GA 141

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Das Leben zwischen dem Tode
und der neuen Geburt
im Verhältnis
zu den kosmischen Tatsachen

Zehn Vorträge, gehalten in Berlin
zwischen dem 5. November 1912 und 1. April 1913

GA 141

1964

Inhaltsverzeichnis


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ERSTER VORTRAG Berlin, 5. November 1912

Es erfüllt mich mit Befriedigung, daß ich am heutigen Abend nach verhältnismäßig langer Zeit an diesem Orte wieder zu sprechen in der Lage bin. Diejenigen von Ihnen, die unsere diesjährige Münchener Veranstaltung mitgemacht haben, oder sich in einer anderen Weise Kenntnis von dem verschafft haben, was zu dem Inhalte der vorherigen Veranstaltungen durch meinen Versuch eines Mysteriums, genannt «Der Hüter der Schwelle», hinzugefügt werden durfte, haben sehen können, wie die Seele sich verhalten muß, wenn sie eine wahre, eine inhaltsvolle Vorstellung von mancherlei gewinnen will, wovon man ja in der Geisteswissenschaft, oder sagen wir im Okkultismus, viel spricht.

Wir haben im Laufe der Jahre über jene Wesenheiten, die wir mit dem Namen der luziferischen und der ahrimanischen Wesenheiten bezeichnen, verschiedenes gesprochen. Daß die Charakterstimmung dieser Wesenheiten sich erst ergibt, wenn wir uns langsam und allmählich von den verschiedensten Seiten her diesen Wesen nähern, das sollte gerade in dem «Hüter der Schwelle» gezeigt werden. Daß es nicht ausreicht, einen leichten Begriff von diesen Wesenheiten sich zu machen - etwa einen Begriff, der ähnlich ist dem, was der Mensch so gern hat, nämlich einer gewöhnlichen Definition -, sondern daß man nötig hat, von den verschiedensten Seiten her zu betrachten, wie diese Wesenheiten in das menschliche Leben eingreifen, das sollte gezeigt werden. Und Sie werden gerade auch aus diesem Versuche etwas mit von dem gewinnen können, was durch viele Jahre den Grundton gerade auch derjenigen Vorträge gebildet hat, die ich hier halten durfte, jenen Grundton, den ich mir jetzt schon öfter zu bezeichnen gestattete mit den Worten der absoluten Wahrhaftigkeit gegenüber den geistigen Welten, oder auch als den Ton eines hohen Ernstes gegenüber diesen geistigen Welten. Es ist dies um so mehr in unserer Gegenwart zu betonen, als ja doch der Ernst, die Würde des im wah­ren Sinne des Wortes so zu nennenden anthroposophischen Strebens noch gar wenig eingesehen wird. Und wenn ich in den verschiedenen

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Vorträgen der Jahre eines habe hauptsächlich durchschimmern lassen wollen, so ist es dies: Daß Sie den Versuch machen wollen, wirklich mit diesem Geiste des Ernstes und der Wahrhaftigkeit allein an das anthroposophische Streben heranzugehen und sich bewußt zu werden, was das anthroposophische Streben bedeutet im Gesamtinhalte des Weltenseins, im Inhalte der menschlichen Entwickelung und auch in dem geistigen Inhalte unserer Zeit. - Nicht oft genug kann man es sagen: In das Anthroposophische kann man sich nicht mit wenigen Begriffen, nicht mit einer etwa in kurzen Sätzen zusammengefaßten Theorie oder gar mit einem Programm hineinhnden; in das wahrhaft Anthroposophische kann man sich nur hineinhnden mit dem ganzen Leben seiner Seele. Leber aber ist Werden, ist Entwickelung. Und wenn dagegen gefragt werden könnte: Wie soll sich denn der Einzelne dann einer anthroposophischen Bewegung anschließen, wenn gleich die Forderung der Entwickelung, des Werdens aufgestellt werde, wenn gesagt wird, man könnte nur im Laufe der Zeit langsam und allmählich in das hineinkommen, was in den Tiefen dessen enthalten ist, das man in Wahrheit Anthroposophie nennt, wie kann dann der Einzelne sich entschließen, in dasjenige hineinzugehen, in das er sich erst nach und nach hineinentwickeln soll? - so muß darauf erwidert werden: Bevor der Mensch etwa zu dem höchsten Gipfel einer Ent­wickelung aufsteigen kann, hat er das, was die ganze Menschheit überhaupt nach dem Streben einer solchen Entwickelung geführt hat, hat er den Sinn für die Wahrheit in seinem Herzen, in seiner Seele, und er braucht sich diesem Sinn für die Wahrheit nur vorurteilslos, aber mit dem Willen zur Wahrheit hinzugeben, nicht mit dem Willen zur Eitelkeit einer Theorie, nicht mit dem Willen zum Hochmut eines Programmes, wohl aber mit dem Willen zur Wahrheit, der tief in der Seele sitzt, wenn er nicht durch allerlei Vorurteile beirrt ist. - Man darf sagen: Man verspürt die Wahrheit da, wo sie aufrichtig fließt. -Daher ist eine aufrichtige Kritik der Wahrheit auch schon möglich, wenn man erst im Anfange ihres Erlangens steht. Das aber schließt nicht aus, daß man eben in dem die Hauptsache sieht, sich hinein­zuleben in das ganze Werden, in die ganze Entwickelung des anthroposophischen Strebens.

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In unserer Zeit ist nun wahrhaftig gar vieles, was den Menschen beirrt in bezug auf das naturgemäße, in seiner Seele ja sonst vor­handene Wahrheitsgefühl, und wir haben auf solche beirrende Mo­mente im Verlaufe der Jahre vielfach hinweisen können; ich brauche es heute nicht wieder zu tun. Was ich gesagt habe, habe ich zu Ihnen aus dem Grunde gesprochen, weil ich dadurch die Tatsache belegen möchte, daß es immer wieder und wieder notwendig ist - auch wenn wir in einer gewissen Weise schon das eine oder das andere aus der okkulten Wissenschaft erkannt haben -, von neuen und neuen Seiten und Gesichtspunkten aus an die Dinge heranzutreten, sie immer wie­der und wieder zu betrachten. Dafür gibt uns ja gewissermaßen das­jenige einen Anhalt, was uns auf dem Felde der Anthroposophie be­gegnen kann, zum Beispiel gegenüber den vier Evangelien. Ich durfte in diesem Herbste die Betrachtung über die Reihe der Evangelien in Basel mit einem Vortragszyklus über das Markus-Evangelium ab­schließen. Man möchte gerade in der Betrachtung der Evangelien, deren es ja vier gibt, sozusagen ein Musterbeispiel sehen des Heran­kommens von verschiedenen Seiten an die großen Wahrheiten des Daseins. Jedes Evangelium gibt Gelegenheit, das Mysterium von Golgatha von einer anderen Seite aus zu betrachten, und wir können über das Mysterium von Golgatha erst einigermaßen etwas wissen, wenn wir es von diesen vier verschiedenen Seiten her betrachten, die sich uns an der Hand der Betrachtung der Evangelien ergeben.

Wie war denn beispielsweise in den letzten zehn bis zwölf Jahren der Geist unserer Betrachtungen in bezug auf diesen einen Punkt?

Diejenigen von Ihnen, die in diesem Punkte klar sehen werden oder wollen, brauchen nur mein Buch «Das Christentum als mystische Tat­sache» zur Hand zu nehmen, dessen Inhalt noch vor der Begründung der «Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft» vor­getragen worden ist. Wer das dort Ausgesprochene im Ernst be­trachtet, wird sehen, daß darin im Grunde genommen schon alle die Dinge restlos enthalten sind, die dann später in Aniehnung an die verschiedenen Evangelien besprochen worden sind, und daß das ganze Mysterium von Golgatha, wie es im Laufe der Jahre vor­getragen worden ist, schon in diesem Buche enthalten ist. Aber nichts

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wäre unberechtigter gewesen, als etwa zu glauben, daß man nun, wenn man das wisse, was in diesem Buche «Das Christentum als mystische Tatsache» steht, auch eine für die Gegenwart hinreichende Vorstellung von dem Mysterium von Golgatha habe. Die ganzen darauf folgenden Ausführungen waren eben notwendig, die in der­selben Linie laufen, die ganz konsequent sich aus dem Embryo dieser geistigen Betrachtung ergeben haben, die in keinem Punkte mit die­sem «Christentum als mystische Tatsache» in Widerspruch stehen, aber geeignet waren, immer neue und neue Betrachtungsweisen über das Mysterium von Golgatha zu eröffnen und dadurch immer tiefer und tiefer in dasselbe einzudringen. Dadurch versuchten wir an die Stelle von Begriffen, Theorien und Programmen das unmittelbare lebendige Hineinleben in die spirituellen Tatsachen zu setzen. Und wahrhaftig, wenn man bei alle dem doch immer das Gefühi eines gewissen Mangels hatte - nämlich, daß man nicht immer alles Not­wendige geben kann -, so hängt dieser Mangel eigentlich mit etwas zusammen, was auf dem physischen Plan nicht zu ändern ist: mit der Zeit. Es ist eben nicht möglich, alles, was zu sagen ist, in einer be­stimmten Zeit zu geben. Daher wurde immer eine Voraussetzung so­zusagen an Ihr Gemüt gemacht: die Voraussetzung, Geduld zu haben und abzuwarten, wie nach und nach die Dinge herauskommen. Das soll uns ein Hinweis darauf sein, wie wir auch die Dinge aufzufassen haben, welche ich nun in den nächsten Zeiten zu Ihnen sprechen darf.

Über das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt haben wir im Laufe der Jahre viel gesprochen, und doch soll es sich im wesentlichen in den nächsten Vorträgen hier wieder um dieses Gebiet handeln - aus dem Grunde, weil an mich gerade im Laufe des Som­mers und Herbstes die Aufgabe herangetreten ist, dieses Gebiet neuerdings spirituell zu durchforschen und auch einen Gesichtspunkt bloßzulegen, der eben früher nicht berührt werden konnte. Manches auch von dem kann jetzt erst ins Auge gefaßt werden, was die tiefe moralische Bedeutung der auf dieses Gebiet bezüglichen übersinn­lichen Wahrheiten uns vorführt. Neben allen übrigen Voraussetzun­gen, die jetzt nur kurz angedeutet worden sind, ist ja allerdings inner­halb unserer Bewegung auch immer die andere Voraussetzung gemacht

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worden, eine Voraussetzung, die, man möchte sagen, in unserer so hochmütigen und eitlen Zeit viele Herzen geradezu ver­letzt. Aber da man sich durch eine solche Tatsache nicht von dem Ernste und der Wahrhaftigkeit abhalten lassen kann, die wir unserer Bewegung schuldig sind, so muß eben diese Voraussetzung gemacht werden. Diese Voraussetzung besteht darin, in intimer und ernster Arbeit wirklich lernend und sich darauf einlassend, auf das einzu­gehen, was aus den spirituellen Welten herausgeholt wird. Wir dürfen sagen, daß seit einer Reihe von Jahren das Verhältnis der auf dem physischen Plan lebenden Menschen zu den spirituellen Welten anders geworden ist, als es zum Beispiel fast das ganze 19. Jahrhundert hin­durch war. Bis in das letzte Drittel des 19.Jahrhunderts, ich habe darauf schon hingewiesen, war wenig Zugang zu den spirituellen Welten; es floß, nach den Notwendigkeiten der Menschheitsent­wickelung, wenig in die Menschenseele hinein an Inhalt aus den geistigen Welten. Jetzt aber leben wir in einem Zeitalter, in welchem die Seele nur empfänglich zu sein braucht, sich nur hinzugeben und vorbereitet zu sein braucht, damit ihr die Offenbarungen aus den spirituellen Welten zufließen können. Und immer empfänglicher und empfänglicher werden einzelne Seelen, für die, indem sie sich ihrer Zeitaufgabe bewußt sind, das Hereinströmen der spirituellen Er-kenntnisse eine Tatsache ist. Daher ist eine weitere Forderung für den Anthroposophen, sich nicht gegen das zu verschließen, was auf irgendeine Weise in der Gegenwart aus den spirituellen Welten in die Seele hereinfließen kann. Bevor ich auf das eingehe, was also den hauptsächiichsten Gegenstand unserer nächsten Betrachtungen bilden wird, möchte ich auf zwei Eigentümlichkeiten des spirituellen Lebens hinweisen, die wir ganz besonders beachten sollen.

Der Mensch durchlebt schon zwischen dem Tode und der neuen Geburt in einer ganz bestimmten Weise die Tatsachen der geistigen Welt. Er erlebt sie aber auch durch die Initiation; er erlebt sie auch, wenn er die Seele vorbereitet hat, eben schon während seines Daseins im physischen Leibe, indem er so Teilnehmer wird an den geistigen Welten. Über diese Dinge haben wir oft gesprochen. Daher kann man sagen: Was zwischen dem Tode und der neuen Geburt geschieht und

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was eben auch ein Durchieben der geistigen Welt ist, das ist an­zuschauen durch die Initiation.

Nicht nur zum Erleben der geistigen Welten, sondern auch zum richtigen Verstehen, zum richtigen Sich-Hineinfinden in die Mit-teilungen aus der geistigen Welt gehört die Beachtung von zweierlei, das sich im Grunde genommen aus mancherlei ergibt, was hier oft besprochen worden ist. Daß es anders in den geistigen Welten aus­sieht als hier in der physischen Welt, daß die Seele in eine Sphäre kommt, wenn sie in die geistigen Welten eintritt, in der sie sich an vieles gewöhnen muß, was geradezu entgegengesetzt ist den Dingen der physischen Welt, das ist oft betont worden. Und da sei auf eines aufmerksam gemacht. Hier auf dem physischen Plan müssen wir Menschen, wenn in der physischen Welt etwas durch uns geschehen soll, tätig sein, müssen unsere Hände rühren, müssen uns bewegen, müssen sozusagen von einem Orte zum andern unseren physischen Leib tragen. Damit also in der physischen Welt etwas durch uns ge­schieht, ist unsere Tätigkeit, ist unser handelndes Eingreifen in die Dinge notwendig. Das genaue Gegenteil davon ist notwendig, ich spreche immer vom heutigen Zeitenzyklus, für die geistigen Welten. Was in den spirituellen Welten durch uns geschehen soll, das muß gerade geschehen durch unsere Ruhe, durch unsere Gemütsruhe. Dem, was geschäftiges Treiben auf dem physischen Plan ist, entspricht in der geistigen Welt das gemütsruhige Abwartenkönnen der Ereignisse. Je weniger wir uns auf dem physischen Plane bewegen, desto weniger geschieht durch uns; je mehr wir uns aber bewegen, desto mehr kann geschehen. Je ruhiger wir in unserer Seele werden können, je mehr wir auf alle Geschäftigkeit in unserem Innern verzichten können, desto mehr kann durch uns in der spirituellen Welt geschehen. Damit durch uns in der spirituellen Welt etwas geschieht, ist es notwendig, daß wir in der Lage sind, dieses Geschehende als etwas betrachten zu können, womit wir begnadet werden, womit wir in einer gewissen Weise gesegnet werden, was sich so ergibt, daß es sich uns nähert, indem wir es verdienen durch unsere Gemütsruhe. Es sei ein Beispiel angeführt.

Ich habe hier öfter darauf hingewiesen, daß das Jahr 1899 für den,

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der spirituelle Erkenntnisse hat, ein wichtiges Jahr war. Es ist der Ablauf gewesen einer fünftausendjährigen geschichtlichen Mensch­heitsperiode, des sogenannten kleinen Kali Yuga. Nach diesem Jahre sind die Seelen der Menschen in die Notwendigkeit versetzt, in anderer Art das Spirituelle an sich herankommen zu lassen als vor dieser Zeit. Um ein konkretes Beispiel zu haben: Ein gewisser Norbert hat um die Wende des 12. Jahrhunderts herum im Abendlande einen Orden gestiftet. Dieser Norbert war, bevor ihm die Idee aufgegangen ist, den Orden zu stiften, man könnte fast sagen, ein leichtlebiger Mensch, ein Mensch voller Leidenschaft und Weltlust. Da trug sich mit ihm eines Tages etwas ganz Besonderes zu. Er wurde vom Blitz getroffen. Der tötete ihn nicht, sondern veränderte seine ganze Wesenheit. Solcher Beispiele gibt es viele in der Menschheitsentwicke­lung. Der ganze Mensch wurde umgewandelt; die Zusammen-fügung der vier Glieder: physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich erfuhr eine Änderung durch dieses Durchschlagen der Kraft, die im Blitze war. Dann hat er den betreffenden Orden gegründet. Und wenn auch der Orden, wie so viele Orden, nicht das gehalten hat, was sein Begründer wollte, so hat er doch damals in vieler Beziehung sein Gutes gestiftet. Das ist öfter geschehen, daß ein, wie der heutige Mensch sagt, Zufall eintrat. Es ist aber kein Zufall; es ist ein im Weltenkarma herbeigeführtes Ereignis. Der Mensch war dazu aus­ersehen, etwas Besonderes zu tun. Daher sollten die Bedingungen in seiner Leiblichkeit hergestellt werden, daß er das tun konnte. Das war notwendig als ein äußeres Ereignis, als ein mehr äußerer Ein­fluß. - In dieser Beziehung ist das Grenzjahr 1899 dasjenige gewesen, nach welchem immer mehr und mehr auf die Seelen solche Einflüsse rein innerlich geschehen müssen, die nicht von außen in so erheb­lichem Maße kommen können. Nicht als ob ein schroffer Übergang kommen müsse, aber es ist doch so, daß das, was von heute ab auf die Menschenseelen wirken wird, immer innerlicher und innerlicher wir­ken wird. Sie erinnern sich, was ich darüber sagte, wie Christian Rosenkreutz auf die menschliche Seele wirken sollte, wenn er sie be­rufen wollte, und wie dies eine mehr innerliche Berufung ist. Vor diesem genannten Jahre mußten diese Berufungen mehr durch äußere

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Ereignisse herbeigeführt werden; nach diesem Jahre werden sie immer innerlicher und innerlicher. Immer innerlicher wird der Ver­kehr der Menschenseelen mit den höheren Hierarchien werden, und immer mehr und mehr wird sich der Mensch anstrengen müssen, gerade durch das Innere, durch die tiefsten und intimsten Kräfte seiner Seele den Wechselverkehr mit den Wesenheiten der höheren Hierarchien zu unterhalten.

Was ich Ihnen jetzt charakterisiert habe wie einen Einschnitt im Leben des physischen Planes, dem entspricht aber in der geistigen Welt - sichtbar für den, der einen Einblick in die spirituellen Welten haben kann - dort vieles, was sich zwischen den Wesenheiten der höheren Hierarchien abgespielt hat. Dinge, welche die Wesenheiten der höheren Welten untereinander zu verrichten haben, sind ganz besonders in diesem Zeitpunkte geschehen. Aber eine Eigentümlich­keit bestand für diesen Zeitpunkt. Die Wesenheiten, welche in den spirituellen Welten das bewirken mußten, daß das Ende des Kali Yuga eintrat, brauchten etwas von unserer Erde, etwas, was auf unserer Erde geschah. Sie brauchten die Tatsache, daß in einzelnen Seelen, die reif dazu waren, ein Wissen vorhanden war von diesen Sachen, oder wenigstens, daß jetzt ein Wissen vorhanden ist, daß Vorstellungen über diesen Umschwung in den Seelen leben. Denn wie der Mensch auf dem physischen Plane ein Gehirn braucht, um ein Bewußtsein zu entwickeln, so brauchen die Wesenheiten der höheren Hierarchien menschiiche Gedanken, in denen sich die Dinge spiegeln, welche die höheren Hierarchien tun. Die Menschenwelt ist notwendig auch für die geistige Welt; sie wirkt mit, sie muß da sein. Aber es muß in der richtigen Weise mitgewirkt werden. Und die, welche dazumal reif waren oder heute reif sind, um an diesen Dingen von der Mensch­heitsseite her mitzuwirken, die durften nicht, oder dürfen nicht für das, was in der geistigen Welt geschehen soll, etwa auf dem physischen Plane eine Propaganda entwickeln, wie man sie auf diesem gewohnt ist zu entwickeln. Nicht dadurch, daß wir uns sozusagen geschäftig verhalten auf dem physischen Plan, helfen wir den Geistern der höheren Hierarchien, sondern dadurch, daß wir erstens Verständnis haben für das, was geschehen soll, daß wir aber außerdem dann in

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völliger Gemütsruhe, in absolutester Sammlung unseres Seelenlebens gewissermaßen in der Lage sind, andächtig uns hinzugeben einer solchen Erscheinung der übersinnlichen Welt. Also die Ruhe, die wir bewahren können, die Stimmung, die wir uns erringen können, um so etwas in Gnaden zu erwarten, in Gnaden entgegenzunehmen, das ist das, was wir dazu beitragen können.

Somit können wir sagen, wenn auch der Ausspruch paradox klingt:

Unsere Handlungen, unsere Tätigkeit in den höheren Welten hängen ab von unserer Gemütsruhe; je ruhiger wir werden können, desto mehr kann durch uns geschehen in bezug auf die Tatsachen der höheren Welten. Daher ist es auch notwendig für die Teilnahme an einer spirituellen Bewegung, diese Stimmung, diese Gemütsruhe wirk­lich entwickeln zu können. Und das wäre im höchsten Maße gerade für die anthroposophische Bewegung zu wünschen, daß von ihren Teilnehmern diese Gemütsruhe angestrebt würde, dieses gnadenvolle Verhalten, dieses mit dem Bewußtsein der Gnade erfüllte Verhalten gegenüber den höheren Welten.

Unter den Tätigkeiten, die der Mensch auf dem physischen Plane entwickelt, finden wir eigentlich ähnliche Dinge nur etwa auf dem Gebiete des künstlerischen Schaffens oder auf dem Gebiete des wirk­lichen Erkenntnisstrebens oder der Förderung einer spirituellen Be­wegung. Derjenige Künstler schafft ganz gewiß auch nicht das Höchste, was er nach seinen Anlagen schaffen kann, der nur immer geschäftig und geschäftig sein will und nur immer die Dinge vorwärts und vorwärts bringen will, sondern der Künstler wird das Höchste schaffen, der die Augenblicke der Begnadung abzuwarten in der Lage ist und der auch schweigen kann, wenn sozusagen der Geist nicht zu ihm spricht. Und derjenige gelangt gewiß zu keinen höheren Er­kenntnissen, der mit den Begriffen, die er schon einmal hat, nun eine höhere Erkenntnis zusammenzimmern will, sondern der gelangt zu höheren Erkenntnissen, der ruhig, in voller Resignation, wenn ihm eine Frage, ein Welträtsel aufsteigt, warten kann und sich sagt: Ich muß eben abwarten, bis mir aus den geistigen Welten der Lichtstrahl der Antwort kommt. - Und der wirkt gewiß nicht richtig in einer spirituellen Bewegung, der von Mensch zu Mensch läuft und einen

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jeden so schnell als möglich überreden will, daß diese spirituelle Be­wegung das einzig Richtige sei, sondern der warten kann, bis, nach­dem die entsprechenden Seelen ihren Trieb zu den Wahrheiten der spirituellen Welt erkannt haben, diese Seelen herankommen. So ist es in bezug auf das Handeln bei demjenigen, was in unsere physische Welt hereinleuchtet, aber namentlich in bezug auf alles, was der Mensch selber in der geistigen Welt vollbringen kann. Und man möchte sagen: Auch die allerpraktischsten Dinge auf diesem spiri­tuellen Gebiet hängen ebensosehr von der Herstellung eines gewissen Zustandes der Ruhe ab.

Ich möchte nur noch auf eines aufmerksam machen. Nehmen wir die psychisch-spirituelle Heilmethode. Da ist beim spirituellen Heilen auch nicht die Hauptsache, daß man diese oder jene Bewegungen, diese oder jene Handgriffe macht. Die müssen gemacht werden -gleichsam nur als Vorbereitung. Aber alle zielen sie zuletzt daraufhin ab, Ruhe, Gleichgewicht herzustellen. Was äußerlich sichtbar wird bei einer spirituellen Heilung, ist eigentlich nur die Vorbereitung dessen, was derjenige tut, der der spirituelle Heiler ist. Was zuletzt geschieht, das ist die Hauptsache. Es ist bei einer solchen Sache so, wie wenn wir einer Waage gegenüberstehen. Wir haben zuerst auf die eine Seite irgend etwas zu legen, was wir abwiegen wollen, dann legen wir auf die andere Seite ein Gewicht; da gerät der Waagebalken in Bewegung nach rechts und links. Ablesen aber können wir das Gewicht erst, wenn Gleichgewicht hergestellt ist. So ist es in bezug auf das Handeln in den spirituellen Welten.

Anders ist es mit Bezug auf das Erkennen, das Wahrnehmen. Wie geschieht das Wahrnehmen im alltäglichen Leben des physischen Planes?

Das weiß jeder, daß, mit Ausnahme einzelner Gebiete des physi­schen Planes, die Dinge an den Menschen herankommen. Vom Mor­gen bis zum Abend kommen im wachen Tagesleben die Dinge an uns heran; von Augenblick zu Augenblick bekommen wir immer neue Eindrücke. Nur in den Ausnahmezuständen suchen wir uns die Ein­drücke auf, führen das an den Dingen aus, was die Dinge sonst aus­führen. Da geraten wir aber schon in das hinein, was Erkenntnissuchen

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ist. So ist es nicht mit den spirituellen Erkenntnissen. Bei diesen müssen wir alles, was vor unsere Seele treten soll, selber vor diese Seele hinstellen. Während all unser Tun, alles, was in der geisti­gen Welt durch uns geschehen soll, dadurch geschieht, daß wir die absoluteste Ruhe herstellen, müssen wir unausgesetzt tätig sein, wenn wir wirklich etwas in der geistigen Welt erkennen wollen. Damit hängt es zusammen, daß für manchen, der ja auch gern Anthroposoph sein möchte, dasjenige, was wir aus einer wirklichen Erkenntnis heraus hier betreiben, zu unbequem erscheint. Gar mancher sagt: Bei euch muß man ja alles erst lernen, man muß über alles erst nachdenken, muß sich mit allem beschäftigen! - Aber ohne dieses gelangt man nicht zu einem Verständnis der spirituellen Welten! Man muß seine Seele anstrengen, muß von den verschiedensten Seiten her die Dinge anschauen. Das ist es, worum es sich handelt. Begriffe, die man sich über die höheren Welten erwerben will, muß man sich in langsamer, ruhiger Arbeit erst zimmern. In der physischen Welt müssen wir, wenn wir einen Tisch haben wollen, diesen Tisch durch unsere be­wegte Arbeit herstellen. Wenn wir aber etwas in den spirituellen Welten «herstellen» wollen, dann müssen wir die Ruhe, die Art von Ruhe entwickeln, die dazu notwendig ist, daß etwas geschieht; und wenn etwas getan wird, dann tritt es aus dem Dämmerdunkel heraus. Wenn wir aber etwas erkennen wollen, dann müssen wir durch unsere volle Anstrengung die Inspirationen erst zimmern. Zum Erkennen ist notwendig eine Arbeit, eine innerlich tätige Seelenstimmung, ein Gehen von Inspiration zu Inspiration, von Imagination zu Imagina­tion, von Intuition zu Intuition. Da müssen wir alles zusammenfügen, und nichts tritt an uns heran, was wir nicht selber vor uns hinstellen, wenn wir es erkennen wollen. Also gerade im Gegensatze zu allem, was auf der physischen Welt richtig ist, sind die Dinge in der geistigen Welt.

Dies muß ich vorausschicken, damit wir uns von vornherein ein bißchen darüber einigen, wie solche Dinge erstens gefunden, zweitens aber auch verstanden werden können, wie wir sie in fernerem mitein­ander zu besprechen haben werden. Ich will in diesen Betrachtungen weniger das unmittelbare Leben nach dem Tode berühren, das wir

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unter dem Namen des sogenannten Kamaloka öfter besprochen haben - das ist Ihnen ja seinen wesentlichen Seiten nach bekannt -, wir wollen vielmehr von etwas neuen Gesichtspunkten aus die Zeiten betrachten, die, nachdem wir durch den Tod durchgegangen sind, auf unsere Zeit des Kamaloka-Lebens folgen.

Da ist es vor allen Dingen notwendig, daß wir zuerst auf die Eigen­rümlichkeit hinweisen, wie wir da überhaupt leben. Sie wissen, daß der Mensch als erste Stufe der höheren Erkenntnis das hat, was wir das imaginative Leben, wir könnten auch sagen, das Leben in wahr­haftigen, wirklichen Visionen nennen können. Während wir in der physischen Welt umgeben sind von Farben, Tönen, Gerüchen, von Geschmacksempfindungen, von Vorstellungen, die wir uns durch unsern Verstand machen, sind wir in der geistigen Welt zunächst um­geben von Imaginationen, die man ja auch Visionen nennen kann; nur müssen wir bei diesem Begriffe der Imagination, der Vision, uns klar sein, daß diese, wenn sie im geistigen Sinne richtig sind, uns nicht etwa Traumgebilde darstellen, sondern Realitäten, Wirklichkeiten. Nehmen wir einen bestimmten Fall.

Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes durchgeschritten ist, trifft er diejenigen, die vor ihm hingestorben sind und mit ihm in einer gewissen Weise im Leben zusammen waren. Wir finden uns wirklich mit den zu uns Gehörigen in der Zwischenzeit zwischen dem Tode und der neuen Geburt zusammen. Wie wir nun die Dinge in der physischen Welt wahrnehmen, indem wir ihre Farben sehen, ihre Töne hören und so weiter, so sind wir nach dem Tode umgeben - ich darf vergleichsweise sagen - von einer Wolke von Visionen. Alles ist um uns Vision; wir selbst sind Vision. Wie wir hier Fleisch und Blut sind, so sind wir dann Vision. Aber diese Vision ist kein Traum, sondern wir wissen, es ist Realität. Treffen wir einen Verstorbenen, mit dem wir vorher zusammen waren, so ist er auch Vision; er ist gleichsam eingeschlossen in die visionäre Wolke. Aber wie wir auf dem physischen Plane wissen: die rote Farbe kommt von der roten Rose, so wissen wir auf dem geistigen Plan: die Vision kommt von dem geistigen Wesen, das vor uns durch die Pforte des Todes ge­schritten ist. Aber nun tritt eine Eigentümlichkeit ein, die wir wohl

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beachten müssen, und die sich bei jedem zeigt, der diese Zeit nach dem Tode erlebt. Hier auf dem physischen Plan kann zum BeispieJ das der Fall sein: Wir haben einen Menschen - den wir eigentlich lieben sollten, nach den Bedingungen, die wir überschauen können, und nach den Begriffen, die wir aber erst nachträglich überschauen - zuwenig geliebt, wir haben ihm also Liebe entzogen. Nehmen wir ein solches Beispiel: wir hätten einem Menschen Liebe entzogen oder ihm sonst etwas zuleide getan. Dann kann, wenn wir nicht gerade ein ver­stocktes Herz haben, in uns die Empfindung, die Idee auftauchen: Du mußt das gutmachen! - Und wenn in uns diese Empfindung auf­taucht, so ist uns die Möglichkeit gegeben, die Sache wieder gutzumachen. Wir können gewissermaßen weiterarbeiten an dem Ver­hältnis der uns umgebenden Welt auf dem physischen Plan. Das können wir nicht in der ersten Zeit nach der Kamaloka-Zeit, von der wir jetzt sprechen. Wenn wir einem Menschen dann gegenüberstehen, können wir wohl aus der Art und Weise, wie wir ihm gegenüber­stehen, die Erkenntnis haben: Du hast ihm dies oder jenes zuleid getan, oder ihm Liebe entzogen, die du ihm schuldig warst; wir fassen auch den Vorsatz, daß wir das gutmachen wollen, aber wir können es nicht. Wir können nur dasjenige Verhältnis zu dem Men­schen in dieser Zeit entwickeln, das schon begründet war in der Zeit vor dem Tode. Das andere können wir einsehen, aber können zu­nächst nichts hinzufügen, können zunächst nichts ausbessern. Das heißt, in dieser visionären Welt, die uns wie eine Wolke einhüllt, können wir nichts verändern. Wir schauen es an, aber können nichts ändern. Wie wir zu einem Menschen gestanden haben, der vor uns hingestorben ist, so bleibt unser Verhältnis zu ihm, und wir leben es weiter aus. Das ist oftmals auch dasjenige, was zu den mehr leidens-vollen Erlebnissen der Initiation gehört. Da erlebt man vieles in seinem Verhältnis zur physischen Welt, und man erschaut es wahr­haftig gründlicher, als man es erschaut mit den Augen oder mit dem Verstande. Man kann es in seinen Gründen durchschauen, aber nicht unmittelbar verändern. Das macht den Schmerz der spirituellen Er­kenntnis aus, das macht das Martyrium der spirituellen Erkenntnis aus, insofern sich diese Erkenntnis auf unser eigenes Leben bezieht, insofern

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sie Selbsterkenntnis ist. Und so ist es auch nach dem Tode. Die Men­schen nach dem Tode stehen zu denen, zu welchen sie im Leben in eine Beziehung getreten sind, in solchen Verhältnissen, die gewisser­maßen bleibend sind, die sich kontinuierlich fortsetzen wie sie waren.

Als sich mir neuerdings diese Tatsache mit einer ungeheuren Stärke vor das geistige Auge stellte, konnte ich mir wieder eines sagen. Ich habe mich in meinem Leben wahrhaftig viel auch mit Homer be­schäftigt und habe mancherlei in den alten Dichtungen Homers zu verstehen gesucht. Aber gerade bei dieser Gelegenheit fiel mir eine Stelle bei Homer ein: da, wo Homer - dessen Hellsehertum von den Griechen ja darin angedeutet ist, daß sie von dem «blinden» Homer sprachen - von dem Reiche spricht, das der Mensch nach dem Tode durchiebt, da nennt er es das «Reich der Schatten, in dem kein Wechsel, keine Veränderung möglich ist». Und da wußte ich neuer­dings wieder, wie so viele Dinge in den großen Dichtungen und Offenbarungen der Menschheit leben, die wir nur richtig erkennen, indem wir sie aus den Tiefen der spirituellen Erkenntnis herausholen. Und manches von dem, was das Erkennen der Menschheit geben soll, wird darauf beruhen, daß die Menschen ihre großen Ahnen, die be­gnadet waren von dem Hereinleuchten des geistigen Lichtes in ihre Seele, erst in einem neuen Lichte, ja, in einem Lichte des wirklichen Verständnisses sehen. Wie berührt es eine Seele, die dafür empfing­lich ist, wenn sie an einem solchen Worte merkt: Dieser alte Seher konnte diese Stelle nur dadurch hinschreiben, daß die Wahrheit der spirituellen Welt in seine Seele hereinleuchtete! - Da beginnt dann die wahre Frömmigkeit gegenüber den göttlich-geistigen Kräften, die durch die Welt und namentlich durch die Herzen und Seelen der Menschen wallen. Da sehen wir erst mit richtigem Frommsein auf das hin, was in der Welt geschieht zur Fortentwickelung und zum Fort­schritt. Gar vieles ist im tiefsten Sinne wahr in demjenigen, was jene Menschen, die so begnadet waren wie Homer, geschaffen haben. Im spirituellen Sinne ist es wahr. Aber diese Wahrheit, die einst ein altes, dämmerhaftes Hellsehen unmittelbar erkennen konnte, ist der heu­tigen Zeit verlorengegangen und muß erst auf dem Wege der spiri­tuellen Erkenntnis wieder erobert werden.

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Ich möchte bei dieser Gelegenheit, um gerade dieses Beispiel noch mehr zu erhärten - dieses Beispiel von einem Durchdringen dessen, was durch schöpferische Genien der Menschheit gegeben worden ist -, etwas anderes noch anführen: eine Wahrheit, gegen die ich mich sogar gesträubt habe, als sie mir durch die Seele zog, eine Wahrheit, die mir selbst paradox erschien, die ich aber, wie sie sich mit einer inneren Notwendigkeit unmittelbar ergab, als Wahrheit anerkennen mußte. Deshalb darf es auch gesagt werden, was sich da ergeben hat.

Was ich da in den spirituellen Welten zu arbeiten hatte, hing auch mit der Betrachtung gewisser Kunstwerke zusammen. Ich mußte diese Kunstwerke betrachten. Unter diesen war auch das, was ich früher gesehen und studiert hatte, was aber erst jetzt in dieser Weise vor meine Seele getreten ist. - Was ich Ihnen jetzt sage, ist eine Be­obachtung gegenüber den Mediceer-Gräbern in Florenz. Dort ist jene Kapelle, die Michelangelo aufgebaut und eingerichtet hat. Zwei Medi­ceer, von denen wir nicht weiter reden wollen, sollten dort in Statuen verewigt werden. Michelangelo hat aber vier sogenannte allegorische Figuren dazugefügt, die man nach dem, was damals aufgekommen ist und wozu auch Michelangelo die Veranlassung gegeben hat, «Mor­gen» und «Abend», «Tag» und «Nacht» nannte. Zu Füßen der einen Mediceer-Statue «Tag» und «Nacht», zu Füßen der anderen «Mor­gen» und «Abend». Nun können Sie sich leicht, wenn Sie auch nicht einmal besonders gute Abbildungen haben, durch den Anblick der­selben eine Bestätigung dessen holen, was ich jetzt zu sagen habe über diese vier allegorischen Figuren der Mediceer-Gräber. Da gehen wir aus von der einen berühmtesten, der «Nacht». In den Beschreibungen, aus denen gewöhnlich die Reisebücher abschreiben, kann man lesen, daß die eigentümlichen Gliedstellungen, die Michelangelo für die liegende Figur, die «Nacht», gewähit hat, unnatürlich wären, weil ein Mensch in einer solchen Lage nicht schiafen könne, so daß also diese Figur nicht ein besonders guter symbolischer Ausdruck für die Nacht sei. Aber ich will etwas anderes sagen. Nehmen wir an, wir betrachten mit okkultistischem Blicke diese aliegorische Figur der «Nacht», und wir sagten uns: Wenn der Mensch schläft, sind sein Ich und sein astralischer Leib aus dem physischen Leib und dem Ätherleib heraus.

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Dann ist es denkbar, daß jemand eine Gebärde, eine bestimmte Gliederlage aussinnt, welche der Lage des ätherischen Leibes am an­gemessensten ist, wenn Astralleib und Ich nicht darin sind. Wenn wir bei Tag herumgehen, so haben wir diese oder jene Gebärde dadurch, daß in dem physischen Leib und dem Ätherleib der Astralleib und das Ich sind. Aber bei Nacht sind Astralleib und Ich draußen, dann ist der Ätherleib allein im physischen Leibe. Er entwickelt seine Tätigkeit und Beweglichkeit; das gibt eine gewisse Gebärde. Und die Impression kann es geben: daß es für das freie Walten des Ätherleibes keine an­gemessenere Gebärde gibt, als sie Michelangelo bei dieser «Nacht» abgebildet hat, eine Gebärde, so präzis, daß man sie nicht besser, nicht präziser beantworten könnte als durch die Lage der Figur, welche da die Lage des Ätherleibes darstellt. - Nun gehen wir zu der anderen Figur, dem «Tag». Da kann man sich folgendes sagen. Nehmen wir an, wir könnten einen Menschen dazu veraniassen, daß in ihm, soweit es möglich ist, das ätherische und das astralische Leben schweigen, und das Ich vorzugsweise tätig ist und eine Gebärde hervorruft, und wir suchten die angemessenste Gebärde für das Ich. Dann könnten wir keine bessere Gebärde finden als die, welche Michelangelo in dem «Tag» zum Ausdruck gebracht hat! Da sind die Gebärden nicht mehr allegorisch, sondern unmittelbar, ganz reali­stisch aus dem Leben geschaffen. Und gleichsam für eine zeitliche Ewigkeit sind hineingeschrieben in die Menschheitsentwickelung durch den Künstler: So sieht die Gebärde. aus, welche am meisten die Tätigkeit des Ich ausdrückt, und so sieht die Gebärde aus, welche am meisten die Tätigkeit des Ätherleibes ausdrückt! - Und jetzt die anderen Figuren, zunächst die «Abenddämmerung». Wenn wir uns in einem besonders gut und wohi ausgebildeten Menschen denken den Heraustritt des Ätherleibes, also jene Erschlaffung, die im physi­schen Leibe eintritt, auch wenn der Tod uns überkommt, wenn wir uns - nicht den Tod denken, sondern das Heraustreten der drei Glieder Ätherleib, Astralleib und Ich vorstellen und die Gebärde auf­suchen, die der physische Leib dann macht, so haben wir die Gebärde dieser allegorischen «Abenddämmerung »-Figur. Und wenn wir die innere Regsamkeit des Astralleibes bei einer geringen Tätigkeit des

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Ätherleibes und des Ich in einer Gebärde ausdrücken wollen, so ist die präziseste die, welche Michelangelo der «Morgendämmerung» gegeben hat. So daß wir auf der einen Seite haben die Ausdrücke für die Tätigkeit des Ätherleibes und des Ich und auf der anderen Seite für die Tätigkeit des physischen Leibes und des Astralleibes. - Wie gesagt, ich habe mich dagegen gesträubt; aber je genauer man auf die Dinge eingeht, mit einer um so größeren Notwendigkeit ergibt es sich. Und ich möchte in dieser Sache nichts anderes hervorheben, als eben zeigen, wie der Künstler aus der geistigen Welt heraus schafft. Ich gebe zu, daß es Michelangelo mehr oder weniger unbewußt getan hat; aber was heißt das trotzdem anderes, als ein Hereinleuchten der geistigen Welt in die physische Welt! Nicht zur Zerstörung, aber zur Vertiefung der Kunstwerke wird der Okkultismus beitragen. Nur wird auch das kommen, daß manches von dem, was heute als «Kunst» gilt, dann nicht mehr als Kunst gelten wird. Dadurch werden viel­leicht einzelne Menschen enttäuscht sein; die Wahrheit wird aber da­durch gewinnen. - Ich konnte ganz gut den inneren Grund der Legende verstehen, die gerade gegenüber der am meisten ausgebilde­ten Figur entstanden ist: daß Michelangelo in Florenz, wenn er in der Mediceer-Kapelle mit der «Nacht» allein war, imstande war, sie zum Aufstehen zu bringen, so daß sie herumging! Ich will nicht weiter darauf eingehen, aber wenn man weiß: hier ist die Tätigkeit des Lebensleibes zum Ausdruck gebracht, dann hat man die Wirksamkeit der Legende schon ohnedies vor Augen, dann ist sie schon da.

So ist es mit vielem, und so ist es auch mit Homer. Ein solches Wort fliegt an uns heran, wie es Homer sagt: Das geistige Reich, ein Reich der Schatten, in dem es keinen Wandel, keine Veränderung gibt. - Wenn wir aber die Verhältnisse in dem Leben nach dem Kamaloka betrachten, dann beginnt für uns ein neues Verständnis über solche

Werke eines gottbegnadeten Menschen, und vieles wird eine solche Bereicherung durch die Geisteswissenschaft erfahren.

Es sind das Dinge, auf die man hinweisen kann, aber sie sind nicht die Hauptsachen im Leben. Die Hauptsachen im Leben sind die, daß immer Wechselverhältnisse von Mensch zu Mensch auftreten. Wenn Mensch dem Menschen so gegenübersteht, daß er jeder Menschenseele

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gegenüber das Spirituelle im Menschen ahnt, dann wird er sich zu ihm ganz anders stellen, als wenn er nur das im andern vorgegangen glaubt, was eine materialistische Weltanschauung annimmt. Das hei­lige Rätsel, das uns jede Menschenseele sein muß, das kann sie unsern Gefühien, unsern Empfindungen nach nur sein, wenn wir in unserer Seele etwas haben, was auf die andere Seele das spirituelle Licht zu werfen in der Lage ist. Durch Vertiefung in die kosmischen Geheim­nisse, mit denen die menschlichen Geheimnisse zusammenhängen, lernen wir eben die menschliche Natur kennen, lernen erkennen, wem wir gegenüberstehen, wenn wir einem Menschen gegenüberstehen; lernen vor allen Dingen zum Schweigen zu bringen, was wir als Vor­urteil sonst dem Menschen gegenüber haben, und lernen die echten, wahren, richtigen Seiten des Menschen fühien und erkennen. Das wichtigste Licht, welches die Anthroposophie geben wird, wird das sein, das die Menschenseele beleuchten wird. Dadurch werden auch die rechten sozialen Empfindungen und die rechten Empfindungen der Liebe, die zwischen den Menschen walten sollen, als eine Frucht der wahren spirituellen Erkenntnis in die Welt kommen. Dies, was da kommen soll, kann eben nur aufgefaßt werden als eine Frucht, deren Wachsen und Gedeihen wir nur durch das spirituelle Erkennen pfle­gen können. Wenn Nehopenhauer gesagt hat: «Moral predigen ist leicht, Moral begründen schwer», so hat er einem richtigen Gefühl ent­sprochen, denn Moralgrundsätze ausfindig machen ist ja wirklich nicht gar so schwer, und Moralpredigten halten ist auch nicht so schwer. Aber die menschliche Seele da anzufassen, wo in ihr die Er­kenntnisse keimen, die durch sich selbst zur wahren Moral werden, die das menschiiche Leben tragen kann, das ist es, worum es sich handelt. Wie wir uns ein jeder selber zu den spirituellen Erkenntnissen verhalten, das wird in uns auch die Keime für eine wirkliche Menschen-moral der Zukunft begründen können. Die Moral der Zukunft wird sich auf spirituelle Erkenntnis aufbauen; sie wird sich entweder so aufbauen - oder sie wird überhaupt nicht begründet werden können!

Es ist notwendig, daß wir uns solches in treuer Liebe zur Wahrheit gestehen. Das erfordert von uns, daß wir uns wirklich vertiefen in das lebendige Leben und Weben des Anthroposophischen und vor allen

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Dingen auch das berücksichtigen, was wie eine Einieitung heute ge­sagt worden ist: Handeln in der geistigen Welt setzt Gemütsruhe vor­aus, sich würdig erweisen dem Begnadetsein; Erkennen setzt voraus tätig sein. Daraus wird es Ihnen auch verständlich sein, daß wir in der Zeit zwischen dem Tode und der neuen Geburt, wenn wir einem anderen Wesen gegenüberstehen, durch unsere Tätigkeit, die wir dann entfalten, erkennen können, ob wir ihm Liebe entzogen haben oder ob wir ihm etwas getan haben, was wir nicht hätten tun sollen. Aber die Ruhe, die notwendig ist, um die Korrektur eintreten zu lassen, jene Gemütsruhe der Seele, die können wir in diesem Zeitpunkt noch nicht entfalten. Wir werden im Laufe der Wintervorträge auch jene Zeit zwischen dem Tode und der neuen Geburt charakterisieren, wann im natürlichen Verlaufe des Lebens zwischen dem Tode und der neuen Geburt das eintritt, daß der Mensch Bedingungen zur Veränderung einer solchen Sache eintreten lassen kann, das heißt mit anderen Wor­ten, eine Art Aufbau seines Karma bewirken kann. Wir müssen aber in einer ruhigen Weise auseinanderhalten den Zeitpunkt, den wir gerade jetzt betrachtet haben, und die folgenden Zeiten, die andere Aufgaben haben und die wir noch betrachten werden für die Zeit zwischen dem Tode und der neuen Geburt.

Nur das soll noch gesagt werden, daß es gewisse Bedingungen gibt, unter denen der Mensch in einer günstigeren oder in einer ungünsti­geren Weise sein Dasein nach dem Tode durchieben kann. Es hängt, wenn man nämlich zwei Menschen oder verschiedene Menschen nach dem Tode vergleicht, die Art, wie sie da leben gerade nach der Zeit, die unmittelbar nach dem Kamaloka-Leben folgt, ab von der mora­lischen Verfassung, die sie auf der Erde gehabt haben. Menschen, die auf der Erde gute moralische Eigenschaften gezeigt haben, haben die günstigsten Bedingungen in der Zeit nach dem Kamaloka; Menschen, die mangelhafte moralische Eigenschaften gezeigt haben, haben schlechte Bedingungen. Wie sich das im Leben nach dem Tode aus­drückt, möchte ich auf eine Formel bringen, die, weil ja unsere Worte für die physische Welt und nicht für die geistige Welt geprägt sind, nicht ganz genau sein kann. Man kann sich nur bemühen, sie mög­lichst genau zu machen. Dann aber kann man sagen: Durch moralische

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Verfassung unserer Seele werden wir in diesem charakterisierten Zeit punkte gesellige Geister, die mit den anderen Geistern, also mit menschlichen oder mit Geistern der höheren Hierarchien, Geselligkeit haben. Durch mangelhafte moralische Verfassung unserer Seele wer­den wir nicht gesellige, sondern einsiedierische Geister, solche Geister, die über den Nebel ihrer Vision nur außerordentlich schwer hinaus können. Und dies ist ein wesentlicher Grund des Leidens nach dem Tode: das Sich-Fühlen als ein einsamer Geist, als ein geistiger Ein­siedler; während es ein wesentliches Merkmal der Geselligkeit ist, den Zusammenhang zu finden zu dem, was für einen notwendig ist, was man braucht. Und es ist eine ganz lange Zeit nötig für das Leben nach dem Tode, um diese Sphäre zu durchieben, die man im Okkultismus die Merkur-Sphäre nennt.

Für die nächste Sphäre bleibt natürlich die moralische Stimmung der Seele noch maßgebend, aber es treten neue Bedingungen ein. Für die nächste Sphäre, die Venus-Sphäre, sind vor allen Dingen aus­schlaggebend die religiösen Stimmungen der Seele. Menschen mit einem religiösen Innenleben werden in dieser Zeit gesellige Wesen werden, gleichgültig, welchem Bekenntnis sie angehörten. Dagegen Geister, welche keine religiöse Verfassung haben, verurteilt diese Sphäre wieder zu einem geistigen Beschränktsein auf sich selber, zu einem Sich-in-sich-selber-Verkriechenmüssen. Ich kann schon nicht anders, wenn es sich auch paradox ausnimmt, als sagen: Diejenigen, welche vorzugsweise eine materialistische, Gesinnung haben und sich erbosen gegen religiöses Leben, sie müssen geistige Einsiedler werden, sie werden jeder gleichsam in sein Kabinett gesperrt. Und es ist nicht ein ironisches Gleichnis, sondern eine Wahrheit, wenn ich sage: Alle die, welche heute eine «monistische Religion» - also das Gegenteil von Religion - begründen, sie werden alle extra in einen Kerker ge­sperrt; die können sich dann absolut nicht finden.

In dieser Weise treten die Korrekturen ein für die Irrtümer und Fehler, welche die Seele sich im Erdenleben beilegt. Irrtümer und Fehler werden auf dem physischen Plan durch sich selbst korrigiert; Irrtümer und Fehler bedeuten aber in dem Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt Tatsachen! Was wir hier denken, bedeutet eine

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Tatsache in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Es bedeutet das Denken schon eine Tatsache bei der Initiation. Ein fehlerhafter Gedanke bei der Initiation, wenn man ihn wirklich zu schauen ver­mag, der steht da nicht nur in all seiner Häßlichkeit, sondern mit all dem Zerstörerischen, das er in sich schließt. Von manchem Gedanken, der innerhalb dieser oder jener agitatorischen Bewegung verbreitet wird, würden sich die Menschen wahrhaftig bald abwenden, wenn sie nur eine Ahnung bekommen könnten, was er als Tatsache, als zer­störerische Tatsache bedeutet. Dies gehört nämlich auch zum Mar­tyrium der Initiation, daß sich die Gedanken um uns herumgruppieren und dastehen wie verfestigte, ich möchte sagen, wie vereiste Massen, an denen wir, solange wir uns außer dem Leibe verhalten, nicht rütteln können. Haben wir einen falschen Gedanken gefaßt und treten wir aus dem Leibe heraus, so ist er da, dann können wir ihn nicht ändern. Da­zu müssen wir erst wieder in den Leib zurück. Es bleibt uns zwar die Erinnerung, aber auch der Initiierte kann ihn nur innerhalb des physi­schen Leibes korrigieren. Aber draußen ist er wie ein Berg, der da ist. Der ganze Ernst des tatsächlichen Lebens kann nur auf solche Weise zutage treten.

Wenn das gesagt ist, kann es auch verständlich sein, daß für gewisse Ausgleichungen des Karma das Zurückkehren in den physischen Leib notwendig ist. Die Fehler treten uns in dem Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt wohl entgegen; aber was als Irrtum da war, das hat man im physischen Leibe zu korrigieren. So wird wieder im nächsten Leben ausgeglichen, was im früheren geschehen ist. Aber was in aller Stärke und in aller Fehlerhaftigkeit erkannt werden muß, das steht zunächst unwandelbar da, wie die Dinge, schon nach einem Ausspruche Homers, im geistigen Reiche sind. Die Dinge, die wir da erkennen aus der spirituellen Welt heraus, sie sollen dann als Empfin­dungen, als Gefühle in unsere Seele hereintreten. Sie werden schon Gefühle und sie werden dann der Grund, um das Leben in einer neuen Weise anzuschauen. Eine monistische Sonntagspredigt kann mancher­lei moralische Grundsätze zeigen. Ändern werden sich dadurch - das wird die Zeit zeigen - die Menschen recht wenig, weil durch die Art und Weise, wie da gesprochen wird, die Begriffe nicht geeignet sind,

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um die Menschenseele real zu ergreifen. Dazu bedarf es der realen Stärke der Begriffe. Und die Begriffe erhalten die reale Stärke, wenn wir wissen: Was an deinem Karma lastet, das tritt dir nach dem Tode eine gewisse Zeit hindurch in aller Unmittelbarkeit entgegen. Du schaust, was an deinem Karma lastet, aber es bleibt so. Du kannst es jetzt nicht ändern, du kannst dich nur vertiefen, daß du es unmittelbar mit deiner Natur vereinst!

Solche Begriffe wirken dann so auf unser Gemüt, daß wir das Leben in der richtigen Weise anzuschauen vermögen. Und dann treten alle die Dinge ein, die zur Förderung des Lebens notwendig sind, wenn die Menschheit wirklich vorwärtsschreiten soll im Sinne derer, welche die geistige Führung der Menschheit haben, im Sinne der spirituellen Leiter der Menschheit, vorwärtsschreiten soll zu denjenigen Zielen, die dieser Menschheit vorgesteckt sind.

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ZWEITER VORTRAG Berlin, 20. November 1912

Wie bereits angedeutet worden ist, sollen an diesen Zweigabenden unsere Betrachtungen im Verlaufe des Winters einer Besprechung des Lebens zwischen dem Tode und der neuen Geburt gewidmet sein. Es liegt in der Natur der Sache, daß alles, was die Auseinandersetzungen, die jetzt von einem gewissen, hier noch nicht so berührten Stand­punkte aus gepflogen werden sollen, verständlich, begreiflich und, man möchte sagen, beweisbar machen kann, erst wird überschaut werden können, wenn das Ganze dieser Wintervorträge vorliegen wird. Es muß natürlich manches vorausgenommen werden, was Mit­teilung ist über Ergebnisse von Forschungen, die im Laufe der letzten Monate haben angestellt werden können. Das, was dann dazu dienen kann, um das Verständnis, das Begreifen vollständig zu machen, das kann sich eben nur durch den Fortgang der Betrachtungen ergeben. Damit wir aber von vornherein uns leichter über diese wichtigen Dinge verständigen können, sei heute mit einer kleinen Betrach­tung des Menschen begonnen, wie sie jeder im Leben leicht anstellen kann.

Wenn wir das menschliche Leben betrachten, wird uns zunächst als die bedeutsamste, hervorragendste Tatsache bei einer unbefangenen Betrachtung doch das menschliche Ich selber erscheinen. Wir müssen nun unterscheiden zwischen dem wahren menschlichen Ich und zwi­schen dem Bewußtsein dieses menschlichen Ich. Denn jedem muß ja auffällig sein, daß ganz gewiß dieses nienschliche Ich zum mindesten schon da tätig ist, wo der Mensch durch die Geburt ins Dasein tritt, und besonders in jenen Zeiten, in denen das Kind noch lange kein Bewußtsein von dem Ich hat, in jenen Zeiten, die ja schon äußerlich sprachlich dadurch charakterisiert sind, daß das Kind von sich wie von einer andern Person redet. Wir haben diese Dinge öfter betrachtet. Wir wissen, daß ungefähr um das dritte Lebensjahr herum - selbst­verständlich gibt es Kinder, bei denen dies früher der Fall ist - das Kind beginnt ein Bewußtsein von sich zu haben, daß es beginnt von

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sich in der ersten Person zu reden; und wir wissen, daß dieses Jahr die äußerste Grenze bildet - obwohl es sich bei manchen Menschen her­ausschiebt - in bezug darauf, wie weit sich der Mensch später an das zurückerinnern kann, was seine Seele erlebt hat. So haben wir in dem Leben des Menschen einen deutlichen Einschnitt: vorher liegt keine Möglichkeit vor, klar und deutlich sich selber in seinem Ich zu er­leben; nachher erlebt der Mensch sich in seinem Ich, findet sich ge­wissermaßen in seinem Ich so zu Hause, daß er die Erlebnisse dieses Ich aus dem Gedächtnisse immer wieder heraufholen kann. Was kann nun eine unbefangene Betrachtung des Lebens darüber lehren, warum das Kind nach und nach übergeht gewissermaßen von einem Nicht-wissen vom Ich zu einem Wissen vom Ich?

Eine unbefangene Betrachtung des Lebens kann uns darüber das Folgende lehren. Wenn das Kind niemals von den ersten Zeiten nach der Geburt an in irgendeine Kollision kommen würde mit der äußeren Welt, so würde es nicht zu einem Bewußtsein seines Ich kommen kön­nen. Sie können selber beobachten, wie Sie im Leben gar manchmal gewissermaßen Ihr Ich später noch bemerken. Sie brauchen sich nur an einer Schrankkante tüchtig zu stoßen, dann werden Sie durch die­ses Stoßen vor allen Dingen Ihr Ich gewahr. Es sagt Ihnen die Kolli­sion mit der äußeren Welt, daß Sie ein Ich sind, und Sie werden kaum vergessen, an Ihr Ich zu denken, wenn Sie sich eine ordentliche Beule geschlagen haben. Diese Zusammenstöße mit der Außenwelt brauchen ja für das Kind nicht immer so zu sein, daß Beulen geschlagen werden, aber sie sind in gewissen Nuancen immer vorhanden. Wenn das Kind sein Händchen ausstreckt und irgend etwas von der Außenwelt be­rührt, so ist eine leise Kollision mit der Außenwelt vorhanden. Wenn das Kind das Auge aufschlägt und Licht in das Auge fällt, ist eine leise Kollision mit der Außenwelt vorhanden. An der Außenwelt lernt das Kind sich selbst kennen, und das ganze Leben besteht eigentlich in den ersten Jahren darin, daß das Kind sich von der Außenwelt unterscheiden und an der Außenwelt sich selber kennenlernt. Und das Ergebnis genügender Kollisionen mit der Außenwelt faßt sich in der Seele zusammen in dem Bewußtsein des Kindes von sich selber. Man kann sagen: Wenn das Kind genügend viele solcher Stöße mit der

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Außenwelt erlebt hat, ergibt sich das als Resultat, daß es sich «Ich» nennt. Wenn das Kind so weit ist, daß es sein Ich-Bewußtsein erfaßt hat, dann beginnt die Notwendigkeit, dieses Ich-Bewußtsein nun durch das ganze Leben hindurch aufrecht und rege zu erhalten. Es kann aber dieses Ich-Bewußtsein durch nichts anderes aufrecht und rege erhalten werden als dadurch, daß Kollisionen stattfinden. Die Kollisionen mit der Außenwelt haben gewissermaßen ihre Aufgabe erschöpft, wenn das Kind dazu gekommen ist, zu sich «Ich» zu sagen; aus denen kann also sozusagen für das Entwickeln des Ich-Bewußt­seins nichts mehr gelernt werden. Aber aus einer unbefangenen Be­trachtung zum Beispiel des Momentes des Aufwachens schon kann der Mensch erfahren, wie das Ich-Bewußtsein doch nur rege erhalten werden kann durch Kollisionen.

Wir wissen ja, daß dieses Ich-Bewußtsein neben allen übrigen In­halten, auch denen des astralischen Leibes, während des Schlafes ent­schwindet und daß es wieder erwacht am Morgen mit dem Auf­wachen. Warum erwacht es da? Es erwacht aus dem Grunde, weil der Mensch mit seiner geistig-seelischen Wesenheit wieder zurückkehrt in seinen physischen Leib oder auch in seinen Ätherleib. Da hat er wieder seine Kollisionen, seine Zusammenstöße mit physischem Leib und Ätherleib. Wer genau das seelische Leben auch schon ohne okkulte Erkenntnisse zu beobachten in der Lage ist, der kann das Folgende bemerken. Wenn er am Morgen aufwacht, wird er finden, daß Mannigfaltiges von dem, was sein Gedächtnis bewahrt, eben wie­der herauf kommt in sein Bewußtsein: erlebte Vorstellungen, erlebte Empfindungen, anderes Erlebtes kommt herauf in sein Bewußtsein; das taucht gleichsam aus den Untergründen des Bewußtseins au£ Wenn man das alles wirklich genau untersucht - schon ganz ohne okkulte Kenntnisse kann man es untersuchen, man muß sich nur wirklich einiges Beobachtungsvermögen für das seelische Erleben an­geeignet haben -, dann findet man: Was da herauftaucht, hat einen gewissen unpersönlichen Charakter. - Und man kann sogar beobach­ten, wie dieser Charakter unpersönlicher wird, je weiter die Ereignisse hinter uns liegen, das heißt je weniger wir noch mit unserem un­mittelbaren Ich-Bewußtsein daran beteiligt sind. Sie können sich an

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Dinge erinnern, die sehr weit in Ihrem Leben zurückliegen, und die Sie so ins Gedächtnis heraufholen, daß Sie doch an diesen Ereignissen so wenig Anteil nehmen wie an etwas, was Sie in der Außenwelt erleben und was Sie nicht besonders angeht. Was sonst in unserem Gedächtnis bewahrt wird, hat die fortwährende Tendenz, sich los­zulösen von unserem Ich. Und daß wir unser Ich trotzdem jeden Morgen mit aller Deutlichkeit wieder in unser Bewußtsein herein­kommen sehen, das rührt davon her, daß wir jeden Morgen in den­selben Leib untertauchen. Der erweckt uns durch die Kollision, in die wir mit ihm kommen, jeden Morgen unser Ich-Bewußtsein von neuem. Während also das Kind nach außen sich stößt und dadurch zum Ich-Bewußtsein kommt, halten wir das Ich-Bewußtsein rege, indem wir uns an dem eigenen Innern stoßen. Und wir stoßen uns ja nicht nur am Morgen, sondern drängen uns ein und sind den ganzen wachen Tageszustand hindurch in das eigene Innere hineingeschoben, und an dem Gegendruck unseres Leibes entzündet sich unser Ich-Bewußtsein. Unser Ich steckt eben im physischen Leib, Ätherleib und im Astralleib und hat fortwährend die Kollisionen mit diesen. So also können wir sagen, daß wir unser Ich-Bewußtsein dem Umstande ver­danken, daß wir innerlich hineingedrängt sind in unsere Leiblichkeit und von ihr den Gegendruck erleben. Wir stoßen mit unserer Leib­lichkeit zusammen.

Nun wird Ihnen leicht verständlich sein, daß dies eine Folge haben muß. Die Folge hat es, die Stöße immer haben: wenn Sie irgendwo anstoßen, wenn es auch nicht gleich bemerkt wird, wird eine Ver­letzung, eine Beschädigung hervorgerufen. In der Tat werden durch die Koliisionen des Ich mit der Leiblichkeit fortwährend Beschädi­gungen, gewissermaßen kleine Zerstörungen in unserer Leiblichkeit hervorgerufen. Es ist einmal so, daß wir fortwährend unsere Leiblich­keit zerstören. Unser ganzes Ich-Bewußtsein könnte sich nicht ent­wickeln, wenn wir nicht mit der Leiblichkeit zusammenstoßen wurden und diese dadurch zerstören. Und die Summe dieser Zerstörungen ist auch in Wahrheit nichts anderes als das, was den Tod in der physischen Welt hervorruft. Wir müssen sagen: Dem Umstande, daß wir in der Lage sind, unsern Organismus fortwährend zu zerstören, also unserer

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zerstörenden Tätigkeit verdanken wir das Rege-Erhalten unseres Ich-Bewußtseins.

Nun sind wir also auf diese Art die Zerstörer unseres Astralleibes, unseres Ätherleibes und physischen Leibes. Insofern wir das sind, verhalten wir uns zum Astralleib, Ätherleib und physischen Leib doch etwas anders als zum Ich selber. Daß wir an unserem Ich Zerstörer werden können, lehrt uns ja schon das gewöhnliche Leben. Wir wollen uns jetzt nur einmal vorläufig klarmachen, wie wir gewisser­maßen an unserem Ich Zerstörer werden können.

Unser Ich ist etwas - gleichgültig jetzt, was es ist -, und insofern es etwas in der Welt ist, hat es einen bestimmten Wert. Das fühlt ja der Mensch, daß sein Ich im Gesamthaushalte der Welt einen bestimmten Wert hat. Aber der Mensch kann diesen Wert verringern. Wie ver­ringern wir den Wert unseres Ich? Wenn wir zum Beispiel jemandem etwas zuleide tun, dem wir vielleicht Liebe schuldig wären, so haben wir in diesem Augenblicke den Wert unseres Ich tatsächlich ver­ringert. Wir sind in unserem Ich weniger wert, nachdem wir je­mandem unverdientes Leid zugefügt haben; unser Ich ist wertloser geworden. Das ist eine Tatsache, die jeder vor sich selber einsehen kann. Doch ebenso kann er einsehen, daß eigentlich das Ich fort­während im Leben, da der Mensch niemals das Ideal seines Wert-zustandes erfüllt, damit beschäftigt ist, sich immer wertloser und wertloser zu machen, also an seiner eigenen Entwertung, an seiner eigenen Zerstörung gewissermaßen arbeitet. Aber solange wir in unserem Ich stehenbleiben, haben wir es doch im Leben immer und immer wieder in der Hand, die Zerstörung fortzuschaffen. Wir können es, wenn wir es auch nicht immer tun. Ehe wir durch die Pforte des Todes geschritten sind, können wir es immer tun. Wir können, wenn wir jemandem unverdientes Leid zugefügt haben, das wieder in irgendeiner Form, die möglich ist, innerhalb des Lebens ausgleichen. Wenn Sie nachdenken, werden Sie darauf kommen, daß der Mensch zwischen Geburt und Tod die Möglichkeit hat, sein Ich zu beeinträch­tigen, an der Entwertung, an der Zerstörung des Ich zu arbeiten, aber auch die Zerstörung des Ich wieder auszugleichen, fortzuschaffen.

Diese Möglichkeit hat der Mensch, wie er in dem gegenwärtigen

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Menschheitszyklus ist, mit seinem Astralleib, Ätherleib und physi­schen Leib zunächst nicht. Er kann nicht so, wie er es durch bewußte Tätigkeit an dem Ich tut, an seinem Astralleib, Ätherleib und physi­schen Leib arbeiten, denn er ist ja nicht mit Bewußtsein in diesen Gliedern seiner Wesenheit drinnen. Es bleibt das, was der Mensch fortwährend an Zerstörung leistet, in seinem Astralleib, Ätherleib und physischen Leib bestehen. Er zerstört sie fortwährend, ist aber nicht in der Lage, irgend etwas zu deren Ausbesserung zu tun. Und es ist leicht begreiflich: wenn man in eine neue Inkarnation kommen würde mit den Kräften, die unserm physischen Leib, Ätherleib und Astral­leib entsprechen, wie wir sie am Ende unserer vorhergehenden Inkar­nation praktiziert haben, so würden wir recht unbrauchbare Astral­leiber, Ätherleiber und physische Leiber haben. Was im Seelischen ist, das ist ja immer Ursprung und Kräfte-Inhalt für das, was sich in der Leiblichkeit ausdrückt. Daß wir am Ende eines Lebens sozusagen einen brüchigen Organismus haben, ist der Beweis dafür, daß unsere Seele nicht die Kräfte hat, den Organismus frisch zu halten. Um das Bewußtsein zu erhalten und es rege zu halten, haben wir fortwährend unsere leibliche Unthüllung zerstört. Mit den Kräften, die wir am Ende einer Inkarnation noch haben, könnten wir in der nächsten Inkarnation nichts machen. Es müssen uns die Kräfte wieder zu­kommen, die imstande sind, in der nächsten Inkarnation unsern Astralleib, Ätherleib und physischen Leib so zu bearbeiten, daß diese frisch und gesund sind in gewissen Grenzen, brauchbar für eine neue Inkarnation. Innerhalb des Erdendaseins - das zeigt sich wieder schon für eine äußerliche Betrachtung - findet der Mensch die Mög­lichkeit, seine drei Leiber zu zerstören; aber er findet nicht die Mög­lichkeit, diese drei Leiber von sich aus auch völlig in gesunder Art zu gliedern, zu bearbeiten, herzustellen. Da zeigt uns nun die okkulte Forschung, daß in dem Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt aus den außerirdischen Verhältnissen, die wir dann durch-leben, uns die Kräfte kommen, die zur Wiederherstellung der ab-gebrauchten menschlichen Umhüllungen dienen. Zwischen Tod und neuer Geburt leben wir uns hinaus in das Universum, in den Kosmos, und die Kräfte, die wir nicht aus dem Erdreich beziehen können,

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müssen wir beziehen aus den zunächst zum Erdreich hinzugehörigen andern Himmelskörpern. In ihnen sind die Kräftereservoire für unsere menschlichen Umhüllungen. Auf der Erde gibt es für den Menschen nur die Möglichkeit, die Kräfte zu immerwährender Wiederherstel­lung des Ich zu gewinnen; die andern Glieder der Menschennatur müssen ihre Kräfte aus andern Welten holen, als die Erde ist.

Wenn wir da zunächst den Astralleib betrachten, so zeigt sich uns, daß der Mensch nach dem Tode sich hinauslebt - wirklich buchstäb­lich sich hinauslebt, indem er sozusagen immer größer und größer wird, in alle die Planeten-Sphären hinein. Der Mensch wird durch die Ausdehnung seines geistig-seelischen Wesens zunächst während der Kamaloka-Zeit ein so großes Wesen - verschiedene Wesen durch­dringen sich dabei -, daß er bis zu der Grenze kommt, die der Kreis angibt, welchen der Mond um die Erde beschreibt. Dann dehnt er sich aus bis zur Merkur-Sphäre - was hier im Okkultismus mit Merkur gemeint ist -, dann bis zur Venus-Sphäre, darauf weiter bis zur Mars-Sphäre, Jupiter- Sphäre und Saturn- Sphäre. Der Mensch erweitert sich immer mehr und mehr. Mit der Wesenheit, die er durch die Pforte des Todes getragen hat, lebt er im richtigen Sinne so, daß er ein Merkur-bewohner, ein Venusbewohner, Marsbewohner und so weiter wird, und er muß in einer gewissen Weise die Fähigkeit haben, in diesen andern planetarischen Welten heimisch zu werden. Wie wird er dort heimisch oder nicht heimisch?

Zuerst muß er, wenn seine Kamaloka-Zeit vorüber ist, in sich selber etwas haben, was ihn fähig macht, eine Verwandtschaft zu haben zu den Kräften, die in der Merkur-Sphäre sind, in die er dann versetzt ist. Nun erweist sich, wenn man verschiedene Menschen in ihrem Leben zwischen Tod und neuer Geburt untersucht, daß die Menschen für dieses Leben verschieden sind. Und zwar finden wir einen deutlichen Unterschied darin, je nachdem ein Mensch mit mora­llscher Seelenverfassung, mit dem Ergebnis eines moralischen Lebens in die Merkur-Sphäre hineinwächst, oder mit dem Ergebnis eines un­moralischen Lebens. Dabei sind natürlich alle möglichen Nuancen gemeint. Der Mensch mit moralischer Seelenstimmung und Seelen-verfassung, mit einem moralischen Ergebnis seines Lebens, ist in der

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Merkur-Sphäre das, was man ein geistig geselliges Wesen nennen könnte; er hat die Möglichkeit, mit andern Wesen - entweder mit früher hingestorbenen Menschen oder auch mit Wesen der Merkur-Sphäre - in Beziehung zu kommen, mit ihnen sozusagen Lebens-beziehungen auszutauschen. Der unmoralische Mensch wird ein Ein­siedler, fühlt sich ausgeschlossen aus der Gemeinschaft der übrigen Bewohner dieser Sphäre. Das ist dasjenige, was das Moralische oder Unmoralische in der Seelenverfassung nach sich zieht in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Es ist wesentlich, daß wir verstehen, daß Moralität in dieser Sphäre unsern Anschluß und Zusammen­schluß bewirkt mit den in dieser Sphäre lebenden Wesen, und daß unsere unmoralische Seelenstimmung unser eigenes Wesen wie in ein Gefängnis einschließt, so daß wir dann zwar das Wissen haben: die andern Wesen sind da, aber wir sind gleichsam in einer Schale drinnen und können nicht zu ihnen hin. Das Sich-Vereinsamen ist ein Er­gebnis, sagen wir eines unsozialen, unmoralischen menschlichen Erdenlebens.

Für die nächste Sphäre, die wir vorläufig die Venus-Sphäre nennen wollen - im Sinne des Okkultismus wird sie ja immer so genannt -, ist für die Art, wie der Mensch Anschluß findet, die religiöse Seelenstimmung maßgebend. Menschen, die sich im Leben auf der Erde die Empfindung dafür erworben haben, daß alles Vergängliche in den Dingen und im Menschen selber in Zusammenhang steht mit einem Unvergänglichen, und eine Empfindung dafür, daß das Einzelleben mit seiner Seelenstimmung hinneigen soll zu einem Göttlich- Geistigen, solche Menschen finden den Anschluß an die Wesen dieser Sphäre. Dagegen ist zum Beispiel der materialistisch Gesinnte, der seine Seele nicht dem Ewigen und Unvergänglichen, dem Göttlichen zukehren kann, wie in dem Gefängnis seines eigenen Wesens, in Ein­samkeit gebannt, innerhalb dieser Sphäre. Gerade innerhalb dieser Sphäre können wir am besten durch die okkulten Untersuchungen sehen, wie wir uns für diese Sphäre in unserm Astralleibe hier auf der Erde die Lebensbedingungen schaffen durch die Art, wie wir auf der Erde leben. Wir müssen uns in einer gewissen Weise schon hier auf der Erde Verständnis, Hinneigung schaffen zu dem, womit wir dort

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den Anschluß finden wollen. Nehmen wir nur einmal die Tatsache, daß die Menschen auf der Erde in den verschiedensten Epochen zu den verschiedensten Zeiten - wie es so sein mußte und ganz richtig ist - die Vermittelung mit dem göttlich-geistigen Leben in den ver­schiedenen Religionsbekenntnissen und Weltanschauungen erhalten haben. Die menschliche Entwickelung konnte ja nur so fortschreiten, daß aus dem einheitlichen Quell, zum Beispiel des religiösen Lebens, zu den verschiedensten Zeiten und für die verschiedensten Völker, je nach ihren Anlagen, je nach ihren klimatischen und anderen Verhält­nissen die verschiedenen Religionsbekenntnisse gegeben worden sind von denen, die dazu berufen worden waren durch die Weltenverhält­nisse. Es stammen also diese religiösen Bekenntnisse aus einer ein­heitlichen Quelle; aber sie sind verschieden abgestuft je nach den Be­dingungen der einzelnen Völker. Und bis in unsere Zeiten herein unterscheiden sich die Menschen nach Gruppen auf der Erde in bezug auf ihre religiösen Bekenntnisse, in bezug auf ihre Weltauffassung. Durch das aber, was ein religiöses Bekenntnis, eine Weltauffassung in unserer Seele bildet, bereiten wir uns das Verständnis und die Anschlußfähigkeit für die Venus-Sphäre. Die religiösen Empfindun­gen des Hinduisten, die religiösen Empfindungen des Chinesen, des Muselmanen, des Christen, sie bereiten seine Seele so, daß diese Seele in der Venus-Sphäre vor allen Dingen Verständnis, Hinneigung und Sympathie hat für diejenigen Wesenheiten, welche die gleichen Emp­findungen haben, und die ihre Seelen aus den gleichen Bekenntnissen heraus gebildet haben. Man darf wirklich sagen: Es ist klar aus­gesprochen für die okkulte Forschung, während die Menschen auf der Erde heute noch - obwohl das für die Zukunft ja durchkreuzt werden wird und schon beginnt, durchkreuzt zu werden - nach Rassen, Stämmen und so weiter abgeteilt sind, und wir sie nach diesen Merk­malen unterscheiden können, ist in der Venus-Sphäre, die wir da mit andern Menschen und andern Wesen durchleben, keine solche Rassen-einteilung. Da gliedern sich die Menschen so, daß einzig ihre reli­giösen Bekenntnisse, ihre Weltanschauungen maßgebend sind. Eine gewisse Gliederung ist da aus dem Grunde noch vorhanden, weil ja gerade diese irdische Gliederung, auch der Religionen, in gewisser

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Beziehung abhängig ist von Stammes- und Rassenverhältnissen. Aber es ist nicht das Rassenelement maßgebend, sondern maßgebend ist, was die Seele dadurch erlebt, daß sie ein bestimmtes Religions-bekenntnis hat.

Immer bringen wir gewisse Zeiten nach unserm Tode innerhalb dieser Sphären zu; dann erweitern wir uns und dringen bis zur näch­sten Sphäre weiter.

Das nächste, was der Mensch nach der Venus-Sphäre erlebt, ist die Sonnen-Sphäre. Wir werden als Seelen tatsächlich zwischen dem Tode und der neuen Geburt Sonnenbewohner. Für die Sonnen-Sphäre ist noch etwas anderes notwendig als für die Venus-Sphäre. Für die Sonnen-Sphäre liegt die deutliche, die eminente Notwendigkeit vor, wenn wir in ihr zwischen dem Tode und der neuen Geburt gedeihen wollen, nicht bloß eine gewisse Gruppe von Menschen zu verstehen, sondern alle menschlichen Seelen zu verstehen, zu allen Seelen ge­wissermaßen Anknüpfungspunkte gewinnen zu können. Und in der Sonnen-Sphäre fühlen wir uns schon als Einsiedler, als Vereinsamte, wenn wir durch die Vorurteile irgendeines Rellgionsbekenntnisses eingeschnürt sind und nicht in der Lage sind, denjenigen zu ver­stehen, der von einem andern Bekenntnisse seine Seele durchdrungen hat. Wer auf der Erde zum Beispiel nur die Möglichkeit gewonnen hat, alles Vortreffliche zu empfinden bei irgendeinem religiösen Be­kenntnis, der versteht - können wir jetzt sagen - alle Bekenner anderer Religionsbekenntnisse während der Sonnen-Sphäre nicht. Aber dieses Nichtverstehen ist nicht so wie auf der Erde. Hier können die Men­schen nebeneinander gehen, ohne sich bis in die Seele hinein zu ver­stehen, können sich spalten in verschiedene Religionsbekenntnisse und Weltanschauungen. In der Sonnen-Sphäre, da wir uns alle bis dahin ausdehnen und durchdringen, sind wir zugleich zusammen -und durch unser Inneres getrennt; da ist jede Trennung und jedes Nichtverstehen zugleich ein Quell furchtbaren Leidens. Ein Vorwurf, den wir nicht überbrücken können, weil wir uns auf der Erde nicht dazu erzogen haben, und der immerdar auf uns lastet, ist die Begeg­nung mit einem jeden Angehörigen eines anderen Bekenntnisses.

Es wird in einer gewissen Weise noch verständlicher werden, was

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hier zu sagen ist, wenn, von diesem Leben zwischen Tod und neuer Geburt ausgehend, etwas auf die Initiation hingewiesen wird. Denn das, was der Initiierte erlebt, wenn er die geistigen Welten betritt, ist in einer gewissen Weise etwas durchaus Ähnliches wie in diesem Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Der Initiierte muß sich in dieselben Sphären hineinleben, und er würde, wenn er in den Vorurteilen einer einseitigen Weltanschauung leben würde, in dieser Sonnen-Sphäre dieselben Qualen durchmachen. Daher ist es notwendig, daß der Initiation ein völliges, restloses Verstehen jedes Bekenntnisses, das auf unserer Erde verbreitet ist, vorhergehe, ein Verstehen dessen, was in jeder einzelnen Seele lebt, gleichgültig, welcher Weltanschauung sie angehört. Sonst ist alles andere, dem man ein solches Verständnis nicht entgegenbringt, etwas, was einem entgegenkommt qualvoll, wie unendlich hohe Berge, die sich auf einen stürzen wollen, wie explo­sionsartige Erscheinungen, die einem entgegenkommen, so daß man die ganze Gewalt solcher Explosionen sich auf sich entladen fühlt. Alles Unverständnis, das man den Menschen entgegenbringt, weil man sich selbst darin einschnürt, wirkt so in den geistigen Welten.

Das war nicht immer so. In den vorchristlichen Zeiten war die Ent­wickelung der Menschheit nicht so, daß sich die Menschen erst hin-entwickeln sollten zu einem solchen Verständnis jeder einzelnen Menschenseele. Die Menschheit mußte die Einseitigkeit durch­machen. Aber die, welche zu einer gewissen Führerschaft der Welt hinaufgeführt wurden, sie mußten immer mehr oder weniger bewußt das in sich aufnehmen, was Verständnis geben kann für alles, ohne Unterschied. Und selbst wenn irgendeine menschliche Wesenheit nur der Führer eines Volkes war, mußte sie in einer gewissen Weise in das Verständnis einer jeden menschlichen Seele eingeführt werden. Das wird so grandios im Alten Testament an der Stelle angedeutet, wo Abraham dem Melchisedek entgegentritt, dem Priester des Aller­höchsten. Wer diese Stelle versteht, der weiß, daß Abraham, der der Führer seines Volkes werden sollte, in diesem Momente gleichsam initiiert wurde - wenn auch nicht vollbewußt, wie es in späteren Initiationen der Fall ist - in bezug auf das Verständnis desjenigen Göttlichen, das in alle menschlichen Seelen hineinspielen kann. An

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der Stelle, wo von der Begegnung des Abraham mit Melchisedek die Rede ist, verbirgt sich überhaupt ein tiefes Geheimnis für die Ent­wickelung der Menschheit. Aber nach und nach mußte die Mensch­heit vorbereitet werden, um immer mehr und mehr die Möglichkeit zu haben, wirklich durch die Sonnen~Sphäre fruchtbringend durchzugehen. Wie geschah das?

Der erste Anstoß in unserer Erdentwickelung zu einem solchen richtigen Durchgehen durch die Sonnen- Sphäre wurde gegeben, nachdem die Vorbereitungen dazu durch das alttestamentliche Volk geschaffen waren - wir werden auch noch darüber zu sprechen haben-, durch das Mysterium von Golgatha. Es kommt jetzt in diesem Augen­blicke nicht darauf an, die Frage zu behandeln, ob das Christentum in seiner bisherigen Entwickelung alle seine Ziele, alle seine Entwicke­lungsmöglichkeiten schon aus sich herausgesetzt habe. Es ist ja ganz selbstverständlich, daß das Christentum in seinen religiösen Bekennt­nissen nur Einseitigkeiten des gesamtchristlichen Prinzipes heraus­gebildet hat und in Einzelheiten in seinen positiven Bekenntnissen durchaus zurücksteht gegenüber anderen Bekenntnissen. Darauf aber kommt es an, was es für Entwickelungsmöglichkeiten in sich hat, was es dem Menschen geben kann, der immer tiefer in sein Wesen eindringt.

Nun haben wir schon darzustellen versucht, was uns von diesen Entwickelungsmöglichkeiten sprechen kann. Unendlich vieles ist da zu sagen, aber nur eines soll jetzt berührt werden, was uns den Punkt, den wir im Augenblicke nötig haben, beleuchten kann. Wenn wir die verschiedenen Religionsbekenntnisse wirklich innerlich verstehen, so finden wir einen charakteristischen Punkt, um die religiösen Be­kenntnisse hervorzuheben. Das ist, daß doch für die ältere Erd­entwickelung die einzelnen Bekenntnisse abgestimmt sind für die einzelnen Rassen, Stämme, für die einzelnen Volksgliederungen der Erde. Solche Dinge haben sich ja noch erhalten. Wir wissen, daß der Hindureligion wahrhaftig heute noch nur der angehören kann, der auch als Hindu geboren worden ist. In gewisser Beziehung sind die älteren Religionen Stammesreligionen, Volksreligionen. Nehmen Sie den Ausdruck nicht als eine Herabwürdigung, sondern nur als eine Charakterisierung. Die einzelnen Religionen, die den Völkern von den

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Initlierten gegeben worden sind, herausgenommen allerdings aus dem Urquell einer allgemeinen Weltenreligion, aber angepaßt den einzelnen Völkern, Stämmen und so weiter, diese einzelnen Religionen haben, man möchte sagen, etwas Religiös-egoistisches. Immer haben die Völker das geliebt, was ihnen aus ihrem eigenen Fleisch und Blut religiös erwachsen ist. Ja, wir wissen sogar, wenn in den alten Zeiten, von den Mysterienstätten herrührend, irgendwelche Religion bei den Völkern des Altertums begründet worden ist, dann ist nicht der, welcher leiblich ein Fremdling war, hingegangen und hat dort eine Religion begründet, sondern er hat ein zweites Mysterium begründet, das dahin getragen wurde, wo schon ein anderes war; dem Volke aber wurde ein Angehöriger seines Volkes, seines Stammes zum Führer gegeben.

In dieser Beziehung besteht ein großer Unterschied in bezug auf das, was man das wahre Christentum nennen kann. Diejenige Indivi­dualität, zu welcher der Christ hinschaut, der Christus Jesus, er hat gerade am wenigsten in demjenigen Volke, an der Stätte der Erde gewirkt, wo er unmittelbar hineingeboren war.

Wenn wir nun die abendländischen Verhältnisse betrachten, sind sie in religiöser Beziehung gleich zu achten den indischen, den chinesi­schen Verhältnissen, das heißt den Verhältnissen, wo noch die Volks-religionen fortdauern? Sie sind es nicht! Unsere Gegenden wären nur dann dem Indertum, dem Chinesentum gleich zu achten, wenn wir hier in Mitteleuropa zum Beispiel gute Wotan-Gläubige wären. Dann wären wir in derselben Lage; dann würde das Religiös~egoistische auch hier zum Vorschein kommen. Aber innerhalb des Abendlandes ist das Religiös~egoistische verschwunden, und angenommen wurde die Religion eines Stifters, die gar nicht in irgendeiner Volksgemein­schaft liegt, sondern die außerhalb derselben liegt. Diese Tatsache muß man ins Auge fassen. Was Blut zu Blut führte und mitwirkte bei der Begründung der alten Religionsgemeinschaften, das wirkte nicht mit bei der Verbreitung des Christentums. Das Seelische war es, was da im wesentlichen wirkte, und angenommen wurde eine Religion, die außethalb der Volksgemeinschaft zum Beispiel für das Abendland lag. Warum ist das? Es ist deshalb, weil das Christentum in seiner

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tiefsten Wurzel von allem Anfange an darauf zugeschnitten war, ein Bekenntnis zu sein für alle Menschen, ohne Unterschied des Glaubens, der Nationalität, des Stammes, der Rasse und alles dessen, was sonst die Menschen voneinander trennt. Richtig wird das Christentum nur verstanden, wenn es so verstanden wird, daß es nur das Menschliche im Menschen berührt, dasjenige Menschliche, das in allen Menschen ist. Und dem tut es keinen Abbruch, daß das Christentum in seinen ersten Phasen und auch zu unserer Zeit Einzelbekenntnisse heraus­gebildet hat; denn die Entwickelungsmöglichkeit des allgemein Menschlichen liegt in dem Christentum. Es wird sich sogar auch innerhalb der christlichen Welt ein großer Umschwung vollziehen müssen, wenn das Christentum in seiner Wurzel richtig verstanden werden soll. Man wird einen gewissen Unterschied machen müssen zwischen der Erkenntnis des Christentums und der Realität des Christentums.

Zwar hat schon Paulus mit diesem Unterschiede begonnen, und wer Paulus versteht, kann von diesem Unterschiede etwas wissen; aber es ist dieser Unterschied bis heute wenig verstanden worden. Indem Paulus das christliche Bekenntnis zu dem Christus Jesus dem bloßen Judentume entrissen hat und das Wort geprägt hat: «Christus ist gestorben nicht bloß für die Juden, sondern auch für die Heiden», hat er etwas Ungeheures getan für die richtige Auffassung des Christentums. Denn es wäre durchaus falsch, wenn jemand behaupten wollte, das Mysterium von Golgatha hätte sich nur vollzogen für die, welche sich Christen nennen. Es hat sich vollzogen für alle Menschen! Das meint auch Paulus, wenn er sagt, es sei Christus auch gestorben für die Heiden, nicht bloß für die Juden. Denn was durch das Myste­rium von Golgatha in alles Erdenleben übergegangen ist, das hat auch Bedeutung für alles Erdenleben. Und so grotesk es heute noch für die klingen mag, welche die gleich anzuführende Unterscheidung nicht machen, so muß man doch sagen: Derjenige versteht erst die Wurzel des Christentums, der zum Beispiel einen Bekenner eines anderen Religionssystems - gleichgültig, ob er sich Inder oder Chinese oder sonstwie nennt - so anzusehen vermag, daß er sich fragt: Wieviel ist in ihm denn Christliches? - Nicht darauf, daß dieser das weiß, kommt

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es an, sondern daß er kennt, was die Realität des Christentums ist -ebenso wie es nicht darauf ankommt, ob der Mensch Physiologie kennt, wenn zugegeben werden soll, daß er die Tatsache des Ver­dauens kennt. Wer aus seinem Rellgionssystem heute noch kein be­wußtes Verhältnis hat zu dem Mysterium von Golgatha, der hat sich eben noch kein Verständnis dafür erworben; das gibt aber dem andern kein Recht, die Realität des Christentums für ihn zu leugnen. Erst wenn die Christen soweit Christen sein werden, daß sie das Christliche in allen Erdenseelen aufsuchen - und nicht, wenn sie es erst durch irgendwelche Bekehrungsversuche den andern Seelen eingeimpft haben -, dann erst wird die Wurzel des Christentums richtig ver­standen werden. Aber alles das liegt in dem richtig verstandenen Christentum. Man muß den Unterschied machen zwischen der Realität und dem Verständnisse des Christentums. Zu verstehen, was da seit dem Mysterium von Golgatha auf der Erde ist, das ist ein großes Ideal, ein Ideal einer wichtigen Erkenntnis für die Erde, einer Er­kenntnis, die sich nach und nach die Menschen aneignen werden. Aber die Realität ist geschehen, die ist einmal da, indem sich das Mysterium von Golgatha vollzogen hat.

Nun hängt aber allerdings unser Leben in der Sonnen-Sphäre davon ab, welches Verhältnis wir zu dem Mysterium von Golgatha gewonnen haben. Es hängt unser Leben in der Sonnen-Sphäre so ab von diesem Verhältnis, daß das, was in der Sonnen-Sphäre verspürt werden kann - ein Verhältnis zu gewinnen zu allen Menschen -, nur möglich ist durch ein solches Verhältnis zum Mysterium von Gol­gatha, wie es eben jetzt charakterisiert worden ist: durch ein Ver­hältnis zum Mysterium von Golgatha, das uns auch nicht mehr ein-schnürt in eine noch unvollkommene Ausgestaltung des Christen­tums in diesem oder jenem Bekenntnis. Sonst machen wir uns unter allen Umständen in der Sonnen-Sphäre zu einsamen Menschen, die nicht die Seelen, die Gemüter anderer Menschen finden können. - Es gibt einen Ausspruch, der seine Kraft bis in die Sonnen-Sphäre hinein bewährt: wo wir als Wesen innerhalb der Sonnen-Sphäre zu einem andern menschlichen Wesen kommen, da können wir mit diesem andern menschlichen Wesen gesellig sein und nicht gleichsam durch

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unsere eigene Wesenheit uns von ihm zurückstoßen, wenn sich an unserer Seele der Ausspruch bewährt: Wo zwei in meinem Namen sich vereinen wollen, kann ich mitten unter ihnen sein. - In der wirk­lichen Erkenntnis des Christus können sich innerhalb der Sonnen-Sphäre alle Menschen zusammenfinden. Und dieses Finden ist von einer ungeheuren Wichtigkeit, von einer großen Bedeutung. Denn eine Entscheidung geschieht innerhalb der Sonnen-Sphäre für den Menschen: er muß innerhalb der Sonnen-Sphäre ein gewisses Ver­ständnis haben. Und wir können uns dieses Verständnis am besten an einer außerordentlich bedeutungsvollen Tatsache klarmachen, die eigentlich vor jeder Seele liegen könnte, die sich aber die mensch­lichen Seelen nur nicht immer klarmachen.

Einer der schönsten Aussprüche des Neuen Testamentes ist der, den wir so charakterisieren können, daß der Christus Jesus im Men­schen das Bewußtsein hervorrufen will von dem göttlich-geistigen Wesenskerne im menschlichen Innern, daß der «Gott» als Gottes­funke in jeder menschlichen Seele lebt, daß jeder Mensch eine Gött­lichkeit in sich hat. Das hob der Christus Jesus besonders stark hervor, und mit aller Kraft und Gewalt betonte er: «Ihr seid Götter, alle!» Und so betonte er es, daß man dem Ausspruch ansieht: Er betrachtet diese Bezeichnung des Menschen, wenn der Mensch sie sich beilegt, als das Richtige. - Diesen Ausspruch hat noch ein anderes Wesen getan. Bei welcher Gelegenheit, das drückt symbolisch das Alte Testament aus. Luzifer, am Beginne der Menschheitsentwickelung, tut den Ausspruch: «Ihr werdet sein wie die Götter!» Eine solche Tatsache muß man bemerken. Zwei Wesen tun den inhaltlich gleichen Ausspruch: Ihr werdet oder sollt sein wie die Götter - Luzifer und Christus! Und was will die Bibel sagen, indem sie beides gar wohl betont? Sie will sagen, daß aus Luzifers Wesen dieser Ausspruch zum Unsegen gedeihe - aus Christi Wesenheit zum höchsten Segen. Ver­birgt sich darin nicht ein wunderbares Geheimnis? Was Luzifer als Versucherstimme in die Menschheit hineinwarf - als den höchsten Weisheitsgehalt durfte es Christus zu den Menschen sprechen. Mit eindringlichen Lettern steht hineingeschrieben in das entsprechende Dokument, wie es nicht bloß auf den Inhalt irgendeines Ausspruches

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ankommt, sondern im wesentlichen darauf, von wem der Ausspruch kommt. Fühlen wir es aus einer solchen Sache, daß wir die Dinge zu­nächst immer tief genug nehmen und daß wir recht viel lernen können aus dem, was uns äußerlich exoterisch schon vorliegt!

In der Sonnen-Sphäre, zwischen Tod und neuer Geburt ist es, wo wir vor allen Dingen immer wieder und wieder die ganze Gewalt der Worte zu unserer menschlichen Seele sprechen hören: Du bist ein Gott, du sollst ein Gott sein! - Und wir wissen da eines immer ganz sicher, wenn wir in der Sonnen-Sphäre ankommen: wir wissen, daß Luzifer uns dort wieder begegnet und uns diesen Ausspruch recht ein­dringlich zur Seele führt. Luzifer beginnen wir von da ab recht gut zu verstehen - den Christus nur dann, wenn wir uns auf der Erde all­mählich vorbereitet haben, ihn zu verstehen. Wir bringen in die Sonnen-Sphäre kein Verständnis mit für den Ausspruch, insofern er aus Christi Wesenheit tönt, wenn wir auf der Erde uns nicht dieses Verständnis durch unser Verhältnis zu dem Mysterium von Golgathä erworben haben. - Mit einem trivialen Worte möchte ich folgendes sagen. In der Sonnen-Sphäre begegnen wir zwei Thronen - dem Thron des Luzifrr; da tönt uns verführerisch das Wort von unserer Göttlichkeit entgegen. Und dieser Thron ist immer besetzt. Der andere Thron erscheint uns, oder besser gesagt, er erscheint vielen Menschen noch recht leer, denn auf diesem andern Throne in der Sonnen-Sphäre müssen wir in unserem Leben zwischen Tod und neuer Geburt das­jenige auffinden, was man nennen kann das Akasha-Bild von dem Christus. Und können wir dieses Akasha-Bild des Christus in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt in der Sonnen-Sphäre auf­finden, so ist das - wie wir in den weiteren Ausführungen sehen wer­den - zu unserem Heil. Aber wir können es nur finden, weil der Christus von der Sonne herabgestiegen ist und sich mit der Erden-Sphäre vereinigt hat, und weil wir unser geistiges Auge durch das Verständnis für das Mysterium von Golgatha auf der Erde schärfen können, damit uns der Thron Christi auf der Sonne nicht leer erscheint, sondern damit seine Taten für uns sichtbar werden, die er verrichtet hat, als er noch selber die Sonne bewohnte. - Es ist ja gewiß so - ich sagte sogar, ich muß mich trivial ausdrücken, wenn ich von

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diesen zwei Thronen sprechen will -, daß man von diesen erhabenen Verhältnissen nur immer mehr oder weniger bildlich sprechen kann; aber wer sich immer mehr zu einem Verstehen aufschwingt, der wird begreifen, daß die Worte, die auf der Erde geprägt werden, nicht aus­reichen, und daß man, um sich verständlich zu machen, schon zum Bilde greifen muß.

Nun finden wir für das, was wir während der Sonnen-Sphäre nötig haben, nur Verständnis, Anlehnung, wenn wir uns auf der Erde etwas angeeignet haben, was nicht nur in die astralen Kräfte hineinspielt, sondern auch in die Ätherkräfte. Verfolgen Sie, was ich dargestellt habe, so werden Sie wissen, daß die Religionen in die Ätherkräfte hineinspielen, den Ätherleib des Menschen bearbeiten. Es bleibt uns allen ein gutes geistiges Erbstück, indem in unsere Seele Kräfte aus der Sonnen-Sphäre hineingebracht sind, wenn wir ein Verständnis für das Mysterium von Golgatha gewonnen haben. Denn aus der Sonnen-Sphäre müssen wir diejenigen Kräfte herausziehen, die wir nötig haben, damit wir für die nächste Inkarnation unsern Ätherleib in der richtigen Weise wiederbekommen können. Dagegen holen wir uns aus den andern Planeten-Sphären die Kräfte, welche wir brauchen, damit wir in der nächsten Inkarnation unsern Astralleib in der rich­tigen Weise bekommen können.

Nun soll niemand glauben, daß dasjenige, was ich eben gesagt habe, in einem andern Sinne und Stil gemeint ist als in dem Stil und Sinne menschlicher Entwickelung. Ich habe Ihnen vorhin gesagt: Schon in der vorchristlichen Zeit war es einem solchen Menschheitsführer, wie dem Abraham, in der Begegnung mit Melchisedek, oder Malekzadik, gegeben, sich diese Kräfte für die Sonnen-Sphäre anzueignen. Nicht eine intolerante Behauptung soll getan werden, als ob sich der Mensch nur durch ein orthodoxes Christentum die Kräfte aneignen könne, um sich zu den Wesen in der Sonnen-Sphäre in das richtige Verhältnis zu stellen, sondern eine Entwickelungstatsache soll ausgesprochen wer­den. Und zwar die, daß die Möglichkeiten der alten Zeiten, in denen durch andere Mittel das Akasha-Bild des Christus zu schauen war, immer mehr und mehr schwinden mit dem Fortschreiten der Erd-entwickelung. Die geistigen Augen des Abraham waren vollständig

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aufgetan für das Akashä-Bild des Christus in der Sonnen-Sphäre. Das ist durchaus richtig. Es ist kein Einwand dagegen, daß das Mysterium von Golgatha noch nicht geschehen war und daß da der Christus noch auf der Sonne war; er war während dieser Zeit mit anderen planetarischen Sphären in seiner Realität vereinigt. Es war durchaus so, daß damals und bis in unsere Zeiten die Menschen das, was da zu sehen war, schauen konnten. Und wenn wir noch weiter zurückgehen, in jene Urzeiten zurückgehen, in welchen die ersten Lehrer des alten Indiens, die heiligen Rishis die Führer ihres Volkes waren, so waren das auch durchaus solche Menschheitsführer, die wohl bekannt waren mit dem Christus, der ja damals noch in der Sonne war, und die auch denjenigen, die sich zu ihnen bekannten, ein solches Verständnis, aller­dings nicht mit den späteren Namen, beibrachten. Wenn auch in die Erkenntnis-Sphäre dieser alten Zeiten noch nicht das Mysterium von Golgatha hineingewirkt hat, so war es für diejenigen, die aus den Tiefen des Seins heraus die intimen Wahrheiten holten, durchaus mög­lich, auch das zu gewinnen, was es den Menschen möglich machte, aus der Sonne das zu holen, was ihre Ätherleiber in der entsprechenden Weise erneuern konnte. Aber diese Möglichkeiten hörten mit der weite­ren Entwickelung der Menschheit auf; und sie müssen aufhören, weil immer neue Kräfte in die Menschheit hineingefügt werden müssen.

Also was gesagt ist, das ist als Entwickelungstatsache gemeint. Wir leben einer Zukunft entgegen, in welcher die Menschen sich immer mehr und mehr die Möglichkeit nehmen werden, die Sonnen-Sphäre in der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt richtig zu durchleben, wenn sie sich von dem Christus-Ereignis entfernen. Wahr ist es: Wir müssen das Christliche in jeder Seele suchen. Wir müssen, wenn wir die Wurzel des Christentums verstehen wollen, bei jedem Menschen, dem wir gegenüberstehen, uns fragen: Wieviel ist in ihm Christ­liches? - Aber wahr ist es auch, daß sich der Mensch von demChristen­tum ausschließen kann dadurch, daß er sich nicht zum Bewußtsein bringt, was es in der Realität ist. Und wenn wir das Wort des Paulus noch einmal wiederholen: «Christus ist gestorben nicht bloß für die Juden, sondern auch für die Heiden», so kann hinzugefügt werden:

Wenn aber im weiteren Fortschritt der Menschheit die Menschen sich

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ausschließen und immer mehr und mehr bewußt das Mysterium von Golgatha ablehnen würden, so würde das verhindern, daß das auch an sie herankommt, was für sie geschehen ist. Geschehen ist die Wohltat des Mysteriums von Golgatha für alle Menschen. Frei steht es jedem Menschen, diese Wohltat auf sich wirken zu lassen. Davon aber, wie er es auf sich wirken läßt, wird es in der Zukunft immer mehr und mehr abhängen, wie weit er in der Lage ist, aus der Sonnen-Sphäre heraus die Kräfte zu suchen, die notwendig sind, damit sich seine ätherische Leiblichkeit in der nächsten Inkarnation in der rechten Weise herstellen kann. Was das für eine unermeßliche Folge für die ganze Zukunft des Menschengeschlechtes auf der Erde hat, davon wollen wir in den nächsten Zeiten sprechen.

So ist das Christentum, wie es sich - zwar wenig verstanden - aber doch immerhin an das Mysterium von Golgatha anschloß, die erste Vorbereitung der Menschheit, um zu der Sonnen-Sphäre wieder in die richtige Beziehung zu kommen. Ein zweiter Impuls soll sein das richtige anthroposophische Verständnis des Mysteriums von Gol­gatha. Man kann eine richtige Beziehung zur Sonnen-Sphäre ge­winnen, wenn man das Mysterium von Golgatha immer mehr und mehr durchdringen lernt. Aber der Mensch lebt, wenn er in die Sonnen-Sphäre sich hineingelebt hat, weiter hinaus, lebt sich zum Bei­spiel in die Mars-Sphäre hinein. Es handelt sich darum, daß er nicht bloß in der Sonnen-Sphäre zu den Sonnenkräften ein richtiges Ver­hältnis gewinnt, sondern dieses auch mitträgt beim weiteren Hinaus­leben in die Mars-Sphäre. Damit sich sein Bewußtsein nicht ver­dämmert, damit es nach der Sonnen-Sphäre nicht aufhört, sondern damit er es hineintragen kann in die Mars-Sphäre, in die Jupiter­Sphäre, die er dann zu durchleben hat, dafür ist für unsern Mensch­heitszyklus notwendig, daß in den Menschenseelen Platz greife das spirituelle Verständnis für das, was in unsern Religionen und Welt­anschauungen lebt. Daher das Suchen des Verständnisses für das, was in Religionen und Weltanschauungen lebt. An die Stelle des geistes­wissenschaftlichen Verständnisses wird noch ein ganz anderes Ver­ständnis kommen, von dem sich heute der Mensch kaum einen Traum bilden kann. Denn so wahr eine Wahrheit richtig ist in einer Epoche,

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wenn sie von Wahrheitssinn durchdrungen ist, so wahr ist es auch, daß immer neue und neue Impulse in die Menschheitsentwickelung hineinkommen werden. Es ist durchaus wahr, daß das, was die Anthroposophie zu geben hat, nur fur eine bestimmte Epoche gilt, damit die Menschheit, wenn sie die Anthroposophie aufnimmt, diese als verarbeitete Impulse in die weitere Zeit hineinträgt, um mit den verarbeiteten Kräften auch die späteren Kräfte aufzunehmen.

So haben wir zeigen können, wie der Zusammenhang ist des Lebens auf der Erde mit dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Nie­mandem kann entgehen, daß der Mensch wahrhaftig ebenso not­wendig hat ein Wissen, ein Gefühl und eine Empfindung für das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt wie für das irdische Leben selber, weil, wenn er ins irdische Leben hereintritt, dieses irdischen Lebens Heil, Zuversicht, Stärke und Hoffnung davon ab­hängen, welche Kräfte er sich mitbringt aus dem Leben zwischen dem letzten Tode und der diesmaligen Geburt. Welche Kräfte wir uns aber dort holen können, das hängt wieder davon ab, wie wir uns in der früheren Inkarnation verhalten haben; was wir fur eine moralische Verfassung, was für eine religiöse Verfassung oder was für eine all­gemeine menschliche Seelenverfassung wir uns angeeignet haben. So müssen wir uns denken, daß wir mit dem Übersinnlichen, in dem wir zwischen Tod und neuer Geburt leben, schaffend mitarbeiten ent­weder an der Fortentwickelung des ganzen Menschengeschlechtes oder an der Zerstörung des Menschengeschlechtes. Denn würden sich die Menschen nicht die Kräfte aneignen, die ihnen gesunde Astral­leiber geben können, so würden die Kräfte in den menschlichen Astralleibern leer und öde werden, und die Menschheit sänke mora­Tisch und religiös auf dem Erdenrunde dahin. Und würden sie sich nicht die Kräfte holen für die Ätherleiber, so würden sie hinsiechen als Menschengeschlecht auf der Erde. Jeder kann sich die Vorstellung bilden: Wieweit muß ich mitarbeiten, daß nicht bloß sieche Leiber über das Erdenrund hingehen? Nicht bloß ein Wissen, sondern eine Verantwortlichkeit ist die Anthroposophie, die uns mit dem ganzen Wesen der Erde in Zusammenhang bringt und in Zusammenhang erhält.

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DRITTER VORTRAG Berlin, 3. Dezember 1912

Unter dem, was in unsern Betrachtungen über das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt schon angedeutet worden ist, wird Ibnen etinnerlich sein, wie der Mensch zwischen Tod und neuer Ge­burt zunächst in den Verhältnissen weiterlebt, die er sich hier im Erdendasein vorbereitet hat. Wir haben darauf hingewiesen, daß, wenn wir eine Persönlichkeit in der geistigen Welt nach dem Tode wieder antreffen, das Verhältnis zwischen uns und dieser andern Per­sönlichkeit zunächst das ist, das sich während des Erdendaseins an­gesponnen hat, daß wir aber an diesen Verhältnissen zunächst nichts ändern können. Sagen wir also: Irgendein Freund oder sonst eine Persönlichkeit, die vor uns hingestorben ist, wurde von uns nach dem Tode in der geistigen Welt angetroffen. Nehmen wir an, sie wäre eine derjenigen Persönlichkeiten, der wir durch gewisse Umstände zum Beispiel Liebe schuldig waren und der wir diese Liebe in einer ge­wissen Beziehung entzogen haben. Wir werden nun das Verhältnis, das vor dem Tode bestanden hat, das Verhältnis einer gewissen durch uns verschuldeten Lieblosigkeit, weiter zu erleben haben. Wir stehen in der im vorhergehenden Vortrage geschilderten Weise der Persön­lichkeit gegenüber und schauen sozusagen das an, erleben es immer wieder und wieder, was wir im Leben vor dem Tode herausgebildet haben. Wenn zum Beispiel das Leben so war, daß wir von einem be­stimmten Zeitpunkte an im Erdenleben eine Änderung haben ein­treten lassen in dem Verhältnisse zu der betreffenden Persönlichkeit, daß wir zum Beispiel zehn Jahre vor dem Ableben dieser Persönlich­keit, oder bevor wir gestorben sind, erst das eben geschilderte Ver­hältnis der selbst verschuldeten Unliebe haben eintreten lassen, so werden wir durch entsprechend lange Zeit nach dem Tode in diesem Verhältnisse zu leben haben und erst, nachdem wir dieses Verhältnis durchgekostet haben, weiterkommen, um auch das bessere Verhältnis, in dem wir zu dieser Persönlichkeit vorher waren, nach dem Tode in entsprechender Weise zu durchleben. Das ist es, was wir ins Auge

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fassen müssen: daß wir gegenüber der Änderung von Verhältnissen, die wir auf der Erde haben eintreten lassen, nach dem Tode nicht in der Lage sind, sie sozusagen auszugleichen, zu verändern, daß eine gewisse Unveränderlichkeit eingetreten ist.

Man könnte sehr leicht glauben, daß dies nur ein schmerzvolles Verhältnis sei, und daß eigentlich diese ganze Sache nur mit Leid von dem Menschen erblickt werden könnte. Wir würden, wenn wir so urteilen, nach unsern beschränkten irdischen Verhältnissen urteilen. Die Dinge nehmen sich aber, von der geistigen Welt aus gesehen, viel­fach anders aus. Im Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt muß der Mensch allerdings den ganzen Schmerz durchmachen, der dadurch verursacht wird, daß er sich sagen muß: Ich sehe jetzt, wo ich in der geistigen Welt bin, das Unrecht ein, kann es aber nicht ändern, muß es sozusagen ändern lassen durch die Verhältnisse. -Wer das sieht, lebt allerdings diesen Schmerz durch. Aber er lebt durchaus auch das durch, daß er weiß, daß es so sein muß, und daß es für seine Fortentwickelung schädlich, schlimm wäre, wenn es nicht so wäre, wenn er nicht das aufnehmen könnte, was er durch einen solchen Schmerz erleben kann. Denn indem wir ein solches Verhältnis an­sehen und nicht ändern können, nehmen wir die Kraft auf, um es später im Lebenskarma zu ändern. So arbeitet die Technik des Karma, daß wir es umwandeln und ändern können, wenn wir wieder in eine physische Verkörperung eintreten. Nur im geringsten Maße ist eigent­lich die Möglichkeit vorhanden, daß der Verstorbene selbst es ändern kann. Er sieht gleichsam herankommen - das bezieht sich vor allen Dingen auf die erste Zeit nach dem Tode, auf die Zeit im Kamaloka -, was bedingt ist durch das Leben vor dem Tode; aber er muß dabei zunächst stehenbleiben und kann eine Änderung in seinen Verhält­nissen, in seinem Erleben nicht eintreten lassen.

Da dürfen wir sagen: Viel mehr Einfluß als der Verstorbene selbst auf sich hat, und als andere Hingestorbene auf ihn haben, haben die Lebenden, die Zurückgebliebenen hier. Und das ist etwas, was un­geheuer bedeutsam ist. Wer noch auf dem physischen Plane zurück­geblieben ist und ein gewisses Verhältnis mit den Verstorbenen an­geknüpft hat, wer Beziehungen hat zu den Seelen zwischen Tod und

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neuer Geburt, der ist eigentlich allein imstande, aus menschlicher Will­kür heraus während dieses Lebens noch irgendwelche Veränderungen bei den Verstorbenen nach dem Tode eintreten zu lassen.

Nehmen wir einen konkreten Fall, der uns zugleich Verschiedenes lehren kann. Und dabei können wir auch Rücksicht nehmen auf das Kamalokaleben; denn in dieser Beziehung ändern sich die Verhält­nisse nicht, wenn in die spätere Devachanzeit übergegangen wird. Denken wir uns, zwei Menschen haben auf der Erde gelebt. Es kann der Fall eintreten, daß der eine in einem bestimmten Zeitpunkte seines Lebens ein Verhältnis gewonnen hat - sagen wir, was uns naheliegt -zur Anthroposophie; er ist Anthroposoph geworden. Der andere, der neben ihm hergeht, wird dadurch, daß der Freund Anthroposoph ge­worden ist, gerade recht wütend auf die Anthroposophie, fängt jetzt erst an, garn: furchtbar über dieselbe zu schimpfen. Vielleicht haben Sie auch etwas darüber erfahren, wodurch Sie sich sagen können: Es würde der andere vielleicht gar nicht auf die Anthroposophie so wütend sein, wenn sein Freund nicht gerade Anthroposoph geworden wäre! - Nehmen wir an, die Anthroposophie wäre zuerst an ihn heran­getreten: dann würde er vielleicht ein guter Anthroposoph geworden sein. Das kann sein; solche Verhältnisse gibt es im Leben. Aber wir müssen uns klar sein, daß solche Verhältnisse oft gar sehr in der Maja, in dem, was wir die Täuschung des Lebens nennen, spielen kön­nen. So kann folgendes der Fall sein. Der da beginnt furchtbar auf die Anthroposophie zu schimpfen, weil sein Freund Anthroposoph ge­worden ist, schimpft nur in seinem Oberbewußtsein, in seinem Ich-Bewußtsein; in seinem astralen Bewußtsein, in seinem Unterbewußt­sein braucht er durchaus nicht die Abneigung gegen die Anthropo­sophie zu teilen. Ohne daß er es weiß, kann sich sogar eine Sehnsucht nach der Anthroposophie herausstellen. Und bei vielen ist es so, daß dasjenige, was sich als Abneigung im Oberbewußtsein herausstellt, Neigung ist im Unterbewußtsein. Dadurch, daß jemand im Ober-bewußtsein dies oder jenes äußert, braucht er noch nicht ebenso zu fühlen und zu empfinden, wie er sich äußert. Nach dem Tode erleben wir nicht bloß die Nachwirkungen dessen, was in unserem Ober-bewußtsein, in unserem Ich-Bewußtsein ist. Wer das glaubte, würde

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die Verhältnisse nach dem Tode ganz falsch ansehen. Wir haben oft betont, wie der Mensch zwar physischen Leib und Ätherleib mit dem Tode abstreift, aber Wünsche, Sehnsuchten und so weiter bleiben. Doch es bleiben nicht nur die Wünsche und Sehnsuchten, von denen der Mensch etwas weiß, sondern auch die, welche in seinem Unter­bewußtsein sind und von denen er nichts weiß, die er vielleicht be­kämpft, gegen die er wütet. Diese sind nach dem Tode oft viel stärker und intensiver, als sie im Leben sind. Im Leben zeigt sich eine gewisse Disharmonie zwischen Astralleib und Ich in einem Sich-Ödefühien, Sich-Unbefriedigtfühlen und so weiter. Nach dem Tode gibt gerade das astrallsche Bewußtsein den ganzen Charakter der menschlichen Seele an, das ganze Gepräge, wie der Mensch ist. Was wir in unserem Oberbewußtsein ausleben, ist nicht einmal von so großer Bedeutung wie alle die verborgenen Wünsche, Begierden, Leidenschaften, die in den Seelentiefen vorhanden sind und von denen das Ich oft gar nichts weiß. So kann es sein, daß ein solcher Mensch, der, weil sein Freund Anthroposoph geworden ist, über die Anthroposophie herzieht, durch die Pforte des Todes geht. Und jene Sehnsucht, die sich vielleicht gerade deshalb ausgebildet hat, weil er über die Anthroposophie ge­schimpft hat, macht sich geltend und wird jetzt ein innigster Wunsch nach der Anthroposophie. Dieser Wunsch müßte ungestillt bleiben; denn es könnte kaum der Fall eintreten, daß der Mensch nach dem Tode selbst Gelegenheit hätte, diesen Wunsch zu befriedigen. Aber durch eine eigentürlliche Verkettung der Umstände kann in einem solchen Falle der, welcher auf der Erde zurückgeblieben ist, dem andern helfen und an dessen Verhältnissen etwas ändern. Und hier tritt der Fall ein, der in zahlreichen Fällen auch in unseren Reihen zu beobachten ist.

Wir können zum Beispiel den Verstorbenen vorlesen. Das macht man in der Weise, daß man sich die lebendige Vorstellung bildet, der Tote sei vor einem: man stellt sich etwa seine Gesichtszüge vor und geht in Gedanken die Dinge mit ihm durch, die zum Beispiel in einem anthroposophischen Buche stehen. Man braucht es nur in Gedanken zu tun; das wirkt in einer unmittelbaren Weise auf den, der durch die Pforte des Todes gegangen ist. Und solange er im Kamaloka-Zustand

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ist, ist die Sprache auch kein Hindernis; das ware sie erst, wenn er im Devachan ist. Daher kann auch nicht die Frage aufgeworfen werden:

Versteht denn der Tote die Sprache? - Während der Kamalokazeit ist durchaus noch eine Empfindung für die Sprache vorhanden. In einer solchen aktiven Weise kann der Mensch demjenigen Hilfe leisten, der durch die Pforte des Todes gegangen ist. Was so aus dem physischen Plan heraufströmt, das ist etwas, was eine Änderung in den Verhält­nissen des Lebens zwischen dem Tode und der neuen Geburt hervor-rufen kann, was dem Verstorbenen gegeben werden kann nur von der physischen Welt aus, was ihm aber nicht von der geistigen Welt direkt gegeben werden kann.

Wir sehen daraus, daß Anthroposophie, wenn sie sich wirklich in die Herzen der Menschen einiebt, tatsächlich die Kluft überbrücken wird zwischen der physischen und der geistigen Welt, und das wird der Lebenseffekt, der große Lebenswert der Anthroposophie sein. Es ist die Anthroposophie wirklich erst im Anfange ihres Wirkens, wenn man die Hauptsache darin sieht, daß man sich gewisse anthroposophi­sche Begriffe und Ideen aneignet, wie der Mensch aus seinen Wesens-gliedern besteht oder was ihm aus der geistigen Welt zukommen kann. Erst wenn man weiß, wie Anthroposophie in unser Leben eingreift, wird sie die Brücke schaffen zwischen der physischen und der geistigen Welt, aber praktisch schaffen. Wir werden uns dann nicht mehr bloß passiv verhalten zu denen, die durch die Pforte des Todes gegangen sind, sondern wir werden uns aktiv zu ihnen verhalten, werden in einem lebendigen Verkehr mit ihnen stehen und ihnen helfen können. Dazu muß sich allerdings die Anthroposophie in das Bewußtsein ein-leben, daß unsere gesamte Welt zusammengefügt ist aus dem physi­schen Dasein und dem überphysischen, dem spirituellen Dasein, und daß der Mensch nicht nur auf der Erde ist, um für sich selber während des Lebens zwischen Geburt und Tod die Früchte des physischen Lebens zu sammeln, sondern daß er auf der Erde ist, um in die über-physische Welt das hinaufzuschicken, was nur auf dem physischen Plane gepflanzt werden kann, was überhaupt nur auf diesem Plane da sein kann. Ob der Mensch durch ein Berechtigtes, ob er, sagen wir, durch Bequemlichkeit fern geblieben ist den anthroposophischen

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Anschauungen: wir können nach dem Tode diese anthroposophischen Anschauungen auf die geschilderte Art an ihn heranbringen.

Da kann es ja sein, daß vielleicht jemand die Frage aufwirft: Viel­leicht geniere das den Verstorbenen, vielleicht will er das nicht? -Diese Frage ist nicht ganz berechtigt, aus dem Grunde, weil die Menschen der Gegenwart in ihrem Unterbewußtsein gar nicht so sonderlich viel gegen die Anthroposophie haben. Sie haben eigentlich gar nichts in ihrem Unterbewußtsein dagegen; und könnten wir an das Unterbewußtsein derer heran, die in ihrem Oberbewußtsein gegen die Anthroposophie wüten, so heran, daß ihr Unterbewußtsein mit­sprechen könnte, so würde es kaum irgendeine Gegnerschaft gegen die Anthroposophie geben. Denn der Mensch ist vorurteilsvoll und befangen gegen die geistige Welt nur in seinem Ich-Bewußtsein, nur in dem, was sich als Ich-Bewußtsein auf dem physischen Plane auswirkt.

Auf diese Weise haben wir die eine Seite der Vermittelung der physischen Welt und der spirituellen Welt kennengelernt. Wir können aber auch die Frage aufwerfen: Ist auch von der anderen Seite nach dieser physischen Welt eine Vermittelung möglich? Das heißt: kann in einer gewissen Beziehung der, welcher durch die Pforte des Todes gegangen ist, irgendwie sich denen mitteilen, die auf dem physischen Plane geblieben sind? - Das ist heute im allergeringsten Maße der Fall, und zwar aus dem Grunde, weil die Menschen auf dem physi­schen Plane zumeist nur in ihrem Ich-Bewußtsein leben und nicht in das Bewußtsein eintauchen, das an den Astralleib gebunden ist. Nun ist es nicht so leicht, eine Vorstellung davon hervorzurufen, wie all­mählich die Menschen, wenn die Anthroposophie weiter und weiter in der Menschheitsevolution gedeihen wird, ein Bewußtsein von dem erringen werden, was um den Menschen rings herum ist als eine astrale oder devachanische oder sonstwie geistige Welt. Aber es wird das kommen. Rein dadurch, daß der Mensch auf das Rücksicht nimmt, was ihm die Anthroposophie durch ihre Lehren geben kann, wird er die Mittel und Wege finden, um die Welt des bloß physischen Planes zu durchbrechen und sozusagen Aufmerksamkeit zu ver­wenden auf die Welt, die ja rings um ihn herum ist und die ihm nur entgeht, weil er nicht aufmerksam ist auf die geistige Welt.

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Wie können wir Mittel und Wege finden, um auf diese geistige Welt aufmerksam zu werden?

Ich möchte heute eine Vorstellung in Ihnen hervorrufen, wie der Mensch zunächst wissen kann, wie wenig er eigentlich von den Dingen der Umwelt in Wahrheit weiß und erkennt. Der Mensch er­kennt nämlich eigentlich ungemein wenig Bedeutungsvolles von der Welt. Er lernt durch seine Sinne und seinen Verstand die gewöhn­lichen Tatsachen erkennen, in die er hineingesponnen ist. Was da vorgeht und was in ihm selber vorgeht, lernt er kennen und ver­knüpft dann dieses, nennt das eine die Ursachen, das andere die Wirkungen, und glaubt dann die Vorgänge zu kennen, wenn er sie nach Ursache und Wirkung oder nach anderen Begriffen verknüpft. Wir gehen zum Beispiel morgens um acht Uhr aus unserer Wohnung, betreten die Straße, gehen dann an die Berufsstätte, essen dann wäh­rend des Tages, machen dieses oder jenes zu unserem Vergnügen; das machen wir, bis wir wieder in den Schlaf hinübergehen. Dann ver­knüpfen wir diese Dinge in unserem Leben: das eine macht einen stärkeren Eindruck auf uns, das andere einen schwächeren. Dadurch erleben wir auch Seelenimpressionen: das eine ist uns sympathisch, das andere antipathisch. So leben wir - eine geringfügige Über­legung kann uns das lehren -, wie wenn wir oben auf dem Meere schwimmen und gar keine Vorstellung haben von dem, was unten auf dem Meeresgrunde ist. So leben wir in das Leben hinein und lernen nur kennen, was äußerlich als Wirklichkeit vorgeht. Aber in dem, was als Wirklichkeit so vorgeht, steckt ungeheuer viel darin. Nehmen wir das Beispiel: Wir sollten jeden Tag um acht Uhr morgens aus unserem Zimmer gehen, um an unsere Berufsstätte zu kommen. Eines Tages gehen wir drei Minuten später fort. Wir erleben da auch wieder etwas: Wir kommen um drei Minuten später an und machen es dann wieder so, wie sonst, wenn wir um acht von Hause fortgehen. Aber manchmal gelingt es uns doch, zu konstatieren, daß, wenn wir um acht Uhr auf der Straße gewesen wären, wir vielleicht von einem Automobil überfahren und getötet worden wären. Das beißt in die­sem Falle: Wenn wir um acht Uhr auf die Straße gegangen wären, lebten wir gar nicht mehr. Oder wir können ein andermal feststellen,

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daß gerade ein Eisenbahnzug verunglückt ist, den wir sonst benutzt hätten, so daß wir uns ausrechnen können, daß wir mitverunglückt wären. Da haben wir noch radikaler, was ich eben ausgesprochen habe. Wir beachten nur das, was geschieht, und nicht das, was fort­während geschehen kann und dem wir entgehen. Wir entgehen fort­während Dingen, die mit uns geschehen könnten, und unendlich größer ist die Sphäre der Möglichkeiten gegenüber dem, was wirklich geschieht.

Nun können wir sagen: Das hat zunächst für unser äußeres Leben keine Bedeutung. - Ganz gewiß, für das äußere nicht, ber für das innere doch! Nehmen Sie an, Sie hätten die Erfabrung gemacht, daß Sie schon ein Billett für den «Titanic »-Dampfer gehabt haben, daß ein Freund Ihnen abgeraten hat zu fahren; Sie haben das Billett verkauft und Sie würden dann von der Katastrophe hören. Würden Sie dann dasselbe Seelenerlehnis haben, als wenn Sie ein unbeteiligter Beobach­ter wären? Würde es nicht vielmehr einen außerordentlich bedeut­samen Eindruck auf Ihre Seele machen? Wenn wir eben wüßten, vor wie vielen Dingen wir in der Welt bewahrt werden, wie viele Dinge möglich sind im guten und schlimmen Sinne, für welche die Kräfte zusammendrängen und nur durch eine Verschiebung nicht zusammen­kommen, dann hätten wir eine Empfindung für Seelenerlebnisse des Glückes oder des Unglückes, für Erlebnisse des Leibes, die für uns möglich sind, aber die wir nicht erleben, die wir ganz und gar nicht erleben. Wer von allen denen, die hier sitzen, kann wissen, was er erlebt hätte, wenn zum Beispiel heute abend der Vortrag abgesagt worden wäre und er irgendwo anders wäre? Wenn er es aber wissen würde, so würde er manchmal aus diesem Wissen eine ganz andere innere Seelenverfassung haben, als er jetzt hat, weil er nicht weiß, was hätte geschehen können.

Dies alles, was so möglich ist, aber nicht wirklich wird auf dem physischen Plan, lebt als Kräfte, als Effekte hinter unserer physischen, in der geistigen Welt, ist dort als Kräfte wirklich vorhanden, durch­schwirrt sozusagen die geistige Welt. Es stürmen auf uns nicht nur die Kräfte ein, die uns hier in der Wirklichkeit bestimmen, sondern auch die unermeßlich zahireichen Kräfte, die nur in der Möglichkeit vorhanden

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sind, und nur selten dringt etwas von diesen Möglichkeiten in unser physisches Bewußtsein herein. Dann ist es in der Regel aber auch die Veraniassung eines bedeutsamen Seelenerlebnisses Sagen Sie nicht: Was jetzt dargestellt worden ist, daß es eine unendliche Welt der Möglichkeiten gibt, daß zum Beispiel hier der Vortrag ab­gesagt sein konnte und daß die hier Sitzenden etwas anderes erleben konnten - das alles spreche gegen das Karma. - Es spricht nicht gegen das Karma. Wenn man das sagte, würde man nicht wissen, daß die Karma-Idee, wie wir sie dargestellt haben, nur für die Welt der Wirklichkeiten innerhalb des physischen Menscheniebens gilt, und daß das Leben des Geistigen durchiebt und durchweht unser phy­sisches Leben, daß eine Welt der Möglichkeiten herrscht, wo die Ge­setze, die jetzt spielen als karmische Gesetze, ganz anderer Natur sind. Wenn wir uns ein bißchen mit einem Gefühi davon durchdringen, was für ein kleiner Teil die Welt der physischen Wirklichkeiten von dem ist, was wir erleben könnten, wie unsere Welt der Erlebnisse nur ein herausgeschnittenes Stück der Möglichkeiten ist, dann kann uns das den ungeheuren Reichtum, das Sprudeinde des geistigen Lebens nahelegen, das hinter unserem physischen Leben ist.

Nun kann folgendes vorkommen. Es kann ein Mensch tatsächlich ein wenig in seinen Gedanken, oder nicht einmal in seinen Gedanken, sondern in seinem Gefühl Rücksicht nehmen auf diese Welt der Mög­lichkeiten. Er kann zum Beispiel einmal so etwas erfahren: Du hast einen Zug versäumt, bei dessen Unglück du wahrscheinlich von dem Tode getroffen worden wärest. - Das kann ein Moment sein, der in der Seele einen tiefen Eindruck macht, wenn uns das vor Augen steht. Solche Momente sind geeignet, um uns sozusagen offen zu machen gegen die geistige Welt hin, wo dann Ahnungen in uns herein-kommen können. Solche Momente, die irgendwie mit uns zu­sammenhängen, können uns dann auch vorhandene Wünsche oder Gedanken der Seelen, welche zwischen dem Tode und der neuen Ge­burt leben, ankündigen.

Wenn Anthroposophie bei den Menschen das Gefühi für die Mög­lichkeiten des Lebens, für bestimmte Ereignisse und Erschütterungen lebendig machen wird, die nur dadurch nicht geschehen sind, daß

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irgend etwas, wozu die Kräfte da waren, nicht zustande gekommen ist, wenn das gefühlt wird, und die Seele an einem solchen Gefühle festhält, dann ist sie tatsächlich geeignet, Erfahrungen aus der geisti­gen Welt hereinzunehmen von solchen Persönlichkeiten, mit denen sie in der physischen Welt zusammengehangen hat. Wenn der Mensch auch während des turbulenten Tageslebens zumeist nicht geneigt ist, sich den Gefühien, was hätte geschehen können, hinzugeben, so gibt es aber doch Zeiten im menschlichen Leben, in denen dies, was hätte geschehen können, bestimmend wirkt auf die menschliche Seele. Würden Sie das Traumleben oder das eigentümliche Leben im Über­gehen vom Wachen in ScHaf oder vom Schlaf in Wachen genauer beobachten, würden Sie gewisse Träume genauer beobachten, die manchmal ganz unerklärlich sind, wo einem dies oder jenes, was mit einem geschieht, in einem Traumbilde oder in einer Vision vor die Seele tritt, würde die Seele dem nachgehen, so würde sie finden, daß solche unerklärliche Bilder so etwas sind, was hätte geschehen kön­nen, und was nur dadurch abgehalten worden ist, daß andere Ver­hältnisse eingetreten sind als die, die hätten geschehen können, oder weil sonst irgendwie Hindernisse eingetreten sind. Wer durch Medi­tationen oder auf andere Weise sein Vorstellungsleben beweglich macht, der wird, wenn auch nicht in deutlich ausgesprochenen Vor­stellungen, doch aber gefühismäßig Momente im Wachleben haben, in denen er fühit, wie er in einer Welt der Möglichkeiten drinnen lebt. Wenn man ein solches Gefühi entwickelt, bereitet man sich dazu vor, um Eindrücke aus der spirituellen Welt eben von denjenigen Men­schen zu bekommen, die mit einem in der physischen Welt verbunden waren. Und dann treten derartige Einwirkungen auch in solchen Mo­menten, wie sie eben charakterisiert worden sind, als Traumerlebnisse zutage, die aber dann eine reale Bedeutung haben, die auf etwas Wirk­liches in der spirituellen Welt hinweisen. Gerade indem uns die Anthro­posophie lehrt, daß es hier im Leben zwischen Geburt und Tod das Karma gibt, zeigt sie uns, daß, wo wir auch stehen, wir immer vor einer unendlichen Zahl von Möglichkeiten stehen, die geschehen könnten. Eine wird ausgewählt nach dem Gesetz des Karma; die anderen stehen dahinter, die umgeben uns gleichsam wie eine reale

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Weltenaura. Je mehr wir an das Karma glauben, desto mehr glauben wir auch an diese reale Weltenaura, die uns umgibt aus lauter Kräften, die zusammenkommen, aber doch in einer Weise verschoben werden, so daß sie auf dem physischen Plane zu nichts führen.

Wenn wir uns gerade durch Anthroposophie das Gemüt be­einflussen lassen, wenn solche Dinge sich hereinieben in unser Gemüt, dann wird Anthroposophie das menschliche Erziehungsmättel sein, um auch Eindrücke, Einflüsse aus den geistigen Welten aufzunehmen. Wenn a]so Anthroposophie auf das Kulturleben, auf das Geistesleben, einen Einfluß gewinnt, dann wird nicht nur von dem physischen Leben hinauf ins Spirituelle dasjenige an Einflüssen gehen, was vorhin beschrieben worden ist, sondern es werden dann auch die Erlebnisse zurückkommen, welche die Verstorbenen haben in der Zeit, die sie durchleben zwischen Tod und neuer Geburt. So wird auch hier die Kluft beseitigt werden zwischen der physischen und der spirituellen Welt. Dadurch wird eine ungeheure Erweiterung des menschlichen Lebens zustande kommen, und erst dadurch wird zustande kommen, was die Anthroposophie schaffen soll: eine wirkliche Verbindung der beiden Welten, nicht nur ein theoretisches Begreifen, daß es eine geistige Welt gibt. Es ist einmal notwendig, zu begreifen, daß die Anthroposophie ihre vollständige Aufgabe erst dann erfüllt, wenn sie die menschlichen Seelen lebendig durchdringt und wenn wir durch sie nicht nur etwas begreifen, sondern ganz anders werden in unserer ganzen Stellung und in unserem Verhältnisse zur urntiegenden Welt.

Der Mensch denkt vermöge der Vorurteile unseres Zeitenzyklus viel, viel zu materialistisch. Auch wenn er oftmals an eine geistige Welt glaubt, denkt er viel zu materialistisch. So wird es dem Menschen außerordentlich schwierig, das richtige Verhältnis zwischen Seeli­schem und Leiblichem im heutigen Zeitalter ins Auge zu fassen. Die Denkgewohnheiten gehen doch zu sehr danach hin, daß wir so­zusagen das Seelische zu eng gebunden denken an das Körperliche. Hier kann uns vielleicht nur ein Vergleich zu dem verhelfen, was wir eigentlich begreifen sollen.

Wenn wir eine Uhr anschauen, so besteht sie aus Rädern, aus sonstigen Metallteilen und dergleichen. Schauen wir jemals eine Uhr

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an im gewöhnlichen Leben, in welchem sie uns dienen soll, um das Werk zu studieren oder um das Ineinanderspielen der Räder zu studieren? Nein. Wir schauen die Uhr an, um durch sie zu erfahren, wieviel Uhr es ist. Das ist aber etwas, was gar nichts zu tun hat mit allen Metallteilen und dergleichen. Denn, was hat die Zeit mit den Metallteilen zu tun? Wir schauen die Uhr an und kümmern uns gar nicht um das, was uns die Uhr selber zeigt. Oder nehmen wir ein anderes Beispiel zum Vergleich. Wenn der Mensch heute vom Tele­graphieren spricht, so hat er vorzugsweise den elektrischen Tele­graphen im Auge. Aber als man noch keinen elektrischen Telegraphen hatte, hat man auch telegraphiert. Denn wenn man nur die richtigen Zeichen und so weiter kennt, so würde man es - vielleicht gar nicht einmal viel langsamer - zustande bringen, auch ohne elektrischen Telegraphen von einem Orte zum andern zu sprechen. Man stelle Säulen zum Beispiel von Berlin nach Paris auf, man stelle an jeder Säule einen Menschen hin, der die betreffenden Zeichen gleich weiter-gibt. Und wenn das dann mit der nötigen Schnelligkeit geschieht, dann geschieht ganz dasselbe, was durch den elektrischen Telegraphen geschieht. Gewiß ist es durch den elektrischen Telegraphen einfacher und schneller; aber was da geschieht, das Telegraphieren, das hat mit der Einrichtung eines elektrischen Telegraphen nicht das geringste zu tun, so wenig wie die Zeit mit dem inneren Werke der Uhr.

Geradesoviel wie die Mitteilung von Berlin nach Paris mit der Ein­richtung des elektrischen Telegraphen, geradesoviel und sowenig hat das, was die menschliche Seele ist, mit den Einrichtungen des mensch­lichen Leibes zu tun. Nur wenn wir so denken, bekommen wir eine richtige Vorstellung von der Selbständigkeit des Seelenwesens. Denn es könnte durchaus sein, daß diese menschliche Seele mit allem, was sie in sich hat, eines anderen Leibes, eines anders gestalteten Leibes sich bediente, so wie man die Mitteilung von Berlin nach Paris durch etwas anderes als gerade durch die Einrichtung eines elektrischen Telegraphen übersenden könnte. Und wie der elektrische Telegraph nur die bequemste Art ist innerhalb unserer Verhältnisse, um eine Mitteilung zu machen, so ist auch der in pendelnder Bewegung sich befindliche Leib, der oben ein Haupt hat, für unsere Erdenverhältnisse

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das bequemste Mittel, daß die Seele sich ausleben, sich äußern kann. Aber es ist durchaus nicht so der Fall, daß der Leib mit dem, was das Seelenleben ist, irgend etwas mehr zu tun hat, als die elektri­schen Telegraphen und ihre Einrichtungen mit der Weitergabe einer Mitteilung von Paris nach Berlin, oder als die Uhr mit der Zeit zu tun hat. Denn man könnte ein ganz anderes Instrument ersinnen, um die Zeit zu messen, als unsere Uhren. Und so ist ein ganz anderer mensch­licher Leib denkbar als der, den wir nach den jetzigen Erdenverhält­nissen benutzen, um die menschlichen Seelenverhältnisse auszuleben. Denn, womit hängt die menschliche Seele zusammen? Wie haben wir eigentlich die menschliche Seele in ihrer Beziehung zum Leibe auf­zufassen?

Gerade auf diesem Gebiete möchte man den Schillerschen Aus­spruch anführen, auch in einem Bilde auf den Menschen angewendet:

«Suchst du das Höchste, das Beste, die Pflanze kann es dich lehren.» Man sehe sich die Pflanze an, die bei Tag die Blätter ausbreitet, die Blüte öffnet, und die, wenn das Licht fort ist, Blätter und Blüte zu­sammenzieht. Was ist ihr entzogen? Was ihr von der Sonne, aus dem Sternenraume zukommt während des Tages, das ist ihr entzogen. Was aber von der Sonne hereinwirkt, das macht, daß die zusammen­gefallenen Blätter sich wieder ausspreizen, daß die Blüte sich ent­faltet. Draußen im Weltenraume sind also die Kräfte, welche die Organe der Pflanze entweder scHaff zusammenfallen lassen oder sie sich entfalten lassen, wenn sie wirken. Was da im Weltenraume aus­gebreitet ist und bei der Pflanze die Glieder erschlaffen läßt, wenn es sich der Pflanze entzieht, das macht heim Menschen das eigene Ich mit dem Astralleib. Wann läßt der Mensch die Glieder sinken, wann läßt er die Augenlider sinken, wie bei der Pflanze, wenn sie Blätter und Blüten zusammenzieht? Wenn das Ich und der astralische Leib aus der menschlichen Wesenheit herausgehen. Was die Sonne bei der Pflanze macht, das bewirkt das Ich und der astralische Leib bei den Organen der menschlichen Natur. Daher können wir sagen: Der Pflanzenleib muß hinaufsehen zur Sonne, wie der Menschenieib zu dem eigenen Ich und Astralleib hinsehen und sie als das ansehen muß, was auf ihn denselben Eindruck macht wie die Sonne auf die Pflanze.

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Ist es Ihnen, wenn Sie das nur äußerlich bedenken, noch wunderbar, wenn uns nun die okkulte Untersuchung lehrt, daß tatsächlich das Ich und der astralische Leib aus dem Weltenraume, dem die Sonne angehört, herausgeboren sind und gar nicht der Erde angehören? Und nun wird Ihnen dieses nach den schon angestellten Betrachtungen auch nicht verwunderlich sein: Wenn die Menschen im ScHafe oder im Tode herausschreiten aus der Erde, dann leben sie die großen Weltenverhältnisse durch, dann sind sie dort. Die Pflanze ist eben noch gebunden an die Sonne und an die Kräfte, die im Raume sind. Das Ich und der astralische Leib des Menschen haben sich selbständig gemacht gegenüber den im Raume ausgebreiteten Kräften und gehen ihren eigenen Weg. Daher kann die Pflanze nur scHafen, wenn ihr wirklich das Sonnenlicht entzogen ist. Der Mensch ist in bezug auf sein Ich und seinen Astralleib unzbhängig von dem, was seine Heimat ist, von Sonnen und Planeten, daher kann er auch bei Tage schlafen, wenn die Sonne scheint. Er hat sich in seinem Ich und Astralleib frei gemacht von dem, womit er aber eigentlich einerlei ist: mit den Sternen- und Sonnenkräften. Und nicht grotesk ist es, wenn wir sagen:

So gehört also das, was nach dem Tode auf der Erde und in ihren Elementen zurückbleibt, der Erde und ihren Kräften an; das Ich und der Astralleib aber gehören den großen Weltenkräften an, gehen zu diesen Weltenkräften mit dem Tode des Menschen wieder zurück und durcHeben innerhalb derselben das Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Und während der Zeit zwischen Geburt und Tod, während die Seele hier in einem physischen Leibe eingefügt ist, hat das, was unser Seelenieben ist, was eigentlich zum Sonnenleben und zum Sternenieben gehört, mit diesem physischen Leibe nicht mehr zu tun, als die Zeit, die im Grunde genommen auch durch Sonnen- und Sternkonstellationen bedingt ist, mit der Uhr und ihrer Einrichtung in den Rädern zu tun hat. Es wäre durchaus denkbar, daß wir, wenn wir statt auf der Erde auf einem andern Planeten wohnten, mit unserer selben Seele ganz anderen Planetenverhältnissen angepaßt wären. Daß wir Augen haben, wie sie in dieser Weise gestaltet sind, daß wir solche Ohren haben, wie sie so gestaltet sind, rührt nicht von den Seelenverhältnissen her, sondern von dem, was Erdenverhält­nisse,

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irdische Verhältnisse sind. Wir benutzen nur diese Organe. Uns mit diesem Bewußtsein zu durchdringen, daß wir mit unserm Seelen­gliede der Sternenwelt angehören, das gibt uns eben erst AufscHuß über unser wirkliches menschliches Verhältnis, über unsere wirkliche menschliche Wesenheit. Wenn wir das wissen, wissen wir uns auch in der richtigen Weise zu unsern Verhältnissen hier auf der Erde zu ver­halten. Wenn man daher in einer solchen Weise des Menschen, man möchte sogar sagen, mehr oder weniger äußerliches Verhältnis zu seinem physischen Leibe oder Ätherleibe durchdringt, dann wird Sicherheit in den Menschen kommen. Er wird sich nicht mehr bloß als Erdenwesen wissen, sondern als Angehöriger der ganzen Welt, des ganzen Makrokosmos, als eine im Makrokosmos drinnen befindliche Wesenheit. Nur weil er hier an seinen Leib gebunden ist, ist er sich der Zusammengehörigkeit mit den Kräften des großen Weltenraumes nicht bewußt.

Dies ist es, was immer versucht wurde im Laufe der Zeiten da, wo das geistige Leben vertieft worden ist, auch in die Seelen hinein-dringen zu lassen. Und im Grunde genommen ging erst in den letzten vier Jahrhunderten das Bewußtsein von dieser Zusammengehörigkeit des Menschen mit den spirituellen Kräften, die weben und walten im Weltenraume, verloren. Nehmen wir einmal das, was wir immer be­tont haben: daß wir in dem Christus zu sehen haben das große Sonnen­wesen, das durch das Mysterium von Golgatha sich mit der Erde und ihren Kräften vereinigt hat, so daß der Mensch die Christus-Kraft auf der Erde in sich aufnehmen kann - dann wird in der Durchdringung mit dem Christus-Impuls zugleich das liegen, was in den großen Impulsen des Makrokosmos liegt, und es wird für jeden Menschheits­zyklus das Richtige sein, in dem Christus das zu sehen, was uns das Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Makrokosmos geben soll.

Im 12. Jahrhundert entstand im Abendlande eine schöne Parahel, eine Erzählung, in der das Folgende dargestellt wird. Es hatte einmal ein Mädchen eine Anzahl von Brüdern. Alle waren sie bettelarm, die ganze Familie. Nun fand das Mädchen einmal eine Perle. Dadurch war sie in den Besitz einer ungeheuren Kostbarkeit gekommen. Die Brüder waren darauf aus, an dem Reichtum teilzunehmen, der da über das

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Mädchen gekommen war, und da trug sich das Folgende zu. Der eine Bruder war Maler, und er sagte zu dem Mädchen: Ich will dir das schönste Bild malen, das es je gegeben hat, wenn du mich an deinem Reichtume teilnehmen läßt. - Doch wollte das Mädchen nichts von ihm wissen und wies ihn ab. Der zweite Bruder war Musiker. Er ver­sprach dem Mädchen, das herrlichste Musikstück zu komponieren, wenn sie ihn an ihrem Reichtum teilnehmen ließe. Aber sie wies ihn ab. Der dritte Bruder war Apotheker, und wie es im Mittelalter war, waren in den Apotheken vorzugsweise Parfümerien und andere Sachen zu haben, die nicht bloß Heilkräuter waren, sondern auch sonst für das Leben geeignet waren. Und das wohiriechendste Wasser versprach dieser Bruder dem Mädchen, wenn sie ihn zum Teilnehmer an ihrem Reichtume machen würde. Aber auch diesen Bruder wies sie ab. Der vierte Bruder war Koch. Er versprach dem Mädchen, daß er ihr so gute Dinge kochen würde, daß sie durch das Essen solcher Dinge ein Gehirn wie Zeus bekommen würde und außerdem das geschmack­vollste Essen haben würde, wenn sie ihn an ihrem Reichtume teil­nehmen ließe. Sie wies ihn ab. Der fünfte Bruder war ein Wirt, und der versprach ihr, daß er ihr die besten Freier verschaffen würde, wenn sie ihn an ihrem Reichtume teilnehmen ließe. Doch sie wies auch ihn ab. Da kam dann derjenige, so erzähit die Parabel, der wirklich die Seele des Mädchens finden konnte, und mit dem teilte sie ihr Kleinod, die Perle, die sie gefunden hatte.

Das Ganze ist sehr schön erzählt. Und noch schöner ist es dann dargestellt von einem späteren Lyriker im 17. Jahrhundert, von Jakob Balde, ausführlicher und schöner. Aber wir haben auch eine Erklärung, die schon aus dem 13. Jahrhundert stammt und die in diesem Falle von dem Dichter selber gegeben worden ist, so daß man nicht sagen könnte, die Erzählung wäre bloß so ausgelegt. Darin sagt der Dichter, er habe die menschliche Seele mit ihrem freien Willen darstellen wol­len. Das Mädchen ist die menschiiche Seele, die einen freien Willen hat. Die fünf Brüder des Mädchens sind die fünf Sinne: der Maler ist das Auge, der Musiker das Ohr, der Apotheker der Geruch, der Ge­schmack der Koch und der Wirt ist der Tastsinn. Sie weist sie ab, um dann mit dem, der wirklich ihrer Seele verwandt ist, mit dem Christus -

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so wird es dargestellt - das Kleinod des freien Willens zu teilen, das heißt nicht um das aufzunehmen, wozu die Sinne drängen, sondern wozu der Christus4mpuls drängt, wenn die Seele von ihm durch­drungen ist. Da haben wir, man möchte sagen, in schöner Weise geschieden die Selbständigkeit des Lebens der Seele, die geistgeboren ist, die im Geiste ihre Heimat hat, von demjenigen, was irdisch ge­boren ist: die Sinne und alles das, was ja nur da ist, damit die Seele darin eingebettet sein kann, das heißt überhaupt die irdische Leib­lichkeit.

Es sollte - damit der Anfang gemacht werde zu zeigen, wie man durch ein sachgemäßes Denken über das gewöhnliche Leben heraus­finden kann - dargestellt werden, wie begründet und richtig das ist, was durch die okkulte Forschung in der geistigen Welt geschaut wird, wenn der okkulte Forscher unmittelbar durch seine Anschauung weiß, daß die Seele des Menschen, also Ich und Astralleib, der Sternenwelt angehören. Wenn man so das menschliche Verhältnis mit den im ScHafe zusammenbleibenden Gliedern betrachtet, wie es aber so ohne weiteres unabhängig ist von der Sternenwelt, weil der Mensch auch bei Tage scHafen kann, und wenn man es vergleicht mit der Pflanze und dem Sonnenlicht, dann kann eingesehen werden, wie begründet das ist, was die okkulte Forschung gibt. Es handelt sich darum, daß man eingeht auf die Begründungen, die wirklich in der Welt gefunden werden können. Wenn aber jemand unbegründet findet, was durch die okkulte Forschung zutage tritt, so ist das nur ein Zeichen dafür, daß er nicht alles zu Rate gezogen hat, was wirklich aus der äußeren Welt ein Wissen liefern kann. Das erfordert ja manchmal viel Energie und viel Unbefangenheit; die bringt man nicht immer au£ Aber man kann sagen: Wer mit Wahrhaftigkeit in der geistigen Welt forscht und dann das Resultat seines Forschens der Welt übergibt, der übergibt es dem sachgemäßen Urteil. Denn vor der vernunftgemäßen Kritik scheut die wirkliche okkulte Forschung nicht zurück, nur vor der oberflächlichen Kritik, die aber keine Kritik ist.

Wenn Sie sich nun erinnern, wie der Gang der ganzen Mensch­heitsentwickelung dargestellt worden ist von der Saturnzeit über die Sonnen- und Mondenzeit bis in unsere Erdenzeit, dann werden Sie

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sich auch erinnern, wie während der Mondenzeit eine Trennung ein­tritt, die sich dann während des Erdendaseins fortsetzt. Durch jene Trennung ist das bewirkt worden, daß sich heute verhältnismäßig ferner einander gegenüberstehen das Seelische und das Leibliche. Zur alten Sonnenzeit waren sie noch viel mehr miteinander verwandt. Da­durch, daß sich der Mond von der Sonne schon in der alten Monden­zeit trennte, wurde bewirkt, daß das Seelische des Menschen selb­ständiger wurde. Damals drang das Seelische in gewissen Zwischen­zeiten zwischen den Verkörperungen in den allgemeinen Makro­kosmos hinaus, machte sich selbständig, und das bewirkte, daß jene eigentümlichen Verhältnisse eintraten, die während der Erdentwicke­lung die Abtrennung der Sonne und dann die des Mondes in der lemurischen Zeit bewirkten, wodurch dann eine Schar einzelner menschlicher Seelen - wie es in der «Geheimwissenschaft im Umriß» ausführlicher beschrieben ist - hinausdrangen, um abgesondert von der Erde besondere Schicksale durchaumachen und um später erst wieder zurückzukehren. Es wird sich uns aber noch zu zeigen haben, daß der Mensch in bezug auf das, was übrigbleibt, wenn er durch die Pforte des Todes gegangen ist und in die geistige Welt, seine Heimat, geht, ein radikal anderes Leben führt, das im Grunde genommen recht wenig verwandt ist mit dem irdischen Leibe.

Noch Genaueres, was zur genaueren Kenntnis für das Leben zwi­schen Tod und neuer Geburt nötig ist, werden wir in den nächsten Vorträgen kennenlernen können.

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VIERTER VORTRAG Berlin, 10. Dezember 1912

In den vorangegangenen Betrachtungen über das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt haben wir gesehen, daß derjenige Teil der menschlichen Wesenheit, welcher beim Durchgang durch die Todes­pforte den physischen Leib und zum großen Teil den Ätherleib ver­läßt, also der unvergängliche Teil der menschlichen Wesenheit, ein Leben durchmacht, das seine Kräfte aus der Sternenwelt zieht, und wir haben darauf aufmerksam gemacht, wie diese menschliche Wesen­heit aus den Sternengebieten ihre Kräfte zwischen dem Tode und der neuen Geburt zieht. Wir haben darauf aufmerksam gemacht, wie der Mensch mehr oder weniger befähigt wird, in der richtigen Art seine Kräfte aus der Sternenweit zu ziehen, je nachdem er hier im Erdenleben gewisse moralische oder religiöse Stimmungen entwickelt hat. So konnten wir darauf hinweisen, wie der Mensch zum Beispiel aus dem Gebiete, das seine Kräfte ausstrahiend hat von dem, was man im Okkulten den Merkur nennt, seine richtigen Kräfte zieht durch eine entsprechend ausgebildete moralische Stimmung während des Lebens vor dem Tode, wie er aus dem Venusgebiete die entsprechenden, ihm dann für das weitere Leben, auch für das weitere Leben auf der Erde, notwendigen Kräfte ziehen kann durch ein entsprechendes religiöses Erleben vor dem Tode. Wenn wir diese verschiedenen Gedanken zu­sammenfassen, die wir bisher vor unsere Seele führen konnten, dann können wir sagen: Geradeso, wie der Mensch, solange er sich seiner Sinne bedient, solange er sich lenken und leiten läßt von dem Ver­stande, der an das Gehirn als an sein Instrument gebunden ist, mit anderen Worten, wie der Mensch hier während seines Erdendaseins mit den Kräften eben dieser unserer Erde zusammenhängt, so hängt er im Leben zwischen Tod und neuer Geburt mit den Kräften zu­sammen, die von den Sternenwelten ausstrahlen. Allerdings besteht ein gewisser Unterschied für den gegenwärtigen Menschen in dem Verhältnisse seines Wesens zu den Erdenkräften während des physi­schen Lebens und in seinem Verhältnisse zu den Sternenkräften zwischen

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dem Tode und der neuen Geburt. Die Kräfte, welche der Mensch während des Erdenlebens in sein Bewußtsein hereinnimmt, also die Kräfte, die er bewußt während des Erdeniebens erlebt, tragen nicht Wesentliches bei zu alle dem, was der Mensch für seine eigene Wesenheit zum Aufbau, zur Belebung braucht. Es sind Abbau-prozesse. Daß dieses der Fall ist, sehen wir ja einfach aus dem Um­stande, daß der Mensch während des Schlafes kein Bewußtsein ent­wickelt. Warum nicht? Er entwickelt einfach aus dem Grunde kein Bewußtsein, weil er nicht Zeuge sein soll desjenigen, was mit ihm während des Schlafes geschieht. Denn während des Schlafes werden die im wachen Leben verbrauchten Kräfte wiederhergestellt. Diese Wiederherstellung seiner verbrauchten Kräfte während des ScHafes soll der Mensch nicht mit ansehen. Dieser ganze Vorgang, der ent­gegengesetzt ist dem Wachvorgang, wird sozusagen dem mensch­lichen Bewußtsein verhüllt. Die Bibel hat einen bedeutsamen, tiefen Ausdruck für diese Tatsache. Es ist dies einer von denjenigen Aus­sprüchen der Bibel, die, wie alle okkulten Grundlagen der religiösen Urkunden, recht wenig verstanden werden. Da, wo es mit Bezug auf das Paradiesesleben heißt: Der göttliche Geist bescHoß, daß der Mensch, nachdem er sich dieses oder jenes angeeignet hat, zum Bei­spiel die Urteilsfähigkeit über Gut und Böse, nicht auch erhalten solle einen Einblick in die Kräfte des Lebens. - Da ist die Stelle, wo in der Bibel aufmerksam gemacht wird, daß der Mensch nicht mit ansehen soll die Wiederbelebung seines Wesens während des ScHafes, über­haupt nicht mit ansehen soll die Wiederbelebung seines Wesens wäh­rend seines physischen Erdendaseins. Dessen soll er nicht Zeuge sein. Und wenn der Mensch aufwacht, ist der ganze Lebensprozeß eigent­lich ein Zerstörungsprozeß, ein Abnutzungsprozeß. Da wird im Men­schen eigentlich nichts hergestellt. Wo noch eine eigentliche Belebung, eine Herstellung ist, nämlich in der allerersten Kindheit, da ist auch das Bewußtsein noch dumpf, und der ganze Herstellungsprozeß wird dem Menschen später doch verhüllt, indem er sich nicht mehr an die Zeiten seiner ersten Kindheit zurückerinnert. Also wir können sagen:

Für das bewußte Erdenleben bleibt dem Menschen verhüllt, was man Belehungs-, Herstellungsprozesse nennen kann. Es sind Wahrnehmungs-, Erkenntnisprozesse,

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welche das Bewußtsein des Menschen erfüllen, nicht aber eigentliche Belebungsprozesse.

Das wird nun anders in dem Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt. Dieses ganze Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt ist ja dazu bestimmt, in die menschliche Wesenheit die Kräfte hereinzubekommen, welche dem Aufbau des nächsten Lebens dienen können, diese Kräfte sozusagen hereinzusaugen in die mensch­liche Wesenheit aus der gesamten Sternenwelt. Nun aber ist es bei diesem Vorgang nicht so, wie es auf der Erde ist, daß man sozusagen sich als Mensch selber gar nicht kennt. Denn auf der Erde kennt man sich ja nicht. Was weiß der Mensch von den Vorgängen, die in seinem Organismus stattfinden? Nichts weiß er davon durch unmittelbare An­schauung; und was durch die Anatomie, durch die Biologie und so weiter gewonnen wird, ist ja kein wirkliches Wissen von der mensch­lichen Wesenheit, sondern etwas ganz anderes. Aber in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt schaut der Mensch an, wie die Kräfte aus der Sternenwelt auf ihn, auf seine Wesenheit wirken, wie sie ihn nach und nach wieder aufbauen. Daraus können Sie entnehmen, wie anders die Anschauung ist zwischen dem Tode und der neuen Geburt als hier auf der Erde. Hier steht der Mensch an einem Punkte der Erde, richtet die Sinne hinaus, und dann geht das Schauen oder das Hören in die Weiten hinaus. Er sieht also von dem Mittelpunkte, in dem er sich befindet, hinaus in die Weiten. Gerade umgekehrt ist es im Leben nach dem Tode. Da fühlt sich der Mensch, wie wenn er mit seinem ganzen Wesen ausgebreitet wäre, und was er anschaut, das ist eigentlich der Mittelpunkt. Er sieht auf einen Punkt hin. Es kommt eine Zeit für den Menschen zwischen dem Tode und der neuen Ge­burt, wo er einen Kreis beschreibt, der den ganzen Tierkreis durch­läuft. Da schaut er gleichsam von jedem Punkte des Tierkreises, also von verschiedenen Gesichtspunkten aus, auf seine eigene Wesenheit hin und fühlt sich dann so, wie wenn er gleichsam aus den einzelnen Partien des Tierkreises die Kräfte schöpfen würde, die er auf seine Wesenheit ergießt, damit diese das hat, was sie für die nächste In­karnation braucht. Man schaut also von dem Umkreis auf einen Mit­telpunkt hin. Es ist so, wie wenn Sie hier auf der Erde sich verdoppeln

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könnten, aus sich heraustreten könnten, und Sie ließen sich in der Mitte stehen, gingen um sich herum und würden fortwährend die Kräfte des Weltalls, den belebenden Soma, einsaugen, der aber, weil er von den verschiedenen Seiten einen verschiedenen Charakter an-nimmt, sich in verschiedener Weise in die Wesenheit, die Sie in der Mitte stehengelassen haben, ergießt. So ist es, ins Geistige übersetzt, tatsächlich im Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt.

Wenn wir uns nun den Unterschied vor das Auge führen wollen, der da besteht zwischen einem Zustande, der eigentlich ziemlich nahe ist dem Erleben zwischen dem Tode und der neuen Geburt, nämlich zwischen dem Schiafzustande und diesem Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt, so können wir diesen Unterschied eigentlich sehr einfach charakterisieren, obwohi der, welchem solche Vor­stellungen ungewohnt sind, sich nicht viel dabei vorstellen kann. Aber man kann es in einfacher Weise folgendermaßen charakterisieren.

Wenn der Mensch in seinem Erdendasein schiäft, also seinen physi­schen Leib und Ätherleib verlassen hat und in seinem Ich und astra­lischen Leib lebt, die dann in der Sternenwelt sind, so ist er auch draußen in dem ganzen Sternengebiete. Und es ist tatsächlich so, daß unser Zustand im ScHafe objektiv viel ähnlicher ist dem Zustande zwischen dem Tode und der neuen Geburt, als man gewöhnlich glaubt. Objektiv sind diese beiden Zustände einander ganz ähnlich. Sie sind nur dadurch voneinander verschieden, daß der Mensch im ScHafe beim normalen Leben kein Bewußtsein hat von der Welt, in der er während des ScHafes ist, und zwischen dem Tode und der neuen Geburt hat er ein Bewußtsein, da weiß er, was mit ihm vorgeht. Das ist der wesentliche Unterschied. Würde der Mensch in seinem Ich und astralischen Leib, wenn diese im ScHafe außer dem physischen Leibe und dem Ätherleibe sind, einfach aufwachen, so würde er in dem­selben Stadium sein, in welchem er ist zwischen dem Tode und der neuen Geburt. Der Unterschied ist tatsächiich nur ein Bewußtseins-zustand. Und dieser Umstand ist aus dem schon angeführten Grunde sehr bedeutsam. Er ist bedeutsam, weil der Mensch, solange er auf der Erde weilt, also auch während des Schlafzustandes, an seinen physi­schen Leib gebunden ist; er ist nicht frei von dem physischen Leibe

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im Schlafzustande. Er kann erst frei werden vom physischen Leibe, wenn dieser physische Leib in den leblosen Zustand übergeht, wenn er eine Veränderung erleidet, wie es geschieht, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geht. Solange der physische Leib lebensfähig ist, bleibt eine Verbindung zwischen dem eigentlichen geistigen Menschen, Ich und Astralleib, und zwischen dem physischen Leib und Ätherleib aufrechterhalten.

Nun stellt man sich gewöhnlich den Zustand des Schlafes zu ein­fach vor. Das ist durchaus begreiflich, weil man bei den komplizierten Dingen, um die es sich handelt in dem Augenblick, wo man die höheren Welten betritt, sozusagen immer nur von einer gewissen Seite her die Dinge charakterisieren kann. Eine vollständige Charak­teristik der wahren Verhältnisse gewinnt man erst, wenn man nach und nach geduldig vorrückt in der Geisteswissenschaft und allseitig die Dinge kennenlernt. Man charakterisiert - und dies mit Recht -den menschiichen Schlafzustand dadurch, daß man sagt: Im Bette bleiben liegen physischer Leib und Ätherleib; heraus bewegt sich und vereinigt sich mit den Sternenkräften das, was wir nennen das Ich und den astralischen Leib. Nun ist aber diese Charakteristik, so richtig sie von einer Seite aus ist, eben nur von einer Seite aus gegeben. Und man kann sich gewissermaßen eine Vorstellung machen, wie diese Charakteristik nur von einer Seite aus gegeben ist, wenn man den Schlaf eines Menschen ins Auge faßt vom Standpunkt der Geistes­wissenschaft, wenn dieser Schlaf sozusagen zu einer einigermaßen normalen Zeit ausgeführt wird. Denn in Wahrheit ist, objektiv ge­nommen, ein Nachmittagsschläfchen etwas ganz anderes als ein ordentlicher Schlaf in der Nacht. Nicht so sehr für den menschlichen Gesundheitszustand oder für sonstige Dinge am Menschen selbst, aber für das ganze Verhältnis des Menschen zur Welt kommt in Be­tracht, was ich jetzt angeführt habe. Und wir wollen daher nicht ein Nachmittagsschläfchen ins Auge fassen, sondern einen Schlaf, der den Menschen ungefähr um die Mitternachtsstunde erfaßt. Also den Schlaf eines gesunden Menschen um die Mitternachtsstunde, und die­sen Schlafzustand, vom Standpunkte des hellsichtigen Bewußtseins aus betrachtet, wollen wir ins Auge fassen.

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Wenn wir im täglichen Wachzustande sind, dann ist, können wir sagen, im menschlichen Wesen in einer gewissen geregelten Ver­bindung dasjenige, was wir die vier Glieder der menschlichen Natur nennen: physischer Leib, Ätherleib, astralischer Leib und Ich. Wir treffen das, was die richtige Verbindung zwischen den vier Gliedern der menschlichen Natur ausmacht, am besten, wenn wir es etwa so zeichnen, wie das hellseherische Bewußtsein die sogenannte Aura des Menschen sieht. Was ich Ihnen dabei zeichnen kann, ist selbstver­ständlich nur ganz skizzenhaft.

Wenn wir also den gewöhnlichen Wachaustand des Menschen ins Auge fassen, dann würden wir den aurischen Zusammenhang des Menschen etwa in der folgenden Weise zeichnen:

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der physische Leib die schärfere Linie; innerhalb der punktierten Linie der Ätherleib; was dichter schraffiert ist, ist der astrallsche Leib; und die Ich-Aura würde etwa so zu zeichnen sein, daß sie den ganzen Menschen durchdringt, aber ich zeichne sie als Strahlen, die ihn, ohne eigentliche Grenzen, nach oben und unten strahlenartig umgeben.

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Daneben werde ich nun zeichnen den Unterschied in der aurischen Zusammensetzung beim Schlafzustande eines Menschen, der etwa um die Mitternachtsstunde schlafen würde, beziehungsweise das aurische Bild desselben (siehe Zeichnung): physischer Leib und Ätherleib wie in der ersten Zeichnung; das dunkel Schraffierte wäre der Astralleib;

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dessen nach unten unbestimmte Fortsetzung würde sich herausheben, aber bliebe doch in einer vertikalen Lage. Die Ich-Aura würde ich dann strahlenförmig in der Weise zu zeichnen haben, wie man es hier sieht. In der Halsgegend ist die Ich-Aura unterbrochen und beginnt erst wieder in der Kopfgegend, aber so, daß sie strahlenförmig nach außen gerichtet ist und ins Unbestimmte nach oben geht, wenn der

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Mensch in der horizontalen Lage ist, aber nach aufwärts gerichtet ist, vom Kopf nach aufwärts. So daß im wesentlichen der Anblick det Aura des schlafenden Menschen so wäre, daß der Astralleib wesent­lich verdichtet und dunkel ist - in der in der Zeichnung dunkel schraffierten Gegend -, in den oberen Teilen ist er dünner als am Tage. In der Halsgegend ist die Ich-Aura unterbrochen, unten ist sie wieder strahlenförmig und geht dann ins Unbestimmte fort.

Das Wesentliche ist, daß sich bei einem solchen Schlafzustande das, was man das aurische Bild des Ich nennen kann, in der Tat in zwei Teile gliedert. Während des Wachzustandes hängt die Ich-Aura wie ein Oval zusammen, trennt sich während eines solchen Schlafzustandes in der Mitte auseinander und besteht während des Schlafes aus zwei Stücken, von denen das eine durch eine Art von Schwere nach unten gedreht wird und sich nach unten ausbreitet, so daß man es nicht mit einer sich schließenden, sondern mit einer nach unten sich ausbreiten­den Ich-Aura zu tun hat. Dieser Teil der Ich-Aura ergibt sich für das hellseherische Bewußtsein dem Anblick nach als ein wesentlich sehr dunkler Aurenteil, der dunkle Fäden hat, aber in starken, zum Beispiel dunkeltötlichen Nuancen tingiert ist. Was sich davon nach oben ab­trennt, ist wieder so, daß es von der Kopfgegend aus schmal läuft, dann aber ins Unbestimmte sich ausbreitet, sozusagen oben in die Sternenwelt hin sich ausbreitet. In gleicher Weise in der Mitte aus­einandergeteilt ist die astrallsche Aura nicht, so daß man von einer wirklichen Teilung derselben nicht sprechen kann, während die Ich-Aura, wenigstens für den Anblick, zerteilt wird.

So haben wir auch in diesem okkulten Anblick eine Art von bild­haftem Ausdruck dafür, daß der Mensch mit demjenigen, was ihn als Ich-Kräfte während des tagwachenden Zustandes durchdringt, hin­ausgeht in den Weltenraum, um den Anschluß zu gewinnen an die Sternenwelt, um die Kräfte aus der Sternenwelt sozusagen herein­zusaugen.

Nun ist derjenige Teil der Ich-Aura, der sich nach unten hin abschnürt und dunkel wird, mehr oder weniger wie undurchsichtig sich ausnimmt, während der nach oben gehende hell leuchtend und glän­zend ist, in hellem Lichte erstrahlt, zugleich der, welcher am meisten

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dem Einfluß der ahrimanischen Gewalten ausgesetzt ist. Der angren­zende Teil der astralischen Aura ist am meisten den luziferischen Kräf­ten ausgesetzt. Wir können daher sagen: Die Charakteristik, die man von einem gewissen Standpunkte aus mit Recht gibt, daß das Ich und der astrallsche Leib den Menschen verlassen, ist für die oberen Partien der Ich- und astralischen Aura absolut zutreffend. Für diejenigen Teile der Ich- und astralischen Aura, die mehr den unteren Teilen, besonders den unteren Teilen des Rumpfes der menschlichenGestalt entsprechen, ist es nicht eigentlich richtig; sondern für diese Teile ist es sogar so, daß während des Schlafens die Aura des Ich und des Astralleibes mehr drinnen sind, mehr verbunden sind mit dem physischen Leibe und dem Ätherleibe, als es im Wachaustande der Fall ist, daß sie nach unten dichter, kompakter sind. Denn man sieht auch, wie beim Aufwachen das, was ich unten so stark gezeichnet habe, wieder herausgeht aus den unteren Teilen der menschlichen Wesenheit. Gerade wie der obere Teil beim Einschlafen herausgeht, so geht der untere Teil der Ich- und astralischen Aura beim Aufwachen in einer gewissen Weise heraus, und es bleibt nur eine Art von Stück von diesen beiden Auren drinnen, wie ich es in der ersten Figur gezeichnet habe.

Nun ist es eben so außerordentlich wichtig zu wissen, daß durch die Evolution unserer Erde, durch alle die Kräfte, die dabei mitgespielt haben und die Sie aus der «Geheimwissenschaft im Umriß» ersehen können, die Einrichtung getroffen ist, daß der Mensch dieses regere Arbeiten der unteren Aura während des Schlafes nicht mitmacht, das heißt dieses Arbeiten nicht als Zeuge mitmacht. Denn von diesen Teilen der unteren Ich-Aura und der unteren astralischen Aura werden die belebenden Kräfte angeregt, die der Mensch braucht, damit das wieder ausgebessert werden kann, was während des Wachzustandes abgenutzt ist. Die wiederherstellenden Kräfte müssen von diesen Tei­len der Aura ausgehen. Daß sie nach aufwärts wirken und den ganzen Menschen wieder herstellen, das hängt dann davon ab, daß der nach oben hinausgehende Teil der Aura Anziehungskräfte entwickelt, die er aus der Sternenwelt hereinsaugt, und dadurch die Kräfte, die von unten kommen, anziehen kann, so daß sie regenerierend auf den Menschen wirken. Das ist der objektive Vorgang.

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Nun gibt uns das Verständnis dieser Tatsache auch gewissermaßen das beste Verständnis für gewisse Mitteilungen, die der Mensch emp­fängt, wenn er die verschiedenen okkulten oder auf Okkultismus ge­bauten Urkunden verfolgt. Sie haben ja die, wie ich eben gesagt habe, von einem gewissen Gesichtspunkte aus durchaus gerechtfertigte Charakteristik immer gehört, daß der Schlaf darin besteht, daß der Mensch seinen physischen Leib und Ätherleib im Bette liegen läßt und mit seinem astralischen Leib und Ich herausgeht; was also für die oberen Partien der Ich- und astralischen Aura in einem gewissen Sinne durchaus richtig ist, namentlich für die Ich-Aura. Wenn Sie aber mor­genländische Schriften verfolgen, dann finden Sie diese Charakteristik nicht, sondern gerade das Umgekehrte. Sie finden da charakterisiert, daß während des Schlafzustandes das, was sonst im menschlichen Be­wußtsein lebt, sich tiefer in den Leib hineinzieht. Also Sie finden dort die umgekehrte Charakteristik des Schlafes. Und namentlich in ge­wissen Vedanta-Schriften können Sie die Sache so charakterisiert finden, daß dieses, von dem wir sagen, daß es sich aus dem physischen Leib und Ätherleib herauszieht, sich während des Schlafes tiefer in die physische und ätherische Leiblichkeit hineinsenkt, daß das, was das Sehen sonst bewirkt, sich in tiefere Partien des Auges hineinzieht, so daß das Sehen nicht mehr zustande kommen kann. Warum wird dieses in morgenländischen Schriften so charakterisiert? Das ist deshalb, weil der Morgenländer eben noch auf einem anderen Standpunkte steht. Er sieht durch seine Art von Hellsichtigkeit mehr das, was im Innern des Menschen vorgeht, was sich da im Innern abspielt. Er achtet weniger auf den Vorgang des Herausgehens der oberen Aura und mehr auf die Tatsache des Durchdrungenseins während des Schlafes mit der unteren Aura. Daher hat er von seinem Standpunkte aus selbstverständlich recht.

Man kann sagen: Die Vorgänge, die im Menschen in seiner Ent­wickelung stattfinden, sind sehr kompliziert, und immer mehr und mehr wird es dem Menschen möglich werden, sich im Verlaufe der Evolution sozusagen den ganzen Umfang jener Vorgänge zu ver­gegenwärtigen. Aber die Entwickelung bestand darin, daß die Men­schen in ihrem Anschauen nach und nach einzelne Partien kennengelernt

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haben. Daher die einzelnen Mitteilungen, die in den ver­schiedenen Epochen gemacht werden. Wenn sie auch scheinbar nicht gleich lauten, so sind sie doch darum nicht falsch, sondern sie beziehen sich immer auf das Einseitige, das sich ja auch immer vollzieht. Aber der ganze Vorgang der Entwickelung wird einem erst klar, wenn man die ganzen Vorgänge zusammenfaßt. Darauf kommt es an.

Wir stehen jetzt an dem Punkt, wo wir ein gewisses Stück der Evo­lution recht gut werden überschauen können. Es ist wirklich ein ganz bedeutsamer Unterschied in der ganzen Seelenverfassung, Seelen-stimmung des Menschen, wenn wir die menschliche Seelenentwicke­lung überschauen zum Beispiel in denjenigen Inkarnationen, die in der ägyptisch-chaldälschen Periode verlaufen sind, dann wieder in der griechisch- lateinischen Periode und dann wieder in unserer Zeit. Schon äußerlich können wir ja das, was die Seele erlebt, recht gut ver­folgen. Ich glaube, es wird selbst hier in diesem erleuchteten Kreise eine große Anzahl von Menschen geben, die, wenn sie einem sternen­besäten Himmel gegenüberstehen, heute sich nicht genau auskennen, wo nun die einzelnen Sternbilder sind und wie die einzelnen Stern­bilder ihre Lagen im Himmelsraume während der Nacht ändern. Im ganzen können wir sagen: Die Menschen werden immer seltener und seltener, die am Sternenhimmel noch ordentlich Bescheid wissen. - Es wird sogar Menschen geben, zum Beispiel unter der Stadtbevölkerung, die man vergeblich fragen könnte: Ist jetzt Vollmond- oder Neumond-zeit? - Das soll durchaus kein Tadel sein, das liegt in der naturgemäßen Entwickelung. Aber was jetzt für die Seele gilt, das wäre in der ägyp­tisch-chaldäischen Zeit, besonders in der älteren ägyptisch-chaldä­ischen Zeit eine vollständige Unmöglichkeit gewesen. Da haben tat­sächlich die Menschen am Himmel Bescheid gewußt. Die Gegenwart hat ja wieder einen anderen Vorzug vor jenen Menschen der ägyptisch­chaldäischen Zeit: an logisches Denken - wie die Menschen heute denken könnten, wenn sie sich Mühe geben würden -, daran haben die Menschen der ägyptisch-chaldäischen Zeit noch nicht einmal ge­dacht. Sie lebten bei Tage hin, und was sie zu ihren täglichen Ver­richtungen taten, das taten sie mehr instinktiv. Man würde vollständig fehlgehen, wenn man glaubte, daß damals ein Bauwerk oder eine

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Wasserleitung ausgeführt wurde, indem sich zunächst die Ingenieure zusammengesetzt hätten in ihren Büros und die ganze Sache mit den Mitteln, wie man heute Pläne und so weiter zustande bringt, ausge­führt hätten. Das haben damals die Ingenieure ebensowenig getan, wie heute der Biber einen Plan seines Baues entwirft, den er ganz kunst und regelrecht macht.

Also ein so logisches, wissenschaftliches Denken, wie wir es heute haben, gab es nicht, sondern was die Menschen im Wachzustande taten, das arbeiteten sie instinktiv. Sie hatten das, was sie wußten, und wir wissen ja, daß gewaltiges, großes Wissen aus der ägyptisch-chal­däischen Epoche erhalten ist, auf eine ganz andere Weise erlangt. Sie kannten den Sternenhimmel, den Nachthimmel; sie wußten am Him­mel Bescheid, aber eine solche Astronomie hatten sie nicht wie die heutigen Menschen. Sie setzten sich dem Anblick des Sternenhimmeis aus, sie hatten die aufeinanderfolgenden Bilder in den aufeinander­folgenden Nachtzeiten, und auf sie wirkte nicht bloß, was auf die Sinne Eindruck machte, nicht bloß diese Sinnesbilder, sondern auf sie wirkte das Ganze der astralischen Kräfte, welche im Raume aus­gebreitet sind. Das lebten sie mit. So war für sie zum Beispiel der Weg des Großen Bären, des Siebengestirnes ein Erlebnis; ein Erlebnis, das auch andauerte, wenn sie schliefen, denn sie waren empfänglich, sen­sitiv für das, was geistig mit dem Großen Bären über den Himmel hin-zog. Das alles nahmen sie auf. Sie nahmen mit dem sinnlichen Anblick das auf, was als Geistiges im Weltenraume lebt. Es drang noch etwas in ihr Bewußtsein herein von dem, wofür das gegenwärtige Bewußt­sein ganz und gar ungeeignet ist es aufzunehmen, denn heute nimmt der Mensch nur das sinnliche Bild des Sternenhimmels auf. Und da er sehr gescheit ist, so nimmt er sich also die Sternkarte, wo die Menschen alle die Tierformen hineingezeichnet haben, und sagt: Da haben die Menschen früher Symbole hingezeichnet, da haben sie so die Sterne zusammengefaßt; doch jetzt ist der Mensch so weit gekommen, die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie ist. - Aber der Mensch der Gegen­wart weiß nicht, daß die Alten das, was sie gezeichnet haben, auch gesehen haben; daß es reale Gebilde waren, die sie abgezeichnet haben nach dem unmittelbaren Anblick, der sich ihnen darbot. Der eine

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konnte besser, der andere schlechter zeichnen, aber sie haben die Wirk­lichkeit abgezeichnet. Das haben sie gesehen. Aber sie haben nicht so gesehen, wie man im Sinnesleben sieht. Sondern wenn sie zum Beispiel den Großen Bären erlebt haben, wie er über den Nachtbimmei hin­schweift, so haben sie die physischen Sterne nur so eingebettet ge­sehen in ein mächtiges geistiges Wesen, das sie wirklich wahrgenom­men haben. Aber das war nicht so, daß sie an jener Stelle ein Tier über den Himmel hinschweifen gesehen haben, wie man ein physisches Tier auf der Erde sieht - das wäre eine klndliche Vorstellung -, son­dern dieses Erlebnis des Hineilens des Siebengestirnes war innig ver­bunden mit der eigenen Natur. Die Leute fühlten, wie es auf ihre astralischen Leiber wirkte und dort Veränderungen hervorrief.

Eine Vorstellung davon, wie das etwa gewesen sein mag, können Sie sich bilden, wenn Sie sich vergegenwärtigen: Hier ist eine Rose. Sie würden dieselbe nicht anschauen, sondern bloß greifen, und da­durch, daß Sie sie greifen, erleben Sie eigentlich immer Ihre eigene Berührung mit der Rose. Also Sie würden die Rose nicht anschauen, nur greifen und Ihre eigene Berührung erleben und sich auf diese Weise eine Vorstellung von der Rose bilden. So «berührten» gleich­sam mit ihrem Astralleib diese Menschen das, was sie erleben konnten am Großen Bären, «befühlten» das Astralische, und ihre eigene Be­rührung damit erlebten sie. Die rief aber Veränderungen in ihnen selber hervor, Veränderungen, die heute noch immer hervorgerufen, aber nicht mehr wahrgenommen werden.

Darin besteht gewissermaßen die Evolution in unsere moderne, wissenschaftliche Zeit herein, in unsere Zeit der Urteilskraft, daß das unmittelbare Erleben der geistigen Vorgänge aufgehört hat, und daß zurückgeblieben ist die Sinneswelt und der an das Gehirn gebundene Verstand. Wenn daher in der ägyptisch-chaldäischen Zeit von den geistigen Wesenheiten im Raume gesprochen wird und solche Wesen­heiten auch aufgezeichnet werden, und da hinein, wie Anhaltspunkte, die physischen Sterne gezeichnet werden, so entspricht das der un­mittelbar erlebten Wirklichkeit. So daß in der ägyptisch-chaldaischen Zeit eine Wahrnehmung der Menschen vorhanden war, die noch viel ähnlicher war dem Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt,

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als unser heutiges physisches Leben im Bewußtsein ähnlich ist dem Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt. Wenn man nämlich tatsächlich wahrnimmt, wie der astrallsche Leib und das Ich die Vor­gänge am Himmel miterleben, dann weiß man auch das Folgende: Wie du da lebst mit dem Sternenhimmel, so lebst du außerhalb deines phy­sischen Leibes und Ätherleibes, und es ist nicht der geringste Grund vorhanden, zu glauben, daß du, wenn der physische Leib und Äther-leib einmal nicht bei dir sind, nicht ebenso mit dem Sternenhimmel lebst. - So war also ein unmittelbares Wissen vorhanden von dem Mit-erleben der Sternenvorgänge in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Wer in der ägyptisch-chaldälschen Zeit gelebt hat, würde es zum Beispiel als lächerlich gefunden haben, wenn man ihm die Un­sterblichkeit der Seele beweisen wollte; denn er hätte gesagt: Das braucht man nicht zu beweisen! - Er hätte nicht einmal in unserem Sinne verstanden, was ein Beweis ist, weil logisches Denken nicht vor­handen war. Aber wenn er in einer okkulten Schule gelernt hätte, was einmal künftig ein Beweis ist, so hätte er gesagt: Die Unsterblichkeit der Seele braucht man nicht zu beweisen, denn wenn man den nächt­lichen Sternenhimmel erlebt, so erlebt man das, was unabhängig ist von der Leiblichkeit. - Also für ihn war die Unsterblichkeit eine un­mittelbare Erfahrung, und vieles von dem, was wir heute beschreiben über die Wahrnehmung im entkörperten Zustande, wußten diese Menschen. Sie wußten es unmittelbar. Denn sehen wir von diesen weiterliegenden Sternenwelten hin auf unsere Planetensterne, so war für diese Menschen zum Beispiel der Saturn etwas, was sie geistig wahrnahmen. Das heißt, sie nahmen wahr, was als geistige Welt mit dem Saturn verknüpft ist. Sie nahmen also tatsächlich wahr - nament­lich für die älteren Zeiten der ägyptisch-chaldäischen Epoche gilt das -, was von dem Menschen zwischen Tod und neuer Geburt auf diesem Saturn lebt. Recht kurios würde es ja für einen Menschen der damaligen Zeit erschienen sein, wenn man ihm hätte sagen wollen, daß man eine solche «Mars-Korrespondenz» anstreben würde, wie man es sich vielfach heute denkt, denn für ihn war eine Verbindung mit diesen Welten für sein Bewußtsein durchaus vorhanden. Wenn man aber Saturn oder Mars oder sonst einen planetarischen Zustand

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kennt und verfolgen kann, wie er heute innerhalb unseres Planeten-systems sich auslebt, dann führt einen das auch zur Erkenntnis der­jenigen Zustände, wie sie zum Beispiel in der «Geheimwissenschaft im Umriß» beschrieben sind als Saturn-, Sonnen- und Mondzustand, die vorirdisch sind. Das ist also damals erlebt worden. Man hätte es nicht vorzutragen gebraucht, sondern man hätte es damals einfach so vor das menschliche Bewußtsein zu bringen gehabt, daß man die Leute, die so etwas nicht mehr unmittelbar wahrnehmen konnten, in Zustände gebracht hätte, in denen sie es wahrnehmen konnten. Anders wäre es nicht möglich gewesen.

Das war nun schon in der griechisch-lateinischen Zeit anders. Da war die Empfindlichkeit der Menschen für alles, was ich jetzt erzählt habe, schon verlorengegangen, und was noch vorhanden war, das war die Erinnerung daran. Also in der griechisch-latanischen Zeit war bei den maßgebenden Völkern, zum Beispiel des europäischen Südens, nicht mehr in demselben Maße die Möglichkeit vorhanden, die gei­stigen Wesenheiten des Sternenhimmels zu schauen, aber die Erinne­rung daran war vorhanden. Es hatte daher eine Seele, die innerhalb der griechisch-lateinischen Kultur geboren wurde, nicht mehr die Mög­lichkeit, hinauszuschauen in die Sternenwelten, um das Geistige zu schauen; man sah nicht mehr in demselben Maße wie in der ägyptisch­chaldäischen Zeit die geistigen Wesen, die zu den Sternenwelten ge­hörten. Aber wie der Mensch sich heute an das erinnert, was er gestern erlebt hat, so erinnerten sich die Seelen noch an das, was sie in früheren Inkarnationen über das Weltall erfahren hatten. Das strahlte herein in die Menschen, von dem wußten sie, daß es in ihren Seelen lebt. Plato deutet es als Erinnerung. Aber die Menschen deuten es nicht immer als Erinnerung. Und darin besteht der Fortschritt in der Entwicke­lung, daß dieses unmittelbare Wahrnehmen heruntergedämpft wurde und dafür während der griechisch-lateinischen Zeit das Urteilen, die Begriffswelt sich ausbildet, die ja erst in dieser Zeit kam. Dafür mußte das andere zurückgehen, konnte bloß in der Erinnerung leben. Am schönsten kann man das bei dem im 4. vorchristlichen Jahrhundert lebenden Aristoteles sehen, der ja der Begründer der Logik ist, der Kunst des Urteilens, der selber nichts mehr wahrnehmen konnte von

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dem, was als Geistiges in den Sternenwelten draußen ist, aber in seinen Schriften die ganzen alten Theorien wieder bringt, so daß er nicht von etwas redet, was wir heute als physische Weltenkörper kennenlernen, sondern er spricht von den «Sphärengeistern», von geistigen Wesen­heiten. Und ein großer Teil der Ausführungen des Aristoteles ist der Aufzählung der einzelnen Planetengeister, der Fixsterngeister und so weiter bis zu dem einheitlichen Weltengotte gewidmet. Die Sphären-geister spielen bei Aristoteles noch eine große Rolle.

Aber auch die Erinnerung der griechisch-lateinischen Zeit an die geistigen Wesenheiten der Welt ging allmählich der Menschheit ver­loren. Und es ist interessant zu sehen, wie sozusagen Stück für Stück des alten Wissens nach der neueren Zeit zu verlorengeht. Die mehr spirituell veraniagten Naturen holten noch immer aus ihren Erinne­rungen das Bewußtsein herauf, daß mit alle dem, was physisch als Weltenkörper im Raume ausgestreut ist, geistige Wesenheiten ver­knüpft sind, so wie wir es heute in der anthroposophischen Wissen­schaft wieder darstellen. So findet man noch vieles in dieser Beziehung, man möchte sagen, sogar grandios für seine Zeit dargestellt, bei Kepler. Und je mehr wir der neueren Zeit entgegengehen, desto mehr schwin­det auch diese Möglichkeit, die Erinnerung noch zu haben an das, was die Seele erlebt hat im Anblick des Sternenhimmeis in der ägyptisch­chaldäischen Zeit. Die Erinnerung, die noch in der griechisch-latai-nischen Zeit vorhanden war, auch die schwindet, und immer mehr und mehr rückt die Zeit des Kopernikanismus heran, in der man nur die physischen Weltenkugeln sieht, die durch den Raum eilen. Nur manch-mal glänzt, wie gesagt, bei neueren Geistern, indem etwas hereinspielt in das Bewußtsein, noch eine Möglichkeit auf, aus der Konstellation der Sternenwelt von den geistigen Zusammenhängen, von geistigen Vorgängen etwas zu verfolgen, wie es sich zum Beispiel Kepler hat an­gelegen sein lassen, die Geburtszeit des Jesus von Nazareth aus der Sternenwelt nocb selbständig zu berechnen. Das war eine Rechnung, die noch von dem spirituellen Durchdrungensein bei Kepler herrührte; geradeso wie Kepler sich auch darüber klar war, daß aus einer ge­wissen Sternkonstellation imjahre 1604 wieder das Heruntergedrückt-werden der alten Erinnerung folgte. Und je mehr wir in die neuere

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Zeit heraufkommen, desto mehr ist die Menschheit auf das äußere Sinnesvermögen und auf den an das Gehirn gebundenen Verstand an­gewiesen, weil in tiefere Schichten des Bewußtseins hinuntergesunken war, was die Seelen in der Vorzeit erlebt hatten. In allen Ihren Seelen war das einmal vorhanden, was die Seelen erlebt haben, als sie in der Lage waren, dieses lebendige geistige Leben in den Weltenräumen wahrzunehmen. In den Tiefen Ihrer Seelen ist das überall drinnen. Aber es ist heute nicht die Möglichkeit vorhanden, die Seelen näch licherweile hinzuführen und ihren Blick zum Beispiel zum Großen Bären zu lenken und auch die Kräfte, die ausgehen vom Großen Bären, die also geistige Kräfte sind, anschaulich zu machen. Das ist so un­mittelbar nicht möglich, weil die Schaukräfte, die Wahrnehmungs-kräfte, tief drinnen sitzen in der Seele. Im nachtschlafenden Zustande erlebt es der Mensch mit dem nach oben hinausgehenden Teile der Aura, aber er ist nicht mit dem Bewußtsein draußen. Deshalb ist das wissenschaftliche Heraufholen der vergessenen Eindrücke der alten Zeiten für die Seelen der Gegenwart das Richtige. Und wie geschieht dieses Heraufholen? So, wie wir es in der Anthroposophie machen! Nichts Neues wird den Seelen gebracht, sondern es wird das herauf-geholt, was die Seelen in früheren Zeiten erlebt haben, was sie in der griechisch-lateinischen Zeit nicht mehr wahrnehmen konnten, aber noch nicht ganz vergessen hatten, was nun ganz vergessen ist, aber wieder heraufgeholt werden kann. So daß Anthroposophie nichts an­deres ist als die Anregung zum Heraufholen tief unten in den Seelen sitzender Wissenskräfte. Alle Menschen, welche die Evolution bis in die abendländische Zeit mitgemacht haben, haben in ihren Seelen-tiefen unten die Vorstellungen, welche durch Anthroposophie an­geregt werden sollen, und die anthroposophischen Methoden sind die Anregemittel, um diese in den Tiefen der Seele ruhenden Vorstellun­gen heraufzuheben.

Nun wollen wir auf den Unterschied aufmerksam machen, der nun besteht, durch diese beiden Arten sich zur Welt zu verhalten, zwischen einer Menschenseele, die in der griechisch-lateinischen Zeit inkarniert war, und einer Seele, die heute inkarniert ist.

Wir haben gesehen, daß während der griechisch-lateinischen Zeit

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die Seele auch im Erdenleben einen gewissen Zusammenhang, ein Wahrnehmungsvermögen hatte für das, was sie damals durchlebte zwischen Tod und neuer Geburt. Das war damals noch nicht in so tiefe Schichten der Seele hineingezogen. Daher war der Unterschied im Bewußtsein auf der Erde und zwischen Tod und neuer Geburt in diesen alten Zeiten kein so großer wie heute. Aber weil die Griechen sich nurmehr erinnern konnten an das, was sie erlebt hatten, deshalb war der Unterschied schon ungeheuer groß. Heute ist die Sache schon soweit gediehen, daß der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt noch ein Bewußtsein entwickeln kann durch eine moralische Seelen-stimmung, durch eine religiöse Seelenstimmung, bis zum Hinaufleben in die Venus-Sphäre. Wenn er aber in die Sonnen-Sphäre, und nament­lich über die Sonnen-Sphäre hinauskommt, dann fehlt ihm die Mög­lichkeit, sein Bewußtsein anzufachen, wenn er nicht hier auf der Erde darauf sieht, die in den Tiefen der Seele ruhenden Vorstellungen in das Tagesbewußtsein heraufzuholen. Hier im Erdenleben sieht Anthro­posophie so aus wie eine Theorie, wie eine Weltanschauung, der man sich bemächtigt, weil sie einen interessiert. Nach dem Tode ist sie eine Fackel, die einem die geistige Welt von einem gewissen Zeitpunkte an zwischen dem Tode und der neuen Geburt beleuchtet. Und ver­achtet man sie hier in der Welt, so fehlt einem diese Fackel: dann tritt eine Herabdämpfung des Bewußtseins zwischen Tod und neuer Ge­burt ein. Spirituelle Wissenschaft zu treiben ist nicht etwa bloß etwas Theoretisches, sondern etwas Lebendiges. Spirituelle Wissenschaft ist sozusagen eine Lebensfackel. Der Inhalt der spirituellen Lehre sind hier Begriffe und Ideen; nach dem Tode sind sie lebendige Kräfte! Aber das gilt eigentlich auch nur für unser Bewußtsein. Denn durch das, was ich im Beginne der heutigen Betrachtung gesagt habe, wird Ihnen klar sein, daß auch schon im Erdenleben die spirituellen Ideen, die wir aufnehmen, belebende Kräfte sind. Nur ist der Mensch nicht Zeuge der belebenden Kräfte, weil ihm die Erkenntnis der belebenden Ge­walten verschlossen wird. Nach dem Tode schaut er sie an, ist Zeuge davon. Hier ist Anthroposophie sozusagen eine Art Theorie, und es entzieht sich dem Menschen für das Bewußtsein im Wachzustande das, was spirituell belebend ist, was aber objektiv vorhanden ist. Nach dem

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Tode ist der Mensch unnitteibar Zeuge, wie die Kräfte, die er mit den spirituellen Lehren während des Lebens auf der Erde aufnimmt, tatsächlich organisierend wirken, belebend, erkräftigend wirken auf dasjenige in seiner Wesenheit, was dann da sein kann, wenn er sich wieder zu einer neuen Verkörperung auf der Erde anschickt.

So wird von der Menschheitsevolution das aufgenommen, was spiri­tuelle Lehre ist. Wenn aber diese spirituelle Lehre nicht aufgenom­men würde - gegenwärtig ist es ja genügend, wenn einige wenige sie aufnehmen, aber immer mehr und mehr Menschen müssen sie gegen die Zukunft hin aufnehmen -, so würden allmählich die Menschen, wenn sie wieder zu den Erdverkörperungen zurückkehren, nicht die genügenden belehenden Kräfte haben, die sie dann brauchen. Es würde eine Dekadenz, eine Verkümmerung in der späteren Inkarnation ein­treten. Die Menschen würden bald welk werden, früh Runzeln bekom­men und so weiter. Eine Dekadenz, ein Welkwerden der physischen Menschheit würde eintreten, wenn nicht die spirituellen Kräfte auf­genommen würden. Denn die Kräfte, welche die Menschen früher aus den Sternenwelten aufgenommen haben, müssen aus den Tiefen der Seelen wieder heraufgeholt werden und zur Evolution der ganzen Menschheit verwendet werden.

Wenn Sie das überblicken, werden Sie sich so recht von dem Ge­danken durchdringen können, wie Auf-Erden-Sein seine große, seine ungeheure Bedeutung hat. Denn das mußte einmal geschehen, daß sozusagen der Mensch von seiner Verbindung mit den Sternenwelten so verinnerlicht werde, daß dieselbe Kraft, die er sonst immer aus den Sternenwelten hereingesogen hat, innerste Kraft seiner Seele werde und von seiner Seele wieder heraufgeholt werde. Das kann aber nur auf der Erde geschehen. Man könnte sagen: Der Somasaft regnete in Urzeiten aus den Himmeisräumen in die einzelnen Seelen hinein, kon­servierte sich dort und muß nun aus den einzelnen Seelen wieder her­ausfließen. Auf diese Weise bekommen wir noch auf eine ganz be­sondere Art eine Vorstellung von der Erdenmission. Und wir werden, nachdem wir heute diese Vorstellung eingefügt haben, das Lehen zwischen dem Tode und der nächsten Geburt noch genauer be­trachten.

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FÜNFTER VORTRAG Berlin, 22. Dezember 1912

Nicht wie in den verflossenen Jahren soll heute von mir über das Weihnachtsfest im allgemeinen gesprochen werden; das möchte ich für Dienstag aufbewahren. Dafür möchte ich Sie bitten, dasjenige, was ich heute vorzubringen haben werde, als eine Art Weihnachtsgabe zu betrachten; als etwas, was ich für Ihre Seelen gern unter den Weih­nachtsbaum legen möchte als eine allerdings anthroposophische Weih­nachtsbetrachtung, die aber vielleicht durch das Bedeutsame, das wir durch sie aufnehmen können, wenn wir sie in richtiger Weise mit un­serer Seele vereinigen, uns noch längere Zeit nachsinnend, meditie­rend wird beschäftigen können. Dürfen wir doch gewiß in der Weih­nachtszeit derjenigen Wesenheit gedenken, die ja allerdings für manchen mythisch oder mystisch sich ausnehmen mag, mit deren Namen wir aber doch verbinden - wenigstens uns gewöhnt haben, in einer ge­wissen Weise zu verbinden - die spirituellen Impulse des abendländi­schen Kulturlebens. Gemeint ist die Wesenheit des Christian Rosen­kreutz.

Mit dieser Individualität des Christian Rosenkreutz und ihrem Wir­ken seit dem 13. Jahrhunderte - wir haben das oftmals charakteri­siert - verbinden wir alles dasjenige, was uns einschließt die Fort-führung des Impulses, der gegeben worden ist durch die Erscheinung des Christus Jesus auf Erden und durch die Vollbringung des Myste­riums von Golgatha. Auseinandergesetzt wurde einmal das, was wir nennen können die letzte Initiation des Christian Rosenkreutz im 13. Jahrhundert. Heute soll gesprochen werden von einer Tat des Christian Rosenkreutz, die da fällt so gegen das Ende des 16. Jahr­hunderts; von einer Tat des Christian Rosenkreutz, die deshalb so bedeutsam ist für den Christus-Impuls, weil sie mit demselben das ver­band, was eine wichtigste Tat in der Entwickelungsgeschichte der Menschheit war in den letzten Zeiten, bevor das Mysterium von Golgatha stattgefunden hat.

Zu all den Dingen, welche uns so recht begreiflich machen können,

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wie einschneidend für die irdische Menschheitsgeschichte das Myste­rium von Golgatha war, zu all dem vielen gehört die Tat eines anderen Religionsstifters, die Tat des Gautama Buddha. Die morgenländische Weltanschauung überliefert uns, wie Gautama Buddha in jenem Le­ben, von dem eben als dem Buddhaleben gewöhnlich erzählt wird, aufgestiegen ist im neunundzwanzigsten Jahre seines Lebens von einem Bodhisattva zu einem Buddha. Und wir wissen, was es heißt, daß ein Bodhisattva aufsteigt zu einem Buddha. Wir haben auch oft­mals die ganze Bedeutung, die Weltbedeutung desjenigen hervor­gehoben, was zu uns herüberklingt als die erste Tat des Buddha, der aus einem Bodhisattva ein Buddha geworden ist, haben hervorgeho­ben die ganze Bedeutung der «Predigt von Benares». Das alles ist in unsere Seelen wohl tief eingeschrieben. Nur einer Sache wollen wir am heutigen Tage besonders gedenken: was es im großen Weltenzusam­menhange unter anderem bedeutet, ein Bodhisattva sei zu einem Buddha aufgestiegen. So ist die morgenländische Lehre, und so ist auch alles das, was uns der abendländische Okkultismus über dieses Phänomen lehrt: daß eine menschliche Wesenheit, wenn sie von einem Bodhisattva zu einem Buddha aufsteigt, fortan nicht mehr in einen menschiichen fleischlichen Leib auf unsere Erde zurückzukehren braucht, sondern daß eine solche, zur Buddha-Würde aufgestiegene Wesenheit fortan in rein spirituellen Welten weiterwirken kann. Und so erkennen wir voll an als eine für uns geltende Wahrheit, daß jene Menschenindividualität, die zum letzten Male auf der Erde der Gau­tama Buddha war, seitdem fortlebt in spirituelien Höhen, zunächst aus diesen spirituellen Höhen weiter in die Entwickelung der Menschheit hereinwirkend, von jenen spirituellen Höhen in die Entwickelung der Menschheit hereinsendend ihre Impulse, ihre Kräfte zur weiteren Fort-entwickelung, Fortgestaltung der Menschheit.

Und eine wichtige Tat, die der Buddha getan hat als den Beitrag, den er zum Mysterium von Golgatha zu bringen hatte, wir haben sie hervorgehoben. Wir haben erinnert an die schöne Legende, an die schöne Erzählung, die wir im Lukas-Evangelium finden: Daß die Hirten sich versammelten, als der in diesem Evangelium beschriebene Jesus geboren worden war. Wir wissen, daß die Legende von einem

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Engeisgesang erzählt, der bei jener Geburt ertönte und den die Hirten in ihre gläubigen, in ihre ahnungsvollen Seelen aufnahmen. Wir haben dann darauf hingewiesen, woher jener Gesang kam: Die Offenbarun­gen sollen erzählen von dem Göttlichen in den Höhen, und Friede soll werden den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind. - Der Gesang ist es von der Offenbarung der göttlich-geistigen Kräfte in den spirituelien Welten und von ihrem Widerglanze in den Herzen der Menschen, die eines guten Willens sind. Wir haben hervorgehoben, daß dieses, was damals als Friedensgesang erklang, eben der Beitrag des Buddha aus den spirituellen Höhen zu dem Mysterium von Gol­gatha war. Denn der Buddha vereinigte sich mit dem astralischen Leibe jenes Jesus, der uns im Lukas-Evangelium entgegentritt. Und das, was das Evangelium als Engelsgesang vermittelt, ist das Ein­strömen des Friedens-Evangeliums des Buddha in die Tat, die dann durch den Christus Jesus vollbracht werden sollte. Der Buddha sprach damals bei der Geburt des Jesus, und was den Hirten wie Engels­gesang erschien, das war das, was aus alten vorchristlichen Zeiten als die Botschaft vom Frieden und von der allmenschlichen Liebe auch in die Mission des Christus Jesus hinein aufgenommen werden sollte.

Dann blieb aber immer auch das, was die Wesenheit des Buddha genannt werden darf, wirksam in dem fortgehenden Strome der christ­lichen Entwickelung des Abendlandes. Insbesondere darf eine Tat jenes Buddha hervorgehoben werden, der nicht mehr in einem menschlichen Leibe fortan wirkte, der aber in einem geistigen Leibe wirkte, wie er gewirkt hat bei der Geburt des Jesus; der fortwirkte, vernehmbar für diejenigen, die durch irgendwelche Art von Initiation in der Lage sind, nicht nur zu physischen Menschen in ein Verhältnis zu treten, sondern auch zu den großen, rein in geistigen Leibern an die Menschen herantretenden hohen Führern und Lehrern.

Einige Jahrhunderte, eine Reihe von Jahrhunderten, nachdem das Mysterium von Golgatha vollbracht war, blühte eine Mysterienschule im Süden von Rußland, so in der Gegend des Schwarzen Meeres. Be­deutsame Lehrer waren in jener Mysterienschule. Nur angedeutet kann hier werden - und halb bildlich angedeutet -, was dort eigentlich geschah. Unter den Lehrern, die im physischen Leibe dort wirkten,

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war auch einer, der nicht im physischen Leibe wirkte, sondern nur an diejenigen Schüler und Zöglinge herantreten konnte, die in ein Ver. hältnis und in eine Beziehung auch zu jenen Führern und Lehrern treten konnten, die nicht in einem physischen Leibe verkörpert waren, sondern die nur in einem Geistleibe in den Mysterien auftraten. Und unter diesen Lehrern, die damals im Geistleibe in der genannten Mysterienstätte auftraten, war dieselbe Wesenheit, von der uns erzählt wird als von dem Gautama Buddha. Und einen bedeutenden Schüler hatte damals diese Wesenheit im 7., 8. Jahrhundert nach dem Myste­rium von Golgatha. Der Buddha war damals in seiner wirklichen Wesenheit nicht etwa darauf bedacht, das, was man Buddhismus nennt, in alter Form etwa fortzupflanzen, sondern er war mitgegangen mit aller Evolution der Zeit, mit aller Entwickelung. Er hatte auf­genommen den Christus-Impuls, hatte selber, wie wir gesehen haben, mitgewirkt beim Christus-Impuls. Und nur in der Stimmung, im Grundcharakter desjenigen, was er zu geben hatte in der angedeuteten Mysterienstätte, drückte sich aus, was noch herüberkommen sollte aus der alten Buddha-Strömung. Aber es drückte sich so aus, daß es ganz gekleidet war in christliche Stimmung, in christliches Gewand. Man darf in einer gewissen Weise sagen: Nachdem der Buddha ein Wesen geworden ist, das sich nicht mehr in einem menschiichen Leibe inkarnieren braucht, war er ein Mithelfer der christlichen Evolution von der spirituellen Welt aus geworden. - Und ein getreuer Schüler hatte dazumal tief das aufgenommen, was der Buddha in jener Zeit geben konnte, hatte tief aufgenommen etwas, was ja nicht allgemeines Menschheitsgut werden konnte, was aber wie eine Vereinigung der Buddha-Lehre mit der Christus-Lehre war: die absolute Hingabe an das, was am Menschen übersinnlich ist, das Hinweggehobensein über die unmittelbare Verbindung mit dem Sinnlich- Irdischen, das Sich-ganz-Widmen - und zwar nicht mit dem Verstande, mit der Vernunft, sondern mit dem Herzen, mit der Seele-sich-Widmen dem Seelisch-Geistigen der Welt, das Sich-Zurückziehen von den Äußerlichkeiten der Welt, das mit ganzer Seele Hingegebensein an das Geistige und seine Geheimnisse. Und als jene Seele, welche da eine Buddha­Christus-Schülerseele war, die sozusagen durch den Buddha von dem

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Christus gehört hatte, wieder auf der Erde erschien, da ward sie ver­körpert in demjenigen Menschen, den wir in der Geschichte der Menschheitsentwickelung kennen als Franz von Assisi. Und wer die Gestalt des Franz von Assisi seelisch in ihrer ganzen Eigenart kennen-lernen will aus den okkulten Tiefen der Menschheitsentwickelung heraus, der schaue hin auf die vorhergehende Inkarnation des Franz von Assisi, der mache sich bekannt - wenn man bei Franz von Assisi die eigentümliche Art seines Lebens verstehen will, besonders mit dem, was uns groß und gewaltig bei ihm entgegentritt, weil es zu­gleich so weltfremd und so fern von aliem unmittelbar sinnlich Er­lebten ist -, der mache sich damit bekannt, daß Franz von Assisi in seiner vorhergehenden Inkarnation, wie es angedeutet ist, ein Christus-Schüler des Buddha war in der angedeuteten Mysterienstätte.

So wirkte die Buddha-Wesenheit weiter - unsichtbar, übersinnlich -in der Strömung, die durch das Mysterium von Golgatha in die Menschheitsentwickelung eingetreten war. Gerade aber an Franz von Assisi kann sich uns so recht zeigen, wie diese Buddha-Wirkung für alle folgenden Zeiten gewesen wäre, wenn nichts anderes geschehen wäre, als daß der Buddha so fortgewirkt hätte, wie er in jener Tat ge­wirkt hat, die wir eben charakterisiert haben, und durch welche er Franz von Assisi für seine Mission vorbereitet hat. Hätte er so fort-gewirkt - viele, viele Menschen würden erstanden sein von der Ge­sinnung und Stimmung des Franz von Assisi. Sie wären innerhalb des Christentums Buddha-Schüler geworden, wären Buddha-Bekenner geworden. Was als Buddha-Stimmung etwa in denjenigen fortgelebt hat, welche Bekenner des Franz von Assisi geworden waren, das wäre aber unmöglich mit alledem zu vereinigen gewesen, was die moderne Zeit, die Zeit seit der Morgenröte des neueren Geisteslebens, an An­forderungen an die Menschheit zu stellen hatte.

Erinnern wir uns einmal, wie wir den Durchgang der Menschen-seele durch die verschiedenen Regionen der Welt zwischen dem Tode und der neuen Geburt dargestellt haben. Erinnern wir uns, daß diese Menschenseele zwischen Tod und neuer Geburt durch das durchzu­gehen hat, was wir die planetarischen Sphären nennen, daß sie sich zu bewegen hat bis hinaus in die Weiten des Weltenraumes. Erinnern wir

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uns, daß wir in der Tat zwischen Tod und neuer Geburt nacheinander Mond-, Venus-, Merkur-, Sonnen-, Mars-, Jupiter- und Saturnbewoh­ner werden, Bewohner des Sternenhimmels werden, um uns dann wieder aus diesen Welten zusammenzuziehen, um uns durch irgendein Elternpaar wieder neu zu verkörpern und um das durchzumachen, was man auf dem Schauplatze der Erde durchmachen kann, während wir außerhalb des Erdenraumes das absolvieren, was wir als Bewohner anderer Welten durchzumachen haben. Von jeder Seele, die durch die Geburt ins Dasein tritt, können wir sagen, daß sie seit dem letzten Tode die verschiedenen Erlebnisse durchgemacht hat, die draußen im Sternenhimmel durchgemacht werden können. Wir bringen uns durch die Geburt die Kräfte ins Dasein herein, die wir in den verschiedenen Gebieten des Sternenhimmels erleben.

Nun sehen wir einmal hin, wie auf unserer Erde schon das Leben verfließt, wie der Mensch bei jeder neuen Inkarnation, bei jeder neuen Verkörperung hier auf der Erde die Erde verändert findet, wie er Neues durchmacht. Erinnern wir uns, wie der Mensch in seinen ver­schiedenen Inkarnationen durchgemacht hat die vorchristlichen Zei­ten, wie er wieder inkarniert war, nachdem in der Menschheitsentwik­kelung das Mysterium von Golgatha Platz gegriffen hatte und als Im­puls in der weiteren Entwickelung der Menschheit fortzuwirken hatte. Schreiben wir es uns recht stark vor die Seele hin, wie da die Erde eine Entwickelung durchmacht, von göttlich-geistigen Höhen herunter-steigend bis zu einem gewissen tiefsten Punkt; wie sich dann mit der Erdentwickelung das verband, was wir nennen können den Impuls des Mysteriums von Golgatha, und wie von da an wieder eine Auf­wärtsentwickelung der Erde stattfindet, die jetzt erst am Anfange ist, die aber weiter fortgehen wird, wenn die Menschen die Impulse aus diesem Mysterium in die Seelen aufnehmen werden, so daß sie später bis zu jener Stufe wieder hinaufsteigen werden, wo sie standen, bevor die Verführung durch Luzifer stattgefunden hat. Machen wir uns klar, daß wir so - gerade aus ihren tiefsten Entwickelungsbedingungen her­aus - die Erdentwickelung immer anders finden, wenn wir durch die Geburt hier ins irdische Dasein zurückkehren.

So ist es aber auch, wenn wir die anderen Weltenkörper zwischen

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Tod und neuer Geburt betreten. Ja, diese Weltenkörper machen auch eine Entwickelung durch. Sie machen geradeso eine Evolution durch, einen Niederstieg und einen Aufstieg in ihrer Entwickelung wie un­sere Erde selber. Und jedes Mal, wenn wir nach einem Tode irgend­einen der Weltenkörper draußen - Mars, Venus oder Merkur - be­treten, treffen wir andere Verhältnisse, und wenn wir solche andere Verhältnisse treffen, nehmen wir auch andere Erlebnisse, andere Im­pulse aus diesen Weltenkörpern auf und bringen andere Impulse jedes Mal zurück, sagen wir, vom Merkur, von der Venus und so weiter; denn wir nehmen alle die Impulse dort auf, die wir dann durch die Geburt wieder ins Dasein zurückbringen. Wir bringen, weil die an­deren Weltenkörper auch ihre Evolutionen durchmachen, jedes Mal andere innere Kräfte in der Seele mit.

Heute, da wir sozusagen durch die tiefe Bedeutung des Weihnachts­festes hingewiesen werden in das Wesen des Weltenraumes, das gei­stige Wesen des Weltenraumes selber, heute wollen wir insbesondere einer Entwickelung gedenken, die sich der okkulten Forschung dar­bietet, wenn diese okkulte Forschung wirklich bis zu einer gewissen Tiefe in das eindringt, worin sie eindringen kann: in das Wesen an-derer Welten, die so verknüpft sind mit anderen Planeten, anderen Planetensystemen, wie das geistige Leben der Erde mit dem Erd­planeten verknüpft ist. Wie im geistigen Leben der Erde eine ab­steigende Entwickelung bis zum Mysterium von Golgatha und von da aus ein Aufschwung stattfindet, der jetzt nur maskiert, kaschiert ist, weil der Christus-Impuls immer mehr und mehr verstanden werden muß, und weil die Menschen dann schon eine aufsteigende Entwicke­lung durchmachen werden, so fand - das wollen wir ins Auge fassen -eine aufsteigende und eine absteigende Entwickelung auch statt auf dem Mars, dessen Schauplatz wir auch zwischen dem Tode und der neuen Geburt betreten. Es war gerade bis in das 15., 16. Jahrhundert hinein, da machte der Mars eine solche Entwickelung durch, daß das, was ihm von Anfang an aus den spirituellen Welten gegeben war, in absteigender Entwickelung war. Wie bis zum Anfange unserer Zeit­rechnung die Erdentwickelung eine absteigende war, so war bis zum 15., 16. Jahrhundert die Entwickelung des Mars eine absteigende. Sie

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sollte eine aufsteigende werden, mußte eine aufsteigende werden, denn jene absteigende Entwickelung hatte sich in ihren Folgen oben gezeigt. Wir bringen ja als Menschen die Impulse, die Kräfte aus den Sternen-welten mit, wenn wir wieder durch die Geburt ins irdische Dasein treten, und unter den verschiedenen Kräften auch die Marskräfte. An einer Individualität können wir insbesondere deutlich sehen, wie ver­ändert das war, was man vom Mars mitbringt auf die Erde herein.

Es ist ja allen Okkultisten bekannt, daß dieselbe Seele, die in Niko­laus Kopernikus auftrat, um sozusagen die Morgenröte der neueren Zeit herbeizuführen, vorher verkörpert war von dem Jahre 1401 bis 1464 in dem Kardinal Nikolaus von Kues, Nikolaus Cusanus. Wie ver­schieden sind aber diese beiden Persönlichkeiten, welche in einer ge­wissen Hinsicht dieselbe Seele in sich bargen! Nikolaus von Kues im 15. Jahrhundert ganz, ganz hingegeben den spirituellen Welten, in seinen Betrachtungen in den spirituellen Welten wurzelnd - und als er wieder erschien, jene gewaltige Umwälzung hervorrufend, die nur dadurch hervorgerufen werden konnte, daß sozusagen aus der Welt­anschauung des Raumes, des Planetensystems, alles herausgeworfen war, was spirituell war, und man nur die äußeren Bewegungen und die äußeren Verhältnisse der Himmelskörper ins Auge faßte! Warum konnte man denn als dieselbe Seele, die als Nikolaus von Kues auf der Erde war und noch ganz den spirituellen Welten hingegeben war, nun in der nächsten Verkörperung wieder erschien, sozusagen abstrakt, mathematisch, rein räumlich-geometrisch die Himmelsverhältnisse denken? Man konnte es, weil man, wenn man in der Zwischenzeit zwischen dem Dasein des Nikolaus von Kues und dem des Koper­nikus die Mars-Sphäre passiert hatte, gerade hineingekommen war in den Niedergang des Mars. Man brachte sich vom Mars keine Kräfte mit, welche die Seelen im Leben so inspirierten, daß man einen Höhen­flug in die geistigen Welten hinauf nahm. Was nur im Physisch-Sinn­lichen war, das allein lebte in solchen Seelen, die gerade in jener Zeit den Mars passiert hatten. Wäre nun alles auf dem Mars so weiter vor sich gegangen, wäre der Mars in seinem Niedergange drinnen ge­blieben, so würden sich die Seelen aus diesem Weltenkörper nur das mitgebracht haben, was sie hier auf der Erde für eine rein materielle

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Auffassung der Welt fähig gemacht hätte. Durch das aber, was aus dem Niedergange des Mars stammte, ist die moderne Naturwissen­schaft geworden; das hat sich in die Seelen so ergossen, daß es auf dem Gebiete der materiellen Welterkenntnis von Triumph zu Triumph führte, und das würde in der weiteren Menschheitsentwickelung nur fortwirken im Sinne alles dessen, was materielle Naturwissenschaft werden kann, was die Grundlage für Industrie und Handel, für die äußere Gestaltung der Erdenkultur werden kann.

Es würde ja möglich sein, daß jener Menschenklasse, die dadurch sich herausbildet, daß sie ganz unter dem Einfluß des Fehlens ge­wisser alter Marskräfte steht, welche nicht mehr vorhanden waren, daß dieser Menschenklasse, die also nur der äußeren Kultur hin­gegeben wäre, eine andere Menschenklasse gegenüberstände, eine Menschenklasse von lauter Bekennern des Franz von Assisi oder des ins Christentum übertragenen Buddhismus. Es würde eine Wesenheit wie die des Buddha - wie sie in der heute angedeuteten Weise bis zu Franz von Assisi fortgewirkt hat - auf der Erde ein Gegengewicht selber haben bilden können gegen die bloß materialistische Auf­fassung der Welt, indem sie starke Kräfte in die Seelen gegossen hätte. Aber diese Kräfte hätten dazu geführt, daß sich eine Klasse von Menschen hätte bilden können, die nur ein mönchisches Leben führen können wie Franz von Assisi, und daß nur diese Klasse in die spiri­tuellen Höhen hätte aufsteigen können.

Wäre nun alles so geblieben, so wäre die Menschheit immer mehr und mehr in zwei Klassen geteilt worden: auf der einen Seite die, welche dem materiellen Leben hingegeben wären, weil diese Klasse schon einmal notwendig geworden ist auf der Erde für die Fort­pflanzung der äußeren materiellen Erdenkultur, und herausgehoben worden durch den fortwirkenden Buddha-Impuls wären Schätzer und Pfleger und Bewahrer der spirituellen Kultur. Aber diese letzteren hätten nicht mitmachen dürfen - wie es Franz von Assisi nicht hat mitmachen dürfen - die äußere materielle Kultur, und immer schärfer und schärfer wären diese zwei Menschenkategorien getrennt worden. Und als man prophetisch vorausschauen konnte, daß so etwas hätte kommen müssen, da war es die Aufgabe jener Individualität, die wir

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unter dem Namen Christian Rosenkreutz verehren, nicht die Erd­entwickelung so vor sich gehen zu lassen, daß eine solche Zwei-spaltung der Erdentwickelung vor sich gehe. Sondern Christian Rosenkreutz fühlte die Mission, für jede Menschenseele, die da oder dort auf irgendeinem Plan im neueren Leben steht, die Möglichkeit zu bieten, daß jede Seele aufsteigen kann in spirituelle Höhen. Haben wir es ja immer betont, und ist es doch betont in meiner Schrift «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», daß es unser Ziel in der abendländischen okkultistischen Geistesentwickelung ist, nicht durch Absonderung vom Leben, durch eine asketische Absonderung vom Leben den Aufstieg in die spirituellen Welten zu erreichen, son­dern die Möglichkeit zu geben, daß eine jede Seele, wo sie auch steht, von sich aus den Aufstieg in die geistige Welt findet. Daß der Aufstieg in die geistigen Welten vereinbar sei mit jeder andern Lebensposition, daß es so kommen könne, daß die Menschheit nicht auseinanderfalle in zwei auseinandergetrennte Kategorien, von denen die eine nur der äußeren industriellen, kommerziellen, materiellen Kultur hingegeben wäre und dadurch zwar immer geistreicher, aber doch immer tie­rischer und materialistischer geworden wäre, während die andere sich immer mehr und mehr absondern und ein Leben im Sinne von Franz von Assisi führen würde, daß dies nicht geschehe, das sollte die Sorge des Christian Rosenkreutz werden, als die neuere Zeit herannahte, welche die materialistische Kultur herbeiführen sollte, wo alle Seelen sich die Marskräfte, die im Niedergange waren, mitbringen mußten. Und weil nun nicht das in den Seelen sein konnte, was jene Zwei-spaltung verhindert hätte, so mußte auch von den Marskräften aus es dem Menschen zukommen, einzutreten mit seiner ganzen Seele für das Spirituelle, für das Geistige. Es mußte die Menschheit zum Bei­spiel dafür gewonnen werden, gut naturwissenschaftlich zu denken, die Welt naturwissenschaftlich anzuschauen, sich Ideen und Begriffe zu machen über die Welt, ganz nach dem Muster moderner natur-wissenschaftlicher Gedanken, aber zugleich in der Seele die Möglich­keit zu haben, die Ideen spirituell zu vertiefen, spirituell auszubilden, so daß von einer naturwissenschaftlichen Anschauung der Weg zu einer spirituellen Höhe hinauf gefunden werde.

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Diese Möglichkeit mußte geschaffen werden! Und geschaffen wurde sie durch Christian Rosenkreutz, der von der Erde her, allüberall her seine Getreuen gegen das Ende des 16. Jahrhunderts um sich ver­sammelte, um sie teilnehmen zu lassen an dem, was sich zwar äußerlich räumlich vollzieht von Stern zu Stern, aber dennoch vorbereitet wird in den heiligen Mysterienstätten, da wo gewirkt wird innerhalb der Weltenkörper über diese Weltenkörper hinaus zur Weltenkultur, nicht bloß zur Planetenkultur. Um sich versammelte Christian Rosenkreutz die, welche auch versammelt waren bei seiner Initiation im 13. Jahr-hundert. Unter diesen war auch einer, der sein Schüler und Freund geworden war seit langer Zeit - der, der einstmals auf Erden in­karniert war, aber nun nicht mehr auf der Erde zu erscheinen brauchte:

Gautama Buddha als geistige Wesenheit, wie er eben war, nachdem er Buddha geworden war. So war er der Schüler des Christian Rosen­kreutz! Und damit alles das, was durch den Buddha geschehen konnte, so gewendet werde, daß es in jene Mission ausläuft, die eben jetzt beschrieben worden ist als die des Christian Rosenkreutz in der da­maligen Zeit, deshalb kam zustande, als eine gemeinschaftliche Tat des Christian Rosenkreutz und der Wesenheit des Buddha, das Hinaus-senden des Buddha von bloß irdischer Wirksarnkeit zu kosmischer Wirksamkeit. Der Gautama Buddha, oder eigentlich die Individualität des Gautama Buddha, wurde durch das, was sie aus den Impulsen des Christian Rosenkreutz aufnehmen konnte, zu folgendem fähig - wir werden später einmal über die Beziehungen zwischen Gautama Buddha und Christian Rosenkreutz genauer sprechen -, jetzt soll nur angedeutet werden, daß durch diese Beziehungen in der Tat die Individualität des Buddha nicht weiterwirkte auf Erden, so wie sie einstmals in der Mysterienstätte am Schwarzen Meer lehrte, sondern dieser Buddha verließ die unmittelbare Wirkungssphäre der Erde und verlegte seine Wirkungssphäre auf den Mars. So daß im Anfange des 17. Jahrhunderts in der Marsevolution etwas Ähnliches stattfand, wie es sich im Beginne der aufsteigenden Erdentwickelung in dem Myste­rium von Golgatha vollzogen hat. Bewirkt wurde durch Christian Rosenkreutz, was man nennen kann: die Erscheinung des Buddha auf dem Mars. Dadurch wurde eingeleitet die aufsteigende Marskultur.

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Von da ab begann für den Mars die aufsteigende Marsentwickelung, wie für die Erde die aufsteigende Kultur mit dem Mysterium von Golgatha begonnen hat.

So wurde der Buddha für den Mars in ähnlicher Weise ein Erlöser, ein Heiland, wie es der Christus Jesus für die Erde geworden ist. Die Vorbereitung dazu war für den Buddha das, was er als Buddha zu lehren hatte: die Lehre des Nirwana, des Nichtbefriedigtseins von der Erde, des Freiwerdens von den Erdeninkarnationen. Was er so lehrte -vorbereitet war es von außerhalb der Erde her, auf die Erdenziele hin. Man sehe in die Seele des Buddha hinein, begreife die «Predigt von Benares», begreife, wie in dieser sich in der Vorbereitung zeigt eine andere Wirksamkeit als die bloß auf der Erde sich abspielende, und man begreift, wie weise der Vertrag zwischen Christian Rosenkreutz und dem Buddha war, in dessen Folge im Beginne des 17. Jahrhun­derts der Buddha seine Wirkungsstätte auf der Erde verließ, wo er in der Erdensphäre auf die Menschenseelen zwischen Geburt und Tod, aber eben von den geistigen Welten aus, hätte wirken können, um fortan auf dem Schauplatze des Mars für die Menschenseelen zwischen Tod und neuer Geburt zu wirken. Das ist das Bedeutsame, was be­wirkt worden ist, man möchte sagen durch die Übertragung des Weih­nachtsfestes von der Erde auf den Mars. So daß fortan die Menschen­seelen alle in einem gewissen Sinne eine Art Bekennerschaft des Franz von Assisi durchmachen und dadurch indirekt zu Buddha; aber die Menschen machen sie nicht auf der Erde durch, sondern alle Men­schen machen - wenn wir das paradoxe Wort gebrauchen wollen -ihr Mönchtum, eine Bekennerschaft zu Franz von Assisi, auf dem Mars durch und bringen sich von dort die Kräfte herein auf die Erde. Dadurch können sie das, was sie sich dort errungen haben, in ihren Seelen als schlummernde Kräfte haben, wo sie auch immer hingestellt werden, und brauchen nicht in ein besonderes Mönchtum hinein­gestellt zu werden, um etwas durchzumachen, wie etwa die besonderen Zöglinge des Franz von Assisi. Das letztere wurde dadurch verhindert, daß der Buddha hinausgesendet wurde in kosmische Welten in Über-einstimmung mit Christian Rosenkreutz, der nun ohne Buddha auf der Erde wirkte. Hätte der Buddha in der Erden-Sphäre weiter gewirkt,

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so hätte er nur das erreichen können, daß er buddhistische oder franziskanische Mönche hätte hervorbringen können, und die anderen Seelen wären dann der materiellen Kultur hingegeben gewesen. Da­durch aber, daß das stattgefunden hat, was man eine Art «Mysterium von Golgatha» für den Mars nennen kann, machen die Menschen­seelen außerhalb der Erde - in einer Sphäre, wo sie nicht in einer irdischen Inkarnation sind - das durch, was sie für das weitere Erden­leben brauchen, was aufgenommen werden muß als echtes Buddha­Element in die Seelen, und was in der nachchristlichen Zeit nur zwischen Tod und Geburt aufgenommen werden kann.

Wir stehen hier unmittelbar vor der Schwelle eines großen Ge­heinurisses, des Geheimnisses, das einen Impuls gebracht hat, der in der Menschheitsentwickelung fortwirkt. Oh, wer diese Menschheits­entwickelung wirklich versteht, der weiß, daß das, was auf unserer Erde jemals sich geltend gemacht bat, in seiner richtigen Weise fort­während sich einfügt dem Gesamtstrom der Menschheitsentwicke­lung. Anders war das Mysterium von Golgatha des Mars als jenes auf der Erde: nicht so gewaltig, nicht so einschneidend, nicht zum Tode führend. Aber eine Vorstellung können Sie sich davon machen, wenn Sie überlegen, was es heißt, daß derjenige, welcher der größte Frie­dens- und Liebefürst, der Träger des Mitleids auf der Erde war, ver­setzt wurde auf den Mars, um an der Spitze der ganzen Marsevolution zu wirken. Es ist keine Mythologie, sondern der Mars hat schon seinen Namen daraus erhalten, daß er der Planet ist, in welchem die Kräfte, die dort sind, am meisten im Kriege miteinander sind. Und die Mission des Buddha ist es, daß er sich zu «kreuzigen» hatte auf dem Schauplatze dieses Planeten, wo die meisten kriegerischen Kräfte sind, wenn auch die Kräfte dort durchaus psychisch-spiritueller Natur sind.

So stehen wir vor einer Tat desjenigen, der die Aufgabe hatte, den Christus-Impuls in der richtigen Weise aufzunehmen und fortzusetzen und der große Diener des Christus Jesus zu sein. So stehen wir vor dem Geheimnis des Christian Rosenkreutz, finden ihn so weise, daß er die anderen Impulse, die für das Mysterium von Golgatha vor­bereitend waren, die sich gleichsam in der Menschheitsentwickelung herumreihen um das Mysterium von Golgatha, soweit es an ihm ist,

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in der strengen Weise einfügt in die ganze Menschheitsentwicke­lung.

Eine solche Sache, wie sie jetzt dargestellt worden ist, kann man nicht etwa bloß mit Worten und Ideen aufnehmen, sondern man muß sie in ihrer Tiefe und ihrer ganzen Weite mit seiner ganzen Seele und seinem ganzen Herzen fühlen. Man muß fühlen, was es heißt, zu wissen: Mit den Kräften, die wir jetzt in unsern gegenwärtigen Menschheitszyklus hereinbringen, wenn wir durch die Geburt zur Erdeninkarnation schreiten, sind auch die Kräfte des Buddha. Dahin wurden sie verlegt, wo wir das Leben zwischen Tod und neuer Geburt durchmachen, damit wir in der richtigen Weise in das Erdenleben eintreten; denn innerhalb des Erdenlebens, zwischen Geburt und Tod, ist es unsere Aufgabe, das richtige Verhältnis zu dem Christus-Impuls, zu dem Mysterium von Golgatha zu gewinnen. Das können wir nur, wenn alle Impulse in der richtigen Weise zusammenwirken. Der Christus ist aus anderen Welten herabgestiegen und hat sich mit der Erdenevolution vereinigt. Er soll hier den Menschen das Größte geben, was sich mit der Menschenseele als ein Impuls vereinigen kann. Aber das kann nur geschehen, wenn die Kräfte, die mit der Menschheitsentwickelung zusammenhängen, alle an ihrem richtigen Orte in diese Menschheitsentwickelung eingreifen. Der große Lehrer des Nirwana, der die Menschen ermahnte, ihre Seelen freizumachen von dem Trieb und Drang nach Wiederverkörperung, sollte nicht dort wirken, wo der Mensch in die Wiederverkörperung hinein­zugehen hat, sondern nach dem großen Plane, der von den Göttern gewoben wird, aber an dem die Menschen teilnehmen müssen, weil sie den Göttern dienen, nach diesem Plane sollte jener große Lehrer in dem Leben, das immer jenseits von Geburt und Tod steht, weiter-wirken.

Nun versuchen Sie das innerlich Berechtigte einer solchen Vor­stellung zu fühlen, versuchen Sie mit dieser Idee den Gang der Menschheitsentwickelung zu verfolgen, um einzusehen, warum der Buddha vorangehen mußte dem Christus Jesus, und wie er wirkte, nachdem der Christus-Impuls in die Menschheitsevolution ein­geflossen ist. Versuchen Sie das zu verarbeiten, dann werden Sie die

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neue Menschheitsentwickelung, die neuere Geistesentwickelung, vom 17. Jahrhundert angefangen, in der Sie selbst stehen, im rechten Lichte sehen, weil Sie sehen, wie die Menschenseelen die Kräfte, die sie weiterbringen sollen, aufnehmen, bevor sie durch die Geburt ins Dasein schreiten.

Das ist es, was ich heute an einem bedeutungsvollen Festtage nicht wie einen direkten Weihnachtsvortrag, aber als eine Art Christ-Gabe, die ich Ihnen über Christian Rosenkreutz zu machen habe, unter den Weihnachtsbaum legen will. Vielleicht nehmen es einige, oder viele von Ihnen so auf, wie es gemeint ist: als eine Stärkung des Herzens, als eine Stärkung der Kräfte der Seele, welche Stärkung wir brauchen, wenn wir mit unserer Seele sicher leben wollen innerhalb desjenigen, was uns das Leben an Harmonie und Disharmonie bietet. Und wenn wir gerade um die Weihnachtstage herum solche Stärkung und Kräfti­gung der Seele aufnehmen können durch das Bewußtsein, wie wir mit den großen Weltenkräften zusammenhängen, dann nehmen wir viel­leicht doch auch durch eine solche Festesgabe, die unter den Weih­nachtsbaum gelegt wird, aus einer solchen anthroposophischen Arbeitsstätte das mit, was lebendig bleibt durch das ganze Jahr hin­durch und was wir durchbilden müssen, was wir aber besser durch­bilden können, wenn wir mit einer solchen Aufmunterung zwischen einem solchen Weihnachtsabend und dem nächsten das Leben weiter­leben können.

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SECHSTER VORTRAG Berlin, 7. Januar 1913

Wir haben schon einiges über die Zeit zwischen dem Tode und der neuen Geburt betrachtet und vor kurzer Zeit auch eine Betrachtung über das Verhältnis von Christian Rosenkreutz zu Buddha eingefügt, weil - wie gezeigt werden konnte - seit der Zeit, die damals angegeben worden ist, der Buddha einen Zusammenhang hat mit einer planeta­rischen Sphäre, mit der Mars-Sphäre, und weil der Mensch, nachdem er zwischen Tod und neuer Geburt das Ihnen geschilderte Christus-Ereignis auf der Sonne durchgemacht hat, indem er weitet hinüber-lebt in die Mars-Sphäre, das Buddha-Erlebnis durchmacht in der Weise, wie es für die gegenwärtige Zeit richtig und normal zu erleben ist. Dieses Buddha-Erlebnis müssen wir heute so verstehen, wie es für die heutige Zeit gilt, nicht so, wie es für die Zeit gilt, in welcher die Individualität, die hier in Betracht kommt, als Gautama Buddha auf der Erde gelebt hat. Das gibt einzig und allein wirkliche, echte Auf­klärung über das Wesen des Menschen und seinen Zusammenhang mit der gesamten Weltenevolution, daß man sozusagen mit seinem Verständnisse mitgeht mit dieser Weltenevolution.

Wir wissen, daß in der nachatlantischen Zeit aufeinanderfolgend als wichtigste Zeitepochen, in denen die Menschenseele fortschreitend Wichtiges durchmachte, zu verzeichnen sind die fünf Perioden: die urindische, die urpersische, die ägyptisch-chaldäische, die griechisch-lateinische und unsere Kulturperiode. Wir wissen aber auch, daß in einem jeden Zeitalter von dieser Art, gewissermaßen wie im Keime schon das nächste Zeitalter vorbereitet wird. In unserer Zeit wird schon das sechste nachatlantische Zeitalter in den Seelen langsam vor­bereitet, und diese Vorbereitung muß folgendermaßen sein. Vor­bereitet wird dieses sechste nachatlantische Zeitalter, indem die Menschenseele gerade das verstehen lernt, was in unserer Zeit als okkulte Lehre, als Geisteswissenschaft sich in der Welt verbreitet. Dadurch wird nicht nur eine für die Zukunft notwendige Erkenntnis der Menschenwesenheit im allgemeinen verbreitet, sondern dadurch

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wird auch das verbreitet, was man nennen kann eine immer weitere Vertiefung im Verständnisse des Christus-Impulses. Alles, was zu dieser Verbreitung des Verständnisses des Christus-Impulses in unserer Zeit beitragen soll, das schließt sich für das Abendland zusammen in dem, was man nennen kann das Mysterium vom Heiligen Gral. Und innig hängt das Mysterium vom Heiligen Gral auch mit solchen Dingen zusammen, wie sie auseinandergesetzt worden sind: mit der Erteilung der Mission für den Mars an Buddha durch Christian Rosenkreutz. Und dieses Mysterium vom Heiligen Gral kann dem modernen Menschen das geben, was ihn einführt in ein gerade für unsere Zeit richtiges Verständnis des Lebens zwischen dem Tode und der neuen Geburt. Dieses Verständnis macht vor allen Dingen not­wendig, daß wir nunmehr darangehen, eine wichtige Frage zu be­antworten. Und ohne daß wir diese Frage etwas mehr zu vertiefen versuchen, als wir es bisher konnten, werden wir in unseren Betrach­tungen des Lebens zwischen dem Tode und der neuen Geburt nicht weiterschreiten können. Es ist die Frage: Warum traten in der Ver­kündigung des Christentums bisher auch dort, wo das Christentum gewissermaßen seiner tieferen Wesenheit nach schon verkündet wor­den ist, warum traten dort gewisse Lehren zurück, die wir gerade heute in das einführen müssen, was wir die fortgeschrittene Lehre, die fortgeschrittene Verkündigung des Christentums nennen können?

Sie wissen, daß nicht nur in der äußeren, exoterischen Verkündi­gung des Christentums alles zurücktrat, was mit Reinkarnation und Karma zusammenhängt, sondern es trat dieses auch zurück in den mehr esoterischen Verkündigungen und Offenbarungen der ver­flossenen Jahrhunderte. Und gar mancher, der hört, was Inhalt der anthroposophischen Weltanschauung ist, fragt: Wie kommt es, daß -trotzdem durch unsere Verkündigungen das Rosenkreuzertum neben allem andern fließen soll, was der Okkultismus zu geben hat -, wie kommt es, daß dieses Rosenkreuzertum bisher, sozusagen bis in unsere Zeit herein die Lehren von Reinkarnation und Karma nicht hatte? Wie kommt es, daß zu dem Rosenkreuzertum in unserer Zeit hinzugefügt werden mußte die Lehre von Reinkarnation und Karma?

Wenn man dies verstehen will, muß man von einem gewissen Gesichtspunkte

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aus noch einmal das ganze Verhältnis des Menschen zur Welt ins Auge fassen. Die Vorbedingungen zu der Betrachtung, zu der wir nunmehr in diesen Vorträgen schreiten wollen, liegen aller­dings schon in der «Geheimwissenschaft im Umriß». Aber wir müssen uns vor Augen führen, wie das Verhältnis des Menschen zur Welt gerade in unserer Zeit ist, in der Zeit, die vorbereitet ist durch die Saturn-, Sonnen- und Mondenzeit.

Wir wissen, daß dieser Erdenmensch aus dem physischen Leib, dem Ätherleib, Astralleib und Ich besteht mit allem, was dazu gehört. Nun wissen wir, daß der Mensch, wenn er durch die Pforte des Todes schreitet, zunächst seinen physischen Leib zurückläßt, daß aber dann nach einiger Zeit auch der größte Teil des Ätherleibes aufgelöst wird im Weltenäther, und daß mit dem Menschen nur etwas mitgeht, was eine Art Extrakt des Ätherleibes ist. Dann geht mit dem Menschen noch lange der astralische Leib mit, von dem aber auch etwas wie eine Hülle abgeworfen wird, nachdem die Kamalokazeit um ist. Dann geht aber der Extrakt des Ätherleibes und derjenige des astralischen Leibes durch die weitere Gestaltung, die der Mensch durchzumachen hat zwischen Tod und neuer Geburt. Im Innersten bleibt das menschliche Ich unverändert. Ob der Mensch die Zeit hier im physischen Leibe zwischen Geburt und Tod durchmacht, ob er durchmacht die Zeit, da er noch voll umschlossen ist von dem astralischen Leib, die Kamaloka­zeit, oder ob er durchmacht die Devachanzeit, die den größten Teil der Laufbahn zwischen dem Tode und der neuen Geburt bildet: das Ich ist es, das im Grunde genommen durch alle diese Epochen durch­geht. Aber dieses Ich, das wahre, reale Ich, das darf nicht verwechselt werden mit dem, was der Mensch auf der Erde im physischen Leibe als sein Ich erkennt. Die Philosophen reden viel von diesem Ich des Menschen im physischen Erdenleibe, das sie zu erfassen glauben. So wird zum Beispiel gesagt, daß dieses Ich dasjenige sei, was erhalten bleibe, wenn auch alles andere am Menschen sich ändere. Das wahre Ich bleibt zwar erhalten; aber ob das Ich, von dem die Philosophen sprechen können, erhalten bleibt, das ist eine andere Frage. Und wer von der Erhaltung dieses Ich, von dem die Philosophen sprechen können, viel redet, wird dadurch widerlegt, daß der Mensch in der

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Nacht schläft; denn da ist das Ich, von dem die Philosophen sprechen können, ausgelöscht, ist nicht da. Und wenn es die ganze Zeit zwischen Tod und neuer Geburt so da wäre wie bei nachtschlafender Zeit, dann könnte man nicht viel von dem Bleibenden der Menschenseele für die Zeit zwischen Tod und neuer Geburt sprechen. Denn im Grunde genommen wäre es einerlei, ob das Ich gar nicht da wäre, oder nichts von sich wüßte und nur wie etwas Äußerliches fortlebt. Nicht darum kann es sich bei der Unsterblichkeitsfrage handeln, daß das Ich vor­handen ist, sondern daß es auch etwas von sich weiß. Also die Un­sterblichkeit jenes Ich, das zunächst im menschlichen Bewußtsein lebt, die wird durch jeden Schlaf in der Nacht widerlegt; denn da wird dieses Ich doch einfach ausgelöscht. Aber das wahrhaftige Ich liegt viel tiefer, viel, viel tiefer! Und wie kann man eine Vorstellung von diesem wahrhaftigen Ich bekommen, auch wenn man noch nicht zu den Sphären des Okkultismus aufsteigen kann?

Um eine solche Vorstellung zu bekommen, kann man sich denken:

Das Ich muß auch vorhanden sein in der menschlichen Wesenheit, wenn der Mensch noch nicht «Ich» sagen kann, wenn er noch auf dem Boden hinkriecht. - Da ist es schon vorhanden, das reale Ich - nicht das Ich, von dem die Philosophie spricht -, und da zeigt es sich auf eine ganz eigenartige Weise. Betrachten wir, wie es sich da zeigt.

Es wird der äußeren Wissenschaft höchst unbedeutend erscheinen, wie wir den Menschen in den ersten Lebensmonaten oder auch Lebensjahren beobachten. Aber für den, der die Menschennatur kennenlernen will, ist es am allerwichtigsten, dies zu beobachten. Zuerst kriecht der Mensch auf allen Vieren, und es bedarf erst einer besonderen Anstrengung für den Menschen, um aus dieser Kriech-stellung, aus diesem Hingegebensein an die Schwere, sich aufzurich­ten, die Vertikalstellung anzunehmen und in dieser sich zu halten. Das ist das eine. Das zweite ist folgendes: Wir wissen, daß der Mensch in der ersten Zeit auch noch nicht sprechen kann. Er lernt auch erst sprechen. Versuchen Sie sich zu erinnern, was Sie zuerst sprechen ge­lernt haben, wie Sie gelernt haben, zuerst das erste Wort zu sagen, das Sie haben aussprechen können, und wie Sie dann gelernt haben, den ersten Satz zu bilden. Versuchen Sie sich daran zu erinnern, aber

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ohne daß Sie hellseherische Mittel zu Hilfe nehmen - es wird vergeb­lich sein. Ohne hellseherische Mittel ist der Mensch dazu ebensowenig in der Lage, wie er sich nicht erinnern kann, in welcher Weise er die erste Anstrengung gemacht hat, um aus der kriechenden in die verti­kale Stellung zu kommen. Und ein Drittes ist das Denken selber. Die Erinnerung geht zwar zurück bis in die Zeit, als man schon denken konnte, aber nicht hinter diese Zeit.

Wer ist der Akteur in diesem Gehen-, Sprechen- und Denken-lernen? Das ist das wirkliche, wahre Ich! Was tut denn dieses wahre Ich? Beobachten wir einmal, was es tut.

Von vornherein ist der Mensch dazu bestimmt, aufrecht zu gehen, zu sprechen und zu denken. Aber er hat das nicht gleich. Er ist nicht gleich dasjenige, wozu er sozusagen als Erdenmensch bestimmt ist. Er hat nicht gleich das, wodurch er innerhalb der menschlichen Kultur-entwickelung lebt; er muß sich erst nach und nach dazu durchringen. Es kämpfen in seiner ersten Lebenszeit miteinander der Geist, der in ihm lebt, wenn er aufgerichtet ist, und der Geist, der in ihm ist, wenn er der Schwere hingegeben ist, wenn noch unentwickelt in ihm die Fähigkeit des Sprechens und Denkens ruht. So sehen wir, wie der Mensch, wenn er sozusagen seine Bestimmung erlangt hat, aufrecht stehen und gehen kann, sprechen kann und denken kann, ein Aus­druck dessen ist, was in seiner Menschheitsform gegeben ist. Es ent­spricht auf naturgemäße Weise das Aufrechtgehen, das Sprechen und das Denken der Form des Menschen. Unmöglich ist es, daß ein anderes Wesen gedacht wird, das so gehen kann wie der Mensch, also das Rückenmark in der vertikalen Linie hat, sprechen und denken kann, ohne daß es eben die Menschenform hat. Sogar der Papagei, wenn er sprechen soll, kann es nur dadurch, daß er eben aufgerichtet ist. Es hängt das mit der Vertikafflnie innig zusammen. Tiere, die viel intelli­genter sind, werden nicht sprechen lernen, weil ihr Rückenmark nicht in der vertikalen, sondern in der horizontalen Linie liegt. Es gehören allerdings noch andere Dinge dazu. Dennoch sehen wir den Menschen nicht gleich in die Lage versetzt, die seine Bestimmung ist. Das kommt daher, daß der Mensch zuletzt, nach den Anstrengungen, die sein wahres Ich gemacht hat, das ihm das Denken, Sprechen und die

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vertikale Linie gegeben hat, sozusagen eingebettet ist in die Sphäre, in welcher die Geister der Form leben, die Exusiai. Diese Geister der Form, die in der Bibel auch die Elohirn genannt werden, sind die, von denen eben wirklich die menschliche Form abstammt, aber eben die Form, jene Form, in der das Ich des Menschen sozusagen natürlich drinnenlebt und sich eindrückt in den ersten Lebensmonaten und

-jahren.

Aber andere Geister stehen noch dagegen, welche den Menschen hinwerfen, ihn wie unter den Stand dieser Geister der Form hinunter-werfen Was sind das für Geister?

Die Geister der Form sind die, welche den Menschen dazu be­fähigen, sprechen, denken und aufrecht geben zu lernen. Diejenigen Geister, die ihn gleichsam hinwerfen, daß er auf allen vieren sich be­wegt, daß er nicht sprechen kann und sein Denken nicht entwickelt in der ersten Lebenszeit, das sind solche Geister, die er im Leben erst überwinden muß, die ihm eine unrichtige Form zunächst geben. Das sind Geister, die eigentlich schon Geister der Bewegung sein sollten, Dynamis, die aber in ihrer Evolution zurückgeblieben sind und noch nicht einmal auf dem Standpunkte der Geister der Form stehen. Das sind in ihrer Entwickelung stehen gebliebene luziferische Geister, die von außen auf den Menschen wirken und ihn sozusagen dem Element der Schwere übergeben, aus dem er sich erst nach und nach durch die wirklichen Geister der Form erheben muß.

Indem wir so den Menschen beobachten, wie er sich durch die Ge­burt ins physische Dasein hereinbegibt, sehen wir in diesen An­strengungen, die er macht, um sich das zu geben, was er später im Leben haben soll, die wirklich fortschreitenden Geister der Form im Kampfe mit jenen Geistern, die schon Geister der Bewegung sein sollten, aber auf einer früheren Stufe stehen geblieben sind. Mit luzi­ferischen Geistern sehen wir schon da die Geister der Form im Kampfe, und auf diesem Gebiete sind die luziferischen Geister so stark, so kräftig, daß sie nicht das Bewußtsein des Ich aufkommen lassen, das da waltet. Sonst, wenn nicht luziferische Geister dieses Bewußtsein niederhielten, würde der Mensch während dieser Zeit zeigen: Du bist ein Kämpfer; du fühlst dich in der horizontalen Lage

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und willst bewußt die vertikale Lage; du willst sprechen und denken lernen! - Das kann er alles nicht, weil er eingehüllt ist in die luziferi­schen Geister. Da sehen wir ahnend hin auf das, was wir allmählich erkennen werden als das wahre Ich gegenüber einem bloß dem Be­wußtsein erscheinenden Ich.

Im Beginne dieser Reihe von Vorträgen ist gesagt worden, daß wir nach und nach versuchen, das, was der Okkultismus, was das Seher­tum zu sagen hat über das Wesen des Menschen, vor dem gesunden Menschenverstande zu rechtfertigen. Dieser gesunde Menschenver­stand muß aber wirklich beobachten wollen, wie der Mensch in den ersten Lebenszeiten sich hereinbegibt in die physische Welt, wie er da allmählich hereintritt. Was ist denn, wenn der Mensch ins Leben tritt, am meisten fertig? Die äußere Form ist eigentlich noch wenig hervor­tretend, denn der Mensch widerspricht seiner äußeren Form. Er muß sich erst selbst in die ihm bestimmte Form hineinbewegen. Was ist denn am meisten fertig am Menschen - nicht nur nach der Geburt, sondern auch vor der Geburt? Das ist das Haupt, das ist der Kopf. Das ist das, was im Grunde genommen überhaupt von den physischen Organen mit einiger Deutlichkeit wirklich ausgebildet wird, auch im Embryo. Warum ist das? Das ist aus dem Grunde, weil keineswegs alle Organe im Menschen in gleicher Weise von den Wesenheiten der höheren Hierarchien, von den Geistern der Form, sozusagen durch­sponnen, durchwoben werden, sondern die verschiedenen Glieder in verschiedener Weise: anders der Kopf, anders der Teil des Menschen, an dem Arme und Beine sitzen. Wesentlich unterscheidet sich der Kopf von der übrigen, auch physischen Wesenheit des Menschen. Wenn wir den Menschenkopf heilseherisch betrachten, so zeigt sich, daß er sich zum Beispiel von der Hand in sehr merkwürdiger Weise unterscheidet. Wenn man die Hand bewegt, so bewegen sich die physische Hand und das, was als Ätherleib der Hand zugrunde liegt, in gleicher Weise. Wenn aber eine gewisse Ausbildung im Hellseher­tum erlangt ist, so ist es möglich, daß der Hellseher die physische Hand festhalten kann und nur die Ätherhand in Bewegung bringt. Das ist eine besonders wichtige Übung: bewegliche Teile festhalten und nur die Ätherteile bewegen. Dadurch, daß dies erlangt wird,

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wird immer mehr und mehr das fortschreitende Helisehertum der Zukunft sogar entwickelt, während alles Nachgeben den Bewegungen, die sich sozusagen unbewußt, von selber machen, ein Wiederaufleben des Derwischtumes ist, das heute schon überwunden ist. Ruhen des physischen Leibes ist das Charakteristikon des heutigen Hellseher­tums; alle möglichen zappelnden und dergleichen Bewegungen sind das Charakteristikum der alten Zeit gewesen. Es würde daher etwas ganz Besonderes sein, wenn der Hellseher zum Beispiel eine ganz be­stimmte Lage seiner Hände - etwa über die Brust gekreuzte Hände -festhalten würde und die größte Beweglichkeit seiner Ätherhände bei-behielte; so daß er mit den letzteren alles Mögliche in der Übersinn­lichkeit ausführte, während er die physischen Hände festhalten würde. Das würde eine ganz besondere Ausbildung sein, wo sich die Selbst­kontrolle des Menschen in bezug auf die Hände ausdrückte.

Nun gibt es aber ein Organ am Menschen, wo das schon stattfindet, auch ohne daß er Hellseher ist, daß sich der Ätherteil frei bewegt, während der entsprechende physische Teil festgehalten wird: das ist das Gehirn, jenes Organ, wo die Weltordnung die feste Schale um die Gehirnlappen gefügt hat. Bewegen wollen sie sich schon, aber sie können nicht. Daher ist beim gewöhnlichen Menschen in bezug auf das Gehirn immer das vorhanden, was beim Hellseher vorhanden ist, wenn er zum Beispiel die physischen Hände festhält und nur die Ätherhände bewegt. Für das Hellsehertum ist aber ein Kopf etwas ganz anderes, als was er uns beim gewöhnlichen Menschen entgegen­tritt. Denn für den Hellseher ist das Gehirn etwas, was wie schlangen-artig züngelnd aus dem Kopfe sich heraushebt. Jeder Kopf ist nämlich ein Medusenhaupt. Das ist etwas sehr Reales. Und das ist der Unter­schied des menschlichen Hauptes gegenüber dem anderen Körper, daß der Mensch in bezug auf den anderen Körper erst durch eine weiterschreitende Evolution das erreichen wird, was beim Kopfe das gewöhnliche äußere Denken ist. Darin liegt sogar in gewisser Be­ziehung die Stärke des Denkens, daß der Mensch in die Lage kommt, möglichst bis in die feineren, unsichtbaren Bewegungen, die Nerven-bewegungen, das Gehirn zur Ruhe bringen zu können, während er denkt. Dadurch, daß er das Gehirn ruhig haben kann, wenn er denkt,

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ruhig haben kann bis in die feineren Bewegungen, die sozusagen die Nervenbewegungen sind, werden die Gedanken feiner, ruhiger, logischer.

So können wir sagen: Wenn der Mensch durch die Geburt ins Dasein tritt, ist sein Kopf deshalb am meisten fertig, weil für ihn das schon eingetreten ist, was in bezug auf denjenigen Teil des Menschen, der sich durch Gesten ausdrückt, die Hände, erst in der Zukunft er­reicht werden kann. In der alten Mondenzeit war das, was heute Ge­hirn ist, noch auf dem Standpunkt der heutigen Hände. Da war der Kopf nach vielen Seiten noch offen, war noch nicht durch die Schädel­decke geschlossen. Während er jetzt wie in einem Gefängnisse sitzt, konnte er sich damals nach allen Seiten herausbewegen. Das war aller­dings auf dem alten Monde, wo wir den Menschen noch durchaus im flüssigen, nicht im festen Elemente haben. Selbst in einer gewissen Epoche der alten lemurischen Zeit, wo der Mensch eben jene Ent­wickelungsstufe erreicht hatte, welche die alte Mondenzeit wieder­holt, selbst da war es auch noch so, daß zum Beispiel da, wo ein Gehirnspalt oben war, nicht nur das ja öfter erwähnte Organ war, sondern etwas wie ein Emporsprudelndes der Gedanken im flüssigen Elemente. Und eine Art feuriger Dunst, der sich in dem Menschen-element entwickelte, war sogar noch beim alten Atiantier vorhanden. Ohne ein übernormales Heilsehen zu haben, sondern mit einem Hell-sehen, das einfach jeder Mensch hatte, konnte man beim Atiantier sehen, ob ein Mensch ein Denker war im Sinne der alten atlantischen Zeit, oder ob er keiner war. Wer ein Denker war, hatte eben einen leuchtenden Feuerschein, eine Art leuchtenden Dunst über seinem Haupt; und wer nicht dachte, ging ohne einen solchen herum.

Das sind Dinge, die man zunächst wissen muß, wenn man die Ver­wandelung der menschlichen Natur von der Zeit an ins Auge fassen will, in welcher der Mensch hier im physischen Leibe lebt, durch den Tod durchgeht und in die andere Zeit zwischen Tod und neuer Ge­burt hineinkommt. Denn alles, was am Menschen arbeitet, so daß der Mensch überhaupt zustande kommt, das verschwindet gewissermaßen, wenn der Mensch schon in der physischen Welt drinnen ist; das hat aber ganz besondere Wichtigkeit, ist ganz besonders bedeutsam dann,

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wenn der Mensch seinen physischen Leib abgelegt hat. Die Kräfte, welche des Menschen physisches Gehirn gebildet haben, nimmt der Mensch ja nicht wahr in der Zeit zwischen Geburt und Tod. Alles aber, was er wahrnimmt in der Zeit zwischen Geburt und Tod, ist als unwichtig gewichen, wenn er durch den Tod gegangen ist. Dagegen lebt er dann in den Kräften, welche ihm unbewußt bleiben im physi­schen Erdenleben. Und während er im physischen Erdenleben sein «Vorstellungs-Ich»im Wachzustande erlebt, erlebt er zwischen Tod und neuer Geburt gerade jenes Ich, das uns im Gehen-, Sprechen- und Denkeniernen des Menschen erahnend vor die Seele tritt. Es bleibt für den Erdenmenschen unbewußt, reicht nicht herein in sein Bewußt­sein. Was da unbewußt bleibt und dann ganz zugedeckt wird, das können wir nun zurückverfolgen in die Zeit bis zur Geburt und noch vor die Geburt, und können es auch noch weiter zurückverfolgen, wenn wir die Zeit nach dem Tode betrachten. Was sich am meisten verbirgt, weil es den Menschen aufgebaut hat, und was verschwindet, wenn der Mensch ein Erdenmensch ist, das ist am meisten vorhanden, wenn er kein Erdenmensch mehr ist, nämlich in der Zeit nach dem Tode. Die Kräfte, die man nur erahnen kann, die den Menschen von innen zu einem Gehenden machen, die den Sprachlaut hervortreiben, die ihn zum Denker machen, die das Gehirn zum Denkorgan bilden, das sind die allerwichtigsten Kräfte, wenn der Mensch im Leben zwischen Tod und neuer Geburt ist. Da lebt erst sein wahres Ich auf. Wie es auflebt, davon werden wir das nächste Mal sprechen.

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SIEBENTER VORTRAG Berlin, 14. Januar 1913

Wir haben im Laufe dieses Winters verschiedene Veranstaltungen ge­macht, um noch genauer, als es in den Jahren bisher geschehen konnte, das Leben des Menschen, das heißt das Gesamtleben des Menschen zu begreifen, wie es vorgeht auf der einen Seite zwischen Geburt und Tod in der physischen Welt und anderseits zwischen Tod und neuer Geburt in der geistigen Welt. Wir werden noch Verschiedenes über diesen Gegenstand im Verlaufe dieses Winters zu besprechen haben.

Es wird nun notwendig sein, daß wir uns bemühen, mancherlei Einzelheiten, die zum vollständigen Verständnis dieser Sache bei­tragen können, zusammenzutragen, und auch manches in einer ganz besonderen Weise zu beleuchten, das wir schon von anderen Seiten her betrachtet haben. Da bitte ich Sie, heute vor allen anderen Dingen sich zu erinnern, wie wir - auch im Sinne der kleinen Schrift «Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft» - den Verlauf des menschlichen physischen Lebens betrachtet haben, wie wir diesen Verlauf dargestellt haben nach Zyklen: einen Zyklus von der Geburt bis ungefähr zum siebenten Jahre oder, sagen wir bis zum Zahnwechsel; einen zweiten Zyklus vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife, ungefähr bis ins vierzehnte Jahr; dann einen dritten Zyklus, die Zyklen also von sieben zu sieben Jahren. Es wird Ihnen zwar klar sein, daß auch schon nach dem, was man äußerlich be­obachten kann, die Gliederung in Lebenszyklen völlig berechtigt ist; aber auf der anderen Seite kann es doch auch einleuchten, daß im wirklichen Leben des Menschen diese Zyklen ganz genau nicht eingehalten werden, und daß durch andere, tief in das Menschenleben eingreifende Tatsachen diese Zyklen sozusagen durchkreuzt werden. Haben wir doch selbst eine wichtige, tief in das Menschenleben ein­greifende Tatsache immer und immer wieder hervorgehoben, welche sozusagen aus dieser Einteilung in Zyklen herausfällt. Das ist jener Zeitpunkt, bis zu dem sich der Mensch in seinem Leben zurückerinnert und von dem an er anfängt, sich eigentlich als ein Ich auch zu

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wissen und zu fühlen, der Eintritt des Ich-Bewußtseins also, jenes Zeitpunktes, bis zu dem sich der Mensch später gedächtnismäßig zurückerinnert. Diese Tatsache fällt ja nicht immer genau in den­selben Zeitpunkt, aber zumeist so etwa in den Zeitraum zwischen der Geburt und dem siebenten Jahre; da bricht also das Ich-Bewußtsein über den Menschen herein. Und auch für das spätere Lebensalter wird man ein Ähnliches sagen können. Wenn auch nicht in so schroffer Weise etwas in das Menschenleben hereinbricht wie dieses Aufblitzen des Ich-Bewußtseins, so gibt es doch andere Dinge, welche die reine siebenjährige Zyklenperiode im Leben des Menschen gewissermaßen verwischen. Immer aber werden wir angeben können, daß alles das, was so in das Menschenleben hereintritt und gleichsam die Zyklen-periode durchkreuzt, viel unregelmäßiger sich abspielt als die eigent­lichen zyklischen Erlebnisse. So wird man kaum zwei Menschen finden, die sich bis zu genau demselben Zeitpunkt zurückerinnern, die also das Auf blitzen des Ich-Bewußtseins in genau derselben Zeit etwa erlebt haben. Allerdings fällt auch nicht der Zahnwechsel bei zwei Menschen genau in denselben Zeitraum. Aber warum dieses letztere nicht der Fall ist, darüber werden wir noch zu sprechen haben.

Wenn wir die zyklischen Perioden betrachten, die wir früher an­geführt haben, und die in meiner Schrift über die Erziehung des Kindes betrachtet sind, so können wir sagen: Diese Perioden haben eine ganz bestimmte Eigentümlichkeit; sie fangen an sozusagen bei dem Physischsten des Menschen, bei dem Äußerlichsten des Men­schen und gehen mehr nach innen. Wir sprechen davon, daß von der Geburt bis zum siebenten Jahre die Entwickelung vorzugsweise dem physischen Leib gewidmet ist, dann dem Ätherleib, weiter dem astra­lischen Leib, der Empfindungsseele und so weiter. Also es gehen die Entwickelungsfaktoren immer mehr und mehr von dem Äußeren auf das Innere über. Das ist das Eigentümliche dieser siebenjährigen Perioden.

Wie ist es nun mit dem, was sich in der gerade erwähnten Weise hineinmischt und diese Lebenszyklen durchkreuzt? Das Aufblitzen des Ich-Bewußtseins in dem ersten Zyklus ist ein sehr Innerliches, ist etwas außerordentlich Innerliches. Betrachten wir, um in dieser Beziehung

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Klarheit zu schaffen, was sozusagen wie kontrastierend die­sem Aufblitzen des Ich-Bewußtseins entgegensteht.

Da finden wir, wenn wir sinngemäß das menschliche Leben be­trachten, daß das Aufhören des Wachstums, das ja auch einmal im Menschenleben eintritt, in einer gewissen Weise sich allerdings mit einer solchen Tatsache vergleichen läßt, die, gleichsam die sieben-jährigen Entwickelungsperioden durchkreuzend, sich ins Leben hereinstellt. Nun wollen wir einmal das Aufhören des Wachstumes, das ja sehr spät beim Menschen eintritt, ins Auge fassen, also die Tat­sache, daß der Mensch einmal aufhön zu wachsen. Wie stellt sich diese ins menschliche Leben hinein?

Betrachten wir die erste siebenjährige Periode, so finden wir, daß sie mit dem Zahnwechsel aufhört. Mit diesem Hervorbrechen der Zähne ist sozusagen der letzte Akt desjenigen gegeben, was man das Ausleben des Formprinzipes nennen kann. Die formenden Kräfte des Menschen machen ihren letzten Ansatz, wenn sie die Zähne heraus-treiben. Das ist gleichsam der Schlußpunkt im Formgeben des Men­schen; denn später tritt eigentlich das Prinzip, das die menschliche Gestalt bildet, nicht mehr in Aktion. Mit dem siebenten Jahre ist das formgebende Prinzip abgeschlossen. Was später auftritt, ist nur ein Größerwerden dessen, was der Form nach schon veranlagt ist. Der Mensch bekommt vom siebenten Jahre ab nicht mehr eine besondere Umformung des Gehirns. Es wächst nur, was schon angelegt ist; aber die eigentliche Form ist in dem Menschen durchaus schon gegeben, das andere ist ein Wachstum. Daher werden wir auch sagen können:

Was das Formprinzip ist, das entfaltet seine Wirksamkeit in den ersten sieben Lebensjahren des Menschen. Das Formprinzip kommt von den Geistern der Form; so daß diese Geister der Form ihre Wirksam­keit im Menschen in den ersten sieben Lebensjahren entfalten. - Ich kann also sagen: Der Mensch ist, wenn er die Welt durch die Geburt betritt, seiner Form nach noch nicht völlig gebildet; sondern das formgebende Prinzip, die Geister der Form, greifen in den ersten sieben Jahren immer noch ein und haben erst nach dem siebenten Jahre den Menschen so weit, daß dann die Form nur zu wachsen braucht. Aber alle Formanlagen sind bis zum siebenten Jahre da, und

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die letzten Zähne sind das, was die formgebenden Prinzipien an dem Menschen noch herausbringen. Das ist der Schlußpunkt des Form­prinzips. Wenn das Formprinzip weiterwirken würde, so würden die Zähne noch später erscheinen oder später erscheinen müssen.

Nun können wir die Frage aufwerfen: Ist damit, daß diese Geister der Form bis in das siebente Jahr an dem Menschen bilden, überhaupt alles, was von Formgeistern kommt, für den Menschen abgeschlossen?

Das ist gerade nicht der Fall, sondern der Mensch wächst dann fort; er wächst und wächst und bildet die Anlage der Form weiter aus. Er würde, wenn nichts weiter eintreten würde, fortwährend wachsen können; er würde immer mehr wachsen können. Denn wenn wir nur die Formprinzipien in Betracht ziehen, die bis zum siebenten Jahre an dem Menschen tätig sind, so ist kein Grund vorhanden, daß sich nicht diese Formen immer weiter vergrößern sollten. Es ist dafür ebensowenig ein Grund vorhanden, wie gegen das Wachsen irgend­welcher anderer Wesenheiten ein Grund vorhanden ist. Der Mensch könnte weiter wachsen, wenn nichts dazukommen würde. Aber es kommt etwas dazu. Wenn nämlich der Mensch sein Wachstum ein­stellt, so kommen noch einmal Formprinzipien an ihn heran. Die ganze Zeit schleichen sie schon an ihn heran, aber dann vereirügen sie sich völlig mit seinem Organismus, indem sie diesen ergreifen, aber so, daß sie jetzt ein Hindernis bilden und der Organismus nicht weiter wachsen kann. Die Formprinzipien, die bis zum siebenten Jahre wirken, lassen dem Menschen die Elastizität. Dann kommen andere Formprinzipien an den Menschen heran, und diese sind so, daß sie das, was elastisch ist, in eine abgeschlossene Form einfangen und den Menschen am weiteren Wachstum verhindern. Deshalb hört das Wachstum einmal au£ Und da, wo das Wachstum aufhört, wirken jene Formprinzipien, die an den Menschen von außen herantreten. Immer muß, wenn Formprinzipien wirken, wenn Formen wachsen, für das Aufhören des Wachstums dadurch gesorgt werden, daß wiederum Formprinzipien von der anderen Seite her den ersten ent­gegenkommen, polarisch ihnen entgegenstreben. So ist es auch beim Menschen. Wenn also der Mensch etwa bis zum siebenten Jahre diese Form ausgebildet hat, die in der Zeichnung als das schraffierte Feld

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dargestellt ist, so kann diese Form fortwährend wachsen. Bis zum siebenten Jahre haben - innerhalb des schraffierten Teiles - die Form-prinzipien gewirkt. Dann kommen andere Formprinzipien entgegen -die ersten wirken von innen, die zweiten von außen - und stellen sich dem Menschen entgegen, so daß er nur bis zu der Linie b-b wachsen

# Bild s. 118

kann innerhalb des anderen, leichtschraffierten Feldes. Es ist nämlich wirklich so, als wenn der Mensch bis zum siebenten Jahre ein Kleid bekäme, das elastisch ist, und das er fortwährend vergrößern kann. Aber in einem bestimmten Zeitpunkte wird ihm ein solches gegeben, das nicht mehr elastisch ist; das muß er dann anziehen, und darüber kann er nun nicht mehr hinaus.

Wir können also sagen, daß sich im Menschen Formprinzipien von innen mit Formprinzipien von außen begegnen; die ersteren kommen von den Geistern der Form, und zwar von jenen Geistern der Form, welche eine ganz regelmäßige Entwickelung im Weltall durchgemacht haben. Die Formprinzipien von außen sind nicht von derselben Art, sondern sie rühren von zurückgebliebenen Geistern der Form her, von solchen Geistern der Form, welche einen luziferischen Charakter

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angenommen haben. Die sind also das, was rein geistig wirkt; wäh­rend das, was durch das Materielle wirkt, im regelmäßigen Fortgange so wirkt, daß es richtig die Entwickelung durch Saturn, Sonne und Mond durchgemacht hat, regulär auf die Erde gekommen ist und aus dem Körperlichen von innen heraus die Form des Menschen ge­staltet. Die unregelmäßigen Geister der Form wirken so, daß sie hin­nehmen, was ihnen geboten wird, und in der entsprechenden Weise zurückhalten. So also wird der Mensch in seinem Wachstum auf­gehalten durch solche zurückgebliebenen Geister der Form. Die Wesenheiten der höheren Hierarchien haben die mannigfaltigsten Aufgaben. Unter anderem haben wir auch eine Aufgabe damit heute gekennzeichnet.

Wir haben nun in der verschiedensten Weise schon dargestellt so­wohl wie die regulären Hierarchien wirken, und auch, wie die zurück­gebliebenen geistigen Wesenheiten aus den verschiedenen Hier­archien wirken. Und wir haben dargestellt, daß durch die Geister der Form - Sie können es selbst in der «Geheimwissenschaft im Umriß» nachlesen - der Mensch eigentlich in die Lage gekommen ist, die An­lage zum Ich zu bekommen. Wir wissen ja, daß durch die Throne der Mensch die physische Anlage, durch die Geister der Weisheit die ätherische Anlage, durch die Geister der Bewegung die astralische Anlage erhalten hat, und daß er also durch die Geister der Form die Anlage zu dem Ich in seinem physischen Leibe erhalten hat. Wenn wir dies ins Auge fassen, so können wir sagen, daß der Mensch in seinem äußeren Ausdruck durch die regulären Geister der Form zu einem Ich-Wesen zunächst hinorganisiert wird, und daß sich dies in seinem ersten Lebenszyklus ausdrückt; dann aber wird er durch die Wider­sacher dieser Geister der Form, durch die zurückgebliebenen Geister der Form, in seinem Wachstum aufgehalten. Damit haben wir in der Tat den Gegensatz zu demjenigen kennengelernt, was als erstes, als Innerlichstes zugleich beim Menschen auftritt: das Aufblitzen des Ich-Bewußtseins. Das tritt schon in den ersten Jahren auf, das Innerste. Das Äußerste, die Form, wird erst in späteren Jahren aufgehalten; das ist sozusagen ein Schlußakt. Damit haben wir die zwei Evolutionen im Menschen kennengelernt als etwas Entgegengesetztes. Von der

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einen habe ich gesagt: Sie kommt von außen und geht nach innen, sie ergreift im einundzwanzigsten Jahre die Empfindungsseele und so weiter. - Dann haben wir eine andere Entwickelung der Tatsachen:

diese geht von innen nach außen - bis zum Aufhalten des Wachstums der Form. Es geht vom Geistigen ins Körperliche die eine Entwicke­lung, die regelmäßige, die vorzugsweise für die Erziehung interessant ist; sie geht von innen nach außen. Die andere, die viel unregel-mäßiger, individueller ist, geht von außen nach innen und drückt sich aus, wenn der Mensch ein bestimmtes Alter erreicht hat, in dem Ab­schluß des Äußerlichsten, des physischen Leibes.

So haben wir zwei im entgegengesetzten Sinne wirkende Entwicke­lungslinien im Menschen. Das ist für den Erzieher sehr wichtig zu wissen. Daher ist mit Recht in dem Buche «Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft» auf die erste Entwicke­lungsreihe Rücksicht genommen, die von innen nach außen geht, weil man nur dort erziehen kann. Auf die andere Entwickelungsreihe, die von außen nach innen, kann man überhaupt nicht einwirken: das ist die individuelle Entwickelung. Das ist etwas, was man zwar berück­sichtigen kann, was man aber nicht aufhalten kann und woran man nicht viel erziehen kann. Und das zu unterscheiden, woran man erziehen und nicht erziehen kann, ist von der allergrößten Be­deutung.

Ebenso wie von den zurückgebliebenen Geistern der Form das Aufhalten des Wachstumes herrührt, so rührt von den zurückgeblie­benen Geistern des Willens das erste Auftreten des Ich im Menschen her, wie es im ersten Kindheitsalter aufblitzt. Und dazwischen liegen noch mehrere Tatsachen, wo zurückgebliebene Geister der Weisheit, zurückgebliebene Geister der Bewegung wirken.

Nun kann man das Gesamtleben des Menschen, mit Einschluß des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt, nicht charakterisieren, wenn man nicht alle Faktoren zusammenfaßt, die auf den Menschen Einfluß haben, wenn man nicht weiß, daß sich schon im gewöhnlichen Leben der Einfluß luziferisch gearteter Naturen in der mannigfaltigsten Weise zeigt. Der Einfluß luziferisch gearteter Naturen zeigt sich aber auch in vielem andern im Leben. Und weil wir in diesen Vorträgen versuchen

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wollen, das Gesamtieben des Menschen sozusagen aus dem Funda­ment heraus zu verstehen, so wollen wir es nicht scheuen, auch auf etwas weitere Ausholungen uns einzulassen.

Zunächst sei auf eine Erscheinung aufmerksam gemacht, die uns aber zeigen kann, daß auch auf dem physischen Plan, also zwischen Geburt und Tod, das Leben im Verlaufe der Menschheitsevolution sich wesentlich geändert hat. Und wenn wir dies verstehen, so werden wir auch einsehen können, inwiefern sich das Leben zwischen Tod und neuer Geburt geändert hat. Wer heute das Leben verstandes­mäßig, aber oberflächlich betrachtet, der kann leicht glauben, daß es in den Hauptsachen immer so gewesen ist wie heute. Es war aber nicht immer so. Und für gewisse Erscheinungen brauchen wir nur wenige Jahrhunderte zurückzugehen und werden finden, daß gewisse Dinge ganz anders waren. So gibt es heute etwas, was für des Men­schen Seelenleben zwischen Geburt und Tod unendlich wichtig ist, und was in der heutigen Weise in noch gar nicht lange verflossenen Jahrhunderten nicht vorhanden war. Das ist das, was man heute in den Ausdruck der «öffentlichen Meinung» faßt. Noch im 13. Jahrhundert wäre es ein Unsinn gewesen, so von einer öffentlichen Meinung zu sprechen, wie wir das heute tun. Man spricht heute viel gegen den Autoritätsglauben. Aber heute ist der Autoritätsglaube viel drücken-der vorhanden, als er in den so oft geschmähten früheren Jahrhunder­ten vorhanden gewesen ist. Damals waren gewiß auch Mißstände zu finden; aber einen so blinden Autoritätsglauben hat es nicht gegeben. Die Blindheit des Autoritätsglaubens drückt sich ja in der Regel da­durch aus, daß die Autorität nicht zu fassen ist. Heute wird sich der Mensch sehr bald geschlagen fühlen - ob dieses oder jenes gesagt wird, aus diesen oder jenen Grundlagen -, wenn man sagt: Aber die Wissenschaft hat dieses oder jenes bewiesen. - In früheren Jahr­hunderten haben die Menschen mehr gegeben auf Autoritäten, die ihnen leibhaftig entgegengetreten sind. Aber jenes nicht zu fassende Wesen, was damit gemeint wird, daß man sagt: Die Wissenschaft hat das bewiesen -, ist ein sehr fragwürdiges Ding. In dem, was damit bezeichnet wird, liegt etwas, was heute einen Autoritätsglauben be­gründet gegenüber einem Unfaßbaren, wie er in früheren Jahrhunderten

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nicht vorhanden gewesen ist. Mit Dingen, von denen in einer gewissen Beziehung, das ist wirklich wahr, der einfachste, primitivste Mensch in früheren Jahrhunderten versucht hat, nach seiner Art ein wenig zu wissen, etwas zu wissen über gesundes und krankes Leben zum Beispiel, werden sich die Menschen heute, in unserer Kultur, meistens recht wenig befassen. Denn wozu braucht heute jemand etwas zu wissen über gesundes und krankes Leben? Das wissen ja die Ärzte, und denen kann man ja die Verwaltung über Gesundheit und Krankheit übertragen! Das ist auch etwas von dem, was heute in das Kapitel hineinfällt: eine unauffindbare, allergrößte Autorität. Aber was stellt sich nicht noch in das Leben zwischen uns allüberall hinein, wovon der Mensch seit frühester Jugend abhängig wird, wodurch sich Urteile, Empfindungsrichtungen in unser Leben, von frühester Jugend angefangen, hereindrängen! Dieses Herumschwirrende, diese zwischen den Menschen lebenden Strömungen bezeichnet man ja gewöhnlich als öffentliche Meinung, von der Philosophen den Satz ausgesprochen haben: Öffentliche Meinungen sind meist private Irr­tümer. - Dennoch aber kommt es nicht darauf an, daß man weiß, daß öffentliche Meinungen meist private Irrtümer sind, sondern daß die öffentlichen Meinungen auf das Leben des einzelnen eine ungeheure Macht ausüben. Für das 13.Jahrhundert würde jemand die Geschichte ganz töricht betrachten, wenn er von einer öffentlichen Meinung für das Leben des einzelnen sprechen wollte. Damals gab es einzelne Per­sönlichkeiten; die übten allerdings eine Autorität aus in bezug auf dieses oder jenes; denen gehorchte man, sei es in praktischen Dingen oder in Dingen der Verwaltung. Aber was die unpersönliche öffent­liche Meinung heute geworden ist, das hat es damals nicht gegeben. Wer dies aus den okkulten Tatsachen nicht glauben will, der studiere einmal aus jenen Jahrhunderten - auch noch in späteren Zeiten - zum Beispiel die Geschichte von Florenz, als die Leitung der Stadt über­gegangen war auf die Mediceer. Da wird er sehen, wie die einzelnen Autoritäten mächtig sind, aber eine öffentliche Meinung war noch nicht vorhanden. Die bildete sich erst heraus in einer Zeit, die vier bis fünf Jahrhunderte gegenüber unserer Zeit zurückliegt, und man kann geradezu von einem Aufkommen der öffentlichen Meinung sprechen.

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Solche Dinge muß man als Realitäten ansehen. Es ist eine reale Sphäre, eine Sphäre herumschwirrender Gedanken!

Woher kommt nun dies, was wir oft wie unkonstatierbar auf­nehmen? Was ist diese öffentliche Meinung?

Vielleicht erinnern Sie sich, daß ich von solchen geistigen Wesen­heiten gesprochen habe, welche den Hierarchien unmittelbar über den Menschen angehören und welche in verschiedener Weise an der Menschenführung beteiligt sind. Sie brauchen nur mein Buch «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit » in die Hand zu nehmen, und Sie werden dort manches über solche, den höheren Hier­archien angehörige geistige Wesenheiten finden. Nun wissen wir auch, daß der größte Einschnitt in der irdischen Menschheitsentwickelung der ist, welcher durch das Mysterium von Golgatha geschehen ist. Da­durch ist etwas geschehen, was im Grunde genommen schon die Esoterik des Paulus in der wunderbarsten Weise zum Ausdruck bringt. Paulus hat einfach gesprochen, aber der Art, wie er spricht, liegt eine tiefe Esoterik zugrunde. Paulus konnte nicht immer das, was er als ein Eingeweihter wußte, so ohne weiteres sagen: denn erstens wollte er für einen größeren Kreis sprechen und zweitens war es in seiner Zeit nicht möglich, alles, was er wußte, in der Art zu sagen, wie er die Dinge sagen konnte. Aber seiner ganzen Art der Vorstellung liegt tiefe Esoterik zugrunde. Da finden wir zum Beispiel, daß eine tief bedeutsame Tatsache seiner Unterscheidung des « ersten Adam» und des «höheren Adam», des Christus, zugrunde liegt. Von dem ersten Adam stammen in seinem Sinne die verschiedenen Menschen-generationen ab, indem die Leiber von Adam abstammen. Daher werden wir sagen können: Die physische Verbreitung der Mensch­heit über die Erde hin, in den verschiedenen Perioden, führt zuletzt auf den physischen Leib des Adam - natürlich Adam und Eva -zurück. - Dann werden wir fragen: Was liegt zugrunde der physischen Entwickelung der Menschheit von Adam an? - Natürlich Seelen-entwickelung! In den physischen Leibern, die von Adam abstammen, leben Seelen drinnen. Diese Seelen, die von dem Weltenraum herabkamen, haben eine gewisse spirituelle Erbschaft, eine Erbschaft an spirituellem Gut mit auf die Erde gebracht. Aber dieses spirituelle

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Gut ist im Laufe der Zeit einem Niedergang ausgesetzt gewesen. Menschen, die zum Beispiel im 6., 7. Jahrtausend vor der Begründung des Christentums gelebt haben, haben einen intensiveren, weiter­reichenden spirituellen Inhalt gehabt als Menschen, die im 1. Jahr­tausend vor dem Mysterium von Golgatha gelebt haben. Das Gut, das die Menschen einmal mitbekommen haben, ist allmählich in der Seele zurückgegangen, versickert. Es kommt ja für das spirituelle Gut be­sonders das Leben zwischen Tod und neuer Geburt in Betracht. Wir können auch sagen: Wenn wir weit zurückgehen in die Zeit vor dem Mysterium von Golgatha, so finden wir, daß die Menschen nach dem Tode ein reges, durchleuchtetes Seelenleben haben; dann aber wird das Seelenleben immer düsterer und düsterer, immer dunkler und dunkler; die Menschen nehmen immer mehr nur ein dämmerhaftes Seelenleben mit, wenn sie durch den Tod durchgehen. Besonders bei den fortgeschrittensten Völkern, zum Beispiel bei den Griechen, war es tatsächlich so, daß diese Griechen, trotzdem sie das fortgeschrit- tenste Volk des Erdballs waren, in ihren Weisen, im Sinne des Fort­schrittes in der Entwickelung, wohl sagen konnten: «Lieber ein Bettler sein in der Oberwelt, als ein König im Reiche der Schatten!» Das ist ein Ausspruch, von dem wir wissen, daß er auf das griechische Volk paßte, weil die Griechen ein vollgesättigtes Leben auf dem physischen Plan durchieben konnten; sobald sie aber durch den Tod gegangen waren, war ihr Leben ein schattenhaftes.

Das ist eine volle Wahrheit, daß dieses spirituelle Leben, das die Menschen mitbekommen haben und das sich nach dem Tode zeigte als ein hellseherischeres oder dämmerhafteres Bewußtsein, herunter-gestiegen war zu einem dumpfen Leben. Und besonders im vierten nachatlantischen Zeitraum, dem griechisch-lateinischen, in welchem das Mysterium von Golgatha spielte, war es am dunkelsten schon geworden.

Das ist das Bedeutsame an der Taufe durch Johannes den Täufer, daß für gewisse Leute, die er taufte, diese eben charakterisierte Tat­sache zum Bewußtsein gebracht werden sollte. Die Menschen, die er taufte, tauchte er voll ins Wasser ein. Sein Taufen war ein völliges Untertauchen. Dadurch wurde der Ätherleib solcher Menschen herausgehoben

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und sie wurden eine kurze Spanne Zeit unter Wasser hell­sichtig. Was ihnen Johannes zeigen konnte, war die Tatsache, daß der Mensch im Laufe der Zeiten in bezug auf sein Seelenleben so zurück­gegangen ist, daß er nur noch wenig von dem einstigen spirituellen Gut hatte, das er durch die Pforte des Todes durchtragen konnte und das ihm ein hellseherisches Bewußtsein geben konnte. Und dem, der so durch Johannes getauft wurde, dem gab es die Einsicht: Es ist eine Neubelebung des Seelenlebens notwendig. Es mußte etwas Neues in die Seelen einstrahlen, damit sich wieder ein Leben nach dem Tode entwickeln könne. Und dieses Neue ist in die Seelen eingestrahlt durch das Mysterium von Golgatha. Sie brauchen nur den Vortragszyklus «Von Jesus zu Christus» nachzulesen und Sie werden sehen, daß von dem Mysterium von Golgatha ein reiches spirituelles Leben ausgeht, das auf die einzelnen Menschen, die hier auf der Erde eine Beziehung zu dem Mysterium von Golgatha entwickeln, einstrahlt. Und von da aus beleben sich wieder die Seelen.

Deshalb konnte Paulus sagen: So wie die physischen Menschen-körper von Adam abstammen, so werden immer mehr und mehr die Seeleninhalte der Menschen von dem Christus, von dem zweiten Adam, dem geistigen Adam, abstammen. - Das ist eine tiefe Wahrheit, welche da Paulus in seine einfachen Worte hineingelegt hat. Wäre nämlich das Mysterium von Golgatha nicht gekommen, so würden die Menschen immer mehr und mehr an Seeleninhalt verloren haben und würden entweder nur zu der Sehnsucht gekommen sein, außer­halb des physischen Leibes zu leben, oder würden nur mit Begierden und Wünschen nach einem rein physischen Leben auf der Erde fort­leben, würden immer materialistischer und materialistischer werden. Weil alles langsam und allmählich geschieht, so ist heute noch nicht für alle Erdbevölkerung das ursprüngliche spirituelle Gut versiegt; es gibt noch immer Erdenvölker, die etwas von dem alten spirituellen Gut haben, trotzdem sie keine Beziehung zu dem Mysterium von Gol­gatha gefunden haben. Aber gerade die fortgeschrittensten Völker können nur ein Bewußtsein nach dem Tode in dem Sinne erringen, als sie in die Lage kommen, «in den Christus hineinzusterben », wie der mittlere Teil der Rosenkreuzerformel sagt. So daß tatsächlich dieses

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Mysterium von Golgatha wie eine Art Durchstrahlung des Seelen­inhaltes der Menschen auf der Erde gewirkt hat.

Wenn wir dies in entsprechender Weise ins Auge fassen, so haben wir mit Bezug auf die Entwickelungslinie des Menschen Verständnis gewonnen für eine ganz bestimmte Frage, für die Frage: Was ist denn da eigentlich noch geschehen, indem sozusagen die Menschen die Fähigkeit bekommen haben, durch das Verständnis des Mysteriums von Golgatha, eigenen, in ihr Ich hineinstrahlenden Seeleninhalt zu bekommen? Wie unterscheidet sich dieser Seeleninhalt von jenem andern, der vor dem Mysterium von Golgatha wie ein altes Erbgut da war?

Der Unterschied ist der, daß die Menschen vor dem Mysterium von Golgatha in einer viel unselbständigeren Weise diesen Seeleninhalt be­saßen. Sie waren also in einer viel unmittelbareren Führung der Wesen­heiten, welche wir als Angeloi, Archangeloi und so weiter als die Wesenheiten der nächst höheren Hierarchien kennen. Diese Wesen­heiten der nächst höheren Hierarchien führten die Menschen viel, viel unselbständiger vor dem Mysterium von Golgatha als nach demselben. Und der Fortschritt wiederum dieser Wesenheiten der höheren Hier­archien - Angeloi, Archangeloi, Archai - besteht darin, daß sie ihrer­seits gelernt haben, immer mehr und mehr die Führung des Menschen in einer die Selbständigkeit des Menschen achtenden Weise zu voll­bringen. Jmmer selbständiger und selbständiger sollten die Menschen auf der Erde leben. Das haben die führenden geistigen Wesenheiten der höheren Hierarchien ihrerseits gelernt, und darin besteht ihr Fort­schritt.

Aber auch diese Geister sind so, daß sie zurückbleiben können. Nicht alle Geister, welche an der Führung des Menschen beteiligt waren, haben wirklich durch das Mysterium von Golgatha die Fähig­keit erlangt, in freier Weise Lenker und Leiter der Menschen zu wer­den. Es sind von diesen Wesenheiten der höheren Hierarchien welche zurückgeblieben, haben luziferischen Charakter angenommen. Und zu dem, was einzelne von ihnen ausleben, gehört zum Beispiel das, was wir heute öffentliche Meinung nennen. Öffentliche Meinung wird nicht bloß von Menschen gemacht, sondern auch von einer gewissen

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Art auf der untersten Stufe stehender luziferischer Geister, zurück­gebliebener Engel, Erzengel. Diese beginnen erst ihre luziferische Laufbahn, sind noch nicht sehr hoch gestiegen in der Rangordnung der luziferischen Geister; aber luziferische Geister sind es. Man kann mit Seherblick verfolgen, wie gewisse Geister der höheren Hierarchien die Entwickelung nach dem Mysterium von Golgatha nicht mit­machen, wie sie sich verhärten in der alten Art der Führung und daher nicht unmittelbar an die Menschen herankommen können. Die, welche die Entwickelung mitgemacht haben, können in einer regulären Weise an den Menschen herankommen; die sie nicht mitgemacht haben, können nicht heran, und sie wirken in einer verschwommenen, durch­einanderflutenden Gedankenmacht der öffentlichen Meinung. Man versteht auch die Funktion der öffentlichen Meinung nur, wenn man weiß, daß sie in dieser Art in die Menschheit hineinkommt.

So also haben wir unmittelbar unter uns die Erscheinung, daß sich Wesenheiten aus einer regulären Entwickelung herausbegeben und luziferischen Charakter annehmen. Es ist wichtig, daß man das weiß. Denn jene luziferischen Wesenheiten, welche wir schon kennengelernt haben, und die größere Macht haben, sie haben ja auch «im kleinen» begonnen. Das ganze Heer der luziferischen Wesenheiten hat im kleinen begonnen. Allerdings gab es auf dem alten Mond keine öffent­liche Meinung, aber etwas, was sich damit vergleichen läßt, gab es auch, eine Art Führung der Menschen. Und wenn wir dieses Heer der luziferischen Geister ins Auge fassen - was wir sonst als luziferische Geister angeführt haben, sind mächtige, bedeutende Wesenheiten, zum Beispiel die, welche Geister der Form sind und an den Menschen so heranschwirren, daß sie sein Wachstum aufhalten -, wenn wir aber von den anderen jetzt sprechen, von dem Heer der luziferischen Gei­ster, so sind das gleichsam erst die Rekruten; aber es beginnt da etwas mit der Karriere der luziferischen Geister, was erst später ganz andere Dimensionen annehmen wird, weil die Geister, die da eingreifen, immer mächtiger und mächtiger werden. Die öffentliche Meinung, welche da an den Menschen herantritt und die gelenkt und geleitet wird von gewissen luziferischen Wesenheiten niederster Natur, die muß, weil sie sozusagen der Mensch aufnimmt zwischen Geburt und

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Tod, auch ihr Gegengewicht haben in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Das heißt: der Mensch muß, weil er in dem Leben zwi­schen Geburt und Tod in eine solche Strömung eingefangen wird, wie sie jetzt charakterisiert worden ist, ein entsprechendes Gegengewicht erleben zwischen Tod und neuer Geburt. Denn würde er das nicht er­leben, so würde sich das Folgende zutragen.

Diejenigen Geister, welche da zurückgeblieben sind und die öffent­liche Meinung machen, haben gar keine Bedeutung, gar keine Gewalt mehr für das Leben, das der Mensch durchmacht zwischen Tod und neuer Geburt. Sie haben sich dieser Macht, dort zu wirken, vollständig begeben, weil sie schon hier auf dem physischen Plan wirken, auf gei­stige Art wirken, und zwar auf eine Art, wie es nur als öffentliche Mei­nung möglich ist. Von der öffentlichen Meinung kann der Mensch nichts mitnehmen in die geistige Welt. Alles, was er davon mitnehmen wollte, würde sich höchst deplaciert ausnehmen, wenn wir es anwen­den würden nach dem Tode. Es muß schon gesagt werden, trotzdem es manchem sehr sonderbar erscheinen wird: alle die öffentlichen Ur­teile, alles, was den Menschen in bezug auf sein Urteil verhältnismäßig sehr früh einfängt, macht ihm sein Leben im Kamaloka schwierig, wenn er an diesen Dingen hängt und sie ihm lieb geworden sind. Und besonders solche Menschen, welche innerhalb der öffentlichen Mei­nung glauben, daß man sein eigenes Urteil hat - denn das hat man da nie -, machen sich höchstens ihr Kamaloka schwierig. Aber nach dem Kamaloka hat die öffentliche Meinung gar keine Bedeutung mehr. Und für die Zustände nach dem Tode hat es wahrhaftig nicht den ge­ringsten Wert, ob selbst solche Nuancen der öffentlichen Meinung die Menschen haben wie liberal oder konservativ, radikal oder reaktionär. Das ist etwas, was für die Gliederung der verschiedenen Gruppierung der Menschen keine Bedeutung hat, und was auch nur auf der Erde begründet wird, um die Menschen von dem Fortschritt abzuhalten, den sie machen sollen zur Erhellung des Bewußtseins, das nach dem Tode wirkt. Diese Wesenheiten, die hinter der öffentlichen Meinung stehen, wollten zurückbleiben hinter dem Fortschritt, der durch das Mysterium von Golgatha geschehen ist. Für die Erdentwickelung aber wird das Mysterium von Golgatha eine immer größere und größere

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Bedeutung gewinnen. Und wir müssen uns durchaus klar sein, daß die Zukunft der Erdentwickelung nicht etwa so geschehen kann, daß man diese Dinge - öffentliche Meinung und dergleichen -, die eine Not­wendigkeit in der Entwickelung darstellen, verbessern kann. Besser können die Menschen in ihrem Innern werden. Daher muß die Ent­wickelung immer mehr und mehr in das Innere eingreifen; so daß der Mensch in der Zukunft viel mehr einer öffentlichen Meinung gegen­überstehen wird, aber sein Inneres wird stärker geworden sein. Das kann nur durch die Geisteswissenschaft geschehen. Aber daß der Mensch immer mehr und mehr denjenigen Geistern gewachsen sein kann, die als Rekruten der luziferischen Wesen sich jetzt geltend machen und deren Geltendmachen sich jetzt ausdrückt in der öffent­lichen Meinung, das wird nur dadurch möglich sein, daß der Mensch auch zwischen Tod und neuer Geburt etwas durchmacht, was wieder sein Inneres stärker macht, was dasjenige in ihm stärker macht, das un­abhängig ist vom Erdenleben. Während er sich gerade durch die öffentliche Meinung vom Erdenleben abhängiger und abhängiger macht, muß er zwischen dem Tode und der neuen Geburt etwas auf­nehmen, was ihn im nächsten Erdenleben immer freier und freier von der öffentlichen Meinung macht.

Damit hängt zusammen, daß gerade in der Zeit, als die öffentliche Meinung heraufkommt und eine Bedeutung gewinnt, begründet wird -was hier in unseren Vorträgen in der Weihnachtszeit dargestellt wor-den ist - das Buddha-Reich auf dem Mars, sodaß der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt durchgeht durch das Buddha-Reich auf dem Mars. Christian Rosenkreutz hatte dem Buddha die Mission gegeben, in besonderer Weise auf dem Mars zu wirken. Und das, was hier auf der Erde nicht taugen würde: das Fliehen-Wollen, das Loskommen-Wollen von den irdischen Verhältnissen, das muß der Mensch durch­machen zwischen Tod und neuer Geburt, während er die Mars-Sphäre durchläuft. Da wird unter anderm das errungen, daß er die Hülle der nur für die Erde taugenden öffentlichen Meinung wieder abstreift. Denn noch viel drückendere Dinge werden in der Zukunft kommen, und noch viel notwendiger wird es sein, das durchzumachen, was der Mensch als Schüler des Buddha auf dem Mars durchmachen kann. Hier

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auf der Erde können die Menschen nur Schüler des Buddha sein, wenn sie nicht mitwollen mit dem fortgeschrittenen Teil der Erd­bevölkerung. Aber zwischen Tod und neuer Geburt entfaltet der Buddha das, was aus seiner Lehre geworden ist, was er hier geltend gemacht hat - daß der Mensch frei werden soll von den Verkörpe­rungen -, als eine Lehre, die nicht dem Leben auf der Erde dient, welches von Verkörperung zu Verkörperung fortgehen soll. Was er damals gab, war mit der Anlage versehen für den Menschen im ent­körperten Zustand. Die fortgeschrittene Buddha-Lehre ist die richtige für die Zeit zwischen Tod und neuer Geburt. Und wie Buddha er­schienen ist im astralischen Leibe des Lukas-Jesusknaben, so wieder­um führt der Christus selber die Menschen zwischen Tod und neuer Geburt, indem er sie durch die Mars-Sphäre geleitet, damit sie die fort­geschrittene Buddha-Lehre aufnehmen können. So daß die Menschen in der Sphäre des Mars frei werden können von dem, was sie - un­tauglich für ihren weiteren Fortschritt auf der Erde - durch das Uni­formierende der öffentlichen Meinung aufnehmen. Und wenn der Mars tatsächlich in früheren Zeiten bezeichnet wurde als der Planet der kriegerischen Tugenden, so hat allerdings der Buddha nach und nach die Aufgabe, diese kriegerischen Tugenden so im Menschen zu verwandeln, daß sie freien, unabhängigen Sinn in der heute notwendig gewordenen Art begründen. Während der Mensch heute sein Frei­heitsgefühl hinzugeben geneigt ist an das, was als öffentliche Meinung die Menschen immer mehr fesseln will, wird er gerade auf dem Mars zwischen Tod und neuer Geburt das Streben haben, sich diesen Fes­seln zu entwinden und sie nicht wieder in das Leben der Erde herein-zubringen, wenn er wieder zur neuen Verkörperung kommt.

Jn diesem Zusammenhang haben wir etwas, was, wie mir scheint, in der wunderbarsten Weise charakterisiert, wie Weisheit in der Welt waltet, wie alles, was vorschreitet und zurückbleibt, in der Tat zuletzt in der Weltentwickelung so gelenkt wird, daß die Harmonie dieser Weltentwickelung das letzte Resultat doch ist. Der Mensch kann näm­lich wirklich nicht, sozusagen in der mittleren Linie, seinen Fortschritt bewirken. Das erlangen ja manche, daß sie einsehen - ich habe es vielleicht auch hier schon erwähnt -, daß man sich nicht einseitig auf

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den Boden dieses oder jenes Standpunktes stellen kann. Wir sehen allerdings draußen in der Welt Jdealisten, Materialisten und andere «isten» in entsprechender Weise auf ihren Standpunkt schwören. Große Geister wie Goethe zum Beispiel tun es nicht; sie suchen den materiellen Verhältnissen durch materielles Denken, dem Geistigen durch idealistisches Denken beizukommen. Wenn dann kleinere Gei­ster dies erfaßt zu haben glauben, so sagen sie: Zwischen zwei ver­schiedenen Standpunkten liegt die Wahrheit in der Mitte. - Das wäre etwa dasselbe, als wenn sich jemand im praktischen Leben zwischen zwei Stühle setzen wollte. Aber es wird erst die Wahrheit gefunden, wenn man sich nicht in einseitiger Weise auf diesen oder jenen Stand­punkt stellt, das heißt, wenn man imstande ist, das, was als Erkennt­nisart der Materialismus hat und was als solche der Idealismus hat, in entsprechender Weise anzuwenden. Die Welt kommt nicht dadurch vorwärts, daß man immer die Mitte hält; die Mitte ist in entsprechen­der Weise dann vorhanden, wenn auch die einzelnen Seiten vorhanden sind, und wenn man sie als Kräfte berücksichtigt. Wenn man zum Bei­spiel etwas auf einer Waage wiegen will, so braucht man nicht nur das, was in der Mitte der Waage ist, sondern auch die beiden Waage-schalen. So muß auch neben dem, was die öffentliche Meinung ist, deren Gegenpol vorhanden sein: die Buddha-Lehre auf dem Mars, die nicht da wäre, wenn die öffentliche Meinung nicht gekommen wäre. Das Lebendige braucht die Polarität, braucht den Gegensatz; man kann nicht nur die einzelnen Gegensätze fortschaffen wollen, sondern das Leben schreitet vor in der Polarität. - Es könnte ja jemand glau­ben, daß es besser wäre, da der Südpol und der Nordpol der Erde ent­gegengesetzt sind, es gäbe beide nicht! Wenn sie auch nicht so ent­gegengesetzt sind, wie jener Professor meinte, von dem es heißt, er habe so schnell seine Bücher geschrieben, daß er nicht dabei nach­denken konnte, und daher sei es passiert, daß er den Satz hinschrieb:

Die Kultur konnte sich nur entwickeln in der mittleren Zone der Erde, denn auf dem Nordpol würde die Kultur erfrieren vor Kälte und auf dem Südpol verschmelzen vor Hitze, - aber in anderer Beziehung sind Nordpol und Südpol wirklich polarische Gegensätze, die vorhanden sein müssen, weil nicht durch das Neutrale, sondern durch das Aufrechterhalten

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und Sich-Harmonisieren der Gegensätze fortgeschritten werden kann. So mußte das, was auf der Erde sich entwickelt, eine Entwickelung durchmachen, die unter das Niveau des Fortschrittes hinuntergeht. Denn die öffentliche Meinung ist weniger wert, als was sich der einzelne als Meinung, wenn er fortschreitet, erringen kann. Sie ist untermenschlich. Diesem Untermenschlichen steht die Buddha­Strömung entgegen, die der Mensch durchmacht zwischen Tod und neuer Geburt. Beide müssen da sein. Das ist außerordentlich wichtig in der Entwickelung zu berücksichtigen.

Also es ist wirklich so, daß wir sagen können: Ja, es gibt zurück­gebliebene Geister; aber alles, was auf der einen Seite zurückbleibt, was auf der anderen Seite hinausschreitet über die Entwickelung, das alles wird durch die gesamte Weisheit der Welt so gestellt, daß zuletzt die Harmonie herauskommt. Die zurückgebliebenen Geister werden ver­wendet, um immer den entgegengesetzten Pol zu bezeichnen von weiter vorwärtsgeschrittenen Geistern.

Wenn wir so das Leben betrachten, dann wird uns klar werden, wie der Mensch gegen die Zukunft der Erdentwickelung hin immer mehr und mehr Anlagen in das Leben hereinbringen wird, welche in anderer Weise sich geltend machen als die rein physischen Anlagen. Und das wird etwas sein, was immer mehr und mehr zeigen wird, daß man auch noch mit anderen Anlagen des Menschen wird zu rechnen haben als mit rein physischen. Physische Anlagen wird man finden - wenn sie auch nach und nach sich erst zeigen -, die bis in das Säuglingsalter zurückverfolgt werden können; aber es wird andere Anlagen allmäh­lich geben, die sich nicht bis ins Säuglingsalter zurückverfolgen lassen, sondern die in einer gewissen deutlichen Weise erst im späteren Men­schenalter auftreten. Und das wird eine Eigentümlichkeit der Ent­wickelung gegen die Zukunft zu sein, daß es immer mehr Menschen geben wird, von denen man wird sagen müssen: Was ist da eigentlich mit dem Menschen in einem bestimmten Lebensalter geschehen? Er ist wie ausgewechselt, wie ein anderer geworden! - Das wird sich immer mehr und mehr zeigen. Es werden sich Anlagen zeigen, die früher ganz und gar nicht veranlagt waren, die erst in einem bestimm­ten Alter auftreten. Das werden die weitestentwickelten Seelen sein,

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die etwas wie einen gewissen Bruch im Leben aufweisen - denn, daß der Mensch ein Buddha-Schüler war im Leben zwischen Tod und neuer Geburt, das zeigt sich nicht sogleich, sondern erst im späteren Lebensalter -, und das wird der Fall sein bei denen, von denen wir sagen können: Bis zu einem gewissen Zeitpunkte konnten wir sie ver­folgen, da haben sie ihre individuellen Eigenschaften gezeigt; dann treten ganz neue Richtlinien auf, sie bekamen Verständnis für etwas ganz anderes, als wofür sie vorher Verständnis gezeigt haben. Das werden diejenigen Menschen sein, die auch in der Zukunft viel mehr die Träger des wahren geistigen Fortschrittes sein werden, die viel­leicht sogar nur als Leute gelten werden, die sich spät entwickeln, weil man glauben wird: Er war früher eben unentwickelt, deshalb kamen diese Eigenschaften erst spät heraus. - In Wahrheit wird es aber so sein, daß diese Menschen im späteren Leben erst die Eigenschaften hervorbringen, die so ihnen eigen sind, aus dem Grunde, weil sie in früheren Erdeninkarnationen sich die Ursachen gelegt haben, um durchgehen zu können in besonders intensiver Weise durch die Marskultur und sich dort Anlagen erwerben konnten, durch welche sie originell wirken konnten innerhalb der Menschheitsentwickelung, einen neuen Einschlag der Menschheitsentwickelung bringen konnten. Deshalb werden für die eigentliche spirituelle Kultur immer mehr und mehr jene Menschen eintreten, welche sozusagen - ich habe das schon einmal von einem andern Gesichtspunkte aus erörtert - von ihrer Jugend an weniger Anlagen zeigen für einen solchen spirituellen Standpunkt, den sie im späteren Leben einnehmen.

Und wir sehen jetzt, daß es aus diesem Grunde ist, daß in der rosen­kreuzerischen Richtung immer eine Tatsache hervorgehoben worden ist, die wir ja in den verflossenen Zeiten anführen konnten, aber - weil wir nicht so weit in der Charakteristik waren, wie wir jetzt sind - sie nicht begründen konnten. Die, welche im rosenkreuzerischen Sinne das Initiationsprinzip im Abendlande vertraten, haben immer aus­drücklich hervorgehoben, daß es unmöglich ist, für die eigentlichen führenden Individualitäten schon in der Kindheit herauszufinden, daß sie führende Individualitäten sind, weil dies Individualitäten sind, bei denen im angedeuteten Sinne sich eine Art von Bruch im späteren

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Leben zeigt. - Wenn der Seher heute über den Buddha spricht, so weiß er vor allen Dingen, daß Buddha treulich gehaiten hat, was seine Lehre versprochen hat: er hat fortgefahren, für dasjenige im Menschen zu wirken, was nicht unmittelbar nach der physischen Körperlichkeit hin drängt, was daher auch nicht von Anfang an in der physischen Körperlichkeit inkarniert erscheint, sondern erst dann in den Men­schen hineingeht, wenn die physische Körperlichkeit eine gewisse Entwickelung durchgemacht hat, wenn sie bis zu einer gewissen Stufe an den Geist herangekommen ist. Dann kommt das, was der Buddha den Menschen gibt. Das tritt dann erst im späteren Lebensaiter auf.

Das müssen wir berücksichtigen, wenn wir die vollständige Ent­wickelung des Menschenwesens verstehen wollen. Was sich für den einzelnen Menschen daraus ergibt in bezug auf das Leben zwischen Geburt und Tod, davon später.

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ACHTER VORTRAG Berlin, 11. Februar 1913

Wenn wir das menschliche Leben im Zusammenhang mit dem Leben im übrigen Weltendasein betrachten, so wie wir es betrachten können mit dem gewöhnlichen, eben im äußeren Dasein des Menschen ge­gebenen Anschauen, so betrachtet man eigentlich nur den aller­geringsten Teil desjenigen von der Welt, was sich auf den Menschen selbst bezieht. Mit andern Worten: Alles, was der Mensch beobachten kann, wenn er nicht hinter die Geheimnisse des Daseins dringen will, kann ihn eigentlich im Grunde genommen über sich selbst nicht auf­klären. Denn wenn wir mit den gewöhniichen menschlichen Wahr­nehmungsorganen, mit dem Denkorgan, um uns herumschauen, so haben wir ja eigentlich nur dasjenige vor uns, was die tiefsten, die bedeutsamsten Geheimnisse des Daseins gar nicht umschließt. Am stärksten tritt einem das entgegen, wenn man dazu kommt, auch nur in verhältnismäßig geringem Maße die Fähigkeit zu entwickeln, sich das Leben, die Welt anzuschauen von der anderen Seite, nämlich vom Schlafe aus. Was man im Schlafe sehen kann, das verhüllt sich ja meistens für das gegenwärtige menschliche Anschauen. Denn sobald der Mensch in Schlaf versinkt, also in der ganzen Zeit dann auch zwischen dem Einschiafen und dem Aufwachen, sieht ja der Mensch eigentlich nichts. Wenn aber innerhalb der menschlichen Entwicke­lung der Zeitpunkt eintritt, daß man auch dann beobachten kann, wenn man schläfr, dann sieht man zum großen Teil zunächst das­jenige, was sich auf den Menschen selbst bezieht und was ihm wäh­rend des alltäglichen Beobachtens ganz verborgen bleibt. Es ist leicht einzusehen, daß ihm dies während des alltäglichen Beobachtens ver­borgen bleiben muß. Denn das Gehirn ist ein Werkzeug des Urteilens, des Denkens. Man muß sich also des Gehirns bedienen, wenn man im gewöhnlichen Leben denken, urteilen will, muß wenigstens das Ge­hirn sozusagen in Tätigkeit versetzen; dadurch aber kann man es nicht anschauen, kann man es nicht beobachten. Es kann sich ja nicht einmal das Auge selbst beobachten, wenn es beobachtet. Und im

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Grunde ist es so mit dem ganzen Menschen. Wir tragen ihn an uns, aber wir können ihn nicht beobachten, wir können uns nicht in ihn vertiefen; so daß wir eigentlich den Blick in die Welt hinausrichten, aber im modernen Leben diesen Blick gar nicht in uns selbst richten können.

Nun sind die größten Geheimnisse des Daseins nicht draußen in der Welt, sondern sie sind im Menschen drinnen. Verfolgen wir einmal, was wir aus der Geheimwissenschaft kennen. Da wissen wir, daß eigentlich die drei Reiche der Natur, die uns umgeben, auf einem gewissen Zurückgebliebensein beruhen. Mineralisches Reich, pflanz­liches Reich, tierisches Reich sind im Grunde genommen Wesen­haftigkeiten, die so, wie sie sind, darauf beruhen, daß etwas zurück­geblieben ist in der Entwickelung. Den normalen Fortschritt in der Entwickelung hat eigentlich nur dasjenige Wesenhafte gemacht, das während des Erdendaseins am Menschendasein beteiligt ist. Wenn der Mensch das mineralische, das pflanzliche oder das tierische Dasein be­trachtet, so betrachtet er in der Welt eigentlich das, was in seinem eigenen Dasein demjenigen entspricht, woran er sich «erinnert», was seinem Gedächtnisse einverleibt ist. Wenn der Mensch einmal nur dasjenige überdenkt, was seinem Gedächmisse einverleibt ist, was er also in der Seele erlebt hat, so betrachtet er eben dasjenige, was in der Vergangenheit sich abgespielt hat und noch fortbesteht, was noch ein gewisses Dasein fortfristet. Aber das lebendige unsichtbare Seelen-dasein der Gegenwart betrachtet man nicht, wenn man sich dem Ge­dächtnisse bloß hingibt. Das Gedächtnis mit allen seinen Vorstellun­gen stellt etwas dar, was sich wie eingelagert hat in unser lebendiges Seelendasein, was förmlich da drinnen steckt - diese Dinge sind natür­lich alle bildlich gesprochen; aber es ist das, was an Gedächtnis dem Seelendasein einverleibt ist, nicht das unmittelbare, elementare gegen­wärtige Seelendasein. - So ist es draußen in der Natur mit dem minera­lischen, pflanzlichen und tierischen Reich. In diesen Reichen leben gleichsam die Gedanken der göttlich-geistigen Wesenheiten, die in der Vergangenheit gedacht worden sind; und sie setzen sich in das gegenwärtige lebendige Dasein so fort, wie unsere Erinnerungsvor-stellungen in unser Seelendasein. Daher haben wir in der Welt um uns

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herum nicht die Gedanken der gegenwärtigen, unmittelbaren lebendi­gen göttlich-geistigen Wesenheiten vor uns, sondern die Erinnerungs­vorstellungen der Götter, die aufbewahrten Gedanken der Götter.

Wenn wir unser Gedächtnis in seinem Inhalte anschauen, so kann uns dies in der Tat in einer gewissen Weise deshalb interessant sein, weil wir mit unserem Gedächtnis gewissermaßen an einem Zipfel das Weltenschaffen erfassen, dasjenige erfassen, was aus dem Schaffen in das Dasein übergeht. Es ist sozusagen die unterste Stufe des Ge­schaffenen, was da in unserer eigenen Seele als Gedächtnis, als Er­innerungsvorstellungen vorhanden ist; die allererste, flüchtigste Stufe des Geschaffenen. Wenn man aber gewissermaßen geistig aufwacht im Schlafe, dann sieht man etwas anderes. Dann sieht man gar nicht, was da draußen im Raume ist; man sieht gar nicht solche Vorgänge, wie sie einem entgegentreten im mineralischen, pflanzlichen oder tierischen Reiche, auch nicht im äußeren menschlichen Reiche. Sondern dann weiß man, daß eigentlich das Wesentlichste, was man da schaut, das Schaffende und Belebende am Menschen selber ist. Es ist förmlich so, wie wenn alles übrige ausgelöscht wäre und die Erde, die man da vom Gesichtspunkte des ScHafes aus betrachtet, nur den Menschen ent­hielte. Gerade das, was man bei Tage, beim Wachen niemals sehen würde, das enthüllt sich einem dann, wenn man vom Gesichtspunkte des Schlafes aus die Welt betrachtet. Und dann lernt man eigentlich erst die Gedanken kennen, welche sich die göttlich-geistigen Wesen­heiten aufgespart haben, um über das mineralische, pflanzliche und tierische Dasein hinaus am Menschen zu schaffen. Während man also durch das physische Anschauen der Welt alles andere anschaut, nur nicht den Menschen, sieht man durch das geistige Anschauen vom Gesichtspunkt des Schlafes aus alles andere nicht an - und eigentlich nur den Menschen, insofrrn man von einer Schöpfung spricht, und das, was im Menschenreiche geschieht - also alles dasjenige, was sich dem gewöhnlichen täglichen Anschauen entzieht. Daher das zunächst Befremdende, das diese Anschauung hat, die in uns lebt, wenn wir vom Gesichtspunkte des Schlafes aus die Welt betrachten, das heißt, wenn wir innerhalb des Schlafes hellsichtig- schauend werden, geistig aufwachen.

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Ja, aber dieser Menschenleib - und ich betrachte jetzt als Menschen-leib das, was im Schlafe überhaupt im Bette liegen bleibt, also physi­scher Leib und Ätherleib zusammen -, dieser Menschenleib bietet dann selber einen eigenartigen Anblick, einen Anblick, dessen Cha­rakteristik man etwa in der folgenden Weise in Worte fassen kann:

Nur bei dem im allerersten Lebensalter stehenden Kinde ist dieser schlafrnde Menschenleib in gewisser Beziehung ähnlich dem Weben und Leben und Treiben in den andern Reichen der Natur. Der Leib aber des erwachsenen Menschen, oder überhaupt des Kindes von einem bestimmten Lebensalter an, bietet vom Standpunkte des Schla­fes aus gesehen eigentlich fortwährend einen Prozeß des Vergehens, des Zerstörens. Es werden zwar jede Nacht während des Schlafes die zerstörenden Kräfte wieder durch die Wachstumskräfte ertötet; es wird in der Nacht ausgeglichen, was der Tag zerstört, aber es ist immer ein Überschuß der zerstörenden Kräfte vorhanden. Und daß immer ein Überschuß von zerstörenden Kräften da ist, das macht es, daß wir überhaupt sterben. Es summieren sich die Differenzen, die da bleiben. Jede Nacht bleibt doch immer eine Differenz zurück. Die Kräfte, die während der Nacht ersetzt werden, sind nie genauso groß wie die, welche im Tagesleben verbraucht worden sind, so daß im normalen Leben des Menschen täglich immer ein gewisser Rest von zerstörenden Kräften zurückbleibt. Und da dieser Rest, der jeden Tag zurückbleibt, sich hinzurechnet zu dem andern, so tritt der natür­liche Alterstod ein, wenn dann die Summe so groß ist, daß die zer­störenden Kräfte die aufbauenden überwiegen.

Also wenn wir den Menschen vom Gesichtspunkte des Schlafes aus betrachten, schauen wir eigentlich auf einen Zerstörungsprozeß. Wir schauen auf diesen Zerstörungsprozeß nicht mit Trauer. Denn die Gefühle, die man etwa im Tagesleben über diesen Zerstörungs­prozeß haben könnte, hat man nicht, wenn man vom Gesichtspunkte des Schlafes aus diesen Zerstörungsprozeß überblickt, weil man dann weiß, daß dieser Zerstörungsprozeß die Bedingung ist der eigent­lichen geistigen Entwickelung des Menschen. Kein Wesen, das nicht seinen Leib zerstörte, könnte denken, könnte inneres seelisches Leben entwickeln. Es wäre ganz unmöglich, daß bei bloßen Wachstumsprozessen,

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denen nicht Zerstörungsprozesse gegenüberständen, seeli­sches Leben entwickelt werden könnte in dem Sinne, wie der Mensch seelisches Leben erlebt. Man sieht also in den Zerstörungsprozessen, die im menschlichen Organismus vor sich gehen, die Bedingungen des menschlichen seelischen Lebens und empfindet den ganzen Fort­gang als eine Wohitat. Beseligend sogar empfindet man von der andern Seite des Lebens aus die Tatsache, daß man seinen Leib nach und nach auflösen kann. Es stellt sich nicht nur der Anblick von der andern Seite des Lebens aus anders dar, sondern es stellen sich auch alle Empfindungen, alle Auffassungen anders dar; man hat eigentlich von dieser andern Seite des Lebens, vom Standpunkte des Schlafbewußtseins aus immer vor sich den verfallenden Leib, den richtig verfallenden Leib.

Wenn wir nun das Leben zwischen dem Tode und der neuen Ge­burt betrachten, so hat man etwas anderes vor sich. Eine Zeitlang dauert nach dem Tode eine gewisse Art des Zusammenlebens mit dem vorhergehenden Leben. Für die Kamalokazeit ist Ihnen ja das alles klar geworden; aber auch nach der Kamalokazeit dauert es noch eine Weile weiter: man lebt mit dem vorhergehenden Leben. Dann kommt aber eine Zeit, die immer eintritt in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Es kommt ein gewisser Zeitpunkt, wo tatsächlich in einem noch viel höheren Sinne als während des ScHafbewußtseins eine Umkehr alles Anschauens, alles Wahrnehmens gegenüber dem gewöhnlichen Anschauen und Wahrnehmen eintritt, eine Umkehr aus dem folgenden Grunde eben: Wenn man hier in diesem Erdendasein steht, blickt man aus seinem Leibe heraus in die andere Welt, die nicht unser Leib gerade ist; von diesem Zeitpunkte an zwischen Tod und neuer Geburt, auf den ich mich eben bezogen habe, blickt man eigent­lich in sehr geringem Maße auf die Umwelt, auf das Universum. Man blickt aber um so mehr auf das, was man jetzt den Menschenleib nen­nen könnte, man kennt alle seine Geheimnisse. Also es kommt ein Zeitpunkt zwischen Tod und neuer Geburt, wo man sich insbeson­dere zu interessieren anfängt für den Menschenleib Es ist ja ungeheuer schwierig, wenn man diese Verhältnisse charakterisieren will, und man kann es eigentlich nur mit stammelnden Worten. Es kommt ein

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Zeitpunkt zwischen Tod und neuer Geburt, wo man sich gegenüber dem ganzen Kosmos so fühlt, wie wenn man dieses Universum in sich hätte und außer sich nur den Menschenleib Wie man dem Magen, der Leber, der Milz gegenüber fühlt, daß man sie innerlich hat, so fühlt man dann den Sternen und überhaupt den anderen Welten gegenüber von dem besagten Zeitpunkte an: man fühlt, man trägt sie innerhalb seines Wesens. Was für dieses Leben hier außen ist, das ist dann richtige innere Welt, und wie man jetzt hinausschaut auf Sterne, Wol­ken und so weiter, so sieht man dann auf den Menschenleib Und zwar auf welchen Menschenleib?

Wenn man wissen will, auf welchen Menschenleib man dann schaut, so muß man sich darüber klar sein, daß das, was als neuer Mensch durch eine nächste Geburt ins Dasein tritt, sich seinem Wesen nach lange, lange vor der Geburt vorbereitet. Es beginnt nicht mit der Ge­burt oder mit der Empfängnis, daß dieser Mensch sich sozusagen an­schickt, auf der Erde wieder da zu sein, sondern lange vorher. Es sind ja dafür ganz andere Dinge wichtig als diejenigen, welche die heutige statistische Biologie annimmt. Diese nimmt an, daß, wenn ein Mensch durch die Geburt ins Dasein tritt, er gewisse Eigenschaften von Vater, Mutter, Großvater und so weiter bis hinauf in die ganze Ahnenreihe vererbt erhält. Es gibt heute schon ein ganz niedliches Buch über Goethe, worin die Eigenschaften Goethes bis zu seinen Vorfahren hinauf verfolgt werden. Nun ist das im äußeren Sinne ganz richtig; absolut richtig ist es im äußeren Sinne, eben in dem Sinne, den ich schon öfter andeutete: daß durchaus kein Widerspruch ist zwischen irgendeiner naturwissenschaftlichen Tatsache, die mit Recht behauptet wird, und den geisteswissenschaftlich zu erörternden Tatsachen. Das verhält sich gerade so, wie wenn jemand kommt und sagt: Hier steht ein Mensch, warum lebt er? - Da kann jemand antworten: Ich weiß, warum der lebt: er lebt aus dem Grunde, weil er innen Lungen hat, und weil außen Luft ist. - Das ist ganz richtig, selbstverständlich rich­tig. Aber ein anderer kann kommen und sagen: Dieser Mensch lebt aus einem ganz anderen Grunde noch. Der ist vor vierzehn Tagen ins Wasser gefallen, und ich bin ihm nachgesprungen und habe ihn heraus­gezogen: deshalb lebt er; denn wenn ich nicht nachgesprungen wäre

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und ihn aus dem Wasser herausgezogen hätte, dann lebte er heute durchaus nicht! - Es ist diese Behauptung ganz richtig, aber die andere Behauptung ist ebenso richtig. So ist es ganz richtig, wenn man mit der äußeren Naturwissenschaft nachweist, jemand trage in sich die vererbten Merkmale seiner Ahnen; aber ebenso richtig ist es, wenn man auf sein Karma hinweist und auf die andern Dinge. Im Prinzip kann daher Geisteswissenschaft gar nicht intolerant sein; im Prinzip kann nur die äußere Wissenschaft intolerant sein, indem sie zum Bei­spiel die Geisteswissenschaft ablehnt. So kann jemand kommen und sagen, daß er die Merkmale der Vorfahrenreihe in sich aufbewahrt hat. Aber es besteht daneben auch noch die Tatsache, daß der Mensch von einem bestimmten Zeitpunkte zwischen dem Tode und der neuen Geburt Kräfte zu entwickeln beginnt, die auf seine Ahnen herunter- wirken. Lange bevor ein Mensch ins physische Dasein tritt, steht er schon in einer geheimnisvollen Verbindung mit der gesamten Ahnen­reihe. Und warum in einer Vorfahrenreihe ganz bestimmte Eigen­schaften auftreten, das rührt davon her, daß aus dieser Ahnenreihe -vielleicht erst nach Jahrhunderten - ein ganz bestimmter Mensch her­vorgehen soll. Dieser Mensch, der da nach Jahrhunderten vielleicht aus einer Ahnenreihe hervorgehen soll, regelt von der geistigen Welt aus die Eigenschaften seiner Ahnen. Goethe also - wenn wir dieses Beispiel noch einmal heranziehen wollen - zeigt die Merkmale seiner Vorfahren, weil er sich von der geistigen Welt aus fortwährend damit zu schaffen gemacht hat, seine Eigenschaften den Ahnen einzupflan­zen. Und so wie es für Goethe gezeigt wurde, tut es jeder Mensch.

Von einem ganz bestimmten Zeitpunkte ab ist also der Mensch zwischen dem Tode und der neuen Geburt schon beschäftigt mit der Vorbereitung seines späteren irdischen Daseins. Was der Mensch hier auf der Erde nämlich als seinen physischen Leib an sich trägt, rührt durchaus nicht alles von dem physischen Leben der Vorfahren her, rührt überhaupt nicht alles von dem her, was auf der Erde sich als Prozesse abspielen kann. Was wir als physischen Leib an uns tragen, ist eigentlich schon an sich eine viergliedrige Wesenheit. Wir haben ja unseren physischen Leib entwickelt durch die Saturn-, Sonnen-, Monden- und Erdenzeit. Veranlagt wurde er zuerst auf dem alten

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Saturn; während der Sonnenzeit hat sich der Atherleib eingegliedert, während der Mondenzeit der astralische Leib, und während der Erdenzeit dann das Ich; und durch diese Eingliederungen ist der phy­sische Leib immer umgeändert worden. So haben wir die umgeänderte Saturnanlage, die umgeänderten Sonnenverhältnisse, die umgeänder­ten Mondverhältnisse alle in uns. Wir könnten keinen physischen Menschenleib an uns tragen, wenn wir nicht die umgeänderten physi­schen Verhältnisse in uns tragen würden. Sichtbar ist von allem eigentlich nur das, was wir von der Erde an uns haben; die andern Glieder sind nämlich nicht sichtbar. Sichtbar wird der physische Leib des Menschen dadurch, daß er die Substanzen der Erde aufnimmt, in sein Blut verwandelt und ein Unsichtbares damit durchdringt. In Wirklichkeit sieht man nur das Blut und die Umwandelungsprodukte des Blutes, also nur ein Viertel des physischen Menschenleibes; die drei anderen Viertel sind unsichtbar. Denn da besteht zunächst ein unsichtbares Gerüst; in diesem unsichtbaren Gerüst sind unsichtbare Strömungen; das alles ist aber als Kräfte vorhanden. In diesen un­sichtbaren Strömungen sind wieder unsichtbare Wirkungen der ein­zelnen Strömungen aufeinander. Das alles ist noch nicht sichtbar. Und jetzt wird dieses dreifache Unsichtbare durchdrungen von dem, was die Nahrungsmittel, die zum Blute verarbeitet werden, als Ausfüllung dieses dreifachen Unsichtbaren bilden. Dadurch wird erst der physische Leib sichtbar. Und erst mit den Gesetzen dieses Sichtbaren sind wir auf dem Gebiete, das von dem Irdischen stammt. Alles andere stammt nicht aus irdischen Verhältnissen; alles andere ist das, was aus kosmi­schen Verhältnissen kommt, und was uns bereits zubereitet ist, wenn die Empfängnis eintritt, wenn das erste physische Atom des Menschen ins Dasein tritt. Da ist in vorhergehenden Zeiten, ohne daß eine physische Verbindung mit Vater und Mutter da war, lange vor­bereitet worden, was die spätere Leiblichkeit des Menschen sein soll. Die Vererbungsverhältnisse werden dann erst da hineingearbeitet.

Auf dies, was sich, man möchte sagen, als der geistige Embryo, als der geistige Lebenskeim vorbereitet, und was sich vorzubereiten beginnt von dem herangezogenen Zeitpunkte ab zwischen Tod und neuer Geburt, auf das sieht eigentlich das Seelische des Menschen

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hinunter. Das ist seine Außenwelt! Merken Sie jetzt den Unterschied, wenn man hellseherisch im ScHafe aufwacht, wenn man hinschaut auf den entwerdenden Menschenleib, wenn man auf den eigentlich in einem fortwährenden Zerstörungsprozeß befindlichen Menschenleib sieht - und wenn man auf den Zeitpunkt sieht, wo man seine inneren Eingeweide als seine Außenwelt schaut. Aber dann ist der innere, werdende Mensch die Außenwelt! Also man sieht das umgekehrt, als wenn man es sonst hellseherisch während des Schlafes sieht. Während des Schlafes fühlt man, wie man seine Eingeweide als seine Außen­welt empfindet, sieht aber sonst nur auf einen zerfallenden Menschen hin; in der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt blickt man von dem angedeuteten Zeitpunkte ab auf den entstehenden, auf den werdenden, auf den ins Dasein sich hineinschaffenden Menschenleib hin. Der Mensch hat nur nicht die Fähigkeit, sich eine Erinnerung an das zu bewahren, was er zwischen Tod und neuer Geburt sieht. Aber was er da sieht als zusammensetzend das Wunderwerk der menschlichen Leiblichkeit, das ist wahrhaftig großartiger als alles, was der Mensch schauen kann, wenn er sonst den gestirnten Himmel erblickt, oder wenn er mit irgendeiner Anschauung, die an den physischen Leib gebunden ist, auf die physische Außenwelt hinsieht. Groß sind die Geheimnisse des Daseins, auch wenn wir sie nur sinnlich betrachten, von unserem sinnlichen Standpunkte aus; größer aber ist das, was wir anschauen, wenn wir das, was wir sonst so äußerlich sehen, als Ein­geweide in uns selber tragen, und was wir dann als den werdenden Menschenleib mit allen seinen Geheimnissen durchschauen! Da sehen wir, wie alles hintendiert, sich vorbereitet, um zuletzt das physische Dasein zu ergreifen, wenn der Mensch durch die Geburt in die physische Welt eintritt.

Nun gibt es nichts, was man in Wirklichkeit Seligkeit nennen kann, als das Anschauen des Schöpfungsprozesses, des Werdeprozesses. Alles Betrachten eines schon Daseienden ist nichts gegenüber dem Anschauen des Werdenden; und was gemeint ist mit den Seligkeiten, die der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt empfinden kann, das bezieht sich eigentlich darauf, daß der Mensch in dieser Zeit des Daseins das Werdende anschauen kann. Auf solche Dinge, die durch

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die Offenbarungen der Zeiten gegangen sind und von denen einzelne Geister ergriffen worden sind, die entsprechend vorbereitet waren, beziehen sich solche Worte, wie wir sie zum Beispiel im «Prolog im Himmel » in Goethes «Faust» haben:

Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,

Umfaß' euch mit der Liebe holden Schranken,

Und was in schwankender Erscheinung schwebt,

Befestiget mit dauernden Gedanken.

Das ist eben der Unterschied im Anschauen dieser Welt zwischen der Geburt und dem Tode und der Welt zwischen dem Tode und der neuen Geburt: daß wir hier Dasein und dann Werden schauen.

Es könnte vielleicht jetzt jemandem der Gedanke einfallen: Aber dann beschäftigt sich ja der Mensch nur mit dem Anschauen seines eigenen Leibes? Das tut er nicht. Denn dieser eigene Leib ist in dem Stadium des Werdens wirklich Außenwelt, ist nicht der eigene Leib, er ist die Ausprägung der göttlichen Geheimnisse. Und da kommt es einem erst so recht in den Sinn, warum der physische Leib, den der Mensch zwischen Geburt und Tod ja in Wahrheit nur malträtiert, warum dieser Menschenleib, wenn man diesen ganzen Prozeß des Schauens ins Auge faßt, der Tempel der Weltengeheimnisse ist, denn er enthält mehr von dem Außendasein, als man erblickt, wenn man innen ist. Man hat dann das, was sonst Außenwelt ist, als Innenwelt; was man sonst Universum nennt, ist dann das, zu dem man Ego sagen kann - und das ist Außenwelt, was man da erblickt. Man muß sich nur nicht daran stoßen, daß man ja seinen Leib - das heißt denjenigen Leib, der dann der eigene Leib werden soll - erblickt, und daß da­neben natürlich alle anderen entstehenden Leiber sein müssen. Das macht aber nichts aus. Es macht aus dem Grunde nichts aus, weil man es hier wieder zu tun hat mit der reinen Vervielfältigung. Und tatsäch­lich beginnt ein Unterschied der Menschenleiber, der einen interessie­ren kann und der bedeutsam sein kann, erst verhältnismäßig kurze Zeit bevor die Menschen in das physische Dasein eintreten. Die meiste Zeit zwischen dem Tod und der neuen Geburt, wenn man auf den werdenden Menschenleib hinabsieht, ist es wirklich so, daß sich die

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ernzelnen Leiber nur der Zahl nach unterscheiden, und das überträgt sich auch richtig auf das eigene Erleben, auf das eigene Empfinden. Es ist ja wirklich schon kein großer Unterschied, wenn man ein Weizen­korn betrachten will, auf einen Acker geht und von irgendeiner Ähre ein Weizenkorn herausnimmt, oder ob man fünfzig Schritte weiter­geht und dort aus einer Ähre ein Korn herausnimmt. Für das Wesent­liche, das man am Weizenkorn betrachten kann, ist das eine Weizen-korn ebenso gut wie das andere. Aber dieses Empfinden hat man auch, wenn man den eigenen Leib betrachtet; daß er der eigene ist, hat eigentlich nur für die Zukunft Wert, weil man ihn später auf der Erde beziehen will; jetzt interessiert er einen nur als der Träger der höch­sten Weltengeheimnisse, und darin besteht die Seligkeit, daß man ihn betrachten kann wie irgendeinen anderen Menschenleib auch. Man steht da vor dem Geheimnis der Zahl, das hier nicht weiter zu erörtern ist, aber unter vielen andern dabei in Betracht kommenden Dingen das hat, daß die ZaH - das heißt das vielfältige Dasein - vom geistigen Standpunkte aus überhaupt nicht mehr so empfunden wird wie vom physischen Standpunkte aus. Was in vielen Exemplaren empfunden wird, das wird doch wieder als Einheit empfunden.

Man fühlt sich durch seinen Leib im Universum darinnen, und durch das, was man im physischen Leben Universum nennt, fühlt man sich in seiner Ichheit drinnen. So verschieden ist das Wahrnehmen, wenn man einmal die Welt von hier, einmal von dort betrachtet.

Für den Seher ist jener Augenblick eigentlich der bedeutsamste zwischen Tod und neuer Geburt, wo der Mensch aufhört, sich bloß mit seinem letzten Leben zu befassen, und nun beginnt, auf das Wer­den hinzuschauen. Es ist der Eindruck, den der Seher bekommt, wenn er eine solche Seele beim Durchgang zwischen Tod und neuer Geburt verfolgt, wo die Seele in das Werden sich einzuleben beginnt, deshalb so erschütternd, weil die Seele selber, die durch diesen Moment durchgeht, eine bedeutsame Erschütterung erlebt. Es läßt sich das nur vergleichen mit dem Eintreten des Todes hier im physischen Leben. Wenn im physischen Leben der Tod eintritt, so geht man über vom Leben ins Sein; dort geht man über - obwohl es nicht genau bezeich­nend ist, denn es läßt sich nicht ganz genau bezeichnen - von etwas,

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was mit einem früher erstorbenen Leben zusammenhängt, zu einem Werden, zu einem Erstehen. Man begegnet dem, was keimhaft ein ganz neues Leben in sich trägt. Es ist der umgekehrte Moment des Todes. Das ist so ungeheuer bedeutsam.

Nun müssen wir im Zusammenhange damit einmal einen Blick werfen auf die menschliche Entwickelung, auf die menschliche Erden- evolution. Sehen wir zurück auf einen Zeitpunkt, in welchem unsere Seele zum Beispiel in der alten ägyptisch-chaldäischen Zeit war, wo sie, wenn sie durch den physischen Leib in die Welt hinaussah, nicht bloß die Sterne als physisch-sinnliche Himmelskörper erblickte, son­dern wo sie noch - wenn auch nur in gewissen Zwischenzuständen im Leben zwischen Geburt und Tod - an den Sternen geistige Wesen­heiten erschaute, die mit dem Sternendasein verknüpft sind. Das drang in die Seelen herein und die Seelen waren in jener Zeit erfüllt mit Eindrücken aus der geistigen Welt. Es mußte ja so geschehen, daß im Laufe der Entwickelung allmählich die Möglichkeit erstarb, das Geistige zu schauen, und der Blick auf die Sinnlichkeit beschränkt wurde. Das vollzog sich während der griechisch4ateinischen Zeit, wo der Blick des Menschen immer mehr von der geistigen Welt ab­gelenkt und auf die Sinneswelt beschränkt wurde. Und jetzt leben wir in der Zeit, wo für die Seele noch immer mehr die Möglichkeit er-stirbt, im Leben der physischen Außenwelt Geistiges zu erblicken. Die Erde ist ja jetzt in ihrem Entwerdungsprozeß, in ihrem Absterbe­prozeß, und man geht sehr stark in diesen Absterbeprozeß hinein. Während also zur ägyptisch-chaldäischen Zeit die Menschen noch Geistiges um sich erblickten, erblicken sie jetzt nur noch Sinnliches -und sie sind stolz darauf, wenn sie eine Wissenschaft begründen kön­nen, die nur Sinnliches enthält. Dieser Prozeß wird noch weitergehen. Es wird eine Zeit kommen, in welcher der Mensch das Interesse für die unmittelbaren Eindrücke der Sinneswelt verlieren wird, und wo er gleichsam das Untersinnliche ins Auge fassen und sich dafür inter­essieren wird. Wir können das heute eigentlich schon bemerken, wie die Zeit heranrückt, daß sich der Mensch nur noch für das Unter-sinnliche interessiert. Manchmal tritt das sogar ganz bedeutsam her­vor, zum Beispiel wenn die heutige Physik überhaupt nicht mehr

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Farben betrachtet. Denn in Wirklichkeit betrachtet heute die Physik nicht mehr die Qualität der Farbe, sondern sie will das, was unter der Farbe ist, was da unter der Farbe vibriert, unter der Farbe schwingt, betrachten. Sie können heute schon in manchen Büchern den Unsinn lesen, daß man sagt, eine gelbe Farbe zum Beispiel sei eine soundso große Schwingungszahl von Wellenlängen. Da wird also die Betrach­tung schon abgelenkt von der Qualität der Farbe und zu dem hin-gelenkt, was nicht in der gelben Farbe ist, und was man dann als Realität vorstellt. Sie können heute Physikbücher, auch physiologische Bücher finden, in denen betont wird, daß nicht mehr das unmittelbare Sinnesbild die Aufmerksamkeit fesseln soll, sondern etwas, wo alles aufgelöst ist in Schwingungen und Schwingungszahlen. Und diese Art, die Welt zu betrachten, wird immer weitergehen. Die Menschen wer­den die Aufmerksamkeit verlieren für das sinnliche Dasein und nur dasjenige ins Auge fassen wollen, was als Kraftwirkungen vorhanden ist. Man braucht sich nur an eines zu erinnern, um sozusagen kultur-historisch-empirisch die Sache zu beweisen. Schlagen Sie heute noch die Rede auf, die Du Bois-Reymond am 14. August 1872 «Über die Grenzen des Naturerkennens» gehalten hat. Da werden Sie einen eigentümlichen Ausdruck finden, den schon Laplace gebraucht hat, den Ausdruck von der «astronomischen Erkenntnis der Dinge», das ist, wenn man das, was hinter einem Licht- oder Farbenprozeß steckt, so darstellt wie das, was sonst nur in einem Weltbilde da sein soll. Es wird einmal dahin kommen, daß die Menschenseelen so weit sein werden - und die besten Anlagen dazu haben für die nächste Inkarna­tion schon die, welche heute auf gewissen Schulen erzogen werden -, das richtige Interesse für die leuchtende Farbe und für die Lichtwelt verloren zu haben und nur zu fragen nach den Kräfteverhälmissen. Die Menschen werden gar nicht mehr Interesse haben für Violett und Rot, sondern nur noch für diese oder jene Wellenlängen.

Dieses Veröden der menschlichen Innenheit ist etwas, dem man entgegengeht, und Anthroposophie ist dazu da, dem entgegen-zuarbeiten, in allen Einzelheiten entgegenzuarbeiten. Denn es arbeitet ja nicht etwa bloß die unmittelbare Pädagogik auf diese Verödung des Lebens hin, sondern dieser Zug ist im ganzen Leben vorhanden. Und

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es war ein gewisser Kontrast gegenüber dem gewöhnlichen Leben, wenn wir in unserer Anthroposophie den Seelen das geben wollen, was sie wieder befruchtet, was nicht nur aus der sinnlichen Maja sein soll; denn wir wollen der Menschenseele wieder das geben, was nicht nur die sinnliche Maja gibt, sondern was als Geist hervorquillt. Und das können wir, wenn wir ihr das geben, wodurch sie in den folgenden Inkarnationen wieder in der wahren Welt wird leben können. So war ein gewisser Kontrast darin, daß wir diese Dinge vortragen mußten in der Welt, die in der Gleichgültigkeit gegen Form und Farbe ein solches Gegenstück bildet zu dem, was wir wollen; denn besonders in bezug auf die Farben bereitet die heutige Welt die Seelen auch vor, dem entgegenzuwirken, was wir wollen. Wir müssen nicht nur mit Begriffen und Ideen arbeiten, sondern wir müssen mit Welten-Ideen arbeiten. Deshalb ist es nicht eine bloße Vorliebe von uns, wenn wir uns so umgeben, wie es hier in diesem Raume ist, sondern das hängt zusammen mit dem ganzen Wesen von Geisteswissenschaft. Es soll wieder in der Seele die Möglichkeit erwachen, unmittelbar das zu empfinden, was sich den Sinnen darbietet, damit von da aus auch wieder in der Seele das lebendige Leben im Geistigen ersprießen kann. Jetzt, in dieser Inkarnation, kann ein jeder von uns die Geistes­wissenschaft aufnehmen. Er nimmt sie mit der Seele auf, verarbeitet sie mit der Seele; das aber, was er jetzt seelisch aufnimmt, geht hinein in seine Anlagen für die nächste Inkarnation. Wenn er also durch die Zeit zwischen dem Tode und der nächsten Geburt durchgeht, dann schickt er von seiner Seele aus in seinen werdenden Leib das hinein, was dann seine körperlichen Anlagen dazu bereitet, um wiederum die Welt geistiger zu sehen. Das kann er nicht, wenn er keine Anthropo­sophie aufnimmt. Denn, wenn er sie nicht aufnimmt, dann bereitet er seinen Leib dazu vor, nichts zu schauen als öde Verhältnisse, nicht einmal mehr ein Auge zu haben für die Sinneswelt.

Und nun sei etwas ausgesprochen, was sozusagen für den Seher ein Urteil abgibt über die Mission der Geisteswissenschaft.

Wenn der Seher heute den Blick auf das Leben richtet, welches die Seelen zwischen Tod und neuer Geburt führen, jene Seelen, die durch den vorhin charakterisierten Zeitpunkt schon gegangen sind und sich

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im Anschauen des werdenden Leibes auf ein künftiges Dasein vor­bereiten, so kann er gewahren, daß die Seelen auf einen werdenden Leib hinblicken, der ihnen in zukünftigen Leben nicht mehr die Mög­lichkeit bieten wird, Anlagen zu entwickeln, um das Geistige auf­zufassen, denn für das Leben im physischen Leibe muß man diese Anlagen schon hineingetan haben vor der Geburt. Daher werden schon in der nächsten Zukunft Menschen geboren werden, denen immer mehr und mehr - wie es für manche Seelen schon seit längerer Zeit ist - die Anlage für das Entgegennehmen des spirituellen Wissens fehlen wird. Es wird sich der Anblick bieten von Seelen, die in vorher­gehenden Leben die Möglichkeit entbehrt haben, Spirituelles auf­zunehmen, und die zwar ein Hinblicken auf ein Werden darstellen -nur ist das Furchtbare das: auf ein Werden, dem etwas feHt und fehlen muß. Von diesen Anblicken geht das Begreifen der Mission der Anthroposophie aus. Es gehört in der Tat zu den erschütternden Anblicken, wenn man eine Seele sieht, die auf ihre künftige Inkarna­tion, auf ihren künftigen Leib sieht, die auf ein sprießendes, sprossen­des Werden sieht, aber auf ein Werden, von dem sie sich sagen muß:

Dem wird etwas fehlen! Aber was ihm fehlen wird, ich kann es ihm nicht geben, weil das von meiner vorhergehenden Inkarnation ab­hängt! - Im kleinen läßt sich das damit vergleichen, wie wenn man an etwas arbeiten müßte, von dem man wüßte: es muß unvollkommen werden, man ist dazu verurteilt, es unvollkommen zu machen. Ver­suchen Sie sich den Vergleich zu vergegenwärtigen: Sie können eine solche Arbeit vollkommen machen und können Ihre Freude an der Arbeit haben, oder Sie sind von vornherein dazu verurteilt, sie unvoll­kommen zu machen!

Das ist die große Frage: Soll die Menschenseele immer mehr und mehr dazu verurteilt sein, hinunterzublicken auf ihre unvollkommen bleibenden Leiber, oder soll sie das nicht? - Wenn sie nicht dazu ver­urteilt sein soll, dann muß sie hier in ihrem Leben in physischen Leibern die Kunde, die Botschaft von den spirituellen Welten auf­nehmen.

Es ist schon einmal das, was diejenigen als ihre Aufgabe ansehen, welche da die Botschaft von den geistigen Welten verkünden, nicht

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bloß den Erdenidealen entnommen! Es entspringt keinem Erden-ideale, sondern es entspringt dem Anblick des Gesamtiebens, jenes Lebens, das sich uns darstellt, wenn wir zu dem Erdenleben erst die Zeit zwischen Tod und neuer Geburt dazunehmen. Und darinnen zeigt sich uns die Möglichkeit einer fruchtbaren Menschenzukunft, zeigt sich uns auch die Möglichkeit, der Verödung der Menschenseele entgegenzuarbeiten. Da kann man dann jenes Gefühl bekommen, welches einem sagt: Geisteswissenschaft muß da sein, sie muß kom­men, muß existieren in der Welt. Wahre, wirkliche Geisteswissen­schaft ist eben das, ohne das die Menschheit in der Zukunft nicht bestehen kann. Aber nicht in dem Sinne nicht bestehen kann, wie man ohne irgendein anderes Wissen nicht bestehen kann; sondern Geistes­wissenschaft ist das, was nicht nur Begriffe und Ideen dem Menschen gibt, sondern was Leben gibt. Und was in einer Inkarnation für die Seele Begriffe und Ideen der Geisteswissenschaft sind, das ist für sie in der nächsten Inkarnation Leben, innerliche Lebenskraft und Lebens-wirksamkeit. Daher ist es nicht bloß ein Leben in Begriffen und Ideen, was die Geisteswissenschaft dem Menschen gibt, sondern es ist Lebenselixier, Lebenskraft. Daher sollte man, wenn man sich zu einer geisteswissenschaftlichen Bewegung dazurechnet, diese Geistes­wissenschaft als eine Lebensnotwendigkeit fühlen, nicht bloß als etwas, was begründet wird wie die Dinge, die in anderen Vereinen begründet werden. Dieses Fühlen des lebendigen Versetztseins in die Notwendigkeiten des Daseins ist das richtige Empfinden gegenüber der Geisteswissenschaft. Und wir haben diese Betrachtungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt angestellt, um von der anderen Seite aus den richtigen Impuls zu bekommen, der uns unmittelbar den Enthusiasmus für die Geisteswissenschaft geben kann.

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NEUNTER VORTRAG Berlin, 4. März 1913

In der Zeit, in welcher der Materialismus hauptsächlich theoretisch geblüht hat, also in den mittleren und zum Teil auch noch in den letzten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts, als etwa die Schriften Büchners oder Vogts, des sogenannten «dicken» Vogts, tiefen Eindruck in weiten Kreisen von Menschen gemacht hatten, die sich da­mals als aufgeklärte Menschen fühlten, da konnte man oftmals eine Redewendung hören -, eine Redewendung, die heute auch noch zu­weilen gehört werden kann, da ja in gewissen Weltanschauungsgruppen sozusagen die Nachzügler jenes theoretischen Materialismus immer noch vorhanden sind. Wenn die Leute nicht etwa direkt ein jegliches Leben nach dem Tode ablehnen wollen, wenn sie zuweilen dieses Leben nach dem Tode zugeben wollen, dann sagen sie: Nun ja, es mag ein solches Leben nach dem Tode geben. Aber warum sollten wir uns hier in diesem Erdenleben darum kümmern? Wir wer­den ja sehen, wenn der Tod eingetreten ist, ob es ein solches Leben gibt. Und wenn wir hier auf der Erde uns nur mit dem beschäftigen, was uns die Erde gibt, und nicht weiter auf das Rücksicht nehmen, was nach dem Tode kommen soll, sokann uns doch nichts Besonderes entgehen. Denn wenn das Leben nach dem Tode etwas bieten mag, so werden wir es dann ja sehen !

Wie gesagt, man konnte oft und oft und kann auch heute noch in weiten Kreisen diese Redensart hören, und wenn sie so ausgesprochen wird - sie möchte fast in einer gewissen Beziehung annehmbar scheinen. Und doch: sie widerspricht vollständig den Tatsachen, die sich der geistigen Forschung ergeben, wenn man diejenigen Tat­sachen geistig ins Auge faßt, welche sich in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt abspielen. Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes hindurchgegangen ist, dann tritt er ja in Beziehungen zu den verschiedensten Kräften und Wesenheiten. Der Mensch lebt sich so­zusagen nicht nur in eine Summe von übersinnlichen Tatsachen ein, sondern er kommt in Berührung mit gewissen Kräften, ja mit Wesenheiten,

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die wir kennen und oft besprochen haben als die Wesenheiten der einzelnen höheren Hierarchien. Fragen wir uns nun einmal, welche Bedeutung es für den Menschen beim Durchgange durch das Leben zwischen Tod und neuer Geburt hat, mit diesen Kräften und Wesenheiten der höheren Hierarchien in Zusammenhang zu kom­men.

Wir wissen, daß der Mensch, wenn er durch dieses Leben in der übersinnlichen Welt durchgegangen ist und durch eine neue Geburt wieder ins Dasein tritt, in einer gewissen Weise der Selbstaufbauer seiner Leiblichkeit, ja seines ganzen Geschickes in dem nächsten Leben wird. Innerhalb gewisser Grenzen formt und baut der Mensch seinen Leib bis in die Windungen seines Gehirns sich auf mit den Kräften, die er sich aus den geistigen Welten mitzubringen hat, wenn er durch die Geburt neuerdings ins physische Dasein tritt. Und hier im physischen Dasein hängt ja unser ganzes Leben davon ab, daß wir solche Formen, solche Ausgestaltungen unseres physischen Leibes haben, durch die wir mit der äußeren physischen Welt in Beziehung treten können, durch die wir in dieser äußeren physischen Welt handeln, uns betätigen können, ja, durch die wir in dieser äußeren physischen Welt denken können. Denn wenn wir hier in der physi­schen Welt nicht das entsprechend zugeformte Gehirn haben, welches wir uns, durchgehend durch die Geburt, aus den Kräften der über­sinnlichen Welt heraus formen, so bleiben wir ja unzulänglich für das Leben in der physischen Welt. Wir sind für dieses Leben in der physischen Welt nur dann zulänglich, wenn wir uns solche Kräfte aus der geistigen Welt mitbringen, durch die wir uns einen dieser physi­schen Welt mit allen ihren Forderungen gewachsenen Leib aufbauen können. Die Kräfte, die übersinnlichen Kräfte, welche der Mensch braucht, um an seinem Leib und auch an seinem Schicksal zu formen, sie erhalten wir von jenen Wesenheiten und Kräften der höheren Hierarchien, mit denen wir zwischen Tod und neuer Geburt in Zu­sammenhang kommen. Was wir zum Aufbau unseres Lebens brau­chen, das müssen wir uns also erwerben in der Zeit, die unserer Ge­burt vorangegangen ist seit dem letzten Tode. Wir müssen sozusagen zwischen dem Tode und der nächsten Geburt Schritt für Schritt an

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die entsprechenden Wesenheiten herantreten, die uns bescheren kön­nen, uns übergeben können die Kräfte, die wir dann, wenn wir wieder ins physische Dasein getreten sind, zu unserem Leben brauchen.

Nun können wir in einer zweifachen Weise in diesem Leben zwischen Tod und neuer Geburt vor den Wesenheiten der höheren Hierarchien vorübergehen. Wir können so vor ihnen vorübergehen, daß wir sie erkennen, daß wir ihre Wesenheit, ihre Charaktereigen­schaften verstehen, und daß wir entgegennehmen können, was sie uns zu geben vermögen, denn es ist ein Empfangen dessen von den höheren Hierarchien, was sie uns geben können, und was wir in dem folgenden Leben brauchen. Wir müssen in bezug auf das, was zu geben ist, in der Lage sein zu verstehen, ja auch nur zu sehen, wenn uns dies oder jenes gereicht wird, was wir dann brauchen können. Denn wir könnten auch so an diesen Wesenheiten vorübergehen, daß uns, bildlich gesprochen, die Hände dieser Wesen der höheren Hierarchien ihre Gaben reichen, die wir auch für unser Leben brauchten, daß wir sie aber nicht nehmen, weil es finster ist, geistig gesprochen, in dieser höheren Welt, durch die wir da durchgehen. Wir können also mit Verständnis durch diese Welt durchgehen, so daß wir gewahr werden, was uns von jenen Wesenheiten gereicht werden soll, oder wir können auch durch diese Welt mit Unverständnis durchgehen und nicht ge­wahr werden, was die Wesenheiten uns reichen wollen. Die Art nun, wie wir durchgehen, welche von den zwei Arten wir für den Durch­gang zwischen Tod und neuer Geburt notwendigerweise wählen müssen, das wird vorherbestimmt durch die Nachwirkungen des vorangegangenen letzten und der früheren Erdenleben. Ein Mensch, der sich in dem letzten Erdenleben stumpf und ablehnend gegenüber allen Gedanken und Ideen verhalten hat, die uns als Aufklärungen über die übersinnliche Welt kommen können, ein solcher Mensch geht durch das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt wie durch eine Welt von Finsternis hindurch. Denn das Licht, geistig ge­sprochen, welches wir brauchen, um zu erkennen, wie diese Wesen­heiten an uns herantreten, um zu erkennen, welche Gaben wir von den einen oder anderen Wesenheiten zu unserm nächsten Leben emp­fangen sollen, das Licht des Verständnisses dafür können wir nicht in

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der übersinnlichen Welt selber erlangen, sondern das müssen wir hier in der physischen Erdenverkörperung erlangen. Wir gehen so durch das übersinnliche Leben bis zur nächsten Geburt, daß wir an allem vorübergehen, nichts erkennen und nirgends die Kräfte in Empfang nehmen, die wir zum nächsten Leben brauchen, wenn wir, durch die Pforte des Todes hindurchgehend, keine Ideen und Begriffe mit­bringen, um sie in das spirituelle Leben zu tragen.

Daraus sehen wir, wie unmöglich es ist, zu sagen, man könne war­ten bis der Tod eintritt, denn dann werde sich zeigen, welche Tat­sache oder ob überhaupt eine Wirklichkeit uns nach dem Tode ent­gegentrete. Wie wir uns dann zu dieser Wirklichkeit verhalten können, das hängt davon ab, ob wir uns hier im Erdenleben in unserer Seele empfangend oder ablehnend verhalten haben zu den Begriffen über die übersinnliche Welt, die wir haben erhalten können, und die das Licht sein müssen, durch das wir uns den Durchgang zwischen Tod und neuer Geburt beleuchten.

Noch ein anderes können wir aus dem Gesagten ersehen. Der Glaube, daß man sozusagen nur zu sterben brauche, um alles zu emp­fangen, was die übersinnliche Welt einem geben könne, wenn man es auch hier versäumt hat, sich auf sie vorzubereiten, dieser Glaube ist ganz falsch. Alle Welten haben ihre besondere Mission. Und was sich der Mensch in seiner Erdenverkörperung erwerben kann, das kann er sich in keiner der anderen Welten erwerben. Er kann zwischen dem Tode und der neuen Geburt unter allen Umständen in Gemeinschaft kommen mit den Wesenheiten der höheren Hierarchien. Um aber ihre Gaben entgegenzunehmen, um nicht im Finstern durch das Leben zu tappen oder doch in grausiger Einsamkeit, sondern um eine Beziehung zu den höheren Hierarchien und ihren Kräften anknüpfen zu können, dazu müssen hier im Erdenleben die Ideen und Begriffe erworben werden, die das Licht sind, um die höheren Hierarchien zu schauen. So geht ein Mensch, der es im Erdenleben, im heutigen Zeitenzyklus zum Beispiel verschmäht hat, sich spirituelle Begriffe anzueignen, wie in grausiger Einsamkeit durch das Leben zwischen Tod und neuer Geburt, und in bezug auf das höhere Leben bedeutet grausige Ein­samkeit eben im Finstern tappen, und er bringt sich dann im nächsten

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Leben nicht die Kräfte mit, welche ihin in entsprechender Weise seinen Leib aufbauen und seine Werkzeuge zimmern sollen. Er kann sie nur in unvollkommener Gestalt aufbauen, und er wird daher ein unzuläng­licher Mensch im nächsten Leben sein.

Wir sehen daraus, wie Karma von dem einen Leben zu dem näch­sten hinüberwirkt. In dem einen Leben verschmäht es der Mensch durch seine Willkür, mit den geistigen Welten irgendwie seelisch einen Zusammenhang zu entwickeln; im nächsten Leben hat er keine Kräfte, um sich auch nur die Organe anzuschaffen, durch die er den­ken, fühlen, wollen könnte die Wahrheiten des geistigen Lebens. Dann bleibt er stumpf und unaufmerksam gegenüber den geistigen Verhältnissen, und es geht das geistige Leben wie im Traum an ihm vorüber, wie es ja bei so vielen Menschen der Fall ist. Er kann sich dann auf dem Erdenrund für die geistigen Welten nicht interessieren. Und wenn eine solche Seele dann neuerdings durch die Pforte des Todes geht, dann ist sie eine rechte Beute für die luziferischen Mächte, dann tritt Luzifer gerade an solche Seelen heran. Und das Eigenartige ist, daß in dem nächsten Leben in der geistigen Welt, in dem auf das stumpfe und unaufmerksame folgende, solchem Menschen sehr wohl die Wesenheiten und Tatsachen der höheren Hierarchien beleuchtet werden, aber jetzt nicht durch das, was er sich im Erdenleben er­worben hat, sondern durch das Licht, welches ihm Luzifer in seine Seele hineinträufelt. Luzifer beleuchtet ihm jetzt die höhere Welt, wenn er durch das Leben zwischen Tod und neuer Geburt durchgeht. Jetzt kann er zwar die höheren Hierarchien wahrnehmen, kann wahr­nehmen, wenn sie ihm Kräfte reichen wollen. Aber daß Luzifer ihm das Licht dafür angesteckt hat, das gibt die besondere Nuance, die be­sondere Färbung; das macht alle Gaben dann von besonderer Art. Die Kräfte der höheren Hierarchien sind dann nicht so, wie der Mensch sie sonst hätte aufnehmen können, sondern sie werden so, daß er, wenn er ins nächste Leben eintritt, sich wohl seine Leiblichkeit formen und gestalten kann, aber er gestaltet sie dann so, daß er zu einem Menschen wird, der zwar jetzt der äußeren Welt und ihren Anforderungen gewachsen ist; aber in gewisser Beziehung ist dann ein solcher Mensch innerlich unzulänglich, weil er in seiner Seele durchsetzt

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und durch färbt ist von Luzifers Gaben oder wenigstens von luziferisch gefärbten Gaben.

Wenn wir Menschen im Leben antreffen, welche ihre Leiblichkeit in der Weise zugearbeitet haben, daß sie ihren Verstand gut be­nutzen können, sich auch gewisse Geschicklichkeiten erwerben, durch die sie sich hochbringen können, es aber nur zu ihrem eigenen Vor­teile tun, wenn sie ihre Gaben nur anwenden, um das zu erhaschen, was für sie und ihr Sein Bedeutung hat, wenn sie also recht rück­sichtslos, trocken ihren Vorteil im Auge haben, wie es gerade in unserer Zeit recht viele Menschen gibt, dann findet der Seher sehr häufig, daß sie jene Vorgeschichte durchgemacht haben, welche eben charakterisiert worden ist. Sie wurden, bevor sie zu dem trocke­nen und verständigen und geschickten Leben gekommen sind, durch die Welt, welche zwischen dem Tode und der neuen Geburt ver­läuft, geführt von den luziferischen Wesenheiten; und diese konn­ten an sie herantreten, weil sie in der vorherigen Inkarnation stumpf und träumend durch das Leben gegangen waren. Dieses Stumpf­sinnige und Träumerische aber hatten sie sich erworben, weil sie vor­her durch ein Leben zwischen Tod und neuer Geburt durchgegangen waren, wo sie sich in Finsternis durchtappten, durch ein Leben, in welchem ihnen die Geister der höheren Hierarchien die Kräfte zum Aufbau eines neuen Lebens geben sollten, die sie aber nicht richtig entgegennehmen konnten; und das wieder war geschehen, weil sie es vorher willkürlich abgelehnt hatten, sich mit den Ideen und Be­griffen über eine geistige Welt zu befassen. Hier haben wir den karmi­schen Zusammenhang! Je nachdem, was im historischen Werdegang der Menschheit das Tatsächliche ist, vermannigfaltigen sich die Dinge, die jetzt dargestellt worden sind. Aber sie treten auf; sie treten nur zu häufig auf, wenn wir mit Hilfe der Geistesforschung in die höheren Welten eindringen und die Bedingungen der Menschenleben erken­nend, vor das geistige Auge rücken.

So also ist es unrichtig zu sagen: Man braucht sich hier nur um das zu kümmern, was uns im irdischen Dasein umgibt, denn das Spätere wird sich schon zeigen. - Wie es sich zeigen wird, das hängt eben ganz davon ab, wie man sich hier dafür vorbereitet hat.

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Auch ein anderes kann leicht eintreten. Und ich sage diese Dinge, damit uns durch das Verständnis für das Leben zwischen Tod und neuer Geburt zugleich das Leben zwischen Geburt und Tod immer verständlicher werde.

Wir sehen in diesem Erdenleben, wenn wir es verständig betrachten, manche Menschen - insbesondere in unserer Zeit sind diese Menschen wieder sehr häufig -, die in einer gewissen Weise nur halb denken können, deren Logik überall stillesteht gegenüber der Wirklichkeit. Ein Beispiel sei angeführt. Ein im übrigen durchaus in seinen Be­strebungen ehrlicher freisinniger Prediger hat bei einer Gelegenheit im ersten Freidenkerkalender folgendes gesagt: Man solle den Kin­dern nicht religiöse Begriffe beibringen, denn das wäre unnatürlich. Wenn man die Kinder aufwachsen läßt, ohne daß man ihnen religiöse Begriffe einpfropft, dann sehen wir, daß sie von selbst nicht zu Be­griffen kommen von Gott, Unsterblichkeit und so weiter. Daraus könnte man aber ersehen, daß solche Begriffe dem Menschen un­natürlich sind; und was dem Menschen unnatürlich ist, das dürfte man ihm auch nicht beibringen, sondern nur das, was man aus seiner eigenen Seele ihm herausholen kann. - Wie bei sehr vielen Dingen, so gibt es bei einem solchen Ausspruche tausend und aber tausend Menschen der Gegenwart, denen dies sehr klug, sehr scharfsinnig gedacht erscheint. Aber man braucht nur wirkliche Logik anzuwen­den, dann findet man das Folgende. Man nehme einen Menschen, der noch nicht sprechen gelernt hat, setze ihn aus auf eine einsame Insel und sorge dafür, daß er keine Sprachlaute hören wird. Die Folge wird dann sein: er lernt nie sprechen. Und wer nun sagt, man dürfe dem Menschen keine religiösen Begriffe beibringen, der müßte logischerweise auch sagen, der Mensch solle nicht sprechen lernen, denn die Sprache vermittele sich nicht durch sich selbst. Der betreffende frei-religiöse Prediger kann also den angeführten Gedanken nicht ver­breiten durch seine Logik, denn er steht still mit seiner Logik vor den Tatsachen. Er kann nur einen kleinen Kreis damit umfassen und merkt nicht, daß der Gedanke, wenn man ihn überhaupt faßt, sich von selber aufhebt.

Wer sich im Leben umschaut, der findet dieses unzulängliche, halbe

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Denken weit verbreitet. Wenn man mit Hilfe übersinnlicher For­schung den Weg eines solchen Menschen zurückverfolgt und an den Gebieten ankommt, welche die Seele zwischen dem letzten Tode und der letzten Geburt durchlebt hat, wo er also in dieser Weise unlogisch geworden ist, dann findet der Seher oft, daß ein solcher Mensch im letzten Leben zwischen Tod und neuer Geburt so durch die spirituelle Welt durchgegangen ist, daß er unter der Führung des Ahriman den höheren geistigen Wesenheiten und Kräften entgegengetreten ist, jenen Wesenheiten und Mächten, welche ihm das geben sollten, was er jetzt in diesem Leben brauchte, und die ihm nicht die Möglichkeit geben konnten, sich so auszubilden, daß er richtig denken kann. Ahriman war der Führer und Ahriman hat ihm die Möglichkeit ge­geben, die Gaben der Wesenheiten und Mächte der höheren Hier­archien nur so zu empfangen, daß er im Leben überall mit seinem Denken stillesteht vor den wirklichen Tatsachen, daß er nirgends sein Denken so faßt, daß es in sich selbst geschlossen und gültig ist. Ein großer Teil derjenigen Menschen - und es sind eben ihrer über und über viele -, die heute nicht denken können, verdanken dies der Tat­sache, daß sie in ihrem letzten Leben zwischen Tod und neuer Geburt sich von Ahriman mußten begleiten lassen, weil sie sich dazu gewisser­maßen geeignet gemacht haben durch ihr letztes Erdenleben, durch jenes Erdenleben, welches das vorangehende gegenüber dem jetzi­gen ist.

Und wie ist dieses Erdenleben verlaufen, wenn man es mit dem Blick des Sehers verfolgt?

Da findet man bei solchen Menschen, daß sie Hypochonder, mürrische Menschen gewesen sind, die nicht heran wollten an die Welt und ihre Tatsachen und Wesenheiten, denen es in einer gewissen Beziehung immer unbequem war, irgendein Verhältnis zur Umwelt zu gewinnen. Sehr häufig waren solche Menschen unerträgliche Hypo­chonder in ihrem vorhergehenden Leben. Würden sie in ihrer Körper­kraft physisch untersucht worden sein, so würden sie solche physische Krankheiten gehabt haben, die man sehr häufig bei hypochondrisch veranlagten Naturen findet. Und wenn man dann weiter zurückgeht, zurückgeht zu dem früheren Leben zwischen Tod und Wiederverkörperung,

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das dem hypochondrischen Leben also vorangegangen ist, dann findet man, daß diese Menschen in jener Zeit wieder der richtigen Führung entbehren mußten, daß sie nicht ordentlich haben wahrnehmen können, was die Gaben der höheren Hierarchien hätten sein sollen. Und wie haben sie sich in dem drittletzten Leben hier auf der Erde so etwas zubereitet? Sie haben es dadurch sich zubereitet, daß sie damals eine gewisse, wenn auch durchaus religiös zu nennende Seelenstimmung entwickelt haben, aber nur aus Egoismus heraus. Sie waren Menschen, die nur aus Egoismus heraus fromme, vielleicht sogar mystische Naturen waren, wie ja sehr häufig Mystik aus Egoismus zustande kommt, in der Weise, daß der Mensch sagt: Ich suche in meinem Innern, um in meinem Innern den Gott zu er­kennen. - Und wenn man dem nachgeht, was er dort sucht, so ist es nur das eigene Selbst, das er zum Gott macht. Bei vielen frommen Seelen findet man es, daß sie nur deshalb fromm sind, damit ihnen nach dem Tode diese oder jene geistige Stimmung blühe. Egoistische Seelenstimmung ist es, was sie sich auf diese Weise zubereitet haben.

Wenn wir also drei solcher Erdenleben mit Hilfe der Geistes-forschung verfolgen, so finden wir in dem ersten als Grundstimmung in der Seele egoistische Mystik, egoistische Religiosität. Und wenn wir heute Menschen betrachten, die sich in der gekennzeichneten Weise dem Leben gegenüber verhalten, so kommen wir ja durch die geistige Forschung in die Zeiten zurück, in welchen in Hülle und Fülle Seelen da waren, die eigentlich nur aus vollem Egoismus heraus eine religiöse Stimmung entwickelten. Sie gingen dann durch ein Dasein zwischen Tod und neuer Geburt, ohnmächtig von den geisti­gen Wesenheiten die Gaben zu empfangen, die ihnen das nächste Leben richtig gestalten sollten. Dann wurde das nächste Leben ein mürrisches, ein hypochondrisches, wo ihnen alles zuwider war. Da­durch wieder bereiteten sie sich dazu vor, daß nun, wenn sie durch die Pforte des Todes gegangen sind, Ahriman und dessen Scharen ihre Führer waren und sie solche Kräfte bekamen, wodurch sie in dem nun folgenden Erdenleben eine mangelhafte Logik, ein kurzsichtiges, stumpfes Denken zeigen.

So haben wir den andern Fall von drei aufeinanderfolgenden Inkarnationen.

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Und wir sehen immer wieder und wieder, wie es Unsinn ist zu glauben, daß man warten könne bis der Tod an einen heran-tritt, um zur übersinnlichen Welt in Beziehung zu kommen. Ja, wie man nach dem Tode in Beziehung zur übersinnlichen Welt kommt, das hängt eben ab von den inneren Seelenneigungen und Interessen, die man sich hier gegenüber der übersinnlichen Welt angeeignet hat. Es hängen nicht nur die aufeinanderfolgenden Erdenleben zusammen wie Ursachen und Wirkungen, sondern auch die Leben hier zwischen Geburt und Tod - und die Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt hängen in gewisser Beziehung zusammen wie Ursachen und Wirkungen. Wir können dies aus dem Folgenden sehen.

Wenn der Seher den Blick in die übersinnliche Welt hinaufrichtet, wo sich die Seelen nach dem Tode aufhalten, so findet er dort Seelen, welche in einem gewissen Abschnitte dieses Lebens zwischen Tod und neuer Geburt - man macht ja in diesem langen Zeitraume viele Erlebnisse durch, und es können bei solchen Beschreibungen immer nur Teile geschildert werden - Diener sind derjenigen Mächte, die wir nennen die Herren alles gesunden, sprießenden und sprossenden Lebens auf der Erde. Wir finden unter den verstorbenen Menschen durchaus solche, welche eine gewisse Zeit hindurch in der übersinn­lichen Welt mitwirken an der wunderbaren Aufgabe - denn es ist eine wunderbare Aufgabe -, in die physische Welt hineinzugießen, hinein­zuträufeln alles, was die Wesen der Erde in ihrer Gesundheit fördern kann, was sie zum Blühen und Gedeihen bringen kann. Wie wir durch gewisse Bedingungen Diener der bösen Mächte von Krankheit und Unglück werden können, so können wir Diener werden derjenigen geistigen Wesenheiten, welche Gesundheit und Wachstum befördern, die in unsere Welt blühendes Leben befördernde Kräfte aus der geistigen Welt hereinsenden. Denn das ist ja nur ein materialistischer Aberglaube, daß die physische Hygiene, die äußeren Einrichtungen allein das Gesundheitfördernde sind. Alles, was im physischen Leben geschieht, wird dirigiert durch die Wesenheiten und Mächte der höheren Welten, die ihre Kräfte fortwährend in die physische Welt hineinsenden, sie hineinträufeln, die Kräfte, die in einer gewissen Weise frei wirken, oder auf Menschen oder andere Wesen wirken als

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gesundheitfördernde oder als Gesundheit und Wachstum schädi­gende. - Leitend in bezug auf diese Vorgänge in Gesundheit und Krankheit sind gewisse geistige Mächte und Wesenheiten. Aber der Mensch wird im Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt Mitarbeiter dieser Mächte; und wir können, wenn wir uns in der richtigen Weise dazu vorbereitet haben, die Seligkeit genießen, daran mitzuarbeiten, die Gesundheit und Wachstum fördernden Kräfte aus den höheren Welten in diese unsere physische Welt hineinzuträufeln. Und wenn der Seher verfolgt, wodurch sich solche Seelen dies ver­dient haben, so merkt er: Im physischen Erdenleben können die Menschen in zweifacher Art das vollbringen und denken, was sie vollbringen und denken wollen.

Sehen wir uns einmal das Leben an. Wir sehen zahlreiche Menschen, die machen ihre Arbeit, wie es ihnen vorgeschrieben ist durch ihr Amt oder durch dieses oder jenes. Aber wenn auch nicht der radikale Fall eintritt, daß solche Menschen ihrer Arbeit gegenüber leben wie das Tier, das zur Schlachtbank geführt wird, so könnte man doch sagen, sie arbeiten, weil sie müssen. Sie würden auch nie ihre Pflicht versäumen - gewiß, das kann alles sein! In gewisser Beziehung kann das beim heutigen Menschheitszyklus auch gar nicht anders sein in bezug auf das, was die Pflicht fordert und wofür der Mensch keinen anderen Antrieb hat, als daß es die Pflicht fordert. Das soll durchaus nicht so gesagt sein, als wenn die Pflichtarbeit in Grund und Boden hinein kritisiert werden soll! So darf es nicht aufgefaßt werden; die Erdentwickelung ist eben so, daß gerade diese Seite des Lebens immer mehr und mehr Ausbreitung gewinnt. Das wird in Zukunft nicht etwa besser sein: die Verrichtungen, welche die Menschen wer­den tun müssen, werden sich immer mehr und mehr komplizieren, insofern sie das äußere Leben betreffen, und immer mehr und mehr werden die Menschen verurteilt sein, nur das zu tun und zu denken, wozu sie durch die Pflicht getrieben werden. Aber wir haben es heute schon - und werden es immer mehr haben -, daß es Menschen gibt, die ihre Arbeit nur deshalb tun, weil sie durch die Pflicht getrieben werden, und daß es dagegen andere Menschen geben wird, die sich eine Gesellschaft wie die unserige aufsuchen, wo sie auch etwas vollbringen

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können, nicht aus äußerem Pflichtgefühl, wie im äußeren Leben, sondern etwas, wozu sie Hingabe, Enthusiasmus haben. Daher können wir die Arbeit nach der Seite hin ins Auge fassen: ob sie gleichsam eine Arbeit des äußeren Volibringens und des Denkens aus Pflicht ist, oder eine Arbeit, die mit Enthusiasmus, mit Hingabe aus innerstem Triebe der Seele verrichtet wird, wozu nichts treibt als die Seele selber. Diese Stimmung der Seele: nicht bloß aus Pflicht, sondern aus Liebe, aus Neigung, aus Hingabe zu denken und zu tun, diese Stimmung bereitet die Seele dazu vor, ein Diener der guten Mächte von Gesundheit, von allen heilsamen Kräften zu werden, die aus der übersinnlichen Welt in unsere physische Welt hinuntergeschickt wer­den, ein Diener von allem Sprießenden und Sprossenden, Gedeihenden zu werden und die Seligkeit zu empfinden, die man dadurch emp­finden kann.

Es ist für das Gesamtleben des Menschen außerordentlich wichtig, dies zu wissen. Denn dadurch allein, daß er sich im Leben solche Kräfte erwirbt, welche ihn fähig machen, mit den betreffenden Mäch­ten zusammenzukommen, dadurch allein kann der Mensch geistig mitarbeiten an einer immer weitergehenden Gesundung, an einem immer weitergehenden Gedeihen der Erdenverhältnisse.

Und noch einen anderen Fall können wir betrachten. Nehmen wir einen Menschen, der sich Mühe gibt, der Umgebung und ihren An­forderungen sich anzupassen. Das ist nicht bei allen Menschen der Fall. Es gibt solche, die sich keine Mühe geben, um sich in die Welt hineinzufinden; es gibt Menschen, die sich sowohl im geistigen wie im äußeren leiblichen Leben nicht in die Verhältnisse hineinfinden können. So haben wir zum Beispiel Menschen, die einmal an der Anschlagsäule einen Zettel lesen, daß da oder dort ein anthroposo­phischer Vortrag stattfindet; da gehen sie auch einmal hinein, aber kaum sind sie drinnen, da schlafen sie schon. Ihre Seele kann sich nicht an die Umgebung anpassen, stimmt nicht dazu. MIr sind Männer bekannt geworden, die sich nicht selber einen Knopf, der ihnen ab­gerissen ist, annähen können; das heißt aber, sie können sich nicht den äußeren physischen Verhältnissen anpassen. Und so können wir tau­send und aber tausend Arten des geschickten oder ungeschickten

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Sich-Hineinfindens in das Leben anführen. Von solchen Dingen hängt mancherlei ab, ich habe das schon gesagt. Jetzt wollen wir nur das anführen, was davon abhängt für das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt.

Alles wird Ursache, und aus allem gehen Wirkungen hervor. Ein Mensch, der sich bemüht, sich seiner Umgebung einzugliedern, der sich also auch einmal selber einen Knopf annähen kann oder sich etwas anzuhören vermag, was ihm ungewohnt ist, so daß er nicht gleich dabei einschläft, ein solcher bereitet sich dadurch dazu vor, nach dem Tode ein Mitarbeiter, ein Helfer derjenigen Geister zu werden, welche den menschlichen Fortschritt fördern, welche die spirituellen Mächte und Kräfte hereinsenden auf die Erde, um menschlichen Fortschritt und fortschreitendes Leben zu fördern, Leben, welches von Zeitalter zu Zeitalter fortschreitet. Nur dadurch können wir uns die Seligkeit nach dem Tode erwerben, auf das irdische Leben, wie es fortschreitet, hinunterzuschauen und mitzuarbeiten an den Kräften, die immer hinuntergesendet werden auf die Erde, damit Fortschritt sein kann, wenn wir uns hier im Leben bemühen, uns den Verhältnissen anzu­passen, uns in die Umgebung hineinzufinden. Karma wird erst dann in der richtigen umfassenden Weise verstanden, wenn wir in die Lage kommen, es in seinen Einzelheiten zu betrachten, in jenen Einzel­heiten, die uns zeigen, in wie mannigfaltiger Art Ursachen und Wir­kungen zusammenhängen hier in der physischen Welt, in der geistigen Welt und im Gesamtdasein.

Es ist damit wiederum ein Licht geworfen auf die Tatsache, daß unser Leben in den geistigen Welten davon abhängt, wie wir das Leben im physischen Leibe zubringen. Denn, wie gesagt, alle Welten haben ihre besondere Mission, und nicht zwei Welten haben eine gleiche Mission im Dasein. Was in einer Welt die charakteristischen Erscheinungen, die charakteristischen Erlebnisse sind, das sind nicht auch die charakteristischen Erscheinungen und Erlebnisse in einer anderen Welt. Und wenn ein Wesen zum Beispiel diejenigen Dinge aufnehmen soll, die es nur auf der Erde aufnehmen kann, so muß es sie eben auf der Erde aufnehmen. Und versäumt es dies, so kann es die Aufnahme nicht in einer anderen Welt besorgen. Das zeigt sich insbesondere

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bei einer Sache, die wir eigentlich schon berührt haben, bei der es aber gut ist, sie besonders tief in unsere Seele zu schreiben: das zeigt sich bei der Aufnahme gewisser Begriffe und Ideen, die der Mensch gerade für sein Gesamtieben braucht. Nehmen wir ein uns naheliegendes Beispiel: die in unserem Zeitalter berechtigte und wirk­same Anthroposophie. Die Menschen eignen sie sich so an, daß sie zunächst auf der Erde leben und auf die Ihnen bekannte Art an die Anthroposophie herantreten und sie in sich aufnehmen. Es könnte nun auch hier leicht der Glaube entstehen, es sei doch nicht notwendig, hier auf der Erde Anthroposophie zu treiben, sondern: wie es in den geistigen Welten aussieht, das wird man schon zu lernen imstande sein, wenn man durch die Pforte des Todes hindurchgeschritten ist; da werden sich auch geistige Lehrer der höheren Hierarchien finden, welche diese Dinge an die Seele heranbringen können!

Nun besteht die Tatsache, daß der Mensch mit seiner ganzen Seele nach den Entwickelungen, die er bis zum gegenwärtigen Menschheits­zyklus durchgemacht hat, jetzt dazu vorbereitet ist, eben einmal auf der Erde an die Art anthroposophischen Lebens heranzutreten, an die man nur herantreten kann, weil man im physischen Leibe lebt, weil man das physische Leben mitmacht. Dazu ist der Mensch vorbestimmt. Und macht er es nicht mit, so kann er zu keiner der geistigen Wesen­heiten Beziehungen entwickeln, die diese zu seinem Lehrer machen. Man kann nicht einfach sterben und dann nach dem Tode einen Lehrer finden, der einem ersetzen könnte, was hier im physischen Erdenleben als Anthroposophie an die Seelen herantreten kann. Wir brauchen nicht deshalb zu trüben Gedanken zu kommen, weil wir sehen, daß viele Menschen die Anthroposophie verschmähen, und wir nun voraussetzen müssen, daß sie sich dieselbe zwischen Tod und neuer Geburt nicht aneignen können. Wir brauchen deshalb nicht zu verzweifeln, denn diese Menschen werden in einem neuen Erdenleben geboren werden und dann wird schon genügend anthroposophische Anregung und Anthroposophie auf der Erde vorhanden sein, so daß sie diese dann aufnehmen können. Für die heutige Zeit ist Verzweif­lung noch nicht am Platze - was nun aber keinen dazu bringen soll, zu sagen: Ich kann die Anthroposophie im folgenden Leben aufnehmen;

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jetzt kann ich es mir noch sparen! - Nein, auch das kann nicht nachgeholt werden, was hier versäumt wird. Als unsere deutsche theosophische Bewegung ganz im Anfange war, sprach ich einmal in einem Vortrage über Nietzsche von gewissen Dingen der höheren Welten. In den Zusammenhang, in welchem das damals gesprochen wurde, waren Diskussionen eingefügt. Während derselben stand jemand auf und sagte: Eine solche Sache muß man immer an der Kantschen Philosophie prüfrn, und da kommt man doch darauf, daß man all diese Dinge hier nicht wissen kann; denn erst dann kann man darüber etwas wissen, wenn man gestorben sein wird. - Ganz wörtlich sagte das der Betreffende damals. Nun, so ist es nicht, daß man bloß sterben braucht, um irgendwelche Dinge zu erfahren. Man erfährt, wenn man durch die Pforte des Todes geht, die Dinge nicht, für die man sich nicht vorbereitet hat. Das Leben zwischen Tod und neuer Geburt ist durchaus eine Fortsetzung des Lebens hier, wie wir an den schon vorgebrachten Beispielen gesehen haben. Daher können wir von den Wesenheiten der höheren Hierarchien nach dem Tode als Menschen dasjenige, was wir dadurch erlangen können, daß wir über­haupt Anthroposoph werden, nur dadurch erlangen, daß wir uns hier auf der Erde dazu vorbereitet haben. Unser Zusammenhang mit der Erde, unser Durchgang durch das Erdenleben hat eben eine Bedeu­tung, die durch nichts ersetzt werden kann.

Eine Art von Vermittelung kann allerdings gerade auf diesem Ge­biete eintreten. Ich habe auch darüber schon gesprochen. Ein Mensch kann dahinsterben und er kann während seines Erdeniebens nichts von Geisteswissenschaft erfahren haben; aber sein Bruder, seine Gattin oder ein nahestehender Freund ist Anthroposoph. Der Verstorbene hat sich hier während seines Lebens geweigert, etwas von Anthropo­sophie zu erfahren; er hat vielleicht nur darüber geschimpft. Nun ist er durch die Pforte des Todes gegangen. Da kann er dann durch die anderen Persönlichkeiten auf der Erde mit der Anthroposophie ver­traut gemacht werden. Aber wir sehen auch dabei, daß jemand auf der Erde da ist und es dem andern aus Liebe gibt, so daß also auch hier der Zusammenhang mit dem Irdischen gewahrt werden muß. Darauf beruht das, was ich genannt habe «Vorlesen den Toten». Wir können

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ihnen damit eine große Wohltat erweisen, wenn sie auch vorher nichts von der geistigen Welt wissen wollten. Wir können es entweder so machen, daß wir es in Gedankenform tun und auf diese Weise die Toten unterrichten, oder wir können uns ein anthroposophisches Buch oder dergleichen nehmen, uns die Persönlichkeit des Toten vor­stellen und ihm dann aus dem Buche vorlesen. Dann vernehmen es die Toten. Gerade durch solche Dinge haben wir in unserer anthroposo­phischen Bewegung große, schöne Beispiele erlebt von dem, was wir den Toten angedeihen lassen können. Viele unserer Freunde lesen ihren Toten vor. - Man kann auch die Erfahrung machen, die ich kürzlich machen konnte, daß mich jemand um einen kurz vorher da­hingestorbenen Toten fragte, weil sich dieser durch allerlei Anzeichen, besonders während der Nacht, bemerkbar machte, durch Unruhe im Zimmer, Poltern und so weiter. Man kann daraus oft den Schluß ziehen, daß der Tote etwas haben will. In diesem Falle stellte sich in der Tat heraus, daß der Tote Sehnsucht hatte, irgend etwas zu er­fahren. Der Betreffende war im Leben ein gelehrter Mann gewesen, aber er hatte vorher alles abgelehnt, was als Wissen über die geistige Welt an ihn herankam. Jetzt konnte man heraushören, daß ihm eine große Wohltat erwiesen würde, wenn man ihm zum Beispiel einen ganz bestimmten Vortragszyklus vorlesen würde, weil darin die Dinge besprochen sind, nach denen er sozusagen lechzte. So kann über den Tod hinaus in einer ungeheuer bedeutungsvollen Weise Abhilfe ge­schaffen werden für etwas, was auf der Erde versäumt worden ist.

Das ist es, was uns so recht die große, bedeutungsvolle Mission der Anthroposophie nahebringt, daß die Anthroposophie den Abgrund überbrücken wird zwischen den Lebenden und den Toten, daß die Menschen nicht dahinsterben, als wenn sie von uns fortgehen, sondern daß wir mit ihnen in Verbindung bleiben und für sie tätig sein können. Wenn jemand fragt, ob man denn immer wissen könne, ob der Tote uns auch zuhöre, so muß gesagt werden, daß auf der einen Seite die Menschen, die so etwas mit wirklicher Hingabe tun, nach einiger Zeit aus der Art, wie die Gedanken in ihrer eigenen Seele leben, die sie dem Toten vorlesen, wirklich merken werden, daß der Tote sie umschwebt. Aber das ist immerhin eine Empfindung, die nur feiner beobachtende

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Seelen haben können. Das Ärgste, was passieren kann, ist, daß eine solche Sache, die ein großer Liebesdienst sein kann, eben nicht an­gehört wird; dann hat man sie für den Betreffenden unnötig gemacht. Vielleicht aber hat sie dann im Weltenzusammenhange noch eine andere Bedeutung. Man sollte sich aber um einen solchen Mißerfolg nicht viel kümmern, denn es kommt doch vor, daß man hier einer Anzahl von Menschen etwas vorliest - und sie einem auch nicht zuhören.

Diese Dinge können den Ernst und die Würde der Anthroposophie in die richtigen Begriffe bringen. Immer aber müssen wir sagen, daß die Art, wie wir in der geistigen Welt nach dem Tode leben werden, ganz abhängen wird von der Art, wie wir hier auf der Erde gelebt haben. Auch das Zusammenleben mit anderen Menschen in der gei­stigen Welt hängt davon ab, was wir hier für eine Beziehung zu ihnen gesucht haben. Mit einem Menschen, zu dem wir hier keine Beziehung angeknüpft haben, können wir nicht ohne weiteres in der andern Welt, zwischen Tod und neuer Geburt, eine Beziehung anknüpfen. Die Möglichkeit, zu ihm hingeführt zu werden, mit ihm in der geistigen Welt zusammenzusein, erwirbt man sich gewöhnlich in der Regel durch das, was hier auf der Erde angeknüpft worden ist, allerdings nicht bloß durch das, was in der letzten, sondern auch was in früheren Inkarnationen angeknüpft worden ist.

Kurz, sachliche und persönliche Verhältnisse, die wir auf der Erde geschaffen haben, sind das Bestimmende für das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt. Es treten Ausnahmefälle ein, aber die sind eben dann Ausnahmefälle. Und wenn Sie sich an das erinnern, was ich in der Weihnachtszeit hier über den Buddha und seine jetzige Mis­sion auf dem Mars gesagt habe, so haben Sie gerade an der Gestalt des Buddha einen solchen Ausnahmefall. Es gibt zahlreiche Seelen auf der Erde, die in den Mysterieninspirationen dem Buddha - oder auch vor­her in seinem Bodhisattva-Dasein - persönlich gegenübergetreten sind. Aber weil Buddha als der Sohn des Suddhodana seine letzte Erdenverkörperung durchgemacht hat, und dann das, was ich ge­schildert habe als sein Wirken im Ätherleibe, und jetzt seine Tätigkeit nach dem Mars verlegt hat, deshalb ist nun die Möglichkeit gegeben, auch wenn wir vorher nicht mit dem Buddha zusammengekommen

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sind, mit ihm im Leben zwischen Tod und neuer Geburt in ein Ver­hältnis zu kommen; und was dieses Verhältnis ergibt, das bringen wir dann wieder in die nächste Erdeninkarnation herein. Das ist aber der Ausnahmefall. In der Regel finden wir nach dem Tode diejenigen Menschen, mit denen wir hier Beziehungen und Verhältnisse an-knüpften, und setzen diese Verhältnisse und Beziehungen nach dem Tode fort.

Diese Auseinandersetzungen, die an das anknüpfen, was über das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt im Verlaufe dieses Winters gegeben worden ist, sind mit dem Ziele und der Perspektive gesagt, zu zeigen, wie Anthroposophie dem Menschen nur etwas Halbes ist, wenn sie eine Theorie und eine äußere Wissenschaft bleibt, wie sie erst dann das ist, was sie sein soll, wenn sie wie ein Lebens-elixier die Seelen durchdringt, so daß die Seelen vollkommen dar­leben, was an den Menschen empfindungsgemäß herantritt, wenn er zu den höheren Welten in ein Erkenntnisverhältnis tritt. Der Tod, er tritt dann für den Menschen nicht so auf wie etwas, was persönliche menschliche Verhältnisse zerstört. Der Abgrund zwischen dem Leben hier auf der Erde und dem Leben nach dem Tode wird überwunden, viele Tätigkeiten werden sich in der Zukunft entfalten, die unter die­sem Gesichtspunkte vollzogen werden. Hereinwirken werden die Toten ins Leben, die Lebenden in das Reich der Toten.

Und nun möchte ich, daß sich Ihre Seelen ein wenig darein vertiefen, wie das Leben reicher, voller, geistiger wird, wenn alles wirklich durch die Anthroposophie geschieht. Nur wer so Anthroposophie empfin­den kann, der empfindet richtig gegenüber der Anthroposophie. Das ist nicht die Hauptsache, daß wir wissen: Der Mensch besteht aus physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich, er geht durch ver­schiedene Inkarnationen durch, die Erde hat während ihres Daseins verschiedene Inkarnationen durchgemacht, das Saturndasein, das Sonnendasein, das Mondendasein. - Das zu wissen ist nicht die Hauptsache; das Wichtigste und Wesentliche ist, daß wir unser Leben durch die Anthroposophie in einer solchen Weise umgestalten können, wie es die Zukunft der Erde erfordert. Das können wir nicht tief genug empfinden, und nicht oft genug können wir uns in dieser Beziehung

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anregen. Denn die Empfindungen, die wir unter der Anregung der Erkenntnis der übersinnlichen Welt von unsern Versammiungen mit­nehmen, und mit denen wir dann durch das Leben schreiten, sie sind das Wichtige im anthroposophischen Leben. Daher genügt es nicht, wenn wir in der Anthroposophie nur wissen, sondern in der Anthro­posophie wissen wir empfindend, und empfinden wir wissend. Nur haben wir zu begreifen, wie falsch es ist, ohne etwas von der Welt zu wissen, glauben zu können, daß man der Welt gerecht werden kann. Wahr ist das Wort, das Leonardo da Vinci gesagt hat: Die große Liebe ist die Tochter der großen Erkenntnis. Und wer nicht erkennen will, der lernt auch nicht im wirklichen Sinne lieben.

So, in diesem Sinne, soll Anthroposophie zunächst in unsere Seele kommen, damit von diesem Einflusse, von uns ausgehend, immer mehr und mehr in der Erdentwickelung eine Strömung beginne, eine geistige Strömung, welche Geist und Physis zu einer Harmonie ge­stalten wird. Dann wird die Zeit kommen, in welcher die Menschen auf der Erde zwar noch materiell leben werden - und das äußere Erdenleben wird immer materieller und materieller werden -, aber der Mensch wird über die Erde schreiten und in seiner Seele den Zu­sammenhang mit der höheren Welt tragen. Außen wird das Erden-leben immer materieller werden - das ist das Erdenkarma -, doch in demselben Maße als das Erdenleben außen materieller wird, müssen, wenn die Erdentwickelung ihr Ziel erreichen soll, die Seelen innen immer spiritueller und spiritueller werden. Wie sich diese Aufgabe gestaltet, dazu wollte ich durch die heutige Betrachtung wieder einen kleinen Beitrag geben.

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ZEHNTER VORTRAG Berlin, 1. April 1913

Wir haben uns vorgenommen, von gewissen Gesichtspunkten aus das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt zu betrachten, und wir haben im Verlaufe dieser Wintervorträge versucht, mancherlei über dieses Leben darzustellen, haben dabei wichtige Ergänzungen anführen können für die allgemeineren Gesichtspunkte, welche in meiner «Theosophie» und auch in der «Geheimwissenschaft im Um­riß» mitgeteilt worden sind. Heute soll nun ein Gesichtspunkt vor allen Dingen uns beschäftigen, welcher sich aus der Frage ergibt: Wie steht denn das, was zum Beispiel in der «Theosophie» für das Leben zwischen Tod und neuer Geburt angeführt ist, im Verhältnisse zu dem, was im Laufe dieser Wintervorträge hier gesagt worden ist?

Wir erinnern uns dabei, wie in der «Theosophle» der Durchgang der Seele, nachdem die Pforte des Todes durchschritten ist, zunächst dargestellt worden ist durch das Seelengebiet. Und wir wissen, daß dieses Seelengebiet gegliedert worden ist in eine Region der «Begier­denglut», in eine solche der «fließenden Reizbarkeit», in eine der «Wünsche», in eine Region von «Lust und Unlust», dann in die höheren Regionen des «Seelenlichtes», der «tätigen Seelenkraft» und des «eigentlichen Seelenlebens». Das wurde als das Seelengebiet, als die Seelenwelt geschildert, und es ist ja bekannt, daß die Seele nach dem Tode diese Gebiete zu durchschreiten hat, die Sie dann in einer gewissen Beziehung in meiner «Theosophie» geschildert finden. Da­nach durchschreitet die Seele weiter dasjenige, was man als das Geisterland zu bezeichnen hat, und es ist in meiner «Theosophie» auch dieses Geisterland in den aufeinanderfolgenden Regionen ge­schildert worden, deren Bezeichnungen mit Anlehnung an gewisse irdische Bilder gegeben worden sind: das kontinentale Gebiet des Geisterlandes, dann das sozusagen ozeanische Gebiet des Geisterlandes und so weiter.

Nun wurde hier im Verlaufe des Winters geschildert, wie die Seele, wenn sie durch die Pforte des Todes schreitet, den physischen Leib

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und dann auch den ätherischen Leib ablegt, wie sie sich vergrößert, immer größer und größer wird. Dann wurde auseinandergesetzt, wie diese Seele Regionen durchlebt, welche - aus gewissen Gründen, von denen ja gesprochen worden ist - bezeichnet werden dürfen zuerst mit der Region des Mondes, dann des Merkur, der Venus, der Sonne, des Mars, des Jupiter, des Saturn, dann des eigentlichen Sternenhimmeis; wie die Seele, beziehungsweise des Menschen eigentliche geistige In­dividualität, sich fortdauernd vergrößert und diese Regionen, die ja immer größere Weltengebiete umschließen, durchlebt; wie dann die Seele wieder beginnt sich zusammenzuziehen, immer kleiner und klei­ner wird, um sich dann zuletzt mit dem Keime zu verbinden, der aus der Vererbungsströmung der Seele zufließt. Und durch diese Ver­bindung des durch die Vererbung der Seele zufließenden Menschen­keimes mit dem, was aus dem großen, makrokosmischen Welten-gebiete hereingenommen wird, entsteht ja das, was der Mensch des irdischen Zeitenlaufes ist, das, was das Leben zwischen der Geburt und dem Tode zu durchleben hat.

Nun ist in der Tat beide Male, sowohl in meiner «Theosophie» wie auch in den Darstellungen, die hier gegeben worden sind, im Grunde genommen dasselbe gegeben. Darauf wurde aufmerksam gemacht. Aber das eine Mal ist sozusagen mehr von innen geschildert. In meiner «Theosophie» finden Sie die Schilderung in gewissen Bildern gegeben, welche mehr mit Anlehnung an innere Seelenverhältnisse gegeben sind. In den Schilderungen, welche hier in diesem Winter gemacht worden sind, wurde mit Anlehnung an die großen kosmischen Ver hältnisse die Schilderung gegeben durch Anknüpfung an die Planeten-namen. Nun handelt es sich darum, daß wir die beiden Schilderungen miteinander in Einklang bringen können.

Es ist schon gesagt worden, daß die Menschenseele in der ersten Zeit, nachdem sie die Pforte des Todes durchschritten hat, sozusagen im wesentlichen darauf angewiesen ist, in einer gewissen Art auf das zurückzuschauen, was sie auf der Erde erleben kann. Ein völliges Leben noch mit den Erdenverhältnissen stellt ja die Kamalokazeit, wie man sie auch nennt, dar. Diese Kamalokazeit ist eigentlich im Grunde genommen eine Zeit, in der die Seele sich berufen fühlen muß, sich

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nach und nach alles abzugewöhnen, was noch in ihr lebt an un­mittelbaren Zusammenhängen mit der letzten Erdenverkörperung. Bedenken wir doch, daß der Mensch hier im physischen Leibe Seelen-erlebnisse hat, die mehr oder weniger ganz von seinem Leibesleben abhängen. Bedenken wir einmal, ein wie großer Teil der Seelenerleb­nisse ganz und gar von den Sinneseindrücken abhängig ist. Denken Sie alles fort, was Ihnen die Sinneseindrücke in die Seele herein­bringen, und versuchen Sie sich darüber klarzuwerden, wieviel dann noch in dieser Seele bleibt, wenn Sie alles weggeschafft haben, was Ihnen die Sinneseindrücke gegeben haben, dann bekommen Sie ein Bild von einem sehr schwachen Seeleninhalt! Und dennoch, durch eine letzte Überlegung werden Sie sich sagen können: Alles, was die Sinne gegeben haben, hört ja auf, wenn die Seele durch die Pforte des Todes schreitet; und was ihr dann bleiben kann - es ist das ganz natürlich-, das ist nicht mehr die Lebendigkeit eines Sinneseindruckes, sondern nur das, was an Erinnerungen aus den Sinneseindrücken sich ergibt. - Wenn Sie also daran denken, wieviel von den Sinneseindrük­ken in Ihrer Seele lebt, dann werden Sie sich auch leicht davon eine Vorstellung machen können, was von einem großen Teil des Seelen­lebens nach dem Tode von den Sinneseindrücken bleibt. Ich will sagen, wenn Sie sich an bestimmte Sinneseindrücke von gestern er­innern - nehmen wir das nur als ein Beispiel dafür, wo die Sinnes­eindrücke noch verhältnismäßig lebendig sind -, wenn Sie daran denken, wie verblaßt die Sinneseindrücke sind, welche Sie gestern er-lebt haben, wenn Sie sich wieder vor die Seele rufen wollen den leben­digen Eindruck, der sich vor Ihnen abgespielt hat: so blaß also - als Erinnerung - bleibt noch der Seele das, was die Sinneseindrücke über­mittelt haben. Daraus ersehen Sie, daß im Grunde genommen das ganze Leben in der Sinneswelt eigentlich für die Seele vorhanden ist als spe­zifisch4rdisches Erlebnis. - Mit dem Wegfall der Sinnesorgane, der ja eintritt, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes schreitet, fällt auch alle Bedeutung der Sinneseindrücke hinweg. Weil aber der Mensch an den Sinneseindrücken hängenbleibt, weil er noch die Begierde an die Sinneseindrücke behält, deshalb macht er im Leben nach dem Tode zunächst die Region der Begierdenglut durch. Er möchte eine lange

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Zeit noch Sinneseindrücke haben, aber er kann sie doch nicht haben, da er die Sinnesorgane abgelegt hat. Das Leben, welches in der Sehn­sucht nach Sinneseindrücken und in dem Nichthabenkönnen der Sinneseindrücke verfließt, das ist das Leben in der Region der Be­gierdenglut. Es brennt in der Tat dieses Leben im Innern der Seele. Es ist dieses Leben ein Teil des eigentlichen Kamalokalebens, wenn die Seele sich sehnt, Sinneseindrücke zu haben, woran sie sich hier auf der Erde gewöhnt hat, und - weil die Sinnesorgane abgelegt sind - solche Sinneseindrücke nicht bekommen kann.

Eine zweite Region des Kamalokalebens ist die des fließenden Reizes. Diese Region durchlebt die Seele so, daß sie sich zwar, wenn sie diese Region rein durchlebt, schon abgewöhnt hat, nach Sinnes-eindrücken zu begehren, aber noch durchaus Begierden hat nach Ge­danken, nach solchen Gedanken, die im irdischen Leben durch das Instrument des Gehirns gewonnen werden. In der Region der Be­gierdenglut macht die Seele das durch, wodurch sie sich nach und nach sagt: Es ist ein Unding, ein Unsinn, Sinneseindrücke haben zu wollen in einer Welt, für welche die Sinnesorgane abgelegt sind, in der kein Wesen Sinnesorgane haben kann, die nur aus den Substanzen der Erde heraus gebildet sind. - Aber die Seele kann lange diese Sehnsucht nach Sinneseindrücken abgelegt haben, so hat sie doch noch immer die Sehnsucht, so denken zu können, wie man auf der Erde denkt. Dieses irdische Denken wird abgewöhnt in der Region der fließenden Reizbarkeit. Da erlebt der Mensch allmählich, wie Gedanken, so wie sie auf der Erde gefaßt werden, im Grunde genommen auch nur im Leben zwischen Geburt und Tod eine Bedeutung haben.

Dann erlebt der Mensch, wenn er sich abgewöhnt hat Gedanken zu hegen, die auf das physische Instrument des Gehirnes angewiesen sind, noch immer einen gewissen Zusammenhang mit der Erde in den Formen desjenigen, was in seinen Wünschen enthalten ist. Bedenken Sie nur, daß Wünsche eigentlich etwas sind, was intimer mit der Seele verbunden ist als, man möchte sagen, die Gedankenwelt. Wünsche haben bei jedem Menschen eine bestimmte Färbung. Und während man andere Gedanken hat in der Jugend, andere im mittleren Teile des Lebensalters, andere im Alter, so erkennt man leicht, wie eine gewisse

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Form des Wünschens sich durch das ganze menschliche Erden­leben zieht. Diese Form, diese Nuancierung des Wünschens wird erst später abgelegt in der Region der Wünsche. Und dann zu allerletzt wird in der Region von Lust und Unlust die Sehnsucht abgelegt, über­haupt mit einem physischen Erdenleibe, mit diesem physischen Erden­leibe zusammenzuleben, mit dem man in der letzten Verkörperung zusammen war. Während man diese Regionen durchmacht, der Be­gierdenglut, der fließenden Reizbarkeit, der Wünsche und derjenigen von Lust und Unlust, ist immer noch eine gewisse Sehnsucht nach dem letzten Erdenieben vorhanden. Zuerst sozusagen in der Region der Begierdenglut. Da sehnt sich die Seele noch immer danach, durch Augen sehen zu können, durch Ohren hören zu können, obwohl sie Augen und Ohren nicht mehr haben kann. Wenn sie sich endlich ab-gewöhnt hat, solche Eindrücke von Augen, Ohren und so weiter haben zu können, dann sehnt sie sich noch danach, durch ein Gehirn denken zu können, wie sie es auf der Erde hatte. Hat sie sich endlich dies abgewöhnt, so sehnt sie sich noch danach, mit einem solchen Herzen wünschen zu können, wie man es auf der Erde hatte. Und zu­letzt sehnt sich der Mensch nicht mehr nach Sinneseindrücken, nicht mehr nach den Gedanken seines Kopfes und nicht nach den Wünschen seines Herzens, aber noch nach seiner letzten Erdenverkörperung im ganzen und großen. Von dieser Sehnsucht trennt sich der Mensch dann auch allmählich.

Dies alles, was in diesen Regionen durchzumachen ist, wird genau zusammenfallen mit dem Durchgehen der sich vergrößernden Seele bis zu jener Region, die wir die Merkur-Sphäre genannt haben, also das Sich-Hinausdehnen der Seele durch die Mond-Sphäre bis zur Merkur-Sphäre hin. Wenn es aber gegen diese Merkur-Sphäre zugeht, dann tritt an die Seele das heran, was in meiner «Theosophie» ge­schildert ist als eine Art geistiger Region des Seelengebietes, der Seelenwelt. Versuchen Sie noch einmal diese Schilderung des Seelen-gebietes und des Durchganges der Seele durch dieses Seelengebiet daraufhin durchzulesen; dann werden Sie dort aus den Eigenschaften dessen, was die Seele erlebt, sehen, wie sozusagen das, was man ge­wöhnlich das Unangenehme des Kamaloka nennt, schon in der Region

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des Seelenlichtes aufhört - auch nach der Beschreibung in der «Theo-sophie». Diese Region des Seelenlichtes fällt nun mit der Merkur­Sphäre zusammen; und von dem, was über die Merkur-Sphäre gesagt worden ist, können Sie alles auch auf das anwenden, was in der «Theo-sophie» als die Region des Seelenlichtes geschildert ist. Vergleichen Sie unbefangen, was von dem Leben der Seele geschildert wurde, wenn sie sich bis zur Merkur-Sphäre hin vergrößert hat, mit dem­jenigen, was in der «Theosophie» über die Region des Seelenlichtes enthalten ist, und Sie werden sehen, wie das eine Mal versucht wurde, von den inneren Seelenerlebnissen aus zu schildern, das andere Mal von den großen makrokosmischen Verhältnissen aus, durch welche die Seele dann durchgeht, wenn sie jene inneren Erlebnisse hat.

Gehen Sie dann weiter und versuchen Sie in der «Theosophie» zu lesen, was über die tätige Seelenkraft gesagt ist, so werden Sie be­greifen, daß durch die inneren Erlebnisse in der Region der tätigen Seelenkraft das eintreten muß, was hier angeführt wurde als maß­gebend beim Durchgang durch die Venus-Sphäre. Dabei ist aus­einandergesetzt worden, daß die Seele im Erdenleben in einer ge­wissen Weise religiöse Impulse entwickelt haben muß. Damit sie durch diese Venus-Sphäre richtig durchgehen kann, damit sie dort nicht ein­sam bleiben muß, sondern ein geselliges Leben entwickeln kann, muß sie jene Eigenschaften haben, die hier geschildert worden sind, muß sie von gewissen religiösen Begriffen durchseelt sein. Vergleichen Sie, was darüber gesagt wurde, mit der Beschreibung der Region der tätigen Seelenkraft in der «Theosophie», so werden Sie die Zusam­menstimmung darin finden, daß das eine Mal von innen, das andere Mal von außen diese Verhältnisse dargestellt worden sind.

Was als die höchste, als die seelischeste Region der Seelenwelt ge­schildert worden ist, die Region des eigentlichen Seelenlebens, das wird durchlebt, wenn die Seele durchgeht durch die Region des Sonnenlebens. So daß man auch sagen kann: Etwas bis über die Mond-Sphäre hinaus, wie schon erwähnt ist, dauert die eigentliche Kamaloka-Sphäre; dann beginnen die lichteren Regionen der Seelen-welt, bis zur Sonne hin. Was die Seele an der Sonne erlebt, ist eben gerade die Region des Seelenlebens. Seelisches Erleben ist das Charakteristische

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in der Zeit nach dem Tode, bis zu der Epoche hin, wo die Seele durch die Sonnenregion durchgeht. Wir wissen auch, daß die Seele in dieser Sonnenregion dann ihre besonders genaue Bekannt-schaft macht mit dem Lichtgeist, der ihr auf der Erde zum Versucher, zum Verderber geworden ist: mit Luzifer. Und wir wissen, daß sie, wenn sie in ihre Vergrößerung hinausgeht in die Weltenräume, immer mehr und mehr denjenigen Kräften sich nähert, welche sie befähigen, nunmehr das zu entwickeln, was sie für die nächste Erdenverkörpe­rung braucht. - Wenn die Seele durch die Sonnenregion durchgeht, durch die Region des Sonnenlebens, dann ist sie erst mit der letzten Erdeninkarnation fertig geworden. Bis zur Region von Lust und Un­lust, also bis dahin, wo die Seele gleichsam zwischen dem Mond und Merkur sich befindet, ist sie noch innig mit Sehnsucht nach ihrem letzten Erdenieben behaftet; doch auch in der Region des Merkur, der Venus, der Sonne ist die Seele noch nicht völlig frei von der letzten Erdeninkarnation. Aber sie hat da mit sich fertig zu werden in bezug auf das, was über das bloß persönliche Erleben hinausgeht; hat fertig zu werden in der Merkurregion mit dem, was sich in ihr entwickelt hat oder nicht entwickelt hat an sittlichen Begriffen, hat in der Venus-region fertig zu werden mit dem, was sich an religiösen Begriffen in ihr entwickelt hat, und in der Sonnenregion mit dem, was sich in ihr entwickelt hat an Erfassung von Allgemein-Menschlichem, das nicht eingeschnürt ist in ein religiöses Bekenntnis, sondern das dem reli­giösen Leben entspricht, welches der ganzen Menschheit taugt. So sind es die höheren Interessen, die noch in der weiteren Entwickelung der Menschheit ausgebildet werden können, mit denen die Seele bis in die Zeit der Sonnenregion fertig zu werden hat.

Dann tritt sie ein in das kosmisch-geistige Leben, reiht sich ein in die Marsregion. Diese Marsregion fällt nun zusammen mit dem, was Sie in meiner «Theosophie» geschildert finden als die erste Partie des Geisterlandes. In dieser Schilderung in der «Theosophie» finden Sie von innen heraus dargestellt, wie die Seele des Menschen so weit ver­geistigt ist, daß sie jetzt das, was sozusagen Urbild der physischen Leiblichkeit ist, der physischen Verhältnisse auf der Erde überhaupt, wie etwas Äußeres sieht. Alles, was auf der Erde Urbilder des physischen

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Lebens sind, erscheint wie eine Art Kontinentalgebiet des Geisterlandes. In dieses Kontinentalgebiet ist dasjenige hineingezeich­net, was die äußeren Ausgestaltungen der verschiedenen Inkarnationen sind. Mit dieser Region des Geisterlandes ist innerlich dasselbe ge­schildert, was der Mensch zu durchleben hat, wenn man kosmisch spricht, in der Marsregion. - Es könnte sonderbar erscheinen, daß in dieser Marsregion, die ja wiederholt in diesen Vorträgen bezeichnet worden ist als eine Region des Kampfes, der aggressiven Impulse bis in den Beginn des 17. Jahrhunderts hinein, daß in dieser Marsregion sozusagen die erste Region des Devachan, des eigentlichen Geister-landes zu suchen sei. Und dennoch ist es so. Alles, was auf der Erde zum eigentlichen materiellen Gebiet gehört, was auf der Erde bewirkt, daß das mineralische Reich als ein materielles erscheint, das beruht darauf, daß auf der Erde die Kräfte in einem fortdauernden Streit mit­einander liegen. Das hat auch dazu geführt, daß, als der Materialismus ganz besondere Blüten trug und man das materielle Leben als ein ein­ziges auf der Erde ansah, man auch in dem Streit, das heißt in dem «Kampf ums Dasein», die einzig gegebene Gesetzmäßigkeit des irdi­schen Lebens gesehen hat. Das ist natürlich ein Irrtum, weil auf der Erde nicht bloß materielles Dasein sich entwickelt. Aber indem der Mensch die Erde betritt, kann er ja nur das Dasein betreten, wie es seine Urbilder hat in der untersten Region des Geisterlandes, was für die Erde Geisterland ist. - Lesen Sie nun nach in dieser Schilderung der untersten Region des Geisterlandes in meiner «Theosophie» Ich möchte gerade dieses Kapitel heute hier vorbringen, damit Sie sehen, was eigentlich unseren ganzen Betrachtungen vielleicht doch nach­gesagt werden darf. Erinnern Sie sich, daß der Beginn der Schilderung des Geisterlandes in meiner «Theosophie» folgendermaßen gemacht worden ist (S.132):

«Die Bildung des Geistes im geschieht dadurch, daß der Mensch sich in die verschiedenen Regionen dieses Landes einlebt.»

Also wir könnten jetzt mit dem, was wir im Verlaufe dieses Winters betrachtet haben, sagen, daß der Mensch von der Marsregion ab sich weiter in die geistigen Verhältnisse einzuleben beginnt.

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Weiter:

«Sein eigenes Leben verschmilzt in entsprechender Aufeinander­folge mit diesen Regionen; er nimmt vorübergehend ihre Eigen­schaften an. Sie durchdringen dadurch sein Wesen mit ihrem Wesen, auf daß ersteres dann mit dem letzteren gestärkt im Irdischen wirken könne. - In der ersten Region des ist der Mensch um­geben von den geistigen Urbildern der irdischen Dinge. Während des Erdenlebens lernt er ja nur die Schatten dieser Urbilder kennen, die er in seinen Gedanken erfaßt. Was auf der Erde bloß gedacht wird, das wird in dieser Region erlebt. Der Mensch wandelt unter Gedanken; aber diese Gedanken sind wirkliche Wesenheiten.»

Und dann wird folgendes später auseinandergesetzt (S.133):

«Unsere eigenen Verkörperungen verschmelzen hier mit der übrigen Welt zur Einheit. So blicken wir hier auf die Urbilder der physisch-körperlichen Wirklichkeit als auf eine Einheit, zu der wir selbst ge­hören. Wir lernen deshalb nach und nach unsere Verwandtschaft, unsere Einheit mit der Umwelt durch Beobachtung kennen. Wir lernen zu ihr sagen: Das, was sich hier um dich ausbreitet, das bist du selbst. - Das aber ist einer der Grundgedanken der alten indischen Vedantaweisheit. Der eignet sich schon während des Erden-lebens das an, was der andere nach dem Tode erlebt, nämlich den Ge­danken zu fassen, daß er selbst mit allen Dingen verwandt ist, den Gedanken: Im irdischen Leben ist das ein Ideal, dem sich das Gedankenleben hingeben kann; im ist es eine unmittelbare Tatsache, die uns durch die geistige Erfahrung immer klarer wird. - Und der Mensch selbst wird in diesem Lande sich immer mehr bewußt, daß er, seinem eigentlichen Wesen nach, der Geister-welt angehört. Er nimmt sich als Geist unter Geistern, als ein Glied des Urgeistes wahr, und er wird von sich selbst fühlen: (Die Weisheit des Vedanta sagt: , das heißt ich gehöre als ein Glied dem Urwesen an, aus dem alle Wesen stam­men.)»

Diese Worte finden Sie in meiner « Theosophie». So sehen wir, daß der Mensch, wenn man sein Eingehen in die Region des Mars schil­dert, in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt die volle Bedeutung

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des «Das bist du » lernt, des «Tat tvam asi» und des «Ich bin Brahman». Und wenn hier auf der Erde in oder außer der Seele das Wort ertönt: «Ich bin Brahman», oder das andere Wort: « Tat tvam asi», «Das bist du», so ist das eine irdische Nachbildung desjenigen, was wie ein selbstverständliches Erlebnis in der Marsregion, in der untersten Region des Geisterlandes, in der Seele erklingt. Wenn wir uns nun fragen, woher die urindische Weisheit dasjenige entlehnt hat, was innerhalb dieser Weisheit immer zu dem tief bedeutsamen Worte «Tat tvam asi», «Das bist du», «Ich bin Brahman» geführt hat, so haben wir jetzt diese Region gefunden, und es erscheinen uns jene Lehrer des alten Indiens wie auf die Erde versetzte Angehörige der Marsregion. Und zu dem, was so über die Marsregion, über die un­terste Region des Devachan in der «Theosophie» vor Jahren gesagt worden ist, vernehmen wir nun das hinzu, was wir in diesem Winter betrachten durften: daß mit der Morgenröte der neueren Zeit der Buddha in diese selbe Region versetzt worden ist, in die Marsregion der Erde. Daß er hineinversetzt worden war in die Erde und auf dieser sozusagen als Vorbereiter des Mysteriums von Golgatha, geistig an­gesehen als Vorbereiter, ein halbes Jahrtausend vor diesem Mysterium von Golgatha in das Gebiet hineintrat, in welchem Marsweisheit seit uralten Zeiten ertönt hat. Und nach dem Mysterium von Golgatha wurde er, wie wir wissen, durch das Rosenkreuzertum nach der Mars-region geschickt, um dort weiter zu wirken. Was so im Kosmos sich abspielte: daß in uralter Zeit in der Marsregion der alte Brahmanismus heimisch war, daß im Beginne des 17. Jahrhunderts nach dem Myste­rium von Golgatha, wie wir gesehen haben, dieser Brahmanismus über­ging in den Buddha-Impuls, davon spielte sich ein Bild hier auf der Erde ab: der Übergang des Brahmanismus in den Buddhismus in der indischen Kultur.

So sehen wir, wie das, was auf der Erde sich abspielt, in einem wei­ten, in einem grandiosen Sinne Bild dessen ist, was in den Himmels-regionen vorgeht.

Wenn Sie also damals das Kapitel in der «Theosophie» gelesen haben, welches sich Ihnen jetzt enthüllt hat als die Marsregion, und für welches Sie darauf aufmerksam gemacht worden sind, daß ein

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selbstverständliches Erlebnis dort das «Ich bin Brahman» ist, so könnten Sie nunmehr, indem Sie jenes Kapitel wieder lesen, sich vor­stellen, wie ein Werden, ein Geschehen auch in den Regionen des Kosmos ist, wie dieses Geschehen in einer gewissen Weise durch­schaut werden kann, und wie der Buddha-Impuls kosmisch sich zu jenem Geschehen verhält, welches in dem betreffenden Kapitel meiner «Theosophie» geschildert worden ist. So gliedert sich uns zusammen das, was wir zum Beispiel in diesem Winter betrachtet haben, mit dem, womit wir in gewisser Weise unsere theosophische Arbeit vor mehr als zehn Jahren begonnen haben. Als wir zum ersten Male das Geister-land beschrieben haben und von einem kontinentalen Gebiete des Geisterlandes gesprochen haben, als wir davon sprachen, wie dieses Geisterland in seiner untersten Region von dem Gesichtspunkte inneren Seelenlebens aus zu charakterisieren ist, da schon war die Schilderung eben so gegeben, daß Sie, wenn Sie die damallge Dar-stellung verstanden haben, es nur natürlich finden werden, daß sich der Buddha-Impuls in dieses Geisterland, in die unterste Region desselben hineinstellen kann, wie wir das in diesem Winter schildern konnten. So gliedern sich die Einzelheiten der geistigen Forschung zu­sammen.

Wenn wir dann die zweite Region des Geisterlandes, die damals von dem inneren Seelengesichtspunkt aus geschildert worden ist, das ozea­nische Gebiet des Geisterlandes, kosmisch darstellen wollen, so müs­sen wir es zusammenfallen lassen mit der Jupiterregion. Und wenn wir das dritte Gebiet des Devachan, das Luftgebiet, kosmisch schildern wollen, dann fällt es zusammen mit dem Saturnwirken, mit der Saturn­region. Und was als die vierte Region des Geisterlandes geschildert ist, das geht schon hinaus über unser Planetensystem. Da dehnt sich die Seele sozusagen in weitere Räume aus, in den weiteren Sternen­himmel hinein. Und Sie werden an der Schilderung, welche damals von dem inneren Seelengesichtspunkte aus gegeben wurde, finden, wie die Eigenschaften der Seelenerlebnisse für die vierte Region des Geisterlandes so gegeben sind, daß man ihnen ansieht: sie können nicht durchlebt werden in dem, was noch in einer solchen räumlichen kosmischen Beziehung zur Erde steht wie das gesamte Planetensystem.

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Es wird aus der vierten Region des Geisterlandes etwas her­eingetragen, was so urfremd ist, daß man es nicht mit alledem zu­sammenbringen kann, was innerhalb auch der letzten planetarischen Sphäre, der Saturn-Sphäre, erlebt werden kann.

Und dann lebt sich die Seele immer weiter und weiter hinaus in Erdenfernen, aber auch in Sonnenfernen, geht in den Sternenhimmel, Das ist in den drei höchsten Partien des Geisterlandes geschildert, welche die Seele durchmacht, bevor sie sich wieder zusammenzuziehen und die ganzen Verhältnisse in einer anderen Weise zurück zu durch­laufen beginnt, indem sie sich beim Rücklauf die Kräfte aneignet, durch welche sie sich dann ein neues Erdenieben aufbauen kann. -Wir können im allgemeinen sagen: Wenn die Seele die Sonnenregion durchschritten hat, ist sie fertig mit alledem, was in einer gewissen Weise in Anlehnung an die «Persönlichkeit» des Menschen erlebt werden kann. Was außerhalb der Sonnenregion, außerhalb der Region des eigentlichen Seelenlebens erlebt wird, das ist dann geistig; das geht über alles Persönliche hinaus. Was die Seele dann durchlebt als das «Das bist du» - und insbesondere in unserer Zeit, wo sie das durchlebt, was auf dem Mars als Buddha-Impuls erlebt werden kann, was hier auf der Erde sich so sonderbar ausnimmt, sich aber auf dem Mars nicht mehr sonderbar ausnimmt - der Impuls, der durch das Wort «Nirwana» bezeichnet wird, das heißt das Loskommen von allem, was auf der Erde seine Bedeutung erhält, also das Sich-Nähern der großen kosmischen Bedeutung des Weltenraumes: das alles durch-lebt die Seele so, daß sie sich frei macht von dem, was die Persönlich­keit ist. In der Marsregion, der untersten Region des Geisterlandes, wo die Seele dahin gelangt, das « Das bist du» zu verstehen, oder in unserer Zeit den Buddha-Jmpuls aufzunehmen, da macht sie sich frei von den Zusammenhängen mit allem Irdisch-Natürlichen. Nachdem sie sich seelisch davon frei gemacht hat - wozu der Christus-Impuls ihr verhelfen muß -, macht sie sich geistig davon frei, indem sie alles, was Blutsbande sind, was auf der Erde gebunden werden kann, in seiner irdischen Bestimmtheit erkennt, aber dann übergeht zu neuen Ver­hältnissen.

In der Jupiterregion werden dann die Verhältnisse gelöst, welche

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die Seele hineirzwingen in ein bestimmtes engeres religiöses Bekennt­nis. Wir wissen, daß die Seele durch die Venusregion nur dadurch ge­sellig gehen kann; einsam würde sie da werden, wenn sie ein religiöses Bekenntnis überhaupt nicht hätte. Und wir haben gesagt, daß sie durch die Sonnenregion nur richtig gehen kann, wenn sie Verständnis hat für alle Bekenntnisse. In der Jupiterregion aber macht sich die Seele erst frei von dem Bekenntnis, dem sie während der letzten In­karnation angehört hat. Das ist nicht etwas, dem sie persönlich an­gehört hat, sondern etwas, in das sie hineingeboren war, das sie mit anderen Seelen gemeinschaftlich hatte. Während sie also durch die Venus-Sphäre nur gehen kann, wenn sie überhaupt religiöse Vor­stellungen sich im Erdenleben angeeignet hat, während sie durch die Sonnenregion nur gehen kann, wenn sie Verständnis hat für alle irdi­schen religiösen Bekenntnisse, kann sie durch die Jupiterregion nur gehen, wenn sie in der Lage ist, sich loszulösen von dem Bekenntnis, das sie während des Lebens gehabt hat; nicht genügt es, daß sie nur die anderen verstehen kann. Denn da wird es dann entschieden, wenn sie durch die Jupiterregion geht, ob sie das nächste Mal noch durch dasselbe Bekenntnis gehen muß, oder ob sie alles durcherlebt hat, was in einem bestimmten religiösen Bekenntnis erlebt werden kann. Die Frucht eines religiösen Bekenntnisses heimst die Seele auf der Venus ein, die Frucht des Verständnisses alles religiösen Lebens erfährt sie auf der Sonne; wenn aber dann die Seele in die Jupiterregion gelangt, dann muß sie in der Lage sein, für das nächste Leben, das sie auf der Erde durchzumachen hat, sich ein neues religiöses Verhältnis zu be­gründen. Das sind drei Stadien, welche die Seele zwischen Tod und neuer Geburt erlebt: erst die Frucht des Bekenntnisses seelisch durch-leben, welchem die Seele im letzten Leben angehörte; dann die Frucht dessen entgegennehmen, was sie an Schätzung auch aller anderen re­ligiösen Bekenntnisse entwickelt hat; dann sich so weit von dem letz­ten Bekenntnis losmachen, daß sie in ein anderes Bekenntnis wirklich übergehen kann. Denn dadurch, daß man alle Bekenntnisse zugleich schätzt, kann man noch nicht in ein anderes übergehen; und wir wissen, daß die Seele bei ihrem Zurückgehen durch diese Regionen noch einmal in die Jupiterregion kommt; da bereitet sie sich dann diejenigen

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Anlagen zu, welche sie braucht, um im nächsten Leben in einem andern Bekenntnisse zu leben. So werden langsam die Kräfte in die Seele hineingeprägt, welche der Seele notwendig sind, damit sie sich ein neues Leben zimmern kann.

Lesen Sie nun, was in der «Theosophie» über die dritte Region des Geisterlandes, das Luftgebiet, gesagt ist, so werden Sie diejenigen Dinge wiederfinden, die hier gesagt worden sind bei der Schilderung der Saturnregion. In dieser Region werden nur diejenigen Seelen so­zusagen geselliger Natur sein können, nicht eine grauenhafte Einsam­keit durchleben müssen, welche fähig sind, wirklich schon eine gewisse Stufe der Selbsterkenntnis, der vorurteilsfreien Selbsterkenntnis zu üben. Nur dadurch, daß man Selbsterkenntnis üben kann, vermag man jene Regionen zu betteten, welche dann über die Saturnregion, damit also auch über unser Sonnensystem in das kosmische Welten-leben hinausgehen, aus dem die Seelen immerdar das bringen müssen, was den Erdenfortschritt wirklich bewirkt. Denn wenn niemals Seelen als gesellige Naturen sich über das Saturnieben hinausleben würden, so würde die Erde nie einen Fortschritt erleben können. Nehmen Sie zum Beispiel die Seelen, welche heute hier sitzen: wenn die Seelen, die heute auf der Welt verkörpert leben, niemals zwischen Tod und neuer Geburt über die Saturntegion hinausgegangen wären, dann würde die Kultur der Erde noch dieselbe sein wie zum Beispiel in der alten indischen Zeit. Nur dadurch hat die uraltindische Kultur ihren Fortschritt zu der urpersischen Kultur haben können, daß in der Zwischenzeit Seelen über die Saturnregion hinausgegangen sind; und wiederum wurde der Fortschritt von der urpersischen zur ägyptisch­chaldälschen Kultur dadurch bewirkt, daß die Impulse zum Fort­schritt aus den Regionen jenseits der Saturn-Sphäre hereingeholt sind. Was Menschen zum Fortschritt der Erdenkultur beigetragen haben, das ist von den Seelen hereingeholt worden aus der Region außerhalb der Saturnregion.

Dies alles, was von außerhalb der Saturntegion hergeholt worden ist, bewirkte den äußeren Menschheitsfortschritt; das bewirkte, daß sich die einzelnen Kulturepochen von Zeit zu Zeit wandeln, daß neue Kulturimpulse auftreten. Daneben haben wir dann jenen Strom

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inneren Erlebens, der von dem äußeren Kulturfortschritt unter­schieden ist, der seinen irdischen Schwerpunkt im Mysterium von Golgatha hat. Wenn wir nun wissen, daß der Strom inneren Erlebens im irdischen Seelenleben der Menschen seinen Schwerpunkt im Myste­rium von Golgatha hat, und wenn wir auf der anderen Seite dieses Mysterium von Golgatha in Beziehung bringen mit der Sonnenregion, dann entsteht eine Frage; eine Frage, die uns nun lange in diesen Be­trachtungen würde beschäftigen können, die wir aber wenigstens heute vor unsere Seele hinstellen wollen. Denn das ist ja gerade das Gute, daß sich unsere Seelen über solche Fragen selber, in sich, auf Grundlage dessen, was wir nun schon in Vorträgen und Zyklen finden können, eigene Gedanken machen können, die dann nur nach den Forschungen, die hier vorgebracht werden, rektifiziert werden.

Wir haben auf der einen Seite die Tatsache stehen, daß der Christus der Sonnengeist ist, der sich durch das Mysterium von Golgatha mit dem Erdenleben vereinigt hat. Sie können am genauesten diese Tat­sache nachlesen in dem Zyklus «Das Johannes-Evangelium im Ver­hältnis zu den drei anderen Evangelien, besonders zu dem Lukas­Evangelium», der in Kassel gehalten ist, und in dem Zyklus «Von Jesus zu Christus». Jetzt haben wir nun die andere Tatsache, daß aller äußerer Erdenfortschritt, der Fortschritt der einzelnen Kultur-epochen, außerhalb der Saturnregion zu suchen ist, daß er also von außerhalb der Saturnregion hergeholt werden muß. Es entsteht daher eine Frage. Was den eigentlichen Erdenfortschritt von Kulturepoche zu Kulturepoche bewirkt, das hängt also zusammen mit einer ganz andern Welt - außerhalb der Saturn-Sphäre - als dasjenige, was den Fortschritt bewirkt, der charakterisiert werden kann als jene geistig­spirituelle Strömung, die durch die Menschheitsentwickelung geht, in den alten Zeiten an die Menschheit herankommt, ihren Schwer­punkt hat im Mysterium von Golgatha und dann ja so verläuft, wie es öfter geschildert worden ist. Wie stimmen diese beiden Dinge zu­sammen? In der Tat muß man sagen: Diese beiden Dinge stimmen vollständig zusammen.

Sie müssen sich nur vorstellen, daß unserer ganzen Erdentwicke­lung, wie wir sie heute haben, die frühere Verkörperung der Erde, die

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alte Mondenzeit, vorangegangen ist. Und nun stellen Sie sich einmal hintereinander vor die alte Mondenzeit, wie wir sie öfter beschrieben haben, und die jetzige Erdenzeit. Von der alten Mondenzeit bis in die jetzige Erdenwelt verfließt die ganze Entwickelung in der Weise, daß wir in der Mitte etwas wie eine Art von Weltenschlaf haben. Wie in eine Art von Keimzustand ist beim Übergang vom alten Mond zur Erde alles hineingegangen, was auf dem alten Mond existiert hat, und daraus ist dann später das hervorgegangen, was auf der Erde vor­handen ist. Aber mit diesem Hervorgehen aus dem Weltenschlaf sind alle einzelnen planetarischen Sphären auch erst hervorgegangen. So waren die Planeten-Sphären zur alten Mondenzeit nicht, wie sie heute sind. Wir haben die alte Mondenzeit; dann geht diese in den Welten-schlaf. Dann entwickeln sich heraus die Welten-Sphären, die Planeten. Sphären; die gehören dazu, wie sie jetzt sind. Daher können wir bis in die Saturn-Sphäre hinausgehen, und wir haben darin das, was sich erst zwischen der alten Monden- und Erdenzeit im Kosmos heraus­gebildet hat. Wenn wir aber den Christus-Impuls nehmen, so gehört er nicht zu dem, was sich während dieser Zeit im Kosmos heraus­gebildet hat, sondern zu dem, was schon der alten Sonne angehört hat, was von der alten Sonne sich herüberentwickelt hat, aber in der Sonne geblieben ist, als sich der alte Mond von ihr abtrennte, was sich zur Erde herüberentwickelte, aber mit der Sonne vereinigt ge­blieben ist, nachdem alle die Sphären von der Sonne sich abgewickelt haben, die im Saturn, Jupiter und so weiter drinnen sind. Daher hat die Seele außer dem, was sie vor dem Mysterium von Golgatha war, nun dasjenige in sich, das mehr ist als alles, was in den planetarischen Sphären enthalten ist, was tief im Weltenall begründet ist, was also zwar zunächst von der Sonne zur Erde heruntersteigt, aber im Geisti­gen viel tieferen Regionen angehört als die sind, welche wir in den planetarischen Sphären vor uns haben. Denn die planetarischen Sphären sind ein Ergebnis desjenigen, was aus der Entwickelung vom alten Mond zur Erde herüber geworden ist. Was uns aber aus dem Christus-Impuls zukommt, das kommt von der alten Sonne herüber, die dem alten Mond vorangegangen ist.

Daraus sehen wir, daß der äußere Kulturverlauf der Erde, indem

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er sich als Fortschritt darstellt, allerdings mit dem Kosmos zu­sammenhängt, daß aber das innere Leben in einem viel tieferen Sinne noch als das äußere Kulturleben mit dem Sonnenleben zusammen-hängt. So haben wir auch geistig in diesen ganzen Verhältnissen etwas vor uns, wovon wir sagen können: Ja, wenn wir in die Sternenwelten hlnausschauen, so erscheint uns in diesen Sternenwelten zunächst wie im Raume ausgebreitet eine Welt, welche durch die Menschenseelen, die zwischen Tod und neuer Geburt in diese Sternenwelten hinaus­gehen, wieder auflebt in der menschlichen Kultur; aber indem wir zur Sonne schauen, erblicken wir in der Sonne etwas, was so ge­worden ist, wie es heute ist, indem es selber eine lange, lange Zeit-entwickelung durchgemacht hat. Und als noch nicht von einer Be­ziehung der Erdenkultur mit den Sternenwelten geredet werden konnte, wie es heute getan werden kann, da war schon das Sonnen-leben mit dem Christus-Impuls verbunden, in einem Verhältnis zu ihm stehend, in Urzeiten, in welchen von einem Zusammenhange der Erde mit den Sternenwelten noch nicht gesprochen werden konnte. So ist gleichsam alles, was aus den Sternenwelten für die Kultur der Erde heruntergeholt wird, wie eine Art Erdenleib anzusehen, der be­seelt werden sollte - und der beseelt wurde - mit dem, was sich mit der Entwickelung der Sonne an die Erde herangelebt hat, mit dem Christus-Impuls. Die Erde ist beseelt worden, indem das Mysterium von Golgatha geschehen ist; damals hat die Erdenkultur ihre «Seele» bekommen. Was der «Tod auf Golgatha» ist, das ist scheinbarer Tod; in Wahrheit ist es die Geburt der Erdenseele. Und alles, was aus den Weltenräumen hergeholt werden kann, auch von außerhalb der Saturn-Sphäre her, das nimmt sich zur Erden-Sphäre wie der Erden-leib zur Erdenseele aus.

Das sind Betrachtungen, die uns zeigen können, wie innerhalb der Darstellung in dem Buche «Theosophie», nur mit etwas andern Wor­ten und von anderm Gesichtspunkte aus, schon das enthalten ist, was in diesem Winter gleichsam vom kosmischen Standpunkte aus, kosmo­graphisch, geschildert worden ist. Sie brauchen sich nur vorstellen, daß einmal von der Seele aus geschildert ist, das andere Mal von den großen kosmischen Verhältnissen aus, und Sie können die beiden

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Schilderungen zum vollkommenen Übereinstimmen, zum vollständi­gen Parallelismus bringen.

Was ich als einen Schluß daraus ziehen möchte, das ist, daß Sie sehen können, wie ausgebreitet die geistige Wissenschaft ist, und daß ihre Methode so sein muß, daß man von den verschiedensten Seiten her zusammenträgt, was Aufklärung über die geistige Welt bringen kann. Wenn auch erst nach Jahren etwas hinzugebracht wird zu dem, was vor Jahren gesagt worden ist, so brauchen sich die Dinge darum nicht zu widersprechen; denn sie sind nicht philosophischen Systemen oder menschlichem Nachdenken, sondern der okkulten Forschung entsprungen. Was heute gelb ist, das wird nach zehn Jahren noch gelb sein, wenn auch erst nach zehn Jahren das Wesentliche dessen, was das Gelb ist, begriffen werden wird. So gilt das, was hier in früheren Jahren vorgebracht worden ist, nach Jahren noch, auch wenn es nun durch das, was wir jetzt hinzubringen können, von neuen Gesichtspunkten aus neu beleuchtet werden kann.

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HINWEISE

Zu der Zeit, als Rudolf Steiner diese vortrage hielt, stand er mit seiner anthroposopbiseh orientierten Geisteswissenschaft noch innerhalb der damaligen «Theosophischen Gesellschaft» und gebrsuchte die Worte «Theosophie» und «theosophisch», jedoch immer im Sinne seiner von Aafang an anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft.

Einer späteren Angabe Rudolf Steiner' gemäß sind hier diese Bezeichnungen im all­gemeinen ersetzt durch «Geisteswissenschaft» oder «Anthroposophie», «geisteswissen­schaftlich» oder «anthroposophisch».

Zu Seite:

9 unsere diesjährige Münchener Veranstaltung: Siehe den Zyklus: «Von der Initiation. Von Ewigkeit und Augenblick. Von Geisteslicht und Lebensdunkel.» Acht Vorträge, München 25.-31. August 1912. Gesamtausgabe Domach 1959.

11 «Der Hüter der Schwelle»: Seelenvorgange in szenischen Bildern in: «Vier Myste­riendramen». Gesamtausgabe Dornach 1956.

die Betrachtung über die Reihe der Evangelien in Basel: Siehe «Das Johannes-Evan­gelium». Acht Vortrage, 16.-25. November 1907. «Das Lukas-Evangeliom.» Zehn Vortrage, 15.-26. September 1909, Gesamtausgabe 1955. «Das Markus-Evangelium.» Zehn Vortrage, 15.-24. September 1912, Gesamtausgabe Dornach 1960.

«Das Ch,istentum als mystische Tatsache und die Mysterkn des Altercums.» 1902, Ge­samtausgabe Dornach 1959.

vor der Begründung der «Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft», im Jahre 1902. Rudolf Steiner war deren Generalsekretär, bis durch die Begründung der Anthroposophischen Gesellschaft 1912/13 deren Loslösung erfolgte.

15 ein gewisser Norbert: der Heilige Norbert, um 1085-1134, Kaplan Kaiser Hein­richs V., durchzog seit 1118 als Bußprediger Frankreich und die Niederlande und gründete 1121 den Orden der Pramonstratenser (Norbertiner), nach dem Kloster im Tal Prémontré (Praemonstratum) zwischen Reims und Laon. Er wurde 1126 Erzbischof von Magdeburg.

Christian Rosenkreutz: Siehe den zweiten Vortrag von: «Das rosenkreuzerische Christentum», Neuchâtel, 28. September 1911, im Bande «Das esoterische Chri­stentum und die geistige Fühitung der Menschheit», Gesamtausgabe Dornach

1962.

26 Arthur Schopenhauer, 1788-1860. Der angeführte Satz ist das Motto zu seiner «Preisschrift über die Grundlage der Moral», 30.Januar 1840.

44 Christus ist gestorben nicht bloß für die Juden, sondern auch für die Heiden: Apostel-geschichte 26, 23.

46 «Wo zwei oder drei in meinem Namen sich vereinen wollen, kann ich mitten unter ihnen sein»: Matth. 18, 20.

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Zu Seite:

46 «Ihr seid Götter»: Job. 10, 34 zitiert Psalin 82, 6 (Luther), 81, 6 (jüdisch und ka-tholisch).

«Ihr werdet sein wie Gott»: I. Mose 3, 5.

64 den Schillersche," Awsp"uch: Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren. Was sie willenlos ist, sei du es wollend - das ist's Gedichte der dritten Periode.

66/67 Im 12. Jahrhundert entstund im Abendlande eine schöne Parabel. - Noch schöner ist sie dargestellt von Jakob Balde: neulateinischer Dichter, geb. 1604 in Ensisheim im Elsaß, gest. 1668 in Neuburg a.D,, trat 1624 zu München der Gesellschaft Jesu bei. Eine große Anzahl von Gesängen, die Herder nachdichtete, erschien in dessen «Tetpsichore» 1795, darin auch eine Beschreibung seiner Werke, «Keno­tsphiu'n des Dichters Jakob Balde» von Herder.

89 Betrachtungen über das Weih"achtsftst: das möchte ich für Dienstag aufbewahren: Siehe den Vortrag vom 24. Dezember 1912: «Betrachtungen über den Weihnachts­abend. Die Geburt des Erdenlichtes aus der Finsternis der Weihenacht.»

96 Nikolaus Kopernikus, 1473-1543.

104 Die Nachsehrift zum sechsten Vortrag ist verlorengegangen. Bei dieser Neu­herausgabe konnte sie deshalb nicht zum Vergleich herangezogen werden. Der Text stützt sich auf die erste Manuskriptvervielfältigung, Berlin 1916, und die erste Buehausgabe, Dornach 1936.

105 Mysterium vom Heiligen Gral: Siehe den Vortragszyklus: «Christus und die geistige Welt - Von der Suche nach dem Heiligen Gral.» Sechs Vortrage, Leipzig 28.-31. Dezember 1913, 1., 2. Januar 1914. Gesamtausgabe Dornach 1960.

114 die kleine Schrift: «Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissen­schaft»: Siehe «Luzifer-Gnosis. Gesammelte Aufsätze und Berichte aus der Zeit­schrift und , 1903-1908». Gesamtausgabe Domach 1960. Siehe auch die Einzelsusgaben.

119 Damit haben wir die zwei Evolutionen im Menschen kennengelernt: Bezüglich des «innen» und «außen», «außen» und «innen» stützt sich der Text dieser Buch-ausgabe auf die Übertragung des Stenogramms in Maschinenschrift.

124 «Lieber ein Bettler sein in der Oberwelt, als ein König im Reiche der Schatten», Homer, Odyssee XI. 489491.

125 Vertragszyklus: «Von Jesus zu Ch'istus.» Zehn Vortrage, Karlsruhe 4.-14. Ok­tober 1911. Gesamtausgabe Dornach 1958.

148 wie es hier in diesem Raume ist: Von Dr. Steiner ging zuerst die Anregung aus, den Vortragssälen und -raumen, in denen geisteswissenschaftlich gearbeitet wurde, aber auch Krankenzimmern in Kliniken, durch einen einheitlichen, ruhig kräfti­gen Farbton eine entsprechende Raumstimmung zu geben.

151 die Schriften Büchners oder Vogts: Ludwig Büchner, 1824-1899. «Kraft und Stoff,

Naturphilosophische Untersuchungen auf tatsächlicher Grundlage», Frankfurt

1855. «Nätur und Geist», Leipzig 1876. «Die Darwinsche Theorie», Leipzig

1890, und andere mehr.

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Zu Seite:

Carl Vogt, 1817-1895. «Köhlerginuhe ,md Wissenschaft», Gießen 1855. «Vor-lesungen über den Menschen, seine Stellung in der Schöpfung und in der Ge­schichte der Erde», Gießen 1863, und andere mehr.

170 welche in meiner «Theosophie» mitgeteilt ist: Siehe Rudolf Steiner «Theosophie, Ein-führung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenhestimmung». Gesamt­ausgabe Dornach 1955.

177 Schilderung ... in meiner «Theosophie»: Rudolf Steiner Zitierte nach der Ausgabe von 1910. Die Seitenangaben beziehen sich auf die Ausgabe von 1961.

180 womit wir unsere theosophische Arbeit vor mehr als zehn Jahren begonnen haben: Als Generalsekretär der Deutschen Theosophischen Sektion vertrat Rudolf Steiner von Anfang an seine eigene geisteswissenschaftliche Forschung. Nach der Tren­nung von der Theosophischen Gesellschaft nannte er sie «Anthroposophie». Diesen Namen benutzte Rudolf Steiner jedoch schon in einem Vortrag, den er am 20. Oktober 1902 hielt, in der Zeit, als er zum Generalsekretär ernannt wurde.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.