GA 177

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Die spirituellen Hintergründe
der äußeren Welt

Der Sturz der Geister der Finsternis

Vierzehn Vorträge, gehalten in Dornach
vom 29. September bis 28. Oktober 1917

GA 177

1985

Inhaltsverzeichnis


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ERSTER VORTRAG Dornach, 29. September 1917

Meine lieben Freunde! Sie werden mir glauben, daß es mir eine tiefe Befriedigung ist, wieder einige Zeit hier unter Ihnen sein zu können, an derjenigen Stelle, wo wir ein sichtbares Zeichen unseres Wollens, unseres Strebens aufrichten dürfen, desjenigen Strebens, dem wir uns im Studium und in der Ausübung der Geisteswissenschaft immer mehr und mehr nähern wollen.

Wir werden uns ja, da dieses geisteswissenschaftliche Streben mit dem Innersten, Innerlichsten des Menschen zusammenhängt, von Zeit zu Zeit immer wieder die Frage stellen, welches denn eigentlich der Grundcharakter unseres Wollens ist. Und man möchte sagen, in der Gegenwart ergibt sich aus den Zeitverhältnissen heraus, aus diesen traurigen Zeitverhältnissen heraus, eine deutliche negative Antwort auf die Frage nach dem Grundcharakter unseres Wollens, unseres Strebens. Wir sehen jetzt seit schon mehr als drei Jahren über die Welt hin sich verbreiten etwas, was ja zunächst nicht genauer charakterisiert zu werden braucht. Denn wir fühlen, wir empfinden es alle und wir dürfen sagen: Was jetzt durch die Welt geht, ist der Ausdruck, ist die Folge des Entgegengesetzten von demjenigen, dem unser Wollen und sein äußerliches Zeichen, dieser Bau, gewidmet ist. - Wenn man versucht, sich immer wieder klarzumachen,bei welcher geistigen Entwickelungsströmung wir sehen möchten, daß sie von der Menschheit aufgenommen werde, so müssen wir sagen, es ist die entgegengesetzte von derjenigen, welche zu den furchtbaren, tragischen Ereignissen der letzten Jahre geführt hat. Das dürfen wir uns immer wieder und wiederum klarmachen dann, wenn wir mit voller Seele Anteil nehmen an dem, was jetzt die Welt durchflutet, an dem, was jetzt die Welt durchtobt. Wir dürfen uns sagen: Diese Jahre erscheinen uns so, als ob die Zeit wie elastisch auseinandergezogen wäre, als ob dasjenige, woran wir uns erinnern als vor diesem Weltgetobe vorhanden, als ob das nicht Jahre, als ob es Jahrhunderte hinter uns läge.

Es wird ja auch in der Gegenwart viele Menschen geben, wie es zu allen Zeiten solche gegeben hat, die in einer gewissen Beziehung die

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Zeitereignisse verschlafen, die nicht vollständig wach sind gegenüber diesen Zeitereignissen. Allein solche, die wachen, die werden, wenn sie jetzt zurückblicken auf das, was durch ihre Seele gezogen ist, was Eindruck hervorgerufen hat in diesen Seelen vor vier, fünf Jahren, so empfinden, wie man etwa empfindet, wenn man ein altes Buch, ein altes Kunstwerk, das vor Jahrhunderten entstanden ist, auf seine Seele wirken läßt. Wie in die Entfernung gerückt, in eine weite zeitliche Entfernung gerückt, so sind die Ereignisse, die vor diesem Weltgetobe an uns herangetreten sind.

Wer freilich vor dem Entstehen dieser Ereignisse, jetzt im geisteswissenschaftlichen Sinne, wachend in die Welt hineingesehen hat, der konnte bemerken, was da eigentlich heranstürmt. Und viele unserer Freunde werden sich - ich darf darauf immer wieder aufmerksam machen -, viele unserer Freunde werden sich erinnern an eine, ich darf schon sagen, stereotyp gegebene Antwort auf Fragen, die immer wieder nach öffentlichen Vorträgen da und dort aufgetaucht sind. Eine Frage ist ja immer wieder gekommen, wie Sie wissen; es ist diese, daß man gesagt hat: Wie verträgt sich mit der durch die Statistik nachgewiesenen Zunahme der Menschheitsbevölkerung die Lehre von den wiederholten Erdenleben? Die Menschheitsbevölkerung über die Erde hin nimmt so rasch zu. Wie ist damit vereinbar die durch die Geisteswissenschaft festgestellte Tatsache, daß es immer wieder dieselben Seelen sind? - Und immer wieder mußte ich antworten: Es scheint äußerlich ja durch die Statistik ganz richtig festgestellt zu sein, daß die Bevölkerung der Erde zunimmt, allein man betrachtet nicht lange Zeiträume, wie es nötig wäre, um zu einer solchen Frage wirklich Stellung zu bekommen, man betrachtet viel zu kurze Zeiträume. - Und dann sagte ich immer, es könne eine Zeit vielleicht gar nicht so ferne liegen, wo die Menschen mit Grauen erfahren werden, daß es auch eine Abnahme der Bevölkerung gibt. - Seit dem Beginn des Jahrhunderts mußte diese Antwort immer wieder auf solche Fragen gegeben werden.

Es ist schon einmal so in der Geisteswissenschaft: Man kann nicht klipp und klar auf manche Fragen antworten, weil unsere Zeitgenossenschaft noch nicht so weit ist, die Wahrheiten im richtigen Stile aufzunehmen. Man muß manches andeuten. Wenn Sie nachlesen in den Vorträgen,

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die nicht lange vor dem Ausbruch dieser furchtbaren Weltkatastrophe in Wien gehalten worden sind, so werden Sie dort die Stelle finden von dem sozialen Karzinom, von der sozialen Krebskrankheit, welche an der Menschheitsentwickelung frißt. Angedeutet werden sollte durch solche und viele ähnliche Dinge, was der Menschheitsentwickelung bevorsteht, und aufgefordert werden sollte durch solche Dinge zum Nachdenken. Denn dieses Nachdenken, das ist es, was uns einzig und allein in wirklichem Sinne wach machen kann. Und waches Leben, wir brauchen es, und die Menschheit braucht es. Und wenn Geisteswissenschaft ihre Aufgabe erfüllen will, so ist vor allen Dingen nötig, daß sie die Anregerin wird zu vollem Wachsein. Denn wissen allein von den Dingen, die sich in der Sinnenwelt abspielen, und von den Gesetzen, die der Verstand durchschauen kann als in der Sinneswelt vorhanden, das heißt denn doch in einem höheren Sinne schlafen. Vollständig wach ist die Menschheit nur dann, wenn sie auch Begriffe, Ideen entwickeln kann von jener geistigen Welt, die ja ebenso um uns herum ist wie Luft und Wasser, wie die Sterne, wie die Sonne und der Mond. Und so wie man schläft, wenn man nur ganz hingegeben ist dem inneren Leibesprozeß in der Nacht und keine Ahnung hat von dem, was ringsherum in der äußeren körperlichen Welt vorhanden ist, so schläft man auch, wenn man nur der äußeren Sinneswelt hingegeben ist und der Verstandeswelt und den Verstandesgesetzen, die in der äußeren Sinneswelt walten, und keine Ahnung hat von dem, was um einen herum ist als geistige Welt.

Es ist merkwürdig, daß gerade in den letzten Jahrhunderten, und am ärgsten um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert, die Menschheit auf ihren geistigen Fortschritt, auf ihre wissenschaftlichen Errungenschaften so sehr pechte, und daß im Grunde genommen niemals das unbewußte, instinktive Leben so ausgebreitet war wie in dieser Zeit, daß immer mehr und mehr gegen die Gegenwart herauf das instinktiv Unbewußte die Menschen ergriffen hat. Das Nicht-Sehen dessen, was geistig um uns herum ist, das Nicht-Rechnen mit diesem Geistigen, das ist ja im letzten Grunde die Ursache dieses furchtbaren Weltenkampfes. Und man kann nicht sagen, daß die Menschheit durch die Jahre, die sich, wie ich angedeutet habe, wie Jahrhunderte verlängern für den,

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der sie wachend durchlebt, man kann nicht sagen, daß die Menschheit schon hinreichend viel gelernt hat von dem, was in so furchtbarer Weise sich abgespielt hat. Man könnte leider sogar das Gegenteil davon sagen.

Was ist denn das eigentlich Charakteristische, das einem jetzt täglich, stündlich auffallen kann, wenn man verfolgt, was heute Menschen denken - besser gesagt, vorgeben zu denken, vorgeben zu wollen -, was ist denn das eigentlich Charakteristische? Das eigentlich Charakteristische ist, daß im Grunde genommen über die Welt hin niemand weiß, was er will, daß niemand darauf kommt, daß dasjenige, was man berechtigterweise wollen könnte, gleichgültig wie es sich in den einzelnen Köpfen der einzelnen Völker ausmalt, viel besser erreicht würde, wenn man die furchtbaren blutigen Ereignisse wegließe; daß diese furchtbaren blutigen Ereignisse sich abspielen, und daß sie eigentlich unnötig sind, unnötig sind zu dem, was gewollt wird.

Allerdings, es walten in diesen Ereignissen geheimnisvolle Zusammenhänge. Aber wenn Sie manches nehmen, was, allerdings auch nur andeutungsweise, im Laufe der Jahre gerade in unseren geisteswissenschaftlichen Vorträgen gesagt worden ist, so werden Sie doch finden, daß auch in bezug auf dasjenige, das sich als Allerbedeutungsvollstes hereingestellt hat in die Ereignisse der letzten Jahre, manches recht klar angedeutet worden ist. Wenn Sie nur nehmen, was auch innerhalb dieser Räume, namentlich in den letzten Jahren, entwickelt worden ist über den Charakter des russischen Volkes und über den Gegensatz dieses russischen Volkes zu den west- und mitteleuropäischen Völkern, dann werden Sie daraufkommen, daß Sie nichts anderes brauchen, als was hier gesagt worden ist, zum Verständnisse desjenigen Ereignisses, das scheinbar so stürmisch in der letzten Zeit eingeschlagen hat, zum Verständnisse dessen, was man gewöhnlich die russische Revolution jetzt nennt, dieses Ereignisses, das hereingebrochen ist wie eine Vergeltung, aber eine innerlich durchaus absolut verständliche karmische Vergeltung, wobei man dieses Wort als Terminus technicus und gar nicht im moralischen Sinne zu nehmen hat.

Es wird nicht nur die russische, es wird die europäische, wird die Menschheit der ganzen Welt lange, lange nachzudenken haben über die Ereignisse, die sich im Osten Europas viel geheimnisvoller jetzt abspielen,

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als man eigentlich denkt. Denn was Jahrhunderte lang sich vorbereitet hat, das ist da an die Oberfläche getreten. Und das Neue, das sich gestalten will, es zeigt heute noch ein ganz anderes Gesicht als dasjenige, das sich entwickeln will, das sich herausgestalten will. Spätere Geschlechter werden noch die Möglichkeit haben, den Unterschied zwischen Maja und Wirklichkeit anschaulich zu machen an dem, was sich in den nächsten Jahrzehnten im Osten von Europa gestalten wird.

Denn die gegenwärtigen Geschlechter nehmen die Maja eben nicht als Maja hin, sondern als eine Wirklichkeit. Sie nehmen das, was jetzt geschieht, hin als etwas, was schon dasjenige ist, was es werden will. Das ist nicht so. Da will etwas ganz anderes an die Oberfläche.

Und schlecht sind die Westvölker gerüstet, zu verstehen, was da an die Oberfläche will. Warum sind sie so schlecht gerüstet? So sonderbar dies aussieht für den Menschen, nicht für Sie, aber für den Normal- menschen der Gegenwart - Sie sind ja alle dadurch, daß Sie zur Anthroposophie gehören, nicht Normalmenschen der Gegenwart -, so sonderbar das für den Normalmenschen aussieht, mehr, unendlich viel mehr als irgendeine andere Zeit erfordert diese gegenwärtige Zeit von den Menschen gerade dasjenige, was diese Menschen am allerwenigsten haben wollen: geisteswissenschaftliches Verständnis. So sonderbar es für den Normalmenschen der Gegenwart eben klingt: Ordnung wird aus dem Chaos der Gegenwart nicht, bevor eine genügend große Anzahl von Menschen sich bequemen wird, die geisteswissenschaftlichen Wahrheiten anzuerkennen. Das wird das weltgeschichtliche Karma sein.

Lassen Sie die Menschen reden, die da glauben, wir haben jetzt einen Krieg wie frühere Kriege waren, und wir werden nächstens Frieden schließen, wie frühere Frieden geschlossen worden sind; lassen Sie das die Menschen glauben. Das sind die Menschen, die die Maja lieben, das sind die Menschen, die die Wahrheit nicht von der Täuschung unterscheiden. Lassen Sie diese Menschen selbst einen Scheinfrieden vielleicht irgendwie schließen: Ordnung wird aus diesem Chaos, das jetzt die Welt durchzieht, nur dann, wenn die Morgenröte einer geisteswissenschaftlichen Auffassung die Menschen ergreift. Und wenn Sie etwa in Ihrem Herzen empfinden sollten: Dann wird lange nicht Ordnung werden, dann wird es noch lange dauern -, weil Sie vielleicht des Glaubens

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sind, die Menschen werden sich lange nicht bequemen, eine geisteswissenschaftliche Morgenröte heraufkommen zu lassen, dann werden Sie Recht haben. - Dann glauben Sie aber nur auch, daß lange keine Ordnung werden wird aus diesem Chaos heraus. Denn sie wird nicht früher werden, als bis eine geisteswissenschaftliche Auffassung die menschlichen Herzen durchdringt. Alles andere wird Schein sein, alles andere wird scheinbare Ruhe sein, unter der immer neue und neue Feuerflammen sich entzünden werden. Denn Ordnung wird aus diesem Chaos erst entstehen, wenn man begreifen wird, woraus dieses Chaos entstanden ist.

Es ist entstanden aus ungeistiger Erfassung der Wirklichkeit - ja, aus ungeistiger Erfassung der Wirklichkeit. Die geistige Welt ignoriert man nicht ungestraft. Man kann glauben, daß man die geistige Welt ungestraft ignorieren kann, man kann glauben, daß man sich in der Welt Begriffen, Vorstellungen hingeben kann, die bloß aus der Sinneswelt entnommen sind, man kann das glauben, und das ist ja der allgemeine Glaube der heutigen Menschheit. Aber wahr ist es nicht. Nein! Der irrigste Glaube, den jemals die Menschheit hat hegen können, das ist der - wenn ich mich trivial ausdrücken darf -, daß die Geister es sich gefallen lassen, ignoriert zu werden. Fassen Sie es meinetwillen auf als einen Egoismus, als eine Selbstsucht der Geister, aber in der geistigen Welt gilt eine andere Terminologie als hier in der sinnlich-physischen Welt. Also fassen Sie es meinetwillen auf als einen Egoismus der Geister, aber die Geister rächen sich, wenn sie ignoriert werden hier. Es ist ein Gesetz, es ist eine eherne Notwendigkeit: Die Geister rächen sich. Und unter den mancherlei Charakteristiken, die man geben kann für die Gegenwart, ist auch diese richtig, daß man sagen kann: Die Rache der Geister dafür, daß man sie so lange ignoriert hat, das ist das gegenwärtige Menschheitschaos.

Erinnern Sie sich, wie oft ich hier und an andern Orten gesagt habe: Es ist ein geheimnisvoller Zusammenhang zwischen dem, was menschliches Bewußtsein ist und den zerstörerischen Kräften des Weltenalls, gerade den Untergangskräften des Weltenalls. Ja, dieser geheimnisvolle Zusammenhang zwischen den zerstörerischen Kräften des Weltenalls und dem Bewußtsein, der besteht. Er besteht so, daß das eine als Ersatz

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für das andere auf der einen Seite dienen kann, oder auf der andern Seite dienen muß in der folgenden Art.

Nehmen wir einmal an, ein Zeitalter wäre dagewesen, sagen wir in den letzten zwanzig oder dreißig Jahren des 19. Jahrhunderts, in dem die Menschheit so nach Geistigem gestrebt hätte, wie sie in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nur nach materiellem Wissen und nach materiellen Taten gestrebt hat. Nehmen wir an, am Ende dieses 19. Jahrhunderts hätten die Menschen nach spirituellem Erleben, nach spirituellem Wissen, nach spirituellen Taten gestrebt. Was wäre das gewesen? Was wäre es gewesen, wenn die Menschen gesucht hätten, die geistige Welt zu erkennen und aus der geistigen Welt heraus der physischen Welt einen Charakter, eine Grundlage zu geben, statt daß in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die Menschen nur instinktiv immer mehr und mehr nach demjenigen Wissen gejagt haben, welches zuletzt in der Ausgestaltung der Mordwerkzeuge seine größten Triumphe feiert, und welches in der menschlichen Bereicherung mit rein materiellen Gütern aufging? Was wäre geschehen, wenn die Menschheit gestrebt hätte, spirituelles Wissen, spirituelle Impulse für das soziale Wirken zu gewinnen? Es wäre eine Abschlagszahlung gewesen für zerstörerische Kräfte! Die Menschen wären wacher gewesen, statt daß sie die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts verschlafen haben. Die Menschen wären wacher gewesen, und die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hätten nicht die Zerstörung zu bringen gebraucht, wenn das Bewußtsein stärker gewesen wäre. Das spirituelle Bewußtsein muß eben stärker sein als das rein sinnlich-materielle Bewußtsein. Wäre das Bewußtsein stärker gewesen in den letzten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts, so hätten nicht die zerstörerischen Kräfte einzugreifen brauchen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.

Am intensivsten, am eindringlichsten, - erkenntnistheoretisch -, aber, man möchte sagen, auch am grausamsten gewahrt man das, wenn man Bekanntschaft macht mit manchen Toten, die in die geistige Welt eingezogen sind, sei es in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, sei es in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Viele Seelen waren darunter, die hier auf diesem Erdenrund innerhalb des Hastens und Treibens und Streben im Materiellen keine Gelegenheit gehabt haben,

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ihr Bewußtsein zu erwecken mit spirituellen Impulsen. Viele sind durch die Pforte des Todes gegangen, ohne auch nur eine Ahnung zu bekommen von Begriffen, von Ideen, die spirituelle Impulse andeuten. Wäre hier auf der Erde, bevor diese Seelen durch die Pforte des Todes gegangen sind, für sie die Möglichkeit gewesen, Spirituelles in ihre Vorstellungen, in ihre Begriffe aufzunehmen, sie hätten das mit durch die Pforte des Todes getragen. Das wäre ihnen ein Gut gewesen, das sie brauchen nach dem Tode. Sie haben es nicht haben können.

Wer die Geistesgeschichte, die sogenannte Geistesgeschichte der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts und der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts kennt, der weiß, daß man nicht einmal mehr das Wort Geist anzuwenden gewußt hat auf das Richtige: Man hat es auf alles Mögliche angewendet, nur nicht auf dasjenige, was wirklich Geist ist. So haben die Seelen keine Möglichkeit gehabt, den Geist hier zu kennen. Sie müssen die Abschlagszahlung nehmen. Sie lechzen jetzt, da sie durch die Pforte des Todes eingetreten sind in die geistige Welt, sie lechzen - ja, wonach lechzen sie, diese Seelen, die hier im Materialismus lebten, wonach lechzen sie? Nach zerstörerischen Kräften in der physischen Welt lechzen sie! Denn das ist die Abschlagszahlung.

Diese Dinge lassen sich nicht mit bequemen Begriffen abtun. Will man auf diesem Gebiet die Realitäten kennenlernen, dann muß man sich eine Empfindung für dasjenige verschaffen,was in den ägyptischen Mysterien die eherne Notwendigkeit genannt worden ist. So furchtbar es ist, so sehr notwendig war es, daß Zerstörung Platz griff, da sich die durch die Pforte des Todes Gegangenen sehnten nach zerstörerischen Kräften, in denen sie leben können, nachdem sie hier die Abschlagszahlung durch spirituelle Impulse nicht haben erhalten können.

Es wird nicht früher Ordnung aus dem Chaos, bevor die Menschheit sich entschließt, solch ernste Wahrheiten wirklich durch ihre Seele ziehen zu lassen, und auch solch ernste Wahrheiten in die Ideen einfließen zu lassen, die heute politisch durch die Welt ziehen. Und wenn diese Wahrheiten pessimistisch klingen und Sie sich denken: Wie weit ist die Menschheit noch weg von alldem, was jetzt als gefordert bedeutet worden ist, - dann haben Sie recht. Aber lassen Sie aus diesem Ihrem berechtigten Pessimismus die innere Aufforderung folgen, die

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wache Aufforderung, da, wo Sie können, an jeglicher Stelle des Lebens, an die Sie gestellt sind, den Versuch zu machen, Seelen zu erwecken nach der Richtung, nach der die Geisteswissenschaft ihre Impulse senden kann. Man kann es freilich heut noch nicht viel, aber man muß wirklich das ehrliche, aufrichtige Bestreben haben, in der Art, wie es eben der eine oder der andere verstehen kann, aufmerksam zu machen auf dieses Konkrete, das darin besteht, daß die neuere Zeit Sehnsuchten in den Toten hervorgerufen hat, denen jetzt entgegengekommen wird mit dem, was wir Lebenden hier auf dem physischen Plan mit Schaudern erfahren.

Wenn man bedenkt, wie bequem manche es sich machen, die für ihre Mitmenschen in der einen oder in der andern Richtung ausmalen, wie es in der Gegend aussieht, in die der Mensch eintritt, wenn er durch die Pforte des Todes gegangen ist, wenn man die salbungsvollen Kanzelreden verfolgt - und jetzt folgen den Beispielen der Kanzelmenschen sogar schon die Politiker - mit ihren bequemen Vorstellungen über die geistige Welt, dann muß man ja einen lebendigen Begriff bekommen, wie weit die bequeme Eitelei gerade führender Gegenwartsmenschen von der Wirklichkeit entfernt ist. Wenn man die Reden solcher führenden Menschen - die aber in ihrem Leben sich gerade dadurch auszeichnen, daß sie so weit wie möglich vom Führen entfernt sind und daß sie von allen möglichen ihnen unbewußten Kräften geleitet werden, nur nicht gerade von den richtigen -, wenn man diese Reden vergleicht mit dem, was der Gegenwart notwendig ist, dann sieht man, wie ernst, wie unendlich ernst die Zeit ist.

An unsere physische Welt grenzt ja unmittelbar eine andere, übersinnliche. Niemals war das Hereinwirken dieser an unsere physische Welt angrenzenden metaphysischen Welt so intensiv wie in dieser Zeit. Nur merken es die Menschen nicht; sie merken es noch nicht einmal, wenn es furchtbar, schauerlich wird, wenn es einem die Seele umdreht. Es gehen heute Worte durch die Welt von so intensiv aufklärendem Charakter, daß eigentlich unzählige Menschen stutzig werden müßten. Sie werden es in der Regel nicht, wenigstens lassen sie sich nichts davon merken, daß sie es tun.

Einige Freunde werden sich erinnern, daß ich im Laufe der letzten

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drei Jahre öfter auf eines aufmerksam gemacht habe, daß, wenn man einmal in der Zukunft - gegenwärtige Kritiker taten das leider nicht, obwohl man es ganz gut könnte - die Geschichte dieses sogenannten Krieges schreibt, man nicht die gleiche Methode wird einschlagen können, durch die jenes Märchen, jene Legende, wie soll man es nennen, zustande gekommen ist, die man gegenwärtig als Geschichte bezeichnet. Zustande gekommen ist dasjenige, was da ist, dadurch, daß gelehrte Herren, so nennt es die Welt, monate-, jahrelang, jahrzehntelang sich in die Bibliotheken gesetzt haben, diplomatische Dokumente studiert haben, um Geschichte zu schreiben. Es wird die Zeit kommen müssen, wo von dieser Geschichte, die auf solche Weise zustande gekommen ist, der größte Teil Makulatur sein wird. Aber man wird die Geschichte der letzten Jahre gar nicht nach derselben Methode schreiben können, wenn man nicht geradezu verrückt ist. Denn diejenigen Dinge, die zu diesem Chaos geführt haben, die werden sich nicht ergeben für jene Menschen, die bisher Geschichte geschrieben haben, sondern für solche Menschen, die eine lebhafte Empfindung dafür haben, was es heißt, wenn einmal ein bedauernswerter Mensch der Gegenwart vor das Gericht gestellt wird und vor die Welt hinschleudern muß das traurige Wort als Zusammenfassung seines Zustandes: Da geschah dies, da geschah das, und in diesem Augenblick verlor ich den Verstand!- Suchomlinow, der bedauernswerte Mensch, hat diese Worte selbst gestanden: Da verlor ich den Verstand.

Es haben mehr Leute in derselben Zeit den Verstand verloren, nicht er allein. Und was sind das für Augenblicke im Weltenlaufe, die nur angedeutet werden können dadurch, daß Menschen gestehen müssen, sie haben den Verstand verloren, was sind das für Augenblicke im Weltenlaufe? Das sind Augenblicke, wo Ahriman mit seinen Scharen den Zugang findet zum Menschengeschlechte und zum Menschengeschehen. Wenn der Mensch wacht über sein Bewußtsein, wenn dieses Bewußtsein in keiner Weise getrübt und herabgelähmt ist, dann können weder Ahriman noch Luzifer an dieses Bewußtsein heran. Wenn es aber herabgedämpft ist, wenn man nötig hat, für dieses Bewußtsein die Formel zu gebrauchen: Ich habe den Verstand verloren -, da betritt in diesem Moment Ahriman mit seinen Scharen das Weltengeschehen. Da geschehen

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Dinge, die nicht in diplomatische Dokumente geschrieben werden, in welche - das sei nur in Parenthese angeführt - in den letzten Jahrzehnten in der ganzen Welt wirklich recht wenig yernünftiges hineingeschrieben worden ist. Aber abgesehen davon, was geschehen ist in unserer Zeit und was zu diesem Chaos geführt hat, das sind ja nicht Menschentaten allein, das sind vor allen Dingen Taten ahrimanischer Wesenheiten, die den Zugang versuchen durch Herabdämpfung des Bewußtseins der Menschen. Ich weiß, daß hier manche sitzen, die genau wissen, daß sie bald, nachdem die jetzige Weltkatastrophe hereingebrochen ist, von mir als Erklärung den Hinweis bekommen haben, daß, wenn man einmal darüber wird reden wollen, was diese Katastrophe herbeigeführt hat, man nicht wird reden dürfen aus Dokumenten heraus, sondern daß man wird nötig haben, diesen Weltenereignissen gegenüber auf solche Tatsachen hinzuweisen, durch die Geistig-Ahrimanisches den Zugang fand zum Menschengeschehen.

Notwendig ist es nur, daß man diese Dinge mit dem gehörigen Ernst nimmt, daß man sich nicht bloß formelhaft abstrakt, sondern wirklich konkret darauf einläßt, diese Dinge als Realitäten zu nehmen. Mögen die Menschen, die von solchen Dingen nichts wissen, heute noch so sehr darüber spotten, daß gesagt wird: Ahriman fand den Zugang zu der Menschheitsentwickelung. - Wenn sich diese Menschen heute lustig machen über diejenigen, die so sprechen, wird aber die Weltgeschichte hohnlachen derjenigen, die sich heute darüber lustig machen!

Man kann nicht sagen, daß das, was an der Oberfläche schwimmt, Urteile, Vorstellungen und Begriffe, in den letzten Jahren eine besondere Reife zeigt, wahrhaftig nicht! Man wurde nicht einmal verstanden, wenn man da oder dort vor anderthalb Jahren darauf hindeutete, daß etwas kommen könnte, was man sehr wachend beobachten sollte, was man nicht so einfach obenhin nehmen sollte. Wenn man dann das eine oder andere Konkrete anführte, wodurch man die Menschenseelen hinweisen wollte auf das, was da kommen würde: niemals wurde genügend wache Geistigkeit entwickelt, um den Hinweis in der rechten Weise aufzunehmen. Nun ist es da. Und man sieht, es wird nicht als etwas genommen, das in einem gewissen Boden tief, tief Wurzeln schlägt, sondern wie etwas, was man - nun ja, weil es in so und so viel

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Zeilen diese und jene Sätze hat, nach so und so viel Zeilen mit so und so viel Sätzen beurteilt, weil eben die Menschheit heute gar nicht darauf aus ist, zu sehen, worin solche Sätze wurzeln, sondern weil man die Dinge einfach hinnimmt.

Sie verstehen wahrscheinlich, was ich meine. Sie verstehen, daß ich mit dem, was ich seit anderthalb Jahren immer deutlicher heraufkommen sah, die römische Papstnote meine. Ich habe viel Umschau gehalten, ob ich irgendwo ein Urteil fände, das sich eigentlich anschließen müßte an diese Papstnote, eine Frage, die notwendigerweise in den Menschenseelen aufdämmern müßte. Bedenken wir nur, daß seit dem 16. Jahrhundert - wir haben ja darüber öfter gesprochen - dasjenige heraufdämmert, was man heute Staat nennt. Gewiß, jene merkwürdigen Menschen, die man heute an manchen Stellen der Welt Historiker nennt, die reden von den Staaten wie von etwas, was, ich weiß nicht, wie lange schon bestanden hat. Doch diese Historiker wissen wenig von der wirklichen Geschichte. Was heute im Staate lebt, ist nicht älter als vier- bis fünfhundert Jahre. Was vorher war, war etwas ganz anderes. Und es ist wichtig, dies zu wissen, dies sich wirklich klarzumachen. Das Sacerdotale, dasjenige, was in Rom lebt, ist wahrhaftig älter als die modernen Staaten, und hatte zu seiner Zeit seine gute Berechtigung und hat manches in der Welt gewirkt. - Ich habe gesucht, ob man etwa die Frage sich vorlegt: Was bedeutet es denn eigentlich für diese modernen Gebilde, die seit vier bis fünf Jahrhunderten entstanden sind, daß sie nicht die Möglichkeit finden, aus sich heraus zur Ordnung zu kommen, daß sie zu dem alten Sacerdotalen zurückblicken wie zu etwas, über das man so diskutiert, wie da und dort heute diskutiert wird?

Ich möchte wissen, ob jemand, der vor der Frage steht, ob er Schlittschuhlaufen soll, wenn das Eis nur einen Millimeter dick ist, ob sich der die Frage bejaht! Denn diejenigen Begriffe, welche die Menschen heute haben, um so etwas zu beurteilen, wenn Sacerdotales in das moderne Leben heute Impulse hereinwirft, die sind zu dem, um was es sich handelt, wie eine Eisschicht, die einen Millimeter dick ist, zu dem Wasser, das darunter ist. Und was die Menschen heute schreiben und reden, das gleicht dem Schlittschuhläufer auf einer Eisschicht, die nicht dicker

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als ein Millimeter ist, weil kein Mensch Verständnis sucht für die Dinge, die sich abspielen, weil kein Mensch Verständnis dafür sucht, daß es doch nicht darauf ankommt, ein Dokument in die Hand zu nehmen, um zu verfolgen, was da für Sätze stehen, sondern daß es vor allen Dingen darauf ankommt, zu wissen,wie es etwas ganz anderes bedeutet, wenn der eine oder der andere Satz von da- oder von dorther kommt.

Überall liegt heute die Notwendigkeit vor, zu ermahnen, ernst zu ermahnen, nach Gründlichkeit zu suchen, zu suchen danach, wie die Dinge zusammenhängen, zu suchen nach den Wirklichkeiten und nicht nach dem äußeren Schein. Was verschlägt es denn, wenn sich wirklich heute einmal ein Mensch das Geständnis macht: Nun ja, da liegen die Dinge vor. Ich verstehe es noch nicht; ich will daher noch nicht dreinreden. - Es ist ja heute gar nicht zu verwundern bei dem unglaublich oberflächlichen Stand der allgemeinen Bildung, daß die Menschen alles verstehen können, über alles ein Urteil haben können. Aber das Geständnis, daß man über so etwas nicht urteilen kann, sondern vielleicht erst sich die Grundlagen schaffen muß, um zu einem Urteil zu kommen, das wird den heutigen Menschen so schwer. Ja, es fällt ihnen kaum ein, daß es nötig ist, sich erst Grundlagen zu einem Urteil zu schaffen.

Unendlich vieles hängt gerade für die nächste Zeit ab von einem wirklichen Verständnis der treibenden Kräfte, daß man wisse: Das Chaos wird wahrhaftig nicht kleiner, wenn es - lassen Sie uns die Hypothese gebrauchen - dem Sacerdotalen gelingen sollte, eine Scheinordnung auch nur anzuheben. Das Irrtümlichste, dem man sich hingeben kann, das ist, wenn heute jemand sagen würde: Ach, gleichgültig, woher der Friede kommt, wenn er auch von dem Papst kommt! - Das Bedeutungsvolle ist, daß es ja unter Umständen natürlich nicht schaden könnte, wenn ein Friede von dem Papst käme, selbstverständlich nicht; aber es handelt sich dann darum, in welchem Sinne ihn diejenigen auffassen, die mittun.

Immer wieder muß man sich klar vor die Seele stellen, wie diese unsere Zeit uns geradezu auffordert, stündlich, minütlich auffordert: Werde wach! - Allein, Geisteswissenschaft, anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft wird heute nur derjenige verstehen, der in der Lage ist zu begreifen, daß die Menschheit vor einem Entweder-Oder

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steht: Entweder der Geist wird begriffen oder das Chaos bleibt. Ein überkleistertes Chaos würde nicht besser sein als das heutige blutige. Wenn wir nichts anderes haben in den nächsten Jahren als wieder und wieder Materialismus, und vielleicht einen erhöhten Materialismus, wenn es etwa dazu kommen sollte, daß auf der Grundlage dessen, was jetzt in den letzten drei Jahren geworden ist und wovon sich die schlafende Menschheit noch keine Rechenschaft gibt, wenn auf dieser Grundlage ein neues Wettrennen nach materiellen Gütern entstehen sollte, wie es manche herbeisehnen als ein Ergebnis des Friedens, dann würden die Seelen wiederum durch die Todespforte gehen und das Lechzen haben nach Zerstörung hier. Die Zerstörung würde nicht aufhören.

Einzig und allein einen Begriff sich verschaffen, eine Empfindung, einen inneren Impuls sich verschaffen von der Notwendigkeit der Spiritualisierung! Dann wird man in dem Maße, in welchem man sich das verschafft, weiterkommen. Wer die Zeit ein wenig verstehen will und diese Zeit an so ernsten Wahrheiten mißt, wie wir sie schon oft und heute wiederum durch unsere Seelen haben ziehen lassen, der muß doch eine einigermaßen genügende Empfindung erhalten von all dem Furchtbaren, von all dem trostlos Trivialen und Oberflächlichen, was jetzt in der Welt geschrieben und gesagt wird.

Denken Sie sich eine Schar von Kindern, sie zerbrechen Ihren Eltern Töpfe, Teller, Gläser, alles. Man sieht sie an und denkt nach, wie da Einhalt gebieten, da die Kinder immer wieder nach der Küche und nach der Speisekammer und überallhin laufen, wo es noch etwas Zerbrechbares gibt. Endlich kommt man darauf, wie man dem Einhalt gebieten kann. Eine Anzahl von Menschen, die da zuschauen, die sogar die Erzieher der Kinder sein wollen, kommen darauf: Sie sorgen dafür, daß alles Zerbrechliche geholt und zerschlagen wird, bis gar nichts mehr da ist. Dann wird nichts mehr zerbrochen, dann ist es mit dem Zerbrechen zu Ende! - Ich weiß nicht, wie viele Menschen es geben wird, die nicht solche Erzieher für Toren halten würden. Da würde man das ja wohl einsehen. Wenn aber weise sich dünkende Menschen durch die Welt tönen: Man muß so lange blutige Kriege führen, bis der Friede da ist, man muß erst alles kaputt machen, damit über die Erde hin kein Kaputtmachen mehr möglich ist -, dann sieht man das für

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Weisheit an. So lange morden, als es nur geht, um das Morden abzuschaffen, um das Morden zu bekämpfen, das ist Weisheit!

Für den, der noch ein Fünkchen Logik empfinden kann, ist das nicht mehr Weisheit, als wenn der Erzieher einer Kinderschar sagt: Damit nur ja nichts mehr zerbrochen wird, lasse ich schnell alles noch herbeischaffen, damit das letzte Stück auch noch zerbrochen wird, und dann wird wohl nichts mehr zerbrochen werden. - Warum nennen die Leute das letztere Torheit, das erstere Zukunftspolitik? Weil der Menschen Gedanken heute da aufhören, wo sie gerade am intensivsten werden sollten: wo sich diese Gedanken auf die großen Schicksalsfragen beziehen.

Davon wollen wir dann morgen weiter sprechen und einige ernste spirituelle Wahrheiten miteinander behandeln.

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ZWEITER VORTRAG Dornach, 30. September 1917

Heute möchte ich einiges mehr zur Vorbereitung für das Bild geben, das ich dann morgen in einem umfassenderen Sinne zum Abschluß bringen werde.

Die Gegenwart ist eine Zeit - Sie werden es wiederum aus dem Inhalt der gestrigen Betrachtungen gefühlt haben -, von der man sagen kann, daß sich viel wird ändern müssen im Denken, im Fühlen, im Wollen der Menschen. Die Seelenrichtungen werden andere werden müssen. Gerade mit Bezug auf das innerste Seelenleben werden alte, vererbte, anerzogene Gewohnheiten schwinden müssen, und eine neue Form des Denkens und Fühlens wird auftreten müssen. Das wird die Zeit fordern. Ich denke, es kann auf jeden einen bedeutsamen und tief in die Seele gehenden Eindruck machen, wenn er die Wahrheit, die gestern besprochen worden ist, auf seine Seele wirken läßt, die Wahrheit, trivial gesprochen, von der Austauschbarkeit zerstörender Vorgänge hier auf dem physischen Plan und der Spiritualisierung der Menschheit. Denn bedenken wir nur einmal, daß wir unter dem Eindruck einer solchen Wahrheit genötigt sind, uns mit den Toten, mit den Hinweggegangenen als eine, sagen wir, soziale Einheit zu fühlen. Man kann gewiß mit tiefem Schmerze empfinden, was hier auf dem physischen Plane geschieht, und soll es; aber man darf auf der andern Seite nicht vergessen, daß die Seelen, die nicht zu den wenigen gehören, die in den letzten Jahrzehnten spirituelles Leben aufgenommen haben, dürsten nach zerstörenden Vorgängen hier auf dem physischen Plan, weil sie aus diesen zerstörenden Vorgängen Kräfte für das geistig-seelische Leben nach dem Tode schöpfen. Und wir bekommen daraus die praktische Aufforderung, alles, was an uns ist, zu tun, um das einzige, was in der Zukunft von der Menschheit die zerstörenden Kräfte wird hinwegnehmen können, das spirituelle Leben, zu fördern. Wir müssen es uns nur ganz klarmachen, daß für vergangene Zeiten es anders war, daß da noch nicht in solchem Ausmaße galt, daß jedes materialistische Zeitalter ein Zeitalter der

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Kriege, der Verwüstungen hervorrufen muß. Aber in der Zukunft wird es so sein.

Die Menschheit leidet ja unter vielen von alters her gekommenen Illusionen. Diese Illusionen waren bisher nicht so schlimm, wie sie in der künftigen Entwickelung der Menschheit sein werden. Nun kann man ja im allgemeinen sagen, daß die Seelen der zeitgenössischen Menschen noch recht sehr schlafen und vieles von dem nicht bemerken, was sich in unserer Gegenwart so gewaltig ändert. Aber manchmal kommt dies oder jenes doch instinktiv durch. Mancher empfindet dann die großen Rätsel der Gegenwart. Nur sind viele noch nicht veranlagt dazu, sie in aller Tiefe, mit aller Energie zu empfinden.

Eines solcher Rätsel wird jetzt unter dem Eindrucke der stürmischen, zerstörerischen Ereignisse von einigen Menschen bemerkt. Aber in vieler Beziehung sind diese Menschen hilflos, sich Antwort zu geben auf solche Rätsel. Das Rätsel, das ich meine, ist die in der Menschheitsentwickelung vorhandene Diskrepanz zwischen der intellektuellen Entwickelung und der moralischen Entwickelung. Zum ersten Mal ist ja auch in der neueren Zeit vor materialistischen Vorstellungen dieses wiederum gerade den Darwinisten aufgegangen; auch Haeckel hat eine ähnliche, dahingehende Bemerkung in seinen «Welträtseln» gemacht. Aber jetzt während dieser Kriegszeit merkt man immer mehr und mehr, wie diese Disharmonie zwischen dem intellektuellen und dem moralischen Leben der Menschheit in ihrer Entwickelung für gewisse Seelen ein Rätsel wird. Die Leute sagen sich mit Recht: Welche ungeheuren Fortschritte hat das intellektuelle, das Verstandesleben gemacht, dasjenige Leben, welches heute viele Menschen wissenschaftliches Leben nennen, worauf sie die heutige materialistische Weltanschauung bauen, welche ungeheuren Fortschritte hat der Verstand des Menschen gemacht, die Durchdringung der Naturgesetze, Beherrschung der Naturgesetze, um allerlei Instrumente - in der neueren Zeit insbesondere Mordinstrumente - zu bauen! Über anderes werden die Menschen noch aus dieser ihrer Wissenschaft heraus nachdenken. Sie werden analysieren, woraus die Nahrungsmittel bestehen und werden chemische Nahrungsmittel fabrizieren, ohne Ahnung davon, daß chemische Nahrungsmittel nicht in demselben Sinne Nahrungsmittel sind wie diejenigen,

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welche die Natur liefert, trotzdem sie aus demselben Stoff bestehen können.

Die intellektualistische, die, wenn wir so sagen wollen, wissenschaftliche Entwickelung ist in aufsteigender Linie verlaufen. Nicht in demselben Maße hat sich das Moralische der Menschen entwickelt. Wie hätte die gegenwärtige Weltkatastrophe hereinbrechen können, wie hätte sie verlaufen können in der Weise, wie sie verläuft, wenn die moralische Entwickelung der Menschen in gleichem Maße fortgeschritten wäre wie die intellektuelle! Ja man kann sagen: Gerade dadurch, daß die moralische Entwickelung der Menschen nicht fortgeschritten ist, hat die intellektuelle Entwickelung eine gewisse unmoralische Signatur angenommen, ist geradezu in vieler Beziehung zu einem Zerstörerischen fortgeschritten. Das bemerken heute schon viele Menschen, daß eine Diskrepanz, eine Disharmonie vorhanden ist zwischen der moralischen und der intellektuellen Entwickelung der Menschen. Nur fordert es die heutige Zeit nicht, daß solche Fragen, wenn sie der wirklichen Evolution der Menschheit nützen sollen, tief genug angefaßt werden, daß sie da angefaßt werden, wo man wirklich sieht: Der heutige Mensch kann sich ja über die tieferen Untergründe des menschlichen Denkens und Handelns gar nicht unterrichten, weil ihm sich alles vermischt, was im Menschen getrennt und ganz verschiedenen Gebieten des Weltenalls zugeordnet ist.

Die heutige Wissenschaft hat den Menschen vor sich: - physischer Leib, Bildekräfte- oder Ätherleib, astralischer Leib, Ich -, aber das alles durcheinandergemischt. Die Wissenschaft unterscheidet das nicht. Aber wie kann es denn zu einer Wissenschaft, die ausreichend ist, um die Dinge zu begreifen, überhaupt kommen, wenn man alles durcheinandermischt, da doch diese verschiedenen Glieder der Menschennatur ganz verschiedenen Gebieten des Weltenalls zugeteilt sind, mit ganz verschiedenen Sphären des Weltenalls zusammenhängen? Mit unserem physischen Leib und unseren Bildekräften sind wir hier in der physischen Welt; mit unserem astralischen Leib und unserem Ich gehen wir jede Nacht in eine ganz andere Welt hinein, in eine Welt, die zunächst außerordentlich wenig zu tun hat mit der Welt, in der wir das Tagwachen zubringen. Die beiden Welten wirken eigentlich nur da-

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durch zusammen, daß sie eben in der menschlichen Natur zusammenkommen.

Und dann bedenken Sie, um wieviel jünger das menschliche Ich und der menschliche astralische Leib ist als der physische Leib, der Ätherleib! Die erste Anlage zu unserem physischen Leib, wir haben sie erhalten während der alten Saturnzeit. Sie hat vier Stadien durchgemacht: durch die Saturn-, Sonnen-, Monden-, Erdenzeit bis zur heutigen Erdenentwickelung. Drei Stadien hat der Ätherleib, zwei Stadien hat der Astralleib durchgemacht. Das Ich ist erst während der Erdenzeit dazugekommen, das ist jung; das gehört also einem ganz andern kosmischen Zeitalter an. Nun ist aber der Apparat für unsere Intellektualität, dasjenige, was als Werkzeug dient unserer Intellektualität, innig zusammenhängend mit unserem physischen Leib. Nur dadurch, daß unser physischer Leib eine so umfassende Entwickelung durch die Saturn-, Sonnen-, Monden-, Erdenzeit durchgemacht hat, nur dadurch ist er dieses vollkommene Instrument geworden, welches wir erkennen in der Nervenentwickelung, in der Gehirnentwickelung, in der Blutentwickelung. Dieses vollkommene Instrument benützen wir, wenn wir intellektualistisch tätig sind.

Nun habe ich einmal gerade hier an diesem Orte angedeutet, wie ja der Mensch viel komplizierter ist, als man eigentlich denkt. Wenn wir so sagen: «physischer Leib» - so ist das wiederum nicht ein Einfaches. Dieser physische Leib trägt nämlich in sich die vom Saturn herübergebrachten Anlagen. Dann kam der Ätherleib dazu. Aber dieser Ätherleib hat sich wiederum ein Glied im physischen Leib errichtet, der Astralleib wieder ein Glied im physischen Leib, das Ich wieder ein Glied im physischen Leib. So daß dieser physische Leib eigentlich für sich viergliedrig ist: Ein Teil des physischen Leibes ist sich selber zugeordnet, ein Teil dem ätherischen Leib, ein Teil dem Astralleib, ein Teil dem Ich. Sehen wir einmal ab vom Ätherleib, der ja wiederum dreiteilig ist, weil ein Glied des Ätherleibes sich selbst zugeteilt ist, ein Glied dem Astralleib, ein Glied dem Ich. Bleiben wir beim physischen Leib. Da zeigt sich uns, daß in der Nacht, wenn wir schlafen, dasjenige im physischen Leibe, was sich selbst zugeteilt ist, selbstverständlich sein Leben fortsetzt; das, was dem Ätherleib zugeteilt ist, kann auch sein Leben fortsetzen,

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denn der Ätherleib ist beim physischen Leib dabei. Aber wie ist es denn in der Nacht bei demjenigen Teil des physischen Leibes, der dem astralischen Leib zugeteilt ist, der darauf hinorganisiert ist, daß der astralische Leib hinaus will - der astralische Leib ist ja heraußen in der Nacht -, und mit demjenigen Teile, der dem Ich zugeteilt ist? Das Ich ist auch heraußen. Diese zwei Glieder - nennen wir sie astralphysischen Leib, und das andere Ich-physischen Leib -, diese zwei Glieder sind in der Nacht von dem, was sie eigentlich durchorganisiert, verlassen. Wir sind ja mit unserem Ich und mit unserem Astralleib heraus aus dem, wozu sie im physischen Leib gehören. Wir lassen also eigentlich im Bette etwas zurückliegen, solange wir da zwischen Geburt und Tod leben, das unversorgt bleibt, unversorgt von demjenigen Teil, dem es zugeordnet ist. Das muß anders wirken im Schlafe, als es während des Tageslebens wirkt; das können Sie ja einsehen. Denn während des Tageslebens wird es durchströmt und durchglüht vom astralischen Leib und vom Ich, während der Nacht, während des Schlafes nicht. Heute frägt der Mensch nicht, wie das ist, weil, wie gesagt, ihm alles durcheinanderschwimmt und durcheinandergemischt ist, weil er nicht unterscheidet diese voneinander sehr deutlich zu unterscheidenden Glieder seiner Leiblichkeit.

Dasjenige im menschlichen physischen Leib, das man das AstralPhysische nennen könnte, das wirkt während des Schlafens in der Nacht mit Kräften, die sehr ähnlich sind den Kräften des Merkur, den Merkurialkräften, den Kräften, die das Merkur flüssig machen und so weiter. Dagegen was im physischen Leib zugeteilt ist dem Ich, das wirkt während des Schlafens wie Salz. So daß der Mensch eigentlich während des Schlafens durchwogt ist von Salz und Merkur. Solche Dinge haben die ernstzunehmenden Alchimisten vor dem 14. Jahrhundert noch gewußt. Nachher erst ist die alchimistische Sektiererei gekommen und auch die Bücher, die man heute gewöhnlich liest. Nachgewirkt haben allerdings solche Erkenntnisse bei Jakob Böhme, der von Salz, Merkur, Schwefel spricht.

Das sind gewisse Geheimnisse der Menschennatur. Und dasjenige, wovon wir eben gesprochen haben, könnten wir so bezeichnen, daß wir sagen: Wir sehen hinunter, wenn wir schlafen, auf einen merkurial

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salzig gewordenen Leib. - Daß der Leib merkurialisch wird, das hat sehr bedeutsame Folgen, von denen wir vielleicht im Laufe dieser Wochen sprechen werden. Daß der Leib salzig wird - ich meine, das wäre gar nicht einmal so schwierig für den Menschen selbst zu bemerken, wenn er des Morgens aufsteht.

Was bedeutet das aber? Gewissermaßen in das, was salzig, also mineralisch geworden ist, was in dem Menschen eingeschlossen ist, und in dasjenige, was merkurialisch ist, was wiederum in dem Menschen wie Belebendes ihn durchströmt - denn das Merkurialische ist in Wirklichkeit ein Belebendes -, in das fährt beim Aufwachen hinein das Ich und der astralische Leib, welche während des Nachtschlafes in der geistigen Welt gewesen sind. Es treffen also Dinge zusammen, die während des Nachtschlafes nicht beieinander sind. In diesem Aufeinanderwirken gibt es die Möglichkeit, das herauszutragen, was man sich in der geistigen Welt aneignet. Merkur, Salz haben geruht; jetzt kommt Ich und astralischer Leib hinein, durchdringen sie mit dem, was sie erlebt haben in der geistigen Welt. Dadurch wird das Instrument des physischen Leibes, das seit dem Saturn sich entwickelt hat, sogar noch bereichert. Haben wir auf der einen Seite im physischen Leibe ein Instrument, dessen wir uns ja bedienen bei unserer intellektuellen Tätigkeit, das so altehrwürdig und gut ausgebildet ist, weil es so lange Zeiträume der Entwickelung hinter sich hat, so kann außerdem durch den Vorgang, den ich Ihnen eben beschrieben habe, ein Einfluß aus der geistigenWelt in der Gegenwart hinzutreten. Daher kommt es, daß die Menschen heute auf das Werkzeug der Intellektualität aus der geistigen Welt heraus wirken können und daß die Intellektualität so bedeutsam sein kann in der Gegenwart.

Aber die Welt, in der wir sind vom Einschlafen bis zum Aufwachen, sie hat eine bestimmte Eigentümlichkeit: Sie hat nichts in sich von moralischen Gesetzen. So sonderbar Ihnen das scheinen kann, vom Einschlafen bis zum Aufwachen sind Sie in einer Welt, die nichts von moralischen Gesetzen in sich hat. Es ist eine Welt, welche, man könnte auch sagen, noch nicht moralisch ist. Heraus bringen wir, wenn wir aufwachen, aus dieser Welt zwar Impulse, die dann den physischen Leib, den Ätherleib ergreifen können nach der Richtung der Intellektualität,

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die ihn aber nicht ergreifen können aus dieser geistigen Welt heraus in der Richtung der Moralität. Das ist ganz ausgeschlossen, denn in der Welt, in der wir vom Einschlafen bis zum Aufwachen sind, gibt es keine moralischen Gesetze. Diejenigen Menschen, die da glauben, daß es gescheiter wäre, wenn die Götter die Sache so angeordnet hätten, daß der Mensch nicht auf dem physischen Plan zu leben brauchte, diese Menschen irren gar sehr; denn der Mensch könnte dann nie moralisch werden. Das Moralische eignet sich der Mensch nämlich gerade durch sein Leben hier auf dem physischen Plane an. Moralisch können die Menschen nur auf dem physischen Plan werden. Also wir tragen aus der geistigen Welt wohl Weisheit hinein in den physischen Leib, wir tragen aber nicht Moralität hinein.

Das ist ein sehr Wichtiges, Bedeutsames, das uns nun aufklärt darüber,warum die Menschen in bezug auf das Moralische zurückgeblieben sein müssen, während die Götter sehr gut vorgesorgt haben für die Intellektualität der Menschen, die sie ihnen nicht nur durch das Werkzeug von Saturn-, Sonnen-, Monden- und Erdenzeit zugeleitet haben, sondern für die sie ihnen auch noch Zehrgelder geben, indem sie sie mit Weisheit durchdringen in der Welt, in die der Mensch eingeht während des Schlafens. Ähnliche Zustände, wo man während des Schlafens mit einer moralischen Welt in Zusammenhang kommt, werden wir erst in späteren Zeiträumen, in der zweiten Hälfte der Venusentwickelung erleben. Das ist eine Tatsache, die uns zeigt, von welch unendlicher Bedeutung es ist, darauf zu sehen, daß unser soziales Leben von Moralität durchdrungen werde.

Diese Dinge sind es, an welche die gegenwärtige Menschheit nicht heran will. Die Rätsel werden zuweilen empfunden, wie ich Ihnen sagte; aber an die tieferen Gründe wollen die Menschen nicht heran, weil ihnen das unbequem ist, weil sie den Menschen nehmen wollen, so wie er dasteht, und nicht bedenken, daß dieses Menschenwesen Zusammenhänge in sich schließt, die in die Welten des Kosmos hinausgehen, über den Raum und über die Zeit hinaus, und daß der Mensch gar nicht erklärlich ist in seinem gewöhnlichen Sich-Ausleben, wenn man diese Zusammenhänge nicht berücksichtigt. Das ist die großartige, gewaltige Tatsache, daß uns der Schlaf wohl für die Intellektualität, ja sogar für

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das Genie nützt - denn auch das Genie bringt aus dem Schlafe das mit, womit es seinen Merkurialbestandteil und seinen Salzbestandteil durchdringt, und darauf beruht sogar die Ausbildung des Genies -, daß aber für die Moralität nur gesorgt werden kann, indem der Mensch nach und nach hier auf dem physischen Plan sich durchdringt mit dem, was eben Moralität darstellt.

Der Mittelpunkt des moralischen Lebens ist doch für die Erdenmenschheit der Christus-Impuls. Daher ist es von solcher Bedeutung - ich habe das öfter von andern Gesichtspunkten aus hervorgehoben -, daß der Mensch gerade hier auf dem physischen Plan mit dem Christus-Impuls zusammenkommt. Das ist etwas, was erfaßt werden muß von den verschiedensten Gesichtspunkten aus. Daher wird es begreiflich erscheinen, daß, wenn jemand noch so sehr durch Instinkt Weisheitsimpulse hat - denn im Schlafe teilen sich Weisheitsimpulse mit -, so daß er die kompliziertesten Maschinen erfinden kann, teilnehmen kann an dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt, daß dies gar nicht mit der Moralität zusammenzuhängen braucht, weil die Moralität eigentlich in einer ganz andern Sphäre liegt.

Solche Dinge sind heute den Menschen unbequem zu erfahren und unbequem zu wissen. Und dennoch müssen sie bekannt werden, wenn wir aus dem Chaos, in das die Welt geraten ist, herauskommen wollen. Und es ist außerordentlich ernst mit diesen Wahrheiten. Es geht die Entwickelung der Menschheit nicht weiter, wenn diese Wahrheiten nicht Fuß fassen im Erdenleben. Denn die Götter haben die Menschen nicht zu Automaten machen wollen, um gewissermaßen automatisch auf sie zu wirken, sondern sie haben sie zu freien Wesen machen wollen, die erkennen können, wodurch sie vorwärtsgebracht werden. Der Einwand: Warum greifen die Götter nicht ein? - gilt nicht. Ansätze müssen gemacht werden; aber wenn ein solcher Ansatz zur spirituellen Erkenntnis einmal nicht glückt, so darf kein falscher Schluß daraus gezogen werden, sondern die Späterkommenden müssen daraus um so mehr den Impuls fassen, in dem Sinne zu wirken, der solchem Ansatz für spirituelle Weiterentwickelung entgegenkommt.

Ich habe mich in der letzten Zeit viel mit einem bedeutsamen Ansatz beschäftigen müssen, der gemacht worden ist und der dazumal nicht in

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umfänglicher Art geglückt ist. Es war, als ich für die Zeitschrift «Das Reich» den ersten Teil meines Aufsatzes - der aber weiter fortgesetzt werden wird - über «Die chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz anno 1459» geschrieben habe. Diese «Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz anno 1459» ist geschrieben im Anfang des 17. Jahrhunderts. 1603 haben sie schon Leute zu lesen bekommen. 1616 ist sie erschienen. Johann Valentin Andreae hieß der Verfasser; aber ValentinAndreae hat auch andere Schriften geschrieben: die sogenannte «Fama fraternitatis» und die «Confessio». Merkwürdige Schriften, über welche die Leute alle möglichen gereimten, aber meistens ungereimten Meinungen geäußert haben. Ich will heute nichts anderes über diese Schriften andeuten, als daß sie, trotzdem sie zunächst den Eindruck von Satiren machen können, doch einen großen Impuls hatten: den Impuls, zu vertiefen die Naturerkenntnis im Geistigen - man könnte sagen: die Geist-Erkenntnis der Natur - bis zu jenem Punkt, wo man durch eine tiefere Erfassung der Naturgesetze auch die Gesetze des sozialen Menschenlebens entdeckt, des menschlichen Zusammenlebens findet.

Auf diesem Gebiete wird es ja den Menschen ganz besonders schwer, die Maja, die Täuschung von der Wirklichkeit zu unterscheiden. Diejenigen Motive, die wir uns bei unserem Handeln oftmals zuschreiben, oder die uns andere zuschreiben, sind ja nicht die wahren. Das schmerzt den Menschen, daß es so ist, aber - ich habe ja das öfter auseinandergesetzt - es sind nicht die wahren. Und diejenigen Positionen im außeren sozialen Leben, die die Menschen einnehmen, sind auch nicht die wahren. Der innere Mensch ist doch in den meisten Fällen ein ganz anderer als der äußere Mensch im sozialen Dasein, und als er sich vor sich selbst erscheint. Wie stark glauben die Menschen, wenn sie dies oder jenes tun, sie handeln aus diesem oder jenem Motiv heraus! Mancher meint, recht selbstlose Motive zu haben, während seine wirklichen Motive nichts anderes als brutalste Selbstsucht sind. Aber das weiß er nicht, weil man über sich selber und über seine sozialen Zusammenhänge in der Maja lebt. Und über die Wirklichkeit kann man sich auch auf diesem Gebiete nur aufklären, wenn man tiefer in der Wesen Zusammenhänge hineinsieht.

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Unter anderem war auch Johann Valentin Andreae einer, der tiefer hineinsehen wollte in diese Zusammenhänge. Hineinzuschauen in die Wirklichkeit, über die Maja hinaus, darauf kam es unter anderem auch Johann Valentin Andreae an. Aber er war natürlich kein solcher Trivialling, der da glaubte, das könne man mit all den Tiraden machen, mit denen die heutigen tiefen Pädagogen und dergleichen die Welt reformieren wollen; sondern er war sich klar darüber, daß man zuerst tiefere Blicke hineintun muß in die Zusammenhänge der Natur, um in der Natur den Geist zu finden. Dann findet man auch die Fäden, durch die der Mensch wirklich mit dem Geistigen zusammenhängt. Dann kann man aber auch erst wissen, welche wirklichen sozialen Gesetze man braucht. Man kann nicht über soziale Zusammenhänge nachdenken, wenn man ein naturforscherisch denkender Mensch im heutigen Sinne ist, weil man da die Natur an der Oberfläche und das soziale Leben an der Oberfläche hat. Johann Valentin Andreae suchte die Natur in den Tiefen und das soziale Leben in den Tiefen. Da kommen sie erst zusammen. In Wirklichkeit ist es so: Wenn Sie sich die Grenze zwischen der Maja und der Wirklichkeit denken, so haben Sie auf der einen Seite ein Guckloch für die Natur und auf der andern Seite ein Guckloch für das soziale Leben. Und nur dann, wenn man tiefer hineinsieht, sieht man: Da treffen sie sich rückwärts.

Aber dahin werden die Menschen nicht kommen; sie werden dabei stehenbleiben, einige Naturgesetze an der Oberfläche zu beobachten und werden dann alles mögliche aus ihrem Empfinden, aus ihrer Oberflächlichkeit heraus über das soziale Leben reden. Da wird man aber kein Erkenner des Zusammenhanges, wie es bei Johann Valentin Andreae angestrebt wurde; da wird man höchstens - verzeihen Sie, man muß manchmal die Dinge beim rechten Namen nennen -, da wird man höchstens einWoodrowWilson: Da bleiben die Dinge ohne Zusammenhang. Johann Valentin Andreae wollte den Zusammenhang. Dieses Streben durchpulst solche Werke, wie seine «Fama fraternitatis», seine «Confessio rosicruci». Es war eine Adresse an die Staatsoberhäupter, an die Staatsmänner seiner Zeit, es war ein Versuch, eine soziale Ordnung zu begründen, die dem Wahren, nicht dem Majawesen entsprechen sollte. 1614 erschien die «Fama fraternitatis», 1615 die «Confessio»,

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1616 die schon 1603 geschriebene «Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz». 1618 kam der Dreißigjährige Krieg, der durch seine Verhältnisse hinwegfegend war für Edelstes, das angestrebt war durch die «Fama fraternitatis», durch die «Confessio».

Wir leben heute in einem Zeitalter, in dem ein Jahr Krieg durch sein Zerstörerisches reichlich so viel bedeutet wie dazumal zehn Jahre. Wir haben schon reichlich einen Dreißigjährigen Krieg, an dem Maßstab der damaligen Zeit gemessen, hinter uns. Dies, meine lieben Freunde, versuchen Sie zu erfassen als einen Gedanken, der Sie hineinführen kann in das Wollen und Streben, das in einer ähnlichen Weise im 17. Jahrhundert aufgetreten ist, aber durch die Tatsachen des Dreißigjährigen Krieges unterbrochen worden ist. Und ich sagte schon: Wenn solche Dinge als Ansatz da sind, muß man sich später nicht abhalten lassen, sondern im Gegenteil sich zu um so stärkerer Tätigkeit anspornen lassen, damit ein folgender Versuch nicht wiederum mißglückt. Aber dazu ist es notwendig, das Leben wirklich kennenzulernen.

Nun will ich diese Betrachtungen anknüpfen an Betrachtungen, die ich im vorigen Jahr und im Beginne dieses Jahres hier gepflogen habe. Ich habe Sie aufmerksam gemacht auf einen merkwürdigen Verlauf des gesamten Menschenlebens, der gesamten Menschheitsevolution. Ich habe Sie aufmerksam darauf gemacht, daß, während der einzelne Mensch, der individuelle Mensch, an Jahren zunimmt, also 1, 2, 3, 4, später 30, 35, 40 und so weiter Jahre alt wird, es bei der Menschheit als Gesamtheit umgekehrt ist. Die Menschheit als Gesamtheit war erst alt und wird immer jünger und jünger. Wenn wir in der Zeit zurückgehen - wir brauchen für diese Betrachtungen nur bis zur Grenze zwischen dem atlantischen Leben und dem nachatlantischen Leben, bis zur atlantischen Katastrophe zurückzugehen -, da kommen wir zuerst in die altindische, in die urindische Epoche zurück. Da waren die Verhältnisse im äußeren Leben ganz anders; da war die Menschheit als Ganzes so, daß sie entwickelungsfähig blieb bis über die Fünfzigerjahre hinaus. Wir sind heute nur in den Kindheitsjahren bis zu einem bestimmten Jugendjahre so entwickelungsfähig, daß die körperliche Entwickelung zusammenhängt mit der seelisch-geistigen. Wenn wir Kind sind und dann heranwachsen als Jüngling oder Jungfrau, da geht die physische

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Entwickelung der seelisch-geistigen Entwickelung parallel. Dann hört das aber auf. So ging es nun fort, daß also in der altindischen Zeit die Menschen in der seelisch-geistigen Entwickelung abhängig blieben von ihrer körperlichen Entwickelung bis in die Fünfzigerjahre hinauf. Man entwickelte sich immer hinauf so wie ein Kind, und das war erst dann abgeschlossen, wenn man ein Greis war. Daher gab es dazumal jenes unbedingte, demutvolle Hinaufsehen zu alten Menschen.

Dann kam die urpersische Zeit. Da waren die Menschen nicht mehr so hoch hinauf entwickelungsfähig, sondern nur bis in die Vierziger- und Fünfzigerjahre,anfangs der Fünfzigerjahre; dann in der ägyptischchaldäischen Zeit nur bis in die Vierzigerjahre. Dann kam die griechisch-lateinische Entwickelung; da blieben die Menschen nur bis zum 35.Jahre entwickelungsfähig. Und dann kam die Zeit - Sie wissen ja, die griechisch-lateinische Zeit beginnt im 8. Jahrhundert vor dem Mysterium von Golgatha -, in welcher die Menschheit nur bis zum 33. Jahre entwickelungsfähig blieb. Das war die Zeit, in der das Mysterium von Golgatha stattfand. Die Menschheit begegnete sich in ihrem Alter mit dem Alter, in dem der Christus durch das Mysterium von Golgatha ging.

Aber dann wurde die Menschheit immer jünger und jünger. Nachdem beim Aufgange des fünften nachatlantischen Zeitraumes, im 15. Jahrhundert, die Menschheit nur noch bis 28 Jahre entwickelungsfähig war und dann stehen blieb, sind wir heute bereits dahingekommen, daß die Menschen, durch die Natur sich selbst überlassen, überhaupt nur 27 Jahre alt werden. Während in alten Zeiten die Menschen bis ins hohe Alter hinauf von selber entwickelungsfähig blieben, muß heute ein Mensch seine Entwickelung, die von selber kommt, die an seine Körperlichkeit gebunden ist, mit 27 Jahren abschließen, wenn er nicht einen inneren seelischen Impuls spirituell aufnimmt und von innen sich weitertreibt. Diejenigen, bei denen das nicht der Fall ist, die sich nicht von innen weitertreiben, die nicht Spirituelles aufnehmen, die bleiben heute 27 Jahre alt, und wenn sie 100 Jahre alt werden. Das heißt, sie tragen die Charakteristiken, die Merkmale des Siebenundzwanzigjährigen an sich. Daher haben wir heute, weil die Menschen es ablehnen, innerliche spirituelle Impulse zu suchen, eine Kultur, ein soziales Leben, das sie-

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benundzwanzigjährig ist. Wir wachsen nicht hinaus im äußeren sozialen Leben über das Siebenundzwanzigjährige. Das Siebenundzwanzigjährige beherrscht die Menschheit. Wenn es noch so weitergeht, wird die Menschheit bis 26, 25, 24 Jahre herabkommen, im sechsten nachatlantischen Zeitalter nur bis zum 21. Jahre und später bis zum 14. Jahre.

In alle diese Dinge muß hineingeschaut werden, und alle diese Dinge müssen nicht pessimistisch aufgenommen werden, sondern so, daß sie in uns den Impuls bilden, zum spirituellen Leben zu gehen und das, was uns die Natur nicht mehr geben kann, von innen heraus zu suchen.

Das zeigt von einer andern Seite, wie notwendig spirituelle Impulse in der Kultur sind. Die charakteristischsten Menschen, die führenden Menschen der Gegenwart sind heute solche, die nicht über das 27. Jahr hinauswachsen. Sie sind tonangebend. Was wäre denn ganz besonders tonangebend? Nun, sagen wir, wenn heute ein Mensch mit einem regen Leben geboren würde und nicht viel Traditionelles aufnehmen würde, sondern gerade das, was die Natur hergibt, ohne viel Einflüsse von außen, in sich aufnehmen, dann würde er sozusagen das, was von selber kommt, so recht charakteristisch in sich tragen. Bei vielen färbt und nuanciert das die Erziehung. Aber nehmen wir einen ganz charakteristischen Menschen, der so recht nur die Merkmale der Gegenwart an sich trüge, der vielleicht in ärmlichen Verhältnissen geboren wäre und nicht eine Erziehung aufnehmem würde, die viel auf Tradition baut, sondern der nur das auf sich wirken ließe, was gerade aus den Verhältnissen in ihn hineinfließen kann: Da würde er aufwachsen, würde zunächst recht rege werden, weil das der heutigen Zeit angemessen ist, daß man bis zum 7., 14., 21. Jahre rege wird, und wird vielleicht ein sehr energischer Mensch werden bis zum 21. Jahre hin. Aber wenn er nicht spirituell sich entwickeln kann, wenn er so ein recht repräsentativer Mensch der Gegenwart ist, dann wird er gerade mit 27 Jahren stehenbleiben. Würde er ein ganz repräsentativer Mensch für die Gegenwart sein, dann würde etwa das Folgende geschehen müssen: Er würde mit diesen 27 Jahren einen markanten Einschnitt in sein Leben machen, einen so markanten Einschnitt, daß gewissermaßen die Verhältnisse, in die er sich mit 27 Jahren bringt, ihn dann nicht mehr weiterkommen lassen, weil er sich engagiert für das Leben. Das würde

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unter den heutigen Verhältnissen etwa dadurch eintreten können, daß ein solcher Mensch, nachdem er eine Art Selfmademan mit großer Energie, mit allen möglichen Impulsen, welche die Zeit von selber hergibt, geworden ist, just mit 27 Jahren in ein Parlament gewählt würde. Wenn man in ein Parlament gewählt wird, so hat man sich engagiert, dann kann man nicht mehr von gewissen Dingen zurück, dann bleibt man so - das kommt gerade von dieser Entwickelung der heutigen Zeit -, dann ist man so recht repräsentativ für diese Entwickelung der heutigen Zeit. Und da das Parlament das Ideal der gegenwärtigen Zeit ist, so würde das gerade ein markanter Einschnitt sein können für einen Menschen, der alles ablehnt, was in die Zukunft hineinwachsen soll, der so ganz hineingewachsen ist in die äußeren Verhältnisse, der mit einem Worte siebenundzwanzigjährig bleibt. Ein solcher Mensch würde also mit 27 Jahren als ein starker, kräftiger Mensch, der die Impulse der Zeit an sich trägt, ins Parlament eintreten. Nach einiger Zeit würde er sogar als Minister aus dem Parlament hervorgehen. Man kommt dann weiter; man wird ein tonangebender Mensch der Gegenwart. Aber man wird ein Mensch nur der Gegenwart, ein charakteristischer siebenundzwanzigjähriger Mensch.

Es gibt einen solchen Menschen. Es gibt einen Menschen, der so in Verhältnisse hineingeboren ist, daß er nur dasjenige aufgenommen hat, was ihm die Verhältnisse selbst hergaben, nichts Traditionelles, der ein starker, kräftiger Mensch geworden ist aus diesen Verhältnissen heraus, ein Mensch, der durch dick und dünn geht für dasjenige, was man in den ersten 27 Jahren seines Lebens aufnimmt, und der gerade mit 27 Jahren ins Parlament gewählt wurde, sogar im Parlament unbequem wurde zunächst als einer, der Opposition machte, dann aber rasch weiter aufgestiegen ist und gewissermaßen zu einer Art Drehungsachse der Gegenwart geworden ist: das ist Lloyd George. Es gibt keinen charakteristischeren Menschen für die gegenwärtige Zeit als Lloyd George. Und die einfache Tatsache, daß dieser «Aufsichselbstmann» just auf die Woche hin in seinem 27. Lebensjahr sich engagierte für das Leben, indem er ins Parlament gewählt wurde, und dann auch sein ganzer Lebensgang, das weist darauf hin, wie er repräsentativ, charakteristisch für das Leben der Gegenwart ist, für jenes Leben der Gegenwart, mit

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dem gebrochen werden muß, an dessen Stelle im 27. Lebensjahre die spirituellen Impulse hätten treten müssen.

So blickt man hinein, wenn man das Leben innerlich durchschauen kann, erblickt in denjenigen Tatsachen, welche die andern Menschen verschlafen, die wichtigsten Ereignisse der Gegenwart. Für den, der die Zusammenhänge kennt, bedeutet das etwas ungeheuer Bedeutsames, daß ein solcher Selfmademan gerade mit 27 Jahren ins Parlament hineingewählt ist und sich da engagiert hat.

Das sind Tatsachen, die die Menschen allmählich beobachten und beachten müssen, aus denen sie kennenlernen müssen die tieferen Zusammenhänge, die im Leben vorhanden sind und an denen die Menschen heute so gern vorbei möchten, weil sie unbequem sind. Unbequem, weil die Menschen ihre Leidenschaften, ihre Emotionen, die sie sich selbst in der äußeren Welt ausbilden, lieber instinktiv ausleben, als daß sie zur Erkenntnis greifen, weil sie von diesen Emotionen aus die Welt ausleben wollen, und nicht aus sich selber heraus.

Davon wollen wir dann morgen weiter reden.

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DRITTER VORTRAG Dornach, 1.Oktober 1917

Ich werde versuchen, in der Reihe von Vorträgen, die ich nun halten werde, Ihnen etwas Zusammenhängendes zu geben, das Ihnen die Möglichkeit bieten soll, die Gegenwart und die nächste Zukunft wenigstens von einigen Gesichtspunkten aus zu verstehen. Ich werde aber in manchem weiter ausholen müssen. Daher wird schon berücksichtigt werden müssen, daß ich eine Art roten Faden, wie man sagt, durch diese Vorträge ziehen lasse, und daß das Einzelne im Zusammenhange mit dem Ganzen wird genommen werden müssen. Ich werde nach den verschiedensten Seiten hin weiter ausholen, Bausteine herbeitragen, manchmal scheinbar entfernt liegende Bausteine, die Sie aber brauchen zum Verständnis der Gegenwart.

Eines muß jetzt in dieser Zeit - und mit dieser Zeit verstehe ich eigentlich einen größeren Zeitraum, der sich nach Jahrzehnten zurück und nach Jahrzehnten vorwärts ausdehnt - ganz besonders berücksichtigt werden. Es müssen Wahrheiten ausgesprochen werden, welche in vieler Beziehung im schroffen Gegensatz stehen zu demjenigen, was die Menschheit in der Gegenwart nicht nur glaubt, sondern mehr oder weniger für selbstverständlich hält, so daß sich die Lage zwischen der Geisteswissenschaft und der heute in der Welt gebräuchlichen Meinung etwa in der folgenden Art stellen wird: Geisteswissenschaft wird dies oder jenes zu sagen haben. In der Welt hat man nicht nur eine abweichende, sondern eine in vieler Beziehung geradezu entgegengesetzte Meinung von dem, was Geisteswissenschaft als Wahrheit zu verkünden hat. Dadurch ist es ja selbstverständlich, daß die Menschen die geisteswissenschaftlichen Wahrheiten als etwas empfangen, das ihnen unglaublich, das ihnen verdreht, das ihnen töricht erscheint.

Aber man muß schon sagen: Wenn auch zu andern Zeiten die Wahrheit, die da verkündet werden mußte, um Zukünfte einzuleiten, sich unterschied von den landläufigen Meinungen, welche die Menschen damals hatten, wenn auch zu allen Zeiten ein gewisser Unterschied war zwischen der fortschreitenden Wahrheit und der landes- oder welt

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üblichen Meinung - so groß, so einschneidend, wie er gerade in unserer Zeit sein muß, war dieser Unterschied eigentlich in vergangenen Zeiten wohl niemals. Vielleicht gilt das weniger im absoluten Sinn, aber in diesem relativen Sinne gilt es, daß die Menschen heute innerlich ungeheuer intolerant sind und daher weniger Meinungen, die von den ihrigen abweichen, vertragen.

Also das subjektive Gefühl des Phantastischen gegenüber den neu auftauchenden Meinungen werden die Menschen der Gegenwart viel mehr haben in der nächsten Zukunft, als es auf diesem Gebiete in früheren Zeiten der Fall war. Dennoch, die Verhältnisse liegen so, daß Wahrheiten, die man bis zu unserer Gegenwart strenge behütet hat in engen Kreisen, über welche man jenen, denen man sie mitteilte, strengstes Schweigen auferlegte gegenüber allen, denen man sie nicht mitteilen konnte, solche Wahrheiten müssen in unserer Zeit immer mehr und mehr öffentlich gemacht werden, ganz gleichgültig, wie die allgemeine Meinung und ihre Träger diesen Wahrheiten entgegenkommen, ganz gleichgültig, was für Vorurteile und was für Gegenströmungen diese Wahrheiten hervorrufen.

Warum das so ist, davon werden wir auch im Laufe dieser Vorträge noch zu sprechen haben. Auf einige Eigentümlichkeiten im Aufnehmen von Wahrheiten seitens der Gegenwartsmenschen und der nächsten Zukunftsmenschen werde ich zunächst hinzuweisen haben. In mancher Beziehung sind diese Menschen der Gegenwart, trotzdem sie glauben, daß sie über die Illusionen der vergangenen Zeit, über den Aberglauben der vergangenen Zeit ungeheuer weit hinaus wären, durch und durch illusionär, neigen mehr, als das zu andern Zeiten der Fall war, dazu, sich über gewisse wesentliche und wichtige Dinge der Weltenordnung Illusionen hinzugeben, und zwar In einem solchen Grade, daß diese Illusionen weltbeherrschende,völkerbeherrschende, erdenbeherrschende Mächte werden. Das ist sehr wichtig, denn in dem ganzen Chaos der Gegenwart walten - und deswegen ist es ja ein Chaos - gerade Illusionen, illusionäre Vorstellungen.

Wir wollen gleich auf eine, ich möchte sagen, Grundillusion, auf eine prinzipielle Illusion der Gegenwart hinweisen, auf eine Illusion, die innig zusammenhängt mit den materialistischen Zeittendenzen, mit der

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Neigung der Menschen zum Materialismus. Diese Illusion charakterisiert sich darin, daß die Menschen immer mehr geneigt werden, sich eine ganz falsche Ansicht zu bilden über das, was wir im Zusammenhange der geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse den physischen Plan nennen. Und immer weniger wird ein Wort des Neuen Testamentes, das in dieser Beziehung grundlegend ist, verstanden, immer weniger wird das Wort verstanden: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt.» Mißverstanden wird dieses Wort insofern in der Gegenwart, als gerade die äußerlich tonangebenden Persönlichkeiten, die führenden Individualitäten der Gegenwart sich der Illusion hingeben, daß in jeder Beziehung ihr Reich von dieser Welt werden müsse, ihr Reich Platz greifen müsse auf dem physischen Plane.

Was meine ich damit? Wer real zu sehen vermag, wer die Wirklichkeit zu durchschauen vermag, der weiß, daß die Welt des physischen Planes niemals eine Vollkommenheit haben kann. Wer aber materialistisch denkt, der gibt sich der Illusion hin, daß auf dem physischen Plan etwas Vollkommenes erreicht werden müsse. Daher entspringen dann alle die Illusionen, von denen eine ganz besonders charakteristisch ist: die sozialistische Illusion der Gegenwart.

Illusionen machen sich ja jetzt geradezu die Menschen aller Meinungsnuancen, aller Parteischattierungen und so weiter. Die Menschen von liberaler Weltanschauung, liberaler Lebensauffassung haben sich eine gewisse Einrichtung des physischen Planes konstruiert und haben gedacht, wenn sie diese Einrichtung verwirklichen können, dann wird das Paradies auf Erden sein. - Die Sozialisten denken wieder nach gar nichts anderem hin, als wie man die Welt dieses physischen Planes einrichten solle, damit alles auf diesem physischen Plane hier gut sei, damit jeder ein besonders behagliches Dasein, wie man sich es vorstellt, habe, jeder in der gleichen Weise und so weiter. Und wenn solche Menschen anfangen, sich die Zukunftsgestaltung des physischen Planes auszumalen, dann ist das immer eine sehr schöne paradiesische Welt. Versuchen Sie nur einmal, die Pläne derjenigen, die sich heute zu den verschiedensten sozialistischen Parteien rechnen, nach dieser Richtung hin zu prüfen!

Aber nicht nur auf dieser Seite finden Sie solche Anschauungen und

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Meinungen, sondern auch bei andern. Nehmen Sie die Pädagogen. Selbstverständlich ist heute jeder pädagogische Agitator oder Schriftsteller davon überzeugt, er müsse ein solches Erziehungssystem, solche Erziehungsprinzipien begründen, die die besten sind, die man sich nur denken kann, und die auch im absoluten Sinn die allerbesten sind, über die hinaus man sich nicht bessere denken kann.

Es ist dieses ein Streben, gegen das sich aufzulehnen doch den Menschen geradezu wie eine Narrheit erscheinen muß. Denn so, wie die Dinge heute liegen, können ja kaum die Menschen etwas anderes sagen als: Wer nicht will, daß in der Welt alles aufs beste eingerichtet wird, der muß ganz bösartigen Charakters sein. - Man kann es begreifen, daß die Menschen so denken müssen. Aber wenn nicht Bösartigkeit es ist, die verhindert so zu denken, sondern die klare, echte Anschauung der Wirklichkeit, wenn diese echte Anschauung der Wirklichkeit uns sagt: Es ist einfach eine Illusion zu glauben, daß man solche Grade von Vollkommenheiten auf dem physischen Plan erreichen kann -, wenn es ebenso ein Gesetz wäre, daß es auf dem physischen Plan niemals vollkommen zugehen kann, wie es ein Gesetz ist, daß die drei Winkel eines ebenen Dreiecks 180 Grad sind, dann muß man halt einer solchen Wahrheit kühn und ohne Feigheit ins Gesicht schauen.

Das ist es, was aus durchaus materialistischen Voraussetzungen heraus als solche Illusionen auftritt. Wenn auch heute viele Menschen sagen, sie glauben an eine geistige Welt - es bleibt Wort; bei vielen Menschen bleibt es ein bloßes Wort, ein leerer Schall. In den Empfindungen, in den Gefühlen, in den unterbewußten Impulsen der Menschen sitzt doch etwas anderes, sitzt die Neigung, materialistisch zu denken. Diese Neigung, die verführt die Menschen dazu - wenn sie auch sich vormachen, an etwas anderes zu glauben -, eigentlich doch nur an den physischen Plan zu glauben. Ja, wer nur an den physischen Plan glaubt, wer nicht glaubt, etwas anderes noch zu haben in seiner Umgebung als den physischen Plan, der kann ja gar nicht anders als anzuerkennen als einziges Ideal, alles auf dem physischen Plan so herbeizuführen, daß aus diesem physischen Plan ein Paradies wird; sonst wäre ja überhaupt die ganze Welt ein Unsinn. Für den Materialisten gibt es gar keine andere Möglichkeit, wenn er nicht die Welt für Unsinn halten will, als

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sich der Illusion hinzugeben, daß es zwar jetzt noch recht unvollkommen zugeht auf dem physischen Plan, aber daß man doch Zustände herbeiführen könne, welche dieser Unvollkommenheit ein Ende machen und die Vollkommenheit an ihre Stelle setzen.

Alles, was auf diesem Gebiete sich heute geltend macht - sei es im allgemeinen, über das sich alle möglichen politischen, sozialen und sonstige Agitatoren in Worten ergehen, sei es im einzelnen, sagen wir auf dem Gebiete des Erziehungswesens oder auf andern Gebieten -, alles das beruht auf Illusionen. Und diese Illusionen beruhen ihrerseits wieder darauf, daß die Menschen keine Einsicht haben in die Beziehungen des physischen Planes zu den andern Weltensphären, daß die Menschen gar keine Möglichkeit haben, sich eine Vorstellung darüber zu bilden, warum der Christus Jesus die Worte gebraucht hat: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt», warum der Christus Jesus nicht hier auf dem physischen Plan das Reich der Vollkommenheit verwirklichen wollte. Man wird nirgends aus den Evangelien den Nachweis führen können, daß der Christus dieses Reich der äußeren physischen Welt in ein Reich der Vollkommenheit umgestalten wollte. Dieser Illusion hat sich der Christus selbstverständlich nicht hingegeben. Aber er hat dieses Nicht-herbeiführen-Wollen eines Paradieses auf dem physischen Plan dadurch korrigiert, daß er den Leuten etwas geben wollte, das nicht von dieser Welt ist: ein Durchdringen der Seele mit den Impulsen, die immerzu in der Welt leben, die aber eben nicht von dieser Welt, das heißt, nicht von dem physischen Plan sind.

In weitestem Umkreise beherrschen solche Illusionen heute die Menschheit. Das aber führt ungesunde Verhältnisse herbei. Denn diese Illusionen können, da die Menschen freie Wesen sind, selbstverständlich von den Menschen gefaßt werden. Auf den mehr materiellen Gebieten würden sich solche Illusionen sofort als Illusionen zeigen. Diejenigen Toren,welche theoretisch auf materiellen Gebieten solche Dinge erfinden, die zeigen sich sogleich in ihrer illusionären Natur. Auf dem großen Gebiete des sozialen, des politischen Zusammenlebens, da zeigt sich das nicht sogleich.

Ich habe schon öfter erzählt: Als ich ein junger Dachs war, so zweiundzwanzig, dreiundzwanzig Jahre, da kam ein Hochschulkollege zu

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mir, mit rotem Kopf, furchtbar enthusiasmiert, und erklärte, er hätte eine wichtige, eine geradezu epochemachende Erfindung gemacht. Nun, sagte ich, das ist ja schön; was willst du nun eigentlich damit? - Ja, sagte er, ich muß nun gleich zu Ratinger gehen - das war nämlich an der Hochschule der Professor für Maschinenbau - und muß dem Ratinger die Sache vortragen! - Und gesagt, getan: er lief davon. Ratinger hatte aber nicht gleich Zeit, und so kam er noch einmal zurück. Er wurde für später bestellt. Da sagte ich: Vielleicht kannst du mir nun in der Zwischenzeit erzählen - wir haben ja ein bißchen Zeit -, was du für eine Erfindung gemacht hast. - Es war eine ganz geistreiche Sache. Er hatte nämlich eine Dampfmaschine erfunden, bei der man nur anfangs ganz wenig Kohlen brauchte, um zu heizen; dann brauchte man nicht weiter Kohlen nachzulegen, sondern dann ist ein Mechanismus dagewesen, welcher die Sache fortwährend in Tätigkeit erhalten hat. Man brauchte nur einen einmaligen Anstoß zu geben. Nun, das war natürlich etwas Epochemachendes. Sie werden bloß verwundert sein, warum das heute noch nicht da ist! Ich ließ mir die ganze Sache erklären und sagte ihm dann: Weißt du, das ist sehr geistreich; aber wenn man das Ganze überschaut, so ist es nicht anders, als wenn du einen Eisenbahnwagen dadurch in Bewegung versetzen willst, daß du hineinsteigst und drinnen anschiebst, fortwährend drinnen anschiebst. Wenn einer draußen steht und anschiebt, so kann er selbstverständlich den Wagen weiterbringen; wenn er aber drinnen steht, so kann er bei derselben Krafterzeugung den Wagen nicht um einen Millimeter vorwärtsbringen. - Darauf beruhte aber die ganze Sache.

Es kann etwas außerordentlich logisch, außerordentlich geistreich sein, mit Anwendung aller möglichen technischen Prinzipien aufgebaut sein, und es kann doch ein Unsinn, ein unwirklich Gedachtes sein. Und es kommt nicht darauf an, daß man bloß geistreich denkt, daß man bloß logisch denkt, sondern darauf kommt es an, daß man wirklichkeitsgemäß denkt. - Er ist dann gar nicht mehr zu Ratinger gegangen.

Nun, auf materiellem Gebiete, auf mechanistischem Gebiete kommt solch eine Sache sehr bald heraus. Aber auf sozialem, auf politischem Gebiete, überhaupt auf dem Gebiete, das man im weitesten Umfang das Gebiet der Weltbeglückung nennen könnte, da kommt das nicht so

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bald heraus. Da kann man schon ganz ähnliche Dinge in die Welt setzen; die Menschen werden dadurch verblendet und glauben daran. Aber das Ganze beruht doch nur darauf, daß man im Wagen steht und drinnen anschiebt. Es wird einmal eine Zukunft kommen, wo man einen gewissen Grundcharakter der Gegenwartsordnung vielleicht so- gar nach einem Namen benennen wird, weil dieser Name charakteristisch sein wird für ein innerlich durch und durch illusionäres Denken, unwirkliches Denken. Und man wird ganz gewiß in der Zukunft einmal sprechen von dem Wilsonianismus im Beginne des 20. Jahrhunderts, denn dieser Wilsonianismus, das ist auf politischem Gebiete ganz genau dasselbe, was der Mann hatte, der im Innern des Wagens an- schieben wollte.

Alle jene Begriffe, die als Grundbegriffe den Wilsonianismus beherrschen, die heute so viel Eindruck machen, sind durch und durch unwirkliche Begriffe, abgesehen davon, daß sie auch aus andern Gründen noch auf die Menschen heute einen großen Einfluß ausüben. Sie üben nämlich schon aus dem Grunde einen ungeheuren Einfluß aus, weil sie ja nicht verwirklicht werden können. Würde man an die Verwirklichung gehen, so würde sich sehr bald zeigen, daß sie Nullitäten sind. Aber die Menschen können sich vorstellen, daß man so etwas verwirklichen könnte. Wenn man nämlich den Wilsonianismus verwirklichen könnte, dann hätte man über die ganze Welt ein großes Weltenphilisterium verwirklicht. Denn Woodrow Wilson verdiente eigentlich, zu dem Weltenheiland des allgemeinen Philisteriums ernannt zu werden. Es würde zwar nicht den Philistern in einer von Wilson geordneten Welt gut gehen, und sie kann ja auch nicht verwirklicht werden, aber die Philister stellen sich es wenigstens vor: Wenn der Wilsonianismus die Welt ergreifen würde, dann würde es uns ganz besonders so gehen, wie wir es uns nach unserem Ideal wünschen.

Die Zukunft wird einmal erzählen: Im Beginn des 20. Jahrhunderts entstand das sonderbare Ideal: Wie kann man die Welt zum vollkommensten Abbild des Spießbürgertums machen? Und man wird den Wilsonianismus analysieren, um diese Spießbürgerillusionen als ein Charakteristikon vom Beginne des 20. Jahrhunderts hinzustellen.

Sie sehen, es gibt nicht nur kleine, sondern auch große Beispiele für

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das illusionäre Denken der Gegenwart. Und es sind heute nicht weltverlorene Sekten, sondern es sind sehr weit ausgebreitete Glaubensgemeinschaften, die sich solchen unrealen Gedankengängen, solchen Illusionen hingeben, wie die angedeuteten es sind.

Aber wichtige, einschneidende, wirkliche Wahrheiten müssen heute der Welt verkündet werden. Und die werden wenig übereinstimmen mit dem, was aus den eben bezeichneten Gründen heraus die Anlage hat, allgemeine Meinung zu werden nach den bisher üblichen Vorbedingungen. Es müssen andere Vorbedingungen zum Verständnis der Wahrheit geschaffen werden. Die Wahrheiten, die auftauchen müssen, haben ja für die weitesten Kreise heute etwas Abstoßendes: sie sind unbequem, recht unbequem. Und die Wahrheiten, die man liebt, sind heute bequem, sind begehrt nach den Anlagen, die die Menschen heute schon einmal haben.

Einige von den unbequemen Wahrheiten werden wir eben im Laufe dieser Vorträge kennenlernen müssen. Vor allen Dingen werden die Wahrheiten, welche die Welt braucht, welche man verkündigen muß aus einer gewissen höheren Verantwortlichkeit heraus, sich nicht allein auf den physischen Plan beziehen dürfen, denn sie werden gerade geeignet sein müssen, die Illusionen, die man sich mit Bezug auf den physischen Plan macht, zu durchkreuzen, die Wirklichkeit an die Stelle der Einbildung zu setzen. Denn am eingebildetsten, am phantastischsten sind heute diejenigen Menschen, die sich für wenig oder für gar nicht phantastisch halten. Man macht da ja sonderbare Entdeckungen.

Da ist mir neulich eine Art Lexikon geschickt worden,worin Schriftstellernamen verzeichnet werden. Es sollen alle diejenigen Schriftstellernamen verzeichnet werden, deren Träger etwas in sich haben, was Judentum ist, was im Sinne der Verwirklichung des Judaismus in der Welt, des Judentums wirkt. Unter diesen Schriftstellern bin ich auch angeführt, und zwar bin ich aus dem Grunde angeführt, weil ich viele Ähnlichkeiten hätte - nach der Ansicht des Verfassers jenes literarischen Lexikons - mit Ignaz von Loyola, der gerade wegen seines Judaismus den Jesuitismus begründet habe, und weil ich außerdem herstammte aus einer Grenzgegend zwischen Deutschen und Slawen, wo ich zufällig geboren bin, trotzdem ich gar nicht dorther stamme, und weil

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das, daß ich dorther stamme - ich weiß nicht, aus welchen Gründen -, darauf hindeute, daß ich jüdischer Abstammung sei. Über diese Sache habe ich mich nicht besonders verwundert, denn heute erscheinen noch verwunderlichere Sachen, nicht wahr? Aber unter diesen Menschen, die da als Förderer des Judaismus aufgeführt werden, befindet sich auch Hermann Bahr - ich habe darin so geblättert -, der nun so durch und durch Oberösterreicher ist, daß es wahrhaftig ganz unmöglich ist, darauf zu kommen, ihn irgendwie mit jüdischem Blute oder so etwas in Zusammenhang zu bringen. Trotzdem wird in diesem literarischen Lexikon ein bekannter Literarhistoriker zitiert als Quelle dafür, daß Hermann Bahr doch etwas Jüdisches unbedingt habe.

Nun, als mir einmal vorgeworfen wurde - diese Dinge sind ja nicht neu -, daß ich jüdisch sei, da ließ ich meinen Taufschein photographieren. Hermann Bahr mußte auch solche Experimente machen, weil ihm von einem Literarhistoriker vorgeworfen worden ist, daß er Jude sei. Er wollte eben die Wahrheit an die Stelle setzen. Und da sagte der betreffende Literarhistoriker: Na, aber es kann ja der Großvater Jude gewesen sein. - Aber es läßt sich schlechterdings nichts in der Ahnenschaft von Hermann Bahr nachweisen, was nicht absolut uroberösterreichisch-deutsch ist; es läßt sich durchaus nichts nachweisen. Das war natürlich fatal für jenen Literarhistoriker, aber von seiner Meinung ließ er sich deshalb nicht abbringen. Und dieses, daß er sich nicht von seiner Meinung abbringen ließ, richtete er auf folgende Weise ein. Er sagte: Und wenn Hermann Bahr durch zwölf Generationen hinauf mir die Taufscheine vorlegt, daß er nicht einen Tropfen jüdischen Blutes von irgendeiner Seite bekommen haben kann, dann würde ich nötigen- falls an die Reinkarnation glauben. - Also, Sie sehen: Die Gründe, an die Reinkarnation zu glauben, liegen bei diesem sehr verbreiteten und sehr berühmten Literarhistoriker auf einem sonderbaren Feld.

Es ist heute zuweilen schon schwierig, dasjenige, was berühmte Menschen aussprechen, überhaupt noch ernst zu nehmen. Schade ist natürlich dabei nur, daß es so außerordentlich schwierig wird, die Menschen in breiteren Kreisen von diesen Dingen zu überzeugen. Denn es liegt den Leuten doch gewissermaßen in den Gewohnheiten, an Autoritäten zu glauben, trotzdem selbstverständlich die Menschen der Gegenwart

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gar nicht autoritätsgläubig sind! Aber das ist ja nur ihre Meinung. Wir haben über diese Meinung, die die Menschen von sich selber haben, gestern auch einiges sagen können.

Dieser zuweilen in den Grundinstinkten von der Wahrheit abirrenden Gegenwart wird es außerordentlich schwer werden, gerade diejenigen Wahrheiten aufzunehmen, welche das unmittelbar an den physischen Plan anstoßende Grenzgebiet berühren. Denn was da als das an den physischen Plan unmittelbar anstoßende Grenzgebiet gelten muß, das erfordert, daß man bei der Charakteristik in einer gewissen Weise an eine gesunde, an eine unverdorbene Gemütsverfassung derjenigen appellieren muß, die darüber hören. Und das wird gegenüber der Verkündigung derjenigen Wahrheiten, die notwendigerweise verkündet werden müssen, die allergrößten, die denkbar größten Schwierigkeiten machen. Nicht etwa bloß das Anschauen dieser Wahrheiten, sondern schon das Sich-Bekanntmachen mit diesen Wahrheiten hat eine Bedeutung für die ganze Seelenverfassung des Menschen.

Was man an äußerem Wissen über den physischen Plan aufnimmt, das hat eine gewisse Wirkung, sagen wir auf den menschlichen Kopf. Aber diejenigen Wahrheiten, die in die Tiefe gehen, auch wenn sie nur bis zu jener Tiefe gehen, wo sie das Grenzgebiet betreffen, diese Wahrheiten berühren den ganzen Menschen, nicht bloß den Kopf, sondern den ganzen Menschen. Und man muß dann für die Verkündigung solcher Wahrheiten rechnen auf ein unverdorbenes, gesundes Gemüt.

Nun, für viele Lebensverhältnisse ist aber ein unverdorbenes, gesundes Gemüt in der Gegenwart gar nicht so sehr verbreitet. Im Gegenteil, ein ungesundes, verdorbenes Gemüt ist heute durchaus keine Seltenheit. Und so kommt es, daß in der Aufnahme der Wahrheiten sich sehr stark die Art und Weise geltend macht, wie das instinktive Leben, wie das Triebleben, wie die ganze Seelenverfassung, die Gemütsverfassung der Menschen ist, die diese Wahrheiten aufnehmen wollen. Menschen mit verdorbenen Instinkten, die keinen Willen haben, ihre Lebensverhältnisse in eine gewisse Zucht zu nehmen, werden sehr schnell die Neigung haben, gerade wenn es sich darum handelt, Wahrheiten über das Grenzgebiet aufzunehmen, diesen Wahrheiten gegenüber eine Stellung einzunehmen, die ganz von niedriger Gesinnung erfüllt ist.

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Das kann sehr leicht passieren. Wenn Menschen kein gesundes Interesse haben für die objektiven Weltenvorgänge, wenn Menschen vor allen Dingen nur ein Interesse haben für das, was mit ihnen selber zusammenhängt, so verdirbt das oftmals schon das Gemüt so sehr, daß gerade den okkulten Wahrheiten und namentlich denen des Grenzgebietes, nicht entsprechende Instinkte entgegengebracht werden.

Für die Wahrheiten des physischen Planes, für alles das, was sich auf den physischen Plan bezieht, worin es die Menschen in der Gegenwart so weit gebracht haben, für alles das sorgt ja schon, ich möchte sagen, die äußere Natur, daß bei den Menschen nicht viel Verdorbenheit auftreten kann. Da sind die Menschen eingezwängt in dasjenige, was ihnen die äußere Natur aufdrängt, da können sie ihre Instinkte nur wenig geltend machen, da müssen sie folgen der äußeren Natur. Schreitet man vom physischen Plan weiter in das Grenzgebiet hinein, dann hat man dieses Gängelband nicht mehr; dann muß man in eine andere Führung hineinkommen, in eine andere innere Sicherheit des Seelenlebens. Das kann man aber nur, wenn man mit unverdorbenem Gemüte den physischen Plan verläßt; sonst wird man im Grenzgebiet zügellos. Man ist nicht mehr von der äußeren Natur gezügelt, man ist nicht mehr von den sozialen, hergebrachten Vorurteilen gezügelt, man wird zügellos. Man fühlt sich auf einmal frei und kann die Freiheit nicht ertragen. In der Welt des physischen Planes ist zum Beispiel vieles, das die Menschen verhindert zu lügen. Wenn einer um sechs Uhr abends behauptet, die Sonne sei eben aufgegangen, so wird ihn die Natur sehr bald korrigieren. Und so ist es ja mit sehr vielen Dingen, die sich auf den äußeren physischen Plan beziehen. Wenn jemand von Dingen der höheren Welten, und seien sie eben auch nur diejenigen des Grenzgebietes, allerlei Unsinn behauptet, so wird er nicht sogleich durch die äußere Welt korrigiert. Daran liegt es aber, daß die Menschen, indem sie gewissermaßen der Zucht enteilen, die der physische Plan auf sie ausübt, zügellos werden können.

Das ist eine der großen Schwierigkeiten, welche die Mitteilungen von Wahrheiten über die geistige Welt heraufbringen können. Dem muß immer entgegengesetzt werden, daß aber diese Mitteilung von Wahrheiten über die geistige Welt eben einfach notwendig ist. Man

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darf nicht vergessen, daß die Wahrheiten über die geistige Welt nicht in derselben Gemütsverfassung von der Seele aufgenommen werden können, wie die Wahrheiten über die äußere physische Welt. Die Wahrheiten über die geistige Welt können wir nur in die Seele aufnehmen, wenn wir unseren ätherischen und astralischen Leib in uns etwas lockern; sonst wird man nur Worte hören. Man muß schon eine solche Seelenverfassung - und es ist ja für die Erscheinungen des subjektiven Seelenlebens eben nur eine Seelenverfassung -, man muß schon etwas den ätherischen und astralischen Leib lockern, wenn man richtig verstehen soll, was sich auf die geistige Welt bezieht. Diese Lockerung, die muß nur ein Mittel sein, um eben die Wahrheiten der geistigen Welt zu verstehen. Sie darf nicht zu einem Selbstzweck ausarten. Wenn sie zu einem Selbstzweck ausartet, dann kann es sehr schlimm sein.

Denken Sie nur einmal - ich will einen extremen Fall anführen -, jemand würde einem geisteswissenschaftlichen Vortrag zuhören, aber nicht, wie es richtig wäre, um Einblick in die geistigen Welten zu gewinnen, sondern weil er das für ganz besonders mystisch hält. Er würde also zuhören, indem er gleichsam sich durch fluten ließe von dem, was gesagt wird, weil das den Ätherleib und den astralischen Leib etwas herauslockert. Man kann es ja erleben, daß gerade bei geisteswissenschaftlichen Vorträgen, manchmal auch bei pseudo-geisteswissenschaftlichen Vorträgen, Leute in einer schläfrigen Ekstase zuhören wollen, sich eigentlich gar nicht besonders für den Inhalt interessieren, sondern mehr für das Wollustgefühl, das durch das Heraustreten des Ätherleibes und des astralischen Leibes bewirkt wird, und so hingegeben wann zuhören. Für andere Lebensverhältnisse kann dieses Hingegeben-warm-Zuhören sehr gut sein - für die Eröffnung des Verhältnisses gewisser geistiger Dinge ist es nichts nutz.

Das muß man richtig verstehen. Jemand, der mit dem richtigen Verständnis geisteswissenschaftliche Wahrheiten aufnimmt, das heißt, im Konkreten den Linien folgt, mit welchen die Begriffe gezeichnet werden, um das Verständnis der geistigen Welt zu eröffnen, dem wird seine Menschheit dadurch erhöht, der erfährt Dinge, die überhaupt gegenwärtig gewußt werden müssen zum Heil und zur Fortentwickelung der Menschheit. Wer die Dinge im rechten Sinne aufnimmt, der wird auch

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erfahren, daß seine Instinkte, seine Triebe veredelt, erhöht werden, daß er schon durch das bloße Anhören geisteswissenschaftlicher Wahrheiten eine Entwickelung zum Guten durchmacht. Wer keinen Willen hat, geisteswissenschaftliche Wahrheiten in diesem Sinne aufzunehmen, wer vielleicht aus irgendeinem rein persönlichen Interesse diese geisteswissenschaftlichen Wahrheiten aufnimmt, weil er, sagen wir, auch zu einer Gesellschaft gehören will und keine andere gerade gefunden hat, die für ihn besser taugen würde als die anthroposophische, wer überhaupt zunächst persönliche Interessen hereinträgt in diese Gesellschaft, der wird finden können, daß die geisteswissenschaftlichen Wahrheiten zunächst niedere Instinkte, vielleicht die allerniedrigsten Instinkte aufstacheln. Es ist daher nicht verwunderlich, daß Menschen, die eigentlich nicht dazugehören, aber eine solche Sache sich anhören, sich gerade in ihren niedrigsten Instinkten aufgestachelt fühlen. Das läßt sich in der Gegenwart aus dem Grunde nicht vermeiden, weil die Dinge eben öffentlich werden sollen und man nicht Grenzen ziehen kann. Da läßt sich das Richtige nur finden dadurch, daß über ihr waches Urteil diejenigen scharf mit sich selbst zu Gerichte gehen, welche aus innerer Berechtigung eben dazugehören, an einer solchen Bewegung teilnehmen. Wer überhaupt vor oder nach seinem Austritt aus der Gesellschaft irgendwie nur persönliche Interessen geltend macht, der zeigt ja damit nur, daß er niemals die Eignung gehabt hat, dieser Gesellschaft anzugehören. Und persönliche Interessen sind ja, dächte ich, nicht so schwierig von objektiven Erkenntnisinteressen zu unterscheiden.

Aber verwunderlich ist es nicht, daß bei den von der öffentlichen Entwickelung geforderten Verhältnissen eben immer wieder und wiederum das auftritt, daß aus den Instinkten der niederen Natur heraus dieses oder jenes zutage tritt. Man muß mit klarem Bewußtsein, mit vollständig klarem Bewußtsein auf die Gefahren hinschauen, welche sich ergeben können, und man muß trachten, diesen Gefahren zu steuern. Wer sich zu den Gefahren in der richtigen Weise verhält, der steuert ihnen schon gewiß. Insbesondere in der gegenwärtigen Zeit - das gehört auch zu dem Chaotischen der Gegenwart - werden Abirrungen auf diesem Gebiete gar nicht so sehr zu den Seltenheiten gehören. Die gegenwärtigen tragischen Ereignisse spannen die Kräfte

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einer Anzahl von Menschen ungeheuer stark an; und Menschen, die vor dem Ausbruch dieses Krieges nicht gewohnt waren, aus allgemeinerem, nicht bloß aus persönlichem Interesse zu arbeiten, schwer zu arbeiten, haben das in den letzten drei Jahren wirklich über die verschiedenen Länder hin gelernt, das ist wahr. Viele Menschen haben arbeiten gelernt, haben auch gelernt, allgemeine Interessen zu haben.

Wer in der richtigen Weise zu unserer Bewegung gehört, hat ja von vornherein allgemeine Interessen. Dessen ungeachtet gibt gerade die gegenwärtige Zeit ungeheuer viel Gelegenheit zu einem gewissen Outsider-Faulenzertum. Es gibt gegenwärtig gerade durch die Konstellation dieses Krieges Menschen, die nun wiederum gar nichts Rechtes zu tun haben. Wenn sie innerhalb unserer Bewegung sind, so spüren sie das auch. Vor dem Kriege, da gab es viele Vortragsreisen; da konnten sich so ganze Schüppel von Menschen zusammentun und konnten von einem Vortrag zum andern reisen. Wenn es auch an äußeren Interessen fehlte, so gab es Sensationen genug, und wenn sie nicht von außen kamen, so verschaffte man sich diese Sensationen. Das ist jetzt schwierig. Das geht jetzt nicht. Den Weg aber zu nützlichen Betätigungen, den haben manche Menschen nicht gefunden. So ist es insbesondere jetzt der Fall, daß ein Outsider-Faulenzertum sich auch innerhalb unserer Kreise hat finden können, das sich die Zeit jetzt mit allerlei Gegnerschaften vertreibt. Weil man es nicht mehr mit Sensationen zu tun haben kann im Reisen von Vortragszyklus zu Vortragszyklus, verschafft man sich andere Unterhaltungen. Das ist nur bezeichnend für die Art und Weise des Interesses, mit dem man von Vortragszyklus zu Vortragszyklus gereist ist.

Derjenige, dessen innerer Verpflichtung es entspricht, heute in allem Ernst und in aller Würde vor der Welt geisteswissenschaftliche Wahrheiten zu vertreten, der weiß: Wenn er vor einem Auditorium von hundert Menschen spricht, so sind mehr als fünfzig darunter, die möglicherweise Gegner werden können. Das ist Gesetz; das ist einmal so. Es sind immer mehr als fünfzig Prozent, die, wenn sie nicht Gegner werden, dieses aus dem einen oder andern Grund nicht werden, aber nicht aus festem Sich-zur-Sache-Halten. Aus Gründen, die wir schon angeführt haben, die wir des weiteren noch anführen werden, ist die

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Sache eben so. Über Gegnerschaften ist daher der Vertreter geisteswissenschaftlicher Wahrheiten im Prinzip durchaus nicht verwundert. Und viel interessanter als sich mit den Dingen zu befassen, die da von Gegnern oftmals vorgebracht werden, wovon diese Gegner selbst am allerbesten wissen, daß sie nicht wahr sind - denn sie wissen es ja selbstverständlich ganz gut, daß die Dinge nicht wahr sind -, viel nützlicher ist es, sich mit den Gründen, aus denen diese Gegnerschaften entstanden sind, zu befassen.

Da wird man auf mancherlei Merkwürdiges stoßen. Man wird dann die Neigung verlieren, auf dasjenige einzugehen, auf das solche Gegner gerne möchten, daß man eingeht. Man wird dann auf die wahren Gründe dieser Gegnerschaften kommen. Das ist manchmal wiederum unbequemer, als auf das einzugehen, was einem die Leute vorreden. Denken Sie an die Jahre, in denen hier vorgetragen worden ist, wie immer wieder und wiederum von dem einen oder von dem andern Gesichtspunkt aus auf dasselbe hingewiesen werden mußte, auf das auch heute hingewiesen wurde. Es wird ja immer auf diese Dinge hingewiesen. Aber notwendig ist, diese Dinge wirklich mit tiefstem Ernst und tiefster Würde zu betrachten, sie so zu betrachten, wie es angemessen ist einer geisteswissenschaftlichen Bewegung.

Glauben Sie mir, ich habe Wichtigeres zu tun, wenn ich unter voller Verantwortung diese geisteswissenschaftliche Bewegung führen soll, als mich darum zu bekümmern, ob da oder dort sich drei, vier, meinetwillen auch mehr Menschen zusammensetzen und allen möglichen Klatsch fabrizieren. Ich habe Wichtigeres zu tun und habe niemals die Neigung, auf diese Dinge einzugehen. Nur wird gerade dies leider so wenig, ach, so wenig verstanden! Denn mehr als man glaubt, ist auch innerhalb dieser Gesellschaft nicht das naturwissenschaftliche Interesse ausgebildet für solche Dinge, sondern das Sensationsinteresse. Naturwissenschaftlich ist es ja interessant, neben den nützlichen Pflanzen auch Giftpflanzen zu studieren, aber man muß eben den richtigen Gesichtspunkt dafür finden. Von dem Ernst und von der Gewichtigkeit desjenigen, was die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft sein soll, haben ja doch noch - verzeihen Sie, daß ich das ausspreche - die wenigsten, die sich auch zu dieser Geisteswissenschaft bekennen,

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eine wirkliche Ahnung. Würde der rechte Ernst und die richtige Einsicht in die Gewichtigkeit vorhanden sein, so würde man sich in vieler Beziehung zu allem, was da waltet, ganz anders stellen, als man sich stellt. Ich sage damit selbstverständlich nicht, daß man sein Interesse davon abwenden soll. Das Gegenteil sage ich: Man soll sein Interesse nicht abwenden von denjenigen Erscheinungen, die mit dem Willen der Vernichtung dieser geisteswissenschaftlichen Bewegung auftreten. Aber man muß die Möglichkeit finden, sich in der rechten Weise dazu zu stellen.

Es kann jemand zum Beispiel auftreten und eine ganze Menge schreiben über Widersprüche, die ich verbrochen haben soll in meinen verschiedenen Schriften und über allerlei andere Dinge. Man könnte heute zwar daran erinnern, daß Luther eine ganze Menge, nicht ein paar Dutzend, sondern Hunderte und Hunderte von Widersprüchen nachgewiesen worden sind. Er hat darauf nur geantwortet: Die Esel reden von Widersprüchen in meinen Schriften. Wenn sie sich nur einmal die Mühe gäben, eines von den Dingen, das den andern zu widersprechen scheint, begreifen zu wollen! - Man könnte auf solche Dinge zum Beispiel hinweisen. Man hat es aber nicht nötig. Denn da, wo heute von Widerspruch gesprochen wird, da liegt ja nicht das Interesse vor, solche Widersprüche zu suchen oder aufzudecken, sondern anderes. Da hat zum Beispiel ein Mann eine Schrift für den Philosophisch-Anthroposophischen Verlag angeboten. Diese Schrift konnte im Philosophisch-Anthroposophischen Verlag nicht gebraucht werden, sie mußte zurückgewiesen werden. Während dieser Mann früher einem auf allen Wegen und Stegen nachlief, wurde er von diesem Moment an ein Gegner. Der wirkliche Grund liegt nicht im Bemerken von Widersprüchen. Würde der wirkliche Grund darin liegen, so würde man so sprechen, wie Luther gesprochen hat. Aber man kann nicht einmal so sprechen, denn der Betreffende wird nur erkannt, wenn man weiß, daß er Gift und Galle in sich hat, weil der Philosophisch-Anthroposophische Verlag schon einmal nicht in der Lage war, sein Buch zu verlegen. Das ist der wirkliche Grund. Die Gründe liegen eben auf ganz anderem Gebiete, als sie so geltend gemacht werden. Wer daher einfach den Leuten zuhört und sich erzählen läßt, was die Leute einem vorreden, der wird recht wenig

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Möglichkeit haben, auf die Wahrheiten zu kommen, vielleicht ebensowenig Möglichkeiten wie jener Literarhistoriker, der nötigenfalls, um an den Judaismus Hermann Bahrs glauben zu können - aber nur aus diesem Grunde -, zur Reinkarnation sich bekehren würde, wenn ihm durch zwölf Generationen lauter christliche Taufscheine von den Vorfahren Hermann Bahrs nachgewiesen würden.

In unserer Zeit wird viel von dem Mut unserer Zeitgenossen gesprochen. Geltend zu machen diejenigen Wahrheiten, die der Menschheit notwendig sind, in dem Sinne, wie das heute charakterisiert worden ist, dazu wird ein ganz anderer Mut noch gehören, ein innerer Mut. Und an der Stelle, wo dieser Mut in der Seele sitzen soll, da sitzt heute eine aus Bequemlichkeit herkommende Feigheit, die ungeheuer weite Kreise ergriffen hat. Diese Feigheit ist in vieler Beziehung der Grund, warum es der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft so sehr schwer wird, ihre Wege zu gehen. Sie wird ihren Weg gehen. Aber man soll nicht fatalistisch sein, man soll nicht glauben, daß ohne das Hinzutun der Menschen diese Wege die richtigen sein können. Man wird sich daran gewöhnen müssen - noch in ganz anderem Sinne, als man sich schon gewöhnt hat -, daß ich selbst manches werde weniger nachsichtig behandeln müssen, als es bisher geschehen ist. Schreiben Sie das nicht einer Änderung meines Willens zu, sondern suchen Sie die Gründe dafür in den Verhältnissen.

So müssen Sie verstehen, daß ich die geisteswissenschaftliche Bewegung, die ich zu vertreten habe vor der Welt da oder dort, nicht darf - verzeihen Sie den Ausdruck - versauen lassen in beliebiger Weise. Das darf ich nicht. Da sprechen höhere Pflichten, als mancher ahnt. Ich kann mich nicht einlassen darauf, welche Sensation dieser oder jener Zirkel oder diese oder jene Koterie gerade wünscht. Es sind viele allgemeine und wesentlichere Interessen und Impulse, die in Betracht kommen, als die rein persönlichen Ambitionen, die in dieser oder jener Koterie walten. Man muß schon in einer gewissen Weise absehen können von dem rein Persönlichen, das die Menschen heute fast ausschließlich interessiert, wenn man in der richtigen Weise die rechten geisteswissenschaftlichen Ansichten vertreten will.

Und so muß ich denn natürlich heute am Schlusse auch hier das

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jenige sagen, was ich jetzt an all den Orten gesagt habe, an denen ich vorgetragen habe: Neben den hingebungsvollen, genau den Ernst unserer Sache abwägenden zahlreichen Mitgliedern unserer anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft finden sich auch solche immer wieder, die nicht hereingehören, die sich so verhalten, wie es eigentlich unmöglich wäre, wenn nur dasjenige, was hereingehörte, immer in der Gesellschaft gewesen wäre. Und immer wieder treten innerhalb solcher Mitgliederkreise Dinge auf, die so fern wie möglich von dem sind, was eigentlich gewollt wird. Manchmal treten heute Dinge auf, die gegenüber dem, was gewollt wird, sich eigentlich so verhalten, daß sie nur durch die absoluteste Verrücktheit mit dem zusammenzubringen sind, was gewollt wird.

In Kreisen, um die man sich nicht kümmern kann, weil wahrhaftig die Interessen größere sind, als sich um die Ambitionen solcher Kreise zu kümmern, in solchen Kreisen werden Dinge geredet - und die Menschen fangen an, solche Dinge zu glauben -, die nun wahrhaftig mit dem, was gewollt wird, so viel zu tun haben wie ein Mistkäfer mit einer Pendeluhr. Man kann gar nicht begreifen, wie die Dinge zusammenkommen. Trotzdem werden sie aus einer wüsten, aus untergeordneten Instinkten kommenden Phantasie den Leuten aufgebunden. So ist es, trotzdem diejenigen Menschen, die sie aufbinden, ganz genau wissen, daß kein wahres Wort daran ist. Naturwissenschaftlich sind solche Dinge schon erklärlich, aber man muß auch die richtigen Konsequenzen ziehen. Und die müssen zunächst darin bestehen, daß ich mich zwei Maßregeln füge. Wenn jemand die eine Maßregel erzählen wird ohne die andere, so wird er etwas Unwahres sagen. Diese beiden Maßregeln habe ich überall, wo ich in den letzten Monaten vorgetragen habe, verkündigt:

Ich werde im allgemeinen alle Privatgespräche, die mit einzelnen Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft gehalten worden sind, nicht mehr halten, werde keine Privatgespräche mehr halten. Denn allen solchen Privatgesprächen haben sich die lügenhaftesten Berichte an geknüpft. Da ich Wichtigeres zu tun habe, als im einzelnen derlei Dinge zu widerlegen, die auf einer wüsten Phantasie beruhen, da ich wirklich Wichtigeres zu tun habe, so habe ich kein anderes Mittel,

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als alle Privatgespräche einzustellen. Dafür, daß die einzelnen, die wirklich esoterischen Eifer haben, vorwärtskommen können, werde ich nach einiger Zeit auf andere Weise sorgen. Niemand soll an seiner esoterischen Entwickelung dadurch gehindert werden. Aber sämtliche Privatgespräche müssen im allgemeinen aufhören, ausfallen. Das ist die eine Maßregel. Wenden Sie sich nicht an mich, wie es in einzelnen Zweigen geschehen ist, wo die Leute sagten, das sei doch eine harte Maßregel. Nein, wenden Sie sich nicht an mich, wenden Sie sich an diejenigen, welche diese Maßregel verschuldet haben.

Das zweite ist, daß ich jeden, der jemals ein privates Gespräch mit mir gehabt hat, soweit er es selber will, von der Verpflichtung entbinde, über dieses Privatgespräch nicht zu reden. Jeder kann jedes erzählen, was er will, was seinen eigenen Interessen gemäß ist, über das, was jemals in solchen Privatgesprächen vorgekommen oder gesagt worden ist, soweit er will, soweit er selber will. Ich hindere niemanden, daß er alles restlos der Wahrheit gemäß erzählt, was jemals mit mir in privaten Gesprächen besprochen worden ist.

Diese zwei Dinge gehören zusammen. Die eine Maßregel gilt nicht ohne die andere. Und, wie gesagt, wenn Sie diese Maßregeln hart finden, dann wenden Sie sich an diejenigen, die sie verschuldet haben. Ohne daß ich in diesen Dingen von jetzt an weniger nachsichtig sein werde, als es bisher gewesen ist, hören die Dinge, um die es sich handelt, nicht auf. Wie gesagt, ich werde auf andere Weise dafür sorgen, daß niemand in seiner esoterischen Entwickelung geschädigt wird. Es werden sich Mittel und Wege dafür finden. Aber die gegenwärtige Menschheit ist nicht dazu angetan, daß eine solche Wissenschaft sich begründen kann, ohne daß Auswüchse geschehen und ohne daß mißverständliche Auffassungen dieser Auswüchse immerfort wieder Platz greifen. Daher müssen solche Maßregeln ergriffen werden.

Wer es ernst und würdig mit unserer geisteswissenschaftlichen Entwickelung meint, der wird dasjenige, was ich jetzt eben gesagt habe als die beiden Maßregeln, mehr oder weniger sogar selbstverständlich finden nach dem, was vorgefallen ist. Er wird vielleicht nicht verstehen, daß so etwas selbstverständlich werden konnte, aber diese beiden Maßregeln wird er heute selbstverständlich finden. In der Zukunft wird

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alles in voller Öffentlichkeit vor sich gehen. Denn nichts hat die Öffentlichkeit zu scheuen! Und das ist gerade das Schmähliche der Sache: - Während die Wahrheit von allen restlos erzählt werden kann, ohne daß der geringste Makel an unserer Bewegung sein würde -, daß man sich heftet an dasjenige, was in der Vergangenheit, weil es an frühere Usancen anknüpfte, eben mitgepflogen worden ist: mit den einzelnen zu sprechen. Hätte das Sprechen mit den einzelnen nicht zur Lüge geführt, so wären diese Maßregeln nicht notwendig geworden. Aber alles, was jemals mit irgendeinem Mitglied gesprochen worden ist, darf der Wahrheit gemäß restlos erzählt werden. Durch die Wahrheit - erzählen Sie sie, so viel Sie wollen -, durch die Wahrheit wird unsere Bewegung nur gewinnen. Sie kann selbstverständlich auch nicht in Realität verlieren durch die Lügen, die über sie aufgebracht werden; aber auch dem Scheine nach darf sie nicht einmal verlieren, weil es wichtig für die Menschheit ist, daß in ernster und würdiger Art dasjenige vertreten wird, was gegenwärtig aus den geisteswissenschaftlichen Untergründen heraus vor die Menschheit gebracht werden soll.

Also ich wiederhole noch einmal: Ohne daß der ernst esoterisch Strebende dadurch etwas verlieren soll, werde ich die Privatbesprechungen mit den Mitgliedern einstellen im allgemeinen. Dasjenige, was in privaten Besprechungen war, kann jeder, soweit er selber will, alles überall restlos der Wahrheit gemäß erzählen. Ich entbinde einen jeden von irgendeiner wie immer gearteten Schweigepflicht. Aber auch nur, wenn er selber es will, seinetwillen; meinetwillen braucht er es nicht. - Und ich habe nichts dagegen, daß gerade diese Maßregeln als Charakteristikon unserer Bewegung möglichst weithin erzählt werden, damit die Welt einsehen lernt, wie verrucht diejenigen Dinge sind, die oftmals gerade unserer Gesellschaft angehängt werden.

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VIERTER VORTRAG Dornach, 6. Oktober 1917

Ich sagte in den vorangegangenen Betrachtungen, daß es der Menschheit von unserer Zeit an notwendig wird, gewisse Wahrheiten über spirituelle Hintergründe der äußeren Welt kennenzulernen. Werden sich die Menschen nicht dazu herbeilassen, diese Wahrheiten, man möchte sagen, gutwillig entgegenzunehmen, so werden sie eben durch die Gewalt der fürchterlichen Ereignisse im Laufe der Zeiten gezwungen werden, aus diesen Ereignissen selbst zu lernen.

Nun kann die Frage entstehen: Warum wird es denn von der Gegenwart ab der Menschheit notwendig, sich mit solchen zum Teil erschütternden Wahrheiten bekanntzumachen, da ja diese Wahrheiten selbstverständlich seit alten Zeiten bestanden haben und die Menschheit in ihrem weiteren Umkreise davor behütet worden ist, diese Wahrheiten entgegenzunehmen? - In den Mysterien wurden ja viele solche Wahrheiten in der Ihnen bekannten Art sorgsam behütet, weil die Menschen im weiteren Umkreise nicht dem Erschüttern den dieser Wahrheiten ausgesetzt werden konnten. Nun haben wir ja oftmals gesagt: Die Furcht vor den großen Wahrheiten ist es, die die Menschen heute davon abhält, sie entgegenzunehmen. Diejenigen, die in der Gegenwart diese Furcht haben - und die sind sehr zahlreich -, könnten natürlich sagen: Warum soll denn die Menschheit nicht weiter gewissermaßen in einer Art von Schlafzustand erhalten werden gegenüber diesen Wahrheiten? Warum soll denn gerade diese im Lauf der letzten Zeit so nervös gewordene Menschheit den großen erschütternden Wahrheiten ausgesetzt werden?

Wir wollen uns gerade mit dieser Frage ein wenig befassen, wollen zunächst einmal das Augenmerk darauf lenken, wie es denn kommt, daß von jetzt ab die Menschheit aus der geistigen Welt heraus gewissermaßen anders behandelt werden muß als im bisherigen Verlauf der nachatlantischen Zeit.

Ich habe in den vorangehenden Betrachtungen schon gesprochen von dem Grenzgebiet, von derjenigen geistigen Welt nämlich, die unmittel-

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bar angrenzt an unsere physisch-sinnliche Welt. Diese geistige Welt, die ist es hauptsächlich, von welcher der Menschheit Kenntnis werden muß in der allernächsten Zeit. Nun, sobald man die Gebiete einer geistigen Welt betritt, sieht es ja da anders aus als hier in der physisch-sinnlichen Welt. Man macht Bekanntschaft mit gewissen Wesenheiten, vor allen Dingen mit Wesenheiten, deren Anblick der schwachen Menschheit entzogen wird - ich meine, jener Anblick auch, der in Erkenntnissen, in Begriffen vermittelt wird. Warum wurde denn der Blick der Menschen in der nachatlantischen Zeit auch von dieser nächsten Welt bisher abgelenkt?

Das ist aus dem Grunde, weil schon in diesem Grenzlande, jenseits dessen dann die andern höheren geistigen Welten liegen, sich Wesen finden, welche bisher nur unter gewissen Bedingungen eigentlich den Menschen bekanntgemacht werden durften, Wesen, welche eine bestimmte Aufgabe haben im gesamten Weltenall, welche namentlich bei der Entwickelung des Menschen selber eine Aufgabe haben. Es gibt da die verschiedensten Grenzwesenheiten.

Ich will heute von einer Klasse dieser Wesenheiten zu Ihnen sprechen, und zwar von derjenigen Klasse, welche im Weltenzusammenhange ihre Aufgabe hat bei der Geburt und bei dem Tode des Menschen. Man soll nur ja nicht glauben, daß Geburt und Tod des Menschen das sind, als was sie sich der äußeren sinnlichen Beobachtung darstellen.

Wenn der Mensch hereintritt aus der geistigen Welt in diese physische Welt, und wenn er wiederum heraustritt aus dieser physischen Welt in die geistige Welt, dann wirken bei diesen Vorgängen geistige Wesenheiten mit. Nennen wir sie heute, um Namen zu haben, die Elementargeister der Geburt und des Todes. Es war wirklich so, daß diejenigen Persönlichkeiten, die bisher in die Mysterien eingeweiht waren, es als ihre strengste Aufgabe betrachtet haben, in weiterem Umkreise den Menschen gerade von diesen Elementarwesen der Geburt und des Todes nicht zu sprechen. Denn spricht man von ihnen, von der ganzen Art und Weise, wie diese Elementargeister der Geburt und des Todes leben, dann spricht man von einem Gebiete, das dem Menschen, so wie er sich nun einmal geistig-seelisch entwickelt hat bisher in der nachatlantischen Zeit, doch vorkommt wie glühende Kohle. Man könnte auch

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einen andern Vergleich wählen. Lernt der Mensch genauer und mit vollem Bewußtsein das Wesen dieser Elementargeister der Geburt und des Todes kennen, so lernt er eigentlich Kräfte kennen in diesen Wesen, die dem Leben hier auf dem physischen Plan feindlich sind. Schon das muß für eine einigermaßen normal empfindende Seele eine erschütternde Wahrheit sein, daß sich die die Weltengeschicke lenken den göttlich-geistigen Wesenheiten, um Geburt und Tod des Menschen in der physischen Welt zustande zu bringen, solcher Elementargeister bedienen müssen, die eigentlich feindlich gesinnt sind allem, was hier auf dem physischen Plan der Mensch als sein Wohlergehen, als seine Wohlfahrt sucht und begehrt. Würde nur alles das bewirkt werden, was der Mensch gerne mag: daß es ihm hier bequem gehe auf dem physischen Plan, daß er gesund wachen und schlafen, gesund seine Arbeit verrichten kann, würde es nur Wesen geben, die diesem bequemen Verlauf des Lebens vorstehen, so würden Geburt und Tod nicht zustande kommen können. Die Götter brauchen schon einmal, um Geburt und Tod zustande zu bringen, solche Wesenheiten, die eigentlich in ihrer ganzen Gesinnung und ihrer ganzen Weltauffassung einen Drang haben, zu zerstören, zu verwüsten, was dem Menschen seine Wohlfahrt hier auf dem physischen Plan bewirkt.

Man muß sich schon mit der Idee bekanntmachen, daß die Welt nicht so eingerichtet ist, wie sie die Menschen gern haben möchten, sondern daß es in der Welt das gibt, was in den ägyptischen Mysterien die eherne Notwendigkeit genannt wurde. Und zu dieser ehernen Notwendigkeit gehört es, daß die Götter sich solcher, dem physischen Weltengange feindlicher Wesenheiten bedienen, damit Geburt und Tod des Menschen zustande kommen können. Da blicken wir hin auf eine Welt, die unmittelbar an die unsere angrenzt, die auch täglich, stündlich mit der unsrigen zu tun hat, denn auf der Erde geschehen täglich, stündlich die Vorgänge der Geburt und des Todes. Und in dem Augenblick, wo der Mensch die Schwelle überschreitet zu dieser Welt, da kommt er in eine Regsamkeit, in ein Leben von Wesen hinein, die zerstörerisch für das gewöhnliche physische Leben des Menschen in ihrem ganzen Gebaren, in ihrem Begehren und in ihrer Weltanschauung sind. Hätte man bisher außerhalb der Mysterien die Menschen im weitesten Umfange bekannt-

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gemacht damit, daß es solche Wesenheiten gibt, hätte man dem Menschen Begriffe beigebracht von diesen Wesenheiten, es würde ganz gewiß das Folgende geschehen sein. Die Menschen, die durchaus nicht zurechtkommen mit ihren Instinkten und ihren Trieben, mit ihren Leidenschaften, die würden, wenn sie gewußt hätten: Fortwährend sind um uns zerstörerische Wesenheiten -, die würden sich der Kräfte dieser zerstörerischen Wesenheiten bedient haben; nun nicht wie die Götter sich ihrer bedienen bei Geburt und Tod, sondern innerhalb des physischen Lebens. Wenn die Menschen Lust gehabt hätten, auf diesem oder jenem Gebiete zerstörerisch zu wirken, wäre ihnen reichlich Gelegenheit geboten gewesen, diese Wesenheiten zu ihren Dienern zu nehmen. Denn man kann leicht diese Wesenheiten zu seinen Dienern nehmen. Damit das gewöhnliche Leben bewahrt bleibt vor den zerstörerischen Wesen der Elementargeister der Geburt und des Todes, wurde geschwiegen von dieser Weisheit.

Nun ist die Frage: Soll denn nicht vielleicht auch weiter davon geschwiegen werden? - Das geht nicht, das geht aus gewissen Gründen nicht. Es geht aus einem Grunde nicht, der mit einem großen, bedeutsamen Weltengesetz zusammenhängt. Besser als durch eine allgemeine Formel kann ich Ihnen dieses Weltengesetz durch seine konkrete Erscheinungsform in unserer Zeit und in der nächsten Zukunft klarmachen. Sie wissen: Seit gar nicht langer Zeit sind in die Menschheitsentwickelung immer mehr und mehr Kulturimpulse hereingezogen, die früher nicht da waren, die aber gerade für die Kultur der Gegenwart charakteristisch sind. Versuchen Sie nur einmal, sich in Gedanken zurückzuversetzen in Zeiten, die verhältnismäßig noch gar nicht weit hinter uns liegen. Da werden Sie Zeiten finden, in denen noch keine Dampflokomotiven gefahren sind, Zeiten, in denen man noch nicht sich der Elektrizität bedient hat wie in unserer Zeit; Zeiten, in denen höchstens Denker wie Leonardo da Vinci im Gedanken und im Experiment sich Vorstellungen gemacht haben, wie man durch menschliche Instrumente in die Luft fliegen kann. Das alles ist in verhältnismäßig kurzer Zeit realisiert worden. Bedenken Sie, wieviel heute abhängt von der Verwendung des Dampfes, von der Verwendung der Elektrizität, von der Verwendung jener Luftdichtigkeitsverteilung, die zu der Luftschiffahrt

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geführt hat, oder zu jener Statik, die zum Fliegerwesen geführt hat. Denken wir einmal an all das, was da in der letzten Zeit in die Menschheitsentwickelung eingezogen ist. Denken Sie an so zerstörerische Kräfte wie das Dynamit und so weiter, und Sie werden sich leicht ausmalen können, nach der Schnelligkeit, mit der das alles gegangen ist, daß für die Zukunft noch ganz andere fabelhafte Dinge nach dieser Richtung von der Menschheit erstrebt werden. Sie werden sich leicht ein Bild davon machen können, daß es nicht dem Ideal der Menschheit für die nächste Zukunft entspricht, daß die Goethes immer häufiger werden, dagegen daß die Edisons immer häufiger werden. Das ist nun schon einmal das Ideal der gegenwärtigen Menschheit.

Nun glaubt ja allerdings der Gegenwartsmensch, daß sich das alles - Telegraph, Telephon, Dampfkraftverwendung und so weiter - ohne das Mittun von geistigen Wesenheiten vollzieht. Das ist aber nicht der Fall. Die Fortentwickelung der Menschheitskultur, auch wenn der Mensch nichts davon weiß, geschieht auch unter dem Mittun von Elementargeistern. Und es ist nicht etwa - wie es sich die moderne materialistische Menschheit vorstellt - bloß das, was der Mensch als Gedanke von seinem Gehirn ausgeschwitzt hat, was ihn dazu geführt hat, Telephon und Telegraph zu konstruieren, Dampfmaschinen über die Erde zu treiben und über den Acker; sondern all das, was der Mensch in dieser Weise tut, steht unter dem Einfluß von elementargeistigen Wesenheiten. Die wirken und helfen überall mit. Auf diesem Gebiete führt der Mensch nicht allein, sondern er wird geführt. In den Laboratorien, in den Werkstätten, namentlich überall da, wo erfinderischer Geist waltet, da sind die Inspiratoren gewisse elementargeistige Wesenheiten.

Nun sind diejenigen Elementargeister, welche seit dem 18. Jahrhundert unserer Kultur die Impulse geben, von derselben Art wie die, welcher sich die Götter bedienen, um Geburt und Tod herbeizuführen. Das ist eines der Geheimnisse, mit denen sich der Mensch in der Gegenwart bekanntmachen muß. Und das weltgeschichtliche Gesetz, wie ich es genannt habe, besteht darin, daß die Entwickelung so vor sich geht, daß immer auf einem gewissen Gebiete von elementargeistigen Wesenheiten zuerst die Götter herrschend sind, und nachher kommen die Menschen selbst in dieses Gebiet hinein und bedienen sich dieser

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elementargeistigen Wesenheiten. Während also in älteren Zeiten die Elementargeister der Geburt und des Todes im wesentlichen Diener der göttlich-geistigen Weltenlenker waren, werden von unserer Zeit an - es ist ja schon einige Zeit her, daß das im Gange ist - diese Elementargeister der Geburt und des Todes die Diener von Technik, Industrie, von kommerziellem Menschenwesen. Das ist wichtig, daß wir diese erschütternde Wahrheit in aller Stärke und Intensität auf unsere Seele wirken lassen.

Da spielt sich etwas ab, von der Zeit der fünften nachatlantischen Kulturperiode an, in der wir drinnenstehen, was ähnlich ist einer Sache, auf die ich öfter aufmerksam gemacht habe, die sich während der atlantischen Zeit abspielte; nur spielte sie sich damals während der vierten atlantischen Kulturperiode ab. Damals nämlich, in der atlantischen Zeit, bedienten sich die göttlich-geistigen Wesen, welche die Menschheitsentwickelung lenkten, bis zur vierten atlantischen Kulturepoche gewisser Elementarwesen. Dieser Elementarwesen mußten sie sich bedienen, weil damals nicht nur so wie jetzt Geburt und Tod gelenkt werden mußten, sondern weil damals, ich möchte sagen, der Erde näher etwas anderes noch gelenkt werden mußte. Erinnern Sie sich an manche Schilderungen, die ich in bezug auf die atlantische Zeit gegeben habe, wie da der Mensch noch beweglich war in seinem ganzen materiellen Wesen, wie er durch die Seele groß wachsen konnte und ein Zwerg bleiben konnte, wie sich das Äußere richtete nach dem Seelenwesen. Erinnern Sie sich an das alles. Während heute nach außen hin der Dienst, den gewisse Elementarwesen bei Geburt und Tod den göttlich-geistigen Wesen leisten, deutlich sichtbar ist, war es dazumal so, daß auch durch das menschliche Leben hindurch, wenn sich so das Äußere dem Innern konform gestaltete, gewisse Elementarwesenheiten den Göttern dienten. Als nun die atlantische Zeit in ihre vierte Kulturperiode getreten war, da wurden gewissermaßen die Menschen wieder Herrscher über diese selben Elementarwesenheiten, welche die Götter früher gebraucht haben zum Wachstum und zur physiognomischen Ausgestaltung der Menschen im großen. Die Menschen wurden Herrscher über gewisse Götterkräfte, und sie bedienten sich dieser Götterkräfte. Die Folge davon war, daß von einem gewissen Zeitpunkt der

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atlantischen Zeit ab - so in der Mitte der atlantischen Zeit etwa - es im Begehren des einzelnen Menschen liegen konnte, seine Mitmenschen dadurch zu schädigen, daß er ihnen allerlei anschuf: daß er sie während des Wachstums in der Zwerghaftigkeit hielt oder zu Riesen machte, daß er den physischen Organismus sich so entwickeln ließ, daß der Betreffende ein gescheiter Mensch oder ein Idiot wurde. Das ergab in der Mitte der atlantischen Zeit etwas, was eine furchtbare Macht in den Händen der Menschen war. Und Sie wissen, ich habe darauf aufmerksam gemacht, es wurde dieses Geheimnis nicht gehütet. Aber das liegt nicht daran, daß etwa durch eine Schlechtigkeit dieses Geheimnis nicht gehütet worden ist, sondern es mußte eben nach einem gewissen welthistorischen Gesetz dasjenige, was vorher bloße Götterarbeit war, Menschenarbeit werden. Das alles aber hat innerhalb der atlantischen Zeit zu jenem großen Unfug geführt, der notwendig machte, die ganze atlantische Kultur im Verlaufe der letzten vier beziehungsweise drei atlantischen Kulturperioden dem Untergang entgegenzuführen. So daß von der Atlantis her unsere Kultur so gerettet worden ist, so herüber-gebracht worden ist, wie das öfter dargestellt worden ist. Zu allen möglichen Gewalttätigkeiten hat das geführt. Und Sie brauchen sich jetzt nur zu erinnern an das, was ja in der atlantischen Zeit eintrat und was hier öfter geschildert worden ist.

In einer ähnlichen Weise wird Götterdienst der Menschheit überwiesen von unserer fünften nachatlantischen Zeit ab für die drei beziehungsweise zwei letzten Kulturperioden der nachatlantischen Kultur der fünften Erdenentwickelungswelt. Wir stehen erst am Anfange jener Tätigkeit der Technik, der Industrie, des Kommerziums, in die hinein die Elementargeister der Geburt und des Todes ihre Wirkung treiben.

Das wird immer stärker und stärker werden, das wird immer einschneidender sein. Davor kann man die Menschheit nicht behüten, denn die Kultur muß fortschreiten. Und die Kultur unseres Zeitalters und der Zukunft muß eine solche sein, daß die Elementargeister der Geburt und des Todes, während sie bis zu einem gewissen Zeitpunkt, bisher eben, nur beim physischen Entstehen und Vergehen des Menschen gewirkt haben unter der Direktion der Götter, daß diese Elementargeister mit denselben Kräften, mit denen sie bei Geburt und Tod wirken, innerhalb

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von Technik, Industrie, Kommerzium und so weiter wirken. Damit ist aber etwas ganz Bestimmtes verknüpft.

Ich habe Ihnen ja geschildert, diese Elementargeister sind solche, die eigentlich der Wohlfahrt der Menschheit feindlich, zerstörerisch gesinnt sind. Also fassen wir die Sache nur im richtigen Sinne auf, geben wir uns, wenn wir sie im richtigen Sinne auffassen, keiner Täuschung hin über das Bedeutsame, tief Einschneidende, das da eigentlich vorliegt. Die Kultur muß vorwärtsschreiten im technischen, industriellen und kommerziellen Sinne. Aber die Kultur, die auf diese Weise vorwärtsschreitet, kann ihrem Wesen nach nicht zur Wohlfahrt der Menschen auf dem physischen Plane dienen, sondern sie kann ihrem Wesen nach nur etwas Zerstörerisches für diese Wohlfahrt in sich schließen.

Solch eine Wahrheit ist unbequem für diejenigen, welche nicht müde werden, immer in Deklamationen zu verfallen, wenn sie über die großen, gewaltigen Fortschritte der Kultur reden, weil sie Abstraktlinge sind und nichts wissen vom auf- und absteigenden Gang der Menschheitsentwickelung. Und geradeso wie das, was ich Ihnen angedeutet habe in bezug auf die atlantische Zeit, zum Untergang der atlantischen Zeit führte, damit eine andere Menschheit kommen konnte, so enthält dasjenige, was sich jetzt inauguriert als kaufmännische, industrielle, technische Kultur, die Elemente, welche zum Untergang der fünften Erdperiode führen. Und nur derjenige sieht klar, nur der sieht die Dinge, wie sie sind, der sich gesteht: Damit beginnen wir an dem zu arbeiten, was die Katastrophe herbeiführen muß.

Das ist das Sich-Hineinversetzen in die ehernen Notwendigkeiten. Menschliche Bequemlichkeit könnte sagen: Also fahre ich nicht auf einer elektrischen Bahn -, könnte eventuell noch so weit gehen, obwohl so weit sich nicht einmal die Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft versteigen werden, nicht Eisenbahnen zu besteigen und so weiter. Aber das alles wäre Unsinn, wäre richtiger Unsinn. Denn es handelt sich nicht darum, irgend etwas zu meiden, sondern sich Klarheit, Einsicht in die ehernen Notwendigkeiten des Menschheitsganges zu verschaffen. Die Kultur kann nicht in einer stetig aufsteigenden Linie verlaufen, sondern sie kann nur in immer wieder auf- und absteigenden Wogen verlaufen.

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Aber etwas anderes kann eintreten, etwas, wovon allerdings die Menschheit der Gegenwart auch noch nicht viel wissen will, aber worin eben gerade dasjenige besteht, womit sich die Menschheit der Gegenwart bekanntmachen muß. Einsicht, klares Hineinschauen in das, was eben notwendig ist, das ist es, was sich über die Menschengemüter ausbreiten muß. Dazu wird aber notwendig sein vieles, was die Gemütsverfassung, die Weltanschauungsverfassung der Seelen wesentlich ändert. Mit inneren Impulsen wird sich die Menschheit durchdringen müssen, die man heute noch gern abweist, weg haben will vom behaglichen Leben. Solche Begriffe, solche inneren Impulse, die man gern weg haben will vom behaglichen Leben, können ja viele angeführt werden. Lassen Sie mich nur ein Beispiel dafür anführen.

Der Mensch der Gegenwart, gerade wenn er ein recht guter Mensch sein will, ein Mensch, der nichts für sich will, sondern immer nur selbstlos für andere will, der strebt selbstverständlich nach gewissen Tugenden. Das sind auch eherne Notwendigkeiten. Nun wird hier selbstverständlich nicht etwa gegen das Streben nach der Tugend gesprochen, aber die Menschen streben eben nicht bloß nach der Tugend. Nach der Tugend streben, ist ja schon ganz gut; aber die Menschen streben nicht bloß nach der Tugend, und für die Gegenwart ist die Sache noch meistens so, daß das eigentliche Streben nach der Tugend den Menschen ziemlich einerlei ist, wenn man auf die tieferen Untergründe, auf die unterbewußten Untergründe des Gemütes eingeht. Viel wichtiger ist den Menschen das Gefühl, tugendhaft zu sein, sich so recht hineinzuleben in die Stimmung: Ich bin ein selbstloser Mensch, wie tue ich alles nicht um meinetwillen! Ich bin ein vollkommener Mensch, ein wohlwollender Mensch, ich bin ein Mensch, der an keine Autorität glaubt. - Nachher rennt er allerdings allen möglichen Autoritäten nach. Aber sich gewissermaßen so recht wohlig zu ergehen in dem Bewußtsein, man habe diese oder jene Tugend, das ist für die Menschen heute unendlich wichtiger, als die Tugend wirklich eigentlich zu haben. Die Wollust, sich mit der Tugend ausgestattet zu wissen, das ist es, worauf es den Menschen viel mehr ankommt, als diese Tugend zu üben.

Das hält dann die Menschen ab von gewissen Geheimnissen, die mit den Tugenden zusammenhängen. Von diesen Geheimnissen wollen die

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Menschen instinktiv nicht viel wissen, insbesondere dann nicht, wenn sie so recht aus dieser eben geschilderten Wollust heraus Idealisten der Gegenwart sind. Alle möglichen Ideale werden ja heute gesellschaftsmäßig vertreten. Man macht Programme und so weiter, stellt Gesellschaftsprinzipien auf, daß man dies oder jenes erstrebt. Alle diese Dinge, die man da erstrebt, mögen recht schön sein. Aber mit dem abstrakten Schönfinden ist es nicht getan. Die Menschen müssen lernen, wirklichkeitsgemäß zu denken. Und da kann man auch mit Bezug auf die Tugendhaftigkeit einmal auf das Wirklichkeitsgemäße aufmerksam machen. Vollkommenheit, Wohlwollen, schöne Tugenden, Recht: das alles ist etwas Schönes für das äußere menschliche Zusammenleben. Aber wenn jemand sagt: Wir streben programmäßig diese oder jene Vollkommenheit an, diese oder jene Richtung des Wohlwollens an, wir versuchen dieses oder jenes Recht zu realisieren -, so sagt er das in der Regel mit der Idee, daß dies etwas Absolutes ist, und daß dies nun als etwas Absolutes realisiert werden könne. Nun ja, warum sollte das denn nicht auch schön sein - sagt der Mensch der Gegenwart -, vollkommen und immer vollkommener zu werden! - Und was könnte es denn Idealeres geben, als sich zum Programm zu machen, immer vollkommener und vollkommener zu werden! Aber mit dem Gesetz der Wirklichkeit stimmt das nicht. Es ist ja richtig und gut, immer vollkommener zu werden, oder wenigstens werden zu wollen, aber wenn man konkret nach einer bestimmten Richtung der Vollkommenheit strebt, so schlägt nach einiger Zeit dieses Vollkommenheitsstreben um und wird zur Unvollkommenheitswirklichkeit. Das Vollkommenheitsstreben wird nach einiger Zeit durch Umschlag zur Schwäche. Wohlwollen wird nach einiger Zeit zum vorurteilsvollen Verhalten. Und realisieren Sie, welches Recht Sie wollen, es kann noch so gut sein: im Laufe der Zeit wird es zum Unrecht. Es gibt nichts Absolutes auf dieser Welt. Das ist die Realität. Man strebe irgendein Gutes an - durch den Gang der Welt wird es ein Schlechtes. Daher muß immer neu und neu gestrebt werden, in immer neuen Gestaltungen gestrebt werden. Das ist es, worauf es ankommt. In bezug auf solches Streben der Menschen besteht eine Oszillation, ein Hin- und Herpendeln. Und nichts ist der Menschheit schädlicher als der Glaube an absolute

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Ideale, weil die dem realen Gang der Weltenentwickelung widersprechen.

Man gebraucht gerne, wenn man so etwas darlegen will, nicht um etwas zu beweisen, sondern nur um zu veranschaulichen, gewisse Begriffe. In gewisser Beziehung können naturwissenschaftliche Begriffe symbolisch auch geistige Begriffe veranschaulichen. Denken Sie sich: Wir haben hier ein Pendel befestigt. (Es wird gezeichnet). Nicht wahr, wenn dieses Pendel hier herausgeht, so daß es hier ist - nach der einen Seite ausschlagend - und man läßt es dann herunterfallen, so kommt es hier in seine Gleichgewichtslage. Es macht diesen Weg durch. Warum

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macht das Pendel diesen Weg durch? Weil die Schwerkraft auf das Pendel wirkt - so sagt man. Es fällt herunter, aber wenn es da unten angekommen ist, da bleibt es nicht stehen. Es hat durch das Herunter- fallen ein gewisses Beharrungsvermögen in sich aufgenommen; und es schlägt dadurch gerade nach der entgegengesetzten Richtung aus. Dann fällt es wieder herunter. Das heißt, während das Pendel diesen Weg durchmacht, nimmt es so viel Kraft auf durch das Herunterfallen, daß es durch diese seine eigene Kraft nach der andern Seite hin ausschlägt. Um nachträglich dies oder jenes zu verdeutlichen, braucht man solch einen Vergleich. Man kann sagen: Irgendeine Tugend - Vollkommenheit, Wohlwollen - macht ganz richtig diesen Weg, aber schlägt dann nach der andern Seite aus. Vollkommenheit wird Schwäche, Wohl

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wollen wird vorurteilsvolle Afterliebe, Recht wird Unrecht im Verlaufe der Entwickelung.

Mit solchen Begriffen will sich die Menschheit heute nicht gern tragen. Denn denken Sie doch nur einmal, wenn man dem biederen Spießbürger der Gegenwart, der seinen Verein gründet auf gewisse Ideale hin, klarmachen wollte: Mit dem, was du jetzt als Ideal aufstellst, wirst du, wenn du es dem Gang der Entwickelung einfügst, nach verhältnismäßig gar nicht so langer Zeit das Gegenteil bewirken -, ja, der würde glauben, man wäre nicht nur kein Idealist, sondern ein richtiger Teufel. Denn wie soll das Streben nach Vollkommenheit nicht immer weiter ins Vollkommene hinsteuern, und Recht nicht immer weiter und weiter Recht bleiben! An die Stelle der einseitigen abstrakten Begriffe die Begriffe der Wirklichkeit zu setzen, das wird der gegenwärtigen Menschheit ganz besonders schwer. Das muß aber die gegenwärtige Menschheit lernen, sonst wird sie nicht weiterkommen. Und so muß sie sich auch damit bekanntmachen, daß die Kulturentwickelung selber das Hantieren mit den Elementargeistern der Geburt und des Todes nach und nach notwendig macht. Und damit muß die Menschheit die Einfügung eines zerstörerischen Elementes in die Menschheitsentwickelung kennenlernen.

An einzelnen Stellen kommen instinktiv auf diese Dinge auch solche Menschen, die es ablehnen, sich in weiterem Umfang mit der Geisteswissenschaft, die ja das einzige Mittel ist, zu diesen Dingen die rechte Stellung zu finden, bekanntzumachen. Was bedeutet denn eigentlich dasjenige, was ich Ihnen jetzt gesagt habe? Es sind natürlich Sendboten des Ahriman, diese Elementargeister der Geburt und des Todes. Die Götter müssen sich, aus der ehernen Notwendigkeit der Weltenentwikkelung heraus, der Sendboten des Ahriman bedienen, um Geburt und Tod zu regeln. Sie lassen für ihre Taten die Kräfte dieser Sendboten nicht herein auf den physischen Plan. Aber in der absteigenden Kulturentwickelung, von der fünften nachatlantischen Periode ab, muß wiederum, damit die Katastrophe kommen kann, gerade in die Kulturentwickelung das hereinkommen. Der Mensch selbst muß mit diesen Kräften hantieren. Sendboten des Ahriman also sind notwendig, ehern notwendig, um jene Zerstörung hervorzurufen, die der nächste Kulturfortschritt

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sein wird. Das ist eine furchtbare Wahrheit, aber es ist so. Und es hilft gegenüber dieser Wahrheit nichts anderes, als sich mit ihr bekanntzumachen, klar in sie hineinzuschauen. Wir werden schon weiter davon sprechen. Sie werden schon sehen, was alles die richtige Stellung zu diesen Wahrheiten erfordert.

Instinktiv, sage ich, kommen manche Menschen darauf, daß so etwas notwendig ist. Instinktiv ist zum Beispiel darauf gekommen eine Persönlichkeit, die manches gute Buch in der Gegenwart geschrieben hat - allerdings kein Buch, das irgendwie an Geisteswissenschaft ernsthaft anklingt -, ich meine Ricarda Huch. Und ganz bemerkenswert ist wegen des Instinktes, nicht wegen der Einsicht, aber wegen des Instinktes, der in diesem Buch waltet, das neueste Buch über «Luthers Glaube». Wenn Sie die ersten Kapitel dieses Buches lesen, so finden Sie darin einen merkwürdigen Schrei - könnte man sagen -, den Schrei danach, daß die Menschheit wiederum etwas kennenlernen müßte, was eigentlich seit Luthers Zeiten, bis zu welchen noch atavistisches Hellsehen auf diesem Gebiete gereicht hat, der Menschheit verlorengegangen ist. Ricarda Huch sagt, daß eigentlich das Notwendigste für die gegenwärtige Menschheit sei, den Teufel kennenzulernen. Sie betrachtet es nicht als so notwendig, sich mit Gott bekanntzumachen; als viel notwendiger betrachtet sie es für die gegenwärtige Menschheit, sich mit dem Teufel bekanntzumachen.

Warum das notwendig ist,weiß natürlich Ricarda Huch nicht. Aber instinktiv fühlt sie, daß es notwendig ist. Daher dieser eindringliche Schrei nach der Erkenntnis des Teufels in den ersten Kapiteln dieses Buches, der sehr symptomatisch, bedeutsam ist für die Gegenwart. Sie denkt sich: Mit Gott werden die Menschen schon wieder bekannt werden, wenn sie nur wissen, daß der Teufel um sie herum umgeht. - Natürlich, solche Menschen, die doch nicht an die Geisteswissenschaft heran wollen, die finden dann immer, suchen immer Entschuldigungsgründe für so etwas. Daß der Teufel als reales Wesen wiederum von den Menschen erkannt werden soll, das fühlt Ricarda Huch; aber sie entschuldigt es gleich damit, daß das doch selbstverständlich nicht so ist, daß man sich vorstellen soll, daß er mit Schwanz und Hörnern auf der Straße herumlaufe. - Nun, er läuft schon herum! «Den Teufel merkt

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das Völkchen nie, und wenn er es auch schon am Kragen hätte.» Der Abstraktling der Gegenwart braucht eben gleich eine Entschuldigung, wenn er auch instinktiv das, was dringend notwendig ist, einsieht. Aber ein guter, ein richtiger Instinkt für die Gegenwart liegt diesem Schrei nach dem Teufel zugrunde. Die Menschen sollen nicht einfach blind, schlafend hineinwachsen in dasjenige, was eine eherne Notwendigkeit für die nächste Zeit von ihnen verlangt: sich im Laboratorium, in der Werkstätte, in der Bank, überall mit den Sendlingen des Teufels zu tun zu machen. Das müssen die Menschen zum Kulturfortschritt tun; aber kennen müssen sie den Teufel, wissen müssen sie, daß in dem Augenblicke, wo sie, sagen wir, die Stahlkammern aufschließen, in der Kraft des Schlüssels die Kraft des Teufels steckt. Das ahnt instinktiv Ricarda Huch. Das müssen die Menschen wissen, denn allein das Wissen führt in der richtigen Weise in die Zukunft hinein. Und schon das ist von ungeheuer großer Bedeutung, daß sich Menschen finden, die instinktiv die Notwendigkeit betonen, daß die Menschen nicht schlafend an dem immer mächtiger werdenden Teufel vorbeigehen.

Vielleicht ist auch das charakteristisch, das sage ich nur in Parenthese: Im Paradiese war es ja auch eine Frau, welche die Funktionen des Teufels instinktiv hereingeführt hat in dieses Paradies. Es ist, wie ich glaube, in der äußeren Kultur ja kein besonderes Renommee für die Männer, daß sie noch diesen Aberglauben weit abweisen und es vorläufig wiederum der Frau überlassen haben, es ist vielleicht charakteristisch, daß Ricarda Huch als Frau nach dem Teufel ruft, wie einstmals die Eva im Paradies den Teufel hereingelassen hat. Doch das sage ich nur in Parenthese.

Aber dieser Teufel ist schon dasjenige Wesen, das der Träger der Kultur der Zukunft sein wird und sein muß. Es ist eine herbe, aber eine wichtige Wahrheit. Diese Wahrheit hängt innig zusammen damit, daß sich in diesen Kulturgang in die Zukunft hinein zerstörerische Kräfte mischen müssen. Insbesondere - und davon werde ich morgen reden - müssen sich zerstörerische Kräfte, wenn die Sache nicht in weiser Art geleitet wird, in alles Erziehungswesen, namentlich in die Kindererziehung mischen. Aber auch in das ganze soziale Zusammenleben der Menschen werden sich immer mehr und mehr wegen der allgemeinen

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Kultur, wegen der Usancen, wegen der Emotionen der Menschen zerstörende Kräfte mischen, Kräfte, welche vor allen Dingen die Verhältnisse unter den Menschen selber immer mehr zerstören werden.

Streben soll der Mensch danach, das Wort Christi zu realisieren: «Wo zwei in meinem Namen vereint sind, bin ich mitten unter ihnen.» Aber die technische, die kommerzielle Kultur macht nicht dieses zur Wahrheit, sondern das andere: Wo zwei oder mehrere in meinem Namen sich zanken und streiten und bekämpfen wollen, da bin ich mitten unter ihnen. - Und das wird immer mehr in das soziale Menschenleben hineinkommen. Das führt aber dazu, daß überhaupt die Schwierigkeit besteht, heute in die Menschheit verbindende Wahrheiten hineinzuführen.

Und machen wir uns jetzt zum Schlusse wenigstens vorläufig klar - wir werden morgen und übermorgen über die Dinge weiter reden -, wle die Gemütsverfassung der Menschen in bezug auf das Entgegennehmen von Wahrheiten überhaupt ist. Der Mensch nimmt heute nicht gern Wahrheiten entgegen, weil er gar nicht glaubt, daß Wahrheiten etwas sein könnten, was unmittelbar aus der geistigen Welt hereintritt und an die Menschen herankommt. Der Mensch der Gegenwart glaubt, Wahrheit kann nur etwas sein, was absolut auf seinem Grund und Boden wächst. Wenn man heute so in den Zwanzigerjahren ist, dann hat man seinen Standpunkt, dann braucht man nicht erst von der Wahrheit überzeugt zu werden, dann braucht einem die Wahrheit nicht erst geoffenbart zu werden, dann hat man seinen Standpunkt. Und es kann jemand kommen, der mit all seinem Eifer um die Wahrheit gerungen hat - der vierundzwanzigjährige Dachs, der eben die Universität absolviert und vielleicht noch Vorlesungen gehört hat über die Philosophie, der hat seinen Standpunkt, über den er dann diskutiert mit dem andern, der mit allem Eifer um die Wahrheit gerungen hat. Heute hat jeder seinen Standpunkt, und jeder glaubt, daß auch auf dem unvorbereiteten Boden die absolute, allein sichere Wahrheit wächst. Die Menschen sind nicht geneigt, Wahrheiten entgegenzunehmen, sondern sie ernennen sich zum Besitzer der Wahrheit. Das ist ja das Charakteristikon der Gegenwart.

Auch darüber hat Ricarda Huch ein sehr schönes Wort gesprochen.

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Sie hat darauf aufmerksam gemacht, wie unserer jetzigen Weltauffassung - oder wie man es nennen will -, die überall im Chauvinismus schwimmt, vorangegangen ist bei den aufgeklärten Europäern der Nietzscheanismus, der über alle Vaterländer und über allen Chauvinismus weit erhaben war. Die Menschen sind Anhänger Nietzsches geworden. Wie viele sind Anhänger Nietzsches geworden! Nietzsche hat das Ideal der «blonden Bestie» aufgestellt. Verstanden haben die Menschen wenig davon. Aber Ricarda Huch sagt: Ein jeder, der nicht einmal die Anlage hat, ein respektables Meerschweinchen zu werden, hat sich eingebildet, selber nun die «blonde Bestie» zu sein im Sinne Nietzsches. - Ja, das ist nämlich heute der Standpunkt des Spießbürgertums. Man hat wirklich nicht die Anlage, ein respektables Meerschweinchen zu sein, aber wenn irgendwo ein noch so hohes Ideal aufgestellt wird, da ist man es! Man ist es einfach, weil man findet, man ist es, ohne daß man irgend etwas dazu tut, weil man ja nicht anstrebt, sich zu entwickeln, weil man es nicht erträgt, erst etwas zu werden, weil man nur etwas sein will. Das aber zerspaltet die Menschen in Menschheitsatome. Ein jeder hat seinen Standpunkt. Keiner kann mehr den andern verstehen.

Da sehen Sie - gerade in dieser Stimmung, daß keiner mehr den andern verstehen kann - das Walten der zerstörerischen Kräfte in der menschlichen Gesellschaftsordnung selber. Das treibt die Menschen auseinander. Es war schon der Teufel, der den Menschen die Versuchung eingegeben hat, als Nietzsche-Anhänger selber «blonde Bestien» zu sein. Sie sind es nicht geworden. Aber wenn die Menschen auch keine "blonden Bestien" im Sinne Nietzsches geworden sind - es ist doch schon etwas geworden aus diesen die Sozialität zerstörenden Impulsen des 19. Jahrhunderts in diesem 20. Jahrhundert. Das wollen wir dann morgen weiter besprechen.

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FÜNFTER VORTRAG Dornach, 7. Oktober 1917

Es ist bedingt durch die geistige Konstitution der Gegenwart, daß wir uns bekanntmachen mit, wie Sie ja schon gesehen haben, schwerwiegenden Wahrheiten und Einsichten der geistigen Welt. Denn ich mußte ja betonen: Mit solchen Einsichten, wie sie die Menschheit nach den Gegenwartsgewohnheiten bequem findet, reicht man für die Zukunft nicht aus. Aber man muß die Gründe kennen, warum man nicht ausreicht. Nur dann kann man in vollem Ernst und in voller Würde sich verbinden mit diesen Impulsen, die für die Entwickelung der Menschheit nun einmal in der Gegenwart gegeben werden müssen. Das, was ich heute sagen will, wird vielleicht am besten verständlich sein, wenn ich den Ausgangspunkt nehme von der Tatsache, daß innerhalb der vierten nachatlantischen Kulturperiode, die, wie Sie wissen, im 8. Jahrhundert vor dem Mysterium von Golgatha begonnen hat und im 15. Jahrhundert nach dem Mysterium von Golgatha zu Ende gegangen ist, im wesentlichen der Mensch zu der Umwelt, zu de Außenwelt in ganz anderem Verhältnis stand, als er jetzt in der fünften nachatlantischen Kulturperiode stehen muß. Ich habe ja oftmals betont: Man muß die Entwickelung der Menschheit ernst nehmen. Die Seelen ändern sich viel mehr als man glaubt, und es ist nur eine bequeme Gegenwartsvorstellung, wenn man der Meinung ist: In den Seelen der Menschen war alles so beschaffen - meinetwillen zur Griechenzeit - wie heute. Aber ich will von dieser Seelenbeschaffenheit heute nur ins Auge fassen das Verhältnis der Seelen zur umliegenden Welt.

Da wird der Bequemling sagen: Die Griechen, die Römer haben die Sinnenwelt um sich herum wahrgenommen, wir nehmen auch die Sinnenwelt um uns herum wahr; also ist kein so beträchtlicher Unterschied vorhanden. - Aber ein solcher beträchtlicher Unterschied ist da. Man kann geradezu sagen: Der heutige Mensch, der erst im Anfang der fünften nachatlantischen Kulturperiode steht, nimmt diese Umwelt, auch die sinnliche Umwelt, ganz anders wahr als zum Beispiel der Grieche. Farben sah der Grieche auch, Töne hörte der Grieche auch;

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aber er sah durch die Farben noch geistige Wesenheiten. Er dachte nicht bloß geistige Wesenheiten, es kündeten sich ihm durch das, was die Farbe war, noch geistige Wesenheiten an.

Ich habe versucht, gerade diese Eigentümlichkeit der griechischen Anschauung wie einen roten Faden durchzuspinnen durch meine Darstellungen in «Die Rätsel der Philosophie». Der neuzeitliche Mensch denkt Gedanken. Der Grieche dachte nicht in dem Maße wie der neuzeitliche Mensch Gedanken, denn er sah Gedanken. Sie kamen ihm entgegen aus dem, was er in der Umwelt wahrnahm. Die Umwelt selber war nicht bloß blau und rot, sondern das Blaue und das Rote sagten ihm die Gedanken, die er dann dachte. Das gibt ein intimes Verhältnis zur Umwelt. Das gibt auch noch ein Gefühl, ein intensives Gefühl davon, daß man mit der Umwelt als mit etwas Geistigem in Zusammenhang steht. Und das hängt wiederum zusammen mit der ganzen Art und Weise, wie die menschliche Konstitution im allgemeinen in diesem vierten nachatlantischen Zeitraum war.

Wir müssen ja unterscheiden in unserer Erdenentwickelung - Sie wissen das aus der allgemeinen Darstellung der «Geheimwissenschaft im Umriß» - große Perioden: erste, zweite Zeit, lemurische Zeit, atlantische Zeit, unsere Zeit, die nach atlantische, und zwei darauf folgende. Man kann sagen, während der atlantischen Zeit ist sowohl die Erde wie auch der Mensch innerhalb der Erdenentwickelung in der Mitte angelangt gewesen. Bis dahin war alles, man möchte sagen, Wachstumsentwickelung. In einer gewissen Beziehung ist das seit der atlantischen Zeit nicht mehr der Fall. Es ist schon bei der Erde nicht mehr der Fall. Wenn wir heute über die Erdschollen gehen - ich habe das öfter schon angedeutet -, dann gehen wir über etwas Sich-Zerbröckelndes, über etwas, was sich gegenüber dem Wachstumsverhältnis der Vorzeit nicht wie ein Fortwachsendes verhält, sondern wie ein Abbröckelndes. Die Erde war viel mehr ein wachsender, sprossender Organismus vor der atlantischen Zeit, bis zur Mitte der atlantischen Zeit. Dann fing sie an, ich möchte sagen, Risse und Sprünge zu bekommen; und dann erst entstanden diese mit Rissen und Sprüngen versehenen Gesteinsarten der Gegenwart. Das weiß heute nicht nur die Geisteswissenschaft. Daß unsere Gegenwartserde eine reißende, zerspringende ist, eine solche, die

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ihrer Auflösung entgegengeht, das finden Sie von der äußeren Wissenschaft schön dargestellt in dem großen, bedeutungsvollen Werk von Sueß: «Das Antlitz der Erde.» Diese einschneidende Schrift von Sueß faßt in großen Linien zusammen, was aus der gegenwärtigen Beschaffenheit der Gesteine, der Felsarten, der verschiedenen Formationen auf und in der Erde, der organischen Wesen innerhalb des Erdenseins, über den Bau der Erde nach außen hin, also gewissermaßen über das Antlitz der Erde zu sagen ist. Und wie gesagt, ganz nur von den Tatsachen der äußeren Wissenschaft ausgehend, kommt Sueß zu der Erkenntnis, daß wir es jetzt mit einer verendenden, mit einer zerbröckelnden Welt zu tun haben.

So ist es aber auch mit allen Geschöpfen, insofern sie als physische Geschöpfe diese Erde bewohnen. Sie sind in absteigender Entwickelung, und sie sind es im Grunde genommen seit der Mitte der atlantischen Zeit. Nur geht alles in einer gewissen Wellenbewegung innerhalb der Entwickelung vor sich. Man kann sagen: In der vierten nachatlantischen Periode, in der griechisch-lateinischen Zeit, war gewissermaßen eine Art Wiederholung desjenigen da, was in der atlantischen Zeit war. So daß man bis zum Griechentum hin noch nicht am Menschen in so entschiedener Weise bemerken konnte, daß er in absteigender Entwickelung ist. Das Griechentum - das habe ich öfter betont - hat noch die Eigentümlichkeit, daß das Seelische in einer völligen Harmonie mit dem Leiblichen steht. Die Harmonie war natürlich am größten in der Mitte der atlantischen Zeit. Aber im Griechentum wiederholt sich diese Harmonie. Von der gesamtmenschlichen Konstitution, die der Grieche hatte, haben wir ja bei verschiedenen Gelegenheiten, namentlich bei der Charakterisierung der griechischen Kunst, gesprochen, von der wir wissen, daß sie aus ganz andern Impulsen hervorgegangen ist als die Kunst späterer Völker. Der Grieche fühlte zum Beispiel in sich noch das Atherisch-Formhafte, Gestalthafte des Menschen, brauchte nicht, wie der heutige Mensch, Modelle, weil er in sich die Form fühlte. So daß man sagen kann: Bis in die Griechenzeit hinein war in gewisser Beziehung das Menschlich-Leibliche durch die unmittelbar räumliche Außenwelt bedingt und gehalten. Es war ein intimes Verhältnis zwischen dem Menschen und seiner räumlichen Umgebung. Das ist mit dem Beginn

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der fünften nachatlantischen Zeit anders. So sonderbar es Ihnen klingen wird, es ist doch wahr: Wir sind eigentlich heute gar nicht mehr auf der Welt, um für unsere eigene Organisation zu sorgen. Wir verkörpern uns zwar noch, aber das hat nicht mehr den Sinn, für die eigene Organisation zu sorgen, denn diese eigene Organisation war in einer aufsteigenden Entwickelung bis in die Mitte der atlantischen Zeit oder bis zum Griechentum. Da waren die Körper der Menschen so vollkommen, wie sie während der Erdenzeit sein können. Eine höhere Vollkommenheitsstufe als Körperlichkeit wird die Menschheit erst wiederum während der Jupiterepoche erfahren. Wir sind eigentlich dazu da, um einer abklingenden Entwickelung nunmehr anzugehören, um uns so zu verkörpern, daß wir allerlei erleben, erfahren dadurch, daß wir in absterbenden, in immer mehr und mehr abbröckelnden, verdorrenden Leibern sind. Die Ausdrücke sind natürlich sehr radikal. Aber das, was wir seelenhaft entwickeln, was wir innerlich sind, das geht nicht mehr in demselben Maße wie früher in die äußere Leiblichkeit über. Das aber wird mancherlei Veränderungen bedingen in der Entwickelung.

Im März dieses Jahres ist in Zürich ein sehr bedeutender Mensch gestorben: Franz Brentano. Sie werden einen Nachruf für Franz Brentano in meinem demnächst erscheinenden Buche «Von Seelenrätseln» finden. Das Buch wird in drei Teile und einen Anhang zerfallen: in dem ersten werde ich die Beziehung erörtern zwischen Anthropologie und Anthroposophie; im zweiten Teil werde ich an einem Beispiel zeigen, wie die gegenwärtige sogenannte Gelehrsamkeit der Anthroposophie entgegenkommt, an dem Beispiel des Individuums Dessoir; und im dritten werde ich zeigen, wie ein feiner Geist wie Franz Brentano zwar in den Fesseln der gegenwärtigen Wissenschaft gehalten worden ist, aber so nahe wie möglich an Anthroposophie mit seiner Psychologie herankommt. Dazu werde ich dann einen Anhang geben, der manches von dem kurz bringt, was jetzt unter den gegenwärtigen Verhältnissen eigentlich nur kurz gebracht werden kann, was aber vielleicht sogar Gegenstand mehrerer Bücher sein könnte. Ich habe es in einzelnen kurzen Kapiteln in dieser neueren Schrift zusammengefaßt, weil eben die Verhältnisse in unserer immer schwerer und schwerer werdenden Zeit einem nicht gestatten, daß es in längerer Weise ausgeführt wird. Man

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hat schon bei manchem, was in dieser Art für die Gegenwart geschrieben wird, das Gefühl, man schreibe in gewisser Beziehung etwas Testamentarisches. Wer das ganze Gewicht der gegenwärtigen Ereignisse in sich verspürt, der wird solches schon nachfühlen können.

Franz Brentano hat unter dem vielen, das er aus feinsinnigem Geiste heraus gesprochen hat, auch eine Abhandlung geschrieben über das Genie. Das Eigentümliche dieser Abhandlung liegt darin, daß Brentano eigentlich den Begriff des Genies hinwegdiskutiert, daß er überall zeigt, wie das Genie nicht andere Seelenqualitäten und Seelenimpulse hat als andere Menschen auch, wie das Gedächtnis beim Genie, die Kombinationsfähigkeit nur beweglicher, umfassender ist und so weiter. Franz Brentano zeichnet einen Begriff des Genies, der sich sehr unterscheidet von dem Begriff, den man sehr häufig hat. Aber dieser Begriff vom Genie, den man gewöhnlich hat, der enthält ja, wie die begriffsbequemen Schablonen der Gegenwart überhaupt, ohnedies viel Nebuloses. Man kann im allgemeinen sagen: Wie Brentano das Genie charakterisiert, so stimmt das nicht mit dem, was das Genie bisher war; aber es stimmt mit dem, was das Genie werden wird! In dem Sinne, wie das Genie bisher bestanden hat, wird es nicht in die Zukunft hinein sich fortpflanzen. Denn worauf beruhten die Genies der Vergangenheit? Sie beruhten darauf, daß eben die Seelen noch die Gewalt hatten, aus der Vererbung heraus oder durch die Erziehungskräfte, Impulse in die Körperlichkeit hineinzusenden, so daß aus dem Körperlichen heraus die Intuitionen, die Inspirationen, die Imaginationen des Genies in unbewußter Art kamen. Mit der aufsteigenden Körperlichkeit war geniale Kraft vorhanden. Mit der abbröckelnden Körperlichkeit der Zukunft wird das nicht der Fall sein. Wo etwas dem Genie Ähnliches in der Zukunft auftreten wird, wird es darauf beruhen, daß die betreffenden Seelen, die man ja auch dann genial nennen mag, eben tiefer hineinsehen in das Leben der geistigen Umgebung, daß also nicht aus dem unbewußten Körperlichen die Impulse heraufsteigen, sondern daß die Betreffenden tiefer hineinsehen in die geistige Welt. Gerade an so etwas wie der Umwandelung des Genies sehen wir den tiefen Einschnitt, der da ist zwischen dem, was Entwickelung in der Vorzeit war, und was Entwickelung in der Zukunft sein wird. Man möchte sagen: Aus der

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Körperlichkeit kam das Genie der Vorzeit, aus dem Hineinschauen der Seele in die Geistigkeit wird das kommen, was an die Stelle des Genies in der Zukunft treten wird. Das fühlt nun solch ein Geist, der mit der Entwickelung der Gegenwart empfindet, wie Brentano, geradeso wie Sueß der Erde es abgesehen hat, daß sie in einer Art Ersterben ist.

Aber worauf beruht denn das Ganze? Es beruht darauf, daß eben das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt gegenüber früher ein anderes geworden ist. Die räumliche Umwelt spricht heute nicht mehr zum Menschen, so wie sie gesprochen hat, als sein Körper, sagen wir, frisch war. Sie gibt nicht mehr mit ihrem Räumlichen auch das Geistige her. Farben sprechen nicht mehr als geisterfüllte Elemente, Töne tönen nicht mehr als geisterfüllte Elemente; sie tönen als Materialien. Dasjenige, was im Menschen ist, ist innerlicher geworden. Das ist ein merkwürdiger Satz, nicht wahr, daß man sagen muß: Der oberflächliche Mensch der Gegenwart ist eigentlich innerlicher geworden. Aber er ist innerlicher geworden. Es ist das schon das Eigentümliche, daß man dem Oberflächling der Gegenwart gegenüber sagen kann: Er ist deshalb so oberflächlich, weil er, so wie er in der Verkörperung da ist, gar nicht vordringen kann zu seinem eigentlichen Innenwesen. Er wird gar nicht aufmerksam auf sein eigentliches Innenwesen, er entwickelt nicht die Kraft, sich selbst zu kennen, er kommt nicht darauf, was er eigentlich ist.

So sieht derjenige, der geistig die Welt anschaut, gar manche Menschen herumgehen, die eigentlich gar nicht sie selbst sind. Das ist wieder radikal gesprochen. Es sind wandelnde Leiber, und die Seele ist nicht ganz darinnen. Warum? Ja, weil diese Seele eben nicht mehr die Aufgabe hat, ganz den Körper zu durchdringen, der schon abbröckelt, sondern weil sie die Aufgabe hat, sich vorzubereiten für das, was auf dem Jupiter vorgehen wird. Unsere Seele ist schon eine für die Zukunft Vorbereitungen treffende.

Und in diese Situation muß man sich nur hinein-erkennen und hinein-wissen. Wir sind ganz dazu veranlagt, daß ein umfassendes Wesen zu uns spricht: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt.» Nur werden sich die Menschen zum Verständnis dieser Wahrheit nur langsam und allmählich entschließen. Wir sind wirklich trotz der äußeren

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Oberflächlichkeit immer weniger und weniger von dieser Welt, was man aber nicht verwechseln darf mit etwas anderem. Wenn man jetzt glauben würde, man kann nun herumgehen, wie die Anhänger Nietzsches, die sich «blonde Bestien» genannt haben, und kann sagen: Wir sind eben in der geistigen Welt, wir gehören nicht der physischen Welt an -, so müßte erwidert werden: Ja, dasjenige, wovon du selber weißt von dir, das gehört schon der physischen Welt an; das andere ist ein Okkultes, ein Verborgenes. - Aber wir haben doch die Aufgabe, mit aller Einsicht, mit aller innerlichen Stärke dieses in uns befindliche Wesenhafte gewahr zu werden, das nicht mehr ganz in dem Körper aufgehen kann, das nicht mehr ganz den Körper durchdringen kann. Wir haben uns zu fühlen als die Kandidaten der Jupiterzeit. Aber das geschieht langsam und allmählich. Die Menschen verbleiben vorderhand noch in dem, was ihnen die Umwelt gibt. Das heißt, sie verbleiben in dem, was unter ihnen ist. Aber mit jeder Inkarnation ziehen wir uns eigentlich mehr aus der Körperlichkeit heraus und schweben mehr über der Körperlichkeit drüber.

Wenn das nicht so wäre, so würde es ohnedies um die Fortentwickelung der Menschheit schlimm stehen. Wenn der Mensch ganz darauf angewiesen bliebe, das nur zu sein, was die Griechen waren, dann würde es schlecht stehen um die Menschheitsentwickelung. Denn, so sonderbar das heute klingt, eine gewissenhafte okkulte Forschung, die versucht, die Entwickelungsgesetze des Menschengeschlechts zu durchdringen, die zeigt uns eine vielleicht zunächst bestürzend wirkende Wahrheit, zeigt uns, daß in gar nicht so ferner Zeit, vielleicht schon im 7. Jahrtausend, sämtliche Erdenfrauen unfruchtbar werden. So weit geht es mit der Vertrocknung, mit der Zerbröckelung der Leiber: Im 7. Jahrtausend werden die Erdenfrauen unfruchtbar! Denken Sie sich, wenn nun die Beziehungen bleiben sollten, die sich nur zwischen dem Menschlich-Seelischen und den menschlichen physischen Leibern ausleben können, dann könnten ja nachher die Menschen überhaupt sich nichts mehr zu tun machen auf der Erde. Es werden noch nicht alle Erdenperioden abgelaufen sein, wenn die Menschenfrauen keine Kinder mehr bekommen können. Da muß denn der Mensch ein anderes Verhältnis finden zu dem Erdendasein. Die letzten Epochen der Erdenentwickelung

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werden den Menschen in die Notwendigkeit versetzen, überhaupt auf eine physische Leiblichkeit zu verzichten und dennoch auf der Erde anwesend zu sein. Das Dasein ist eben doch geheimnisvoller, als man nach den plumpen naturwissenschaftlichen Begriffen der Gegenwart gern annehmen möchte.

Auch diese Sache ist instinktiv gefühlt, empfunden worden in der Abend- und in der Morgendämmerung des vierten beziehungsweise fünften nachatlantischen Zeitalters. Manche Leute haben da Dinge gesagt, die schon zusammenhängen mit der Entwickelung dieses unseres Zeitalters. Aber sie konnten nicht richtig verstanden werden, sie haben sich oftmals selbst nicht richtig verstanden. Denken Sie doch einmal an solche grausam erscheinende Lehren wie die des Augustinus, sogar die des Calvin: daß die Menschen bestimmt wären, der eine Teil von vornherein zum Seligwerden, die andern zum Verdammtwerden, die einen zum Guten, die andern zum Bösen. Solche Lehren hat es gegeben. Sie erscheinen grausam. Und dennoch: für eine richtige Einsicht erscheinen diese Lehren nicht ganz unrichtig, wie überhaupt manches, was unrichtig erscheint, eine gewisse relative Richtigkeit hat. Was im Zeitalter des Augustinus und den nachfolgenden Jahrhunderten über den Menschen gewußt werden konnte, bezieht sich eigentlich gar nicht richtig auf die Menschenseelen und auf den Menschengeist - Sie wissen ja, der Menschengeist wurde sogar auf dem Konzil in Konstantinopel abgeschafft -, sondern es bezieht sich auf den auf der Erde herumwandelnden Menschen. Ich will versuchen, möglichst deutlich zu sprechen über das, worauf es ankommt.

Es kann Ihnen ein Mensch begegnen und ein anderer, und im Sinne der Augustinischen Lehre könnte man sagen: Der ist zum Guten, der ist zum Bösen bestimmt. Aber nur seine äußere Körperlichkeit, nicht die Individualität! - Über die wirkliche Individualität hat das Augustinische Zeitalter überhaupt nicht gesprochen. Wenn man nun eine Anzahl von Menschen vor sich hat, so kann man sagen - aber das hat erst einen Sinn von der neueren Zeit an, bei den Griechen hätte es keinen Sinn gehabt -: Da sind die Menschenseelen; die sind natürlich die Schmiede ihres eigenen Schicksals. Da gibt es keine Prädestinationsimpulse. Aber die wohnen in Leibern, die zum Guten oder zum Bösen

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bestimmt sind. - Und immer weniger werden in der Erdenentwickelung die Menschen in der Lage sein, ihre Seelenentwickelung ganz parallel der Leibesentwickelung zu nehmen. Warum sollte es nicht sein können, daß eine Individualität sich verleiblicht in einem Körper, der nach seiner ganzen Konstitution zum Bösen bestimmt ist? Der Mensch kann ja trotzdem drinnen gut sein, weil die Individualität nicht mehr in einem intimen Zusammenhang mit der Körperlichkeit ist. Das ist wieder keine bequeme Wahrheit, aber eine Wahrheit, mit der man sich bekanntmachen muß.

Kurz, die Verinnerlichung des Menschen nimmt immer mehr und mehr zu. Immer mehr müssen wir Rücksicht nehmen bei dem, was für den Menschen in Betracht kommt, daß sich der Mensch zurückzieht von der äußeren Leiblichkeit in den letzten Epochen der Erdenentwickelung. Die Menschen können sich aber nur langsam und allmählich - wie ich schon öfter betonte - durch die Gewalt der Tatsachen an diese Dinge gewöhnen. Aber die Tatsachen werden die Erkenntnis dieser Dinge aufdrängen. Wenn man heute die Menschen betrachtet nach dem, wie sie äußerlich sind, hat man ein Bild. Wenn man die Menschen nach dem betrachtet, was sie nicht unmittelbar äußerlich sind, hat man das andere Bild. Diese Bilder stimmen heute schon nicht miteinander überein und werden immer weniger miteinander übereinstimmen. Dem Menschen von heute ist es daher schon durchaus notwendig, sich nicht bloß auf das zu verlassen, was die äußere Welt hergibt, wenn er sich Begriffe bilden will, sondern sich nach Maßgabe desjenigen Begriffe zu bilden, was nur aus dem Geiste auf den Menschen wirken kann.

Insbesondere werden solche Begriffe für die Zukunft in alldem notwendig sein, was Politik und Sozialistik ist und so weiter, und namentlich auch im Erziehungswesen. Die Begriffe, die die Umgebung hergibt, die nicht aus dem Spirituellen kommen, reichen nicht mehr aus für das, was der Mensch braucht. Daher die ungenügenden politischen und sozialistischen Theorien der Gegenwart. Die Menschen wollen da nur nach dem urteilen, was in der Umgebung ist, wollen sich nicht inspirieren lassen von etwas Geistigem. Daher sind diese Theorien und auch die politischen Programme so ungenügend. Wir leben nicht mehr in der Zeit, wo man solche Programme machen kann,wie Woodrow Wilson

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sie jetzt macht, sondern unsere Zeit erfordert, daß aus andern Tiefen heraus Weltenprogramme gemacht werden. Der Geist muß schon Beistand leisten, wenn heute Weltenprogramme gemacht werden.

Aber die Menschen sind noch nicht dazu gelangt, die innere Wahrheit all dessen, was ich Ihnen jetzt auseinandergesetzt habe, wirklich zu ihrem Bewußtsein zu bringen. Sie tapsen nach. Sie sind längst Menschen der fünften nachatlantischen Periode geworden und wollen immer noch urteilen wie die Menschen der vierten nachatlantischen Periode. Ja, damals in der Griechenzeit war das richtig, war das etwas Großes, etwas Harmonisches. Heute urteilen wie ein Grieche, ist ein Unding, weil dem Griechen eben die Umgebung alles gegeben hat, was er gebraucht hat. Heute gibt es diese Umgebung nicht mehr. Zunächst macht sich in vielen Beziehungen, ich möchte sagen, ein gewisser Haß fühlbar, eine Abneigung - was nur eine andere Seite der Furcht ist - vor dem innerlichen Betrachten des Menschen. Man will beim Äußerlichen stehenbleiben. Und so treten Reminiszenzen auf, die eben nur Reminiszenzen sind, wo sich die Menschen nicht voll in ihrer Gewalt haben.

Eine sehr interessante Erscheinung, die ich Sie nur bitte, ganz gehörig ins Auge zu fassen, ist diese: Nehmen Sie einmal an, wir hätten es hier zu tun mit einer Anzahl von Köpfen, die vielleicht eine Versammlung bilden - erleuchtete Versammlungen gibt es ja heute überall: Ja, das eigentliche Geistige hat sich schon gelöst, das ist eigentlich nicht mehr so recht bei den Köpfen der Menschen, das ist verinnerlicht. Selbst wenn Oberflächlinge bei einer Versammlung sind, so sind eigentlich die andern, die richtigen Köpfe, verborgen da; aber jene, die dasitzen, wissen nichts davon. So kann es sein, daß Versammlungen sind oder auch einzelne Menschen, in denen, wie in einem Uhrräderwerk, alte Ideen ablaufen: In den sichtbaren, in den physischen Köpfen, da rumort es drin von alten Ideen, da rollen alte Ideen ab. Von dem, was zeitgemäß ist, von dem wissen diese Menschen nichts. Diese automatisch wirkenden Gehirne können allerlei nachklingen lassen. Das ist interessant, daß gerade solche Dinge zuweilen auftreten.

Da hat es eine Wissenschaft gegeben, die im Jahre 1912 in London begründet worden ist, eine ganz neue Wissenschaft: Eugenetik. Man

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hat ja gewöhnlich hochtrabende Namen gerade für das, was an sich am dümmsten ist. Die Ideen dieser Eugenetik, die gingen eigentlich aus den Gehirnen, nicht aus den Seelen der Menschen hervor. Was will diese Eugenetik? Sie will Einrichtungen treffen, so daß künftighin nur ein gesundes menschliches Geschlecht gezeugt wird, daß nicht minderwertige Individuen gezeugt werden, will nach und nach durch die Verbindung von Nationalökonomie und Anthropologie Gesetze finden, um Männer und Frauen durch Gesetze so zusammenzubringen, daß ein möglichst starkes Geschlecht zustande kommt.

Ja, über diese Dinge fängt man schon an durchaus nachzudenken. Das Ideal dieses Kongresses, dem der Sohn Darwins vorgesessen hat, bestand darin, verschiedene Gesellschaftsklassen daraufhin zu untersuchen, wie groß der Schädel ist bei den Reichen, wie groß der Schädel ist bei den Armen, die weniger lernen können, wie groß die Empfindungsfähigkeit bei den Reichen, wie groß die Empfindungsfähigkeit bei den Armen ist, wie stark der Widerstand ist, den die Reichen der Ermüdung entgegenbringen können, wie stark der Widerstand ist, den die Armen der Ermüdung entgegenbringen können und dergleichen mehr. Und nun versucht man, auf diese Weise Ansichten zu gewinnen über die menschliche Körperlichkeit, die vielleicht einmal in der Zukunft dazu führen können, daß man genau aufstellt: so muß er aussehen, so muß sie aussehen, wenn es einen richtigen Zukunftsmenschen geben soll; solch einen Grad von Ermüdungsfähigkeit muß er haben, solch einen Grad von Ermüdungsfähigkeit muß sie haben, solch eine Schädelgröße bei ihm, dazu eine passende Schädelgröße bei ihr und so weiter.

Das ist ein Rumoren, eln natürliches Rumoren in den von den Seelen leer gewordenen Gehirnen, ein Rumoren derjenigen Ideen, die eine Realität in der atlantischen Zeit hatten. Da war es wirklich so, daß es gewisse Gesetze gab, durch welche die Menschen Größe, Wachstum und alles mögliche durch Kreuzen, Überkreuzen und dergleichen bewirken konnten. Das war dazumal eine Art von Wissenschaft, eine ausgebreitete Wissenschaft, die - wie ich Ihnen gestern wieder angedeutet habe - gerade im atlantischen Zeitalter so sehr mißbraucht worden ist. Diese Wissenschaft, die aus der Verwandtschaft der Körperlichkeit

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heraus arbeitete, wußte: Wenn man solch einen Mann mit solch einer Frau - und Mann und Frau waren in der damaligen Zeit wesentlich verschiedener als heute - zusammenbringt, entsteht ein solches Wesen, und dann kann man wiederum, so wie es heute der Pflanzer macht, variieren. Die Mysterien haben dann aus diesem Sich-Kreuzen, aus diesem Zusammenbringen des Verwandten und Verschiedenen Ordnung gemacht; sie haben Gruppen gebildet und der Menschheit entzogen, was ihr entzogen werden mußte. Es entstand aber wirklich schwärzest magischer Unfug durch das, was da im atlantischen Zeitalter getrieben worden ist, und Ordnung ist erst dadurch eingetreten, daß man Klassen gebildet hat, daß man diese Dinge den Menschen entzogen hat. Und auf diese Weise sind die Nationen entstanden, die heutigen Rassen entstanden. Das hat mitgewirkt bei der Bildung der heutigen Rassen. Und auch die Nationenfrage rumort wieder im gegenwärtigen Zeitalter als Nachklang des seelenlosen Gehirns aus der atlantischen Zeit. Wieviel spricht man heute von Nationenfragen. Aber es spricht nur die Körperlichkeit. Die zurückgezogene Geistigkeit gehört heute schon einer ganz andern Welt an. Das ist die Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit und all den Deklamationen, die sich heute auf das sogenannte Nationalprinzip beziehen. Das kann niemals deshalb zu einem Heil führen, sondern muß immer und immer wieder in das Chaos hineinführen, wenn man die Politik auf die Nationenfragen stellen will, die nicht mehr Fragen der Gegenwart sind, weil die Seele ganz andern Ordnungen und ganz andern Zusammenhängen angehört, als diejenigen sind, die sich im leiblichen Wesen ausdrücken. Das sind alles Dinge, die gewußt werden müssen, die aber nur durch die Geisteswissenschaft gewußt werden können. Dieses Rumoren in den von den Seelen leer gewordenen Gehirnen, das ist die Ursache davon, daß in der heutigen Zeit solche Bestrebungen auftauchen, die den Menschen nach gewissen Gesetzen gestalten wollen.

Und noch in etwas anderem spricht sich solch ein Rumoren verbrauchter Ideen aus, die wohl noch in den vertrocknenden Gehirnen wirken können, aber nicht mehr aus der Seele kommen. Die Seele muß erkraftet werden, so daß die Geisteswissenschaft in sie dringen kann. Dann wird wiederum aus der Individualität der Menschen gesprochen.

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Sie haben ja gewiß auch schon Bekanntschaft gemacht mit all dem Zeug, das heute nach der Richtung erscheint, daß die verschiedensten Menschen vom Standpunkt der Psychopathologie erklärt werden. Eigentlich darf heute einer nur ein gutes Gedicht schreiben, dann kommt sofort der Arzt und erklärt, welche Krankheit er hat. So haben wir ja die verschiedensten Abhandlungen: Viktor Scheffel vom psychiatrischen Standpunkt, Nietzsche vom psychiatrischen Standpunkt, Goethe vom psychiatrischen Standpunkt, Conrad Ferdinand Meyer vom psychiatrischen Standpunkt. Man kann es all diesen Schriften, wenn man zwischen den Zeilen lesen will, anfühlen, daß eigentlich ihre Autoren gesagt haben: Schade, daß er nicht zur rechten Zeit kuriert worden ist. Wäre er zur rechten Zeit kuriert worden, dann hätte er nicht solche Dinge geschrieben wie zum Beispiel Conrad Ferdinand Meyer, die nur aus dem Kranksein heraus geschrieben werden. - Das ist aber etwas durchaus in diesem Sinne Zeitgemäßes, daß eben nicht geachtet wird auf die Verinnerlichung des Menschen, die manchmal gerade bei solchen Menschen wie Conrad Ferdinand Meyer so wirken muß, daß ihr äußeres Körperliches diese oder jene Krankheitserscheinung aufweisen muß, damit das Innerliche, unabhängig vom Körperlichen, künstlerisch zu höchster Geistigkeit kommen kann.

Diese Dinge werden hier nicht in dem Sinne besprochen, um Stellung dagegen zu nehmen. Vom rein medizinischen Standpunkt aus sind die Sachen selbstverständlich richtig; es ist gar nichts dagegen einzuwenden. Vom rein medizinischen Standpunkt aus kann man ja auch noch etwas anderes machen, was auch gemacht worden ist: Man kann die Evangelien durchnehmen und kann aus verschiedenen Dingen in den Evangelien zeigen, wie durch den Zusammenfluß ganz besonderer Krankheitsursachen dieses merkwürdige Individuum Christus Jesus entstanden ist. Solch ein Buch ist auch geschrieben worden und kann von jedem gelesen werden: «Jesus Christus vom Standpunkte des Psychiaters.» Es gibt also auch ein Buch, wo gezeigt wird, daß all das, was von der Person Jesu ausgeht, nur dadurch von ihr ausgehen konnte, daß eben diese Person so und so krank war.

Alle diese Dinge muß man verstehen, muß man durchdringen, wenn man sich mit Verständnis in die gegenwärtige Entwickelung hineinstellen

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will. Ich werde in diesem Zusammenhang insbesondere auch noch das Erziehungsproblem gerade besprechen, um Ihnen zu zeigen, wie die Gegenwart das heranwachsende Kind nicht mehr so betrachten darf, als würde man nur auf das zu sehen haben, was sich äußerlich heute ausleben kann. Da würde man ja manchmal daneben vorbeierziehen an dem, was sich gerade in das Innerlichste heute zurückzieht. Weil man auf solche Dinge nicht achtet, gibt es heute so wenig Menschenkenntnis und so viel Philisterei. In gewisser Beziehung ist ja das Philistertum der Gegensatz einer wirklichen Menschenkenntnis, denn der Philister mag gern irgendwie das Bild eines Normalmenschen vor seiner Seele haben. Was davon abweicht, ist eben unnormal. Aber mit solchem Grundsatz kommt man zu keinem Verstehen der Umwelt, vor allen Dingen nicht zu einem Verstehen des Menschen. Es gehört schon zu den Dingen, die gepflegt werden sollten innerhalb einer solchen Gesellschaft, wie es die anthroposophische ist, daß man Menschenver ständnis lernt, um eingehen zu können auf die Individualität des Menschen; denn die einzelnen Individualitäten sind viel verschiedener als man denkt, weil dadurch, daß der Mensch nicht mehr ganz zusammen- stimmt in seinem Seelischen mit seinem äußerlich Leiblichen, ja wirklich der Mensch heute etwas Kompliziertes ist.

Aber damit ist natürlich anderes im Gefolge, das allerdings heute seiner Natur nach nur mit plumpen Händen angefaßt wird, aber wovon man hoffen kann, daß Geisteswissenschaft es dazu bringt, daß die Menschen es nicht mehr mit so plumpen Händen anfassen. Denken Sie nur einmal, daß, wenn wir ins Griechentum zurückgehen, man möchte sagen, der volle Leib ja von der vollen Menschenseele ausgefüllt wird, daß das eine sich mit dem andern vollständig deckt, und daß das heute nicht mehr der Fall ist. Es bleiben die Leiber bis zu einem gewissen Grade leer. Ich will nicht im abträglichen Sinne von den leeren Köpfen sprechen; die bleiben leer, das ist einmal so in der Entwickelung. Aber in Wirklichkeit leer bleibt nichts in der Welt. Es bleibt etwas nur leer von einem gewissen Etwas, das in anderer Zeit zur Ausfüllung bestimmt war. Ganz leer bleibt eigentlich nichts. Und indem der Mensch immer mehr und mehr seine Seele von dem Leiblichen zurückzieht, wird dieses Leibliche immer mehr und mehr der Gefahr ausgesetzt, von

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anderem angefüllt zu werden. Und wenn sich die Seelen nicht dazu bequemen wollen, Impulse aufzunehmen, die nur aus dem spirituellen Wissen kommen können, dann wird der Leib angefüllt von dämonischen Gewalten. Diesem Schicksal geht die Menschheit entgegen, daß die Leiber angefüllt werden können von dämonischen Gewalten, von ahrimanisch-dämonischen Gewalten. Denken Sie, daß zu dem, was ich gestern über die Zukunftsentwickelung gesagt habe, hinzukommt, daß man in der Zukunft Menschen wird erleben können: sie sind der Hans Kunz äußerlich im bürgerlichen Leben, weil so es die sozialen Zusammenhänge ergeben, aber der Leib ist soweit leer, daß ein starkes ahrimanisches Wesen drinnen wohnen kann. Man wird begegnen können ahrimanisch-dämonischen Wesenheiten. Der Mensch wird nur scheinbar der Mensch sein, der er ist. Die Individualität, die ist sehr, sehr innerlich, und äußerlich tritt einem ein ganz anderes Bild entgegen.

So kompliziert wird in der Zukunft das Leben. Man kann schon sagen: Es wird in der Zukunft Verhältnisse geben, bei denen man nicht recht wissen wird, mit wem man es zu tun hat. Und daß Ricarda Huch solche Sehnsucht nach dem Teufel empfindet, das hängt wirklich zusammen mit dem, was da herankommt. Die Institutionen, die Begriffe, die sozialen Ideen, die sich die Menschen heute machen, sind abstrakt und roh, sind plump gegenüber dem, was an komplizierten Verhältnissen herankommt. Und weil die Menschen nicht imstande sind, das, was in der Wirklichkeit da ist, mit ihren Begriffen, mit ihren Vorstellungen zu umfassen, geschieht es, daß sie immer mehr und mehr ins Chaos hineinkommen, wie es sich ja durch diese Kriegsereignisse schon hinlänglich anzeigt. Dieses Chaos kommt eben davon, daß die Wirklichkeit eine andere ist, eine reicher werdende ist, als das, was die Menschen erdenken können, was die Menschen sich ausbilden können in ihren Köpfen. Und man wird sich klarmachen müssen, daß man vor die Wahl gestellt ist: Entweder, weil man die Welt nicht zu ordnen versteht, weiterzumachen mit dem Zusammenhauen, mit dem gegenwärtigen Aufeinanderschießen, oder zu beginnen mit dem Ausbilden solcher Begriffe, solcher Vorstellungen, die den komplizierten Verhältnissen gewachsen sind. Es muß eine geistige Strömung in der Menschheit geben, welche darauf ausgeht, Begriffe auszubilden, die den realen

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Verhältnissen gewachsen sind. Denn diejenigen, die kleben bleiben wollen an dem, was von alter Zeit weiterrumort, die werden sehr zahlreich sein - heute sind sie ja noch in der Minderzahl -, und die werden aus der äußerlichen Betrachtung heraus, und schon auch dadurch, daß die Leiber ausgefüllt werden von ahrimanischer Geistigkeit, welche darauf ausgeht, aus der äußeren Räumlichkeit heraus Begriffe und Vorstellungen und Taten zu prägen, die werden aus dem Äußeren heraus Begriffe und Vorstellungen prägen. Man soll sich nur nichts vormachen. Man steht vor einer ganz bestimmten Bewegung. Wie damals auf jenem Konzil in Konstantinopel der Geist abgeschafft worden ist, das heißt, wie man dogmatisch bestimmt hat: Der Mensch besteht nur aus Leib und Seele, von einem Geist zu sprechen ist ketzerisch -, so wird man in einer andern Form anstreben, die Seele abzuschaffen, das Seelenleben. Und die Zeit wird kommen, vielleicht gar nicht in so ferner Zukunft, wo sich auf solch einem Kongreß wie dem, welcher 1912 stattgefunden hat, noch ganz anderes entwickeln wird, wo noch ganz andere Tendenzen auftreten werden, wo man sagen wird: Es ist schon krankhaft beim Menschen, wenn er überhaupt an Geist und Seele denkt. Gesund sind nur diejenigen Menschen, die überhaupt nur vom Leibe reden. - Man wird es als ein Krankheitssymptom ansehen, wenn der Mensch sich so entwickelt, daß er auf den Begriff kommen kann: Es gibt einen Geist oder eine Seele. - Das werden kranke Menschen sein. Und man wird finden - da können Sie ganz sicher sein - das entsprechende Arzneimittel, durch das man wirken wird. Damals schaffte man den Geist ab. Die Seele wird man abschaffen durch ein Arzneimittel. Man wird aus einer «gesunden Anschauung» heraus einen Impfstoff finden, durch den der Organismus so bearbeitet wird in möglichst früher Jugend, möglichst gleich bei der Geburt, daß dieser menschliche Leib nicht zu dem Gedanken kommt: Es gibt eine Seele und einen Geist. - So scharf werden sich die beiden Weltanschauungsströmungen gegenübertreten. Die eine wird nachzudenken haben, wie Begriffe und Vorstellungen auszubilden sind, damit sie der realen Wirklichkeit, der Geist- und Seelenwirklichkeit gewachsen sind. Die andern, die Nachfolger der heutigen Materialisten, werden den Impfstoff suchen, der den Körper «gesund» macht, das heißt, so macht, daß dieser Körper

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durch seine Konstitution nicht mehr von solch albernen Dingen redet wie von Seele und Geist, sondern «gesund» redet von den Kräften, die in Maschinen und Chemie leben, die im Weltennebel Planeten und Sonnen konstituieren. Das wird man durch körperliche Prozeduren herbeiführen. Den materialistischen Medizinern wird man es übergeben, die Seelen auszutreiben aus der Menschheit.

Ja, diejenigen, die glauben, daß man mit spielerischen Begriffen in die Zukunft sehen kann, die irren gar sehr. Mit ernsten, gründlichen, tiefen Begriffen muß man in die Zukunft sehen. Geisteswissenschaft ist nicht eine Spielerei, ist nicht bloß eine Theorie, sondern Geisteswissenschaft ist gegenüber der Entwickelung der Menschheit eine wirkliche Pflicht.

Davon wollen wir dann morgen weiter sprechen.

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SECHSTER VORTRAG Dornach, 8. Oktober 1917

Heute müssen wir, wenn wir in der richtigen Art in diesen Betrachtungen fortfahren wollen, etwas vom Wesen des Menschen und seinem Hineingestelltsein in die geschichtliche Entwickelung ins Auge fassen. Zuerst lenken wir unseren Blick darauf, daß der Mensch eine intellektuelle Kraft in sich hat, eine intellektuelle Begabung. Worin besteht diese intellektuelle Begabung? Nun, darin, daß wir Gedanken fassen können. Wir brauchen zunächst nicht darüber nachzusinnen, woher diese Gedanken kommen, wenn wir dies oder jenes uns vorstellungsgemäß zurechtlegen. Dieses Gedankenleben begleitet uns ja während des ganzen wachen Bewußtseins; und wir haben zum Beispiel auch das Gefühl, wenn wir gehen, stehen oder irgend etwas anderes ausführen, daß unsere Gedanken es sind, die uns leiten, daß wir dem folgen, was zuerst in unseren Gedanken vorliegt. Nun, ob das wirklich so ist, darüber wollen wir im Verlauf dieser Vorträge dann noch sprechen. Ich will jetzt nur konstatieren, was wir so im gewöhnlichen alltäglichen Bewußtsein haben. Das sind unsere Gedanken. Aber mit der Gedankenwelt als solcher ist es doch noch etwas ganz anderes. Und man versteht auch des Menschen Verhältnis zu seinen Gedanken nicht, wenn man nicht ins Auge faßt, was es mit der Gedankenwelt als solcher eigentlich auf sich hat.

Wir sind nämlich in Wirklichkeit überall, wo wir stehen, gehen und liegen, nicht nur in der Welt von Luft und Licht und so weiter, sondern wir sind immer in einer flutenden Gedankenwelt. Sie können sich das am besten vorstellen, indem Sie sich die Sache so zurechtlegen: Wenn Sie durch den Raum gehen als gewöhnlicher physischer Mensch, gehen Sie atmend hindurch, Sie gehen durch den lufterfüllten Raum. So aber bewegen Sie sich gewissermaßen auch durch den gedankenerfüllten Raum. Die Gedankensubstanz, die erfüllt den Raum um Sie herum. Und diese Gedankensubstanz ist nicht ein unbestimmtes Gedankenmeer. Das ist nicht so etwas wie ein nebuloser Äther, wie man es sich zuweilen gern vorstellen möchte, sondern diese Gedankensubstanz ist

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eigentlich das, was wir die elementarische Welt nennen. Wenn wir von Wesen der elementarischen Welt sprechen im weitesten Sinne des Wortes, dann bestehen diese Wesen der elementarischen Welt aus dieser Gedankensubstanz, richtig aus dieser Gedankensubstanz. Es ist nur ein gewisser Unterschied zwischen den Gedanken, die da draußen herumschwirren, die eigentlich lebendige Wesen sind, und den Gedanken, die wir in uns haben. Ich habe hier schon öfter darauf hingewiesen, was da für ein Unterschied ist. In meinem demnächst erscheinenden Buch, das ich gestern schon erwähnt habe, werden Sie wiederum Hinweise finden auf diesen Unterschied.

Sie können sich nämlich die Frage vorlegen: Wenn wir da draußen im Gedankenraum irgend so ein Wesen, ein elementarisches Wesen haben, und in mir ich doch auch Gedanken habe - wie verhalten sich meine Gedanken zu den Gedankenwesen, die da draußen im Gedankenraum sind? Sie bekommen eine richtige Vorstellung von diesem Verhältnis der eigenen Gedanken zu den Gedankenwesen draußen im Raum, wenn Sie sich das Verhältnis vorstellen eines menschlichen Leichnams, der, nachdem der Mensch gestorben ist, zurückgeblieben ist, zu dem lebendigen Menschen, der herumwandelt. Dabei müssen Sie allerdings solche Gedanken ins Auge fassen, die Sie an der äußeren Sinneswelt im wachen Bewußtsein gewinnen. Unsere Gedanken sind nämlich Gedankenleichen. Das ist das Wesentliche. Die Gedanken, die wir von der äußeren Sinneswelt so durch das wache Bewußtsein mit uns schleppen, das sind eigentlich Gedankenleichen, sind abgelähmte, abgetötete Gedanken. Draußen sind sie lebendig. Das ist der Unterschied.

Nun sind wir also eigentlich dadurch in die Gedankenelementarwelt eingespannt, daß, indem wir aus der Umwelt unsere Wahrnehmungen aufnehmen und diese Wahrnehmungen zu Gedanken verarbeiten, wir die lebendigen Gedanken töten. Und indem wir sie dann in uns haben, diese Gedankenleichen, denken wir. Daher sind unsere Gedanken abstrakt. Unsere Gedanken bleiben gerade aus dem Grunde abstrakt, weil wir die lebendigen Gedanken töten. Wir gehen wirklich mit unserem Bewußtsein eigentlich so herum, daß wir Gedankenleichen in uns tragen und diese Gedankenleichen unsere Gedanken, unsere Vorstellungen nennen. So ist es in der Wirklichkeit.

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Diese lebendigen Gedanken aber, die draußen sind, die sind nun durchaus nicht ohne Verhältnis, ohne Beziehung zu uns; sie haben eine lebendige Beziehung zu uns. Das kann ich Ihnen gleich klarmachen. Aber Sie müssen nicht erschrecken vor dem Grotesken dieser ungewohnten Vorstellung. Denken Sie sich, Sie liegen morgens im Bett; Sie können auf zweierlei Arten aufstehen. Im gewöhnlichen Leben merken Sie den Unterschied zwischen diesen beiden Arten des Aufstehens nicht, weil Sie die beiden Arten meist durcheinandermischen und weil Sie überhaupt nicht achtgeben gerade auf den Moment des Aufstehens. Aber Sie können auf zweierlei Arten aufstehen. Sie können so aufstehen, daß Sie eigentlich gar nicht darüber nachdenken, sondern aus Gewohnheit aufstehen, oder indem Sie sich genau den Gedanken bilden: Ich werde jetzt aufstehen. - Ich sage: Sie mischen das durcheinander; «halb zog es ihn, halb sank er hin». Es geschieht bei manchem Menschen im gewöhnlichen Leben eben doch so, daß er, der Gewohnheit, der Notwendigkeit folgend, sich aufstehen läßt, und dann auch leise anklingend den Gedanken hat: Ich werde jetzt aufstehen. - Wie gesagt, mancher mischt das durcheinander, aber man kann es in abstracto unterscheiden. Das sind die extremen Fälle, welche man unterscheiden kann. Gedankenlos, ganz gedankenlos, ohne daß Sie selbst etwas dazu denken, können Sie aufstehen, oder aber vollbewußt. Zwischen diesen zwei Arten des Aufstehens ist ein großer Unterschied. Wenn Sie ganz gedankenlos aufstehen, bloß der anerzogenen Gewohnheit nach, dann folgen Sie den Impulsen der Geister der Form, der Elohim, so wie diese im Beginne des Erdenwerdens den Menschen als Erdenmenschen gebildet haben. - Also denken Sie sich, Sie würden Ihr eigenes Denken ausschalten und immer so aufstehen wie eine Maschine, dann stehen Sie nicht ohne Gedanken auf, nur ohne Ihre eigenen Gedanken. Aber daß Sie aufstehen können, in dieser ganzen Bewegungsform darin liegen Gedanken, objektiv, nicht subjektiv, innere Gedanken; und diese Gedanken sind nicht Ihre Gedanken, sondern die Gedanken der Geister der Form.

Wenn Sie ganz entsetzlich faul wären und eigentlich gar nicht aufstehen möchten, wenn es gar nicht in Ihrer Natur läge, aufzustehen, und Sie nur aus Überlegung aufstehen würden gegen Ihre Natur, aus dem bloßen subjektiven Gedanken heraus, dann würden Sie ahrimanischer

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Geistigkeit folgen, Sie würden nur Ihrem Kopf folgen; Sie würden in diesem Falle Ahriman folgen. Im gewöhnlichen Leben mischt man, wie gesagt, die Dinge durcheinander. Wie es da beim Aufstehen ist, so ist es eigentlich bei allem, was der Mensch tut. Denn der Mensch besteht wirklich aus diesen zwei Wesenheiten, die äußerlich, physisch sich unterscheiden nach dem Kopf und der andern Körperlichkeit. Der Kopf des Menschen ist ja ein außerordentlich bedeutungsvolles, weit älteres Instrument als die übrige Körperlichkeit. So wie der Kopf des Menschen konstruiert ist - ich habe darüber schon im vorigen Jahre gesprochen -, ist er eigentlich in seiner Grundform schon das Ergebnis der Mondenentwickelung. Er ist da schon herübergekommen von der Saturn-, Sonnen- und Mondenentwickelung. Aber wenn der Mensch so sich auf der Erde ausgebildet hätte, wie er von der Mondenentwickelung herübergekommen ist, dann wäre er nicht so geworden, wie er jetzt ist, da würde der Mensch anders ausschauen. Wenn die Menschen einander sehen würden, so würden sie einander anders sehen, als sie sich jetzt sehen.

Schematisch könnte man sagen: Der Mensch wäre eine Art Gespenst, aus dem nur etwas deutlicher die Kopfesform herausragen würde. Dazu war eigentlich der Mensch bestimmt. Die übrige Körperlichkeit sollte gar nicht so sichtbar sein, wie sie jetzt sichtbar ist. Man muß diese Dinge einmal ins Auge fassen, weil man sonst eigentlich die Entwickelung des Menschen auf der Erde nicht versteht. Die übrige Körperlichkeit würde elementarische Wesenheit sein, bloße elementarische Wesenheit; und es würde dann wirksam sein in seinem Haupte alles dasjenige - ich nenne es «a» -, was Erbstück ist des von der Erde verwandelten Mondenseins. Also das, was ich da «a» nenne, das Erbstück des von der Erde verwandelten Mondenseins, das ist eigentlich der Mensch. Der Mensch in Wirklichkeit ist eigentlich das Haupt mit nur einem ganz geringen Ansatz.

Das andere, was der Mensch noch hat - nennen wir es «b» und betrachten wir es zunächst jetzt nur als dieses elementare, luftartige Wesen -, ist die Erscheinung der Geister der höheren Hierarchien, von den Geistern der Form nach abwärts, die Gestaltung der kosmischen Hierarchien. Richtig stellen Sie sich den Menschen vor, wenn Sie sich ihn so vorstellen, daß die kosmischen Hierarchien das geschaffen haben, was

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ich hier als «b» zusammengefaßt habe. Und wie aus dem Schoße der kosmischen Hierarchien ragt der Mensch, dasjenige, was von ihm seit der Saturnzeit geworden ist, heraus. Wenn Sie sich also die außerkopfliche Natur des Menschen vergeistigt denken - aber Sie müssen sie sich vergeistigt denken, wenigstens verluftigt -, haben Sie eigentlich den Körper kosmischer Hierarchien (es wird gezeichnet).

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Nun kam in diese ganze Entwickelung hinein die luziferische Verführung. Die bewirkte, daß diese ganze mehr elementarische Leiblichkeit verdichtet wurde zum übrigen Menschenkörper. Das hat natürlich auch seine Wirkung für das Haupt gehabt. Daraus bekommen Sie eine Vorstellung, was der Mensch eigentlich in Wirklichkeit ist. Der Mensch, wenn wir von seinem Haupte absehen, das sein Eigentum aus der früheren Entwickelung ist, der Mensch wäre eigentlich, wenn sein Körper

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nicht ins sinnliche Fleisch geschossen wäre, die äußere Erscheinung der Elohim. Und nur durch die luziferische Versuchung hat sich hineinverdichtet in diese äußere Erscheinung der Elohim seine Fleischlichkeit.

Dadurch ist aber etwas sehr Merkwürdiges zustande gekommen - worauf ich öfter als ein wichtiges Geheimnis hingedeutet habe -, dadurch ist zustande gekommen, daß der Mensch gerade in den Organen, die man gewöhnlich die Organe seiner niederen Natur nennt, das Ebenbild der Götter ist. Nur ist dieses Ebenbild der Götter, so wie der Mensch auf der Erde ist, verdorben. Gerade das, was das Höhere ist am Menschen, was geistig sein sollte vom Kosmos aus, gerade das ist seine niedere Natur geworden. Bitte, vergessen Sie nicht, daß das ein wichtiges Geheimnis der menschlichen Natur ist. Dasjenige, was des Menschen niedere Natur jetzt ist, ist niedrig durch den luziferischen Einschlag; eigentlich ist es bestimmt, seine höhere Natur zu sein. Das ist das Widerspruchsvolle im Wesen des Menschen. Das ist etwas, das unzählige Welten- und Lebensrätsel löst, wenn man es in der richtigen Weise erfaßt.

Man kann also sagen: Die Entwickelung des Menschen ging so vor sich, daß der Mensch durch den luziferischen Einschlag dasjenige, was ihm fortwährend auftauchen sollte aus dem Kosmos, zu seiner niederen Natur gemacht hat. Sogar viele geschichtliche Erscheinungen werden Ihnen erklärlich sein, wenn Sie das ins Auge fassen, was die Leiter der alten Mysterien gewußt haben, die noch nicht so frivol, so zynisch und so philiströs waren wie die heutigen Menschen. Gewisse Symbole der alten Völker, die man heute nur im sexuellen Sinne auffaßt, Symbole, die von der niederen Natur genommen sind, die werden erklärlich dadurch, daß diejenigen alten Mysterienpriester, die sie eingesetzt haben, eigentlich in diesen Symbolen das Höhere der niederen Natur des Menschen zum Ausdruck bringen wollten.

Sie sehen, wie fein diese Dinge angefaßt werden müssen, die in den Symbolen enthalten sind, wenn man nicht ins Frivole verfallen will, in das natürlich der heutige Mensch leicht verfällt, denn der kann sich ja gar nicht denken, daß am Menschen noch etwas anderes ist als die Versinnlichung, die aber eigentlich das Luziferische der höheren Natur ist. Daher kann es ihm sehr leicht passieren, daß er auf diesem Gebiete die

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historischen Symbole ganz falsch deutet. Es gehört ein gewisser vornehmer Sinn dazu, die alten Symbole nicht in niederem Sinne zu deuten, trotzdem sie häufig so gedeutet werden können. Dadurch aber wird Ihnen auch klar, daß wenn Gedanken aus der Elementarwelt, also die lebendigen, nicht die abstrakt toten Gedanken, die im Kopfe entstehen, sondern wenn lebendige Gedanken dem Menschen kommen, dann diese lebendigen Gedanken aus dem ganzen Menschen kommen müssen. Und das geschieht nicht durch bloßes Nachdenken. Heute glaubt man: Man kann überhaupt durch bloßes Nachdenken immer zu Gedanken kommen. Heute glaubt man: Wenn der Mensch nur nachdenkt, dann kann er über alles denken, wenn ihm nur die Dinge zugänglich sind, über die er denken will. Das ist aber ein Unsinn. Die Wahrheit ist vielmehr, daß das Menschengeschlecht in einer Entwickelung ist, und daß zum Beispiel die Gedanken, die Kopernikus, die Galilei gefaßt hat in einer bestimmten Zeit, vorher nicht durch bloßes Nachdenken gefunden werden konnten. Warum? Weil durch Nachdenken der Mensch die Gedanken fabriziert, die im Kopfe walten. Wenn aber solch ein Gedanke weltgeschichtlich auftaucht, wenn er so auftaucht, daß er als Einschlag kommt in die ganze menschliche Entwickelung hinein, dann wird er von den Göttern gegeben durch den ganzen Menschen hindurch. Dann wallt er zuerst, indem er das Luziferische überwindet, durch den ganzen Menschen und vom ganzen Menschen aus erst in den Kopf. Ich glaube, es ist das schon zu verstehen. Daher müssen bestimmte Gedanken in bestimmten Zeitaltern nur erwartet werden, wenn nicht der Mensch bloß nachdenkt, wenn dem Menschen nicht bloß durch seine Augen, seine Ohren etwas vermittelt wird, sondern wenn ihm durch sein ganzes Wesen, das ein Abbild der Hierarchien ist, etwas hereininspiriert wird aus der hierarchischen Welt.

Wenn Sie dies bedenken, dann werden Sie auch finden, daß viel gesagt ist mit dem, was gestern angedeutet worden ist. Wir leben in diesem Zeitalter, von der fünften nachatlantischen Zeit an, eben viel mehr innerlich als früher, als zum Beispiel im griechischen Zeitalter, wo die äußere Umwelt viel mehr Spirituelles hergab. Das innerliche Leben bezieht sich auf dieses Heraufkommen der Gedanken durch den ganzen Menschen. Der Umgang des Menschen mit den Göttern war in früheren

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Zeiten, im vierten nachatlantischen Zeitalter, viel äußerlicher, als er jetzt ist. Er ist jetzt viel intimer geworden. Der Mensch geht immer mit den Göttern um; nur sein Kopf weiß in der Regel nichts davon, weil der Kopf eben nur die menschlichen Gedanken faßt, eigentlich nur die Gedankenleichen. Als ganzer Mensch pflegt der Mensch immer den Umgang mit den Göttern. Aber dieser Umgang ist intimer geworden in der neueren Zeit. Daher ist sogar die Natur des Hellsehens heute von einer andern Beziehung zu den Göttern und zu den entkörperten Geistern überhaupt, als das früher der Fall war. Wenn heute die Menschenseele mit Geistern oder mit Toten verkehrt, so ist der Verkehr ein sehr subtiler. Man verkehrt mit geistigen Wesenheiten etwa so, ich möchte sagen, wie der eigene Gedanke mit dem eigenen Willen in der Seele verkehrt. Das ist sehr intim. Und diese Intimität entspricht der heutigen Zeit. Sie entspricht sowohl dem Wesen des Menschen hier auf der Erde wie auch dem Wesen der Toten, die heute durch die Pforte des Todes in die geistige Welt gehen. Damit dieser intime Verkehr eintreten konnte, mußten gewisse Beziehungen des Menschen zum Kosmos eine andere Gestalt annehmen, als sie früher hatten. Jetzt gibt es Menschen, welche ein Verhältnis haben zur geistigen Welt, das sich, wenn es bewußt wird, in viel intimerer Weise auch heute schon ausdrückt, als es sich früher ausgedrückt hat. Gewisse Fähigkeiten mußten verlorengehen, damit dieser intimere Verkehr mit den Göttern sich entwickle. Daher kam es, daß während der griechisch-lateinischen Epoche und sogar noch tief ins Mittelalter herein die Menschen, wie gesagt, noch aus der äußeren Umwelt unmittelbar Spirituelles wahrnahmen, nicht bloß wie wir heute materielle Farben sehen, materielle Töne hören, sondern in Farben und Tönen noch Spirituelles wahrnahmen. Und es war ihnen auch noch die Möglichkeit gegeben, das, was heute zum chaotischen Traum geworden ist, als Mittel zu benutzen, um in einer viel weniger subtilen Weise in die geistige Welt hineinzukommen, als das heute der Fall ist. Ich möchte sagen: Der Verkehr mit der geistigen Welt war in früheren Zeiten ein gröberer als heute; heute ist er ein feinerer geworden. Früher war verhältnismäßig leicht heranzukommen an die Geister und an die Toten. Heute haben die gewöhnlichen Träume nicht mehr denselben Wert; aber sie hatten ihn noch bis tief ins Mittelalter hinein. Manche Menschen

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bewahrten sich die Fähigkeit noch lange fort. Auch alles Geschehen ringsumher in der Ihnen geschilderten gedanklichen Elementarwelt nahmen daher die früheren Menschen traumhaft wahr. Der Mensch war nicht so abgeschlossen von der umliegenden geistigen Welt, sondern er ragte noch mit seinem Wesen hinein. Und er war sich dessen bewußt und handelte danach, verhielt sich danach.

Jetzt glaubt man natürlich an diese Dinge nur in dem Sinne, daß man sie als einen alten Aberglauben betrachtet. Aber wenn innerhalb dieses «alten Aberglaubens» etwas Bedeutsames auftritt, dann kommt die heutige Wissenschaft mit der Sache nicht mehr zurecht. Ich will nur ein Beispiel dafür anführen: Die bekannte historische Persönlichkeit Kimon hatte einen Freund Astyphilos; Astyphilos war einer, der sich auf die Deutung, auf die richtige intellektuelle Deutung von Träumen verstand, und er verkündigte dem Kimon, der vor dem ägyptischen Feldzuge von einem bösen, kläffenden Hunde geträumt hatte, seinen Tod, indem er sagte: Du hast von einem bösen, kläffenden Hund geträumt, du wirst bei diesem Feldzug den Tod erleiden. - Das erzählt Horaz.

Ein weiser Mensch der Gegenwart, der über Träume geschrieben hat, aber im materialistischen Sinn, der glaubt natürlich: Das war ein gewöhnlicher Traum des Kimon, und Astyphilos war ein Gaukler, der Träume gedeutet hat. Aber dieser moderne Gelehrte macht allerdings den merkwürdigen Zusatz: Und der Zufall hat es gewollt, daß seine Prophezeiung eintrat. - Ich könnte Ihnen Bücher vorweisen, aus denen unwiderlegbar hervorgeht, daß die Prophezeiungen eingetroffen sind. Dann sagt man: Der Zufall hat es gewollt. - Das ist nur ein Beispiel für viele. Die Menschen denken heute eben, daß die Seelen immer so waren, wie sie heute sind, und daß eigentlich eine wirkliche Entwickelung der Seelen gar nicht vorhanden sei.

Wie also die äußere Sinnesanschauung noch spiritueller war, so war gewissermaßen auch der Zusammenhang mit der umliegenden Gedankenelementarwelt noch imaginativer. Die Träume hatten noch den Wert von Imaginationen, die in die Zukunft verweisen. So wie das Gedächtnis auf die Vergangenheit verweist, so verwiesen die Imaginationen auf die Zukunft, natürlich nicht in derselben Weise. Wir müssen

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uns also die Konstitution der Seelen in früheren Zeiten ganz anders denken: Gewissermaßen durchsetzt war das gewöhnliche sinnliche Anschauen des Tagwachens von verschwimmenden Traumgebilden, die aber auf Realitäten im Gang der elementaren Welt hinwiesen. Man möchte sagen: Die materielle Welt der Sinneswahrnehmungen war noch nicht so fest mineralisch verdichtet. Da sprühte noch überall aus Farben und Tönen Spirituelles heraus. Dafür war aber auch noch die menschliche Fähigkeit vorhanden, gewissermaßen wachend zu träumen, und dieses wachende Träumen war Realität in der elementaren, objektiven Gedankenwelt. Zur Begründung und zur Erkräftigung der Freiheit des Menschen wurde eben der Mensch aus diesem Zusammenhang mit der äußeren Welt herausgesetzt, und es wurde sein inneres Leben intimer, so wie ich es Ihnen charakterisiert habe.

Nun aber müssen wir eines ins Auge fassen, das sehr wichtig ist. Man kann über die Naturerscheinungen mit Hilfe der gewöhnlichen Intellektualität nachdenken, aber man kann nicht über soziale Erscheinungen mit Hilfe der gewöhnlichen Intellektualität nachdenken; das kann man nicht. Heute glaubt der Mensch: Das Denken, das ihn befähigt, über den äußeren Verlauf der Sinnenwelt nachzudenken, das kann er auch anwenden, um soziale Gesetze, um politische Impulse zu finden. Er tut es auch vorläufig, aber sie sind auch danach. So etwas, wie Sie es noch in der römischen Geschichte lesen - und Sie könnten solche Dinge später auch noch verfolgen, wenn die Geschichte nicht gar zu sehr zu einer Legende gemacht worden wäre -, daß Numa Pompilius sich von der Nymphe Egeria zu seiner Staatseinrichtung inspirieren ließ, weist Sie darauf hin, daß man dazumal, wenn man Staatseinrichtungen machen wollte, an die Götter appellierte. Bloß durch Nachdenken politische Strukturen auszubilden, das hielt man nicht für möglich. Heute meint man, daß der einzelne allerdings nicht fähig ist, politische Strukturen auszudenken, aber wenn man den einzelnen so und so viel mal multipliziert, dann wird er schon fähig. Wenn also die erleuchteten Parlamente zusammenkommen in den modernen Demokratien, dann sind dreihundert Köpfe durch Nachdenken zu dem fähig, zu dem natürlich einer nicht fähig ist. Es widerspricht das zwar einem Satz von Rosegger, den ich schon öfter angeführt habe: «Oaner is a

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Mensch; mehre san Leut, un viele san Viecher!», aber praktisch wird man so etwas doch nicht anwenden, nicht wahr! Und denken Sie sich einmal, was die moderne aufgeklärte Welt ungefähr dazu sagen würde, wenn - nicht in der alten, aber in einer neuen Form - etwa die Mitteilung eines Tages durch die Welt ginge, daß Woodrow Wilson sich von einer Nymphe zu irgendeinem Ukas hätte inspirieren lassen.

Also diese Dinge sind zunächst anders, wenn auch nicht gerade gescheiter geworden. Es wird das allerdings schwer zu verstehen sein, aber man muß sich bekanntmachen damit, daß wirkliche, richtige Gedanken für soziale Strukturen erst dann wiederum herauskommen, wenn die Menschen an den Geist appellieren. Es braucht das nicht und wird auch nicht in der alten Form sein, aber dieses Appellieren an den Geist muß wieder stattfinden. Sonst werden die Menschen an politischen Grundsätzen, an sozialen Strukturen und Ideen bloß Nichtiges zutage fördern. Es muß das lebendige Bewußtsein entstehen, daß man in der gedankenelementaren Welt darinnen lebt und aus dieser heraus sich inspirieren lassen muß.

Heute kann man noch über diese Dinge lachen. Aber die Menschheit wird sich in Schmerzen und Leiden das Bewußtsein von der Inspiration auf dem schöpferischen Gebiete der sozialen Ordnung erringen müssen. Und damit deuten wir in einer noch intimeren Weise auf etwas hin, was von heute ab immer mehr und mehr der Menschheit notwendig sein wird.

Wenn der Mensch einsehen wird, daß er sich jetzt vorzubereiten hat, wiederum einen Anschluß zu suchen an die geistige Welt, um in das Reich von dieser Welt ein Reich hineinzubringen, das nicht von dieser Welt ist, das aber das Reich von dieser Welt überall durchdringt, dann erst wird Heil in die chaotische soziale Menschheitsstruktur hineinkommen.

Dazu wird allerdings notwendig sein, daß der Mensch die Unbequemlichkeit überwindet, sich mit dem intimen Verhältnis des Menschen zur Welt zu befassen. Für die bedeutungsvolleren Zweige des Menschenwirkens wird eintreten müssen eine Vertiefung in die Art, wie das menschliche Verhältnis zur Umwelt war im vierten nachatlantischen Zeitraum, um sich daran zu orientieren, um wirklich zu erkennen,

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daß der Mensch einmal anders zu der Umwelt stand, als er jetzt steht. Man kann das noch studieren. Es muß nur diese Legende - im schlechten Sinne Legende - einmal überwunden werden, die man heute Geschichtswissenschaft nennt. Man muß in die historische Wirklichkeit, wenigstens bis zum Mysterium von Golgatha zurückgehen. Das kann dann geschehen, wenn die äußere geschichtliche Forschung befruchtet wird von der geisteswissenschaftlichen Forschung. Da müssen sich aber die Menschen eben bequemen, sich in die geisteswissenschaftliche Forschung etwas einzuleben. Nur sind die Begriffe heute so, daß es dem Menschen manchmal ganz grotesk erscheint, wenn er anfängt, in die geistige Welt hineinzukommen, weil er eigentlich die instinktive Vorstellung hat, in der geistigen Welt müsse es gerade so aussehen wie in der sinnlichen Welt. Er will ja gar nichts anderes, als da nur eine verfeinerte sinnliche Welt finden. Daß ihm da etwas ganz anderes entgegentritt, was ihn selbst bei den kleinsten Einzelheiten überrascht, das kann der Mensch heute nicht begreifen. Ich sage Ihnen eine ganz wahre Sache.

Nehmen wir an, ein heutiger Philosoph, so ein normaler Universitätsprofessor, würde - es wäre ja ein kleines Wunder, aber nehmen wir an, daß das Wunder geschehen würde - fünf Minuten durch irgendeine Inspiration dazu kommen, an die geistige Welt die Frage zu stellen, ob er ein wirklicher Philosoph durch inneren Beruf sei. Was glauben Sie, wie diese Antwort ungefähr aussehen wird? Er würde deine Imagination haben; diese Imagination würde die richtige Antwort sein, nur muß man Imaginationen im richtigen Sinne deuten. Wirklich, ich erzähle Ihnen nichts, was nicht in unzähligen Fällen da war. Solch ein Philosoph würde nämlich die Antwort dadurch bekommen, daß ihm Eselsohren aufgesetzt würden. Und aus dieser Imagination würde er sich zu deuten haben: Also bin ich ein richtiger Philosoph. - Das ist kein Scherz, sondern das beruht darauf, daß gewisse Vorstellungen, die auf diesem physischen Plane so und so beschaffen sind, auf dem geistigen Plane die gerade entgegengesetzten sind. Eselsohren zu haben, ist auf dem physischen Plan keine Auszeichnung; in der geistigen Welt ist Eselsohren zu haben als Imagination viel mehr wert als der höchste Orden auf dem physischen Plan für irgendeinen Philosophieprofessor.

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Aber nun denken Sie sich jemand, der nur an den physischen Plan gewöhnt ist, und der plötzlich - wie gesagt, durch ein Wunder - hellsichtig würde und sich mit Eselsohren sähe: er würde glauben, daß er verhöhnt würde, er würde glauben, daß er getäuscht würde. Schon deshalb würde er das für eine bloße Illusion erklären. Selbst in Einzelheiten sieht es eben ganz anders aus in der geistigen Welt als hier in der physischen Welt, und man hat schon nötig, das, was man in der geistigen Welt erlebt, sich zu übersetzen, wenn man das Entsprechende in der physischen Welt richtig deuten will. Ich wollte mit den Eselsohren nicht bloß einen Witz machen. Lesen Sie in alten Schriften nach, so werden Sie finden: Dort sind diese Träume, die die Philosophen gehabt haben, um sich von ihrem inneren philosophischen Beruf zu überzeugen, angeführt. Das ist eine typische Darstellung, ein typischer Traum, den ich Ihnen angeführt habe. Die Philosophen haben sich dadurch, daß sie sich selber mit Eselsohren gesehen haben, davon überzeugt, daß sie wirklich den philosophischen Beruf haben.

Einiges Uberraschende, Frappierende werden die Menschen daher schon erleben müssen, wenn sie wiederum mit den Eigentümlichkeiten der geistigen Welt bekannt werden wollen. Wenn Sie «Die chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz anno 1459» lesen, so werden Sie auch manchmal das Gefühl haben: Über die grotesken Dinge darin müßten Sie lachen. - Dennoch sind sie sehr tief bedeutsam, weil der Weg, der dort angedeutet wird, eben nicht bloß mit einem sentimentalen Gesicht aufgefaßt werden muß, sondern mit einem gewissen überlegenen Humor.

Ich sagte, man könne auch in späteren Zeiten Analoges finden, wie die Belehrung des Numa Pompilius durch die Nymphe Egeria in der römischen Geschichte. Die Dinge werden heute den Menschen nicht mehr mitgeteilt; aber deshalb kennt man ja auch Geschichte wirklich nur als eine Fable convenue. Bedenken Sie, daß am Ende des 16., Beginn des 17. Jahrhunderts Jakob Böhme noch mit seinen tiefen Intuitionen auftaucht, die wirklich in großen, gewaltigen Uberschauungen Intuitionen einer älteren Zeit hereinragen lassen. Zu den Schülern des Jakob Böhme gehörten viele Menschen der späteren Zeit; und einer der letzten, bewußten Schüler Jakob Böhmes war Saint-Martin. Saint

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Martin, insbesondere in seinem Buche «Des erreurs et de la vérité», fußt ja ganz auf Jakob Böhme, nur ist es schon ein etwas verflüchtigter Jakob Böhme. Aber so viel hat er noch von dem, was aus früheren Zeiten herüberragt, daß er weiß: Will man Gedanken haben über soziale Strukturen, will man wirkliche, wirksame politische Gedanken haben, dann darf man sie nicht bloß ausdenken, dann müssen diese Gedanken aus der spirituellen Welt hereingeflossen sein. - Und Saint-Martin gibt ja in seinem Buche «Des erreurs et de la vérité» nicht bloß Gedanken über die äußere Natur und ihren Verlauf, und über die Historie und ihren Verlauf, sondern er gibt auch politische Ideen, ganz bestimmte politische Ideen. Heute, wo die Staaten die einzige politische Struktur sind, würde man sie Staatsideen nennen. Aber innerhalb dieser Auseinandersetzungen findet sich eine ganz bestimmte, bedeutungsvolle Vorstellung, und es ist bezeichnend, daß sich solch eine Vorstellung gerade an der Spitze der Politik des Saint-Martin befindet. Da spricht er von dem «ursprünglichen menschlichen Ehebruch». Dieser Ehebruch habe einmal stattgefunden in der Zeit, in welcher ein Verkehr zwischen Mann und Weib in sexueller Beziehung auf der Erde noch nicht stattgefunden hat. Also einen gewöhnlichen Ehebruch meint er nicht; er meint etwas ganz anderes, er meint etwas, worüber er einen sehr starken, dichten Schleier webt, etwas, worauf etwa die Bibel deutet, indem sie sagt: «Und die Söhne der Götter fanden, daß die Töchter der Menschen schön waren und verbanden sich mit ihnen.» Es ist ja dasjenige Ereignis, durch das dann die ganze Verwirrung in der atlantischen Welt stattfindet, das auch in einem geheimnisvollen Zusammenhang steht damit, daß der Mensch seine elementargeistige Natur versinnlicht hat. Man kann dieses Ereignis, das Saint-Martin «den ursprünglichen Ehebruch» nennt, eben nur andeuten; er deutet es auch nur an.

Aber das sieht man bei Saint-Martin, daß er die Notwendigkeit ins Auge faßt: Will man über Politik nachdenken, so darf man nicht bloß die äußeren Menschenzusammenhänge ins Auge fassen, wie man es heute tut, sondern da muß man in die Lage kommen, zurückzugehen bis in jene Zeiten, wo man über den Menschen nur etwas wissen kann, wenn man über die Sinnenwelt hinaus in die spirituelle Welt geht. Man muß eben von der spirituellen Welt aus die Grundlagen politischen

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Nachdenkens hinstellen. Das hat noch Saint-Martin am Ende des 18. Jahrhunderts gewußt - denn er ist ja erst 1804 gestorben -, und was er in «Des erreurs et de la vérité» sagt, ist auch schon ins Deutsche übersetzt worden. Das Buch gibt es auch im Deutschen. Es ist ja nicht uninteressant, das zu sagen, weil ein gewisser Pfarrer gegen uns, die wir wiederum das spirituelle Leben hier pflegen wollen, ganz in der Nähe hier gesagt hat, gegen diese Tollheiten müsse man sich erinnern an den einfachen biederen Matthias Claudius. Und dann hat er eine Strophe von Matthias Claudius zitiert, um uns zu widerlegen. Nun ist es aber just Matthias Claudius, der das Buch von Saint-Martin «Des erreurs et de la vérité» übersetzt hat, um dasjenige, was der spirituellen Wissenschaft in der damaligen Zeit entsprach, auch seinem Volke zugänglich zu machen. Der betreffende Herr bezeugte also damit nur seine kolossale Ignoranz über Matthias Claudius, abgesehen davon, daß er nur eine Strophe des Gedichts zitiert hat, denn wenn er die vorhergehende Strophe zitiert hätte, dann hätte er sich gleich selber widerlegt, aber es genügte ihm die eine Strophe, von der er glaubte, daß sie paßte, um sie gegen die Anthroposophie zu zitieren.

Also Saint-Martin weiß noch im 18. Jahrhundert, daß eine Brücke da sein muß zwischen den Gedanken der Menschen und dem spirituellen Wissen, den spirituellen Einwirkungen von höheren Welten, wenn man fruchtbare politische Gedanken haben will. So gottverlassen wie das 19. Jahrhundert, wie der Beginn des 20. Jahrhunderts, war eigentlich kein früheres Jahrhundert. Es ist wichtig, daß man das ins Auge faßt. Aber auch so eitel auf seine Gottverlassenheit war kein früheres Jahrhundert. Allerdings, wenn die Menschen heute die Staatskunst, die Saint-Martin vertritt, lesen würden - ich glaube, allen, die jetzt als die Gescheiten zusammensitzen und die Geschicke der Welt lenken wollen, würde sich der Magen umdrehen. Denn es besteht einmal heute die Tendenz, sich möglichst wenig bekanntzumachen mit dem, was rings um uns herum wirklich ist. Nun kann man allerdings aus dem Bewußtsein die spirituell-lebendigen Gedanken streichen, man kann beschließen, nur mit Gedankenleichen zu operieren. Aber das Tun der Menschen richtet sich nicht danach. Das, was die Menschen tun, das wird eingesponnen in die lebendigen Gedanken. Und wenn dann die

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Menschen mit ihren Gedankenleichen den lebendigen Gedanken gar nicht nachleben wollen, dann kommt eben das Chaos heraus. Dieses Chaos muß überwunden werden. Dazu sind jene klaren Einsichten notwendig, von denen ich jetzt auch in diesen Vorträgen wiederholt gesprochen habe. Dazu ist aber in mancher Beziehung eine völlige Umkehr nötig von dem, was gerade heute als das Richtige, als das Idealste angesehen wird.

Vor allen Dingen wird eine solche Umkehr recht bald notwendig sein, ja am besten wäre es, wenn diese Umkehr in der unmittelbaren Gegenwart im weitesten Umkreise da eintreten würde, wo es sich darum handelt, die Erzieher der Menschen - für die jüngsten und auch für die älteren Menschen - zu bestimmen. Denn auf keinem Gebiete ist die Menschheit so materiell geworden wie gerade auf dem Gebiete des Erziehungswesens.

Lassen Sie mich zum Schluß den Gedanken hinstellen, der uns in der nächsten Zeit beschäftigen wird, denn er ist für alle Menschen sehr interessant und sehr wichtig. Lassen Sie mich aber ihn so hinstellen, daß Sie ihn zunächst einmal ein paar Tage, ich möchte sagen, in Ihrer eigenen Seele umwenden können, damit Sie dann besser vorbereitet zu der Betrachtung dieses Gedankens sind.

Die Kinder, wie sie heute ins Leben treten, wir müssen sie ja so betrachten, daß wir eigentlich wissen: Es ist ein vertrocknendes, ein sich zersplitterndes Äußeres, wie ich es in diesen Tagen auseinandergesetzt habe. Aber tief im Innern ist etwas, was erst der wahre Mensch ist, was sich nicht mehr so wie bis ins 15. Jahrhundert herein im Äußeren zum Ausdruck bringt. Bekanntmachen wird man sich immer mehr und mehr müssen damit, daß gerade beim Kinde aus der Art, wie es sich darlebt, aus der Art, wie es denkt und spricht und Gesten macht, nicht voll der innere Mensch äußerlich erschlossen werden kann. Es kommt eben nicht mehr der innere Mensch im Äußeren ganz zum Ausdruck, und am ersten zeigt sich das am Kinde. Das Kind ist vielfach heute schon etwas ganz anderes, als was es äußerlich zum Ausdruck bringt. Man hat sogar schon extreme Fälle. Kinder können äußerlich aussehen wie die ungezogensten Rangen, und in ihnen kann ein so guter Kern stecken, daß sie die wertvollsten Menschen später werden, während man zahlreiche brave Kinder

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finden kann, die nicht ein bißchen ungezogen sind, die nicht einen Finger in den Mund stecken und auch nicht lange Nasen machen, die auch gut lernen, die vielleicht einmal gute Bankdirektoren werden, gute Schullehrer nach heutigen Begriffen, namentlich auch gute Juristen, die aber halt keine brauchbaren Menschen werden - verzeihen Sie das harte Wort -, weil sie nicht die innere Harmonie mit sich selber und der umgebenden wahren Welt finden. Gerade auf pädagogisch-erzieherischem Gebiete muß zuerst der Grundsatz Platz greifen, daß der Mensch heute innerlich etwas wesentlich anderes ist, als was äußerlich zum Ausdruck kommt. Das aber bedingt, daß man zukünftig die Pädagogen, die Erzieher nicht so bestimmt, wie man sie jetzt bestimmt, sondern nach ganz andern Grundsätzen. Denn das Hineinsehen in ein Inneres, das sich nicht im Äußeren ausdrückt, erfordert ja etwas prophetische Gabe. Also wird es notwendig sein, die Examina für die Pädagogen so einzurichten, daß man diejenigen Menschen, die intuitive, prophetische Gaben haben, besonders gut durchkommen läßt, und diejenigen, die nicht solche intuitive, prophetische Gaben haben, durchplumpsen läßt durchs Examen, so viel sie auch sonst wissen.

Man ist heute weit davon entfernt, auf die prophetischen Gaben der Menschen zu sehen, wenn man sie für den Erzieherberuf erzieht. Aber man ist eben von vielem, das eintreten muß, heute recht weit entfernt. Dennoch wird man sich durch den Zwang der Menschheitsentwickelung dazu entschließen müssen, solchen Grundsätzen allmählich zu huldigen. Allerdings, mancher materialistisch Denkende der heutigen Zeit würde es als einen ganz verrückten Gedanken betrachten, wenn gesagt wird: Die Pädagogen sollen Propheten werden. - Aber es wird nicht immer so bleiben. Die Menschen werden gezwungen werden, gerade solche Dinge anzuerkennen.

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SIEBENTER VORTRAG Dornach, 12. Oktober 1917

Um den Problemen, die wir in diesen Betrachtungen angeschlagen haben, immer näherzukommen, wollen wir heute noch einige Zwischenbetrachtungen einschieben. Sie alle kennen gewiß ein scherzhaftes Experiment, welches von Prestidigitateuren sehr häufig gemacht wird: Die Betreffenden zeigen Gewichte, schwere Gewichte, und zeigen die Anstrengungen, die sie aufwenden müssen, um diese Gewichte zu heben. Auf den Gewichten stehen dann gewöhnlich, damit die Sache noch glaubhafter erscheint, Zahlen, so und so viele Zentner oder Kilogramm oder dergleichen. Nachdem sich der Betreffende dann eine Weile angestrengt hat, um diese Gewichte langsam zu heben und das Publikum seine Muskelkraft bewundert hat, hebt der Betreffende im Flug die Gewichte, oder läßt sogar einen kleinen Knaben herein, und der läuft dann davon, indem er mit den Gewichten irgendwie herumpendelt, weil das Ganze aus Papiermaché ist und nur durch die Nachahmung der Form und durch die Zahlen darauf den Eindruck macht, als ob es wirkliche Gewichte seien.

An dieses Experiment kann man heute sehr häufig erinnert werden, wenn man ein wenig mit geisteswissenschaftlicher Bildung ausgerüstet ist und dann vernimmt, was unsere Zeitgenossen, auch die geistvolleren, über geschichtliche Ereignisse oder geschichtliche Persönlichkeiten sagen und schreiben. Es geht uns selbst so bei denjenigen Biographen und Geschichtsschreibern, welche im Sinne der heutigen Zeit ihre Aufgabe ganz vorzüglich erledigen. Mit geisteswissenschaftlicher Bildung kann man eine Zeitlang eine starke Befriedigung haben von der Schilderung, die man da bekommt. Aber dann, wenn man zuletzt das Ganze noch einmal auf seine Seele, wirken läßt, dann kommt es einem so vor, als wenn mit dem ganzen geschilderten Kram irgendein kleines Kind davonlaufen und es schüttelnd schwingen würde.

Das ist eine Empfindung, die vielleicht nicht gerade viele Menschen haben, obwohl ich instinktive Anklänge doch schon bei einer größeren Anzahl von Menschen gefunden habe gegenüber geschichtlichen Be-

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schreibungen der heutigen Zeit. Die ganze römische Geschichte und namentlich die griechische Geschichte, wie sie heute geschildert werden, gehören eigentlich auf das Gebiet, das in dieser Weise charakterisiert werden kann. Und ich muß zum Beispiel sagen, daß Geschichtsschreiber eines gewissen Gebietes, die ich außerordentlich hoch verehre, trotzdem diesen Eindruck auf mich machen. Ich verehre zum Beispiel ganz außerordentlich Herman Grimm als Geschichtsschreiber, wie ja aus manchen meiner Vorträge Ihnen hervorgehen kann. Allein wenn ich sein Buch über Goethe oder über Michelangelo oder Raffael nehme, dann erscheinen mir diese Gestalten ganz so, wie wenn sie - ich will jetzt vergleichsweise sprechen - kein Schwergewicht hätten, oder wie wenn sie bloß hinhuschende Schatten wären. Der ganze Goethe des Herman Grimm, der ganze Michelangelo des Herman Grimm sind schließlich Figuren aus der «Laterna magica», die auch keine Schwere haben.

Woher kommt denn dieses? Das kommt davon her, daß diejenigen Menschen, die heute nur ausgerüstet sind mit der Bildung, mit dem Geistgehalt der Gegenwart, trotzdem sie zumeist meinen, die Wirklichkeit zu schildern, keine rechte Ahnung von der wahren Wirklichkeit haben. Die Menschen stehen heute so unendlich fern der wahren Wirklichkeit, weil sie dasjenige, was auch immer um uns herum ist und was den Gestalten allerdings keine physische Schwere, aber geistiges Gewicht gibt, weil sie das nicht kennen.

Bedenken Sie, daß gerade in diesen Wochen ja gewiß hundertfältig, vielleicht tausendfältig Luther geschildert wird. Sehr geistvoll selbstverständlich; geistvoll sind ja die Menschen meistens, die heute schreiben. Das meine ich ganz aufrichtig. Aber dieser Luther, der von unseren Zeitgenossen beschrieben wird, der wird so beschrieben, wie das Bild ist, das wir von einem solchen Gewicht aus Papiermaché haben, weil der Schilderung gerade dasjenige fehlt, was den Gestalten die Schwere gibt. Man kann sagen: Wenn man hier auf einem Stuhl sitzt und den Mann vor sich hat, der die Gewichte hebt, so sieht man doch ganz dasselbe, ob es nun Gewichte aus Papiermaché oder ob es wirkliche Gewichte sind. Sogar wenn man malen würde, was man sieht: es käme auf dasselbe heraus. Das Gemälde könnte ganz wahr sein, trotzdem es von Gewichten aus Papiermaché genommen ist. So können

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Persönlichkeiten der Geschichte im eminentesten Sinne wahr geschildert sein, zum Beispiel Luther, und es kann den Zeitgenossen, die sich so viel zugute tun auf ihren Realismus, außerordentlich gut gelungen sein, zahlreiche Einzelheiten, zahlreiche charakteristische, signifikante Dinge zu sagen, die ein geistvolles Bild geben, aber das Bild braucht nicht der Wirklichkeit zu entsprechen, weil das geistige Gewicht fehlt.

Wann versteht man heute Luther wirklich? Man versteht ihn dann wirklich, wenn man weiß, wie die innere Beschaffenheit, die von unseren Anschauungen ganz unabhängige innere Beschaffenheit der Luther-Persönlichkeit war, wenn man weiß, daß Luther kurze Zeit nach dem Aufgang der fünften nachatlantischen Zeit aufgetreten ist, und wenn man weiß, daß in seinem Gemüt, in seiner Seele alles an Impulsen eines Menschen der vierten nachatlantischen Zeit lebte. Er war deplaciert in der fünften nach atlantischen Zeit, er fühlte, dachte, empfand wie ein Mensch der vierten nachatlantischen Zeit; aber er hatte vor sich die Aufgabe der fünften, denn er stand gerade am Anfang der fünften nachatlantischen Zeitrechnung. So ist in den Anfang der fünften nach- atlantischen Zeit, in den Horizont der fünften nachatlantischen Zeit ein Mensch hineingestellt, der eigentlich alle Eigenschaften der vierten nachatlantischen Zeitperiode als Impulse in seinem Gemüt hatte. Und unbewußt, instinktiv lebte in dieser Luther-Seele der Aspekt, der Hinblick auf dasjenige, was die fünfte nachatlantische Periode bringen sollte.

Was sollte sie denn bringen? Den gesamten Materialismus, den nur überhaupt die nachatlantische Zeit der Menschheit bringen kann. Der Materialismus sollte auf allen Gebieten nach und nach in die Menschheit eindringen. Paradox ausgedrückt - Paradoxa geben natürlich niemals ganz genau den Tatsachenbestand, aber man kann sich schon den Tatbestand aus ihnen herausnehmen -, könnte man sagen: Weil Luther in seinen Gemüts- und Gefühlsimpulsen ganz und gar in der vierten nachatlantischen Zeitepoche wurzelte, verstand er eigentlich nicht, was die materialistischen Menschen der fünften nachatlantischen Zeitepoche in ihrem Innersten in der Seele trugen. Vor seiner Seele stand wohl instinktiv, mehr oder weniger unbewußt, die Art der Konflikte, wie die Menschen der fünften nachatlantischen Zeitperiode zu der äußeren

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Welt stehen würden, wie sie handeln würden in der äußeren Welt, wie sie verknüpft sein würden mit den Werken der äußeren Welt; aber das alles ging ihn eigentlich nichts an als einen Menschen, der im Sinne der vierten nachatlantischen Zeitperiode fühlte. Daher sein entschiedenes Betonen: Aus all dem Verkehr mit der Außenwelt, aus all dem Werkzusammenhang mit der Außenwelt kann nichts Gutes kommen. Ihr müßt euch lösen von diesem Werkzusammenhang, lösen von alldem, was die Außenwelt gibt, und müßt allein in eurem Gemüt den Zusammenhang mit der geistigen Welt finden. Nicht aus dem, was ihr wissen könnt, sondern aus dem, was ihr glauben könnt als herauswachsend aus eurem Gemüt, aus eurer Seele, müßt ihr die Brücke bauen zwischen der geistigen Welt und der irdischen. Aus diesem Nicht-Verbundensein mit der Umwelt entsprang das Betonen Luthers eines nur inneren Glaubenszusammenhangs mit der geistigen Welt.

Oder nehmen Sie ein anderes: Vor Luthers geistigem Auge war in gewisser Beziehung die geistige Welt offen. Seine Teufelserscheinungen haben nicht nötig, entschuldigt zu werden, wie das Ricarda Huch tut, die aber sonst in ihrem Buch sehr verdienstvoll über Luther geschrieben hat. Aber seine Teufelserscheinungen haben nicht nötig, heute so entschuldigt zu werden, daß man sagt: Er glaubte nicht an den Teufel mit dem Schwanz und Hörnern, wie er auf der Straße herumlaufe. - Er hatte die wirkliche Erscheinung des Teufels. Er wußte, was diese ahrimanische Natur für eine Wesenheit ist; das wußte er gut. Vor seinem geistigen Auge war noch, wie beim Menschen der vierten nachatlantischen Periode, die geistige Welt bis zu einem gewissen Grade offen, gerade für diejenigen Erscheinungen offen, die natürlich wiederum die wesentlichsten der fünften nachatlantischen Zeit sind. Und die wesentlichsten geistigen Kräfte der fünften nachatlantischen Zeit sind die ahrimanischen. Die sah er daher. Die Menschen der fünften nachatlantischen Periode dagegen haben die Eigentümlichkeit, daß sie unter dem Einfluß dieser Mächte stehen, aber sie nicht sehen. Weil aber Luther gewissermaßen aus der vierten nachatlantischen Zeitperiode hereinversetzt war, sah er die Mächte und betonte sie entsprechend. Und wenn man das nicht ins Auge faßt, dieses konkrete Zusammenhängen mit der geistigen Welt, versteht man ihn eben nicht.

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Wenn Sie ins 15., 14., 13., 12. Jahrhundert zurückgehen, Sie finden überall die Einsicht in die materiellen Verwandlungen. Was später geschrieben worden ist, ist ja zum größten Teil Schwindelliteratur, weil die eigentlichen einschlägigen Geheimnisse mit dem Ablauf der vierten nachatlantischen Zeit verlorengegangen sind. Aber alles ist ja nicht Schwindelliteratur, und es ergoß sich manches Richtige hinein, was schwer aufzufinden ist; nur ist es eben nicht gerade hervorragend, namentlich was in späterer Zeit gedruckt worden ist. Die entsprechenden Geheimnisse waren eben verlorengegangen. In der Zeit aber, in der die Geheimnisse von der Alchimie bekannt waren, in der Zeit des vierten nachatlantischen Zeitraums, da konnte man sehr gut auf kirchlichem Gebiete von der Transsubstantiation, von der Verwandlung des Brotes und des Weines in den Leib und in das Blut sprechen, denn man konnte mit diesen Worten noch bestimmte Begriffe verbinden. Luther war verwoben mit der Denkweise, mit der Empfindungsweise der vierten nachatlantischen Zeit, aber hineingestellt war er in die fünfte nachatlantische Zeit. Er mußte daher die Transsubstantiation herausheben aus dem physischen, materiellen Verwandlungszusammenhang. Und was wurde für ihn das Sakrament, die Transsubstantiation? Ein bloß im Geistigen vor sich gehender Prozeß. Es wird nichts verwandelt, so sagt er, sondern nur, indem das Abendmahl gereicht wird, geht in den Gläubigen der Leib und das Blut Jesu Christi über. - Alles, was Luther sagt, alles, was Luther denkt und empfindet, das ist deshalb gesagt, gedacht und empfunden, weil er ein Mensch mit der Gemütsverfassung der Menschen des vierten nachatlantischen Zeitraums, ist: der rettet sich den Zusammenhang, den geistigen Zusammenhang, den die Menschen des vierten nachatlantischen Zeitraums mit den Göttern gehabt haben, in das fünfte, gottlose Zeitalter herein, in das materialistische, in das geistig leere, glaubenslose, wissensleere Zeitalter herein.

Da bekommt Luther geistiges Gewicht, da weiß man, warum er dies oder jenes sagt, ganz unabhängig von dem Eindruck, den er heute auf uns macht. Da steht er drinnen in der Außenwelt wie das Gewicht, das wirkliche Schwerehat. Und da können nun hundert und tausend gegenwärtige Theologen oder Geschichtsschreiber kommen und können ihre Eindrücke schildern: die Persönlichkeit, die gewichtige Persönlichkeit

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gibt das nicht, sondern nur das, was einer auch machen kann, der nicht ein solches wirkliches Gewicht hält, sondern eines, das nur aus Papiermaché besteht.

Sie sehen, worauf es ankommt für die gegenwärtige Zeit. Es kommt darauf an, ein Bewußtsein zu erringen von den Faktoren, die der Umwelt geistiges Gewicht geben, ein Bewußtsein davon, daß Geist in allem lebt, und daß man diesen Geist nur findet, wenn man ihm mit Geisteswissenschaft beizukommen versucht. Sie können natürlich noch so viele Dokumente sammeln und Notizen aufkritzeln über Luther, Sie können ein im äußeren Sinne genaues Bild geben: er bleibt, vergleichsweise, die Gestalt aus Papiermaché, wenn Sie nicht wirklich auf das losgehen können, was der Gestalt geistiges Gewicht gibt. Nun kann wieder gesagt werden: Hart ist es doch, daß die geistvollsten Menschen Schilderungen geben müssen, die vergleichsweise als Gewichte aus Papiermaché bezeichnet werden können. Und wenn das so war, die Schilderungen waren doch wahrhaft schön, vielfach befriedigend, soll das jetzt auf einmal anders werden? Könnte man sich denn nicht auch weiter erfreuen an solchen Schilderungen?

Sie sehen, zwei Fragen springen da für unseren Bewußtseinszustand hervor, die uns recht sehr bewegen können. Warum hat denn die geistige Welt von den Menschen solche Instinkte verlangt, die zu diesen Schilderungen führen? Nun, es ist ja eigentlich mit diesen Dingen nur auf eine sehr, sehr allgemeine Erscheinung hingedeutet, die innig zusammenhängt mit der Menschennatur. Ich habe in diesen Betrachtungen darauf hingewiesen, daß wir schon einmal in der Zeit leben, in der gewisse Wahrheiten herauskommen müssen, die den Menschen nicht bequem sind. Wenn man aber die Zeichen der Zeit versteht, so weiß man, daß diese Wahrheiten herauskommen müssen.

Ich habe für das nächste Heft der Zeitschrift «Das Reich» den ersten Teil meiner Abhandlung über «Die chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz, geschrieben. Da habe ich auf einzelne solcher Wahrheiten leise hingedeutet. Es war noch vor ganz kurzer Zeit verpönt bei denen, die von diesen Dingen wußten, öffentlich davon zu sprechen. Heute muß von diesen Dingen gesprochen werden, was es auch für Unbequemlichkeiten bringen kann. Und gerade mit dem, was ich jetzt

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hier andeuten will, hängt eine kurze Stelle in diesem Aufsatz, der demnächst im «Reich» erscheinen wird, zusammen.

Gehen wir Menschen denn nicht überhaupt so durch die Welt, daß wir über die uns unmittelbar umgebenden Dinge zunächst kein vollgewichtigesWissen haben? Ich denke, davon kann sich jeder bald überzeugen. Wir gehen ja zumeist durch die Welt, indem wir uns hauptsächlich des Sinnes unserer Augen bedienen; und wenn wir nicht andere Erfahrungen hinzumachen würden, könnten wir niemals eigentlich mit vollständiger Sicherheit wissen, ob irgend etwas, was wir sehen, ein großes oder geringes Gewicht hat. Wir müssen es erst aufheben und probieren. Denken Sie, bei wieviel Dingen Sie gar nicht wissen können, ob es gewichtig ist, oder ob, wenn Sie es aufheben, es ganz luftig ist. Und schließlich, wenn Sie wissen, daß es nicht luftig ist, so rührt das auch nicht vom Anschauen her, sondern es rührt davon her - Sie denken nur nicht darüber nach, es bleibt im Unterbewußten -, daß Sie so etwas schon einmal gehoben haben und den ganz unbewußt instinktiven Schluß machen: Wenn das so aussieht, wie immer so etwas ausgeschaut hat, das so und so schwer ist, so wird das hier auch so sein. Das Anschauen allein liefert Ihnen gar nichts.

Was liefert Ihnen das Anschauen eigentlich? Die Täuschung. Indem Sie nur durch einen Sinn die Welt anschauen, sind Sie überall der Täuschung unterworfen. Täuschung ringsherum! Und nur dadurch überheben Sie sich der Täuschung, daß Sie unbewußt, instinktiv Ihre Erfahrung zu Rate ziehen. Also ist eigentlich die Welt ganz darauf aus, uns zunächst zu täuschen, schon in der äußeren Sinneswelt. Wir leben, im Grunde genommen, in einer Welt, die uns fortwährend täuscht, die geradezu darauf ausgeht, uns zu täuschen. Die Täuschung kann heute recht naturalistisch sein. Maler, Bildhauer, die gehen darauf aus, für einen Sinn irgend etwas hin zustellen. Sie bedenken dabei nicht, daß sie damit nur die Maja, nur die Täuschung hinstellen; denn gerade wenn man versucht, recht realistisch für einen Sinn die Sache hinzustellen, stellt man nur die Täuschung, nur die Maja hin. Aber das ist notwendig, denn wenn diese Täuschung nicht da wäre, so könnten wir nicht im Bewußtsein vorwärtsschreiten. Dieser Täuschung verdanken wir das Vorwärtsschreiten im Bewußtsein. Wenn ich bei meinem Beispiel

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von der äußeren Sinneswelt verbleibe: Würden alle Dinge, auch wenn sie nur dem Auge erscheinen würden, in ihrem wahren Gewicht erscheinen, würde ich stets, indem ich mit dem Auge herumschaue, die Last empfinden all der Gegenstände, die ich anschaue, könnte ich doch nicht ein Bewußtsein von der Außenwelt entwickeln, ganz selbstverständlich nicht. Wir verdanken unser Bewußtsein der Täuschung. Auf dem Grund der Dinge, die unser Bewußtsein ausmachen, ruht die Täuschung. Wir müssen getäuscht werden, um vorwärtszukommen, um das Bewußtsein vorwärtszubringen, denn das Bewußtsein ist ein Kind der Täuschung. Die Täuschung darf nur zunächst nicht hereindringen in den Menschen, sonst wird er beirrt. Die Täuschung bleibt jenseits der Schwelle des Bewußtseins. Der Hüter bewahrt uns davor, daß wir bei jedem Schritt und Tritt sogleich sehen, daß die Umwelt uns täuscht. Wir ringen uns empor, indem uns die Welt ihr Gewicht nicht zeigt und uns dadurch über sich erheben läßt, bewußt sein läßt. Das Bewußtsein hängt noch von manchen andern Dingen ab; aber es hängt vor allem davon ab, daß die Welt, die uns umgibt, durchsetzt ist von der Täuschung.

Aber, so notwendig es ist, daß eine gewisse Zeit hindurch die Täuschung walte, damit das Bewußtsein erzeugt wird, so notwendig ist es auch, daß man, wenn das Bewußtsein erzeugt wird, auch wiederum über die Täuschung hinauskommt, namentlich auf bestimmten Gebieten. Denn da das Bewußtsein auf der Maja, auf der Täuschung beruht, so kann es nicht an die wahre Wirklichkeit herankommen. Es müßte immer wieder solchen Verwechslungen unterworfen sein, wie ich sie angedeutet habe. Also, es müssen Perioden abwechseln: Perioden der Schilderung gewichtsloser Verhältnisse und Persönlichkeiten, und Perioden, wo wiederum die Gewichte, geistige Gewichte, gesehen werden. Jetzt stehen wir mit Bezug auf die großen Weltereignisse vor einer solchen Periode, und stehen auch mit Bezug auf die alltäglichen Erscheinungen vor einer solchen Periode: Wir sind jetzt darauf angewiesen, die Dinge zu durchschauen, die auf diesem Gebiete ernstlich in Betracht kommen.

Eine Sache ist nun von ganz besonderer Gewichtigkeit: Wenn heute die Welt den Blick nach dem Osten richtet, nach dem, was da eigentlich

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lebt im europäischen Osten, dann sieht die europäische Welt, die mitteleuropäische Welt, dann sieht Amerika diese Welt des europäischen Ostens gerade so, wie einer Gewichte sieht, die aus Papiermaché sind: sie sieht nicht das, was an geistiger Schwere eigentlich darin liegt. Ja, es ist durchaus so, daß die Menschen, die im europäischen Osten selber leben, auch nicht eine rechte Ahnung haben von dem, was geistig in diesem europäischen Osten lebt. Geradeso wie man Luther kennen kann, der als Mensch in seinem Inneren der vierten nachatlantischen Zeit angehört, aber hereingestellt ist in den Ausgangspunkt der fünften nachatlantischen Zeit, so muß die Welt kennenlernen, wie die Geistigkeit dieses europäischen Ostens sich eigentlich verhält, weil das der Art entspricht, wie man sich betätigen muß in der fünften nachatlantischen Zeit. Nehmen Sie alles das, was in den verschiedenen Vorträgen und Vortragszyklen über diesen europäischen Osten gesagt worden ist, wie sich da das Geistselbst heraufarbeitet, wie es sich verbinden muß mit der Bewußtseinsseele des Westens, und nehmen Sie dazu, daß sich da vorbereiten die Impulse für den sechsten nachatlantischen Zeitraum, dann haben Sie dasjenige, was dem europäischen Osten als Gewicht gebend entspricht. Und nehmen Sie dagegen alles das, was an noch so geistvollen Schilderungen Ihnen die Leute heute sagen, dann haben Sie jene Gewichte, die ebensogut aus Papiermaché gemacht werden können. Aber handeln kann man nicht mit dem, was in der Maja, in der Täuschung vorhanden ist; handeln kann man nur mit dem, was in der Wirklichkeit vorhanden ist. Sie würden sich selbstverständlich bedanken, wenn Ihnen der Kaufmann statt wirklicher Gewichte, Gewichte aus Papiermaché auf die Waage legte. Da verlangen Sie schon, daß das nicht nur so aussieht, sondern daß es ein wirkliches Gewicht hat. Alle politischen Grundsätze, alle politischen Impulse, über die im Zusammenhang mit Rußland geredet wird, werden nichts sein, werden Nullitäten sein, wenn sie nicht aus dem Bewußtsein heraus kommen, das sich durch die Erkenntnis der geistigen Gewichtigkeit ergibt. Was die Leute heute reden, kommt einem wirklich so vor, wie wenn sie auf die Waage der Weltgeschichte Gewichte aus Papiermaché legen würden. Weil Bewußtsein sich entwickeln muß, muß Täuschung in einer gewissen Periode herrschen. Dann aber, wenn das Bewußtsein sich entwickelt hat,

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dann darf es nicht durch Schlendrian und Bequemlichkeit weiter angewendet werden in der alten Weise, sondern dann muß es sich auf die Wirklichkeit richten, nicht bloß auf die äußere Täuschung. Ein Übergang wird stattfinden müssen von Anschauungen, welche die Menschheit liebt, weil sie ihr heute bequem sind, zu Anschauungen, die eine viel größere Lebendigkeit der Begriffe haben, die nur unbequemer sind, weil sie auch aufrütteln. Es läßt sich nicht so bequem leben mit den Anschauungen der Zukunft wie mit den bisherigen Anschauungen. Warum denn nicht? Das möchte ich Ihnen durch einen Vergleich sagen, der Sie wiederum wahrscheinlich frappieren wird. Aber ich will nicht davor zurückschrecken, auch solche Dinge zu sagen, ganz gleichgültig, was der eine oder der andere über die entsprechenden Wahrheiten empfindet.

Ich habe ja schon darauf hingedeutet, daß in früheren Zeiträumen, noch im vierten nachatlantischen Zeitraum, für die Menschen Kräfte vorhanden waren, die eben heute verwandelt sind, die andere geworden sind. Ich sagte ja, selbst das Hellsehen ist heute ein anderes geworden, beruht auf andern Dingen. Gewisse Dinge können sich nicht mehr so vollziehen, wie sie sich zum Beispiel noch im vierten nachatlantischen Zeitalter vollzogen haben, wie etwa unter mancherlei anderem das Folgende.

Im vierten nachatlantischen Zeitraum - die Menschen wissen heute davon nur durch Erzählungen, die sie selbstverständlich nicht glauben -, da gab es Feuerproben. Sie bestanden darin, daß man versuchte, die Schuld oder Unschuld dieses oder jenes Menschen dadurch herauszubekommen, daß man ihn über einen glühenden Rost gehen ließ. Verbrannte er sich, so sah man ihn für schuldig an, verbrannte er sich nicht, ging er ungefährdet über die Glut, so hielt man ihn für unschuldig. Für die heutigen Menschen ist das selbstverständlich alter Aberglaube, aber wahr ist es. Es ist nur eine von denjenigen Eigenschaften, die früher die Menschen gehabt haben, die sie jetzt nicht mehr haben können. Die Menschennatur hatte früher diese Eigenschaft: Wenn ein Unschuldiger in dem feierlichen Moment, der sich da bot, so durchdrungen war von seiner Unschuld, so sich wußte im Schoße der göttlichen Geister, so fest in seinem Bewußtsein zusammenhing mit der geistigen Welt, daß sein

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Astralleib herausgeholt wurde aus dem physischen Leib, dann konnte er mit dem physischen Leib über Gluten gehen. Das war schon so in früheren Zeiten. Das ist Wahrheit. Es ist ganz gut, wenn Sie sich einmal in der bestimmtesten Weise klarmachen, daß dieser alte Aberglaube auf einer Wahrheit beruht - wenn es auch nicht gerade vorteilhaft ist, daß Sie diese intimeren Wahrheiten gleich morgen dem Pfarrer erzählen.

Ja, diese Dinge sind aber verwandelt. Solch ein Mensch, der seine Unschuld in einer gewissen Weise zu beweisen hatte, der konnte unter Umständen über Gluten geführt werden. Aber Sie können ganz sicher sein, im allgemeinen haben sich die Menschen auch damals vor dem Feuer gefürchtet, sind nicht gern über glühende Roste gewandelt. Das war auch schon dazumal so, daß im allgemeinen ihnen das Schaudern erregte, nur eben denen nicht, die damit ihre Unschuld beweisen konnten. Aber etwas von der Kraft, die die Menschen früher durch die Gluten geführt hat, ist jetzt innerlicher geworden, innerlicher in dem Sinne, wie ich von der Verinnerlichung überhaupt das letzte Mal gesprochen habe. Und gerade das Hellsehertum der fünften nachatlantischen Zeitperiode, das Zusammenhängen mit der geistigen Welt beruht auf denselben, nur verwandelten Kräften, auf denen früher das Durchgehen durch das Feuer beruhte. Es sind nur diese Kräfte innerlicher geworden.

Will man heute mit gewissen Faktoren der geistigen Welt zusammenkommen, so muß man eine ähnliche Scheu überwinden, wie man sie in früheren Zeiten zu überwinden hatte, wenn man durch das Feuer ging. Das ist der Grund, warum sich heute viele Menschen vor der geistigen Welt fürchten wie vor dem Feuer. Man kann gar nicht einmal sagen, daß es bloß bildlich ist, daß sie das Verbrennen fürchten; sie fürchten wirklich, sich zu verbrennen. Darauf beruht die Gegnerschaft gegen Geisteswissenschaft: die Leute fürchten, sich zu verbrennen. Aber der Zeitenfortschritt verlangt von uns, daß wir an das Feuer allmählich herankommen, daß wir die Wirklichkeit nicht scheuen. Denn das verinnerlichte Leben, wie ich es in den letzten Betrachtungen dargestellt habe, verlangt in vielen Faktoren, zunächst wenigstens - im weiteren Verlaufe wird es ja immer stärker werden -, ein leises Herandrängen an die geistige Welt, ein Sich-Nähern der geistigen Welt auf allen

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Gebieten, insbesondere eben auf dem Gebiete des Erziehungswesens.

Auf dem Gebiete des Erziehungswesens wird man sich überzeugen müssen, daß ganz andere Faktoren werden in Betracht kommen müssen, als man aus dem größten Aufschwung des materialistischen Zeitalters heraus gewinnen kann. Man wird sich überzeugen müssen, daß vieles von dem, was man eigentlich im eminentesten Sinne für richtig halten muß aus der materialistischen Lebensauffassung heraus - die ja aber auf den Sinnen beruht und insofern auf der Maja, der Täuschung -, daß vieles von dem geradezu verleugnet und durch das Entgegengesetzte ersetzt werden muß. Heute stellt man sich ja gerade auf dem Erziehungsgebiet so ungeheuer stark vor, daß es wichtig ist, dem Erzieher, dem Lehrer möglichst viel von der Methodik beizubringen. Überall weist man darauf hin: Das muß so gemacht werden, und das muß so gemacht werden. - Man strebt danach, recht festgeregelte Begriffe darüber zu entwickeln, wie man erziehen soll. Die Schablone schwebt ja überhaupt den heutigen Menschen vor. Es wäre ihnen am liebsten, das Bild so eines idealen Erziehers aufzustellen, das sie dann jederzeit haben könnten. Aber das einfachste Nachdenken über sich selbst könnte einen eigentlich über diese Frage aufklären. Fragen Sie sich einmal mit dem Grade von Selbsterkenntnis, dessen Sie fähig sind, was aus Ihnen geworden ist - bis zu einem gewissen Grade geht es schon, daß man sich vorhält, was aus einem geworden ist -, dann fragen Sie sich, wie die Lehrer, die Erzieher ausgesehen haben, die in Ihrer Jugend auf Sie gewirkt haben. Oder wenn das vielleicht schlecht geht, versuchen Sie einmal, eine bekannte, bedeutendere Persönlichkeit ins Auge zu fassen, und dann zu deren Erziehern vorzurücken, ob Sie die Bedeutung dieser Erzieher in irgendwelchen Einklang bringen können mit dem, was diese Persönlichkeit geleistet hat.

Es wäre ganz interessant, wenn man in Biographien mehr von den Erziehern redete; da käme manches Interessante heraus. Nur würde man wenig Aufschluß darüber gewinnen, was durch die Erzieher geleistet worden ist, damit diese Persönlichkeiten gerade so geworden sind, wie sie sind. Meistens würde es da so gehen, wie zum Beispiel bei Herder, der ein bedeutender Mensch geworden ist, und von dem einer seiner bekanntesten Lehrer ein gewisser Rektor Grimm war: Der hat

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die Buben immer furchtbar durchgehauen. Nun, von diesem Durchhauen ist Herders Tüchtigkeit nicht gekommen; er war ein braver Junge und ist wenig verprügelt worden. Also die allgemeine Eigenschaft des Lehrers hat bei Herder nicht einmal gewirkt! Von diesem Rektor Grimm wird ein nettes Geschichtchen erzählt, das wahr ist: Da hat er einmal einen Jungen, der ein Klassengenosse von Herder war, furchtbar durchgehauen. Als der dann auf die Straße ging, begegnete ihm ein Mann, der vom Lande Kalbsfelle und Schaffelle hereinbrachte. Der fragte den Jungen: Sag einmal, mein Junge, wo finde ich denn hier jemand, der mir meine Felle rotgerben kann? Ich will meine Kalbs- und Schaffelle rotgerben lassen. - Da sagte der Junge: Ach, da gehen Sie nur zum Rektor Grimm, der kann gut gerben; der wird Ihnen die Felle sicher rotgerben, der kann das! - Da ging der Mann wirklich hin und klingelte beim Rektor Grimm; es war das eine Lektion für den Rektor. Aber, nicht wahr, durch diese Eigenschaft des Erziehers ist Herder nicht groß geworden. Und so werden Sie manches finden, wenn Sie in das Erziehungssystem hineinschauen von Menschen, die später bekanntere Persönlichkeiten geworden sind.

Dagegen wird etwas wichtig sein, was auf einer viel intimeren Sache beruht. Es wird wichtig sein, daß, besonders in bezug auf das Erziehungs- und Unterrichtssystem, die Karma-, die Schicksalsfrage, die Schicksalsidee Platz greift. Das ist schon wichtig, mit welchen Persönlichkeiten mich mein Karma als Kind oder als jungen Menschen zusammengeführt hat. Und unter dem Eindruck, unter dieser Gesinnung des Zusammengeführtseins erziehen, davon hängt ungeheuer viel ab. Sie sehen, auf einer Eigenschaft des Gemütes, auf einer Gesinnungseigenschaft beruht sehr viel.

Nehmen Sie dasjenige, was wir heute schon vom geisteswissenschaftlichen Standpunkt aus über Erziehung sagen können, so werden Sie das durchaus damit im Einklang finden. Wir müssen heute besonders betonen: Wichtig ist für die ersten sieben Jahre, bis zum Zahnwechsel, daß das Kind alles nachahmen will, und daß es dann für die zweiten sieben Jahre, bis zur Geschlechtsreife, sich der Autorität fügen muß. Wir müssen daher dem Kinde so etwas vormachen, daß es in der richtigen Weise nachahmen kann. Nun ahmt ja das Kind alle Leute nach,

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aber es wird insbesondere seine Erzieher nachahmen. Es glaubt ja auch vom siebenten bis vierzehnten Jahre allen Leuten, soll aber insbesondere denen gegenüber glauben, die seine Erzieher und seine Lehrer sein sollen. Das richtige Verhalten werden wir nur unter dem ständigen Eindruck der Karmaidee haben können, nur wenn wir wirklich mit dieser Karmaidee innerlich verbunden sind. Ob wir etwas besser oder schlechter lehren, darauf kommt es faktisch nicht an. Es können sogar ungeschickte Lehrer sein, ganz ungeschickte Lehrer, und können unter Umständen einen großen Einfluß haben. Wovon hängt denn das ab? Gerade in der Zeit der Verinnerlichung, wie ich sie geschildert habe, hängt das, ob wir der richtige Lehrer oder der richtige Erzieher sind, davon ab, wie wir schon mit der betreffenden Kindesseele verbunden waren, bevor wir - Erzieher und Kind - beide geboren waren. Denn der Unterschied ist nur der, daß wir als Lehrer, als Erzieher um so und so viel Jahre früher auf die Welt gekommen sind als die Kinder. Vorher waren wir mit den Kindern zusammen in der geistigen Welt. Woher haben wir denn die Nachahmungssucht, die Nachahmungstendenz, wenn wir geboren werden? Nun, wir bringen sie uns aus der geistigen Welt mit. Wir sind deshalb in den ersten Lebensjahren Nachahmer, weil wir die Nachahmungstendenz aus der geistigen Welt heraus mitbringen. Und wen werden wir am liebsten nachahmen? Denjenigen, der uns unsere Eigenschaften gegeben hat in der geistigen Welt, von dem wir in der geistigen Welt etwas entnommen haben, sei es auf diesem, sei es auf jenem Gebiete. Die Seele des Kindes war verbunden mit der Seele des Erziehers, des Lehrers, vor der Geburt. Da war ein intimer Zusammenhang; und nachher soll sich nur das äußere Leibliche, das auf dem physischen Plan Lebende danach richten.

Wenn Sie so etwas, wie ich jetzt gerade gesagt habe, nicht als abstrakte Wahrheit auffassen, sondern mit ganzer Seele ergreifen, so werden Sie bemerken, daß ungeheuer Bedeutungsvolles damit gesagt ist. Denken Sie nur, welch heiliger Ernst, welche unendliche Tiefe die Menschenseelen ergreifen würde auf dem Gebiete des Unterrichts, wenn sie unter dem Eindruck leben würden: Du machst jetzt dem Kinde dasjenige vor, was es vor der Geburt von dir angenommen hat in der geistigen Welt -, wenn das ein richtiger innerer Impuls würde! Darauf

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kommt es viel mehr an, daß solche Gesinnung, solche Gemütsverfassung hineingetragen werde, als den Leuten beizubringen, es soll das eine oder das andere so oder so gemacht werden. Das gibt sich dann schon, wenn die richtige Stimmung ist zwischen Erzieher, Lehrer und Schüler, wenn die aus dem heiligen Ernst ihrer großen Lebensaufgabe heraus diese Stimmung und diese Gesinnung haben. Aber dieser heilige Ernst, der muß vor allen Dingen vorhanden sein. Gerade auf diesem Gebiete ist das so ungeheuer wichtig. Gift ist es, wenn heute vielfach verlangt wird, das Kind soll alles verstehen. Ich habe schon öfter darauf aufmerksam gemacht, daß das Kind nicht alles verstehen kann. Vom ersten bis siebenten Jahre kann man überhaupt nichts verstehen; da macht man alles nach. Und wenn man nicht genügend nachmacht, hat man später nicht genügend aus seinem Inneren herauszuholen. Vom siebenten bis vierzehnten Jahre muß man glauben, muß man unter dem Eindruck von Autorität stehen, wenn man eine gesunde Entwickelung durchmachen will. Diese Dinge dem Leben einzuverleiben, darauf kommt es an.

Wenn gerade heute sehr viel darauf gesehen wird, daß alles verstanden werden soll, daß man gewissermaßen nicht einmal das Einmaleins den Kindern beibringen soll, ohne daß sie überall verstehen sollen - sie verstehen es ja doch nicht! -, dann macht man die Kinder statt zu verständigen Menschen zu Rechenmaschinen. Man prägt ihnen den in der elementaren Umwelt gelegenen Verstand ein, von dem ich letzthin gesprochen habe, statt daß man ihren eigenen Verstand entwickelt. Und das geschieht nämlich heute sehr häufig. Die Leute bemühen sich geradezu, das Ideal aufzustellen, nicht aus den Menschen den Verstand herauszuholen, sondern den Elementarverstand heranzutragen, der in der Umwelt ist, so daß das Kind eingewoben wird, eingesponnen wird in die elementarische Welt. Das zeigt sich auch an vielen zeitgenössischen Fällen. Vielem gegenüber können wir heute geradezu sagen: Die Menschen denken doch gar nicht selber, sondern sie denken sozusagen in einer allgemeinen Denkatmosphäre. Und soll etwas Individuelles herauskommen, so rührt das von ganz anderem her als von dem, was in der Menschennatur als Göttliches aufgefaßt wird.

Die Natur und das Wesen des Lebendigen, auch in der Erfassung

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der Welt, muß die Menschen wieder ergreifen. Wie gesagt, das ist unbequemer als mit den bloßen Begriffsleichen zu hantieren. Das Lebendige muß die Menschen wieder erfassen. Und die Menschen müssen sich damit bekanntmachen, daß nicht tote Wahrheiten das Leben regieren können, sondern nur lebendige Wahrheiten. Eine tote Wahrheit ist die folgende:

Wir sollen die Menschen zu verständigen Menschen erziehen; das sollen wir. Also - so zeigt die tote Wahrheit - kultivieren wir den Verstand möglichst früh, dann werden die Menschen verständige Menschen. Das ist aber ein richtiger Unsinn. Es ist derselbe Unsinn, wie wenn einer bestimmen würde, ein einjähriges Kind schon zum Schuster zu erziehen. Der Mensch wird gerade dann ein verständiger Mensch, wenn er nicht zu früh mit dem Verstand kultiviert wird. Man muß oftmals das Gegenteil von dem tun im Leben, was man eigentlich bewirken will. Die Speisen kann man ja auch nicht gleich essen, man muß sie zuerst kochen. Und wenn man dasselbe verrichten will beim Kochen, was man beim Essen verrichtet, so wird man das Essen wahrscheinlich ersparen. So kann man die Menschen nicht dadurchverständig machen, daß man ihren Verstand möglichst früh kultiviert, sondern dadurch, daß man in der frühen Jugend dasjenige kultiviert, was sie dann bereit macht, später verständig zu werden. Die abstrakte Wahrheit ist diese: Den Verstand kultiviert man durch den Verstand. Die Lebenswahrheit ist diese: Den Verstand kultiviert man durch ein gesundes Glauben an eine berechtigte Autorität. Vordersatz und Nachsatz im lebendigen Satz haben einen ganz andern Inhalt als Vordersatz und Nachsatz im toten, abstrakten Satz. Das ist etwas, womit sich die Menschheit allmählich immer mehr und mehr bekanntmachen muß.

Das ist unbequem. Denken Sie, wie bequem es ist, wenn man sich ein Ziel setzt und der Meinung ist, dieses Ziel könne man unmittelbar erreichen, indem man dasselbe tut, was das Ziel dem Begriffe nach enthält. Im Leben muß man das Gegenteil tun. Das ist natürlich unbequem. Aber das Sich-Hineinfinden in die Wirklichkeit und in das Leben, das ist es, was Aufgabe der Zeit ist und wovon wir uns im eminentesten Sinne durchdringen müssen. Den großen wie den alltäglichen Aufgaben gegenüber ist das notwendig. Man wird die Zeit nicht ver-

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stehen, wird das Verkehrteste tun, was man tun kann, wenn man auf diese Dinge nicht eingeht. Man ahnt heute gar nicht, wie abstrakt, wie unendlich abstrakt man eigentlich ist, weil man alles nach einer gewissen Schablone pressen will. Aber die Wirklichkeit ist nicht in Schablonen gepreßt, die Wirklichkeit ist in Metamorphose begriffen. Unser Kopf, unsere Kopfwirbel sind Umgestaltungen unserer Rückenwirbel, aber beide sehen ganz verschieden aus. Lassen Sie mich ein Beispiel aus dem praktischen Leben anführen. Denken Sie sich: An irgendeiner Hochschule würde ein Lehrer wirken, welcher etwas vertritt, das ich oder ein anderer im eminentesten Sinne bekämpfen muß. Ich werde mir selbstverständlich alle Mühe geben, zu zeigen, daß der Betreffende Unrichtiges vertritt, werde keine Mühe scheuen, wenn ich meine Pflicht tun will, zu zeigen, daß er unrecht hat, wie alles - meinetwillen, um es grotesk zu sagen - Blech ist, was er sagt. Das ist eine Seite der Sache.

Nehmen Sie an, der betreffende Hochschullehrer käme in den Fall, daß ihn die Behörde absetzen will aus irgendeinem Grunde, oder daß ihn die Behörde disziplinieren will. Was werde ich dann tun? Selbstverständlich für ihn eintreten im eminentesten Sinne, gegen seine Absetzung und gegen die Disziplinierung, weil es doch nicht darauf ankommt, ein Gegner seiner Lehre zu sein, wenn es sich um Verwirklichung freier Institutionen handelt. Solange man auf theoretischem Boden steht, kämpft man. Der Kampf hört auf, kann sich sogar in Verteidigung verwandeln, wenn es sich um eine äußere Institution handelt. Und man muß einsehen, daß der verwerflich denkt, der durch eine Gegnerschaft zum Beispiel sich verleiten lassen würde, mitzutun für die Disziplinierung des Betreffenden. - Aber nehmen wir an, der betreffende Hochschullehrer wäre gerade ein Hochschullehrer für Nationalökonomie oder Politik und er würde zum Staatsmann berufen; und nun würde es sich darum handeln, ihn als Staatsmann zu haben oder nicht. Wie würde man sich da verhalten? Da würde man sich so zu verhalten haben, daß man selbstverständlich ihn so rasch wie möglich von seinem Staatsmannsamt wegbringt, denn da wird seine Lehre praktisch schädlich.

Beim Handeln handelt es sich immer darum, in der Wirklichkeit zu leben, in der unmittelbar lebendigen Wirklichkeit, nicht sich von seinen

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Begriffen beherrschen zu lassen. Im begrifflichen Leben handelt es sich darum, gerade scharf seine Begriffe ins Auge zu fassen. Ich habe dieses Beispiel gebraucht, um begreiflich zu machen, was für ein Unterschied zwischen dem Verhalten in der Wirklichkeit ist und dem Verhalten in seinen Begriffen. Und der Mensch, der das nicht unterscheidet, der ist kein Mensch, der mit den Aufgaben der nächsten Zukunft irgendwie leben kann. Der Mensch, der das nicht unterscheidet, ist höchstens ein Wilsonianer, aber kein Mensch, der mit den Aufgaben der nächsten Zukunft leben kann, der mit ihnen rechnet. Darauf kommt es an, genau in Erwägung zu ziehen das, was in der Wirklichkeit lebt, und dasjenige, wovon man in seiner Begriffswelt überzeugt sein muß.

Und insbesondere muß die Erziehung der Jugend auf solche Dinge schauen. Heute beschwert man diejenigen, die Erzieher werden sollen, ganz besonders damit, daß man ihnen allerlei Grundsätze beibringt, wie sie unterrichten, wie sie erziehen sollen. Das wird in der nächsten Zukunft das viel weniger Wichtige sein. Dagegen wird das Wichtige sein, daß sie die Menschennatur in ihren verschiedenen Äußerungen kennenlernen, daß sie Psychologen im intimsten Sinne werden, daß sie richtige Seelenkenner werden. Denn die Beziehung des Erziehers, des Unterrichters zu dem Zögling, muß eine dem Hellsehen analoge werden. Wenn sich auch der Erzieher dessen nicht voll bewußt ist, sondern es instinktiv in seiner Seele lebt, so muß es doch so sein, daß er instinktiv, speziell als Lehrer, bis zur Prophetie ein Bild dessen bekommt, was aus dem zu Erziehenden heraus will. Und dann wird das Merkwürdige sich ergeben, so sonderbar es heute klingt: Die Erzieher der Zukunft werden viel von ihren Zöglingen träumen, denn in die Träume verhüllen sich die Prophetien. Die Bilder, die wir in den Träumen haben, die haben wir nur aus dem Grunde, weil wir ungewohnt sind, den Traum mit der Zukunft zusammenzubringen; wir werfen wie ein Kleid über einen Leib die Reminiszenzen aus der Vergangenheit darüber. Das, was eigentlich im Traume lebt, weist immer auf die Zukunft hin. Es ist schon so, daß das innere Leben gerade bei den Jugenderziehern umgestaltet werden muß. Das ist das Wichtige. Allerdings, da mehr oder weniger in irgendeiner Weise alle Menschen Jugendbildner sind, mit Ausnahme einer geringen Minderzahl, so wird das, was ich angedeutet

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habe - Verständnis für die karmischen Zusammenhänge beim Menschen -, allgemeineren Sinn haben müssen. Davon wird ungeheuer viel abhängen, daß dies allgemeines Wissen werde.

Das gegenwärtige Geschlecht ist vor allen Dingen nur für das abstrakte Denken erzogen, es verwechselt immer das abstrakte Denken mit dem lebendigen Denken. Daher kann es so selten vorkommen, daß einer mit glühender Begeisterung heute für jemanden eintreten kann, dessen Begriffe er eigentlich in seinen Begriffen verabscheut, und es kommt ihm ganz gelegen, wenn äußere Gewalten den Betreffenden unschädlich machen. Gerade an solchen Dingen wird man aber lernen müssen. Und nichts wird besser die Menschen erziehen, als wenn sie darauf kommen, immer mehr und mehr für Gegner enthusiastisch einzutreten. Das darf man natürlich wiederum nicht pressen. Heute ist man aus seiner Abstraktion heraus Freund oder Gegner. Aber das hat keinen Sinn. Einen Sinn haben nur die wirklichen Lebensverhältnisse. Die aber werden durch das Leben selbst gegeben, nicht durch unsere Sympathien und Antipathien. Aber unsere Sympathien und Antipathien müssen wir trotzdem entwickeln, wir müssen sie trotzdem haben. Das Pendel muß nicht bloß hinaufgehen auf die eine Seite, sondern auch heruntergehen nach der andern Seite. Aber so in der Zweiheit, im Dualismus zu leben: sich zu vertiefen im tiefen Denken, sich auszugießen über die Wirklichkeit, in dem, was die Wirklichkeit fordert, das muß die Menschheit lernen. Heute möchte sie, wenn sie in die Wirklichkeit hinausgeht, ihre Denkformen überall hintragen, und die Wirklichkeit will sie auch nur ertragen, wenn sie gerade zu ihren Denkformen paßt. Sie will Uniformität haben, die gegenwärtige Menschheit. Ja, vor einer geistigen Weltauffassung läßt sich die Uniformität nicht rechtfertigen. Das geht nicht. Die Welt kann nicht, wie sie wirklich ist, uns bequem sein. Nicht jeder Mensch kann ein Gesicht haben, das uns sympathisch ist, das uns gefällt. Aber deshalb sich so gegen ihn verhalten, wie es unseren Sympathien und Antipathien entspricht, ist eben falsch. Es müssen andere Impulse da sein. Daher kommen die Menschen heute so wenig zurecht; sie sehen hinaus in die Welt, und wenn sie diese nicht ihren Sympathien und Antipathien entsprechend finden, dann geht ihnen alles in ihren Begriffen schief und krumm und verkehrt, und

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sie werden dann nur von dem einzigen Impuls beherrscht, daß die Welt anders sein sollte.

Das muß man auf der einen Seite so sagen. Auf der andern Seite darf man sich aber dadurch nicht wiederum zur entgegengesetzten Bequemlichkeit führen lassen und sagen, daß man nun immer fünf grad sein lassen soll, daß man nun die Welt so hinnehmen soll, wie sie ist. Das ist wiederum ganz falsch. Es gibt eben Fälle in der Wirklichkeit, wo die herbste, die strammste Kritik notwendig ist, und da muß sie auch einsetzen. Das heißt, die Wirklichkeit muß anerkannt werden. Der Pendelschlag zwischen dem klaren Verinnerlichen in fest umrissenen Begriffen und liebevollem Verbreiten über die Erscheinungen der Welt, auf den kommt es an.

Geisteswissenschaft kann uns dazu eine gute Anleitung sein, wenn wir uns wirklich ihr gegenüber gemäß verhalten. Das müssen wir aber auch erst im richtigen Sinne lernen. Was aus der geistigen Welt gewonnen wird als Wahrheit, ist wie eine Mitteilung, kommt an den hellsichtigen Menschen selbst wie eine Mitteilung heran. Wenn wir dann diese Wahrheiten so behandeln, wie wir die äußeren, grobsinnlichen Tatsachen behandeln, so verhalten wir uns zu Unrecht zu der Geistes- wissenschaft. Verstanden kann alles werden von der Geisteswissenschaft. Aber wenn wir bei jedem, was der Geisteswissenschafter sagt, fragen: Ja, warum, warum? - so ist das falsch, denn er bekommt das eben als Mitteilung von den geistigen Welten. Ebensowenig wie, wenn ich jemandem sage: Der Hans Müller hat mir dies oder jenes gesagt -, er mich fragen kann: Ja, warum hat er dir das gesagt? - Er hat mir es halt eben gesagt, das Warum kommt doch da in sehr geringem Maße in Betracht. Und so sind die Dinge aus der geistigen Welt als Mitteilungen anzusehen. Das muß verstanden werden.

Doch davon wollen wir dann morgen weiter sprechen.

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ACHTER VORTRAG Dornach, 13. Oktober 1917

Sie werden aus den gestrigen Betrachtungen entnommen haben, daß man sich in der Gegenwart immer mehr und mehr bekanntmachen muß mit dem Gegensatz zwischen dem abstrakten, dem rein intellektuellen Denken, und dem wirklichkeitsgemäßen Denken, dem Sich-Hinein-stellen mit seinem Denken in die Wirklichkeit. Mit Bezug auf unser Denken streben wir ja ganz selbstverständlich immer nach einer gewissen Widerspruchslosigkeit. Aber die Welt ist voller Widersprüche, so daß wir, wenn wir wirklich die Wirklichkeit erfassen wollen, nicht eine allgemeine Denkschablone gewissermaßen wie ein Netz über alles werfen können, um es zu verstehen. Wir müssen individualisieren, wir müssen auf das einzelne eingehen. Das ist der größte Mangel und auch der größte Schaden unserer Zeit, daß die Menschen in Abstraktheit geradezu aufgehen. Dadurch entfernen sie sich von der wahren Wirklichkeit.

Aber nun kommt die Anwendung dieser Sache auf die Wirklichkeit selbst. Bitte, fassen Sie das ins Auge! Ich muß jetzt etwas Merkwürdiges sagen, ich muß die Anwendung des unwirklichen Denkens auf die Wirklichkeit machen. Denn selbstverständlich steht ja auch das unwirkliche Denken in der Wirklichkeit drinnen. Und so hat sich allmählich durch das unwirkliche Denken, das sich im Laufe der letzten drei bis vier Jahrhunderte herausgebildet hat, durch das Einleben dieses unwirklichkeitsgemäßen Denkens in die Wirklichkeit im menschlichen Zusammenleben selber eine unwirkliche Struktur ergeben, eine in sich fortwährend widerspruchsvolle Struktur ergeben. Der Natur gegenüber, könnte man sagen, hat es der Mensch gut, denn er mag noch so verkehrt denken, die Natur richtet sich nicht nach ihm. Und so wird er - verzeihen Sie den paradoxen Ausspruch -, wenn er sich starr, abstrakt in seinem Denken der Natur gegenüber verhalten will, zum Bock, der immer mit seinen Hörnern sich stößt an der Wirklichkeit. Das sehen wir ja auch in vielen sogenannten Weltauffassungen, die sich mit ihren Hörneransätzen stoßen an der Wirklichkeit. Die sind

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auch zuweilen so eigensinnig wie die Böcke, diese Weltanschauungen.

Aber etwas anderes ist es dem gesellschaftlichen, dem sozialen, dem politischen Zusammenleben gegenüber. Da geht das menschliche Denken durch jeden einzelnen in die gesellschaftliche Struktur hinein. Da stößt man sich nicht an einer Wirklichkeit, die sich nichts gefallen läßt, sondern da macht man die Wirklichkeit. Und wenn das ein paar Jahrhunderte dauert, so wird die Wirklichkeit auch danach; das heißt, sie lebt sich in Widersprüchen aus. Es lebt sich die Wirklichkeit selber in Gebilden aus, die in sich selber nicht die Kraft der Wirklichkeit haben, und sich dann in solchen Kataklysmen entladen wie die jetzige Kriegskatastrophe.

Da haben Sie den Zusammenhang zwischen dem menschlichen Seelenleben in einer vorhergehenden Zeit und dem äußeren physischen Geschehen in einer etwas späteren Zeit. Denn immer ist es so, daß dasjenige, was auf dem physischen Plan herauskommt, zuerst geistig lebt, und auch mit Bezug auf die Menschen zuerst geistig lebt, zuerst in den menschlichen Gedanken, dann erst in den menschlichen Handlungen lebt. Und so können wir sehen, wenn wir die Gegenwart nur beobachten wollen, da, wo sie sich uns zeigt in ihrer wahren, das heißt in diesem Falle unwahren Gestalt - denn die unwahre Gestalt ist ihre wahre Gestalt -, wie sich die Abstraktheit hineingelebt hat in die Wirklichkeit. Die Menschen sehen vielfach die Wirklichkeit abstrakt an. Sie sehen sie so an wie derjenige, der den gestern erwähnten Prestidigitateuren zuschaut und die Gewichte ansieht, die keine Schwere haben, aber denen gegenüber der Prestidigitateur sich so verhält, als ob sie viele Kilogramm schwer wären.

Das bedeutsamste Charakteristikon vieler Begriffe der Gegenwart ist die Armut dieser Begriffe. Die Menschen sind heute - ich habe das ja oft hervorgehoben - bequem, sie wollen möglichst überschauliche Begriffe. Dadurch aber werden diese Begriffe auch furchtbar arm. Ja mit solchen armen Begriffen kommt man aus gegenüber jener oberflächlichen Natur oder jener Naturoberfläche, welche die Gegenwart, trotz aller Fortschritte, allein ins Auge faßt. Trotzdem so Großartiges in bezug auf die Naturerscheinungen in den letzten Zeiten zutage

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getreten ist - die Begriffe, mit denen man diese Naturerscheinungen zu verstehen sucht, sind verhältnismäßig arm. Aber diese Sehnsucht nach armen Begriffen, nach Begriffen von geringem Inhalt, hat sich auch übertragen auf alle Weltanschauungen. So sehen wir heute Philosophen auftauchen, welche eine förmliche Sehnsucht haben nach armen Begriffen. Da werden immer wiederum die ärmsten Begriffe, das heißt, die inhaltsärmsten Begriffe herumgekollert. Diese Begriffe sind manchmal recht anspruchsvoll, aber sie werden nicht ausgefüllt mit einem schwergewichtigen Inhalt. Besonders reich ist ja unsere Gegenwartsphilosophie immer an solchen Begriffen, wie das Ewige, das Unendliche, die Einheit, das Bedeutungsvolle gegenüber dem Unbedeutenden, das Allgemeine, das Individuelle und so weiter. Mit solchen Begriffen wirtschaftet man ganz besonders gern, Begriffen, die möglichst abstrakt sind.

Das führt zu einer eigentümlichen Stellung der Menschen gegenüber der Wirklichkeit. Sie hören auf, das lebensvoll Inhaltliche der Wirklichkeit zu sehen, verlieren auch die Empfindung, das Gefühl von dem, was sie eigentlich gegenüber der Wirklichkeit haben. Man muß nur die Gegenwart beobachten auf diese Dinge hin, dann findet man das allüberall.

Ich will Ihnen eine Erscheinung vorführen, die geradezu erschrekkend ist: Ein Philosoph der Gegenwart hat sich ausgesprochen darüber, wie man eine Ansicht haben könne, ob dieser Krieg mehr oder weniger lange noch dauern soll. Nicht wahr, eine im eminenten Sinne heute wichtige Frage, aber eine Frage, die entschieden werden muß nach inhaltsvollen, realen, nach lebensvollen Begriffen, die man nicht entscheiden kann mit allgemeinen Abstraktionen von Welt und Zeitlichkeit, von Allgemeinem und Individuellem und so weiter. Mit diesen allgemeinen Philosophierereien läßt sich über solche konkrete Fragen gar nichts ausmachen. Der betreffende Philosoph hat gefunden, wie so viele finden: Es schadet nichts, wenn der Krieg möglichst lange fortgesetzt wird, wenn nur dann, wie man sagt, ein dauernder Friede zustande kommt,wenn nur dann das Paradies auf Erden da ist. - Ich habe das ja verglichen damit, daß man am besten dafür sorgen wird, daß in einem Haushalt kein Geschirr mehr zerschlagen wird, wenn man zuerst

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alles zerschlagen läßt. So ungefähr ist die Schlußfolgerung derjenigen, die da sagen: Der Krieg muß so lange fortgesetzt werden, bis Aussicht vorhanden ist, daß der Friede ein dauernder ist. - Der betreffende Philosoph hat also seine Philosophie auf diese Frage angewendet, seine Philosophie, die nach seiner Ansicht sich mit den höchsten, das heißt in unserer Zeit, abstraktesten Begriffen befaßt. Was hat er da gesagt? Nun denken Sie, er hat gesagt: Was ist es schließlich der Ewigkeit gegenüber, in der ein befriedigender Zustand für die Menschheit hergestellt wird, ob ein paar Tonnen mehr oder weniger organischer Substanz noch auf den Schlachtfeldern zugrunde gehen! Was sind ein paar Tonnen organischer Substanz gegenüber dem ewigen Leben, der Menschheitsentwickelung!

Zu solchen Errungenschaften bringt es das abstrakte Denken, wenn es sich mit der Wirklichkeit abgibt. Man muß heute den Menschen erst darauf aufmerksam machen, wie schauderhaft so etwas ist, wenn er es empfinden soll. Und man muß sich immer wieder nur wundern, daß diese Dinge eigentlich an der Menschheit vorbeigehen, ohne daß sie sich viel Gedanken darüber macht. Natürlich ist im Grunde genommen ein solcher Gedanke aus dem Weltanschauungsstreben der Gegenwart herausgeholt. Denn, wozu hat es dieses Weltanschauungsstreben gebracht? Eben zu den allerabstraktesten Begriffen; die sind aber nur auf das Tote anwendbar, auf das Mineralische, auf das Unorganische. Wenn nun der Philosoph kommt und wendet das, was nur auf das Tote anzuwenden ist, nicht nur auf das Lebendige, sondern sogar auf das Geistig-Seelische an, so ist es ganz natürlich, daß er zu solchen Dingen kommt. Denn gegenüber dem Toten muß ja der Mensch fortwährend nach dem Grundsatz handeln: Was ist schließlich so und so viel Zentner Substanz gegenüber dem, was man aus der Sache macht? - Man könnte nicht bauen, wenn einem die Verpflichtung auferlegt wäre, gegenüber jedem toten Stein das Bestandsrecht geltend zu machen; selbstverständlich, man könnte das nicht. Aber man darf eben nicht auf das Menschenleben übertragen, was nur für das Unorganische, für das Leblose gilt. Und nur für das Unorganische, für das Leblose gelten die Begriffe, die sich die Naturwissenschaft heute herausgebildet hat. Es wird aber heute fortwährend übertragen, man merkt es nur nicht. Und solche Urteile,

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die immer wieder nach der Richtung gehen, daß man zu einem Ende dieses Krieges nicht kommen soll, bevor die schon charakterisierte Aussicht vorhanden ist, solche Urteile schließen nichts anderes ein als das, was der Philosoph nur in einer brutalen, aber wie ihm scheint, außerordentlich erhabenen Redeweise zum Ausdruck gebracht hat; nur daß die andern sich schämen, so zu reden wie der Philosoph, weil der Philosoph die Brutalität hinter der Schönheit der Worte verbirgt. Er sagt natürlich allerlei sehr Erhabenes, indem er jongliert mit den Begriffen Ewigkeit und Zeitlichkeit, ewiges menschliches Werden, vergängliches zeitliches Sein von so und so viel Tonnen organischer Substanz, aber nicht achtend der Tatsache, daß in jedem einzelnen Menschen die Ewigkeit, die Unendlichkeit lebt, und daß jeder einzelne Mensch so viel wert ist, wie die ganze unorganische Welt zusammen!

Diese Dinge, die jetzt besprochen worden sind, liegen auch den künstlerischen Formen zugrunde, die hier auf diesem Hügel sich entfalten wollen. Denn auch die Kunst ist allmählich hineingekommen in die, ich möchte sagen gewichtslose, wesenlose Weltauffassung. Unsere Weltauffassung muß wiederum an das Wesen der ginge herankommen. An das Wesen der Dinge kommt man nur heran, wenn man an den Geist herankommt. Daher müssen wir andere Formen haben, als was heute überall in der Kunst an Formen erscheint. Unsere Zeit muß mit andern Worten wiederum etwas aus dem Geiste heraus Schöpferisches bekommen. Das ist selbstverständlich vielen Leuten heute unbequem. Aber machen Sie sich nur klar, in welch starkem Maße unsere ganze Weltauffassung nach und nach in das Tote hineingekommen ist, indem sie auch nur noch mit dem Toten gearbeitet hat. Sehen Sie sich einmal die Bauten, und sehen Sie sich schließlich die andern Kunstwerke des 19. Jahrhunderts an. Was sind sie schließlich, als immer wieder und wieder Aufwärmen alter Baustile und dergleichen. Man hat im antiken, im Renaissance-, im gotischen Stile gebaut, das heißt, immer in etwas Abgestorbenem. Man ist nicht zum Ergreifen des unmittelbar Lebendigen gekommen. Dazu muß man wieder kommen. Das wird einen ganz neuen Geist bilden. Dazu sind schon einzelne Opfer notwendig, die auch reichlich gebracht werden müssen. Aber so etwas, wie das da draußen stehende Haus, das aus dem Betonmaterial heraus mit neuen

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Formen geschaffen worden ist, ist eine Pionierarbeit. Und nicht allein die Tatsache, daß diese Formen gedacht worden sind, kommt in Betracht, sondern die Tatsache, daß die Möglichkeit herbeigeführt worden ist, so etwas einmal in die Welt hineinzustellen, kommt schon in Betracht. Diese Dinge muß man ins Auge fassen in ihrer ganzen Gewichtigkeit, sonst wird man auch nicht verstehen, was hier auf diesem Hügel geschaffen werden soll. Der ganzen Natur der Sache nach muß ja das, was auf diesem Hügel geschaffen wird, in Widerspruch und in Widerstreit stehen mit dem, was in der übrigen Welt heute geschaffen wird.

Die Gegenwart verstehen: - meine lieben Freunde, dieser Satz ging ja wie ein roter Faden durch alles, was ich seit meiner Zurückkunft zu Ihnen gesprochen habe, hindurch. Aber man muß geneigt sein, die Unbequemlichkeit auf sich zu nehmen, viel, viel Kraft aufzuwenden: Denkkraft, Empfindungskraft, experimentierendewillenskraft, um die Gegenwart zu verstehen; und man muß den Mut haben, wirklich zu brechen mit manchem, das hereinragt aus der alten Zeit. Denn im Grunde genommen arbeiten diejenigen Menschen, die man heute für die erleuchtetsten Menschen hält, vielfach mit lauter alten Begriffen, von denen sie nicht recht wissen, wie sie eigentlich anzuwenden sind.

Lassen Sie mich auch dafür ein Beispiel anführen: Sie konnten durch einige Zeit hindurch gewiß auch hier in der Schweiz überall ein Buch besprochen finden, und namentlich in den Schaufenstern prangen sehen, das gründlich Eindruck gemacht hat in der Gegenwart. Ich bespreche gern gerade solche Dinge, die nicht von feindlicher Seite, sondern die sogar von freundlicher Seite her kommen, damit man nicht glaubt, daß irgendwelches persönliche Verhalten dabei im Spiele ist. Der nordische Schriftsteller Kjellén, er war und ist ja unter den wenigen, die gerade meinen Schriften Interesse entgegengebracht haben, die sich wohlwollend ausgesprochen haben. Daher wird man es nicht als persönlich auffassen, wenn ich von dem Buche «Der Staat als Lebensform», das solch starken Eindruck gemacht hat, die Charakteristik gebe, die ich eben nach meiner Auffassung geben muß.

Dieses Buch ist so recht ein Beispiel für die verfehlten Begriffe der Gegenwart. Es ist in diesem Buch der Versuch gemacht, den Staat als

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einen Organismus aufzufassen. Das ist eine jener Bestrebungen, die die Menschen der Gegenwart haben, wenn sie irgend etwas, was eigentlich geistig begriffen werden soll, mit den Vorstellungen der Gegenwart umfassen wollen. Und es ist gut, daß man Bezug nehmen kann auf einen geistreichen, sehr gelehrten, tiefgründigen Menschen, den man eigentlich nicht genug loben kann, wenn man den ganz verfehlten Gedanken, der seinem Buche zugrunde liegt, ins rechte Licht stellen will. Ja, in solche Widersprüche kommt man ja fortwährend. Aber das Leben ist eben voller Widersprüche. Man darf nicht nach abstrakter Widerspruchslosigkeit leben, wenn man das Leben erfassen will; man darf nicht gleich jeden für einen Dummkopf halten, den man bekämpfen will, sondern man kann auch jemanden, den man bekämpfen will, für einen sehr geistreichen, gründlichen Gelehrten halten, wie das in diesem Falle ist, von dem ich jetzt spreche.

Kjellén macht eigentlich etwas Ähnliches, wie vor Jahrzehnten schon der schwäbische - ich weiß nicht, soll ich sagen: schwäbische Gelehrte oder österreichische Minister, denn beides war er - Schäffle gemacht hat. Schäffle hat schon damals in umfassender Weise den Versuch gemacht, den Staat als einen Organismus aufzufassen und die einzelnen Menschen als die Zellen von diesem Organismus. Hermann Bahr, von dem ich Ihnen auch schon öfter gesprochen habe, hat damals eine Widerlegung des Schäffleschen Buches über die organischeWirksamkeit im Staate geschrieben. Als Schäffle dann ein Buch geschrieben hat über «Die Aussichtslosigkeit der Sozialdemokratie», schrieb Hermann Bahr einewiderlegung dieses Buches und betitelte diese Widerlegung «Die Einsichtslosigkeit des Herrn Schäffle». Es ist ein geistreiches Büchelchen von Hermann Bahr. Heirmann Bahr hat es neulich selber in einem Vortrag, den er gehalten hat, eine Ungezogenheit genannt. Nun, aber trotzdem bleibt es ein ganz geistreiches Jugendbüchelchen von Hermann Bahr, dieses Büchelchen «Die Einsichtslosigkeit des Herrn Schäffle».

Also Schäffle hat schon dazumal etwas Ähnliches gemacht wie Kjellén jetzt. Kjellén sucht es auch wiederum so darzustellen, als ob jeder Staat ein Organismus wäre, die einzelnen Menschen darinnen die Zellen. Man weiß ja allerlei über die Wirksamkeit der Zellen im Organismus, über die Gesetze, die im Organismus walten, und kann das so

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hübsch übertragen auf den Staat. Mit solchen Vergleichen wirtschaftet man ja gern in den Gebieten, die man nicht geistig beherrschen kann. Nun, methodisch kann man alles mit allem vergleichen. Ich kann Ihnen ganz gut, wenn Sie wollen, eine kleine Wissenschaft aufbauen auf einem Vergleich zwischen einem Heuschreckenschwarm und einer Baßgeige. Man kann alles mit allem vergleichen in der Welt, und bei allen Vergleichen kann etwas herauskommen. Aber daß man einen Vergleich anstellen kann, das ist noch durchaus nicht irgendwie maßgebend dafür, daß man mit solchen Vergleichen in der Wirklichkeit lebt. Gerade wenn man Vergleiche anstellt, muß man einen eindringlichen Sinn für die Wirklichkeit haben, sonst wird der Vergleich niemals stimmen. Denn stellt man einen Vergleich an, so ist man sehr bald in dem Fall, in dem manche Menschen zu ihrem herben Schicksal in ihrer Jugend sind - verzeihen Sie -: man verliebt sich sogleich in seinen Vergleich. Vergleiche, die einem einfallen, oder die sogar auf der Straße liegen, wie der zwischen Staat und Organismus, die haben schon den Nachteil, daß man sich sogleich in die Sache verliebt. Aber dies Verlieben in einen solchen Vergleich, das hat eine Folge. Das hat die Folge, daß man blind wird gegen alles das, was gegen die Sache spricht, die man dann aus dem Vergleich heraus vorbringt.

So muß ich sagen: Als ich das Buch von Kjell6n gelesen hatte, war mir schon aufgefallen vom Gesichtspunkte eines wirklichkeitsgemäßen Denkens aus, daß dieses Buch just jetzt im Kriege geschrieben ist. Denn dieses Buch schreiben vom Staat als Organismus, das kam mir schon ganz als unwirklichkeitsgemäß vor. Schließlich, wer ein bißchen Umschau hält, der weiß ja - wenn das auch manchmal mit den Worten nicht stimmt -, Kriege werden doch so geführt, daß von den Staaten, wenn sie so zusammenstoßen, entweder das eine Stück hierher oder dorthin kommt, daß man von Staaten Stücke abschneidet und dahin oder dorthin bringt. Es kommt ja doch, wenigstens bei sehr vielen Menschen, auf solche Dinge im Krieg an.

Ja, vergleicht man nun die Staaten mit Organismen, so müßte man mindestens auch den Vergleich dahin ausdehnen, daß man dann von dem Organismus auch immer Stücke abschneiden und dem Nachbarorganismus zuteilen könnte. Aber solche Dinge, die man merken müßte,

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die merkt man nicht, wenn man sich in seinen Vergleich verliebt hat. Man könnte noch vieles andere anführen. Ich könnte Ihnen vieles anführen für einen solchen Vergleich, was Sie wahrscheinlich in die lustigste Stimmung versetzen würde, die Sie dann dazu veranlassen würde, recht herzlich zu lachen und den betreffenden Mann durchaus nicht für so geistreich zu halten, wie ich ihn selber halte. Ich halte ihn wirklich für sehr geistreich und sehr tiefgründig.

Woher kommt denn so etwas, daß einer nun gelehrt, geistvoll sein kann, und doch auf einem ganz verfehlten Vergleich ein ganzes System aufbauen kann? Ja, sehen Sie, das kommt davon her, daß der Vergleich, den Kjellén macht, ein richtiger Vergleich ist. Nun werden Sie sagen, jetzt wissen Sie schon gar nicht mehr, was Sie anfangen sollen mit dem, was ich Ihnen sage: erst erkläre ich Ihnen, daß der Vergleich ein total verfehlter ist, und nun erkläre ich Ihnen, daß der Vergleich ein richtiger ist. Nun, wenn ich sage, daß der Vergleich ein richtiger ist, so meine ich, der Vergleich kann durchaus gemacht werden; nur handelt es sich darum, womit man vergleicht. Wenn man vergleicht, handelt es sich ja immer um zwei Dinge, wie im Falle Kjellén: Staat und Organismus. Eine Sache muß ja immer stimmen für sich. Der Staat auf der einen Seite ist da, der Organismus auf der andern Seite ist da. Beides kann ja nicht falsch sein; nur das Zusammenbringen ist falsch. Es handelt sich nämlich darum, daß man wirklich dasjenige, was auf der Erde geschieht, schon mit einem Organismus vergleichen kann. Man kann das politische Geschehen auf der Erde mit einem Organismus vergleichen; nur darf man den Staat nicht mit einem Organismus vergleichen. Vergleicht man den Staat mit dem Organismus, so sind die einzelnen Menschen Zellen. Das ist einfach Unsinn, denn da kommt man auf gar nichts. Aber man kann das politische, soziale Leben der Erde mit einem Organismus vergleichen, nur muß man dann die ganze Erde mit einem Organismus vergleichen. Sobald man die ganze Erde, das heißt, das Menschengeschehen über die ganze Erde hin mit dem Organismus vergleicht, und die einzelnen Staaten - nicht die Menschen, sondern die einzelnen Staaten - mit verschieden geformten Zellen, dann ist der Vergleich richtig, dann ist es ein gültiger Vergleich.

Wenn Sie diesen Vergleich zugrunde legen und nun das gegenseitige

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Verhältnis der Staaten selber ins Auge fassen, so bekommen Sie schon etwas, was sich so ähnlich verhält wie die Zellen der verschiedenen Systeme im Organismus. Also es kommt darauf an, wenn man einen Vergleich wählt, daß man diesen Vergleich auf das Richtige anwendet. Der Fehler bei Kjellén besteht darin - und auch bei Schäffle hat er darin bestanden -, daß der einzelne Staat, der nur mit einer Zelle, mit einer ausgewachsenen Zelle verglichen werden kann, mit dem ganzen Organismus verglichen wird, während das Leben über die ganze Erde hin mit einem Organismus zu vergleichen ist. Dann kommt man an das Fruchtbare dieses Vergleiches. Nicht wahr, Zellen, die so aneinander vorbei wandern wie die Menschen im Staat, das gibt es nicht im Organismus. Zellen stoßen aneinander, grenzen aneinander. So ist es mit den einzelnen Staaten, die Zellen sind im Gesamtorganismus des Lebens der Erde.

Sie vermissen vielleicht etwas in der Auseinandersetzung, die ich jetzt gegeben habe. Wenn in einer gewissen berechtigten Weise - denn solch eine Sache ist auch berechtigt - Ihr philiströs-pedantischer Sinn sich in Ihrem Herzen regt, während ich hier spreche, so werden Sie sagen: Ich müßte Ihnen doch beweisen, daß man das Leben der ganzen Erde mit dem Organismus vergleichen muß und den einzelnen Staat mit der Zelle. - Nun, der Beweis liegt in der Anschauung, der Beweis liegt in der Durchführung des Gedankens, der Beweis liegt nicht in den abstrakten Erwägungen, die man gewöhnlich anstellen kann, sondern darin, daß Sie nun den Gedanken durchführen. Führen Sie ihn im Kjellénschen Sinne durch, dann werden Sie überall finden: Er läßt sich nicht durchführen. Sie müssen sich mit den Hörnern stoßen. Sie müssen zum Bock werden, sonst können Sie ihn nicht durchführen. Führen Sie aber den Gedanken für das Leben der ganzen Erde durch, dann taugt der Begriff, dann kommen Sie zu ganz fruchtbaren Einsichten, dann wird Ihnen das ein sehr gutes regulatives Prinzip sein. Sie werden sehr vieles verstehen, und Sie werden noch mehr verstehen, als was ich jetzt schon angedeutet habe.

Die Menschen sind heute einmal Abstraktlinge, und man möchte sagen: Von einem Dutzend wird man bei dreizehn - ja, das geht nicht, aber bei den wirklichen Verhältnissen würde es heute schon fast stimmen

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-, von einem Dutzend wird man bei dreizehn finden, daß sie in einem solchen Falle, wo also Kjellén den einzelnen Staat mit einem Organismus vergleicht und hier ihm entgegengehalten wird: Das politische, soziale Leben über die ganze Erde hin, das ist in Wahrheit mit einem Organismus zu vergleichen -, daß diese dreizehn von dem Dutzend heute der Ansicht sein werden, dieser Vergleich müsse nun durch alle Zeiten hindurch gelten. Denn stellt heute einer eine Staatstheorie auf, so muß diese Staatstheorie für die Gegenwart gelten, für die Römer, sogar für die Ägypter, Babylonier; denn Staat ist Staat. Man geht heute von den Begriffen aus, nicht von der Wirklichkeit.

Aber so ist es nicht, so ist es wirklich nicht. Die Menschheit macht auch da eine Entwickelung durch. Und was ich jetzt über die Gültigkeit des Vergleiches gesagt habe, gilt eigentlich nur für die Zeit seit dem 16. Jahrhundert, denn vor dem 16. Jahrhundert war ja die Erde kein politisch zusammenhängendes Ganzes; das heißt, seit jener Zeit hat sie sich erst als ein zusammenhängendes politisches Ganzes ausgebildet. Amerika, die westliche Halbkugel, war ja gar nicht da für ein politisches Leben, das in sich zusammenhängend gewesen wäre. Und so bekommen Sie gleich, indem Sie diesen Vergleich in der richtigen Weise anstellen, auch einen Hinblick auf jenen bedeutungsvollen Einschnitt, der da ist zwischen dem neueren Leben und dem alten Leben. Kommt man mit wirklichkeitsgemäßen Einsichten, dann sind diese Einsichten immer fruchtbar, während die nicht wirklichkeitsgemäßen Begriffe steril und unfruchtbar sind. Jede wirklichkeitsgemäße Einsicht führt einen eben weiter. Man erfährt noch mehr durch sie, als sie selbst enthält; sie trägt einen durch die Wirklichkeit. Das ist das Wichtige, das muß man durchaus ins Auge fassen. Denn abstrakte Begriffe, die sind so, daß wir sie fassen; draußen ist die Wirklichkeit, die kümmert sich aber gar nicht um diesen abstrakten Begriff. Faßt man einen wirklichkeitsgemäßen Begriff, so hat man in dem Begriff drinnen das ganze innere rege Leben, das draußen auch ist, das draußen die Wirklichkeit durchwurlt und durchwirlt. Das ist den Leuten unbequem in der Gegenwart. Sie möchten möglichst farblose, ruhige Begriffe haben. Sie fürchten, den Drehkater zu bekommen, wenn ihre Begriffe innerliches Leben haben. Aber diese innerlich leblosen Begriffe haben den

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Nachteil, daß die Wirklichkeit ringsherum vor uns ablaufen kann, ohne daß man eigentlich das Wesentlichste an dieser Wirklichkeit sieht. Die Wirklichkeit ist nämlich auch voller Begriffe, auch voller Ideen. Das ist wahr, was ich vor einigen Tagen hier gesagt habe: daß draußen das elementarische Leben fließt und dieses elementarische Leben von Begriffen, von Vorstellungen durchsetzt ist - das ist wahr. Aber die abstrakten Begriffe sind bloß Begriffsleichen, habe ich gesagt. Und dann kann es vorkommen, wenn man bloß Begriffsleichen liebt, daß man in diesen Begriffsleichen redet und denkt, und die Wirklichkeit zieht ganz andere Schlußfolgerungen; ganz andere Geschehnisse läßt sie ablaufen als diejenigen, in die unsere Begriffe hineinkommen können.

Seit drei Jahren stehen wir in furchtbaren Ereignissen, die jeden Menschen viel lehren könnten; nur muß man sie nicht schlafend, sondern wachend verfolgen. Es ist eigentlich bewundernswert im negativen Sinne, wie viele Menschen gegenüber diesen furchtbaren Ereignissen der Gegenwart noch immer schlafen, noch immer nicht dazu gekommen sind, sich einmal zu überlegen, daß Ereignisse, die noch nie da waren in der Weltenentwickelung der Menschen, auch fordern, daß man zu neuen Begriffen kommt, die auch noch nie dagewesen sind. Die Wirklichkeit urteilt da anders. Lassen Sie mich, ich möchte sagen, symbolisch das noch genauer ausdrücken, was ich eigentlich meine. Man kann schon sagen: Einige Leute haben sich ja schon seit Jahren Begriffe gemacht davon, daß dieser Krieg kommen werde. Im allgemeinen kann man sagen, daß mit Ausnahme gewisser Kreise der anglo-amerikanischen Bevölkerung die Welt von diesem Kriege überrascht worden ist in gewissem Sinne. Aber immerhin, einzelne Leute haben sich Vorstellungen gemacht, daß der Krieg kommen werde, allerdings manchmal ganz merkwürdige Vorstellungen. Eine Vorstellung namentlich konnte man immer wieder und wiederum finden, eine Vorstellung, welche von tiefgründigen - ich meine das wirklich nicht ironisch, ich spreche in vollem Ernst - Nationalökonomen, Nationalpolitikern ausgegangen ist,welche auf einer sorgfältigen Abstraktion aus diesen oder jenen Vorgängen beruhte. Die Leute haben viel wissenschaftlich gearbeitet, kombiniert, abstrahiert, allerlei Synthesen gemacht und sind dann dazu

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gekommen, eine Vorstellung auszubilden, die man wirklich lange Zeit hindurch, auch noch beim Ausbruch des Krieges - da ist sie besonders viel wiederholt worden -, vielfach getroffen hat: die Vorstellung, daß nach den gegenwärtigen Weltverhältnissen, nach den wirtschaftlichen, den kommerziellen Zusammenhängen dieser Krieg unmöglich länger als vier bis sechs Monate dauern kann. Es war streng bewiesen, eine streng bewiesene Wahrheit. Und es sind wahrhaftig nicht dumme Gründe, die man angewendet hat, es waren ganz gescheite Gründe.

Ja, aber die Wirklichkeit nun, wie verhält sie sich denn zu all dem Gründengewebe, das da die gescheiten Nationalökonomen zusammengestellt haben? Wie verhält sich die Wirklichkeit? Nun, Sie sehen es ja, wie sich die Wirklichkeit verhält! Um was handelt es sich aber dann, wenn die Sache so steht? Es handelt sich darum, daß man aus einer solchen Sache auch die Konsequenzen ziehe, die wirklichen Konsequenzen ziehe. Dann wird dieser Krieg eine Lehre, wenn man die Konsequenzen zieht. Was kann die einzige Konsequenz nur sein von dem, was ich symbolisch angedeutet habe? Denn ich habe ja nur einen krassen Fall angeführt, ich könnte Ihnen ja zahlreiche andere, ähnliche Ansichten anführen, die ebenso Schiffbruch erlitten haben - um es glimpflich auszudrücken - durch die Wirklichkeit der Ereignisse der letzten drei Jahre. Was kann die einzige wirkliche Konsequenz sein? Die, daß man alles das, woraus man solche Folgerungen gezogen hat, über Bord wirft, daß man sich sagt: Wir haben also in einer nicht wirklichkeitsgemäßen Weise gedacht, wir haben ein Denksystem entwickelt und dieses abstrakte, unwirklichkeitsgemäße System selber in die Wirklichkeit einfließen lassen, so daß die Wirklichkeit unwahr geworden ist: also brechen mit den Voraussetzungen selbst zunächst, die zugrunde gelegen haben solch einer angeblichen Erkenntnis, die eben die Wirklichkeit vernichtet!

Man kann, was ich jetzt sage, heute zu den Menschen ganz gewiß eindringlich sagen. Ob es eindringlich aufgenommen wird, das ist aber eine andere Frage. Denn geradeso geistreich wie das war, was die Nationalpolitiker vorgebracht haben für die mögliche Dauer des Krieges von vier bis sechs Monaten, ebenso geistreich, wirklich geistreich - ich meine es jetzt wieder nicht ironisch - waren die Gründe, welche jenes

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aufgeklärte Medizinalkollegium beim Bau der ersten Eisenbahn in Mitteleuropa geltend machte, aus der damaligen medizinischen Wissenschaft heraus. Sie haben damals gesagt, nicht ein einzelner Querkopf, sondern ein erleuchtetes Kollegium - ich habe es öfter angeführt -, man solle keine Eisenbahnen bauen, denn das menschliche Nervensystem könne Eisenbahnen nicht aushalten. Das ist ein aufgeschriebenes Dokument aus dem Jahre 1838. Also nicht lange hinter uns liegt die Zeit, die das Urteil fällte: man solle nur ja keine Eisenbahnen bauen; wenn aber schon solche Menschen sich finden sollten - das steht in diesem Dokument -, die Eisenbahnen bauen lassen wollen, so müsse man wenigstens zu beiden Seiten hohe Bretterwände aufführen, damit die Bauern die Züge, welche vorbeifahren, nicht sehen und etwa Gehirnerschütterung dadurch kriegen. - Ja, über solche Dinge lachen die Menschen, wenn es sich hinterher herausstellt, wie die Wirklichkeit über solche angebliche Gründe hinweggeht. Nachher lachen die Menschen. Aber gewisse Elementargeister, die lachen auch gleichzeitig, ja sie lachen sogar schon in der Zeit, bevor solche wissenschaftlichen Dinge gemacht werden, über die menschlichen Torheiten.

Brechen mit demjenigen, was in den Widerspruch geführt hat! Der Widerspruch ist real da, ist wirklich da, denn das Leben der letzten drei Jahre über die Erde hin ist ein realisierter Widerspruch. Man muß also andere Ansichten gewinnen über das, was vorgeht, als man sie gehabt hat. Radikale Revision der Anschauungen, das fordert die Zeit von uns. Es ist sogar schwierig, wenn man einen solchen Gedankengang angefangen hat, ihn in der Gegenwart bis zu seinem völligen Ende zu führen. Denn die Menschheit ist heute nicht freidenkerisch genug, diese Gedanken zu Ende kommen zu lassen. Wer Sinn hat für Wirklichkeit, für das wirkliche Geschehen um uns herum, der nämlich kann in der Wirklichkeit draußen sehen, daß dort diese Konsequenzen schon gezogen werden. Nur in die menschlichen Köpfe wollen sie noch nicht hinein. In dieser Beziehung herrscht ein ungeheurer Gegensatz zwischen Westen und Osten. Ich habe Ihnen über den gründlichen Gegensatz zwischen Westen und Osten im vorigen Jahre von den verschiedensten Gesichtspunkten aus gesprochen, habe Sie zum Beispiel aufmerksam darauf gemacht, wie der Westen über Geburt und Rechtsforderung vor allen

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Dingen spricht. Sehen Sie sich die westlichen Weltanschauungen an: Herkommen, Geburt, das ist der hauptsächlichste naturwissenschaftliche Begriff, der dort herrscht. Daher entstand im Westen die Herkommenslehre, die Darwinsche Lehre. Man könnte auch sagen: die Geburten- und Vererbungslehre auf philosophischem Gebiete, auf praktischem Gebiete die Anschauung von den Rechten der Menschen.

Im wenig gekannten Osten, im russischen Leben, da finden wir Betrachtungen über Tod, über menschliches Ziel in die geistige Welt hinein - lesen Sie Solowiew, der ja jetzt bequem gelesen werden kann -, den Schuldbegriff, den Sündenbegriff auf ethisch-praktischem Gebiet. Ja, solcher Gegensatz ist auf den meisten Gebieten vorhanden. Und man begreift die Realität, die Wirklichkeit nicht, wenn man nicht solchen Gegensatz gehörig ins Auge fassen kann. Die Emotionen, die Sympathien und Antipathien, die hindern den Menschen, die in Betracht kommenden Dinge wirklich ins Auge zu fassen. Wenn sich diese Emotionen, diese Sympathien und Antipathien regen, dann lassen die Menschen die Wirklichkeit schon gar nicht an sich herankommen; ebensowenig wie die widerstreitenden Dinge an denjenigen herankommen, der sich in einen gewissen Vergleich verliebt hat, weil die Menschen das, was sie lieben, für absolute Wahrheit halten und sich gar keine Vorstellung davon machen, daß das Entgegengesetzte, nur von einem andern Gesichtspunkt aus, auch wahr sein kann.

Betrachten wir den Westen, namentlich den anglo-amerikanischen Westen, denn die andern sprechen zum großen Teil nur nach. Was ist da, namentlich in dem Wilsonianismus, durchgängiger Gesichtspunkt - Ideale nennt man es ja auch vielfach -, was ist da durchgängiger Gesichtspunkt? Durchgängiger Gesichtspunkt ist der, daß die ganze Welt so werden soll, wie diese Völker der letzten Jahrhunderte waren. Die Völker haben sich ideale soziale Zustände herausgebildet - man gibt ihnen verschiedene Namen, man nennt es «Demokratie» und dergleichen -, und andere Völker haben die große Schuld, daß sie nicht solche Zustände herausgebildet haben! Richtig wird es sein, wenn die ganze Welt diese Zustände annimmt. Das ist die anglo-amerikanische Ansicht: Was wir herausgebildet haben, was wir geworden sind, das gibt den großen und kleinen Nationen ihr Recht, das stellt sie in die richtigen

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Verhältnisse, das macht den Menschen glücklich innerhalb des Staatskreises. So muß es überall aussehen. Wir hören es deklamieren; es ist das Evangelium des Westens. Man denkt gar nicht daran, daß so etwas immer nur relative Bedeutung hat, daß so etwas vor allen Dingen aus den Emotionen herauskommt, nicht, wie man glaubt, aus der bloßen Vernunft und aus dem bloßen Verstand.

Man darf natürlich nicht zu stark die Worte pressen, denn dieses Pressen der Worte schon führt heute zu vielen Mißverständnissen. Man könnte zum Beispiel glauben, daß ich das amerikanische Volk oder die anglo-amerikanische Rasse treffen wollte, wenn ich von Wilsonianismus oder Lloyd-Georgeanismus spreche. Das ist aber ganz und gar nicht der Fall. Ich sage absichtlich Wilsonianismus, weil damit etwas ganz Spezifisches gemeint ist. Aber ich bin weit davon entfernt, damit etwas zu meinen, wofür Sie ohne weiteres den Begriff Amerikanismus brauchen können. Da muß man wiederum ein bißchen stark die Wirklichkeit ins Auge fassen. Ein Teil der Tiraden, die in der letzten Zeit von Mr. Wlson gekommen sind, sind gar nicht einmal auf amerikanischem Boden gewachsen. Man kann gar nicht einmal Wilson das Lob zuerkennen, daß seine Tiraden ganz originell sind. Sie sind ja nichts wert, sie sind unwahr; aber sie sind nicht einmal ganz originell. Denn es liegt die merkwürdige Tatsache vor, daß von einem Berliner Schriftsteller geistreiche Artikel geschrieben worden sind, nur just nicht Artikel, die im Sinne der deutschen Weltauffassung sind, Artikel, die Wilsonianismus ohne Wilson waren, sehr scharfsinnige Artikel. Diese Artikel haben Glück gemacht, allerdings nicht gerade in Deutschland, aber im amerikanischen Kongreß, denn sie sind gesammelt worden, und Sie finden sie eingeheftet durch viele Seiten hindurch in den Kongreßakten des amerikanischen Kongresses; sie sind nämlich in den Verhandlungen des amerikanischen Kongresses verlesen worden und manche von den neueren Tiraden des Herrn Wilson sind diesen Seiten entnommen. Manches von dem, was Herr Wilson fabriziert gegen Mitteleuropa, hat diesen Ursprung. Es ist also nicht einmal originell. Es wird immerhin eine ganz interessante, humoristische Tatsache der zukünftigen Geschichtsschreibung sein, wenn man in den Akten über die Verhandlungen des amerikanischen Kongresses findet: Die Herren

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haben eine Zeitlang verzichtet, ihre eigenen erleuchteten Ideen vorzubringen und vorgelesen die Artikel eines Berliner Schriftstellers, diese dann eingeheftet in die Kongreßakten und darauf«amerikanische Kongreßakten» geschrieben.

Was uns aber vorzugsweise interessiert, das ist, warum diese Artikel den Leuten gefallen haben. Nun, weil sie eben gerade zum Ausdruck bringen, daß man sich so recht wohlig fühlen kann auf dem Stuhl, auf den man sich seit Jahrhunderten gesetzt hat, und nun der Welt mitteilen kann: Wenn ihr euch alle auf solche Stühle setzt, dann wird alles gut sein. - Das ist der Westen.

Der Osten, Rußland, hat auch eine Konsequenz gezogen. Nicht eine begriffliche; begrifflich sind die Leute noch nicht dort, wo sie ihre Realität haben. Die haben eine andere Konsequenz gezogen. Denen ist gar nicht eingefallen zu sagen: Was wir seit Jahrhunderten getrieben haben, das muß jetzt das Heil der ganzen Welt werden. Wir wollen, daß alle Leute so werden, wie wir waren. - Man hätte ja auch für das, was in Rußland seit Jahrhunderten geschehen ist, ein schönes Wort finden können, denn schöne Worte finden sich für alles, schöne Worte finden sich ja auch dann, wenn die Wirklichkeit noch so gräßlich ist. Heute kostet das ja nur, wenn man es mit amerikanischem Geld bezahlt, so und so viel Dollar; dann kann man sehr, sehr goldige Ideale in ethische Ideale umdeuten. Aber das ist ja im Osten nicht geschehen, da ist eine reale Konsequenz gezogen worden. Da hat man nicht gesagt: Die Welt muß jetzt übernehmen, was wir gehabt haben. - Da hat man wirklich den Schluß gezogen, auf den ich vorhin hingewiesen habe: daß die Voraussetzungen nicht stimmen müssen - und hat daher etwas in Bewegung gesetzt, was allerdings auch noch lange nicht das ist, was es einstmals sein wird. Aber das macht nichts; ich will jetzt gar nicht über das eine oder das andere irgendwie ein Urteil fällen, ich will nur auf den großen Gegensatz hinweisen. Wenn Sie diesen Gegensatz ins Auge fassen, dann werden Sie ein Kolossalbild der Wirklichkeit vor sich haben zwischen dem Westen, der auf alles schwört, was seine Vergangenheit betrifft, und dem Osten, der gebrochen hat mit allem, was seine Vergangenheit war.

Wenn Sie das ins Auge fassen, dann sind Sie den realen Ursachen des gegenwärtigen Weltenkonfliktes gar nicht so ferne; und dann werden

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Sie nicht so fern sein dem, worauf ich vor längerer Zeit auch schon hier aufmerksam gemacht habe: Der Krieg spielt sich eigentlich ab zwischen dem Westen und dem Osten. Was in der Mitte drinnen ist, wird bloß zerrieben, muß bloß, weil der Westen und der Osten nicht einig sind, leiden unter der Uneinigkeit des Westens und des Ostens.

Aber will man denn heute auf so etwas Kolossales sein Augenmerk richten? Hat denn dieser März 1917 den Menschen dieses Licht aufgesteckt von dem großen Gegensatz des Westens und des Ostens? Da stand im vorigen Jahre hier auf der Tafel, was dem Westen und dem Osten in der Weltanschauung zugehört! Die Weltgeschichte lehrt es seit dem März dieses Jahres. Und die Menschen müssen lernen und müssen verstehen lernen, sonst werden noch ganz andere, schwere Zeiten kommen. Nicht darum handelt es sich, im Abstrakten dieses oder jenes zu wissen, sondern hauptsächlich darum, überall die Forderung zu stellen zur Umkehr, zur Anstrengung, zur Überwindung des bequemen Schlendrians und in einer geistigen Weltauffassung das Richtige zu sehen. Und im geisteswissenschaftlichen Streben müssen Energien gesucht werden, nicht bloß Befriedigung, um zu sagen: Was war das wieder schön; ich bin so recht befriedigt! - und in einem Wolkenkuckucksheim zu schweben, so daß man allmählich einschläft in der Befriedigung über die Harmonie in der Welt und über die allgemeine Menschenliebe. Innerhalb jenes gesellschaftlichen Strebens, dem ja Mrs. Besant vorgestanden hat, hat sich das so recht zum Ausdruck gebracht. Viele von Ihnen werden sich noch erinnern an die vielen Proteste, die ich gegen all das edle Gesäusel vorgebracht habe, das man gerade auf dem Boden der Theosophischen Gesellschaft finden konnte. Hohe Ideale von wunderbarem Gesäusel wurden ja international-liberal verzapft. Allgemeine Brüderlichkeit, allgemeine Menschenliebe: so tönte es überall. Da konnte man nicht mitmachen. Wir suchten wirkliches, konkretes Wissen über die Vorgänge der Welt. Und Sie erinnern sich des Vergleiches, den ich oft gebraucht habe, daß mir dieses Gesäusel von allgemeiner Menschen liebe vorkommt, wie wenn einer einem Ofen, der das Zimmer heizen soll, immerfort zuredet: Lieber Ofen, es ist deine allgemeine Ofenpflicht, das Zimmer warm zu machen; also mache das Zimmer warm. - So kamen mir alle männlichen und weiblichen Tanten vor, welche dazumal

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die Summe der Theosophie in diesem Gesäusel von der allgemeinen Menschenliebe zum Ausdruck brachten. Ich habe dazumal gesagt: Man muß in die Öfen eben Kohlen tun, Holz hineinbringen und es anzünden. Und so muß man, wenn man es mit einer geistigen Bewegung zu tun hat, wirkliche, konkrete Begriffe in diese geistige Bewegung hineinbringen, sonst säuselt man jahrelang von allgemeiner Menschenliebe. Diese «allgemeine Menschenliebe» hat sich ja gerade bei der Führerin der theosophischen Bewegung, bei Mrs. Besant, in holdem Lichte gezeigt.

Natürlich ist es unbequemer, sich auf die Wirklichkeit einzulassen, als im Allgemeinen herumzureden über die Harmonie der Welt, über die Harmonie der einzelnen Seele mit der ganzen Welt, über die Harmonie in der allgemeinen Menschenliebe.

Aber Anthroposophie soll nicht da sein, die Menschen einzuschläfern, sondern sie aufzuwecken, richtig aufzuwecken. Wir leben in einer Zeit, die es nötig macht, daß die Menschen erwachen.

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NEUNTER VORTRAG Dornach, 14. Oktober 1917

Es ist notwendig, daß man gewisse Grundwahrheiten der geistigen Entwickelung immer wiederum vor seine Seele treten läßt, wenn man von neuem einiges, ich möchte sagen, Material an Kenntnissen und dergleichen aufgenommen hat, um diese Grundwahrheiten besser zu durchdringen. Wir haben uns ja bei den letzten Betrachtungen bekanntgemacht mit allerlei Vorstellungen, welche die Ereignisse der Gegenwart, die Gründe für diese Ereignisse erklären können, selbstverständlich alles bis zu einem gewissen Grade. Wir haben uns damit eben eine Reihe von Vorstellungen über die Entwickelung der Gegenwart angeeignet. Mit diesen Vorstellungen können wir herantreten an Grundwahrheiten, die wir von gewissen Gesichtspunkten aus schon kennen, die aber immer besser noch durchdrungen werden können, wenn man mit neuer Vorbereitung darangeht.

Ich habe ja öfter darauf hingedeutet, wie die Mitte des 19. Jahrhunderts, besonders die vierziger Jahre, ein bedeutungsvoller Einschnitt in der geistigen Entwickelung der europäischen und der amerikanischen Menschheit ist. Ich habe darauf hingewiesen, wie damals gewissermaßen der Höhepunkt war der materialistischen Verstandesentwickelung auf der Erde, der Höhepunkt für die Ausbildung desjenigen, was man nennen könnte ein Verstandesbegreifen der äußeren toten Tatsachen, das nicht herangehen will an das Lebendige.

Solche Ereignisse - und wir stehen ja heute durchaus unter den äußeren Nachwirkungen dieser Ereignisse und werden noch lange unter diesen Nachwirkungen stehen -, solche Ereignisse haben ihre tiefere Grundlage in Vorgängen der geistigen Welt. Und wenn wir nach den Vorgängen der geistigen Welt forschen, welche den äußeren irdischen Ausdruck fanden in dem eben Gesagten, so müssen wir hinweisen auf einen Kampf, geradezu auf eine Art von Krieg in der geistigen Welt, der dazumal begonnen hat, und der für die geistige Welt in gewissem Sinne eine Art Abschluß gefunden hat in dem Zeitpunkte, von dem ich ja auch schon öfters gesprochen habe, der in den Herbst des Jahres 1879

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fällt. Sie werden sich also über diese Dinge eine richtige Vorstellung verschaffen, wenn Sie sich einen Kampf denken in den geistigen Welten, der Jahrzehnte hindurch gedauert hat, von den vierziger Jahren bis in den Herbst des Jahres 1879.

Der Kampf, der da stattgefunden hat, kann bezeichnet werden als ein Kampf der geistigen Wesenheiten, welche zu der Gefolgschaft jenes Wesens aus der Hierarchie der Archangeloi gehören, das man bezeichnen kann als Michael, als Kampf also Michaels und seiner Gefolgschaft gegen gewisse ahrimanische Mächte. Also bitte, stellen Sie sich zunächst diesen Kampf vor als einen Kampf in der geistigen Welt. Und alles das, was ich zunächst meine, bezieht sich auf diesen Kampf zwischen Michael und seiner Gefolgschaft und gewissen ahrimanischen Mächten. Sie werden diese Vorstellung namentlich dann, wenn Sie von ihr eine fruchtbare Anwendung machen wollen für das Leben in der Gegenwart, gut verstärken, wenn Sie sich vor das Seelenauge führen, daß diejenigen Menschenseelen, die gerade in dem Jahrzehnt der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts geboren sind, die ersten Phasen dieses Kampfes zwischen der Michael-Gefolgschaft und den ahrimanischen Mächten noch in der geistigen Welt mitgemacht haben. Also diejenigen Menschen, die in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts geboren sind, haben gewissermaßen als Seelen vor ihrer Geburt den Anfang dieses Geisterkampfes mitangesehen. Wenn man das bedenkt, wird man viel Verständnis haben können für die äußeren und inneren Schicksalserlebnisse solcher Menschen, namentlich für die Seelenverfassungen solcher Menschen. Dieser Kampf hat also stattgefunden in den vierziger, fünfziger, sechziger, siebziger Jahren und hat im Herbst 1879 damit seinen Abschluß gefunden, daß Michael und seine Gefolgschaft einen Sieg davongetragen haben über gewisse ahrimanische Mächte.

Was bedeutet das nun? Man kann, wenn man so etwas in der richtigen Art verstehen will, immer wiederum sich behelfen mit dem Bilde, das ja durch die Entwickelung der Menschheit durchgehalten worden ist: Mit dem Bilde des Kampfes Michaels mit dem Drachen. Natürlich tritt der Kampf Michaels mit dem Drachen an den verschiedensten Stellen der Entwickelung auf. Man hat es oftmals in der Entwickelung mit einem Kampf des Michael mit dem Drachen zu tun. Man kann das

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so charakterisieren, daß jedesmal, wenn solch ein Kampf des Michael mit dem Drachen auftritt, dieser Kampf in ähnlicher Weise sich abspielt wie in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, aber um andere Güter und Ungüter, Schäden, Nachteile; daß gewisse ahrimanische Scharen immer von neuem bald dies, bald jenes der Weltenentwickelung einverleiben möchten, und daß sie immer wiederum besiegt werden. So sind sie besiegt worden - aber, wie gesagt, innerhalb der geistigen Welt - im Herbst 1879.

Aber was bedeutet es denn, daß nun die Mächte des Drachen, diese ahrimanischen Scharen, in die Reiche der Menschen, gewissermaßen vom Himmel auf die Erde gestoßen sind? Der Verlust dieses Kampfes bedeutet, daß sie nun nicht mehr, biblisch gesprochen, in den Himmeln zu finden sind. Dafür sind sie zu finden in den Reichen der Menschen, und das heißt: das Ende der siebziger Jahre war vorzugsweise diejenige Zeit, in welcher die menschlichen Seelen mit Bezug auf gewisse Erkenntniskräfte von ahrimanischen Impulsen ergriffen wurden. Weil diese ahrimanischen Impulse früher sich in den geistigen Reichen betätigen konnten, haben sie die Menschen mehr in Ruhe gelassen; weil sie heruntergestoßen worden sind aus den geistigen Reichen, sind sie über die Menschen gekommen. Und wenn wir uns fragen: Was ist eigentlich dazumal von den geistigen Reichen aus in die Menschen gefahren als ahrimanische Mächte? - so ist es eben die persönlich gefärbte, wohlgemerkt, die persönlich gefärbte, ahrimanische, materialistische Weltauffassung.

Gewiß, der Höhepunkt des Materialismus war in den vierziger Jahren vorhanden. Aber er hatte dazumal seine Impulse mehr instinktiv in die Menschen hineingeschickt. Die ahrimanischen Scharen haben da zumal noch von der geistigen Welt aus in die menschlichen Instinkte hinein ihre Impulse geschickt. Persönliches Eigentum der Menschen wurden diese ahrimanischen Impulse, namentlich Erkenntniskräfte und Willenskräfte, seit dem Herbst 1879. Was vorher mehr Allgemeingut war, wurde damit verpflanzt in das Eigentum der Menschen. Und so können wir sagen, daß seit dem Jahre 1879 durch die Anwesenheit dieser ahrimanischen Mächte im Reiche der Menschen persönliche Ambition, persönliche Tendenz vorhanden ist, die Welt materialistisch zu

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deuten. Und wenn Sie mancherlei verfolgen, was seit jener Zeit geschehen ist aus den persönlichen Tendenzen der Menschen heraus, dann werden Sie es verstehen aus dem Herab stoßen des Drachen, das heißt der ahrimanischen Scharen, durch den Erzengel Michael von den Reichen des Geistes, von den Himmeln auf die Erde.

Es ist dies ein Vorgang von ungeheurer Bedeutung, von ganz tiefgehender Bedeutung. Das 19.Jahrhundert und auch noch unsere Zeit haben ja allerdings nicht die Geneigtheit, auf solche Vorgänge in der geistigen Welt und ihren Zusammenhang mit der physischen Welt zu achten. Aber die letzten Gründe, die letzten Impulse für die Ereignisse auf der Erde findet man eben nur, wenn man diese spirituellen Hinter gründe kennt. Man muß sagen, daß schon ein gehöriges Quantum von Materialismus, der sich allerdings idealistisch färbt, dazugehört, zu sagen: Was bedeutet es denn gegenüber der Ewigkeit, wenn so und so viel Tonnen organischer Substanz durch die Verlängerung des Krieges mehr zugrunde gehen! - Man muß fühlen, wie stark im Ahrimanismus eine solche Auffassung wurzelt, denn sie wurzelt ja in den Empfindungswelten. Diese Philosophie von den «Tonnen organischer Substanz», diese Philosophie des Philosophen Lichtenberger ist im wesentlichen eines der zahlreichen Beispiele, die man anführen kann für besondere Ausprägungen ahrimanischer Denkungsweise.

Also dasjenige, was als tiefster Impuls lebt in den Seelen vieler Menschen seit dem Jahre 1879, das ist heruntergeworfen worden in die Reiche der Menschen, das lebte vorher als ahrimanische Macht in der geistigen Welt. Es ist von Vorteil, wenn man noch andere Vorstellungen sucht, welche diese Vorstellungen verstärken können, und da ist es gut, wenn man - aber mehr als imaginativ-symbolische Vorstellungen - Vorstellungen aus der materiellen Welt zu Hilfe ruft. Denn dasjenige, was heute mehr geistig geschieht, seelisch geschieht, das hat alles in Ur Zeiten eine Färbung gehabt, die sich mehr auf materiellen Gebieten auslebte. Das Materielle ist ja auch geistig, es ist nur eine andere Form des Geistigen.

Wenn Sie in sehr, sehr alte Entwickelungszeiten zurückgehen würden, dann würden Sie nämlich finden, daß ein ähnlicher Kampf stattgefunden hat zwischen Michael und dem Drachen wie der, den ich

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Ihnen jetzt für das 19. Jahrhundert geschildert habe. Ich deutete ja schon an, wie solche Kämpfe immer wieder sich wiederholt haben, nur ging es immer um andere Dinge. In alten Zeiten hatten auch einmal die ahrimanischen Scharen einen solchen Kampf verloren, und sie wurden auch dazumal heruntergeworfen von den geistigen Welten in den irdischen Bereich. Sie machten eben ihre Anstürme immer von neuem. Da gab es zum Beispiel einen solchen Kampf, durch den diese ahrimanischen Scharen, nachdem sie heruntergeworfen waren auf die Erde, alle diejenige Bevölkerung der Erde in den Bereich der Erde hereingebracht haben, die man heute im ärztlichen Leben als die Bazillen bezeichnet. All das, was man als Bazillenkräfte aufweist, woran Bazillen einen Anteil haben, ist ebenso eine Folge davon, daß einmal ahrimanische Scharen vom Himmel auf die Erde geworfen worden sind, daß der Drache besiegt worden ist, wie es eine Folge eines solchen Sieges ist, daß die ahrimanisch-mephistophelische Denkungsweise seit dem Ende der siebziger Jahre Platz gegriffen hat. So daß man sagen kann: auf materiellem Gebiete haben die Tuberkel- und Bazillenkrankheiten einen ähnlichen Ursprung wie der gerade jetzt vorhandene Verstandesmaterialismus auf geistig-seelischem Gebiete. - Die zwei Dinge gleichen sich im höheren Sinne durchaus.

Wir können noch mit etwas anderem diese Vorgänge des letzten Jahrhunderts vergleichen. Wir können hinweisen auf etwas, was Sie ja aus der «Geheimwissenschaft im Umriß» auch kennen: das Hinaus- ziehen des Mondes aus dem Bereich der Erdenentwickelung. Der Mond hat zur Erde gehört, er ist einmal aus der Erde herausgeworfen worden. Dieses Herauswerfen des Mondes aus dem Erdenbereich, das bedeutet das Platzgreifen gewisser Mondeneinflüsse. Diese sind auch über die Erde gekommen infolge eines solchen Sieges des Michael über den Drachen. So daß man wiederum sagen kann: Alles dasjenige, was zusammenhängt mit gewissen Wirkungen, die parallel gehen den Mondesphasen, überhaupt den Impulsen, die vom Mond auf die Erde ausgehen, all das hat in einem ähnlichen Kampf Michaels mit dem Drachen seinen Ursprung.

Gewissermaßen gehören diese Dinge auch wirklich zusammen, und es ist außerordentlich gut, sich einmal diese Zusammengehörigkeit vor

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Augen zu führen, denn sie hat eine sehr tiefe Bedeutung. Gewisse Menschen entwickeln nämlich gerade dadurch einen unwiderstehlichen Hang nach dem verstandesmäßigen Materialismus, weil dieser Hang von ihrem persönlichen Bündnis mit dem gestürzten Ahriman ausgeht. Sie beginnen nach und nach, die Impulse, die Ahriman in ihrer Seele aufrichtet, zu lieben, sie sogar als etwas besonders Erhaben es, besonders Hohes in der Denkweise zu bezeichnen. Man muß über diese Dinge wiederum ein vollständig klares Bewußtsein haben. Denn ohne Bewußtsein findet man sich in den Ereignissen nicht zurecht. Nur durch ein klares Hineinschauen in diese Verhältnisse findet man sich mit diesen Dingen, mit diesen Ereignissen zurecht.

Die Gefahr, die aus alldem hervorgeht, muß man gewissermaßen kalten Auges und auch kalten Herzens ansehen. Man muß der Sache ruhig ins Gesicht sehen. Das tut man aber nur, wenn man sich klarmacht, daß eben eine ganz bestimmte Art Gefahr von jener Seite den Menschen droht. Und diese Gefahr besteht darin, daß konserviert wird dasjenige, was nicht konserviert werden sollte. Alles, was in der Weltenordnung geschieht, hat nämlich auch sein Gutes. Wir erobern uns dadurch, daß die ahrimanischen Mächte durch den Sieg des Michael in uns gefahren sind, wiederum ein Stück der menschlichen Freiheit. Alles hängt ja damit zusammen, in uns alle sind ja diese Scharen des Ahriman gefahren. Wir erobern uns ein Stück der menschlichen Freiheit, aber wir müssen uns dessen bewußt sein. Wir müssen gewissermaßen den ahrimanischen Mächten nicht die Oberhand über uns gestatten, müssen uns nicht verlieben in diese ahrimanischen Mächte.

Das ist sehr wichtig. Denn es ist durchaus die Gefahr vorhanden, daß die Menschen festhalten dieses Verharren im Materialismus, in der materialistisch-ahrimanischen Denkweise, und sie hinaustragen in Zeiten, in denen sie eigentlich bestimmt ist, überwunden zu sein. Dann würden diejenigen Menschen, die sich nicht von der ahrimanisch-materialistischen Denkweise abwenden, sondern bei ihr verbleiben wollten, ein Bündnis eingehen auf der Erde mit alldem, was in ähnlicher Weise durch den Sieg des Michael über den Drachen entstanden ist. Das heißt, sie würden sich nicht mit dem geistigen Fortschritt der Erdenentwickelung verbinden, sondern mit dem materiellen Fortschritt.

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Sie würden in einem gewissen Zeitraume der sechsten nachatlantischen Zeit ausschließlich Gefallen daran finden, in dem zu leben, was dann kommen wird durch Bazillen, durch die kleinen mikroskopischen Feinde der Menschen.

Wir müssen zu solchen Dingen noch ein anderes hinzufügen, das wir auch verstehen müssen. Die naturwissenschaftliche Denkweise ist in starker Gefahr, durch ihre eigene Konsequenz, ja geradezu durch ihre Größe auch in diese ahrimanische Denkweise hineinzusegeln. Nicht nur die moralische Denkweise, sondern auch die naturwissenschaftliche Denkweise ist sehr stark in der Gefahr, in diese ahrimanische, materialistische Denkweise hineinzusegeln. Denken Sie einmal, wie gewisse Naturforscher zum Beispiel auf dem Gebiete der Geologie heute denken. Man verfolgt die Gestaltung der Erdoberfläche, verfolgt aus den Überresten und so weiter, wie in den einzelnen Schichten gewisse Tiere leben oder gelebt haben. Man findet Erfahrungstatsachen für bestimmte Zeiträume. Dadurch bilden sich dann die Naturforscher die Ansichten, wie es vor so und so viel Tausenden und Millionen von Jahren ausgesehen hat, und bilden dann die Kant-Laplacesche Theorie vom Urnebel. Es bilden sich auch Naturforscher gewisse Vorstellungen, die nach physikalischen Anschauungen ganz richtig sind, über die späteren Zustände der Erdenentwickelung, die da kommen sollen. Solche Vorstellungen sind manchmal ungemein geistreich, sehr sehr geistreich. Aber worauf beruhen solche Vorstellungen? Nicht wahr, sie beruhen darauf, daß man eine Zeit hindurch die Entwickelung der Erde beobachtet und dann Schlüsse zieht: Millionen Jahre vorher, Millionen Jahre nachher.

Was macht man denn da aber eigentlich? Man macht dasselbe, was man machen würde, wenn man ein Kind von sieben, acht, neun Jahren beobachten würde, wie sich die Organe allmählich verändern, oder teilweise verändern, und man würde danach ausrechnen, wie sich solche Menschenorgane im Verlauf von zwei, drei Jahren verändern. Dann multipliziert man das, und dann kommt man darauf, wie diese Organe, die beim Kinde von sieben, acht, neun Jahren sich verändert haben, sich im Verlaufe von Jahrhunderten verändern. Man kann also ausrechnen, wie dieses Kind ausgeschaut hat vor hundert Jahren, und man kann

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dann auch ausrechnen, wenn man nach der andern Seite multipliziert, wie das Kind ausschauen wird nach hundertfünfzig Jahren. Es ist eine Methode, die ganz geistreich sein kann. Es ist dies genau dieselbe Methode, welche die Geologen heute anwenden, um die Urzeiten der Erde zu berechnen, und die man angewendet hat, um die Kant-Laplacesche Theorie ins Leben zu rufen. Es ist genau dieselbe Methode, die man anwendet, wenn man sich ausmalt, was aus der Erde werden soll nachden physikalischen Gesetzen, die man jetzt beobachtet. Aber Sie werden alle zugeben: diese Gesetze wollen beim Menschen zum Beispiel nicht viel besagen, denn das Kind vor hundert Jahren war eben nocb nicht da als physisches Menschenwesen und wird nach hundertfünfzig Jahren wieder nicht als physisches Menschenwesen da sein.

So ist es aber auch mit der Erde für die Zeiten, die die Geologie berechnet. Die Erde ist eben später entstanden als in jenen Zeiten, mit denen Tyndall oder Huxley, Haeckel oder andere rechnen, und die Erde wird, bevor die Zeit eintritt, wo man einfach Eiweiß an die Wand streichen kann, um dabei zu lesen, nur noch Leichnam sein. Das kann man ja sehr gut ausrechnen, daß man dereinst durch physikalische Mittel einfach Eiweiß an die Wand streichen wird, und dann, weil das Eiweiß glänzen wird wie elektrisches Licht, man Zeitungen dabei wird lesen können. Das wird einmal durch die physikalischen Veränderungen eintreten, nicht wahr. Aber die Zeit wird niemals kommen, geradesowenig wie die Zeit kommen wird, wo ein Kind nach hundertfünfzig Jahren die entsprechenden Veränderungen haben wird, die man aus den sukzessiven Veränderungen seines Magens und seiner Leber in zwei, drei Jahren zwischen dem siebenten und neunten Jahre berechnet.

Da sehen Sie in ganz merkwürdige Dinge der Gegenwart hinein. Sie sehen, wie die Gegensätze aneinanderstoßen. Denken Sie sich so einen richtigen Naturforscher, der sich das anhört, was ich eben jetzt gesagt habe. Der wird sagen: Das ist eine Narrheit, die reinste Narrheit! - Aber denken Sie sich einen Geistesforscher, der die Sache durchschaut. Der findet: Das, was der Naturforscher sagt, das ist die reinste Narrheit. - Denn all die Hypothesen über Anfang und Ende der Erde sind wirkliche Narrheiten, sind nichts anderes als Narrheiten, trotzdem sie außerordentlich geistreich gefunden sind.

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Sie sehen daraus, wie unbewußt eigentlich im Grunde die Menschen geführt werden. Aber wir sind eben in der Zeit, wo solche Dinge eingesehen werden müssen, wo man solche Dinge durchschauen muß. Also notwendig ist es, daß wir solch eine Vorstellung mit den andern Vorstellungen, die wir heute charakterisiert haben, verbinden. Die Erde wird längst ein Leichnam geworden sein, wenn die Zeit eintreten wird, in welcher wir so weit die materialistischen Vorstellungen umgewandelt haben müssen, daß wir hinauf können in ein mehr geistiges Dasein. Es werden auf einer uns nicht mehr tragenden Erde auch keine solchen fleischlichen Inkarnationen gesucht, wie wir sie gegenwärtig, heute suchen. Aber diejenigen Menschen, die sich mit dem materialistischen Verstande so verbunden haben, daß sie ihn nicht loslassen wollen, die werden in der zukünftigen Gestalt noch immer auf diese Erde herunterkriechen und ihre Beschäftigung sich verschaffen in dem, was dann ganz besonders auf dieser Erde sich entwickelt in den Taten der Bazillen, der Tuberkel und so weiter, denn diese Wesenheiten werden dann gerade den Leichnam der Erde gehörig durchwühlen. Sie sind jetzt nur, man möchte sagen, Propheten dessen, was der ganzen Erde in der Zukunft passieren wird. Und dann wird eine Zeit kommen, wo sich diejenigen, die sich so an den materialistischen Verstand halten, mit den Mondenmächten verbinden, und die Erde, wenn sie Schlacke, Leichnam geworden ist, mit dem Monde zusammen umgeben. Denn diese Wesen, diese Menschen, die sich mit dem materialistischen Verstand durchaus verbinden wollen, die wollen ja nichts anderes, als das Leben der Erde festhalten, verbunden bleiben mit dem Leben der Erde, nicht in der richtigen Weise aufsteigen vom Leichnam der Erde zu dem, was dann das Seelisch-Geistige der Erde wird.

Alle diese Dinge aber sind insbesondere in unserer Zeit wirksam in vielem, was man heute besonders bewundert als geistvolle Vorstellungen, als moralische Impulse - die Menschen taufen ja heute alles «moralische Impulse» -, in dem leben diese ahrimanisch-materialistischen Kräfte, von denen ich gesprochen habe; die können sich auswachsen zu den Impulsen, die in der Zukunft den Menschen, aus seinem eigenen Willen heraus, mit allen Klammern an die Erde heften werden. Es ist daher notwendig, auf diese Dinge die Aufmerksamkeit zu richten. Und

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wirklich recht notwendig ist es, sehr achtzugeben auf dasjenige, was in der Gegenwart wie selbstverständlich verehrt wird. Gewisse Natur gesetze gelten heute einfach als selbstverständlich. Man schilt jeden einen Dilettanten und Narren, der sie nicht anerkennt. Gewisse moral- politische Aspirationen gelten als selbstverständlich. Man deklamiert über sie breite Wilsoniaden. Alle diese Dinge haben die Anlage in sich, sich auszuwachsen zu dem, was man so, wie ich es getan habe, charakterisieren kann.

Ich habe nicht umsonst gesagt, daß unter ganz besonderen Verhält nissen diejenigen Menschen gestanden haben, welche den Ausgangspunkt des Kampfes in den vierziger Jahren mitgemacht haben. Sie sind dann auf die Erde herein versetzt worden. Und man versteht viel von dem Seelen leben solcher Menschen, besonders wenn sie geistig strebsame Menschen waren, von ihren Zweifeln, von ihren Kämpfen, wenn man in Erwägung zieht, was sie als Impuls mitgenommen haben aus dem geistigen Leben der vierziger Jahre in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, in den Beginn des 20. Jahrhunderts herein.

Noch eine andere Erscheinung hängt damit zusammen, eine Erscheinung, die heute nicht übersehen werden sollte, aber sehr viel übersehen wird. Man glaubt heute, geistige Wesen und ihre Wirkungen hätten keinen Anteil an der menschlichen Ordnung. Man liebt es nicht, von geistigen Ursachen in unserem Menschheitsgeschehen zu reden. Derjenige aber, der bekannt ist mit den wirklichen Vorgängen, die sich heute abspielen, der weiß, daß psychische Einwirkungen, geistige spirituelle Wirkungen von der geistigen Welt aus auf die Menschen hier auf dem physischen Plan heute eigentlich in ganz besonders starkem Umfange ausgeübt werden. Die Menschen sind heute gar nicht selten, welche Ihnen erzählen können, sie verstehen nur gewöhnlich die betreffenden Vorgänge nicht, daß sie durch einen Traum oder Traumähnliches - es ist aber immer eine geistige Erscheinung - zu der oder jener Tätigkeit, zu dem oder jenem Vorgang getrieben worden sind. Viel mehr als die materialistische Meinung glaubt, werden heute die Menschen durch solche psychischen Einwirkungen getrieben. Wer Gelegenheit hat, diesen Dingen nachzugehen, findet auf Schritt und Tritt solche Dinge. Wenn Sie die Gedichtliteratur der besseren Dichter heute

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nehmen und eine Statistik aufstellen würden, wie viele Gedichte entstanden sind auf rationalistischem Wege, auf einem Wege, der rationalistisch zu erklären ist, und wie viele Gedichte entstanden sind durch eine Eingebung, durch einen deutlichen spirituellen Einfluß aus der geistigen Welt, den der Betreffende als einen Traum oder etwas Ähnliches erlebt hat - Sie würden staunen, welch großen Prozentsatz Sie erleben würden als direkten Einfluß aus der geistigen Welt. Viel mehr, als die Leute heute zugeben, stehen sie nämlich unter dem Einfluß der geistigen Welt. Und gerade bedeutsame Geschehnisse, die durch Menschen vollzogen werden, geschehen unter dem Einfluß der geistigen Welt.

Da und dort frägt man: Warum ist die oder jene Zeitung begründet worden? - Der Betreffende hat sie begründet, weil er diesen oder jenen Impuls aus der geistigen Welt gehabt hat. Wenn er das Vertrauen hat, wirklich unbefangen über seine Impulse zu Ihnen zu sprechen, so erzählt er eine Traumerscheinung, wenn Sie ihn über den eigentlichen Ursprung fragen. Deshalb mußte ich hier vor einiger Zeit sagen: Wenn die Geschichtsschreibung einmal über den Ausbruch dieses Krieges sprechen wird, und in der Art der alten Rankeschen oder sonstigen Dokumentengeschichte diese Kulturdokumente verwerten wird, so wird sie gerade das Wichtigste nicht schreiben, weil das Wichtigste im Jahre 1914 geschehen ist durch den Einfluß der geistigen Welt.

Die Dinge geschehen zyklisch, das heißt periodenweise. Und was hier auf dem physischen Plan geschieht, das ist eigentlich immer eine Art Projektion, eine Art Abschattung dessen, was in der geistigen Welt geschieht. Nur geschieht das, was in der geistigenWelt geschieht, früher. Nehmen Sie einmal an, hier diese Linie (siehe Zeichnung) stellte dar die Schwelle, also die Grenzlinie, Grenzebene zwischen der geistigen Welt und der physischen Welt, so würde das, was ich jetzt eben gesagt habe, in der folgenden Weise zu charakterisieren sein: Nehmen wir an, irgend etwas,was als geistiges Ereignis zu bezeichnen ist - der Kampf Michaels mit dem Drachen -, geschieht zunächst als ein Ereignis in der geistigen Welt. Es entladet sich zuletzt dadurch, daß der Drache vom Himmel auf die Erde geworfen wird. Dann zeigt es sich auf der Erde so, daß ein Zyklus voll wird, das heißt ungefähr an demselben Zeitpunkt nach dem Ereignis, durch das der Drache auf die Erde heruntergeworfen

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worden ist, zeitlich so weit entfernt, wie dieser Zeitpunkt liegt nach dem Beginne des geistigen Ereignisses.

Man möchte sagen: Die Morgenröte, der erste Anfang, der erste Anstoß zu diesem Kampfe des Michael mit dem Drachen im 19. Jahrhundert war 1841. Besonders lebhaft ging es dann zu im Jahre 1845. Von 1845 bis 1879 verlaufen 34 Jahre, von 1879 weitergezählt 34 Jahre, würde das Spiegelereignis sein: Sie haben das Jahr 1913, das 1914 eben vorangegangen ist. Sie sehen, auf dem physischen Plane ist Spiegelbild der entscheidenden Ursachen des geistigen Kampfes dasjenige, was von 1913 beginnt. Und nehmen Sie gar 1841 bis 1879 bis 1917! Das Entscheidungsjahr des 19. Jahrhunderts war 1841, sein Spiegelbild ist 1917. Und niemand braucht sich sehr zu wundern über mancherlei, was geschieht, wenn er ins Auge faßt, daß jene Anstrengungen, die 1841 droben in der geistigen Welt durch die ahrimanischen Scharen begonnen haben, als der Drache mit dem Michael seinen Kampf begann, sich gerade 1917 spiegeln. Man versteht die Ereignisse des physischen Planes wirklich nur, wenn man weiß, wie sie sich vorbereiten in den geistigen Welten.

Diese Dinge sollen nicht etwa dazu beitragen, die Menschen zu beunruhigen, den Menschen allerlei Mucken in den Kopf zu setzen; diese Dinge sollen eine Aufforderung sein, klar sehen zu wollen, wirklich hineinsehen zu wollen in die geistige Welt, nicht zu verschlafen die

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Ereignisse. Deshalb ist es gerade in diesem Jahr so notwendig geworden auf dem Gebiete unserer anthroposophischen Entwickelung, immer wieder und wiederum die Worte zu sprechen, daß Wachsamkeit notwendig ist, Achtsamkeit auf dasjenige, was geschieht, daß man nicht schlafend die Ereignisse an sich vorübergehen lassen soll.

Man kann solche Dinge, die man damit eigentlich meint, manchmal nur vergleichsweise ausdrücken. Ich habe gestern darauf aufmerksam gemacht, in welcher Weise im Osten Europas Konsequenzen gezogen worden sind aus solchen Vorgängen. Wenn man hier im Westen einigermaßen aus äußeren Dingen kennenlernen will, was eigentlich in der osteuropäischen Seele lebt, dann ist das beste Mittel, aus dem Philosophen Solowjow sich einen Einblick in die Seele des Ostens zu verschaffen; aber es wird dieser Einblick auch nur sehr mangelhaft sein. Den wirklichen Einblick kann man nur gewinnen durch diejenigen Erkenntnisse, die im Laufe der Jahre und Jahrzehnte innerhalb unserer anthroposophischen Bewegung in den Zyklen und Vorträgen zu Tage getreten sind über die Bestimmung des russischen Volksgeistes, über das Wesen des russischen Volksgeistes. Aber wenn man den Blick auf den Philosophen Solowjow richtet, dann kann man vergleichsweise ausdrücken, was man mit Bezug auf solche Dinge eigentlich sagen will. Sie wissen, Solowjow ist ja an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert gestorben, ist also längst tot. Die westlichen Menschen haben sich ja nicht viel gekümmert um die Philosophie des Solowjow. Es war nicht viel Gelegenheit, sich mit ihr bekanntzumachen, und die westlichen Menschen haben ja nicht viel danach gesucht, Solowjow als einen Vermittler des europäischen Ostens kennenzulernen. Höchstens daß ein Professor, wie ja bekannt ist, vor einigen Jahren einmal darauf gekommen ist, daß es doch nicht gut sei, über Solowjow gar nichts zu wissen, wenn man Philosophieprofessor an einer Universität ist. Nun, da hat er eine Dissertation darüber machen lassen von einem Doktoranden, und sich gedacht: Der Doktorand kann dann die Sachen des Solowjow studieren, und er liest dann die Dissertation!

Aber ich möchte die Sache, um die es sich handelt, nur zu einem Vergleich heranziehen, ich möchte sagen: Wenn wir uns hypothetisch vorstellen, Solowjow lebte heute noch, hätte diesen Krieg miterlebt, hätte

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die russischen Geschehnisse miterlebt - was würde er gerade als Russe dann getan haben? Man kann solche Dinge natürlich nur hypothetisch beantworten; aber man kann ruhig sagen, man könne den Glauben haben: Solowjow würde als Russe alle seine Werke, die er vor dem Kriege geschrieben hat, wahrscheinlich irgendwie aus derWelt geschafft haben und alle seine Sachen neu geschrieben haben. Denn er würde die Notwendigkeit eingesehen haben, gerade seine Ansichten alle zu revidieren. Seine Ansichten wurzelten in der Zeit. Deshalb auch würde er den Drang verspürt haben, alle umzuschreiben. Er würde nur eine Konsequenz für sich gezogen haben, die der ganze europäische Osten gezogen hat.

Es sieht das paradox aus, wenn man so etwas sagt. Dennoch, wer heute Solowjow liest, liest ihn am besten 50, daß er sich klarmacht, daß Solowjow zu wenigem mehr so unbedingt ja sagen würde, wie er dazumal ja gesagt hat. Aber das alles würde ein Zeichen sein für das Wachen, das sich ausdrücken könnte in einer Grundrevision gerade der gewichtigsten Vorstellungen, die ihre Absurdität erfahren haben in den letzten Jahren, die sich selbst ad absurdum geführt haben. Gewiß, 2 x 2 ist 4 würde ja auch 2 x 2 = 4 geblieben sein, aber andere Dinge müssen entschieden revidiert werden. Nur wenn man das Bewußtsein von der Notwendigkeit dieser Revision hat, lebt man wachend in der Zeit.

Der Menschheit ist gerade 1917 - achtunddreißig Jahre nach 1879, weil 1879 achtunddreißig Jahre nach 1841 ist - etwas Wichtiges aufgegeben. Denn das Wichtige in den gegenwärtigen Ereignissen ist ja nicht dasjenige, was die Menschen 1914 gemacht haben, sondern das Wichtige ist, daß sie wieder da herauskommen. Das Problem, wie wieder herauskommen, das ist es, was unsere Zeit eigentlich betrifft. Und wenn man nicht einsehen wollte, daß man mit alten Vorstellungen nicht herauskommt, daß man dazu neue Vorstellungen braucht, wird man durchaus fehlgehen. Alle diejenigen sind auf dem Holzwege, welche glauben, daß man mit alten Vorstellungen, wie sie vorher waren, aus den Dingen herauskommen könne. Man muß sich bequemen zu neuen Vorstellungen, die man nur aus einer Erfassung der geistigen Welt gewinnt.

Ich wollte Ihnen heute gewissermaßen den Hintergrund geben für

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vieles von dem, was ich in den letzten Tagen gesagt habe. Sie sehen, ergreift man das geistige Leben konkret, dann reicht man nicht aus mit dem allgemeinen Gefasel, das der Pantheismus und ähnliche Weltanschauungen so sehr lieben: daß es eine geistige Welt gibt, daß hinter allem Physischen der Geist ist. Das allgemeine, nebulose Herum reden von Geist führt zu nichts. Man muß die bestimmten geistigen Ereignisse und geistigen Wesenheiten, die hinter der Schwelle liegen, ins Auge fassen. Denn wie die Ereignisse hier nicht bloß allgemeine, sondern ganz bestimmte Ereignisse sind, so sind sie auch in der geistigen Welt konkret und bestimmt. Ich glaube nicht, daß es vielen Leuten bloß einfallen wird, wenn sie morgens aufstehen, zu sagen: Ich gehe jetzt vor meine Haustüre hinaus, da komme ich in die Welt. - Das werden sie nicht sagen, sondern sie werden Vorstellungen haben über das Bestimmte, das sie antreffen. Ebenso kommt man nur mit den tieferen Gründen der Menschheits- und Weltenentwickelung zurecht, wenn man sich auch die Dinge jenseits der Schwelle in bestimmter, konkreter Art vorzustellen vermag, nicht auf ein allgemein Geistiges bloß hinweisend - All, Vorsehung und dergleichen -, sondern auf diese bestimmten Dinge.

Wir können viel, viel empfinden, wenn wir uns in der Zeichnung (Seite 159) die Zahlen anschauen 1841 und 1917. Aber solches Empfinden muß in uns Leben werden, wenn wir verstehen wollen, was eigentlich geschieht.

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ZEHNTER VORTRAG Dornach, 20. Oktober 1917

Man kann nicht sagen, daß die Gegenwart keine Ideale hätte. Im Gegenteil, sie hat sehr, sehr viele Ideale. Aber diese Ideale sind nicht wirksam. Warum sind sie nicht wirksam? Denken Sie sich einmal - verzeihen Sie das etwas merkwürdige Bild, aber es entspricht doch der Sache -, denken Sie sich einmal, ein Huhn wäre bereit, ein Ei auszubrüten, man würde dieses Ei aber nehmen und durch Wärme ausbrüten lassen, das Kückelchen aus dem Ei herauskommen lassen. All das wäre ja denkbar, aber wenn man das zum Beispiel unter dem Rezipienten einer Luftpumpe machen würde, im luftleeren Raume, meinen Sie, daß das Huhn, das aus dem Ei ausschlüpft, gedeihen würde? Da sind gewissermaßen alle in der Evolution gegebenen Entwickelungsmomente da, aber eines ist nicht da: wo hinein man das betreffende Kückelchen setzen soll, damit es seine Lebensbedingungen habe.

So ungefähr geht es mit all den schönen Idealen, von denen man in der Gegenwart so sehr häufig spricht. Sie klingen nicht nur schön, sie sind in der Tat wertvolle Ideale. Aber die Gegenwart läßt sich nicht angelegen sein, die wirklichen, die realen Bedingungen der Evolution kennenzulernen, so wie man sie einmal nach den Bedingungen der Gegenwart erkennen muß. Und so kommt es, daß man in den merkwürdigsten Gesellschaften alle möglichen Ideale prägen, vertreten, fordern kann, und es kommt nichts dabei heraus. Denn schließlich, Gesellschaften mit Idealen hat es wahrhaftig im Beginne des 20. Jahrhunderts genügend gegeben. Daß aber die letzten drei Jahre just eine Erfüllung dieser Ideale waren, das kann man nicht sagen. Nur müßte man aus einer solchen Tatsache etwas lernen, wie ja gerade in diesen Betrach tungen öfter erwähnt worden ist.

Ich habe Ihnen nun vorigen Sonntag hier mit einigen Strichen ein Bild gegeben der geistigen Entwickelung der letzten Jahrzehnte. Ich habe Sie gebeten, darauf Rücksicht zu nehmen, daß dasjenige, was auf dem physischen Plane geschieht, längere Zeit vorbereitet ist in der geistigen Welt. Ich habe da auf ganz Konkretes hingewiesen. Ich habe

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darauf hingewiesen, wie in den vierziger Jahren in der unmittelbar an die unsrige nach oben angrenzenden geistigen Welt ein Kampf begonnen hat, eine Metamorphose jener Kämpfe, die man mit dem alten Symbolum bezeichnet als den Kampf des heiligen Michael mit dem Drachen. Und ich habe Ihnen angeführt, wie dieser Kampf in der geistigen Welt sich bis zum November 1879 abgespielt hat, wie man es also da in der geistigen Welt mit einem Kampf zu tun hatte, mit einem Kampf Michaels mit dem Drachen - wir wissen ja, was unter diesem Bilde zu verstehen ist -, wie dann nach dem November 1879 in der geistigen Welt der Sieg erfochten worden ist von seiten Michaels, und der Drache, das heißt die ahrimanischen Gewalten heruntergestoßen worden sind in die Sphäre der Menschen. Wo sind sie jetzt?

Also bedenken wir wohl: diejenigen Mächte von der Schule Ahrimans, die vom Jahre 1841 bis 1879 einen entscheidungsvollen Kampf ausgeführt haben in der geistigen Welt, sie sind 1879 gestürzt worden aus der geistigen Welt herunter in das Reich des Menschen. Und seit jener Zeit haben sie ihre Festung, haben sie das Feld ihres Wirkens - und zwar speziell in derjenigen Epoche, in der wir jetzt leben - in dem Denken, in dem Empfinden, in den Willensimpulsen der Menschen.

Vergegenwärtigen Sie sich daraus, wie unendlich viel in dem, was die Menschen denken, in dem, was die Menschen wollen und empfinden, in dieser unserer Zeit von ahrimanischen Mächten durchsetzt ist. Solche Ereignisse im Zusammenhange zwischen der geistigen und der physischen Welt liegen im Plane unserer ganzen Weltenordnung, und man muß mit diesen konkreten Tatsachen rechnen. Was nützt es, wenn man immerfort im Abstrakten steckenbleibt und als ein richtiger Abstraktling sagt: Der Mensch muß Ahriman bekämpfen. - Es kommt ja nichts dabei heraus bei einer solchen abstrakten Formel. Die Menschen der Gegenwart ahnen zuweilen gar nicht, in welcher Geisteratmosphäre sie eigentlich stehen. Man muß diese Tatsache in ihrer ganzen schwerwiegenden Bedeutung ins Auge fassen.

Nehmen Sie nur einmal dieses: daß Sie als Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft berufen sind, von diesen Dingen zu hören, sich in Ihren Gedanken, in Ihren Empfindungen mit diesen Dingen zu beschäftigen. Dann wird Ihnen der ganze Ernst der Sache vor die Seele

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treten, dann wird Ihnen schon vor die Seele treten, daß Sie mit dem Besten, was Sie fühlen und empfinden können, eine Aufgabe haben, je nach dem Platz, an dem Sie stehen in dieser so rätselvollen, so fragwürdigen, so verworrenen Gegenwart. Nehmen Sie etwa das Folgende an: Irgendwo wären nur ein paar Menschen, die sich auf eine naturgemäße Weise zusammengetan hätten zu einer Art freundschaftlichem Verkehr, und dieser Kreis von Menschen, der wüßte von solchen und ähnlichen geistigen Zusammenhängen, wie ich sie Ihnen eben geschildert habe, und große Mengen von Menschen wüßten nichts davon - seien Sie überzeugt, wenn dieser Kreis von Menschen, den ich jetzt hypothetisch vor Ihre Seele hingestellt habe, den Entschluß faßt, aus irgendwelchen Untergründen heraus, dasjenige, was er an Kraft gewinnen kann durch solches Wissen, in irgendeinen Dienst zu stellen, dann ist dieser geringe Kreis mit der Anhängerschaft, die er sich macht, oftmals ohne daß es dieser Anhängerschaft bewußt wird, sehr mächtig, und am mächtigsten den Ahnungslosen gegenüber, die nichts wissen wollen von diesen Dingen.

Es war schon im 18. Jahrhundert ein gewisser Kreis von Menschen da, der ganz von dieser Art war. Der hat heute auch seine Fortsetzung. Ein gewisser Kreis von Menschen wußte von solchen Tatsachen, von denen ich Ihnen gesprochen habe, wußte davon, daß solches im 19. und bis ins 20. Jahrhundert hinein geschehen werde, wie ich es Ihnen geschildert habe. Dieser Kreis von Menschen nahm sich aber vor - schon im 18. Jahrhundert -, gewisse, man kann sagen, für diesen Kreis selbstsüchtige Absichten zu vollziehen, gewisse Impulse anzustreben. Dazu hat er dann ganz systematisch gearbeitet.

Die Menschen leben ja heute in großen Massen wie schlafend, gedankenlos dahin, achten auch gar nicht darauf, was manchmal in ganz großen Kreisen, die neben ihnen leben, eigentlich einhergeht. In dieser Beziehung gibt man sich ja gerade heute vielen Illusionen hin. Denken Sie nur einmal, daß natürlich die Menschen heute sagen: Ach, wie wirkt doch unser Verkehr, wie bringt er die Menschen zueinander! Wie erfährt jeder vom andern! Wie ist das doch ganz anders als in früheren Zeiten! - Erinnern Sie sich an alles das,was nach dieser Richtung gesagt wird. Man braucht nur einzelne Tatsachen sinngemäß und vernunft

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gemäß zu betrachten, dann findet man, daß in dieser Beziehung die Gegenwart ganz merkwürdige Dinge aufweist. Wer glaubt zum Beispiel heute - ich will das alles nur zum Beleg anführen -, daß literarische Erscheinungen nicht eigentlich durch die Presse, die alles versteht und über alles sich ergeht, in weitestem Kreise bekannt werden? Wer glaubt, daß heute im Ernste jemals bedeutungsvolle, tief eingreifende, epochemachende literarische Erscheinungen unbekannt bleiben können? Man muß auf irgendeine Weise doch etwas davon erfahren. Nun, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat dasjenige, was man heute - mit Respekt zu vermelden - die Presse nennt, den Ansatz dazu gemacht, das zu werden, was sie eben heute ist. Trotzdem konnte über ganz Mitteleuropa eine literarische Erscheinung epochemachender, einschneidender sein, als all die bekannten Schriftsteller, wie Spielhagen, Gustav Freytag, Paul Heyse, und was ich noch für Leute mit vielen, vielen Auflagen nennen soll, denn kein Werk hat eigentlich einen so breiten Leserkreis im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gehabt, wie «Dreizehnlinden» von Wilhelm Weber. Nun frage ich Sie: Wieviele Menschen werden hier sitzen, die nicht einmal wissen, daß es ein «Dreizehnlinden» von Weber gibt? - So leben die Menschen heute nebeneinander, trotz der Presse. In diesen «Dreizehnlinden» sind, in einer schönen dichterischen Sprache, Ideen verkörpert, die tief einschneidend waren. Ja, die leben heute in Tausenden und aber Tausenden von Gemütern.

Ich habe das angeführt, um zu exemplifizieren, daß es tatsächlich möglich ist, daß die Masse der Menschen nichts weiß von Dingen, die immerhin einschneidend sind und sich neben ihnen abspielen. Ja, Sie können sicher sein, wenn sich hier jemand finden sollte, der das Buch

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eine Kleinigkeit -, ist es ja dann im Großen. Es gehen eben in der Welt Dinge vor, die sich ein großer Teil der Menschheit nicht klarmacht.

Und so ging auch so etwas vor, daß im 18. Jahrhundert eine Gesellschaft gewisse Gedanken, gewisse Anschauungen verbreitete, welche sich in die Gemüter der Menschen einnisten und wirksame Kräfte werden im Gebiete dessen, was solche Gesellschaften wollen, und die dann ins soziale Leben übergehen, die dann bestimmen, wie die Menschen sich zueinander verhalten. Die Menschen wissen nicht, woher die Dinge kommen, die in ihren Emotionen, in ihren Empfindungen, Willensimpulsen leben. Aber diejenigen, die den Zusammenhang der Entwickelung kennen, wissen, wie man die Impulse, die Emotionen hervortreibt. So war es, vielleicht nicht gerade mit dem Buch, aber mit dem, was an Ideen diesem Buch zugrunde liegt, das von einer solchen Gesellschaft im 18. Jahrhundert ausgegangen ist, wo dargestellt ist, welchen Anteil die ahrimanische Wesenheit an den verschiedenen Tieren hat. Natürlich nannte man die ahrimanische Wesenheit da Teufel, und man stellte dar, welche verschiedenen Ausprägungen des Teuflischen in den einzelnen Tierarten enthalten seien. Im 18. Jahrhundert hat ja das Zeit alter der Aufklärung besonders geblüht. Auch heute blüht noch die Aufklärung. Die ganz gescheiten Leute, die ja hauptsächlich auch den Stamm «Pressemenschen» stellen, die finden sich mit einem Witz ab, die sagen: Da hat wieder einmal so ein - jetzt mache ich Punkte - ein Buch geschrieben, daß die Tiere Teufel seien! - Ja, aber solche Ideen im 18. Jahrhundert so propagandieren, daß sie sich in vielen menschlichen Gemütern einnisten, derart propagandieren, daß man dabei die realen Entwickelungsgesetze der Menschheit beobachtet, das bewirkt etwas, das bewirkt wirklich etwas. Denn es ist wichtig, wenn im 19. Jahrhundert der Darwinismus auftaucht, wenn im 19. Jahrhundert bei einer großen Anzahl von Menschen die Idee auftaucht, daß die Menschen sich allmählich von den Tieren herauf entwickelt haben, und wenn dann bei einer andern großen Anzahl in den Gemütern die Idee sitzt, die Tiere seien Teufel. Das gibt einen merkwürdigen Zusammenklang. Das alles ist da, das alles ist real vorhanden! Aber die Menschen schreiben Geschichten, in diesen Geschichten ist alles mögliche

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enthalten; nur die wirklichen, wirksamen Kräfte sind nicht darin enthalten.

Was man berücksichtigen muß, das ist das Folgende: Wie das Tier nur in der Luft gedeiht, nicht unter dem ausgepumpten Rezipienten der Luftpumpe, so können Ideen und Ideale nur gedeihen, wenn die Menschen eintauchen in die reale Atmosphäre des geistigen Lebens. Dazu muß aber dieses geistige Leben einem wirklich auch in seiner Realität entgegentreten. Heute jedoch liebt man einige Allgemeinheiten, richtige Allgemeinheiten; die liebt man ganz besonders. Und so wird man leicht unbeachtet lassen - was aber eine Tatsache ist -, daß ahrimanische Mächte seit dem Jahre 1879 heruntersteigen mußten von der geistigen Welt in das Reich der Menschen, daß sie durchsetzen mußten die menschliche Intellektualität, das menschliche Denken und Empfinden und Anschauen. Und auch damit stellt man sich nicht in das rechte Verhältnis zu diesen Mächten, daß man einfach die abstrakte Formel hinstellt: Man muß diese Mächte bekämpfen. - Ja, was tun denn die Leute dazu, um sie zu bekämpfen? Sie tun eben nichts anderes, als der, der den Ofen ermahnt, er möge recht warm sein, ohne daß er Holz hineintut und Feuer macht. Man muß vor allen Dingen wissen, daß man jetzt, nachdem diese Mächte einmal auf die Erde heruntergegangen sind, mit ihnen leben muß, daß sie da sind, daß man nicht die Augen vor ihnen verschließen darf, und daß sie am mächtigsten werden, wenn man die Augen vor ihnen verschließt. Das ist es gerade, daß diese ahrimanischen Gewalten, die den menschlichen Intellekt ergriffen haben, am mächtigsten werden, wenn man nichts von ihnen wissen, nichts von ihnen erfahren will.

Wenn das Ideal so mancher Menschen erreicht werden könnte: nur Naturwissenschaft zu studieren und aus den naturwissenschaftlichen Gesetzen auch soziale Gesetze zu machen, nur alles Reale, wie man sagt, wobei man aber das Sinnliche meint, ins Auge zu fassen, gar nicht daran zu denken, das Geistige zu pflegen -, wenn dieses Ideal gelingen würde im weitesten Umkreise, dann hätten die ahrimanischen Mächte das allergewonnenste Spiel, denn dann wüßte man nichts von ihnen. Dann würde man eine monistische Religion im Haeckelschen Sinne gründen und sie hätten das beste Arbeitsfeld. Denn das wäre ihnen

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gerade recht, wenn die Menschen nichts von ihnen wüßten und sie im Unterbewußtsein der Menschen arbeiten könnten.

Also Hilfe können die ahrimanischen Mächte dadurch erlangen, daß man eine ganz naturalistische Religion bringt. Hätte David Friedrich Strauß sein Ideal vollständig erreichen können, diese Philisterreligion zu begründen, um derentwillen Nietzsche das Buch geschrieben hat: Nun aber überschauen Sie, wie viele Menschen es sich heute geradezu zur Aufgabe machen, Vorurteile, Unwissenheit und Furcht vor den geistigen Mächten zu pflegen. Ich habe gestern im öffentlichen Vortrage gesagt: 1835 wurden erst die Dekrete gegen Kopernikus, Galilei, Kepler und 50 weiter aufgehoben. Die Katholiken durften also bis 1835 nichts studieren von kopernikanischer Weltanschauung oder dergleichen. Die Unwissenheit in bezug darauf wurde geradezu gefördert. Das war eine mächtige Beförderung der ahrimanischen Gewalten. Es war ein guter Dienst, den man den ahrimanischen Gewalten geleistet hat; sie konnten sich gut vorbereiten für ihre Kampagne, die dann folgen sollte vom Jahre 1841 an.

Zu diesem Satze, den ich jetzt eben ausgesprochen habe, müßte ich eigentlich noch einen andern dazu sagen, damit er vollständig wäre. Allein diesen andern Satz kann heute noch keiner sagen, der in diese Dinge wirklich eingeweiht ist. Aber wenn Sie erfühlen, was in den Untergründen eines solchen Satzes enthalten ist, so werden Sie vielleicht selber eine Ahnung bekommen von dem, was ich meine.

Die naturwissenschaftliche Weltanschauung ist eine rein ahrimanische Sache; aber nicht dadurch bekämpft man sie, daß man nichts von ihr wissen will, sondern indem man sie wo möglich in das Bewußtsein

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heraufbefördert, sie möglichst gut kennenlernt. Man kann Ahriman keinen größeren Dienst leisten, als die naturwissenschaftlichen Anschauungen ignorieren oder unverständig bekämpfen. Wer unverständige Kritik an den naturwissenschaftlichen Anschauungen übt, der bekämpft nicht, sondern der fördert Ahriman, weil er Täuschung, Trübnis ausbreitet über ein Feld, über das gerade Licht ausgebreitet werden sollte.

Die Menschen müssen sich nach und nach dazu erheben, einzusehen, wie ein jegliches Ding schon einmal zwei Seiten hat. Die heutigen Menschen sind ja sehr gescheit, nicht wahr, grenzenlos gescheit, und so finden diese gescheiten Menschen der Gegenwart: In der vierten nachatlantischen Zeit, im griechisch-lateinischen Zeitalter, da hatte man noch den Aberglauben, daß man aus dem Fluge der Vögel, aus den Eingeweiden der Tiere und mancherlei anderem die Zukunft erkennen könne. Nun, die Menschen, die das getan haben, waren natürlich Dummköpfe. - Zwar weiß kein Mensch der Gegenwart, der heute die Sache abkanzelt, wie das eigentlich gemacht worden ist. Kein Mensch der Gegenwart redet auch anders als nach dem Beispiel, das ich Ihnen neulich einmal vorgeführt habe, wo der Betreffende zugeben mußte, daß eine Prophetie aus einem Traum heraus eingetroffen war, aber dann sagte: Nun ja, das hat eben der Zufall gewollt! - Aber nach den Grundbedingungen des vierten nachatlantischen Zeitraums gab es wirklich eine solche Wissenschaft, die etwas mit der Zukunft zu tun hatte. Man hat in dieser Zeit nicht den Glauben gehabt, daß man mit solchen Grundsätzen, wie man sie heute anwendet, im sozialen Werden etwas ausmachen kann. Sonst würde man ja auch dazumal nicht - man mag damit einverstanden sein oder nicht, darauf kommt es nicht an - weit über die Zeiten hinausgehende große Perspektiven sozialer Natur gefunden haben, wenn man nicht eine gewisse Wissenschaft der Zukunft gehabt hätte. Glauben Sie, heute zehren die Menschen in dem, was sie auf dem Felde des sozialen Lebens und der Politik zustande bringen, noch immer von dem, was aus der alten Zukunftswissenschaft hervorgegangen ist. Diese Zukunftswissenschaft kann man aber nie durch Beobachtung dessen gewinnen, was äußerlich vor den Sinnen da ist. Niemals kann man sie nach dem Muster der Naturwissenschaft

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gewinnen; denn was man äußerlich sinnlich beobachten kann, das ist Vergangenheitswissenschaft. Und jetzt verrate ich Ihnen ein sehr wichtiges, sehr wesenhaftes Gesetz des Weltenalls: Wenn Sie die Welt bloß sinnlich beobachten, so wie das moderne naturwissenschaftliche Anschauen die Welt beobachtet, dann beobachten Sie bloß vergangene Gesetze, die sich noch fortpflanzen, Sie beobachten eigentlich bloß den Weltenleichnam der Vergangenheit. Das gestorbene Leben betrachtet die Naturwissenschaft.

Denken Sie sich einmal, dieses wäre, schematisch dargestellt, unser Beobachtungsfeld (siehe Zeichnung, weiß), dasjenige, was vor unseren Augen, unseren Ohren, vor den andern Sinnen sich ausbreitet. Denken Sie sich, das hier (siehe Zeichnung, gelb) wären die sämtlichen naturwlssenschaftlichen Gesetze, die man finden kann. Dann geben diesesämtlichen naturwissenschaftlichen Gesetze gar nicht mehr das, was da drinnen ist, sondern das, was schon drinnen war, was darinnen vergangen ist und nur als ein Erstarrtes zurückgeblieben ist. Sie müssen außer diesen Gesetzen vielmehr dasjenige finden, was nicht Augen beobachten können, was nicht physische Ohren hören konnen: eine zweite Welt von Gesetzen (siehe Zeichnung, lila). In der Wirklichkeit ist sie drinnen, aber sie weist nach der Zukunft hin.

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Es ist ja mit der Welt gerade so, wie wenn Sie eine Pflanze nehmen (es wird gezeichnet). So wie heute eine Pflanze aussieht, ist sie ja nicht die Wahrheit; denn

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geheimnisvoll in ihr ist etwas, was noch nicht zu sehen ist, was erst im nächsten Jahr so sein wird, daß es Augen sehen: die Keimanlage. Die ist aber schon drinnen, die ist unsichtbar drinnen. So ist in der Welt, die uns vorliegt, unsichtbar die Zukunft darinnen, die ganze Zukunft. Aber das Vergangene ist so darinnen, daß es schon verdorrt ist, vertrocknet, tot, Leichnam ist. Die ganze Naturbetrachtung gibt nur das Bild des Leichnams, nur Vergangenes. Gewiß, es fehlt einem dieses Vergangene, wenn man bloß auf das Geistige schaut; das ist wahr. Aber zur totalen Wirklichkeit muß man das Unsichtbare dazu haben.

Wie kommt es, daß Leute auf der einen Seite eine Kant-Laplacesche Theorie aufstellen, auf der andern Seite über das Weitenende so reden wie der Professor Dewar - wie ich gestern im öffentlichen Vortrage erzählt habe -, der ein Erdenende konstruiert, wo die Leute Zeitungen lesen werden bei mehreren hundert Grad Kälte, mit Wänden, die mit leuchtendem Eiweiß angestrichen sind; Milch wird fest sein. Ich möchte bloß wissen, wie man sie melken wird, wenn sie fest wird! Das sind lauter unmögliche Vorstellungen, wie auch die ganze Kant-Laplacesche Theorie. Sobald man mit diesen Theorien hinauskommt über das unmittelbare Beobachtungsfeld, versagen sie. Warum? Weil sie Theorien von Leichnamen, vom Toten sind.

Heute sagen die gescheiten Leute: Die griechischen, die römischen Opferpriester waren entweder Schurken und Schwindler oder Abergläubische, denn man kann ja natürlich als vernünftiger Mensch nicht glauben, daß man aus dem Flug der Vögel, aus den Opfertieren heraus irgend etwas über die Zukunft finden kann. - Die Menschen in der Zukunft, die werden aber auf die Vorstellungen der Gegenwart, auf die die Menschen heute so stolz sind, geradeso herabsehen können, wenn sie sich ebenso gescheit fühlen wie die heutige Generation gegenüber den römischen Opferpriestern. Und die werden sagen: Kant Laplacesche Theorie! Dewar! Die haben merkwürdig abergläubische Vorstellungen gehabt! Die haben ein paar Jahrtausende der Erdenentwickelung beobachtet und dann Schlüsse gezogen auf Anfangs- und Endzustand der Erde. Welch törichter Aberglaube war das dazumal! Da hat es solche sonderbare, abergläubische Menschen gegeben, die geschildert haben, daß aus einem Urnebel sich Sonne und Planeten ab-

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gespalten haben, die dann ins Rotieren gekommen sind. - Man wird noch viel schlimmere Dinge reden können über diese Vorstellungen der Kant-Laplaceschen Theorie und über diese Vorstellungen vom Erdenende, als die heutigen Menschen reden über die Erforschung der Zukunft aus den Opfertieren oder aus dem Flug der Vögel und dergleichen.

Wie erhaben sind diese Menschen heute, die so recht den Geist und die Gesinnung des naturwissenschaftlichen Denkens aufgenommen haben, wie schauen sie herab auf die alten Mythen, auf die Märchen! Kindliches Zeitalter der Menschheit, wo sich die Menschen Träume hingestellt haben! Wie weit sind wir dagegen gediehen: wir wissen heute, wie alles von einem gewissen Kausalgesetz beherrscht wird, wir haben es eben herrlich weit gebracht. - Aber alle, die so urteilen, wissen eines nicht: daß diese ganze Wissenschaft von heute nicht da wäre, gerade da, wo sie berechtigt ist, wenn das mythische Denken nicht vorangegangen wäre. Ja, die heutige Wissenschaft, ohne daß die Mythe vorangegangen ist, ohne daß sie aus der Mythe herausgewachsen ist, können Sie geradeso haben, wie Sie eine Pflanze haben können, die nur Stengel, Blätter und Blüten hat, und da drunten keine Wurzel. Wer von der heutigen Wissenschaft als einem in sich selbst absolut Ruhenden spricht, der redet eben so, als wenn er die Pflanze bloß ihrem oberen Teile nach gedeihen lassen wollte. Alles, was heutige Wissenschaft ist, ist aus der Mythe herausgewachsen, die Mythe ist die Wurzel. Und es verursacht eben bei gewissen Elementargeistern, die solche Dinge von den andern Welten aus beobachten, ein wahres Hohngelächter der Hölle, wenn die ganz gescheiten Professorengemüter von heute heruntersehen auf die alten Mythologien, auf die alten Mythen, auf alle die Mittel des alten Aberglaubens, und keine Ahnung haben, daß sie mit all ihrer Gescheitheit herausgewachsen sind aus diesen Mythen, daß sie keinen einzigen berechtigten Gedanken der Gegenwart haben könnten, ohne daß diese Mythen dagewesen wären. Und ein anderes verursacht bei denselben Elementargeistern ein wahres Hohngelächter der Hölle - hier kann man sogar im eigentlichen Sinne sagen: ein Hohngelächter der Hölle, denn den ahrimanischen Mächten ist das gerade recht, daß ihnen Gelegenheit zu einem solchen Hohngelächter gegeben wird -, nämlich, wenn diese Leute glauben, nun haben sie die koperni-

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kanische Theorie, nun haben sie den Galileismus, nun haben sie dieses gloriose Gesetz von der Erhaltung der Kraft. Das wird sich nie ändern, das wird nun in alle Zeiten hinein bleiben. - Ein kurzsichtiges Urteil! Geradeso wie sich der Mythus zu unseren Vorstellungen verhält, so verhalten sich die Vorstellungen der Wissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts zu dem, was wiederum ein paar Jahrhunderte später kommen wird. Das wird geradeso überwunden, wie der Mythus überwunden wurde. Glauben Sie, daß die Menschen im Jahre 2900 über das Sonnensystem ebenso denken werden, wie die heutigen Menschen denken? Das wäre Professorenaberglaube, das dürfte niemals Anthroposophenglaube sein.

Das, was die Menschen heute berechtigt denken können, was sie wirklich mit einer gewissen Größe hineinstellen in die gegenwärtige Zeit, das verdanken sie gerade dem Umstande, daß sich während der Griechenzeit so etwas ausgebildet hat wie die griechische Mythologie. Es würde ja natürlich nichts Entzückenderes geben für einen aufgeklärten Menschen der Gegenwart, als wenn er denken könnte: Ach, wären doch diese Griechen auch schon so glücklich gewesen, daß sie unsere heutige Wissenschaft gehabt hätten! - Aber hätten die Griechen unsere heutige Wissenschaft gehabt, wäre das nicht dagewesen, was gerade die Griechen gehabt haben, die Kunde von den griechischen Göttern, die Welt des Homer, Sophokles, Äschylos, Plato, Aristoteles, wäre das nicht dagewesen: Wagner wäre ein Faust gegen die Wagners, die dann heute herumgehen würden! Vertrocknet, verkommen wäre das menschliche Denken, öde wäre all unser Denken. Denn was an Lebenskraft in unserem Denken ist, das kommt davon her, daß es wurzelt im griechischen Mythus, im Mythus der vierten nachatlantischen Zeit überhaupt. Und wer da glaubt, daß der Mythus eben falsch war und das heutige Denken richtig ist, der gleicht einem Menschen, der es unnötig findet, daß man Rosen erst vom Rosenstock abschneiden muß, wenn man ein Rosenbouquet haben will. Warum sollen denn die Rosen nicht direkt entstehen können?

Es sind eben alles unwirkliche Vorstellungen, in denen die Menschen leben, die gerade heute zu den Aufgeklärtesten zu gehören glauben. Dieser vierte nachatlantische Zeitraum mit seiner Ausbildung des Mythus,

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mit seiner Ausbildung von Vorstellungen, die für den heutigen Menschen eher Träumen ähnlich sind als den scharf umrissenen naturwissenschaftlichen Vorstellungen, diese ganze Denkweise des vierten nachatlantischen Zeitraums, die ist die Grundlage für das, was wir heute sind. Das aber, was wir heute denken, was wir heute ausbilden

können, das wiederum muß die Grundlage sein für den nächsten Zeitraum. Das kann es aber nur sein, wenn es nicht bloß nach der Seite des Verdorrens sich entwickelt, sondern wenn es sich nach der Seite des Lebens entwickeln will. Leben aber wird eingehaucht, wenn man versucht, das, was einmal ist, ins Bewußtsein heraufzuheben, und dazu dasjenige zu erkennen, was einem ein waches Bewußtsein gibt, was einen zu einer wachen Persönlichkeit macht.

Seit dem Jahre 1879 ist es so: Wenn einer in die Schule geht, dort naturwissenschaftliche Gesinnung und Denkart aufnimmt, sich dann eine Weltanschauung an eignet im Sinne dieser naturwissenschaftlichen Denkart, und den Glauben hat, nur was sich in der Sinnenwelt ausbreitet, das ist, was man wirklich nennen kann, alles andere ist ja doch nur Phantasieprodukt -, wenn einer so denkt, und wie viele Leute denken heute so!, dann hat Ahriman sein gutes Spiel, dann geht es den ahrimanischen Mächten gut. Denn diese ahrimanischen Mächte, die sich seit dem Jahre 1879 in den menschlichen Gemütern sozusagen ihre Festungen begründet haben, was sind sie denn eigentlich? Menschen sind sie nicht: Engel sind sie, aber zurückgebliebene Engel; Engel, die aus ihrer Entwickelungsbahn herausgekommen sind, die es verlernt haben, in der nächstangrenzenden geistigen Welt ihre Aufgabe zu verrichten. Würden sie das können, dann wären sie nicht im Jahre 1879 gestürzt worden. Sie sind heruntergestürzt, weil sie oben ihre Aufgabe nicht erfüllen können. Jetzt wollen sie ihre Aufgabe mit Hilfe der Köpfe, der Gehirne der Menschen erfüllen. In den Gehirnen der Menschen sind sie um einen Plan tiefer, als wo sie eigentlich hingehören. Was man heute monistisches Denken nennt, das tun ja gar nicht in Wirklichkeit die Menschen. Was man heute vielfach nationalökonomische Wissenschaft von der Art nennt, wie ich es auch gestern wiederum hingestellt habe, die da geschrieben hat im Anfange, in vier Monaten muß der Krieg aus sein - ich meine, wenn man das wissenschaftlich ausspricht;

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wenn man es bloß nachspricht, kommt es nicht so darauf an -:all das sind ja Engelsgedanken, die in den Köpfen der Menschen nisten. Ja, der menschliche Verstand soll eben immer mehr und mehr in Anspruch genommen werden von solchen Mächten, die sich seiner bemächtigen wollen, damit sie ihr Leben ausleben können. Gegen das kommt man nicht auf, wenn man den Kopf in den Sand steckt und Vogel-Strauß-Politik spielt, sondern nur, wenn man bewußt mitlebt. Nicht wenn man nicht weiß, was die Monisten denken zum Beispiel, kommt man dagegen auf, sondern wenn man es weiß, aber wenn man auch weiß, daß es Ahrimanwissenschaft ist, daß es die Wissenschaft von zurückgebliebenen Engeln ist, die in den Köpfen der Menschen nisten, wenn man Bescheid weiß von der Wahrheit, von der Wirklichkeit.

Natürlich, wir sprechen das hier so aus, daß wir uns der entsprechenden Ausdrücke bedienen - ahrimanische Mächte -, weil wir diese Dinge ernst nehmen. Sie wissen, so können Sie nicht sprechen, wenn Sie draußen zu den Menschen sprechen, die heute ganz unvorbereitet sind. Denn da ist eben eine der Scheidewände. Da kommt man nicht heran an die Menschen; aber man kann natürlich Mittel und Wege finden, um zu den andern Menschen so zu sprechen, daß dasjenige, was einmal Wahrheit ist, einfließt. Dahingegen, wenn es gar keine Stätte gäbe, wo die Wahrheit gesagt werden könnte, dann würde man ja auch keine Möglichkeit haben, sie ein fließen zu lassen in die äußere profane Wissenschaft. Es muß ja mindestens einzelne Stätten geben, wo die Wahrheit in einer ursprünglichen, echten Form ausgesprochen werden kann. Nur müssen wir niemals vergessen, daß es den heutigen Menschen oftmals unüberwindliche Schwierigkeiten macht, wenn sie selbst auch schon wirklich den Anschluß finden an die spirituelle Wissenschaft, die Brücke zu schlagen hinüber ins Reich der ahrimanischen Wissenschaft. Ich habe manche Menschen gefunden, die sehr gut Bescheid wußten auf diesem oder jenem Gebiet der ahrimanischen Wissenschaft, die entweder gute Naturwissenschafter oder gute Orientalisten waren und so weiter, die dann auch den Anschluß gefunden haben an unsere spirituelle Forschung. Oh, ich habe mir viele Mühe gegeben, um solche Menschen zu veranlassen, nun die Brücke zu schlagen. Was wäre geschehen, wenn ein Physiologe, ein Biologe mit all dem

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Spezialwissen, das man auf diesen Gebieten heute gewinnen kann, die Physiologie, die Biologie spirituell durchgearbeitet hätte, so daß man nicht gerade unsere Ausdrücke gebraucht hätte, aber in unserem Geist diese einzelnen Wissenschaften bearbeitet hätte! Ich habe es bei Orientalisten versucht. Gewiß, die Menschen können auf der einen Seite gute Anhänger der Anthroposophie sein, auf der andern Seite sind sie Orientalisten und machen die Sache so, wie es Orientalisten machen. Aber die Brücke von dem einen zu dem andern wollen sie nicht schlagen. Das ist es aber gerade, was die Gegenwart so notwendig braucht, was so intensiv notwendig ist. Denn, wie gesagt, da befinden sich die ahrimanischen Mächte sehr wohl, wenn man Naturwissenschaft so betreibt, als ob das ein Abbild der äußeren Welt wäre. Aber wenn man mit spiritueller Wissenschaft und mit der Gesinnung kommt, die aus der spirituellen Wissenschaft fließt, da befinden sich die ahrimanischen Mächte weniger gut. Diese spirituelle Wissenschaft ergreift ja den ganzen Menschen. Man wird ein anderer Mensch dadurch, man lernt anders fühlen und anders wollen, man lernt, sich anders in die Welt hineinzustellen.

Es ist wahr, was immer von Eingeweihten gesagt wurde: Wenn das den Menschen durchströmt, was von spiritueller Weisheit kommt, dann ist es ein großer Schrecken der Finsternis für die ahrimanischen Mächte, und ein verzehrend Feuer. Wohl ist es den ahrimanischen Engeln, in den Köpfen zu wohnen, die heute mit ahrimanischer Wischenschaft erfüllt sind; aber wie verzehrend Feuer, wie ein großer Schrecken der Finsternis werden diejenigen Köpfe von den ahrimanischen Engeln empfunden, die mit spiritueller Weisheit durchsetzt sind. - Nehmen wir solch eine Sache in ihrem vollen Ernste, fühlen wir das: Wenn wir uns mit spiritueller Weisheit durchsetzen, dann gehen wir so durch die Welt, daß wir ein rechtes Verhältnis begründen zu den ahrimanischen Mächten, daß wir selber durch das, was wir tun, das aufrichten, was da sein muß, daß wir zum Heile der Welt aufrichten die Stätte des verzehrenden Opferfeuers, die Stätte, wo der Schrecken der Finsternis strahlt über das schädliche Ahrimanische.

Durchdringen Sie sich mit solchen Ideen, durchdringen Sie sich mit solchen Empfindungen! Dann werden Sie wach und schauen die Dinge an, die draußen in der Welt vorgehen, schauen an, was draußen in der

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Welt geschieht. Im 18. Jahrhundert sind eigentlich die letzten Reste der alten atavistischen Wissenschaft erstorben. Die Anhänger des «unbe kannten Philosophen» Saint-Martin, des Schülers von Jakob Böhme, hatten manches von der alten atavistischen Weisheit, sie hatten dafür aber auch vieles von einem Vorauswissen dessen, was kommen werde, was in unserer Zeit aber schon gekommen ist. Und oftmals wurde in diesen Kreisen davon gesprochen, daß von dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und von der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Wissen ausstrahlen werde, das da wurzelt in denselben Quellen, in demselben Boden, wo bestimmte menschliche Krankheiten wurzeln - ich habe letzten Sonntag davon gesprochen -, wo Anschauungen herrschen werden, die da wurzeln in der Lüge, wo Empfindungen herrschen werden, die da wurzeln in der Selbstsucht.

Verfolgen Sie mit sehendem Auge, mit dem Auge, das sehend wird durch die Empfindungen, von denen wir heute gesprochen haben, was durch die Gegenwart wallt und west! Vielleicht wird von manchem, was Sie erfahren, Ihr Herz wund werden. Das aber schadet nichts, denn klare Erkenntnis, auch wenn sie schmerzt, wird heute gute Früchte tragen von der Art, wie sie gebraucht werden, um herauszukommen aus dem Chaos, in das sich die Menschheit hineinbegeben hat.

Das erste, oder eines von den ersten Dingen wird sein müssen die Erziehungswissenschaft. Und auf dem Gebiete der Erziehungswissenschaft wird wiederum einer der ersten Grundsätze ein solcher sein müssen, gegen den heute am allermeisten gesündigt wird. Wichtiger als alles, was Sie einem Knaben oder Mädchen oder einem jungen Mann oder einer Jungfrau lehren und bewußt anerziehen können, wichtiger ist dasjenige, was unbewußt während der Erziehungszeit in die Seelen der Menschen hineinfließt. Ich habe erst im vorigen öffentlichen Vortrage davon gesprochen, daß das Gedächtnis etwas ist, was sich wie im Unterbewußtsein als Parallelerscheinung des bewußten Seelenlebens ausbildet. Darauf muß gerade bei der Erziehung Rücksicht genommen werden. Nicht nur, was das Kind versteht, muß der Erzieher der Seele beibringen, sondern auch dasjenige, was das Kind noch nicht versteht, was sich in geheimnisvoller Weise hineinerstreckt in des Kindes Seele, und was - das ist wichtig - dann im späteren Leben herausgeholt wird.

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Wir nähern uns immer mehr der Zeit, in der die Menschen während ihres ganzen Lebens immer mehr und mehr Erinnerungen an ihre Jugendzeit brauchen werden, Erinnerungen, die sie gerne haben, Erinnerungen, die sie glücklich machen. Das muß die Erziehung lernen, systematisch zu leisten. Gift wird es sein für die Erziehung der Zukunft, wenn die Menschen im späteren Leben zurückdenken müssen, wie sie sich geplagt haben während der Schulzeit, während der Erziehungszeit, wenn sie sich ungern erinnern an ihre Schul- und Erziehungszeit, wenn ihnen die Schul- und Erziehungszeit nicht ein Quell ist, aus dem sie immer von neuem lernen, lernen, lernen können. Wenn man aber schon alles gelernt hat als Kind, was man vom Lehrstoff lernen kann, bleibt ja nichts mehr für später.

Wenn Sie dies wiederum bedenken, dann werden Sie sehen, wie anders ganz gewichtige Grundsätze in der Zukunft Lebensdirektiven werden müssen gegenüber dem, was man heute für das Richtige ansieht. Gut wäre es für die Menschheit, wenn die traurigen Erfahrungen der Gegenwart nicht von so vielen verschlafen würden, sondern wenn die Menschen diese traurigen Erfahrungen der Gegenwart benützen würden, um sich möglichst vertraut zu machen mit dem Gedanken: Vieles, vieles muß anders werden! Zu selbstgefällig ist die Menschheit der letzten Zeiten geworden, um diesen Gedanken in seiner vollen Tiefe und vor allen Dingen in seiner vollen Intensität zu ermessen.

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ELFTER VORTRAG Dornach, 21.Oktober 1917

Meine lieben Freunde! Es werden voraussichtlich in Zürich von mir Vorträge gehalten werden. Es steht noch nicht ganz fest, weil jetzt die Säle so außerordentlich besetzt sind und nur wenige Säle zur Verfügung stehen, aber wenn der Saal zu haben ist, werden wahrscheinlich vier Vorträge stattfinden, die zusammenhängend sein werden, und zwar am 30. Oktober und 1. November und am 6. und 8. November. Dazwischen wird dann immer ein Zweigvortrag sein. Also zweimal an drei Tagen in Zürich: am ersten und dritten Tag jeweils ein öffentlicher Vortrag und dazwischen ein Zweigvortrag. Es ist in Aussicht genommen, daß diese öffentlichen Vorträge so eingerichtet werden, daß sie ein Bild geben des Verhältnisses von Anthroposophie zu den verschiedenen Wissenschaften. Es wird sich zeigen, ob gerade in dieser für wissenschaftliche und Kulturbestrebungen so vielfach zentral gelegenen Stadt Zürich dadurch etwas zu erreichen ist, daß man vier solche zusammengehörige Vorträge hält. Sie sollen, wie ich eben mit Herrn Professor Gysi besprochen habe, folgende Themen haben:

1. Anthroposophie und Seelenwissenschaft. Geisteswissenschaftliche Ergebnisse über die menschlichen Seelenfragen. 2. Anthroposophie und Geschichtswissenschaft. Geisteswissenschaftliche Ergebnisse über ihre Kulturformen. 3. Anthroposophie und Naturwissenschaft. Geisteswissenschaftliche Ergebnisse über Menschen als Naturwesen. 4. Anthroposophie und Sozialwissenschaft. Geisteswissenschaftliche Ergebnisse über die Menschheit und die Natur und den Recht, Moral und soziale Lebensform.

Nun ist jetzt eine große Schwierigkeit vorhanden, die darin besteht, daß man in Zürich sehr schwer unterkommt. Frieren muß man ja doch jedenfalls. Aber es kann sein, daß man nicht einmal eine Stätte für das Frieren bekommt, da Zürich außerordentlich übervölkert ist. Daher wird es notwendig sein, daß diejenigen Freunde, die von auswärts nach Zürich kommen, sich beizeiten darum kümmern, daß sie dort, wenn auch frierend, unterkommen können. Das andere ist, daß Herr Professor Gysi genötigt ist - oder überhaupt unsere Zürcher Freunde -, für die Zweigvorträge für ein Lokal zu sorgen, wenn der Besuch von auswärts ein reger ist. Diejenigen Freunde, die jetzt schon sagen können, daß sie mitkommen nach Zürich, wenn diese Veranstaltungen sein werden, die werden gebeten, die Hand zu erheben, damit Herr Professor Gysi sich ein Bild machen kann, ob in dem jetzt zur Verfügung stehenden Zweiglokal die Zweigvorträge stattfinden können oder ob es zu klein ist.

Mein Bestreben war in diesen Betrachtungen, und muß es auch weiterhin sein, nach den verschiedensten Seiten verständlich zu machen, inwiefern der Mensch in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft sich in eine Kulturepoche hineinlebt, die besondere Anforderungen an die verschiedenen Zweige des Lebens stellen wird. Ich habe versucht, aus Vorgängen, die in den Tiefen des geistigen Lebens liegen, verständlich zu machen, was eigentlich übersinnlich, aber deshalb nicht minder, ja gerade für unsere Zeit sehr wirksam sich vollzieht, und was immer deutlicher eingreifen wird in alles Leben, in alle Kultur formen, in alles soziale Zusammensein der Menschen. Wir haben entgegennehmen können aus diesen Betrachtungen, daß eine gewisse Verinnerlichung der menschlichen Seelennatur stattfinden wird.

Wenn man dieses ausspricht, eine Verinnerlichung der menschlichen Seelennatur werde Platz greifen, so darf nicht verkannt werden, daß diese Verinnerlichung in gewissem Sinne, durch all die schon betrachteten und noch zu betrachtenden Verhältnisse bedingt, vielfach parallel gehen wird mit einer Veräußerlichung auf intellektuellem Gebiete, auf dem Gebiet äußerer Wissenschaft und so weiter.Wir müssen eben durchaus in Betracht ziehen, daß in der Wirklichkeit niemals die Entwickelung so einförmig geschieht, wie es sich die moderne naturwissenschaftliche Evolutionslehre gern vorstellen möchte. Ihre Vorstellung ist ja nicht unrichtig; aber Vorstellungen, die richtig, aber einseitig sind, rufen oftmals größere Verwirrung hervor als direkt unrichtige Vorstellungen. Diese Vorstellung geht dahin, einfach eine gradlinige Entwickelung vom unvollkommenen Wesen bis herauf zum Menschen anzunehmen. So ist es aber nicht, sondern die Entwickelung der Menschheit und auch die Entwickelung der außermenschlichen Welt, sie sind so, daß immer einer mehr äußerlichen Strömung eine innerliche entspricht. So daß man sagen kann: Wenn eine Zeitlang äußerlich vielleicht eine Strömung vorhanden ist, so geht parallel dieser äußerlichen Strömung eine innerliche Strömung (siehe Zeichnung). Äußerlich ist

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vielleicht diese Strömung mehr materiell oder materialistisch, innerlich ist sie mehr spirituell oder spiritualistisch. Dann wiederum tritt mehr eine spiritualistische an der Oberfläche auf, und die materialistische oder materielle geht in den verborgenen Tiefen des Menschenwesens vor sich. Dann wiederum kehrt sich die Sache um: Es tritt dann in das Innere die spirituellere Richtung und an die Oberfläche die materielle oder materialistische.

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Also gerade in dieser Zeit, die uns bevorsteht, wo das äußere Leben recht sehr verlaufen wird im Sinne der roten Linie hier (siehe Zeichnung), im Sinne materiellen Geschehens und materieller Empfindungen und Auffassungen, wird in den Tiefen der Menschenseele eine Vergeistigung stattfinden. Und das kann so sein, daß die Menschen vielleicht gar nichts wissen wollen von dieser Vergeistigung; aber stattfinden wird sie doch.

Wenn Sie so recht diese Sache vor Ihre Seele stellen, dann bekommen Sie die Möglichkeit, zwei Dinge gehörig zu betrachten, die außerordentlich wichtig für die Zukunft sein werden. Bedenken Sie, daß wir gestern gesagt haben: Mit dem Jahre 1879 sind ahrimanische Mächte besonderer Art aus den geistigen Höhen in das Reich der menschlichen Entwickelung hinuntergestiegen, namentlich der menschlichen Geistes- und Seelenentwickelung. Diese Mächte sind einmal da, die leben zwischen uns. Sie haben vorzugsweise, wie wir gehört haben, das Bestreben, sich unserer Köpfe zu bemächtigen, desjenigen zu bemächtigen, was wir denken, was wir empfinden. Es sind engelartige Wesen, sagte ich, die ihre Entwickelung nicht mehr in der geistigen Welt finden können, und die die Menschenköpfe benützen wollen, um ihre Entwickelung in der nächsten Zeit fortzusetzen. Da wird es ganz besonders notwendig sein, daß diese (siehe Zeichnung, blaue Linie) geheime, diese okkulte Seelenentwickelung, von der ich Ihnen sagte, die vielleicht manche Menschen gar nicht bewußt ins Auge fassen wollen, bei der es ihnen am

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liebsten wäre, wenn sie unten bliebe und sie sich nur mit materiellen Dingen zu beschäftigen brauchten, daß diese okkulte Seelenentwiükelung ja ins Auge gefaßt werde. Denn wird sie nicht ins Auge gefaßt, dann bemächtigen sich gerade dieser Verinnerlichung des Menschen die ahrimanischen Mächte, um die es sich handelt. Das ist das eine, was berücksichtigt werden muß. Wir müssen gefaßt sein auf die Gefahr der nächsten Kulturentwickelung, daß gerade in dem, was unser heiligstes inneres Menschliches sein muß, Wache gehalten werden muß gegenüber den Einflüssen ahrimanischer Mächte.

In der nächsten Zeit werden die Erziehungsfragen ganz besonders wesentlich und bedeutungsvoll werden. In keinem andern Menschen alter als in dem der Kindheit und Jugend wird das Verinnerlichte der menschlichen Seele so bedeutungsvoll werden, wie das in der nächsten Zeit eben sein kann. Man kann es vielleicht heute gar noch nicht glauben, aber es hat schon längst die Zeit begonnen, von der man sagen kann: Kinder und jugendliche Menschen stehen uns so gegenüber, daß dasjenige, was sie äußerlich zeigen, was sie darleben, nicht das Wesentliche ist. Es ist das Rote hier (siehe Zeichnung), aber neben diesem Roten verläuft das Blaue, verläuft ein verborgenes Inneres, und dieses verborgene Innere, das müssen wir gar sehr ins Auge fassen. Das darf der Erzieher nicht aus dem Auge lassen, wenn er es nicht an die ahrimanischen Mächte abgeben will. In vieler Beziehung wird Erziehung und Unterricht in der nächsten Zeit etwas ganz anderes werden müssen, als man es sich heute vorstellt. Denn woraus sind denn eigentlich die Grundsätze unseres gegenwärtigen Erziehungs- und Unterrichtswesens geflossen?

Gewisse Dinge hinken immer nach in der Weltenordnung. Im 18. Jahrhundert griff ganz besonders Platz, was man die Aufklärung nannte. Man wollte im 18. Jahrhundert sogar eine Art Vernunftreligion begründen, eine Religion, bloß auf das menschliche Nachdenken, auf, den Hungerleider unter den Wissenschaften, gestützt, wie ich es in den öffentlichen Vorträgen in Basel ausgeführt habe. Und die Art, wie man sich dem heranwachsenden Menschen gegenüber in Erziehung und Unterricht benehmen will, ist ganz aus dieser Vernunftströmung heraus aufgebaut: nur ja alles so machen, daß das Kind es gleich versteht, daß

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das Kind nirgends etwas Tieferes in dem erlebt, als es schon verstehen kann.

Man wird einsehen müssen, daß man damit am allerwenigsten für das Leben eines Menschen sorgt. Dadurch kommt man nämlich in ein sehr verhängnisvolles Extrem des menschlichen Lebens hinein. Denken Sie doch nur einmal: Wenn man sich nun so recht bemüht, an das Kind nichts anderes heranzubringen, als was seinem kindlichen Verständnis entspricht, was es fassen kann, dann gibt man ihm keine Wegzehrung für das spätere Leben mit, denn später soll es ja ein tieferes Verständnis haben. Man sorgt gewissermaßen dafür, daß es sein ganzes Leben nichts anderes hat als ein kindliches Verständnis, wenn man sich nur an das kindliche Verständnis im Kindheitsalter wendet. Es hat das auch` schon seine Früchte getragen, und sie sind auch danach! Ein großer Teil unseres heutigen Denkens der sich so sehr weise und aufgeklärt dünkenden Kulturmenschheit beruht darauf, daß dieses Denken kindsköpfig geblieben ist. Man wird selbstverständlich auf dem Gebiete unseres Zeitungswesens nicht zugeben, daß da zum größten Teil kindsköpfisches Denken waltet, aber es ist doch so. Und das hängt im wesentlichen damit zusammen, daß man sich nur an das kindliche Verständnis wendet. Dann bleibt dieses kindliche Verständnis das ganze Leben hindurch. Ein ganz anderes muß Platz greifen: Erfüllen müssen wir unsere Seelen, namentlich als Erzieher, mit der Empfindung, mit dem Bewußtsein, daß in dem Kinde ein geheimnisvoll Verinnerlichtes waltet, und daß man heranbringen muß an das kindliche Gemüt vieles von dem, was erst im späteren Leben, nicht schon im kindlichen Alter verständlich ist, was man dann im späteren Leben herausholt aus der Erinnerung und sich sagt: Das hast du dort gehört, das hast du da aufgenommen; jetzt bist du erst so gescheit, manches zu verstehen. - Durch nichts wird in der Zukunft das Leben der Menschen gesünder werden als dadurch, daß sie viel aus den Mitteilungen, aus den Offenbarungen des Kindheitslebens herausholen können in der Erinnerung und es dann erst verstehen können.

Wenn sie so mit sich leben können, die Menschen, daß sie heraufholen aus der Erinnerung, was sie damals noch nicht verstehen konnten, dann wird das eine Quelle gesunden inneren Lebens werden. Jene

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Verödung wird von den Menschen fern bleiben, die heute so vielfach die Gemüter ergreift und sie leer macht und in die Sanatorien leitet, damit sie dort von außen irgend etwas in die Seelen hineinbekommen, die von innen leer verblieben sind, weil gerade die Erziehung es daran hat fehlen lassen, irgend etwas in diese Seelen hineinzubringen, an das später erinnert werden kann.

Diese Betrachtungen muß man eigentlich im Zusammenhang mit einer andern ins Auge fassen. Unsere Gegenwart hat durch all diese Umstände, die ich dargelegt habe in der letzten Zeit, eigentlich ganz das Bewußtsein davon verloren, daß zwischen den Menschen und dem Weltenall ein Zusammenhang, ein inniger Zusammenhang ist. Der Mensch glaubt heute, daß er über die Erde hingeht oder im Eisenbahnzug über die Erde hinfährt als dieses Stück Fleisch, das er einmal ist. Gewiß, er wird es nicht immer zugeben, aber der reale Inhalt seiner Gedanken ist nicht viel anders. Das ist aber nicht so. Der Mensch steht mit dem ganzen Weltenall in inniger Verbindung. Und es ist gut, sich das einmal durch eine Erwägung klarzumachen.

Betrachten Sie einmal die Erde. Um die Erde herum bewegt sich der MOnd; das sei die Mondbahn (punktierter Kreis). Die Erde ist wahrhaftig nicht dieses abstrakte mineralische Wesen, von dem unsere heutige Mineralogie, Geologie, Physik träumt. Sie ist ein sehr lebendiges Wesen, und wir könnten viele Lebensformen mit Bezug auf die Erde betrachten. Wir wollen jetzt nur ins Auge fassen, daß um die Erde herum fortwährend Strömungen gehen. Diese Strömungen gehen nach

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allen möglichen Richtungen um die Erde herum. Sie sind ätherischgeistiger Art, und sie haben einen realen, substantiellen Wirkensfaktor in sich. Da ist etwas in diesen Strömungen fortwährend darinnen.

Nun ist es gut, ins Auge zu fassen, woher diese Strömungen rühren. Wir werden diese Dinge im Laufe der Zeit noch näher betrachten, ich will heute nur einiges präliminarisch angeben. Wenn Sie meine «Geheimwissenschaft im Umriß» studieren, so werden Sie dort finden, daß in sehr alten Zeiten die Erde mit der Sonne ein Körper war. Das, was heute unsere Erde ist, ist ja nur herausgeschieden aus der Sonne. Diese Strömungen sind aus dem Sonnenleben zurückgeblieben; das ist noch Sonnenleben in der Erde. Die Erde wird also noch durchströmt vom Sonnenleben. Aber auch der Mond war mit der Erde ein Körper. Und was heute als Mond die Erde umkreist, das hat auch Strömungen in sich. Das sind wiederum diejenigen Strömungen, die aus einer späteren Zeit, aus der Mondenentwickelung, geblieben sind. Da haben wir zweierlei Strömungen, die wir bezeichnen als Sonnenströmungen und als Mondenströmungen. Es sind zwei ganz verschieden voneinander verlaufende Strömungen; sie sind da als lebendige Wirklichkeit.

Denken Sie sich einmal ein Wesen, das in einer bestimmten Weise über

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die Erde wandelt, sei durchströmt von solchen Strömungen, die Strömungen des Sonnenlebens können leicht durch dieses Wesen hindurch. Nehmen wir an, ein anderes Wesen wäre aber anders konstruiert; es wäre so konstruiert, daß diese Sonnenströmungen von der einen Seite her durch dieses Wesen gehen, von der andern Seite her aber die Mon

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denströmungen. Sonnenströmung geht eigentlich, weil sie nicht an den Ort beschränkt ist, durch alles hindurch und kann dieses Wesen nach der einen Richtung durchströmen. Es kann also Wesen auf der Erde geben, die nur von der Sonnenströmung durchströmt sind nach der einen Richtung, und es kann Wesen auf der Erde geben, die nach der einen Richtung von der Sonnenströmung durchströmt sind, nach der andern Richtung von der Mondenströmung.

Wesen, die nur von der Sonnenströmung durchströmt werden können, das sind die Tiere. Stellen Sie sich ein vierfüßiges Tier vor: das geht über die Erde so, daß sein Rückgrat im wesentlichen parallel der Erdenoberfläche ist. Da kann immerfort die Sonnenströmung, die jetzt Erdenströmung geworden ist, durch dieses Rückgrat ziehen. Dieses Wesen ist also erdenverwandt.

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Beim Menschen ist das anders. Der Mensch hat innerhalb seiner Leiblichkeit diejenige Lage, die das Tier hat, nur mit Bezug auf sein Haupt. Wenn Sie sich die Linie denken vom Hinterkopf nach der Stirne, dann ist diese Linie in der Richtung, in der das Tier sein Rückgrat hat; da geht dieselbe Sonnenströmung durch das Haupt hindurch. Dagegen ist das menschliche Rückgrat herausgehoben von den Strömungen,

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die parallel zur Erde gehen, von der Erden-Sonnenströmung. Dadurch, daß es herausgehoben ist, kommt der Mensch in die Lage - das hängt natürlich sehr von der geographischen Breite und so weiter ab, aber dadurch sind die Menschen auch verschieden -, daß unter gewissen Verhältnissen die Mondenströmung durch ihn hindurchgeht, jetzt aber nicht durch seinen Kopf, sondern durch sein Rückgrat. Das ist ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Tier und dem Menschen. Was bei dem Tiere vom Kosmos durchs Rückgrat geht, geht beim Menschen durch den Kopf; was bei dem Tier, so wie die Tiere heute sind, überhaupt zunächst keinen Angriffspunkt hat, die alte Mondenströmung, das geht bei dem Menschen durchs Rückgrat. Daß eine Verwandtschaft ist zwischen dem menschlichen Rückgrat, sogar in seinem Bau, und der Mondenströmung, das möge Ihnen daraus hervorgehen, daß der Mensch ungefähr - warum das nur ungefähr ist, darauf werden wir auch in der späteren Zeit einmal zurückkommen -, ungefähr so viele Rückenwirbel hat als der Monat Tage: achtundzwanzig bis einunddreißig Rückenwirbel hat er. Das gesamte Rückenmarksleben, überhaupt das Brust- leben des Menschen, hängt mit dem Mondenleben innig zusammen. Und unter dem Sonnenleben, das in Schlafen und Wachen abläuft, vierundzwanzigstündig, liegt verborgen das rhythmische Mondenleben für den Menschen.

Das ist eine elementarische Betrachtung des Zusammenhanges zwischen dem Menschen und dem gesamten Weltenall. Denn geradeso wie die Strömungen, die durch das menschliche Rückgrat gehen, in der Strömung verlaufen, die mit dem Mondenleben zu tun hat, so verlaufen wiederum andere Strömungen in dem Menschen, die mit den andern Planeten unseres Sonnensystems zu tun haben. Das alles sind höchst reale Dinge. Aber die heutige naturwissenschaftliche Weltanschauung ist ganz von diesen Dingen abgekommen, kommt gar nicht mehr darauf, diese Zusammenhänge zu betrachten. Daher hat sie auch kein Gefühl dafür, wie beim Menschen ein Wesentliches gerade darinnen besteht, daß zu dem äußerlichen bewußten Erdenleben ein unterbewußtes Leben hinzukommt, das zusammenhängt mit seinem Brustleben, das aus geheimnisvollen Seelentiefen heraufkommt, das aber besonders berücksichtigt werden muß in solchen Zeiten, wie diejenige ist, die jetzt

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kommt, und das besonders berücksichtigt werden muß im Erziehungswesen, aus dem Grunde, weil sonst eben die gegnerischen, die ahrimanischen Mächte, sich dieses Lebens bemächtigen. Und es wäre sehr verhängnisvoll, wenn der Mensch nicht achtgeben würde darauf, daß sich ein Teil seines Seelenlebens, das sich gerade verinnerlichende, das blaue Leben, um es nach dem Bilde (siehe Zeichnung, Seite 181) zu sagen, in der Gefahr befindet, den ahrimanischen Mächten zu verfallen, wenn es nicht vollbewußt aufgenommen und durch solche geisteswissenschaftliche Erkenntnisse vertieft wird, die es gewagt haben, auch über dasjenige etwas zu sagen, was der äußeren Wissenschaft verborgen bleiben muß.

Das aber muß in ganz konkreten Verhältnissen berücksichtigt werden. Nehmen Sie die äußere Wissenschaft - welchen Weg nimmt sie? Sie nimmt immer mehr den Weg nach allerlei Abstraktionen hin, sie wird sogar am nützlichsten dadurch, daß sie den Weg nach allerlei Abstraktionen hin nimmt. Diese Naturwissenschaft werden die Menschen brauchen zu dem äußeren Leben; sie muß übergehen in die menschliche Kultur. So wie sie nun ist, als äußere naturwissenschaftliche Kultur sie für die Erziehung zu verwenden, wird in der nächsten Zeit von ganz besonderem Nachteil sein. Kindern beizubringen, was die Menschen vom Naturleben und an Naturgesetzen und an Gesetzen der abstrakten Naturwissenschaft wissen müssen, das wird eine Absurdität in der nächsten Zeit werden. Dagegen wird wichtig werden - ich kann überall nur Beispiele anführen -, daß eine Art liebevoller Betrachtung eintritt über das Leben der Tiere, über besondere Lebensverhältnisse der Tiere, recht bildlich zu schildern, wie sich die Ameisen benehmen in ihrem Zusammenhang, wie diese Ameisen zusammen leben und so weiter. Sie wissen ja, in solchen Werken wie in Brehms «Tierleben» sind Ansätze zu diesen Dingen vorhanden, aber sie werden nicht ausgebaut. Sie müssen immer mehr und mehr ausgebaut werden, diese symbolisierten Erzählungen von Geschichten, die sich im Tierleben abspielen. Recht sinniges Erzählen von einzelnen individuellen Geschichten, das wird Platz greifen müssen. Und das werden wir den Kindern beibringen müssen, statt jener schauderhaften Art, wie elementare Zoologie an die Kinder verzapft wird: wir werden ihnen erzählen müssen von besonderen

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Taten des Löwen, des Fuchses, der Ameise, des Sonnenkäferchens und so weiter. Ob die Dinge geschehen oder nicht, das ist im einzelnen ganz gleichgültig; daß sie sinnig sind, darauf kommt es an. Und was man heute den Kindern eintrichtert, was ja ein Extrakt ist aus der Naturwissenschaft, das soll erst in späteren Jahren kommen, wenn die Kinder sich erbaut haben an solchen Erzählungen, die von dem Individuellen im Tierleben handeln.

Besonders wichtig wird es sein, daß man auch das Pflanzenleben in einer solchen Weise betrachtet, daß man viel zu erzählen weiß über das Verhältnis der Rose zum Veilchen, über das Verhältnis der Sträucher zu den Unkräutern, die um sie herum wachsen, daß man ganze lange Geschichten zu erzählen weiß über dasjenige, was da vorgeht in den springenden Geistern über die Blumen hin, wenn man über eine Wiese geht, und dergleichen. Das muß als Botanik den Kindern erzählt werden. Und erzählt werden muß den Kindern, wie da gewisse Kristalle mit grüner Farbe, die in der Erde wohnen, sich zu farblosen Kristallen verhalten, wie sich ein Kristall, der würfelförmig ist, zu einem verhält, der in Oktaedern kristallisiert. Statt einer abstrakten Kristallographie, wie man sie heute schon in sehr früher Jugend zum Unheil der Jugend verzapft, wird man haben müssen eine symbolistische Darstellung des Lebens der Kristalle im Innern der Erde. Man wird seine Anschauungen über dasjenige, was im Innern der Erde vorgeht, nur dann befruchten können, wenn man sie eben befruchtet mit dem, was Sie in unseren Schriften finden an Schilderungen über das Innere der Erde und so weiter. Das bloße Aufzählen wird nicht genügen, sondern darauf kommt es an, daß diese Dinge anregen, daß sie solche Vorstellungen geben, daß man viel zu erzählen vermag über das gegenseitige Leben der Diamanten und Saphire und so weiter. Sie werden, wenn Sie darüber nachdenken, verstehen, was ich eigentlich meine.

Ähnlich wird es sich darum handeln, nicht jene schauderhaften Abstraktionen, die heute als Geschichte den Kindern beigebracht werden, an die Kinder zu verzapfen, sondern das lebendige Leben wiederum hineinzustellen in das menschliche geschichtliche Werden, Sinn zu erwecken für das, was das Menschengemüt erlebt im Verlaufe des Menschenwerdens. Erfunden werden müssen Gespräche, die sich gar nicht

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abspielen in der sinnlichen Welt, Gespräche zum Beispiel zwischen einem alten Griechen und einem Menschen der fünften nachatlantischen Zeit. Das wird viel nützlicher sein, wenn man so die lebendigen Gestalten vor die Seele der Kinder hinzaubert, als das, was man ihnen heute an historischen Abstraktionen beibringt.

Sie sehen, worauf das hinausläuft. Es läuft darauf hinaus, die Seele des Kindes wirklich mit lebendigen Inhalten zu erfüllen, so daß dasjenige, was okkult geheimnisvoll als Unterströmung verläuft im Kinde, wirklich erfaßt werden kann. Und Sie sollen sehen, wie der Mensch weniger dürr werden wird in seinem Seelenleben, wie er weniger nervös werden wird, wenn er solche im Sinne der Weltengesetze gehaltene Erzählungen in seinem späteren Lebensalter herausholen kann. Dann hat er auch die Naturgesetze kennengelernt, dann kann er einen Einklang schaffen zwischen dem, was ihm in lebendigen Lebensformen vorgeführt wurde, und den Naturgesetzen, während er seinen Geist nur verödet, wenn er die abstrakten Naturgesetze empfängt. Das ist dasjenige, was ich als ein paar Gedanken, wie gerade das Erziehungswesen befruchtet werden muß, anführen will.

Natürlich ist es bequemer, wenn man sich heute in allerlei Vereinen zusammenfindet und immer wieder deklamiert: Die Erziehung muß individualisiert werden -, und wie die abstrakten Formeln alle heißen. Natürlich ist es bequemer, als wenn nun verlangt wird, daß Leute, die sich für das Erziehungswesen interessieren, sich bekanntmachen sollen mit dem Geiste des menschlichen und des natürlichen Werdens und imaginative Erzählungen finden sollen, damit im Konkreten das geistige Leben gerade in der Form erfaßt werde, die es annehmen wird in der nächsten Zeit.

Aber man wird zu solchen Dingen überall, auf allen Gebieten die Anregung der Geisteswissenschaft brauchen. Sie allein wird aus den ersterbenden Formen des gegenwärtigen Geisteslebens wiederum Neues gebären können, das in dieser Weise, wie ich es geschildert habe, anregend wirken kann, namentlich auf das kindliche Gemüt. Ohne die Anregung der Geisteswissenschaft wird man ein vertrockneter Schulmeister werden, der die Kinder auch vertrocknet. Und als schlimmstes wird immer mehr und mehr entstehen, daß sich die Menschen namentlich

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von dem Jugendunterricht die Vorstellung machen: Das ist ja doch am besten, wenn man alles, was man da lernt, so schnell wie möglich wieder vergißt. - Wenn man in der späteren Zeit nichts, auch nicht das Allergeringste missen möchte von dem, was man in der Kindheit empfangen hat, dann ist das nicht nur eine Freude, sondern dann ist das ein Quell, ein wirklicher Quell des menschlichen Lebens. Das bitte ich Sie zu berücksichtigen.

Aber die Wissenschaft selber braucht auch ihre Anregungen. Ich habe gestern erwähnt, wie schwer es wird, die Brücke zu schaffen zwischen der Geisteswissenschaft im allgemeinen und den Spezialbetätigungen im wissenschaftlichen Leben. Gerade das aber wird zu dem Allerallernotwendigsten der Zukunft gehören. Es muß Ihnen aus mancherlei Betrachtungen, die auch hier angestellt worden sind, hervorgehen, daß die Verarmung an Begriffen, und namentlich die Verarmung in den Begriffen solche Verhältnisse herbeigeführt haben, wie sie eben heute eingetreten sind.

Ich habe es im öffentlichen Vortrag in Basel gesagt und ich habe es schon wiederholt, daß Leute, die sich kompetent deuchten, geglaubt haben, als dieser Krieg begann, er könne nicht länger als vier Monate dauern. Diese Leute glaubten, die sozialwissenschaftliche, die wirtschaftliche Struktur studiert zu haben; daraus bildeten sie sich dann diese Vorstellung. Solche Vorstellungen sind nicht mit der Wirklichkeit verbunden gewesen, denn die Wirklichkeit hat diese Vorstellungen widerlegt. Es ist sehr merkwürdig, wie wenig die Menschen eigentlich geneigt sind, von den Ereignissen zu lernen. Wenn jemand aus seinen eigenen wissenschaftlichen Vorstellungen heraus so etwas geglaubt hat, so müßte sich der jetzt doch sagen: Aus welch ungenügenden Voraussetzungen heraus habe ich meine Schlüsse gezogen! - Er müßte also doch wirklich geneigt werden, etwas zu lernen. Er bleibt aber schlafend, indem er doch nur aus denselben Voraussetzungen heraus andere Schlüsse zieht, die nur wieder ein bißchen mehr der Nötigung der Erfahrung entsprechen, weil er nicht eingehen will auf die inneren Zusammenhänge. Allerdings, wenn man auf die inneren Zusammenhänge des Lebens eingeht, dann muß man jene Unbequemlichkeit überwinden, die heute am schwersten gerade von denen überwunden wird, die sich

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mit wissenschaftlichen Fragen beschäftigen. Diese Leute wollen ja hauptsächlich nicht gestört werden in dem kleinen Felde, das sie bebauen, nicht die Fäden ziehen zu verwandten Gebieten.

Dieses Spezialistentum war eine Zeitlang ganz gut. Wenn es fort- dauernd weiternistet, und wenn namentlich unsere Hochschuljugend fortdauernd weiter mit diesen Einseitigkeiten, die aus dem Spezialistentum hervorgehen, verdorben wird, dann werden die Kalamitäten, die aus dem erfolgen, daß die Menschen wirklichkeitsfremde Begriffe haben, immer größer werden. Wir werden überall in den Stadt-, Land-, Staatsvertretungen Menschen sitzen haben, die durchaus nicht das jenige umfassen, was sie mit Gesetzen lenken oder verwalten wollen, weil diese Begriffe zu arm sind, um die Wirklichkeit zu umspannen. Die Menschen haben gar keine Ahnung davon, daß diese Begriffe zu arm sind. Die Wirklichkeit ist eben viel reicher als diese Begriffe.

Dann wird vor allen Dingen es sich darum handeln, daß nicht die Geneigtheit entstehe, die Spezialwissenschaft möglichst sogenannten Fachmännern zu überlassen, und auf der andern Seite die subjektiven, egoistischen Bedürfnisse zu befriedigen in der Anthroposophie, sondern es wird sich darum handeln, daß man diese beiden Pole richtig zu verbinden weiß, daß man wirklich das eine durch das andere zu befruchten versteht.

Wir machen ja immer wiederum die Erfahrung - Sie könnten sie auch machen, wenn Sie die Dinge ordentlich ins Auge fassen würden -: Redet man über rechte Spezialgebiete zu denen, die sich ehrlich zur Anthroposophie bekennen, so wird ihnen die Sache eigentlich doch recht langweilig! Man soll immer nur über die Zentralfragen sprechen: Seele, Unsterblichkeit, Gott und so weiter. Dadurch kann man allerdings zunächst die egoistischen religiösen Bedürfnisse befriedigen, aber man kann nicht dazu kommen, den Seelen das zu geben, was sie für die nächste Zeit so notwendig brauchen: daß sie sich wirklichkeitsgemäß hineinstellen in dieses wirkliche Leben. Deshalb müssen wir so auf merksam sein, wenn eine wirkliche Verbindung versucht wird zwischen den aus der geisteswissenschaftlichen Betrachtung herausfließenden Betrachtungsimpulsen und den Spezialgebieten.

Ich habe schon einmal hier hingewiesen auf die sehr wichtige Arbeit

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unseres Freundes Dr. Boos über den Gesamtarbeitsvertrag. Nachdem das Buch jetzt überall zu haben ist, möchte ich noch einmal darauf aufmerksam machen, weil dieses Buch gerade für das Brückenbauen zwischen den allgemeinen Betrachtungsimpulsen der Anthroposophie und einem vollständigen Spezialgebiete, dem Rechtsgebiete, mustergültig ist: «Der Gesamtarbeitsvertrag nach Schweizerischem Recht», von Dr. Roman Boos. - Aber wichtig ist es gerade, ins Auge zu fassen, daß unsere Freunde solche Spezialuntersuchungen nicht als außerhalb ihres Feldes betrachten möchten, sondern daß sie darauf eingehen, weil das Leben eben für die nächste Zeit in den Dienst der anthroposophischen Betrachtung gestellt werden muß. Sie werden finden, wenn Sie dieses Buch aufmerksam lesen und durcharbeiten, daß in einer lebendigen Weise Dinge des alltäglichen Lebens erfaßt werden, aber so, daß man sieht, daß in dieses alltägliche Leben hereinspielen erstens die umfassendsten Betrachtungsimpulse, die überhaupt Weltengesetzen entsprechen, dann aber auch große historische Perspektiven. Und unendlich fruchtbar werden Sie finden, den Unterschied zwischen romanischem Vertragswesen und germanischem Zusammenhaltswesen, sozialem Wesen zu verstehen. In einer tiefgründigen Weise erscheint auf einem Spezialgebiete die Beziehung romanischen Menschenwesens zu germanischem Menschenwesen. Gerade an diesem Buche von Dr. Roman Boos, gerade an einem solchen Spezialwerke ist es wichtig, sich hinaufzuranken zu dem, was von diesem Gesichtspunkte aus geisteswissenschaftlich wichtig ist für die nächste Zukunft: die Brücke zu schlagen zwischen dem Leben, das vor unseren Sinnen sich abspielt und in dem wir unsere sozialen Verhältnisse begründen, und dem Leben, das aus der geistigen Welt hereinströmt und unsere Lebensformen vergeistigt und durchpulst.

Ich empfehle Ihnen auch, nicht ungelesen zu lassen das letzte Heft von «Wissen und Leben», worin Dr. Boos geschrieben hat über «Die Kern fragen der Schweizer-Politik». Da werden Sie sehen, daß schon von einem andern Gesichtspunkt aus ins Auge gefaßt werden können die Fragen der zeitgenössischen Politik, als sie ins Auge gefaßt werden von der - mit Respekt zu vermeiden - alltäglichen Journalistik. Das Bewußtsein von dem Zusammenhang der verschiedenen Kulturformen,

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Kunstformen zum Beispiel, mit politischen Formen, wird Ihnen in schöner Weise gerade aus diesem Aufsatz hervorgehoben: «Die Kernfragen der Schweizer-Politik» von Roman Boos, in dem Hefte «Wissen und Leben» vom 15.Oktober 1917. Sie können ja, wenn Sie die ernste und wirklich im geisteswissenschaftlichen Sinne gehaltene Betrachtung dieser «Kernfragen der Schweizer-Politik» ins Auge gefaßt haben, dann auch einen Blick werfen auf den ersten Aufsatz dieses Heftes «Der Sinn der Reformation» von Adolf Keller. Ja, da ist nun richtig wiederum so ein Aufsatz im alten Stil, der selbstverständlich glaubt, in sehr neuem Stil zu sein. So daß Sie in diesem Hefte wirklich nebeneinander berechtigst Modernes und zöpfischstes Altes finden können. Selbstverständlich glaubt dieses zöpfische Alte, daß es ganz gescheit, ganz besonders gescheit ist, daß es ausgebildet hat eine ganz besonders gescheite Logik und ein durchdringendes Denken. Von Gesichtspunkten wird da der Sinn der Reformation geschildert, in hochtrabenden Worten, die nichts anderes sind als schale, inhaltsleere Abstraktionen.

Wenn man den Aufsatz «Der Sinn der Reformation» von Adolf Keller durchgelesen hat - er ist gut und brav gemeint und gehört zu den besten Arbeiten der Gegenwart auf diesem Gebiet -, dann ist man müde durch das Herumgekugelt- und Herumgekollertwerden immer in denselben Abstraktionen: Reformation erzeugt im Gemüte die Freiheit der Initiative; die Freiheit der Initiative kommt aus der Reformation; als die Reformation gewirkt hatte, wurde die Freiheit der Initiative belebt -, und so kugelt und kollert man herum nach dem Muster aller Abstraktlinge, die nichts anderes zustande bringen als zu schwelgen in ein paar armen, armseligen Begriffen, die nichts zu tun haben mit der Wirklichkeitswelt. Das ist ja das Charakteristische überhaupt desjenigen, was überwunden werden muß: dieses abstrakte Treiben, dieses Leben in gedankenarmen Vorstellungen, bei denen man sich besonders die Finger ableckt vor Wohlgefühl, weil man glaubt, etwas besonders Hohes zu sagen, wenn man etwas besonders Abstraktes sagt.

In den letzten Tagen kriegte ich eine Abhandlung, die handelte von tiefsinnigen theosophischen Dingen, aber eigentlich war sie nur eine Abhandlung über das «Etwas», und es war nur über das «Etwas» darinnen

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die Rede: von dem «unverbesserten Etwas» und von dem «verbesserten Etwas», und wie das verbesserte das unverbesserte ergreift, und sich das «verbesserte Etwas» über das «unverbesserte Etwas» stellt. Und so: bewußtes und unbewußtes «Etwas», verbessertes und unverbessertes «Etwas», das rollt herum, rollt, rollt, rollt - ist schließlich nichts anderes als auch, auf das geistige Gebiet übertragen, diese sonderbare Art des abstrakten Arbeitens in der Gegenwart, das sich in diesem Abstrakten ganz besonders gefällt und eigentlich Wirklichkeitsflucht ist, gar nichts mehr zu tun hat mit irgendeiner Wirklichkeit. Das kommt dann allerdings zu ganz besonderen Konsequenzen. Weil die Leute in Begriffen verarmen, können sie sich mit ihren Begriffen auch nicht durch den Strom des Daseins hindurchwinden. Ihre Begriffe reichen nicht aus, das Leben zu erfassen. Und dann kommt es vor, daß man solche Dinge liest wie zum Beispiel in dem Aufsatz von Adolf Keller auf Seite 51: «Aber obschon in diesem Erlebnis die tiefsten Quellen des Gemütes zum Fließen kommen, ist es doch nicht bloß eine Aufwallung des Gefühls in uns. Es wird dabei nichts Göttliches und Menschliches durcheinandergemischt. Dafür sorgt das Gewissen. Es wahrt den Abstand und die Ehrfurcht. Der Mensch bleibt der Mensch, und Gott bleibt Gott. Hat die Reformation mit der Mystik gemein, daß das Gottesverhältnis durch ein persönliches Erlebnis hergestellt wird, so scheidet das sie von einander, daß das reformatorische Erlebnis sich nicht wie in der Mystik im gefühlsmäßigen Wallen und Sieden des Seelengrundes vollzieht, sondern in der Not und sittlichen Erhebung des Gewissens. Die stärkste Macht der Innerlichkeit ist ein Sollen, eine absolute Forderung. Der Mensch kann sich ihrer nur erwehren durch eine göttliche, innerlich erlebte Hilfe.» Lauter Abstraktionen, man kollert so von einer zur andern. Dann kommt: «Dieses ist das Evangelium, Jesus Christus.»

Also selbst bis zu dieser Abstraktion hat es dieser Herr gebracht, daß er die Botschaft des Jesus Christus mit dem Jesus Christus identifiziert. Dazu kommt man eben durch äußerste Abstraktionen. Dann aber ist es sehr merkwürdig: also die Mystik hat er abgewiesen. Mit seinen armen Begriffen sagt er: Die Reformation hat nichts zu tun mit der Mystik, sondern die Reformation erzeugt ein gesundes Leben. -

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Als ob die Mystik nicht gerade das Erleben wäre. Nicht wahr, aber weil die Begriffe so arm sind, können sie die Wirklichkeit nicht umspannen, nicht umfassen. Daher sagen sie für die entgegengesetztesten Dinge immer dasselbe. Also denken Sie: Das «Wallen und Sieden» hat er abgelehnt, das darf der richtige Reformationsanhänger nicht haben, denn sonst wäre er ein Mystiker, wenn er ein Wallen und Sieden hätte.

Adolf Keller fährt fort: «Diese Hilfe wird aber nicht nur äußerlich, historisch oder sakramental vor den Menschen hingestellt. Auch sie kann nur kräftig werden durch innere persönliche Aneignung. Sie wirkt nicht von außen, magisch, sondern nur soweit sie gefühls- und willens- mäßig sich in uns verinnerlichen und die Seele durchglühen kann.»

Also die Reformation darf kein «Wallen und Sieden» im Grunde sein, aber diese Reformation wirkt wiederum nur in der Seele, wenn sie die Seele durchglühen kann, also die Seele wallend und siedend machen kann. So könnte man den ganzen Aufsatz durchnehmen auf seine armselige Geistigkeit hin, die nirgends gewachsen ist, in die Wirklichkeit unterzutauchen. Aber solche Dinge werden heute mit besonderer Passion gelesen. Man findet das sehr geistreich. Man merkt nicht, daß, wenn man zwei, drei Zeilen weiterliest, man sogleich mit den Begriffen stolpert, weil man natürlich die verschiedensten Dinge mit denselben Begriffen belegen muß, denn an Begriffen ist man arm.

So können Sie, wenn Sie auf der einen Seite studieren den schönen Aufsatz über «Die Kern fragen der Schweizer-Politik» von Roman Boos - den ich Ihnen sehr empfehle, weil er Ihnen zeigen wird, wie man Fäden ziehen kann zwischen dem politischen Leben und andern Formen des Kulturlebens, und wie man wirklich die Begriffe in Fluß bringen kann, wenn man sein Begriffsleben bereichert, wie Sie ein Muster finden können über die Schweizer Politik in bezug auf eine Zukunftsbetrachtung -, so können Sie das vergleichen mit der öden Rederei des ersten Aufsatzes in diesem Heft «Wissen und Leben» vom 15. Oktober 1917: «Der Sinn der Reformation» von Adolf Keller, und Sie haben so, indem Sie ein geringes Geld einmal ausgeben, die Möglichkeit, Altes und Neues hier unmittelbar nebeneinander zu finden und sich recht sehr gut über diese Sache unterrichten zu können.

Ich muß schon manchmal auf das allerentgegengesetzteste Aktuelle

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Rücksicht nehmen, denn Anthroposophie ist nicht dazu da, um in den höchsten Höhen zu schwelgen, sondern sie soll da sein, gerade diese Betrachtungen anzulegen, die wirklich in die Gegenwart, in die Intentionen der Gegenwart hineinführen.

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ZWÖLFTER VORTRAG Dornach, 26. Oktober 1917

Meine lieben Freunde! Ich muß zuerst verkündigen, daß die Vorträge in Zürich verschoben worden sind. Es ist ja jetzt außerordentlich schwierig, einen Saal zu bekommen. Die ersten öffentlichen Vorträge werden also stattfinden erst am Montag, den 5. November, und am Mittwoch, den 7. November, in der Hirschgraben-Schulaula. Dazwischen am Dienstag dann der Zweigabend, und in der nächsten Woche an denselben Tagen die anderen Vorträge.

Das Ereignis, auf das ich hingedeutet habe in den bisherigen Betrachtungen, die Herabstoßung gewisser Geister der Finsternis aus dem geistigen Reiche in das Reich der Menschen im Herbste des Jahres 1879, das ist ein bedeutsames Ereignis. Man muß sich immer wieder und wiederum vor die Seele rücken, was es eigentlich heißt: In den geistigen Reichen hat ein jahrzehntelanger Kampf stattgefunden. Dieser Kampf, der im Beginne der vierziger Jahre seinen Anfang nahm, hat damit geendet, daß gewisse geistige Wesenheiten, die wie Rebellen in der geistigen Welt sich während dieser Jahrzehnte betätigt haben, besiegt worden sind und als finstere Geister im Herbste 1879 in den Bereich der Menschenentwickelung gestoßen worden sind. Sie leben also jetzt unter uns, und sie leben so unter uns, daß sie ihre Impulse in unsere Weltauffassung, aber nicht bloß in die gedankliche Weltauffassung, sondern in unser Empfinden, in unsere Willensimpulse, auch in unsere Temperamente hereinsenden. Und nicht früher werden die Menschen die bedeutungsvollen Ereignisse der Gegenwart und auch der nächsten Zukunft nur einigermaßen verstehen, als bis sie sich darauf einlassen, wiederum die physisch-sinnliche Welt im Zusammenhang zu erkennen mit der geistigen Welt, und solch ein bedeutsames Ereignis ebenso in Betracht zu ziehen, wie eine Naturerscheinung. Man ist in der Gegenwart gewöhnt, nur Naturerscheinungen, Erscheinungen des physischen Planes im geschichtlichen Werden gelten zu lassen. Man wird wiederum geistige Ereignisse, die man durch Geisteswissenschaft erkennen kann, gelten lassen müssen, um die Ereignisse, die sich so abspielen, daß wir Menschen in sie hineinverflochten sind, zu verstehen.

Nun kann man, gerade wenn man dieses bedeutsame Ereignis ins Auge faßt, ich möchte sagen, Studien darüber machen, wie der Mensch gar sehr irrt, wenn er in seiner Weltbetrachtung nur von Begriffen ausgeht, von Definitionen, nicht von der unmittelbaren Betrachtung des Wirklichen. Man hat so sehr heute das Gefühl, daß man von definierten Begriffen ausgehen soll: Was ist Ahriman, was ist Luzifer, was sind

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diese oder jene Geister dieser oder jener Hierarchien? - so frägt man, und wenn man Definitionen gewonnen hat, so glaubt man, daß man damit schon irgend etwas über die Wirkungsweise begriffen hat. Ich habe öfter das Ungenügende des Definitionswesens an einem krassen Beispiele gezeigt, das man schon im alten Griechenland kannte. Es ist ja natürlich nicht das Muster einer Definition, diese, die in einer Schule in Griechenland über den Menschen gegeben wurde, aber es ist eine Definition, die stimmt: Ein Mensch ist ein Wesen, das auf zwei Beinen geht und keine Federn hat. Als dann der Schüler das nächste Mal wiederkam, hatte er einen Hahn mitgebracht, den er gerupft hatte: das war ein Wesen, das auf zwei Beinen geht und keine Federn hat. Das ist eln Mensch, so sagte er, nach dieser Definition.

Es sind ja wirklich viele Definitionen, die man gelten läßt, nach diesem Muster aufgebaut, und viele unserer sogenannten wissenschaftlichen Definitionen treffen ungefähr so die Wirklichkeit. Aber wir dürfen nicht in der Anthroposophie von solchem Definierungswesen ausgehen. Das schlechteste Erkennen ergibt sich, wenn man von Begriffen, von Abstraktionen ausgeht. Gewiß, man kann den Begriff der Geister der Finsternisse, der ahrimanisch-luziferischen Wesen definieren, aber damit hat man nicht viel gewonnen. Es sind Geister der Finsternisse, die im Jahre 1879, wenn wir den Ausdruck gebrauchen dürfen, vom Himmel auf die Erde geworfen worden sind. Aber wenn wir so einen allgemeinen Begriff gewinnen über die Geister der Finsternisse, dann haben wir für das Verständnis der Sache, um die es sich handelt, nicht viel gewonnen. Denn diese Geister der Finsternisse, die jetzt unter uns wandeln, die sind von derselben Art wie jene Geister der Finsternisse, welche in alten Zeiten ebenfalls schon aus der geistigen Welt, also vom Himmel auf die Erde geworfen worden sind, welche dazumal bestimmte Aufgaben hatten, und zwar bis in die griechisch-lateinische Zeit hinein. Sie hatten diese Aufgaben das ganze atlantische Zeitalter hindurch; sie hatten sie aber auch bis in die griechisch-lateinische Zeit herein.

Nun wollen wir einmal versuchen, aus den verschiedenen Erkenntnissen heraus, die wir gewonnen haben, uns klarzumachen, was für eine Aufgabe diese Geister der Finsternisse hatten, Jahrtausende und Jahrtausende

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hindurch, die ganze atlantische Zeit hindurch, bis herein in das griechisch-lateinische Zeitalter. Man muß sich immer gegenwärtig halten, daß die Weltenordnuhg nur dadurch vor sich gegen kann, daß höhere geistige Wesenheiten, welche die normale Entwickelung der Menschheit zu leiten haben, sich solcher Geister bedienen, solche Geister gewissermaßen an die rechte Stelle hinstellen, damit sie an ihrem Ort das Rechte wirken. Wir haben es ja öfter betont, daß das Hereinspielen der sogenannten luziferischen Versuchung in alten Zeiten für die Menschheitsentwickelung eine große Bedeutung hatte. Die luziferische Versuchung ging zunächst allerdings aus einem Streben Luzifers hervor. Aber aus diesem Streben Luzifers - und später, von der atlantischen Zeit ab, war Luzifer im Bunde mit Ahriman -, aus diesem Streben ging ein Gegenstreben der, nennen wir sie gute Geister, der Geister des Lichtes hervor. Im Grunde genommen wollten die Geister der Finsternis in jenen alten Zeiten in ihrer Art auch wiederum das Beste der Menschen, sie wollten die Menschen zur absoluten Freiheit prägen, wozu die Menschen in dieser Zeit allerdings noch nicht reif waren. Sie wollten die Menschen ausstatten mit jenen Impulsen, durch die jeder Einzelmensch individuell auf sich selbst gestellt werde. Das sollte aber nicht sein, weil die Menschheit dazu noch nicht reif war.

Es mußte eine Gegenkraft entgegengesetzt werden von den Geistern des Lichtes; und diese Gegenkraft bestand darin, daß dazumal der Mensch aus geistigen Höhen auf die Erde versetzt wurde, was als die Austreibung aus dem Paradies symbolisch geschildert wird. In Wirklichkeit war dieses Herunterstoßen des Menschen vom Himmel auf die Erde das Einspinnen des Menschen in die Strömung der vererbten oder vererbbaren Eigenschaften. Luzifer und die ahrimanischen Mächte wollten, daß jeder Mensch als Individualität auf sich selbst gestellt sei. Dadurch wäre der Mensch in unreifem Zustande schnell vergeistigt worden. Das sollte nicht geschehen. Der Mensch sollte auf der Erde erzogen werden, sollte durch die Kräfte der Erde ausgebildet werden. Das geschah dadurch, daß der Mensch eingesponnen wurde in die Vererbungsströmung, so daß einer von dem andern physisch abstammte. Nicht mehr auf sich selbst gestellt war jetzt der Mensch, sondern er erbte gewisse Eigenschaften von seinen Vorfahren. Er war dadurch

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belastet mit irdischen Eigenschaften, die Luzifer nicht über ihn hat kommen lassen wollen. Alles, was in der physischen Vererbungslinie liegt, ist von den Geistern des Lichtes als Gegenströmung gegen die Strömung Luzifers den Menschen aufgeprägt worden. Dem Menschen ist gewissermaßen ein Gewicht angehängt worden, durch das er verbunden wurde mit dem Erdendasein. So daß wir mit alledem, was in Verbindung steht mit Vererbung, mit Zeugung, mit Fortpflanzung, mit der Liebe auf dem irdischen Felde, uns verbunden denken müssen jene geistigen Wesenheiten, deren Führerschaft als Jahve oder Jehova bezeichnet wird.

Wenn wir daher in die alten Religionen zurückgehen, so finden wir auch aus diesem Grunde überall die Symbole der Zeugung, die Symbole der irdischen Vererbung. Und sogar an der Gesetzgebung des Judentums, die das Christentum vorbereiten sollte, und an den andern, den heidnischen Religionen, überall ist es zu bemerken, daß großer Wert darauf gelegt wird, zu regeln, zu ordnen im irdischen Felde dasjenige, was in dem Gesetze der Vererbung steht. Die Menschen sollten lernen, zusammenzuwohnen nach Stämmen, nach Völkern, nach Rassen. Die Blutsverwandtschaft sollte die Signatur geben für die irdischen Ordnungen.

Das hatte sich vorbereitet während der atlantischen Zeit, das hatte sich dann im wesentlichen wiederholt, namentlich durch all die Maßnahmen, die getroffen worden sind in der dritten, der ägyptisch-chaldäischen Kulturperiode, in der vierten, in der griechisch-lateinischen Kulturperiode. Wir sehen, daß gerade in diesen Zeiten, die das lemurische, das atlantische Zeitalter wiederholen sollten, daß da in allen menschlichen Ordnungen überall Rücksicht genommen wurde auf Rassen, Völker, Stammeszusammenhänge, kurz, auf jene vererbbaren Eigenschaften, welche auf dem Zusammenhang des Blutes beruhten. Die Mysterienpriester, von denen ja im wesentlichen alle Ordnung - heute würde man sagen: staatliche Ordnung - ausgegangen ist, die Mysterienpriester haben es sich angelegen sein lassen, überall zu beobachten, wie sich da und dort die Sitteii, die Neigungen, die Gewohnheiten der Menschen ausbilden mußten nach den Blutsverwandtschaften, nach den Volks- und Stammeszusammengehörigkeiten. Danach haben sie ihre

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Gesetze gegeben. Und man kann das, was von den Mysterien des dritten und vierten nachatlantischen Kulturzeitraums ausgegangen ist, nicht verstehen, wenn man nicht zugrunde legt das sorgfältige Studium der Rassen-, Völker- und Stammeszusammenhänge, das durch Mysterienpriester getrieben worden ist, von denen eben die Gesetzgebungen für die einzelnen Gebiete der Erde ausgegangen sind. Und für diese einzelnen Gebiete der Erde war im Grunde genommen nichts anderes geltend als das In-Ordnung-Bringen der Blutsbande.

In diesen Zeiten, in denen also sozusagen die Geister des Lichtes sich haben angelegen sein lassen, die Menschenzusammenhänge nach den Blutsbanden zu ordnen, haben es sich die mit den Menschen vom Himmel zur Erde verstoßenen Geister der Finsternis angelegen sein lassen, gegen alles, was Blutsvererbung ist, zu arbeiten. Und alles, was wir in diesen charakterisierten Zeitaltern finden an rebellischer Auflehnung gegen die Blutsverwandtschafts-Ordnungen, alles, was wir in diesen Zeiten finden an Lehren, die natürlich durch die Menschen kommen, aber inspiriert von den Geistern der Finsternis, alles, was an solchen Rebellenlehren kommt, was sich auflehnt gegen die Vererbung, gegen die Stammes-, gegen die Rassenzusammenhänge, was da pocht auf die individuelle Freiheit, was Gesetze geben will aus der individuellen Freiheit des Menschen heraus, das rührt eben von den herabgestoßenen Geistern her. Diese Zeiten ragen bis ins 15. Jahrhundert herein. Nachklänge sind natürlich immer vorhanden, denn die Ordnungen hören nicht gleich auf, wenn der scharfe Einschnitt in der Entwickelung gemacht ist. Aber namentlich bis zum 15. Jahrhundert sehen wir überall Lehren ersprießen, die sich gegen die bloß natürlichen Bande auflehnen, gegen die Verwandtschaftsbande, Familienbande, Volkszusammengehörigkeiten und so weiter auflehnen.

So sehen wir die zwei Strömungen: die eine Strömung, welche - wenn ich mich so ausdrücken darf - protegiert alles, was Blutsbande sind, die Strömung des Lichtes; auf der andern Seite die Strömung der Finster nis, die alles dasjenige protegiert, was aus den Blutszusammenhängen heraus will, was den Menschen dahin bringen will, sich frei zu machen von Familien- und Vererbungsbanden. Gewiß, es hört nicht alles mit einem Schlage auf, geradeso wie in der Natur nicht alles mit einem

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Schlage aufhört. So hat im Jahre 1413, das das Einschnittsjahr ist, wo die Grenze ist zwischen dem vierten und fünften nachatlantischen Zeitraum, nicht alles gleich aufgehört. Und wir sehen bis in die heutige Zeit herein diese zwei Strömungen nachwirken. Denn seit dem 19. Jahrhun dert, seit diesen bedeutsamen Ereignissen, die ich Ihnen geschildert habe, sehen wir etwas ganz anderes aufkommen - ich habe es ja schon angedeutet -: Engelartige Wesen, Wesen aus der Hierarchie der Angeloi sind es, die seit dem Jahre 1879 unter uns wirken, Nachzügler der alten Geister der Finsternis, verwandt mit ihnen, gleicher Art mit ihnen, aber erst durch das Ereignis von 1879 sind sie vom Himmel auf die Erde gestoßen worden. Bis dahin haben sie ihre Aufgabe oben verrichtet, während ihre Verwandten, die das getan haben, was ich eben charakterisiert habe, schon seit dem lemurischen, atlantischen Zeitalter unter den Menschen waren.

So daß wir also sagen können (es wird an die Tafel gezeichnet): Wenn wir dies als Grenzlinie gelten lassen wollen zwischen dem geistigen Reich und dem physischen Reich und wenn wir die fortlaufende Linie der Geister des Lichtes schematisch durch die kleinen Kreise bezeichnen (Kreise oben), so haben wir hier einen Einschnitt: 747 vor dem Mysterium von Golgatha etwa haben wir einen Einschnitt: 1413 nach dem Mysterium von Golgatha. Und hier weiter (ganz rechts) bezeichnen wir den Einschnitt, den wir jetzt besonders brauchen - auf Entfernungen brauchen wir uns dabei nicht einzulassen -: 1879. Wir haben in dieser ganzen Zeit Geister der Finsternis wirksam hier unten (blaue Kreise unten), während gewisse andere Geister der Finsternis noch oben sind in dieser ganzen Zeit (blaue Kreise oben); sie sind verwandt mit den unteren, aber sie sind noch oben. Vom Jahr 1841 an ist jener mächtige Kampf, von dem ich Ihnen gesprochen habe. Diese Geister, die also verwandt sind mit den andern, kommen zu den unteren hinzu, steigen herunter und sind jetzt unter den andern. Aber die Kraft der alten Rebellen, die Kraft also der sich fortpflanzenden Strömung der Geister der Finsternisse, die ihre Aufgabe hatten in dem chaldäisch-ägyptischen Zeitalter, in dem griechisch-lateinischen Zeitalter, die ihre Aufgabe seit der atlantischen und lemurischen Zeit her haben, diese Kraft erlischt allmählich; und es beginnen eben die Kräfte der erst 1879 heruntergestoßenen Geister zu wirken. Während gewissermaßen ihre Brüder aufhören, Macht zu haben, beginnen diese Geister zu wirken. So daß wir seit diesem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eigentlich eine vollständige Umkehrung aller Verhältnisse haben. Die regelrecht fortwirkenden Geister des Lichtes haben genug getan in der Festlegung der Blutsbande, der

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Stammes-, der Rassenbande und so weiter, denn in der Entwickelung hat alles seine bestimmte Zeit. Dasjenige, was gefestigt worden ist in der Menschheit durch die Blutsbande, dem ist genug geschehen in der allgemeinen gerechten Weltenordnung. So daß seit dieser neueren Zeit die Geister des Lichtes sich so wandeln, daß sie jetzt den Menschen inspirieren, freie Ideen, Empfindungen, Impulse der Freiheit zu entwickeln, daß sie es sind, die den Menschen auf die Grundlage seiner Individualität stellen wollen. Und die den alten Geistern der Finsternis verwandten Geister, die bekommen jetzt nach und nach die Aufgabe, in den Blutsbanden zu wirken.

Das, was gut war in alten Zeiten, oder besser gesagt, was in der Sphäre der guten Geister des Lichtes war, das wird abgegeben im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts an die Geister der Finsternis. So daß von da ab die alten Impulse, die sich auf Rassen-, Stammes- und Volkszusammenhänge, auf das Blut gründen, übergehen in die Regierung der Geister der Finsternis, daß von da ab die Geister der Finsternis, die früher die Rebellen der Freiheit waren, den Menschen einzuimpfen beginnen, die Ordnungen auf Stammeszusammengehörigkeiten, auf Blutsbande zu begründen.

Sie sehen, definieren kann man nicht. Denn definiert man die Geister der Finsternis nach ihrer Aufgabe in alten Zeiten, so bekommt man gerade das Gegenteil von dem heraus, was die Geister der Finsternis in neuen Zeiten, seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, als Aufgabe haben. In alten Zeiten hatten die Geister der Finsternis die Aufgabe, entgegenzuarbeiten den vererbten Merkmalen der Menschen; seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bleiben sie zurück, wollen zurückbleiben, wollen die Menschen immer wieder und wiederum hinweisen, auf ihre Stammes- und Bluts- und Vererbungszusammenhänge zu pochen.

Diese Dinge sind einfach eine Wiedergabe der Wahrheit, aber einer Wahrheit, die den Menschen heute im höchsten Grade unbequem ist, die die Menschen heute nicht hören wollen, denn sie haben sich durch Jahrtausende das Pochen auf die Blutsbande eingeimpft. Und diese Gewohnheit lassen sie aus Bequemlichkeit übergehen in die Führung der Geister der Finsternisse. Und so sehen wir, daß gerade im 19. Jahrhundert

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ein Pochen auf Stammes- und Volks- und Rassenzusammenhänge beginnt, und daß man von diesem Pochen als einem idealistischen spricht, während es in Wahrheit der Anfang ist einer Niedergangserscheinung der Menschen, der Menschheit. Denn während alles dasjenige, was auf die Herrschaft des Blutes gebaut war, Fortschritt bedeutete, solange das Blut unter der Herrschaft der Geister des Lichts war, bedeutet es unter der Herrschaft der Geister der Finsternisse Niedergangserscheinung. Im stärksten Maße werden sich die Geister der Finsternis an strengen, wie sie sich früher angestrengt haben, den rebellischen Sinn für die Freiheit in die Menschen zu pflanzen, als die Vererbungsmerkmale im guten Sinne von den fortschrittlichen Geistern vererbt wurden, so werden sie sich im äußersten Maße an strengen in den drei folgenden Zeiten der Menschheitsentwickelung bis zu der großen Katastrophe, durch die Konservierung der alten Vererbungsmerkmale und der aus der Konservierung dieser Vererbungsmerkmale folgenden Gesinnung die notwendigen Niedergangsmerkmale in die Menschheit zu bringen.

Da ist wiederum ein Punkt, an dem man wachsam sein muß. Und insbesondere kann man den gegenwärtigen Zeitpunkt nicht verstehen, wenn man nicht weiß, was für ein Austausch von Funktionen gerade im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sich vollzogen hat. Ein Mensch noch des 14. Jahrhunderts, der gesprochen hat von dem Ideal der Rassen, von dem Ideal der Nationen, der hat gesprochen aus den fortschreitenden Eigenschaften der menschlichen Entwickelung heraus; ein Mensch, der heute von dem Ideal von Rassen und Nationen und Stammeszusammengehörigkeiten spricht, der spricht von Niedergangsimpulsen der Menschheit. Und wenn er in diesen sogenannten Idealen glaubt, fortschrittliche Ideale vor die Menschheit hinzustellen, so ist das die Unwahrheit. Denn durch nichts wird sich die Menschheit mehr in den Niedergang hineinbringen, als wenn sich die Rassen-, Volks- und Blutsideale fortpflanzen. Durch nichts wird der wirkliche Fortschritt der Menschheit mehr aufgehalten als dadurch, daß aus früheren Jahrhunderten stammende, von luziferisch-ahrimanischen Mächten fortkonservierte Deklamationen herrschen werden über die Ideale der Völker, während das wirkliche Ideal dasjenige werden müßte, was in der rein

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geistigen Welt, nicht aus dem Blute heraus, gefunden werden kann.

Der Christus, der im Laufe des 20. Jahrhundertserscheinen soll, in besonderer Form erscheinen soll, der wird nichts` wissen von jenen sogenannten Idealen, von denen heute die Menschen deklamieren. Denn so wie da das Wesen aus der Hierarchie der Archangeloi, das wir als Michael bezeichnen, gewissermaßen der Statthalter Jahves in früheren Zeiten war, wird er sein durch jene Funktionen, die er 1879 übertragen erhalten hat, der Statthalter des Christus, des Christus-Impulses, der darauf hinausläuft, an die Stelle der bloß natürlichen Blutsbande geistige Bande unter den Menschen zu schaffen. Denn nur durch geistige Zusammengehörigkeitsbande wird in das Niedergehende, das ganz naturgemäß ist, Fortschreitendes hineinkommen. Ich sage: das Niedergehende ist naturgemäß. Denn geradeso wie der Mensch, wenn er ins Alter kommt, nicht ein Kind bleiben kann, sondern mit seinem Leib in eine absteigende Entwickelung eintritt, so trat auch die ganze Menschheit in eine absteigende Entwickelung ein. Wir haben den vierten Zeitraum überschritten, wir sind im fünften darinnen; der sechste und der siebente werden mit dem fünften zusammen das Alter der gegenwärtigen Weltentwickelung sein. Zu glauben, daß die alten Ideale fortleben können, ist geradeso gescheit, wie zu glauben, daß der Mensch sein ganzes Leben hindurch buchstabieren lernen soll, weil es dem Kinde gut ist, buchstabieren zu lernen. Ebenso gescheit wäre es, wenn man in der Zukunft davon reden wollte, daß über die Erde hin eine soziale Struktur sich ausbreiten soll auf Grundlage der Blutszusammengehörigkeit der Völker. Das ist zwar Wilsonianismus, das ist aber zu gleicher Zeit Ahrimanismus, das ist Geist der Finsternis.

Es ist gewiß unbequem, solch eine Wahrheit anzuerkennen; es ist bequemer heute, in die Phraseologien, die über die ganze Erde hingehen, einzustimmen. Aber der Gang derWirklichkeit geht nicht nach Phrasen, der Gang der Wirklichkeit geht nach den wahren Impulsen. Und man wird nicht im Sinne der Wahrheit umstempeln können dasjenige, was für die fünfte, sechste und siebente Periode nicht mehr gültig ist, auch wenn man es in einer heute für die bequeme Menschheit noch überzeugungsfähigen Form, in Wilsonsche Weltenprogramme hineingießt.

Es gibt noch genügend Menschen heute, die durchaus nicht soweit

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kommen wollen, unabhängig von allen Blutsbanden solche allgemein menschlichen Wahrheiten aufzunehmen. Allgemein menschliche Wahrheiten sind sie, weil sie nicht von der Erde gekommen sind, sondern weil sie heruntergeholt sind aus den geistigen Welten. Wie furchtbar ist die Reaktion, die heute sich schon vollzieht dadurch, daß eine ganze Welt fast sich auflehnt gegen den wirklichen Fortschritt der Menschen, indem man in die Phrase der Befreiung der Völker einkleidet, was gegen den Strom der Entwickelung geht. Das war immer das Schicksal der Mysterienwahrheiten, daß sie gegen den Strom der Bequemlichkeit, aber mit dem Strom der Entwickelung gehen mußten. Und es wird sich zeigen, ob wenigstens ein kleiner Kreis von Menschen sich findet, der sich unabhängig von allen Blutsvorurteilen aufschwingen kann zu der Erkenntnis von der Phraseologie, die heute über die Erde geht, und die nichts anderes bedeutet als ein Aufschießen hinauf an die Oberfläche dessen, was geistig sich darstellt als das Ereignis vom November 1879.

Die Ereignisse der Gegenwart, sie wurden von den eingeweihten Geistern aller Nationen vorausgesehen. Sie wurden vorausgesehen und vorausgesagt, und hingewiesen wurde darauf, wie aus dem Blute der Menschen emporsprudeln wird reaktionärste Gesinnung, weil der Glaube herrschen wird, daß diese reaktionäre Gesinnung gerade das Idealste ist. Man muß derlei Dinge im Großen und im Kleinen beobachten können, man muß sich nicht stören lassen von dem, was heute als Phrasenurteil durch die Welt geht. Man muß sich schon ein wenig aufschwingen können zum Verständnis der Zeichen der Zeit. Gewiß, man kann ja den andern Weg wählen, man kann den Weg wählen des Drinnen-Stehenbleibens in den Blutsvorurteilen: Dann wird man eben sich den abwärtsgehenden Strömungen anschließen. Die kommen schon. Aber man muß ihnen gegenüber nur in der richtigen Weise wachsam sein und ihnen entgegenstellen können, was aufwärtsstrebend ist. Denn das Abwärtsstrebende kommt von selber.

Fühlen muß man, wo das Leben aufsteigt, wo das Leben absteigt. Nicht in das törichte Vorurteil soll man verfallen, das Absteigeleben zu fliehen: Ich will nichts zu tun haben mit Luzifer, ich will nichts zu tun haben mit Ahriman. - Ich habe oftmals dieses törichte Vorurteil gerügt in unseren Betrachtungen, denn selbstverständlich muß man mit diesen

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Geistern, die in dem Dienste der Weltenordnung stehen, rechnen. Berücksichtigt man sie nicht, verhält man sich so, daß sie außerhalb des Bewußtseins bleiben, so haben sie eine um so stärkere Macht. Aber das, was in der Menschheit auftritt, wird man nur dann in der richtigen Weise beurteilen können, wenn man die großen Gesichtspunkte hat über die Impulse des auf- und absteigenden Lebens. Man muß sich da nur von Sympathien und Antipathien freihalten.

Wir haben auf dem Gebiete der Naturwissenschaft der neueren Zeit zwei Strömungen heraufkommend, von denen ich die eine bezeichnete als Goetheanismus, die andere als Darwinismus. Verfolgen Sie meine Schriften ganz von Anfang an: Sie werden sehen, daß ich niemals die ganze tiefgehende Bedeutung des Darwinismus verkannt habe. Törichte Menschen haben sogar gefunden, wenn ich pro Darwin geschrieben habe, daß ich selber dem Materialismus verfallen gewesen wäre und dergleichen. Nun, wir wissen ja, daß diese Dinge nicht aus Überzeugungen herausstammen, sondern aus ganz andern Untergründen; und diejenigen, die solche Dinge vorbringen, wissen am allerbesten, wenn sie darüber nachdenken, daß sie nicht wahr sind. Aber wenn Sie wirklich meine Schriften verfolgen, so werden Sie sehen, daß ich dem Darwinismus immer gerecht geworden bin, aber eben gerade dadurch gerecht werden konnte, daß ich ihm entgegengestellt habe Goetheanismus, die Auffassung von der Entwickelung des Lebens. Das, was man Deszendenztheorie nennt, auf der einen Seite im Sinne des Darwinismus, auf der andern Seite im Sinne des Goetheanismus, diese Dinge versuchte ich immer miteinander zu verbinden. Warum? Weil im Goetheanismus die aufsteigende Linie lebt, das Herausheben der organischen Entwickelung aus dem bloß physikalischen, physischen Dasein.

Wie oft habe ich auf das Gespräch zwischen Goethe und Schiller hingewiesen, wo Schiller, als Goethe seine Urpflanze aufzeichnete, sagte: Das ist keine Empirie, das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee. - Da sagte Goethe: Dann habe ich meine Idee vor Augen! - Weil er über all das Geistige sah. Da haben wir eine Entwickelungslehre bei Goethe veranlagt, die den Keim in sich trägt, zu den höchsten Sphären heraufgehoben zu werden, angewendet zu werden für Seele und Geist. Wenn Goethe auch nur für die organische Entwickelung in der Metamor-

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phosenlehre den Anfang gemacht hat, wir haben die Evolution des Geistes, zu der die Menschheit von diesem fünften nachatlantischen Zeitraum an kommen muß, weil der Mensch sich verinnerlicht, wie ich es in diesen Betrachtungen dargestellt habe. Goetheanismus kann eine große Zukunft haben, denn die ganze Anthroposophie liegt in seiner Linie. Darwinismus betrachtet die physische Entwickelung von der physischen Seite her: äußere Impulse, Kampf ums Dasein, Selektion und so weiter, und stellt damit die absterbende Entwickelung dar, alles dasjenige, was man finden kann über das organische Leben, wenn man sich den Impulsen überläßt, die in früheren Zeiten groß geworden sind.

Will man Darwin verstehen, so muß man nur synthetisch zusammenfassen alle Gesetze, die früher aufgefunden worden sind. Will man Goethe verstehen, muß man sich aufschwingen zu neuen und immer neuen Gesetzmäßigkeiten im Dasein. Beides ist notwendig. Der Fehler besteht nicht darin, daß es einen Darwinismus gibt, oder daß es einen Goetheanismus gibt, sondern darin, daß die Menschen dem einen oder dem andern, und nicht dem einen und dem andern anhängen wollen. Das ist es, worauf es ankommt.

Daß der Mensch immer jünger und jünger werde, je älter er wird, wenn er seine Seele gut entwickelt, wird in der Zukunft nur möglich sein, wenn er geistige Impulse in sich aufnimmt. Nimmt er geistige Impulse in sich auf, dann kann er graue Haare bekommen und Runzeln und alle möglichen Gebresten: er wird jünger und immer jünger, weil er in der Seele jene Impulse aufnimmt, die er durch die Pforte des Todes trägt. Aber wenn man nur mit dem Leibe geht, kann man nicht jünger werden. Dann erlebt man auch in der Seele alles mit, was der Leib lebt. Selbstverständlich kann man sich nicht abgewöhnen, grau zu werden, aber man kann sich eine junge Seele holen aus den Quellen des spirituellen Lebens für den ergrauten Kopf. So wird die Entwickelung der Menschheit im fünften, sechsten, siebenten Zeitraum im Sinne der - verzeihen Sie die merkwürdige Ausdrucksweise - grauhaarigen Darwinschen Theorie vor sich gehen. Aber die Menschen werden sich holen müssen, damit sie durchgehen können durch jene Katastrophe, die man mit dem Erdentode vergleichen kann - die Katastrophe der Zukunft -, sie werden sich holen müssen die Jugendkraft der Metamorphosenlehre,

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der geistigen, der spirituellen Evolutionslehre, die im Goetheanismus liegt. Die muß durch die Zukunftskatastrophe durch- getragen werden, so wie die verjüngte Seele durch die Pforte des Todes beim individuellen Menschen getragen wird.

Dadurch, daß der Mensch - wenn wir die Ausdrücke gebrauchen dürfen - vom Himmel auf die Erde gekommen ist, und mit ihm jene Geister der Finsternis, die ihm einen genügenden Fond eingeprägt haben zu seiner Befreiung während der Zeit, in welcher die Gesetze der Vererbung herrschten, die Gesetze der Nationalität, das Rassenhaftige herrschten, dadurch hat der Mensch die Möglichkeit gefunden, sich mit der Erde zu verbinden. Die Tat des Luzifer und Ahriman, sie ist zum Guten gewendet worden dadurch, daß der Mensch durch sie die Möglichkeit gefunden hat, sich mit der Erde zu verbinden. Wollen wir eine schematische Zeichnung entwerfen, so können wir sagen: Der Mensch war verbunden mit dem ganzen Kosmos einschließlich der Erde (siehe Zeichnung, violett) vor der luziferischen Tat; er hat sich verbunden mit der Erde (gelb) dadurch, daß ihm die Vererbungseigenschaften - die Erbsünden, wie man biblisch spricht, die Vererbungseigenschaften, wie man naturwissenschaftlich spricht - eingepflanzt worden sind. Dadurch ist der Mensch, den ich hier in Kreuzesform bezeichne, zu einem Gliede der Erde geworden. - Sie sehen, Luzifer und Ahriman sind die Diener der fortschreitenden Mächte.

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Nun geht die Entwickelung weiter. Wir leben in der Zeit, in welcher der Mensch auf der Erde lebt, verbunden mit der Erde. Luziferischahrimanische Geister, Geister der Finsternisse, sind vom Himmel auf die Erde gestoßen worden. Dadurch muß der Mensch wiederum befreit werden von der Erde, losgerissen von der Erde, indem ein Teil seines Wesens wiederum zurückgebracht wird in die geistige Welt. Ein Bewußtsein muß sich in der Menschheit entwickeln, daß wir nicht von dieser Erde sind, und immer stärker und stärker muß dieses Bewußtsein werden. In der Zukunft muß der Mensch über die Erde schreiten, indem er sich sagt: Gewiß, ich ziehe ein mit meiner Geburt in einen physischen Leib, aber das ist ein Durchgangsstadium. Ich bleibe eigentlich in der geistigen Welt, ich bin mir bewußt, daß nur ein Teil meines Wesens an die Erde gebunden ist, daß ich mit meinem ganzen Wesen nicht heraustrete aus der Welt, in der ich zwischen Tod und neuer Geburt bin. - Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl mit der geistigen Welt, das muß sich entwickeln.

In früheren Jahrhunderten hat das nur einen falschen Schatten vorausgeworfen, indem man das physische Leben nicht verstehen wollte und eine falsche Askese getrieben hat, geglaubt hat, durch allerlei Abtötungsmaßregeln des physischen Leibes könnte man das erlangen. Das muß aber verstanden werden, daß der Mensch nicht durch solche falsche Askese, sondern durch das Verbinden mit Geistigem, Substantiell Wesenhaftem gewahr wird: Es ist in Wirklichkeit dieser Mensch kein bloßes Erdenwesen, sondern ein Wesen, das dem ganzen Kosmos angehört. Die physische Wissenschaft hat nur Vorbereitungen dazu getroffen. Denken Sie sich, wie abhängig der Mensch gerade bis ins 15. Jahrhundert herein, bis zum Ablauf der griechisch-lateinischen Zeit, von dem Boden war, auf dem er gewissermaßen gewachsen ist, wie sehr sich der Mensch im Zusammenhange mit dem Boden entwickelte. Das war gut, das darf aber nicht die Hauptsache bleiben.

Ja, das seelische Bewußtsein muß losgerissen werden von der Erde, wie die physische Wissenschaft nur im Physischen, im Kopernikanismus, den Menschen losgerissen hat von der Erde. Die Erde ist ein kleiner Körper im Weltenraum geworden; aber zunächst ist das bloß räumlich. Schon durch den Kopernikanismus ist der Mensch gewissermaßen,

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wenn auch noch ganz abstrakt, in die kosmische Sphäre hinausversetzt worden. Das muß weitergehen. Man soll das aber nicht in falscher Weise auf das physische Leben übertragen. Das Physische geht schon seinen Gang. Nehmen Sie Amerika, das heißt, nicht die Bevölkerung, die es aus seinem Boden heraus seit Jahrhunderten hatte. Sie wissen, da ist eine neue Bevölkerung gekommen in der neueren Zeit, die ganz von Europäern gebildet ist. Wer diese Bevölkerung feiner beobachtet, dem zeigt sich, daß das physische Leben sich nicht frei macht von dem Gebundensein an den physischen Erdboden: Die Amerikaner, die eigentlich Europäer sind, aber nach Amerika verpflanzt sind - wenn das auch heute noch nicht sehr weit fortgeschritten ist, so ist es doch wahr -, sie bekommen allmählich Eigenschaften, die an die alten Indianer erinnern, die Arme bekommen eine andere Länge, als sie in Europa hatten, dadurch, daß der Mensch nach Amerika verpflanzt ist. Der physische Mensch paßt sich dem Boden schon an. Das geht sogar so weit, daß ein beträchtlicher Unterschied ist in der physischen Gestaltung zwischen den West- und Ostamerikanern. Das ist: sich dem Boden anpassen. Äußerlich, physisch, indianisiert sich der Europäer in Amerika. Wenn die Seele nun mitgeht mit diesem physischen Prozeß, wie das in früherer Zeit der Fall war, dann würde - nur in europäischer Phase - ein Wiederaufleben der Indianerkultur kommen. Das ist etwas paradox gesprochen, aber es ist doch so. Die Menschheit kann eben in der Zukunft nicht gebunden sein an dasjenige, was sie mit dem Erdboden verbindet; frei werden muß die Seele. Dann kann der Mensch über die Erde hin die physischen Eigenschaften seines Bodens annehmen, dann kann der Körper der Europäer, wenn er nach Amerika kommt, verindianisieren, aber der Mensch reißt sich in seiner Seele los von dem Physisch-Irdischen und wird ein Bürger der geistigen Welten. Und in den geistigen Welten gibt es nicht Rassen und nicht Nationen, sondern andere Zusammenhänge.

Es sind das schon Dinge, die man heute gegenüber den großen, gewaltigen Ereignissen, die über die Erde gehen, verstehen muß, wenn man nicht - verzeihen Sie den Ausdruck - ein Bock sein will, der die altgewohnten Vorurteile als die neuen Ideale aufweisen wird.

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DREIZEHNTER VORTRAG Dornach, 27. Oktober 1917

Die Betrachtungen, die wir in dieser Zeit angestellt haben, wollen wir nunmehr in diesen Tagen fortsetzen und dadurch gewissermaßen einen Hintergrund liefern zur Beurteilung der bedeutungsvollen Ereignisse, die jetzt vor dem Menschengemüte vorbeiziehen, in die der Mensch hineingestellt ist und die bedeutungsvoller sind, als heute noch mancher ahnt. Ich habe versucht, begreiflich zu machen, wie der Hintergrund dieser Ereignisse zusammenhängt mit tief einschneidenden Vorgängen der geistigen Welt. Und ich habe darauf hingewiesen, daß vom Beginne der vierziger Jahre bis in den Herbst 1879 ein bedeutungsvoller, tief einschneidender Kampf stattgefunden hat in den geistigen Regionen der Welt, einer jener Kämpfe, die sich in der Evolution der Welt und der Menschheit wiederholt ereignen, und die man gewohnt worden ist darzustellen unter dem Bilde des gegen den Drachen kämpfenden Michael oder Sankt Georg. Ein solcher Sieg Michaels über den Drachen für die geistigen Welten ist 1879 ausgefochten gewesen. Die den Impulsen des Michael entgegenstrebenden Geister der Finsternis sind dazumal aus dem geistigen Reiche in die Reiche der Menschen herabgestürzt worden und walten seit jener Zeit, wie ich gesagt habe, in den Empfindungs-, Willens-, Gemütsimpulsen der Menschen. So daß man die Ereignisse der Gegenwart nur versteht, wenn man auf diese gewissermaßen unter uns wandelnden geistigen Mächte den Seelenblick lenken kann.

Für uns muß naturgemäß die Frage entstehen: Worin bestand in erster Linie jener Kampf, der in den geistigen Regionen von den vierziger Jahren bis in die siebziger Jahre stattgefunden hat, und worin besteht dann der andere Kampf beziehungsweise worin besteht die Tätigkeit der herabgestoßenen Geisteswesen der Finsternis unter der Menschheit seit dem November 1879?

Nun kann man nur in langsamer und allmählicher Schilderung zusammenfassen, was diesem bedeutungsvollen Kampfe, man könnte sagen, hinter den Kulissen der Weltgeschichte zugrunde lag. Heute

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wollen wir zunächst auf einiges aufmerksam machen, was diesen Kampf gewissermaßen spiegelt aus den geistigen Regionen herunter in die irdischen, in die menschlichen Regionen. Ich habe ja oftmals darauf hingewiesen, wie im Beginne der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts ein entscheidender Wendepunkt in der Entwickelung der modernen Kulturgebiete war, wie dazumal gewissermaßen der entscheidende Wendepunkt war, der die volle, impulsive materialistische Entwickelung gebracht hat. Daß diese materialistische Entwickelung hat kommen können, dazu waren zunächst einschneidende Vorgänge in der geistigen Welt notwendig, die sich dann nach unten fortsetzten und das allmähliche Einträufeln der materialistischen Impulse in die Menschheit bewirkten. Wir können, wenn wir hier auf dem Erdengebiete verfolgen, was sich aus den geistigen Regionen spiegelte, vor allen Dingen auf zweierlei hinweisen: Zuerst, wie viel mehr, als die gegenwärtige Menschheit es noch ahnt - denn erst zukünftige Betrachter werden einen klaren Blick dafür haben -, in den vierziger, fünfziger, sechziger und siebziger Jahren ein ungeheurer Aufschwung des rein materiellen Verstandes, der rein materiellen Verstandeskultur Platz griff. Man kann schon sagen: Wer die Entwickelung der Menschheit verfolgt und einen Blick hat für die intimeren Vorgänge im Menschenleben, der kann bemerken, daß in bezug auf Feinheit der Begriffsbildung, in bezug auf Scharfsinn, auf Kritik zum Beispiel, in keiner Zeit ein solcher Aufschwung in der Menschheit vorhanden war wie in diesen Jahrzehnten, wenn man ein Anhänger des Materialismus ist. - Denn all dieses Denken, das ich charakterisiert habe, das sich auslebt in den technischen Erfindungen, das sich auslebt in der Kritik, in der Bildung scharfsinniger Begriffe, all das ist materielles Denken, ist an das Gehirn gebundenes Denken. Wenn man als Materialist die Entwickelung der Menschheit schildern will, so kann man mit gutem Gewissen sagen: Die Menschheit war niemals so gescheit wie in diesen Jahrzehnten. Gescheit war sie wirklich. Wer die Literatur verfolgt - ich meine jetzt nicht bloß die sogenannte schönwissenschaftliche Literatur -, der wird schon finden, daß so fein abgezirkelte Begriffe, so kritisches Denken in der ganzen Menschheitsentwickelung nicht zutage getreten ist wie in jener Zeit, und zwar auf allen möglichen Gebieten. Das aber, was sich entwickelt hat in den

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Menschenseelen, das ist nur das Spiegelbild desjenigen, was immer mit der Hoffnung auf Sieg gewisse Geister der Finsternis, auf die wir hingedeutet haben, in den geistigen Regionen in den vierziger, fünfziger, sechziger und siebziger Jahren angestrebt haben.

Sie haben angestrebt, ein uraltes Erbgut der Menschheit in ihre Hände zu bekommen, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf. Worin bestand nun dieses uralte Erbgut? Wir haben gestern darauf hingewiesen: Durch Jahrtausende hindurch haben die fortschreitenden Geister des Lichtes die Menschheit so geleitet, daß sie zum Mittel ihrer Leitung die Blutsbande benützt haben, daß sie die Menschen zusammengeführt haben in Familien, Stämmen, Nationen, Rassen, so daß sich diejenigen zusammengefunden haben, die aus ururaltem Menschheits- und Weltenkarma zusammengehörten. So daß die Menschen auch, indem sie die Blutsbande fühlten, in diesem Gefühl alte, ururalte Aufgaben der Welt hatten, die zugleich so gefaßt waren, daß dasjenige, was die Erde geben konnte - und von der Erde kommen ja die Blutsbande -, in das allgemeine Menschheitskarma eingefügt war. Richtet man den Blick in den dreißiger, zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts, wo die Seelen, die dann heruntergekommen sind in Menschenleiber, noch in der geistigen Welt waren, richtet man den Blick auf die geistige Welt in dieser Zeit, die dem materialistischen Zeitalter voranging, so findet man, daß diese Seelen, die da herunterkommen wollten, in sich gewisse Impulse hatten, die unter anderem auch davon herrührten, daß sie durch Jahrtausende, so oft sie auf der Erde waren, durch Blutsbande an diese Familien, an diese Stämme, an diese Nationen, an diese Rassen gebunden waren. Nach diesen Bindungen sollten sich diese Seelen dazu entschließen, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und von den vierziger Jahren an in diese oder jene Leiber einzuziehen. Denn die entsprechenden Geister des Lichtes lenken natürlich, indem sie ihre Impulse in die Seelen der Menschen hineinsenden, das Fortschreiten der Menschheitsentwickelung so, wie sie es nach den alten Blutsbanden veranlagt haben. Es waren also in den Menschenseelen in den geistigen Welten gewisse Impulse, so oder so nach dem alten Menschheitskarma unterzutauchen in die Leiber derjenigen Menschen, die also die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, den Anfang des 20. Jahrhunderts bevölkern

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sollten. Es hatten also gewissermaßen die Geister des Lichtes in der Hand, diese Seelen nach ihren alten Maßnahmen zu leiten und zu lenken.

Das wollten die Geister der Finsternis, von denen ich gesprochen habe, in die Hand bekommen. Sie wollten die Impulse der Geister des Lichtes aus den Seelen vertreiben, ihre Impulse in die Menschenseelen hineinbringen. Wäre der Sieg der Geister der Finsternis 1879 geglückt, dann wäre ein ganz anderer Zusammenhang herausgekommen zwischen den Menschenleibern und Menschenseelen, als er bei den nach 1879 Geborenen nunmehr herausgekommen ist. Andere Seelen wären in andern Leibern, und der Plan der irdischen Menschheitsordnung wäre nach dem Ideal der Geister der Finsternis. Das ist er nicht. Daß er das nicht werden konnte, das ist verdankt dem Sieg des Michael über den Drachen im Herbste 1879.

Dieses Kämpfen, das spiegelte sich in den vierziger, fünfziger, sechziger und siebziger Jahren auf der Erde in dem, was ich geschildert habe als besonders ausgeprägter Scharfsinn, Kritik und so weiter. Ich habe öfter darauf hingewiesen: Durch bloße Spekulation kommt man nicht hinter die Dinge, sondern nur durch wirkliche spirituelle Beobachtung. Durch Spekulation könnte niemand darauf kommen, daß just die Eigenschaften, die ich von dem materiellen Verstande erwähnt habe, hier auf der Erde das Spiegelbild sind eines Kampfes in den geistigen Welten um die Fortpflanzung, um die Generationenfolge. Diese Dinge müssen eben beobachtet werden. Denn wenn man glaubt, man könne mit dem materiellen Verstande selber die richtigen Zusammenhänge zwischen physischer Welt und geistiger Welt finden, so irrt man sich sehr. Da trifft man in der Regel ganz Falsches, weil man schematisch vorgeht nach äußeren logischen Regeln, die nach dem Muster der Naturwissenschaft gewonnen sind. Die gelten aber nur für die physische Welt, die gelten nicht für den Zusammenhang der physischen mit der geistigen Welt. Das war also die eine Spiegelung dieses Kampfes um das Blut.

Die andere Spiegelung - ich habe auch schon öfter auf sie hingewiesen - bestand in dem Aufkommen des Spiritismus in den vierziger Jahren und dann weiter. Gewisse Kreise, und gar nicht so enge Kreise, versuchten in dieser Zeit die Zusammenhänge mit der geistigen Welt

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auf medialem Wege zu erforschen, also im Grunde genommen auf materielle Art. Wäre dies geglückt, wäre die Schar der Geister der Finsternis genügend stark gewesen, um 1879 den Sieg über die Anhänger des Michael zu gewinnen, dann hätte der Spiritismus eine ungeheure Ausbreitung gewonnen. Denn der Spiritismus kann nicht bloß von der Erde aus impulsiert werden, sondern er hat seine Einflüsse von der andern Welt, er wird von der andern Welt dirigiert. Man muß sich durchaus klar darüber sein, daß hier auch nicht bloß ein Entweder-Oder Geltung haben darf, das heute den Menschen so bequem ist, die sich immer sagen: Entweder erkennen wir so etwas an oder weisen wir so etwas ab. So ist die Sache nicht, so liegt sie ganz und gar nicht. Was sich auf spiritistischem Boden abgespielt hat, das war zum Teil ein bedeutungsvolles Herein ragen der geistigen Welt, war durchaus herausfließend aus Impulsen der geistigen Welt, hatte oftmals das IntensivsIe mit den Schicksalen der Menschen zu tun; aber ein Spiegelbild war es jenes Kampfes, der eben in der geistigen Region verloren worden ist. Daher auch das eigentümliche Zurückgehen und Korrumpiertwerden des Spiritismus nach dem genannten Zeitpunkte. Er wäre das Mittel geworden, die Menschen auf die geistige Welt hinzuweisen, und zwar das einzige Mittel, wenn die Geister der Finsternis 1879 den Sieg erlangt hätten. Wäre dieser Sieg dazumal zustande gekommen, so lebten wir heute in einer Welt eines ganz unsagbaren Scharfsinnes, eines Scharfsinnes, der sich auf die verschiedensten Gebiete des menschlichen Lebens erstreckt hätte. Börsenspekulationen und ähnliche Dinge, die manchmal heute recht dumm gemacht werden, würden mit ungeheurem Scharfsinn gemacht werden. Das auf der einen Seite. Aber auf der andern Seite würde man in den weitesten Kreisen sein spirituelles Bedürfnis auf medialem Wege zu befriedigen suchen. Materieller Verstand also auf der einen Seite, jene auf herabgestimmtem Bewußtsein beruhende Art, sich zur geistigen Welt in ein Verhältnis zu setzen, auf der andern Seite: das war die Absicht der Geister der Finsternis. Diese Geister der Finsternis wollten vor allen Dingen eines verhindern, was bei ihrem Sturz nach dem Jahre 1879 allmählich eintreten mußte: das wirkliche Herabkommen von geistigen Erfahrungen, von geistigen Erlebnissen in Menschenseelen hinein.

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Solche geistigen Erlebnisse, wie sie verwertet werden von anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft, die wären unmöglich geworden, wenn die genannten Geister der Finsternis ihren Sieg errungen hätten. Dieses Geistesleben und Geistesweben würde oben behalten worden sein von den Geistern der Finsternis in den geistigen Regionen. Nur durch den Sturz der charakterisierten Geister ist es gekommen, daß an Stelle des bloß kritischen, materiellen Verstandes und des medialen Weges die unmittelbare geistige Erfahrung hat treten können und immer mehr und mehr treten wird. Nicht umsonst habe ich in den letzten Zeiten hier erwähnt: Viel mehr, als man denkt, ist die heutige Zeit von spirituellen Einflüssen abhängig. So materialistisch unsere Zeit ist und eigentlich mehr noch sein will, als sie es ist: an viel mehr Stellen, als man denkt, offenbaren sich die geistigen Welten an die Menschen.

Wenn auch heute noch oftmals nicht in gutem Sinne, aber geistige Einflüsse sind überall zu spüren. Und manches, was von Menschen, die heute gegenüber spirituellen Einflüssen ein gewisses Schamgefühl haben - sie schämen sich, spirituelle Einflüsse andern gegenüber zu gestehen -, manches, was von Menschen gemacht wird, diese oder jene Gründung, sie wird deshalb gemacht, weil den Menschen im Traum dies oder jenes erschienen ist, was ein wirklicher spiritueller Einfluß ist. Sie können heute Dichter fragen, warum sie Dichter geworden sind. Das ursprüngliche Erlebnis, das sie Ihnen erzählen werden, wird sein: Dieses oder jenes Spirituelle haben sie wie traumhaft erlebt, und dieses traumhafte Erlebnis hat eigentlich den Impuls zu ihrem Schaffen in sie gelegt. - Leute, die Journale gegründet haben, Sie können sie fragen, warum sie sie gegründet haben - ich erzähle Ihnen Tatsachen -, sie führen Ihnen diese Journalgründungen auf Träume zurück, auf sogenannte Träume, was aber nichts anderes ist als die Übertragung gewisser spiritueller Impulse aus den geistigen Welten in die sinnliche Welt hinein. Und vieles andere auf andern Gebieten, viel mehr, als man denkt, ist vorhanden, nur sagen es die Leute heute nicht, weil jeder glaubt, wenn er dem andern sagte: Ich habe dies oder jenes getan, weil mir der oder jener Geist erschienen ist im Traume -, der andere nenne ihn dann einen Trottel. Das ist ja natürlich eine unangenehme Sache. Deshalb weiß man so wenig von dem, was eigentlich heute unter Menschen

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geschieht. Das, was so sporadisch da oder dort geschieht, das ist aber nur, ich möchte sagen, der Vortrab zu dem, was immer mehr und mehr geschehen wird: Das Spirituelle wird die Menschheit ergreifen, weil eben jener Sieg Michaels über den Drachen 1879 sich zugetragen hat. Und daß eine Geisteswissenschaft möglich ist, das ist auch nur auf diesen Umstand zurückzuführen. Sonst wären die entsprechenden Wahrheiten in den geistigen Welten verblieben, könnten nicht Wohnung nehmen in menschlichen Gehirnen, wären für die physische Welt nicht vorhanden.

Da haben Sie solche Bilder, die Ihnen klarmachen können, welches die Absichten waren der Geister der Finsternis in den vierziger, fünfziger, sechziger und siebziger Jahren in den geistigen Regionen bei ihrem Kampf, den sie gegen die Anhänger des Michael geführt haben. Nun sind sie seit dem Herbste 1879 hier unten, unter den Menschen.

Das alles haben sie nicht erreicht, was sie angestrebt haben: Der Spiritismus wird nicht allgemeine Menschheitsüberzeugung werden; die Menschen werden nicht, vom materialistischen Standpunkte aus gesprochen, so gescheit werden, daß sie vor lauter Gescheitheit selber sich überschlagen. Die spirituellen Wahrheiten werden unter den Menschen Wurzel fassen.

Aber die Geister der Finsternis sind dafür unter uns, sie sind da. Wir müssen Wache halten, damit wir merken, wo sie uns begegnen, damit wir Anschauungen darüber gewinnen, wo sie vorhanden sind. Denn das Gefährlichste in der nächsten Zukunft wird sein, sich unbewußt den Einflüssen auszuliefern, die ja doch da sind. Denn ob sie der Mensch kennt oder nicht kennt, das macht keinen Unterschied für ihre Realität.

Vor allen Dingen aber wird es sich für diese Geister der Finsternis darum handeln, dasjenige, was nun auf der Erde sich verbreitet, in dem in ihrer richtigen Richtung die Geister des Lichtes fortwirken können, das in Verwirrung zu bringen, das in falsche Richtungen zu bringen. Ich habe auf eine solche falsche Richtung, die zu den paradoxesten gehört, schon hingewiesen. Ich habe Sie darauf hingewiesen, daß ja freilich die Menschenleiber sich so entwickeln werden, daß in ihnen gewisse Spiritualitäten Platz finden können, daß aber der materialistische Sinn, der sich immer mehr ausbreiten wird durch die Anweisungen der Geister

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der Finsternis, dagegen arbeiten und mit materiellen Mitteln dagegen kämpfen wird. Ich habe Ihnen gesagt, daß die Geister der Finsternis ihre Kostgeber, die Menschen, in denen sie wohnen werden, dazu inspirieren werden, sogar ein Impfmittel zu finden, um den Seelen schon in frühester Jugend auf dem Umwege durch die Leiblichkeit die Hinneigung zur Spiritualität auszutreiben. Wie man heute die Leiber impft gegen dies und jenes, so wird man zukünftig die Kinder mit einem Stoff impfen, der durchaus hergestellt werden kann, so daß durch diese Impfung die Menschen gefeit sein werden, die Narrheiten des spirituellen Lebens nicht aus sich heraus zu entwickeln, «Narrheiten» selbstverständlich im materialistischen Sinne gesprochen.

Begonnen - mehr auf literarischem Gebiete, wo es aber unschädlicher ist - hat ja die Sache schon. Ich habe Sie darauf hingewiesen, daß Schriften sehr gelehrter Mediziner erschienen sind über die Pathologie verschiedener Genies. Sie wissen: Conrad Ferdinand Meyer, Viktor Scheffel, Nietzsche, Schopenhauer, Goethe, alle hat man dadurch als Genies zu begreifen versucht, daß man diese oder jene Pathologie in ihnen nachgewiesen hat. Und was das Aufregendste, möchte ich sagen, auf diesem Gebiete ist, das ist, daß man auch den Christus Jesus vom pathologischen Standpunkte aus, die Evangelien vom pathologischen Standpunkte aus hat zu begreifen versucht. Es gibt zwei Schriften heute schon, welche die Entstehung des Christentums zurückführen darauf, daß einmal im Beginn der neuzeitlichen Zeitrechnung ein seelisch und geistig unnormaler Mensch gelebt hat, der in Palästina als Jesus herumgegangen ist, und aus selnen Seelenkrankheitserscheinungen die Menschen mit dem Christentum angesteckt hat. Zwei Schriften gibt es auch über die Pathologie des Christus Jesus.

Das, wie gesagt, sind die unschuldigen literarischen Anfänge. Das alles tendiert aber dahin, zuletzt das Mittel zu finden, durch das man die Leiber impfen kann, damit sie nicht Neigungen zu spirituellen Ideen aufkommen lassen, sondern ihr ganzes Leben hindurch nur an die sinnenfällige Materie glauben. So wie man aus den Impulsen, welche die Medizin aus der Schwindelsucht - pardon! verzeihen Sie -, aus der eigenen Schwindsucht heraus gewonnen hat, gegen die Schwindsucht heute impft, so wird man impfen gegen die Anlage zur Spiritualität.

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Das soll nur hinweisen auf ein besonders paradox Hervorragendes unter vielem andern, was auf diesem Gebiet im Laufe der nächsten und ferneren Zukunft auftreten wird, damit das, was durch den Sieg der Geister des Lichtes aus den geistigen Welten auf die Erde herniederströmen will, in Verwirrung komme.

Dazu müssen natürlich zuerst die Weltanschauungen, die Auffassungen der Menschen verworren gemacht werden, die Begriffe, die Vorstellungen müssen zunächst verkehrt werden. Und hier ist ein ernstes Gebiet, auf das man sehr wachsam hinschauen soll. Denn dieses Gebiet gehört zu den wichtigsten Hintergründen der Ereignisse, die sich gegenwärtig vorbereiten.

Ich wähle meine Ausdrücke vorsätzlich exakt. Ich sage «vorbereiten» und bin mir wohl bewußt, daß wenn jemand von vorbereiten spricht, nachdem dasjenige stattgefunden hat, was in den letzten drei Jahren stattgefunden hat, er schon Bedeutungsvoll es sagt. Denn wer tiefer in die Dinge hineinsieht, weiß, daß es sich um Vorbereitungen handelt. Nur der Oberflächliche kann glauben, daß morgen oder übermorgen dasjenige, was nicht im alten Sinne ein Krieg ist, durch einen Frieden im alten Sinne abgeschlossen werden kann. Nur wer die Ereignisse recht oberflächlich beurteilt, kann solches glauben. Wohl werden es viele glauben, wenn äußerlich dies oder jenes eintritt, was solchen Vorstellungen ähnlich sieht, wie mancher sie sich macht; dann wird man aber nicht bedenken, was unter der Oberfläche schlummern wird.

Es ist im großen, und es ist auch im einzelnen interessant, hinzublicken auf die Jahrzehnte seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Eine Charakteristik im allgemeinen haben wir ja in diesen Wochen hier empfangen und ich habe sie ja auch heute bis zu einem gewissen Grade wiederum zu geben versucht. Gerade wenn man repräsentative Persönlichkeiten ins Auge faßt - und in Persönlichkeiten repräsentiert sich ja dasjenige, was an geistigen Impulsen in der Entwickelung kraftet -, dann findet man auch im einzelnen, daß sich das bewahrheitet, was als allgemeine Erkenntnisse einem aufleuchtet. Ich möchte ein klein scheinendes Beispiel anführen. Ich habe schon im vorigen Jahre auf diese Sache hingewiesen.

Goethes «Faust» ist von vielen Leuten kommentiert worden. Viele

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Leute haben Goethes «Faust» erklärt. Einer derjenigen, die ihn nicht untief, sondern in einem gewissen Sinne tief erklärt haben, ist Oswald Marbach. Man kann schon sagen, am wenigsten tief in der «Faust»- Erklärung waren eigentlich die Literaturhistoriker, weil es deren akademischer Beruf ist, die Sache zu verstehen, was ja vielfach ein Hindernis ist, sie wirklich zu verstehen. Oswald Marbach hat deshalb gute Worte über den «Faust» gesprochen in seinem Buche: «Goethes Faust Teil I und II, erklärt von Oswald Marbach», weil er nicht eigentlich Literaturhistoriker war. Er hat an der Universität Leipzig über Goethes «Faust» vorgetragen, über Mathematik, Mechanik, Technologie. Und in der gegenwärtigen Zeit ist eigentlich die Vertiefung in Marbachs Mechanik, Technologie, ein besseres Mittel, an die Weltengeheimnisse heranzukommen als das, was die Historiker oder Literaturhistoriker in ihrem Sinne als heutige Wissenschaft verzeichnen. Aber gerade bei Oswald Marbach tritt uns etwas sehr Merkwürdiges entgegen. In den vierziger Jahren hat er über Goethes «Faust» gesprochen, dann nicht mehr, nicht mehr am Ende der vierziger Jahre, nicht in den fünfziger, sechziger, siebziger Jahren. Erst am Ende der siebziger Jahre und in den achtziger Jahren hat er die Vorträge über Goethes «Faust» wieder aufgenommen. In der Zwischenzeit hat er nur über Mathematik, Mechanik und Technologie gesprochen, das heißt, sich denjenigen Wissenschaften gewidmet, bei denen man am meisten Gelegenheit gerade in der damaligen Zeit hatte, den menschlichen Scharfsinn, die menschliche Kritik zu pflegen. Sehr interessant ist es, wie er in der Vorrede sich darüber ausspricht:

«Schon vor 30-40 Jahren habe ich an der Universität Leipzig Vorlesungen über Goethes gehalten» - das Buch ist 1881 erschienen - «und erst in neuester Zeit (1875) habe ich diese Vorlesungen wieder aufgenommen und fortgesetzt. Woher diese lange Pause? Da wirkte Vieles zusammen, Äußeres und Inneres, Objektives und Subjektives. Ich wurde älter und alt und die akademische Jugend auch: jedes neue Semester brachte ein grämlicheres Geschlecht» - Gescheiter wurden die Leute, aber für den, der tiefer beobachtete, grämlicher! - «es schwand das freie Interesse des Geistes an ihm selber immer mehr zusammen, es kam über uns eine Zeit, wo das Nützliche mehr galt als das Schöne.

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Seit 30 Jahren habe ich mehr der in meiner akademischen Tätigkeit Philosophie und Poesie bei Seite geschoben und dafür die exakten Wissenschaften doziert: Mathematik, Physik, Technologie.»

Es war in der Zeit des materialistischen Scharfsinns. Sehr interessant ist ein Satz dieser Vorrede, sehr, sehr interessant! Denn dieser Satz deutet klar auf dasjenige hin, worauf es für diese Zeit ankommt. Dieser Satz besagt, daß Oswald Marbach in seinem Bewußtsein der Meinung war, er mache immer, ob er nun den «Faust» in alten Zeiten interpretierte, ob er Technologie vortrug, er mache das, was er will. Jetzt aber, als er wieder zum «Faust» zurückkehrt und ihn neuerdings interpretiert, gesteht er sich, er sei mit dieser Meinung einer Illusion verfallen, er hätte nur dem Geiste der Zeit gehorcht. Wenn nur recht viele Menschen zu der Erkenntnis kommen würden, wie sehr sie in Illusionen leben. Denn Illusionen über die Menschen hinzuweben und durch die menschlichen Gehirne hindurchzuweben, durch die menschlichen Herzen hindurchfließen zu lassen, das war schon das Ideal der Geister der Finsternis vor 1879, und ist es besonders nach 1879 geworden, wo diese Geister im Reiche der Menschen unter uns wandeln.

Aber noch eins ist interessant, wenn man solch einen Menschen betrachtet, der gewissermaßen repräsentiert dasjenige, was da vom Himmel auf die Erde heruntergewirkt hat. Er sagt - und das entspricht auch der Geschichte -, daß er, als er in den vierziger Jahren den «Faust» an der Universität erklärt hat, vorzugsweise über den ersten Teil gesprochen hat, für den zweiten Teil gab es da kein Interesse. Als er dann begonnen hat, wir können sagen, nach dem Siege Michaels über den Drachen, wiederum über den «Faust» Vorlesungen zu halten, da hat er vorzugsweise den zweiten Teil zu erklären versucht. Es war in der Tat die Zeit des Scharfsinns, die Zeit der Kritik nicht geeignet, den zweiten Teil von Goethes «Faust» zu verstehen. Wird doch dieser zweite Teil von Goethes «Faust», der eines der bedeutendsten Testamente des Goetheanismus ist, heute noch immer in vieler Beziehung recht, recht wenig verstanden. Es ist ja auch höchst unbequem, ihn zu verstehen. Denn die Menschen leben heute in einem Milieu drinnen, das eigentlich nirgends so humoristisch, nirgends mit solcher Ironie

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behandelt wird wie im zweiten Teil von Goethes «Faust». Die Menschen leben heute in einem Milieu, das sich nach und nach heraufentwickelt hat seit dem 16. Jahrhundert, die Menschen preisen das, was sich seit dem 16. Jahrhundert heraufentwickelt hat, als die großen, hervorragenden Errungenschaften unserer Zeit, sind ganz wollüstig in diesen Ergebnissen seit dem 16. Jahrhundert. Goethe, der mit seiner Seele nicht nur in seiner Zeit gelebt hat, sondern der sich auch mit seiner Seele versetzen konnte in das 20. Jahrhundert, hat den zweiten Teil seines «Faust» für das 20. Jahrhundert, für das 21.Jahrhundert, für die folgenden Jahrhunderte geschrieben. Das wird man erst verstehen. Aber er mußte dazu hineingeheimnissen eine ironisch-humoristische Behandlung großen Stiles der Entwickelung seit dem 16. Jahrhundert. Sehen wir doch, wie jene Entwickelung, die so bewundert wird, die sich seit dem 16. Jahrhundert gebildet hat, von der heute die Kulturvölker leben, von Goethe dem Faust gegenüber als eine Machination des Mephisto behandelt wird. Denn noch viel mehr als das Papiergespenst der Gulden, das ja auch eine Schöpfung des Mephisto ist, ist all das, was sich als so Glorioses seit dem 16. Jahrhundert entwickelt hat, als Schöpfung des Mephisto von Goethe hingestellt. Die Menschheit wird einmal die Schöpfungen seit dem 16. Jahrhundert großartig ironisch behandelt finden in denjenigen Teilen des zweiten Teiles des «Faust», wo gegen den spirituell strebenden Faust, der die Geister der Finsternis repräsentierende Mephisto alles das im Grunde genommen erfindet, woran die Menschheit der neueren Zeit hängt und immer mehr noch hängen wird, besonders im 20. Jahrhundert.

Viel von dem, was einem helfen kann, wachsam zu sein, ist schon in diesen zweiten Teil des «Faust» hineingeheimnißt. Und daß ein Mensch, der an der Hand der Physik, der Mechanik, der Mathematik, der Technologie, der Zeit ihr Geheimnis abgelauscht hat, sich gerade nach dem Sieg Michaels über den Drachen hingezogen fühlt, nunmehr vom zweiten Teile zu sprechen, nachdem er vor Jahrzehnten nur vom ersten Teile gesprochen hat, der dazumal allein verstanden werden konnte, das ist schon ein tief bedeutsames Symptom.

Wir haben ja besonders im Laufe des vorigen Jahres gesehen, wie die Geisteswissenschaft Schritt für Schritt einen führt, um dasjenige, was

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Goethe erst in Bildern ausdrücken konnte, zu beleben, um dessen tieferen Sinn zu finden im zweiten Teile des «Faust». Selbstverständlich kann nicht aus dem «Faust» die Geisteswissenschaft abgeleitet werden; aber wenn man die Geisteswissenschaft hat, so sind die grandiosen Bilder Goethes im zweiten Teil des «Faust» und auch die großartigen Ausführungen in «Wilhelm MeistersWanderjahre», erst recht mit Licht zu durchsetzen.

Damit berühren wir die eine Strömung, die unter dem Einfluß der fortschreitenden Geister des Lichtes immer mehr und mehr an Boden gewinnen muß gegenüber den Bestrebungen der Geister der Finsternis, und die an Boden gewinnen wird, wenn ihnen die Menschen wachsam gegenübertreten. Diese drei Jahre, sie sind wie eine Aufforderung zum Wachsamwerden, wenn auch noch nicht eine annähernd genügend große Anzahl von Seelen in der Lage ist, den Ruf in der rechten Weise zu vernehmen. Denn man hat ja das Walten der entgegengesetzten Strömung allüberall beobachten können. Gerade, ich möchte sagen, am Beginne der Möglichkeit eines spirituellen Lebens sind die Geister der Hindernisse ganz besonders am Platze. Charakteristische Dinge haben wir erlebt, werden wir weiter erleben. Solche Dinge heute auch nur andeutungsweise auszusprechen, ruft immer nur Mißverständnis über Mißverständnis hervor. Heute ist die geistige Atmosphäre, in der die Menschheit lebt, so sehr mit dem Willen zum Mißverständnis imprägniert, daß einem die Worte gleich auf etwas anderes gedeutet werden, als auf das sie gemünzt sind, wenn man sie ausspricht. Man muß sich der Menschenworte bedienen, die nach dem oder jenem anklingen. Heute urteilen so viele aus nationalen Leidenschaften heraus, daß wenn man einen Angehörigen dieses oder jenes Volkes in der oder jener Weise charakterisieren muß, eben einfach als Mensch der auf der Erde lebt, einem das übelgenommen wird von den Angehörigen des Volkes, dem dieser Mensch angehört, obwohl diese Dinge gar nichts miteinander zu tun haben, Urteile über irgendein Volk und Urteile über die Menschen, die zum Beispiel an den heutigen Ereignissen beteiligt sind. Denn der Glaube, daß das Unwetter der gegenwärtigen Zeit auf den Dingen beruht, von denen heute allgemein geredet wird, dieser Glaube ist ein besonders schädlicher, weil er ein besonders unsinniger ist. Die Gründe

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liegen viel tiefer und haben zunächst eigentlich überhaupt nach gewissen Seiten hin - ich betone das -, nach gewissen Seiten hin mit nationalen Aspirationen nicht viel zu tun. Die nationalen Aspirationen werden nur benützt von gewissen Mächten, von denen aber die Mehrheit der Menschheit nichts wissen will, aus Oberflächlichkeit nichts wissen will. Man wird schon noch eine Zeitlang warten müssen, bis Objektivität auf diesem Gebiete einzieht. Heute ist es der Menschheit zum großen Teil bequem, groß und umfassend diejenigen Ideen zu finden, die geprägt sind in dem Kopfe, der nicht mehr umfaßt als ein Schulmeister, welcher eben das Lehramtsexamen durchgemacht hat und nun losgelassen wird, sonst nur auf die Schüler, in diesem Falle aber auf die Menschheit. Ich habe schon öfter darauf hingewiesen, daß es dieser furchtbaren Zeit, dem Hereingebrochensein dieser furchtbaren Zeit nicht bedurft hat, um von einem geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkte aus ein objektives Urteil über Woodrow Wlson zu gewinnen. Denn ich habe schon 1913 in meinen Helsingforser Vorträgen - Sie können das nachlesen in jenem Vortragszyklus «Die okkulten Grundlagen der Bhagavad Gita» - auf die Weltschulmeisterei des Woodrow Wilson hinlänglich hingewiesen, habe gezeigt, aus welchen seichten Oberflächengebieten heraus stammt, was von diesem Menschen ausgeht. Es war wirklich nicht notwendig für mich, erst durch die letzten Jahre gezwungen zu werden, ein Urteil über Woodrow Wilson zu gewinnen. Aber dazumal war man eben ein unzeitgemäßer Geist, wenn man so über Woodrow Wilson urteilte, denn dazumal war noch die Zeit, wo die Gymnasiastenabhandlungen des Woodrow Wilson über Freiheit und über Kultur und Literatur in die europäischen Sprachen übersetzt worden sind. Und noch lange wird die Zeit nicht gekommen sein, wo man sich schämen wird, die Gymnasiastenlehrerpolitik des Woodrow Wilson als etwas Ernsthaftes hinzunehmen.

Überall sind diejenigen Mächte am Werke, die als Geister der Finsternis die menschliche Seele umnebeln. Und wenn die Menschheit einmal aufwachen wird aus der Dunstsphäre, in der sie gegenwärtig schläft, wird sie nicht begreifen können, wie es möglich war, daß man es nicht als eine Schande empfand für den Beginn des 20. Jahrhunderts, sich von einem Woodrow Wilson und seiner Weisheit gängeln zu lassen!

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Erst wenn man beginnen wird, Schamgefühl zu empfinden über das, was heute möglich ist, wird ein Moment des Aufwachens kommen.

Es ist eben schwer in der heutigen Zeit, das zu sagen, was aus der Wahrheit eingegeben ist, weil es gar zu sehr gegen dasjenige klingt, was sich die Leute heute einimpfen lassen. Und es ist schwer, sich ein freies, unabhängiges Urteil zu bilden in dieser Atmosphäre, die nicht nur durch die drei letzten Jahre, sondern durch alles das gebildet worden ist, was ich in meinen Wiener Vorträgen das soziale Karzinom, die soziale Krebskrankheit genannt habe. Gegenüber diesen Dingen ist es notwendig, mit Ernst sich zu erfüllen und nicht mit denjenigen Begriffen und Ideen sie aufzunehmen, die man bis in das 20. Jahrhundert herein gewohnt war, als Beurteilungskriterien zu gebrauchen. Man wird dahin kommen müssen, einzusehen, daß die Gegenwart die Unzulänglichkeit, ja die Unmöglichkeit der Vorstellungen beweist, in die sich die Menschheit eingelebt hat, und daß es eine weltgeschichtliche Ungehörigkeit ist, wenn immer wieder die Menschen aus dem heraus urteilen, was ja die heutige Zeit heraufgeführt hat, und was ja widerlegt ist dadurch, daß diese Zeit eben gekommen ist. Glaubt man, daß man diese Zeit korrigieren wird mit denselben Grundsätzen, die sie herbeigeführt haben? Darin wird man wahrhaftig sich täuschen.

Die Menschheit hat eine gewisse Summe von Kulturerrungenschaften heraufgebracht aus den vergangenen Zeiten. Die werden jetzt aufgebraucht werden. Man kann täglich sehen, wie sie aufgebraucht werden, ohne daß nachgeschafft wird. Wie wenig ist heute noch der Sinn dafür verbreitet, derlei Dinge in ihrer ganzen Schwere zu verstehen und zu durchschauen. Viele Menschen denken heute noch in ganz derselben Weise, wie sie im Jahre 1913 gedacht haben. Der Verstand, den sie dazumal angewendet haben, von dem denken sie, daß er ausreichen wird auch für das Jahr 1917, ohne so viel Wirklichkeitssinn zu haben, daß dieser Verstand innig zusammenhängt damit, daß er das Jahr 1917 hervorgebracht hat, und daß er es nicht zugleich heilen kann.

Sich recht sehr zu vertiefen in das, was seit dem Sturz der Geister der Finsternis geschehen ist, seit der Zeit, da die Geister der Finsternis unter uns wandeln, möglichst viel zu verstehen von dem, was in den achtziger, neunziger Jahren und in den ersten zwei Jahrzehnten des

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20. Jahrhunderts der Menschheit heraufgezogen ist, das ist gut für die Gegenwart. Denn über diese Dinge haben die Menschen die allerkonfusesten Urteile.

Dann herrscht vor allen Dingen keine rechte Vorstellung über den radikalen Unterschied im ganzen Fühlen und Empfinden der Menschen nach dem Jahre 1879, gegenüber dem vorherigen Fühlen und Empfinden der Menschen. Und auch da kann die Vertiefung in so etwas wie der zweite Teil von Goethes «Faust» weiterhelfen, der ja zu Goethes Zeit nicht verstanden werden konnte, weil er eine Kritik desjenigen ist, was Goethe eigentlich als Inhalt des 20. Jahrhunderts erlebt hat. Da kann das Verständnis des zweiten Teiles des «Faust» sehr gut weiterhelfen. Es ist ein charakteristisches Symptom, daß ein solcher Mensch, wie Oswald Marbach, zum zweiten Teil des «Faust» erst nach dem Sturze der Geister der Finsternis geführt wird.

An so gearteten Erkenntnissen und Impulsen muß man sich hinaufranken zu dem, was für die Gegenwart notwendig ist. Denn vieles von dem, was veranlagt war vor dem Jahre 1879, ist nicht erreicht worden. Und dies alles hängt zusammen mit einer bedeutungsvollen Frage, die heute eigentlich auf jede Seele ihre Schatten werfen müßte, die ich heute nur als Frage hinstellen möchte:

Zu den Ereignissen, unter denen wir gegenwärtig leben, haben es die Menschen zu bringen vermocht. Aber es handelt sich nicht darum, diese Ereignisse bloß zu verstehen, sondern es handelt sich darum, wie aus ihnen herauszukommen ist. Solange aber so wenig Wille ist, die wirklichen tieferen Impulse, die zum heutigen Zeitalter geführt haben, zu durchschauen, so lange wird das praktische Verständnis nicht so weit kommen können, diese Dinge zu verstehen. Man darf nicht glauben, daß es nicht Menschen geben könnte, die die heutige Zeitlage genügend verstehen könnten. Allein man will auf sie nicht hören, wie man nicht hören will auf so etwas wie den Goetheanismus, der schon wie eine Stimme des 20. Jahrhunderts herübertönt. Aber man wird diese Stimme nur recht verstehen, wenn man sich zum Beispiel ein ernstes und würdiges Verständnis erwirbt für das Bedeutsame, das durch den Sturz der Geister der Finsternis im Herbste 1879 geschehen ist. Man wird eben den spirituellen Gang der Menschheit verstehen müssen, wenn man die

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Gegenwart verstehen will. Deshalb führte ich Oswald Marbach an, dessen Rückschau und vorschauende Gesinnung ich Ihnen schon im vorigen Jahre hier anführte, indem ich Ihnen ein Gedicht mitteilte, das er der Seele Goethes gewidmet hat am Jahrestage, als diese Seele Goethes sich hineinfand in jenen Zusammenhang, der dazumal noch etwas anderes bedeutete, als er heute bedeutet: am Jahrestag, als Goethe sich hineinfand in den Zusammenhang jener Gemeinschaften, die man als freimaurerische oder dergleichen bezeichnete, die dazumal im 18. Jahrhundert noch etwas anderes bedeuteten als heute. Goethe hat von seinem Gesichtspunkte aus so manches durchschauen können von dem, was als solche geheimnisvollen Impulse durch die Welt geht und die die Menschen in ihrer Oberflächlichkeit nur nicht sehen wollen. Oswald Marbach erinnerte, als sich der gekennzeichnete Jahrestag ergab, mit seinen Versen an Goethes Sich-Finden in die geistige Welt:


Dir, Bruder, Vater, hoch erhabner Meister!

Dem über ein Jahrhundert heut als Zeichen

Der treusten Lieb' im Bunde freier Geister

Wir unsre fest verschlungnen Hände reichen; -

Der Geister größter und der Freien freister!

Zu dem empor wir streben, ihm zu gleichen;

Dir weih'n wir uns! Dir weih'n wir unsre Söhne,

Daß unsern Bau dereinst Vollendung kröne!

Du hast gestrebt wie wir; doch dein Bestreben

Nach Selbsterkenntnis, die zur Weisheit leitet,

War stets beseelt von urgesundem Leben,

Von Schöpfer-Stärke, die zu Taten schreitet,

Zu Werken, die zum Licht empor sich heben,

Um die der Schönheit Glanz sich ewig breitet:

Du hast wie Israel mit Gott gerungen,

Bis du als Sieger selber dich bezwungen!

Was uns geheimnisvoll mit dir verbündet,

Wird Ungeweihten durch kein Wort verraten;

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Doch sei es laut vor allem Volk verkündet

Durch reinster Liebe nimmermüde Taten,

Durch klares Licht, das Geist im Geist entzündet,

Durch ewigen Lebens immergrüne Saaten. -

Voran, o Meister! Wo du hingegangen,

Zieht uns dir nach sehnsüchtigstes Verlangen.

Solche Gesinnung muß «Erfüllungspforten» entriegeln!

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VIERZEHNTER VORTRAG Dornach, 28. Oktober 1917

Wir haben den Betrachtungen, die hier gepflogen worden sind, entnehmen können, welch bedeutsame Vorgänge sich im 19.mJahrhundert - gewissermaßen hinter den Kulissen der Weltgeschichte - abgespielt haben. Es liegt ja in der Natur der Sache, daß man, wenn man nicht ganz abstrakt schildern will, für viele Dinge, die man mit Bezug auf die geistige Welt zu sagen hat, das Spiegelbild, das Abbild in der physischen Welt charakterisieren muß, weil die Dinge, die hier in der physischen Welt geschehen, eben Abbilder des geistigen Geschehens sind.

Nun möchte ich Sie zunächst noch aufmerksam machen auf das Bedeutungsvolle, das eigentlich hinter all den Tatsachen steht. Wir wissen, ungefähr 1413, also im 15. Jahrhundert, war der Übergang aus der vierten in die fünfte nachatlantische Kulturperiode. Zu all dem, was wir schon an Charakteristik angeführt haben, sei noch hinzugefügt, daß von den geistigen Welten aus die Lenkung der irdischen Angelegenheiten so geschehen ist, daß an dieser Lenkung hauptsächlich Wesen aus der Hierarchie der Archangeloi beschäftigt waren - einiges über die genaueren Zusammenhänge können Sie ja aus dem Büchelchen «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit» entnehmen -, hauptsächlich, sage ich. Denn stellen Sie sich nur intensiv vor: Engel- wesen verrichten ihre Tätigkeit in den geistigen Welten. Dadurch geschieht auf der Erde gar manches. Es geschieht eben das auf der Erde, was wir die irdische Geschichte, das menschliche Leben in der vierten nachatlantischen Kulturperiode nennen. Engelwesen, Wesen aus der Hierarchie derAngeloi dienen diesen höheren Wesen aus der Hierarchie der Archangeloi; aber sie dienen ihnen so, daß gewissermaßen das Verhältnis zwischen den Wesenheiten aus der Hierarchie der Angeloi und denen der Archangeloi eine übersinnliche, eine rein geistige Angelegenheit ist, die die Menschen noch wenig berührt. Das wird anders mit dem Hereinbrechen der fünften nachatlantischen Periode, denn da werden in der Führung der Menschheit gewissermaßen selbständiger

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die Wesen aus der Hierarchie der Angeloi. So daß die Menschen in der vierten nachatlantischen Zeit mehr direkt geführt sind von den Arch­angeloi; dagegen in der fünften Zeit also in unserer ganzen jetzigen fünften Zeit bis ins 4. Jahrtausend hinein wird eine direkte Führung des Menschen durch die Angeloi stattfinden. So daß man jetzt nicht mehr sagen kann: Das Verhältnis der Angeloi zu den Archangeloi ist nur ein übersinnliches Verhältnis. Das ist die Tatsache, geistig aus­gedrückt.

Man kann diese Tatsache auch mehr materiell ausdrücken, denn alles Materielle ist ein Abbild des Geistigen. Wenn wir suchen, auf welchem Umwege die Archangeloi mit den Angeloi zusammen während der vierten nachatlantischen Zeit die Menschen lenkten, können wir sagen: Dies geschah durch das menschliche Blut. Und auf dem Umwege durch das menschliche Blut wurde ja auch die soziale Struktur hervor­gerufen, die sich der Blutsverwandtschaft, den Blutsbanden anschloß. Gewissermaßen war die Wohnung der Archangeloi sowohl wie der Angeloi im Blute. Ja, das Blut ist nicht bloß dasjenige, was der Che­miker analysiert, sondern das Blut ist zugleich der Wohnort übersinn­licher Wesenheiten.

Wenn wir also von dieser vierten nachatlantischen Zeit sprechen, so ist das Blut der Wohnort von Archangeloi und Angeloi. Das wird eben anders in der fünften nachatlantischen Zeit, das wird so, daß sich die Angeloi mehr des Blutes bemächtigen - ich rede jetzt von den Angeloi des Lichtes, von den normalen - und die Archangeloi mehr im Nerven­system wirken. Ich könnte auch mit alter Terminologie ebensogut sagen: In der fünften nachatlantischen Zeit wirken die Archangeloi mehr im Gehirn, die Angeloi mehr im Herzen. Physiologisch, im Sinne der jetzigen Wissenschaft gesprochen, würde man sagen müssen: Die An­geloi wirken mehr im Blute, die Archangeloi mehr im Nervensystem. So ist wirklich mit den Menschen, wie Sie sehen, eine große Verände­rung vor sich gegangen, die man verfolgen kann bis in die materielle Struktur des Menschen hinein.

Nun, das, was der Mensch tut hier auf der Erde, das, was er voll­bringt, hängt mit dem zusammen, was da in ihm wirkt. Man stellt sich ja nicht immer richtig vor, irgendwo im Wolkenkuckucksheim

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seien Angeloi und Archangeloi. Würde man das gesamte Nervenleben der Menschen ins Auge fassen als Ort, und das Gesamtblutleben wiederum als Ort, und dasjenige, was dazugehört in übersinnlichen Welten zwischen Tod und neuer Geburt, dann würde man die Reiche von Archangeloi und Angeloi finden.

Im 15. Jahrhundert war ein besonderer Zeitabschnitt in der Erdenentwickelung und in der damit zusammenhängenden Entwickelung der geistigen Welt herangekommen. Man kann dasjenige, was da herangekommen war, etwa in der folgenden Art charakterisieren. Man kann sagen: In dieser Zeit, im 15. Jahrhundert, war die Anziehungskraft der Erde für die Archangeloi, für die regelrechten Archangeloi, die ja den Übergang suchten vom Blut ins Nervensystem, am größten. Also wenn wir zurückgehen aus dem 14. ins 13., 12., 11. Jahrhundert, so finden wir, daß immer schwächer wird die Anziehungskraft der Erde, und nachher wird wiederum die Anziehungskraft der Erde schwächer. Man könnte sagen: Die Archangeloi sind von höheren Geistern angehalten gewesen, in diesem 15. Jahrhundert das Erdendasein am meisten zu lieben. So paradox das manchem heutigen, klotzig materialistisch denkenden Menschen erscheint, so ist es doch richtig, daß mit solchen Dingen zusammenhängt das, was auf der Erde vorgeht. Wie kommt es, daß gerade damals in einer so merkwürdigen Weise Amerika wiederentdeckt wurde, daß die Menschen anfingen, sich wieder der ganzen Erde zu bemächtigen? Weil die Archangeloi in dieser Zeit am meisten angezogen waren von der Erde. Dadurch dirigierten sie teilweise das Blut, teilweise das Nervensystem schon so, daß der Mensch anfing, von der ganzen Erde Besitz zu ergreifen von seinen Kulturzentren aus. Solche Ereignisse muß man im Zusammenhang mit der geistigen Wirksamkeit betrachten, sonst versteht man sie nicht. Gewiß klingt es heute für den materialistisch klotzigen Denker sonderbar, wenn man sagt: Deshalb entdeckten die Menschen Amerika, deshalb spielte sich das andere alles ab, was Sie ja in der sogenannten Geschichte nachlesen können, weil die Anziehungskraft der Erde für die Archangeloi am größten in der damaligen Zeit war zwischen bestimmten Grenzen.

Und damals begann von seiten der Archangeloi die Erziehung der Angeloi, die dahin ging, das menschliche Blut in Besitz zu nehmen,

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während die Archangeloi den Obergang finden wollten ins Nerven­system. Und im Beginne der vierziger Jahre war die Sache so weit, daß gewisse zurückgebliebene Angeloiwesen den Versuch machten, nun nicht im Blute zu residieren oder zu regieren, sondern den Archangeloi­platz im Nervensystem einzunehmen. Also wir können sagen: Es war in diesen vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein bedeutungsvoller Kampf, der sich so entwickelt hat, wie ich das schon beschrieben habe, der, wenn wir sein Spiegelbild hier im gröbst Materiellen betrachten, sich abspielte zwischen dem menschlichen Blut und dem menschlichen Nervensystem. Die Engel der Finsternis wurden aus dem Nerven­system herausgeworfen und in das menschliche Blut geworfen, so daß sie nunmehr im menschlichen Blute so rumoren, wie ich das geschildert habe. Weil sie im menschlichen Blute rumoren, kommt das alles zu­stande, was ich beschrieben habe als die wirkung der zurückgebliebenen Angeloi hier auf der Erde. Da sie im menschlichen Blute rumoren, hat sich auch das herausgestellt, daß die Menschen so gescheit sein konnten, wie ich das beschrieben habe. Natürlich spielt sich das alles langsam und allmählich ab, so daß man sagen kann: Der richtige tiefgehende Abschnitt ist 1841; aber das ganze 19. Jahrhundert ist schon infiziert von dem, was da in Betracht kommt.

Damit ist iberhaupt eine Evolution eingeleitet, die von tief gehender Bedeutung ist. Ich habe Sie im Laufe dieser Vorträge schon auf eine wichtige Tatsache aufmerksam gemacht. Ich habe Sie darauf aufmerk­sam gemacht, daß es nur bis zum 7. Jahrtausend dauern wird innerhalb der Erdenentwickelung, daß die Menschenfrauen fruchtbar sein wer­den, daß dann nicht mehr die Fortpflanzung hier besorgt werden kann. Ginge es bloß nach den normal im Blute lebenden Engelwesen, so würde die menschliche Generation, die menschliche Fortpflanzung, nicht ein­mal bis dahin dauern, sondern nur ins 6. Jahrtausend hinein. Nur noch die sechste nachatlantische Kulturperiode träfe die Möglichkeit einer physischen Fortpflanzung auf der Erde; weiter erstreckt sich der Im­puls der Fortpflanzung für diese nachatlantische Zeit in ihren sieben Kulturperioden nach der Weisheit des Lichtes nicht. Aber die Fort­pflanzung wird länger dauern; sie wird bis ins 7. Jahrtausend hinein dauern, vielleicht noch etwas darüber hinaus. Woher wird das kom­men?

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Weil dann Regenten der Fortpflanzung, impulsierende Mächte der Fortpflanzung diese herabgestoßenen Angeloi sein werden.

Das ist sehr bedeutungsvoll. In der sechsten nachatlantischen Kulturperiode wird nach und nach versiegen die menschliche Fruchtbarkeit, insoferne sie impulsiert ist von den Lichtmächten. Und die dunkeln Mächte werden eingreifen müssen, daß die Sache noch etwas weitergehe. Wir wissen, die sechste nachatlantische Kulturperiode hat ihre Keime im europäischen Osten. Der europäische Osten wird starke Neigungen entwickeln, die menschliche Fortpflanzung, die physische Fortpflanzung nicht über die sechste Kulturperiode hinausgehen zu lassen, sondern nachher die Erde überzuführen in ein mehr spirituelles, in ein mehr psychisches Dasein. - Von Amerika herüber werden die andern Impulse wirken für die siebente nachatlantische Kulturperiode, in welcher die Impulse der herabgestoßenen Angeloi die Generation leiten werden.

Bedenken Sie, wie kompliziert die Dinge sind. Diese Dinge kann man - ich muß das immer wieder betonen - nur durch direkte Beobachtung der geistigen Welten finden. Durch irgendwelches Theoretisieren irrt man sich in der Regel. Man verfolgt dann nur eine Linie und kommt dann eventuell dazu, zu behaupten, daß eben in der sechsten nach atlantischen Kulturperiode das Generationsleben der Menschheit auslöschen wird. Die wirkliche spirituelle Beobachtung nur gibt einem die Möglichkeit, verschiedene Strömungen, die ineinanderwirken, um das Ganze herzustellen, zu beobachten. Man muß vieles anwenden, wenn so bedeutungsvoll ineinandergehende Erkenntnisse herauskommen sollen, wie diejenigen, von denen ich jetzt gesprochen habe.

Der Mensch wird Ihnen ja recht kompliziert vorkommen, wenn Sie bedenken, daß jetzt, in der fünften nachatlantischen Zeit, in ihm wirken durch sein Nervensystem und Blut Archangeloi und Angeloi, aber auch die entgegengesetzten Geister, die abnormen Geister. Da sind die Kräfte verankert, die miteinander, gegeneinander und so weiter wirken, da sehen wir, was eigentlich in Wirklichkeit geschieht. Wenn man dasjenige, was äußerlich im Leben geschieht, beobachtet, so sieht man gewissermaßen nur die äußerlicheWoge, nicht die Kräfte, welche diese Woge an die Oberfläche werfen.

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Nun können wir noch ein Merkmal angeben, wodurch die Geister der Finsternis, die also seit 1879 gestürzt sind, schon vorher von der geistigen Welt aus und jetzt von dem Reiche der Menschen aus zu wir­ken versuchen. Erinnern Sie sich an etwas, das ich schon im Laufe dieser Betrachtungen Ihnen vorgebracht habe: daß die Menschheit als Ganzes immer jünger wird. Wenn wir zurückgehen ins alte Indien, finden wir, daß die Menschen jung blieben, das heißt, leiblich entwickelungsfähig blieben bis in das höchste Alter hinauf; dann in der persischen Epoche nicht mehr so lange, in der ägyptisch-chaldäischen wieder nicht mehr so lange, und in der griechisch-lateinischen blieben die Menschen nur entwickelungsfähig bis in die Spanne Zeit vom achtundzwanzigsten bis fünfunddreißigsten Lebensjahr. Jetzt sind sie noch jünger geworden: die Menschen bleiben nur entwickelungsfähig, wie ich Ihnen ausgeführt habe, bis zum siebenundzwanzigsten Jahre. Dann wird die Zeit kommen, wo die Menschen nur bis zum sechsund­zwanzigsten Lebensjahre entwickelungsfähig bleiben und so weiter. Erinnern Sie sich, daß ich angedeutet habe, wie eine Persönlichkeit, um die sich jetzt vieles dreht, gerade dadurch verständlich werden kann, daß die Siebenundzwanzigjährigkeit eine so besondere Rolle in ihrem Leben spielt: Lloyd George. Denn es bedeutet immer sehr viel, wenn das Selenleben zusammenfällt mit dem äußeren Leibesleben.

Diese Tatsache, daß die Menschen in unserer fünften nachatlan­tischen Zeit naturgemäß entwickelungsfähig bleiben bis in die Zwan­zigerjahre hinein, diese Tatsache bildet eine wichtige Grundlage für das Zusammenwirken der Angeloi mit den Archangeloi. Denn die Normalgeister, die Geister des Lichtes, die möchten die Sache in einer bestimmten Weise in der Menschheitsentwickelung dirigieren. Das ist so: Bis in die Zwanzigerjahre ist der Mensch naturgemäß entwickelungsfähig; diese Entwickelungsfähigkeit möchten nun die Geister des Lichtes intim halten, so daß sie sich im Menschen abspielt möglichst ohne Rumor, und im achtundzwanzigsten Jahre, zwischen dem acht­undzwanzigsten und fünfunddreißigsten Jahre, sollte dann das, was still im Innern des Menschen sich abspielt, herauskommen. Also fassen· Sie das wohl auf. Dasjenige, was im Blute bis zum achtundzwanzigsten Jahre hin im Menschen sich entwickelt, das soll dann vom achtundzwanzigsten

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Jahre ab dem Menschen mehr ins Selbstbewußtsein dringen, es soll dem Blute selbstbewußt übergeben werden. Also der Mensch soll gewissermaßen nach der Absicht der normalen Geister, der Geister des Lichtes, still im Innern, anspruchslos, selbstlos sein Seelenleben entwickeln, und dann soll es erst in Aktion treten, dann soll er gewissermaßen aus den Lehrjahren heraus in die Wanderjahre und in die Meisterjahre eintreten, wenn er das achtundzwanzigste Jahr überschritten hat.

Dagegen lehnen sich die herabgestoßenen Geister, die Geister der Finsternis, auf. Die wollen bewirken, daß der Mensch in den Zwanzigerjahren nicht die intime innere Entwickelung durchmacht, sondern schon da mit der äußeren Intellektualität, mit allem, was äußere Aktionsfähigkeit, Meisterschaft ist, in das Leben eingreift.

Jetzt haben Sie direkt eine soziale Erscheinung auf ihre spirituelle Grundlage zurückgeführt. Ein Kampf findet unter uns statt, denken Sie, ein bedeutungsvoller Kampf: Die Geister des Lichtes möchten uns erst nach dem achtundzwanzigsten Jahre so reif machen, daß wir hinaustreten ins öffentliche Leben, aktionsfähig werden. Die Geister der Finsternis möchten, daß der Zeitpunkt hereingeschoben, vor das achtundzwanzigste Jahr gerückt wird; sie möchten den Menschen früher hinausstoßen in das öffentliche Leben. Und alles, was in unserem sozialen Leben an Kräften spielt, die ein Spiegelbild sind von solchen Dingen, rührt davon her, wenn so zum Beispiel da oder dort wiederum ein Antrag gestellt wird, das wahlfähige Alter noch mehr gegen die Zwanzigerjahre herabzusetzen oder gar vor die Zwanzigerjahre hin. Da haben Sie die Ursprünge für diese Dinge.

Gewiß, solche Dinge zu wissen, ist dem heutigen Menschen unbequem. Denn wie viel von den Geistern der Finsternis im öffentlichen Leben rumort, kann man ja eben gerade daraus entnehmen. Es ist bis jetzt viel von dem, was ich so dargelegt habe, den Menschen instinktiv bewußt gewesen, atavistisch bewußt gewesen. Aber das hat aufgehört. Und die Menschen werden sich entschließen müssen, dasjenige, was instinktiv bewußt war, was auch durch die alten Mysterien in die Menschen hineingeträufelt worden ist, das wirklich bewußt zu wissen: das heißt, spirituelle Grundsätze in die Gestaltung der sozialen Struktur aufzunehmen, wirklich daran zu denken, nicht so blindlings nach

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bloßen Emotionen die Welt gestalten zu wollen. Denn dadurch erreichen ja die Geister der Finsternis am besten, was sie wollen, daß die Men­schen schlafen gegenüber den spirituellen Vorgängen. Dann können sich während dieses Schlafens die Geister der Finsternis sehr wohl dessen bemächtigen, was sie nicht erreichen können, wenn der Mensch sich bewußt hineinversetzt in das, was an spirituellen Impulsen durch die Evolution waltet. Und vieles von dem, was heute als Verlogenheit in der Welt vorhanden ist, ist ja eben dazu da, um die Menschen in Illusionen, das heißt, in Schlafzustände einzuwiegen, damit sie die Wirklichkeit nicht sehen, damit sie von der Wirklichkeit abgelenkt werden, damit die Geister der Finsternis möglichst freies Spiel haben mit den Menschen. Denn indem man den Menschen alles mögliche vormacht, werden sie abgelenkt von dem, was sie im wachen Zustande wirklich erleben könnten und erleben müssen, wenn die Evolution der Menschheit in einer fruchtbaren Weise fortgehen soll. Wir leben nun einmal in dem Zeitalter, in dem die Menschen ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen müssen.

Dazu aber wird ernstlich notwendig sein, daß gewisse Dinge durch­schaut werden, die aber nur durchschaut werden können, wenn man die Kräfte, die spirituellen Kräfte kennt. Man kann sagen: Im 19. Jahr­hundert ist alles geschehen, was bewirken kann, daß die Menschen ab­gelenkt werden von der Wahrheit. Bedenken Sie nur, was es eigentlich bedeutet hat, daß gerade in der wichtigsten Periode der Entwickelung des 19. Jahrhunderts der Darwinismus in der ja Ihnen öfter bezeich­neten Weise sehr, sehr tief, bis in die populärsten Gedanken hinein, in die Menschenentwickelung eingegriffen hat. Es ist merkwürdig, was in bezug auf solche Dinge die Menschen zuweilen für Anschauungen entwickeln. So zum Beispiel findet sich in dem berühmten Buch von Fritz Mauthner, in seinem

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in seinem «Philosophischen Wörterbuche», der interessante Satz: Nicht wie Darwin die Teleologie, das heißt die Lehre von dem Zwecke, sondern daß er sie überwunden habe, das sei das Bedeutende. - Weil Mauthner doch so gescheit ist, daß er weiß, daß Darwin nur sehr mangelhaft das Walten spiritueller Mächte überwunden hat, so sagt er, nicht wie er es überwunden hat, sondern daß er es überwunden hat. Mit andern Worten meint Mauthner: Es ist schon sehr fruchtbar gewesen, daß man einmal den Gang der organischen Entwickelung so vorgestellt hat, als ob keine Zwecke durch irgendwelche spirituellen Wesen in dieser Entwickelung drinnen wären, als ob keine solchen Wesen drinnen wären.

Nun, für den, der solche Dinge durchschaut, stellt sich aber die Sache in der folgenden Weise dar: Wenn Sie ein Gespann sehen, eine Droschke, voran ein Pferd, so zieht das Pferd die Droschke. Sie werden zwar sagen: Der Kutscher sitzt auf dem Bock und kutschiert und lenkt das Pferd. - Aber wenn Sie absehen von dem Kutscher, so können Sie jetzt feine Studien machen, was alles im Pferde vorgeht, damit es die Droschke ziehe; und Sie können in allen Einzelheiten beschreiben, wie es das Pferd macht, daß es die Droschke zieht, wenn Sie eben davon abstrahieren, daß das Pferd erst seine Intentionen von dem Kutscher bekommt.

Darauf aber beruht die Darwinsche Lehre; man sieht einfach von dem Kutscher ab. Man behauptet: Das ist ein alter Aberglaube, ein Vorurteil, daß der Kutscher das Pferd lenkt. Das Pferd zieht doch den Wagen, das sieht doch jeder, denn das Pferd ist vorgespannt. - Ganz nach dem Muster dieser Logik ist die Darwinsche Theorie aufgebaut. Sie hat dadurch, durch diese Einseitigkeit, natürlich gute Wahrheiten zu Tage gefördert, Wahrheiten allererster Größe. Aber ein vollständiges Überschauen des Tatbestandes ist dadurch verdunkelt. Und unzählige naturwissenschaftliche Tatsachen in ihrer Erfahrung leiden heute gerade darunter, daß man, ich kann sagen, den Kutscher übersieht. Man spricht von Ursache und Wirkung; aber die Ursache für das Fortgehen des Wagens sucht man beim Pferde, und man betrachtet das als einen großen Fortschritt. Man bemerkt nicht, daß man solche Verwechslungen zwischen Pferd und Kutscher, solche «Pferdetheorien» - verzeihen Sie das harte Wort - auf Schritt und Tritt in der heutigen Wissenschaft findet. Nachweisen deren Falschheit kann man nicht, wie es ja auch nicht unrichtig ist, daß das Pferd den Wagen zieht. Das ist ja ganz richtig, aber um wahr und falsch in diesem äußeren Sinne handelt es sich nicht. Daher können materialistische Denker immer den spiritualistischen Denker widerlegen, der da weiß, daß außerdem noch der Kutscher da ist. Das aber zeigt Ihnen, wohin eine bloß spitzfindige,

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scharfsinnige, kritische Verständigkeit führen würde, wie sie die Gei­ster der Finsternis dem Menschen bescheren wollen. Aufs Richtige braucht die Sache nicht zu gehen, aufs Vollständige schon gar nicht, sondern auf etwas, was eben nach dem Muster richtig ist, daß das Pferd den Wagen zieht. Es kann sich ganz gut die Logik emanzipieren von der Wirklichkeit. Man kann sehr logisch und zugleich sehr wirklich­keitsfremd sein.

Wenn aber von der Menschheitsevolution die Rede ist, dann kommt noch ein anderes in Betracht, dann kommt in Betracht, daß die Geister der Finsternis Macht haben vorzugsweise über Verstand und Intellek­tualität. Die können sie ergreifen, aber nicht die Emotionen, nicht den Willen, vor allen Dingen nicht Willensimpulse. Hier berühre ich aller­dings ein sehr tiefes, bedeutsames Gesetz der Wirklichkeit. Wir haben es erlebt Sie haben ja alle schon, allerdings mit Unterschieden, ein so respektables Alter erreicht, daß wir von mehreren Jahrzehnten, wenig­stens von zwei, drei Jahrzehnten sprechen können, die wir miterlebt haben , wir haben es erlebt, daß in diesen Jahrzehnten, die unserer Zeit vorangegangen sind, die mannigfaltigsten sozialen Bestrebungen waren, die zum großen Teil von der Pressejournalistik, zum Teil auch von der Bücherjournalistik, sehr wenig aber vom wirklichen Wissen, von den Tatsachen getragen sind. Wir haben eigentümliche Strukturen erlebt des sozial-politischen Lebens, wie es über Europa und Amerika in den letzten Jahrzehnten heraufgezogen ist. Das Eigentümliche nun ist, daß in alldem, was da geschieht, zwar die Gedanken vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts leben, aber nicht die Emotionen, nicht die Willensimpulse. Das ist sehr merkwürdig. Man kommt darauf nur durch wirklich gewissenhafte, ehrliche Untersuchungen in der gei­stigen Welt. Menschen, welche in den vierziger Jahren herabgestiegen sind aus der geistigen Welt zur Verkörperung in menschliche Leiber und jetzt wiederum schon oben sind, die wissen solche Dinge, die wissen aus dem Aspekt von der andern Welt aus, daß in der Tat hier auf Erden in den letzten Jahrzehnten die Verstande, die Intellekte, die gewisser­maßen reif der Zeit nach waren, walteten - aber die Willensimpulse noch so wie damals in den vierziger Jahren. Denn der Wille bewegt sich nämlich wesentlich langsamer in der menschlichen Evolution als

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die Gedanken. Bitte, fassen Sie das als eine sehr wichtige Wahrheit auf: Der Wille bewegt sich viel langsamer als die Gedanken. So daß zum Beispiel bei den Menschen, die sich mehr den allgemeinen Gewohnheiten überlassen haben, die nicht dazumal gerade in den vierziger Jahren Rebellen oder Revolutionäre waren, sondern die sich so mehr den allgemeinen Gewohnheiten, den patriarchischen, biederen Gewohnheiten der dreißiger, vierziger Jahre überlassen haben, diese Gewohnheiten fortlebten bis in die Jahrzehnte, die ich jetzt meine. Aber die Gedanken schritten weiter. Und dadurch treten fortwährend in der Evolution Diskrepanzen auf zwischen dem Gedankenleben und dem Willensleben, die nicht in allen Sphären des Lebens, aber in gewissen Sphären des Lebens erscheinen.

Nur dadurch ist eines möglich geworden in diesem 19. Jahrhundert, was in allen früheren Jahrhunderten nicht möglich war. Äußere Geschichtsbetrachter können das ja allerdings bekämpfen, aber es ist unsinnig, wenn man es bekämpft. Was ich meine ist dieses, daß niemals in den verfolgbaren historischen Epochen der Menschheitsentwickelung der Intellekt, die Gedankenschärfe positiv ins Leben eingegriffen hat. Gehen Sie in die alten römischen Sklavenaufstände zurück: es waren im wesentlichen Rankünen, Willensimpulse, die die Sklaven zur Empörung gebracht haben. Das ist ganz anders im 19. und ins 20. Jahrhundert herein. Die moderne Sozialdemokratie darf nicht verglichen werden historisch mit dem alten Sklavenaufstand; sie ist etwas ganz anderes, sie ist aus der Theorie heraus geboren, aus solchen Theorien, wie denen von Lassalle, aber hauptsächlich von Karl Marx, aus der Theorie vom Klassenkampf. Etwas rein Kritisches, rein Theoretisches, etwas, was rein auf Gedanken beruht, hat die Menschen auf die Beine gebracht, hat die Menschen zum Agitatorischen gebracht. Warum? Weil die Menschen, die den Marxismus agitatorisch aufnahmen, noch dieselben Willensimpulse hatten wie in den vierziger Jahren. Mit dem Willen waren sie noch nicht nachgekommen. Durch diese Willensdiskrepanz ist es gekommen, daß im 19. Jahrhundert durch die Führung gewisser Mächte eine rein intellektuelle Bewegung die Massen zur Agitation hat bringen können.

Das ist eine Erscheinung, die früher nicht da war, die Ihnen mehr

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noch beweisen wird als das, was ich Ihnen gestern schon sagte, was es heißt, daß in diesem 19. Jahrhundert - teilweise während die Geister der Finsternisse noch oben waren -, dann, als sie heruntergekommen waren , daß in diesem 19.Jahrhundert die Geister der Finsternis durch die eine Strömung vorzugsweise den materiellen Verstand pflegen woll­ten. Da sehen Sie ihn wirken, da sehen Sie ihn sogar die Emotionen der dreißiger und vierziger Jahre ergreifen, da sehen Sie ihn einmal nicht nur als Verstand wirken, um die Menschen zurüberzeugung zu bringen, da sehen Sie den Verstand direkt in Agitation, Revolution, in revolu­tionären Sehnsuchten und so weiter wirken. Noch niemals hat der Verstand das Ruder so geführt. Das ist wichtig, daß man diese Dinge ins Auge faßt. Man muß die Zeit durchschauen dadurch, daß man ent­deckt, was hinter den Kulissen der sogenannten Weltgeschichte vor sich geht. Fragen Sie irgend jemanden, der sich nicht viel um die Dinge be­kümmert: Wie alt ist denn die Geschichte? Seit wann treibt denn die Menschheit das,was man heute Geschichte nennt? - Er wird antworten:

Na, das ist eine alte Sache! - Die Geschichte ist nicht viel mehr als hundert Jahre alt. Dasjenige, was heute als Geschichte angesehen wird, das ist nicht viel älter als hundert Jahre. Vorher notierte man Denk­würdigkeiten, notierte man «Geschichten»; aber was man Weltge­schichte nennt, dieses Verfolgen eines Fadens durch die Menschheitsentwickelung, das ist nicht älter als ein bißchen mehr als hundert Jahre. Schauen Sie sich nur die früheren Geschichten an, die dem vorange­gangen sind. Warum ist denn das heraufgekommen? Weil es ein Über­gangsprodukt ist. Gibt es besondere Gründe, die Geschichte, so wie sie heute gepflegt wird, als eine Wissenschaft anzusehen? Nun ja, es gibt einige Gründe dafür, hauptsächlich den Grund, daß so und so viel hundert Professoren an sämtlichen Universitäten der Welt als Profes­soren der Geschichte angestellt sind. Es erinnert das an jenen juristi­schen Lehrer, an den ich mich manchmal erinnern muß, wenn von Gründen für die Dinge geredet wird. Der war Lehrer des Strafrechts an einer Universität und begann immer seine Vorlesungen damit, daß er die menschliche Freiheit beweisen wollte. Nun, viel hat er nicht an wirklichen Gründen vorgebracht: Meine Herren! Freiheit muß es geben, denn gäb es keine Freiheit, gäb es kein Strafrecht. Nun bin ich

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aber Professor des Strafrechts, also gibt es ein Strafrecht, also gibt es auch eine menschliche Freiheit.

Aber so oft Sie heute urteilen hören über dies oder jenes, was sich bilden soll im Laufe der Menschheitsentwickelung, können Sie die schönen Sätze hören: Die Geschichte lehrt das und das. - Sehen Sie sich die Literatur an, die über die Jetztzeit - wenn ich das Wort gebrauchen darf - geschrieben wird, wie oft Sie da dem Satz begegnen werden, wenn wieder einer seinen Unsinn sagen will von dem, was nach dem Frieden wird. Wie oft Sie da die Phrase vernehmen: Das lehrt die Geschichte. - Dann kommt er damit: Nach dem Dreißigjährigen Krieg war es so, und so weiter. - Diese Wahrheiten sind von der Art, wie ich es Ihnen vorgeführt habe, daß die Leute ausgerechnet haben, ein Krieg kann heute überhaupt nicht länger als vier Monate dauern. In Wahrheit lehrt die Geschichte gar nichts. Denn im Sinne der materialistischen Wissenschaft sind Wissenschaften nur diejenigen, welche aus der Wiederholung der Fälle das Zukünftige in irgendeiner Weise aus dem Vorhergehenden entnehmen können. Wenn der Chemiker ein Experiment macht, so weiß er, er bringt gewisse Stoffe zusammen, daraus ergeben sich gewisse Vorgänge; werden wieder dieselben Stoffe zusammengemischt, werden sich wieder dieselben Vorgänge ergeben, und ein drittes Mal wieder. Oder es ist eine gewisse Wolkenkombination da, die Blitze bewirkt, und eine ähnliche Wolkenkombination ist wieder da, so daß wieder Blitze bewirkt werden. Es kann ja unter den Voraussetzungen des heutigen Denkens eine Wissenschaft nicht bestehen, die nicht auf solche Wiederholungen baut. Denken Sie sich das nur einmal durch. Geschichte kann aber für diejenigen Menschen, die heute von ihrem materialistischen Standpunkte aus denken, gar keine Wissenschaft sein, denn es wiederholt sich niemals etwas in der Geschichte, es treten immer neue Kombinationen auf. Man kann also niemals nach der Methode schließen, nach der man bei den andern Wissenschaften schließt. Geschichte ist nur ein Übergangsprodukt. Sie ist ja erst im 19. Jahrhundert aufgekommen als Wissenschaft. Früher hat man Denkwürdigkeiten beschrieben. Nicht wahr, man bezeichnet es auch nicht als Geschichte, wenn jemand seine sogenannte Familiengeschichte aufschreibt. Sogar das Wort «Geschichte» ist gar nicht alt. In andern Sprachen als

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in der deutschen Sprache ist das Wort überhaupt nicht vorhanden, denn «Historie» hat einen ganz andern ursprünglichen Zusammenhang. Früher sagte man in der Einzahl «das Geschicht», «das Geschicht der Apostel» und so weiter, das, was geschehen ist. Und dann hat man die Mehrzahl gebildet, «die Geschichten», was eigentlich nichts anderes ist als die Mehrzahl von «das Geschicht». Heute muß man sagen «die Geschichte». Aber «die Geschichten» bedeuteten in der Schweiz noch vor hundertfünfzig Jahren die Mehrzahl von «das Geschicht», und das hat sich dann übertragen, indem man den Artikel geändert hat in: die Geschichte Singular , den Plural also mit dem andern Artikel. Dadurch ist das Wort Geschichte entstanden. Das können Sie aus der Wortgeschichte verfolgen.

Einen Sinn wird der Begriff der Geschichte erst erhalten, wenn gei­stige Impulse aufgefaßt werden. Da kann man sprechen von dem, was wirklich geschieht, da kann man innerhalb gewisser Grenzen sprechen von dem, was da hinter den Kulissen vorgeht. Grenzen sind dadurch gegeben, daß man sie vergleicht mit dem, man kann sagen, was auch in der äußeren physischen Welt zukünftig ist, sagen wir, Sonnenstand im nächsten Sommer und so weiter, aber das Wetter bis in die Einzel­heiten hinein nicht. So treten natürlich auch in der geistigen Welt Dinge auf, die sich so wie das zukünftige Wetter zum zukünftigen Sonnenstand verhalten. Aber im allgemeinen wird man etwas wissen können über den Gang der Menschheitsentwickelung nur aus den geistigen Im­pulsen heraus. Die Geschichte ist also embryonal, ist heute noch nicht das, was sie sein soll, kann erst etwas werden, wenn sie ihren hundert-jährigen Bestand überleitet in die Betrachtung des geistigen Lebens, das hinter dem äußeren Geschehen in der Menschheit sich abspielt.

Dazu ist schon notwendig, daß die Menschen mit Bezug auf manche Dinge wirklich erwachen. Denn man braucht ja nur irgendein gerade für die Gegenwart nicht ganz unwichtiges Thema anzuschlagen, zum Beispiel solch ein Thema wie das, was ich angeschlagen habe: Wie alt ist die Geschichte? - Ja, wie viele Menschen haben denn das ist nicht ein Vorwurf, den man dem einzelnen macht, sondern das ist ein Vorwurf, den man dem System der Schulen machen muß -, wie viele Men­schen haben denn jemals eine Vorstellung davon bekommen, wie jung

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eigentlich der Begriff der Geschichte ist, wie wenig das also einer Wirklichkeit entsprechen kann! Denn denken Sie sich einmal: Wenn die Naturwissenschaft heute erst hundert Jahre bestünde und Sie sie vergleichen wollten mit früheren Zuständen der Naturwissenschaft! - Diese Dinge pflanzen sich erst allmählich herüber aus dem bloß Gelernten ins Leben. Und erst, wenn man das ins Auge fassen wird, wenn diese Fragen Erziehungsfragen werden, können die Menschen dazu kommen, das Leben wirklichkeitsgemäß zu verstehen. Die Menschen müssen auf der einen Seite dazu geführt werden, daß sie schon als Kinder mit dem Naturleben in einer Weise bekanntgemacht werden, wie man das in einzelnen - ich sage: in einzelnen - Erzählungen des Brehmschen Tierlebens findet, wo man wirklich die Möglichkeit gewinnt, ein anschauliches Leben von Vorgängen zu gewinnen, die sich durch tierische Geschöpfe abspielen. Man muß da namentlich unterscheiden zwischen dem, was real in der Wirklichkeit wurzelt und dem, was etwa jemand, der an der Oberfläche der Natur zu tippen gewohnt ist, als allerlei allegorische, symbolische Dinge erzählt. Dadurch würden die Kinder nur dem wirklichen Naturgeschehen entfremdet. Nicht darum handelt es sich, ihnen symbolisch, allegorisch Dinge zu erzählen, sondern sie in das wirkliche Naturgeschehen hineinzuführen, zum Beispiel das Leben der Bienen durchzugehen, aber nicht wie es der Zoologe macht, sondern wie es derjenige macht, der wirklich mit der ganzen Seele den Dingen nachgehen kann, und namentlich ohne Sentimentalität. Das Bienenbuch von Maeterlinck ist gewiß sehr gut, aber für Kinder würde es sich nicht eignen; es könnte vielleicht die Anleitung dazu geben, ein Kinderbuch über die Bienen oder auch über die Ameisen zu schreiben. Nur müßte man eben alle Allegorik vermeiden, müßte vermeiden, von bloßen abstrakten Geistwesen zu sprechen, sondern man müßte aufs Konkrete wirklich eingehen.

Auf der andern Seite müßte diese sogenannte Geschichte, die, so wie sie ist, ein Unfug für das Kindesalter ist, wirklich so getrieben werden, daß man das Walten des Geistigen überall durch fühlt. Natürlich können Sie den Kindern nicht erzählen, was da im 19. Jahrhundert sich abgespielt hat, auch den Gymnasiasten und Gymnasiastinnen nicht; aber wie man erzählt, wie man die Ereignisse gruppiert, welchen Wert

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man dem oder jenem beilegt, darinnen kann man zum Ausdruck brin­gen, um was es sich handelt.

Die Geschichten des 19. Jahrhunderts, die da verzapft werden, die sind wahrhaftig nicht geeignet, in irgendeinem Menschen heute, selbst wenn er schon in reiferen Jahren ist, eine Vorstellung von dem wirk­lichen Geschehen hervorzurufen. Da müßte man nun schildern, wie in diesem 19. Jahrhundert nach und nach durch das erste, zweite, dritte, vierte Jahrzehnt herauf sich etwas vorbereitet hat, was dann besonders rege geworden ist in den vierziger Jahren. Es kommt ja nur darauf an, so zu schildern, daß der Betreffende ein Gefühl bekommt von den Er­eignissen der vierziger Jahre in Europa und Amerika: daß da etwas Besonderes drinnen verzeihen Sie den Ausdruck «wurlt». Dann wiederum, wenn man in die siebziger Jahre hineinkommt, nicht etwa erzählen, daß da Engel gestürzt worden sind, aber man kann so schil­dern, daß man sieht, daß man fühlt, daß ein Einschlag da ist für das 19. Jahrhundert. Geisteswissenschaft kann aber auch frühere Geschichte befruchten. Und jenes Blech, das heute als griechische und römische Geschichte verzapft wird in den Schulen, wie könnte das belebt wer­den, wenn es wirklich von den geisteswissenschaftlichen Impulsen durchdrungen würde, die wir dafür kennengelernt haben! Man braucht ja nicht diesL Begriffe und Ideen zum Ausdruck zu bringen, sondern nur so zu erzählen, daß es anschaulich in der Erzählung wird. Aber davon hat man sich immer mehr und mehr entfernt und muß sich ihm wiederum nähern.

Dadurch allein werden die Menschen sich Wirklichkeitssinn erwer­ben. Denn heute fehlt den Menschen selbst in bezug auf das Primitivste des Umlebens und des Miterlebens der Wirklichkeitssinn. Die Menschen glauben heute, realistisch, materialistisch zu sein, sind aber die abstrak­testen Theoretiker, die man sich nur denken kann, sind vollgepfropft von bloßen Theorien, schlafen in lauter Theorien und sind sich dessen nicht bewußt, daß sie in Theorien schlafen. Wenn einmal einer auf­wacht es ist nicht Zufälligkeit, aber man könnte in populärer Rede­wendung sagen: Wenn einmal einer zufällig aufwacht und etwas wach sagt, wird er einfach unberücksichtigt bleiben. So geht es eben heute.

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Sie werden vielleicht schon gehört haben, daß von gewissen Leuten immer wiederum in die Welt posaunt wird: Die Demokratie muß die ganze Kulturwelt ergreifen. Demokratisierung der Menschheit ist das jenige, was das Heil bringt; dafür muß man nun alles kurz und klein schlagen, damit die Demokratie sich ausbreitet auf der Welt. - Ja, wenn die Menschen einfach so fortleben, daß sie die Dinge, die als Begriffe an sie herantreten, nur so an sich herankommen lassen, also ganz aufgehend in dem Begriffe Demokratie, dann haben sie eben den Begriff Demokratie so, wie ich ihn als Definition des Menschen angeführt habe: Ein Mensch ist ein Wesen, das zwei Beine und keine Federn hat: ein gerupfter Hahn. - Denn ungefähr so viel, wie der, dem man einen gerupften Hahn zeigt, vom Menschen weiß, wissen die Menschen, die heute die Glorie der Demokratie verkündigen, von der Demokratie. Man nimmt Begriffe für Wirklichkeiten. Dadurch aber ist es möglich, daß die Illusion sich an die Stelle der Wirklichkeit setzt, wenn es sich ums Menschenleben handelt: indem man die Menschen einlullt und einschläfert durch Begriffe. Dann glauben sie, in ihrem Streben gehe es dahin, daß jeder Mensch seinen Willen zum Ausdruck bringen könne durch die verschiedenen Einrichtungen der Demokratie, und merken nicht, daß diese Strukturen der Demokratie so sind, daß immer ein paar Menschen an den Drähten ziehen, die andern aber werden gezogen. Doch weil man ihnen immer vorredet, sie sind in der Demokratie drinnen, merken sie nicht, daß sie gezogen werden, daß da einzelne ziehen. Und um so besser können diese einzelnen ziehen, wenn die andern alle glauben, sie ziehen selbst, sie werden nicht gezogen. - So kann man ganz gut durch abstrakte Begriffe die Menschen einlullen und sie glauben das Gegenteil von dem, was Wirklichkeit ist. Dadurch können aber die dunkeln Mächte gerade am allerbesten wirken. Und wenn einmal einer aufwacht, so wird er eben nicht berücksichtigt.

Interessant ist es, wie 1910 einer den schönen Satz geschrieben hat: daß es dem Großkapitalismus gelungen ist, aus der Demokratie das wunderbarste, wirksamste, biegsamste Werkzeug zur Ausbeutung der Gesamtheit zu machen. Man bildet sich gewöhnlich ein, die Finanzleute seien Gegner der Demokratie - schreibt der betreffende Mann -; ein Grundirrtum. Vielmehr sind sie deren Leiter und deren bewußte

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Förderer. Denn diese die Demokratie nämlich bildet die spanische Wand, hinter welcher sie ihre Ausbeutungsmethode verbergen, und in ihr finden sie das beste Verteidigungsmittel gegen die etwaige Em­pörung des Volkes.

Da hat einmal einer, der aufgewacht ist, gesehen, wie es nicht dar­auf ankommt, von Demokratie zu deklamieren, sondern wie es darauf ankommt, die Wirklichkeit zu durchschauen, nichts auf alle solche Schlagworte zu geben, sondern zu sehen, was wirklich ist. Heute wäre dies ganz besonders notwendig, denn man würde dann sehen, von wie wenigen Zentren aus die Ereignisse heute eigentlich gelenkt und ge­leitet werden, die so furchtbar, so blutig über die ganze Menschheit hin walten. Darauf wird man nicht kommen, wenn man immer in dem Irrwahn lebt, die Völker bekämpfen sich; wenn man sich immer einlullen läßt von der europäischen und amerikanischen Presse über irgend­welche Beziehungen, die in den gegenwärtigen Ereignissen zwischen den Völkern sein sollen. Das alles, was da gesagt wird über Antagonis­mus und Gegensätzlichkeiten der Völker, das ist dazu da, um über die wahren Gründe den Schleier zu breiten. Denn nicht dadurch, daß man von Worten heute zehrt, um diese Ereignisse zu erklären, kommt man zu irgendeinem Resultat, sondern dadurch, daß man auf die konkreten Persönlichkeiten hinzeigt. Das wird nur manchmal unbequem. Und derselbe Mann, der diese Sätze niedergeschrieben hat 1910, der aufge­wacht ist, der hat auch in demselben Buche eine höchst unangenehme Rechnung angestellt. Er hat nämlich eine Liste aufgestellt von fünf­undfünfzig Männern, die in Wirklichkeit Frankreich beherrschen und ausbeuten. Diese Liste gibt es in dem Buche «La Democratie et les Financiers» 1910, von Francis Delaisi, von demselben Mann, der das ja mittlerweile berühmt gewordene Buch «La Guerre qui vient» ge­schrieben hat, das letztere 1912, das Buch «La Democratie et les Finan­ciers» 1910. In diesem Buche finden Sie Sätze von fundamentaler Be­deutung. Da ist einmal ein Mensch aufgewacht gegenüber der Wirk­lichkeit. In diesem Buche «Die Demokratie und die Finanzwelt» liegen Impulse, um vieles von dem zu durchschauen, was heute durchschaut werden sollte, vieles aber auch zu zerhauen von dem, was als Nebel über die Gehirne der Menschen hin zum Fluten gebracht wird. Auch

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über diese Dinge muß man sich entschließen, die Wirklichkeit ins Auge zu fassen.

Natürlich ist das Buch unberücksichtigt geblieben. Aber in diesem Buche werden gewisse Fragen aufgeworfen, die heute in der ganzen Welt aufgeworfen werden sollten, weil sie manches über die Wirklichkeit lehren würden, die man so begraben will unter all den Deklamationen von Demokratie und Autokratie und was die Schlagworte alle sind. In diesem Buche finden Sie zum Beispiel auch eine sehr schöne Darstellung von der üblen Lage, in der eigentlich ein Parlamentarier ist. Nicht wahr, die Menschen glauben, so ein Parlamentarier stimmt nach seiner Überzeugung ab. Aber würde man alle die Fäden kennen, durch die ein solcher Parlamentarier zusammenhängt mit der Wirklichkeit, dann würde man erst wissen, warum er in einem Fall ja und im andern Fall nein sagt. Denn gewisse Fragen müssen aufgeworfen werden. Delaisi wirft sie auf. Zum Beispiel wirft er die Frage auf, indem er einen Parlamentarier ins Auge faßt: Auf welche Seite soll sich der arme Mann stellen? Das Volk zahlt ihm jährlich dreitausend Francs Diäten, die Aktionäre dreißigtausend Francs! - Die Frage stellen, heißt sie schon beantworten. Also der gute arme Mann bekommt vom Volk seine dreitausend Francs Diäten, von den Aktionären dreißigtausend! Nicht wahr, es ist ein sehr schöner Beweis, zeugt manchmal von großem Scharfsinn, zu sagen: Wie schön ist es doch, daß einmal in einem Parlament ein Sozial ist, ein Volksmann wie Millerand einen Platz gefunden hat! Es ist etwas Großartiges, daß solche Errungenschaft möglich geworden ist. Delaisi frägt etwas anderes. Er frägt: Wie steht es mit der Unabhängigkeit eines Menschen wie Millerand, der jährlich dreißigtausend Francs als Vertreter von Versicherungsgesellschaften verdiente?

Da ist einmal einer aufgewacht; der weiß ganz gut, wie die Fäden gehen von den Taten eines solchen Mannes in die verschiedenen Versicherungsgesellschaften hinein. Aber solche Dinge, die heute im Wachzustand über die Wirklichkeit erzählt werden, die werden eben nicht berücksichtigt. Man kann natürlich sehr schön den Menschen von der Demokratie der westlichen Welten deklamieren. Wenn man ihnen aber die Wahrheit sagen wollte, müßte man ihnen sagen: Der so und so heißt,

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macht es so, und der so und so heißt, macht es so. - Und da rechnet Delaisi fünfundfünfzig Männer heraus, nicht eine Demokratie, sondern fünfundfünfzig bestimmte Männer, von denen er sagt, daß sie Frank­reich beherrschen und ausbeuten. Da ist man auf die realen Tatsachen gekommen, denn auch m gewöhnlichen Leben muß der Sinn erwachen für reale Tatsachen.

Das weiß man auch aus Delaisi: Es war einmal ein Advokat. Dieser Advokat viele Fäden verbanden ihn mit allen möglichen, nicht nur Versicherungsgesellschaften, sondern Finanzzentren, Finanzwelten. Aber dieser Advokat hatte noch höheren Ehrgeiz; er wollte für seine Taten nicht nur durch die Finanzwelt, durch die Industriewelt, Handelswelt protegiert sein, sondern auch durch die Gelehrtenwelt der Akademie. Das ist die Stätte, wo man durch die Gelehrtenwelt selbst in die Sphäre der Unsterblichkeit erhoben werden kann. Aber nun fan­den sich zwei Unsterbliche innerhalb der Akademie, welche just uner­laubte Trustgeschäfte machten. Sie fanden es ganz gut vereinbar mit ihrem Wirken für die Unsterblichkeit, Trustgeschäfte, die unerlaubt waren nach dem Gesetze des Landes, zu machen. Da fand sich denn der sehr scharfsinnige Advokat und vertrat die beiden Unsterblichen vor dem Gerichte, und es gelang ihm, sie freizubekommen, sie reinzu­waschen, so daß sie nicht verurteilt wurden. Da nahmen sie ihn selber unter die «Unsterblichen» auf. Die Wissenschaft, die nicht das Zeit­liche der Welt, sondern das Ewige der Welt, das Unsterbliche verwal­tet, die ist der Verteidiger geworden dieses selbstlosen Advokaten. Raymond Poincarté heißt er. - Delaisi erzählt in dem genannten Buche seine Geschichte.

Es ist ganz gut, solche Dinge als Ingredienzen der Wirklichkeit auch zu wissen. Diese Dinge müssen schon ins Auge gefaßt werden. Und man wird so gelenkt, daß man einen gewissen Spürsinn für die Wahrheit bekommt, wenn man Geisteswissenschaft aufnimmt, während die ma­terialistische Bildung der heutigen Zeit, in die ja so unzählige Kanäle von der Presse fließen, dazu angetan ist, nicht auf die Wirklichkeiten hinzuweisen, sondern auf etwas, was mit allerlei Schlagworten wie mit Mäntelchen belegt wird. Und wenn einmal einer aufwacht, wie der Delaisi, und die Dinge schildert wie sie sind wie vielen Menschen

251

werden diese Dinge bekannt? Wie viele Menschen hören darauf? Sie können ja auch nicht hören, denn es wird begraben von dem - nun, eben wieder von dem von der Presse beherrschten Leben. Delaisi erweist sich in seinem Buche über die Demokratie und die Finanzwelt als ein recht heller Kopf, der sich viele Mühe gegeben hat, manches zu durchschauen. Er ist kein blinder Anbeter des Parlamentarismus, er ist kein blinder Anbeter der Demokratie. Er sagt voraus, daß diese Dinge, auf die sich die heutigen Menschen so furchtbar viel zugute tun, aufhören werden. Er sagt es ausdrücklich, auch von der «Abstimmungsmaschine» - so ungefähr ist das Wort, in dem er sich ausdrückt. Und ganz wissenschaftlich und ernsthaft ergeht sich auch Delaisi über diese parlamentarische Abstimmungsmaschine, denn er durchschaut den ganzen Apparat, der in diese Abstimmungsmaschinen hinein führt, denen gegenüber man den Glauben erwecken will, da stimme ab eine überzeugte Majorität gegen eine verrückte Minorität. Er weiß, daß, wenn eine gesunde Entwickelung kommen soll, ganz anderes an die Stelle treten muß.

Das ist heute noch nicht möglich, weil es noch die Leute sehr schokkieren würde, zu sagen, was an die Stelle treten wird. Das kann heute eigentlich im Grunde genommen nur der in die Geisteswissenschaft Eingeweihte wissen. Formen der Vergangenheit werden ganz gewiß nicht an die Stelle treten. Sie brauchen nicht zu fürchten, daß derjenige, der aus der Geisteswissenschaft heraus redet, irgendwelchen reaktionären oder konservativen Dingen das Wort redet; vergangene Dinge werden es nicht sein. Doch sind die Dinge von dem, was heute als Abstimmungsmaschine besteht, so verschieden, daß es schockieren würde. Es würde noch als eine Verrücktheit angesehen. Trotzdem wird es sich in die Impulse der Zeitentwickelung einleben. Aber auch Delaisi meint: Wie in der organischen Entwickelung später unnütze Glieder auftreten, die fortbestehen, obgleich sie ihre Funktionen schon verloren haben, so werden längere Zeit auch noch diese Parlamente abstimmen; aber das lebendige Leben, das geht aus ihnen fort.

Sie wissen, der Mensch hat solche Glieder: manche können die Ohren bewegen, auf früheren Stufen waren Muskeln da, die haben ihre Aufgabe verloren. Der Mensch hat heute noch diese Muskeln, aber es sind

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sogenannte atavistische Glieder, die nicht mehr ihre Aufgabe haben. So stellt sich Delaisi das Parlament der Zukunft vor; die Parlamente werden noch solche abfallende, abgestorbene, atavistische Überreste sein, aber etwas anderes wird in die menschheitliche Entwickelung hineingeführt werden.

Ich habe Ihnen gerade Delaisi angeführt, das Buch, das vor noch gar nicht zu langer Zeit, 1910, erschienen ist, um Sie aufmerksam darauf, zu machen, daß eigentlich genugsam Leute vorhanden sind - denn einer genügt ja für manche Tausende -, daß es sich nur darum handelt, diese Leute nicht unberücksichtigt zu lassen. Und neben dem, daß ich mich bestrebe, Sie einzuführen in die Gesetze des geistigen Lebens, in die Impulse des geistigen Lebens, neben dem betrachte ich es auch als meine Aufgabe, auf die bedeutenden Erscheinungen der Gegenwart hinzuweisen, wenn auch dadurch zunächst zustandekommt, daß dasjenige, was Sie hier in diesen Vorträgen als die bedeutenden Erscheinungen hören, Sie draußen im Leben gerade nicht als bedeutende Erscheinungen genannt finden, wenn Sie es überhaupt genannt finden. Es muß sich schon radikal und gründlich das, was unter uns getrieben wird, unterscheiden von dem, was draußen getrieben wird. Nur dann, wenn wir dies in aller Tiefe und in allem Ernste auffassen, können wir wirklich in entsprechender Weise Geisteswissenschaft treiben.

253

HINWEISE

zu Seite

9 ein sichtbares Zeichen unseres Wollens: Das erste Goetheanum, erbaut vom Jahre

1913 an, durch Brand zerstört in der Silvesternacht 1922/23. Siehe Rudolf

Steiner «Der Baugedanke des Goetheanum« (1921), Gesamtausgabe, Stuttgart

1958.

10/11 Wenn Sie nachlesen in den Vorträgen: «Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt«, 8 Vorträge, gehalten in Wien zwischen dem 6. und 14. April 1914, Gesamtausgabe Dornach 1959. Die Stelle von dem «sozialen Karzinom« findet sich auf den Seiten 164165.

12 über den Charakter des russsichen Volkes: Siehe die Vortragsreihe «Kosmische und menschliche Geschichte«, 39 Vorträge, gehalten in Dornach zwischen dem 29. Juli und dem 27. November 1916, herausgegeben in 3 Bänden, Gesamtaus­gabe Dornach 1964. Über den Unterschied zwischen dem russischen und den westeuropäischen Völkern handeln vor allem die Vorträge vom 7., 14. und i5. Oktober, sowie vom 24. September.

18 öfter auf eines aufmerksam gemacht: Z.B. in «Menschliche und menschheitliche Entwicklungswahrheiten«, Gesamtausgabe Dornach 1964, S.306.

Suchomlinow, der bedauernswerte Mensch: Wladimir Alexandrowitich Suchom­linow, 18481926, zur Zeit des Kriegsausbruchs russischer Kriegsminister. Er war, zusammen mit dem Generalstabschef Januschkiewitsch und dem Minister des Außeren Sasonow, maßgebend beteiligt an der verhängnisvollen Mobilisie­rung der russischen Armee am 29. Juli 1914, wobei ein ausdrücklicher Befehl des Zaren, die Mobilisation im letzten Augenblick rückgängig zu machen, um­gangen wurde. Nach dem Sturz des Zaren wurde Suchomlinow über diese Vor­gänge gerichtlich einvernommen. Nach der Zeitung «Nowoje Wremja« tat er in diesem Prozeß die Außerung: «An diesem Tage kam ich beinahe um meinen Verstand«. Zitiert aus: «Suchomlinow, die russische Mobilmachung im Lichte amtlicher Urkunden und der Enthüllungen des Prozesses«, Bern 1917.

20 die römische Papstnote: Papst Benedikt XV. ließ am 1. August 1917 eine Frie­deninote an die Regierungen der kriegführenden Staaten ergehen.

25 auch Haeckel hat eine ... Bemerkung in seinen Welträtseln: Das Buch «Die Welträtsel« von Ernst Haeckel (18341919) erschien 1899. Mit der «dahin-gehenden Bemerkung« sind wohl die folgenden Sätze im ersten Kapitel gemeint:

«Während wir so heute mit gerechtem Stolz auf die gewaltigen Fortschritte des 19. Jahrhunderts in der Natur-Erkenntnis und deren praktischer Verwertung zurückblicken, so bietet sich uns leider ein ganz anderes und wenig erfreuliches Bild, wenn wir nun andere, nicht minder wichtige Gebiete dieses modernen Kultur-Lebens ins Auge fassen. Zu unserem Bedauern müssen wir da den Satz von Alfred Wallace unterschreiben: ~Verglichen mit unseren erstaunlichen Fort­schritten in den physikalischen Wissenschaften und ihrer praktischen Anwen­dung, bleibt unser System der Regierung, der administrativen Justiz, der Na­tional-Erziehung und unsere ganze soziale und moralische Organisation in ei­nem Zustand der Barbarei.~«

28 Jakob Böhme, 15751624, Schuhmachermeister in Görlitz und bedeutender Mystiker. Hauptwerke: «Aurora, oder die Morgenröte im Aufgang« (1612), «Vom irdischen und himmlischen Mysterium«, «Der Weg zu Christo in acht Büchern«.

154

32 für die Zeitschrift «Das Reich«: Es handelt sich um eine Vierteljahrischrift, die in München und Heidelberg herausgegeben wurde durch Alexander Freiherr von Bernus. Über «Die Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz« schrieb Rudolf Steiner in dieser Zeitschrift drei zusammenhängende Aufsätze. und zwar im 3. und 4. Buch des 2. und im 1. Buch des 3. Jahrganges (Okt. 1917 und Jan. und April 1918). Sie sind abgedruckt in «Philosophie und Anthroposophie«, Gesamtausgabe Dornach 1965, 5. 332390. «Die Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz anno 1459« von Johann Valentin Andreae (15861654) wurde ins Neuhochdeutsche übertragen und neu herausgegeben durch Walter Weber, Dornach 1942; 2. verbesserte Aufl. Stuttgart 1957.

37 Lloyd George, 18631945, englischer Staatsmann, Premierminister 19i61922.

41 ein Wort des Neuen Testamentes: Joh. 18,36.

45 Woodrow Wilson, 18561924, Präsident der USA von 19131921.

46 eine Art Lexikon: «Semi-Kürschner oder Literarisches Lexikon der Schrift­steller, Dichter, Bankiers, Geldleute, Arzte, Schauspieler, Künstler, Musiker, Offiziere, Rechtsanwälte, Revolutionäre, Frauenrechtlerinnen, Sozialdemokra­ten usw. jüdischer Rasse und Versippung, die von 18131913 in Deutschland tätig oder bekannt waren«, herausgegeben von Philipp Stauff, Berlin 1913. Über Hermann Bahr findet sich darin folgender Passus: «Allerdings soll Her­mann Bahr, wie immer wieder versichert wird, kein Jude sein, aber ich glaube an das schon zitierte ,Sage mir, mit wem du umgehst~ (Bahr war in erster Ehe mit einer Jüdin verheiratet), und würde Bahn jüdische Abstammung auch dann noch festhalten, wenn er mir die Taufzettel seiner Vorfahren bis ins 10. Glied brächte, ja, im äußersten Notfall mich zum Glauben an die Seelenwanderung bekennen.»

47 Hermann Bahr, 18631934, österreichischer Dichter und Schriftsteller.

von einem Literarhistoriker: Adolf Bartels, «Kritiker und Kritikaster«, Leip­zig 1903.

54 Er hat darauf nur geantwortet: Das Zitat lautet wörtlich: «Wie können diese Esel über Widersprüche in unserer Lehre urteilen, die keinen Teil des einander Widersprechenden verstehen?« Zitiert nach: Ricarda Huch «Luthers Glaube«, 10. Brief.

Da hat zum Beispiel ein Mann: Max Seiling, 18521928, Schriftsteller. 62 Leonardo da Vinci, 14521519.

64 Schilderungen, die ich in bezug auf die atlantische Zeit gegeben habe: Siehe

unter anderem: «Die Geheimwissenschaft im Umriß», Gesamtausgabe Dornach

1962, in dem Kapitel «Die Welt-Entwickelung und der Mensch«; und «Aus der

Akasha-Chronik>., Gesamtausgabe 1964, in dem Kapitel «Unsere atlantischen

Vorfahren«.

155

Welt.Entwickelung und der Mensch»; und «Aus der Akasha-Chronik», GA Bibl. -Nr.11, in dem Kapitel «Unsere atlantischen Vorfahren>.

71 Ricarda Huch, 1864-1947: «Luthers Glaube, Briefe an einen Freund», Insel-Verlag, Leipzig i9I6. Das Buch ist durch den Insel-Verlag im Jahre 1964 neu herausgegeben worden.

71/72 «Den Teufel merkt das Völkchen nie...»: Goethe «Faust»I, Auerbachs Keller. Das genaue Zitat lautet:

«Den Teufel spürt das Völkchen nie,

Und wenn er sie beim Kragen hätte. »

73 Das Wort Christi: Matth. 18,20.

ein sehr schönes Wortgespmchen: Gegen Ende des 5. Briefes in «Luthers Glaube> heißt es: «Es gebärdeten sich ja zu Nietzsches zeir viele als blonde Bestien, die nicht Tierheit genug zu einem einfältigen Meerschweinchen in sich hatten.>

75 Die Einleitung des Vortrages vom 7. Oktober 19I7 wurde abgedtuckt in: «Unscre Toten», GA Bibl.-Nr.261.

77 Sueß: «Das Antlitz der Erde»: Eduard von Sueß, 183I-1914, österreichischer Geologe, Professor in Wien. «Das Antlitz der Erde» erschien in drei Bänden in den Jahren I885- 1909.

bei der Charakterisierung der griechischen Kunst: Siehe vor allem den Vortrag vom 24. Januar i9I7. abgedtuckt unter dem Titel «Griechische und Römische Plastik - Renaissance-Plastik» in «Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse>, GA Bibl. - Nr.292.

78 Franz Brentano, i838-i9i7, katholischer Priester, 1873 aus der Kirche ausgetreten, dann Professor für Philosophie in Wien.

« Von Seelenrätseln» (19 i 7), GA Bibl. - Nr. 2 i. Es gliedert sich in die Teile: Anthropologie und Anthroposophie / Max Dessoir über Anthroposophie / Franz Brentano, ein Nach- ruf / Skizzenhafte Erweiterungen.

Max Dessoir, i867-i947, Professor für Philosophie in Berlin.

79 eine Abhandlung ... über das Genie: Franz Brentano (i838-i917) Philosoph. «Das Genie», Vortrag, gehalten im Saale des Ingenieur- und Architektenvereins in Wien. Erschien gedtuckt I892 in Leipzig.

83 Woodrow Wilson: Siehe Hinweis zu S.45.

84 eine ganz neue Wissenschaft: Eugenetik: Üblicher ist die Bezeichnung «Eugenik>. Sie wurde schon durch Francis Galton (i822-i9ii) begründet in einer Artikelserie «Hereditary Talent and Genius», die I865 erschien.

85 der Sohn Darwins: Leonard Darwin, I850-I943. war I9I1-I928 Vorsitzender der «Eugenics Education Society», veröffentlichte I926 das Buch «The Need for Eugenic Reform>.

87 zu höchster Geistigkeis kommen kann: ln der Ausgabe von i94i sind an dieser Stelle die folgenden Sätze eingeschoben: «Es ist begreiflich, daß bei dem heute allgemein herrschenden

256

Materialismus der Menschen für solche Dinge kein Verständnis vorhanden ist. Dennoch müssen sie gesagt werden, denn sie sind Realitäten, und es wird sich in der Zukunft zeigen, daß alle diejenigen Bestrebungen, die nicht aus dem Geiste stammen, nicht zum Heil, sondern nur immer mehr in das Chaos hineinführen werden. Mit diesen Tatsachen muß gerechnet werden.>

Diese Worte sind im Stenogramm nicht enthalten und vermutlich durch einen Irrtum an diese Stelle geraten.

87 Solch ein Buch: De Loosten (Dr. Georg Lomer), , Bamberg I905. Ferner: Emil Rasmussen, so haben wfrji die verchiedensten Abhandlungen: Paul Möbius (I853-I907) «Goethe>, 2 Bde., Leipzig I903; «Nietzsche», Leipzig 1904; , Leipzig 1904; «Über Scheffels Krankheit», Halle 1907.

89 Ricardä Huch: Siehe Hinweis zu S. 71.

93 in meinem demnächst erscheinenden Buch: . Siehe Hinweis zu S.78.

95 ich habe därüber schon im voflgen jahre gesprochen: Z. B. in dem Vortrag vom 21. Oktober 1916. in «Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit>, GA Bibl.-Nr. i7i, 1964. 5.285-293.

100 Das erzählt Horaz: Die Geschichte wird auch von Plutarch im «Leben des Kimon>, Kap. 18, erzählt.

Ich könnte Ihnen Bücher vorweisen: In der Bibliothek Rudolf Steiners befindet sich z. B. das Buch: Max Kemmerich, «Prophezeiungen, alter Aberglaube oder neue Wahrheit», München i9ii, in dem Prophezeiungen aufgezählt werden, die in Erfiillung gegangen sind.

101 Numa Pompilius: Siehe Titus Livius «Römische Geschichte>, i. Buch, Kap. 19.

Peter Rosegger, i 843 - 19 I 8, steirischer Erzähler.

104 «Die chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz anno 1459»: Siehe Hinweis zu S. 32. jakob &hme: Siehe Hinweis zu S. 28.

104/5 Saint-Marrin ... fußt)a ganz auf jakob Böhme: Louis Claude de Salnt-Martin, i743-i803. lernte noch in seinem 50. Lebensjahr Deutsch, umJitkob Böhmes Schriften ins Französische übertragen zu können. «Des erreurs et de la verite ou les hommes rappeles au principe universel de la science par un Ph(ilosophe) inc(onnu)>, i775. Deutsch von Matthias Claudius i 782. Eine Neuausgabe erschien 1925 in Der Kommende Tag A.G.. Verlag, Stuttgart.

105 worauf etwa die Bibel deutet: Genesis, 6,2.

106 weil ein gewisser Pfarrer: Vergleiche zu dem im folgenden Gesagten die ausführlicheren Darstellungen in «Notwendigkeit und Freiheit im Weltengeschehen und im menschlichen Handeln», GA Bibl.-Nr. I66, 1960, S. 16; und , GA Bibl.-Nr. i67, 1962, S. 92.

257

106 eine Strophe von Matthias Claudius: Es handelt sich um das bekannte Abendlied von Matthias Claudius. 1740-1815, «Der Mond ist aufgegangen>, 3. und 4. Strophe.

110 Herman Grimm, i828-1901, Kulturhistoriker. «Goethe>, 2 Bde. 1877; , 1872, vervollständigte 2. Ausgabe 1886.

gerade in diesen Wochen: Anspielung auf die Feiern zum 400. Jahresfest der Reformation. Am 31. Oktober 1517 begann die Reformation mit dem Anschlag der 95 Thesen Martin Luthers in der Schloßkirche zu Wittenberg.

112 Ricarda Huch: Siehe Hinweis zu S. 71.

114 den ersten Teil meiner Abhandlung: Siehe Hinweis zu S. 32.

115 eine kurte Stelle in diesem Auftatz: S. 343 in «Philosophie und Anthroposophie>, GA Bibl.-Nr.35. i965.

120 ein gewisser Rektor Grimm: Die Erzählung ist enthalten in «Johann Gottftied Herder`s Lebensbild», herawgegeben von seinem Sohne, 1. Band, S. 39. Daselbst auch eine nähere Charakterisierung der durch den Rektor Grimm ausgeübten Erziehungspraxis.

123 von dem ich letzthin gesprochen habe: Siehe 4.Vortrag dieses Bandes.

131 Ein Philosoph der Gegenwart: Es handelt sich um Henri Lichtenberger, 1864-1941.

133 Das da draußen stehende Haus: Haus Duldeck, gebaut nach einem Modell von Rudolf Steiner.

134 Der nordische Schnftsteller Kjellen: Rudolf Kjellen, 1864-1922, schwedischer Historiker und Staatsmann. «Der Staat als Lebensform>, Leipzig 1916.

135 Albert Schäffle, 1831-1903, Soziologe und Staatsmann, österreichischer Handels- minister. «Bau und Leben des sozialen Körpers», 1875-78 Tübingen, 4 Bde. «Die Aussichtslosigkeit der Sozialdemokraue», 1885.

Hermann Bahr: Siehe Hinweis zu S. 47. «Die Einsichtslosigkeit des Herrn Schäffle>, Zürich 1886.

142 Ich habe ... im vongenjahre ... gesprochen: Im Vortrag vom 24. September 1916, abgedtuckt als fünfter Vortrag in «Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit>, GA Bibl.-Nr.171.

143 Solowiew, der ja jetzt bequem gelesen werden kann: Wladimir Solowiew, 1853-1900, russischer Philosoph und Dichter. Seine Ausgewählten Werke wurden durch Harry Köhler ins Deutsche übertragen. Der i. Band erschien 1914 in Jena.

144 Mr. Wilson: Siehe Hinweis zu S.45.

146 worauf ich vor längerer Zeit auch schon hier aufmerksam gemacht habe: Über die dem Weltkrieg zugrundeliegende Gegensätzlichkeit zwischen Ost und West sprach Rudolf Steiner nach Kriegsausbtuch verschiedentlich. Siehe z. B. (Februar 1915), Einzelausgabe Dornach 1944; und «Das intime Element der mitteleuropäischen Kultur und das mitteleuropäische Streben» (März 1915), enthalten in «Das Geheimnis des Todes>, GA Bibl.Nr.159.

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146 Da stand im Vorigen jahr hier auf der Tafel: Siehe Hinweis zu S. 12.

Mrs. Besant: Annie Besant, 1847-1933, Präsidentin der Theosophischen Gesellschaft.

151 Henry Lichtenberger, 1864-1941.

155 Tyndall oder Huxley, Haeckel.` John Tyndall, 1820-1893, englischer Physiker und Naturphilosoph; Thomas Huxley, 1825-1895, Naturforscher, Freund und Anhänger von Charles Darwin - Ernst Haeckel: Siehe Hinweis zu S. 25.

160 Solowiew: Siehe Hinweis zu S. 143.

in den Zyklen und Vorträgen... über die Bestimmung des russischen Volksgeistes:

166 «Dreizehnlinden» von Wilhelm Weber: Friedrich Wilhelm Weber, 1813-1894, westfälischer Dichter. «Dreizehnlinden», ein Epos, das die Zeit der Sachsenbekehtung dar- stellt, erschien 1878.

169 David Friedrich Strauß, 1808-1874, Philosoph und Theologe. , 1835/36. «Der alte und der neue Glaube>, 1872.

um derentwillen Nietzsche das Buch geschrieben hat: «David Friedrich Strauß, der Bekenner und Schriftsteller» bildet das erste Stück des. Buches «Unzeitgemäße Betrachtungen», Leipzig 1873.

im öffendichen Vortrage: Vortrag vom I9. Oktober 1917 in Basel, bisher ungedtuckt. Vorgesehen in Bibl. -Nr.72 der Gesamtausgabe .

170 nsch dem Beispiel, des ich Ihnen neulich einmal vorgeführt habe: Im 6. Vortrag, Seite 100.

172 der Pmfessor Dewar: James Dewar, 1842-1923, englischer Physiker und Chemiker.

(In früheren Auflagen war an dieser Stelle irrtümlich Prof. Drews, 1865-1935, genannt.)

182 in den öffentlichen Vorträgen in Basel: Die beiden (noch ungedtuckten) Vorträge vom I8. und I9. Oktober 1917. Siehe dritter Hinweis zu S. 169.

188 Brehms «Tierleben»: Alfred Brehm, 1829-1884, Forschungsreisender und Zoologe. Sein «Illustriertes Tierleben» erschien in zehn Bänden 1876 bis 1879 in zweiter Auflage. Die folgenden Auflagen wurden von anderen Autoren überarbeitet, wobei die bildhafren Erzählungen, auf die Rudolf Steiner hinweist, immer mehr durch Ausführungen ersetzt worden sind.

192 Ich habe schon einmal hier hingewiesen: Im Anhang (bisher ungedtuckt) zum Vortrag vom 6. August 1916. dem 5.Vortrag aus «Das Rätsel des Menschen>, GA Bibl.-Nr. 170.

193 unseres Freundes: Dr. Roman Boos, 1889-1952, Sozialwissenschafter, Schriftsteller und Redner; Vertreter der Anthroposophie und später der Dreigliederungsidee Rudolf Steiners; Leiter der sozialwissenschaftlichen Vereinigung am Goetheanum in Dornach.

über den Gesamtarbeitsvertrag.- «Der Gesamtarbeitsvertrag nach Schweizerischem Recht». München und Lei~zi~ 19I(

259

193 « Wissen und Leben»: Schweizerische Halbmonatsschrift, redigiert durch Alb. Baur, erschien unter diesem Titel 1907-25.

über «Die Kernfragen der Schweizer-Politik»: Der Aufsatz wurde später von Roman Boos wieder abgedruckt in seinem Buch «Michael gegen Michel>, Basel 1926, S. 3647.

i94 Adolf Kelle r, geb. 1872, protestantischer schweizerischer Theologe, Professor in Genf und Zürich.

208 Wie oft habe ich auf däs Gespräch zwischen Goethe und Schiller hingewiesen: Z. B. in dem Buche «Goethes Weltanschauung», GA Bibl.-Nr.6, im 1. Kapitel «Goethe und Schiller». Goethes Bericht über dieses Gespräch ist abgedruckt in «Goethes Naturwissenschaftliche Schriften», herausgegeben und kommentiert von Rudolf Steiner 1884- 1897 in Kürschners «Deutsche National-Litteratur>, 5 Bände, Nachdruck Dornach i975, GABibl.-Nr.ia-e, i.Bd.. S.108ff.

220 Ich habe Ihnen gesagt: Siehe 5.90 in diesem Band.

Ich habe Sie därauf hingewiesen: Siehe S. 87 in diesem Band.

221 Ich habe schon im voflgen jahre auf diese Ssche hingewiesen: Siehe «Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu Goethes », Band l, GA Bibl.-Nr.272.

222 OswaldMarbsch, i810-i890, Professor der Technologie in Leipzig, Dichter und Schriftsteller; Leiter der Freimaurer-Loge «Balduin zur Linde>. «Goethes Faust, Teil I und ll erklärt», i88i.

226 «Die okkulten Grundlagen der Bhagavad Gita», GA Bibl.-Nr. 146. Die Ausführungen über Wilson finden sich dort im 5. Vortrag.

227 in meinen Wiener Vorträgen: Siehe Hinweis zu S. 10/ ii.

234 Ich habe Sie ... schon auf eine wichtige Tatssche aufmerksam gemscht: Im 5.Vortrag, S.8i.

236 Erinnern Sie sich an etwas: siehe den 2.Vortrag, S. 34-38.

lloyd Geo,ge: Siehe Hinweis zu S. 37.

238 Fritz Mauthner 1849-i923, «Wörterbuch der Philosophie, neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache». 2 Bände, 1910/ 11. Dar Satz über Darwin findet sich innerhalb des Artikels «Geschichte» und lautet wörtlich: «Nicht wie Darwin die Teleologie vernichtet hat, wird bleiben; aber daß er ohne die Teleologie die Natur begreifen wollte, der Erste, das kann nicht vergessen werden.»

241 Ferdinand Lasalle. 1825-1864.

Karl Marx, 1818-1883.

244 Das können Sie aus der Wortgeschichte verfolgen: Siehe z. B. in dem deutschen Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm. 4. Band, 2. Teil, S. 3857-3865; oder in: Trübner, Deutsches Wörterbuch, Band 3. S. 123.

260

245 Das Bienenbuch von Maeterlinck: Maurice Maeterlinck, 1862-1949, belgischer Dichter und Schriftsteller. «La vie des abeilles>, 1901. Er schrieb später noch: «La vie des termites», 1926, und «La vie des fourmis>, 1930.

248 Francis Delaisi, geb. 1873, französischer Sozialwissenschafter und Schriftsteller.

249 Alexandre Millerand, 1859-1943, war der erste Sozialist, der in einer französischen Regierung einen Ministerposten bekleidete. 1899-1902 Handelsminister, später Minister der öffentlichen Arbeiten, dann Kriegsminister.

250 Raymond Poincaré, 1860-1934. Präsident der französischen Republik 1913 bis 1920; betrieb eine stark deutschlandfeindliche Politik.


261

PERSONENREGISTER

* = ohne Namensnennung im Text

Andreae, Johann Valentin 35ff
Augustinus 88f

Bahr, Hermann 51f, 59, 144f
Bartels, Adolf 51f*, 59*
Besant, Annie 156f.
Böhme, Jakob 32,112,190
Boos, Roman 207f., 211
Brehm, Alfred 203, 262
Brentano, Franz 84ff.

Calvin, Johannes 88
Claudius, Matthias 113

Darwin, Charles 92, 224, 256
Darwin, Leonard 92
Delaisi, Francis 265ff.
Dessoir, Max 85
Dewar, James 165, 184

Edison, Thomas Alva 68

Freytag, Gustav 177

Galilei, Galileo 105, 181
Goethe, Johann Wolfgang von 68, 94,
223, 224, 237, 239ff., 245f.
Grimm, Herman 118
Gysi, Alfred 193f.

Haeckel, Ernst 28, 165, 180
Herder, Johann Gottfried 129
Heyse, Paul 177
Horaz 107
Huch, Ricarda 76ff., 96, 120
Huxley, Thomas Henry 165

Ignatius von Loyola 51

Keller, Adolf 208ff.
Kepler, Johannes 181
Kjellen, Rudolf 143ff.
Kopernikus, Nikolaus 105, 181

Lassalle, Ferdinand 259

Leonardo da Vinci 67
Lichtenberger, Henri 140ff.:!", 161
Lloyd George, David 41, 253
Lomer, Georg (De Loosten) 94*
Luther, Martin 59, 118ff., 125

Maeterlinck, Maurice 263
Marbach, Oswald 239, 245f.
Marx, Karl 259
Mauthner, Fritz 256
Meyer, Conrad Ferdinand 94, 237
Millerand, Alexandre 267

Nietzsche, Friedrich 79, 80, 94, 180,
237
Numa Pompilius 109,112

Poincare, Raymond 267f.

Ranke, Leopold von 169
Rasmussen, Emil 94*
Riggenbach, E. 113*
Rosegger, Peter 109

Saint-Martin, Louis Claude de
112ff., 190
Schäffle, Albert 144f., 147
Scheffel, Viktor von 94, 237
Schiller, Friedrich von 223
Schopenhauer, Arthur 237
Seiling, Max 59*
Solowjow, Wladimir 152, 170ff.
Spielhagen, Friedrich 177
Stepun, Fedor 171*
Strauß, David Friedrich 180
Suchomlinow, Wladimir Alexandrowitsch 21
Sueß, Eduard 83, 86

Rudolf Steiner
Schriften:
- Geheimwissenschaft (GA 13) 82,
162, 199
- Die geistige Führung des Menschen
und der Menschheit (GA 15) 248
- Rätsel der Philosophie (GA 18) 82

262

- Von Seelenrätseln (GA 21) 100,
270
- Chym.Hochzeit Chr.Rosenkreutz
(in GA 35) 35, 123, 271
Vorträge
- Inneres Wesen (GA 153) 13, 244
- Die okkulten Grundlagen der Bhagavad
Gita (GA 146) 243
- Basel 18. Okt. 1917 (in GA 72)
191, 197, 205
- Basel 19. Okt. 1917 (in GA 72)
180, 197
- Ergänzung heutiger Wissenschaften

durch Anthroposophie (GA 73) 193, 229

Tyndall, John 165

Unger, Carl 271

Waller, Mieta 63
Weber, Wilhelm 177
Wilson, Woodrow 37, 49, 90, 109,
154, 243f.
Windelband, Wilhelm 171*
Wolfram, Elise 271
Wohlbold, Hans 271

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.