wie eine abstrakte Tatsache. Für den Geistesforscher ist das gar nicht eine abstrakte Tatsache. Sie wissen ja wohl, daß wir die

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Entwickelung desjenigen, was dann Erde geworden ist, verfolgen durch ein Saturn-, Sonnen- und Mondenstadäum bis herein ins Erdenstadium. Diese Entwickelung können wir auch dadurch charakterisieren, daß wir sagen, im Grunde genommen ist, wenn wir von der heutigen Menschheit sprechen, dasjenige, was sich von dieser Menschheit durch Saturn-, Sonnen- und Mondenperiode entwickelt hat, Vorbereitung, Vorstadium gewesen. Auf der Erde selbst hat der Mensch eigentlich erst, als er sein Ich angenommen hat, die Menschenwesenheit in Wirklichkeit erreicht und wird in diese Wesenheit weiteres hineingießen durch die folgenden Entwickelungs-stadien der Erde.

Nun wissen Sie ja, daß auf derselben Entwickelungsstufe, wenn auch in ganz anderen Formen, bei ganz anderem äußeren Ansehen, die sogenann­ten Archai, die heutigen Geister der Persönlichkeit oder Zeitgeister, im Saturnstadium waren, in derselben Entwickelungsstufe, aber mit anderem Ansehen, wie heute der Mensch. So daß ich das in meinen Büchern aus-gedrückt habe dadurch, daß ich sagte : Was wir heute als Archai, als Geister der Persönlichkeit ansehen, das war während der Saturnzeit Mensch, die Archangeloi waren während der Sonnenzeit Mensch, die Angeloi wäh­rend der Mondenzeit Mensch. Während der Erdenzeit sind wir Menschen.

Nun haben wir uns ja natürlich immer vorbereitend mitentwickelt. Wenn wir nur zurückgehen bis zum Mondenstadium, so müssen wir sagen : da sind die Angeloi Menschen gewesen; nicht so aussehende Menschen wie wir, denn das alte Mondenstadiurn hat ganz andere Verhältnisse gehabt. Aber außer diesen Mondenmenschen, den Angeloi, entwickelten auch wir uns schon in einem Vorstadium dort, in dem Vorstadium der Erdenent­wickelung, in sehr weit vorgeschrittenem Stadium, so daß wir dort eigent­lich schon in Betracht kamen für die Angeloi. Namentlich als die Monden-entwickelung bereits im Abstiege war, kamen wir dort zuweilen in recht lästiger Weise für die Angeloi in Betracht. Geradeso aber geht es uns mit der absteigenden Erdenentwickelung. Seit die Erdenentwickelung im Ab-stiege ist, kommen andere Wesenheiten nach. Das ist ein bedeutsames, ein wichtiges Ergebnis geisteswissenschaftlicher Forschung, das sehr, sehr ernst zu nehmen ist, daß wir bereits in dieses Stadium der Erdenentwicke­lung eingetreten sind, wo sich Wesen geltend machen, die auf dem Jupiter

- das ist das nächste Stadium der Erdenentwickelung - aufgerückt sein

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werden zu zwar anderen Menschenformen, aber doch zu Formen, die sich mit dem Menschenwesen vergleichen lassen. Wir werden ja andere Wesen sein auf dem Jupiter. Aber diese gewissermaßen Jupitermenschen sind jetzt schon da, wie wir auf dem Monde waren. Sie sind da, natürlich nicht äußer­lich sichtbar; aber ich habeja neulich zu Ihnen gesprochen, was das bedeutet, äußerlich sichtbar zu sein, und daß der Mensch auch ein übersinnliches Wesen ist. Übersinnlich sind diese Wesenheiten gar sehr da.

Ich betone noch einmal : Das ist eine außerordentlich ernste Wahrheit, daß sich geltend machen gewisse Wesenheiten, welche tatsächlich um die Menschheit herum sind. Immer mehr und mehr machen sie sich geltend seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts. Diese Wesenheiten haben zunächst vorzugsweise ausgebildet den Impuls einer Kraft, die sehr ähnlich ist der menschlichen Willenskraft, jener Willenskraft, von der ich Ihnen gestern gesagt habe, wie sie unten ist in tieferen Schichten des menschlichen Bewußtseins. Mit dem, was da dem gewöhnlichen heutigen Bewußtsein unbewußt bleibt, mit dem verwandt sind diese unsichtbaren Wesenheiten, die sich aber schon sehr stark geltend machen in der Entwickelung der heutigen Menschheit.

Für den, der die Geistesforschung konkret ernst nimmt, ist das ein Pro­blem von gewaltiger Größe. Mir trat dieses Problem besonders stark ent­gegen - und ich habe es dazumal zu verschiedenen unserer Freunde in der einen oder in der anderen Form ausgesprochen -, mir trat dieses Problem besonders stark entgegen, ich möchte sagen, fordernd entgegen, als im Jahre 1914 diese Kriegskatastrophe ausbrach. Da mußte man sich fragen :

Wie stürmte über die europäische Menschheit herein ein Ereignis, das etwa so auszumessen nach seinen Verursachungen, wie man das gewohnt ist gegenüber früheren geschichtlichen Ereignissen, tatsächlich unmöglich ist? Wer da weiß, daß bei den entscheidenden Dingen doch im Jahre 1914 kaum mehr als dreißig bis vierzig Menschen in Europa beteiligt waren, und wer da weiß, in welcher Seelenverfassung die meisten dieser Menschen waren, für den kommt das eigentlich bedeutsame Problem herauf. Denn die meisten dieser Menschen, so sonderbar das heute klingt, die meisten dieser Menschen waren von getrübtem Bewußtsein, von verdunkeltem Bewußt­sein. Überhaupt hat sich in den letzten Jahren ungeheuer viel zugetragen von der Art, (las verursacht ist von getrübtem menschlichem Bewußtsein.

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An den entscheidenden Stellen des Jahres 1914 sehen wir überall, wie gera­dezu aus Bewußtseinsverdüsterung heraus Ende Juli und Anfang August die wichtigsten Entschlüsse gefaßt wurden, und wiederum durch diese Jahre hindurch bis in unsere Gegenwart herein. Das ist ein Problem, furcht­bar in seiner Art. Untersucht man es geisteswissenschaftlich, dann findet man, daß diese verdunkelten Bewußtseine die Tore waren, durch die gerade diese Willenswesen von dem Bewußtsein dieser Menschen Besitz ergriffen haben, von dem umdunkelten, umfiorten Bewußtsein dieser Menschen Besitz ergriffen haben und gewirkt haben mit ihrem Bewußt­sein. Und diese Wesen, die da Besitz ergriffen haben, die noch untermensch­liche Wesen sind, was für Wesenheiten sind sie wiederum? Diese Frage müssen wir uns einmal ganz ernsthaftig vorlegen : Was sind das eigentlich für Wesenheiten?

Nun, wir haben gefragt nach dem Ursprung der menschlichen Intelli­genz, nach dem Ursprung des menschlichen intelligenten Verhaltens, das, einfach gesprochen, zu seinem Werkzeug unsere Kopforganisation hat. Und wir haben gesehen, daß diese intelligente Verfassung unserer Seele herrührt von jener Tat Michaels, des Erzengels, die man gewöhnlich sym­bolisch darstellt als den Sturz, das Herabwerfen des Drachens. Das ist eigentlich ein sehr triviales Symbolum. Denn wenn man sich richtig vor­stellt Michael mit dem Drachen, so hat man sich vorzustellen : das Michael-Wesen - und der Drache ist eigentlich alles das, was einzieht in unsere sogenannte Vernunft, in unsere Intelligenz. Nicht in eine Hölle stürzt Michael seine gegnerischen Scharen, sondern in die menschlichen Köpfe hinein. Da lebt dieser luziferische Impuls weiter. Ich habe Ihnen ja charak­terisiert die menschliche Intelligenz als einen eigentlich luziferischen Impuls. Wir können also sagen : Blicken wir zurück im Erdenwerden, so finden wir die Michael-Tat, und an diese Michael-Tat ist gebunden die Erleuch­tung des Menschen mit seiner Vernunft.

Was jetzt eintritt, die uiitermenschlichen Wesenheiten, die in ihrem Hauptcharakter einen Impuls haben, der sehr stark übereinstimmt mit dem menschlichen Willen, mit der menschlichen Willenskraft, die kommen gewissermaßen von unten herauf, während jene von Michael gestürzten Scharen oder Kräfte von oben kamen. Und während diese Besitz ergriffen von dem menschlichen Vorstellungsvermögen, ergreifen jene Besitz von

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der menschlichen Willenskraft, vereinigen sich mit ihr und sind Wesen, die aus dem Reich des Ahriman erzeugt werden. Ahrimanische Einflüsse waren es, die durch diese umdunkelten Bewußtseine wirkten. Ja, so lange man nicht wird diese Kräfte ebenso behandeln als objektiv in der Welt vorhandene Kräfte wie dasjenige, was man heute Magnetismus, Elektrizität und so weiter nennt, solange wird man keine Einsicht gewinnen in die­jenige Natur, die nach Goethes Dichtung, Goethes Prosa-Hymnus auch den Menschen mit umfaßt. Denn die Natur, die sich die heutige Natur­forschung vorstellt, in der ist der Mensch nicht drinnen, sondern nur das menschliche physische Gehäuse.

Diese Wesenheiten, die also ebenso einen Aufstieg ahrimanischen Wesens vorstellen, wie das, was im Beginne des Erdenwerdens das Herabfallen des luziferischenWesens ist, dieseWesen, die ebenso eine Influenzierung der menschlichen Willenskraft darstellen, wie die anderen Wesen eine Influen­zierung der hiziferischen Vorstellungskraft, diese Wesenheiten müssen wir in ihrer Ankunft innerhalb der Menschheitsentwickelung erkennen. Wir müssen uns klar sein, daß diese Wesen ankommen und daß wir rechnen müssen mit einer Naturauffassung, die zunächst sich allerdings nur auf den Menschen erstreckt. Denn das Tierreich wird erst später in der Erdenzeit einbezogen, auf das Tier haben sie noch keinen Einfluß. Das Menschen­geschlecht aber wird man nicht verstehen, ohne daß man auf diese Wesen Rücksicht nehmen wird. Und diese Wesen, die, ich möchte sagen, von hinten geschoben werden - denn hinter ihnen steht eigentlich das Ahti­manische, das ihnen ihre starke Willenskraft gibt, das ihnen eingießt ihre Richtungskräfte und so weiter -, diese Wesenheiten, die für sich unter-menschliche Wesenheiten sind, sind aber in ihrer Masse beherrscht von höheren ahrimanischen Geistern und haben dadurch etwas in sich, was weit hinausgeht über ihre eigene Natur und Wesenheit. Dadurch zeigen sie in ihrem Auftreten etwas, was sogar, wenn es den Menschen gefangen nimmt, stärker wirkt, wesentlich stärker als dasjenige, worüber der schwache Mensch, wenn er es nicht durch den Geist stärkt, heute Herr sein kann. Worauf geht diese Schar aus? Sehen Sie, so wie die Scharen, die Michael herabgestoßen hat, diese luziferischen Scharen, ausgegangen sind auf menschliche Erleuchtung, auf menschliche Durchvernünftigung, so gehen diese Scharen aus auf eine gewisse Durchdringung des menschlichen Willens.

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Und was wollen sie? Sie wühlen gewissermaßen in der tiefsten Schichte des Bewußtseins, wo der Mensch heute auch noch wachend schläft. Der Mensch merkt nicht, wie sie in sein Seelenwesen, wie auch in sein Leibes-wesen hereinkommen. Da aber ziehen sie mit ihren Anziehungskräften an alle dem, was luziferisch geblieben ist, was nicht durchchristet geworden ist. Das können sie auch erreichen, dessen können sie sich bemächtigen.

Diese Dinge sind sehr aktuell! Ich habe schon eine Erscheinung erwähnt, die ganz im höheren Sinne kulturhistorisch bedeutsam ist. Wir lesen ja heute sogenannte Rechtfertigungsschriften. Alle möglichen Leute, von Theobald Bethmann angefangen bis zu Jagow, alles, alles schreibt; C/e'men-ceau und Wilson werden ja später auch drankommen, sie werden auch schreiben : alles schreibt. Nun, man braucht nur Einzelnes herauszu greifen, zum Beispiel die zwei dicken Bände von Tirpitz und von Ludendorif Es ist höchst interessant für einen Menschen, der denkt, der denkt mit dem Geiste seiner Zeit, die Art und Weise zu verfolgen, in der solche Menschen wie Tirpitz und Ludendorff schreiben. Inhaltlich sind sie sehr voneinander ver­schieden, denn sie konnten einander nicht leiden, sie hatten ganz verschie­dene Ansichten. Aber von den Ansichten wollen wir hier nicht reden, son­dern von der Geisteskonfiguration wollen wir reden. Die Bücher sind ja im heutigen Deutsch geschrieben, wenigstens annähernd im heutigen Deutsch geschrieben, aber die Gedankenformen, die sind tatsächlich - man muß Verständnis haben für so etwas, sonst bemerkt man es nicht, sonst versetzt man ein solches Buch, weil die Jahreszahl 1919 drauf steht, in die Gegenwart- in den Vorstellungsarten so geschrieben, daß man sich fragt : Ja, was ist denn das eigentlich für eine Formung des Denkens? Ich habe mir diese Frage ganz ernsthaftig vorgelegt, gerade die beiden genannten Bücher daraufhin untersucht, denn es ist eine vollständige Unwahrheit, reale Unwahrheit, daß diese Bücher deutsch geschrieben sind. Äußerlich sind sie deutsch geschrieben, aber eigentlich ist es nur eine Übersetzung, denn die Gedankenformen sind diejenigen der Cäsarenzeit. Ganz genau dieselbe Art des Denkens, wie sie bei Cäsar vorhanden war, ist bei diesen Leuten vorhanden.

Gerade dann, wenn man sich für die Metamorphose der Menschheit, wie ich sie vorhin geschildert habe, ein Verständnis erworben hat, merkt man das, wie zurückgeblieben solche Seelen sind. denn die haben eigentlich die

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Metamorphose nicht mitgemacht. Die Tirpitz-Memoiren und die Luden­dorf-Memoiren, die handeln nur zufällig von heutigen Ereignissen: die könnten ebenso gut die Kriegszüge des Cäsar behandeln. Das ist exakt zu beweisen für den, der die Methode hat, so etwas zu beweisen. Das heißt aber mit anderen Worten : An diesen Menschen ist das Christentum über­haupt vorbeigegangen, die haben nichts Christliches in sich. Worte gewiß -sie haben ja vielleicht in ihrer Jugend auch gebetet in christlichen Kirchen, vielleicht, ich weiß nicht, von Tirpitz glaube ich es nicht, von Ludendorif auch nicht recht, aber das würde ja auch nichts weiter besagen -, aber den wirklichen Christus-Impuls, den haben sie nicht in ihrem Herzen, in ihrer Seele. Sie sind stehengeblieben auf elner früheren Entwickelungsstufe der Menschheit. An solche Art von Vorstellungskonfiguration können die Geister heran, von denen ich gesprochen habe; derer können sie sich be­mächtigen, die ziehen sie zu sich heran. Dadurch wollen sie ihre Herrschaft begründen. Dadurch aber kommt ein fremdes Element, ein Element aus einer geistigen Welt, die sich jetzt geltend macht, in die Entschlüsse dieser Menschen herein. Bei Ludendorff ist es ja direkt historisch nachweisbar, obwohl man heute noch keine Historio-Psychopathologie betreibt - man wird sie in nicht gar zu ferner Zeit betreiben -, bei Ludendorff ist es direkt nachweisbar. Es war am 6. August, Einnalirne von Lüttich. In einer der Straßen staut sich der ganze Heereskörper, Ludendorff mitten darinnen, damals als Oberst noch. Auf ihn fiel alle Entschließungskraft. Nur durch seinen raschen Entschluß ist das zustande gekommen, was in Lüttich zu­standegekommen ist. Dabei aber ging das Normale seines Bewußtseins verloren. Das brachte zu jener Verfassung, die noch die Cäsar-Verfassung des Seelenlebens ist, die Umdunklung des Bewußtseins hinzu, die Tor ist für die ahrimanische Welt.

Die Zeit stellt uns heute diese Probleme. Wir dürfen als Menschen nicht mehr vorübergehen an diesen Dingen. Bequem sind sie nicht. Denn be­quem ist es geworden, über die Menschen anders zu denken, das heißt gar nicht über die Menschen zu denken, ihnen überhaupt nicht nahezutreten. Und ungefährlich ist es auch nicht in der Gegenwart, wo die Menschheit in vielen ihrer Individuen gar nicht den Wahrheitssinn liebt, über diese Dinge in voller Wahrheit zu reden. Abgesehen davon, daß mißverstandene Sentimentalität diese Dinge seelisch grausam fmden könnte.

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Aber dasjenige, was resultieren wird aus einer solchen Auffassung, ist eine gründliche Erkenntnis von der Notwendigkeit des Christus-Impulses. Man muß erkennen, wo überall der Christus-Impuls nicht da ist. Denn, wie wir gestern gezeigt haben, daß in der Mittelschichte des Bewußtseins der Christus4mpuls Platz greifen muß, so können wir heute hinzufügen : Wenn in der Mittelschichte des Bewußtseins dieser Christus-Impuls Platz greift, wenn der Mensch wirklich sich durchchristet, dann können diese ahrimanischen Kräfte durch die Mitteischichte nicht durch, nicht hinauf, und können mit ihren geistigen Kräften nicht herunterziehen die intellek­tuellen Kräfte. Darauf kommt alles an.

Es ist durchaus notwendig, daß man heute erkennt, wie ebenso wichtig, als manche Einflüsse, die nur in der Menschenwelt wurzeln, die Einflüsse sind, die uns von außermenschlichen, untermenschlichen Wesen kommen, auf die aber wiederum andere Wesen ihren Einfluß haben. Ich habe Ihnen vor acht Tagen vom Michael-Einfluß gesprochen. Ich habe Ihnen diesen Michael-Einfluß charakterisiert. Er ist ein sehr notwendiger. Denn ebenso wahr, als es ist, daß durch den Michael-Einfluß die luziferische Influenzie­rung der menschlichen Intelligenz gekommen ist, ebenso wahr ist es, daß jetzt der Gegenpol kommt, das Heraufsteigen gewisser ahrimanischer Wesenheiten. Und nur durch die fortgesetzte Tätigkeit des Michael wird der Mensch gewappnet sein gegen dasjenige, was da heraufsteigt. Es ist heute schon durchaus auch physiologisch gefährlich, bloß an der Naturnotwendig­keit zu hängen, anjener Art von Fatalismus, der sich in der Naturnotwendig­keit ausspricht. Denn das Erzogenwerden durch die Schule und Erzogen-werden durch das Leben in den Vorstellungen, die bloß aufNaturnotwendig­keit, aufAllmacht der Naturnotwendigkeit fußen, das schwächt das mensch­liche Haupt, und die Menschen werden dadurch so stark passiv mit Bezug auf ihr Bewußtsein, daß andere Kräfte in dieses Bewußtsein herein können und daßjene Stärke eben ausbleibt, die notwendig ist, wenn der Christus-Im­puls in seiner heutigen Gestalt herein will in die menschliche Seelenverfassung.

Ich bin gewissermaßen verpflichtet, in dieser Zeit zu sprechen von dem, wovon ich heute begonnen habe zu sprechen - ich werde es morgen fort­setzen -, von dem Hereinwandern bestimmter ahrimanischer Wesenheiten, mit denen wir rechnen müssen. Von diesem Hereinwandern wissen die verschiedensten Menschen auf unserer Erde heute schon. Aber sie interpretieren

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es falsch. Sie interpretieren es aus dem Grunde falsch, weil sieja von der wirklichen Trmität Christus-Luzifer-Ahriman nichts wissen oder nichts wis­sen wollen, sondern Ahriman und Luzifer zusammenwerfen. Dann kann man nicht mehr unterscheiden, dann kann man den wahren Grundcharakter die­ser ahrimanischenWesenheiten, diejetzt heraufkommen, nicht mehr ordent­lich erkennen. Nur wenn man das Ahrimanische rein herausarbeitet und sei­nen Gegensatz gegenüber dem Luziferischen kennt, dann weiß man, welcher Art die übersinnlichen Einflüsse sind, die, ich möchte sagen, als das Gegen­stück des Sturzes desDrachens durch Michaeljetzt heraufziehen. Es ist wie ein Heraufheben aus ahrimanischen Tiefen, wie ein Heraufheben von gewissen Wesenheiten. Und besondere Angriffspunkte in dem Menschen finden sich für diese Wesen, wenn die Menschen sich ungezügelten instinktiven Impul­sen überlassen, nicht danach streben, sich über ihre Impulse klar zu werden.

Nun aber gibt es heute geradezu eine Methode, ich könnte auch sagen eine Antimethode, das Instinktive zu verhüllen, indem man gewissermaßen einen Begriff hinpiahlt und einen anderen darüberschiebt, so daß man das, was da ist, nicht in der richtigen Weise beurteilen kann. Denken Sie nur einmal an den Schlachtruf des Proletariats der neueren Zeit. Hinter diesem Schlacht-ruf stehen - ich habe ja das oft genug ausgeführt - sehr berechtigte Forde­rungen der Menschheit. Aber an diese Forderungen wird zunächst nicht appelliert. In unserer Dreigliederungsidee wird zum erstenmal daran appel­liert. Appelliert wird an etwas wesentlich anderes : Proletarier aller Länder, vereinigt euch! - Was heißt das? Pflegt jenes Antigefülil gegen die anderen Klassen, das euch als Proletariern eigen ist, pflegt etwas, was dem Haß ähnlich ist, als einzelne Individuen, und vereinigt euch, das heißt liebet einander, vereinigt eure Haßgefühle, suchet die Liebe einer Klasse, suchet die Liebe der Genossen einer Klasse untereinander aus dem Haß heraus. Liebet einander aus Haß, oder auf Grund des Hasses. - Da haben Sie zwei entgegengesetzte Polbegriffe hingepfahlt. Das macht die Auffassung des Menschen so nebulos, daß Instinkte zurückgedrängt werden und man nicht weiß, mit was man es in sich selbst zu tun hat. Es ist geradezu eine Art Anti-methode, wenn ich mich des paradoxen Ausdrucks bedienen darf, vor­handen, um durch das gegenwärtige menschliche Denken zu verschleiern das Walten eines instinktiven Lebens, das besonders starke Angriffspunkte für die geschilderten ahrimanischen Wesenheiten gibt.

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SECHSTER VORTRAG Dornach, 30. November 1919

Sie haben gesehen aus den Darstellungen der letzten Tage, wie zum völligen Verständnis der menschlichen Wesenheit notwendig ist, einzugehen auf die Gliederung des Menschen, vor allen Dingen zu unterscheiden, welch tief-greifender Unterschied besteht zwischen dem, was wir nennen können menschliche Hauptesorganisation, menschliche Kopforganisation, und dem, was wir nennen können die Organisation des übrigen Menschen. Zwar wissen Sie ja, daß wir auch diesen übrigen Menschen wiederum gliedern, so daß wir im Ganzen auch da eine Dreigliederung bekommen, aber zu­nächst ist für das Verständnis der bedeutsamen Impulse in der Menschheits­entwickelung, denen wir gegenwärtig und in der nächsten Zukunft gegen­überstehen, die Unterscheidung in Kopfmenschen und in die Organisation des übrigen Menschen wichtig.

Nun, wenn wir geisteswissenschaftlich so über den Menschen sprechen, daß wir sagen : Kopfmensch, übriger Mensch, dann sind uns die Kopfes-oder Hauptesorganisation uiid die Organisation des übrigen Menschen zunächst mehr Bilder, von der Natur selbst geschaffene Bilder für das Seelische, für das Geistige, dessen Ausdruck, dessen Offenbarung sie sind. Der Mensch steht in der gesamten Erdenmenschheitsentwickelung in einer Weise darinnen, die man eigentlich nur verstehen kann, wenn man das ver­schiedene Darinnenstehen der Kopfesorganisation und der übrigen Organi­sation des Menschen betrachtet. Dasjenige, was an die Hauptesorganisation geknüpft ist, was also namentlich als das Vorstellungsleben des Menschen durch das Haupt sich offenbart, das ist ja etwas, was - wenn wir zunächst nur bleiben in der Zeit der nachatlantischen Menschheitsentwickelung - weit zurückgeht in dieser nachatlantischen Menschheitsentwickelung.Wenn wir die Zeit ins Auge fassen, die unmittelbar auf die große atlantische Katastrophe folgte, das ist also im sechsten, siebenten, achten Jahrtausend vor der christlichen Zeitrechnung, dann kommen wir allerdings zurück für die Gegenden, die damals für die zivilisierte Welt in Betracht kommen, zu einer Seelenstimmung der Menschheit, die sich kaum mehr mit der unsrigen vergleichen läßt. Dasjenige, was dazumal der Mensch in seinem

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Bewußtsein hatte, was des Menschen Auffassung der Welt charakterisierte, das ist schwer mit dem zu vergleichen, was jetzt unsere Sinnesanschauung, unsere Gedankenauffassung der Welt charakterisiert. In meiner « Geheim-wissenschaft» habe ich diese Kultur, die in so alte Zeiten zurückreicht, die urindische genannt. Wir können sagen : Bis zu dem Grade war die Mensch­heitsorganisation, die dazumal vorzugsweise an das Haupt gebunden war, von der unsrigen verschieden, daß eigentlich das Rechnen mit Raum und Zeit, wie es uns eigen ist, dieser alten Bevölkerung gar nicht eigen war. Es war im Überschauen der Welt mehr ein Überblick über unermeßliche Raumesweiten, und es war auch ein Ineinanderschauen der verschiedenen Zeitmomente. Dieses starke Betonen von Raum und Zeit in der Welt-auffassung, das war in dieser alten Zeit nicht vorhanden.

Davon fmden wir die ersten Anklänge erst gegen das fünfte, vierte Jahr­tausend, namentlich in der Zeit, die wir bezeichnen als die urpersische Zeit. Da ist aber auch noch die ganze Stimmung des seelischen Lebens eine solche, die sich schwer mit dem vergleichen läßt, was in unserer Zeit des Menschen Seelen- und Weltenstimmung ist. Da ist vor allen Dingen der Mensch immer darauf aus in dieser alten Zeit, alle Dinge so sich zu interpretieren, daß er Abstimmungen eines Lichten, Hellen und eines Finsteren, Dunklen überall erblickt. Jene Abstraktionen, in denen wir heute leben, die sind jener alten Erdenbevölkerung noch völlig fremd. Es ist noch etwas von einer universellen Gesamtanschauung vorhanden, ein Bewußtsein des Durchdrungenseins alles Anschaubaren vom Lichte und seines Abschattie­rens in Dunkelheiten. So sah man auch die moralische Weltordnung an. Man empfand einen Menschen, der wohlwollend war, gütig war, als licht, als hell, einen Menschen, der mißtrauisch war, eigensüchtig war, als einen dunklen Menschen. Man sah gewissermaßen noch aurisch um den Menschen herum dasjenige, was seine moralische Individualität war. Und wenn man zu einem Menschen dieser alten urpersischen Zeit gesprochen hätte von dem, was wir heute Naturordnung nennen, da hätte er gar nichts davon verstanden. Naturordnung in unserem Sinne gab es in seiner Licht- und Schattenwelt nicht. Denn für ihn war Licht- und Schattenwelt da, und er nannte zum Beispiel in der Tonwelt auch eine gewisse Nuance des Tönens hell, licht, eine gewisse Nuance des Tönens dunkel, schattig. Für ihn war die Welt eine Licht- und Schattenwelt. Und das, was sich ausdrückte durch

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dieses Hell-Dunkel, das waren ihm geistige und zugleich Naturgewalten. Es war für ihn kein Unterschied zwischen geistigen und Naturgewalten. So etwas, wie wir heute unterscheiden zwischen Naturnotwendigkeit und menschlicher Freiheit, das wäre ihm als Wahnsinn erschienen, denn für ihn gab es diese Zweiheit nicht, menschliche Willkür und Naturnotwendigkeit. Für ihn war gewissermaßen alles zu umfassen unter einer geistig-physischen Einheit. Soll ich bildlich Ihnen etwas aufzeichnen - die Bedeutung wird es erst erhalten durch das, was folgen wird -, wie der Charakter dieser urper­sischen Weltanschauung war, so müßte ich ungefähr solch eine Linie hin-zeichnen, wie die Weltenschlange, das Symbo] des Alls, die einheitlich die Menschheitsanschauung umfaßte.

# Bild s. 92

Dann, nachdem etwas über zwei Jahrtausende die Seelenstimmung der Menschen so war, trat ja dasjenige auf, dessen Nachklänge wir noch wahr­nehmen in der chaldäischen Weltanschauung, in der ägyptischen Welt­anschauung und in einer besonderen Form in derjenigen Weltanschauung, deren Abglanz uns im Alten Testamente erhalten ist. Da tritt in einer ge­wissen Weise schon etwas auf, was näher ist unserer gegenwärtigen Welt­anschauung. Da bekommt man schon die Nuance von einer gewissen Natur-notwendigkeit herein in das menschliche Vorstellen. Aber diese Natur-notwendigkeit ist noch weit entfernt von dem, was wir heute die mecha­nische oder auch nur die vitale Naturordnung nennen. Es fällt noch zu­sanimen flir diese Zeit das Naturgeschehen mit dem göttlichen Wollen, mit der Vorschung. Vorsehung und Naturgeschehen ist noch eines. Der Mensch wußte : Wenn er seine Hand bewegt, so ist es das Göttliche eigent­lich in ihm, das ihn durchdringt, das seine Hand bewegt, seinen Arm be­wegt. Wenn ein Baum durch den Wind geschüttelt wurde, so war ihm die Anschauung dieses sich schüttelnden Baumes nicht anders als die Anschauung

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des bewegten Armes. Er sah dieselbe göttliche Macht als Vorsehung in seinen eigenen Bewegungen und in den Bewegungen des Baumes. Aber man unterschied schon den Gott außerhalb und den Gott innerhalb; nur dachte man ihn als einheitlich, den Gott in der Natur, den Gott im Men­schen, nur war er derselbe. Und man war sich klar in dieser Zeit, daß aller­dings im Menschen etwas ist, womit gewissermaßen die Vorsehung, die außen in der Natur ist, und die Vorsehung, die innen im Menschen ist, ein­ander begegnen.

So empfand man in dieser Zeit den Atrnungsprozeß des Menschen. Man sagte, wenn ein Baum sich schüttelt, das ist der Gott außerhalb, und wenn ich meinen Arm bewege, das ist der Gott innerhalb. Wenn ich die Luft einziehe, innerlich verarbeite und wiederum nach außen lasse, dann ist das der Gott von außen, der hereingeht und wiederum hinausgeht. So empfand man dasselbe Göttliche draußen, drinnen, aber in einem Punkt zugleich draußen, drinnen. Man sagte sich : Indem ich Atmungswesen bin, bin ich zugleich ein Wesen der Natur draußen, zu gleicher Zeit ich selbst.

Soll ich ebenso, wie ich die urpersische Weltanschauung Ihnen charak­terisiert habe durch die Linie der vorhergehenden Zeichnung, soll ich ihnen die des dritten Zeitalters charakterisieren, so müßte ich sie durch diese Linie charakterisieren :

# Bild s. 93

Diese Linie würde darstellen auf der einen Seite draußen das Naturdasein, auf der anderen Seite das Menschendasein, aber in dem einen Punkt, im Atmungsprozesse, sich überkreuzend.

Das wird anders im vierten Zeitalter, in dem griechisch4ateinischen Zeit­alter. Da tritt vor die Menschen schroff hin der Gegensatz des Außen und des Innen, des Naturdaseins und des menschlichen Daseins. Da beginnt der Mensch sich im Gegensatz zu fühlen gegen die Natur. Und wenn ich ihnen

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wiederum charakteristisch bezeichnen soll, wie jetzt der Mensch beginnt zu fühlen im griechischen Zeitalter, so müßte ich das so zeichnen :

# Bild s. 94

Auf der einen Seite empfindet er das Äußere, auf der andern Seite das Innere, und zwischen beiden ist nicht mehr der überkreuzende Punkt.

Es bleibt gewissermaßen dieses, was der Mensch mit der Natur gemein­sam hat, außerhalb des Bewußtseins. Es fällt schon aus dem Bewußtsein hinaus. In der indischen Yoga-Kultur versucht man es wieder hereinzu-bekommen. Daher ist die indische Yoga-Kultur ein atavistisches Zurück­gehen auf frühere Entwickelungsstufen der Menschheit, weil man wieder hereinzubekommen sucht ins Bewußtsein den Atmungsprozeß, den man im zweiten Zeitalter naturgemäß als das empfand, worinnen man sich zugleich draußen und zugleich drinnen fühlte. Dieses vierte Zeitalter be­ginnt ja im achten vorchristlichen Jahrhundert. Und da begannen dann auch jene spätindischen Yoga-Übungen, die wiederum zurückzurufen suchten atavistisch dasjenige, was man früher gehabt hatte, insbesondere auch in der indischen Kultur hatte, was aber verloren gegangen war.

Also dieses Bewußtsein des Atmungsprozesses, das ging verloren. Und wenn man sich frägt : Warum versuchte es die indische Yoga-Kultur wie­derum zurückzurufen, was glaubte sie eigentlich dadurch zu erringen?, so muß man sagen : Ja, was dadurch errungen werden sollte, das war ein wirkliches Verständnis der Außenwelt. Denn dadurch, daß der Atmungs­prozeß verstanden wurde im dritten Kulturzeitalter, dadurch verstand man innerlich in sich etwas, was zu gleicher Zeit ein Äußerliches war.

Das ist es, was auf einem andern Wege wiederum errungen werden muß. Denn wir leben noch - das vierte Zeitalter hört ja erst auf etwa mit dem Jahre 1413, also überhaupt erst in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts -unter den Nachwirkungen dieser Kultur. die durchaus in der menschlichen

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Seelenstimmung ein Zwiefaches hat. Wir haben durch unsere Hauptes-Organisation eine unvollständige Naturanschauung, das, was wir die Außen­welt nennen, und wir haben durch unsere Innenorganisation, durch die Organisation des übrigen Menschen, ein unvollständiges Wissen von uns selbst. Dazwischen bleibt uns dasjenige aus, fällt uns hinweg, in dem wir zu­gleich einen Prozeß derWelt und einen Prozeß von uns selbst sehen würden.

# Bild s. 95a

Nun handelt es sich darum, daß wiederum errungen werden muß, aber jetzt in bewußter Weise wiederum errungen werden muß dasjenige, was verloren gegangen ist. Das heißt, wir müssen wiederum zum Erfassen von etwas kommen, was im Innern des Menschen ist, was zu gleicher Zeit der Außenwelt und dem Inneren angehört, was sich wiederum übergreift.

Das muß das Bestreben des fünften nachatlantischen Zeitraums sein. Das Bestreben des fünften nachatlantischen Zeitraums muß sein, wiederum etwas im Menscheninneren zu finden, wo sich in dem, was wir in uns fin­den, zu gleicher Zeit ein äußerer Prozeß abspielt.

# Bild s. 95b

Sie werden sich wohl erinnern, daß ich auf dieses wichtige Faktum bereits hingedeutet habe; daß ich hingedeutet habe in meinem letzten Aufsatz der « Sozialen Zukunft», wo ich scheinbar die Bedeutung dieser Dinge für das soziale Leben behandelt habe. wo aber deutlich gerade darauf hingedeutet

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ist, daß etwas gefunden werden muß, wo der Mensch zu gleicher Zeit etwas in sich ergreift, was er erkennt als einen Prozeß der Welt. Wir können als Menschen der Gegenwart dies nicht etwa dadurch erreichen, daß wir zurückgreifen auf die Yoga-Kultur; die ist etwas Vergangenes. Denn, sehen Sie, der Atmungsprozeß selbst hat sich verändert. Das können Sie natürlich heute nicht auf der Klinik nachweisen. Aber der Atmungsprozeß des Menschen ist seit dem dritten nachatlantischen Kulturzeitalter ein an­derer geworden. Grob gesprochen könnte man sagen : Im dritten nach­atlantischen Kulturzeitalter atmete der Mensch noch Seele, jetzt atmet er Luft. Nicht bloß etwa unsere Vorstellungen sind materialistisch geworden, die Realität selber hat ihre Seele verloren.

Ich bitte Sie, in dem, was ich jetzt sage, nicht etwas Unerhebliches zu sehen. Denn denken Sie, was das bedeutet, daß sich die Realität, in der die Menschheit lebt, selber so umgewandelt hat, daß unsere Atemluft etwas anderes ist, als sie etwa vor vier Jahrtausenden war. Nicht etwa bloß das Bewußtsein der Menschheit hat sich verändert, o nein, in der Atmosphäre der Erde war Seele. Die Luft war die Seele. Das ist sie heute nicht mehr, beziehungsweise sie ist es in anderer Art. Die geistigenWesenheiten elemen­tarer Natur, von denen ich gestern gesprochen habe, die dringen wiederum in Sie ein, die kann man atmen, wenn man heute Yoga-Atmen treibt. Aber dasjenige, was in der normalen Atmung vor drei Jahrtausenden erlangbar war, das kann nicht auf künstliche Weise zurückgebracht werden. Daß das zurückgebracht werden könne, ist die große Illusion der Orientalen. Das, was ich jetzt sage, ist etwas, was durchaus eine Realität beschreibt. Jene Be­seelung der Luft, die zu dem Menschen gehört, die ist nicht mehr da. Und deshalb können die Wesen, ich möchte sie die antimichaelischen Wesen nennen, von denen ich gestern gesprochen habe, in die Luft eindringen und durch die Luft in den Menschen, und auf diese Weise gelangen sie in die Menschheit, so wie ich das gestern beschrieben habe. Und wir können sie nur vertreiben, wenn wir an die Stelle des Yogamäßigen das Richtige setzen von heute. Wir müssen uns klar werden darüber, daß dieses Richtige an­gestrebt werden muß. Dieses Richtige kann nur angestrebt werden, wenn wir uns einer viel feineren Beziehung des Menschen zur Außenwelt bewußt werden, so daß mit Bezug aufunseren Ätherleib etwas stattfindet, das immer mehr und mehr in unser Bewußtsein hereinkommen muß. ähnlich wie der

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Atmungsprozeß. Wie wir beim Atmungsprozeß frische Sauerstoffluft ein­atmen und unbrauchbare Kohlenstoffluft ausatmen, so ist ein ähnlicher Pro­zeß vorhanden in allen unseren Sinneswahrnehmungen. Denken Sie einmal, Sie sehen etwas. Nehmen wir einen radikalen Fall. Nehmen wir an, Sie sehen eine Flamme an, Sie schauen auf eine Flamme hin. Da geschieht etwas, was sich vergleichen läßt, nur viel feiner ist es, mit dem Einatmen. Machen Sie dann das Auge zu - und Sie können ähnliche Dinge mitjedem der Sinne machen -, machen Sie dann das Auge zu, so haben Sie das Nachbild der Flamme, das sich sogar nach und nach verändert, wie Goethe sagt, abklingt. An diesem Prozeß des Aufnehmens des Lichteindruckes und des nachherigen Abklingens ist im wesentlichen außer dem, was rein physiologisch ist, der menschliche Ätherleib sehr beteiligt. Aber in diesem Prozeß steckt etwas sehr, sehr Bedeutsames. Da drinnen ist nunmehr das Seelische, das vor drei Jahr­tausenden mit der Luft ein- und ausgeatmet worden ist. Und wir müssen ler­nen, in einer ähnlichenWeise den Sinnesprozeß in seiner Durchseelung einzu­sehen, wie man vor drei Jahrtausenden den Atmungsprozeß eingesehen hat.

Das hängt zusammen damit, daß man sagen kann, der Mensch lebte vor drei Jahrtausenden in einer Art Nachtkultur. Jahve gab sich durch seine Propheten kund aus den Träumen der Nacht heraus. Wir aber müssen die Feinheiten unseres Verkehres mit der Welt ausbilden so, daß wir in unserem Aufnehmen der Welt nicht bloß sinnliche Wahrnehmungen haben, sondern Geistiges haben. Wir müssen uns gewiß werden, daß wir mit jedem Licht­strahl, mit jedem Ton, mit jeder Wärmeempfindung und deren Abklingen in seelischen Wechselverkehr mit der Welt treten, und dieser seelische Wechselverkelir muß für uns etwas Bedeutsames werden. Aber wir können uns auch unterstützen, so daß es so mit uns werde.

Ich habe Ihnen ja dargestellt, daß das Mysterium von Golgatha herein-gefallen ist in den vierten nachatlantischen Zeitraum, der etwa, wenn wir genau rechnen wollen, beginnt nut demJahre 747 vor Christus, und schließt mit dem Jahre 1413 nach Christus. In das erste Drittel dieses Zeitraumes fällt das Mysterium von Golgatha. Dasjenige aber, wodurch die Menschen zunächst dieses Mysterium von Golgatha begriffen haben, das waren noch die Nachklänge der alten Denkweise, der alten Kultur. Die Art des Begrei­fens des Mysteriums von Golgatha, die muß eine durchaus neue werden. Denn die alte Art, das Mysterium von Golgatha zu begreifen, ist abgebraucht.

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Sie ist nicht mehr gewachsen dem Mysterium von Golgatha. Und viele Versuche, die gemacht worden sind, das menschliche Denken fähig zu machen, das Mysterium von Golgatha zu begreifen, haben sich als nicht mehr geeignet erwiesen, lieraufzureichen zu dem Mysterium von Golgatha.

Sehen Sie, alle die Dinge, die äußerlich materiell auftreten, sie haben auch ihre geistig-seelische Seite. Und alle die Dinge, die geistig-seelisch auftreten, sie haben auch ihre äußerlich materielle Seite. Daß die Luft der Erde entseelt worden ist, so daß der Mensch nicht mehr die ursprünglich beseelte Lnft atmet, das hatte eine bedeutsame geistige Wirkung in der Entwickelung der Menschheit. Denn der Mensch hatte, indem er hereinbekam mit der Atmung die Seele, mit der er selber ursprünglich verwandt war, wie es am Beginne des Alten Testamentes steht : Und der Gott blies dem Menschen den Odem ein als lebendige Seele - er hatte durch dieses Einatmen des Seelischen eine Möglichkeit : er bekam ein Bewußtsein von der Präexistenz des Seelischen, von dem Bestehen der Seele, bevor sie heruntergestiegen ist in den physischen Leib durch die Geburt oder durch die Empfängnis. Und in demselben Maße, in dem der Atmungsprozeß aufhörte beseelt zu sein, verlor der Mensch das Bewußtsein der Präexistenz des Seelischen. Und schon sogar als Aristoteles auftrat in diesem vierten nachatlantischen Zeitraum, da war keine Möglichkeit mehr vorhanden, mit menschlicher Fassungskraft die seelische Präexistenz zu durchschauen. Keine Möglich­keit war dafür mehr vorhanden.

Wir stehen eben historisch vor dem merkwürdigen Faktum, daß das größte Ereignis hereinbricht in die Erdenentwickelung, das Christus-Ereignis, daß aber die Menschheit erst heranreifen muß, um es zu verstehen. Sie ist noch fähig, mit den alten Resten des Fassungsvermögens, das aus der Urkultur herrührt, aufzufangen die Strahlen des Mysteriums von Golgatha. Dann abcr verliert sich diese Fassungskraft, und die Dogmatik entfernt sich immer mehr und mehr vom Verständnis des Mysteriums von Golgatha. Die Kirche verbietet an die Präexistenz zu glauben nicht deshalb, weil die Präexistenz nicht mit dem Mysterium von Golgatha vereinbar wäre, son­dern weil die menschliche Fassungskraft durch die Entseelung der Luft auf­hörte, das Bewußtsein in die Seele als Kraft hereinzubekommen, das Be­wußtsein von der Präexistenz. Aus all dem, was Kopfbewußtsein wurde,

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verschwindet die Präexistenz. Wenn wir das Beseeltsein unserer Sinnes­empfmdungen wieder haben werden, dann werden wir wiederum einen Kreuzungspunkt haben, und in diesem Punkt werden wir den menschlichen Willen, der heraufströrnt aus der dritten Bewußtseinsschichte, wie ich es Ihnen in diesen Tagen charakterisiert habe, erfassen. Da werden wir zu gleicher Zeit etwas Subjektiv-Objektives haben, wonach Goethe so lechzte. Da werden wir wiederum die Möglichkeit haben, in feiner Art zuerst zu erfassen, wie merkwürdig eigentlich dieser Sinnesprozeß des Menschen im Verhältnis zur Außenwelt ist. Das sindja alles grobe Vorstellungen, als wenn die Außenwelt auf uns bloß wirkte und wir dann bloß reagierten darauf. All das Zeug, das da geredet wird, das sind ja bloß grobklotzige Vorstel­lungen. Die Wirklichkeit ist vielmehr diese, daß ein seelischer Prozeß vor sich geht von außen nach innen, der erfaßt wird durch den tief unter­bewußten, inneren seelischen Prozeß, so daß die Prozesse sich übergreifen. Von außen wirken die Weltgedanken in uns herein, von innen wirkt der Menschheitswille hinaus. Und es durchkreuzen sich Menschheitswillen und Weltengedanken in diesem Kreuzungspunkte, wie sich im Atem das Ob­jektive mit dem Subjektiven einstmals überkreuzt hat. Wir müssen fühlen lernen, wie durch unsere Augen unser Wille wirkt, und wie in der Tat die Aktivität der Sinne leise sich hineinmischt in die Passivität, wodurch sich weltengedanken mit Menschheitswille kreuzen. Diesen neuen Yoga-Willen, den müssen wir entwickeln. Damit wird uns wiederum etwas Ähnliches vermittelt, wie vor drei Jahrtausenden den Menschen in dem Atmungs­prozeß vermittelt wurde. Unsere Auffassung muß eine viel seelischere, eine viel geistigere werden.

Nach solchen Dingen strebte die Goethesche Weltanschauung. Goethe wollte das reine Phänomen erkennen, was er das Urphänomen nannte, wo er nur zusammenstellte dasjenige, was in der Außenwelt auf den Menschen wirkt, wo sich nicht hineinmischt der luziferische Gedanke, der aus dem Kopf des Menschen selbst kommt. Dieser Gedanke sollte nur zur Zusam­menstellung der Phänomene dienen. Goethe strebte nicht nach dem Natur-gesetz, sondern nach dem Urphänomen. Das ist das Bedeutsame bei ihm Kommen wir aber zu diesem reinen Phänomen, zu diesem Urphänomen, dann haben wir in der Außenwelt etwas, was uns möglich macht, auch die Entfaltung unseres Willens im Anschauen der Außenwelt zu verspüren,

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und dann werden wir uns aufschwingen wiederum zu etwas Objektiv­Subjektivem, wie es zum Beispiel die alte hebräische Lehre noch hatte. Wir müssen lernen, nicht immer nur von dem Gegensatz zu sprechen zwischen dem Materiellen und dem Geistigen, sondern wir müssen das Ineinander­spiel des Materiellen und des Geistigen in einer Einheit gerade im sinnlichen Auffassen erkennen. Geradeso wie das, was vor drei Jahrtausenden die Jalive-Kultur war, so wird für uns dasjenige sein, was eintritt, wenn wir die Natur nicht mehr materieU sehen, und auch nicht wie etwa Gustav Theodor Fechner in die Natur etwas Seelisches hineinphantasieren. Wenn wir in der Natur das Seelische mitempfangen lernen mit der Sinnesanschauung, dann werden wir das Christus-Verhältnis zu der äußeren Natur haben. Da wird das Christus-Verhältnis zur äußeren Natur etwas sem wie eine Art geistigen Atmungsprozesses.

Wir können uns dadurch unterstützen, daß wir immer mehr einsehen, aber jetzt einsehen durch den gesunden Menschenverstand : Ja, Präexistenz ist etwas, was unserem Seelendasein zugrunde liegt. Und wir müssen die rein egoistische Vorstellung von der Postexistenz, die eine rein egoistische ist, die nur aus unserem Bedürfnis, nach dem Tode da zu sein, entspringt, wir müssen diese egoistische Postexistenzvorstellung ergänzen durch das Wissen von der Präexistenz des Seelischen. Wir müssen uns auf eine andere Art wiederum aufschwingen zu der Anschauung der wirklichen Ewigkeit der Seele. Das ist dasjenige, was man die Michael-Kultur nennen kann. Wenn wir durch die Welt schreiten in dem Bewußtsein, mit jedem Blick, mit jedem Ton, den wir hören, strömt Geistiges, Seelisches wenigstens in uns ein, und zu gleicher Zeit strömen wir in die Welt Seelisches hinaus, dann, dann haben wir das Bewußtsem errungen, das die Menschheit für die Zu­kunft braucht.

Ich komme noch einmal auf das Bild zurück. Sie sehen eine Flamme. Sie schließen die Augen, haben das Nachbild, das abklingt. Ist das bloß ein subjektiver Prozeß? Der heutige Physiologe sagt so. Es ist nicht wahr. In dem Weltenäther bedeutet das einen objektiven Prozeß, wie in der Luft die Anwesenheit der Kohlensäure, die Sie ausatmen, einen objektiven Prozeß bedeutet. Sie prägen dem Weltenäther ein das Bild, das Sie nur wie ein abklingendes Nachbild empfinden. Das ist nicht bloß subjektiv, das ist ein objektiver Vorgang. Hier haben Sie das Objektive. Hier haben Sie die

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Möglichkeit, zu erkennen, wie etwas, was sich in Ihnen abspielt, in feiner Art zu gleicher Zeit ein Weltenvorgang ist, wenn Sie sich nur bewußt werden : Sehe ich eine Flamme an, mache die Augen zu, lasse sie abklingen

- es klingt ja auch ab, wenn Sie die Augen offen lassen, nur bemerken Sie es dann nicht -, dann ist das etwas, was nicht bloß in mir vorgeht, das ist etwas, was in der Welt vorgeht. Das ist aber nicht bloß bei der Flamme so. Trete ich einem Menschen gegenüber und sage : Dieser Mensch hat das oder jenes gesagt, was wahr oder nicht wahr sein kann, - so ist das eine Beurtei­lung, eine moralische oder eine intellektuelle Handlung im Innern. Das klingt ebenso ab wie die Flamme. Das ist ein objektiver Weltenvorgang. Wenn Sie über Ihren Nebenmenschen Gutes denken : es klingt ab, ist im Welten-äther als ein objektiver Vorgang; wenn Sie Böses denken : es klingt ab als ein objektiver Vorgang. Sie können nicht etwa in Ihrem Kämmerchen ab­schließen dasjenige, was Sie über die Welt wahrnehmen oder urteilen. Sie machen es zwar scheinbar für Ihre Auffassung in sich, aber es ist zu gleicher Zeit ein objektiver Weltenvorgang. Wie sich das dritte Zeitalter bewußt war, daß der Atmungsprozeß zu gleicher Zeit etwas ist, was im Menschen vorgeht und was ein objektiver Prozeß ist, so muß die Menschheit sich in der Zukunft bewußt werden, daß das Seelische, von dem ich gesprochen habe, zu gleicher Zeit ein objektiver Weltenvorgang ist.

Diese Wandlung des Bewußtseins, das ist etwas, was fordert, daß größere Stärke in der menschlichen Seelenstimmung Platz greife, als sie heute der Mensch gewöhnt ist. Das ist das Einlassen der Michael-Kultur : das Sich-Durchdringen mit diesem Bewußtsein. Wir müssen gewissermaßen, wenn wir das Licht als den allgemeinen Repräsentanten der Sinneswahmehmung hinstellen, uns dazu aufschwingen, das Licht beseelt zu denken, so wie es selbstverständlich war für den Menschen des zweiten, des dritten vor-christlichen Jahrtausends, die Luft beseelt zu denken, weil sie das auch war. Wir müssen uns gründlich abgewöhnen, dasjenige in dem Lichte zu sehen, was das materialistische Zeitalter gewöhnt ist, in dem Lichte zu sehen. Wir müssen uns gründlich abgewöhnen zu glauben, daß von der Sonne aus­strahlen bloß jene Schwingungen, von denen uns unsere Physik und das allgemeine Menschheitsbewußtsein heute redet. Wir müssen uns klar wer­den darüber, daß da Seele durch denWeltenraum dringt auf den Schwingen des Lichtes. Und zu gleicher Zeit müssen wir einsehen, daß das so nicht

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war in der Zeit, die unserem Zeitalter vorangegangen ist. In der Zeit, die unserem Zeitalter vorangegangen ist, ist dasselbe an die Menschheit durch die Luft herangekommen, was jetzt an uns herankommt durch das Licht. Sehen Sie, das ist ein objektiver Unterschied in dem Erdenprozeß. Und wenn wir im Großen denken, so können wir sagen : Luftseelenprozeß, Licht­seelenprozeß. Und das ist etwa dasjenige, was wir in der Entwickelung der Erde beobachten können. Und mitten hinein fällt, den Übergang des emen in das andere bedeutend, das Mysterium von Golgatha

Mysterium von Golgatha

Luftseelenprozeß Lichtseelenprozeß

Es genügt nicht für die Gegenwart und für die Zukunft der Menschheit, daß man in Abstraktionen von dem Geistigen fabelt, daß man in irgend­einen nebulosen Pantheismus oder dergleichen verfällt, sondern es handelt sich daruni, daß man dasjenige, was die heutige Menschheit eigentlich nur empfindet wie einen materiellen Prozeß, daß man das anfängt auch in sei­ner Beseeltheit zu erkennen.

Es handelt sich darum, daß mm anfangen lerne zu sprechen : Es gab eine Zeit vor dem Mysterium von Golgatha, da hatte die Erde eine Atmosphäre. In dieser Atmosphäre war die Seele, die zum Seelischen des Menschen ge­hörte. Jetzt hat die Erde eine Atmosphäre, die ist entleert des Seelischen, das zum Seelischen des Menschen gehört. Dafür ist in das Licht, das uns vom Morgen bis zum Abend umfaßt, eingezogen dasselbe Seelische, das vorher in der Luft war. Daß der Christus sich init der Erde verbunden hat, das gab die Möglichkeit dazu. So daß Luft und Licht auch geistig-seelisch etwas anderes geworden ist im Laufe der Erdenentwickelung.

Es ist eine kindsköpfige Darstellung, wenn man Luft und Licht in gleicher Weise rein materiell beschreibt für die Jahrtausende, in denen sich die Erdenentwickelung abgespielt hat. Luft und Licht sind innerlich

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etwas anderes geworden. Wir leben in einer anderen Atmosphäre, in emem anderen Lichtkreis, als unsere Seelen in früheren Erdenverkörperun­gen gelebt haben. Erkennen lernen dasjenige, was äußerlich materiell ist, als Geistig-Seelisches, darauf kommt es an. Das wird nicht eine wirkliche Geisteswissenschaft geben, wenn die Leute auf der einen Seite das rein materielle Dasein beschreiben, so wie man es heute gewohnt ist, und dann -ja, so wie eine Dekoration - nebenher sagen: Aber in diesem Materiellen ist überall auch Geistiges! Ja, in dieser Beziehung sind die Menschen ganz merkwürdig, in dieser Beziehung wollen sie heute durchaus sich auf das Abstrakte zurückziehen. Dasjenige aber, was notwendig ist, das ist : in der Zukunft nicht in abstrakter Weise ein Materielles und ein Geistiges zu unter­scheiden, sondern in dem Materiellen selber das Geistige zu suchen, daß man es zugleich beschreiben könne als das Geistige, und in dem Geistigen den Übergang ins Materielle, die Wirkungsweise im Materiellen zu erken­nen. Dann erst werden wir auch wirklich wiederum, wenn wir das haben, eine Erkenntnis des Menschen selbst erringen. «Blut ist ein ganz besonderer Saft», aber das, wovon man heute redet in der Physiologie, das ist kein ganz besonderer Saft, das ist halt ein Saft, dessen chemische Zusammensetzung man versucht ebenso anzugeben, wie irgendeine andere Stoffzusammen-setzung. Das ist ja nichts Besonderes. Aber wenn man den Ausgangspunkt erst gewinnt, die Metämorphose von Luft and Licht seelisch richtig einsehen zu können, dann wird man allmählich aufsteigen können, auch den Men­schen selber wiederum in allen seinen einzelnen Gliedern geist-seelisch zu begreifen, dann wird man nicht abstrakten Stoff und abstrakten Geist haben, sondern Geist, Seele und Leib ineinanderwirkend. Das wird Michael-Kultur sein.

Das ist etwas, was unsere Zeit fordert. Das ist etwas, das mit allen Fasern des seelischen Lebens von den Menschen, die heute die Zeit verstehen wollen, aufgefaßt werden sollte. Es ist seit langer Zeit immer Widerstand geleistet worden gegen alles dasjenige, was als ein Ungewohntes in die menschliche Weltanschauung hereingetragen werden mußte. Ich habe ja öfter das nied­liche Beispiel, das an etwas Grobklotziges sich gewendet hat, angeführt : 1835 - also wir sind noch nicht ein Jahrhundert drüber hinaus - ist das ge­lehrte Medizinal-Kollegium in Bayern gefragt worden, als man die erste Eisenbahn von Fürth nach Nürnberg bauen wollte, ob es hygienisch ist,

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solch eine Eisenbahn zu bauen? Da sagte das Medizinal-Kollegium - das Dokument ist vorhanden, es ist kein Märchen -, man solle keine Eisenbahn bauen, denn die Leute würden nervös werden, die in dieser Weise sich über den Erdboden bewegen würden. - Aber dann setzte man noch hinzu : Wenn es schon solche Menschen geben würde, die durchaus wollten Eisen­bahnen fordern, dann müsse man links und rechts hohe Bretterwände auf­führen, damit diejenigen, an denen die Eisenbahnen vorbeifahren, nicht Gehirnerschütterung kriegen. - Ja, sehen Sie : Eines ist ein solches Urteil, das man fällt, ein anderes ist der Entwickelungsgang der Menschheit. Wir lächeln heute über ein solches Dokument, wie es das bayerische Medizinal­Kollegium 1835 geliefert hat. Aber nun, nicht wahr, so ohne weiteres haben wir kein Recht zu lachen : trifft uns heute etwas ähnliches, verhalten wir uns wieder geradeso. Denn so absolut unrecht können wir auch nicht wiederum dem bayerischen Medizinal-Kollegium geben. Wenn man den Nervenzustand der gegenwärtigen Menschheit vergleicht mit dem Nerven-zustande derjenigen Menschheit, die vor zwei Jahrhunderten da war, so sind die Leute nervös geworden. Vielleicht hat das Medizinal-Kollegium bloß etwas übertrieben, aber nervös geworden sind die Leute. Nur handelt es sich bei der Fortentwickelung der Menschheit nicht um solche Dinge, sondern darum, daß gewisse Impulse, die herein wollen, wirklich herein­kommen in die Erdenentwickelung, daß sie nicht zurückgewiesen werden. Und es ist schon etwas gegen die Bequemlichkeit der Menschen, was da herein will von Zeit zu Zeit in die menschliche Kulturentwickelung, und man muß ablesen dasjenige, was Pflicht ist in bezug auf die menschliche Kulturentwickelung aus der Objektivität, nicht aus der menschlichen Be­quemlichkeit heraus, nicht einmal aus der besseren menschlichen Bequem­lichkeit heraus. Und ich schließe heute aus dem Grunde mit diesen Worten, weil ja es ganz zweifellos ist, von allen Seiten kündigt es sich an, daß ein gewisser, schon recht stark anschwellender Kampf gerade zwischen dem antliroposophischen Erkennen und den verschiedenen Bekenntnissen ein­treten wird. Die Bekenntnisse, die in altgewohnten Geleisen bleiben wollen, die sich nicht aufschwingen wollen zu einer Neuerkenntnis des Mysteriums von Golgatha, sie werden die starke Kampfposition, die sie bereits einge­nommen haben, immer mehr verstärken, und es wäre sehr, sehr leichtsinnig, wenn wir uns nicht bewußt würden, daß dieser Kampf losgeht.

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Nun, sehen Sie, ich bin durchaus gar nicht erpicht auf einen solchen Kampf, insbesondere nicht auf den Kampf mit der katholischen Kirche, der, wie es scheint, von der anderen Seite jetzt in solcher Heftigkeit aufgedrängt wird. Derjenige, der auch die tieferen historischen Impulse der heutigen Bekenntnisse schließlich gut kennt, der wird sehr unwillig das Alt-Ehr-würdige bekämpfen. Aber wenn der Kampf aufgedrängt wird, dann ist er eben nicht zu vermeiden. Und das heutige Priestertum ist durchaus nicht geneigt, irgendwie hereinkommen zu lassen dasjenige, was hereinkommen muß : das Geisteswissenschaftliche. Man kann auch voraussehen, daß der notwendige Kampf gegen so etwas, wie ich es Ihnen neulich vorgelesen habe, ja eigentlich grotesk ist : daß also gesagt wird, man solle sich unter­richten über antliroposophisch orientierte Geisteswissenschaft aus den mir gegnerischen Schriften, denn meine eigenen Schriften seien ja durch den Papst verboten für die Katholiken. Das ist gar nicht lächerlich, das ist eine tiefernste Sache! Ein Kampf, der in dieser Weise grotesk auftritt, der fähig ist, solches Urteil in die Welt zu senden, ein solcher Kampf ist nicht leichthin zu nehmen. Und insbesondere ist er dann nicht leichthin zu nehmen, wenn man ihn gar nicht gern eingeht. Denn sehen Sie, nehmen wir das Beispiel der katholischen Kirche. Mit der evangelischen ist es ja nicht anders, die katholische ist nur mächtiger, da haben wir die altehrwürdigen Einrich­tungen. Man braucht nur dasjenige, was den Priester umhüllt, wenn er Messe liest, jedes einzelne Stück des Meßgewandes, man braucht nur jeden einzelnen Akt der Messe zu verstehen, dann hat man uraltheilige, elirwürdige Einrichtungen, Einrichtungen, die sogar älter sind als das Christentum, denn das Meßopfer ist nur im christlichen Sinne umgewan­delter, uralter Mysterienkultus. Darinnen steckt das heutige Priestertum, das sich solcher Kampfmittel bedient! Wenn man also auf der einen Seite die allertiefste Verehrung hat sowohl für Kultus wie für Symbolik des­jenigen, was da ist, und auf der anderen Seite sieht, mit welch schlechten Mitteln verteidigt wird dasjenige, was da ist, und mit welch schlechten Mitteln angegriffen wird dasjenige, was in die Menschheitsentwickelung herein will, dann sieht man erst, welcher Ernst heute notwendig ist, um zu diesen Dingen Stellung zu nehmen. Es ist ganz wahrhaftig etwas, was wohl studiert, was wohl durchdrungen werden muß. Und dasjenige, was von dieser Seite angekündigt ist. es ist erst im Anfange. Und es ist nicht an der

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Zeit, nicht richtig, dem gegenüber zu schlafen, sondern durchaus die Augen dafür zu schärfen! Nicht wahr, wir konnten uns lange, durch zwei Jahr­zehnte hindurch, durch die ja nahezu die antliroposophische Bewegung in Mitteleuropa getrieben wird, das sektiererisch Schläftige gönnen, das so schwer in unseren eigenen Kreisen zu bekämpfen war, und das noch so tief im Gemüte der Menschen drinnensteckt, die in der anthroposophischen Bewegung drinnenstehen. Aber die Zeit ist vorüber, wo wir uns gönnen könnten, schläfriges Sektierertum zu treiben. Das ist tief wahr, was ich öfter hier betont habe, daß wir nötig haben, die weltgeschichtliche Bedeu­tung der antliroposophischen Bewegung wirklich ins Auge zu fassen und über Kleinigkeiten hinwegzusehen, aber auch die kleinen Impulse ernst und groß zu nehmen.

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SIEBENTER VORTRAG Dornach, 6. Dezember 1919

Sie haben in verschiedenen Betrachtungen gehört, wie zu einer wirklichen Erkenntnis der Menschenwesenheit es nötig ist, die Gliederung dieser Menschenwesenheit in drei Glieder wirklich zu verfolgen. Relativ selbständig organisiert sind innerhalb der menschlichen Wesenheit das Haupt. grob gesprochen natürlich, die Brustorgane und die Gliedmaßenorgane, Wobei wir uns allerdings vorzustellen haben, daß zu den Gliedmaßenorganen ein gut Teil von demjenigen gehört, was innerhalb des Rumpfes liegt. Nun haben Sie auch entnehmen können aus Vorträgen und aus mei­ner Darstellung in den « Seelenrätseln», wie zusammenhängt mit dem menschlichen Haupte das Denk- und Vorstellungsleben, wie zusammen­hängt mit all dem, was die rhythmische Tätigkeit beim Menschen - also wie gesagt, grob gesprochen - das Brustsystem ist, alles dasjenige, was Fülil­sphäre ist, und wie zusammenhängt die Willenssphäre, die aber beim Men­schen das eigentliche Geistige darstellt, mit dem Gliedmaßensystem, mit der Gliedmaßenorganisation. Relativ selbständig sind diese drei Systeme des menschlichen Organismus. Relativ selbständig, nur eben zusammen­wirkend, sind auch das Vorstellungsleben, das Gefühisieben und das Wil­lensleben. Nun wissen Sie ja, daß vom geistigen Gesichtspunkte aus am besten erfaßt wird, worin sich diese drei Systeme unterscheiden, wenn man sagt: Im gewöhnlichen Wachleben wacht der Mensch vollständig eigentlich nur durch sein Kopfsystem, durch all dajenige, was, seelisch ge­sprochen, mit dem Vorstellungs- und Denkleben zusammenhängt. Da­gegen ist alles dasjenige, was mit dem Gefühlsleben, also mit dem eigent­lichen rhythmischen System, leiblich gesprochen, zusammenhängt, eigent­lich auch während des wachen Lebens ein dieses Wachleben durchsetzendes Traumleben. Was in unserer Gefühlssphäre vor sich geht, wissen wir durch unsere wachen Vorstellungen mittelbar, aber niemals unmittelbar durch die Gefühle selbst. Und noch dunkler bleibt das Willensleben, das wirklich seinem eigentlichen Inhalte nach von uns nicht anders erfaßt wird, als das Schlafesleben als solches. So daß wir genauer, als das gewöhnlich geschieht, aussprechen können, inwiefem dem menschlichen gewöhnlichen Bewußtsein

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unterbewußte Zustände zugrunde liegen: Unterbewußte Vorstellun­gen liegen zugrunde dem Gefühlsleben, und wenn ich den Komparativ bilden darf, noch unbewußtere Vorstellungen liegen zugrunde demWillens­leben.

Es ist nun sehr wichtig, daß man sich klar macht, daß eigentlich in jedem der drei menschlichen Systeme Denken, Fühlen undWollen enthalten sind. Im Kopfsystem, im Denksystem ist durchaus auch Fühlieben und Willens-leben vorhanden, nur sind diese viel schwächer entwickelt als das Vor­stellungsleben. Ebenso sind Gedanken in der Gefühlssphäre vorhanden, traumhaft nur uns zum Bewußtsein kommend, schwächer eben als in der Kopfsphäre. Was aber gewöhnlich nicht berücksichtigt wird in unserer Zeit abstrakter Wissenschaftlichkeit, das ist, daß diese unterbewußten Glieder der menschlichen Wesenheit in demselben Maße objektiver sind, als sie uns subjektiv weniger zum Bewußtsein kommen. Was heißt das? Das heißt, dasjenige, was wir durch unser Vorstellungsleben, durch unser Hauptes-oder Kopfesleben haben, das sind Vorgänge, die verhältnismäßig in uns vorgehen. Dasjenige aber, was wir durch unser rhythmisches System, durch unser Brustsystem erleben, was in unserer Gefühlssphäre vor sich geht, das ist keineswegs bloß unser individuelles Eigentum, das ist etwas, was zu gleicher Zeit in uns vorgeht, aber objektive Weltvorgänge dar­stellt. Das heißt, wenn Sie etwas fühlen, so ist das ja allerdings ein Erlebnis in Ihnen selbst, aber es ist zu gleicher Zeit etwas, was in der Welt geschieht, was in der Welt eine Bedeutung hat. Und es ist gerade außerordentlich interessant, zu verfolgen, welche Weltvorgänge unserem Gefühlsleben zugrunde liegen. Nehmen wir an, Sie erleben irgend etwas, das Ihre Gefühle außerordentlich stark in Anspruch nimmt, ein Sie freudig oder traurig erregendes Ereignis. Sie wissen, das Gesamtleben des Menschen läuft so ab, daß wir einteilen können dieses Gesamtleben des Menschen in ungefähr siebenjährige Perioden. Die erste Periode geht ungefähr von der Geburt bis zuni Zahuwechsel, die zweite Periode geht bis zur Geschlechtsreife, die dritte geht bis zum Beginn des einundzwanzigsten Jahres - alles das ist approximativ -, und so geht es weiter fort. Das ist eine Gliederung des menschlichen Lebenslaufes.

Wenn wir diese Gliederung ins Auge fassen, so kommen wir zu Knoten­punkten der menschlichen Entwickelung, die im Beginn des menschlichen

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Erdenlebens ganz deutlich sich ausdrücken in dem Zalinwechsel, in der Ge­schlechtsreife, die dann mehr oder weniger sich verhüllen, für den, der aber beobachten kann, noch sehr deutlich sind später. Denn das, was so um das einundawanzigste Jahr herum mit dem Seelisch-Leiblichen des Menschen vorgeht, das ist für den, der beobachten kann, ebenso deutlich wahrnehm­bar, wie etwa die Geschlechtsreife für die äußere Physiologie wahrnehmbar ist. Aber es wird gewöhnlich weniger beobachtet. Nun damit haben wir mehr eine allgemeine Gliederung des menschlichen Lebenslaufes. Wenn aber nun so etwas auftritt, wie ich gesagt habe, irgendein bedeutsames Ereignis, zum Beispiel zwischen dem Zalinwechsel und der Geschlechtsreife, das sehr erregend in der Gefühlssphäre wirkt, dann findet etwas sehr Eigen­tümliches statt, das - weil heute ja nur roh beobachtet wird - in der Wirk­lichkeit eben gewöhnlich nicht beobachtet wird. Aber dieses Ereignis fin­det doch statt. Gewissermaßen ist der Eindruck da, der Gefühlseindruck schwingt ab im Bewußtsein. Aber wenn es sich um einen Gefühlseindruck handelt, dann geht ganz abgesehen von dem, was in Ihrem Bewußtsein, in Ihrem Seelenleben überhaupt sich abspielt, in der objektiven Welt etwas vor. Und wir können das, was in der objektiven Welt vorgeht, vergleichen wie mit einer Art von Schwingungserregung: es breitet sich aus in der Welt. Und das Merkwürdige ist, daß es sich nicht endlos ausbreitet, son­dern wenn es sich genug ausgebreitet hat, wenn gewissermaßen seine Elastizität an einem Ende angekommen ist, dann schwingt es wieder zu­rück, und es erscheint im nächsten siebenjährigen Zeitraum so, daß es wieder zurückkommt und in irgendeiner Weise ein von außen in Ihr Seelenleben eindringender Impuls ist. Ich will nicht sagen - weil das doch zusammenhängt mit der individuellen Lebensgestaltung -, daß ungefähr nach sieben Jahren immer solch ein Ereignis zurückkommt, das wäre nicht richtig. Aber es fällt in den nächsten siebenjährigen Zeitraum hinein, wird nur vom Menschen nicht beachtet.

Wir gehen fortwährend mit unserem Seelenleben durch solche Dinge durch, die in unser Gefühlsleben hereinschlagen und die die Rückwirkung der Welt auf dasjenige sind, was wir in der vorhergehenden siebenjährigen Periode in der Gefühlssphäre irgendwie erlebt haben. Also ein solches Ereignis, das uns irgendwie gefühlsmäßig erregt, das tönt wiederum im nächsten Lebensabschnitte in unser Seelenleben herein. Die Menschen

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beachten solche Dinge gewöhnlich nicht. Wer sich ein wenig Mühe gibt, kann solche Dinge schon äußerlich beobachten.

Wer hätte es denn noch nicht erlebt, daß bei irgendeinem Menschen, den man gut kennt, plötzlich vielleicht eine Mißstimmung auftritt, man weiß gar nicht, woher es kommt. Der Mensch verändert sich aus heiterem Him­mel heraus, wie man oftmals sagt. Wenn man den Dingen nachgeht und wirklich ein Auge, ein Seelenauge haben kann für das besondere Verhalten eines Menschen, wenn man namentlich fühlen kann, was ein solcher Mensch zwischen den Worten sagt, oder was er in den Worten sagt, dann wird man zurückgehen können auf irgendein solches - wie ich es charak­terisiert habe - früheres gefühlsmäßiges, ihn erregendes Ereignis. Und in der ganzen Zwischenzeit ist eigentlich etwas in der Welt vorgegangen, was nicht vorgegangen wäre, wenn der Mensch nicht jene Gefühlserregung gehabt hätte. Aber das Ganze ist ein Vorgang, der außer dem, daß ihn der Mensch erlebt, sich auch noch objektiv außer dem Menschen abspielt. Sie sehen, wie viele Gelegenheiten da sind, daß sich diese Dinge außerhalb des Menschen abspielen, die durch den Menschen da sind, und die einfach objektive Weltvorgänge sind.

In diese objektiven Weltvorgänge hinein mischt sich dasjenige, was unter den Elementarwesen geschieht, auch solchen Elementarwesen, wie ich sie neulich charakterisiert habe, außerhalb des Menschen. Ich habe sie ja in einer anderen Beziehung zusammengebracht mit dem Atmungs-, mit dem rhythmischen System. Hier sehen Sie sie auf dem Umwege durch die Gefühlserregungen mit dem rhythmischen Systenf zusammenwirkend. Diese Dinge nötigen uns, wenn wir sie richtig verstehen, zu sagen: Der Mensch erzeugt fortwährend etwas uni sich herum wie eine recht große Aura. Aber iii das, was er da an Wellen aufwirft, in das mischen sich hinein Elementarwesen, welche, je nachdem der Mensch ist, das, was da zurück­kommt, beeinflussen können. Denken Sie also, die Sache ist so: Sie haben eine Erregung; die strahlen Sie aus. Wenn sie Ihnen zurückkommt, ist sie nicht unbeeinflußt, sondern in der Zwischenzeit machen sich Elementar-wesen mit dieser Erregung zu tun. Und wenn sie dann zurückwirkt auf den Menschen, dann bekommen Sie mit dem, was diese Elementarwesen an­gefangen haben mit dem, was außer Ihnen ist, die Wirkung der Elementar-wesen zurück. Durch das, was der Mensch da als eine geistige Atmosphäre

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verbreitet, konimt er in Wechselwirkung mit Elementarwesen. Alles das­jenige, was sich für den Menschen schicksalsmäßig abspielt innerhalb des Lebenslaufes, hängt mit diesen Dingen zusammen. Wir habenja auch inner-halb unseres Lebenslaufes eine Art Erfüllung unseres Schicksals. Nicht wahr, wenn wir heute irgend etwas erleben, so hat das eine Bedeutung für später. Das ist aber der Weg, wodurch uns tatsächlich unser Schicksal ge­zimmert wird. Und an dem Zimmern unseres Schicksals wirken solche Elenientarwesen mit, die sich zu uns hingezogen fühlen durch unsere eigene Natur. Da fühlen sie sich angezogen, da wirken sie mit auf uns ein.

Sie sehen da hinein in eine Wechselwirkung zwischen dem Menschen und seiner Umgebung, und Sie sehen gewissermaßen das Spielen von gei­stigen Kräften in der Umgebung. Wenn man dieses Spiel verfolgt, dann klärt sich vieles auf, was für den Menschen schicksalsmäßig wird. Die Einsicht in diese Verhältnisse, die ist unserer aufgeklärten Zeit - « aufge­klärten» muß man nämlich immer in Gänsefüßchen schreiben - sehr fern-liegend, und es ragen, ich möchte sagen, nur die Traditionen früherer Zeiten, in denen der Mensch durch elementarere Bewußtseinsstufen mehr mit der Wirklichkeit zusammenhing als heute, in unsere Zeit herein. Diese Traditionen, die finden Sie sehr schön ausgedrückt in denjenigen Dich­tungen der Vorzeit, in denen Schicksalsmäßiges für den Menschen geknüpft wird an das Eingreifen von elementaren Wesenheiten. Und wirklich eines der schönsten Gedichte, die uns erhalten sind, und die da handeln von solchem schicksalsmäßigen Eingreifen von Elementarwesenheiten in un­serer Umgebung, ist dasjenige, das Sie jetzt in eurythmischer Darstellung oftmals bekommen. Sie sehen da, wie schicksalsmäßig eingreifen die Ele­mentarwesen aus Er]königs Reich. Sie wissen ja, das Gedicht heißt:

Erlkönigs Tochter

Herr Oluf reitet so spät und weit

Zu bieten auf seine Hochzeitsleut.

Da tanzen die Elfen auf grünem Land,

Erlkönigs Tochter reicht ihm die Hand.

«Willkommen Herr Oluf, was eilst von hier?

Tritt her in den Reihen und tanz mit mir! »

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«Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag,

Frühmorgen ist mein Hochzeitstag.»

« Hör an, Herr Oluf, tritt tanzen mit mir,

Zwei güldne Sporen schenk ich dir.

Ein Hemdlein von Seide, so weiß und fein,

Meine Mutter bleichts im Mondenschein.»

«Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag,

Frühmorgen ist mein Hochzeitstag.»

«Hör an, Herr Oluf, tritt tanzen mit mir,

Einen Haufen Goldes schenk ich dir.»

«Einen Haufen Goldes nähm ich wohl,

Doch tanzen ich nicht darf und soll! »

«Und willt, Herr Oluf, nicht tanzen mit mir,

Soll Seuch und Krankheit folgen dir! »

Da haben Sie das Hineinweben der elementarischen Welt in das Schick-salsmäßige des Menschen, insofern dieses dann übergreift in die auffälligste Schicksalserscheinung: Krankheit und Tod.

Sie tät einen Schlag ihm auf sein Herz.

Ich bitte Sie, solche Dinge zu beachten. Diese Dinge, die sind nicht so in in alten Dichtungen - von Herder ist ja das nur aus der Volksdichtung auf­genommen - wie sie in neueren Dichtungen stehen. Unseren Kultur-dichtungen gegenüber darf man wohl sagen, daß ungefähr neunundneunzig Prozent derselben zu viel sind. Die Dichtungen, die wirklich hervordrin­gen aus dem alten Wissen, die sind immer so, daß sie dem Tatsächlichen, dem Wirklichen entsprechen. Niemals würde hier stehen: sie tät einen Schlag ihm auf den Kopf, oder auf den Mund, oder auf die Nase, sondern:

Sie tät einen Schlag ihm auf sein Herz,

Noch nimmer fühlt er solchen Schmerz.

Mit einem Rhythmusorgan muß das zusammenhängen. deshalb das Herz.

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Sie hob ihn bleichend auf sein Pferd.

« Reit heim zu deinem Fräulein wert.»

Und als er kam vor Hauses Tür

Seine Mutter zitternd stand dafür.

«Hör an, mein Sohn, sag ali mir gleich,

Wie ist dein' Farbe blaß und bleich?»

« Und sollt sie nicht sein blaß und bleich,

Ich war in Erlenkönigs Reich.»

« Hör an, mein Sohn, so lieb und traut,

Was soll ich sagen deiner Braut?»

« Sag ihr, ich sei im Wald zur Stund

Zu proben da mein Pferd und Hund.» - -

Frühmorgens, als der Tag kaum war,

Da kam die Braut mit der Hochzeitsschar.

Sie schenkten Met, sie schenkten Wein.

«Wo ist Herr Oluf, der Bräutigam mein! »

« Herr Oluf, er ritt in Wald zur Stund

Er probt allda sein Pferd und Hund.»

Die Braut hub auf den Scharlach rot -

Da lag Herr Oluf, und er war tot.

Das, worauf ich Sie aufmerksam machen will, ist eben die dichterisch durchaus sachgemäße Wiedergabe dessen, was sich um den Menschen her­um in einer solchen Schicksalsstunde abspielt, und was eigentlich immer um den Menschen herum sich abspielt, besonders stark aber hervortritt in jenen Zusammenhängen, die man wahrnehmen kann bei der periodischen Wiederkehr die Gefühlssphäre erregender Erlebnisse. Denn die kehren immer so wieder, daß sie in unser Schicksal eingreifen, aber nicht ganz un­verändert, sondern nachdem sie hindurchgegangen sind durch dasjenige, was solche Elementarwesen mit ihnen angefangen haben. Genau so, wie wir in der äußeren physischen Luft leben. wie wir unter den Ergebnissen

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des mineralischen, pflanzlichen, tierischen Reiches leben, genau so leben wir mit unseren zunächst unterbewußten Menschheitsteilen, mit unserem rhythmischen System in der geistigen Sphäre der Elementarwesen. Und da wird so viel von unserem Schicksal gezimmert, als gezimmert werden kann eben im Lebenslaufe zwischen Geburt und Tod.

Nur dadurch, daß wir mit dem Haupte voll wach sind, ragen wir heraus aus diesem Wechselspiel mit den Elementarwesen. Nicht eingegliedert in das Reich der Elementarwesen sind wir nur durch unser waches Haupt-leben. Da ragen wir gewissermaßen über die Oberfläche des elementari­schen Meeres, in dem wir als Menschen fortwährend schwimmen, heraus.

Sie sehen hier die Wiederkehr der Ereignisse, die schicksalsmäßige Wie­derkehr der Ereignisse schon innerhalb des gewöhnlichen Lebens durch dasjenige, was sich für unser rhythmisches System abspielt und für unser Gliedmaßensystem. Das geht auch Wechselwirkungen mit der Umgebung ein, aber kompliziertere, viel, viel kompliziertere, und auch die schwingen wieder zurück, nur haben sie eine weitere Schwingungsausbauchung. Sie kommen erst wiederum im nächsten Erdenleben, oder in einem der nächsten Erdenleben zurück. So daß wir sagen können, es braucht dasjenige, was wir unser Schicksal, unser Karma nennen, für uns gar nicht so sehr etwas Rätselhaftes zu sein, wenn wir anschauen, wie es nur ist die Ver­größerung desjenigen, was wir innerhalb des Menschenlebens selbst stu­dieren können in der Wiederkehr solcher Ereignisse. Sie kommen nämlich nicht unverändert zurück, diese Ereignisse, sie kommen ganz stark ver­ändert zurück.

Ich mache Sie auf eines aufmerksam. Ich habe in pädagogischen Vor­trägen, wo ich sie auch gehalten habe, immer darauf aufmerksam gemacht, daß während der Volksschulzeit ein wichtiger Knotenpunkt des Lebens so um das neunte Lebensjahr herum da ist. Man sollte im Volksschulunter-richte diesen wichtigen Knotenpunkt des Menschenlebens sehr, sehr wohl beachten. Bis dahin sollte man zum Beispiel nicht anders die Naturkunde mit dem Menschen betreiben, als dadurch, daß man die Beschreibung der Naturvorgänge - fabelhaft, legendenhaft und dergleichen - anknüpft an das menschliche moralische Leben. Dann erst sollte man beginnen, weil erst jetzt der Mensch reif wird dazu, mit eigentlicher einfacher, elementarer Naturbeschreibung. Was man Lehrplan nennen kann, ergibt sich nämlich

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ganz aus einer wirklichen Beobachtung der menschlichen Wesenheit bis ins einzelne. Ich habeja darauf schon aufmerksam gemacht in dem Aufsatz, den Sie über «Die pädagogische Grundlage der Waldorfschule» haben. Auch da habe ich auf diesen Zeitpunkt im ungefähr neunten Jahre hingewiesen. Dieser Zeitpunkt, man kann ihn so charakterisieren, daß man sagt: Das Ich-Bewußtsein bekommt eine neue Gestalt. Der Mensch wird fähig, die äußere Natur mehr objektiv zu betrachten. Früher verbindet er alles, was er in der äußeren Natur sieht, mit seinem eigenen Wesen. Nun entwickelt sich das Ich-Bewußtsein aber schon in dem ersten siebenjährigen Lebens-abschnitt, mit zwei, zweieinhalb Jahren und so weiter. Aber im zweiten Le­bensabschnitte, da kommt es ungefähr um das neunte Lebensjahr zurück. Das ist sozusagen eine der auffälligsten Rückliehrungen, dieses Zurückkehren des Ich-Bewußtseins um das neunte Lebensjahr herum. Das Ich-Bewußtsein kommt da in geistigerer Form zurück, während es mehr seelisch so im zweiten oder dritten Lebensjahr ist. Das ist nur eines der Ereignisse, die in ganz auffälliger Weise zurückkommen. Man kann das aber auch für un­bedeutendere Ereignisse im Menschenleben durchaus erschauen.

Diese Intimitäten des Menschenlebens, die werden für die Zukunft der menschlichen Entwickelung dringend, ganz dringend notwendig sein. Die Einsicht in solche Dinge wird allmählich allgemeine Bildung werden müs­sen. Diese allgemeine Menschenbildung ändert sich ja von Zeitraum zu Zeitraum. Heutzutage, nicht wahr, sind wir schon unglücklich, wenn unsere Kinder zehn Jahre alt geworden sind und gewisse Dinge noch nicht rechnen können. Die Römer waren es noch gar nicht; aber sie waren un­glücklich, wenn ein solcher Junge die zwölf Tafel-Gesetze noch nicht gekannt hat, während wir wieder weniger Sorgfalt darauf verwenden, daß unsere Kinder die Gesetzesbestimmungen kennen. Es wäre auch mit un­serer Seelenverfassung schlimm bestellt, wenn es noch geschähe. Aber das­jenige, wovon man glaubt, daß es allgemeines Bewußtsein sein muß, das ändert sich, und wir stehen jetzt am Ausgangspunkte einer Zeit, wo aus der Entwickelung der Erde, der Menschheit heraus solche Intimitäten des Seelenlebens zum allgemeinen Bewußtsein kommen müssen. Der Mensch muß dahin kommen, sich genauer kennen zu lernen, als man das bis jetzt für nötig gehalten hat. Sonst würden diese Dinge in der ungünstigstenWeise auf die Verfassung des ganzen Menschenlebens zurückwirken.

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Daß wir nicht wissen, wo irgend etwas, das uns erregt, seinen Ursprung hat, das hat ja nicht zur Folge, daß es in unserem Seelenleben nicht vor sich geht. Die Dinge kommen zurück, sie üben ihren Einfluß auf unser Seelen-leben aus. Wir können sie uns nicht erklären, wir nehmen sie gar nicht ein­mal in unser Bewußtsein auf Die Folge davon ist, daß wir allerlei Zustände kriegen. Und die Leute leiden heute sehr unter solchen Zuständen, die man einfach hinnimmt, von denen man natürlich nicht weiß, daß sie zu­rückführen auf frühere Erlebnisse. Was gefühlsmäßig ist, kommt in irgend-einer Weise zurück. Sie können sich das, ich möchte sagen, gedächtnismäßig einfach durch das zusammenhalten, was ich öfter wie eine Art Repräsentanz für diese Dinge sage. Lehren wir ein Kind beten, das heißt Gebetsstimmung gefühlsmäßig entwickeln, so schwingt das auch einmal zurück. Allerdings, es schwingt später zurück, nach sehr langer Zeit, es schwingt auch zwischen­durch zurück, aber es schwingt wieder weiter und schwingt wiederum zurück. Nach sehr langer Zeit kommt das Beten dadurch zurück, daß wir die Seelenstimmung des Segnens entwickeln können. Deshalb sage ich so häufig: Kein bejahrter Mensch wird segnen können wirksam durch die Imponderabilien, der nicht in seiner Kindileit beten gelernt hat. Das Beten wandelt sich um ins Segnen. Das sind die Rückkehrungen des Lebens.

Diese Dinge wird man nach und nach verstehen müssen. Daß diese Dinge heute noch nicht verstanden werden, das ist der Grund, warum auch nicht die große Bedeutung des Mysteriums von Golgatha von den Men­schen durchschaut werden kann. Was hat es denn schließlich für die Men­schen, die so ganz in der heutigen Bildung befangen sind, für eine Bedeu­tung, wenn man ihnen sagt: nachdem der Christus durch das Mysterium von Golgatha gegangen ist, verband er sich mit dem Leben der Erden­menscliheit? Die Menschen wollen sich ja gar keine Vorstellung davon machen, wie sie selbst in Wechselbeziehung stehen zu dem, worinnen der Christus ist. Für unsere Kopf-Vorstellung ist nicht viel bemerklich von dem Einfluß des Christus-Impulses. Sobald wir aber hinunterschauen ins Un­bewußte, in die Fühlsphäre und Willenssphäre, dann leben wir erstens in der Sphäre der Elementarwesen, aber diese Sphäre der Elementarwesen, die wird für uns zu gleicher Zeit durchwoben von dem Christus-Impuls. Wir tauchen durch unser rhythmisches System, physiologisch gesprochen, durch unsere Fühlsphäre. in das Gebiet hinunter, mit dem sich der Christus für

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das Erdendasein vereinigt hat. Da finden wir also sozusagen den Ort, an dem der Christus real, nicht nur durch Tradition oder durch eine subjektive Mystik, sondern real, objektiv zu finden ist. Wir leben aber zu gleicher Zeit in der Epoche, von welcher an die Ereignisse, die von diesem Orte kommen, wie ich Ihnen neulich auseinandergesetzt habe, eine große ob­jektive Bedeutung für das Menschenleben haben, denn sie gewinnen all­mählich für die menschlichen Entschlüsse, für das, was die Menschen tun, wenn sie sich dagegen sträuben, einen unbewußten Einfluß. Wenn die Menschen eingehen darauf, können sie einen bewußten Einfluß erleben, das heißt, wir können mit ihnen rechnen, wir können gewissermaßen die geistigen Welten, die zu uns gehören, aufrufen, mit uns zu wirken.

Auch äußerlich läßt sich erkennen, wie wir in dieser Beziehung an einem Wendepunkt der Menschheitsentwickelung stehen. Ich brauche ja nur auf eine Tatsache hinzuweisen, von der ich Ihnen von dem einen oder anderen Gesichtspunkte aus schon öfter einmal gesprochen habe. Wenn wir Ge­schichtsbetrachtungen nehmen, gewöhnliche, heute dargestellte Geschichte, so werden wir uns sagen: Diese Geschichtsbetrachtungen sind eigentlich noch nicht vorgedrungen zu dem Mysterium von Golgatha. Nehmen Sie einmal nur das, was Ihnen gewöhnlich vorgelegen hat als Weltgeschichte. Gewiß, es werden Ihnen da geschildert die Zeiten des alten assyrischen, babylonischen Reiches, des alten Perserreiches, des ägyptischen Reiches, Griechenlands, Roms. Dann wird vielleicht erwähnt, daß auch das Myste­rium von Golgatha stattgefunden bat, dann wird aber weiter verfolgt die Geschichte über die Völkerwanderungen hin und so weiter, für die einen bis zu Ludwig XIV. oder bis zur französischen Revolution, oder Poincaré, für die anderen bis zum Untergang der Hohenzollern und so weiter. Aber von dem Fortwalten des Christus-Impulses fmden Sie in der gewöhnlichen fable convenue, die man « Geschichte» nennt, nichts, gar nichts. Es ist für die geschichtliche Betrachtung eigentlich so, wie wenn für sie der Christus-Impuls ausgeschaltet würde. Es ist merkwürdig, wie zum Beispiel ein solcher Historiker wie Ranke, der ein gläubiger Christ war, und auf den Christus-Impuls subjektiv sehr viel gegeben hat, als Historiker das Christus-Ereignis in die Geschichte nicht hereinbringen kann. Er kann:nichts damit anfangen. Es spielt in der geschichtlichen Darstellung das Christus-Ereignis keine Rolle. So daß wir sagen können: Für diejenige Geisteserkeunmis des

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Menschen, die sich bisher in seiner Geschichte offenbart, ist das Christen­tum eigentlich noch nicht da. Und erst unsere antliroposophisch orientierte Geisteswissenschaft rechnet in positiver Weise, indem sie Geschichte dar­stellt, mit der Notwendigkeit des vierten nachatlantischen Zeitraums, durch die hereinbrechen mußte in die konkrete geschichtliche Entwickelung das Ereignis von Golgatha. Und wir stellen Geschichte so dar, wie Sie wissen, daß dieses Ereignis von Golgatha in unserer Geschichtsdarstellung drinnen-steht. Ja, wir gehen weiter: Wir stellen nicht nur die Geschichtsentwicke-lung des Menschen dar, indem wir das Ereignis von Golgatha aufnehmen, sondern wir stellen auch die Weltentwickelung, die kosmische Entwicke­lung so dar, daß wir das Mysterium von Golgatha in der kosmischen Ent­wickelung drinnen haben.

Wenn Sie meine «Geheimwissenschaft» auf sich wirken lassen, so werden Sie sehen, daß da nicht nur geredet wird von Sonnenfinsternissen, die ver­gangen sind, oder Mondenfinsternissen, die vergangen sind, oder irgend­welchen Explosionen oder Eruptionen im Weltenall, sondern da wird als von einem kosmischen Ereignis von dem Christus-Ereignis gesprochen. Und sonderbar: Wenn man von der Geschichte zunächst nur sagen kann, daß die Historiker, die sogenannten Historiker keine Möglichkeit finden, das Christus-Ereignis einzureihen in den Fortgang des historischen Wer­dens, da werden die offiziellen Vertreter der Bekenntnisse geradezu wild. Wenn sie hören: hier ist etwas wie anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, die von dem Christus-Ereignis als einem kosmischen Ereignis spricht, da beginnen die Leute, die die offiziellen Vertreter der Bekenntnisse sind, furchtbar zu schimpfen. Daraus ersehen Sie, wie wenig diese Bekennt­nisse geneigt sind, die großen Anforderungen unserer Zeit wirklich zu er-füllen, das Christus-Ereignis in Zusammenhang zu bringen mit den Weltereignissen überhaupt. Man muß sagen: Leute, die heute oftmals von dem Christus sprechen, sogar Theologen, sie sprechen von diesem Christus gar nicht anders, als sie von irgendeinem allgemeinen göttlichen Wesen spre­chen, nicht anders, als die alten Juden oder die Juden noch heute von ihrem Jahve oder Jehova sprechen. Und ich habe Ihnen ja neulich gesagt: Sie können das Buch von Harnack «Das Wesen des Christentums » nehmen und den Christus-Namen überall da, wo er ihn braucht, ausstreichen und den allgemeinen Gottes-Namen hinsetzen, dann ändert sich der Sinn nicht, weil

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der Mann gar keine Ahnung hat von dem Spezifischen des Christentums. Ja, das Buch «Das Wesen des Christentums» von Harnack, das ist Seite für Seite eine Schilderung des Gegenteiles des Wesens des Christentums, denn es handelt gar nicht vom Christentum, es handelt von einer allgemeinen Jahve-Lehre. Es ist sehr wichtig, auf diese Dinge hinzuweisen, denn diese Dinge hängen durchaus mit den notwendigsten Forderungen unserer Gegenwart zusammen. Und dasjenige, was einströmen muß in die mensch­liche Kulturentwickelung, das ist das Bewußtsein der Menschen von dem Vorhandensein nicht nur einer allgemeinen, abstrakten geistigen Welt, sondern der konkreten geistigen Welt, in der wir drinnen leben mit dem, was wir fühlen und wollen und tun, und aus der wir nur herausragen durch dasjenige, was wir denken, durch unser Haupt nur herausragen. Es ist schon so, daß in der Tat eine neue Art Weltanschauung dadurch gerechtfertigt wird, daß man anstrebt die wirkliche Durchdringung desjenigen, was wir fühlen und wollen und tun, mit dem Christus-Impuls.

Daß unsere Astronomie, unsere Entwickelungslehre ganz in abstrakten Formeln sich entfaltet haben in der neueren Zeit, das ist nur dadurch möglich geworden, daß der Christus-Impuls zunächst nicht innerlich die Menschen ergriffen hat, sondern Tradition geblieben ist und höchst subjektiv die Menschen ergriffen hat, aber sie nicht ergriffen hat so innerlich, daß die innerlichen Erlebnisse solche sind, die zu gleicher Zeit objektive Welten-erlebnisse sind, das heißt, wo wir im Wechselspiel stehen mit dem, was geistig um uns herum vorgeht.

Man sieht heute da oder dort wohl ein starkes Bewußtsein davon auf-dämmern, daß neue Impulse für die Menschlieitsentwickelung notwendig sind. Aber dazu können sich die Menschen so schwer entschließen, zu einem konkreten Geistesleben zu greifen. Wenn sie vom Geiste sprechen, so haben sie immer doch mehr oder weniger die Sehnsucht, im Abstrakten drinnen zu leben.

Selbst das Bewußtsein von unserer Stellung zu unseren Gedanken muß sich in einer gewissen Weise ändern. Von dem einen oder dem anderen Gesichtspunkte aus habe ich ja schon aufmerksam gemacht auf das, was ich hiermit eigentlich meine, denn ich habe ja oftmals auch in öffentlichen Vorträgen darauf hingedeutet, daß das Vortragen von antliroposophisch orientierter Geisteswissenschaft gerade in unserer Gegenwart nicht unter

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irgendeinem Programmziel erfolgt, nicht aus der Vorliebe, sich gerade nach dieser Richtung hin für irgendein Ideal zu begeistern, sondern aus der Einsicht in dasjenige, was der Menschlieit heute nottut. Und damit muß wieder angeknüpft werden an gewisse Seelenverfassungen früherer Zeiten, die auch vorhanden waren in Epochen, in denen die Menschen mehr zu­sarnmenhihgen mit ihrer wirklichen geistigen Umgebung. In früheren Zeiten war das anders. Heute sollten wir aber das ganz besonders stark füh­len. Ich habe es öfters ausgeführt: Von außen kann uns eigentlich heute als Mensch nichts mehr blühen. Wir müssen die Fortschrittsimpulse für die Menschenentwickelung von innen heraus, von unserem Zusammenhang mit der geistigen Welt aus holen, und wir müssen eigentlich ein gutes Auge dafür haben, wie dasjenige, was wir erleben, ohne daß wir selber etwas dazu tun, eigentlich immer mehr und mehr Niedergangserlebnisse werden. Wir befmden uns gewissermaßen schon im Abstieg der Erdenentwickelung, Lmd wir müssen als Menschen uns hinaufschwingen, damit wir über die Erdenentwickelung hinauskommen durch unseren Zusammenhang mit der geistigen Welt. Dadurch aber wird das, was wir erkennmismäßig anstre­ben, empfunden werden müssen als eine Kraft, die uns möglich macht, als Gesamtheit des Menschentums so in nächste Entwickelungsstadien hin-überzugehen, wenn die Erde unter uns abstirbt, wie wir in andere Ent­wickelungsstadien im Kleinen übergehen, wenn der Leib abstirbt, wenn wir durch die Pforte des Todes gehen. Wir gehen als einzelner Mensch durch die Pforte des Todes, das heißt, in die geistige Welt ein, der Leib stirbt unter uns ab. So wird es einstmals im Gesamten der Menschlieit sein. Diese Menschheit wird sich in der Gesamtheit zum Jupiterdasein - ich nenne es Jupiterdasein - hinüber entwickeln. Die Erde wird Leichnam. Wir sind jetzt schon in der Absterbe-Entwickelung. Der einzelne Mensch kriegt Runzeln, kriegt graue Haare. Die Erde hat heute für den Geologen, der wirklich beobachten kann - ich habe Ihnen erst neulich darüber ge­sprochen - deutliche Zeichen ihres Altwerdens. Sie stirbt unter uns ab. Dasjenige, was wir heute geistig aufsuchen, das ist also in der Tat ein Ent­gegenarbeiten gegen den Prozeß des Alterns bei der Erde. Dieses Bewußt­sein, das ist es, womit wir uns durchdringen sollen.

Von einem andern Gesichtspunkt aus haben frühere Zeiten ihr Mysterien-wissen bezeichnet als etwas, was der Heilkraft, auch der physischen Heilkraft

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verwandt ist. Dieses Bewußtsein muß auch heute wiederum beginnen, die Menschheit zu durchdringen. Es muß das Streben nach der Erkenntnis das Bewußtsein erzeugen: man tut damit etwas für die Weiterentwickelung der ganzen Menschheit. Zu diesem Bewußtsein wird man natürlich niemals kommen, wenn man das Konkrete, das uns umspielt in der Weise, wie ich es beschrieben habe, nicht ins Auge faßt, denn da wird man dasjenige, was der Mensch fühlt und will und tut, eigentlich nur als seine eigene persön­liche Angelegenheit ansehen. Man wird nicht wissen, daß das etwas ist, was sich da draußen auch abspielt. Aber es wird notwendig sein, daß - und da muß ich jetzt eine Anmerkung machen, die vielleicht nicht so ganz all-gemein verständlich sein kann - auch die, ich will sagen, exakteren Seiten des menschlichen Wissens solchen Bestrebungen entgegenkommen. Die sind aber heute noch gar nicht auf der Höhe, wirklich gar nicht auf der Höhe. Sie können zum Beispiel heute noch immer die unmöglichsten Vorstellungen in der exakten Wissenschaft finden. Ich will nur einiges er-wähnen, was vielleicht allgemein verständlich sein kann. Sagen wir, die Leute stellen sich gewöhnlich trivial vor: Irgendwo ist die Sonne. Von der Sonne geht Licht aus nach allen Seiten, wie von einer anderen Lichtquelle. Und Sie können es überall verfolgen, daß die Leute, die mit mathematischen Vorstellungen dieser Ausbreitung des Lichtes folgen, sagen: Na ja, das Licht breitet sich eben aus ins Unendliche, und dann verschwindet es irgendwie. An seiner eigenen Schwäche geht es, indem es sich ausbreitet ins Unendliche, dann verloren. - Aber so ist es nicht. Alles, was sich so aus­breitet, gelangt an eine Grenze, und von dieser Grenze schwingt es wiederum zurück, kommt als etwas anderes wiederum zu seinem Ursprung zurück. Das Sonnenlicht geht nicht in die Unendlichkeit, sondern schwingt in sich selbst wiederum zurück, nicht als Licht, jedoch als etwas anderes; aber es schwingt wiederum zurück.

Und so ist es im Grunde genommen mit jedem Lichte. So ist es im Grunde genommen mit allen Wirkungen. Alle Wirkungen unterliegen im Grunde genommen dem Gesetze der Elastizität, das eine Elastizitätsgrenze hat. Solche Vorstellungen aber, die finden Sie bereits gang und gäbe in unserer sogenannten exakten wissenschaftlichen Darstellung, und man rechnet heute viel zu wenig mit den Wirklichkeiten. Wenn Sie Physiker wären, würde ich Sie darauf aufmerksam machen, wie die Leute heute in

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der Physik rechnen mit Weg, der zurückgelegt wird, und mit Zeit. Und dann nennen sie die Geschwindigkeit, die man gewöhnlich mit c oder v bezeichnet, eine Funktion von Weg und Zeit, und stellen es als einen Quo­tienten dar:

c=s/t

Aber das ist durchaus falsch. Nicht die Geschwindigkeit ist ein Resultat, sondern die Geschwindigkeit ist das Elementare, das irgend etwas, sei es ein Materielles oder ein Geistiges, in sich trägt, und wir zerlegen die Ge­schwindigkeit in den Weg, in Raum und in die Zeit. Wir abstrahieren die zwei Dinge heraus. Raum und Zeit als solche sind nichts Reales. Geschwin­digkeiten sind in der Welt etwas Reales, verschiedene Geschwindigkeiten. Das ist eine Anmerkung, die ich nur für Physiker mache, die Physiker werden mich aber verstehen, daß selbst in all den Dingen, die heute zu­grunde gelegt werden theoretisch unserem Zeitwissen, brüchige Bedingun­gen walten. Überall sind Bedingungen drinnen, die nur dadurch darinnen stecken, daß wir nicht imstande sind, das Geistige als ein Konkretes zu erfassen.

Das ist das Erfordernis der Michael-Zeit, daß die Menschheit in die Lage komme, das Geistige in seiner Konkretheit zu erfassen, das heißt, mit der menschlichen Umgebung so zu rechnen, daß man ebenso, wie man sagt, Luft und Wasser ist in der Umgebung, die verschiedenen elementaren und höheren Wesenheiten in der Umgebung weiß. Das ist es, worauf es an­kommt, und das ist etwas, was Menschenbildung wieder werden muß, wie es in alten Zeiten auch Menschenbildung war. Man will das nur nicht zugeben. Man will durchaus solche Umschwünge in der Menschheits-entwickelung, wie sie stattgefunden haben zum Beispiel in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, nicht zugeben. An Einzelheiten kann man aber nachweisen, daß das so ist.

Irgendein, ich weiß nicht, Schwede oder Norweger, hat vor kurzer Zeit ein Buch geschrieben, worinnen er viel aus Alchemisten zitiert. Da zitiert er besonders eine Stelle aus einem Mchemisten, worinnen alles mögliche vorkommt, Merkur, Antimon und so weiter. Und nun sagt jener Schrift­steller von heute, der - wie man es seinem Buche ansieht - ein ganz exzellenter

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Chemiker von heute ist: er kann sich mchts vorstellen bei diesem chemischen Rezept, das da bei einem Alchemisten angegeben ist. - Er kann sich wirklich nichts darunter vorstellen, aus dem einfachen Grunde, weil, wenn der heutige Chemiker von Merkur redet, von Quecksilber, so ist ihm dies das Mineral Quecksilber; wenn der heutige Chemiker von Anti­mon redet, so ist ihm dies das Metall und so weiter. Die Worte bedeuten aber in dem Buche, das er zitiert, etwas ganz anderes, gar nicht das äußere Metall, sondem gewisse Vorgänge, die im menschlichen Organismus drinnen vorkommen. Es ist menschliche Innenerkenntnis. Schreibt man sie auf in dem Sinne, wie sie präsent, gegenwärtig war in dem Bewußtsein des Schriftstellers, den da der gute Herr von heute zitiert, so kann man sie heute lesen wie die Beschreibung eines Laboratorium-Vorganges, der mit Retorten arbeitet und dergleichen beschreiben kann. Nur gewinnt man keinen Sinn daraus. Man kann die Dinge nur als Unsinn ansehen. Es hat aber einen Sinn, sobald man weiß, was in diesen alten Zeiten mit Antimon, mit Merkur und so weiter gemeint war, und daß da zwar sich auch ein Aspekt ergab für das äußere Mineral, daß aber vor allen Dingen mit diesen Vorgängen innere Vorgänge der menschlichen Natur gemeint waren, für die man aber andere Mittel hatte, als man sie heute hat. Daher muß der­jenige, der die Literatur vor dem fünfzehnten Jahrhundert liest, mit ganz anderem Sinn lesen als der, der nachher liest. An solchen Dingen könnte man auch äußerlich das ganze Umwandeln der Seelenverfassung studieren. Nun leben wir heute eben in einer Zeit, in der man beginnen muß, auf solche Dinge, auf die die Menschheit durch Jahrhunderte keinen Wert gelegt hat, einen starken Wert zu legen.

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ACHTER VORTRAG Dornach, 7. Dezember 1919

Was ich Ihnen in diesen Wochen zu sagen hatte, gipfelt ja in der Tatsache, daß wir wirklich gegenüberstehen dem Hereinbrechen einer geistigen Welt in unsere gegenwärtige Welt, welche im Wesentlichen das Ergebnis jener Kulturentwickelung ist, die begonnen hat um die Mitte des fünf­zehnten Jahrhunderts. Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts wird alles anders in der als zivilisiert bekannten Welt. Dasjenige, was sich die Menschen vor dieser Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts in ihr Bewußtsein hereinbrachten, handelte mehr über das Innere der menschlichen Organi­sation. Sie können in alten Schriften, soweit sie heute überhaupt noch zu haben sind - ich sprach davon schon gestern -, in Ausdrücken geredet finden, die sehr ähnlich sind unseren chemischen, physikalischen Ausdrücken und so weiter. Aber der heutige Chemiker oder Physiker wird die Dinge wirklich nicht verstehen, die in diesen Büchern stehen, aus dem emfachen Grunde, weil er glaubt, mit diesen Dingen seien äußere Prozesse geschildert. Diese äußeren Prozesse sind da nicht geschildert, innere Pro­zesse sind geschildert, Vorgänge im Innern des menschlichen physischen oder ätherischen Leibes. Erst seit der Galilei-, Giordano Bruno-Zeit beginnt die Menschheit die Aufmerksamkeit mehr auf die äußere Welt zu lenken, und heute sind wir so weit, daß wir eine Naturerkenntnis haben, welche aber schon alles Denken, namentlich auch das populäre Denken und Emp­finden beeinflußt hat, daß wir eine Naturerkenntnis haben, die von Vielem spricht im mineralischen, pflanzlichen, tierischen Reiche, die aber in gar keiner Weise Aufklärung geben kann über das Wesen des Menschen selbst, auch nicht über das physisch4eibliche Wesen des Menschen. Heute muß bereits der Mensch aber die Frage aufwerfen: Wie verhalte ich mich selber als Mensch zu dem, was die äußeren Naturreiche sind, zu dem, was mich umgibt als Tier-, Pflanzen-, Mineralreich, als äußeres physisches Menschen-reich, als das Reich von Luft und Wasser, von Feuer und Wolken, von Sonne und Mond und Sternen? Wie verhalte ich mich als Mensch dazu?

Nun können wir diese Frage nicht gründlich beantworten, wenn wir nicht auf mancherlei von dem wiederholentlich eingehen, was wir über

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den Menschen betrachtet haben. Nehmen wir zunächst den Menschen, wie er als Sinnes-, Verstandeswesen vor uns steht, so können wir sagen : Wir nehmen durch unsere Augen, durch unsere Ohren, durch die anderen Sinnesorgane, die dennoch, wenn sie für den übrigen Leib da sind, Hauptes-Organe, Kopfesorgane sind, die äußere Welt wahr. Wir verarbeiten dann diese äußere Welt durch diejenigen Ideen und Begriffe, die an unser Gehirn als Werkzeug gebunden sind. Wir behalten - denn das ist zu unserer inneren Integrität als Mensch notwendig - von dem, was wir so erlebt haben durch unsere Sinne, was wir durchdacht haben durch unsere sogenannte ver­ständige Intelligenz, unsere Erinnerungsvorstellung zurück. Und es ist schließlich das, was wir zunächst aufnehmend aus der Außenwelt haben, was durch unsere Sinne von der Außenwelt in uns geschieht, was wir durch unsere Intelligenz aus diesem äußerlich Aufgenommenen machen, das­jenige, was wir als Erinnerungsvorstellung zurückbehalten. Was sind wir denn eigentlich mit Bezug auf das, daß wir als Menschen. so wie ich es jetzt geschildert habe, der Welt gegenübertreten?

Gehen Sie von einem einfachen Phänomen der Sinnesempfänglichkeit aus. Ich habe schon einmal auf dies Phänomen in den letzten Tagen hingewiesen. Gehen Sie aus davon, daß Sie mit Ihren Augen eine Flamme sehen. Sie machen das Auge zu: Sie haben ein Nachbild dieser Flamme. Dieses Nach-bild der Flamme, das Sie in Ihrem Auge mittragen, verschwindet nach und nach. Goethe, der sich immer anschaulich über diese Dinge ausspricht, sagt:

Es tönt das Nachbild ab. - Es stellt sich die ursprüngliche Konstitution des Auges und des damit verbundenen Nervenapparates wiederum her, nach­dem diese verändert worden sind durch den Lichteindruck, der auf das Auge gemacllt worden ist. Das, was da in Ihrem Sinnesorgan sich abspielt, das ist nur der einfachere Vorgang für dasjenige, was sich mit Ihrem Gedächtnis, mit Ihrer Erinnerung abspielt, wenn Sie äußere Eindrücke im allgemeinen empfangen, sie überdenken und sie Ihnen bleiben als Erinne­rungsvorstellungen. Der Unterschied ist nur der, wenn Sie mit Ihrem Auge einen Eindruck aufnehmen, ich will sagen also eine Flamme, dann die Vor­stellung der Flamme haben, und das wiederum abklingt, so dauert das nur kurz. Wenn Sie mit dem ganzen Menschen etwas aufnehmen, es über­denken, sich später immer wieder erinnern können, wenn dieses große Nachbild der Erinnerung kommt, so dauert das lange, dauert unter Umständen

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für diese Erlebnisse Ihr ganzes Leben hindurch. Worauf beruht das? Ja, wenn Sie das einfache Abbild, das Sie im Auge haben, das vielleicht nur ein paar Minuten oder vielleicht nur Teile von einer Minute nachklingt, wiederum zum Versinken bringen, so ist es nur deshalb, weil das nicht durch Ihren ganzen Organismus weiter durchgeht, sondern in einem Teil, in einer Partie Ihres Organismus bleibt. Dasjenige, was Erinnerungsvorstellung wird, das geht zunächst durch einen großen Teil - ich werde ihn gleich näher bezeichnen - Ihrer Gesamtorganisation, stößt von da aus in den Ätherleib hinein, durch den Ätherleib in den umliegenden Weltenäther. Und in dem Augenblicke, wo nicht nur ein Bild als Sinnesbild im einzelnen Organ hängen bleibt, sondern durch einen großen Teil des Gesamtmenschen geht, sich in den Ätherleib hineinschiebt, nach außen geht, nach außen stößt, da kann es für das ganze Leben als Nachbild bleiben. Es handelt sich nur darum, daß der Eindruck tief genug ist, und daß er den Ätherleib er­greift, und der Ä therleib ihn nicht behält, sondern ihn an den äußeren Äther der Welt überträgt, ihn dort einschreibt, ihn dort einzeichnet. Glauben Sie nicht, daß wenn Sie sich an Sachen erinnern, dies bloß ein Vorgang Ihres Innern ist. Sie können zwar nicht, wenn Sie ein Erlebnis haben, dieses immer, obzwar es heute schon viele Menschen mit sehr vielen Erlebnissen tun, in Ihr Notizbuch einschreiben und dann wieder herausnehmen, es wieder ablesen. Aber das woran Sie sich erinnern, schrei­ben Sie in den Weltenäther ein, und der Weltenäther ruft es in Ihnen, wenn Sie sich erinnern sollen, wiederum als einen Siegelabdrtick hervor. Das Erinnern ist keine bloße persönhche Angelegenheit, das Erinnern ist ein Auseinandersetzen mit dem Weltenall. Sie können nicht allein sein, wenn Sie sich als innerlich sich haltender Mensch an Ihre Erlebnisse erinnern wollen. Sich nicht erinnern an Erlebnisse, das zerstört die Wesenheit des Menschen.

Bedenken Sie nur einmal, was es heißt, ich habe das Beispiel öfter ange­führt: ein Mann, den ich sehr gut kannte, der eine bedeutsame Stellung einnahm, der bekam plötzlich einmal den Drang, zur Eisenbahn zu gehen, ohne Grund, und sich dort ein Billett zu kaufen, um in ihm unbekannte Fernen, in denen er gar nichts zu tun hatte, zu fahren. Das alles tat er in einem ganz anderen Bewußtseinszustande. Aber in der Zeit, während er da fuhr, wußte er nichts von dem, worin er sonst war und er kam erst

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wieder zu sich, als er sich in Berhn in der Kurfürstenstraße in einem Armen­asyl angenommen fani Die ganze Zeit war ausgelöscht aus seinem Bewußt­sein von der Zeit an, als er in Darmstadt eingestiegen war. Man hat nachher aus Angaben verschiedener Leute herausfinden können, daß er in Budapest war, in Lemberg war, und von Lemberg wiederum nach Berlin gefahren ist, und er kam wiederum zum Bewußtsein, als er in einem Armenasyl in Berhn war. Bedenken Sie, der Verstand war vollständig in Ordiiung, nichts war in Unordnung von dem Verstande. Er wußte ganz genau in der Zeit von seinem Einsteigen in Darmstadt bis zu seiner Annahme in Berlin im Armenasyl, was man tut, um sich Fahrkarten zu lösen, was man tut, um sich in der Zwischenzeit zu verpflegen und so weiter. Aber in der Zeit, als er das ausführte, hatte er von seinem übrigen Leben keine Erinnerung. Und nachher hatte er zwar wieder die Erinnerung seines früheren Lebens bis zur Abfahrt in Darmstadt, aber keine Erinnerung an die ganze Reise. Was da geschehen war, konnte man nur aus äußeren Mitteilungen fest­stellen. Das ist ein Beispiel. Ich könnte viele ähnliche Beispiele erzählen. Es soll dieses Beispiel nur darauf aufmerksam machen, wie unser Leben wäre, wenn nicht eine kontinuierlich fortlaufende Erinnerung durchginge durch alle unsere Erlebnisse. Denken Sie sich, wenn für irgendeine Zeit außerhalb derjenigen, die Sie verschlafen haben - an die erinnern Sie sich ja natürlich nicht -, aber denken Sie sich, wenn für irgendeine Zeit außer­halb derjenigen, die Sie verschlafen haben, keine Erinnerung da sein würde, was Sie da über Ihr Ich als Mensch denken müßten. Dasjenige, was zu unserer Sinnesempfänglichkeit gehört, zu unserer Intelligenz gehört, es ist unsere persönliche Angelegenheit. In dem Augenblicke, wo die Sache anfängt, erinnerungsmäßig zu werden, ist dasjenige, was der Mensch in seinem Seelenleben erlebt, eine Auseinandersetzung mit dem Universum, eine Auseinandersetzung mit der Welt. In der Intensität, in der es notwen­dig ist, weiß die gegenwärtige Menschheit noch nicht, daß dies, was ich auseinandergesetzt habe, eine Tatsache ist. Aber es wird zu den Bestand-teilen der Zukuuftsbildung der Menschheit gehören, die beim ätherischen Menschen zur Erinnerung führen, nicht als eine bloß persönliche Ange­legenheit sie zu betrachten, sondern als etwas, wodurch der Mensch der Welt verantwortlich ist.

Ich habe Ihnen, als ich diese Vortragsserie hier begann, davon gesprochen,

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wie zunächst einmal vorhanden war in der Zeit, in die wir gewöhn­lich in der Geschichte zurückgehen, zum Beispiel noch bei den Griechen, ein Landbewufitsein, das nicht weit ging. Wie dann dieses Bewußtsein sich umwandelte in ein Erdbewußtsein, aber erst in der neueren Zeit eintreten muß für die Zukunft der Menschheit ein kosmisches, ein Weltbewufitsein, wie sich der Mensch wiederum wissen muß - das war ja auch in Urzeiten der Fall - als ein Bürger des ganzen Kosmos. Der Weg dazu wird sein, klar und deutlich in sich die Verantwortlichkeit zu fühlen für das Gedachte, das zur Erinnerung führen kann.

Dasjenige aber, was ich Ihnen bis jetzt geschildert habe, gehört, wie ich Ihnen sagte, einem großen Teile des Menschen an, nicht aber eigentlich dem ganzen Menschen. Und um Ihnen zu charakterisieren, was hier der Fall ist, muß ich es Ihnen schematisch andeuten. Nehmen wir an, das wäre die Sinnesregion, wobei ich alle Sinne zusammenfasse, die Verstandes-region: ja, dann kämen wir gewissermaßen bis zu demjenigen im mensch­lichen Organismus, das die Gedanken, die wir hegen, zurückwirft, so daß sie Erinnerungen werden können, dasjenige, was im Menschen zusammen-stößt mit der Objektivität des Kosmos. Ich habe Ihnen schon einmal auf die Stellen im Menschenleib hingedeutet, in denen der Mensch zusammen-stößt mit dem Kosmos.

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Wenn Sie verfolgen, sagen wir zum Beispiel einen Nerv, der von irgend­einer Stelle des Leibes nach dem Rückenmark geht, so finden Sie für jeden solchen Nerv auch einen anderen, oder wenigstens annähernd für jeden solchen Nerv auch einen anderen, der irgendwoher wiederum zurückführt irgendwohin. Die Sinnesphysiologen nennen das eine einen sensitiven Nerv, das andere einen motorischen Nerv.

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Über den Unsinn, daß es sensitive und motorische Nerven gäbe, habe ich ja des öfteren schon gesprochen. Aber das Wichtige ist, daß eigentlich jede ganze Nervenbahn an dem Umfang des Menschen entspringt und wiederum zum Umfang zurückgeht, aber irgendwo unterbrochen ist, wie ein elek­trischer Draht, wenn er einen Funken überspringen läßt. Das ist eine Art Überspringen, ein sensitives Fluidum von dem sogenannten sensitiven bis zu dem sogenannten motorischen Nervenanfang. Und an den Stellen -solche Stellen sind sehr viele, in unserem Rückenmark zum Beispiel, und in anderen Partien unseres Leibes - sind auch die Raumesstellen, wo der Mensch sich nicht allein selber angehört, wo er dem Weltenall angehört. Wenn Sie alle diese Orte miteinander verbinden, dazu auch die Ganglien des Sympathikus nehmen, dann bekommen Sie diese Grenze, auch leiblich-physiologisch diese Grenze. So daß Sie sagen können: Sie halbieren gewisser­maßen den Menschen - es ist dieses mehr als die Hälfte, aber nebmen wir an, wir halbieren den Menschen - und betrachten ihn wie ein großes Sinnesorgan, betrachten das Aufnehmen durch die Sinne überhaupt als die Sinnesempfänglichkeit, das Verarbeiten durch den Verstand als eine weitere feinere Sinnestätigkeit, das Entstehen der Erinnerungsbilder als Nachbilder, die aber bleibend sind für das Leben zwischen Geburt und Tod, weil auf-gestoßen wird, wenn die Erinnerung sich bildet, an dem Weltenäther. Unser eigener Äther stößt an den Weltenäther auf, und es finden Ausein­andersetzungen zwischen uns und dem Weltenäther statt. Der andere Teil des Menschen ist der, welcher gewissermaßen zu seinem Endorgan die Gliedmaßen hat, alles, was Gliedmaßen sind. So wie dieser eine Teil die Sinnessphäre zum Endorgan hat, so hat der andere Teil des Menschen die anwachsenden Gliedmaßen: die Füße wachsen an, die Arme wachsen an. Es ist natürlich grob und schematisch gezeichnet.

Das ist dasjenige, wovon ich ebenso alles, was willensartig ist, nach innen zeichnen müßte, wie ich von den Sinnen aus gezeichnet habe alles, was

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intelligenzartig ist, und das schließt sich ali den anderen Teil des Menschen an. Dieses Willensartige ist der andere Pol des menschlichen Wesens. Zwischen beiden liegt eben die Grenze, die innere Grenze, die Sie bekom­men, wenn Sie alle Nervenendigungen und alle Gariglien verbinden. Wenn Sie diese Grenze von der einen Seite etwas überschreiten, so daß Sie sich diese Grenze wie ein Sieb denken - auf der einen Seite drängte durch die Löcher dieses Siebes der Wille, und wiederum drängte auf der anderen Seite Intelligenz durch die Löcher dieses Siebes - dann bekommen Sie in der Mitte das Gemüt, die Fühlsphäre. Denn alles das, was zum Fühlen gehört, ist eigentlich halb Wille und halb Intelligenz. Der Wille drängt von unten, die Intelligenz von oben: das gibt das Fühlen. Im Fühlen ist immer traumhaft auf der einen Seite die Intelligenz. auf der anderen Seite schlafend der Wille darinnen.

Nachdem wir so gewissermaßen den Menschen geisteswissenschaftlich präpariert haben - auf der einen Seite den Intelligenzpol, auf der anderen Seite den Willenspol -, nachdem wir gesehen haben, daß die physischen Organe nach oben der Ausdruck des Intelligenzpoles sind, können Sie niin &agen: Mit was in der Außenwelt stimmt dasjenige, was da im Menschen drinnen ist - wir haben jetzt die zwei Pole, die zwei Seiten des Menschen-wesens kennen gelernt - eigentlich überein? Mit nichts, mit gar nichts in Wirklichkeit. Wir haben in der Außenwelt ein mineralisches, ein pflanzliches,

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ein tierisches Reich. Mit keinem dieser Reiche stimmt dasjenige, was der Mensch im Innern ist, auch leiblich ist, irgendwie wahrhaftig überein.

Sie werden jetzt einen gewichtigen Einwand machen können, einen Einwand, der selbstverständlich furchtbar nahe liegt. Sie werden sagen:

Nun ja, wir bestehen doch aus denselben Stoffen wie die Außenwelt, denn wir essen diese Stoffe und vereinigen uns also mit den Stoffen des mineralischen Reiches, indem wir uns unsere Speisen salzen, andere mine­ralische Stoffe zu uns nehmen, ebenso Pflanzen. Es gibt ja auch Fleischesser, nicht wahr, die vereinigen sich auch mit den Substanzen der Tiere und so weiter. Es ist aber so, daß in diesem Glauben, wir hätten nun wirklich in der eigenen Leiblichkeit etwas zu tun mit den Stoffen der Außenwelt, ein furchtbarer Irrtum steckt. Das was unsere Leiblichkeit eigentlich tut, ist, daß sie sich fortwährend wehren muß gegen die Einflüsse der Außenwelt, auch gegen die Einflüsse, die mit den Nahrungsmitteln in uns kommen. Diese Tatsache ist sogar unsern Mitmenschen heute noch sehr schwer ver­ständlich zu machen, denn das Wesentliche unseres Leibes besteht nicht darinnen, daß wir die Nahrungsstoffe aufnehmen, sondern daß wir sie wieder herausschaffen. Manches schaffen wir sehr rasch heraus, manches aber erst im Laufe von sieben, acht Jahren. Aber nichts von dem, was Sie heute gegessen haben, tragen Sie nach acht Jahren noch in sich. Denn das ist alles ausgetauscht, und die Tätigkeit Ihres Leibes besteht im Heraus-schaffen, nicht im Aufnehmen.

Daß Sie aufnehmen müssen, das hat nämlich für Ihren Leib im Grunde keine andere Bedeutung, als was der Boden für Ihr Gehen ist. Wenn Sie keinen Boden unter den Füßen hätten, könnten Sie nicht gehen, aber Sie haben mit dem Boden als Mensch nichts zu tun, er muß Sie nur halten. So muß bloß Ihre Leibestätigkeit eine Widerlage haben, sie muß fortwäh­rend auf etwas aufstoßen, daher muß man fortwährend essen, damit die Leibestätigkeit auf etwas aufstößt. Gerade wie Sie versinken würden in den Boden, so würde die Leibestätigkeit versinken in die Nullität, wenn sie nicht fortwährend an dem Boden, der bereitet wird - aber jetzt durch­dringt er eben den ganzen Leib -, aufstoßen würde. Sie essen nicht, um die Nahrungsmittel mit sich zu vereinigen, sondern Sie essen, um die Tätigkeit vermitteln zu können, die zum Herausschaffen der Nahrungsmittel not­wendig ist. Denn in der Tätigkeit des Herausschaffens der Nahrungsmittel

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besteht Ihre Menschenwesenheit. Und so wenig, wie Sie den Fußboden zu der Sohle Ihres Fußes rechnen dürfen, so wenig dürfen Sie dasjenige, was in dem Nahrungsmittel ist, soweit es irgendwie in der Außenwelt vorhanden ist, zu Ihrer Menschlichkeit rechnen, wenn Sie die Wahrheit denken wollen. Der Mensch ist im ganzen nichts weiter als eine Reaktion gegen dasjenige, was seine Umwelt ist. Eine Reaktion ist der Mensch, durchaus eine Reaktion. Denn der Mensch ist im Grunde genommen durch und durch Tätigkeit.

Das, was ichjetzt auseinandergesetzt habe, £indetja in sehr verschiedener Weise statt für die Organe der Sinnes- und Intelligenzsphäre, ganz anders für die Organe der Willenssphäre. Gewiß, insofern ist der Mensch eine polarische Wesenheit. Aber mit dem, was in der Außenwelt ist, hat das­jenige, was da in diesen zwei Polen der menschlichen polarischen Wesen-heit vor sich geht, nicht viel zu tun.

Wir haben in der Außenwelt das mineralische, das pflanzliche Reich. Dieses mineralische, dieses pflanzliche Reich, das ist nicht innerlich stark verwandt mit unserm eigenen Wesen. Wollen wir etwas aufsuchen, womit dieses Mineral- und pflanzliche Reich verwandt sind, dann müssen wir in die Welt schauen, die wir durchleben vor unserer Geburt, die wir durch­machen, bevor wir durch Geburt beziehungsweise Konzeption aus der geistigen Welt in die physische Welt herabsteigen. Wenn wir den Blick über die Pflanzenwelt und über die mineralische Welt werfen, dann müssen wir uns eigentlich sagen: Ich war vor meiner Geburt in einer geistigen Welt. Diese geistige Welt schaue ich nicht durch meine physischen Sinne, denke sie nicht durch meinen physischen Verstand. Aber diese Welt, die nur also wie durch einen Schleier verhüllt ist, wenn ich Sinnesmensch bin, diese Welt offenbart sich äußerlich in der Pflanzenwelt und in ihrer Grund­lage der mineralischen Welt. Viel mehr mit unserem außerweltlichen Leben hat mineralische und pflanzliche Welt zu tun, als mit unserem Leben zwi­schen Geburt und Tod. Natürlich nicht diejenigen Pflanzen, die wir durch unsere Sinne in der Umgebung sehen, die sich uns hier offenbaren: die sind die Wirkungen derjenigen Kräfte, mit denen wir zwischen Tod und neuer Geburt zusammenhängen. Und das Tierreich hat auch nicht sehr viel mit demjenigen zu tun, was wir als Menschenwesenheit sind, hat eher zu tun mit der Zeit unmittelbar nach dem Tode, von der es eine äußerliche,

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polarisch entgegengesetzte Offenbarung ist. So daß wir sagen können:

Was im Menschen ist, lernen wir nicht kennen, wenn wir die Umgebung des Menschen naturwissenschaftlich kennen lernen. Und so ist es denn der Fall, daß diejenige Wissenschaft, welche die Gegenwart hat, welche die Gegenwart besonders schätzt, eine Wissenschaft ist, die nichts vom Men­schenwesen eigentlich in Wirklichkeit enthält. Sie können alles dasjenige, was nach naturwissenschaftlicher Methode heute erforscht wird, von Grund aus kennen, und Sie lernen dadurch gar nichts kennen über die Wesen­heit des Menschen, denn in dem naturwissenschaftlichen Erkennen ist die Wesenheit des Menschen nicht enthalten.

Nun sind aber seit den letzten vier Jahrhunderten alle unsere populären Vorstellungen entsprungen aus der Popularisierung der naturwissenschaft­lichen Methode. Naturwissenschaftlich denkt im Grunde genommen heute schon selbst der Bauer auf dem Lande draußen, wenn er das auch noch in seine eigenen Worte kleidet. Naturwissenschaftlich denkt im Grunde ge­nommen selbst der Katholizismus mit seinem dogmatischen Materialismus. Naturwissenschaftliches Denken beherrscht im Grunde genommen alles. Aber wir sind ja heute in dem Zeitpunkte angelangt, in dem es notwendig geworden ist, die soziale Ordnung aufzubauen. Einen großen Teil der heute zivillsierten Welt - und dieser Teil wird immer größer und größer und schließlich zur ganzen zivilisierten Welt werden - drängt es heute, einen sozialen Neuaufbau zu errichten. Die Menschen denken nach über den sozialen Aufbau. Soziale Forderungen leben heute in der zivilisierten Menschheit. Woraus sind sie entsprungen? Sie sind aus sehr unterbewußten Impulsen in der Menschennatur entsprungen. Womit will man sie befrie­digen? Mit Ergebnissen naturwissenschaftlichen Denkens. Und die naturwissenschaftlichen Ergebnisse nennt man heute im weitesten Umkreise «soziales Denken», weil man diese Ergebnisse anwendet auf das soziale Leben der Menschen.

So ist es geschehen, daß im Osten Europas aus rein naturwissenschaftlich-materialistischem Denken eine neue Staats-Sozial-Ordnung aufgerichtet werden soll. Die Männer, die Dr. Heiphand, der sich Parvus nennt, nach der Anleitung von Ludendorff und Hindenburg nach Rußland importiert hat, damit sie dort den Bolschewismus machen, diese Männer sind die verkör­perten naturwissenschaftlichen Methoden. Man kann sogar sagen: Die

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praktische Probe, was die naturwissenschaftliche Methode wird, wenn sie in den Köpfen gewisser Sozialrevolutionäre Wurzel faßt, zeigen uns die Männer des Bolschewismus. Die verkörperte naturwissenschaftliche Me­thode haust heute in Rußland durch Helphands Schaifherdienste, denn er hat den plombierten Wagen geführt durch Deutschland durch, um die Männer des Bolschewismus unter der Aegide von Ludendorff und Hin­denburg nach Rußland zu führen.

Man soll die Tragweite dieser verkörperten naturwissenschaftlichen Me­thode nicht übersehen! Ich habe Sie auf einige Tatsachen aufmerksam ge­macht. Es gibt zwei Philosophen, höchst bürgerlich spießige Philosophen waren es. Der eine hat gelehrt an der Zürcher Universität, Aveuorius, ein Mensch, der ganz gewiß darauf gehalten hat, ein bürgerlich-spießiges Denken zu entwickeln. Der andere ist Ernst Mach, der in Prag, in Wien gelehrt hat. Ich habe ihn selbst 1882 in der Wiener Akademie der Wissen­schaften vortragen hören. Er ist mir immer so etwas wie die Inkarnation bürgerlicher Spießigkeit und Rechtschaffenheit erschienen, dieser Ernst Mach. Wenn Sie heute nach der «Staatsphilosophie» des Bolschewismus fragen, so ist es nicht ein Zufall, sondern eine innere Notwendigkeit, daß die Avenariussche und Machsche Philosophie die Staatsphilosophie ist, denn diese Dinge gehören zusammen: äußerste Konsequenz naturwissen­schaftlicher Methode umgewandelt in Metamorphose auf soziales Denken. Deshalb muß man die Sache auch ernst nehmen. Zuerst blühte das naturwissenschaftliche Denken als soziale Blüte im Osten auf Es wird schon weiter aufblühen, wenn man nicht die Sache an der Wurzel anpackt, am naturwissenschaftlich-materialistischen Leben selber.

Es handelt sich darum, daß heute eine gewisse Welle des Denkens und Empfindens durch die Welt geht. Erregt wird diese Welle durch das sozial-wissenschaftliche materialistische Denken. Indem diese Welle sich ausbrei­tet, ergreift sie heute das notwendig soziale Denken, wird da zur zerstöre­rischen Gewalt der Menschheit, zur absoluten zerstörerischen Gewalt der Menschheit. Die leitenden, führenden Kreise haben nicht die Macht und Kraft gehabt, hineinzugießen in das menschliche Denken eine wirklich tragende geistige Welle. Deshalb ist aufgegangen in den breiten Massen des Proletariats die materialistische Welle, im sozialen Denken der breiten Masse des Proletariats. Und der Marxismus, der wiederum so grotesk

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aufgelebt ist in den letzten vier bis fünf Jahren, das ist die soziale Blüte und Frucht der materialistisch- naturwissenschaftlichen Methode im sozialen Denken. Man sollte nicht verkennen, daß das die Konfiguration der gegenwärtigen zivilisierten Welt ist. Sieht man sie nicht, so verschläft man die wichtigsten Erscheinungen und Symptome dieses Lebens. Man ist nicht voll Mensch in der Gegenwart, wenn man diese Erscheinungen verschläft.

Einzelne Menschen ragen heraus aus dem allgemeinen Urteil. Diese ein­zelnen Menschen fühlen heute schon bis zu einem gewissen Grade: Wenn wir so fortdenken und fortempfinden, wie wir es getan haben, können wir nicht weiter, es geht nicht. Wir kommen in das Chaos immer weiter hinein. Darum sind Weckrufe von der Art wie der Folgende heute zwar selten, aber sie sind schon da, diese Weckrufe. Einen solchen Weckruf lassen Sie mich Ihnen vorlesen.

Im 31.132. Heft der kultursozialistischen Wochenschrift «Neue Erde» in Wien erschien ein interessanter Aufsatz unter dem Titel «Weltanschau­ungskrise» von Karl Polanyi. Darin wird gesagt, daß ein allgemeiner Widerwille gegen die kapitalistische Wirtschaftsordnung eingesetzt habe, zugleich mit einer Abkehr vom marxistischen Sozialismus.

«Es herrscht heute noch eine Verquickung von Marxismus und Sozia­lismus, die das Ärgernis alles modernen Denkens ist. Jeder Anlauf zur intel­lektuellen Förderung der brennendsten sozialen Probleme der Zeit scheitert in dem Sumpfe dieser geistigen Niederung... »

«. . . Der Ausbruch des Weltkrieges war die Wende für alles kapitali­stische und damit marxistische Denken. Die Führer der Menschheit er­kannten es klar und die Massen fühlten es dumpf, daß nimmermehr die sogenannten Lebensinteressen die Welt beherrschen, sondern Kräfte ganz anderer Art und anderen Wesens. Erwiesen sich doch die allgegenwärtigen wirtschaftlichen Interessen, denen die Imperiahsten nachjagten und gegen die die Sozialisten im Windmühlenkampf ankämpften, nicht bloß als irreal und abstrakt bis zur Phrasenhaftigkeit, sondern auch als bloßer ökonomi­scher Aberglaube und leeres Hirngespinst. Klar trat es vor Augen, daß nicht das Materielle, sondern die Vorstellung von diesem Materiellen die Trieb-kraft ist, und wäre diese Vorstellung noch so falsch und noch so irrig, -daß es mithin die Vorstellungen und nicht das Materielle ist, was die Massen lenkt. Ja, auch die Vorstellung des materiellen Interesses, dieses angeblich

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Konkretesten und Wirklichsten, wird erst historisch wirksam, sobald sie zum Glauben erhöht wird, wenn erst die Opfer nicht mehr gezählt wer­den, die man ihr darbringt, und ihr Selbstwert allein für alles Irrationelle, das in ihrem Namen verübt wird, zur Entschädigung und zur Rechtferti­gang dient. Diese Zeit allerungeheuerlichster Paradoxe glaubte an den Ego­ismus. Er wurde nicht mehr abgeleugnet, nicht mehr idealistisch über­tüncht; im Gegenteil! Die Menschheit zog in den Tod im geheiligten Namen von wirtschaftlichen Lebensinteressen, die sie mit einem Glorienschein umgab, und des Sacro Egoismo, der sich selbst zum Himmel erhoben hatte. Das Materielle hatte sich selbst zum einzigen Ideellen erklärt und damit vollendete die materialistische Welt ihre Bahn. Hatten doch diese Idealisierung des Ma­teriellen als des einzig Wirklichen und Wesenhaften die Kapitalisten schon Vaterland genannt, die Marxisten aber offen: Sozialismus! »

«Utilitaristische Ethik, materialistische Geschichtsauffassung, positivi­stische Erkenntnislehre, deterministische Philosophie: sie sind in der neuen Atmosphäre nicht mehr lebensfähig. Der Marxismus aber als Weltanschau­ung ist auf diese Pfeiler aufgebaut. Seine Zeit ist um.»

So sehen Sie den Weckruf einer Seele, die immerhin das Negative, in das Chaos unserer Zeit hinein Führende sieht. Und jetzt kommt die Frage, eine furchtbare Schicksalfrage. Diese ist:

«Was soll an seine Stelle treten?»

Diese Frage wirft derselbe auf, der alles das geschrieben hat, was ich Ihnen eben vorgelesen habe. Er sagt weiter:

«Die Beantwortung dieser Frage ist für das Schicksal des Marxismus nicht bestimmend. Für aufrichtige und nach Klarheit strebende Geister ist dies ein untergeordnetes Bedenken. Erlösche auch die Sonne, man müßte sich eher im Dunkeln zurechtfinden, als ein Irrlicht für die Sonne auszu­geben.»

«Was aber unserem Geschlechte die Sonne verdunkelt, ist eine neue, noch hellere und strahlendere, die am Horizont aufgeht. Vom Alpdruck einer Entwickelungslehre befreit, in deren Tretmühle wir zur ewigen Zusam­menarbeit verurteilt, ruhelos und heimatlos, unser sinnloses Dasein fristeten, aus der Halluzination einer verkehrten Geschichtsauffassung erwacht, die im Weltgeschehen nicht das Echo der Rufer im Streite, sondern in ihrem Rufe das bloße Echo des Weitgeschehens zu hören wähnte. der Zwangsvorstellung

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eines clownhaften Determihismus entwachsen, die unsere Willens­freiheit als Zufallsspiel hinter der Szene wirkender Kräfte hinstellte, von dem Glauben an der toten Menge endlich zum Glauben an uns selbst ge­boren, werden wir die Kraft und die Berufung in ans fmden, die Forde­rangen des Sozialismus nach Gerechtigkeit, nach Freiheit und nach Liebe auch zur Wirklichkeit der Menschheit zu machen.»

Ja, eine sehnsüchtige Seele, die sieht: wir steuern dem Chaos entgegen, die sogar die schicksalsschwere Frage aufwirft: Was soll an seine Stelle treten?, und die dann fortsetzt mit der Antwort, und die alten Phrasen nur aufzutischen hat, die eben zu Worthülsen geworden sind: Gerechtigkeit, Freiheit und Liebe. Lange genug sind sie gepredigt worden. Der konkrete Weg ist in dieser Phrase wahrhaftig nicht enthalten.

«Der marxistische Sozialismus verdunkelt heute bloß die Schicksalsfrage, vor der die Menschheit steht, er unterbindet die freien Kräfte einer radikalen Lösung, hält das Denken im Halbdunkel einer überlebten Dogmenwelt, versagt das Handeln durch dunkle Weissagungen, obskure Autoritäten und mystische Symbole. Er verstellt der Menschheit die freie Aussicht.»

Richtig: « Er verstellt der Menschheit die freie Aussicht» - aber durch Phrasen wird diese Aussicht nicht frei gemacht! Und dann fährt der Ver­fasser weiter fort:

«Die Kirche hat ihren Beruf um tausend Jahre überlebt. Der Mansmus mag uns überleben, aber der neue Geist, der aus dem Jammer dieses Welt­krieges der Menschheit geboren wurde, wird ihn gewiß überdauern.»

Aber wo ist der neue Geist? So sagt der Verfasser, der, wie es scheint, eine Empfmdung hat für die Nullität unserer Zeit, für dasjenige, was in das Chaos hineinführt. Nun, ein Freund von uns, der lang schon innerhalb unserer Weltanschauung steht, fügt zu dem, was ich Ihnen eben vorgelesen habe, einige Zeilen hinzu. Das, was ich Ihnen bisher vorgelesen habe, ist eben von demjenigen, der sieht, daß etwas Neues kommen müsse, der aber schließlich bei den alten Phrasen bleibt. Unser Freund fügt hinzu:

« Hier sehen wir eine Weltauffassang, die einsieht, daß der Marxismus, wie er heute in seiner konsequentesten Form im Bolschewismus auftritt, zum alten Denken gehört. Er ist nur das Widerspiel der alten kapitalisti­schen Welt. Er krankt ebenso wie diese am Geistesleben. Ist er im Wirt­schaftlichen ihr Gegner, so ist er mit ihr in der geistigen Grundlage eins.

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An seine Stelle und an die der modernen naturwissenschaftlichen Welt­anschauung soll treten eine neue, die aus einer ,Philosophie der Freiheit' hervorgegangene anthroposophische Weltanschauung.»

Das sind allerdings wenige Zeilen, von einem Freunde unserer Bewegung hinzugefügt, aber klar ist es dem, der hineinschaut in das Getriebe des heutigen Menschtums, daß ja, weil die Dinge so sind, diese anthroposophi­sche Geisteswissenschaft auftreten will. Und ehe man nicht zugeben wird, daß der Krankheitsprozeß unseres gegenwärtigen Lebens nur geheilt wer­den kann durch anthroposophisch orientierte Geistesforschung, wird aus dem Chaos nicht herauszukommen sein.

Man kann deshalb ohne Unbescheidenheit sagen: Wenn sich nur recht viele fänden, welche auf die Frage: «Was soll an seine Stelle treten?», die­selbe Antwort geben würden wie der Dr. Kolisko in Wien sie diesem Karl Polanyi gegeben hat. Solange man glauben wird, daß das Heil unserer Bewegung in irgendeiner Sektiererei zu suchen ist, wird man niemals den Sinn dieser Bewegung erkennen. Erst wenn man einsehen wird, daß wir es zu tun haben mit einer Weltangelegenheit, wird man den Sinn dieser Be­wegung erkennen.

Nur derjenige kann ein wirklicher Träger dieser Weltanschauung sein, der in dieser Weise ihren Sinn nicht nur erkennt, sondern zum innersten Impuls des eigenen Willens macht. Ich möchte nicht durch viele Worte verbrämen dasjenige, was ich in diesem Vortrage Ihnen sagen wollte. Wir werden uns ja in nicht allzulanger Zeit hier zu ähnlichen Besprechungen wieder sehen. Wir brauchen gar nicht einmal Abschied zu nehmen, denn es wird diesmal nicht so lange dauern.

Aber ich muß doch sagen, daß es einem tiefen Bedürfnis meines Herzens entsprechen würde, wenn recht viele von Ihnen die Worte, durch die ich hinweisen wollte auf ein Wichtigstes in unserer jetzigen Weltenlage, gerade iii den nächsten Wochen recht stark beherzigen würden.

Wir haben von mancherlei schädigenden Einflüssen aus der elementari­schen Welt in dieser unserer jetzigen Zeit gesprochen. Sie wissen, daß eine alte, wahre Anschauung, die man nur richtig verstehen muß, davon spricht, daß mit dem Ende des bürgerlichen Jahres, wenn die Weihnachtszeit heran-rückt, jene Tage kommen, in denen der geistigste Einfluß, der innerhalb der Erdensphäre auf den Menschen geschehen kann, am intensivsten ist.

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Suchen wir vielleicht gerade in dieser Zeit, die durch Jahrhunderte hin-durch Menschen so wichtig und wesentlich war - die in unserer Zeit nicht viel mehr ist als eine Zeit, «passende Geschenke » zu geben -, suchen wir in dieser Zeit vielleicht doch, einem alten Seelengebrauche entsprechend, unsere Zuflucht bei jenen auch alten geistigen Mächten, die immerhin noch auf unser Menschenschicksal Einfluß gewinnen können, wenn wir den ganzen Ernst auf unsere Seele wirken lassen, der in der Beziehung der geistigen Welt zur menschlichen Welt besteht!

Das ist dasjenige, was ich heute zu Ihnen sprechen wollte.

Wenn ich wiederum hier vortragen werde, wird es Ihnen ja bekannt gegeben werden.

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NEUNTER VORTRAG Dornach, 12. Dezember 1919

Da sich unsere Abreise noch um einige Tage verzögert hat, bin ich heute, morgen und übermorgen in der Lage hier zu Ihnen zu sprechen. Es gereicht mir das zur besonderen Befriedigung, da eine Anzahl Freunde aus England hier angekommen sind, zu denen ich auf diese Weise auch noch vor der Abreise einiges werde sprechen können.

Diese Freunde werden gesehen haben, daß unser Bau des Goetheanum in den schweren Jahren fortgeschritten ist. Er konnteja allerdings bis zum heu­tigen Tage nicht vollendet werden, und wir können auch kaum heute irgendeinen Zeitpunkt seiner Vollendung mit Bestimmtheit voraussagen. Aber dasjenige, was heute schon vorhanden ist, wird Ihnen zeigen, aus welchen geistigen Grundlagen heraus dieser Bau erwachsen ist und wie er zusammenhängt mit der geistigen Bewegung, die hier vertreten wird. Daher wird es gerade bei dieser Gelegenheit, wo ich nach langer Zeit auch wiederum zu unseren englischen Freunden in größerer Zahl sprechen kann, gestattet sein, heute den Ausgangspunkt der Betrachtungen gerade von unserem Bau selbst zu nehmen. Wir werden dann in den beiden fol­genden Tagen an dasjenige, was im Zusammenhang mit dem Bau gesagt werden kann, einiges andere anschließen können, von dem behauptet werden darf, daß es vielleicht gerade in der Gegenwart wichtig ist ausge­sprochen zu werden.

Wer unseren Bau, der ja heute wenigstens seiner Idee nach schon zu überschauen ist, betrachtet, dem wird der eigentümliche Zusammenhang dieses Baues mit unserer geistigen Bewegung auffallen, und er wird einen Eindruck bekommen, vielleicht gerade aus diesem Bau, dieser Repräsentanz unserer Geistesbewegung, welcher Art diese Bewegung sein will. Denken Sie, wenn irgendeine, wenn auch noch so ausgebreitete sektiererische Bewegung in die Notwendigkeit sich versetzt gefühlt hätte, für ihre Ver­sammlungen ein solches Haus zu bauen, was würde geschehen sein? Nun, es würde, entsprechend den Bedürfnissen dieser Gesellschaft oder Vereini­gung, ein mehr oder weniger großer Bau aufgeführt worden sein in diesem oder jenem Baustile, und Sie hätten vielleicht innerhalb dieses Baues durch

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das eine oder durch das andere mehr oder weniger sinnbildliche Zeichen einen Hinweis gefunden auf dasjenige, was in diesem Bau gemacht werden soll. Sie hätten vielleicht auch da oder dort ein Bild gefunden, das hinge-wiesen hätte auf das, was in diesem Bau beabsichtigt wird gelehrt oder sonst vorgebracht zu werden. Das alles, werden Sie bemerkt haben, hat sich so für diesen Bau des Goetheanum nicht vollzogen. Dieser Bau ist nicht nur in äußerlicher Weise zum Gebrauche der antliroposophischen Bewegung oder der Anthroposophischen Gesellschaft hingestellt worden, sondem so wie er lasteht, in allen seinen Einzelheiten, ist er herausgeboren aus dem, was in geistiger Beziehung und auch sonst unsere Bewegung vor der Welt vor­stellen will. Diese Bewegung konnte sich nicht damit begnügen, ein Haus aufzurichten in diesem oder jenem Baustile, diese Bewegung fühlte sich in dem Augenblicke, in dem die Rede sein konnte von dem Bau eines sol­chen eigenen Hauses, gedrungen, einen eigenen Stil aus den Grundlagen unserer Geisteswissenschaft heraus zu finden, einen Stil, durch den in allen Einzelheiten ausgedrückt ist dasjenige, was als geistige Substanz durch diese unsere Bewegung fließt. Hier zum Beispiel wäre undenkbar gewesen, ein beliebiges Haus in einem beliebigen Baustil gerade für diese unsere Be­wegung etwa herstellen zu lassen. Daraus sollte man von vornherein schlie­ßen, wie weit abstehend dasjenige ist, was mit dieser Bewegung gedacht ist, von irgendwelcher, sei es auch noch so stark verbreiteten sektiererischen oder ähnlichen Bewegung. Wir hatten nötig, nicht bloß ein Haus zu bauen, sondern einen Baustil zu finden, der genau dasselbe ausspricht, was durch jedesWort, durchjeden Satz unserer antliroposophisch orientierten Geistes­wissenschaft ausgesprochen wird.

Ja, ich habe die Überzeugung, daß wenn man hinlänglich eingehen wird auf das, was in den Formen dieses Baues wirklich empfunden werden kann

- beachten Sie, ich sage: empfunden werden kann, nicht spintisiert wer­den kann -, daß der, welcher dies empfinden kann, aus den empfundenen Formen dieses Baues wird ablesen können dasjenige, was sonst ausgespro­chen wird durch das Wort.

Dies ist keine Äußerlichkeit, dies ist etwas, was innerlichst zusammen­hängt mit der ganzen Art, wie diese geistige Bewegung gedacht ist. Diese geistige Bewegung will etwas anderes sein, als namentlich jene geistigen Bewegungen, welche in der Menschheit nach und nach heraufgekommen

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sind seit dem Beginne der fünften nachatlantischen Kulturperiode, sagen wir, seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts. Und die Überzeugung liegt zugrunde, daß es heute, daß es dieser Gegenwart notwendig ist, etwas an­deres in die Evolution der Menschheit hineinzustellen, als sich bisher seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts in diese Menschheitsevolution hineingestellt hat. Das Charakteristischste für alles dasjenige, was sich in der zivilisierten Menschheit in den letzten drei bis vier Jahrhunderten vollzogen hat, scheint mir das Folgende zu sein: Die äußere Lebens-praxis im weitesten Umkreise, die sich ja im starken Maße mechanisiert hat, bildet heute ein Reich für sich. Sie bildet ein Reich für sich, wel­ches gewissermaßen wie ein Monopol in Anspruch nehnien diejenigen, die sich einbilden Lebenspraktiker zu sein. Neben dieser äußeren Lebens-praxis, die sich auf allen Gebieten des sogenannten praktischen Lebens ausgestaltet hat, haben wir eine Summe von geistigen Anschauungen, Weltanschauungen, Philosophien oder wie man es nennen wifl, die im Grunde genommen nach und nach, aber insbesondere im Laufe der letzten drei bis vier Jahrhunderte, lebensfremd geworden sind, die gewissermaßen in dem, was sie dem Menschen geben an Gefühlen, an Empfindungen, über der eigentlichen Lebenspraxis schweben. Und so kraß ist die Differenz zwischen diesen beiden Strömungen, daß man sagen kann: Mit unserer Gegenwart ist die Zeit angebrochen, in der sich diese zwei Strömungen durchaus nicht mehr verstehen, oder vielleicht besser gesagt, in denen sie keine Anknüpfungspunkte finden, um gegenseitig aufeinander zu wirken. Wir versorgen heute unsere Fabriken, wir bringen unsere Eisenbahnen zum Fahren über die Schienen und wir schicken unsere Dampfschiffe über die Meere, wir lassen unsere Telegraphen und Telephone spielen, wir tun das alles, indem wir gewissermaßen die Lebensmechanik automatisch ablaufen lassen und uns selber hineinspannen lassen in diese Lebensmechanik. Und wir predigen daneben. Man predigt eigentlich viel. Die alten Kirchen-bekenntnisse predigen in den Kirchen, die Politiker predigen in den Parla­menten, die verschiedenen Bestrebungen auf den verschiedenen Gebieten reden von den Forderungen des Proletariats, von den Forderungen der Frauen. Viel, viel wird gepredigt, und der Inhalt dieses Predigens, er ist ja im Sinne des heutigen Menschheitsbewußtseins etwas gewiß klar Gewolltes. Aber wenn wir uns fragen würden: Wo ist die Brücke zwischen dem, was

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wir predigen und dem, was unser äußerliches Leben in seiner Praxis zim­mert, so würden wir, wenn wir ehrlich und wahrheitsgemäß antworten wollten, eine richtige Antwort nicht finden aus der gegenwärtigen Zeit-bewegung heraus.

Nur deshalb erwähne ich die folgende Erscheinung, weil dies am an­schaulichsten durch diese Erscheinung zu Tage tritt: Sie wissen ja, es gibt für die heutige Menschheit außer allen übrigen Gelegenheiten zu predigen allerlei Geheimgesellschaften. Nehmen wir von diesen Geheimgesellschaf­ten, sagen wir, die gewöhnlichen Freimaurer-Logen, auch diejenigen mit ihren allertiefsten Graden oder höchsten Graden, da finden wir eine Sym­bolik: Dreieck, Kreis, Wirikelmaß und ähnliches. Wir finden sogar ein in solchen Zusammenhängen häufig gebrauchtes Wort: Der Baumeister aller Welten.

Was ist das alles? Ja, wenn wir zurückgehen ins neunte, zehnte, elfte Jahrhundert und uns die zivilisierte Welt ansehen, innerhalb welcher diese Geheimgesellschaften, diese Freimaurer-Logen wie eine Créme in der Zivilisation sich ausbreiteten, da fmden wir, daß all die Instrumente, die heute als Symbol auf dem Altare dieser Freimaurer-Logen liegen, verwen­det worden sind zum Hausbau und zum Kirchenbau. Man hatWinkelmaße, man hat Kreise, das heißt Zirkel gehabt, hat Wasserwaagen gehabt, Lote, man hat sie verwendet in der äußeren Lebenspraxis. In den Freimaurer-Logen hält man, in Anknüpfung an die Dinge, die ihren Zusammenhang mit der Lebenspraxis vollständig verloren haben, Reden und sagt allerlei schöne Sachen darüber, die ja gewiß sehr schön sind, die aber dem äußeren Leben, der äußeren Lebenspraxis vollständig fremd sind. Wir sind zu Ideen gekommen, zu Gedankengebilden gekommen, denen die Stoßkraft fehlt, um ins Leben einzugreifen. Wir sind allmählich dahin gekommen, daß unsere Menschen vom Montag bis Samstag arbeiten und Sonntags sich die Predigt anhören. Diese zwei Dinge haben nichts miteinander zu tun. Und wir brauchen oftmals, indem wir predigen, die Dinge, die in älteren Zeiten mit der äußeren Lebenspraxis in innigem Zusammenhang gestanden haben, als Symbole für das Schöne, für das Wahre, sogar für das Tugendhafte. Aber die Dinge sind lebensfremd. Ja, wir sind so weit gekommen zu glau­ben, daß, je lebensfremder unsere Predigten sind, sie sich desto mehr in die geistigen Welten erheben. Die gewöhnliche profane Welt, die ist etwas

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Minderwertiges. Und heute sieht man hin auf allerlei Forderungen, die aus den Tiefen der Menschheit aufsteigen, aber man versteht diese Forderungen m ihrem Wesen eigentlich nicht. Denn was ist wohl oftmals für ein Zu­sammenhang zwischen jenen Gesellschaftspredigten' die in mehr oder weniger schönen Zimmern gesprochen werden darüber, wie der Mensch gut ist, darüber, wie man - nun, sagen wir - alle Menschen liebt ohne Unterschied von Rasse, Nation und so weiter, Farbe sogar, was ist denn für em Zusammenhang zwischen diesen Predigten und dem, was äußerlich geschieht und was wir mit dadurch fördern, was wir mit dadurch treiben, daß wir unsere Coupons abschneiden und uns auszahlen lassen unsere Renten aus den Banken, die damit die äußere Lebenspraxis versorgen, mit wahrhaftig ganz anderen Prinzipien also, als diejenigen sind, von denen wir als den Prinzipien der guten Menschen sprechen in unseren Stuben. Wir begründen zum Beispiel theosophische Gesellschaften, in denen wir für alle Menschen gerade von Brüderlichkeit reden, aber wir haben in dem, was wir reden, nicht die geringste Stoßkraft, um dasjenige irgendwie zu be­herrschen, was auch durch uns geschieht, wenn wir unsere Coupons ab­schneiden. Denn indem wir die Coupons abschneiden, setzen wir eine ganze Summe von volkswirtschaftlichen Dingen in Bewegung. Unser Leben zerfällt ganz und gar in diese zwei voneinander getrennten Strömungen.

So kann es vorkommen - ich erzähle nicht ein Schulbeispiel, sondern ein Beispiel aus dem Leben -, es kann vorkommen, ist sogar vorgekommen, daß eine Dame mich aufsuchte und sagte:Ja, da kommtjemand und fordert von mir emen Beitrag, der aber dann verwendet wird dazu, Leute zu unter­stützen, die Alkohol trinken. Das kann ich doch als Theosophin nicht tun!

- So sagte die Dame. Ich konnte nur antworten: Sehen Sie, Sie sind Ren-tiére, wissen Sie denn, wie viel Brauereien mit Ihrem Vermögen gegründet und unterhalten werden? - Es handelt sich für dasjenige, auf was es an­kommt, nicht darum, daß wir auf der einen Seite predigen zur wollüstigen Befriedigung unserer Seele, und auf der anderen Seite uns ins Leben hinein­stellen so wie es die Lebensroutirie, die durch die letzten drei bis vier Jahr-hunderte heraufgekommen ist, einmal fordert. Wenige Menschen sind heute überhaupt geneigt auf dieses Grundproblem der Gegenwart einzu­gehen. Woher kommt dieses? Es kommt daher, daß wirklich dieser Dua­lismus ins Leben getreten ist - und am stärksten geworden ist in den letzten

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drei bis vier Jahrhunderten - zwischen dem äußeren Leben und zwischen unseren sogenannten geistigen Bestrebungen. Die meisten Menschen reden, wenn sie heute vom Geiste reden, von etwas ganz Abstraktem' Welten-fremdem, nicht von etwas, das in das alltägliche Leben einzugreifen vermag.

Die Frage, das Problem, auf das damit hingedeutet wird, das muß an seiner Wurzel angepackt werden. Wäre hier auf diesem Hügel im Sinne dieser Bestrebungen der letzten drei bis vier Jahrhunderte gehandelt wor­den, dann hätte man sich vielleicht an einen beliebigen Architekten gewen­det, einen berühmten Architekten und hätte einen schönen Bau hier auffüh­ren lassen, derja gewiß hätte sehr schön sein können aus irgendeinem Bau­stil heraus. Darum konnte es sich nie handeln. Denn wir wären dann hinein­gegangen in diesen Bau, wir wären umgeben gewesen von allem mögli­chen Schönen aus diesem oder jenem Stil, und wir hätten drinnen Dinge gesprochen, die zu diesem Bau gepaßt hätten, ungefähr so, wie eben all die schönen Reden, die heute gehalten werden, passen zu der äußeren Lebenspraxis, welche die Menschen pflegen. Das konnte nicht so sein, deun so war nicht die Geisteswissenschaft gemeint, die sich anthroposophiscb orientieren will. Diese war vom Anfang an anders gemeint. Die war so gemeint, daß nicht aufgerichtet wurde der alte falsche Gegensatz zwischen Geist und Materie, wobei dann vom Geiste in abstracto gehandelt wird und dieser Geist keine Möglichkeit hat, in das Wesen und Weben der Materie unterzutauchen. Wann spricht man berechtigt vom Geiste, wann spricht man in Wahrheit vom Geiste? Nur dann spricht man in Wahrheit vom Geiste, spricht man berechtigt vom Geiste, wenn mm den Geist als Schöpfer meint desjenigen, was materiell ist. Es ist schlimmste Rede vom Geiste, wenn auch diese schlimmste Rede vom Geiste oftmals heute als die schönste angesehen wird, wenn man von dem Geiste als im Wolkenkuckucksheim spricht, in einer solchen Weise spricht, daß dieser Geist gar nicht berührt werden sollte von dem Materiellen. Nein, von dem Geiste muß man so sprechen, daß man den Geist meint, der die Kraft hat unmittelbar unterzu­tauchen in das Materielle. Und wenn man von der Geisteswissenschaft spricht, so darf diese nicht nur so gedacht werden, daß sie sich bloß erhebt über die Natur, sondern daß sie zu gleicher Zeit vollwertige Naturwissen­schaft ist. Wenn man vom Geiste spricht, so muß der Geist gemeint sein. mit dem sich der Mensch verbinden kann so, daß dieser Geist auch in das

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soziale Leben durch die Vermittlung des Menschen hinein sich verweben kann. Ein Geist, von dem man bloß im Salon spricht als dem, welchem man durch das Gutsein und durch die Bruderliebe wohlgefallen will, und der sich wohl hütet unterzutauchen in das unmittelbare Leben, ein solcher Geist ist nicht der wahre Geist. Ein solcher Geist ist eine menschliche Ab­straktion, und die Erhebung zu ihm ist nicht die Erhebung zum wirklichen Geist, sondern sie ist gerade der letzte Ausfluß des Materialismus.

Daher mußten wir einen Bau aufrichten, der in allen seinen Einzelheiten herausgedacht ist, herausgeschaut ist aus demjenigen, was sonst auch in unserer anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft lebt. Und damit hängt es auch zusammen, daß in dieser schweren Zeit hervorgegangen ist eme Behandlung der sozialen Frage aus dieser Geisteswissenschaft, die nicht imWolkenkuckucksheim weilen will, sondern die Lebenssache sein wollte vom Anfange ihres Wirkens an, die gerade das Entgegengesetzte sein wollte von jeder Art von Sektiererei, die ablesen wollte dasjenige, was in den großen Forderungen der Zeit liegt, und die dienen wollte diesen Forde­rungen der Zeit. Gewiß, an diesem Bau ist vieles nicht gelungen. Aber es handelt sich heute wahrhaftig auch nicht darum, daß alles gleich gelinge, sondern es handelt sich darum, daß in gewissen Dingen ein Anfang, ein notwendiger Anfang gemacht werde. Und dieser notwendige Anfang scheint mir wenigstens mit diesem Bau gemacht worden zu sein. So werden wir, wenn dieser Bau einstmals fertig sein wird, nicht in irgend etwas, was uns als fremdartige Wände umgibt, dasjenige vollziehen, was wir zu voll­ziehen haben werden, sondern so wie die Nußschale zur Nußfrucht gehört und in ihrer Form ganz angepaßt ist dieser Nußfrucht, so wird angepaßt sein jede einzelne Linie, jede einzelne Form und Farbe dieses Baues dem­jenigen, was durch unsere geistige Bewegung fließt.

Es wäre schon notwendig, daß in der Gegenwart wenigstens von einer Anzahl von Menschen dieses Wollen eingesehen werde, denn auf dieses Wollen kommt es an.

Ich muß noch einmal zurückkommen auf manches Charakteristische, das in den letzten drei bis vier Jahrhunderten in der Evolution der zivilisier­ten Menschheit zu Tage getreten ist. Wir haben in dieser Evolution der zivilisierten Menschheit Erscheinungen, die uns so recht charakteristisch ausdrücken die tieferen Grundlagen desjenigen, was sich in der Gegenwart

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im Leben der Menschen ad absurdum führt; denn ein ad absurdum-Führen ist es. Es ist zwar so, daß heute ein großer Teil der Menschenseelen eigentlich schläft, wirklich schläft. Ist man irgendwo, wo gewisse Dinge, die heute, ich möchte sagen, als wirkliche Widerbilder, Gegenbilder alles zivilisierten Lebens sich abspielen, ist man irgendwo, wo diese Gegenbilder einem nicht direkt vor Augen treten, aber doch in zahlreichen Gegenden der heutigen zivilisierten Welt sich abspielen und bedeutungsvoll, symptomatisch sind für dasjenige, was immer weiter und weiter um sich greifen muß, dann findet man: Ja, die Menschen sind mit ihren Seelen draußen, außerhalb der wichtigsten Zeitereignisse. Die Menschen leben in den Alltag hinein, ohne sich klar vor Augen zu halten, was eigentlich in der Gegenwart vorgeht, solang sie nur nicht unmittelbar berührt werden von diesen Vorgängen. Aber allerdings, es liegen auch die eigentlichen Impulse dieser Vorgänge in den Tiefen des unterbewußten oder unbewußten Seelenlebens der Menschen.

Zugrunde liegend dem Dualismus, den ich angeführt habe, ist ja heute ein anderer: der Dualismus, der sich zum Beispiel ausspricht - ich meine ein charakteristisches Beispiel anzuführen - durch Miltons «Verlorenes Paradies». Aber es ist das nur ein äußeres Symptom für etwas, was durch das ganze moderne Denken, Empfinden, Fühlen und Wollen geht. Wir haben im neueren Menschheitsbewußtsein das Gefühl eines Gegensatzes zwischen dem Himmel und der Hölle, andere nennen es Geist und Materie. Es sind nur im Grunde genommen Gradunterschiede zwischen dem Him­mel und der Hölle des Bauern draußen auf dem Lande und zwischen Materie und Geist des sogenannten aufgeklärten Philosophen unserer Tage. Die eigentlichen Denkimpulse, die zugrunde liegen, sind genau die gleichen. Der eigentliche Gegensatz ist der zwischen Gott und Teufel, zwischen dem Paradies und der Hölle. Sicher ist es den Menschen: Das Paradies ist gut, und es ist schrecklich, daß die Menschen aus dem Paradiese herausgekommen sind; das Paradies ist etwas Verlorenes, es muß wieder gesucht werden, und der Teufel ist ein schrecklicher Widersacher, der ent­gegensteht all denjenigen Mächten, die man verbindet mit dem Begriff des Paradieses. Menschen, die keine Ahnung davon haben, wie Seelengegen­sätze walten bis in die äußersten Ranken unserer sozialen Gegensätze und sozialen Forderungen hinein, die können sich gar nicht vorstellen, welche

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Tragweite in diesem Duahsmus liegt zwischen Himmel und Hölle oder zwischen dem verlorenen Paradiese und der Erde. Man muß heute schon recht Paradoxes sagen, wenn man die Wahrheit sagen will, man kann eigentlich kaum heute über manche Dinge die Wahrheit sagen, ohne daß diese Wahrheit wie ein Wahnsinn oftmals unseren Zeitgenossen erscheint. Aber so wie im paulinischen Sinne die Weisheit der Menschen eine Torheit vor Gott sein kann, so könnte die Weisheit der Menschen von heute, oder der Wahnsinn der Menschen von heute, auch Wahnsinn sein für die An­schauung der Menschen der Zukunft. Die Menschen haben sich allmählich in einen solchen Gegensatz zwischen der Erde und dem Paradiese hinein­geträumt, sie bringen das Paradiesische zusammen mit dem, was als das eigentlich Menschlich-Göttliche anzustreben ist, und wissen nicht, daß das Anstreben dieses Paradiesischen ebenso schlimm für den Menschen ist, wenn er es ohne weiteres will, als das Anstreben des Gegensatzes wäre. Denn wenn man die Struktur der Welt so vorstellt, wie sie als Vorstellung zugrunde liegt dem «Verlorenen Paradies» von Milton, dann tauft man um eine der Menschheit abträgliche Macht, wenn sie einseitig angestrebt wird, m die göttlich-gute Macht und stellt ihr einen Gegensatz gegenüber, der kein wahrer Gegensatz ist: den Gegensatz des Teufels, den Gegensatz des­jenigen, was in der menschlichen Natur an dem Guten Widerstrebendem liegt.

Der Protest gegen diese Anschauung soll liegen in jener Gruppe, die im Osten unseres Baues annen aufgestellt werden soll, eme neuneinhalb Meter hohe Holzgruppe, in der an die Stelle, oder durch die an die Stelle des luzi­ferischen Gegensatzes zwischen Gott und dem Teufel dasjenige gesetzt wird, was dem Menschheitsbewußtsein der Zukunft zugrunde liegen muß: die Trinität zwischen dem Luziferischen, dem Christus-Gemäßen und dem Ahrimanischen.

Von dem Geheimnis, das da zugrunde liegt, hat die neuere Zivilisation so wenig ein Bewußtsein, daß man das Folgende sagen kann. Wir haben aus gewissen Gründen, über die ich vielleicht auch noch hier wiederum sprechen werde, diesen Bau « Goetheanum» genannt, als bauend auf Goethescher Kunst- und Erkenntnisgesinnung. Aber zu gleicher Zeit muß gerade hier gesagt werden: In dem Gegensatze, den Goethe in seinem «Faust» aufgerichtet hat zwischen den guten Mächten und dem Mephstopheles,

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liegt derselbe Irrtum, wie in Miltons «Verlorenem Paradies»: auf der einen Seite die guten Mächte, auf der anderen Seite die schlechte Macht Mephistopheles. In diesem Mephistopheles hat Goethe bunt durcheinander-geworfen das Luziferische auf der einen Seite, das Ahrimanische auf der anderen Seite, so daß in der Goetheschen Mephistopheles-Figur für den, der die Sache durchschaut, zwei geistige Individuahtäten durcheinander-gemischt sind, unorganisch durcheinandergemischt sind. Erkennen muß der Mensch, wie sein wahres Wesen nur ausgedrückt werden kann durch das Bild des Gleichgewichtes: Wie der Mensch auf der einen Seite versucht ist, gewissermaßen über seinen Kopf hinauszuwollen, hinauszuwollen in das Phantastisch-Schwärmerische hinein, hinauszuwollen in das falsch Mystische hinein, hinauszuwollen in all dasjenige, was phantastisch ist. Das ist die eine Macht. Die andere Macht ist diese, die den Menschen gewissermaßen her-unterzieht in das Materialistische, in das Nüchterne, Trockene, und so weiter. Nur dann verstehen wir den Menschen, wenn wir ihn auffassen seinemWesen nach als strebend nach dem Gleichgewichte zwischen, sagen wir, auf dem einen Waagebalken dem Ahrimanischen, auf dem anderen Waagebalken dem Luziferischen. Der Mensch hat fortwährend die Gleichgewichtslage zwischen diesen beiden Mächten anzustreben, zwischen demjenigen, das ihn hinausführen möchte über sich selbst, und demjenigen, das ihn herab-ziehen möchte unter sich selbst. Nun hat die neuere Geisteszivilisation ver­wechselt das Phantastisch-Schwärmerische des Luziferischen mit dem Gött­lichen. So daß in dem, was als Paradies geschildert wird, in der Tat die Schilderung des Luziferischen vorliegt, und daß man die furchtbare Ver­wechselung begeht zwischen dem Luziferischen und dem Göttlichen, weil man nicht weiß, daß es darauf ankommt, die Gleichgewichtslage zwischen zwei den Menschen nach der einen oder nach der anderen Seite hin zer­renden Mächten zu halten.

Diese Tatsache mußte zunächst aufgedeckt werden. Wenn der Mensch streben soll nach demjenigen, was man das Christliche nennt, worunter aber heute sonderbare Dinge oftmals verstanden werden, dann muß er sich klar sein, daß dies nur ein Streben sein kann in der Gleichgewichtslage zwischen dem Luziferischen und dem Ahrimanischen, und daß namentlich die drei bis vier letzten Jahrhunderte so sehr ausgeschaltet haben die Er­kenntnis des wirklichen Menschenwesens, daß man von dem Gleichgewichte

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wenig weiß und das Luziferische umgetauft hat in das Göttliche in dem «Verlorenen Paradies», und einen Gegensatz gemacht hat aus dem Ahrimanischen, der kein Ahriman mehr ist, aber der zum modernen Teufel oder zur modernen Materie oder zu irgend etwas dergleichen geworden ist. Dieser Dualismus, der in Wirklichkeit ein Dualismus ist zwischen Luzifer und Ahriman, dieser Dualismus spukt im Bewußtsein der modernen Menschheit als der Gegensatz zwischen Gott und dem Teufel. Und das «Verlorene Paradies» müßte eigentlich aufgefaßt sein als eine Schilderung des verlorenen luziferischen Reiches, es ist nur umgetauft.

So stark muß man heute in den Geist der neueren Zivilisation hinein-weisen, weil es nötig ist, daß die Menschheit sich klar werde darüber, wie sie auf eine abschüssige Bahn - es ist eine historische Notwendigkeit, aber Notwendigkeiten sind doch auch dazu da, daß man sie begreift -, wie sie auf eine abschüssige Bahn gekommen ist und, wie gesagt, nur durch die radikalste Kur wiederum aufwärts kommen kann. Oftmals versteht man heute unter der Schilderung der geistigen Welt eine Darstellung dessen, was übersinnlich ist, was aber nicht lebt hier auf unserer Erde. Man möchte mit einer geistigen Anschauung flüchten von dem, was uns hier auf unserer Erde umgibt. Man weiß nicht, daß man - indem man also flieht in ein abstraktes geistiges Reich - gerade nicht den Geist, sondern die luziferische Region findet. Und manches, was sich heute Mystik nennt, was sich heute Theosophie nennt, ist ein Aufsuchen der luziferischen Region. Denn das bloße Wissen von einem Geiste, das kann dem heutigen Geistesstreben der Menschen nicht zugrunde liegen, weil es angemessen ist diesem heutigen, dieseni gegenwärtigen Geistesstreben, zu erkennen den Zusammenhang zwischen den geistigen Welten und der Welt, in die wir hineingeboren werden, um zwischen der Geburt und dem Tode in ihr zu leben.

Diese Frage sollte uns vor allen Dingen dann gerade berühren, wenn wir den Blick nach geistigen Welten richten: Warum werden wir aus den gei­stigen Welten heraus in diese physische Welt hineingeboren? Nun, wir werden in diese physische Welt hineingeboren - und ich werde morgen und übermorgen dasjenige, was ich heute skizziere' genauer ausführen -, weil es hier auf dieser Erde Dinge zu erfahren, Dinge zu erleben gibt, die in den geistigen Welten nicht erlebt werden können, sondern um diese zu erleben, muß man heruntersteigen in diese physische Welt, und man muß aus dieser

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physischen Welt die Ergebnisse dieses Erlebens hinauftragen in die geistigen Welten. Man muß, um das zu erreichen, aber auch in diese physische Welt untertauchen, muß gerade mit seinem Geist erkenntnismäßig in diese physische Welt untertauchen. Um der geistigen Welt willen muß man in diese physische Welt untertauchen.

Nehmen wir einmal, um es radikal zu sagen, was ich aussprechen will, einen normalen Menschen der Gegenwart, der sich redlich ernährt, seine gehörige Anzahl von Stunden schläft, frühitückt, zu Mittag und zu Abend ißt und so weiter, und der auch geistige Interessen hat, sogar hohe geistige Interessen, der Mitglied, sagen wir, einer theosophischen Gesellschaft wird, weil er geistige Interessen hat, da alles mögliche treibt, um zu wissen, was in den geistigen Welten vorgeht. Nehmen wir einen solchen Men­schen, der sozusagen im kleinen Finger alles dasjenige hat, was in dieser oder jener theosophischen Literatur der Gegenwart notifiziert wird, der aber sonst nach den gewöhnlichen Usancen des Lebens lebt. Nehmen wir ihn, diesen Menschen! Was bedeutet all sein Wissen, das er sich aneignet mit seinen höheren geistigen Interessen? Es bedeutet etwas, was hier auf dieser Erde ihm einige innerliche seelische Wollust bereiten kann, so einen richtigen luziferischen Genuß, wenn es auch ein raffinierter, verfeinerter Seelengenuß ist. Es wird nichts davon durch des Todes Pforte getragen, gar nichts davon wird durch des Todes Pforte getragen. Denn es kann unter solchen Menschen - und sie sind sehr häufig - solche geben, die, trotzdem sie im kleinen Finger haben, was ein Astralleib, ein Ätherleib und so weiter ist, keine Ahnung davon haben, was vorgeht, wenn eine Kerze brennt. Sie haben keine Ahnung davon, welche Zauberkunststücke aufgeführt werden, damit draußen die Tramway fährt. Sie fahren zwar damit, aber sie wissen nichts davon. Aber noch mehr: sie haben zwar im kleinen Finger, was Astralleib, Ätberleib ist, Karnia' Reinkarnation, aber sie haben keine Ahnung davon, was gesprochen wird, angestrebt wird zum Beispiel heute in den Versammlungen proletarischer Menschen. Es interessiert sie nicht. Es interessiert sie nur, wie der Ätherleib ausschaut, wie der Astralleib aus­schaut, es interessiert sie nicht, welche Wege das Kapital macht, indem es seit dem Beginne des neunzehnten Jahrhunderts die eigentlich herrschende Macht geworden ist. Das Wissen vom Ätherleib, Astralleib, das nützt nichts. wenn die Menschen gestorben sind. Gerade das muß man aus einer

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wirklichen Erkenntnis der geistigen Welt heraus sagen. Es hat erst dann emen Wert, wenn dieses geistige Erkennen das Instrument wird, um unter­zutauchen in das materielle Leben und da im materiellen Leben dasjenige aufzunehmen, was in den geistigen Welten selber nicht aufgenommen werden kann, was aber hineingetragen werden muß.

Wir haben heute eine Naturwissenschaft, die wird an unseren Universi­täten auf den verschiedensten Gebieten gelehrt. Es wird experimentiert, es wird geforscht und so weiter. Da kommt die Naturwissenschaft zu­stande. Mit dieser Naturwissenschaft speisen wir unsere Technik, mit dieser Naturwissenschaft heilen wir heute auch schon die Menschen, tun alles mögliche. Daneben gibt es kirchliche Bekenntnisse. Aber ich frage Sie, haben Sie schon Kenntnis genommen von dem Inhalte so gewöhnlicher Sonntagnachmittagspredigten, wo zum Beispiele gesprochen wird von dem Reich Christi und so weiter? Welche Beziehung ist zwischen der Natur-wissenschaft und dem, was da gesprochen wird? Zumeist gar keine. Beide Dinge gehen nebeneinander her. Die einen glauben, sie haben die rechte Kraft, um über Gott und den Heiligen Geist und alles mögliche zu reden. Wenn sie auch sagen, sie empfänden die Dinge, sie reden doch in abstrakten Formen, in abstrakten Anschauungen darüber. Die anderen reden von einer geistlosen Natur. Keine Brücke wird geschlagen! Dann haben wir in der neueren Zeit selbst allerlei theosophische Anschauungen bekommen, my­stische Anschauungen bekommen. Ja, diese mystischen Anschauungen, sie reden über alles mögliche Lebensferne, aber sie reden nicht vom Menschen­leben, weil sie nicht die Kraft haben, unterzutauchen in das Menschenleben. Ich möchte einmal fragen, ob denn im rechten Sinne von einem Welten-schöpfer geredet wäre, wenn man ihn so ausdächte, daß erja ein sehr inter­essanter schöner Geist wäre, aber niemals hätte zur Weltschöpfung kommen können? Die geistigen Mächte, von denen heute oftmals geredet wird, die hätten niemals zur Weitschöpfung kommen können, denn die Gedanken, die wir über diese entwickeln, die sind nicht einmal imstande einzugreifen in dasjenige, was unser Wissen über die Natur oder unser Wissen über das soziale Leben der Menschen ist.

Ich darf vielleicht, ohne unbescheiden zu werden, an einem Beispiel erläutern, was ich meine. In einem meiner letzten Bücher - «Von Seelen-rätseln» - habe ich darauf aufmerksam gemacht, und ich habe es ja öfter in

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mündlichen Vorträgen ausgesprochen, welcher Unsinn gelehrt wird in der heutigen Physiologie, also auch einer Naturwissenschaft: der Unsinn, daß es zweierlei Nerven im Menschen gibt, motorische Nerven, die dem Willen zugrunde liegen, und sensitive Nerven, die den Wahrnehmungen, den Empfmdungen zugrunde liegen. Nun, seit es Telegraphie gibt, hat man ja das Bild von der Telegraphie. Also: vom Auge geht der Nerv zum Zentral-organ, dann vom Zentralorgan aus geht er wiederum zu irgendeinem Gliede. Wir sehen irgend etwas sich da bewegen als ein Glied, da geht der Telegraphendraht von diesem Organ, vom Auge, zum Zentralorgan, das setzt den Bewegungsnerv in Tätigkeit, dann wird die Bewegung ausge­führt.

Diesen Unsinn läßt man die Naturwissenschaft lehren. Man muß sie ihn lehren lassen, denn man redet in einer abstrakten geistigen Anschauung von allem möglichen, nur entwickelt man nicht solche Gedanken, die positiv eingreifen können in das Naturgetriebe. Man hat nicht die Stärke m dem, was die geistigen Anschauungen sind, um ein Wissen über die Natur selbst zu entwickeln. Es gibt nämlich nicht einen Unterschied zwi­schen motorischen und sensitiven Nerven, sondern dasjenige, was man Willensnerven nennt, sind auch sensitive Nerven, sie sind nur dazu da, um unsere eigenen Glieder dann wahrzunehmen, wenn Bewegungen ausge­führt werden sollen. Das Schulbeispiel der Tabes, das beweist gerade das Gegenteil dessen, was bewiesen werden soll. Ich will nicht weiter darauf eingehen, weil unter Ihnen nicht entsprechende physiologische Vorkennt­nisse sind. Ich würde allerdings über diese Dinge im Kreise von physio­logisch, biologisch vorgebildeten Leuten einmal sehr gerne darüber reden. Hier will ich aber nur darauf aufmerksam machen, daß wir auf der einen Seite eine Naturwissenschaft haben, auf der anderen Seite ein Reden und Predigen von geistigen Welten, das nicht eindringt in irgendwelche realen Welten, die uns in der Natur vorliegen. Das aber brauchen wir. Wir brau­chen eine Erkenntnis des Geistes, die so stark ist, daß sie zu gleicher Zeit Naturwissenschaft werden kann. Die werden wir nur erlangen, wenn wir das Wollen berücksichtigen, auf das ich Sie heute hier aufmerksam machen wollte. Hätten wir eine sektiererische Bewegung begründen wollen, die nur auch irgendeine Dogmatik über das Göttliche und Geistige hat und die einen Bau braucht, so hätten wir irgendeinen Bau aufgeführt. respektive

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aufführen lassen. Da wir das nicht wollten, sondern da wir schon in dieser äußeren Handlung andeuten wollten, daß wir untertauchen wollen in das Leben, mußten wir uns auch diesen Bau ganz aus deni Wollen der Geistes­wissenschaft heraus selber bauen. Und an den Einzelheiten dieses Baues wird man einmal sehen, daß tatsächlich wichtige Prinzipien, die heute unter dem Einflusse der erwähnten zwei Dualismen in das falscheste Licht ge­rückt werden, auf ihre gesunde Grundlage gestellt werden können. Ich möchte Sie nur auf eines heute noch aufmerksam machen.

Sehen Sie sich einmal die aufeinanderfolgenden sieben Säulen an, die auf jeder Seite unseres Hauptbaues stehen: Da haben Sie darüber Kapitäle, darunter Sockel. Die sind nicht gleich, sondern jeder folgende entwickelt sich aus dem vorhergehenden. So daß Sie eine Anschauung bekommen des zweiten Kapitäls' wenn Sie sich lebensvoll in das erste und seine Formen hineinversetzen, lebendig werden lassen den Gedanken der Metamorphose als Organisches, und jetzt wirklich einen so lebendigen Gedanken haben, daß dieser Gedanke nicht abstrakt ist, sondern daß er dem Wachsen folgt. Dann können Sie das zweite Kapitäl aus dem ersten entwickelt sehen, das dritte aus dem zweiten, das vierte aus dem dritten und so weiter bis zum siebenten. So ist versucht worden, in lebendiger Metamorphose ein Kapitäl, ein Architravstück und so weiter aus dem andern heraus zu entwickeln, nachzubilden dasjenige Schaffen, das als geistiges Schaffen in der Natur selber lebt, indem die Natur eine Gestalt aus der anderen hervorgehen läßt. Ich habe das Gefühl, daß kein Kapitäl anders sein könnte als es nun ist.

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Aber dabei hat sich etwas sehr Merkwürdiges herausgestellt. Wenn licute die Leute von Evolution reden, da sagen sie oftmals: Entwickelung, Ent­wickelung, Evolution, erst das Unvollkonimene, dann das etwas weiter Vollkomuiene, das mehr Differenzierte und so fort, und immer werden die vollkommeneren Dinge auch die komplizierteren. Das konnte ich

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nicht durcbführen, als ich die sieben Kapitäle auseinander entstehen ließ nach der Metamorphose, sondern als ich zum vierten Kapitäl kam, ergab sich mir dieses vierte, da ich nun das nächste, das fünfte, das vollkommener sein sollte als das vierte, auszubilden hatte als das komplizierteste. Das heißt, als ich nicht wie Haeckel oder Darwin nur in Gedanken die abstrakten Dinge verfolgte, sondern als ich die Formen so machen mußte, wie die Form hervorgeht aus dem Vorhergehenden - so wie in der Natur selbst eine Form nach der anderen aus den Vitalkräften hervorgeht -, da war ich ge­nötigt, zwar die fünfte Form in ihren Flächen kunstvoller zu machen als die vierte, aber nicht komplizierter, sondern einfacher wurde die ganze Form. Und die sechste wurde wieder einfacher und die siebente wieder einfacher. Und so stellte sich mir heraus, daß Evolution nicht ein Fort­schreiten zu immer Differenzierterem und Differenzierterem ist, sondern daß Evolution ein Ansteigen ist zu einem höheren Punkte, dann aber wie­derum ein Fallen in Einfacheres und Einfacheres.

# Bild s. 155

Das ergab sich einfach aus dem Arbeiten selbst. Und ich konnte sehen, wie dieses im künstlerischen Arbeiten sich ergebende Prinzip der Evolution dasselbe ist, wie das Prinzip der Evolution in der Natur.

Denn betrachten Sie das menschliche Auge, so ist es ja sicher vollkom­mener als die Augen mancher Tiere. Aber die Augen mancher Tiere sind komplizierter als das Menschenauge. Sie haben zum Beispiel innen einge­schilossen gewisse bluterfüllte Organe, den Schwertfortsatz, den Fächer, die beim Menschen nicht da sind, gewissermaßen aufgelöst sind. Das mensch­liche Auge ist wieder vereinfacht gegenüber den Formen mancher Tier-augen. Verfolgen wir die Entwickelung des Auges, so fmden wir: es ist zuerst primitiv, einfach, dann wird es immer komplizierter und kompli­zierter, dann aber vereinfacht es sich wiederum, und das Vollkommenste ist nicht das Komplizierteste, sondern wiederum ein Einfacheres als das in der Mitte Stehende.

Und man war dazu genötigt, es selbst so zu machen, indem man künstlerisch

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das ausbildete, was eine innere Notwendigkeit auszubilden hieß. Nicht wurde hier angestrebt über etwas zu forschen, sondern die Verbin­dung mit den Vitalkräften selbst wurde angestrebt. Und in unserm Bau hier wurde angestrebt die Formen so zu gestalten, daß in diesem Gestalten dieselben Kräfte drinnen liegen, die als der Geist der Natur dieser Natur zugrunde liegen. Ein Geist wird gesucht, der nun tatsächlich schöpferisch ist, der in den Produktionen der Welt drinnen lebt, der nicht bloß predigt. Das ist das Wesentliche. Das ist auch der Grund, warum es manches ab­setzte hier gegenüber denen, die auch unseren Bau ausgestalten wollten mit allen möglichen Symbolen und dergleichen. Es ist kein einziges Symbol im Bau, sondern alles sind die Formen, die dem Schaffen vom Geist in der Natur selbst nachgebildet sind.

Damit aber ist der Anfang eines Wollens gegeben, das seine Fortsetzung finden muß. Und zu wünschen wäre es, daß gerade dieser Gesichtspunkt der Sache verstanden würde, daß verstanden würde, wie in der Tat gesucht werden sollen Urquellen menschlichen Intendierens, menschlichen Schaf­fens, die auf allen Gebieten notwendig sind für die neuere Menschheit. Wir leben ja heute mitten in Forderungen. Aber es sind alles einzelne Forderungen, aus den verschiedenen Lebenskreisen heraus sprießen diese Forderungen auf Wir brauchen aber auch eine Zusammenfassung. Sie kann nicht von irgend etwas kommen, was nur im Unakreise des äußeren sicht­baren Daseins schwebt, denn allem Sichtbaren liegt das Übersichtbare zu­grunde, und dieses muß man heute erfassen. Ich möchte sagen: Man sollte gar sehr hinhören auf die Dinge, die heute geschehen, und man wird fin­den, daß es gar kein so absurder Gedanke ist, daß das Alte zusammenfällt. Dann muß aber etwas da sein, das an die Stelle treten kann. Doch um mit diesem Gedanken sich zu befreunden, braucht man einen gewissen Mut, der nicht im äußeren Leben erworben wird, sondern der innerlichst erworben werden muß.

Dieser Mut, ich möchte ihn nicht definieren, möchte ihn charakterisieren. Die schlafenden Seelen von heute werden ganz gewiß entzückt sein, wenn da oder dort irgend jemand auftritt undso malen kann wie Raffael oder wie Lionardo. Das ist begreiflich. Aber wir müssen heute den Mut haben zu sagen, nur derjenige hat ein Recht Raffael und Lionardo zu bewundern, der weiß, daß heute nicht so geschaffen werden kann und darf, wie Raffael

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und Lionardo geschaffen haben. Schließlich kann man etwas sehr Philiströses sagen, um das zu veranschaulichen: Nur deijenige hat ein Recht heute, die geistige Tragweite des pythagoräischen Lehrsatzes anzuerkennen, der nicht glaubt, daß der pythagoräische Lehrsatz heute erst entdeckt werden soll. Einjegliches Ding hat seine Zeit, und aus der konkreten Zeit heraus müssen die Dinge begriffen werden.

Man braucht heute tatsächlich mehr, als manche Leute aufbringen möchten, wenn sie sich auch irgendeiner geistigen Bewegung anschließen:

man braucht heute die Erkenntnis, daß wir vor eine Erneuerung des Daseins der Menschheitsentwickelung uns stellen müssen. Es ist billig, zu sagen, unsere Zeit ist eine Übergangszeit. Jede Zeit ist eine Übergangszeit, es kommt nur darauf an, daß man weiß, was übergeht. Also diese Trivialität möchte ich nicht aussprechen, daß unsere Zeit eine Übergangszeit ist, aber das andere möchte ich sagen: Immerfort spricht man davon, die Natur und das Leben machen keine Sprünge. Man ist sehr weise, wenn man das aus­spricht: Sukzessive Entwickelung, nirgends Sprünge! - Nun, die Natur macht fortwährend Sprünge. Sie bildet stufenweise aus das grüne Laub-blatt, sie bildet es um zum andersartigen Kelchblatt, zum farbigen Blumen-blatt, zu den Staubgefäßen, zum Stempel. Die Natur macht fortwährend Sprünge, indem sie ein einzelnes Gebilde bildet; das größere Leben macht fortwährend Umschwünge. Wir sehen im Menschenleben, wie sich mit dem Zalanwechsel ganz neue Verhältnisse einstellen, wie sich mit der Geschlechts-reife ganz neue Verhältnisse einstellen. Und würde die Beobachtungsgabe der gegenwärtigen Menschen nicht so grob sein, so würde man um das zwanzigsteJalir herum eine dritte Epoche und so weiter, und so weiter im Menschenleben wahmehinen können.

Aber auch die Geschichte selbst ist ein Organismus, und solche Sprünge finden statt. Man geht an ihnen vorüber. Die Menschen haben heute kein Bewußtsein davon, welch bedeutungsvoller Sprung geschehen ist um die Wende des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts, oder eigentlich in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts. Aber dasjenige, was sich damals eingeleitet hat, das will in der Mitte unseres Jahrhunderts sich erfüllen. Und es ist wahrhaftig keine Spintisiererei, sondern etwas, was sich allen exakten Wahrheiten an die Seite stellen kann, wenn man davon spricht, daß die Ereignisse, die die Menschheit so bewegen, und die solche Kulmination

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in der letzten Zeit erlangt haben, hintendieren nach etwas, das nlan wirklich herausfinden kann als sich vorbereitend und als stark hereinbrechend in die Menschheitsevolution für die Mitte dieses Jahrhunderts. Auf solche Dinge muß derjenige eingehen, der nicht aus irgendwelcher Willkür heraus Ideale für die Menschlieitsentwickelung aufstellen will, sondern der mit den schaffenden Kräften der Welt Geisteswissenschaft finden will, die dann auch einlaufen kann in das Leben.

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ZEHNTER VORTRAG Dornach, 13. Dezember 1919

Gestern habe ich Ihnen gesprochen von den Beziehungen anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft zu den Formen unseres Baues. Ich wollte besonders darauf hinweisen, daß die Beziehungen dieses Baues zu unserer Geisteswissenschaft nicht äußerliche sind, sondern daß gewissermaßen der Geist, der waltet in unserer Geisteswissenschaft, eingeflossen ist in diese Formen. Und ein besonderer Wert muß darauf gelegt werden, daß gewisser­maßen behauptet werden kann, daß ein wirkliches, empfindungsgemäßes Verstehen dieser Formen ein Ablesen des Inneren Sinnes bedeutet, der in unserer Bewegung vorhanden ist. Ich möchte heute noch auf einiges auf den Bau Bezügliches eingehen, um dann daran anknüpfend einige wichtige Dinge aus der Anthroposophie Ihnen heute oder morgen vorzubringen.

Sie werden sehen, wenn Sie sich den Bau betrachten, daß sein Grundriß zwei ineinandergreifende Kreise sind, ein kleinerer und ein größerer, so daß ich etwa schematisch den Grundriß so zeichnen könnte:

# Bild s. 159

Der ganze Bau ist von Osten nach Westen orientiert. Nun werden Sie gesehen haben, daß diese Ost-West-Linie die einzige Symmetrie-Achse ist, daß also alles symmetrisch auf diese Achse hin orientiert ist.

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Im Übrigen haben wir es nicht zu tun mit einem bloBen mechanischen Wiederholen der Formen, wie man es sonst in der Baukunst fmdet, etwa nut gleichen Kapitälen oder dergleichen, sondern wir haben es zu tun, wie ich schon gestern ausführte, mit einer Evolution der Formen. mit einem Hervorgehen späterer Formen aus früheren Formen.

Sie fmden, abschließend den äußeren Umgang, sieben Säulen zur Linken und sieben zur Rechten. Und ich habe schon gestern erwähnt, daß diese sieben Säulen Kapitäle und Sockel haben und über sich die entsprechenden Architrave, die in fortlaufender Evolution ihre Formen entwickeln.

Wenn Sie diesen Grundriß empfinden, dann werden Sie einfach in diesen zwei ineinandergreifenden Kreisen - aber Sie müssen es empfindungs-gemäß erfassen - etwas haben, was hinweist auf die Entwickelung der Menschheit. Ich habe schon gestern gesagt, daß ungefähr in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts ein ganz bedeutungsvoller Einsclinitt in der Ent­wickelung der Menschheit zu verzeichnen ist. Dasjenige, was man schul­mäßig und äußerlich «Geschichte» nennt, das ist ja nur eine fable convenue, denn die verzeichnet äußere Tatsachen so, daß dabei der Schein hervor­gerufen wird, als wenn es mit dem Menschen im wesentlichen schon im achten, neunten Jahrhunderte so gestanden hätte, wie es etwa im acht­zehnten oder neunzehntenjahrhundert gestanden hat. Es sindja sogar schon neuere Geschichtsschreiber darauf gekommen, zum Beispiel Lamprecht, daß dies ein Unsinn ist, daß in der Tat die Seelenverfassung und Seelenstimmung der Menschen eine ganz andere war vor und nach dem angedeuteten Zeit-punkte. Und wir in der Gegenwart stehen in einer Entwickelung drinnen, die wir nur verstehen können, wenn wir uns bewußt werden, daß wir mit eigenartigen Seelenkräften uns der Zukunit entgegen entwickeln, und daß diejenigen Seelenkräfte, die ihre Entwickelung durchgemacht haben bis in diejenige des fünfzehntenJahrhunderts, zwar jetzt noch, man könnte sagen, in den Menschenseelen spuken - sie klingen ab -, daß sie aber zu dem ge­hören, was untergeht, zu dem, was verurteilt ist dazu, aus der Menschheits-evolution herauszufallen. Über diesen wichtigen Umschwung in der Menschheitsentwickelung muß man ein Bewußtsein entwickeln, wenn man überhaupt fähig werden soll, über die Angelegenheiten der Menschheit in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft mitzureden.

Solche Dinge drücken sich besonders da aus. wo die Menschen bedeutungsvoll

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hinweisen wollen auf dasjenige, was sie fühlen, was sie emp­finden. Wir brauchen unsja nur an eines in der Entwickelung der Baukunst zu erinnern, was wir hier ja schon angeführt haben, auf das ich aber heute erneut wiederum hinweisen will, um an einem Beispiele zu zeigen, wie die Entwickelung der Menschheit fortschreitet.

Betrachten Sie einmal die Formen eines griechischen Tempels. Wie kann man die Formen eines griechischen Tempels verstehen? Man kann sie nur verstehen, wenn man sich klar darüber ist, daß der ganze Baugedanke dieses griechischen Tempels daraufhin orientiert ist, den Tempel zum Wohnhaus des Gottes oder der Göttin zu machen, die man als Standbild darinnen hatte. Alle Formen des griechischen Tempels wären ein Unding, wenn man ihn nicht so auffaßte, daß er die Umhüllung, das Wohnhaus des Gottes oder der Göttin ist, die drinnenstehen sollten.

Schreiten wir vor von den Formen des griechischen Tempels zu den nächsten, wiederum signifikanten Formen des Bauens, so kommen wir zu dem gotischen Dom. Wer in einen gotischen Dom luneingeht und das Gefühl hat, er habe mit diesem gotischen Dom etwas Abgeschlossenes, Fertiges vor sich, der versteht die Formen des gotischen Baues nicht, ebenso­wenig wie derjenige die Formen des griechischen Tempels versteht, der ihn auch so betrachten kann, daß kein Götterbild drianensteht. Ein grie­chischer Tempel ohne Götterbild - wir brauchen es uns ja nur drinnen zu denken, aber es muß eben, um die Form zu verstehen, drinnen gedacht werden -, ein griechischer Tempel ohne Götterbild ist eine Unmöglichkeit für das empfindende Verständnis. Ein gotischer Dom, der leer ist, ist auch eine Unmöglichkeit für den Menschen, der wirklich so etwas empfindet. Der gotische Dom ist erst fertig, wenn die Gemeinde drinnen ist, wenn er mit Menschen angefüllt ist, und eigentlich nur dann, wenn er mit Men­schen angefüllt ist und zu den Menschen gesprochen wird, so daß der Geist des Wortes über der Gemeinde oder in den Herzen der Gemeinde waltet. Dann ist der gotische Dom fertig. Aber die Gemeinde gehört dazu, sonst sind die Formen nicht verständlich.

Was haben wir denn da eigentlich für eine Evolution vor uns von dem griechischen Tempel bis zum gotischen Dom? Das andere sind im Grunde genommen Zwischenformen, was auch darüber irrtümliche Geschichts­auslegung sagen möge. Was haben wir denn da für eine Evolution vor uns?

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Wenn wir auf die griechische Kultur hinblicken, diese Blüte der vierten nachatlantischen Periode, so müssen wir sagen: Im griechischen Bewußtsein lebte noch etwas von dem Verweilen göttlich-geistiger Gewalten unter den Menschen, nur daß die Menschen dazu verhalten waren, ihren Göttern, die sie sich selbst nur in den Bildern vergegenwärtigen konnten, Wohn­häuser zu bauen. Der griechische Tempel war dasWohnhaus des Gottes oder der Göttin, von denen man das Bewußtsein hatte: sie gehen herum unter den Menschen. Ohne dieses Bewußtsein der Gegenwart göttlich-geistiger Mächte ist die Hineinstellung des griechischen Tempels in die griechische Kultur gar nicht zu denken.

Schreiten wir nun vorwärts von der Blüte der griechischen Kultur zu dem Auslauf dieser Kultur gegen das Ende der vierten nachatlantischen Periode, also gegen die Zeiten des achten, neunten, zehnten nachchristlichen Jahrhunderts, so kommen wir hinein in die Formen der gotischen Baukunst, die da fordert die Gemeinde. Alles entspricht dem Empfmdungsleben der Menschen der damaligen Zeit. Die Menschen waren in ihrer Seelenstim­mung natürlich anders in dieser Zeit, als in der Hochblüte des griechischen Denkens. Das Bewußtsein von der unmittelbaren Gegenwart göttlich­geistiger Mächte war nicht vorhanden, die göttlich-geistigen Mächte waren fern in ein Jenseits versetzt. Das irdische Reich war vielfach angeklagt als ein solches des Abfallens von den göttlich-geistigen Mächten. Das Materielle sah man an als etwas, das zu meiden ist, von dem der Blick abzuwenden ist, der dagegen hinzuwenden ist zu den geistigen Mächten. Und der eine Mensch suchte im Anschluß an den anderen in der Gemeinde - gewisser-maßen aufsuchend den Gruppengeist der Menschheit - das Walten des Gei­stigen, das damit auch den Charakter eines gewissen Abstrakten gewonnen hatte. Daher machen die Formen der Gotik auch einen abstrakt-mathema­tischen Eindruck gegenüber den mehr dynamisch wirkenden Formen der griechischen Baukunst, die etwas haben vom wohnlichen Umfassen des Got­tes oder der Göttin. In den gotischen Formen ist alles aufstrebend, es ist alles darauf hinweisend, daß in geistigen Fernen gesucht werden muß dasjenige, wonach die Seele dürstet. Dem Griechen war sein Gott und seine Göttin da. Er hörte gewissermaßen mit seinem Seelenolir deren Raunen. Die sehn­süchtige Seele nur konnte in Formen, die nach oben zuliefen, das Göttliche ahnen in der Zeit der Gotik.

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So war die Menschheit gewissermaßen mit Bezug auf ihre Seelenstim­mung sehnsüchtig geworden, baute auf Sehnsuchten, baute auf das Suchen, glaubte in diesem Suchen glücklicher sein zu können durch den Zusammen­schluß in der Gemeinde, aber war immer überzeugt, daß dasjenige, was als das Göttlich-Geistige anzuerkennen ist, nicht etwas ist, was unmittelbar unter den Menschen waltet, sondern was in geheimnisvollen Untergründen sich verbirgt. Wenn man nun dasjenige, was man da sehnsüchtig erstrebte, sehnsüchtig suchte, ausdrücken wollte, konnte man es nur so ausdrücken, daß man irgendwie es anknüpfte an ein Geheimnis volles. Der Zeitausdruck für diese ganze Seelenstimmung der Menschen ist der Tempel oder der Dom, könnten wir auch sagen, der in seiner eigentlichen, typischen Form der gotische Dom ist. Aber wenn man wiederum dasjenige, was man als das allerhöchst Geheimnisvolle ersehnte, in das geistige Blickfeld rückte, so mußte man gerade in der Zeit, in der man vom Irdischen ins Überirdische sich erheben wollte, von der bloßen Gotik zu etwas anderem übergehen, das, man möchte sagen, nun nicht die physische Gemeinde vereinte, sondern den ganzen zusammenstrebenden Geist der Menschheit oder die zusammen­strebenden Seelengeister der Menschheit nach einem Mittelpunkt, nach einem geheiimnivollen Mittelpunkt hinstreben ließ.

Wenn Sie sich etwa vorstellen die Gesamtlieit der menschhchen Seelen wie von allen irdischen Himmelsrichtungen her zusammenströmend, so haben Sie gewissermaßen die Menschheit der ganzen Erde auf dieser Erde vereint als in einem großen Dome, den man nun nicht gotisch dachte, ob­wohl er denselben Sinn haben sollte wie der gotische Dom. Solche Dinge wurden im Mittelalter angeknüpfi an das Biblische. Und wenn man sich etwa vorstellt, daß die zweiundsiebzig Jünger - man braucht ja nicht an physische Geschichte zu denken, sondern an das Geistige, das in diesen Zeiten durchaus die physische Anschauung der Welt durcliwebte - wenn Sie sich also vorstellen, wie nach dem Geiste der Zeit gedacht war, daß die zweiundsiebzig Jünger Christi sich nach allen Himmelsrichtungen verbrei­teten und in die Seelen den Geist pflanzten, der zusammenströmen sollte in dem Mysterium Christi: so haben Sie in all dem, was wiederum von jenen zurückströmte, in deren Seelen dieJünger den Christus-Geist hineingetragen haben, in den Strahlen, die von all diesen Seelen aus allen Himmelsrichtun­gen kommen, dasjenige, was in uinfassendster, in universellster Weise der

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frühmittelalterliche Mensch dachte als das zum Geheimnis Hinstrebende. Ich brauche vielleicht nicht alle zweiundsiebzig zu zeichnen, aber ich kann es andeuten (siehe folgendes Schema). Ich deute das nur an, denken Sie sich aber, es wären das zweiundsiebzig Pfeiler. Von diesen zweiund-siebzig Pfeilern würden also die Strahlen kommen, welche aus der Gesamt-menschheit nach dem Geheimnisse Christi hinstreben. Umschheßen Sie das Ganze mit einer irgendwie gearteten Wandung - gotisch würde es dann nicht sein, aber ich sagteja auch schon, warum man nicht bei dem Gotischen streng stehen blieb -, deren Gruiidriß ein Kreis ist, und denken Sie sich hier

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die zweiundsiebzig Pfeiler, so würden Sie den Dom haben, der gewisser­maßen die ganze Menschheit umfaßt. Denken Sie sich auch den von Osten nach Westen orientiert, so haben Sie darinnen natürlich einen ganz anderen Grundriß zu empfinden als bei unserem Bau, der aus den zwei Kreis-Stücken zusammengesetzt ist. Die Empfmdung diesem Grundriß gegenüber muß eine ganze andere sein, und ich versuchte, skizzenhaft Ihnen diese Empfin­dung zu beschreiben. Es würde dann zu denken sein, daß die Hauptorien­tierungslinien eines solchen Baues, der nach diesem Grundriß aufgebaut ist, Kreuzesform haben, und man würde sich etwa zu denken haben, daß Hauptgänge nach dieser Kreuzesform angeordnet wären.

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So dachte sich allerdings der mittelalterliche Mensch seinen Ideal-Dom. Wir würden, wenn das hier Osten, das hier Westen ist, dann hier Norden und Süden haben (siehe Zeichnung). Und dann würden im Norden, Süden und Westen drei Tore sein, hier im Osten würde eine Art Haupt-Seiten-altar sein, und bei jedem Pfeiler würde eine Art Altar sein. Da aber, wo die Kreuzesbalken sich durchschneiden, da würde stehen müssen der Tempel des Tempels, der Dom des Domes: da würde gewissermaßen die Zusam­meufassung des Ganzen sein, im Kleinen eineWiederholung desjenigen, was das Ganze ist. Wir würden etwa in der modernen, abstrakt gewordenen Sprache sagen: Hier würde stehen ein Sakramentshäuschen, aber in der Form des Ganzen.

Denken Sie sich dies, was ich Ihnen hier aufgezeichnet habe, in einem Stil, in einem Baustil, der erst angenähert ist an die eigenthehe Gotik, der noch allerlei romanische Formen in sich schließt, aber der durchaus die Orientierung hat, die ich Ihnen hier angedeutet habe, dann habe ich Ihnen damit die Skizze des Gral-Tempels aufgezeichnet, wie sich ihn der mittel­alterliche Mensch vorstellte, jenes Gral-Tempels, der gewissermaßen das Ideal des Bauens war in der Zeit, die sich dem Ausgang der vierten nach-atlantischen Epoche näherte: Ein Dom, in dem zusammenströmten die Sehnsuchten der ganzen nach Christus hin orientierten Menschheit, so wie in dem einzelnen Dom zusammenströmten die Sehnsuchten der Glieder der Gemeinde, und so, wie sich verbunden fühlten im griechischen Tempel die Menschen, auch wenn sie nicht drinnen waren - denn der griechische Tempel fordert nur, daß der Gott oder die Göttin drinnen ist, nicht die anderen Menschen -, so also wie sich verbunden fühlten die griechischen Menschen eines Territoriums durch ihren Tempel mit ihrem Gott oder ihrer Göttin. Will man sachgemäß sprechen, so kann man sagen: Indem der Grieche von seinem Verhältnis zu dem Tempel redete, schilderte er die Sache etwa in folgender Weise. So wie er von irgendeinem Menschen der Erde, meinetwegen dem Perikles, sagte: Der Perikles wohnt in diesem Hause - so drückt dieser Satz: Der Perikles wohnt in diesem Hause - nicht aus, daß der Mensch selber, der das ausspricht, irgendeine Eigentums- oder sonstige Beziehung zu dem Hause hat, aber er empfmdet doch die Art, wie er verbunden ist mit dem Perikles, indem er sagt: Der Perikles wohnt in diesem Hause! - Genau mit derselben Empfmdungsnuance würde der

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Grieche sein Verhältnis auch ausgesprochen haben zu dem, was im Bau­stil zu lesen war, damit ausdrückend: die Athene wohnt in diesem Hause, das ist das Wohnhaus der Göttin, oder: der Apollo wohnt in diesem Hause!

Das konnte die mittelalterliche Gemeinde, die den Dom hatte, nicht sagen. Denn das war nicht das Haus, in welchem die göttlich-geistige Wesenheit wohnte, das war das Haus, das ausdrückte in jeder einzelnen Form den Versammlungsort, in dem man die Seele hinstimmte zu dem Geheimnisvoll-Göttlichen. Daher war in dem, ich möchte sagen, Urtempel vom Ausgange der vierten nachatlantischen Zeit, in der Mitte der Tempel des Tempels, der Dom des Domes. Und von dem Ganzen konnte man sagen: Geht man hier hinein, dann kann man darinnen sich erheben zu den Geheimnissen des Welten alls! - In den Dom mußte man hineingehen. Von dem griechischen Tempel brauchte man bloß zu sagen: Das ist das Haus des Apollo, das ist das Haus der Pallas. - Und der Mittelpunkt jenes Urtempeis, wo sich die Balken des Kreuzes schneiden, der Mittelpunkt, der barg den Heiligen Gral, der war da aufbewahrt.

Sehen Sie, in dieser Art muß man die Stimmung verfolgen, durch welche die einzelnen geschichtlichen Perioden charakterisiert sind, sonst lernt mau dasjenige, was eigentlich geschehen ist, nicht kennen. Und man kann vor allen Dingen ohne eine solche Betrachtung nicht kennen lernen, welche seelischen Kräfte sich wiederum in unserer Gegenwart ansetzen.

Also, der griechische Tempel umschloß den Gott oder die Göttin, von denen man wußte: Sie sind unter den Menschen anwesend. Aber das fühlte der mittelalterliche Mensch nicht, der fühlte gewissermaßen die irdische Welt Gott-verlassen, göttlich verlassen. Er fühite die Sehnsucht, den Weg zu fmden zu den Göttern oder zu dem Gotte.

Wir stehen ja heute allerdings erst am Ausgangspunkt, denn es sind ja nur ein paar Jahrhunderte seit dem großen Umschwung in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts verflossen. Die meisten Menschen sehen kaum dasjenige, was da aufgeht, aber es geht etwas auf, es wird anders mit den Seelen der Menschen. Und dasjenige, was nun wiederum in die Formen hineinfließen muß, in denen man das Zeitbewußtsein verkörpert, das muß auch wieder anders sein. Diese Dinge lassen sich allerdings nicht mit dem Verstande, mit dem Intellekt ausspintisieren. diese Dinge lassen sich nur

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empfinden, fühlen, künstlerisch anschauen. Und derjenige, der sie auf abstrakte Begriffe bringen will, der versteht sie eigentlich nicht. Aber man kann doch in der verschiedensten Weise charakterisierend auf diese Dinge hinweisen. Und so muß gesagt werden: Der Grieche fühlte gewissermaßen den Gott oder die Göttin wie seine Zeitgenossen, wie seine Mitbewohner. Der mittelalterliche Mensch hatte den Dom, der dem Gotte nicht als Wohn-haus diente, der aber gewissermaßen die Eialaßpforte sein sollte zu dem Wege, der zu dem Göttlichen führt. Die Menschen versammelten sich in dem Dom und suchten gewissermaßen aus der Gruppenseele der Mensch­heit heraus. Das ist das Charakteristische, daß diese ganze mittelalterliche Menschheit etwas hatte, das nur zu verstehen ist aus dem Gruppenseelen­haften heraus. Der einzelne, individuelle Mensch kam bis in die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts nicht so in Betracht, wie seit jener Zeit. Seit jener Zeit ist dasjenige, was dasWesentlichste im Menschen ist, das Streben, Individualität zu sein, das Streben, individuelle Persönhchkeitskräfie zu­sammenzufassen, gewissermaßen einen Mittelpunkt in sich selber zu finden.

Man versteht auch nicht dasjenige, was in den verschiedensten sozialen Forderungen unserer Zeit aufsteigt, wenn man nicht dieses Walten des Individual-Geistes in jedem einzelnen Menschen kennt, dieses Stehenwollen eines jeden einzelnen Menschen auf der Grundlage seines Wesens.

Dadurch aber wird für den Menschen etwas ganz besonders wichtig in dieser Zeit, die mit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts begonnen hat und gegen das viertejahrtausend zu erst enden wird. Damit tritt etwas ein, was für diese Zeit von ganz besonderer Wichtigkeit ist. Denn sehen Sie, es ist etwas Unbestimmtes ausgedrückt, wenn man sagen muß: Jeder Mensch strebt nach seiner besonderen Individualität. Der Gruppengeist, selbst wenn er nur kleinere Gruppen umfaßt, ist etwas viel Faßbareres als dasjenige, was jeder einzelne Mensch aus dem Urquell seiner Individualität heraus erstrebt. Daher kommt es, daß ganz besonders wichtig wird für diesen Menschen der neueren Zeit das zu verstehen, was man nennen kann:

Gleichgewicht suchen zwischen den entgegengesetzten Polen.

Das eine will gewissermaßen über den Kopf hinaus. Alles, was den Men­schen dazu bringt, Schwärmer, Phantast, Wahnmensch zu sein, was ihn erfüllt mit unbestimmten mystischen Regungen nach irgendeinem unbe­stimmten Unendlichen, ja, was ihn selbst erfüllt, wenn er Pantheist oder

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Theist oder irgend so etwas ist, was man ja heute so häufig ist, das ist der eine Pol. Der andere Pol ist der der Nüchternheit, der Trockenheit, trivial gesprochen, aber nicht unwirklich gesprochen gegenüber dem Geiste der Gegenwart, wahrhaftig nicht unwirklich gesprochen: der Pol der Phili­strosität, der Pol des Spießbürgertums, der Pol, der uns hinunterzieht zur Erde in den Materialismus hinein. Diese zwei Kräfte-Pole sind im Men­schen, und zwischen denen darinnen steht das Menschenwesen, hat es das Gleichgewicht zu suchen. Auf wie viele Arten kann man denn das Gleich­gewicht suchen? Sie können sich das wiederum durch das Bild der Waage vorstellen (siehe Zeichnung). Auf wie viele Arten kann man denn das Gleichgewicht suchen zwischen zwei nach entgegengesetzten Richtungen ziehenden Polen?

# Bild s. 168

Nicht wahr, wenn hier auf der einen Waagschale fünfzig Gramm oder fünfzig Kilogramm sind, und hier auch, so ist Gleichgewicht. Aber wenn hier auf der einen Waagschale ein Kilogramm ist, und hier auf der andern Waagschale auch ein Kilogramm, so ist auch Gleichgewicht, und wenn hier tausend und hier tausend sind, so ist auch Gleichgewicht. Auf unend­lich viele Arten können Sie das Gleichgewicht suchen. Das entspricht den unendlich vielen Arten, individueller Mensch zu sein. Daher ist für den gegenwärtigen Menschen so wesentlich, einzusehen, daß sein Wesen in dem Streben nach Gleichgewicht zwischen den entgegengesetzten Polen besteht. Und das Unbestimmte des Suchens nach Gleichgewicht ist eben jenes Un­bestimmte, von dem ich Ihnen vorhin gesprochen habe.

Daher kommt der Mensch der Gegenwart mit seinem Suchen nur zurecht, wenn er sich mit diesem Suchen anlehnt an das Streben nach dem Gleich-gewichte.

So wichtig, wie es für den Griechen war, zu fühlen, in dem Gemeinwesen,

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dem ich angehöre, waltet die Pallas, waltet der Apollo, das ist das Haus der Pallas, das ist das Haus des Apollo, so wichtig es für den mittelalterlichen Menschen war, zu wissen: es gibt einen Versaminlungsort, der birgt etwas

- seien es die Reliquien eines Heiligen, sei es der Heilige Gral selber -, es gibt einen Versammlungsort, in dem, wenn man sich da versammelt, die Seelensehnsuchten nach dem unbestimmten Geheirnnisvoflen strömen kön­nen, so wichtig ist es für den modernen Menschen, ein Empfinden dafür zu entwickeln, was er ist als individueller Mensch: daß er als individueller Mensch ein Sucher des Gleichgewichtes ist zwischen zwei entgegengesetzten, zwei polarischen Kräften. Man kann seelisch das so ausdrücken, daß man sagt: Auf der einen Seite waltet das, wodurch der Mensch gewissermaßen über seinen Kopf hinaus will, das Schwärmerische, das Phantastische, das­jenige, was Lust entwickeln will, die nicht sich kümmert um die realen Bedingungen des Daseins. So wie man das eine Extrem seelisch so bezeich­nen lanan, so das andere Extrem so, daß es hinüberzieht nach der Erde, nach dem Nüchternen, Trockenen, trocken Intellektuellen und so weiter. Phy­siologisch ausgedrückt kann man auch so sagen: Der eine Pol ist alles das­jenige, wo das Blut hinkocht, und kocht es zu stark, so wird es fieberhaft. Physiologisch ausgedrückt ist der eine Pol alles dasjenige, was mit den Kräften des Blutes zusammenhängt, der andere Pol alles dasjenige, was zusammenhängt mit dem Knochigwerden, dem Petrifizieren des Menschen, was, wenn es ins physiologische Extrem geht, zur Sklerose in den verschie­densten Formen führen würde. Und zwischen der Sklerose und dem Fieber als den radikalen Endpolen muß auch physiologisch der Mensch sein Gleich­gewicht bewahren. Das Leben besteht im Grunde genommen in dem Gleichgewichtsuchen zwischen dem Nüchternen, Trockenen, Pluliströsen und dem Schwärmerisch-Phantastischen. Seelisch gesund sind wir, wenn wir das Gleichgewicht finden zwischen dem Schwärmerisch-Phantastischen und dem Trocken-Philiströsen. Körperlich gesund sind wir, wenn wir im Gleichgewichte leben können zwischen dem Fieber und der Sklerose, der Verknöcherung. Und das kann auf unendlich viele Weise geschehen, dar­innen kann die Individualität leben.

Das ist dasjenige, worin der Mensch gerade in der modernen Zeit erfühlen muß den alten Apollo-Spruch «Erkenne dich selbst». Aber «Erkenne dich selbst» nicht in irgendeiner Abstraktion: «Erkenne dich selbst in dem Streben

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nach Gleichgewicht.» Deshalb haben wir im Osten des Baues aufzustel­len dasjenige, was den Menschen empfinden lassen kann dieses Streben nach Gleichgewicht. Und das soll in der gestern erwähnten plastischen Holz-gruppe zur Darstellung kommen, die als Mittelpunktsflgur hat die Christus-Gestalt, - die Christus-Gestalt, die versucht worden ist so zu gestalten, daß man sich vorstellen kann: So hat wirklich der Christus in dem Menschen Jesus von Nazareth gewandelt im Beginne unserer Zeitrechnung in Pa­lästina. Die konventionellen Bilder des bärtigen Christus, sie sind ja eigent­lich erst Schöpfungen des fünften, sechsten Jahrhunderts, und sie sind wahr­haftig nicht irgendwie, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, Porträt-getreu. Das ist versucht worden: einen Porträt-getreuen Christus zu schaf­fen, der der Repräsentant zugleich sein soll des suchenden, des nach Gleich­gewicht strebenden Menschen.

Sie werden dann au dieser Gruppe zwei Figuren sehen (siehe folgendes

Schema): Hier den stürzenden Luzifer, hier den hinaufstrebenden Luzifer. Hier unten, gewissermaßen verbunden mit Luzifer, eine ahrimanische Gestalt, und hier eine zweite ahrimanische Gestalt. Hineingestellt der Menschheitsrepräsentant zwischen der ahrimanischen Gestalt: dem Phili­strösen, dem Nüchtern-Trocken-Materialistischen, und der Luzifer-Gestalt:

dem Schwärmerischen, Phantastischen. Der Ahriman-Gestalt: all dem, was den Menschen führt zur Petrifizierung, zur Sklerose; der Luzifer-Gestalt:

Repräsentanz alles dessen, was den Menschen fiebrig über das Maß der­jenigen Gesundheit hinausführt, das er ertragen kann.

Und so kommt man, nachdem gewissermaßen in die Mitte hineingestellt ist der gotische Dom, der kein solches Bildnis umschließt, sondern entweder Jie Reliquien der Heiligen oder auch den heiligen Gral - also irgend etwas, was nicht mehr mit unmittelbar hier Wandelnden zusammenhängt -, so kommt man, ich möchte sagen, wiederum zurück zu dem, daß der Bau etwas Umschließendes wird, aber jetzt umschließt die Menschenwesenheit in ihrem Streben nach Gleichgewicht.

Wenn das Schicksal es will und einmal dieser Bau vollendet werden kann, wird gewissermaßen der, welcher darinnen sitzt, unmittelbar vor sich haben das, was ihm nahelegt, indem er hinsieht auf die Wesenheit, die der Erden-evolution Sinn gibt, auszusprechen: Die Christus-Wesenheit. Aber die Sache soll künstlerisch empfunden werden. Es darf das nicht spintisierend

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etwa nur als der Christus intellektuell gedacht werden, sondern es muß empfunden werden. Das Ganze ist künstlerisch gedacht, und was künst­lerisch in den Formen zum Ausdruck kommt, das ist das Wichtigste. Dennoch aber soll es gerade rein empfmdungsgemäß, ich möchte sagen, mit Ausschluß des Intellektuellen, das nur die Leiter zur Empfindung sein soll, dem Menschen nahelegen, nach dem Osten hinzuschauen und sagen zu können: «Das bist Du», aber jetzt nicht eine abstrakte Definition des Menschen, denn das Gleichgewicht kann auf unendlich viele Arten herge­stellt werden. Nicht ein Götterbild ist umschlossen - denn es gilt ja auch für die Christen, daß sie sich von dem Gotte kein Bild machen sollen - nicht ein Götterbild ist umschlossen, aber dasjenige ist umschlossen, was aus dem Gruppenseelenhaften des Menschen sich herausgebildet hat zu der Individual­Kraftwesenheit jedes einzelnen Menschen. Und dem Wirken und Weben des Individual4mpulses ist Rechnung getragen in diesen Formen.

Wenn Sie das, was ich jetzt gesagt habe, nicht mit dem Verstande

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denken - das ist ja heute eine beliebte Art - sondern wenn Sie es mit dem Gefühl durchdringen und sich denken, daß nichts synibolisiert ist oder verstandesmäßig ausgedacht ist, sondern vor allem wenigstens versucht worden ist, es ausströmen zu lassen in künstlerischen Formen, dann haben Sie das Grundprinzip, das sich in diesem Bau des Goetheanum ausdrücken soll. Dann haben Sie aber auch die Art und Weise, wie zusammenhängt mit dem inneren Geist der Menschheitsevolution das, was sein will anthro­sophisch orientierte Geisteswissenschaft. In dieser Zeit kommt man dieser anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft nicht nahe, wenn man den Weg nicht sucht aus den großen Forderungen heraus der neueren Zeit der menschlichen Gegenwart und der nächsten menschlichen Zukunft. Wir müssen wirklich anders reden lernen über dasjenige, was eigentlich die Menschen der Zukunft entgegenträgt.

Es gibt jetzt mancherlei auf sich stolze Geheimgesellschaften, die aber im Grunde genommen mehr oder weniger nichts anderes sind als doch nur Träger dessen, was noch hereinragt aus der Zeit vor der großen Wende im fünfzehnten Jahrhundert. Das drückt sich ja oftmals auch sehr äußerlich aus. Auch wir haben es ja oftmals erfahren können, daß in unsere Reihen hereinragt solches Streben. Wie oft und oft wird, wenn man das besonders Wertvolle eines sogenannten okkulten Strebens ausdrücken will, darauf hingewiesen, wie alt die Sache ist. Wir hatten zum Beispiel einmal einen Mann unter uns, der wollte so ein bißchen sich aufspielen als einen Rosen­kreuzer. Und der hat überhaupt, wenn er etwas gesagt hat, was zumeist nichts anderes war als seine höchst eigene, triviale Privatmeinung, nie ver­säumt zu sagen: wie die « alten » Rosenkreuzer gesagt haben. Aber das «alte» hat er nie ausgelassen. Und wenn man nachschaut bei mancherlei der gegenwärtigen Geheimgeselischaften, überall sieht man den Wert der Dinge, die man vertritt, darinnen, daß man auf das höchste Alter hinweisen kann. Manche gehen zurück auf das Rosenkreuzertum - in ihrer Art selbstverständlich -, manche natürlich noch viel weiter, besonders ins alte Ägypten, und wenn irgend jemand ägyptische Tempeiweisheit heute ver­schleißen kann, dann fällt schon ein großer Teil der Menschheit auf die bloße Ankündigung hin herein.

Die meisten unserer Freunde wissen, daß wir stets betont haben: mit diesem Streben nach dem Alten hat diese antliroposophisch orientierte

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Geistesbewegung nichts zu tun. Sie strebt nach dem, was jetzt unmittelbar aus der geistigenWelt heraus sich für diese physische Welt offenbart. Daher muß sie über vieles anders reden, als auch ernst zu nehmende, aber doch auf das Antiquierte hauende Geheimgesellschaften, die gegenwärtig noch in dem Geschehen der Menschheit eine große Rolle spielen. Wenn Sie solche Leute reden hören - es wird ihnen ja aus dem eigenen Willen heraus heute manchmal der Mund geöffnet-, die eingeweiht sind in gewisse Geheimnisse der gegenwärtigen Geheimgesellschaften, so werden Sie hören, wie sie hauptsächlich von drei Dingen reden. Erstens von jenem Erlebnis, das der wirkliche Sucher nach der geistigen Welt hat, wenn er die Schwelle zur geistigen Welt überschreitet, das darinnen besteht, daß man nicht umhin kann, sobald man die Schwelle zur geistigenWelt überschreitet, zusammen­zukommen mit Mächten, welche die wirklichen Feinde der Menschheit sind, welche die wahren, realen, wesenhaften Gegner des hier auf der Erde lebenden physischen Menschen sind, so wie dieser physische Mensch von den göttlichen Mächten intendiert wird. Das heißt: Es wissen diese Leute, daß dasjenige, was sich vor dem gewöhnlichen Menschenbewußtsein ver­hüllt, durchwoben ist von denjenigen Mächten, die mit einem gewissen Rechte genannt werden dürfen die wesenhaften Ursachen von Krankheit und Tod, mit denen aber auch verwoben ist all dasjenige, was mit der menschlichen Geburt zusammenhängt. Und Sie können dann hören von jenen Menschen, die von solchen Dingen etwas wissen, daß über diese Dinge geschwiegen werden müsse - ich sags im Konjunktiv - weil man der profanen Menschheit - so sagt man, man meint eigentlich die unreifen Seelen, die sich nicht stark genug gemacht haben dazu, und allerdings gehört ja dazu ein großer Teil der Menschheit - nicht offenbaren könne, was da jenseits des normalen Bewußtseins ist.

Das zweite Erlebnis ist, daß der Mensch in dem Augenblicke, wo er die Wahrheit erkennen lernt - die Wahrheit kann man erst erkennen lernen, wenn man die Geheimnisse des Übersinelichen kennen lernt -, auch erken­nen lernt, inwiefern alles dasjenige, was man durch bloße sinnliche Beob­achtung der Umwelt aussagen kann, Illusion, Täuschung ist; wenn das noch so exakt erforscht ist, ja, dann erst recht Täuschung ist. Dieses Ver­lieren des Bodens unter den Füßen, den insbesondere der heutige Mensch braucht, das Verlieren des festen Bodens, so daß er sagen kann: Das ist

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eme Tatsache, denn ich habe es gesehen - das hört auf nach dem Über-schreiten der Schwelle.

Das dritte ist, daß in dem Augenblicke, wo wir beginnen Menschenwerk zu verrichten - sei es, indem wir mit Werkzeugen arbeiten oder den Boden bearbeiten, überhaupt Menschenwerk verrichten, namentlich aber dann, wenn wir Menschenwerk verrichten, indem wir es in das Gewebe des sozialen Organismus einweben -, daß wir dann etwas machen, was nicht bloß uns als Menschen angeht, sondern etwas machen, was dem ganzen Universum angehört. Der Mensch glaubt heute selbstverständlich, wenn er eine Lokomotive konstruiert, oder wenn er ein Telephon macht oder einen Blitzableiter oder einen Tisch, oder wenn er einen Kranken heilt oder auch nicht heilt, ihn krank bleiben läßt, oder irgend etwas anderes tut, das seien Dinge, die sich nur abspielen innerhalb der Menschheitsentwickelung auf der Erde. Nein, dasjenige, was ich angedeutet habe in meinem Mysterien-drama «Die Pforte der Einweihung», daß sich im ganzen Weltenall Ereig­nisse abspielen, wenn hier etwas geschieht - erinnern Sie sich an die Szene zwischen Strader und Capesius -, das ist eine tiefe Wahrheit.

An diese drei Erlebnisse Imüpfen die Menschen an, die heute etwas wissen von den Dingen, welche aber in diesen Gesellschaften in der Form von vor der Mitte des fünfzehnten Jahrhtinderts aufbewahrt werden und oftmals höchst mißverstanden aufbewahrt werden. An diese Dinge knüpfen die Menschen an, indeiu sie hinweisen: erstens auf das Geheimnis von Krank-heit, Gesundheit, Geburt und Tod, zweitens auf das Geheimnis der großen Illusion im Sinnlichen, drittens auf das Geheimnis der universellen Bedeu­tung des Menschenwerkes. Und sie sprechen in einer gewissen Weise davon. Über alle diese Dinge, und gerade über diese wichtigsten Dinge muß in der Zukunft auders gesprochen werden als in der Vergangenheit. Und eine Vorstellung davon möchte ich Ihnen geben, wie anders in der Vergangen­heit über solche Dinge gesprochen worden ist, was dann herausgeflossen ist in das allgemeine Bewußtsein, durchdrungen hat das gewöhnliche Naturwissen, das gewöhnhche soziale Denken und so weiter, und wie in der Zukunft gesprochen werden muß da, wo man wirklich von der Wahrheit spricht, wie dann herausfließen muß dasjenige, was aus den geheimen Quellen des Erkenntnisstrebens kommt, in die äußere Naturerkenntnis, in die äußere soziale Anschauung und so weiter, und so weiter

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Von dieser gewaltigen Metamorphose - die man aber heute verstehen soll, weil die Menschen aus dem Gruppenbewußtsein heraus völlig er­wachen müssen zum individuellen Bewußtsein -, von dieser großen Meta­morphose, von dieser historischen Metamorphose möchte ich Ihnen noch sprechen.

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ELFTER VORTRAG Dornach, 14. Dezember 1919

Ich möchte heute, zum Teil noch mehr ins Allgemeine gehend, einiges besprechen in Anknüpfung an das gestern und vorgestern Gesagte. Auch aus jenen beiden Betrachtungen werden Sie ja entnehmen können, daß Geisteswissenschaft, wie sie hier gedacht wird, herausgeboren sein soll aus den tiefsten und ernstesten Forderungen der Menschheitsentwickelung in unserer Zeit und für die nächste Zukunft. Ich habe es ja oft erwähnt, daß es sich hier nicht um solche Ideale handelt, die aus der Subjektivität des Menschen entspringen, sondern um dasjenige, was abgelesen wird der gei­stigen Entwickelungsgeschichte der Menschheit. Und dieser geistigen Ent­wickelungsgeschichte der Menschheit kann man wahrhaftig ablesen, daß die Wissenschaft der Initiation, also die Wissenschaft, die ihre Erkenntnisse herüberholt von jenseits der Schwelle zur geistigen Welt, für die Weiter-entwickelung der Menschheit durchaus nötig ist. Gegen alles, was für eine wirkliche Erkenntnis der geistigen Welt heute geltend gemacht werden kann, lehnen sich aber auch diejenigen Mächte auf, die das Alte vertreten. Und die Auflehnung jener Menschen, in denen gewisser­maßen die Mächte des Alten leben, sie muß überwunden werden. Das Wort von der Notwendigkeit des Umlernens und Umdenkens in bezug auf die wichtigsten Angelegenheiten der Menschheitsentwickelung, es muß gründlich und ernst verstanden werden. Deshalb möchte ich Sie bitten, gerade darauf Wert zu legen, daß unsere Tendenz darauf gehen müsse, alles bloß Sektiererische, das auch noch in dem anthroposophi­schen Gemüt wuchert, zu überwinden und die Welt- und Menschheits-bedeutung der antliroposophisch orientierten Geisteswissenschaft wirk­lich zu sehen.

Die Menschen sind heute noch lange nicht erwacht aus dem Schlafe, in den sie eingehüllt worden sind durch jene Entwickelung, die ich Ihnen ja auch in gewissen Grundzügen schon geschildert habe, die begonnen hat um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts. Gewiß, was da der Menschheits-evolution einverleibt worden ist, die äußerliche Naturwissenschaft mit ihren großen Triumphen. die materialistische Auffassung der Weltgesetzmäßigkeit

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und damit die ja heute so klar zutage tretenden irrtümlichen sozialen Ideen, das alles, was von dieser Seite her die Menschheit in den Schlaf gehüllt hat, das wirkt mächtig fort. Und ein gedeihlicher Fortschritt wird nicht möglich sein, ohne die Menschheit aus diesem Schlafe aufzu­rütteln. Vergessen wir nur ja nicht, daß die Erkenntnis des Geistigen mäch­tige Feinde hat an all denjenigen, welche vor allen Dingen das fortgesetzt wissen wollen, was sie gewöhnt worden sind zu denken, fortgesetzt wissen wollen aus der reinen Denkbequernlichkeit heraus. Man kann nicht sagen:

Wenn von dieser Seite her Feindlichkeit und Gegnerschaft gegen die Geistes-wissenschaft, wie sie hier gemeint ist, umsornelir sich erhebt, je mehr diese Geisteswissenschaft bekannt wird, dann solle man nicht diese Hemmnisse berücksichtigen. Gewiß, es könnte eine mögliche Anschauung sein, ganz unberücksichtigt zu lassen, was sich so erhebt. Allein, das wäre ein ganz falscher Gedanke in unserer heutigen Zeit, denn man läßt ja auch nicht un­berücksichtigt dasjenige, was sich etwa als Ungeziefer an uns heranmacht, sondern man versucht es von sich aus zu entfernen und manchmal muß man es entfernen auf unsanfte Weise. Das ist etwas, was von Fall zu Fall selbstverständlich entschieden werden muß.

Diese Dinge müssen auch aus den Notwendigkeiten der Zeit heraus begriffen werden. Deshalb muß es mit ganz besonderer Befriedigung auf­genommen werden, wenn in dieser unserer immer schwieriger werdenden Zeit sich doch nun Menschen finden, die ergriffen werden von jener Wil­lenskraft, die notwendig ist, um für unsere Sache einzutreten. Aber es sind leider noch viel zu wenige da von der Art derjenigen, die den ganzen Ernst dessen durchdringen, was heute für die Evolution der Menschheit auf dem Spiele steht. Es stehen auf der einen Seite jene, die, nicht aus irgendwelchen geistigen Gründen, sondern aus einer Denkbequemlichkeit und anderen Rücksichten, nicht heraus wollen aus dem, woran sie sich gewöhnt haben seit langer Zeit. Auf der anderen Seite müssen diejenigen dastehen, die mit ihrem ganzenWesen sich entgegenstemmen dem, was reif ist zum Unter-gange. Und wir müssen nicht glauben, daß die Nachsicht mit dem, was reif ist zum Untergange, irgend etwas sein darf, was uns heute zurückhält. In den letzten fünf bis sechs Jahren hätten die Menschen lernen können, wie die alten Dinge sich ad absurdum führen. Und jene, die es noch nicht gelernt haben, werden reichlich Gelegenheit haben, es in der nächsten Zeit

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zu lernen. Aber es muß in uns das Feuer sein für dasjenige, was als Neues der Menschheitsevolution eingepflanzt werden soll.

Deshalb erfüllte es mich mit einer gewissen Befriedigung, als ich vorgelegt bekam den Brief, dessen Hauptinhalt ich Ihnen heute zur Einleitung mit­teilen möchte. Es handelt sich darum, daß in Reutlingen, einer Nachbar­stadt von Stuttgart, jener selbe Professor aufgetreten ist, um wiederum mit ebenso törichten Gründen loszuwettern gegen dasjenige, was gewollt wird von seiten der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft, wie er es in jener törichten Schrift getan hat, von deren Inhalt ich Ihnen vor kurzem hier gesprochen habe. Jedenfalls wird jener Professor, eine der Zierden - denii so sind die Zierden jetzt auf dieser Seite -, eine der Zierden der Tübinger Universität - an anderen Universitäten der Welt sind sie nicht anders - jetzt ebenso gesprochen haben, wie er gesprochen hat in jener Schrift. Da trat ihm entgegen, aber diesmal - das geht aus einem Brief hervor - mit dem wirklichen Elan, der notwendig ist heute, wenn man den völligen Ernst ermißt von dem, was auf dem Spiele steht, unser Freund Dr. Walter Stein. Und von jener Diskussion, die sich da vor einigen Tagen abgespielt hat, schreibt unser Freund, Dr. Stein, an seine Frau hier­her: «Gestern war ich in Reutlingen, wo Professor Traub gegen Steiner sprach. Ich meldete mich zur Diskussion. Es war ein Kampf auf Leben und Tod. Ich stellte Traub als einen gewissenlosen, der Materie, die er behandelt, gänzlich unkundigen Menschen hin. Sein Schlußwort brachte er nur noch stammelnd hervor. Er war gebrochen. Der Stadtpfarrer, der eröffnete, wurde von mir durch Bibeltexte so in die Enge getrieben, daß er sagte in bezug auf die Stelle, wo Christus von der Reinkarnation spricht: Hier irrt Christus, - der Stadtpfarrer von Reutlingen. Da stand ich auf und rief:

Hört! das ist heutige Religion, ein Gott, der irrt! - Das Publikum tobte. Man wollte mich zuerst unterbrechen, mir das Wort entziehen, rief: zur Sache! scharrte und stampfte. Ich aber sprach völlig ruhig, zeigte mit einer Hand auf Professor Traub und sprach: dies ist die Autorität! Ich bekam Beifall und siegte. Der Mann ist fertig. Ich bin noch heute halb tot.»

Daß ein starker Haß sich auftun werde gegen jene anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, die nun schon seit zwei Jahrzehnten hier getrieben wird in Europa, das konnte man voraussehen, konnte jeder vor­aussehen, der eben wußte und weiß, wie mnig verbunden mit den Mächten,

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die zum Fortschritte der Menschheit aufgerufen werden müssen in der Gegenwart und der nächsten Menschheitszukunft, das ist, was hier anthropo­sophisch orientierte Geisteswissenschaft genannt wird. Aber mit Schlaf­mützigkeit, mit derjenigen Gesinnung, die sich durch geistige Ideen und Begriffe ein wenig Wollust in der Seele schaffen will, darf diese anthro­sophisch orientierte Geisteswissenschaft nicht verwechselt werden. Und wenn der Dr. Stein empfmdet, es handelte sich dabei um einen Kampf auf Leben und Tod, so ist das die Empfmdung von etwas durchaus richtigem. Wir stehen am Anfange. Gegen uns tobt der Kampf des Vemichtungs­willens. Wir haben niemals Anstalten gemacht, insoferne wir den richtigen Impuls unserer Geisteswissenschaft verstanden haben, agressiv vorzugehen. Aber wir dürfen nicht vermeiden dasjenige, was notwendig ist gegenüber dem agressivenWesen, das immer mehr und mehr von außen kommen wird. Da darf uns nicht der Mut sinken, da dürfen wir nicht mit Schlafmützigkeit vorgehen wollen. Bequem wird es nicht sein, dieWahrheit der Menschheits-evolution einzufügen, und Nachsicht ist wahrhaftig nicht dasjenige, mit dem wir uns bei gewissen Dingen gürten dürfen. Denn wir sind ja weit gekommen, wenn die Herren, die offiziell das Christentum zu vertreten haben, dann wenn sie nicht mehr weiter können, sogar bereit sind, zu sagen:

Hier irrt Christus! - Selbstverständlich, der Professor Traub irrt nicht! Aber wenn dasjenige, was der Professor Traub zu sagen hat, nicht stimmt mit dein, was offenbarer Bibeltext ist, dann irrt Christus, nicht der Pro­fessor Traub! Das ist aber überhaupt die Gesinnung, der man heute begegnet, die nian nur nicht sehen will, weil es unbequem ist, sie zu sehen. Man könnte sie sehen auf allen Gebieten, wenn man nur wollte.

Für diejenigen aber, welche die Zusammenhänge im Leben sehen können, ist es auch klar, daß das europäische Unglück der letzten Jahre, wenn es sich auch scheinbar äußerlich abgespielt hat, mnig zusammenhängt mit dem, was die Menschen gewohnt worden sind zu denken, und - verzeihen Sie den etwas trivialen, banalen Ausdruck - wovon die Menschen so gern sprechen: wie wir's so herrlich weit gebracht haben - und sich dabei vor Wollust die Finger ablecken.

Was aber notwendig ist, das ist: innerlich sachlich werden. Unter dem Einfluß der neueren Kultur haben die Menschen die Sachlichkeit verloren. Persönhches spielt überall. Und wenn einmal die Geschichte der letzten

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fünf bis sechs Jahre geschrieben wird, wird sie nur geschrieben werden können aus geisteswissenschaftlichen Unterlagen heraus. Dann wird in diesen Kapiteln der Weltgeschichte viel stehen davon, wie unendlich das Persönhche hineingespielt hat in die großen weltgeschichtlichen Ereignisse. Ich sagte, unmöglich wird es sein ohne geisteswissenschaftbche Grundlagen, von den Ereignissen der letzten fünf bis sechs Jahre zu sprechen. Ich brauche ja nur dasjenige anzudeuten, was ich hier auch schon öfter angedeutet habe. Von den dreißig bis vierzig Menschen, die 1914 in leitenden hervor­ragenden Stellungen beteiligt waren an dem, was man den Ausbruch des Weltkrieges nennt - ungenaues Sprechen liebt man ja heute, weil es ge­eignet ist, die Wahrheit zu verhüllen; es war weder ein Ausbruch, es war etwas ganz anderes, noch war es ein Weltkrieg: es war etwas ganz anderes, was noch lange nicht zu Ende ist -, von den dreißig bis vierzig damals be­teiligten Menschen war eine große Anzahl nicht vollsmnig, hatte nicht alle Kräfte der Seele und des Geistes beisammen. Da aber, wo das Bewußtsein getrübt ist, da sind die Tore, wo die ahrimanischen Mächte besonders leicht Zutritt haben zu dem, was Menschenentschlüsse sind, was Menschen­wollungen sind.

Die ahrimanischen Mächte haben wesentlich mitgewirkt im Ausgangs­punkte jener Ereignisse, die 1914 gespielt haben. Man würde heute schon, wenn man nur wollte, aus dem rein äußerlichen Verfolgen der Sache er­sehen können, wie notwendig es ist, der Menschheitsevolution geistige Erkenntnis einzufügen. Wie weit entfernt ist man aber aus den Denk- und Empfindungs- und Gefühlsgewolinheiten heraus, derlei Dinge mit vollem Ernste zu betrachten. Da ist auf der einen Seite die Tatsache - und noch mehr die bevorstehende Tatsache, daß die Zeit reif ist zum Auftreten von Menschen, die eine geeignete, befähigte Seele dem entgegenbringen können, was seit dem letzten Drittel des neunzelinten Jahrhunderts an geistigen Im­pulsen hereinbricht in unsere physische Welt. Neben dem, daß wir hinein-gesegelt sind in eine materiahstische Zeit, besteht ja die andere Tatsache, daß die Tore, die von der geistigenWelt zu der unsrigen gehen, seit dem letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts offen stehen, und daß Men­schen, die diesen geistigen Impulsen ihre geöffnete Seele, ihr geöffnetes Be­wußtsein entgegenbringen, Beziehungen zur geistigenWelt haben können. Gewiß, die Zahl derer, in deren Bewußtsein heute schon die geistige Welt

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hereinspielt, mag klein sein. Aber es ist die Tatsache vorhanden, daß die geistige Welt in manches Menschengemüt hereinspielt. Und wir können sagen: Die nächsten zehn, zwanzig, dreißig Jahre, bis zur Mitte des Jahr­hunderts werden solche sein, in denen immer mehr und mehr Menschen gelernt haben werden, leise hinzuhorchen auf ihr Inneres, um dieses Innere entgegenzuhalten den hereinwollenden Impulsen der geistigen Welt.

Diejenigen Menschen, welche heute solche Impulse aus der geistigen Welt empfangen, welche heute wissen um die Wahrheiten und Erkennt­nisse, die herein müssen in die Menschheitsevolution, sie wissen das Fol­gende: Wenn nicht durch diese von solchen Menschen zu handhabende Wissenschaft der Initiation befruchtet wird dasjenige, was wir Natur­erkenntnis nennen, dasjenige namentlich, was wir Kunst nennen, so geht die Menschheit einem raschen Verfalle, einem furchtbaren Verfalle ent­gegen. Lassen Sie drei Jahrzehnte noch so gelehrt werden, wie an unseren Hochschulen gelehrt wird, lassen Sie noch durch dreißig Jahre so über soziale Angelegenheiten gedacht werden, wie heute gedacht wird, dann haben Sie nach diesen dreißig Jahren ein verwüstetes Europa. Sie können noch so viele Ideale auf diesem oder jenem Gebiete aufstellen, Sie können sich die Münder wund reden über Einzelforderungen, die aus dieser oder jener Menschengruppe hervorgehen, Sie können in dem Glauben reden, daß mit noch so eindringlichen Forderungen etwas getan werde für die Menschenzukunft - alles wird umsonst sein, wenn die Umwandlung nicht geschieht aus dem Fundamente der Menschenseelen heraus: aus dem Denken der Beziehung dieser Welt zur geistigen Welt. Wenn nicht da umgelernt wird, wenn nicht da umgedacht wird, dann kommt die moralische Sint­flut über Europa!

Es handelt sich gerade darum, einzusehen, was es eigentlich heißen würde, wenn eine Anzahl von Menschen, welche in das Wissen vom Jenseits der Schwelle hineinschauen, erkennen müssen: Die Konfusion, die materia­listischen Neigungen, die sozialen Irrtümer gehen weiter und die Menschen wollen nicht umdenken und umlernen - und wenn diese wenigen im Besitze der Initiationswissenschaft befindlichen Personen sehen müßten, wie die Menschheit abwärts geht aus reiner Denk- und Empfindungsbequemlich­keit! Aber man soll sich nicht Täuschungen hingeben darüber, wie viele Antriebe zu einer solchen Sachlage heute in der sogenannten zivilisierten

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Welt walten. Viele Antriebe walten da, denn ist es nicht eigentlich natür­licher zu erwarten, daß die Menschheit von heute in ihrem Hochmut alles ablehnt, was von seiten der Wissenschaft der Initiation kommt? Die Mensch­heit ist doch so unendlich gescheit in jedem einzelnen ihrer Individuen! Die Menschheit ist so geneigt, zu verhöhnen alles dasjenige, was nur er­rungen werden kann dadurch, daß man arbeitet an dem Fortgange der eigenen Seele. Die Menschheit glaubt doch, ohne etwas zu lernen, alles zu wissen. Weder die natürlichen noch die sozialen Probleme der heutigen Zeit sind zu lösen ohne ein Befruchten des menschlichen Denkens, Emp­findens und Wollens von der geistigen Welt aus. Es ist ja für viele Men­schen heute geradezu ein Phantasiegebilde, wenn man von dieser Wissen­schaft der Initiation spricht, wenn man von so etwas redet wie von der Schwelle zur geistigen Welt. Es ist richtig, es kann nicht jeder heute über die Schwelle zur geistigen Welt gehen; aber es wäre eigentlich keinem ver­wehrt, die Wahrheit dessen einzusehen, was diejenigen sagen, die über die Schwelle zur geistigen Welt gegangen sind. Unrichtig ist es, wenn von dieser oder jener Seite immer wieder und wiederum gesagt wird: Ja, wie soll ich denn einsehen, daß das richtig ist, was der oder jener als Initiations­wissenschaft vorbringt, wenn ich nicht selber in die geistige Welt hineinsehen kann. - Unrichtig ist es. Der gesunde Menschenverstand, der nicht irregeleitet ist durch irrtümliche natürliche oder soziale Ideen von heute, der kann von sich aus entscheiden, ob Wahrheitsduktus waltet in dem, was irgend jemand spricht. Irgend jemand spricht von geistigen Welten: man muß nur alles zusammen nehmen, die Art, wie gesprochen wird, der Ernst, in dem die Dinge aufgefaßt werden, die Logik, die entfaltet wird und so weiter, dann wird man sich ein Urteil darüber aneignen können, ob das­jenige, was als Kunde von der geistigen Welt gebracht wird, Charlatanis­mus ist, oder ob es einen Fond hat. Dies kann jeder entscheiden, und bei niemandem ist ein Hindernis vorhanden, das fruchtbar zu machen im natürlichen und im sozialen Denken, was aus dem Quell des geistigen Lebens herausgeholt wird von jenen, die berechtigt sind, von dem Prinzip der Initiation zu sprechen.

Diejenigen Kräfte der Menschheitsentwickelung, die den Menschen unbe­wußt geleitet haben, so daß er hat vorwärts kommen können, sie sind er­schöpft und erschöpfen sich ganz bis zur Mitte des Jahrhunderts, approximativ

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gesprochen. Aus den Tiefen der Seelen müssen die neuen Kräfte herauf­geholt werden. Und einsehen muß der Mensch, wie er in den Tiefen seiner Seele zusammenhängt mit den Wurzeln des geistigen Lebens.

Das Überschreiten der Schwelle, das kann ja natürlich heute nicht jeder leisten. Denn der Mensch ist gewöhnt worden im Laufe der letzten Jahr­hunderte, alles dasjenige, was ihm entgegentritt, so zu betrachten, daß es sich in der Zeit abspielt. Aber das erste, was erfahren wird jenseits der Schwelle, das ist, daß es eine Welt gibt, in der die Zeit, wie wir sie auffassen, keine Bedeutung hat. Heraus muß man aus dem zeitlichen Vorstellen. Deshalb ist es so nützlich, wenn Menschen, die sich vorbereiten wollen zum Verständnisse der geistigen Welt, wenigstens damit beginnen, rückwärts-gehend vorzustellen. Sagen wir, ein Drama, das äußerlich ja beginnt mit dem ersten Akt und zum fünften fortschreitet, von rückwärts angefangen bis zum Anfang hin des ersten Aktes vorzustellen; eine Melodie nicht in der Aufeinanderfolge, wie sie gespielt wird, sondern die Töne rückwärts ver­laufend vorzustellen und zu empfinden, das Tageserleben nicht vorn Mor­gen bis zum Abend, sondern rückwärts verlaufend vorn Abend bis zum Morgen vorzustellen. Dadurch gewöhnen wir unser Denken ernstlich an das Aufheben der Zeit. Wir sind gewöhnt dem alltäglichen Leben gegen­über, die Dinge so vorzustellen, daß nach dem ersten das zweite, nach dem zweiten das dritte, nach dem dritten das vierte und so weiter geschieht, und wir denken immer so, daß unser Denken das Bild des äußeren Geschehens ist. Fangen wir nun einmal an, so zu denken, daß wir von rückwärts nach vorne denken, von rückwärts nach vorne empfinden, dann müssen wir uns einen innerlichen Zwang antun, und dieser Zwang ist gut, denn dieser Zwang zwängt uns hinaus aus der gewöhnlichen Sinneswelt. Die Zeit verläuft

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von eins, zwei, drei, vier und so weiter in dieser Richtung ->. Wenn wir umgekehrt denken, statt vom Morgen bis zum Abend vom Abend bis zum Morgen, so denken wir der Zeit entgegen <-. Wir heben die Zeit auf.

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Können wir ein solches Denken auch so fortsetzen, daß wir, soweit wir nur kommen, zurückdenken in unserem Leben, dann haben wir sehr viel gewonnen. Denn wer nicht aus der Zeit herauskommt, kann nicht in die geistige Welt hineinkommen.

Wir sagen, der Mensch gliedere sich in physischen Leib, Atherleib, Astralleib und Ich. Nur der physische Leib und der Ätherleib kommen zunächst für die physische Welt, für die sinnliche Welt in Betracht. Der Ätherleib hat noch ein Erdengeschehen in der Zeit, der astralische Leib kann erst gefunden werden, wenn man aus der Zeit herauskommt. Der physische Leib ist im Raume. Das Ich, das wahre Ich kann erst gefunden werden, wenn man aus dem Raum herauskommt. Denn die Welt, in der das wahre Ich ist, ist raumlos.

Zweierlei also ist es, was zu den ersten Erlebnissen gehört: daß wir herauskommen aus der Zeit und herauskommen aus dem Raum, wenn wir die Schwelle überschreiten zur geistigen Welt. Ich habe früher öfter mal hingewiesen auf mancherlei, was zu den raumlosen Vorstellungen führen kann, indem ich Sie auf die Dimensionen aufmerksam gemacht habe, nicht in so kindlicher Weise, wie oftmals von den Spiritisten über den vier­dimensionalen Raum gesprochen wird und dergleichen, sondern m ern­sterer Weise. Aber bedenken Sie, was Ihnen von all dem, was Sie Inhalt Ihres Bewußtseins nennen, verlorengeht, wenn Sie nicht mehr im Raume Lind nicht mehr in der Zeit sind. Ihr Leben ist ganz angepaßt an Raum und Zeit. Auch das seelische Leben des Menschen ist ganz angepaßt an Raum und Zeit. Sie kommen in eine Welt, an die Sie nicht angepaßt sind: das Nichtangepaßtsein an die Welt bedeutet Schmerzempfindung, Leidempfin­dung. So daß ohne die Überwindung von Schmerz und Leid nicht hineinzukommen ist zunächst in die geistige Welt. Die Menschen bringen es sich nicht zum Bewußtsein, oder sie scheuen vor der geistigen Welt aus Furcht zurück, weil sie das Abgrundartige einer Welt, in der nicht Raum und Zeit ist, nicht betreten möchten.

Wenn ich Ihnen nur diese erste Erfahrung des Erlebens jenseits der Schwelle wiederum vor das Geistesauge rufe, so wird Ihnen lebendig bewußt sein, daß ja in wenigen Menschen heute der innerlich starke Mut vorhanden ist, um gewissermaßen in das Bodenlose und Zeitlose sich auch erfahrungs­gemäß zu begeben. Aber durch ihr Schicksal sind gewisse Menschen dazu

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verbunden, die Schwelle zu überschreiten. Und ohne die Weisheit, die herübergeholt werden kann von jenseits der Schwelle, ist nicht weiterzu­kommen. Sie fühlen daraus, was notwendig ist. Notwendig ist, daß in der Zukunft vergrößert werde dasjenige, was man Vertrauen des einen Men­schen zum andern nennen kann. Es wäre eine soziale Tugend, eine soziale Grundtugend. In unserer Zeit der sozialen Forderungen ist diese Tugend am wenigsten vorhanden, denn die Menschen fordern, daß für die Ge­meinschaft gelebt werde, aber keiner hat das Vertrauen zum anderen. In unserer Zeit der sozialen Forderungen walten die allerunsozialsten Instinkte. Notwendig wird es sein, damit die allgemeine Menschheitserziehung so vorwärtskomme, daß die Menschen in die geistige Welt hineinwachsen, notwendig wird es sein, daß denjenigen, die von der Wissenschaft der Initiation mit Recht reden dürfen, Vertrauen entgegengebracht werde, nicht Vertrauen aus blindem Autoritätsglauben heraus, sondern aus ge­sundem Menschenverstand. Denn man kann immer einsehen, was als Kunde gebracht wird von jenseits der Schwelle, wenn man nur den ge­sunden Menschenverstand wirklich anwenden will.

Und da muß man immer wiederum von dem gesunden Menschen­verstand, hinsehend auf der einen Seite zu ihm, den Blick wenden zu dem, was einem heute entgegentritt. Wenn auch nicht alle Leute so offenbar sagen: « Da irrt Christus » - aber in der Art sprechen die Leute, so ist die Logik des heutigen Lebens. Und wenn dann die Menschen kommen und sagen, sie können nicht unterscheiden zwischen dem, was aus geistigen Welten heraus mit innerer Logik verkündigt wird, und dem was die Uni­versitäts-Professoren sagen, dann hegt eben nicht der gesunde Menschen­verstand vor, oder wenigstens nicht der Wille zum gesunden Menschen­verstand. Man kann doch ohne weiteres aus seinem gesunden Menschen­verstand heraus sagen, wenn einer spricht « da irrt Christus», so ist weiter mit ihm nicht zu rechnen von diesem Gesichtspunkte aus.

Wir haben verloren eine wirkliche Wissenschaft der Seele. Wir haben sie nicht mehr. Und ich habe ja auch in öffentlichen Vorträgen, neulich erst wieder in Basel und an anderen Orten, hingewiesen daraul, warum wir die Wissenschaft von der Seele verloren haben. Die Wissenschaft vom Geiste ist ja zum Beispiel der katholischen Kirche schon im neunten Jahrhundert unbehaglich geworden; ich habe das öfter erwähnt. Deshalb ist der Geist,

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wie ich ja auch schon oft auseinandergesetzt habe, auf dem achten allge­meinen ökumenischen Konzil zu Konstantinopel, 869, abgeschafft worden. Damals wurde das Dogma gegeben, der Mensch dürfe nicht denken, wenn er rechter Christ ist, daß er bestünde aus Leib, Seele und Geist, sondern nur aus Leib und Seele, und daß die Seele geistige Eigenschaften habe. Heute lehrt das noch die Psychologie, glaubt es aus unbefangener Wissenschaft heraus zu lehren, spricht aber nur das Dogma von 869 nach. Aber auch in bezug auf alles dasjenige, was auf die Seele hinweisen soll, wurde mono­polisiert in Form des Glaubens, in Form des Bekenntnisses, in Form des Dogmas durch die Bekenntniskirchen. Alles das, was vom Menschen heraus Erkenntnis des Seelischen sein soll, es wurde von den Bekenntnisgemeinschaften monopolisiert. Und der eigentlichen Erkenntnis, der freien Erkenntnis wurde nur die äußere Natur überlassen. Kein Wunder, daß wir heute keine Seelenwissenschaft haben. Denn die weltliche Gelehrsamkeit hat sich eben nur der Wissenschaft der Natur hingegeben, da die Wissen­schaft von der Seele monopolisiert und die Wissenschaft vom Geiste abge­schafft war. Wir haben keine Wissenschaft der Seele. Wir können, wenn wir auf dem fußen, was heute tonangebende Wissenschaft ist, nicht weiter­kommen. Denn wenn wir auf dem fußen, was heute die Wortpsychologie ist - viel mehr ist sie ja nicht - da können wir nicht zu einem wirklichen Verständnisse desjenigen kommen, was in der Seele waltet. Sie wissen ja aus meiner Darstellung, die ich gegeben habe in «Wie erlangt man Erkennt­nisse der höheren Welten?», daß beim Überschreiten der Schwelle zur geistigen Welt im Bewußtsein auseinandertreten Denken, Fühlen und Wollen. Im gewöhnlichen heutigen gangbaren Bewußtsein bilden Denken, Fühlen und Wollen eine Art von Chaos; sie sind ineinandergeschichtet. In dem Augenblicke, wo die Schwelle zur geistigen Welt überschritten wird, in dem Augenblicke, wo man sich nur anschicken will, erfahrungsgemäß die Initiationswissenschaft zu gewinnen, werden im Bewußtsein Denken, Fühlen, Wollen selbständige Mächte. Sie werden selbständig. Da lernt man sie kennen, da lernt man in Wirklichkeit erst unterscheiden Denken vom Fühlen und vom Wollen.

Namentlich lernt man unterscheiden das Denken vom Wollen. Das Denken, das in uns waltet als Menschen, wenn wir es nicht seinem Inhalte nach nehmen, sondern wenn wir es nehmen hinsichtlich seiner Kraftnatur,

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wenn wir also die Denlikraft in uns nehmen, dann ist gerade dasjenige, was Denkkraft ist, etwas wie ein Heremleuchten desjenigen, was wir vor der Geburt beziehungsweise vor der Empfängnis in geistigen Welten erlebt haben. Und die Willenswesenheit im Menschen ist etwas Embryonales, etwas Keimhaftes, das erst vollständig zur Entwickelung kommt Post mor­tem, nach dem Tode. Sodaß wir sagen können: Wenn dieses hier (siehe Schema) der menschliche Lebenslauf ist zwischen Geburt und Tod, so ist innerhalb des menschlichen Lebenslaufes das Denken, so wie es im Men­schen lebt, nur ein Schein, denn seine wahre Natur, die hegt vor der Geburt beziehungsweise vor der Empfängnis, und dasjenige, was Wollen ist, ist nur ein Keim, denn dasjenige, was sich aus diesem Keim entwickelt, ent­wickelt sich erst nach dem Tode. Grundverschieden sind in der mensch­lichen Natur Denken und Wollen.

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Wenn jetzt jemand mit der Logik der Gegenwart kommt, die alles hübsch einschachtelt, die gern Systeme macht, so sagt er: Uns ist heute gesagt worden, das Denken, das ist die Kraft, die aus dem vorgeburtlichen Leben hereinspielt, das Wollen, das ist die Kraft, die in das nachtodliche Leben hineinweist. Nun hat man definiert, hübsch auseinandergeschält durch Definition Denken und Wollen. Aber mit Definitionen ist nichts gegeben. Man sieht gewöhnlich nicht das Ungenügende einer jeden Defi­nition. Es sind ja manche Definitionen, besonders solche, die als wissen­schaftlich gelten, sehr gescheit sich ausnehmend, aber alle haben sie irgend­wo einen Haken, der einen erinnert an jene Definition, welche im alten Griechenland einmal gegeben worden ist auf die Frage: Was ist der Mensch? Der Mensch ist ein zweibeiniges Wesen, das keine Federn hat - worauf am nächsten Tag ein Schüler einen gerupften Hahn gebracht hat und sagte, das ist ein Mensch, denn es ist ein zweibeiniges Wesen, das keine Federn hat. -Er hat ihn vorher sorgfältig gerupft. So einfach liegen die Dinge nämlich nicht, daß man sie mit dem gewöhnlichen Intellektwerkzeuge so handhaben kann. Denn, sehen Sie, man kann ganz schön sagen: Von dem. was wir

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erfahren als Denken, müssen wir behaupten, es habe seine wahre Wesenheit vor der Geburt und in uns herein spielt nur etwas wie ein Spiegelbild vorn Denken. - Hier liegt eine gewisse Schwierigkeit vor. Sie werden sie aber bei einer geringen Denkanstrengung überwinden.

# Bild s. 188

Nicht wahr, wenn Sie hier einen Spiegel haben und Sie haben hier einen Gegenstand, zum Beispiel eine Kerze, so haben Sie also hier ein Spiegelbild:

Sie können das Bild von dem Gegenstande unterscheiden, Sie werden es nicht verwechseln. Wenn Sie irgendwie, durch einen Schirm meinetwillen, die Kerze selbst zugedeckt haben, so werden Sie im Spiegel nur das Bild sehen. Das Bild wird alles machen, was die Kerze macht. Sie können aus dem Bilde alles ablesen, was die Kerze macht. Sie sind gewöhnt, räumlich zu denken, deshalb können Sie sich leicht vorstellen, wie das Bild sich zur Wirklichkeit der Kerze verhält. Aber das, was in uns die Denkkraft ist, ist als Kraft ein Spiegelbild, und die Wirklichkeit hegt vor der Geburt. Die reale Kraft, deren Bild wir anwenden in diesem Leben, hegt vor der Geburt. Daher ist der Grundsatz des menschlichen Bewußtseins, der sich ergibt, wenn man auf sein eigenes Bewußtsein sieht: Ich denke, also bin ich nicht. Cogito ergo non sum! Das ist das Grundsätzliche, das man begreifen muß, daß im Denken Bildnatur waltet, und daß die Kraft des Denkens vor der Geburt hegt. Die neuere Entwickelung hat damit eingesetzt, das Gegenteil als Grundaxiom der Philosophie hinzustellen: cogito ergo sum, was ein Unsinn ist. Sie sehen, wie die neuere Menschheit durch ihre Prüfung durchgehen muß. Aber wir sind am Scheidepunkte. Wir müssen umdenken lernen über die Fundamente des Seelenlebens.

Damit hätten wir das Denken in einer gewissen Weise auf sein Wesen zurückgeführt, und wir könnten jetzt etwas ähuliches behaupten für das Wollen. Das Wollen ist nicht wie Bild und Spiegelbild, aber wie Keim und Vollendung aufzufassen mit Bezug auf die Willenskraft zwischen Geburt

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und Tod und das, was daraus wird nach dem Tode. Diese Einrichtung, daß wir vom Denken das Bild, vomWollen den Embryo haben, das allein ermög­licht uns die Freiheit zwischen Geburt und Tod. Sie können darüber nach­lesen sowohl in meinen Büchern «Vom Menschenrätsel», «Von Seelenrät­seln», wie auch in der zweiten Auflage meiner «Philosophie der Freiheit», wo diese Dinge auch philosophisch behandelt sind.

Nun aber kommt das Eigentümliche, woraus Sie ersehen müssen, wie wenig das bequeme alltägliche Denken genügt, um in die Wirklichkeit hineinzukommen. Man hat das Wesen des Denkens erfaßt. Aber wenn wir dieses Wesen des Denkens in uns erfassen, so müssen wir uns zugleich sagen:

Dieses Denken ist nicht bloß Denken, sondern in diesem Denken ist auch eme Kraft des Wollens. Mit demselben inneren Wesen, mit dem wir denken, wollen wir zugleich. Es ist nur in der Hauptsache Denken, es hat einen Unterton des Wollens, ebenso hat aber unser Wollen einen Unterton des Denkens. Wir haben in der Tat zweierlei in uns: Etwas, was hauptsächlich Denken ist, was aber einen Unterton des Wollens hat; etwas, was haupt­sächlich Wollen ist, was aber einen Unterton des Denkens hat (siehe Schema Seite 187). Wenn Sie die Wirklichkeit betrachten, so kommen Sie nicht zu reinlichen Begriffen, die Sie einschachteln können in Systeme, sondern das eine ist immer zu gleicher Zeit in einem gewissen Sinne das andere. Erst wenn man diese Dinge durchdringt, dann bekommt man eine Anschauung von gewissen Zusammenhängen des Menschen mit Welten, die außerhalb derjenigen sind, die wir mit unsern Augen sehen und mit unsern Ohren hören, in denen wir aber nicht minder drinnen sind, als in dieser Welt der Sinne. Wir können nicht sagen, daß uns andere Welten als die Sinnenwelt nichts angehen, wir sind mitten in ihnen drinnen. Wir müssen uns klar sein, daß, indem wir hier auf diesem Erdboden herumgehen, wir durchaus ebenso, wie wir durch die sinnliche Luft gehen, durch die geistigen Welten gehen.

Beziehungen, sage ich, zu den geistigen Welten, sie ergeben sich, wenn man in diese Feinheiten des menschlichen Seelenlebens hineinsieht. Durch das, was mehr Denken ist und nur einen Unterton des Wollens hat, durch das hängen wir mit einer gewissen Art des geistigen Seins der geistigen Welten zusammen. Und wiederum mit einer anderen Art der geistigen Welten hängen wir zusammen durch dasjenige, was mehr Wollen und

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weniger Denken ist. Das hat schon seine tiefere Bedeutung. Denn dasjenige, was wir so finden, das prägt sich im Menschenleben aus, und die Differen­zierungen, die in der Welt vorhanden sind, die kommen davon her, daß immer die eine oder die andere Kraft der menschlichen Natur sich nach der einen oder nach der anderen Seite mehr ausbildete. Diejenigen Kräfte, die in dem Wollen liegen, das den Unterton des Denkens hat, die wurden zum Beispiel im erninentesten Sinne in der althehräischen Kultur ausgebildet. Und diejenigen Kräfte des menschlichen Seelenwesens, welche haupt­sächlich im Denken fußen, das einen Unterton des Wollens hat, die wurden in dem, was man die alte heidnische Kultur nennt, ausgebildet. Und gegen­wärtig haben wir die zwei Strömungen nebeneinander laufend. Gegen­wärtig haben wir in der zivilisierten Welt durcheinanderlaufend die eine Strömung, die eine Fortsetzung des alten Heidentums ist, in der Natur-anschauung, und die andere Anschauung, die eine Fortsetzung des alten Hebräertums ist, sie haben wir in der sozialen Anschauung der Gegenwart. in unsern ethischen, in unsern religiösen Begriffen.

Und im einzelnen Menschen selbst lebt heute dieser Dualismus. Auf der einen Seite betet der Mensch heidnisch die Natur an, auf der andern Seite ist er, ohne daß er eine richtige Naturbasis findet, außer daß er die Denkgewohnheiten herüberzieht in die sogenannte Sozialwissenschaft oder Soziologie, nachdenkend über das soziale, sogar das ethische Leben. Und wenn er dann philosophiert, dann sagt er: Auf dem einen Gebiete findet er die Freiheit, auf dem andern Gebiete fmdet er die Naturnotwendigkeit, und dann findet er sich hinein in ein Gespenstisches zwischen Freiheit und Naturnotwendigkeit, zwischen denen es keine Brücke geben soll, und der­gleichen mehr, und die Verwirrung ist eine ungeheure.

Aber diese Verwirrung ist in vieler Beziehung der Inhalt des heutigen Lebens, der Inhalt des heutigen untergehenden Lebens. Denn was fehlt in diesem unserem heutigen Leben? Wir haben eine Naturanschauung: sie ist bloß die Fortsetzung des alten Heidentums. Wir haben eine moralische, soziale Anschauung: sie ist bloß die Fortsetzung des Alten Testaments. Das Christentum ist eine Episode gewesen, die man zunächst historisch begriffen hat, aber heute ist es sozusagen wie durch das Sieb der menschlichen Kultur durchgefallen. Es ist im Grunde genommen das Christentum nicht da. Denn bei den Menschen. die oftmals vom Christus reden, können Sie es so

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machen, wie ich es Ihnen empfohlen habe bei Harnacks «Wesen des Christen­tums». Adolf Harnacks «Wesen des Christentums» können Sie so behandeln, daß Sie überall dort, wo er « Christus» schreibt, das Wort <(Christus» aus­streichen und « Gottvater» hinschreiben, oder Sie können auch einen bloßen pantheistischen «Gott» und dergleichen hinsetzen, es wird im Grunde genommen im wesentlichen alles stimmen. Und wo es nicht stimmt, da redet er einen Unsinn, Prädikate, die nicht zu den Subjekten gehören.

Alle diese Dinge müssen heute gesagt werden, denn hier muß aus dem Fundamente heraus erkannt werden, was Inhalt des Zukunftsbewußtseins sein muß. Ebenso, sehen Sie, redet die heutige Entwickelungslehre davon:

Der Mensch hat sich heraus entwickelt aus niederen Wesen und so weiter, diese niederen Wesen haben sich bis zu ihm herauf entwickelt. Gewiß, Sie brauchen nur meine «Geheimwissenschaft» nachzulesen, so werden Sie sehen, daß das von einer Seite her auch von uns gesagt werden muß. Aber die Sache hegt so, daß wenn wir das menschliche Haupt in Betracht ziehen, so ist dieses menschliche Haupt, wie wir es heute auf unseren Schultern tragen, bereits wiederum in absteigender Entwickelung. Würde unser ganzer Organismus - bitte, mich jetzt wohl zu verstehen - dieselbe Orga­nisation haben wie unser Haupt, so würden wir fortwährend sterben müs­sen. Wir leben nur durch dasjenige, was in unserem übrigen Organismus Vitalkraft ist und immer heraufgeschickt wird in das Haupt. Die Kräfte, durch die wir zuletzt sterben, sind in unserem Haupt waltend, sind in un­serem Haupte. Das Haupt ist ein fortwährend absterbendes Wesen, es ist in rückläufiger Entwickelung. Deshalb kann im Haupte auch das Seelisch-Geistige seine Entwickelung gewinnen. Denn wenn Sie sich schematisch das Haupt vorstellen, so müssen Sie sich vorstellen: seine aufsteigende Entwickelung ist bereits in eine rückwärtige Entwickelung übergegangen; hier ist eine Leere. (Siehe Schema Seite 192.) Und in das Leere, in das fort­während Zerstörtwerdende geht Seele und Geist hinein. Das ist buchstäb­lich wahr. Wir tragen durch unser Haupt Seele und Geist aus dem Grunde, weil unser Haupt bereits in absterbender Entwickelung ist. Das heißt, in unserem Haupte sterben wir fortwährend. Und der Unterton von Wollen, der unserem Denken eignet, der liegt in unserem Haupte. Aber dieser Unterton von Wollen, der ist ein fortwährender Antrieb, ein fortwährender Impuls zum Sterben, zum Überwinden der Materie.

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Wenn wir nun wirklich sterben, dann tritt dieses Wollen ein. Und indem unser Leib der Erde übergeben wird, wird durch unseren ganzen Leib, schon physisch, im Erdenleib das fortgesetzt, was bis zu unserem Tode von unserer Geburt an in unserem Haupte sich abspielt. Sie tragen Ihr Haupt auf Ihren Schultern. Darinnen spielt sich durch sich selbst der Prozeß ab -er wird nur fortwährend aufgefrischt und verhindert durch das, was vom übrigen Organismus heraufspielt -, der sich dann abspielt, wenn Sie durch Feuer oder Verwesung der Erde übergeben werden. Da setzt sich fort das­selbe, was Sie zwischen Geburt und Tod innerhalb Ihrer Haut tun. Das setzt sich in der Erde fort: Die Erde denkt nach demselben Prinzip, wie Sie mit Ihrem Menschenkopfe denken, dadurch daß Sie in ihr sich auflösen, daß in die Erde Leichname versenkt werden. indem wir durch die Pforte des Todes gehen, tragen wir durch unseren sich auflösenden Leichnam in die physische Erde hinein den Prozeß, den wir sonst für uns konfiszieren wäh­rend unseres Lebens zwischen Geburt und Tod. Das ist eine Wahrheit der Naturwissenschaft. Solche Wahrheiten müssen die Menschen in der Zu­kunft kennen. Die heutige Naturwissenschaft ist in bezug auf solche Dinge eine Kinderei, denn sie kommt nicht dazu, über diese Dinge zu denken, über diese Dinge zu forschen.

Und umgekehrt: Dasjenige, was wir in unserem Kopf als Zerstörungs­entwickelung haben, das ist ja die Fortsetzung desjenigen, was vor der Geburt beziehungsweise vor der Empfängnis vorhanden war. Das Zer­stören beginnt erst mit unserer Geburt, denn da bekommen wir ja erst den Kopf, vorher war es kein Zerstören. Jetzt berühren wir wirklich den Rand eines außerordentlich bedeutsamen Geheimnisses des Weltendaseins. Das, was in unserem Haupte lebt, wodurch wir mit den anderen Menschen, wo-durch wir mit der äußeren Natur in Beziehung treten, das ist die Fortsetzung dessen, was sich in den geistigenWelten abspielt, bevor wir in den physischen

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Leib hereintreten. Wenn man das gründlich durchschaut, dann kommt man dahin, einzusehen, wie die Kräfte aus den geistigen Welten hereinspielen in diese physische Welt. Am anschaulichsten ist das, wenn man diese Dinge mcht in abstracto betrachtet, sondern in concreto.

Ein Beispiel: 1832 ist Goethe gestorben. Das Zeitalter, das der ersten Generation nach seinem Tode angehört, bis i86s, das war nicht so, daß in es viele Kräfte von seinem Geist aus hereinspielten. Ich wähle ein Beispiel; selbstverständlich spielen auch von anderen Menschen die Kräfte ebenso herein, es ist nur ein repräsentatives Beispiel. Also bis zum Jahre i86s würde derjenige, der auf Goethes Seele die Aufmerksamkeit gerichtet hätte, wenig bemerkt haben von einem Hereinspielen seiner Kräfte. Dann, nach den ersten 33 Jahren, beginnt schon das, was in unsere Erdenentwicke­lung von ihm her hereinspielt aus der geistigen Welt. Und immer stärker und stärker wurde das bis zum Jahre 1898. Wenn man es dann weiter ver­folgt, über dieses Zeitalter hinaus, so kann man sagen: Die erste Periode des Hereinspielens der übersinnlichen Kräfte Goethes in unsere Erdenkultur ist also 1865 1898. Wie gesagt, bis 1865 war es nicht bedeutsam, dann be­ginnt es. Nach 33 Jahren haben wir dann 1931 den Ablauf einer weiteren Periode, und das würde die zweite sein. Und 1964 hätten wir dann den Ablauf der dritten Periode.

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Wir können sagen, daß an einem solchen Beispiele wirklich gelernt werden kann, wie schon verhältnismäßig bald nachdem der Mench die Pforte des Todes durchschritten hat, die Kräfte, die er dann entwickelt, mitspielen bei dem, was hier auf der Erde vor sich geht. Man muß nur wissen, wie diese Kräfte hereinspielen. Derjenige, der geistig, das heißt wirklich spiri­tuell arbeitet, der weiß wie in den Kräften, mit denen er arbeitet, die Kräfte der geistigen Welten mitwirken. Und wenn ich vorgestern gesagt habe, daß in der Mitte dieses Jahrhunderts ein wichtiger Zeitpunkt ist, so ist das wie an diesem Beispiel hier, auf Grund solcher Beobachtungen geschehen,

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aus denen gesehen werden kann, wie die Kräfte aus den geistigen Welten hereinspielen in die physische Welt.

Diese Mitte des Jahrhunderts fällt aber zu gleicher Zeit zusammen mit dem Ablauf derjenigen Zeit, in der gewissermaßen die noch atavistisch zurückgebliebenen Kräfte von vor der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts in die ärgste Dekadenz kommen. Und die Menschheit muß vor der Mitte dieses Jahrhunderts den Entschluß fassen, sich dem Spirituellen zuzuwenden. Man trifftja heute noch immer viele Menschen, die sagen: Ja warum kommt denn das Unglück?Warum helfen die Götter nicht? -Wir sind einmal in der Zeitepoche der Menschheitsentwickelung, wo die Götter gleich helfen, wenn die Menschen ihnen entgegenkommen, aber wo die Götter darauf angewiesen sind nach ihren Gesetzen, mit freien Menschen, nicht mit Puppen zu arbeiten.

Und hier bin ich an dem Punkt, auf den ich gestern hinwies. Wenn sagen wir, ein erkennender Mensch selbst noch der Griechenzeit, ja der Zeit bis in die Mitte des fünfzelinten Jahrhunderts, hinwies auf die Phäno­mene, auf die Erscheinungen von Geburt und Tod des Menschen, so konnte er hinweisen auf die Götterwelt, hinweisen, wie gewoben wird aus den göttlichen Welten heraus das Schicksal des Menschen durch Geburt und Tod. Heute müssen wir anders reden, heute müssen wir so reden, daß dem Menschen das Schicksal bestimmt ist durch seine vorhergehenden Erden-leben und durch die Art und Weise, wie er dadurch bestimmt ist, die Kräfte schafft, nach denen die göttlichen Welten an ihn herankommen können. Wir müssen lernen, umgekehrt zu denken in bezug auf das Verhältnis des Menschen zu den göttlich-geistigen Welten, wir müssen lernen, im Men­schen die Quelle zu suchen, aus der heraus sich die Kräfte entwickeln, durch welche die einen oder die andern göttlichen Wesen an einen herankommen können. An diesem wichtigen Zeitpunkt der Erdenentwickelung sind wir einmal angelangt. Und was äußerlich geschieht, das muß heute verstanden werden als ein Ausdruck für innerliches Geschehen, das nur verstanden werden kann vom Gesichtspunkte geisteswissenschaftlicher Einsicht. Jeder Mensch hat die Möglichkeit heute, ich möchte sagen, die äußersten Mün­dungen der Geschehnisse zu beobachten. Es sind ja genug Menschen ge­mordet worden in den letzten vier bis fünf Jahren. Zehn bis zwölf Millionen sind es in der zivilisierten Welt mindestens, wahrscheinlich mehr. dreimal

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so viel sind zu Krüppeln geschlagen worden in den verschiedenen Ländern, unsere Zivilisation hat es wirklich herrlich weit gebracht! Aber das wird man nach und nach erkennen müssen als die Mündungen, und die Quelle wird man zu suchen haben bei dem, was in den menschlichen Seelen vor­geht bei jenem Sich-Entgegenstemmen gegen die hereinbrechenwollende geistige Welt, die das Menschenwesen in die Zukunft tragen will. Und alle Dinge müssen heute von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, das heißt vertieft werden, richtig vertieft werden.

Man könnte heute sagen, daß vielleicht manches, was geschehen ist, richtiger ausgesprochen wäre, wenn man die Gesichtspunkte ändern würde. Grob gesprochen sage ich jetzt etwas, was diesen Vortrag ganz aktuell abschließen soll, wie ja die Nuance diesen drei Vorträgen gerade gegeben worden ist durch die uns befriedigende Anwesenheit einer Anzahl unserer englischen Freunde: Man kann heute sprechen von Siegem und Besiegten. Es ist auffällig, ein auffälliger Gesichtspunkt, aber vielleicht ist es nicht der wichtigste. Vielleicht ist ein anderer Gesichtspunkt viel wichtiger, und dieser andere Gesichtspunkt, der könnte vielleicht von Folgendem genom-men werden.

Ich habe hier von dieser selben Stelle aus einmal eine Ausführung vor­gelesen von Fercher von Steinwand, jenem deutsch-österreichischen Dichter, der in den fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts sich über die Zukunft des deutschen Volkes ausgesprochen hat. Der Vortrag ist schon deshalb bemerkenswert, weil er vor dem damaligen König von Sachsen und dessen Ministern gehalten worden ist. In diesen fünfziger Jahren - Sie haben es gehört, die damals da waren - hat Fercher von Steinwand davon gesprochen, wie sein deutsches Volk dazu prädestiniert ist, in Zukunft emmal so etwas ähnliches darzustellen, wie die Zigeuner damals dargestellt haben. Es war ein tiefer Blick, den Fercher von Steinwand in die Entwicke­lung der Menschheit getan hat. Diesen Dingen kann mit voller Objektivität ins Auge geschaut werden. Wenn man mit voller Objektivität diesen Dingen ins Auge schaut, dann wird man vielleicht einen anderen Gesichts­punkt, als den heute häuflg eingenommenen, wählen. Man wird fragen:

Wie steht es denn eigentlich mit dem, was sich gewandelt hat, gewandelt hat bei den sogenannten Besiegten, gewandelt hat bei den sogenannten Siegern?

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Nun, die eigentlichen Sieger, das ist ja das anglo-amerikanische Wesen. Und dieses anglo-amerikanische Wesen ist durch die Kräfte, die ich ja auch hier öffentlich charakterisiert habe, zur künftigen Weltherrschaft bestimmt.

Nun kann man fragen: Da das deutsche Volk ausgeschaltet sein wird von dem Miterleben der Dinge, durch welche die äußere Welt in der Zukunft beherrscht sein wird, was geht da eigentlich vor? Es fällt die Verantwort­lichkeit - nicht die des Individuums natürlich - aber die Volksverantwort­lichkeit fällt ja weg, die Verantwortung für die Menschheitsereignisse. Nicht die des Individuums, aber die Volksverantwortlichkeit fällt weg bei denjenigen, die niedergetreten sind, denn das sind sie. Sie können sich auch nicht wieder erheben. Alles das, was gesagt wird nach dieser Richtung, ist Kurzsichtigkeit. Die Verantwortung fällt weg. Um so größer wird die Verantwortung auf der anderen Seite. Dort wird die eigentliche Verant­wortung liegen. Die äußere Herrschaft wird leicht zu erringen sein. Die wird errungen durch Kräfte, die nicht das eigene Verdienst sind. Wie die letzte Naturnotwendigkeit vollzieht sich dieser äußere Übergang der äußeren Herrschaft. Aber die Verantwortlichkeit wird etwas tief Bedeut­sames für die Seelen sein. Denn die Frage steht schon im Schicksalsbuche der Menschlieit niedergeschrieben: Wird sich bei denjenigen, denen die äußere Herrschaft wie durch eine äußere Notwendigkeit zufällt, eine ge­nügend große Anzahl von Menschen fmden, welche die Verantwortlich­keit fühlt, daß hineingestellt werden in diese rein äußerliche, materialistische Herrschaft - denn eine rein äußerliche, materialistische Herrschaft wird es sein, täuschen Sie sich darüber nicht -, daß in diese rein äußerliche, mate­rialistische Herrschaft, in diese Kulmination der materialistischen Herr­schaft hinein versetzt werden die Antriebe des spirituellen Lebens? Und das darf nicht allzu langsam geschehen! Die Mitte dieses Jahrhunderts ist ein sehr bedeutungsvoller Zeitpunkt. Fühlen sollte man gerade die ganze Schwere der Verantwortlichkeit, wenn man gewissermaßen vom äußeren Naturschicksal dazu ausersehen ist, die Herrschaft des Materialismus denn die Herrschaft des Materialismus wird es sein in der äußeren Erdenwelt anzutreten. Denn diese Herrschaft des Materialismus trägt zu gleicher Zeit den Keim des Zerstörens in sich. Das Zerstören, das begonnen hat, wird nicht aufhören. Und die äußere Herrschaft heute antreten bedeutet:

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die Kräfte der Zerstörung, die Kräfte der Menschen-Krankheit zu über­nehmen, in ihnen zu leben. Denn dasjenige, was die Menschheit in die Zukunft hineintragen wird, das wird aus dem neuen Keim des Geistes hervorgehen. Der wird gepflegt werden müssen. Und dafür gibt es die Verantwortlichkeit gerade auf jener Seite, der die Weltherrschaft zufällt.

Auch in diesen Dingen darf heute nicht unernst gedacht werden. In diesen Dingen muß gründlich gedacht werden, in diesen Dingen dürfen wir auch nicht bloß scheinbar spirituell und in Wahrheit materialistisch sein. Zwei Dinge hört man heute sehr häufig. Das eine ist, daß die Men­schen sagen: Ach, was redet ihr von sozialen Gedanken, aus Gedanken wird doch nie Brot! - Es ist der billige Einwand, der heute sehr häufig gemacht wird. Und das andere ist, daß man sagt: Wenn die Leute wieder arbeiten, dann ist alles wieder gut, dann nimmt die soziale Frage ein anderes Gesicht an. - Beide Sätze sind verkappter Materialismus, denn beide Sätze gehen darauf hinaus, das geistige Leben zu verleugnen.

Erstens, wodurch unterscheiden wir uns von der Tierwelt? Die Tiere gehen hin, holen sich ihre Nahrung, soweit sie da ist, nach ihren einge­pflanzten Instinkten. Wenn nicht genug da ist, müssen sie verhungern. Was hat der Mensch voraus? Er arbeitet an dem Zustandekommen der Nahrung. In dem Augenblicke, wo er beginnt zu arbeiten, beginnt der Gedanke. Und in dem Augenblicke erst, wo der Gedanke beginnt, beginnt auch die soziale Frage. Und wenn der Mensch arbeiten soll, so muß er einen Antrieb des Arbeitens haben. Die Antriebe, die bisher da waren, werden in der Zu­kunft nicht mehr da sein. Neuer Antriebe bedarf es zur Arbeit. Und es kann gar nicht die Frage sein: wenn die Leute wiederum arbeiten, so wird alles gut gehen - nein, wenn die Menschen aus einem Weltverantwortlich­keitsgefühle Gedanken geben werden, die ihre Seelen tragen, dann werden die Kräfte, die aus diesen Gedanken hervorgehen, sich überleiten auf Hand und Wille, und Arbeit wird entstehen. Aber alles hängt am Gedanken. Und der Gedanke selbst hängt daran, daß wir unsere Herzen öffnen den Impulsen der geistigen Welt.

Von Verantwortung und von der Bedeutung des Gedankens muß heute viel gesprochen werden. Deshalb wollte ich in diesem Vortrage gerade diese Nuance geltend machen.

Da es nun schon einmal so Schicksal ist, daß man ja heute eigentlich gar

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nicht fortkommt, wenn man reisen will, so werden wir auch morgen noch da sein. Ich will deshalb morgen um acht Uhr speziell sprechen über die anthroposophische Grundlage, die geisteswissenschaftliche, okkulte Grund­lage der sozialen Frage. So daß ich, bevor wir abreisen, zu unsern Freunden auch noch von der sozialen Frage sprechen kann, aber ich werde die tieferen Grundlagen der sozialen Frage geisteswissenschaftlich auseinandersetzen.

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ZWÖLFTER VORTRAG Dornach, 15. Dezember 1919

Die Au£gaben, welche der Menschheit in der Gegenwart und in der näch­sten Zukunft gestellt sind, sind einschneidende, bedeutsame, große. Und es handelt sich darum, daß in der Tat ein starker seelischer Mut aufgebracht werden muß, um etwas zur Bewältigung dieser Aufgaben zu tun. Wer heute diese Aufgaben sich besieht und einen wirklichen Einblick sich zu verschaffen sucht in dasjenige, was der Menschheit not tut, der muß oft­mals denken an die oberflächliche Leichtigkeit, mit der heute die öffent­lichen, die sogenannten öffentlichen Angelegenheiten genommen werden. Man möchte sagen, die Menschen politisieren heute ins Blaue hinein. Aus ein paar Emotionen heraus, aus ein paar ganz egoistischen oder volks-egoistischen Gesichtspunkten heraus bilden sich die Menschen ihre An­schauung über das Leben, während es dem Ernste der Gegenwart ange­messen wäre, eine gewisse Sehnsucht danach zu haben, die tatsächlichen Untergründe für ein gesundes Urteil wirklich zu gewinnen. Ich habe im Laufe der letzten Monate und auch Jahre hier über die verschiedensten Gegenstände, auch der Zeitgeschichte und der Zeitforderungen Vorträge gehalten und Betrachtungen angestellt, immer zu dem Ziel, Tatsachen zu liefern, welche den Menschen in den Stand setzen können, sich ein Urteil zu bilden, nicht um das Urteil vor Sie fertig hinzustellen. Die Sehnsucht, die Tatsachen des Lebens kennen zu lernen, gründlicher und immer gründ­licher kennen zu lernen, um eine wirkliche Unterlage für ein Urteil zu haben, darauf kommt es heute an. Ich muß dieses insbesondere deshalb sagen, weil die verschiedenen Äußerungen, die verschiedenen schriftstellerischen Dar­legungen, die ich getan habe mit Bezug auf die sogenannte soziale Frage und mit Bezug auf die Dreigliederung des sozialen Organismus, wirklich, wie man deutlich sehen kann, viel zu leicht genommen werden, weil diesen Dingen gegenüber viel zu wenig die Fragen gestellt werden nach den schwerwiegenden tatsächlichen Grundlagen. Die Menschen der Gegen­wart kommen so schwer zu diesen tatsächlichen Grundlagen, weil sie, trotzdem sie das nicht wahr haben wollen, eigentlich auf allen Gebieten des Lebens Theoretiker sind. Diejenigen, die sich heute am meisten einbilden,

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Praktiker zu sein, die sind die stärksten Theoretiker, aus dem Grund, weil sie sich gememiglich damit begnügen, ein paar Vorstellungen, wenige Vor­stellungen über das Leben sich zu bilden und von diesen wenigen Vorstel­lungen über das Leben dieses Leben beurteilen wollen, während es heute nur einem wirklichen, universellen und umfassendenEingehen auf das Leben möglich ist, ein sachgemäßes Urteil über dasjenige zu gewinnen, was not­wendig ist. Man kann sagen, in gewissem Sinne ist es heute eine wenigstens intellektuelle Frivolität, wenn man ohne sachgemäße Grundlagen ins Blaue hinein pohtisiert oder lebensanschaulich phantasiert. Den Lebens-ernst möchte man auf dem Grunde der Seelen heute wünschen.

Wenn gewissermaßen wie die andere Seite, auch die praktische Seite unseres geisteswissenschafilichen Strebens in der neuesten Zeit vor die Welt hingestellt ist, die Dreigliederung des sozialen Organismus, so ist es so, daß schon der ganzen Art des Denkens und Vorstellens, die da waltet in der Ausarbeitung dieses dreigliedrigen sozialen Organismus, heute Vorurteile und namentlich Vorempfmdungen entgegengebracht werden. Diese Vor­urteile, namentlich Vorempfindungen, woher stammen sie? Ja, der Mensch bildet sich heute Vorstellungen über dasjenige, was die Wahrheit ist - ich rede jetzt immer vom sozialen Leben - er bildet sich Vorstellungen von dem, was das Gute, was das Rechte ist, was das Nützliche ist und so weiter. Und wenn er sich dann gewisse Vorstellungen gebildet hat, dann ist er der Meinung, diese Vorstellungen haben nun ganz absolute Geltung für überall und für immer. Zum Beispiel, nehmen wir einen sozialistisch orien­tierten MenschenWest- oder Mittel- oder Osteuropas. Er hat ganz bestimmte sozialistisch formulierte Ideale. Aber was hat er diesen sozialistisch formu­lierten Idealen gegenüber gewissermaßen für Untergrundvorstellungen? Er hat die Untergrundvorstellung: dasjenige, wovon er sich vorstellen muß, daß es ihn befriedigt, das müsse nun alle Menschen über die ganze Erde hin befriedigen, und das müsse gelten ohne Ende für das gesamte zukünftige Erdendasein. Daß alles dasjenige, was als Gedanke für das soziale Leben gelten soll, herausgeboren sein muß aus dem Grundcharakter der Zeit und des Ortes, dafür hat man heute wenig Empfindung. Daher kommt man auch nicht leicht darauf, wie notwendig es ist, daß, mit verschiedenen Nuancen, unserer heutigen europäischen Kultur mit ihrem amerikanischen Anhange die Dreigliederung des sozialen Organismus eingefügt werde.

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Wird sie eingefügt, so wird schon von selbst die Nuancierung in bezug auf den Raum, das heißt auf die verschiedenen Gebiete der Erdenvölker ein-treten. Und außerdem: Nacli derjenigen Zeit, nach welcher, der Mensch­heitsevolution wegen, die heute in den « Kernpunkten der sozialen Frage» von mir erwähnten Ideen und Gedanken nicht mehr gelten können, müs­sen eben andere wieder gefunden werden.

Es handelt sich nicht um absolute Gedanken, sondern es handelt sich um Gedanken für die Gegenwart und für die nächste Menschheitszukunft. Aber um das in seiner vollen Tragweite einzusehen, wie notwendig diese Dreigliederung des sozialen Organismus in ein selbständiges Geistesleben, in ein selbständiges Rechts- und Staatsleben, in ein selbständigesWirtschafts­leben ist, muß man einmal einen unbefangenen Blick werfen auf die Art, wie in unserer europäisch-amerikanischen Zivilisation zustandegekommen ist das Ineinanderwirken von Geist, Staat und Wirtschaft. Dieses Ineinander-wirken der Fäden, des Geistesfadens, des Rechts- oder Staatsfadens und des Wirtschaftsfadens ist keineswegs etwas Leichtes. Unsere Kultur, unsere Zivilisation ist ein Knäuel, was aufgewickelt etwas ist, worinnen drei Fäden verwickelt sind, die ganz verschiedenen Ursprungs sind. Unser Geistesleben ist wesentlich anderen Ursprunges als unser Rechts- oder Staatsieben und wiederum ganz anderen Ursprunges als unser Wirtschaftsleben. Und diese drei Strömungen mit verschiedenem Ursprunge, sie sind chaotisch mitein­ander verwickelt. Ich kann heute natürlich nur skizzenhaft darstellen, weil ich in der Kürze, ich möchte sagen, bis zu dem Urquell diese drei Strömun­gen verfolgen werde.

Unser Geistesleben, wie es sich zunächst darbietet für den, der die Dinge äußerlich wirklich nimmt, sinnenfällig wirklich nimmt, es wird dadurch von den Menschen angeeignet, daß die Menschen auf sich wirken lassen jene Fortsetzung des alten griechischen und lateinischen Kulturlebens, des griechisch-lateinischen Geisteslebens, wie es zunächst geflossen ist durch das, was dann später unsere Gymnasien geworden sind, durch das, was un­sere Universitäten geworden sind. Denn unsere übrige sogenannte huma­nistische Bildung bis in die Volksschule herunter ist ja ganz abhängig von dem, was als eine Strömung, sagen wir, hereinfließt (siehe Zeichnung Seite 208, orange) zunächst vom griechischen Elemente. Denn das, was wir als Geistesleben haben, als unser europäisches Geistesleben, ist zunächst doch

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griechischen Ursprungs, durch das Lateinische nur hindurchgegangen. Das Lateinische ist eine Durchgangsstation. Allerdings hat sich in der neuesten Zeit mit diesem von Griechenland her stammenden Geistesleben anderes vermischt, welches aus dem stammt, was wir die Technik der verschieden­sten Gebiete nennen, die dem Griechen noch nicht zugänglich war: die Technik des mechanischenWesens, die Technik des kaufmännischenWesens und so weiter. Ich könnte sagen: Zu unseren Universitäten sind die Tech­nischen Hochschulen, die kommerziellen Hochschulen und so weiter ge­treten, die ein neuzeitlicheres Element hinzubringen zu dem, was durch unsere humanistischen, auf das Griechentum zurückgehenden Schiilen in unsere Seelen hineinfließt; nicht etwa bloß in die Seelen irgendeiner soge­nannten gebildeten Klasse hineinfließt, denn dasjenige, was heute sozia­listische Theorien sind, was in den Köpfen auch der Proletarier spukt, es ist nur eine Ableitung desjenigen, was vom griechischen Geistesleben eigent­lich herstammt. Es ist nur durch verschiedene Metamorphosen durchge­gangen. Dieses Geistesleben geht aber semem weiteren Ursprunge nach durchaus zurück bis in den Orient hinein. Und dasjenige, was wir fmden bei Plato, was wir fmden bei Heraklit, bei Pythagoras, bei Empedokles, namentlich bei Anaxagoras, das alles geht zurück nach dem Orient. Das­jenige, was wir bei Aischylos, bei Sophokles, bei Euripides fmden, es geht zurück nach dem Orient, was wir bei Phidias finden, es geht zurück nach dem Orient. Die griechische Kultur geht durchaus zurück nach dem Orient. Sie hat eine bedeutende Wandlung durchgemacht auf dem Wege vom Orient nach Griechenland. Im Orient drüben war diese Geisteskultur wesentlich spiritueller, als sie im alten Griechenland war, und sie war im Oriente ein Ausfluß desjenigen, was man nennen kann: die Mysterien des Geistes, ich kann auch sagen die Mysterien des Lichtes (siehe Zeichnung Seite 208). Schon ein filtriertes, ein verdünntes Geistesleben war das grie­chische gegenüber jenem Geistesleben, von dem es seinen Ursprung ge­nommen hat, dem orientalischen Geistesleben. Dieses beruhte auf ganz besonderen geistigen Erfahrungen. Wenn ich Ihnen diese geistigen Erfah­rungen beschreiben soll, so müßte ich sie Ihnen in der folgenden Weise charakterisieren.

Natürlich müssen wir in vorhistorische Zeiten zurückgehen, denn die Mysterien des Lichtes oder die Mysterien des Geistes sind durchaus vorhistorische

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Erscheinungen. Wenn ich Ihnen darstellen soll den Charakter dieses Geisteslebens, wie es sich gebildet hat, so muß ich das Folgende sagen. Wir wissen ja, wenn wir sehr weit zurückgehen in der Menschheitsevolu­tion, so fmden wir immer mehr und mehr, daß die Menschen der alten Zeiten ein atavistisches Heilsehen, ein träumerisches Hellsehen hatten, durch das sich ihnen die Geheirnnisse des Weltenalis enthüllten. Und wir sprechen durchaus richtig, wenn wir sagen, daß über die ganze, im dritten, vierten, fünften, sechsten, siebenten Jahrtausend vor dem Mysterium von Golgatha zivilisierte asiatische Erde Menschen wohnten, denen sich für ihr durchaus naturgebundenes, an das Blut, an die leibliche Organisation gebundenes Hellsehen geistige Wahrheiten offenbarten. Das war gewissermaßen die im weiten Umkreis verbreitete Bevölkerung. Aber dieses atavistische Hell-sehen, es war in absteigender Entwickelung, es kam immer mehr und mehr in die Dekadenz. Und dieses In-die-Dekadenz-kommen des atavistischen Hellsehens ist nicht bloß eine kulturhistorische Erscheinung, es ist zugleich eine Erscheinung des sozialen Lebens der Menschheit.

Warum? Weil aus dieser weiten Masse der Erdenbevölkerung von ver­schiedenen Zentren her, hauptsächlich aber von einem Zentrum in Asien, gewissermaßen aufstand eine besondere Art von Menschen, eine Art von Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Diese Menschen hatten außer dem atavistischen Hellselien, das ihnen in einer gewissen Beziehung noch ge­blieben war - es stieg noch aus ihrem inneren Seelenleben traumhaftes Erfassen der Geheimnisse der Welt auf - außer diesem traumhaften Erfassen der Welt hatten sie aber noch dasjenige - und zwar als erste Menschen der Menschheitsentwickelung - was wir die Denkliraft nennen. Sie hatten zuerst die aufdämmernde Intelligenz.

Das war eine bedeutsame soziale Erscheinung, daß jene alten Menschen, die nichts hatten als die traumhaft aufsteigenden Schauungen über die Geheimnisse der Welt, Einwanderer in ihre Territorien kommen sahen, die sie noch verstehen konnten, weil die auch Schauungen hatten, die aber etwas schon hatten, was sie selbst nicht hatten: die Denkkraft. Das war eine besondere Menschensorte. Die Indier sahen diejenige Kaste, die sie als die Brahmanen-Kaste bezeichneten, als die Nachkommen dieser Menschen an, die mit dem atavistischen Hellsehen die Denkkrafi verbanden. Und als sie in die südlichen Gegenden von den höhergelegenen nördlichen Gegenden

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Asiens hinunterstiegen, da machte sich für sie geltend der Name Arier. Das ist die arische Bevölkerung. Ihr Urkennzeichen ist dieses, daß sie - wenn ich mich jetzt des späteren Ausdrucks bedienen darf- mit den plebejischen Fähigkeiten des atavistischen Hellsehens die Denkliraft verbanden.

Und diejenigen Mysterien, die man die Mysterien des Geistes oder namentlich die Mysterien des Lichtes nennt, wurden begründet von solchen Menschen, die das atavistische Hellsehen mit dem ersten Auffiammen der Intelligenz, dem inneren Lichte des Menschen verbanden. Und eine De­pendenz desjenigen, was dazumal als ein erleuchtender Funke in die Menschheit kam, ist unsere Geistesbildung, aber eben durchaus eine De­pendenz.

Es hat sich in der Menschheit manches erhalten von dem, was da geoffen-bart worden war. Aber man muß bedenken, daß schon die Griechen, gerade die gebildeteren Persönlichkeiten unter den Griechen, die alte atavistische Heilsehergabe hatten verglimmen, verlöschen sehen, und daß ihnen geblie­ben war die Denkkraft. Bei den Römern ist nur die Denkkraft geblieben. Bei den Griechen war noch das Bewußtsein vorhanden, daß auch die Denkliraft aus denselben Quellen heraufkommt, aus denen das alte ata­vistische Heilsehen kam. Daher sprach Sokrates noch durchaus etwas aus, was er als Erlebnis kannte, wenn er von seinem Dämon sprach, der ihm seine ja allerdings nur dialektischen, intelligenten Wahrheiten eingab.

Die Griechen haben auch künstlerisch bedeutsam hingestellt das Heraus­ragen des Intelligenzmenschen, besser gesagt, das Herauswachsen des Intelligenzmenschen aus der anderen Menschheit: Denn die Griechen haben in ihrer Plastik - man studiere sie nur genau - drei stark voneinander verschiedene Typen. Sie haben den arischen Typus, den der Apollo-Kopf hat, der Pallas Athene-Kopf, der Zeus-Kopf, der Hera-Kop£ Vergleichen Sie die Ohren des Apollo mit den Ohren eines Merkur-Kopfes, die Nase des Apollo mit der Nase eines Merkur-Kopfes, da werden Sie sehen, welch anderer Typus das ist. Der Grieche wollte hinweisen, wie im Merkur-Typus zusammengeflossen ist im Griechentum mit der Intelligenz das­jenige, was altes, vergangenes Hellsehen war, das noch als Aberglaube fort-lebte, das niedere Bildung war, wie dieses auf dem Grunde der Kultur da war, und wie hinausragte der Arier, dessen künstlerische Repräsentanz der Zeus-Kopf, Pallas-Athene-Kopf und so weiter war. Und die ganz unten

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stehenden, mit den trüben Überresten des alten Hellsehertums vorhande­nen Rassen, die auch noch in Griechenland lebten, aber namentlich an der Peripherie von Griechenland von den Griechen wahrgenommen wurden, sind wiederum in einem anderen Typus plastisch erhalten: in dem Satyr­Typus, der wieder ganz anders ist als der Merkur-Typus. Vergleichen Sie die Satyr-Nase mit der Merkur-Nase, die Satyr-Ohren mit den Merkur-Ohren und so weiter. Der Grieche hat in seiner Kunst zusammenfließen lassen dasjenige, was er in seinem Bewußtsein über sein Werden trug.

Das, was dadurch die Mysterien des Geistes oder des Lichtes in allmähli­cher Filtrierung durch Griechenland dann auf die Neuzeit heraufkam, das hatte aber eine gewisse Eigentümlichkeit als Geisteskultur. Es war als Geistes-kultur mit solcher innerer Stoßkraft versehen, daß es aus sich heraus zu gleicher Zeit das Rechtsleben der Menschen begründen konnte. Daher auf der einen Seite die Offenbarung der Götter in den Mysterien, die dem Men­schen den Geist bringen, und die Einpflanzung dieses von den Göttern er­worbenen Geistes in den äußeren sozialen Organismus, in die Theokratien. Alles geht zurück auf die Theokratien. Und diese Theokratien waren nicht nur imstande, aus dem Mysterienwesen selbst heraus sich mit dem Rechte zu durchdringen, mit dem politischen Wesen zu durchdringen, sondern auch das Wirtschaftsleben zu regeln aus dem Geiste heraus. Die Mysterien-priester der Mysterien des Lichtes waren zu gleicher Zeit die ökonomischen, die wirtschaftlichen Verwalter ihrer Gebiete. Sie wirtschafteten nach den Regeln der Mysterien. Sie bauten die Häuser, sie bauten die Kanäle, sie bauten die Brücken, sie sorgten auch für das Bebauen des Bodens und so weiter.

Das war in der Urzeit eine Kultur durchaus aus dem Geistesleben heraus. Aber diese Kultur verabstrahierte. Aus geistigem Leben wurde sie immer mehr und mehr eine Summe von Ideen. Im Mittelalter ist sie schon Theo­logie, das heißt, eine Summe von Begriffen, statt des alten geistigen Lebens, oder sie ist angewiesen darauf, weil man mit dem geistigen Leben nicht mehr zusammenhing, abstrakt gehalten zu werden, kurial gehalten zu werden. Denn wenn wir nach den alten Theokratien zurückblicken, da finden wir, daß derjenige, der da herrscht, von den Göttern in den Mysterien dazu seinen Auftrag erhalten hat. Die letzte Dependenz ist der abendlän­dische Herrscher. Man sieht ihm gar nicht mehr an, daß er die letzte Dependenz

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des aus den Mysterien von den Göttern mit seinem Auftrage hervor­gegangenen Beherrschers der Theokratie ist. Alles, was geblieben ist, ist Krone und Krönungsmantel. Das sind die äußeren Insignien, die nun später mehr Orden wurden. Den Titeln merkt man manchmal noch an, wenn man solche Dinge versteht, wie sie zurückgehen auf die Mysterien-zeit. Aber alles ist veräußerlicht.

Kaum weniger veräußerlicht ist dasjenige, was durch unsere Gymnasien und Universitäten wallt als Geisteskultur, als letzter Nachklang der gött­lichen Botschaften der Mysterien. Es ist das Geistesleben in unser Leben eingeflossen, aber es ist ganz abstrakt geworden, es ist bloßes Vorstellungs-leben geworden. Es ist das geworden, wovon endlich die sozialistisch orien­tierten Kreise sagen: es ist eine Ideologie geworden, das heißt, eine Summe von Gedanken, die nur Gedanken sind. Zu dem ist wirklich unser Geistes­leben geworden.

Unter diesem Geistesleben hat sich dasjenige heranentwickelt, was das heutige soziale Chaos ist, weil das Geistesleben, das so filtriert ist, das so verabstrahiert ist, alle Stoßkraft verloren hat. Und wir sind darauf ange­wiesen, das Geistesleben wiederum auf seine eigenen Grundlagen zu stellen, denn nur so kann es gedeihen. Wir müssen wiederum von dem bloß ge­dachten Geist zu dem schaffenden Geist den Weg finden. Das können wir nur, wenn wir aus dem staatlichen Geistesleben heraus das freie Geistesleben zu entwickeln suchen, das dann auch die Kraft haben wird, wiederum zum Leben eben zu erwachen. Denn weder ein von der Kirche gegängeltes, noch ein vom Staate bewahrtes und beschütztes Geistesleben, noch ein unter der Last des Wirtschaftens keuchendes Geistesleben kann für die Menschheit fruchtbar sein, sondern nur das auf sich selbst gestellte Geistes­leben.

Ja, heute ist es an der Zeit, daß wir den Mut in unseren Seelen aufbringen, frank und frei vor der Welt zu vertreten, daß das Geistesleben auf seinen eigenen Boden gestellt werden müsse. Viele Menschen fragen heute: Was sollen wir denn tun? Das Nächste, worauf es ankommt, das ist, daß wir die Menschen aufklären über das, was notwendig ist. Daß wir möglichst viele Menschen gewinnen, die einsehen, wie notwendig es ist, zum Beispiel das Geistesleben auf seinen eigenen Boden zu stellen, daß wir möglichst viele Menschen gewinnen, die es einsehen, daß dasjenige, was Pädagogik des

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neunzehnten Jahrhunderts für Volks-, Mittel- und Hochschulen gewordeu ist, nicht weiter der Menschheit zum Heil gereichen kann, sondern daß neu gebaut werden müsse aus einem freien Geistesleben heraus. Es ist noch wenig der Mut in den Seelen vorhanden, wirklich in radikaler Weise diese Forderung zu stellen. Und man kann sie ja nur stellen, wenn man dahin arbeitet, daß möglichst viele Menschen die Einsicht in diese Verhälmisse gewinnen. Alle andere soziale Arbeit ist heute provisorisch. Das ist das­jenige, was das Wichtigste ist: zu sehen, zu arbeiten, daß immer mehr und mehr Menschen die Einsicht in die sozialen Notwendigkeiten, von denen die eben charakterisierte eine ist, gewinnen können. Aufklärung über diese Dinge verschaffen mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, das ist es, worauf es heute ankommt.

Wir sind noch nicht produktiv geworden in bezug auf das Geistesleben, und wir werden erst produktiv werden in bezug auf das Geistesleben. Ansätze dazu sind vorhanden, ich werde gleich davon sprechen, aber wir smd noch nicht produktiv geworden in bezug auf das Geistesleben. Wir müssen produktiv werden durch die Verselbständigung des Geisteslebens.

Alles was auf der Erde entsteht, läßt Reste zurück. Die Mysterien des Lichtes sind in der heutigen orientalischen Kultur, im orientalischen Geistesleben weniger filtriert als im Abendlande, aber doch durchaus nicht mehr in der Gestalt, in der sie damals waren in der Zeit, die ich geschildert habe. Doch kann man, wenn man das studiert, was die Hindus heute noch haben, was die orientalischen Buddhisten haben, viel eher den Nachklang desjenigen vernehmen, wovon wir selber unser Geistesleben haben, nur ist es auf einer anderen Mtersstufe in Asien stehengeblieben. Aber wir sind unproduktiv, wir sind in hohem Grade unproduktiv. Als sich im Abend-lande die Kunde von dem Mysterium von Golgatha verbreitet hat - woher nahmen die griechischen, die lateinischen Gelehrten die Begriffe, um das Mysterium von Golgatha zu begreifen? Sie nahmen sie aus der orientah­schen Weisheit. Das Abendland hat das Christentum nicht hervorgebracht, es ist aus dem Orient entnommen.

Und ein anderes: Als man die geistige Kultur in englisch sprechenden Gegenden recht unfruchtbar fühlte und nach einer Befruchtung des Geistes­lebens seufzte, da gingen die Theosophen zu den unterworfenen Indern und suchten dort ihre Quelle für ihre neuzeitliche Theosophie. Für dasjenige,

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was man suchte, um das spirituelle Leben zu verbessern, war keine frucht­bare Quelle im eigenen Leben da: man ging nach dem Orient. Und neben diesem Signifikanten könnten Sie viele Beweise für die Unfruchtbarkeit des Geisteslebens im Abendlande fmden. Und jeder Beweis für die Un­fruchtbarkeit des Geisteslebens im Abendlande ist zu gleicher Zeit ein Beweis für die Notwendigkeit der Verselbständigung des Geisteslebens im dreigliedrigen sozialen Organismus.

Eine zweite Strömung in dem Knäuelwickel ist die Staats- oder Rechts-strömung.

# Bild s. 208

Da ist der Knüppel in unserer Kultur, die zweite Strömung. Wenn sie der Mensch heute äußerlich anschaut, wenn er sich äußerlich mit ihr bekannt macht, da sieht er sie, wenn unsere ehrwürdigen Richter auf ihren Richter-stühlen mit den Geschworenen sitzen und über die Verbrechen oder Ver­gehen richten, oder wenn die Verwaltungsbeamten in ihrer Bürokratie walten über unsere zivilisierte Welt hin, zum Verzweifeln derjenigen, die so verwaltet werden. Alles dasjenige, was wir Jurisprudenz, was wir Staat nennen, und alles, was in Verbindung vonjurisprudenz und Staat als Politik entsteht, das ist diese Strömung (siehe Zeichnung, weiß). Es ist - wie ich

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das (orange) die Strömung des Geisteslebens nennen kann, so ist dieses die Strömung des Rechtes, des Staates (weiß).

Woher kommt dies? Allerdings geht das auch auf Mysterienkultur zurück. Es geht zurück auf ägyptische Mysterienkultur, die durch die süd­lichen europäischen Gegenden gegangen ist, und die dann durchgegangen ist durch das nüchterne, phantasielose Wesen der Römer, sich verbunden hat im phantasielosen Wesen der Römer mit einem Seitenast des orienta­lischen Wesens und da das katholische Christentum, beziehungsweise das katholische Kirchentum geworden ist (siehe Zeichnung). Dieses katholische Kirchentum, das ist im Grunde genommen, wenn auch etwas radikal ge­sprochen, auch eine Jurisprudenz. Denn von einzelnen Dogmen bis zu jenem gewaltigen, großen Gerichte, das immer als «Jüngstes Gericht» dar-gestellt wurde durch das ganze Mittelalter, wurde das ganz andersartige Geistesleben des Orients, da es den ägyptischen Einschlag hatte aus den Mysterien des Raumes, im Grunde genommen verwandelt in eine Gesell­schaft von Weltenrichtern mit Weltenurteilen und Weltenbestrafungen und Sündern und Guten und Bösen: Es ist eine Jurisprudenz. Und das ist das zweite Element, das in unserem Geistesknäuel in der Verwirrung, die wir Zivilisation nennen, drinnen lebt und sich keineswegs organisch mit dem anderen verbunden hat. Daß es sich nicht verbunden hat, das kann jeder erfahren, der eiral an die Universität geht und meinetwillen nach­einander hört eine juristische Rede über Staatsrecht und nachher hört eine theologische Rede, meinetwillen über kanonisches Recht sogar. Das liegt nebeneinander. Aber diese Dinge sind menschengestaltend gewesen. Selbst in späteren Zeiten, wo man ihre Ursprünge vergessen hat, gestalten sie die Menschengemüter noch. Verabstrahierend wirkte das Rechtsleben auf das spätere Geistesleben, aber im äußeren Leben war es in den Menschensitten, Menschengewohnheiten, Menscheneinrichtungen schaffend. Und das, was in der dekadenten Geistströmung des Orients der letzte soziale Ausläufer war, was ist es denn, wovon man nicht mehr den Ursprung erkennt? Das ist die Feudal-Aristokratie. Dem Adeligen könnten Sie nicht mehr ansehen, daß er seinen Ursprung hat aus dem orientalisch theokratischen Geistesleben, denn er hat alles abgestreift, es ist nur noch die soziale Konfiguration ge­blieben (siehe Zeichnung). Die Journalisten-Intelligenz, die bekommt manchmal so merkwürdige Alpdruckerscheinungen! Sie bekam solche

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Mpdruckerscheinung in der neueren Zeit und erfand ein kurioses Wort, auf das sie besonders stolz wurde: « Geistes-Aristokratie». Das konnte man ab und zu hören. Dasjenige, was durch die römische Kirchenverfassung durchgehend, durch die theokratisierende Jurisprudenz, die jurispruden­zende Theokratie hindurchgehend, sich dann verweltlicht im mittelalter­lichen Städte-Wesen, sich völlig verweltlicht in der neueren Zeit, was ist das in der äußersten Dependenz? Das ist die Bourgeoisie (siehe Zeichnung). Und so sind getreulich unter den Menschen durcheiaandergewürfelt diese geistigen Kräfte in ihren äußersten Dependenzen.

Eine dritte Strömung verbindet sich schon auch noch damit. Wenn Sie sie heute von außen beobachten (Zeichnung, rot), wo zeigt sich diese dritte Strömung äußerlich sinnenfallig besonders charakteristisch? Ja, es gab für Mitteleuropa geradezu eine Methode, gewissen Leuten zu demonstrieren, wo sich diese äußersten Dependenzen eines auch ursprünglich anderen ent­falteten. Das geschah, wenn der mitteleuropäische Mensch seinen Sohn ins Kontor nach London oder nach New York schickte, damit er dort die Usancen des Wirtschaftens lerne. In den Usancen des Wirtschaftslebens, deren Ursprung in Volksgewohnheiten der anglo-amerikanischen Welt liegen, da ist die letzte Konsequenz desjenigen zu sehen, was sich entwickelt hat in Dependenzen aus dem, was ich nennen möchte, die Mysterien der Erde, von denen zum Beispiel die Drniden-Mysterien nur eine besondere Abart waren. Die Mysterien der Erde enthielten in Urzeiten europäischer Bevölkerung noch eine eigentümliche Art des Weisheitslebens. Jener euro­päischen Bevölkerung, die nichts wußte, ganz barbarisch war gegenüber den Offenbarungen der orientalischen Weisheit, gegenüber den Mysterien des Raumes, gegenüber dem, was dann zum Katliolizismus wurde, jener Bevölkerung, die entgegenkam dem sich ausbreitenden Christentum, ihr war eigen eine eigentümliche Art des Weisheitslebens, das ganz und gar physische Weisheit war. Man kann historisch davon höchstens noch die alleräußersten Gebräuche studieren, die in der Geschichte dieser Strömung aufgezeichnet sind: wie zusammenhingen die Festlichkeiten derjenigen Menschen, aus denen die Usancen, die Gewohnheiten Englands und Ame­rikas geworden sind. Die Festlichkeiten wurden hier in ganz andere Be­ziehungen gebracht als in Ägypten, wo die Ernte mit den Sternen zusam­menhing. Hier war die festliche Gelegenheit die Ernte als solche, und mit

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anderen Dingen als dort, mit Dingen, die durchaus dem Wirtschaftsleben angehören, hingen die höchsten Festlichkeiten des Jahres zusammen. Wir haben hier durchaus etwas, was auf das Wirtschaftsleben zurückgeht. Und wollen wir den ganzen Geist dieser Sache erfassen, dann müssen wir uns sagen: Von Asien herüber und vom Süden herauf verpflanzen Menschen ein Geistes- und Rechtsleben, das sie von oben her empfangen haben und herunterführen zur Erde. Da, in der dritten Strömung, sprießt ein Wirt­schaftsleben auf, das sich hinaufentwickeln muß, das sich hinaufranken muß, das ursprünglich eigentlich in seinen Rechtsusancen, in seinen gei­stigen Einrichtungen ganz und gar nur Wirtschaftsleben ist, so weit Wirt-schaftsleben, daß zum Beispiel eines der besonderen Jahresfeste darinnen bestand, daß man die Befruchtung der Herden als besonderes Fest zu Ehren der Götter feierte. Und ähnliche Feste gab es: alles aus dem Wirtschaftsleben herausgedacht. Und wenn wir in die Gegenden Nordrußlands, Mittel-rußlands, Schwedens, Norwegens gehen, oder in diejenigen Gegenden, die bis vor kurzer Zeit die Gegenden Deutschiands waren, nach Frankreich, wenigstens Nordfrankreich, und nach dem heutigen Großbritannien, wenn wir diese Gegenden durchgehen, überall fmden wir ausgebreitet eine Be­völkerung, die durchaus vor der Ausbreitung des Christentums in alten Zeiten eine deutlich ausgesprochene Wirtschaftskultur hatten. Und das, was noch als die alten Sitten, als Rechtssittenfest, Götterfestes-Sitte gefunden werden kann, ist Nachklang dieser alten Wirtschaftskultur.

Diese Wirtschaftskultur begegnet sich mit dem, was von der anderen Seite kommt (siehe Zeichnung S.208). Zunächst hat es diese Wirtschafts­kultur nicht dazu gebracht, ein selbständiges Rechts- und Geistesleben zu entwickeln. Die ursprünglichen Rechtsusancen sind abgeworfen worden, weil das römische Recht eingeflossen ist, die ursprünglichen Geistesusancen sind abgeworfen worden, weil das griechische Geistesleben eingeflossen ist. Zunächst wird dieses Wirtschaftsleben steril, und arbeitet nach und nach sich wiederum heraus, kann sich aber nur herausarbeiten, wenn es die Chaotisierung mit dem von fremd her angenommenen Geistesleben und Rechtslehen überwindet. Nehmen Sie das heutige anglo-amerikanische Geistesleben. In diesem englisch-amerikanischen Geistesleben haben Sie zwei sehr stark voneinander unterschiedene Dinge. Erstens haben Sie überall mehr als sonstwo auf der Erde im anglo-amerikanischen Geistesleben

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die sogenannten Geheimgesellschaften, die ziemlich starken Einfluß haben, viel mehr als die Leute wissen. Sie sind durchaus die Bewahrer alten Geisteslebens, und sie sind stolz darauf, die Bewahrer ägyptischen oder orientalischen Geiteslebens zu sein, das ganz und gar flitriert, bis ins Symbol verflüchtigt ist; bis ins Symbol, das man nicht mehr versteht, verflüchtigt ist, aber bei den Oberen eine gewisse große Macht hat. Das ist aber altes Geistesleben, nicht auf eigenem Boden erwachsenes Geistesleben. Daneben ist ein Geistesleben da, das auf dem Wirtschaftsboden durchaus wächst, aber so kleine Blümchen erst treibt, ganz als kleine Blümchen wuchert am Wirtschaftsboden.

# Bild s. 212

Wer solche Dinge studiert und verstehen kann, der weiß gut, daß Locke, Hume, Mill, Spencer, Darwin und andere durchaus diese Blümchen sind aus dem Wirtschaftsleben heraus. Man kann ganz genau die Gedanken eines Mill, die Gedanken eines Spencer aus dem Wirtschaftsleben heraus gewin­nen. Die Sozialdemokratie hat das dann zur Theorie erhoben und betrachtet das Geistesleben als eine Dependenz des Wirtschaftslebens. Das ist da zu­nächst vorhanden, alles herausgeholt aus dem sogenannten Praktischen, eigentlich aus der Lebensroutine heraus, nicht aus der wirklichen Lebens-praxis. So daß da nebeneinandergehen solche Dinge wie der Darwinismus, Spencerismus, Millismus, Humeismus und die filtrierten Mysterienlehren, die dann ihre Fortsetzungen finden in den verschiedenen sektiererischen Evolutionen, die Theosophische Gesellschaft, die Quäker und so weiter. Das Wirtschaftsleben, das herauf will, hat erst die kleinen Blümchen getrie­ben, ist noch gar nicht weit. Dasjenige, was Geistesleben ist, dasjenige, was Rechrileben ist: fremde Pflanzen! Und am allermeisten fremde Pflanzen -das bitte ich wohl zu beachten -, fremde Pflanzen umsomehr, je mehr wir in der europäischen Zivilisation nach dem Westen gehen.

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Denn in Mitteleuropa, da hat es immer etwas gegeben, was, ich möchte sagen, wie ein Sichwehren war, ein Ankämpfen war gegen das griechische Geistesleben auf der einen Seite und das römisch-katholische Rechtsleben auf der anderen Seite. Ein Sichaufbäumen hat es da immer gegeben. Ein Beispiel für dieses Aufbäumen ist die mitteleuropäische Philosophie. In England weiß man in Wirklichkeit eigentlich nichts von dieser mittel­europäischen Philosophie. Man kann in Wirklichkeit den Hegel nicht über­setzen in die englische Sprache, es ist nicht möglich. Man weiß nichts von ihm. Deutsche Philosophie nennt man ja in England Germanismus und meint damit etwas, womit sich ein vernünftiger Mensch nicht befassen kann. Aber gerade in dieser deutschen Philosophie, mit Ausnahme einer Episode

- wo nämlich Kant durch Hume gründlich verdorben worden ist, und dieses scheußliche Kantisch-Humesche Element in die deutsche Philosophie hineingebracht worden ist, das wirklich in den Köpfen der mitteleuro­päischen Menschheit so heilloses Unheil angerichtet hat -, mit Ausnahme dieser Episode haben wir immerhin nachher die Nachblüte dieses Auf­bäumens gerade in Fichte, Schelling, HegeL Und wir haben das Suchen nach einem freien Geistesleben schon in Goethe, der nichts mehr wissen will von dem letzten Nachklang der römisch-katholischen Jurisprudenz in dem, was man Naturgesetz nennt. Fühlen Sie ebenso, wie in dem schäbig ge­wordenen Talar und in den sonderbaren Mützen, die noch die Richter aus der alten Zeit haben - heute machen sie Petitionen, daß sie das ablegen können -, fühlen Sie ebenso in der Naturwissenschaft, in dem Naturgesetze, « Gesetz», das Juristische noch drinnen! Denn der ganze Ausdruck «Natur-gesetz» hat zum Beispiel der Goetlieschen Naturwissenschaft gegenüber, die nur mit dem Urphänomen, die nur mit der Urtatsache arbeitet, keinen Sinn. Da ist zum ersten Mal radikal angekämpft - aber natürlich ist das alles in dem Beginn geblieben -, das war der erste Vorstoß nach dem freien Geistesleben: die Goethesche Naturwissenschaft. Und in diesem Mittel­europa gibt es sogar schon den ersten Anstoß zu dem selbständigen Rechts-oder Staatsleben. Lesen Sie solch eine Schrift wie die Wilhelms von Humboldt. Der Mann ist sogar preußischer Unterrichtsminister gewesen. Lesen Sie die Schrift von Wilhelm von Humbol dt. Sie hat früher - ich weiß nicht, wie viel sie jetzt kostet - in der Reklamschen Universal-Bibliothek bloß 20 Pfg. gekostet. Lesen Sie diese Schrift: « Ideen zu einem Versuch, die Grenzen

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der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen», dann werden Sie sehen den ersten Ansatz, das selbständige Rechts- oder Staatsieben, die Selbständigkeit des eigentlichen politischen Gebietes zu konstruieren. Allerdings ist es eben niemals weiter als zu Ansätzen gekommen. Diese Ansätze liegen zurück bis in die erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, sogar bis in das Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Aber man muß nur bedenken, daß immerhin doch in diesem Mitteleuropa gerade nach dieser Richtung hin wichtige Impulse da sind, Impulse, an die angeknüpft werden kann, die nicht unberücksichtigt gelassen werden sollen, die einmünden können in den Impuls vom dreigliedrigen sozialen Organismus.

Nietzsche hat in eines seiner ersten Bücher dasjenige Wort geschrieben, das ich wieder zitiert habe in meinem Nietzsche-Buch gleich auf den ersten Seiten, und mit dem geahnt wird etwas wie die Tragik des deutschen Geisteslebens. Nietzsche versuchte dazumal in seiner Schrift «David Strauß, der Bekenner und Schriftsteller» die Ereignisse von 1870/71, die Begrün­dung des Deutschen Reiches zu charakterisieren mit dem Wort: «Exstirpa­tion des deutschen Geistes zu Gunsten des deutschen Reiches». Seither ist dieser Kehlkopfschnitt des deutschen Geistes gründlich durchgeführt wor­den. Und als in den letzten fünf bis sechs Jahren drei Viertel der Welt über dieses ehemalige Deutschland sich hermachten - ich will nicht über die Ursachen und über die Schuldigen sprechen, sondern eben nur die Kon­figuration, die Weltlage angeben - da war es im Grunde genommen schon der Leichnam des deutschen Geisteslebens. Aber wenn man so spricht, wie ich gestern gesprochen habe, unbefangen die Tatsachen charakterisierend, so sollte man nicht heraushören, daß nicht vieles noch drinnenhegt in die­sem deutschen Geistesleben, was trotz der zukünftigen Zigeunerhaftigkeit herauskommen muß, was beachtet werden muß, was beachtet sein will. Denn woran sind im Grunde genommen die Deutschen zugrunde gegan­gen? Man muß sich auch diese Frage unbefangen einmal beantworten. Die Deutschen sind daran zugrunde gegangen, daß sie es auch mitmachen woll­ten mit dem Materialismus, und weil sie kein Talent haben zum Materia­lismus. Die andern haben gute Talente für den Materialismus. Die Deutschen haben überhaupt jene Eigentümlichkeit, die einmal Herman Grimm aus­gezeichnet charakterisiert hat, indem er sagte: Die Deutschen weichen in der Regel dann zurück, wenn es ihnen heilsam wäre, kühn vorzuschreiten,

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und sie stürmen furchtbar stark vor, wenn es ihnen heilsam wäre, sich zurückzuhalten. - Es ist das ein sehr gutes Wort für eine innere Charakter-eigenschaft gerade des deutschen Volkes. Denn die Deutschen haben Stoßkraft durch die Jahrhunderte gehabt, aber nicht die Fähigkeit, die Stoßkraft durchzuhalten. Goethe konnte das Urphänomen hinstellen, aber es nicht bis zu den Anfängen der Geisteswissenschaft bringen. Er konnte eine Geistigkeit entwickeln, wie zum Beispiel in seinem « Faust» oder in seinem «Wilhelm Meister», welche die Welt hätte revolutionieren können, wenn die rechten Wege gefunden worden wären. Dagegen brachte es die äußere Persönlichkeit dieses genialen Menschen nur so weit, daß er in Weimar Fett ansetzte und ein Doppelkinn hatte, ein dicker Geheimrat wurde, der ungemein fleißig war auch als Minister, aber der doch genötigt war, fünfe grad sein zu lassen, wie man sagt, gerade im politischen Leben.

Das sollte in der Welt eingesehen werden, daß solche Erscheinungen wie Goethe und Humboldt überall die Ansätze darstellen, und daß die Welt wahrhaftig zu ihrem Schaden, nicht zu ihrem Nutzen, unberücksichtigt lassen könnte dasjenige, was innerhalb der deutschen Evolution lebt, und was durchaus noch nicht ausgebaut ist, was herauskommen muß. Denn die Deutschen haben schließlich auch nicht die Anlage, welche die anderen so großartig haben, je weiter wir nach Westen gehen: überall bis zu den letzten Abstraktionen aufzusteigen. Man nennt nur dasjenige, was die Deutschen in ihrem Geistesleben haben, «Abstraktionen», weil man es nicht erleben kann; und weil man das Leben selbst auspreßt, so glaubt man, die andern haben es auch nicht drinnen. Aber die Deutschen haben nicht die Gabe, bis zu den äußersten Abstraktionen vorzudringen. Das zeigte sich insbesondere in ihrem Staatsleben, in diesem unglückseligsten aller Staats­leben. Hätten die Deutschen von jeher das große Talent für den Mon­archismus gehabt, das sich die Franzosen bis zum heutigen Tage so glän­zend bewahrt haben, so würden sie dem «Wilhelminismus» niemals ver­fallen sein. Sie hätten nicht diese sonderbare, karikaturhafte Gestalt eines Monarchen dastehen zu lassen oder hinzustellen brauchen. Die Franzosen nennen sich zwar Republikaner, aber sie haben unter sich einen heimlichen Monarchen, der das Staatsgefüge fest zusammenhält, der die Gemüter furchtbar im Zaume hält: denn im Grunde genommen ist überall noch der Geist Ludwigs XIV. da. Es ist nur noch in der Dekadenz natürlich, aber es

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ist da. Es ist schon ein heimlicher Monarch in dem französischen Volke enthalten, das geht im Grunde genommen aus jeder seiner Kulturäußerun­gen hervor. Und jenes Talent zur Abstraktion, das in Woodrow Wilson zu­tage getreten ist, das ist eben auf äußerem, politischem Gebiete das äußerste Talent zur Abstraktion. Jene vierzehn Punkte des Weltenschulmeisters, die m jedem ihrer Worte das Gepräge des Unpraktischen und Undurchführ­baren tragen, die konnten nur entspringen aus dem Geiste heraus, der ganz für das Abstrakte gebaut ist, der gar keinen Sinn hat für wahre Wirklich­keiten.

Es wird einmal wohl zwei Dinge geben, die die Kulturgeschichte der Zukunft schwer begreifen wird. Das eine habe ich öfter mit den Worten Herman Grimms vor Ihnen charakterisiert: es ist die Kant-Laplacesche Theorie, an die manche Leute heute noch glauben. Herman Grimm sagt in seinem «Goethe» so schön: man wird einmal jene Krankheit, von den Leuten heute Wissenschaft genannt, schwer begreifen können, die sich in der Kant-Laplaceschen Theorie zum Vorschein bringt, wonach aus einem allgemeinen Weltnebel durch Zusammenballung alles das entstanden ist, was wir heute um uns herum haben. Und das soll so weiter gehen, bis das ganze Zeug wiederum in die Sonne zurückfällt! Ein Aasknochen, um den ein hungriger Hund seine Kreise zieht, ist ein appetitlicheres Stück, als diese Phantasievorstellungen, diese phantastische Vorstellung von der Welt­entwickelung. So meint Herman Grimm. Natürlich wird es einmal große Schwierigkeiten haben, aus dem wissenschaftlichen Wahnsinn des neun­zehnten und zwanzigsten Jahrhunderts diese Kant-Laplacesche Theorie zu erklären.

Das zweite Stück wird sein die Erklärung der unglaublichen Tatsache, daß es jemals eine große Anzahl Menschen geben konnte, welche den Humbug der vierzehn Punkte von Woodrow Wilson ernst nahmen, in einem Zeitalter, das sozial so ernst ist.

Studieren wir dasjenige, was in der Welt nebeneinander steht, dann finden wir, wie in einer eigentümlichen Weise sich durcheinanderknäueln Wirtschaftsleben, politisches Rechtsleben, Geistesleben. Wollen wir nicht zugrunde gehen unter dem in die alleräußerste Degeneration gekommenen Geistes- und Rechtsleben, dann müssen wir uns hinwenden zu dem drei­gliedrigen sozialen Organismus, der aus den selbständigen Wurzeln heraus

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baut das Wirtschaftsleben, das emporkommen will, das aber nicht emporkommen kann, wenn ihm kein Rechtsleben und kein Geistesleben aus der Freiheit entgegenkommen. Die Dinge haben in der ganzen Menschheits­evolution und im menschlichen Zusammenleben ihre tiefen Wurzeln. Diese Wurzeln, sie müssen aufgesucht werden. Den Menschen muß heute verständlich gemacht werden, wie da unten, ich möchte sagen, ganz am Boden kriecht das Wirtschaftsleben, eingefädelt von anglo-amerikanischen Denkgewohnheiten, wie es sich nur hinaufranken wird können, wenn es im Zusammenklang mit der ganzen Welt arbeitet, mit dem, wofür andere auch befähigt, andere auch begabt sind. Sonst wird ihm das Erringen der Weltherrschaft zum Verhängnis werden.

Geht der Gang der Welt so fort, wie er gegangen ist mit dem sich degene­rierenden, vom Oriente her kommenden Geistesleben, dann saust dieses Geistesleben, während es an einem Ende die erhabenste Wahrheit war, am andern Ende in die furchtbarste Lüge hinein. Nietzsche hat schildern müssen, wie schon die Griechen sich vor der Lebenslüge haben bewahren müssen durch ihre Kunst. Und im Grunde genommen ist die Kunst das Götterkind, das die Menschen bewahrt vor dem Versinken in die Lüge. Wenn diesem ersten Zweige der Kultur nur einseitig nachgegangen wird, so mündet diese Strömung hinein in die Lüge. In den letzten fünf bis sechs Jahren ist von allen weitgeschichtlichen Jahren am allermeisten innerhalb der zivilisierten Menschheit gelogen worden. Es ist fast überhaupt nicht die Wahrheit gesagt worden im öffentlichen Leben, es war fast kein Wort, das durch die Welt gegangen ist, wahr. Während diese Strömung hineinmündet in die Lüge (siehe Zeichnung Seite 208), mündet die mittlere Strömung hinein in die Selbstsucht. Und ein Wirtschaftsleben wie das anglo-amerikanische, das in die Weltherrschaft ausmünden sollte: wenn es sich nicht be­quemt, sich durchdringen zu lassen von dem selbständigen Geistesleben und selbständigen Staatsleben, mündet ein in den dritten der Abgründe des Menschenlebens, in den dritten jener drei. Der erste Abgrund ist die Lüge, die Entartung der Menschheit durch Ahriman. Der zweite ist die Selbst­sucht, die Entartung der Menschheit durch Luzifer. Der dritte ist auf phy­sischem Gebiete Krankheit und Tod, auf Kulturgebieten: Kulturkrankheit, Kulturtod.

Die anglo-amerikanische Welt mag die Weltherrschaft erringen: ohne

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die Dreigliederung wird sie durch diese Weltherrschaft über die Welt den Kulturtod und die Kulturkrankheit ergießen, denn diese sind ebenso eine Gabe der Asuras, wie die Lüge eine Gabe des Ahriman, wie die Selbstsucht eine Gabe des Luzifer ist. So ist das dritte, sich würdig den andern an die Seite Stellende, eine Gabe der asurischen Mächte!

Man muß aus diesen Dingen den Enthusiasmus nehmen, der einen be­feuern soll, nun wirklich zu suchen die Wege, möglichst viele Menschen aufzuklären. Heute ist die Aufgabe des Einsichtigen: die Aufklärung der Menschheit. Wir müssen so viel als möglich dazu tun, gegen jene Torheit, die sich Weisheit dünkt und die da glaubt, daß sie es so herrlich weit ge­bracht hat, gegen jene Torheit dasjenige hinzustellen, was wir gewinnen können aus dem praktischen Aspekt der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft.

Habe ich noch mit diesen Worten ein wenig das Gefühl in Ihnen erwecken können, welch tiefer Ernst in diesen Dingen heute stecken muß, dann habe ich vielleicht etwas von dem erreicht, was ich gern gerade mit diesen Worten erreicht haben möchte. Wenn wir uns dann nach ein paar Wochen wieder sehen, wollen wir von ähnlichen Dingen weiter reden. Heute habe ich nur ein Gefühl in Ihnen hervorrufen wollen davon, daß es gegenwärtig wirklich die wichtigste soziale Arbeit ist, die Menschen im weitesten Umkreise aufzuklären.

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HINWEISE

Zu Seite

9 was in der Zeit, die diesen vortragen vorangegangen ist, von mir hier gesagt worden ist:

Siehe «Die geistigen Hintergründe der sozialen Frage», Band III und IV, Dornach

1950/51.

16 um den Goetheschen «Faust» richtig zu verstehen, wie ich das öfter auseinandergesetzt

habe: Siehe «Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu Goethes Faust», Band I

und II, Freiburg i Br. 1955/56.

17 Goethes Geistesart: Goethes Geisresart in ihrer Offenbarung durch seinen Faust

und durch das Märchen »Von der Schlange und der Lilie«, Gesamtausgabe Dornach 1956.

19 Inkarnation des Ahriman, von der ich Ihnen schon gesprochen habe: Siehe »Die gei­stigen Hintergründe der sozialen Frage», Band III, Dornach 1950(5. und 6. Vor­trag).

achte ökumenische Konzil von Konstantinopel im Jahre 869:

In den »Canones contra Photium» wird in diesem gegen Photsus veranstalteten Konzil unter Can. i i festgelegt, daß der Mensch nicht «zwei Seelen», sondern »unam animam rationabilem et intelleetualem» habe. Der von Rudolf Steiner sehr geschätzte katholische Philosoph Otto Wifimaun schreibt in seinem drei-bändigen Werk »Geschichte des Idealismus», I. Auflage, Braunschweig 1894, § 54: Der christliche Idealismus als Vollendung des antiken (Band II, Seite 111):

«Der Mißbrauch, den die Gnostiker mit der paulinischen Unterscheidung des pneumatischen und des psychischen Menschen trieben, indem sie jenen als den Ausdruck ihrer Vollkommersheit ausgaben, diesen als den Vertreter der im Ge­setze der Kirche befangenen Ghristen eritlärten, bestimmte die Kirche zur aus­drücklichen verwerfrng der Trichotomie.»

22 wir führen fortwährend Szenen aus Goethes »Faust» auf: Vergleiche Hinweis zu

Seite 16.

46 was die Geologie bereits wesß: Rudolf Steiner bezieht sich hier auf den namhaften

österreichischen Geologen Eduard Sueß (1831-1914): »Das Antlitz der Erde»,

3 Bände, Wien 1883-1901.

48 vor acht Tagen: Vortrag vom 15. November 1919. Siehe «Die geistigen Hinter-

gründe der sozialen Frage», Band IV, Dornach 1951.

49 unser Bau: Siehe Rudolf Steiner »Der Baugedanke des Goetheanum», ein Licht­

bildervortrag, gehalten in Bern am 29. Juni 1921, mit 104 Abbildungen des

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ersten, in der Silvesternacht 1922/23 niedergebrannten Goetheanum-Baues, Gesamtausgabe Stuttgart 1958.

49 Haeckel. . . erst einfache Wesen, daun Weiterentwickelung:

Anthropogenie, gemeinverständliehe wissenschaftliche Vorträge, Leipzig 1874.

50 wollen wir Kunst wirklich fassen: Siehe »Kunst und Kunsterkenntnis». 9 Vorträge, Gesamtausgabe Dornach 1961.

54 Cartesius: René Descartes (1596-1650). Siehe Rudolf Steiner »Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt», Gesamtausgabe Stutt­gart ,955.

55 Adolf Harnack: »Das Wesen des Christentums», Leipzig 1901.

57 Zum vierten Vortrag:

Rudolf Steiner machte vor dem Vortrag folgende Bemerkungen: «Eine kleine Einleitung muß ich dem Vortrag vorausschicken, weil ich Sie doch gewissermaßen informieren muß, besonders in der jetzigen Zeit, über verschiedene Dinge, die vorgehen. Da möchte ich Ihnen nur eine kleine Notiz vorlesen, die unser Freund Dr. Stein in der letzten Nummer der ,Dreigliederung des sozialen Organismus' geschrieben hat-, ein kleiner Artikel, der heißt ,Neue Wahlverwandtschaften':

«Am I I . November hielt im Sieglehaus in Stuttgart Domkapitular Laun einen gänzlich unbedeutenden Vortrag über das Thema ,Theosophie und Christen­tum', von dem wir keinerlei Notiz nehmen würden, wenn er nicht nach einer so-gleich zu charakterisierenden Richtung symptomatisch gewesen wäre. Der Vor­tragende folgte nämlich in seinem Gedanken - genauer müßte man sagen: in seiner Sätzeanordnung - den Ausführungen der Broschüre des Professors Traub, die den Titel trägt: ,Steiner als Philosoph und Theosoph'. Natürlich blieb Traub unerwähnt, aber es war symptomatisch-interessant zu sehen, wie ein katholi­scher Domkapitular gemeinsame Sache machte mit dem evangelischen Profes­sor - hinter den Kulissen. Katholische und evangelische Partei (denn Religionen sind das doch nicht mehr) kämpfen gemeinsam gegen Steiner. Was sich vor aller Augen bekämpft - hinter den Kulissen versteht es einander. Welcher Art die Kampfmittel des Vortragenden waren, geht wohl zur Genüge hervor, wenn ich erwähne, daß nach dem Vortrag keiner Diskussion stattgegeben wurde und daß der Vortragende darauf hinwies, daß, wer sich über Steiner orientieren wolle, dies bei Gegnern Steiners' die er aufzählte, tun könne, nicht aber durch Steiners Schriften selbst, da dies der Papst verboten habe. Dr. J. W. Stein.» (Nr.21, der Zeitschrift »Dreigliederung des sozialen Organismus», Stuttgart.)

Sie sehen, wie sehr es notwendig ist, ein unbefangenes Urteil sich über die Men­schen unserer Zeit anzueignen, und wie wenig es heute mehr an der Zeit ist, so obenhin nur die Verhältnisse zu beurteilen, wie man dies leider auch vielfach sn unseren Kreisen tut. Denn das muß immer wiederholt werden: die Zeiten sind sehr ernst, und es genügt nicht, daß man den alten Autoritätsglauben in ver­änderter Form zu seiner eigenen schläfrigen Bequemlichkeit weiter fortsetzt.»

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76 des merkwürdigen Werkes von Dante: «De monarehia.» Zuerst erschienen Basel -1559.

Herman Grimm über Dantes «Monarchie»: War bisher nicht festzustellen.

79 Wilhelm Wundt: 1832-1920. Siehe Rudolf Steiner »Die Rätsel der Philosophie in

ihrer Geschichte als Umriß dargestellt», Gesamtausgabe Stuttgart -1955.

81 ernsthafi zu nehmende Geologen: Vergleiche Ilinweis zu Seite 46.

85 Goethes Prosa-Hymnus:

«Die Natur», zuerst im 32. Stück des Tiefurter Journales. Vergleiche hierzu den

Aufsatz Rudolf Steiners «Zu dem ,Fragment' über die Natur» in «Methodische

Grundlagen der Anthroposophie 1884-1901». Gesammelte Aufsätze zur Philo­

sophie, Naturwissenschaft, Ästhetik und Seelenkunde», Gesamtausgabe Dor­

nach -1961.

86 Theobald von Bethmann-Hollweg, 1856-1921; 1909-1917 deutscher Reichs­kanzler. «Betrachtungen zum Weltkriege». Teil -1: Vor dem Kriege: Teil 2:

Während des Krieges; Berlin 1919-1921.

Gottlieb von Jagow (1863-1889), von -19-14 an preußischer Staatsminister. »Ursachen und Ausbruch des Weltkrieges», -19-19.

Georges Clémenceau' 1841-1929, französischer Ministerpräsident von -19-17 bis 1920.

Thomas Woodrow Wilson, -1856-1924, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika von -1913-1921, verkündete am 8.Januar 1918 die«Vierzehn Punkte»; in »Die Reden Woodrow Wilsons», englisch und deutsch, Bern 1919.

Alfred von Tirpitz, -1849-1930, Großadnüral, Chef der deutschen Flotte wäh­rend des I. Weltkrieges, «Erinnerungen», Leipzig 1919.

Erich Ludendorif, 1865-1937, »Meine Kriegserinnerungen 1914-1918», -19-19.

Siehe hierzu auch die Ausführungen Rudolf Steiners in «Die geistigen Hinter­gründe der sozialen Frage», Band IV, 2. Vortrag, Dornach 195 I.

87 es war am 6. August: Siehe die Darstellung Ludendorif» in »Meine Kriegserin­nerungen 1914-1918» (»Lüttich», Seiten 19-31 der 3. Auflage, -19-19.)

89 In unserer Dreigliederungsidee: Siehe Rudolf Steiner »Die Kernpunkte der so­

zialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft», Ge­

samtausgabe Dornach 1961.

95 in meinem letzten Auftatz der »Sozialen Zukunft»: «Dreigliederung und soziale» Vertrauen (Kapital und Kredit) Heft 4 der Zeitschrift ,Soziale Zukunft'.» In

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der Gesamtausgabe in «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Orga­nismus und zur Zeitlage 1915-1921», Dornach -196-1.

99 Goethe wollte das reine Phönomen erkennen:

«Das Höchste wäre, zu begreifen, daß alles Faktische sehon Theorie ist. Die Bläue des Himmels offenbart uns das Grundgesetz der Chromatik. Man suche nur nichts hinter den Phänomenen; sie selbst sind die Lehre.» Goethe, »Sprüche in Prosa».

100 Gustav Theodor Fechner: 1801-1887. Siehe Rudolf Steiner »Die Rätsel der Philo­sophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt», Gesamtausgabe Stuttgart 1955.

103 »Blut ist ein ganz besonderer Safi: Ausspruch des Mephisto in Goethes »Faust». Siehe den gleichlautenden Vortrag von Berlin, 25. Oktober -1906, Sonderdruck aus Gesamtausgabe, Dornach -1959.

104 das Dokument ist vorhanden: Erwäl'nt in dem Buch von R. Hagen »Die erste deutsche Eisenbahn» (1885, Seite 45). Vergleiche ferner Friedrich Harkorf: Eisen­bahnen, erschienen in der Zeitschrift «Hermann», Nr.26, 1825.

105 wie ich Ihnen neulich vorgelesen habe: Bezieht sich auf den Bericht von Dr. J. W. Stein. Vergleiche Hinweis zu Seite 57.

106 Zum Schluß des vortrages vom 28. November 1919.

Rudolf Steiner sprach anschließend noch einige ermahnende Worte zu den Mitgliedern. Diese Worte werden iunerhalb der Gesamtausgabe in der Abteilung »Zur Geschichte der anthroposophischen Bewegung und der Anthroposophi­sehen Gesellschaft» abgedruckt.

111 Erlkönigs Tochter: Aus dem Dänischen. Siehe Herder «Stimmen der Völker in Liedern».

115 Aufsatz »Die pädagogische Grundlage der Waldorfichule»: In «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915 bis 1921», Ge­samtausgabe Dornach 1961

122 Schwede oder Norweger: Theodor Svedberg, schwedischer Chemiker. Vermutlich handelt es sich um das Werk »Die Materie» (1912), 1914 in Deutsch erschienen.

124 Für die Einleitung des Vortrages vom 7. Dezember -19-19 gilt dasselbe wie für den Vortragsschluß vom 28. November. Vergleiche Hinweis zu Seite 106.

133 Dr. Helphand, der sich Parvus nennt:

Alexander Helphand (gestorben -1924), der sich selbst Parvus-Helphand nannte, russischer Sozialist, zeitweise als politischer Flüchtling in Deutschland und Chefredakteur

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der »Sächsischen Arbeiterzeitung», Dresden. Spielte im I . Weltkrieg und für das Zustandekommen der bolschewistischen Revolution sowie des

Friedens von Brest-Litowsk (-19-18) eine bedeutende Rolle. Siehe Georg Wolf

«Warten aufs letzte Gefecht», Köln -196-1.

134 Richard Avenarius, 1843-1896.

Ernst Mach, 1838-1916, Philosoph und Physiker.

135 Zeitschr'fi »Neue Erde»: 1.Jahrgang' 31./32. Heft, vom 12. Oktober 1919.

138 Dr. Eugen Kolisko' Wien 1893 - London -1939.

141 einen Baustil zu finden: Siehe Rudolf Steiner, «Wege zu einem neuen Baustil»,

fünf Vorträge Juni/Juli -19-14, Gesamtausgabe Stuttgart 1957, ferner »Der Bau-gedanke des Goetheanum», ein Lichtbildervortrag mit -104 Abbildungen des ersten Goetheanum' gehalten in Bern am 29.Juni -192-1, Gesamtausgabe Stutt­gart 1958.

148 eine neuneinhalb Meter hohe Holzgruppe: Abbildungen in «Der Baugedanke des Goetheanum». Vergleiche vorhergehenden Hinweis.

160 Karl Lamprecht: »Moderne Geschichtswissenschaft», Berlin 1909.

174 Szene zwischen Strader und Capesius: «Die Pforte der Einweihung», 4. Bild.

178 jener selbe Professor. . . in jener törichten Schrift... von deren Inhalt ich Ihnen vor kurzem hier gesprochen habe:

Friedrich Traub «Rudolf Steiner als Philosoph und Theosoph»' Tübingen -19-19. Rudolf Steiner behandelt diese Broschüre in seinem Vortrag vom 16. November

-19-19, abgedruckt in «Die geistigen Hintergrilnde der sozialen Frage IV», Dornach -195-1.

Dr. Walter Stein, Wien -1891-1957 London.

185 neulich erst wieder in Basel: Öffentlicher Vortrag vom 10. November -1919: »Der Geist als Führer durch die Sinnes- und die übersiunliche Welt», abgedruckt in «Die geistigen Hintergründe der sozialen Frage IV», Dornach 1951.

195 ich habe einmal eine Ausführung vorgelesen von Fericher von Steinwand:

Aus «Zigeuner», Begegnisse und Betrachtungen, 1859. Abhandlungen aus dem

Nachlaß in Fereher von Steinwands sämtliche Werke in 3 Bänden, Wien ohne

Jahr (1903), 3. Band, Seite 365 f. Von Rudolf Steiner vorgelesen, Dornach,

15. November 1918, Vortrag III in «Entwieklungsgesehichtliche Unterlagen zur

Bildung eines sozialen Urteils», Gesamtausgabe Dornach 1962.

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199 ich habe. . . hier über die verschiedensten Gegenstände. . . vorträge gehalten:

Siehe Rudolf Steiner «Das literarische und künstlerische Werk». Eine biblio-graphische Übersicht, Dornach -196-1.

die verschiedenen Äußerungen' die verschiedenen schriftstellerischen Darlegungen, die ich getan habe mit Bezug auf die soziale Frage: Vergleiche den vorhergehenden Hinweis.

214 mein Nietzsclie-Buch: «Friedrich Nietzsche, ein Kämpfer gegen seine Zeit»

(-1895), Gesamtausgabe Dornach -1962.

Herman Grimm-Zitat: In dem Aufsatz «Heinrich von Treitschkes Deutsche Ge­schichte» in »Beiträge zur Deutschen Kulturgeschichte», Berlin 1897.

216 Woodrow Wilson... jene 14 Punkte: Vergleiche Hinweis zu Seite 86.

Herman Grimm sagt in seinem «Goethe»: »Goethe», Vorlesungen, gehalten an

der königlichen Universität zu Berlin, 2 Bände, -1877. 8. Auflage, Stuttgart und Berlin -1903, 2. Band, 23.Vorlesung' Seite -17-1 f

217 Nietzsche hat schildern müssen: »Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik». 218 Asuras: Siehe hierzu den Vortrag in Berlin, 22. März -1909 in »Geisteswissen­sehaftliche Menschenkunde», 19 Vorträge in Berlin -1908/9, Gesamtausgabe Dornach 1959.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.