GA 130

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Das esoterische Christentum
und die
geistige Führung der Menschheit

Dreiundzwanzig Vorträge,
gehalten in den Jahren 1911 und 1912
in verschiedenen Städten

GA 130

1995

Inhaltsverzeichnis


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VORWORT Marie Steiner

Die von H. P. Blavatsky begründete Theosophische Gesellschaft hatte die Aufgabe, dem in Europa erwachten Interesse für die orienta­lische Geistigkeit, welches in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts durch Schopenhauer und andere bedeutende Denker mächtig an­geregt worden war, einen okkulten Einschlag zu geben. « Secret doctrine» die Geheimlehre von H. P. Blavatsky war das Auf­sehen erregende Werk, durch welches die Theosophische Gesellschaft rasche Ausbreitung in den englisch sprechenden Ländern gefunden hatte. Das Christentum wurde darin nicht berücksichtigt. Ein Versuch rosenkreuzerischer Okkultisten, das Christentum in den Mittelpunkt der neuen Strömung zu stellen, bei welchem man sich der medialen Eigenschaften der Verfasserin bedient hätte, war schon früher ab­gebogen worden. Es galt aber, morgenländische und abendländische Weistümer miteinander in Einklang zu bringen. Uralte Weisheit der Vergangenheit sollte weiterleben in der Zukunftsgestaltung der Menschheit, deren Erlösung durch das Mysterium von Golgatha gewährleistet war. In der gleichen Weise, wie einst das noch junge, glaubensfrohe Christentum Europas mit der Welle des Arabismus die Wissenschaft in sich aufgenommen hatte und Naturanschauung sich dadurch zu Naturwissenschaft entfaltete, so mußte jetzt die dem Materialismus verfallene und ausgedorrte gegenwärtige Menschheit wiederbelebt werden durch die Durchdringung mit Erkenntnissen uralter Weisheit. Es geschah auf dem Wege des Bekanntwerdens mit der buddhistischen Philosophie und führte dazu, daß die Lehre von Karma und Reinkarnation von vielen Seelen aufgenommen und be­griffen werden konnte. Die wissenschaftlichen Arbeiten von Max Müller, Deußen und anderen bedeutenden Philosophen erschlossen den Europäern eine Welt überwältigender Geistigkeit und lebensvoller Imaginationen. Doch der Schlüssel zum Erfassen dieser Welten mußte der intellektuellen Wissenschaft noch gegeben werden. Dazu

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genügte das Werk Blavatskys und ihrer Schüler nicht; es mußten dazu geeignete Persönlichkeiten als Vermittler gefunden werden. H. P. Blavatsky war durch die besondere Beschaffenheit ihres leib­lichen Organismus ein Werkzeug gewesen, das den Einflüssen aus geistigen Welten besonders zugänglich war. Ihre starke Willenskraft machte sie geeignet für die Durchführung schwerer Aufgaben im Dienste der Menschheit; ihr Denken war sprunghaft; ihr Charakter artete aber oft in Leidenschaftlichkeit aus, und wenn ihr Tempera­ment durchbrach> gab es Katastrophen und sogar Umwandlung der Zielrichtung. Man kann schon sagen: als geistig durchlässiges Instru­ment wurde von okkulter Seite her um sie gekämpft.

Um das Wissen von den okkulten Welten zu einer Wissenschaft des Geistes umzuwandeln, die durch ernsthaftes Studium allmählich von den Menschen erobert werden könnte, mußte sich ihm ein Mensch widmen, der Charakter und Temperament vollkommen in seiner Gewalt hatte und das gesamte Wissen seiner Zeit überschauen und handhaben konnte, der die einzelnen Wissensgebiete in einem Maße beherrschte, das ihn befähigte, Rede und Antwort zu stehen auf die Einwände der schärfsten Kritik. Ein eiserner und doch gelockerter physischer Organismus mußte ihm zu Gebote stehen, um den gegen ihn anstürmenden Angriffen standzuhalten.

Dieser Mann fand sich in Rudolf Steiner. Seine Jugend verlebte er, man kann sagen, in geselliger Einsamkeit und unablässigem Studium. Seinen Lebensunterhalt bestritt er, kaum der Kindheit entwachsen, durch Stundengeben, und dann als Erzieher. Aus diesem Lebens­unterbau heraus formte sich noch in jungen Jahren seine Tätigkeit als Vortragender und Schriftsteller. Da das Leben im Geiste ihm das Natürliche war, stellte er sich ganz bewußt die Aufgabe, sich selbst alle Einwendungen zu machen, die der kritische Materialist den Offen­barungen des Geistes entgegenbringt, und nichts sich zu ersparen, was auch nur im geringsten ein Abweichen von dieser Linie wäre. Das nannte er in die Haut des Drachen hineinkriechen. Dies schwere Ringen erschien ihm wie eine Pflicht. Denn sonst hätte er sich nicht das Recht zuerkannt, den schweren Kampf für die Menschheit durch­zukämpfen: den Sieg des Geistes über die abstrakte Intellektualität zu

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erringen. Erst dann könnte er die Tat des Buddha mit der Tat des Christus als ein harmonisches Ganzes hinstellen; erst dann würde er die Wege der Erlösung durch die Christus -Tat weisen können, wenn er selbst den inneren Widersacher auf dessen verborgenen Schleich­wegen besiegt hätte. So gerüstet, trat er als Exponent der uralten Weisheitslehre auf, so wie sie sich ihm im Lichte der Christus -Tat offenbart hatte.

Die Theosophische Gesellschaft war alarmiert. Sie sah die tiefe Wirkung der Lehre Dr. Steiners auf die Christus suchenden Seelen. Sie wollte ihre Mitglieder nicht dem expomeren; sie nicht der Gefahr aussetzen, die Lehre Dr. Steiners aufzunehmen und dadurch der orientalisierenden Strömung untreu zu werden. Seine Themen für den damals in Genua anberaumten Kongreß der Föderation euro­päischer Sektionen hatten zum Inhalt: die buddhistische Weisheit und die abendländische Esoterik. Diesen Inhalten hatten sie entgegen-gestellt den nun in einem indischen Knaben, ihrer Lehre nach, im Fleisch inkarnierten Christus Jesus. Ein so klaffender Unterschied gab keinen gemeinsamen Boden ab für wissenschaftliche Auseinander­setzungen, wie sie während des Kongresses in Genua hätten gepflogen werden sollen, und schienen jetzt, wo man die Bedeutung Rudolf Steiners erkannt hatte, ein viel zu gefährliches Unternehmen. Es war besser, den heißen Boden gar nicht zu betreten. Der Kongreß wurde aus undurchschaubaren Gründen in letzter Stunde abgesagt.

Und Dr. Steiner, der wie manche andere schon nach Italien abgereist war, konnte nur in Zweigversammlungen im intimen Kreise sprechen. Für Stenographen konnte nicht mehr gesorgt werden. Es ist aber doch das Wesentliche festgehalten durch die liebevolle Hin­gabe einiger nachschreibender Mitglieder, deren Hand natürlich gegen Schluß des im Feuer der Begeisterung gesprochenen Wortes erlahmen mußte. Wir gedenken hier besonders anläßlich des Locarnoer Vor­trages und der in Neuenburg gehaltenen unserer lieben Mitarbeiterin:

der 1942 in einem der Konzentrationslager an einerLungenentzündung dahingeschiedenen Agnes Friedländer. Sie gehörte zu denen, deren Seele besonders tief ergriffen worden war von den im Christus-Mysterium lebenden Umwandlungsimpulsen.

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Anschließend an das für Genua gewählte Thema «Von Buddha zu Christus» ergab es sich in den jetzt gehaltenen Vorträgen wie selbst­verständlich, daß nicht nur die früheren, sondern auch die dauernden Beziehungen zwischen dem Buddha und dem Christus Jesus, wie sie von der Essäer-Weisheit in den Evangelien angedeutet werden, in ihren geisteswissenschaftlichen Zusammenhängen beleuchtet wurden. Das ist> was diesen Betrachtungen den besonderen Charakter verleiht, der ohne die Darlegung des geschichtlichen Werdegangs der Myste­rienweisheit nicht hätte hervorgehoben werden können.

Aber die Vorträge selbst sind uns in ihrer Ganzheit nicht erhalten, wir haben keine guten Nachschriften. Wie ein Gegenschlag von seiten der Widersachermächte mutet uns dies an, daß kein bewährter und seiner Sache sicherer Stenograph da war. Es sind neben den ge­kürzten Kasseler Vorträgen zum Teil nur Bruchstücke, zum Teil zusammengestückelte Notizen. Aber die wesentlichen Richtlinien sind erhalten. Es ist der Versuch gemacht worden, sie in einen Zusammen­hang zu bringen. Der Versuch gelingt nicht immer in stilistisch über­zeugender Form, aber um so mehr wird der Geist zur Schärfung der Denkkraft aufgerufen und zum Studium angeregt.

Neben der Betonung des besonderen Charakters der nachchrist­lichen Geisteswissenschaft war das Ziel der 1911 und 1912 gehaltenen Vorträge: die Bedeutung des Karma als Schicksalsverlauf hervor­zuheben und uns in seine Intimitäten eindringen zu lassen. Hat auch der Gesamtduktus jener Betrachtungen nur in Erinnerungsbildern festgehalten werden können für die logischen Zusammenhänge waren die Nachschriften oft zu knapp, und die hier und da gesammel­ten Notizen und Stichworte sind eher Merkzeichen , so ist doch die Richtung der von Dr. Steiner gegebenen geistigen Impulse gewahrt und rechtfertigt vielleicht den Versuch dieser Zusammenstellung; sie können durch meditative Arbeit, unsere Seelen vertiefend, in uns weiterwirken.

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DER CHRISTUS-IMPULS IM HISTORISCHEN WERDEGANG Lugano, 17. September 1911 Erster Vortrag

Da wir uns doch so selten hier sehen, werden wir zuerst etwas Allgemeines besprechen. Und dann können wir ja, weil wir in so kleinem, vertrautem Kreise beisammen sind, eingehen auf diese oder jene Wünsche, die zum Ausdruck kommen könnten. Es wird gut sein, etwas über das Wesen des Menschen im Zusammenhange mit dem ganzen Wesen unserer Welt, der großen Welt, im allgemeinen zu besprechen. Und zwar soll in dieser Stunde dieses Wesen des Menschen weniger so besprochen werden> wie es zum Beispiel in meinem Buche «Theosophie» geschieht - da heraus kann ja jeder sich genügend Kenntnis verschaffen -, sondern wir wollen heute einen Blick werfen auf die menschliche Wesenheit mehr von dem Innern des Menschen aus.

Wenn wir ab und zu über uns als Menschen nachdenken, so muß uns ja von vorn,herein auffallen, daß wir die Welt ringsherum anschauen durch unsere Sinne, Eindrücke von ihr bekommen und dann über die Welt nachdenken. Diese zwei Glieder der menschlichen Wesenheit werden uns ja immerzu vor die Seele geführt. Wenn wir zum Beispiel abends unser Licht ausgelöscht haben und, bevor wir einschlafen, uns noch einmal die Eindrücke des Tages durch die Seele ziehen lassen, dann wissen wir ja: Den Tag über hat die Welt auf uns gewirkt. Jetzt können nur die Erinnernngsbilder der Eindrücke des Tages in unserer Seele auf und ab wogen. Jetzt - das wissen wir - denken wir nach, jetzt sind wir schon mit unserer Seele in den Nachklängen dessen, was sich durch die äußeren Eindrücke so in uns abspielt. Wenn wir von den gewöhnlichen trivialen Beziehungen absehen, bezeichnen wir dasjenige, was in unserer Seele so abläuft wie eine Erinnerung an den Tag, als das Individuelle. Dadurch, daß wir inteffigente individuelle Menschen sind, intellektuelle Wesen sind als Menschen, nur dadurch sind wir ja imstande, die Welt in Bildern an uns vorüberziehen zu lassen, wie das eben angedeutet worden ist.

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Nun, für unser Geistesleben ist dies Individuelle innig verbunden mit den äußeren Eindrücken. Wenn wir während des Tages die Welt beobachten, so fließen ja fortwährend die Sinneseindrücke und die Gedanken, die wir haben, durcheinander. Und abends, wenn wir keine Sinneseindrücke mehr haben, aber dann die Eindrücke durch unsere Seele ziehen lassen, wissen wir ganz genau: Das sind die Bilder dessen, was wir draußen erleben. Es fließen zusammen unsere Eindrücke von der Außenwelt und dasjenige, was wir sind als individuelle Menschen. Das fließt zusammen. Nun gibt es ja, wie wir alle wissen, eine Möglichkeit, dieses innere individuelle Element in uns immer lebendiger und lebendiger> immer exakter und exakter zu gestalten. Und das geschieht durch die uns schon bekannten Mittel, die geschildert sind zum Beispiel in meiner Schrift: «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?». Das ist ja das erste, was man als Erfahrung im inneren Leben machen kann, daß man fühlt, man ist nicht mehr mit seinen Gedanken unbedingt abhängig von der äußeren Welt. Wenn sich jemand zum Beispiel Gedanken machen kann über dasjenige, was auf Saturn, Sonne und Mond geschehen ist, dann hat er solche hohen Gedanken. Denn natürlich kann kein Mensch äußere Eindrücke, Eindrücke äußerer Art von dem erhalten, was auf dem alten Saturn, der alten Sonne und dem alten Mond geschehen ist. Wir brauchen nicht so weit zu gehen. Wenn wir in stiller Stunde uns fragen: Wieviel hat sich in meinen Begriffen seit meiner Jugend geändert? - so ist das schon gegenüber der Welt ein selbständiges Verhalten im individuellen Elemente. Wenn wir uns Lebensansichten, Maximen bilden, fühlen wir, daß wir mit dem intellektuellen Elemente selbständiger werden. Dieses Selbständigerwerden in dem individuellen intellektuellen Elemente hat eine große Bedeutung für den Menschen. Denn was bedeutet das Selbständigerwerden? Was bedeutet es, wenn der Mensch durch das Erleben selbst - von Dingen, die unabhängig sind von äußeren Eindrücken -, nicht durch Lehren, nicht durch Theorien> sich Lebensmaximen aneignet? Das bedeutet, daß er in seinem Ätherleib selbständiger wird. Das ist der erste Anfang eines langen Prozesses. Der Anfang ist so, daß der ~Iensch gar nicht merkt, daß er seinen Ätherleib eine Spur heraufhebt; das

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Ende ist, daß er ihn ganz unabhängig machen kann von dem physischen Leib.

Während der Anfang ein ganz leises Selbständigwerden ist, so ist das Ende ein völliges Herausziehen des Ätherleibes und ein Wahrnehmen mit dem Ätherleib. Wir nehmen dann mit diesem selbständigen Ätherleib wahr in der Umgebung. Dieses Wahrnehmen können wir auch dann haben, wenn wir noch nicht sehr weit sind im inneren mystischen Erleben. Wir können uns das deutlich und bis zu einem gewissen Grade verständlich machen, wenn wir uns erinnern, wie unser Wahrnehmen im physischen Leibe ist. Mit unserem physischen Leib nehmen wir wahr durch unsere Sinne, welche selbständig sind. Unsere Augen sind selbständig, unsere Ohren sind selbständig. Wir können die Welt der Farben und die Welt der Töne selbständig wahrnehmen. Das können wir nicht, wenn wir mit unserer Intelligenz wahrnehmen. Im Falle der Intelligenz ist alles Einheit, nichts in Bezirke abgegrenzt. Wir können nicht wie in einzelnen Sinnesbezirken mit Ätheraugen und Ätherohren wahrnehmen, sondern wir schauen die Ätherwelt im allgemeinen. Und wenn wir anfangen, etwas davon zu sagen, so können wir schildern, wie einheitlich umfassend das ätherische Erleben wirkt. Ich will nicht davon sprechen, daß das Erleben viel weiter gehen kann, sondern nur aufmerksam darauf machen, daß der Mensch, wenn er wahrnimmt, wie sich Lebensmaximen bilden, dadurch etwas wahrnehmen kann von den ätherischen Elementen.

Wer in die ätherische Welt hineinschaut und nach und nach sich klar werden kann darüber, daß es solch eine höhere Welt gibt, kann von innen heraus eine Überzeugung bekommen, daß dem physischen Leib ein Ätherleib zugrunde liegt. Sobald die Rede darauf kommt, daß es so etwas gibt wie einen Ätherleib, müssen wir schon die Orientierung bekommen durch bedeutende Aufschlüsse und durch Dinge, die wir gewissermaßen erleben. Sobald man weiß, daß ein Ätherleib den physischen Leib durchdringt, wird man es nicht mehr unverständlich finden, wenn der Okkultist sich in seiner Weise darüber äußert, was eine Lähmung ist: Da tritt auf abnorme Weise das ein, was sonst durch normale Schulung geschieht. Es kann einem Menschen passieren,

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daß sein Ätherleib sich zurückzieht vom physischen Leibe. Der physische Leib wird dann selbständig. Da ist die Möglichkeit einer Lähmung gegeben, denn der physische Leib ist seines belebenden Ätlierleibes dann beraubt. Aber wir brauchen nicht einmal bis zu der Erscheinung der Lähmung zu gehen, sondern wir können auch in seiner alltäglichen Erscheinung das Leben besser begreifen. Was ist zum Beispiel ein Faulenzer? Ein Faulenzer ist ein solcher, der die Kräfte seines Ätherleibes von Geburt an schwach hat oder der sie geschwächt hat durch Vernachlässigung. Das versucht man dann dadurch zu korrigieren, daß man den physischen Leib seiner bleiernen Schwere entkleidet und in irgendeiner Weise leichter macht. Eine wahre Kur kann jedoch nur vom astralischen Leibe ausgehen; der wird durch Anregung belebend wirken auf den Ätherleib. Doch noch etwas anderes muß man sich klarmachen. Der Ätherleib ist eigentlich der Träger unseres gesamten Intellektes. Wenn wir abends ein- schlafen, bleiben eigentlich im Ätherleib alle unsere Vorstellungen, Erinnerungen. Seine Gedanken läßt der Mensch im Ätherleib zurück und trifft sie erst morgens wieder an. Indem wir den Ätherleib ablegen, legen wir das ganze Gefüge unserer Erlebnisse ab.

Dieser Ätherleib ist aber auch so geschaffen, daß wir in ihm wirklich klar wahrnehmen können, wenn wir ihn geisteswissenschaftlich untersuchen, daß der Mensch eigentlich viel, viel mehr Veränderungen im Laufe der Zeit unterworfen ist, als man glaubt. Nicht wahr, das wissen wir alle, daß der Mensch durch seine Inkarnationsperioden hindurch- gegangen ist. Es ist nicht sinnlos, daß wir immer wieder und wieder inkarniert werden. Der Blick des Menschen ist kurzsichtig. Man hat den Glauben, daß die Menschen so` wie heute immer organisiert gewesen sind. Die menschliche Organisation ändert sich von Jahr- hundert zu Jahrhundert, es ist nur nicht möglich, das auf äußerem Felde zu untersuchen. Im Vorderhirn sitzt ein Organ, in feinen Windungen liegend, das sich erst seit dem vierzehnten, fünfzehnten Jahrhundert herausgebildet hat. Es ist eine organische Form für das rein intellektuelle Leben dieser Jahrhunderte. Wie es unmöglich ist, daß im Gehirn eine solche Einzelheit sich ändert, ohne daß eigentlich, wenn auch im kleinen, die gesamte menschliche Organisation sich

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ändert, das können wir uns ja denken. So daß tatsächlich von Jahrhundert zu Jahrhundert die menschliche Organisation Veränderungen aufweist. Doch ist die Änderung in dieser Beziehung nur durch das Verfolgen der Akasha-Chronik zu konstatieren. Und da lassen sich am besten die Veränderungen im Ätherleib verfolgen. Da sehen wir, wie die Menschen im alten Griechenland oder im alten Ägypten ganz andere Ätherleiber gehabt haben. Die gesamten Strömungen waren anders.

Nun möchte ich, um auf einen Gedanken zu kommen, welcher für uns fruchtbar sein kann, zunächst eine kleine Zwischenbemerkung einschalten, darauf aufmerksam machen, daß man ja schon im gewöhnlichen Leben eine Mehrheit von Welten annehmen kann. Der Mensch sinkt in Schlaf, ohne zu wissen, daß er in einer andern Welt ist. Daß er sie verschläft, nichts davon weiß, ist kein Beweis, daß sie nicht besteht. In jene Welt ragen aber die anderen Welten in einer gewissen Weise hinein. Wenn der Mensch in der physischen Welt ist, nimmt er durch die Sinne wahr; wenn er sich in sich zurückzieht, nicht: dann hat er eine intellektuelle Welt, und diese grenzt an die physische heran. Doch findet er in sich selber außer dem schon entwickelten intellektuellen Elemente noch zwei ganz andere, davon verschiedene. Kann der Mensch diese anderen Elemente entwickeln?

Eine einfache Besinnung kann zeigen, daß es eine eigenartigere Welt des inneren Lebens gibt als die des bloßen Nachdenkens. Sie ist da, wenn wir uns sagen können: Wir fühlen als Menschen moralis,ch. Das ist die Welt, wo wir mit ganz bestimmten Erlebnissen ein sympathisches oder antipathisches Gefühl verbinden. Dieses geht über das intellektuelle Erleben hinaus. Jemand erweist einem andern W9hl- wollen, und das gefällt uns, oder Übelwollen, und das mißfällt uns. Das ist ganz etwas anderes als das bloß intellektuell Erfahrene. Das bloße Nachdenken kann in uns nicht erstehen lassen das Gefühl, ob eine Handlung moralisch oder unmoralisch ist. Es kann intellektutll höchst verständnisreiche Naturen geben, die keinen Sinn haben für das Abstoßende einer rein egoistischen Handlung. Das ist eine Welt für sich, dieselbe Welt, die wir auch gewahr werden, wenn wir das Schöne und Erhabene in Kunstwerken bewundern oder das Häßliche

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abstoßend finden. Was uns an Kunstwerken erhebt, das können wir nicht mit dem Intellekt, sondern nur mit unserm Seelenleben erfassen. So können wir sagen: Es ragt dadurch etwas herein in unser Leben, was über das Intellektuelle hinausgeht. Wenn ein Okkultist eine Seele beobachtet in einem solchen Momente, wo sie Abscheu empfindet vor einer unmoralischen Handlung, oder Wohlgefallen an einer moralischen, so durchläuft diese einen höheren Grad des Seelenlebens. Das bloße Nachdenken ist ein niedrigerer Grad des Seelenlebens als das WoMgefallen oder Mißfallen an moralischen oder unmoralischen Handlungen. Wenn so der Mensch im erstarkten Ätherleibe ein intensiveres Gefühl für Moralisches und Unmoralisches erringt, so ist da nicht bloß ein ständig Stärkerwerden des Ätherleibes zu konstatieren, sondern ein Stärkerwerden des Astralleibes, ein besonderes Anspornen der Astralkräfte. So daß wir sagen können: Ein Mensch, der besonders fein empfindet gegenüber moralischem und unmoralischem Handeln, wird sich ganz besonders starke,Kräfte im Astralleib erringen, während derjenige, der seinen Ätherleib nur intellektuell erhebt - etwa durch Übungen, welche die Gedächtnis kraft stärken -, wohl sehr weit im Hellsehen sich entwickeln kann, aber nicht aus der ätherisch-astralen Welt herauskommen wird, weil in ihm bloß das intellektuelle Element wirksam ist. Will man über die astralische Welt hinauskommen, so muß man solche Übungen machen, die Sympathie zu moralischen und Antipathie gegen unmoralische Handlungen zum Ausdruck bringen. Dann steigen wir in der Tat zu einer Welt auf, die im andern Sinne als bloß astral hinter unserer Welt ist. Wir steigen dann auf in die himinlische Welt. So daß wir sagen können: In der großen Welt des Unsichtbaren entspricht die himmlische Welt des Makrokosmos dem, was in uns lebt gegenüber den moralischen oder unmoralischen Eindrücken, die astralische Welt des Makrokosmos dem, was in uns ist in der intellektuell-physischen Wahrnehmung der physischen Welt. Das, was im intellektuellen Element zur Entwickelung kommt, entspricht der astralischen Welt, dasjenige, was sich entwickelri läßt gegenüber der moralischen oder unmoralischen Handlung, entspricht der himmlischen Welt, der Devachanwelt.

Dann gibt es noch ein weiteres Element in der menschlichen Seele.

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Es ist noch ein Unterschied zwischen dem moralischen Handeln, das gefällt, und dem, daß man sich verpflichtet fühlt, dasjenige, was einem als moralisches Handeln gefällt, auch zu tun und das Nicht-Moralische zu unterlassen. Das Sich-verpflichtet-Fühlen, das ist für den Menschen das Höchste, wozu der Mensch es heute auf der Welt bringen kann.

Was wir als eine Stufenleiter der Menschenseele anzusehen haben, ist also:

1. Der sinnliche Mensch.

2. Der intellektuelle Mensch. Das ist der, welcher der ersten unsichtbaren Welt gegenübersteht.

3. Der moralisch empfindende ästhetische Mensch, der Gefallen oder Mißfallen empfindet an moralischem und unmoralischem Handeln. Dem entspricht draußen die niedere Devachanwelt.

4. Der moralisch sich Betätigende.

Dem, daß der Mensch das, was er innerlich als höchste moralische Impulse empfindet, auch tut, entspricht draußen die höhere DevachanweIt> die Vernunftwelt, wo die Wesenheiten herrschen, die das absolut Vernünftige in der Welt repräsentieren. Wenn der Mensch erfassen kann, daß in der Welt seiner moralischen Impulse ein Schattenbild vorhanden ist von der höchsten Welt, aus der er heraus ist, dann hat er viel begriffen vom Makrokosmos.

So haben wir die physische Welt und die Welt des Verstandes, die moralische Welt oder die himmlische Welt des niederen Devachan, und die Vernunftwelt oder höhere Devachanwelt. Die kosmischen Welten werfen in uns die Schattenbilder der Sinneswelt: die intellektuelle Welt, intellektuelles Hellsehen; die ästhetischeWelt: moralisches Empfinden; die Vernunftwelt: moralische Impulse zur Tat. Durch eine Art Selbsterkenntnis kann der Mensch diese verschiedenen Stufen in sich wahrnehmen.

Nun, diese ganze Konfiguration des Menschen hat sich im Laufe der Zeiten eben geändert. Wie der Mensch heute ist, so war er durchaus nicht in der alten griechischen oder in der alten ägyptischen Zeit. Damals, in der Zeit des alten Griechentums, war der Mensch so, daß höhere Wesenheiten das seelische Element in ihm lenkten, daher

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empfand der damalige Mensch etwas wie eine selbstverständliche Verpflichtung gegenüber jenen Wesenheiten. Jetzt sind wir in der Zeit, wo der Mensch durch das intellektuelle Element gelenkt wird, und daher empfindet der Mensch etwas wie eine ästhetisch-moralische Verpflichtung. Damals aber wäre es unmöglich gewesen, daß irgend jemand gedacht hätte, wenn etwas als moralischer Impuls da ist, wäre es möglich, etwas anderes zu tun. Noch in Griechenland empfand man gegenüber dem Gefallen und Mißfallen so, daß man dementsprechend auch handeln mußte.

Nun kamen die neueren Zeiten, wo der Mensch sich nicht einmal dem ästhetischen Element gegenüber verpflichtet fühlt, was sich ja ausdrückt in dem Spruch: Über den Geschmack läßt sich nicht streiten. - Aber mit solchen, die den Geschmack ausgebildet haben, wird man sich wohl einigen können.

Das, was man früher auf moralischem und ästhetischem Gebiete empfand, das empfindet man heute als notwendig auf intellektuellem Gebiete: eine gewisse Führung zu haben, so daß man nicht denken kann wie man will, sondern nach den Denkgesetzen der Logik sich zu richten hat. Damit sind wir aber auf die niederste Stufe gekommen, die an menschlichen Erlebnissen da ist. Jetzt stehen wir an der Übergangsstufe, wie wohl zu bemerken ist. Wenn wir nämlich die letzten Jahrtausende nehmen, so sehen wir, daß der physische Leib der Menschen immer trockener und trockener wird, daß der Mensch eben anders geworden ist. Vor anderthalb Jahrtausenden war der physische Leib wesentlich weicher und biegsamer. Der physische Leib ist immer härter geworden. Dagegen ist auch in dem Ätherleib etwas ganz anderes geschehen, etwas, was der Mensch eben darum weniger er- leben konnte, weil dieser Ätherleib eine Entwickelung nach aufwärts durchgemacht hat. Es ist bedeutsam, daß wir an dem wichtigen Zeitpunkte stehen, wo der Mensch gewahr werden muß, daß sein Ätherleib ein anderer werden soll. Das ist das Ereignis, welches gerade im zwanzigsten Jahrhundert sich abspielen wird. Während auf der einen Seite das Stärkerwerden des intellektuellen Elementes sich geltend macht, wird auf der anderen Seite der Ätherleib so viel selbständiger, daß die Menschen es werden merken müssen. Noch haben die Menschen

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eine Zeitlang nach dem Christus-Ereignis nicht so intellektuell gedacht wie die heutigen Menschen. Dieses Denken im Intellektuellen bewirkt, daß der Ätherleib immer selbständiger wird, daß er auch als selbständiges Instrument gebraucht wird. Und dabei kann bemerkt werden, daß er im geheimen eine Entwickelung durchgemacht hat, welche das Gewahrwerden des Christus im Ätherleib ermöglicht. So wie der Christus dazumal physisch gesehen wurde, wird er jetzt ätherisch geschaut werden können. So daß in diesem zwanzigsten Jahrhundert wie ein natürliches Ereignis ein Schauen des Christus eintritt, wie Paulus ihn gesehen. Es wird eine Anzahl von Menschen töm Ätherischen den Christus sehen können. So daß man ihn auch kennen wird, den Christus, wenn alle Bibeln verbrannt wären. Wir brauchen dann keine Überlieferung, denn wir sehen Ihn, wir schauen Ihn. Und das ist ein Ereignis von einer ähnlichen Bedeutung wie dasjenige, das sich auf Golgatha abgespielt hat. Immer mehr und mehr Menschen werden in den nächsten Jahrhunderten dazu kommen, den Christus zu schauen. Die nächsten drei Jahrtausende auf Erden werden einer solchen Entwickelung gewidmet sein, daß der Ätherleib immer sensitiver wird, daß gewisse Menschen dieses und andere Ereignisse erleben werden. Ich will nur ein Ereignis noch erwähnen: daß immer mehr Menschen da sein werden, die irgend etwas tun wollen, und dann den Drang haben werden, damit zurückzuhalten. Dann tritt eine Vision auf, und die Menschen werden immer mehr und mehr gewahr werden: Das, was eintreten wird in der Zukunft, ist die karmische Folge von dem, was ich getan habe. Einige Vorzügler - ich möchte dieses Wort bilden in dem Sinne wie Nachzügler - sind schon so weit, daß sie solche Dinge empfinden. Insbesondere bei Kindern tritt derartiges auf.

Es ist ein großer Unterschied zwischen dem, was die geschulten Hellseher erleben, und dem, was hier geschildert wird, was naturgemäß erlebt wird. Der geschulte Hellseher erlebt den Christus seit undenklichen Zeiten durch gewisse Übungen. Auf dem physischen Plan, wenn ich da einem Menschen begegne, so habe ich ihn vor mir; hellseherisch kann ich ihn wahrnehmen an ganz anderen Orten, da trete ich ihm nicht unmittelbar gegenüber. Hellseherisch wahrnehmen

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den Christus, ist immer möglich gewesen. Aber ihm zu begegnen, weil er jetzt anders zur Menschheit steht, nämlich so, daß er einem von der Ätherwelt aus hilft, das ist etwas, was - außer uns - eine von unserer hellseherischen Entwickelung unabhängige Tatsache ist. Vom zwanzigsten Jahrhundert an, in den nächsten dreitausend Jahren werden gewisse Menschen ihm begegnen können, ihm objektiv als ätherischer Gestalt dann begegnen. Das ist etwas anderes, als wenn ein Wesen durch innere Entwickelung bis zu seinem Anblick hinauf- steigt.

Damit aber wird das hohe Wesen, das wir den Christus nennen, überhaupt in eine andere Evolutionskette gestellt, als wenn wir von Buddha sprechen. Der Bodhisattva, welcher der Buddha wurde, war in das Königshaus des Suddhodana hineingeboren und wurde im neunundzwanzigsten Jahre seines Lebens Buddha, das heißt, daß er dann nachher nicht mehr inkarniert zu werden brauchte. Wenn eine solche Wesenheit, ein Bodhisattva, Buddha oder Meister wird, so bedeutet das eine innere Entwickelung, nur eine höhere, die jeder Mensch durchmachen kann. Eine esoterische Schulung des Menschen ist nur ein Anfang dessen, was zum Buddha-Werden führt. Das hat nichts zu tun mit dem, was um die Menschen herum geschieht. Solche Menschen treten zu gewissen Zeiten auf, um die Weltweiterzubringen. Es sind das aber andere Ereignisse als das Christus-Ereignis. Christus war nicht etwa herübergekommen von einer anderen menschlichen Individualität, sondern Christus war aus dem Makrokosmos herüber- gekommen, während alle Bodhisattvas immer mit der Erde verbunden gewesen sind.

Wir müssen uns also klar sein, daß soweit wir von Bodhisattvaoder Buddha-Wesen sprechen, wir gar nicht den Christus berühren. Denn Christus ist eine makrokosmische Wesenheit, die erst durch die Johannestaufe mit der Erde verbunden ist. Das war die physische Manifestation. Jetzt kommt die ätherische Manifestation> dann die astralische und dann eine noch höhere. Dann müssen aber die Menschen erst so weit sein, diese höhere Stufe zu erleben. Was die Menschen erleben können, das gehört zu den allgemeinen Erdengesetzen. Die Wesenheit, die wir den Christus nennen oder auch mit anderen

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Namen benennen, wird auch das bewirken, was wir nennen können: die Rettung aller Erdenseelen in die Jupiterwesenheit hinein, während alles andere abfallen wird mit der Erde. Anthroposophie ist nicht etwas Willkürliches, sondern etwas Wichtiges, das in die Welt kommen mußte. Es muß die Welt verstehen lernen das Christus-Wesen, das drei Jahre auf Erden gelebt hat. Das war am Anfang unserer gegenwärtigen Zeitrechnung.

Sie finden in meinem Buche über «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit» das Nähere über die beiden Jesusknaben. Vorbereitet wurde das Christus-Ereignis durch eine mit der Sekte der Essäer in Beziehung stehende Persönlichkeit, Jeshu ben Pandira, welche geboren wurde hundert Jahre bevor die beiden Jesusknaben in Palästina geboren wurden. So daß man unterscheiden muß zwischen ihnen und dem Jeshu ben Pandira, den unter anderen Haeckel in ganz unwürdiger Weise verschimpft hat. Von dieser sehr hohen Wesenheit, dem Jeshu ben Pandira, rührt als Vorbereitung zu dem, was geschehen sollte, im wesentlichen das Matthäus-Evangelium her.

Wie haben wir uns das Verhältnis dieses Jeshu ben Pandira zu dem Jesus von Nazareth vorzustellen?

Die Individualitäten haben zunächst nichts miteinander zu tun, außer daß der eine der Vorbereiter des anderen war; aber als Individualitäten sind sie nicht irgendwie verwandt. Sondern die Tatsache ist so, daß in dem einen Jesusknaben, dem des Lukas-Evangeliums, wir eine etwas unausgesprochene Individualität haben, die dadurch schwer zu fassen ist, daß sie sogleich, als sie geboren wurde, sprechen konnte, und zwar in solcher Weise sprechen, daß die Mutter ihn verstehen konnte. Sie war nicht intellektuell, diese Individualität des Lukas-Evangeliums, aber ungeheuer ursprünglich und elementar in bezug auf moralische Empfindungen. In den astralischen Leib dieser Wesenheit hat hineingewirkt die Buddha-Individualität.

Buddha ist, nachdem er Buddha geworden, eine Wesenheit, die sich nicht mehr auf Erden zu inkarnieren braucht. Solange er Bodhisattva ist, inkarniert er sich. Nachdem er Buddha gewesen, wirkt er von den höheren Welten herunter, und zwar jetzt durch den astralischen Leib des Jesus des Lukas-Evangeliums. Die Kräfte, die von Buddha ausgehen,

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sind in dem astralischen Leib dieses Jesusknaben. In der Jesus-von-Nazareth-Strömung ist also die Buddha-Strömung mit darinnen.

Dagegen ist das, was die morgenländischen Schriften sagen, auch für den abendländischen Okkultisten richtig, daß in dem Momente, wo der Bodhisattva zum Buddha wird, ein neuer Bodhisattva kommt. In dem Momente, wo der Gautama Buddha zum Buddha geworden, ist diese Bodhisattva-Individualität von der Erde genommen, und es ist ein neuer Bodhisattva auf ihr tätig. Jener Bodhisattva ist es, der zur bestimmten Zeit zum Buddha werden soll. Und zwar ist die Zeit genau festgestellt, wann der Nachfolger des Gautama Buddha, der Maitreya, zum Buddha wird,: fünftausend Jahre nach der Erleuchtung des Buddha unter dem Bodhibaume. Ungefähr dreitausend Jahre nach unserer Zeit wird die Welt die Maitreya-Buddha-Inkarnation erleben, welche die letzte Reinkarnation des Jeshu ben Pandira sein wird. Dieser Bodhisattva, der als Maitreya-Buddha kommen wird, der in seiner Wiederverkörpernng im Fleisch auch in unserem Jahrhundert im physischen Körper kommen wird - aber nicht als Buddha -, der wird es sich zur Aufgabe machen, der Menschheit alle wirklichen Begriffe über das Christus-Ereignis zu geben.

Die echten Okkultisten anerkennen die Inkarnationen des Bodhisattva, des späteren Maitreya-Buddha. Gerade wie die Menschen alle eine Entwickelung des Ätherleibes durchmachen, so auch diese Individualität. Je weiter die Menschheit demjenigen entgegenkommt, welcher der Maitreya-Buddha sein wird, wird diese Individualität eine besondere Entwickelung durchmachen, die in ihren höchsten Stadien in gewisser Beziehung etwas sein wird wie die Taufe des Jesus von Nazareth: Eine Auswechslung der Individualität erfährt sie. In beiden Fällen wird eine andere Individualität aufgenommen. Sie leben sich als Kinder hinein in die Welt und nach bestimmten Jahren wird ihre Individualität umgewechselt. Es ist nicht eine kontinuierliche Entwickelung, sondern eine Entwickelung, die einen Bruch erleidet, wie das bei Jesus der Fall war. Bei ihm haben wir im zwölften Jahre eine solche Auswechslung der Individualität, dann wieder bei der Johannestaufe. Solch eine Auswechslung tritt gerade bei dem Bodhisattva ein,

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der zum Maitreya-Buddha wird. Diese Individualitäten werden plötzlich wie befruchtet von einer anderen. Insbesondere wird der Maitreya-Buddha bis zum dreißigsten Jahre kontinuierlich mit einer bestimmten Individualität leben, und dann tritt für ihn eine Auswechs

lung ein, wie wir sie bei dem Jesus von Nazareth während der Taufeö im Jordan haben. Immer aber wird man den Maitreya-Buddha daran erkennen, daß die Menschen, wenn er da ist, vor dieser Auswechslung der Individualität nichts wissen von ihm. Und dann tritt er plötzlich auf.

Das ist das charakteristische Zeichen für alle Bodhisattvas, die Buddha werden, daß sie ein unbekanntes Leben führen. Die Menschen-Individualität wird in Zukunft immer mehr auf sich selbst gestellt werden müssen. Für ihn wird charakteristisch sein, daß er viele Jahre unerkannt durch die Welt gehen wird und dann erst dadurch zu erkennen sein wird, daß er selbst durch seine innere Kraft als ein einzelstehender Mensch wirkt. Durch Jahrtausende hindurch und auch durch neuzeitliche Okkultisten ist als Forderung erkannt worden, daß sein Wesen durch seine Jugend bis zur Geburt der Verstandesseele, ja bis zur Geburt der Bewußtseinsseele unbekannt bleibt und er durch niemand anderes als durch sich selbst seine Geltung erhält.

Deshalb ist es so wichtig, bis auf einen gewissenPunkt unnachgiebig zu sein. Jeder wahre Kenner des Okkultismus würde es komisch finden, daß im zwanzigsten Jahrhundert ein Buddha kommen soll, da jeder Okkultist weiß, daß er erst fünftausend Jahre nach dem Gautama Buddha kommen kann. Es kann aber ein Bodhisattva verkörpert sein, und wird es.

Dieses ist etwas, was zum Ur-Rüstzeug des Okkultisten gehört: daß der Maitreya-Buddha unbekannt in der Jugend sein wird. Deshalb ist seit Jahren von mir betont worden, daß Rücksicht genommen werden muß auf den Grundsatz des Okkultismus: Vor einem gewissen Lebensalter darf von gewissen Zentralstellen aus niemandem ein Auftrag gegeben werden, über okkulte Lehren zu sprechen. Das ist seit Jahren betont worden. Wenn jüngere Leute sprechen, mögen sie dies aus guten Gründen tun, aber sie tun es nicht in okkultem Auftrag.

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Der Maitreya-Buddha macht sich durch eigene Kraft geltend. Er erscheint so> daß niemand ihm helfen kann als die Kraft seines eigenen Seelenwesens.

Verständnis für die ganze Erdenentwickelung ist eine Notwendigkeit, um an die wahre Theosophie heranzukommen. Diejenigen, die dieses Verständnis nicht entwickeln, werden es dazu bringen, daß die neuzeitliche theosophische Bewegung verödet.

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DER CHRISTUS-IMPULS IM HISTORISCHEN WERDEGANG Locarno, 19. September 1911 Zweiter Vortrag

Mit herzlicher Befriedigung spreche ich heute zu Ihnen - hier auf den friedlichen Bergen und im Anblick des wunderbaren Sees - von jenen Dingen, die uns als die Botschaften, die Tatsachen des geistigen Lebens am tiefsten interessieren. Und wenn ich anknüpfe an die auffälligste Tatsache, die insbesondere denen entgegentritt, welche sich heute hier versammelt haben, um unsere Bergesfreunde zu besuchen, so ist es doch wohi die, daß sich eine Reihe unserer Freunde zurückgezogen hat, vielleicht nicht in die Bergeseinsamkeit, aber doch in die Bergesfriedlichkeit und Bergeslieblichkeit. Und wenn man sich dann frägt: Was liegt dabei in unseren Herzen als ein Trieb, als ein Wunsch zugrunde? - so dürfen wir diesen Trieb, diesen Wunsch vielleicht recht verwandt finden mit der heutigen Sehnsucht des Menschen nach dem Geistesleben überhaupt. Und vielleicht ist es keine Täuschung, wenn wir annehmen, daß in der Welt da draußen ein gleicher Trieb ist wie der Trieb, der manche hinausgezogen hat hierher in die Bergeseinsamkeit.

Entweder weiß der Mensch oder er ahnt es, daß in allem, was uns als Natur, als Wald und Gipfel, als Wetter und Gewittersturm umgibt, eine Geistigkeit waltet, die, nach dem Ausspruche einer bedeutenden Persöniichkeit des Abendlandes, schon eine Geistigkeit ist, welche konsequenter ist als das Handeln und Fühlen und Denken des Menschen. Die Ahnung muß uns ja überkommen, daß in alledem, was uns so umgibt als Wald und Gipfel, Berg und See, der Geist spricht. Und in der Geisteswissenschaft werden wir ja immer mehr und mehr gewahr, wie aus allem, was uns in der Natur umgibt, aus allem, was uns als fester Boden trägt, das, was daraus spricht, Geist ist. Wir werden in altersgraue Zeiten verwiesen und sagen uns: Wir stammen aus der geistigen Vergangenheit, sind die Kinder von alten Zeiten. So wie wir unsere Kunstwerke erzeugen, wie wir dem obliegen, was sie zu unserer Handhabung geeignet macht, so haben unsere Vorfahren ihre Werkzeuge

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geschaffen. Und was als Naturerscheinungen um uns ist, es ist das Produkt der Arbeit der Göttervorfahren in vergangenen uralten Zeiten. Wenn wir uns durchdringen von solch einem Gefühl, dann wird uns alle Natur nach und nach zu dem, was sie aller geistigen Wissenschaft zu allen Zeiten war. Sie wird uns zwar zu einer Maja, aber zu einer Maja, die groß und schön ist, aus dem Grunde, weil sie das Werk ist des Göttlich-Geistigen. Und so gehen wir, wenn wir in die Natur hinausgehen, in die Denkmäler geistiger Arbeit der alten vorirdischen Zeit. Dann überkommt uns jenes große> jenes starke Gefühl, das durchaus eine Vertiefung des Naturgefühls bewirken und uns mit Wärme durchdringen kann.

Wenn wir unser Naturgefühl befriedigen an der geistigen Wissenschaft, dann muß uns aber noch etwas anderes überkommen: daß es in gewisser Beziehung ein Privileg ist, in dem Geiste der Natur sein zu dürfen. Und das ist ein Privileg. Denn wir dürfen, ja wir müßten uns dabei wohl erinnern, wie vielen Menschen es fehlt, dieses in ihrer heutigen Inkarnation fehlt, den Schöpfungen des Naturgeistes nahe- zustehen. Wie viele Seelen leben heute, namentlich in den Kulturstädten, die nichts von dem Erhebenden, dem Göttlich-Geistigen in der Natur mehr fühlen können! Und wenn man mit einem durch die Geisteswissenschaft geschärften Blicke die Natur betrachtet, dann weiß man, wie innig zusammenhängt dasjenige, was wir moralisches Leben nennen - was nach dem Geistesleben das Höchste ist, das wir in diesem Leben an Streben haben -, dann weiß man, wie eng das, was wir an der Natur fühlen, zusammenhängt mit dem, was man Moral nennt.

Es ist vielleicht paradox gesprochen, aber wahr ist es, daß jene Menschen, die in der Stadt verlernen müssen, wie ein Hafer-, ein Roggenoder Gerstenkorn aussieht, auch leider abgetrennt werden in ihren Herzen von den tiefsten moralischen Quellen unseres Daseins. Wenn wir dies bedenken, betrachten wir es wohl als ein Privileg, nahe sein zu dürfen den Quellen des Geistes der Natur, denn dann verbindet sich von selbst eine solche Empfindung mit der anderen, die, erhärtet durch die Geisteswissenschaft, durch die Welt gehen soll: mit der Wahrheit der Reinkarnation. Wir empfangen sie zunächst als Glaubenswahrheit,

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diese Wahrheit von den wiederholten Erdenleben des Menschen. Aber wie vermöchte sich eine Seele aufrecht zu erhalten in heutiger Zeit, wo zu sehen ist, auf wie gar verschiedenen Wegen die Menschen sich durch das Leben hindurchfinden, wo so kraß zu sehen ist alle Ungleichheit, die auf unserer Erde notwendigerweise ausgegossen sein muß. Dann fühlt wohl der Mensch, der das Privileg hat, nahe an den Quellen der Natur zu sein, daß er nicht nur allen Grund zur Befriedigung hat, von den Wahrheiten der Geisteswissenschaft wissen zu dürfen, sondern er fühlt auch alle Verantwortlichkeit, auch alle Pflicht zur Erkenntnis des geistigen Lebens. Denn was werden diejenigen Seelen, die heute das Privileg haben, in der Natur Frieden und Gesundheit genießen zu dürfen, was werden sie als ein Bestes herantragen an die Pforte des Todes? Was als ihr Bestes?

Wenn wir ein wenig hineinblicken in das, was so gelehrt werden kann von den geistigen Mächten, die uns näher stehen als sie es im neunzehnten Jahrhundert getan haben, was können wir da lernen? Da können wir besonders lernen, daß wir in unserer tiefsten Seeleganz, in unserem tiefsten Fühlen etwas anderes mitnehmen können in die folgenden Inkarnationen, wenn wir uns durchdringen mit der geistigen Wissenschaft, als we,nn wir uns ihr fernhalten. Wir sind ja heute für- wahr nicht darauf angewiesen, daß wir wie eine abstrakte Lehre, wie eine Theorie aufnehmen das, was uns Geisteswissenschaft geben kann. Das, was Ihre Seelen aufnehmen, was sich in sie senkt wie eine Theorie, es ist dazu da, daß alles Leben wird. Und das, was so Leben wird, wirkt bei manchen Menschen schon heute, schon in dieser Inkarnation, sonst in der nächsten. Es wird wirkliches, unmittelbares Leben, ein Leben, von dem wir nur eine Vorstellung haben können, wenn wir uns jenem prophetischen Blick hingeben, der ja sagt: Wohin geht denn diese Entwickelung? Sie geht mit all den Früchten in das unmittelbare äußere Dasein über. Und dasjenige, was wir heute nur sagen können, heute nur aussprechen können, nur unseren Worten einverleiben können> wird Blick, Blick bei den Jüngeren, Blick bei den Älteren, Blick, der beseligend wirkt.

Alle, die noch nicht haben herankommen können an die Wärme und das Licht der Geisteswissenschaft> um für sich selbst zu den Früchten

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dieser geistigen Wissenschaft zu gelangen, werden dann das Beseligende eines solchen Blickes empfinden! All das, was äußere Persönlichkeit sein kann, wird in Zukunft jenes Feuer in sich haben, zu dem das, was heute nur Theorie ist, das Heizmaterial abgibt. Es ist nur ein kleines Häuflein von Menschen, welche die wahren Träger sein wollen alles dessen, was in der Zukunft zu all den Menschen fließen soll, die dessen bedürfen: der wahren, echten Früchte der menschlichen Liebe und des menschlichen Mitleids. Nicht darum lernen wir Geistes- wissenschaft, um für uns selbst Befriedigung zu haben, nicht um der eigenen Befriedigung willen, sondern darum, daß wir milde, segnende Hände bekommen, den milden Blick, der schon dadurch wirkt, daß er aus den Augen strahlt, daß wir verbreiten dasjenige, wovon das Auge der Quellborn ist, Quellborn von alledem, was wir geistiges Schauen nennen. Menschen, die mit solcher Gesinnung gerade so nahe leben dürfen der Natur, die sollten jetzt schon achtgeben, wie in jetziger Zeit alles sich wandelt, alles anders wird! Es wird anders> es wird nämlich anders im großen Kosmos.

Es ist kein richtiges Wort, welches da sagt: Die Natur macht keine Sprünge. In der Natur gibt es immerfort Sprünge. So vom Blatt zur Blüte, von der Blüte zur Frucht. Wenn aus dem Ei das Küchlein wird, da gibt es einen Sprung. Es gibt kein unwahreres Wort als dieses, daß die Natur keine Sprünge mache. Überall gibt es Sprünge> überall plötzliche Übergänge. Und so leben wir in einer Zeit eines solchen Überganges. Und wir haben hinübergelebt in ein Jahr, das große Bedeutung hat: das Jahr 1899. Die Wende des zwanzigsten Jahrhunderts ist für die ganze kulturelle Entwickelung bedeutsam durch den Ablauf dessen, was vom Morgenländischen aus sich hineinlebt in das Abendländische, sich da hineinmischt, auf daß aufgehe dasjenige, was gerade aus dem Naturleben gesaugt werden kann als etwas Belebendes für unser tiefstes Seelenleben.

Diejenigen, deren Geist geweckt ist, werden innerhalb der Naturvorgänge neue Wesenheiten sehen können. Während der Mensch> der noch nicht Hellseher geworden ist, trotz aller Wehmut über das unaufhaltsame Absterbende, immer mehr erleben wird etwas Erfrischendes in der Natur, wird derjenige, dessen hellseherische Kräfte

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erwachen, neue elementarische Wesenheiten aus der absterbenden Natur hervorgehen sehen. Während in der groben physischen Welt verhältnismäßig wenig zu sehen sein wird von dem großen Umschwunge um die Wende des zwanzigsten Jahrhunderts, wird die geistig geöffnete Seele empfinden: Die Zeiten ändern sich, und wir Menschen haben die Pflicht, die Geist-Erkenntnis vorzubereiten. Immer mehr und mehr wird es wichtig sein, solche Dinge zu beobachten und im Bewußtsein zu tragen. Denn im Willen der Menschen liegt es, ob sie solche Dinge zum Heil der Menschheit in sich aufnehmen oder an sich vorübergehen lassen wollen; dieses dann zum Unheil.

Damit ist eines angedeutet: Es wird um die Wende des zwanzigsten Jahrhunderts gleichsam geboren ein immerhin neues Reich von Natur- wesen, das als ein geistiger Quell aus der Natur hervorgeht und für die Menschen sichtbar und erlebbar wird. Noch ein anderes. Gewiß, es wäre eine Menschenseele stumpf, die nicht das Aufsprießen des Frühlings erkennen könnte, aber noch anderes kommt hinzu. Diejenigen, die in die Lage kommen werden, das, was eben geschildert wurde, als Tatsache der Natur zu erleben, die werden in ganz anderer Art als durch das gewöhnliche Gedächtnis solche Eindrücke bewahren. Sie werden hinübertragen - wie die Samenkörner durch den Winter in den Frühling hinein es tun - das, was ihnen entgegenströmt an neuen Elementargeistern. Was im Frühling erlebt wurde und was im Herbst erlebt wurde, das war in der Vergangenheit voneinander unabhängig: dieses Aufstrahlen der Natur im Frühling und diese Wehmut im Herbst. Dasjenige, was der Kosmos von seinem Gedächtnis hergibt, das macht, daß wir von dem, was wir im Herbst erleben, einiges hinübertragen in den Frühling hinein. Wenn wir in uns wirken lassen die Elementarkräfte des Herbstes, dann können wir in einer neuen Weise empfinden, was uns in der Zukunft gegeben wird. Alles erfährt ein Neues in der Zukunft, und es ist unsere Pflicht, daß wir uns vorbereiten, durch die Erkenntnis des Geistigen ein Verständnis dafür zu haben. Denn die Geisteswissenschaft ist nicht in die Welt gekommen durch die Willkür der Menschen, sondern weil neue Dinge geschehen in den Himmeln, die nur wahrgenommen werden können, wenn die Ergebnisse der Geistesforschung aufgenommen

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werden von den Menschen. Deshalb ist die theosophische Bewegung ins Leben getreten.

Wie in der Natur, so ist es auch im moralischen Leben: da erfährt das Seelenleben eine Umgestaltung. Mancherlei wird auftreten, wovon die Menschen heute noch keine Ahnung haben. Nur das eine möchte ich als Beispiel erwähnen: Es wird immer mehr und mehr Menschen geben - und namentlich bei Kindern wird das herauskommen -, bei denen es so sein wird, daß, wenn der Mensch dieses oder jenes in der Zukunft tun will, diese oder jene Tat in der Welt vollbringen will, es dann in seiner Seele so sprechen wird, daß er sich gedrängt fühlt, etwas stillzuhalten und auf etwas hinzulauschen, was ihm aus der geistigen Welt gesagt wird. Eine Tatsache, die wie eine Vision vor seinen Augen steht, wird ihm entgegentreten. Er wird zuerst eigentümlich berührt werden von dieser Vision. Dann wird er - wenn er ein wenig näher- getreten sein wird der Geisteswissenschaft - erkennen, daß in ihr gegeben ist das karmische Gegenbild seiner eben getanen Handlungen. So wird die Seele darauf aufmerksam gemacht: Du mußt dahin arbeiten, daß du dich aufraffst, hineinzukommen in die Evolution der Zukunft. Und es wird gezeigt, daß keine Tat geschieht ohne Wirkung. Und das wird zu einem Antriebe, der unser moralisches Leben ordnet. So werden die moralischen Triebe wie ein Karma nach und nach in unsere Seele gesenkt werden, wenn wir uns bereiten, unsere GeistesaUgen und unsere Geistesohren zu öffnen für das, was aus der geistigen Welt zu uns sprechen kann.

Wir wissen, daß es lange Zeit dauern wird, bis die Menschen lernen werden, im Geiste zu schauen. Aber im zwanzigsten Jahrhundert wird das beginnen, und im Laufe von dreitausend Jahren werden immer mehr und mehr Menschen dazu kommen. Die nächsten drei Jahrtausende werden von der Menschheit solchen Dingen gewidmet sein. Auf daß aber solche Dinge geschehen können, fließen - auch wieder auf Anordnung der geistigen Führung der Menschheit - die Hauptströmungen der Entwickelung so, daß die Menschen immer mehr werden hindurchdringen können zum Verständnis des okkulten Lebens, so wie es heute geschildert worden ist.

Zwei Hauptströmungen haben wir da. Die erste ist bekannt dadurch,

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daß es eine sogenannte abendländische Philosophie gibt und daß dasjenige, was elementarste Begriffe von der geistigen Welt sind, aus den reinsten Untergründen der Philosophie stammt. Und es ist merkwürdig, was sich ergibt bei einem Überblick über das, was innerhalb der Wissenschaft der abendländischen Kultur nach und nach sich zugetragen hat. Da sehen wir, wie Menschen rein intellektuell werden, wie andere auf dem Boden des religiösen Lebens stehen, aber zugleich erfüllt sind von dem, was nur geben kann das hinter allem stehende Schauen der geistigen Welt. Überall sehen wir ein Geistesleben aus der abendländischen Philosophie herausquellen. Ich will nur nennen Wladimir 5olovftff, den russischen Philosophen und Denker, einen wirklichen Hellseher, wenn er auch nur dreimal in seinem Leben hineinblicken konnte in die reine geistige Welt: Das erste Mal als neunjähriger Knabe, das zweite Mal im Britischen Museum, und zum dritten Mal, als er in der Wüste in Ägypten war und den ägyptischen Sternenhimmel über sich hatte. Da brach über ihn herein, was nur mit hellseherischem Blick zu sehen ist. Daraus erblühte in ihm dasjenige, was sich ausdrückte als Zukunftssehen der Menschheitsevolution. Es quillt das hervor, was - durch reine Anstrengung des Geistes - 5chel/ing und Hegel erreicht haben. Da sie einsam gestanden haben auf den Höhen des Denkens> dürfen wir sie auch hier hinstellen auf den Gipfel, wo nachher stehen werden alle Gebildeten. Das alles ist ja gesprochen worden im Verlaufe der letzten Jahrhunderte, und besonders in den letzten vier Jahrhunderten. Wenn wir das überblicken und mit den Methoden des praktischen Okkultismus bearbeiten - und das ist geschehen in der letzten Zeit -, um gerade das zu erforschen, was die rein intellektuellen Köpfe von Hegel bis Haeckel ausgeklügelt haben, so sehen wir auch in dieses hineinwirken die okkulten Kräfte. Und ein ganz merkwürdiges Resultat ergibt sich da: Wir können von einer reinen Inspiration gerade bei denen sprechen, die uns am wenigsten so erscheinen. Wer hat sie inspiriert, alle die Geister, die auf rein intellektuellem Boden stehen? Wer hat dieses Geistesleben angefacht, das aus jedem Buche spricht, das bis hinab in die niedern Hütten geht? Woher kommt alles das, was abstraktes Geistesleben in Europa ist und ein merkwürdiges Resultat darstellt?

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Wir wissen es ja alle, wie sich das große Ereignis zugetragen hat, das geschildert wird. Einst hatte sich eine große Individualität der Menschhefrsentwickelung, eine der Individualitäten, die wir mit dem Namen Bodhisattva bezeichnen, inkarniert im Königshaus des Suddhodana. Wir wissen alle, daß diese Individualität bestimmt war, aufzusteigen zu der nächsten Würde, die auf die des Bodhisattva folgt. Jeder Mensch, der höher steigt und der bis zur Würde eines Bodhisattva kommt, der muß als letzte Inkarnation ein Buddha werden. Was bedeutet diese Buddha-Würde? Was bedeutet sie insbesondere bei dem einen Bodhisattva, der als Gautama Buddha zur BuddhaWürde gelangte? Sie bedeutet, daß der Buddha - und das ist ja bei jedem Buddha der Fall - nicht mehr in einem fleischlichen Leibe sich auf Erden zu verkörpern braucht. Und so war, wie ein jeder Buddha, der Gautama Buddha dazu ausersehen, hernach von der geistigen Welt herab zu wirken. Niemals sollte er wieder auf Erden physisch herumgehen; aber dasjenige, was er erreicht hat von Inkarnation zu Inkarnation, das machte ihn fähig, fortan immer herunterzuwirken in unsere irdische Kultur.

Die erste große Tat, die er vollbrachte, die, wie ich in Basel angedeutet habe, der Buddha als ein rein geistiges Wesen zu vollbringen hatte, war die, daß er bei jenem Jesusknaben, den uns das LukasEvangelium schildert, in den astralischen Leib hinein die Kräfte schickte, die im Sinne jenes Spruches, den wir ja immer als Weihnachtsspruch sagen, zum Ausdruck kommen: Es offenbaren sich die Geisteswesen der Höhen, und Friede soll sein in den Menschen auf Erden, die einen guten Willen in sich haben.

Wenn unsere Seele von jenem Spruch berührt wird, in welchem Engelwesen in der Aureole schweben über dem Engelskinde, so sollen wir wissen, daß in jene Jesus-Aura die Kräfte des Nirmanakaya des Buddha wirken. Seitdem sind die Geisteskräfte des Buddha einverleibt worden den höchsten Individualitäten in den sich vollziehenden Tatsachen, von welchen das Mysterium von Golgatha spricht. So daß seine Kräfte weiterwirken auch in jener Weltanschauungsströmung der Philosophen des Abendlandes. Aus der geistigen Welt heraus ist er selbst der Antrieb zu dem,

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Leben, das bis zum Verstande durchgedrungen und sich dann verirrt hat.

Wenn wir heute Leibni~ und Schelling und Soiovftff lesen und uns fragen: Wie sind sie inspiriert? - so ist es durch das Wesen, das im Palaste des Suddhodana geboren wurde, das vom Bodhisattva zum Buddha aufgestiegen ist und dann selbstlos weitergewirkt hat. So selbstlos hat er weitergewirkt, daß wir heute zurückgehen können in Zeiten, wo im Abendlande nicht einmal der Name des Buddha genannt wurde. Von dem zum Buddha gewordenen Bodhisattva findet Ihr den Namen nicht, nicht einmal bei Goethe! Er lebt aber in allem, das wißt Ihr. Er hat so viel Verständnis gefunden, daß er in der abendländischen Literatur namenlos weiterlebt. Das wußte das Mittelalter auch; nur erzählen sie es uns damals nicht so. Sie erzählen etwas anderes.

Es war im achten Jahrhundert, da lebte Johann von Dainaskus, der da ein Buch geschrieben hat in Romanform. Über was? Er erzählt, es habe einmal gelebt ein bedeutender Lehrer, welcher der Lehrer wurde des Josaphat, der den Josaphat unterrichtete in dem, was die Geheim- lehre ist, was die großen christlichen Wahrheiten sind. Und wenn man alledem nachgeht, so findet man in der ganzen Erzählung darauf bezügliche Wahrheiten. Man findet auch Erzählungen aus der buddhistischen Literatur. Wir verfolgen dieselbe Sache und kommen auf eine Legende: jene Legende, die da erzählt, daß der Buddha weitergelebt hat, allerdings nicht in irdischer Menschenform, sondern in tierischer, in der Form eines Hasen. Und als einmal ein Brahmane ging und einen Hasen fand - der die Maske des Buddha war -, da klagte der Brahmane ihm das Elend der Menschen draußen, und da hat der Buddha in einem Feuer, das er sich selber bereitete, sich selber gebraten, um der Menschheit zu helfen. Der Brahmane nahm ihn und versetzte ihn in den Mond. Wenn man weiß, daß der Mond das Symbol der immerdar dauernden Weisheit ist, die in der Brust der Menschen lebt, dann sieht man, daß in den alten Legenden ein Bewußtsein ausgebildet und dargelegt worden ist von der Aufopferung des Buddha.

Was ist die Aufgabe des Buddha da draußen in der Welt des Geistes? Es ist seine Aufgabe, immerdar in unseren Herzen zu entzünden jene

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Kräfte, aus denen herausgeholt werden kann hohe Weisheit. Als eine solche müssen wir die eine Strömung verstehen, die durch unsere Welt ffießt: es ist die Buddha-Strömung. Sie ist auch in der einen Form repräsentiert, die durch unser Jahrhundert fließt, wenn auch verabstrahiert. Wir müssen aber suchen, die okkulte Bedeutung einer jeden Geistesform zu erkennen. Zu dieser Strömung tritt die andere hinzu, die ihren Anfang genommen hat in dem Mysterium von Golgatha, die sich mit der Buddha-Strömung zu einer notwendigen Ganzheit verknüpft hat und die wir ebenso aufnehmen müssen im irdischen Leben. Diese Strömung, die von Golgatha ausgeht und an der teilnehmen müssen alle Menschen, die kommt nicht nur innerlich an den Menschen heran, sondern sie ist eine solche Strömung, daß sie unser gesamtes Erdendasein durchdringt.

Während wir in der Buddha-Strömung, wie in jeder anderen, eine solche haben, die uns alle als Menschen betrifft, haben wir in der Christus-Wesenheit einen kosmischen Einschlag. Alle Bodhisattvas gehören zu den Individualitäten, die das Leben hier auf Erden durchmachen, gehören zur Erde. Die Christus-Individualität kommt von der Sonne und betritt die Erde erst mit der Johannestaufe, sie ist nur während drei Jahren in dem physischen Leibe des Jesus von Nazareth. Das Charakteristische dieser Christus-Individualität ist, daß es ihr bestimmt ist, nur während drei Jahren in der irdischen Welt zu wirken. Es ist dieselbe Wesenheit, auf die der Zarathustra hinwies, indem er sie den Ahura mazdao nannte, der hinter der sichtbaren Sonne steht, dieselbe, von der die heiligen Rishis kündeten, und von der die Griechen sprachen als von der Wesenheit, die dem Pleroma zugrunde liegt. Es ist die Wesenheit, die nach und nach zum Geiste unserer Erde geworden ist, zur Aura unserer Erde, seitdem ihr Blut auf Golgatha geflossen ist. Der erste, der sie so sehen durfte, daß er nicht unmittelbar durch das physische Ereignis dazu angeregt war, das war Paulus.

So ist etwas geschehen durch das Golgatha-Ereignis, das einen ganz neuen Tatsachenablauf in unsere Erdenentwickelung gebracht hat. Vorher war alles da, um durch die mannigfaltigen Religionen die verschiedensten Begriffe aufzunehmen. Was aus der Buddha-Religion

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herüberwirkte, indem die Buddha-Wesenheit in die Astral-Aura des Jesus hineinstrahlte, und was ich erzählt habe: daß aus der Natur heraus die Seele Neues erkennen und empfinden wird, das bedeutet nichts anderes> als daß ebenso, wie die Christus-Individualität durch die Taufe herabgestiegen ist in den physischen Leib, in ihm verweilte bis zu dem Ereignis von Golgatha und so als physisches Ereignis auf dem physischen Plan da war, sie nun ebenso beginnen wird eine neue Wirksamkeit in der Ätherwelt. Wir können also von einer physischen Verkörperung sprechen bei dem Ereignis der Johannestaufe bis zu Golgatha hin, und jetzt von einem ätherischen Wiedererscheinen.

Indem der Ätherleib sich ausbildet, auch durch Herbsteseindrücke, die der Mensch in sich hineinverwebt, wird wahrgenommen der ätherische Christus. Wozu war der physische Christus da? Dazu, daß der Mensch sich höher hinauf entwickeln konnte, um sich dann fähig zu machen, den Christus immer mehr im Ätherischen wahrzunehmen.

So daß wir sagen können: Wir sind in diesem Vortrag ausgegangen von jenen elementaren Geistern, die sich geltend machen in der Natur, wir sind aufgestiegen von jenen eigentünilichen Visionen, die uns dazu bewegen, innezuhalten in unserem Tun und auf das innere Wort zu lauschen, und wir sehen in dem allem, in diesen vor uns ausgebreiteten Ereignissen, die sich gruppieren um einen Mittelpunkt, daß die Menschen, die sich in richtiger Weise zur geistigen Welt hin- finden - und hier meine ich nicht den geistig geschulten Hellseher, der immer den Christus hat finden können, sondern die Menschen in ihrer natürlichen Entwickelung -, daß diese Menschen den Christus als Äthererscheinung schauen werden: Ihn, der nur vom Äther aus eingreifen wird in das Weltgeschehen. Wir sehen, wie sich alle diese Ereignisse um das zukünftige Christus-Ereignis gruppieren. Und wenn wir den ganzen geistigen Werdegang in seiner fortschreitenden Entwickelung nehmen, so sehen wir: Der im Liebesfeuer sich hinopfernde Buddha ist der Inspirator unserer Geisteswissenschaft.

Diejenigen Menschen, die mit Aufmerksamkeit solche Dinge lesen wie «Die Prüfung der Seele», die ich in München aufführen lassen durfte, und die vernehmen, wo all die geheimnisvollen Kräfte liegen, die auf das hinweisen, was in der Natur um uns herum ist, die achtgeben

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auf die Weisheit der Zukunft, auch wenn die Weisheit der Zukunft oft die Torheit der Gegenwart ist, so wie die Weisheit der Gegenwart oft die Torheit der Zukunft ist, sie werden gewahr werden, daß es geben wird eine vom Christus-Impulse durchzogene Chemie, eine vom Christus-Impuls durchzogene Botanik und so weiter. Nicht wesenlose Moleküle liegen dem zugrunde. Alles, was draußen in der Natur sich ausbreitet, es kommt vom Geiste. So ist die Blume eine ätherische Wesenheit, und andrerseits ist durch diese Blume der Geist von außen in die Erde hineingedrungen. In dem, was da aus der Erde heraus an Formen hervorsprießt, zeigt sich uns der höchste Sinn. Man wird nicht nur erkennen durch den Glauben, sondern man wird wissend werden.

Damit haben wir die zweite Strömung vor unsere Seele gestellt, die sich mit der ersten verbinden soll. Viel Überraschendes werden die nächsten Jahre der Erde bringen. In allen Dingen, die in solcher Weise auftreten werden, können wir das Christus-Prinzip wahrnehmen, während wir den Buddha-Impuls mehr innerlich gewahr werden. Daher können wir auch nur durch Verständnis für jene erhabenen Maßnahmen, die von der geistigen Führung der Welt aus geschehen, uns Klarheit verschaffen, wie wir den Christus-Impuls verfolgen können, wie Er es ist, der im historischen Werdegang die eine Individualität in die andere hinüberführt. Was bietet für den Erkenntnisdrang des denkenden Menschen eine solche Erscheinung, wie sie im Westen sich zeigt, wo alles Denken sich mehr ausdrückt in der Art - nennen wir, um ein Beispiel zu haben - von GaÜ/ei, oder wiederum im Osten sich ausdrückt in der Art des Wladimir 5o)ovjeff~ Wenn wir das sehen, so erkennen wir, wie objektiv der Christus-Impuls wirkt. In ähnlicher Weise können wir in dem, was draußen in der Welt geschieht, überall den Christus-Impuls sehen.

Größtes wird sich vollziehen in den nächsten Kulturperioden. Was in der vierten nur wie ein Traum des großen Märtyrers 5okrales erstand, das wird als Wirklichkeit dastehen. Was war denn dieser große Impuls des Sokrates? Er wollte, daß der, welcher ein moralisches Gesetz erlebt und es so durchschaut, daß er davon ergriffen wird, auch in entsprechender Weise als moralischer Mensch handeln solle. Bedenken

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wir, wie weit wir davon noch entfernt sind, wie viele sagen können: das muß geschehen - aber wie wenige die innere Kraft, die Stärke der Moral dazu haben! Daß die moralischen Lehren so klar durchschaut und die moralischen Gefühle so sicher entwickelt wer- den, daß es gar nichts geben kann, was wir erkennen, ohne den Impuls zu haben, es mit Feuer auszuführen, daß dies wirklich in den menschlichen Seelen heranreifen kann, nicht nur eingesehen wird, daß es gar nicht anders sein kann, als daß ein moralischer Impuls auch zur Tat wird: das hängt davon ab, daß sich die Menschen in die zwei gekennzeichneten Geistesströmungen einieben. Dann werden unter dem Einflusse der beiden Strömungen immer mehr und mehr jene Menschen heranreifen, welche vermögen, vom Empfinden, vom moralischen Erkennen, vom moralischen Impuls zur Tat vorzuschreiten.

Wodurch wird in der Menschheit bewirkt, daß diese beiden Strömungen zusammenschmelzen, um von innen heraus durch denBuddha den Christus ergreifen zu können? Es wird dadurch bewirkt, daß das Amt des Bodhisattva niemals unausgefüllt geblieben ist. In dem Momente, wo der Bodhisattva zum Buddha wurde, da kam ein anderer zur Bodhisattva-Würde. Und es kam jene Individualität, von der wir wissen, daß sie etwa hundert Jahre vor dem Jesus von Nazareth als Essäer gelebt hat. Eine Persönlichkeit, die leider verleumdet und verkannt worden ist, zum Beispiel durch den Schriftsteller Celsus, durch Haecke/s «Welträtsel» insbesondere. Jene Persönlichkeit, die also ein volles Jahrhundert vor dem Mysterium von Golgatha gewirkt hat, die bekannt ist als Jeshu ben Pandira, die eine der Verkörperungen jenes Bodhisattva, der Nachfolger wurde des Gautama, des zum Buddha gewordenen Bodhisattva. Er wird noch als Bodhisattva wir- ken, bis dreitausend Jahre verflossen sind, und dann, wenn so fünftausend Jahre vollendet sein werden, seitdem der Buddha unter dem Bodhibaum seine Erleuchtung empfing, wird auch er zum Buddha werden. Es weiß jeder ernste Okkultist, daß fünftausend Jahre nach der Erleuchtung des Gautama Buddha unter dem Bodhibaume jene Individualität, die fortlebt als Bodhisattva, dann zum Maitreya-Buddha geworden sein wird. Bis dahin wird er sich noch öfter verkörpern. Und dann, wenn die fünftausend Jahre um sind, wird eine Lehre auftauchen:

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die Lehre des Maitreya-Buddha, dem Buddha des Guten, wo das, was gesagt wird, zugleich moralisch wirkt. Worte, um diese Wertung zu schildern, sind jetzt noch nicht in entsprechender Kraft da. Das kann nur in der geistigen Welt geschaut werden, und es wird der Mensch, um es zu empfangen, erst reif dazu werden müssen. Das Besondere dieses Maitreya-Buddha ist, daß er in gewisser Weise nachzuahmen haben wird, was in dem Ereignis vonGolgatha geschehen ist.

Wir wissen, wie die Buddha-lndividualität in den Jesus von Nazareth eingezogen ist und nur noch von außen auf die Erdenentwickelung einwirkt. Alle, die als Bodhisattva leben und einmal zum Buddha werden, haben auf Erden das Schicksal, das jeder ernste Okkultist sehen kann: sie sind in gewisser Beziehung in ihrer Jugend unbekannte Menschen. Die etwas von ihnen wissen, sehen in ihnen vielleicht begabte Menschen, sehen aber nicht, daß die Bodhisattva-Wesenheit sie durchzieht. So war es immer, und so wird es auch im zwanzigsten Jahrhundert sein. Nur in der Zeit, die zwischen dem dreißigsten und dreiunddreißigsten Jahre liegt - dieselbe Zeitspanne wie zwischen der Taufe im Jordan und Golgatha - wird es zu erkennen sein. Da vollzieht sich eine Umwandlung mit dem Menschen, der dann seine Individualität bis zu einem gewissen Grade opfert und einer andern Individualität Haus wird, wie die Jesus-Individualität den Christus hat einziehen lassen.

Die Bodhisattva-Inkarnationen, die jene des künftigen MaitreyaBuddha sind, treten in unbekannten Menschen auf. Diese wirken als einzelne Menschen und durch ihre eigene Kraft. Es wird der MaitreyaBuddha auch wirken durch die eigene Kraft und entgegen der Meinung der tonangebenden Menschen. Unbekannt bleibt er in der Jugend. Und wenn er im dreißigsten Jahr hinopfern wird seine Individualität, dann wird er so auftreten, daß in seinen Worten moralisch wirken wird, was er sagt. Fünftausend Jahre, nachdem der Buddha unter dem Bodhibaume erleuchtet ward, wird auch sein Nachfolger zur Buddha-Würde aufsteigen und wird sein der Bringer des moralisch wirkenden Wortes. Jetzt sprechen wir: «Im Urbeginn war das Wort.» Dann werden wir sagen dürfen: In dem Maitreya-Buddha ist uns der größte Lehrer gegeben, der da erschienen ist, um den Menschen das

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Christus-Ereignis in seinem vollen Umfang deutlich zu machen. - Das Eigentümliche an ihm wird sein, daß er, als der größte Lehrer, das erhabenste Wort bringen wird, das höchste Wort.

Da so oft das Große, das in richtiger Weise in die Welt gebracht werden sollte, so falsch verstanden wird, müssen wir versuchen, uns zu dem, was da kommen soll, vorzubereiten. Und wenn wir uns dem Geiste nähern wollen, da wo der Geist der Natur zu uns auch moralisch spricht, dann dürfen wir uns sagen: In gewisser Beziehung ist alle Geisteswissenschaft Vorbereitung, damit wir verstehen lernen ein solches Wort, wie es gesprochen wurde dem vergangenen Ereignis gegenüber, als wir von dem Wandel der Zeiten sprachen.

Neue Zeiten zogen heran, als der Johannes den Christus verkündete.

Von neuen Zeiten, denen gegenüber es nötig ist, daß unser Sinn sich ändere, von solchen neuen Zeiten dürfen wir auch heute in gewissem Sinne sprechen. Unbeschadet der großen Kulturmittel, die kommen werden in der äußeren Welt, soll des Menschen Sinn sich so ändern, daß seine Seele etwas übrig hat auch für das Hineinblicken in die geistige Welt, die in einer neuen Art sich verkünden wird gerade in der Zeit, in der wir leben. Ob hier in diesem Leben etwas davon sichtbar sein wird, ob an der Pforte des Todes oder bei der neuen Geburt - wir werden nicht nur sehen diese neue Welt, sondern aus dieser neuen Welt heraus wirken. Und das Beste, was oft in uns ist, das kommt dadurch zur Auswirkung, daß von den Pforten des Todes her, aus der anderen Welt, Wesenheiten diese Kräfte in uns senden. Und diese Kräfte werden auch wir senden dürfen, wenn wir durch die Pforte des Todes so schreiten, daß wir uns hier dasjenige erwerben, was wir als notwendige Änderung für unsere Zeit erkennen und wovon ich mir gestattet habe, Ihnen heute etwas zu sagen.

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BUDDHA UND CHRISTUS DIE SPHÄRE DER BODHISATTVAS Mailand, 21. September 1911

In dieser Stunde möchte ich zu Ihnen sprechen von Tatsachen, die namentlich der moralischen und ethischen Welt angehören, und die geeignet sind, uns die Mission der Geisteswissenschaft in unserer Zeit vor die Seele zu stellen.

Wir alle sind durchdrungen von der großen Wahrheit der Lehre der Reinkarnation, der Wiederholung der Erdenleben, und wir müssen uns klarmachen, daß diese Wiederholung unseres Erdenlebens in der Entwickelung unserer Erde ihren guten Sinn hat. Wenn wir uns fragen: Warum wiederholen wir dieses Erdenleben? - so erhalten wir aus den okkulten Forschungen heraus die Antwort, daß wir in den aufeinanderfolgenden Erdenepochen immer Verschiedenes auf dem Erdenplan erleben, wenn wir wieder auf diesem Plan erscheinen. Etwas anderes erlebten unsere Seelen bei jenen Inkarnationen, die unmittelbar auf die große atlantische Katastrophe folgten, etwas anderes in den vorchristlichen Zeiten, etwas anderes erleben sie in unserer Zeit.

Nur kurz erwähnen will ich, daß in den Zeiten, welche der großen atlantischen Katastrophe gefolgt sind, unsere Seelen in den damaligen Leibern ein gewisses elementares Hellsehen hatten. Dieses Hellsehen, welches den Menschen in früheren Zeiten natürlich war, hat sich allmählich verloren. Und dasjenige Zeitalter, welches den Menschen am meisten von den Kräften des alten Hellsehens genommen hat, ist die griechisch-römische Kulturepoche, die vierte Kulturepoche in der nachatlantischen Zeit. Seit jener Zeit entwickelt sich der Mensch so, daß er seine großen Fortschritte äußerlich auf dem physischen Plan vollzieht, und nach und nach wiederum sich erobert gegen das Ende der jetzigen nachatlantischen Zeit die hellseherische Kraft.

Wir leben jetzt in der fünften nachatlantischen Kulturepoche. Wir zähien als erste nachatlantische Kulturepoche die alte indische, als zweite die urpersische, als dritte die chaldäisch-babylonische, als vierte

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die römisch-griechische. Wir selbst stehen in der fünften Kulturepoche. Auf unsere werden folgen eine sechste und eine siebente Kulturepoche. Dann kommt wieder eine große Katastrophe auf der Erde, ähnlich der Katastrophe der atlantischen Epoche.

Wir können nun aus den okkulten Forschungen heraus für jede von diesen Kulturepochen, für die fünfte, sechste und siebente nachatlantische Kulturepoche, einen Hauptcharakterzug der menschlichen Entwickelung angeben. In unserer fünften nachatlantischen Kulturepoche ist der Hauptcharakterzug der menschlichen Evolution die intellektuelle, die Verstandesentwickelung. In der sechsten, die auf unsere folgen wird, wird der Hauptcharakterzug der menschlichen Entwickelung der sein, daß die Seelen der Menschen ganz bestimmte Empfindungen haben werden gegenüber dem, was moralisch, und dem, was unmoralisch ist. Besonders fein werden sich Empfindungen ausleben der Sympathie mit mitleidsvollem, wohlwollendem Handeln> und der Antipathie gegen Übelwollende, in einer Größe, von der man bis jetzt keine Ahnung haben kann.

Auf diese sechste wird die siebente Kulturepoche folgen, in welcher das moralische Leben noch mehr vertieft sein wird. Während man in der sechsten Kulturepoche Wohlgefallen haben wird an guten und edlen Handlungen, wird in der siebenten Kulturepoche ein solches Wohlgefallen in sich auch einen moralischen Impuls zum Gefolge haben, das heißt den Wunsch, das zu tun, was moralisch ist. Es ist noch ein großer Unterschied, Wohlgefallen zu haben an einer moralischen Handlung, und das zu tun, was moralisch ist. So daß wir sagen können: Unsere Kulturepoche ist die Kulturepoche der Intelligenz, des Verstandes, darauf wird folgen die Kulturepoche, die man nennen kann die Kulturepoche des ästhetischen Wohlgefallens am Guten und des ästhetischen Mißfallens am Bösen, und die siebente wird die Epoche des tätigen moralischen Lebens sein.

Für alles dasjenige, was nun in den künftigen Kulturepochen in die Menschheit eintreten wird, sind jetzt in der menschlichen Seele erst die Keime enthalten, und wir können sagen, daß alle diese Anlagen, die der Mensch hat - intellektuelle Anlagen, Anlagen zu Sympathien und Antipathien für moralische Handlungen, Anlagen zu moralischen

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Impulsen -, mit den höheren Welten in Beziehung stehen. Jede moralische Handlung steht in gewisser Beziehung zu den höheren Welten. Unsere intellektuellen Aniagen stehen in einer übersinnlichen Beziehung zu dem, was wir den Astralplan nennen. Unsere Sympathien und Antipathien für das Gute und Böse stehen in Beziehung zu dem, was wir den niederen Devachanplan nennen. Und die Welt der moralischen Impulse in der Seele steht in einer Beziehung zu dem höheren Devachanplan. So daß wir auch sagen können: In unserer Zeit greifen die Kräfte der astralischen Welt in die Menschenseele ein, in der sechsten Kulturepoche werden die Kräfte des niederen Devachanplanes in die Menschenseele mehr eingreifen, und in der siebenten Kulturepoche werden die Kräfte des höheren Devachanplanes in unsere Menschheit besonders eingreifen.

Sie werden daraus sehen, daß es begreiflich ist, daß in der vorhergehenden vierten, in der römisch-griechischen Kulturepoche, es vorzugsweise die Kräfte des physischen Planes waren, die in die Menschenseele eingegriffen haben. Daher hat zum Beispiel die griechische Kultur so wunderbare plastische Kunstwerke geschaffen, durch die sie die Menschengestalt auf dem äußeren physischen Plan in der vorzüglichsten Weise zum Ausdruck gebracht hat. Daher waren aber auch die Menschen besonders geeignet in dieser Zeit, diejenige Wesenheit, die wir die Christus-Wesenheit nennen, auch auf dem physischen Plan in einem Menschenleibe zu erleben. In unserer Kulturepoche, der fünften, die bis in das vierte Jahrtausend dauern wird, werden die Seelen allmählich geeignet sein, die Christus-Wesenheit auf dem astralischen Plan zu erleben, und auf dem Astralplan wird die ChristusWesenheit schon in unserer Epoche vom zwanzigsten Jahrhundert ab in einer Äthergestalt so für die Menschheit sichtbar werden, wie sie in der vierten Epoche auf dem physischen Plan in einer physischen Gestalt sichtbar war.

Um nun diese ganze folgende Kulturentwickelung, in die unsere Seelen hineinsteuern, zu verstehen, ist es gut, daß wir nun tiefer auf die Eigentümlichkeiten unserer Seele in den folgenden Inkarnationen eingehen. Heute, in unserer intellektuelleren Periode, stehen für alle Seelen Intellektualität und Moralität ziemlich nebeneinander. Es kann

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heute jemand ein sehr kluger Mensch sein und dabei unmoralisch, umgekehrt kann man sehr moralisch sein und gar nicht sehr klug.

In der vierten Kulturepoche hat ein Volk prophetisch herankommen sehen dieses Nebeneinanderstehen von Moralität und Intellektualität, und dieses Volk ist das althebräische Volk. Daher suchten die Glieder des alten hebräischen Volkes eine künstliche Harmonie herzustellen zwischen Moralität und Intellektualität, während zum Beispiel bei den Griechen eine mehr natürliche Harmonie dazumal bestand. Wir können heute aus den Dokumenten der Akasha-Chronik erkennen, wie die Führer des althebräischen Volkes diese Harmonie zwischen Moralität und Intellektualität herzustellen suchten. Sie hatten Symbole, die sie so genau kannten, daß, wenn sie diese Symbole in einer gewissen Weise anschauten und auf sich wirken ließen, eine gewisse Harmonie zwischen dem, was gut, was moralisch und was weise ist, hergestellt werden konnte. Diese Symbole trugen die priesterlichen Führer des althebräischen Volkes an der Brust. Das Symbolum für die Moralität hieß Urim, das Symbolum für die Weisheit hieß Tummim.

Wollte nun der hebräische Priester für irgendeine Handlung finden: diese ist zugleich gut und weise - so ließ er auf sich wirken Urim und Tummim in einer bedeutsamen Art, und so wie diese beiden wirkten, konnte in ihm eine gewisse künstliche Harmonie hervorgerufen wer- den zwischen Moralität und Intellektualität. Die Sache war so, daß tatsächlich magische Wirkungen ausgeübt wurden durch diese Symbole, eine magische Verbindung mit der geistigen Welt hergestellt wurde.

Wir haben nun die Aufgabe, das, was dazumal durch diese künstlichen Symbole hervorgerufen wurde, nach und nach in späteren Inkarnationen durch die innere Entwickelung der Seele zu erreichen.

Und nun wollen wir einmal die Entwickelungsphasen durch die fünfte, sechste und siebente nachatlantische Kulturepoche vor unsere Seele stellen> um zu sehen, wie die Intellektualität, der Ästhetizismus und die Moralität auf unsere Seelen wirken werden.

Während in unserer Zeit, in der fünften Kulturepoche, unsere Intellektualität erhalten bleiben kann> auch wenn wir kein Gefallen haben an moralischem Handeln, wird das in der sechsten Kulturepoche

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ganz anders sein. In der sechsten Kulturepoche, also ungefähr vom dritten Jahrtausend an, wird das Unmoralische paralysierend auf die Intellektualität wirken. Wer intellektuell ist und dabei unmoralisch, wird seine Intellektualität auf einen Dämmerzustand herabsetzen mit der Entwickelung der Unmoralität. Und dieses wird immer bedeutsamer in der zukünftigen Evolution der Menschheit auftreten, so daß der Mensch> der nicht moralisch ist, keine Intellektualität erwerben wird, weil dieses nur durch moralische Handlungen möglich sein wird. Und in der siebenten nachatlantischen Kulturepoche wird es keine Menschen geben, die klug sein können und nicht moralisch. Es ist nun gut, wenn wir uns die Kräfte der Moralität bei den einzelnen Menschenseelen in den jetzigen Inkarnationen ein wenig vor die Augen führen. Warum kann denn der Mensch überhaupt in unserer Entwickelung unmoralisch werden? Diese Frage wollen wir aufwerfen. Das rührt davon her, daß der Mensch bei seinen aufeinander- folgenden Inkarnationen immer mehr in die physische Welt herunter- gestiegen ist und deshalb immer mehr Antriebe bloß zur physischen Sinneswelt hin erhalten hat.

Eine Seele ist heute um so unmoralischer, je mehr Antriebe von dem heruntersteigenden Zyklus auf die Seele wirken. Diese Tatsache ist durch ein sehr interessantes Forschungsergebnis des Okkultismus direkt zu belegen.

Sie wissen, daß der Mensch, wenn er durch die Pforte des Todes schreitet, seinen physischen und seinen Ätherleib ablegt, daß er eine kurze Zeit nach dem Tode etwas hat wie einen Rückblick auf sein gesamtes Erdenleben. Dann folgt die Zeit einer Art Schlafzustandes. Und der Mensch wacht dann nach einigen Monaten oder Jahren auf dem Astralplan, im Kamaloka, auf. Es folgt diesem Erwachen das Kamaloka-Leben, das darin besteht, daß wir mit dreimal so großer Geschwindigkeit das Erdenleben zurückleben. Und im Beginne des Kamaloka-Lebens ersteht für jeden Menschen ein sehr bedeutendes Ereignis. Für die meisten Menschen unseres Europa oder überhaupt der neueren Kulturepoche stellt sich dieses Ereignis so hin, daß beim Beginne des Kamaloka-Lebens eine geistige Individualität uns alles das, was wir selbstsüchtig getan haben im letzten Leben, wie ein Verzeichnis

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alles dessen zeigt, was wir gesündigt haben. Je anschaulicher Sie sich diesen Vorgang darstellen, desto richtiger stellen Sie sich ihn vor: wie wenn wirklich am Anfang des Kamaloka-Lebens sich so eine Gestalt mit dem Register unseres physischen Lebens darstellen wollte.

Das ist nun die wichtige Tatsache, die man natürlich nicht weiter beweisen kann, weil sie nur durch okkulte Erfahrung bewiesen werden kann, daß die meisten Menschen, die der europäischen Bildung angehören, in dieser Gestalt den Moses erkennen. Dieses ist eine Tatsache, die man namentlich immer gewußt hat in den rosenkreuzerischen Forschungen seit dem Mittelalter, und die durch sehr subtile ForsCh~ngen gerade in den letzten Jahren bestätigt worden ist.

Sie körinen daraus entnehmen, daß der Mensch beim Beginn des Kamaloka-Lebens eine sehr große Verantwortlichkeit fühlt gegenüber den vorchristlichen Mächten für das, was ihn heruntergezogen hat. Und dem okkulten Leben gegenüber erscheint tatsächlich die MosesIndividualität als diejenige, die Rechenschaft fordert für das Unrecht, welches in unserer Zeit geschieht.

Diejenigen Mächte, diejenigen Kräfte, die den Menschen wiederum hinaufziehen in die geistige Welt, die zerfallen in zweierlei: in solche, die ihn hinaufziehen auf dem Wege der Weisheit, und in solche, die ihn hinaufziehen auf dem Wege der Moralität. Diejenigen Kräfte nun, welche vorzugsweise den intellektuellen Fortschritt bewirken, die gehen alle aus von einer Ihnen allen bekannten bedeutenden Individualität aus der vierten nachatlantischen Kulturepoche. Nämlich der Impuls zur weisheitsvollen Entwickelung der Seele geht aus von Gautama Buddha. Es ist merkwürdig, daß uns die okkulte Forschung lehrt, daß gerade die scharfsichtigsten und wichtigsten Gedanken, die in unserer Kulturepoche gedacht worden sind, ausgegangen sind von Gautama Buddha. Dieses ist um so merkwürdiger, als man im Abendlande in noch nicht allzulanger Zeit, bis zu 5chopenhauer hinauf, den Namen des Gautama Buddha fast nicht gekannt hat. Dies aber ist sehr begreiflich, denn der Gautama Buddha stieg in der Zeit, als er der Königssohn des Suddhodana war, von der Bodhisattva-Würde zur Buddha-Würde auf, und das Buddha-Werden bedeutet, daß die be

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treffende Individualität sich nicht mehr im fleischlichen Leibe auf Erden inkarniert.

In der Tat ist es auch so, daß jene Individualität, die fünf bis sechs Jahrhunderte vor dem Beginne unserer Zeitrechnung vom Bodhisattva zum Buddha geworden ist, nicht mehr in einem physischen Leib sich inkarniert hat und auch nicht mehr in einem physischen Leib sich inkarnieren kann. Dafür aber sendet sie aus den höheren Welten, aus den übersinnlichen Welten, die Kräfte herunter und inspiriert alle die Kulturträger, die noch nicht von dem Christus-Impulse durchsetzt sind. Ein Bewußtsein davon war vorhanden in einer schönen Legende, welche Johann von Damaskus im achten Jahrhundert niedergeschrieben hat und die berühmt wurde durch alle europäischen Länder hindurch im Mittelalter. Es ist die Legende von Barlaam und Josaphat, welche uns in der Tat zeigt, wie derjenige, welcher der Nachfolger des Buddha geworden ist - Josaphat ist in lautlicher Umwandlung derselbe Name für Bodhisattva - von Barlaam für die christlichen Impulse belehrt worden ist. Diese Legende, die dann vergessen worden ist, erzählt uns, daß der Nachfolger des Bodhisattva von einem Vertreter des Christentums, Barlaam, belehrt worden ist, und sie will zeigen> daß derjenige Bodhisattva, der auf den Gautama Buddha gefolgt war, in der Tat die christlichen Impulse in sein eigenes Seelenleben aufgenommen hat. Und so ist es auch. Denn der zweite Impuls, der außer dem BuddhaImpuls in der Menschheitsevolution nun fortwirkt, das ist der ChristusImpuls, und dieser Impuls ist derjenige, welcher in der Zukunft dem Aufstieg der Menschheit zur Moralität entspricht. Daher kann man sagen: Wenn auch die Buddha-Lehre eine im besonderen Sinne moralische Lehre ist, so ist sie eben eine moralische Lehre, während der Christus-Impuls nicht Lehre, sondern Kraft ist. Er wirkt als moralische Kraft, die immer mehr und mehr sich so gestaltet, daß sie die Menschheit wirklich mit Moralität durchdringt.

In der vierten nachatlantischen Kulturepoche mußte sich diese Christus-Wesenheit, die aus kosmischen Höhen heruntergestiegen ist, zunächst im physischen Leibe zeigen. In unserer fünften Kulturepoche werden sich die intellektuellen Kräfte dann so verdichten, daß der Mensch fähig werden wird, den Christus nicht nur als physische,

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sondern als Äthergestalt zu sehen. Dieses Ereignis nimmt schon von unserem Jahrhundert, vom zwanzigsten Jahrhundert an, seinen Anfang. Vom dreißigsten, vierzigsten Jahre dieses Jahrhunderts an werden einzelne Menschen auftreten, welche ihr individuelles Leben so entwickelt haben, daß sie sehen werden die Äthergestalt des Christus, wie sie zur Zeit des Jesus von Nazareth den physischen Christus gesehen haben. Und immer mehr und mehr werden in den nächsten drei Jahrtausenden Menschen kommen, welche diesen ätherischen Christus schauen werden, bis ungefähr drei Jahrtausende nach unserer Zeitrechnung eine genügende Anzahl Menschen auf Erden keine Evangelien oder andere Urkunden mehr brauchen werden, weil sie in der Seele den Christus gesehen haben werden.

Wir müssen also uns klar sein darüber, daß in der vierten nach- atlantischen Epoche die Menschen nur fähig waren, den physischen Christus zu sehen, deshalb kam er auch im physischen Leibe. In unserer Epoche bis in das dritte Jahrtausend hinein werden die Menschen allmählich fähig, den ätherischen Christus zu sehen, deshalb kommt er niemals wieder im physischen Leibe. Wenn wir uns nun vor Augen halten, daß heute der Mensch, wenn er das Kamaloka betritt und von einer moralisch wirkenden Gestalt, dem Moses, zur Rechenschaft gezogen wird, der sich immer mehr mit dem Christus-Impuls verbindet, so werden wir verstehen, wie sich das ereignen wird, was ich als eine Umwandlung der Moses-Gestalt schildern kann. Was zeigt uns denn Moses, wenn er mit unserem Sündenregister vor uns steht? Er zeigt uns, was auf der einen Seite, auf der Unrechtseite unseres Karma steht. Das ist in der Tat wichtig für eine Seele unserer Zeit, daß durch die Inspiration des Buddhismus die Karmalehre begriffen werden karin, daß aber die Wirklichkeit des Karma nach dem Tode uns gezeigt wird durch die alttestamentarische Gestalt des Moses. Indem nun die Seelen sich immer mehr und mehr durchdringen mit dem übersinnlichen Christus, wird sich vollziehen nach dem Tode die Umwandlung der Moses-Gestalt in die des Christus Jesus. Das heißt aber nichts anderes als: unser Karma kommt mit Christus in einen Zusammeniiang, Christus wächst mit unserem eigenen Karma zusammen.

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Es ist sehr interessant, zu beobachten, daß das Karma im Sinne der Buddha-Lehre eine abstrakte Sache ist. Es hat dieses Karma des Buddhismus etwas Unpersönliches. In der Zukunft der MenschenInkarnationen verwächst immer mehr der Christus mit dem Karma: Es bekommt unser Karma etwas Wesenhaftes, etwas Lebensfähiges.

Unsere früheren Entwickelungsstadien, unsere vergangenen Leben lassen sich gut zusammenfassen in den Worten: Ex deo nascimur. Gestalten wir unsere Entwickelung so, daß wir nach dem Tode statt des Moses dem Christus begegnen, mit dem unser Karma dann zusammenwächst> so wird dies ausgedrückt durch die seit dem dreizehnten Jahrhundert bestehende christlich-rosenkreuzerische Strömung mit dem Worte: in Christo morimur.

Gerade so, wie man ein Buddha nur auf dem physischen Plan werden kann, so kann die Menschenseele die Fähigkeit, dem Christus im Tode zu begegnen, nur auf dem physischen Plan erwerben. Ein Buddha ist zuerst ein Bodhisattva, er steigt aber zum Buddha auf in der physischen Inkarnation, und dann braucht er nicht mehr auf die Erde zu kommen. Das Verständnis für den Christus, so wie wir es jetzt auseinandergesetzt haben, kann man nur auf dem physischen Plan erwerben. Um dies zu ermöglichen, werden in den nächsten drei Jahrtausenden die Menschen die Fähigkeit, den übersinnlichen Christus zu schauen, in der physischen Welt erwerben müssen, und dazu ist die geisteswissenschaftliche Bewegung da. Das ist ihre Mission: die Bedingungen zu schaffen, die auf dem physischen Plan das Verständnis für den Christus bewirken, um dann den Christus schauen zu können.

Ob wir nun in der Zeit, in welcher der Christus als ätherischer Christus in die Menschheit eingreift, in einem physischen Leibe sind oder zwischen Tod und neuer Geburt, das macht nichts aus, wenn wir die Fähigkeit, ihn zu schauen, hier erworben haben. Nehmen wir zum Beispiel an, ein Mensch könnte, weil er früher stirbt, nicht dazu kommen, daß er den Christus schaut in seiner jetzigen ätherischen Verkörperung, so würde er dennoch, wenn er sich hier das Verständnis dafür erworben hat, nachher zwischen Tod und neuer Geburt den Christus schauen können. Derjenige, der dem spirituellen Leben fernsteht

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und sich kein Christus-Verständnis erwirbt, der wird bis zum nächsten Leben der Christus-Erkenntnis fernbleiben, um sie dann im nächsten Leben zu erwerben.

Dieses, was jetzt gesagt worden ist, zeigt Ihnen, daß mit der fortschreitenden Menschheit in den drei Kulturepochen, der fünften, sechsten und siebenten, der Christus-Impuls immer mehr und mehr die Erde beherrschen wird. Wenn nun gesagt worden ist, daß in der sechsten Kulturepoche die Intellektualität durch das Unmoralische gehemmt wird, so müssen wir auf der anderen Seite auch einsehen, daß derjenige, der dann seine Intellektualität gelähmt hat durch die Unmoralität, sich mit aller Kraft zu dem Christus wenden muß, um sich durch ihn zur Moralität erheben zu lassen. Moralische Kraft kann dieses geben.

Was ich Ihnen gesagt habe, ist zwar besonders genau erforscht seit dem dreizehnten Jahrhundert, seitdem es Rosenkreuzer gibt, aber es ist auch eine Wahrheit, welche manche Okkultisten gewußt haben in allen Zeiten.

Wenn man behaupten würde, daß das physische Christus-Ereignis, die Erscheinung des Christus in einem physischen Leibe, zweimal auf der Erde stattfinden könnte, so würde man im Okkulten dasselbe behaupten, als wenn man sagen würde, eine Waage geht besser, wenn man sie an zwei Punkten unterstützt, statt an einem. In Wahrheit ist tatsächlich die dreijährige Lebenszeit des Christus, der drei Jahre in dem Leibe des Jesus von Nazareth auf Erden wandelte, dasselbe wie der Schwerpunkt der Erdenentwickelung. Und wie eine Waage einen Balken nur an einem Punkte aufgehängt haben kann, so kann auch die Erdenevolution nur einen Schwerpunkt haben.

Etwas anderes ist das Lehren der moralischen Evolution und etwas anderes der Impuls zu dieser moralischen Evolution selber.

Schon bevor das Ereignis von Golgatha eingetreten ist, war der Nachfolger des Buddha, der spätere Bodhisattva da, um dies Ereignis vorzubereiten und in seinem Kreise zu lehren. Der Bodhisattva, der auf den Buddha folgte, war zum Beispiel inkarniert in der Persönlichkeit des Jeshu ben Pandira ein Jahrhundert vor der Geburt des Jesus von Nazareth. Wir haben also zu unterscheiden ein Jahrhundert vor

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unserer Zeitrechnung die Jesllu ben Pandira-Inkarnation des Bodhisattva, der auf den Gautama Buddha gefolgt ist, und die des Jesus von Nazareth am Beginne unserer Zeitrechnung, der drei Jahre seines Lebens durchdrungen ist von der kosmischen Wesenheit, die wir den Christus nennen.

JenerBodhisattva, der inJeshu benPandira war und auch in anderen Persönlichkeiten reinkarniert war> der kommt immer wiederum, bis er in dreitausend Jahren aufsteigt zum Buddha und als MaitreyaBuddha seine letzte Inkarnation erlebt. Jene Individualität, welche die Christus-Individualität war, die war nur drei Jahre auf Erden, in dem Körper des Jesus von Nazareth, und kommt nicht wieder in einem physischen Leibe; nur in der fünften Kulturepoche im Ätherleibe, in der sechsten Kulturepoche im astralen Leibe, und wieder weiter, in der siebenten Kulturperiode, in einem großen kosmischen Ich, das gleich einer großen Gruppenseele der Menschheit ist. Wenn der Mensch stirbt, fällt von ihm ab sein physischer, sein Ätherleib, sein Astralleib, und von ihm geht sein Ich über zur nächsten Inkarnation. Gerade so ist es aber auch mit dem Planeten unserer Erde. Dasjenige, was an unserer Erde physisch ist, fällt am Ende der Erdenperiode ab, und die Gesamtheit aller Menschen, die der Menschenseelen, geht hinüber in den Jupiter, in den nächsten planetarischen Zustand der Erde. Von den Stadien der Entwickelung, die sie erreicht haben wird, geht sie über zu dem nächsten Stadium der Erdenentwickelung, dem Jupiterdasein. Und wie beim einzelnen Menschen das menschliche Ich der Mittelpunkt ist seiner weiteren Entwickelung, so ist nachher für die ganze Menschheit das Christus-Ich> das in ihre astralischen und Ätherleiber gesenkte Ich, dasjenige, was weitergeht, um in der folgenden planetarischen Entwickelung das Jupiterdasein zu beseelen.

Wir sehen also, wie der auf die Erde herabgestiegene Christus, von einer physisch-irdischen Menschenwesenheit ausgehend> sich allmählich entwickelt als ätherischer, als astralischer, als Ich-Christus, um als Ich-Christus der Geist der Erde zu sein, der dann mit allen Menschen sich emporhebt zu höheren Stufen.

Was tun wir nun, indem wir heute Geisteswissenschaft lehren? Wir tun dasjenige, was so klar die orientalischen Lehren verkündet haben,

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als der Bodhisattva, der da der Königssohn des Suddhodana war, zum Buddha aufgestiegen war. Die orientalischen Lehren waren sich dazu- mal klar darüber, daß der nachfolgende Bodhisattva, der zum Buddha werden würde, die Lehren über die Erde zu verbreiten hatte, die den Christus in der richtigen Weise den Menschen zeigen würden. So wurde der nächstfolgende Bodhisattva, der sich in Jeshu ben Pandira und in anderen immer weiter verkörperte, der Lehrer des ChristusImpulses. Und die Legende deutet das sehr gut an in der Barlaam- und Josaphat-Erzählung, indem von Barlaam, dem christlichen Lehrer, der Josaphat> das heißt der Bodhisattva, unterrichtet wird. Die orientalischen okkulten Lehren nennen daher diesen Bodhisattva den Bringer des Guten: Maitreya-Buddha. Und wir wissen aus okkulten Forschungen, daß dieser Maitreya-Buddha die Kraft des Wortes in einer solchen Weise haben wird, daß sich die heutigen Menschen davon noch gar keine Vorstellung machen können. Wir können heute hellsichtig in dem höheren Weltenwerden sehen, wie der MaitreyaBuddha lehren wird nach dreitausend Jahren. Wir könnten vieles von seinen Lehren auch in symbolischen Zeichnungen ausführen. Wir finden aber heute noch nicht die Möglichkeit dazu, weil die Menschheit noch nicht reif dafür ist, solche Worte auszusprechen, wie sie der Maitreya-Buddha aussprechen wird.

Der Gautama Buddha hat große intellektuelle Lehren, vom rechten Sprechen, rechten Lehren, rechten Denken und so weiter in dem achtgliedrigen Pfade ausgesprochen; der Maitreya-Buddha wird Worte haben, die unmittelbar durch ihre magische Kraft zu moralischen Impulsen werden bei Menschen, die sie hören. Und würde es für ihn einen Johannes-Evangelisten geben, so würde der noch anders sprechen müssen, als der Johannes-Evangelist von dem Christus sprach. Da heißt es: « Und das Wort ist Fleisch geworden»; der JohannesEvangelist des Maitreya-Buddha würde sagen müssen: und das Fleisch ist Wort geworden.

In einer wunderbaren Weise wird durchdrungen sein das, was von den Lippen des Maitreya-Buddha kommen wird, von der starken Kraft des Christus. Unsere okkulten Forschungen zeigen uns heute, daß in einer gewissen Weise auch äußerlich der Maitreya-Buddha

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nachleben wird das Leben des Christus. Wenn in alten Zeiten eine große Individualität als Lehrer der Menschheit aufgetreten ist, so zeigte sich das schon in früher Jugend in den besonderen Anlagen, in der Psychialität des betreffenden Kindes. Es gibt allerdings daneben schon immer eine andere Entwickelung, die so abläuft, daß man eine vollständige Umänderung der betreffenden Persönlichkeit in einem bestimmten Alter bemerkt. Es geschieht dann, wenn der Mensch bis zu einem gewissen Alter heranwächst, daß sein Ich aus seinen Leibeshüllen genommen wird und ein anderes Ich in seinen Körper eintritt. Das größte Beispiel dieser Art ist eben der Christus-Jesus selber, von dem im dreißigsten Jahre die Christus-Individualität Besitz ergreifen konnte.

Bei allen Verkörperungen des Bodhisattva, der der MaitreyaBuddha werden wird, hat sich gezeigt, daß er gerade in dieser Beziehung in dem Sinne des Christus leben wird. Bei allen Verkörperungen des Bodhisattva weiß man noch nicht, wenn das Kind heran- wächst, auch wenn der Jüngling heranwächst, daß er ein Bodhisattva werden wird. Jedesmal, wenn der Bodhisattva geboren wird> zeigt es, sich, daß im dreißigsten bis einunddreißigsten Jahre eine andere Persönlichkeit von seinem Körper Besitz ergriffen hat. Es wird nie diesen Bodhisattva geben so, daß er sich schon in seiner frühsten Jugend in seiner Eigenschaft als Bodhisattva zeigt. Im dreißigsten bis zum einunddreißigsten Jahre wird er sich aber in noch ganz anderen Eigenschaften zeigen, weil eben eine andere Persönlichkeit Besitz von seinem Körper ergriffen hat. Die Individualitäten, die so Besitz er- greifen werden von der Persönlichkeit eines andern Menschen, sind Individualitäten, die in alten Zeiten gelebt haben und nicht als Kind erscheinen werden, Individualitäten wie Moses, Abraham, Ezechiel. So ist es auch in unserem Jahrhundert mit dem Bodhisattva, der später, in dreitausend Jahren, der Maitreya-Buddha sein wird. Es würde ein bloßer okkulter Dilettantismus sein, wenn man behaupten würde, daß dieser Maitreya schon in jungen Jahren als solcher erkennbar wäre. Zwischen dem dreißigsten und dreiunddreißigsten Jahre zeigt er sich erst durch seine eigene Kraft, ohne daß von andern auf ihn erst hingewiesen sein wird; durch eigene Kraft wird er überzeugen. Und man

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würde am besten erkennen, daß irgendwo nicht das Richtige getroffen worden sei, wenn man von einem jüngeren Menschen, der weniger als dreißig Jahre alt ist, sagen würde, daß in ihm der Bodhisattva sich zeige. Daran würde man gerade das Unrichtige erkennen. Solche Behauptungen sind ja immer wieder aufgestellt worden. Man braucht nur daran zu erinnern, daß im siebzehnten Jahrhundert eine Individualität auftrat, die behauptete, eine Inkarnation des Messias, des Christus, zu sein. Es ist die Persönlichkeit des 5abbatai Zewi, der im siebzehnten Jahrhundert aufgetreten ist, der sich fÜr den Christus aus- gab und zu dem tatsächlich eine große Menge Leute von ganz Europa, von Spanien, Italien, Frankreich bis Smyrna walffahrtete.

Es ist gewiß richtig, daß in unserer Zeit eine große Abneigung vorhanden ist, Menschengenien zu erkennen. Aber es ist umgekehrt auch eine große Bequemlichkeit vorhanden, die dahin geht, daß man gern bereit ist, auf die bloße Autorität hin diese oder jene Individualität als eine Größe anzuerkennen und gelten zu lassen. Wichtig ist, daß Geisteswissenschaft heute so vertreten werde, daß sie möglichst wenig auf einen bloßen Autoritätsglauben sich stützt.

Viele von den Dingen, die ich heute gesagt habe, können nur mit Mitteln der okkulten Forschung kontrolliert werden. Aber ich fordere Sie auf, mir diese Dinge nicht zu glauben, sondern sie zu prüfen an alledem, was Sie aus dem Leben der Geschichte kennen, Überhaupt an allem, was Sie erfahren können, und ich bin vollständig ruhig darüber, daß, je genauer Sie prüfen, desto genauer Sie sie bestätigt finden. Ich appeIliere in der Zeit des Intellektualismus nicht an Ihren Autoritätsglauben, sondern an Ihre intellektuelle Prüfung. Und der Bodhisattva des zwanzigsten Jahrhunderts wird auch nicht appellieren an irgendwelche Vorverkündiger, die ihn als Maitreya-Buddha proklamieren, sondern an die Kraft seines eigenen Wortes, und wird als Mensch allein in der Welt stehen.

Das könnten etwa die Worte sein, mit denen zusammengefaßt werden kann dasjenige> was heute gesprochen worden ist: In unserer Menschheitsentwickelung wirken zwei Strömungen. Die eine ist die Weisheits- oder Buddha-Strömung, die höchste Lehre von Weisheit, Herzensgüte und Erdenfrieden. Daß diese Buddha-Lehre in alle Herzen

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wirksam einziehen könne, dazu ist der Christus-Impuls unerläßlich.

Die zweite ist die Christus-Strömung, welche hinaufführen wird die Menschheit von dem Intellektualismus über den Ästhetizismus zur Moralität. Und der größte Lehrer des Christus-Impulses wird immerzu sein der Nachfolger des Buddha, jener Bodhisattva, der sich immer wieder inkarniert und der zum Maitreya-Buddha wird nach dreitausend Jahren. Denn wahr ist dasjenige, was die orientalischen Urkunden sagen: daß genau nach fünftausend Jahren, nachdem der Gautama Buddha seine Erleuchtung unter dem Bodhibaum empfangen hat, der Maitreya-Buddha sich auf Erden zum letztenmal verkörpern wird.

Die Reihe der Bodhisattvas und Buddhas hat nichts zu tun mit dem kosmischen Sein des Christus, und in dem Leibe des Jeshu ben Pandira war nicht der Christus inkarniert, sondern ein Bodhisattva. Christus ist nur einmal, und zwar nur drei Jahre hindurch, in einem physischen Leibe verkörpert gewesen, der Bodhisattva erscheint in jedem Jahrhundert wiedernm bis zu seinem Maitreya-Buddha-Dasein.

So sehen wir, wie die Geisteswissenschaft heute die Aufgabe hat, eine Synthesis der Religionen zu sein. Wir können die eine Form der Religion im Buddhismus zusammenfassen, die andere Form der Religion im Christentum. Und je mehr wir fortschreiten in der zukünftigen Menschheitsentwickelung, desto mehr werden die Religionen sichvereinigen, wie der Buddha und der Christus selber sich in unseren Herzen vereinigen.

Damit haben wir einen Ausblick gewonnen in die geistige Menschheitsentwickelung und eingesehen die Notwendigkeit der geisteswissenschaftlichen Belebung, die eine Vorbereitung sein soll für das Verständnis dessen, was in der fortschreitenden Kultur sich entwickelt, um eine Einsicht zu bekommen in das, was in der Menschheitsevolution geschieht.

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DAS ROSENKREUZERISCHE CHRISTENTUM Neuchâtel, 27. September 1911 Erster Vortrag

Es erfüllt mich mit tiefer Befriedigung, zum ersten Male hier zu sein in diesem neugegründeten Zweige, welcher den hohen Namen «Christian Rosenkreutz» trägt, wodurch es mir möglich ist, zum ersten Male genauer über Christian Rosenkreutz zu sprechen. Worin besteht das Mysterium des Christian Rosenkreutz? An einem Abend karsri nicht alles über diese Persönlichkeit gesagt werden, und so werden wir heute über Christian Rosenkreutz selber, morgen abend aber über sein Werk sprechen.

Über Christian Rosenkreutz zu sprechen, setzt voraus ein großes Vertrauen in die Mysterien des geistigen Lebens, ein Vertrauen nicht nur in die Person, sondern in die großen Geheimnisse des spirituellen Lebens. Einen neuen Zweig zu gründen, setzt aber auch immer einen Glauben an das geistige Leben voraus.

Christian Rosenkreutz ist eine Individualität, welche wirkt sowohl wenn sie inkarniert ist, als auch wenn sie nicht im physischen Leibe verkörpert ist; sie wirkt nicht nur als physische Wesenheit und durch physische Kräfte, sondern vor allem geistig durch höhere Kräfte.

Wie wir wissen, lebt der Mensch nicht nur für sich, sondern im Zusammenhang mit der großen Menschheitsentwickelung. Wenn der gewöhnliche Mensch durch den Tod geht, löst sich sein Atherleib im Weltenall auf. Aber von dem sich auflösenden Ätherleib bleibt immer ein Teil erhalten, und so sind wir durchweg umgeben von Resten der Ätherleiber Verstorbener, zu unserem Heil oder auch zu unserem Schaden. Sie wirken auf uns in gutem oder bösem Sinne, je nachdem wir selbst gut oder böse sind. Uinfassende Wirkungen gehen von den Ätherleibern großer Individualitäten in diesem Sinne auf uns aus. So geht vom Ätherleibe des Christian Rosenkreutz eine große Kraft aus, die auf unsere Seele und auf unsern Geist einwirken kann. Es ist unsere Aufgabe, diese Kräfte kennen zu lernen. Und an diese Kräfte appeffieren wir als Rosenkreuzer.

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Im engeren Sinne nahm die rosenkreuzerische Bewegung im dreizehnten Jahrhundert ihren Anfang. Damals wirkten diese Kräfte ungemein stark, und seit diesem Zeitpunkt besteht eine Christian Rosenkreutz-Strömung, die fortan im Geistesleben immer weiter wirkt. Es gibt ein Gesetz, daß etwa alle hundert Jahre dieser geistige Kraftstrom besonders wirksam zum Ausdruck kommen muß. Das zeigt sich jetzt in der theosophischen Bewegung. In seinen letzten exoterischen Ausführungen hat Christian Rosenkreutz dieses selbst so angedeutet.

Im Jahre 1785 kamen die gesammelten esoterischen Offenbarungen der Rosenkreuzer zum Ausdruck in dem Werk: «Die geheimen Figuren der Rosenkreuzer» von Hinrictts Madalhanus Theosophus. In dieser Publikation sind in einem gewissen beschränkten Sinne Hinweise enthalten auf das, was gewirkt hatte in den vorangegangenen hundert Jahren als Rosenkreuzerströmung und was erst dann zum Ausdruck kam in den Arbeiten, die gesammelt waren und zusammengefaßt wurden von Hinricus Madathanus Theosophus. Wieder hundert Jahre später sehen wir die Wirkung der Rosenkreuzerströmung zum Ausdruck kommen in dem Werke der H. P. Btavatskj;, insbesondere in dem Buche: «Die entschleierte Isis». Manches von dem Inhalt jener Figuren ist dort in Worten niedergeschrieben. Eine Summe von abendländischer okkulter Weisheit, die noch lange nicht gehoben ist, ist darin enthalten, wenn auch die Komposition manchmal recht verworren ist. Es ist interessant, «Die geheimen Figuren der Rosenkreuzer» des Hinricus Madathanus Theosophus zu vergleichen mit dem Werke der H. P. BIavatsky. Wir müssen hauptsächlich die erste Hälfte der Publikation ins Auge fassen, die im Sinne der «Figuren» verfaßt ist. Im zweiten Teil kommt Blavatsky etwas ab von der RosenkreuzerStrömung. In ihren späteren Werken entfernte sich H. P. Blavatsky von diesem rosenkreuzerischen Geistesstrom, und wir müssen zwischen ihren ersten und den späteren Publikationen zu unterscheiden wissen, wenn zwar auch schon in die ersteren manches von dem unkritischen Geist H. P. Blavatskys hineingekommen ist. Daß dieses gesagt wird, ist der jetzt nicht verkörperten H. P. Blavatsky nur erwünscht.

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Wenn wir die Eigentümlichkeit des menschlichen Bewußtseins im dreizehnten Jahrhundert ins Auge fassen, so sehen wir, daß das primitive Hellsehen allmählich verschwunden war. Wir wissen, daß alle Menschen früher ein elementares Hellsehen hatten. In der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts gab es in dieser Hinsicht einen Tiefpunkt. In der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts war plötzlich kein Hellsehen mehr da. Es trat für alle Menschen eine geistige Finsternis ein. Sogar die erleuchtetsten Geister, die höchstentwickelten Persönlichkeiten, auch die Eingeweihten, hatten damals keinen Zugang mehr zu den geistigen Welten und mußten sich auf das beschränken, was ihnen durch Erinnerung geblieben war, wenn sie etwas über die geistigen Welten aussagten. Man wußte über die geistigen Welten nur noch durch Überlieferung oder von solchen Eingeweihten, die ihre Erinnerung an das, was sie früher erlebt hatten, weckten. Aber für eine kurze Zeit konnten auch diese Geister nicht unmittelbar hinein- blicken in die geistige Welt.

Diese kurze Zeit der Verfinsterung mußte damals sein, um das Charakteristische unseres jetzigen Zeitalters vorzubereiten: die heutige intellektuelle, verstandesmäßige Kultur. Das ist das Wichtige, das wir heute in der fünften nachatlantischen Kulturepoche haben. In der griechisch-lateinischen Kulturepoche war die heutige Verstandes- kultur nicht in dieser Weise da. Da war an Stelle des verstandesmäßigen Denkens die unmittelbare Anschauung das Dominierende. Der Mensch wuchs sozusagen unmittelbar zusammen mit dem, was er sah und hörte; ja, auch mit dem, was er dachte, wuchs der Mensch damals so zusammen. Damals wurde nicht so viel spintisiert, wie es heute geschieht und geschehen muß, denn das letztere ist die Aufgabe der fünften nachatlantischen Kulturepoche. Nach dieser Zeit beginnt langsam wieder das Hellsehen des Menschen, und es kann sich dann das Hellsehen der Zukunft ausbilden.

Der Ursprung der Rosenkreuzerströmung fällt in das dreizehnte Jahrhundert. Damals, im dreizehnten Jahrhundert, mußten ganz besonders geeignete Persönlichkeiten für die Einweihung ausgewählt werden. Die Einweihung selbst konnte erst geschehen nach Ablauf jener kurzen Zeit der Verlinsterung.

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An einem Orte in Europa, von dem noch nicht gesprochen werden darf - aber es wird in nicht ferner Zeit auch dies geschehen können -, bildete sich eine hochgeistige Loge, ein Kollegium von zwölf Männern, welche die ganze Summe der geistigen Weisheit alter Zeiten und ihrer eigenen Zeit in sich aufgenommen hatten. Es handelt sich darum, daß in jener verfinsterten Zeit zwölf Menschen lebten, zwölf hervorragende Geister, die sich vereinigten, um den Menschheitsfortschritt zu fördern. Sie konnten alle nicht unmittelbar hineinschauen in die geistige Welt, aber sie konnten regsam machen in sich die Erinnerung an das, was sie durch frühere Einweihung erlebt hatten. Und das Menschheitskarma hatte es so gefügt, daß in sieben dieser zwölf Menschen dasjenige verkörpert war, was der Menschheit geblieben war an Resten der alten atlantischen Epoche. In meiner «Geheimwissenschaft» ist ja schon gesagt, daß in den sieben alten heiligen Rishis, den Lehrern der urindischen Kulturzeit, hinübergetragen wurde das, was von der atlantischen Epoche übrig geblieben war. Die sieben Männer, die im dreizehnten Jahrhundert wieder inkarniert waren, die ein Teil des Kollegiums der Zwölf waren, das waren eben diejenigen, die zurückblicken konnten auf die sieben Strömungen der alten atlantischen Entwickelungsepoche der Menschheit und auf das, was als diese sieben Strömungen fortlebte. Von diesen sieben Individualitäten konnte jede immer nur eine Strömung fruchtbar machen für die damalige und die heutige Zeit. Zu diesen Sieben kamen vier andere, die nicht auf längst verflossene Urzeiten zurückblicken konnten wie die erstgenannten sieben Weisen, sondern diese vier Persönlichkeiten konnten zurückblicken auf das, was die Menschheit sich angeeignet hatte von okkulter Weisheit in den vier nachatlantischen Kulturperioden. Von diesen Vier konnte der erste auf die urindische Zeit zurückblicken, der zweite auf die urpersische Kulturzeit, der dritte auf die ägyptisch-chaldäisch-assyrisch-babylonische Kulturzeit, der vierte auf die griechisch-lateinische Kultur. Diese Vier vereinigten sich mit den Sieben zu dem Kollegium der weisen Männer im dreizehnten Jahrhundert. Ein Zwölfter endlich hatte gewissermaßen am wenigsten an Erinnerungen, aber er war der Intellektuellste von ihnen, der besonders die äußeren Wissenschaften zu pflegen hatte. Diese

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zwölf Individualitäten lebten ja nicht nur in den Erlebnissen des abendländischen Okkultismus, diese zwölf verschiedenen Weisheitsströmungen wirkten zusammen zu einem Gesamtbilde. Eine ganz besondere Art, darauf hinzuweisen, finden wir bei Coethe in seinem Gedicht: «Die Geheiirinisse».

Also von zwölf hervorragenden Individualitäten haben wir zu sprechen. Den Ausgangspunkt einer neuen Kultur haben wir in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts zu suchen. In dieser Zeit war ein gewisser Tiefpunkt des geistigen Lebens erreicht worden. Der Zugang zu den geistigen Welten war damals auch den Höchstentwickelten verschlossen. Damals trat dieses hochgeistige Kollegium zusammen. An einem Orte in Europa, von dem noch nicht geredet werden darf, fanden sich diese zwölf Männer zusammen, welche die Summe des ganzen geistigen Wissens ihrer Zeit darstellten und die zwölf Geistesrichtungen vertraten.

In diesem Kollegium der Zwölf war zum Teil nur Erinnerungshellsehen und intellektuelle Weisheit vorhanden. Die sieben Nachfolger der sieben Rishis erinnerten sich ihrer alten Weisheit, die fünf an- dern vertraten die Weisheit der fünf nachatlantischen Kulturen. Somit vertraten die Zwölf die ganze atlantische und nachatlantische Weisheit. Der Zwölfte war ein Mensch, der im höchsten Maße die intellektuelle Weisheit seiner Zeit hatte. Er besaß verstandesmäßig das ganze Wissen seiner Zeit, während die anderen, denen direktes Geistes- schauen damals auch versagt war, durch Versenken in die Erinnerungen an ihre früheren Inkarnationen ihr Wissen damals erlangten.

Der Ausgangspunkt einer neuen Kultur war aber nur dadurch möglich, daß ein Dreizehnter in die Mitte der Zwölf trat. Dieser Dreizehnte wurde kein Gelehrter im Sinne der damaligen Zeit. Er war eine Individualität, die inkarniert gewesen war zur Zeit des Mysteriums von Golgatha. Er hatte in darauffolgenden Inkarnationen durch ein demütiges Gemüt, durch ein inbrünstiges, gottergebenes Leben sich für seine Mission vorbereitet. Er war eine große Seele, ein frommer, innerlich tief mystischer Mensch, der mit diesen Eigenschaften geboren wurde und sie sich nicht nur erworben hatte. Wenn Sie sich einen jungen Menschen vorstellen, sehr fromm, fortwährend inbrünstig

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zu seinem Gott betend, so können Sie sich ein Bild der Individualität dieses Dreizehnten vor Augen stellen. Dieser Dreizehnte wuchs ganz und gar auf in der Pflege und Erziehung der Zwölf, und er erhielt von jedem an Weisheit, soviel ihm jeder nur geben konnte. Mit der größten Sorgfalt wurde dieser Dreizehnte erzogen, und es wurden alle Einrichtungen so getroflen, daß niemand als diese Zwölf einen Einfluß auf ihn ausüben konnten. Er wurde von der übrigen Welt abgesondert. Er war ein sehr schwächliches Kind in jener Inkarnation des dreizehnten Jahrhunderts> daher wirkte die Erziehung, die ihm die Zwölf angedeihen ließen, bis in seinen physischen Leib hinein. Die Zwölf aber, von denen jeder so durchdrungen und erfüllt von seiner geistigen Aufgabe war und tief durchdrungen vom Christentum, waren sich bewußt> daß das äußere Christentum der Kirche nur ein Zerrbild des wahren Christentums war. Sie waren erfüllt von der Größe des Christentums, galten aber äußerlich als Feinde desselben. Jeder einzelne arbeitete sich nur in einen Teil des Christentums hinein. Ihr Bestreben war, die verschiedenen Religionen in einer großen Einheit zu vereinigen. Sie waren überzeugt, daß in ihren zwölf Strömungen alles geistige Leben enthalten war, und jeder wirkte nach seinen Kräften auf den Schüler ein. Sie hatten als Ziel, eine Synthesis aller Religionen zu erlangen, waren sich aber bewußt, daß dieses Ziel nicht durch irgendeine Theorie, sondern durch die Auswirkung des geistigen Lebens zu erreichen war. Und dazu war eine entsprechende Erziehung des Dreizehnten notwendig.

Während die geistigen Kräfte dieses Dreizehnten ins Unendliche zunahmen> gingen seine physischen Kräfte ganz zurück. Es kam so weit, daß fast aller Zusammenhang mit dem äußeren Leben aufhörte, alles Interesse für die physische Welt verschwand. Er lebte nur für die geistige Entwickelung, wozu er von den Zwölf die Anregung erhielt. In ihm war ein Reflex der Weisheit der Zwölf. Es kam so weit, daß der Dreizehnte alle Nahrung verweigerte und dahinsiechte. Da trat ein Ereignis ein, das nur einmal in der Geschichte eintreten konnte. Es war eines der Ereignisse, die dann eintreten können, wenn die makrokosmischen Kräfte - der Früchte wegen, die ein solches Ereignis zeitigen soll - zusammenwirken. Nach einigen Tagen wurde der Körper

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dieses Dreizehnten ganz durchsichtig, und er war wie tot durch Tage bindurch. Um ihn herum versammelten sich nun die Zwölf in bestimmten Zeiträumen. Es entströmte ihrem Mund alles Wissen und alle Weisheit in diesen Momenten. In kurzen Formeln, die wie Andachtsgebete waren, ließen sie dem Dreizehnten ihre Weisheit zu- strömen, während der Dreizehnte wie tot dalag. Man kann sich am besten die Zwölf in einem Kreis um den Dreizehnten herum vorstellen. Dieser Zustand endete damit, daß die Seele dieses Dreizehnten erwachte wie eine neue Seele. Eine große Umwandlung seiner Seele hatte er erlebt. Es war in ihr etwas vorhanden wie eine ganz neue Geburt der zwölf Weisheiten, so daß auch die zwölf Weisen etwas ganz Neues lernen konnten von dem Jüngling. Aber auch dessen Körper wurde dadurch in einer solchen Weise belebt, daß diese Belebung des ganz durchsichtigen Körpers mit nichts verglichen werden kann. Der Jüngling konnte nun von ganz neuen Erlebnissen sprechen. Die Zwölf konnten erkennen, daß er das Erlebnis von Damaskus hinter sich hatte: es war eine Wiederholung der Vision des Paulus vor Damaskus. Im Verlauf weniger Wochen gab nun der Dreizehnte alle Weisheit wieder, die er von den Zwölfen erhalten hatte, aber in einer neuen Form. Wie von Christus selbst gegeben war diese neue Form. Was er ihnen da offenbarte, das nannten die Zwölf das wahre Christentum, die Synthesis aller Religionen, und sie unterschieden zwischen diesem wahren Christentum und dem Christentum der Epoche, in der sie lebten. Dieser Dreizehnte starb verhältnismäßig jung, und die Zwölf widmeten sich dann der Aufgabe, in Imaginationen - denn nur so konnte es geschehen - aufzuzeichnen, was der Dreizehnte ihnen geoffenbart hatte. So entstanden die symbolischen Figuren und Bilder, die in der Santniung des Hinricus Madathanus Theosophus enthalten sind, und die Mitteilungen der H. P. Blavatsky in dem Werke: «Die entscMeierte Isis ». Der okkulte Vorgang muß so vorgestellt werden, daß sich die Frucht der Einweihung des Dreizehnten als dessen ÄtherIeib-Rest innerhalb der Geist-Atmosphäre der Erde erhalten hat. Dieser Rest wirkte auf die Zwölf ebenso wie auf ihre folgenden Schüler inspirierend, so daß aus ihnen hervorgehen konnte die rosenkreuzerische okkulte Strömung. Aber dieser Ätherleib wirkte weiter fort,

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und er durchdrang dann den Ätherleib des sich wieder inkarnierenden Dreizehnten.

Schon im vierzehnten Jahrhundert wurde die Individualität des Dreiz~hnten wiederverkörpert, ungefähr in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts. In dieser Inkarnation lebte diese Individualität mehr als hundert Jahre. Er wurde auf ähnliche Weise im Kreise der Schüler und Nachfolger der Zwölf erzogen, aber nicht so weltfremd wie in seiner vorhergehenden Inkarnation. Als er achtundzwanzig Jahre alt war, bekam er ein merkwürdiges Ideal. Er mußte reisen und aus Europa fortziehen. Zuerst ging er nach Damaskus, und dort wiederholte sich noch einmal für ihn das Ereignis, das Paulus dort erlebt hatte. Dieses Erlebnis ist als die Frucht eines Keimes der vorigen Inkarnation zu bezeichnen. Alle Kräfte des wunderbaren Ätherleibes der Individualität des dreizehnten Jahrhunderts waren intakt geblieben, und nichts ging nach dem Tode in den allgemeinen Weltenäther über. Dieses war ein bleibender Ätherleib, der seither intakt blieb in den Äthersphären. Dieser selbe feingdstige~ Ätherleib durchleuchtete und durchstrahlte wieder von der geistigen Welt aus die neue Verkörperung, die Individualität im vierzehnten Jahrhundert. Daher wurde er getrieben, das Ereignis von Damaskus noch einmal zu erleben. Es ist dies die Individualität des Christian Rosenkreutz. Er war der Dreizehnte im Kreise der Zwölf. Von dieser Inkarnation an wurde er so genannt. Esoterisch, im okkulten Sinne, ist er Christian Rosenkreutz schon im dreizehnten Jahrhundert, exoterisch wird er erst im vierzehnten Jahrhundert so genannt. Und die Schüler dieses Dreizehnten sind die Nachfolger der andern Zwölf im dreizehnten Jahrhundert. Das sind die Rosenkreuzer.

Christian Rosenkreutz reiste damals durch die ganze bekannte Welt. Nachdem er die gesamte Weisheit der Zwölf eingeflößt bekommen hatte, befruchtet durch die große Wesenheit des Christus, wurde es ihm leicht, im Laufe von sieben Jahren die gesamte Weisheit der damaligen Zeit in sich aufzunehmen. Als er dann nach sieben Jahren nach Europa zurückkehrte> nahm er die entwickeltsten Schüler und Nachfolger der Zwölf zu Schülern an und begann dann die eigentliche Arbeit der Rosenkreuzer.

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Eine ganz neue Weltbetrachtung konnte man beginnen, dank den Ausstrahlungen des wunderbaren Ätherleibes des Christian Rosenkreutz. Was nun bis zu unserer Zeit von den Rosenkreuzern gearbeitet wurde, ist äußere und innere Arbeit. Die äußere Arbeit hatte den Zweck, das, was hinter der Maja der Materie liegt, zu ergründen. Man wollte die Maja der Materie untersuchen. Dem gesamten Makrokosmos liegt ebenso ein Äther-Makrokosmos, ein Ätherleib zugrunde, wie der Mensch einen Ätherleib hat. Es gibt einen gewissen Grenzübergang von der gröberen zur feineren Substanz. Richten wir unsern Blick auf die Grenze zwischen physischer und ätherischer Substanz. Dem, was zwischen der physischen und der ätherischen Substanz liegt, ist nichts anderes auf der Welt ähnlich. Es ist weder Gold noch Silber, noch Blei, noch Kupfer. Da haben wir etwas, was nicht mit irgendeiner anderen physischen Substanz vergleichbar wäre, sondern es ist die Essenz von allem. Wir haben da eine Substanz, die in allen anderen physischen Substanzen enthalten ist, so daß die anderen physischen Substanzen als Modifikationen dieser einen Substanz betrachtet werden können. Diese Substanz hellseherisch anzuschauen, war das Bestreben der Rosenkreuzer. Sie sahen die Vorbereitung, die Ausbildung eines solchen Schauens in einer erhöhten Wirksamkeit der moralischen Kräfte der Seele, die dann diese Substanz sichtbar machte. In den moralischen Kräften der Seele erblickten sie die Kraft zu diesem Schauen. Diese Substanz ist von den Rosenkreuzern wirklich geschaut und entdeckt worden. Sie fanden, daß diese Substanz in einer bestimmten Form in der Welt lebt, im Makrokosmos sowie auch im Menschen. Draußen in der Welt, außerhalb des Menschen, verehrten sie sie als das große Gewand, als das Kleid des Makrokosmos. Im Menschen sahen sie sie entstehen, wenn eine harmonische Wechselwirkung zwischen Denken und Wollen vorhanden ist. Sie sahen die Kräfte des Wollens nicht nur im Menschen, sondern auch im Makrokosmos, zum Beispiel im Donner und Blitz. So sahen sie auch die Kräfte des Denkens einerseits in dem Menschen und dann draußen in der Welt, in dem Regenbogen, in der Morgenröte. Die Kraft, solche Harmonie zwischen Wollen und Denken zu erreichen in der eigenen Seele, suchten die Rosenkreuzer in den

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AusstrahIungen dieses Ätherleibes des Dreizehnten, des Christian Rosenkreutz.

Es wurde festgesetzt, daß alle Entdeckungen, die sie machten, hundert Jahre lang als Geheimnis bei den Rosenkreuzern bleiben müßten und daß erst dann, nach hundert Jahren, diese Rosenkreuzer-Offenbarungen der Welt gebracht werden dürften. Erst nachdem hundert Jahre darüber gearbeitet worden war, durfte in entsprechender Weise darüber gesprochen werden. So wurde vom siebzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert vorbereitet, was 1785 in dem Werk «Die geheimen Figuren der Rosenkreuzer» zum Ausdruck kam.

Nun ist es auch von großer Bedeutung, zu wissen, daß in jedem Jahrhundert die rosenkreuzerische Inspiration so gegeben wird, daß niemals der Träger der Inspiration äußerlich bezeichnet wurde. Nur die höchsten Eingeweihten wußten es. Heute kann zum Beispiel äußerlich nur von solchen Geschehnissen gesprochen werden, welche hundert Jahre zurückliegen, denn das ist die Zeit, welche jeweils verflossen sein muß, bevor davon äußerlich gesprochen werden darf. Die Versuchung ist zu groß für die Menschen, einer solchen ins Persönliche gezogenen Autorität - was das Schlimmste ist, was es gibt - fanatische Heiligenverehrung entgegenzubringen. Es liegt dies eben zu nahe. Es ist diese Verschwiegenheit aber nicht nur eine Notwendigkeit gegen die äußeren Anfechtungen des Ehrgeizes und des Hochmutes, deren man sich ja vielleicht noch erwehren könnte, sondern auch vor allem gegen die okkulten astralen Attacken, die fortwährend auf eine solche Individualität gerichtet sein würden. Deshalb ist die Bedingung, daß erst hundert Jahre nach einem solchen Faktum davon gesprochen werden darf> eine notwendige.

Infolge der Rosenkreuzerarbeit wurde der Ätherleib des Christian Roserikreutz von Jahrhundert zu Jahrhundert immer kräftiger und immer mächtiger. Er wirkte nicht nur durch Christian Rosenkreutz, sondern auch durch alle, die seine Schüler wurden. Seit dem vierzehnten Jahrhundert ist Christian Rosenkreutz immer wieder inkarniert gewesen. Alles, was als Theosophie verkündet wird, wird vom Ätherleib des Christian Rosenkreutz gestärkt, und diejenigen, die Theosophie verkündigen, lassen sich überschatten von diesem Ätherleib,

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der auf sie wirken kann, sowohl wenn Christian Rosenkreutz inkarniert ist als auch dann, wenn er nicht inkarniert ist.

Der Graf von Saint-Germain ist im achtzehnten Jahrhundert die exoterische Wiederverkörperung von Christian Rosenkreutz gewesen. Nur wurde dieser Name auch andern Personen beigelegt, so daß nicht alles, was in der äußeren Welt da oder dort über den Grafen von SaintGermain gesagt wird, auch für den wirklichen Christian Rosenkreutz gelten kann. Heute ist Christian Rosenkreutz wiederverkörpert. Von den Ausstrahiungen seines Ätherleibes ging die Inspiration aus für das Werk der H. P. Blavatsky «Die entschleierte Isis». Es war auch der Einfluß des Christian Rosenkreutz, der unsichtbar auf Lessing gewirkt hat und der ihn zu der Schrift über «Die Erziehung des Menschengeschlechts» (1780) inspirierte. Infolge der steigenden Flut des Materialismus wurde es immer schwerer, im Sinne des Rosenkreuzertums zu lnspirieren. Im neunzehnten Jahrhundert kam dann die Hochflut des Materialismus. So konnte vieles nur in sehr gebrochenen Strahlen gegeben werden. 1851 wurde von Widenmann das Problem der Unsterblichkeit der Seele im Sinne der Reinkarnation gelöst. Seine Schrift wurde preisgekrönt. Schon gegen 1850 schrieb Droflbach vom psychologischen Standpunkt aus im Sinne der Reinkarnation.

So haben auch im neunzehnten Jahrhundert die Ausstrahlungen des Ätherleibes des Christian Rosenkreutz fortgewirkt. Und eine Erneuemng des theosophischen Lebens konnte auftreten, weil das kleine Kali Yuga abgelaufen war im Jahre 1899. Deshalb ist der Zugang zur geistigen Welt heute leichter und die geistige Wirkung in einem viel größeren Maße möglich. Die Hingabe an den mächtig gewordenen Ätherleib des Christian Rosenkreutz wird den Menschen das neue Hellsehen bringen können und wird hohe spirituelle Kräfte zutage fördern. Aber das wird nur für diejenigen Menschen möglich sein, die richtig die Schulung des Christian Rosenkreutz befolgen. Bis jetzt war esoterische rosenkreuzerische Vorbereitung dazu notwendig. Das zwanzigste Jahrhundert hat aber die Mission, diesen Ätherleib so mächtig werden zu lassen, daß er auch exoterisch wirken wird. Die davon ergriffen werden, dürfen das Ereignis erleben, das Paulus vor Damaskus erlebte. Es hat dieser Ätherleib bis jetzt nur eingewirkt in

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die Rosenkreuzerschule; im zwanzigsten Jahrhundert wird es immer mehr und mehr Menschen geben, die diese Wirkung erfahren können und dadurch die Erscheinung des Christus im Ätherleib werden erleben dürfen. Die Arbeit der Rosenkreuzer ist es, die es möglich macht, die Äther-Erscheinung des Christus zu haben. Die Zahl derjenigen, die fähig sein werden, sie zu schauen, wird immer größer und größer werden. Wir müssen diese Wiedererscheinung zurückführen auf das große Ereignis der Arbeit der Zwölf und des Dreizehnten im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert.

Wenn Sie ein Werkzeug des Christian Rosenkreutz werden sein können, dann können Sie versichert sein, daß Ihre kleinste Seelenarbeit für die Ewigkeit da sein wird.

Morgen werden wir auf das Werk des Christian Rosenkreutz zu sprechen kommen. Ein unbestimmter Trieb zur Geisteswissenschaft durchströmt heute die Menschheit. Und wir können sicher sein, überall da, wo Rosenkreuzerschüler ernst und gewissenhaft vorwärts streben, werden Werte für die Ewigkeit geschaffen. Jede kleinste geistige Arbeit bringt uns höher. Notwendig ist es, Verständnis und Verehrung der heiligen Sache entgegenzubringen.

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DAS ROSENKREUZERISCHE CHRISTENTUM Neuchâtel, 28. September 1911 Zweiter Vortrag

Heute wird es nun meine Aufgabe sein, Ihnen etwas zu sagen über das Werk des Christian Rosenkreutz. Dieses Werk begann mit dem dreizehiiten Jahrhundert und dauert bis heute und wird in alle Ewigkeit dauern. Der erste Akt dieses Werkes ist natürlich dasjenige, was wir gestern von der Initiation des Christian Rosenkreutz sagten und was wir über die Vorgänge zwischen dem Kollegium der Zwölf und dem Dreizehnten hörten. Als dann Christian Rosenkreutz im vierzehnten Jahrhundert wiedergeboren wurde und damals seine Inkarnation mehr als hundert Jahre dauerte, bestand sein Werk hauptsächlich in der Belehrung der Schüler der Zwölf. Während dieser Zeit lernten kaum andere Menschen Christian Rosenkreutz kennen außer seinen Zwölf. Es ist dies nicht so aufzufassen, als ob Christian Rosenkreutz etwa nicht auch unter anderen Menschen hemmgegangen wäre, sondern nur so, daß die anderen Menschen ihn nicht erkannten. Das ist im Grunde ähnlich so geblieben bis heute. Aber der Ätherleib des Christian Rosenkreutz wirkte stets im Kreise der Schüler, und seine Kräfte wirkten in immer weiteren Kreisen, und heute sind eigentlich schon viele Menschen in der Lage, ergriffen zu werden von den Kräften dieses Ätherleibes.

Diejenigen, die Christian Rosenkreutz zu seinen Schülern machen will, werden von ihm auf eine eigentümliche Weise dazu auserwählt. Es handelt sich dabei darum, daß der also Erwählte achtgeben muß auf ein bestimmtes Ereignis oder mehrere Ereignisse dieser Art in seinem Leben. Es geschieht diese Erwählung durch Christian Rosenkreutz so, daß irgendein Mensch in seinem Leben an einen entscheidenden Wendepunkt, an eine karmische Krise herankommt. Nehmen wir zum Beispiel an, ein Mensch sei im Begriff, eine Sache zu begehen, die ihn zum Tode führen würde. Solche Dinge können die verschiedensten sein. Der Mensch geht einen Weg, der für ihn sehr gefährlich werden kann, vielleicht bis in die Nähe eines Abgrundes, ohne es zu

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bemerken. Es geschieht dann, daß der Betreffende vielleicht wenige Schritte vor dem Abgrund eine Stimme hört: Halt ein! - so daß er halten muß, ohne zu wissen warnm. Tausend ähnliche Fälle kann es geben. Zu bemerken ist allerdings, daß dies nur das äußere Zeichen ist, aber das wichtigste Zeichen der äußeren spirituellen Berufung. Zur inneren Bernfung gehört, daß der Erwählte sich mit irgend etwas Spirituellem, Theosophie oder sonstiger geistiger Wissenschaft beschäftigt hat. Das Ihnen genannte äußere Ereignis ist eine Tatsache in der physischen Welt, rührt aber nicht von einer menschlichen Stimme her. Das Ereignis ist immer so gestaltet, daß der Betreffende ganz genau weiß, daß die Stimme aus der geistigen Welt kam. Es kann zuerst der Glaube herrschen, daß ein Mensch irgendwo versteckt sei, von dem die Stimme herrühre, aber wenn der Schüler reif ist, findet er heraus, daß nicht etwa eine physische Persönlichkeit in sein Leben eingegriffen hat. Kurz, die Sache ist so, daß durch dieses Ereignis der Schüler ganz genau weiß, daß es Mitteilungen gibt aus der geistigen Welt. Solche Ereignisse können einmal, aber auch öfters vorkommen im menschlichen Leben. Wir müssen nun die Wirkung davon auf das Gemüt des Schülers verstehen. Der Schüler sagt sich: Es ist mir durch Gnade ein weiteres Leben geschenkt worden; das erste war verwirkt. - Dieses neue, durch Gnade verliehene Leben gibt dem Schüler Licht in seinem ganzen folgenden Leben. Er hat dieses bestimmte Gefühl, das man in die Worte kleiden kann: Ohne dieses mein RosenkreuzerErlebnis wäre ich gestorben. Das nun folgende Leben hätte nicht denselben Wert ohne dieses Ereignis.

Es kann allerdings vorkommen, daß ein Mensch dies schon einmal oder mehrere Male erlebt hat und er doch nicht gleich zur Theosophie oder Geisteswissenschaft kommt. Dann kann aber später die Erinnerung an ein solches Erlebnis hinzutreten. Viele von denen, die hier sind, können ihr vergangenes Leben prüfen und finden, daß ähnliche Ereignisse in ihrem Leben vorgekommen sind. Man beobachtet solche Dinge heute nur zu wenig. Wir sollten uns überhaupt klarmachen, daß wir an so vielen wichtigen Ereignissen vorbeigehen, die wir nicht beobachten. Dies sei eine Andeutung für die Art der Berufung der höheren Schüler des Rosenkreuzertums.

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Entweder wird nun ein solches Ereignis spurlos an dem betreffenden

Menschen vorübergehen, dann verwischt sich der Eindruck, und er hält dieses Erlebnis überhaupt nicht für wichtig. Oder nehmen wir an, der Mensch sei aufmerksam, er hält dieses Erlebnis nicht für bedeutungslos, darin kommt er vielleicht zu dem Gedanken: Eigentlich standest du da vor einer Krisis, einer karmischen Krisis, eigentlich sollte dein Leben in diesem Augenblicke enden, du hattest dein Leben verwirkt; nur durch etwas Zufallähnliches bist du gerettet worden.

Es ist seit jener Stunde gleichsam ein zweites Leben auf dieses erste daraufgepflanzt. Dieses zweite Leben mußt du als dir geschenkt betrachten und demgemäß mußt du dich benehmen.

Wenn ein solches Erlebnis in einem Menschen die innere Stimmung auslöst, daß er sein Leben von jener Stunde an als geschenkt betrachtet, so macht dies heute diesen Menschen zu einem Bekenner des Christian Rosenkreutz. Denn das ist seine Art, diese Seelen zu sich zu rufen. Und derjenige, der sich zurückerinnern kann an ein solches Erlebnis, kann sich sagen: Christian Rosenkreutz hat mir einen Wink gegeben aus der spirituellen Welt, daß ich seiner Strömung angehöre. Christian Rosenkreutz hat zu meinem Karma hinzugefügt die Möglichkeit eines solchen Erlebnisses. - Das ist die Art, wie Christian Rosenkreutz dieWahl seiner Schüler trifft. So wählt er seine Gemeinde. Wer solches bewußt erlebt, der sagt sich: Da ist mir ein Weg gewiesen, ich muß dem nachgehen und sehen, inwiefern ich meine Kräfte in den Dienst des Rosenkreuzertums stellen kann. - Diejenigen aber, die denWink nicht verstanden haben, werden später noch dazu kommen, denn an wen der Wink einmal ergangen ist, der wird auch nicht wieder davon loskommen.

Daß der Mensch ein Erlebnis der geschilderten Art haben kann, das rührt davon her, daß dieser Mensch in der Zeit zwischen seinem let:zten Tode und seiner letzten Geburt zusammengetroffen ist in der geistigen Welt mit Christian Rosenkreutz. Damals hat uns Christian Rosenkreutz erwählt, er hat einen Willensimpuls in uns hineingelegt, der uns nun zu solchen Erlebnissen führt. Das ist die Art, wie geistige Zusammenhärige herbeigeführt werden.

Um nun weiter in die Sache einzudringen, wollen wir den Unterschied des Unterrichts des Christian Rosenkreutz in früheren Zeiten

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von den späteren Zeiten besprechen. Dieser Unterricht war früher ein mehr naturwissenschaftlicher, heute ist er mehr geisteswissenschaftlicher Art. So sprach man zum Beispiel früher mehr von Naturprozessen und nannte diese Wissenschaft Alchimie, und insofern diese Prozesse außerhalb der Erde stattfanden, nannte man diese Wissenschaft Astrologie. Heute gehen wir mehr von der spirituellen Betrachtung aus. Wenn wir zum Beispiel die aufeinanderfolgenden nachatlantischen Kulturepochen betrachten, die urindische Kultur, die urpersische, die ägyptisch - chaldäisch - assyrisch - babylonische Kultur, die griechisch - lateinische Kultur, so lernen wir aus dieser Betrachtung die Natur der menschlichen Seelenentwickelung kennen. Der mittelalterliche Rosenkreuzer studierte die Naturvorgänge, die er als die Erdvorgänge der Natur ansah. So unterschied 'er zum Beispiel drei verschiedene Naturvorgänge, die er als die drei großen Prozesse der Natur ansah.

Als der erste wichtige Prozeß ist folgender anzuführen: Die Salzbildung. Alles, was in der Natur aus einer Auflösung als fester Stoff sich niederschlägt, sich setzen, herausfallen kann, nannte der mittelalterliche Rosenkreuzer: Salz. Wenn aber der mittelalterliche Rosenkreuzer diese Salzbildung sah, war seine Vorstellung davon ganz verschieden von der des heutigen Menschen. Denn der Anblick eines solchen Prozesses mußte wie ein Gebet wirken in der Seele desjenigen Menschen, der ihn betrachtete, wenn er ihn als verstanden empfinden wollte. Der mittelalterliche Rosenkreuzer suchte sich deshalb klar zu machen, was in seiner eigenen Seele vorgehen müßte, wenn in ihr diese Salzblldung auch vorgehen sollte. Er dachte: Die menschliche Natur vernichtet sich fortwährend durch die Triebe und Leidenschaften. Unser Leben wäre eine fortwährende Zersetzung, einFäulnisprozeß, wenn wir uns nur den Begierden und Leidenschaften hingeben würden. Und wenn der Mensch sich wirklich schützen will gegen diesen Fäulnisprozeß, so muß er sich fortwährend hingeben reinen, nach dem Geistigen hiritendierenden Gedanken. Es handelte sich um die Höherentwickelung seiner Gedanken. Der mittelalterliche Rosenkreuzer wußte, daß, wenn er in einer Inkarnation seine Leidenschaften nicht bekämpfte, er in die nächste Inkarnation mit Krankheitsanlagen hineingeboren werden würde, daß er aber, wenn er seine Leiden

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schaften läuterte, in die nächste Inkarnation mit gesunden Anlagen eintreten würde. Der Prozeß der Überwindung der zur Verwesung führenden Kräfte durch Spiritualität, das ist mikrokosmische Salzbildung. So können wir begreifen, wie ein solcher Naturvorgang für den mittelalterlichen Rosenkreuzer zum frömmsten Gebet werden konnte. Bei der Betrachtung der Salzbildung sagten sich die mittelalterlichen Rosenkreuzer mit dem Gefühl der reinsten Frömmigkeit: Hier haben göttlich-geistige Kräfte seit Tausenden von Jahren ebenso gewirkt, wie in mir reine Gedanken wirken. Ich bete an hinter der Maja der Natur die Gedanken der Götter, der göttlich-geistigen Wesenheiten. - Das wußte der mittelalterliche Rosenkreuzer und er sagte sich: Wenn ich mich durch die Natur anregen lasse, solche Empfindungen zu hegen, so mache ich mich selber dem Makrokosmos ähnlich. Betrachte ich diesen Prozeß nur äußerlich, so scheide ich mich von dem Gotte, so falle ich vom Makrokosmos ab. - So empfand der mittelalterliche Theosoph oder Rosenkreuzer.

Ein anderes Erlebnis war der Prozeß der Auflösung: ein anderer Naturprozeß, der ebenfalls den mittelalterlichen Rosenkreuzer zum Gebet führen konnte. Alles dasjenige, was etwas anderes auflösen kann, nannte der mittelalterliche Rosenkreuzer: Quecksilber oder Merkur. Nun trat wieder für den mittelalterlichen Rosenkreuzer die Frage auf: Was ist die entsprechende Eigenschaft in der menschlichen Seele? Welche Seeleneigenschaft wirkt so, wie in der Natur draußen Quecksilber oder Merkur? Der mittelalterliche Rosenkreuzer wußte, daß das, was diesem Merkur in der Seele entspricht, alle Formen der Liebe in der Seele bedeutet. Er unterschied niedere und höhere Auflösungsprozesse, wie es niedere und höhere Liebeformen gibt. Und so wurde der Anblick des Auflösungsprozesses wieder zu einem frommen Gebete, und der mittelalterliche Theosoph sagte sich: Es hat die Liebe des Gottes draußen Jahrtausende lang so gewirkt, wie in meinem Innern die Liebe wirkt.

Der dritte wichtige Naturprozeß war für den mittelalterlichen Theosophen die Verbrennung, das, was eintritt, wenn ein äußerer Stoff in Flammen sich verzehrt. Und wiederum suchte der mittelalterliche Rosenkreuzer den inneren Vorgang, der dieserVerbrennung entspricht.

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Er sah diesen inneren Seelenvorgang in der inbrünstigen Hingabe an die Gottheit. Und er nannte alles, was in der Flamme aufgehen kann, Schwefel oder Sulphur. Er sah in den Entwickelungsstadien der Erde den Prozeß einer allmählichen Läuterung, ähnlich einem Verbrennungsprozeß oder Schwefelprozeß. So wie er wußte, daß einmal die Erde durch das Feuer gereinigt wird, so sah er in der inbrünstigen Hingabe an die Gottheit auch einen Verbrennungsprozeß. In den Erdenprozessen sah er die Arbeit der Götter, die zu noch höheren Göttern aufschauen. Und so durchdrungen von großer Frömmigkeit und tief religiösen Gefühlen sagte er sich beim Anblick des Verbrennungsprozesses: Jetzt opfern Götter den höheren Göttern. - Und wenn dann der mittelalterliche Theosoph selbst in seinem Laboratorium den Verbrennungsprozeß hervorbrachte, dann empfand er: Ich tue, was die Götter tun> wenn sie sich höheren Göttern opfern. - Sich selber hielt er nur dann für würdig, zu einem solchen Verbrennungsprozeß in seinem Laboratorium zu schreiten, wenn er sich von solcher Opfergesinnung durchdrungen fühlte, wenn er selber in sich fühlte den Wunsch, sich opfernd den Göttern hinzugeben. Die Macht der Flamme erfüllte den mittelalterlichen Theosophen mit großen, tief- religiösen Gefühlen, und er sagte sich: Wenn ich draußen im Makrokosmos die Flamme sehe, so sehe ich die Gedanken, die Liebe, die Opfergesinnung der Götter.

Der mittelalterliche Rosenkreuzer nahm selber in seinen1 Laboratorium diese Prozesse vor, und dann ergab sich der Experimentierende der Betrachtung dieser Bildungen von Salz, der Auflösungen und der Verbrennungen, bei denen er sich stets tief religiösen Empfindungen hingah, und er fühlte den Zusammenhang mit allen Kräften im Makrokosmos. Diese Seelenvorgänge riefen bei ihm hervor: erstens Göttergedanken, zweitens Götterliebe, drittens Götteropferdienst. Und dann entdeckte dieser mittelalterliche Rosenkreuzer, daß, wenn er einen Salzbildungsprozeß vornahm, in ihm selber solche reinen, läuternden Gedanken aufstiegen. Bei einem Auflösungsprozeß fühlte er sich angeregt zur Liebe, wurde er von der göttlichen Liebe durchdrungen, im Verbrennungsprozeß fühlte er sich entfacht zum Opferdienst, dazu gedrängt, sich auf dem Altar der Welt zu opfern.

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Das war, was der Experimentierende erlebte. Und wenn man selbst als Hellseher einem solchen Experiment beigewohnt hätte, so hätte mLn eine Veränderung der Aura des betreffenden Menschen, der das Experiment ausführte, wahrgenommen. Die Aura, die vor dem Experiment sehr gemischt war, die vielleicht erfüllt gewesen war von Begierden, Trieben, denen sich der Betreffende hingegeben hatte, wurde durch das Experiment einfarbiger. Zuerst, bei dem Experiment der SaIzbildung: kupfern - reine Gottesgedanken -, dann, bei dem Experiment der Auflösung: silbern - Götterliebe -, und endlich gold- glänzend - Götteropferliebe oder Götteropferdienst - bei der Verbrennung. Und die Alchimisten sagten dann, sie hätten aus der Aura das subjektive Kupfer, das subjektive Silber und das subjektive Gold gemacht. Und die Folge davon war, daß derjenige, der so etwas durchgemacht hatte, der ein solches Experiment wirklich innerlich erlebte, von göttlicher Liebe ganz durchdrungen wurde. Also ein von Reinheit, Liebe und Opferwillen durchdrungener Mensch kam dabei heraus, und durch diesen Opferdienst bereiteten die mittelalterlichen Theosophen ein gewisses Hellsehen vor. So konnte der mittelalterliche Theosoph hineinschauen in die Art, wie hinter der Maja geistige Wesen die Dinge entstehen und wieder vergehen ließen. Und dadurch sah er dann auch ein, welche Bestrebungskräfte in der Seele in uns fördernd sind und welche nicht. Er lernte unsere eigenen Entstehungsund Verwesungskräfte kennen. Der mittelalterliche Theosoph He~`rich Khunrath nannte, in einem Augenblick der Auf klärung, diesen Prozeß das Gesetz der Entstehung und Verwesung.

Aus dem Naturanblick wurde dem mittelalterlichen Theosophen das Gesetz der Aufwärtsentwickelung und des Abstiegs klar. Die Wissenschaft, die er sich dadurch aneignete, drückte er in gewissen Zeichen, in imaginativen Bildern und Figuren aus. Es war eine Art imaginativer Erkenntnis. Was gestern charakterisiert worden ist als «Die geheimen Figuren der Rosenkreuzer», ist ein Resultat von dem eben Besprochenen.

So arbeiteten die besten Alchimisten vom vierzehnten bis ins achtzehnte und noch bis an den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Über diese wirklich moralische, ethische, intellektuelle Arbeit ist

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nichts gedruckt worden. Was üj,er Alchimie gedruckt ist, handelt nur von rein äußeren Experimenten, ist nur von denen geschrieben, welche die Alchimie als Selbstzweck betrieben. Der falsche Alchimist ging darauf aus, Stoffe zu formen. Er sah in den Experimenten bei der Verbrennung der Stoffe nur den Gewinn des materiellen Ergebnisses. Der rechte Alchimist aber gab auf den Stoff, den er zuletzt erhielt, gar nichts. Es kam ihm nur auf die inneren Seelenerlebnisse während der Stofformung an,, auf die Gedanken, die in ihm waren, die Erlebnisse, die er in sich hatte. Daher war es ein strenges Gesetz, daß der mittelalterliche Theosoph, welcher bei den Experimenten Gold und Silber erzeugte, nie einen Gewinn für sich daraus machen durfte. Er durfte die produzierten Metalle nur verschenken. Der heutige Mensch hat nicht mehr die richtige Vorstellung von diesen Experimenten. Er hat keine Ahnung von dem, was der Experimentierende erleben konnte. Der mittelalterliche Theosoph konnte ganze Seelendramen in seinem Laboratorium erleben, zum Beispiel wenn das Antimon gewonnen wurde, sahen die Experimentierenden sehr bedeutendes Moralisches in diesen Prozessen.

Wären damals diese Dinge nicht geschehen, so könnten wir heute nicht im geisteswissenschaftlichen Sinne Rosenkreuzerei treiben. Was der mittelalterliche Rosenkreuzer im Anblick der Naturprozesse erlebt hat, ist eine heilige Naturwissenschaft. Was er erlebte an geistigen Opfergesinnungen, an großen Freuden, großen Naturvorgängen, auch an Schmerzen und Traurigkeit, an erhebenden und erfreuenden Ereignissen während der Experimente, die er vornahm, das wirkte alles erlösend und befreiend auf ihn ein. Alles das aber ruht jetzt in den innersten Untergründen des Menschen, alles, was ihm damals dort hineingelegt wurde.

Wie finden wir nun diese verborgenen Kräfte, die damals zum Hellsehen führten, wieder? Wir finden sie dadurch, daß wir Geisteswissenschaft studieren und uns durch ernste Meditation und Konzentration ganz dem inneren Leben der Seele hingeben. Durch solche innere Entwickelung wird allmählich die Beschäftigung mit der Natur wieder ein Opferdienst. Dazu müssen die Menschen hindurchgehen durch das, was wir heute Geisteswissenschaft nennen. Tausende von Menschen

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müssen sich der Geisteswissenschaft hingeben, ein inneres Leben führen, damit in Zukunft wieder die geistige Wahrheit hinter der Natur wahrgenommen werden kann, damit man wieder das Geistige hinter der Maja verstehen lerne. Dann wird in Zukunft, wenn auch zunächst eine noch kleine Schar, das Ereignis des Paulus vor Damaskus erleben dürfen und wahrnehmen den ätherischen Christus, der über- sinnlich unter die Menschen kommt. Es muß aber zuerst der Mensch wieder zu dem geistigen Anblick der Natur kommen. Wer den ganzen inneren Sinn der Rosenkreuzerarbeit nicht kennt, kann glauben, die Menschheit sei noch auf der gleichen Stufe wie vor zweitausend Jahren. Bevor nicht dieser Prozeß durchgemacht worden sein wird, der allein durch die Geisteswissenschaft möglich ist, wird der Mensch nicht zum geistigen Schauen kommen. Es gibt viele Menschen, die fromm und gut sind, die sich nicht zur Geisteswissenschaft bekennen, im Grunde aber doch Theosophen sind.

Durch das Ereignis bei der Taufe im Jordan, als der Christus in den Leib des Jesus von Nazareth herabstieg, und durch das Mysterium von Golgatha ist die Menschheit fähig geworden, den Christus später - in diesem Jahrtausend noch, von etwa 1930 an - im Ätherleib zu schauen und zu erleben. Christus ist nur einmal auf Erden in einem physischen Leibe gewandelt, und das muß man verstehen können. Die Wiederkunft des` Christus bedeutet: den Christus übersinnlich im Ätherleibe zu schauen. Daher muß jeder, der den richtigen Gang der Entwickelung gehen will, sich die Fähigkeit erringen, mit dem geistigen Auge schauen zu können. Es wäre kein Fortschritt der Menschheit, wenn Christus noch einmal im physischen Leibe erscheinen müßte. Das nächste Mal wird er sich im Ätherleibe offenbaren.

Was die verschiedenen Religionsbekenntnisse geben konnten, das ist zusammengetragen worden durch Christian Rosenkreutz und das Kollegium der Zwölf. Die Wirkung davon wird sein> dasjenige, was die einzelnen Religionen gegeben haben, was ihre Bekenner erstrebt und ersehnt haben, im Christus-Impuls zu finden. Dieses wird die Entwickelung der nächsten drei Jahrtausende sein: das Verständnis für diesen Christus-Impuls zu schaffen und zu fördern. Vom zwanzigsten Jahrhundert an werden alle Religionen im Rosenkreuzermyste

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rium vereinigt sein. Und das wird möglich sein in den nächsten drei Jahrtausenden, weil es nicht mehr nötig sein wird, aus dem, was die Dokumente enthalten, die Menschheit zu belehren, sondern durch den Anblick des Christus werden sie selbst verstehen lernen das Ereignis, welches Paulus vor Damaskus erlebte. Die Menschheit wird selbst durch das Paulus-Ereignis hindurchgehen.

Fünftausend Jahre nach der Erleuchtung des Buddha unter dem Bodhibaum wird der Maitreya-Buddha erscheinen, das ist ungefähr dreitausend Jahre von jetzt an gerechnet. Er wird der Nachfolger des Gautama Buddha sein. Unter wahren Okkultisten ist darüber gar keine Diskussion möglich. Westliche und östliche Okkultisten sind sich darüber einig. Zwei Dinge stehen also fest:

Erstens, daß der Christus nur einmal im physischen Leibe erscheinen konnte und daß er im zwanzigsten Jahrhundert im Ätherleibe erscheinen wird. Im zwanzigsten Jahrhundert werden zwar große Individualitäten auftauchen, zum Beispiel der Bodhisattva als Nachfolger des Gautama Buddha, der in etwa dreitausend Jahren der MaitreyaBuddha werden wird. Aber kein wahrer Okkultist wird irgendeinen physisch verkörperten Menschen im zwanzigsten Jahrhundert als Christus bezeichsien, kein wirklicher Okkultist wird den Christus im zwanzigsten Jahrhundert im physischen Leibe erwarten. Jeder wirkliche Okkultist wird ein Unrecht in einer solchen Behauptung finden. Der Bodhisattva wird aber gerade auf den Christus hinweisen.

Zweitens, der Bodhisattva, der in Jeshu ben Pandira erschienen ist, wird erst in dreitausend Jahren - von heute an gerechnet - als der Maitreya-Buddha erscheinen. Gerade die wirklichen Okkultisten Indiens würden sich entsetzen, wenn man behaupten wollte, der MaitreyaBuddha könne vorher erscheinen. Es mag allerdings in Indien auch solche Okkultisten geben, die nicht wirkliche Okkultisten sind, die aus Nebenzwecken von einem schon jetzt inkarnierten MaitreyaBuddha sprechen. Ein richtiges Sichhingeben an die RosenkreuzerTheosophie und richtige Devotion gegenüber Christian Rosenkreutz kann jeden davor bewahren, in diese Irrtümer zu verfallen.

Alle diese Dinge werden so gesagt im Rosenkreuzertum, daß sie von der Vernunft nachgeprüft werden können. Durch den gesunden Menschenverstand

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können alle diese Sachen geprüft werden. Glauben Sie mir auf Autorität hin gar nichts, sondern betrachten Sie alles, was ich sage, nur als Anregung und prüfen Sie dann selbst. Ich bin ganz ruhig, je mehr Sie prüfen werden, umsomehr werden Sie Theosophie oder Geisteswissenschaft vernünftig finden. Je weniger Autoritätsglauben, desto mehr Verständnis für Christian Rosenkreutz. Wir erkennen Christian Rosenkreutz am besten, wenn wir uns so recht in seine Individualität vertiefen und uns bewußt werden, daß der Geist dieses Christian Rosenkreutz fort und fort besteht. Und je mehr wir uns diesem großen Geiste nähern, desto mehr Kraft wird uns zukommen. Von dem Ätherleib dieses großen Führers, der immer und immer da sein wird, können wir viel Kraft und Beistand erhoffen, wenn wir diesen großen Führer um seine Hilfe bitten.

Auch das seltsame Ereignis des Siechtums des ChristianRosenkreutz werden wir verstehen können, wenn wir uns richtig in die geisteswissenschaftliche Arbeit vertiefen. Es war im dreizehntenJahrhundert, daß diese Individualität lebte in einem physischen Leibe, der bis zur Durchsichtigkeit entkräftet war, so daß er während einiger Tage wie tot dalag und daß er während dieser Zeit` von den Zwölf die Weisheit dieser Zwölf aufnahm und auch das Ereignis von Damaskus erlebte.

Möge der Geist des richtigen Rosenkreuzertums gerade in diesem Zweige walten und inspirierend wirken, dann wird der große Ätherleib des Christian Rosenkreutz um so wirksamer hier sein.

Damit sei die Arbeit des Zweiges hier eingeleitet, und diejenigen, die hier versammelt sind, mÖgen nach Kräften ihren Mitbrüdern in Neuenburg beistehen und ihnen oft gute Gedanken hersenden, daß der Geist des hier gegründeten Zweiges fort und fort bestehen möge. Je mehr wir uns der hohen Sache nähern und die Arbeit in diesem Geiste fortführen, desto schneller werden wir zum Ziele gelangen. Ich möchte selber immer und immer an unsere große, verheißungsvolle Arbeit erinnern und bitte den großen Führer des Abendlandes um seine Hilfe. So möge denn der Zweig einer der Bausteine sein zu dem Tempel, den wir aufbauen möchten. Im Geiste des Christian Rosenkreutz haben wir diesen Zweig eröffnet, und im Geiste des Christian Rosenkreutz wollen wir versuchen, die Arbeit weiter zu führen.

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DIE ÄTHERISATION DES BLUTES. DAS EINGREIFEN DES ÄTHERISCHEN CHRISTUS IN DIE ERDENENTWICKELUNG Basel 1. Oktober 1911

Die Selbsterkenntnis des Menschen ist zwar als eine Aufforderung an unsere Seele durch alle Zeiten hindurch, in denen man mystisch oder realistisch oder sonst überhaupt nach Erkenntnis gestrebt hat, gefordert worden, doch ist, wie ja auch schon bei anderer Gelegenheit wiederholt betont werden mußte, diese Selbsterkenntnis der menschlichen Seele keineswegs so leicht, als recht viele auch unter denAnthroposophen sich zuweilen noch vorstellen. Und die Schwierigkeiten der menschlichen Selbsterkenntnis sind etwas, was der Anthroposoph sich doch immer wieder und wiederum vor die Seele rücken sollte, weil ja auf der anderen Seite diese Selbsterkenntnis das Notwendigste ist, wenn wir überhaupt zu einem menschenwürdigen Ziel im Weltensein, zu einem wirklichen menschenwürdigen Dasein und Handeln kommen wollen.

Wir wollen uns heute nun ein wenig zunächst mit der Frage beschäftigen, warum denn Selbsterkenntnis für den Menschen schwierig sein muß. Der Mensch ist ja nun einmal ein recht kompliziertes Wesen, und wenn wir etwa sprechen vom menschlichen Seelen-, menschlichen Innenleben, so wollen wir uns keineswegs dieses Seelenleben, dieses Innenleben von vornherein einfach, elementar vorstellen, sondern wir wollen die Geduld und die Ausdauer haben, immer tiefer dringen zu wollen, um diesen Wunderbau, diese wunderbare Organisation der göttlich-geistigen Weltenmächte, als welche der Mensch erscheinen kann, nach und nach wirklich zu durchdringen. Zweierlei kann uns an dem Leben der menschlichen Seele auffallen, bevor wir in das Wesen des Erkennens eindringen.

Gleichsam wie der Magnet Nordpol und Südpol hat, wie in der Erscheinung der Welt draußen HeIl und Dunkel als Hauptschattierungen des Lichtes vorkommen, so hat die Seele auch zwei, man möchte sagen, Seelenpole ihres Daseins. Diese beiden Pole können uns erscheinen,

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wenn wir den Menschen in zwei Situationen, zwei Lagen des Lebens betrachten. Eine solche Lebenslage würde etwa für das seelische Leben gegeben sein, wenn wir einen Menschen, nun sagen wir einmal, auf der Straße stehen sehen, ganz verloren in die Betrachtung einer schönen, hehren, auffäffigen Naturerscheinung. Wir sehen, wie er keine Hand bewegt, kein Bein bewegt, wie er fast das Auge riicht abwendet von der Naturerscheinung oder dem Gegenstand, der ibrn auffällt und den er beobachtet, und wir gewahren, daß er beschäftigt ist, sich im Innern Bilder zu machen von dem, was er vor Augen sieht. Wir sagen: Er ist in Betrachtung versunken, er stellt sich seine Umgebung vor. Das wäre die eine Situation, die wir betrachten wollen. Eine andere Situation wäre die folgende: Irgendein Mensch geht über die Straße und er fühlt sich von einem anderen Menschen beleidigt, verletzt. Ohne viel Nachdenken geht sein Zorn, sein Ärger mit ihm durch und er macht als Ausfluß seines Zornes dieses: er gibt dem, der ihn beleidigt hat, einen Schlag oder dergleichen. Wir gewahren da eine Erscheinung derjenigen Kräfte, die aus dem Zorn, dem Ärger entspringen. Wir werden da Willensimpulse gewahr und wir können uns ganz gut vorstellen, daß nicht viele Gedanken und Vorstellungen diesem Impuls vorangegangen sind, daß der Betreffende vielleicht nicht ausgeholt hätte zum Schlag, daß er den Ausbruch des Zornes verhindert hätte, wenn er viel nachgedacht hätte. Wir haben da zwei extreme Handlungen vor uns hlngestellt: Die eine, die sich ganz als eine Vorstellung zeigt, bei der der bewußte Wille ganz aus- geschaltet ist, und die andere, bei der das Vorstellungsleben ausgescba1tet wird und wo der Mensch sogIeich zur Äußerung eines WillensimpuIses übergeht. Das sind die zwei Dinge, die uns überhaupt die zwei extremen Pole der menschlichen Seele darstellen. Das ImpuIsive des Willens ist der eine Pol, das willenlose Hingegebensein an die Betrachtung, die Vorstellung, das Denken, während der Wille schweigt, das ist der andere Pol. So hätten wir die Tatsachen ganz exoteriscii» rein durch Betrachtung des äußeren Lebens vor uns hingestellt.

Wir können nun etwas tiefer gehen, und wir kommen dann in diejenigen Sphären, in denen wir uns nur dann ganz zurecht finden, wenn

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wir die okkulte Forschung zu Hilfe nehmen. Eine andere Polarität tritt uns da entgegen, das ist die Polarität von Wachen und Schlafen. Wir wissen ja, was in okkulter Beziehung der Schlaf und das Wachen bedeuten. Nach den Elementarbegriffen unserer anthroposophischen Erkenntnis wissen wir, daß im Wachen die vier Glieder, physischer, Äther-, Astralleib und Ich organisch ineinander stecken, ineinander wirken, daß im Schlaf aber physischer und Ätherleib im Bette liegen, Astralleib und Ich aber wie ausgegossen sind in der ganzen großen Welt, die unmittelbar an unser physisches Dasein angrenzend ist. Wir könnten auch diese Tatsachen noch anders behandeln. Wir könnten uns nämlich auch da einmal fragen, wie es denn eigentlich mit dem Betrachten der Welt des Lebens steht, dem Vorstellen und Denken und dem Willen und seinen Impulsen beim Wachen und beim Schlafen?

Sehen Sie nun, wenn man tiefer geht, so zeigt es sich, daß in einem besonderen Sinne der Mensch in seinem gegenwärtigen physischen Dasein eigentlich immer schläft. Er schläft nur in der Nacht anders als bei Tage. Rein äußerlich schon können Sie sich das vergegenw:irtigen, da Sie wissen, daß man bei Tage okkult aufwachen kann, hellsichtig werden, in die geistige Welt hineinsehen kann. Der gewöhnliche physische Leib ist gegenüber dieser Betrachtung eingeschlafen, und man kann sagen, es ist ein Aufwachen, wenn der Mensch lernt, seine geistigen Sinne zu gebrauchen. Und in bezug auf den Nachtschlaf ist es klar, daß da der Mensch schläft. So daß man sagen kann: Der gewöhnliche Schlaf ist ein Schlaf in bezug auf die äußere physische Welt, das Tagesbewußtsein ist gegenwärtig ein Schlaf in bezug auf die geistige Welt.

Wir können uns diese Tatsachen in noch ganz anderer Weise vor Augen führen. Wenn man tiefer geht, so merkt man, daß der Mensch im gewöhnlichen wachenden Zustand seines physischen Lebens über seinen Willen in der Regel recht wenig Gewalt hat. Der Wille ist etwas, was sich dem Tagesleben gar sehr entzieht. Wollen Sie einmal aufmerksam betrachten, was wir menschlichen Willen nennen, so werden Sie sehen, wie wenig sich der Mensch während des Tageslebens in der Gewalt hat in bezug auf die Willensimpulse. Betrachten

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Sie, wie wenig von dem, was Sie vom Morgen bis zum Abend tun, wirklich aus eigenem Denken und Vorstellen, aus persÖnlichem, individuellem EntschIuß hervorgeht. Sie können, wenn irgendwer an die Tür klopft, und Sie sagen: Herein! - dies nicht einen wirklichen Entschluß Ihres eigenen Denkens und Willens nennen. Sie können unmöglich, wenn Sie hungrig sind und sich zu Tisch setzen, sagen, das wäre ein Willensentschluß von Ihnen, denn er ist durch Ihren Organismus, durch Ihren Zustand veraniaßt. Versuchen Sie jetzt> Ihr Tagesleben sich vor Augen zu halten, und Sie werden sehen, wie wenig der Wille direkt vom menschlichen Zentrum beeinflußt ist. Was ist die Ursache hiervon? Das lehrt der Okkultismus, der zeigt, daß der Mensch in bezug auf den Willen in der Tat bei Tag schläft, das heißt, daß er in seinen Willensimpulsen gar nicht darinnen lebt. Wir kÖnnen zu immer besseren und besseren Begriffen und Vorstellungen kommen, meinetwegen moralischere, geschmackvollere Menschen werden, aber in bezug auf den Willen können wir gar nichts machen. Wenn wir bessere Gedanken hegen, können wir indirekt auf den Willen zurückwirken, aber in bezug auf den Willen können wir, was das Leben anbetrifft, direkt gar nichts machen, denn unser Wille wird erst auf einem Umwege direkt beeinflußt von unserem Alltagsleben, auf dem Umwege durch den Schlaf. Sie denken nicht, wenn Sie schlafen, Sie haben keine Vorstellungen: das Vor- stellen und Denken ist es, was in Schlaf übergeht. Der Wille dagegen wacht und durchdringt unseren Organismus von außen und belebt ihn. Daher werden wir uns gestärkt fühlen am Morgen, weil das, was in unseren Organismus eindringt, willensartiger Natur ist. Daß wir dieses Arbeiten des Willens nicht wahrnehmen, daß wir nichts davon wissen, mag uns ganz glaublich erscheinen, wenn wir bedenken, daß unser Vorstellen schläft, wenn wir schlafen. Daher wollen wir zunächst eine Anregung für weiteres Nachsinnen, weiteres Meditieren geben. Sie werden sehen, je weiter Sie in der Selbsterkenntnis vorwärtskommen, desto mehr werden Sie diesen Satz bewahrheitet finden: Der Mensch schläft in bezug auf seinen Willen, wenn er wacht, und er schläft in bezug auf sein Vorstellen, wenn er schläft. Bei Tag schläft der Wille, bei Nacht schläft das Vorstellungsleben.

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Wenn der Mensch sich dessen nicht bewußt wird, daß der Wille in der Nacht nicht schläft, so rührt dies davon her, daß der Mensch nur im Vorstellungsleben zu wachen versteht. Der Wille schläft nicht in der Nacht, sondern er wirkt da wie in seinem wahren feurigen Element, arbeitet an seinem Leibe, um herzustellen, was verbraucht worden ist bei Tage.

Es gibt im Menschen also zwei Pole, die Willensimpulse und das Beobachtungs-, oder Vorstellungsleben, und die Menschen verhalten sich im ganz entgegengesetzten Sinne zu diesen zwei Polen. Dies sind aber nur zwei Pole. Das ganze Seelenleben liegt in verschiedenen Nuancen zwischen diesen beiden Polen, und wir werden jetzt diesem Seelenleben noch etwas nähertreten, indem wir versuchen, dieses Seelenleben, das mikrokosmische Seelenleben in ein Verhältnis zu bringen zu dem, was wir als die höheren Welten erkennen. Wir haben aus dem, was gesagt worden ist, ersehen, daß der eine Pol unseres Seelenlebens das Vorstellungsleben ist.

Dieses Vorstellungsleben ist etwas, was dem äußeren, materialistisch denkenden Menschen als etwas Unwirkliches erscheint. Nicht wahr, wie oft hört man den Gedanken aussprechen: Ach, Vorstellungen und Gedanken sind ja nur Vorstellungen und Gedanken! Man will darauf hinweisen, daß, wenn man ein Stück Brot oder Fleisch in die Hand nimmt, dies eine Realität ist, daß ein Gedanke aber nur ein Gedanke ist. Man meint, Gedanken könne man nicht essen, sie seien daher nicht real wirklich, es sind «nur» Gedanken. Warum sind es aber nur Gedanken? Aus dem Grunde, weil das, was der Mensch seine Gedanken nennt, sich zu dem, was Gedanken eigentlich sind, verhält wie ein Schattenbild zu einer Sache selber. Wenn Sie da eine Blume haben, und Sie schauen ihr Schattenbild, so weist das Schattenbild auf die Blume, auf die Wirklichkeit hin. So ist es auch mit den Gedanken. Es ist so, daß das menschliche Denken das Schattenbild ist von Vorstellungen und Wesenheiten, die in einer höheren Welt sind: in dem, was man den Astralplan nennt. Und richtig stellen Sie sich eigentlich das Denken vor, wenn Sie sich hier - es ist das nicht ganz richtig, sondern schematisch gezeichnet - das menschliche Haupt vorstellen. In diesem Haupte sind die Gedanken, die ich hier durch Striche dar-

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stellen will. Aber diese Gedanken, die im Haupte sind, stellen wir uns als lebendige Wesen - hier auf dem Astralplane - vor. Da wirken die verschiedenartigsten Wesen, da wimmelt es nur so von Vorstellungen

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und Handlungen, die ihr Schattenbild in den Menschen hinein- werfen, und diese Vorgänge spiegeln sich ab im menschlichen Haupte als das Denken. Es ist eine richtige Vorstellung, wenn Sie sich denken:

Von Ihrem Haupte gehen fortwährend Strömungen in den Astralplan, und diese sind die Schatten, die das Gedankenleben in Ihrem Haupte vermitteln. (Siehe Schema Seite 87.)

ES gibt nun außer dem, was wir das Gedanken1eben nennen können, für die menschliche Seele noch ein anderes Leben. Man unterscheidet im gewÖhnlichen I,eben - das ist nicht ganz genau, aber ich sage es, damit man aus dem gewöhnlichen Leben heraus einen Begriff dafür bekommt - zwischen dem Gedankenleben und dem Empfindungsleben. Unter den Gefühlen unterscheidet man solche des Gefallens, sympathische, und des Mißfallens, unsympathische Gefühle. Erstere stellen sich ein bei Handlungen des Rechtes, des Wohlwollens, Antipathie tritt auf bei Handlungen des Übelwollens, des Unrechtes. Das ist schon mehr als das bloße Vorstellen, das ist etwas anderes. Etwas uns vorstellen tun wir auch den gleichgültigen Dingen gegenüber.

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Aber diese Seelenerlebnisse der Sympathie und der Antipathie haben wir nur dem Schönen und Guten gegenüber oder dem Schlechten und Häßlichen. Gerade so wie alles, was im Menschen sich abspielt als Gedanken, auf den Astralplan hinweist, so weist alles, was verknüpft ist mit Sympathie und Antipathie, hin auf das, was wir das niedere Devachan nennen. Und ebenso könnte ich die Linien, die ich vorher bis in die Astralwelt bei diesen Vorstellungen gezeichnet habe, nun hinaufziehen ins Devachan oder die Himmelswelt. In uns, vorzugsweise in unserer Brust spielen sich Vorgänge ab der Himmelswelt oder des Devachan als Gefühle der Sympathie und Antipathie für das Schöne und das Häßliche, das Gute und Schlechte oder Böse, so daß wir mit dem, was wir nennen können unsere Empfindungen gegenüber der moralisch-ästhetischen Welt, die Abschattungen des niederen Devachan, der Himmelswelt, in unserer Seele tragen.

Dann gibt es noch ein Drittes im menschlichen Seelenleben, was wir genau unterscheiden müssen von der bloßen Vorliebe für wohlwollende Handlungen. Es ist ein Unterschied, ob man da steht und dort eine schöne, wohlwollende Handlung sieht und Gefallen daran findet, oder ob man selber den Willen in Tätigkeit umsetzt, um selbst eine wohiwollende Handlung auszuführen. Ich möchte das Wohlgefallen an guten, schönen, das Mißfallen an bösen, häßlichen Handlungen das ästhetische Element nennen, dagegen das, was den Menschen treibt gut zu handeln, das moralische. Das Moralische steht höher als das bloß Ästhetische, das bloße Gefallen oder Mißfallen steht tiefer als das Sichgedrängtfühlen, Gutes oder Böses zu tun. Insofern unsere Seele sich angetrieben fühlt, insofern sie die moralischen Impulse fühlt, sind diese Impulse die Schattenbilder des höheren Devachan, der oberen Himmelswelt.

Wir können uns ganz gut vorstellen, daß diese drei stufenweise übereinander stehenden Seelentätigkeiten, die rein intellektuelle des Denkens, Vorstellens, Betrachtens, die ästhetische des Gefallens und Mißfallens, und die moralische in den Impulsen gegenüber dem Bösen und Guten, daß diese drei auseinander gelagerten Erlebnisse des Seelen-Erlebens des Menschen mikrokosmische Bilder sind dessen, was in der großen Welt draußen im Makrokosmos sich übereinander

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lagert in den drei Welten: der astralischen Welt, die sich spiegelt als die Gedankenwelt, die intellektuelle Welt; der devachanischen Welt, die sich abschattet als ästhetische Welt des Gefallens und Mißfallens; der höheren Devachanwelt, die sich abschattet als Moralität.

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Wenn wir das, was wir jetzt gesagt haben, verbinden mit dem früher von den beiden Polen der menschlichen Seele Gesagten, so. müssen wir eben das Intellektuelle als einen Pol empfinden, als jenen Pol, der vorzugsweise das wachende Tagesleben beherrscht, wo wir wachen in bezug auf das intellektuelle Leben. Der Mensch wacht während des Tages in bezug auf seinen Intellekt, während des Schlafes wacht er in bezug auf seinen Willen. Weil er aber dann schläft in bezug auf seinen Intellekt, wird er sich dessen nicht bewußt, was er mit dem Willen unternimmt. Aber indirekt wirkt in den Willen hinein das, was wir moralische Grundsätze und Impulse nennen. Und in der Tat braucht der Mensch das Schlafleben, damit das, was er durch das Gedankenleben an moralischen Impulsen aufnimmt, wirklich zu effektiver Wirksamkeit kommen kann. Wahr ist es: So wie der Mensch heute ist im gewöhnlichen Leben, vermag er nur etwas Rechtes auf

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dem intellektuellen Plan auszuführen; weniger vermag er auf dem moralischen Plan: da sind wir darauf angewiesen, daß uns geholfen werde aus dem Makrokosmos heraus.

Was in uns ist, kann uns in der Intellektualität eine Spanne weiter führen, beim Schritt des moralisch Besserwerdens müssen uns Götter zu Hilfe kommen. Deshalb versinken wir in Schlaf, damit wir unter- tauchen können in den göttlichen Willen, wo wir nicht dabei sind mit dem machtlosen Intellekt, und wo göttliche Kräfte das, was wir als moralische Grundsätze aufnehmen, umwandeln in die Kraft des Willens, wo sie hineinimpfen in unseren Willen dasjenige, was wir sonst nur in unsere Gedanken aufnehmen können.

Zwischen diesen zwei Polen, dem Willenspol, der bei Nacht wacht, und dem Intellektpol, der bei Tag wacht, liegt der ästhetische Kreis, der immer im Menschen vorhanden ist. Denn der Mensch ist bei Tage so, daß er nicht ganz wach ist. Nur die nüchternsten, philiströsesten Menschen wachen immer, wenn sie wach sind. Die Menschen müssen im Grunde genommen auch bei Tag etwas träumen, sie müssen während des Wachens auch etwas träumen können, müssen sich hingeben können der Kunst, der Dichtung oder Sonstiger Lebensbetätigung, die nicht nur auf das derb Wirkliche gerichtet ist. Die sich so dem überlassen, die wirken da ein Band, das gar sehr erfrischend und belebend auf das ganze Dasein zurückwirken kann. Sich solchen Gedanken überlassen, das ist gewissermaßen das, was wie ein Traum in das Wachleben hineindringt. Und in das Schiafleben, da wissen Sie ja, daß man da das Träumen hineinbringt; da sind es die realen Träume, die das sonstige Bewußtsein im Schlafe durchdringen. Das ist etwas, was alle Menschen brauchen, die nicht bloß ein nüchternes, trockenes, ungesundes Tagesleben führen wollen. Und das Träumen kommt ohnedies in der Nacht, das braucht man nicht zu rechtfertigen. Dies ist das Mittlere, das zwischen den zwei Polen drinnen liegt: das nächtliche und das Tagesträumen, das in der Phantasie leben können.

So haben wir auch hier ein Dreifaches in der Seele: Das Intellektuelle, durch das wir so recht wachen und die Schattenbilder des Astralplanes in uns tragen, wenn wir bei Tag uns den Gedanken überlassen, so daß die fruchtbarsten Einfälle des Alltagslebens und die

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großen Erfindungen hervorkommen. Und während des Schlafes, wenn träumen, wenn diese Träume hereinspiel~n in unser Schlafleben wir, dann ist es so, daß in uns sich abschatten die Bilder der niederen Himmelswelt oder des Devachan. Und wenn wir dann im Schlafe arbeiten und Moralität unserem Willen einprägen - das können wir direkt nicht wahrnehmen, wohl aber in seinen Wirkungen -, dann, wenn wir imstande sind, diesen Einfluß der göttlich-geistigen Mächte während der Nacht unserem Denken einzuimpfen, so sind die Impulse, die wir da wahrnehmen, die Abschattungen aus dem oberen Devachan, der oberen Himmelswelt. Das sind die moralischen Impulse und Gefühle, die in uns leben und die uns sagen lassen: Im Grunde genommen ist das menschliche Leben nur dadurch gerechtfertigt, daß wir unsere Gedanken in den Dienst des Guten und Schönen stellen und unser intellektuelles Wirken durchströmt sein lassen von dem wahren, echten Herzblut des göttlich-geistigen Lebens, durchströmt sein lassen von moralischen Impulsen.

Was wir so als das menschliche Seelenleben hinstellen durch eine zuerst äußerliche exoterische Betrachtung, dann durch eine etwas mystischere Lebensbetrachtung, ergibt sich aus der tieferen okkulten Forschung. Und da zeigt sich uns dasjenige, was wir jetzt mehr äußerlich beschrieben haben, an Vorgängen, die das Hellsehen auch am Menschen wahrnehmen kann. Wenn der Mensch heute im Wachzustand vor uns steht und das hellseherische Auge betrachtet ihn, so zeigt sich, daß fortwährend vom Herzen nach dem Kopfe gewisse Lichtstrahlen gehen. Wenn wfr das schematisch zeichnen wollen, müßten wir das so machen, daß wir hier die Herzgegend zeichnen, dann gehen fortwährend Strömungen nach dem Gehirn hin und um- spielen im Innern des Hauptes dasjenige Organ, das in der Anatomie beschrieben wird als Zirbeldrüse. Wie Lichtstrahlen geht es vom Herzen nach dem Kopfe herauf und umströmt die Zirbeldrüse. Diese Strömungen entstehen dadurch, daß das menschliche Blut, das eine physische Substanz, ein Stoff ist, sich fortwährend auflöst in ätherische Substanz, so daß in der Gegend des Herzens ein fortwährender Übergang des Blutes in feine ätherische Substanz stattfindet, und diese strömt nach dem Kopfe herauf und umspielt glimmernd die Zirbel

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drüse. Dieser Vorgang, das Ätherischwerden des Blutes, zeigt sich immerwährend am wachenden Menschen. Jetzt ist es aber anders am schlafenden Menschen. Da ist es so, daß wenn wir hier die Gehirn-, hier die Herzgegend hätten, so würde für den okkulten Beobachter

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eine fortwährende Strömung von außen herein, auch von rückwärts herein zum Herzen wahrnehmbar sein. Diese Strömungen aber, die beim schlafenden Menschen von draußen, vom Weltenraum, aus dem Makrokosmos in das Innere dessen, was da im Bette liegt als physischer und Ätherleib, hereinströmen, die stellen, wenn man sie untersucht, in der Tat etwas sehr Merkwürdiges dar. Diese Strahlen sind recht verschieden bei den verschiedenen Menschen. Die schlafenden Menschen sind recht verschieden voneinander, und wenn die Menschen, die noch ein bißchen eitel sind, zuletzt immer wüßten, wie schlimm sie sich verraten für den okkulten Blick, wenn sie in öffentlichen Versammlungen einschlafen, würden sie es verhindern, weil das verräterisch wirkt.

In der Tat ist es so, daß sich im hohen Grade die moralischen Qualitäten zeigen in der eigenartigen Färbung dessen, was beim Schlafe in ihn einströmt, so daß der Mensch, der niedere moralische Grundsätze

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hat, eine ganz andere Strömung hat als ein Mensch mit hohen Grundsätzen. Da nützt es nichts, sich bei Tag zu verstellen. Den höheren Weltenmächten gegenüber kann man sich nicht verstellen. Es ist so, daß in einem, der nur ganz leise Neigung hat zu nicht ganz moralischen Grundsätzen, fortwährend einströmen so bräunlichrote und allerlei sonstige nach dem Rotbräunlichen hinneigende Strahlungen.

Und lila-violette Strahlungen treten auf bei denjenigen, die hohe moralische Ideale haben. Es ist nun im Moment des Aufwachens oder des Einschlafens in der Gegend der Zirbeldrüse eine Art Kampf vorhanden zwischen dem, was von oben nach unten, und dem, was von unten nach oben strÖmt. Das intellektuelle Element strömt von unten riach oben in Form von Lichtwirkungen beim wachenden Menschen, und das, was eigentlich moralisch-ästhetischer Natur ist, das strömt von oben nach unten. Und im Moment des Aufwachens und des Einschlafens begegnen sich die nach aufwärts- und abwärtsgehenden Ströme, und da kann man beurteilen, ob jemand besonders gescheit ist und niedere Grundsätze hat, wo sich dann ein starker Kampf abspielt in der Nähe der Zirbeldrüse, oder ob er gute Grundsätze hat und einem entgegenströmt seine Intellektualität: dann zeigt sich ein ruhiges Ausbreiten einer glimmerigen Lichterscheinung um die Zirbeldrüse herum. Diese ist gleichsam eingebettet im Moment des Aufwachens oder Einschlafens in ein kleines Lichtmeer. Und darin, daß ein ruhiger Schein die Zirbeldrüse umgibt im Moment des Aufwachens und EinschIafens, zeigt sich die moralische Vornehmheit. So spiegelt sich im Menschen seine moralische Beschaffenheit. Und dieser ruhige Schein dehnt sich oftmals aus weit bis in die Herzgegend hinein. So zeigen sich im Menschen zwei Strömungen, die eine aus dem Makrokosmos, die andere eine mikrokosmische.

Die ganze Tragweite dessen, wie diese beiden Strömungen sich im Menschen treffen, würden wir erst ermessen, wenn wir einerseits bedenken das, was vorher mehr äußerlich gesagt worden ist vom Seelenleben, wie es sich zeigt in seiner dreifachen Polarität des Intellektuellen, des Ästhetischen und des Moralischen, das von oben nach unten, vom Gehirn nach dem Herzen zuströmt, auf der anderen Seite aber kommen wir zu der ganzen Bedeutung des Gesagten, wenn wir nun die

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entsprechende Erscheinung im Makrokosmos uns vor Augen führen. Diese entsprechende Erscheinung, sie ist heute so zu schildern, wie sie als Ergebnis vorliegt gerade durch die sorgfältigsten okkulten Forschungen der letzten Jahre, unternommen in den geistigen Untersuchungen einzelner der wahren, echten Rosenkreuzer. Dem entsprechend ist dieses Makrokosmische zu schildern gegenüber dem Mikrokosmischen. Und da zeigt sich denn - Sie werden in Ihrem Verständnis der Sache immer näher kommen -, daß ein Ähnliches wie das, was jetzt gesagt worden ist für den Mikrokosmos, auch im Makrokosmos sich abspielt.

So wie in der Gegend des menschlichen Herzens ein fortwährendes Verwandeln des Blutes in Äthersubstanz stattfindet, so findet ein ähnlicher Vorgang im Makrokosmos statt. Wir verstehen dieses, wenn wir unser Auge hinwenden auf das Mysterium von Golgatha und auf jenen Augenblick, in dem das Blut des Christus Jesus geflossen ist aus den Wunden. Dieses Blut darf nicht nur als chemische Substanz betrachtet werden, sondern es ist durch alles das, was geschildert worden ist als die Natur des Jesus von Nazareth, etwas ganz Besonderes. Und indem es ausfloß und hineinströmte in die Erde, ist unserer Erde eine Substanz gegeben worden, die, indem sie sich mit der Erde verband, ein Ereignis war, das ein bedeutendstes ist für alle Folgezeiten der Erde, und das auch nur einmal auftreten konnte. Was geschah mit diesem Blut in den folgenden Zeiten? Nichts anderes, als was sonst im Herzen des Menschen geschieht. Dieses Blut machte im Verlaufe der Erdenevolution einen Ätherisierungsprozeß durch. Und wie unser Blut als Äther vom Herzen nach oben strömt, so lebt im Erdenäther seit dem Mysterium von Golgatha das ätherisierte Blut des Christus Jesus. Der Ätherleib der Erde ist durchsetzt von dem, was aus dem Blute geworden ist, das auf Golgatha geflossen ist; und das ist wichtig. Wäre das nicht geschehen, was durch den Christus Jesus geschehen ist, dann wäre nur das mit den Menschen auf der Erde der Fall, was vorher geschildert worden ist. So aber ist seit dem Mysterium von Golgatha eine fortwährende Möglichkeit vorhanden, daß in diesen Strömungen von unten nach oben die Wirkung des ätherischen Blutes des Christus mitströmt.

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Dadurch, daß in dem Erden-Ätherleib das ätherische Blut des Jesus von Nazareth ist, strömt mit dem von unten nach oben, vom Herzen riach dem Gehirn strömenden ätherisierten Menschenblute dasjenige, was das ätherisierte Blut dieses Jesus von Nazareth ist, so daß nicht nur das zusammentrifft im Menschen, was früher geschildert worden ist, sondern es trifft zusammen die eigentliche menschliche BlutstrÖmung und die Blutströmung des Christus Jesus. Aber eine Verbindung dieser beiden Strömungen kommt nur zustande, wenn der Mensch das richtigeVerständnis entgegenbringtdem, was imChristusImpuls enthalten ist. Sonst kann keine Verbindung zustande kommen, sonst stoßen sich die beiden Strömungen gegenseitig ab, prallen ebenso wieder auseinander, wie sie zusammengeprallt sind. Verständnis können wir nur erwerben, wenn wir in jedem Zeitalter derErdenentwickelung dieses Verständnis so uns aneignen, wie es angepaßt ist in diesem Zeitalter. In der Zeit, als der Christus Jesus auf Erden lebte, da konnten der bevorstehenden Tatsache das richtige Verständnis entgegen- bringen jene, die zu seinem Vorläufer Johannes kamen und sich taufen ließen durch die Formel, die im Evangelium ausgedrückt ist. Sie empfingen die Taufe, um die Sünde, das heißt das zu Ende gekommene Karma ihrer vorigen Leben zu ändern, und um zu erkennen, daß der wichtigste Impuls der Erdenentwickelung nunmehr in einen physischen Leib herabsteigen wird. Die Menschheitsentwickelung aber schreitet weiter, und für unsere heutige Zeit ist es wichtig, daß der Mensch einsehen lernt, daß er die geisteswissenschaftliche Erkenntnis aufnehmen muß und allmählich das, was vom Herzen zum Gehirn strömt, so befeuert, daß es der Anthroposophie Verständnis entgegen- bringt. Die Folge wird sein, daß er das entgegennehmen kann, was vom zwanzigsten Jahrhundert an beginnt einzugreifen: das ist gegenüber dem physischen Christus von Palästina der ätherische Christus.

Denn an jenem Zeitpunkt sind wir angelangt, wo der ätherische Christus in das Erdenleben eingreift und zunächst einer kleinen Anzahl von Menschen sichtbar wird wie in einem natürlichen Hellsehen. Dann in den nächsten dreitausend Jahren wird er immer mehr Menschen sichtbar werden. Das muß kommen, das ist ein Naturereignis. Daß es kommt, ist ebenso wahr als im neunzehnten Jahrhundert die

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Errungenschaften der Elektrizität gekommen sind. Daß eine gewisse Anzahl von Menschen den Äther-Christus sehen wird, das Ereignis von Damaskus haben wird, ist wahr. Aber es wird sich darum handeln, daß die Menschen lernen, den Moment zu betrachten, wo der Christus an sie herantritt. Es werden nur wenige Jahrzehnte vergehen, und für die Menschen, besonders der jugendlichen Jahre, wird der Fall eintreten - jetzt schon überall bereitet es sich vor -: Irgendein Mensch ,kommt da oder dorthin, dieses oder jenes erlebt er. Wenn er nur wirklich das Auge durch Beschäftigung mit der Anthroposophie geschärft hätte, könnte er schon bemerken, daß plötzlich um ihn irgend jemand ist, kommt, um zu helfen, ihn auf dieses oder jenes aufmerksam zu machen: daß ihm der Christus gegenübertritt er aber glaubt, irgendein physischer Mensch sei da. Aber daran wird er merken, daß es ein übersinnliches Wesen ist, daß es sogleich verschwindet. Gar mancher wird erleben, wenn er gedrückten Herzens, leidbelastet, still in seinem Zimmer sitzt und nicht aus noch ein weiß, daß die Tür geöffnet wird: Der ätherische Christus wird erscheinen und wird Trostesworte zu ihm sprechen. Ein lebendiger Trostbringer wird der Christus für die Menschen werden! Mag es auch heute noch grotesk erscheinen, aber wahr ist es doch, daß manchmal, wenn die Menschen zusammensitzen, nicht ein noch aus wissen, und auch wenn größere Menschenmengen zusammensitzen und warten: daß sie dann den ätherischen Christus sehen werden! Da wird er selber sein, wird beratschlagen, wird sein Wort auch in Versammlungen hineinwerfen. Diesen Zeiten gehen wir durchaus entgegen. Das ist das Positive, dasjenige, was als positives aufbauendes Element in die Menschheitsentwickelung eingreifen wird.

Kein Wort soll gegen die großen Kulturfortschritte unserer Zeit gesagt werden, sie sind notwendig zum Heil und zur Befreiung der Menschen. Aber nehmet alles, was ihr nehmen könnt an äußeren Fortschritten in der Beherrschung der Naturkräfte, es ist nicht einmal als etwas Kleines und Unbedeutendes zu vergleichen gegenüber dem, was dem Menschen gegeben wird, der in seiner Seele das Erwachen durch den Christus erleben wird, der jetzt in die Menschheitskultur und in ihre Angelegenheiten eingreifen wird. Was dadurch den Menschen

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dann erwachsen wird, das sind zusammensetzende positive Kräfte. Der Christus bringt aufbauende Kräfte in die Menschheitskultur.

Ja, wenn wir die ersten nachatlantischen Zeiten nehmen würden, so würden wir sehen, daß die Menschen da ihre Wohnungen auf andere Weise gebaut haben als heute. Da haben sie allerlei benützt, was gewachsen ist, dem sie nur nachhalfen. Selbst Paläste haben sie so gebaut, indem sie nachgeholfen haben der Natur, die Zweige und die Pflanzen miteinander verschlungen haben und so weiter. Heute müssen die Menschen aus den Trümmern bauen. Wir machen alle Kultur der Außenwelt aus den Zertrümmerungsprodukten. Und im Laufe der nächsten Jahre werden Sie noch besser verstehen, wie verschiedenes anderes in unserer Kultur Zerstörungsprodukt ist.

Das Licht zerstört sich innerhalb unseres nachatlantischen Erdenprozesses. Bis in die Aflantis hinein war der Erdenprozeß ein fortschreitender, seither ist er ein zerfallender. Was ist das Licht? Es zerfällt, und das zerfallende Licht ist Elektrizität. Was wir als Elektrizität kennen, das ist Licht, das sich selber zerstört innerhalb der Materie. Und die chemische Kraft, die innerhalb der Erdenentwickelung eine Umwandlung erfährt, ist Magnetismus. Und noch eine dritte Kraft wird auftreten. Und wenn den Menschen heute schon Wunder wirkend die Elektrizität erscheint, so wird diese dritte Kraft in noch viel wunderbarerer Weise die Kultur beeinflussen. Und je mehr wir von dieser Kraft anwenden, desto eher wird die Erde zu einem Leichnam werden, damit das, was das Geistige der Erde ist, sich hinüberwirken kann zum Jupiter. Die Kräfte müssen angewandt werden, um die Erde zu zerstören, damit der Mensch frei wird von der Erde und damit der Erdenieib abfallen kann. Solange die Erde im fortschreitenden Prozeß war, hat man dies nicht gemacht, weil nur die zerfallende Erde die große Kulturerrungenschaft der Elektrizität gebrauchen

kann. So sonderbar dies gegenwärtig auch klingt, aber es muß nach und nach ausgesprochen werden. Wir müssen den Entwickelungsprozeß verstehen> die Menschen werden dadurch lernen, unsere Kultur in richtiger Weise zu bewerten. Wir werden dadurch lernen> daß es notwendig ist, die Erde zu zerstören, sonst wird der Geist nicht frei.

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Aber man wird auch lernen, das Positive zu schätzen: das Hereindringen der geistigen Kräfte in unser Erdendasein.

So sehen wir schon den großen, gewaltigen Fortschritt darin, daß der Chnöstus notwendig hatte, durch die drei Jahre in einem gut zu- bereiteten Menschenleib zu wandeln, damit er sichtbar werden konnte den sinnlichen Augen. Durch das, was da während dieser drei Jahre geschehen ist, sind die Menschen reif geworden, denjenigen Christus zu sehen, der herumgehen wird im ätherischen Leibe, der ebenso real und wirklich eingreifen wird in das Erdenleben wie der physische Christus zur Zeit der palästinensischen Wirklichkeit. Die Menschen werden wissen, wenn sie nicht mit unklaren Sinnen solche Sachen betrachten, daß sie es mit dem ätherischen Leibe zu tun haben, der innerhalb der physischen Welt herumwandeln wird, aber sie werden wissen, daß dies der einzige ätherische Leib ist, der wirken kann in der physischen Welt, wie sonst ein physischer Menschenleib wirkt. Er wird sich von einem physischen Leib nur dadurch unterscheiden, daß er sozusagen an zwei, drei, ja an hundert und an tausend Orten zu gleicher Zeit sein kann, was nur einer ätherischen, nicht aber einer physischen Gestalt möglich ist. Dasjenige, was durch diesen Fortschritt der Menschheit bewirkt wird, ist, daß die zwei Pole, die ich vorhin erwähnt habe, der intellektuelle und der moralische Pol immer mehr eins werden, zu einer Einheit verschmelzen. Das werden sie dadurch, daß die Menschen immer mehr lernen werden im Verlaufe der nächsten Jahrtausende, den ätherischen Christus in der Welt zu betrachten. Sie werden immer mehr durchdrungen werden auch bei Tag von der direkten Wirkung des Guten in den geistigen Welten. Während jetzt der Wille bei Tag schläft und der Mensch im Grunde genommen nur indirekt durch Vorstellung wirken kann, wird es im Verlauf der nächsten Jahrtausende immer mehr geschehen, daß durch dasjenige, was von unseren Tagen an hereinwirkt und dem der Christus vorsteht, des Menschen Wirken auch im Tageszustand direkt verbessert werden kann.

Wovon 5okrates geträumt hat, daß die Tugend lehrbar sei, wird wirklich eintreten. Und immer mehr und mehr wird auf Erden die Möglichkeit vorhanden sein, daß nicht nur unser Intellekt durch die

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Lehren angeregt, angespornt wird, sondern daß durch diese Lehren auch moralische Impulse verbreitet werden. 5chopenhauer hat gesagt: Moral predigen ist leicht, Moral begründen sei sehr schwierig. - Warum ist das so? Weil man mit dem Predigen noch keine Moral wirklich verbreitet hat. Man kann ganz gut Moralgrundsätze einsehen und sie nicht halten. Für die meisten Menschen gilt das Christus- Wort: Der Geist ist willig, das Fleisch aber ist schwach. - Das ändert sich dadurch, daß das moralische Feuer ausströmt von dieser ChristusGestalt. Dadurch aber tritt für die Erde immer mehr das ein, daß der Mensch die Notwendigkeit des Moralischen und seiner Impulse ein- sieht. Und dadurch wandelt er die Erde um, insofern der Mensch immer mehr fühlen wird> daß das Moralische zur Erde gehört. Und in Zukunft werden nur jene Menschen unmoralisch sein können, die im Unmoralischen Hilfe bekommen, die von bösen Dämonen> von ahrimanischen, asurischen Mächten besessen werden und diese Besessenheit erstreben. Das ist der Zukunftszustand der Erde: daß eine genügende Anzahl von Menschen da sein wird, welche immer mehr das Moralische lehren und zu gleicher Zeit Begründung der Moral geben werden; aber auch daß solche, welche aus ihrem freien Willen heraus es wollen, sich den bösen Mächten hingeben werden und gegenüber den guten Menschen ein Heer des Bösen bilden werden. Dazu wird niemand gezwungen werden, es wird eines jeden freier Wille sein.

Dann kommt jene Zeit über die Erde, wo das eintritt, was wie so vieles eigentlich nur in den grandiosen Definitionen von orientalischem Okkultismus, orientalischer Mystik enthalten ist, wo diese moralische Atmosphäre bis zu einem hohen Grade zugenommen haben wird. Von diesem Zeitpunkt spricht die orientalische Mystik seit vielen Jahrtausenden. Und namentlich stark spricht sie seit dem Auftreten des Buddha von jenem Zukunftsstandpunkt, wo die Erde getaucht sein wird in eine moralische Äther-Atmosphäre. Und wie eine große Zukunftshoffnung stand es immer schon seit der Zeit der alten Rishis vor der orientalischen Mystik, daß der Erde dieser Impuls kommen wird und daß er ein Wesensteil sein wird von Vishva-Karman, oder wie Zarathustra sagte, von Ahura Mazdao. So stand es jener Mystik

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bereits vor Augen, daß von der Wesenheit, die wir den Christus nennen, dieser moralische Impuls, diese moralische Erden-Atmosphäre ausgehen wird, und auf ihn, den Christus, setzte diese orientalische Mystik ihre Hoffnung.

Die Mittel der orientalischen Mystik reichten nicht aus, um sich dies vorzustellen, aber was als Gefolgschaft dieses Ereignisses auftritt, das konnten sie sich vorstellen. Sie konnten sich vorstellen, daß die in das Feuer, das Licht der Sonne eingetauchten reinen Akasha-Gestalten innerhalb von fünftausend Jahren nach der Erleuchtung des großen Buddha, als die Gefolgschaft dessen kommen werden, der durch morgenländische Mystik allein nicht zu erkennen ist. Eine wunderbare Vorstellung fürwahr: Es wird etwas kommen, was möglich machen wird> daß durch eine geläuterte moralische Atmosphäre der Erde, die Licht- und Feuersöhne, nicht in physisch verkörperter Gestalt, sondern als reine Akasha-Gestalten innerhalb der moralischen Atmosphäre der Erde herumwandeln werden. Dann wird aber auch der Lehrer da sein, fünftausend Jahre nach der Erleuchtung des Gautama Buddha, der die Menschen lehrt, was das für wunderbare Gestalten sind, diese reinen Feuer- und Lichtgestalten. Dieser Lehrer, das wird der Maitreya-Buddha sein, der dreitausend Jahre nach unserer Zeit auftreten wird, der den Menschen den ChristusImpuls wird lehren können.

So vereinigt sich orientalische Mystik mit dem christlichen Wissen des Abendlandes zu einer schönen, wunderbaren Einheit. Und klar gemacht wird auch, daß derjenige, der dreitausend Jahre nach unserer Zeit als der Maitreya-Buddha erscheinen wird, immer wieder als der Bodhisattva, als der Nachfolger des Gautama Buddha, verkörpert auf der Erde erscheint. Eine seiner Verkörperungen war die des hundert Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung lebenden Jeshu ben Pandira. Dieser in Jeshu ben Pandira Verkörperte ist derselbe, der einstmals der Maitreya-Buddha sein wird und der von Jahrhundert zu Jahrhundert immer wieder in einem fleischlichen Leibe erscheint, und zwar noch nicht selber als Buddha, sondern als Bodhisattva. Auch in unserem Zeitalter gehen von diesem, der einstmals - nicht jetzt, sondern einstmals - der Maitreya-Buddha werden wird, die bedeutendsten

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Lehren über die Christus-Wesenheit und über die Feuersöhne der Inder - die Agnishvattas - aus.

Dasjenige, woran der Mensch erkennen kann den, der einstmals der Maitreya-Buddha werden wird, ist aller wahren morgen- ländischen Mystik und christlichem Wissen wiederum gemeinsam. Erkennen kann man denjenigen, der einstmals der Maitreya-Buddha sein wird, der im Gegensatz zu den Feuersöhnen im physischen Leibe als Bodhisattva erscheinen wird, daran, daß er zunächst in seiner Jugend heranwächst so, daß kein Mensch ahnen kann, was für eine Individualität in ihm ist. Immer wird es so sein, daß diejenigen, die es verstehen, an einem solchen Menschen erst zwischen dem dreißigsten und dreiunddreißigsten Jahre erkennen, daß in ihm ein Bodhisattva ist. Da tritt etwas ein wie eine Umwechslung der Persönlichkeit. Und der Maitreya-Buddha wird selber gerade im dreiunddreißigsten Jahre seines Lebens sich der Menschheit zu erkennen geben. Wie der Christus Jesus im dreißigsten Jahre seines Lebens sein Werk begann, so geben sich die Bodhisattvas, die weiterhin den Christus verkündigen werden, im dreiunddreißigsten Jahre ihres Lebens zu erkennen. Und der Maitreya-Buddha selber, der mit großen, gewaltigen Worten, von denen heute noch keine Vorstellung gegeben werden kann, als um- gewandelter Bodhisattva von den großen Geheimnissen des Daseins verkünden wird, er wird sprechen in einer Sprache, die erst geschaffen werden muß, denn heute könnte kein Mensch die Worte finden, mit denen einstmals der Maitreya-Buddha zu den Menschen sprechen wird. Aus dem Grunde kann noch nicht so zu den Menschen gesprochen werden> weil es noch nicht das physische Werkzeug dazu gibt. Die Lehren des Erleuchteten werden nicht bloß Lehren einströmen, sondern sie werden moralische Impulse in die Menschenseelen einströmen. Solche Worte können noch nicht von einem physischen Kehlkopf aus- gesprochen werden. Sie können jetzt nur in den geistigen Welten da sein.

Anthroposophie ist die Vorbereitung zu alledem, was in der Zukunft kommen wird. Jene, die es mit der Menschheitsentwickelung ernst nehmen, die wollen, daß die Seelenentwickelung nicht versumpfe, sondern so weiter schreite, daß die Erde nun wirklich in

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ihrem geistigen Teil frei werden kann, daß sie den gröberen Teil wie einen Leichnam abfallen lassen kann - denn es könnten Menschen das ganze Werk verpfuschen -, diejenigen, die wollen, daß das Weltenwerk gelinge, sollen sich Verständnis des spirituellen Lebens erwerben durch das, was wir heute Anthroposophie nennen. So wird Anthroposophie zur Pflicht> Erkenntnis wird etwas, was wir empfinden, etwas, d,em gegenüber wir Verantwortung haben. Und wenn wir so empfinden und wollen lernen, wenn wir aus diesen Weltengeheirnnissen heraus so empfinden, daß wir Anthroposophen sein wollen, dann empfinden wir richtig. Dann aber auch darf Anthroposophie nicht für uns etwas sein, was unsere Neugierde befriedigt, sondern sie soll etwas werden, ohne das wir nicht leben können. Erst wenn das der Fall ist, empfinden wir im richtigen Sinne, dann erst leben wir als lebendige Bausteine innerhalb jenes großen Baues, der aufgeführt werden soll in den Seelen der Menschen und der sich über die Menschen breiten kann.

So ist die Anthroposophie die Eröffnung gegenüber den wahren Welterscheinungen, wie sie herantreten an den Menschen der Zukunft, an unsere eigenen Seelen, ob wir noch im physischen Leibe oder schon zwischen Tod und neuer Geburt sein werden. Diese Umwälzung wird uns berühren, ob wir noch im Leibe wandeln, oder ob wir den physischen Leib abgelegt haben werden. Nur daß die Menschen sich schon hier auf dem Erdenrund im physischen Leibe Verständnis aneignen müssen für diese Ereignisse, wenn sie berührt werden sollen zwischen Tod und neuer Geburt von dem, was da geschieht. Für jene, die sich jetzt im physischen Leibe Verständnis für den Christus aneignen, für jene ist es einerlei, ob sie noch leben werden, wenn der Moment heranrückt, den Christus zu schauen, oder ob sie dann bereits durch die Pforte des Todes geschritten sein werden. Diejenigen aber, die jetzt ablehnen das Verständnis des Christus, die müssen, wenn sie zur Zeit des Eintretens dieses Ereignisses bereits durch die Pforte des Todes geschritten sind, warten bis zur nächsten Verkörperung, denn die Grundiage kann nicht erworben werden zwischen Tod und Geburt. Wenn die Grundlage aber einmal erworben ist, setzt sie sich fort, dann ist der Christus auch schaubar zwischen Tod und neuer Geburt. So

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wird uns Anthroposophie nicht nur etwas, was wir lernen für das physische Leben, sondern was auch Wert hat, wenn wir den physischen Leib im Tode abgelegt haben werden.

Das wollte ich heute geben zum Verständnis des Menschen und als Handhabe zur Beantwortung mancher Fragen. Selbsterkenntnis ist schwierig, weil der Mensch ein so kompliziertes Wesen ist. Dadurch ist der Mensch so kompliziert, daß er mit allen höheren Welten und Wesen zusammenhängt. Was in uns ist> das sind Schattenbilder der großen Welt, und was unsere Organisation ist, unser physischer, Äther- und Astralleib und unser Ich, was so unsere Glieder bedeutet, das sind für die göttlichen Wesen Welten. Was bei uns physischer, Äther-, Astralleib und Ich ist, das ist die eine Welt> die andere Welt ist die höhere, die Himmelswelt. Für die göttlich-geistigen Wesen der höheren Welten sind die Leibesglieder hohe göttlich-geistige Welten. Deshalb ist der Mensch etwas so Kompliziertes, weil er ein wirkliches Spiegelbild der geistigen Welt ist. Das soll ihn zum Bewußtsein seiner Menschenwürde bringen. Aber aus jener Erkenntnis, daß wir zwar ein Bild sind, daß wir aber noch sehr fernestehen dem, was wir sein sollen, auf dem Umwege dieser Erkenntnis eignen wir uns an, neben der Menschenwürde, auch die re`chte Bescheidenheit und Demut gegenüber dem Makrokosmos und seinen Göttern.

Aus der an den Vortrag sich anschließenden Fragenbeantwortung

Frage: Wie ist das Wort «mit Zungen reden» beim Apostel Paulus zu verstehen?

Antwort: Bei Ausnahmemenschen kann es vorkommen, daß nicht nur das Phänomen des Sprechens im Wachzustande allein da ist, sondern es geht etwas in dieses Sprechen, was sonst nur im Schlafbewußtsein da ist. Das ist das Phänomen, von dem Paulus spricht. Goethe spricht darüber von demselben Standpunkte aus. Er hat eine sehr schöne Abhandlung über dieses Phänomen geschrieben.

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Frage: Wie wird man die Trostworte des Christus verstehen?

Antwort: Die Menschen werden wie durch ihr eigenes Herz diese Trostworte fühlen. Es kann sich auch wie ein physisches Hören ausnehmen.

Frage: Was sind chemische Kräfte und Stoffe im Verhältnis zur geistigen Welt?

Antwort: In der Welt sind eine Anzahl Substanzen, die verbindbar und trennbar sind. Was wir Chemismus nennen, ist hinein- projiziert in die physische Welt aus der Welt des Devachan, der Sphärenharmonie. So daß in der Verbindung zweier Stoffe nach ihren Atomgewichten wir die Abschattung haben zweier Töne der Sphärenharmonie. Die chemische Verwandtschaft zweier Stoffe in der physischen Welt ist eine Abschattung aus der Welt der Sphärenharmonie. Die Zahlenverhältnisse der Chemie sind wirklich die Ausdrücke für die Zahlenverhältnisse der Sphärenharmonie. Diese letztere ist stumm geworden durch die Verdichtung der Materie. Würde man die Stoffe tatsächlich bis zur ätherischen Verdünnung bringen und die Atomzahlen als innerlich formendes Prinzip wahrnehmen können, so würde man die Sphärenharmonie hören. Man hat die physische, die astralische Welt, das untere Devachan und das obere Devachan. Wenn man nun einen Körper noch weiter hinunterdrückt als zur physischen Welt, dann kommt man in die unterphysische Welt> in die unterastralische Welt, das untere oder schlechte Unterdevachan und das untere oder schlechte Oberdevachan. Die schlechte Astralwelt ist das Gebiet des Luzifer, das schlechte untere Devachan ist das Gebiet des Ahriman und das schlechte obere Devachan ist das Gebiet der Asuras. Wenn man den Chemismus noch weiter hinunterstößt als unter den physischen Plan, in die schlechte untere devachanische Welt, entsteht Magnetismus, und wenn man das Licht ins Untermaterielle stößt, also um eine

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Stufe tiefer als die materielle Welt, entsteht die Elektrizität.

Wenn wir das, was lebt in der Sphärenharmonie, noch weiter hinabstoßen bis zu den Asuras, dann gibt es eine noch furchtbarere Kraft, die nicht mehr lange wird geheim gehalten werden können. Man muß nur wünschen, daß wenn diese Kraft kommt, die wir uns viel, viel stärker vor

stellen müssen als die stärksten elektrischen Entladungen, und die jedenfalls kommen wird - dann muß man wünschen> daß, bevor diese Kraft der Menschheit durch einen Erfinder gegeben wird, die Menschen nichts Unmoralisches mehr an sich haben werden!

Frage: Was ist Elektrizität?

Antwort: Elektrizität ist Licht in untermateriellem Zustand. Da ist das Licht in der schwersten Weise zusammengepreßt. Dem Licht muß man auch Innerlichkeit zusprechen, es ist in

jedem Punkte es selbst. Wärme kann sich in drei Richtungen des Raumes ausdehnen, beim Licht müssen wir von einer vierten sprechen: Es ist vierfach ausgedehnt; es hat Innerlichkeit als viertes.

Frage: Was geschieht mit dem Erdenieichnam?

Antwort: Wir haben als Rest der Mondenentwickelung unsern Mond, der die Erde umkreist. Ebenso wird für die Erde ein Rest sein, der den Jupiter umkreisen wird. Dann lösen sich die Reste allmählich auf zum allgemeinen Weltenäther. Auf der Venus wird ein Rest nicht mehr sein. Sie erscheint zunächst als reine Wärme, wird dann Licht Und geht wiederum in die geistige Welt hinein. Für die Erde wird der Rest zum Leichnam. Aber das ist ein Weg, der von dem Menschen nicht mitgemacht werden darf, da er furchtbaren Qualen

dadurch ausgesetzt sein würde. Aber es gehen wohl Wesen mit diesem Leichnam mit, da sie sich selber höher entwickeln werden dadurch.

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#Bild S. 104

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JESHU BEN PANDIRA - DER VORBEREITER FÜR EIN VERSTÄNDNIS DES CHRISTUS-IMPULSES. KARMA ALS LEBENSINHALT Leipzig, 4. November 1911 Erster Vortrag

Wenn wir in der Geisteswissenschaft außer unserer physischen Welt noch andere übersinnliche Welten betrachten und sagen, daß der Mensch nicht nur mit dieser physischen Welt im Zusammenhang steht, sondern auch mit übersinnlichen Welten, so kann die Frage auftauchen: Was findet man in der menschlichen Seele, bevor man zu irgendwelcher hellseherischen Begabung kommt, was übersinnlich ist, was uns den Hinweis darauf gibt, daß der Mensch mit übersinnlichen Welten in Verbindung steht? Mit anderen Worten: Kann auch der gewöhnliche Mensch, der keine hellseherische Fähigkeit hat, etwas in der Seele bemerken, etwas erleben, was mit den höheren Welten in Zusammenhang steht? Im wesentlichen wird einer Antwort auf diese Frage sowohl unsere heutige, als auch unsere morgige Betrachtung gewidmet sein.

Wenn wir das menschliche Seelenleben betrachten, so teilt es sich deutlich in drei Teile, die in gewisser Beziehung voneinander unabhängig sind, aber doch wieder in engem Zusammenhang stehen.

Das erste, was uns, wenn wir uns selbst als Seele betrachten, entgegentritt, ist unser Vorstellungsleben, das auch in gewisser Beziehung unser Denken, unser Erinnern einschließt. Erinnerung und Gedanken sind nichts Physisches> sie gehören dem Unsichtbaren, den übersinnlichen Welten an. In seinem Gedankenleben hat der Mensch einen Hinweis auf die höheren Welten. Was dieses Vorstellungsleben ist, davon kann sich jeder eine Anschauung bilden auf folgende Weise: Wir bringen ihm einen Gegenstand, den er betrachtet. Dann dreht er sich um. Er hat den Gegenstand nicht gleich vergessen, sondern bewahrt ein Bild desselben in sich, das in ihm lebt. So haben wir Vorstellungen von der Welt um uns herum, und wir können, wenn wir

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vom Vorstellungsleben sprechen, als von einem Teile unseres Seelenlebens sprechen.

Einen zweiten Teil unseres Seelenlebens können wir wahrnehmen, wenn wir uns fragen: Haben wir nicht den Dingen und auch den Wesenheiten gegenüber noch etwas anderes in der Seele als nur unsere Vorstellungen? Ja, wir haben auch etwas anderes. Es ist das, was wir Liebe- und Haßempfindungen nennen, was wir in unserem Denken mit Sympathie und Antipathie bezeichnen. Wir finden das eine schön, das andere häßlich, wir lieben das eine, das andere hassen wir vielleicht, wir finden das eine gut, das andere böse. Wenn wir zusammenfassen wollen, was hier in unserer Seele auftritt, so können wir von Gemütsbewegungen sprechen. Es ist das Gemütsleben etwas ganz anderes als das Vorstellungsleben. Im Gemütsleben haben wir einen viel intimeren Hinweis aufdasUnsichtbare als beimVorstellungsleben. Es ist ein zweites Glied unseres Seelenorganismus, das Leben der Gemütsbewegungen. So hätten wir schon zwei Seelenglieder, unser Vorstellungsleben und das Leben der Gemütsbewegungen.

Ein drittes werden wir gewahr, wenn wir uns sagen, wir finden ein Ding nicht nur schön oder häßlich, wir finden es nicht nur gut oder böse, sondern wir fühlen uns gedrängt, dies oder jenes zu tun: wir haben den Impuls zu handeln. Wenn wir irgend etwas unternehmen, eine größere Tat tun, oder auch nur einen Gegenstand ergreifen, so muß immer ein Impuls in unserer Seele sein, der uns hierzu veranlaßt. Es verwandeln sich diese Impulse nach und nach auch in Gewohnheiten, und wir brauchen nicht immer bei allem, was wir tun, unsere Impulse in Anwendung zu bringen. Wenn wir zum Beispiel hinausgehen und uns vorgenommen haben, zum Bahnhof zu gehen, dann nehmen wir uns nicht vor, den ersten, zweiten und dritten Schritt zu tun; wir gehen eben bis zum Bahnhof. All dem liegt das dritte Glied unseres Seelenlebens zugrunde, unsere Willensimpulse als etwas, was völlig über das Sichtbare hinausragt.

Verbinden wir nun die Eingangsfrage: Besitzt der gewöhnliche Mensch einen Anhaltspunkt für das Vorhandensein höherer Welten? - mit diesen drei dem Menschen eigentümlichen Impulsen, so müssen wir das Traumleben in Betracht ziehen, wie es sich verhält zu den

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drei Seelenelementen des Gedankenimpulses, der Gemütsbewegung und des Willensimpulses. Diese drei Glieder unseres SeelenIebens können wir deutlich unterscheiden: unser Vorstellungsleben, das Leben unserer Gemütsbewegungen und unsere Willensimpulse. Wenn wir etwas nachdenken über unser Seelenleben, können wir unterscheiden zwischen diesen einzelnen Gliedern unseres Seeleiilebens im äußeren Dasein.

Nehmen wir zuerst das Vorstellungsleben. Dieses Vorstellungsleben läuft den ganzen Tag hindurch ab, wenn wir nicht gerade gedankenlos sind. Wir haben den ganzen Tag über Vorstellungen, und wenn wir abends müde werden, so trüben sich diese Vorstellungen zunächst. Es ist, als wenn sie sich in eine Art Nebel hineinverwandeln. Es wird schwächer und schwächer und endlich verschwindet es ganz, und wir können dann einschlafen. Dieses VorstelIungsleben, wie wir es auf dem physischen Plan haben, währt also vom Aufwachen bis zum Einschlafen, und als solches verschwindet es mit dem Moment des Einschlafens. Es wird sich ein Mensch nicht vorstellen können, daß er, wenn er wirklich schläft - also nicht etwa hellseherisch schläft -, trotzdem sein Gedankenleben in der gleichen Weise fortsetzen könne wie im Wachen. Das Gedankenleben beziehungsweise das Vorstellungsleben, das uns ausfüllt vom Aufwachen bis zum Einschlafen, muß auslöschen und erst dann können wir einschlafen.

Der Mensch muß sich aber sagen: die Vorstellungen, die er hat und die ihn am Tage in überaus reichlichem Maße in Anspruch genommen haben und die er immer hat, wenn er nicht bloß so vor sich hindöst, sie sind kein Hindernis für das Einschlafen. Daß dies so ist, sieht man am besten, wenn man vor dem Einschlafen besonders regen Vor- stellungen sich hingibt, etwa durch Lesen in einem schweren Buche.

Wenn wir recht intensiv gedacht haben, schlafen wir am besten ein und wenn wir nicht einschlafen können, so ist es gut, wenn wir ein Buch nehmen oder uns mit irgend etwas beschäftigen, wobei wir angestrengt nachdenken müssen, etwa ein Mathematikbuch studieren, das wird uns zum Einschlafen verhelfen; dagegen nichts, was ein tieferes Interesse für uns hat, wie ein Roman, der vieles enthält, was für uns selbst Interesse hat. Hier treten unsere Gemütsbewegungen

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auf und das Leben unserer Gemütsbewegungen ist etwas, was uns am Einschlafen hindert. Wenn wir uns mit einem lebhaft bewegten Gemüt zu Bett legen, wenn wir wissen, wir haben etwas auf unsere Seele geladen, oder wenn wir eine besondere Freude im Gemüt haben, die sich noch nicht ausgelebt hat, so werden wir uns sehr oft auf unserem Lager wälzen und nicht einschlafen können. Während uns also die Vorstellungen, welche nicht von Gemütsbewegungen begleitet sind, ermüden, so daß wir leicht einschlafen, hindert uns gerade dasjenige, was unser Gemüt recht kräftig bewegt, am Einschlafen. Es ist nicht möglich, die Trennung herbeizuführen, welche nötig ist, wenn wir in den Zustand des Schlafes kommen wollen. Daraus können wir schon sehen, daß sich das Leben unserer Gemütsbewegungen anders verhält zu unserem ganzen Dasein als das Leben unserer Vorstellungen.

Wenn wir so recht den Unterschied rnachen wollen, so müssen wir allerdings noch auf etwas anderes Rücksicht nehmen, nämlich auf unsere Träume. Zunächst könnte ja der Mensch glauben, wenn das bunte Leben der Träume auf uns wirkt, daß dies Vorstellungen sind, die in den Schlaf hinein ihr Dasein fortsetzen. Wenn man aber ganz genau prüft, so wird man bemerken, daß sich unser Vorstellungsleben nicht in unseren Träumen fortsetzt. Das, was geeignet ist, unsere Seele zu ermüden, setzt sich nicht in den Träumen fort. Es geschieht dies nur, wenn unsere Vorstellungen mit heftigen Gemütsbewegungen verknüpft sind. Die Gemütsbewegungen sind es, die in dem Traum- bilde auftreten. Um das zu erkennen, muß man allerdings die Dinge genau prüfen. Ein Beispiel: Jemand träumt> er sei wieder jung und erlebe dies oder jenes. Gleich darauf verwandelt sich der Traum und es geschieht etwas, was er allerdings gar nicht erlebt zu haben braucht. Es zeigt sich irgendein Ereignis, das seiner Erinnerung fremd ist, weil er es auf dem physischen Plane nicht erlebte. Aber es treten bekannte Personen auf. Wie oft kommt es vor, daß man sich im Traume in Handlungen verstrickt sieht, bei denen man mit Freunden oder Bekannten zusammen ist, die man lange nicht gesehen hat. Wenn man aber genau prüft, wird man sich sagen müssen, daß in dem, was im Traum auftaucht, Gemütsbewegungen im Hintergrund sind. Vielleicht

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hängen wir noch an dem damaligen Freund, sind noch nicht ganz von ihm Iosgelöst. Es muß noch irgendeine Gemütsbewegung, die mit ihm zusammenhängt, vorhanden sein. Es tritt nichts im Traume auf, was nicht mit Gemütsbewegungen zusammenhängt. Demnach muß man hier einen bestimmten Schluß ziehen, nämlich den: Wenn die Vorstellungen, die uns unser waches Tagesbewußtsein übermittelt, im Traume nicht auftreten, so ist das ein Beweis dafür, daß sie nicht mit bineingehen in den Schlaf. Wenn Gemütsbewegungen uns am Schlaf verhindern, so bezeugt das, daß sie uns nicht loslassen, daß sie da sein müssen, um in den Traumgebilden auftreten zu können. Die Gemütsbewegungen sind es, die herbeiziehen die Bilder des Träumens. Es liegt daran, daß die Gemütsbewegungen viel inniger mit dem eigentlichen Wesen des Menschen zusammenhängen als das Vorstellungsleben. Die Gemütsbewegungen tragen wir auch in den Schlaf hinein. Sie sind also ein Seelenglied, das auch während des Schlafes mit uns verbunden bleibt. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Vorstellungen sind die Gemütsbewegungen etwas, was mit uns in den Schlaf hineingeht, was also viel enger, viel intensiver mit der menschlichen Individualität zusammenhängt als das gewöhnliche Denken, das nicht mit Gemütsbewegungen durchsetzt ist.

Wie ist es nun mit dem dritten Seelenglied, mit denWillensimpulsen? Da können wir auch eine Art Exempel ausführen. Es können dies allerdings nur diejenigen Menschen beobachten, welche in etwas feinerer Art den Moment des Einschlafens ins Auge fassen. Wenn der Mensch sich durch Schulung eine gewisse Fähigkeit angeeignet hat, diesen Moment zu beobachten, so ist diese Beobachtung äußerst interessant. Zunächst erscheinen uns unsere Vorstellungen wie in Nebel gehüllt, die äußere Welt verschwindet, und der Mensch hat ein Gefühl, als wenn sich sein Seelenwesen erweitert fühlt über seine Leiblichkeit hinaus, als wenn er nicht mehr eingepreßt ist in die Grenzen der Haut, sondern einfließt in die Elemente des Kosmos. Ein großes Wohlgefühl kann mit dem Einschlafen verknüpft sein. Dann kommt ein Moment, wo eine bestimmte Erinnerung auftritt. Diese haben wahrscheinlich die wenigsten Menschen, wir können diesen Moment aber wahrnehmen, wenn wir genau achtgeben. Es treten uns

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vor Augen die guten und auch die schlimmen Willensimpulse, die wir gehabt haben, und das Merkwürdige ist, daß der Mensch gegenüber den guten Willensimpulsen fühlt: das ist etwas, was mit allen gesunden Willenskräften zusammenhängt, was dich frisch macht. Und wenn der Mensch so die guten Willensimpulse vor die Seele gestellt bekommt vor dem Einschlafen, so fühit er sich um so frischer und lebenskräftiger und damit tritt oft das Gefühl auf: Ach, könnte dieser Moment doch immer bleiben! Könnte dieser Moment ewig dauern! Dann fühlt man noch, wie das Leibliche vom Seelischen verlassen wird, dann gibt es einen Ruck, und man geht in den Schlaf2

Man braucht kein Hellseher sein, um das zu erleben, sondern man braucht nur das Seelenleben zu beobachten. Hieraus folgt etwas ganz Wichtiges. Unsere Willensimpulse wirken vor dem Einschlafen und wir fühlen sie als etwas, was uns befrnchtet. Eine außerordentliche Stärkung fühlen wir. Gegenüber den bloßen Gemütsbewegungen mußten wir sagen, daß dieselben enger als unser gewöhnliches Denken, unser gewöhnliches Vorstellen mit unserer Individualität zusammen- hängen. So müssen wir jetzt von dem, was unsere Willensimpulse sind, sagen, das ist nicht bloß etwas, was bei uns bleibt während des Schlafes, sondern etwas, was zu einer Stärkung, einer Kräftigung unseres Lebens in uns wird. Noch viel inniger hängt das Leben unserer Willensimpulse mit unserem Leben zusammen als die Gemütsbewegungen, und wer öfter den Moment des Einschlafens beobachtet, der fühlt darin, daß, wenn er auf keine guten Willensimpulse am Tage zurückblicken kann, dies so wirkt, als wenn etwas in ihm ertötet würde von dem, was in den Schlafzustand hineingeht. Die Willensimpulse hängen also mit Gesundheit und Krankheit, mit unserer Lebens kraft zusammen.

Gedanken kann man nicht sehen. Man sieht den Rosenstrauß zunächst mit den gewöhnlichen Mitteln des physischen Wahrnehmens. Wenn aber der Mensch sich umdreht oder fortgeht, so bleibt das Bild des Gegenstandes in ihm. Er sieht den Gegenstand nicht, aber er kann ihn sich vorstellen. Es ist also unser Gedankenleben etwas Übersinnliches. Unsere Gemütsbewegungen sind erst recht etwas Übersinnliches, und unsere Willensimpulse setzen sich zwar um in Taten, sind

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aber trotzdem etwas Übersinnliches. Aber wir wissen auch zugleich, wenn wir alles in Betracht ziehen, was wir jetzt gesagt haben, daß unser Gedankenieben, das nicht mit unseren Willensimpulsen durchsetzt ist, am wenigsten eng mit uns zusammenhängt. Nun könnte man meinen, das eben Gesagte widerlege sich ja dadurch, daß doch am nächsten Tage unsere Vorstellungen vom Tage zuvor uns wieder vor die Seele treten, daß wir uns an sie erinnern können. Ja, wir müssen uns eben erinnern. Wir müssen uns in übersinnlicher Weise unsere Vorstellungen ins Gedächtnis zurückrufen.

Mit unseren Gemütsbewegungen ist das schon anders> die hängen eben enger mit uns zusammen. Wenn wir mit einem reuevollen Gemüt zur Ruhe gegangen sind, so werden wir schon spüren am andern Morgen, wenn wir aufwachen, daß wir mit einem dumpfen Kopf oder ähnlichem aufwachen. Erlebten wir Reue, so verspüren wir sie am nächsten Tage an unserem Leibe als Schwäche, Schwere, Benommenheit; Freude als Stärke und Gehobenheit. Da brauchen wir uns nicht erst an die Freude, die Reue zu erinnern, uns auf sie zu besinnen, wir fühlen sie am Leibe. Wir brauchen uns nicht zu erinnern an das, was gewesen ist: es ist da, es ist mit uns in den Schlaf gegangen und hat mit uns gelebt. Unsere Gemütsbewegungen sind dichter, enger mit unserem Ewigen verbunden als unsere Gedanken.

Wer aber seine Willensimpulse zu beobachten vermag, der fühlt es, daß sie einfach wieder da sind. Sie sind immer da. Es kann vorkornmen, daß wir im Moment des Aufwachens bemerken, daß wir in diesem Moment in gewisser Beziehung unmittelbar wieder das erleben, was wir am vorigen Tag als Lebensfreude empfanden durch unsere guten moralischen Impulse. In Wahrheit macht uns nichts so frisch als dasjenige, was wir am vorhergehenden Tage an guten WillensirnpuIsen unsere Seele haben durchziehen lassen. Daher können wir sagen,, daß am innigsten mit unserem Dasein dasjenige zusammenhängt,, was wir unsere Willensimpulse nennen.

Es sind also die drei Seelenglieder voneinander verschieden und wir werden verstehen, wenn wir diese Verschiedenheiten ins Auge fassen, daß aus der okkulten Wissenschaft heraus mit einem gewissen Recht davon gesprochen werden kann, daß wir durch unsere Gedanken, die

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ja übersinnlicher Natur sind, zu der übersinnlichen Welt in Beziehung stehen, durch unsere Gemütsbewegungen mit einer anderen und durch unsere Willensimpulse mit einer noch anderen übersinnlichen Welt, die noch inniger mit unserem eigentlichen Wesen zusammenhängt. Und deshalb sagen wir: Wenn wir äußerlich sinnlich wahrnehmen, so können wir dadurch wahrnehmen alles, was in der physischen Welt ist. Wenn wir vorstellen, stehen unsere Vorstellungen, unser Gedankenleben mit der astralischen Welt in Beziehung, unsere Gemütsbewegungen bringen uns in Verbindung mit dem, was wir die himmlischeWelt, das untereDevachan nennen, und die Welt der moralischen Impulse bringt uns in Verbindung mit dem oberen Devachan oder der Welt der Vernunft. So steht der Mensch mit drei Welten in Verbindung durch Gedanken, Gemüt und WilIensimpulse. Und insofern der Mensch der astralischen Welt angehört, kann er seine Gedanken hineintragen in die astralische Welt, er kann in die devachanische Welt hineintragen seine Gemütsbewegungen, in die höhere himmlische Welt kann er hineintragen alles, was er an Willensimpulsen in seiner Seele hat.

Wenn wir die Dinge so betrachten> werden wir sehen, wie recht die okkulte Wissenschaft hat, von den drei Welten zu reden. Und wenn wir das in Betracht ziehen, werden wir noch in ganz anderer Weise auf die Welt des Moralischen blicken, denn durch die Welt der guten Willensimpulse stehen wir mit der höchsten der drei Welten in Beziehung, in die zunächst die menschliche Wesenheit hinaufreicht.

Unser gewöhnliches Gedankenieben reicht nur bis in die astralische Welt. Wir mögen noch so geistreiche Gedanken haben: Gedanken, die nicht vonGemütsbewegungen getragen werden, gehen nicht weiter als in die astrale Welt hinein, haben für andere Welten keine Bedeutung. Damit allerdings werden Sie verstehen, was über die äußere Wissenschaft gesagt ist, über die trockene, nüchterne, äußere Wissenschaft: Kein Mensch kann mit Gedanken, die mit Gemütsbewegungen nicht durchzogen sind, etwas aussagen über andere Welten als die astralische. Unter gewöhnlichen Verhältnissen verläuft das Denken des wissenschaftlichen Forschers, des Chemikers, des Mathematikers ohne jede Gemütsbewegung; das geht nicht weiter als bis unter die

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Oberfläche. Ja, es wird von einer wissenschaftlichen Forschung geradezu gefordert, daß sie in dieser Weise vorschreitet und deshalb dringt sie nur in die Astralwelt.

Erst wwenn wir das eine als gut, das andere als böse empfinden, verbinden wir mit den Gedanken dasjenige, was sie hineinträgt in die himmlische Welt. Dann erst können wir hineinblicken in tiefere Gründe des Daseins. Wenn wir etwas begreifen wollen von der devachanischen Welt,

helfen uns alle Theorien nichts. Da hilft uns nur, wenn wir mit den Gedanken Gemütsbewegungen verbinden können. Das Denken bringt uns nur in Verbindung mit der astralischen Welt. Wenn der Geometer zum Beispiel die Verhältnisse des Dreiecks erfaßt, so hilft ihm das nur ins Astralische. Aber wenn er das Dreieck als Symbol erfaßt und herausholt, was darinnen liegt über den Anteil des Menschen an den drei Welten, über seine Dreigliedrigkeit und so weiter, so hilft ihm das höher hinauf. Wer in den Sinnbildern den Ausdruck fühlt für die Seelenkraft, wer es sich ins Gemüt einschreibt, wer fühlt bei alledem, was man sonst bloß weiß, der setzt seine Gedanken mit dem Devachan in Verbindung. Deshalb muß man beim Meditieren das, was uns gegeben wird, hindurchfühlen, denn nur dadurch bringen wir uns in Beziehung mit der devachanischen Welt. Die gewöhnliche gemütlose Wissenschaft kann also, wenn sie selbst noch so scharfsinnig ist, den Menschen iinmer nur mit der Astralwelt in Verbindung setzen.

Kunst, Musik, Malerei und so weiter dagegen führt ihn in die untere Devachanwelt. Man könnte dagegen einwenden: Wenn das so ist, daß die Gemütsbewegungen in das untere Devachan führen, dann würden die Triebe, Begierden, Instinkte das auch vollbringen. Ja freilich tun sie das. Es ist dies aber nur ein Beweis dafür, daß wir mit unseren Gefühlen inniger verbunden sind als mit unseren Gedanken. Unsere Sympathien können auch mit unserer niederen Natur zusammeiihängen, durch Triebe und Instinkte wird auch ein Gemütsleben bewirkt> und das führt ins untere Devachan. Während wir das,

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was wir an falschen Gedanken haben, abmachen im Kamaloka, geht das, was wir entwickelt haben bis zu Gemütsbewegungen, hinein mit uns bis in die Devachanwelt und prägt sich uns ein bis zur nächsten Inkarnation, so daß es in unserem Karma zum Ausdruck kommt. Durch unser Gemütsleben, sofern es diese zwei Seiten haben kann, erheben wir uns in die Devachanwelt oder wir beleidigen sie.

Durch unsere Willensimpulse dagegen, die unmoralisch sind oder moralisch, sind wir entweder in gutem Zusammenhang mit der höheren Welt oder wir verletzen sie und müssen das im Karma abmachen. Wenn ein Mensch so schlecht und verkommen ist, daß er durch seine schlirnmen Impulse eine solche Verbindung herstellt mit der oberen W`ek, daß diese vollständig verletzt ist, so wird er ausgestoßen. Aber der Impuls muß dennoch von der oberen Welt ausgehen. Die ganze Bedeutung des moralischen Lebens geht uns auf in seiner Größe, wenn wir die Sache so betrachten.

Aus den Welten, mit welchen der Mensch so eng in Zusammenhang steht durch seine dreifache Seelennatur und auch durch seine physische Natur, aus diesen Welten gehen diejenigen Kräfte aus, welche den Menschen führen können durch die Welt. Das heißt, wenn wir einen Gegenstand der physischen Welt betrachten, so kann dies nur dadurch geschehen, daß wir eben Augen haben, um ihn zu sehen: Dadurch steht der Mensch mit der physischen Welt in Verbindung; dadurch daß er sein Gedankenieben entwickelt, mit der astralischen, dadurch daß er sein Gemüt entwickelt, mit der devachanischen und durch seine Moral mit der oberen Devachanwelt.

Vier Welten: Anteil des Menschen:

Oberes Devachan Wille: moralische Impulse

Unteres Devachan Gemüt: ästhetische Ideale

Astralwelt Gedanke: ätherische Natur

Physische Welt Leiblichkeit: physisch-materielle Natur

Vier Beziehungen hat der Mensch zu vier Welten. Das heißt aber nichts anderes, als daß er mit den Wesenheiten dieser Welten Beziehungen hat. Von diesem Gesichtspunkte aus ist es interessant, die

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Entwickelung der Menschheit zu betrachten, hineinzuschauen in die Vergangenheit, Gegenwart und die nächste Zukunft.

Von den Welten, die wir angeführt haben, gehen Kräfte aus, die in unser Leben eindringen. Da haben wir zunächst einmal zu verzeichnen, daß in dem Zeitalter, das hinter uns liegt, die Menschen vorzugsweise darauf angewiesen waren, dazu veranlagt waren, von der physischen Welt beeinflußt zu sein, Impulse aus der physischen Welt zu erhalten. Dies liegt hinter uns als das griechisch-lateinische Zeitalter. In diesem Zeitalter hat Christus im physischen Leibe auf der Erde gewirkt. Weil der Mensch hier vorzugsweise dazu veranlagt war, daß die in der physischen Welt liegenden Kräfte auf ihn einwirkten, mußte Christus auf dem physischen Plane erscheinen.

Jetzt leben wir in einem Zeitalter, in dem vorzugsweise das Denken entwickelt wird, in dem der Mensch seine Impulse aus der Gedankenwelt, aus der Astralwelt erhält. Das zeigt schon die äußere Geschichte. Von Philosophen der vorgriechischen Zeit kann man ja kaum reden, höchstens von einer Vorbereitung des Denkens in vorgriechischer Zeit, daher beginnt die Geschichte der Philosophie mit Thales. Erst nach dem griechisch-lateinischen Zeitalter tritt das wissenschaftliche Denken auf. Das intellektualistische Denken kommt erst um das sechzehnte Jahrhundert herauf. Daher der große Fortschritt der Naturwissenschaften, daß jede Gemütsbewegung von der denkerischen Arbeit ausgeschlossen wird. Und die Wissenschaft ist in unserem Zeitalter so besonders beliebt> weil das Denken in ihr nicht mit Gemütsbewegungen durchzogen ist. Unsere Wissenschaft ist gemütlos und sucht ihr Heil darin, nichts zu empfinden. Wehe dem, der bei einem Laboratorium-Experiment etwas empfinden wollte! Das ist das Charakteristische unseres Zeitalters, das den Menschen am meisten mit dem Astralplan in Verbindung bringt.

Das nächste Zeitalter, das dem unseren folgen wird, wird schon spiritueller sein. Hier werden auch bei der Wissenschaft die Empfindungen mitsprechen: Will dann jemand ein Examen machen und zur Wissenschaft zugelassen werden, so ist es nötig, daß er empfinden kann das Licht, das hinter allen Dingen steht, die Geisteswelt, die alles zustande kommen läßt. Da wird der Prüfungswert der wissenschaftlichen

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Arbeit darin bestehen, daß man nachsieht, ob der Mensch bei der Prüfung genügende Gemütsbewegung entwickeln kann, sonst rasselt er im Examen durch. Man kann noch so viel wissen, wenn man nicht die richtigen Empfindungen haben wird, kann man ein Examen nicht machen. Das klingt zwar sehr merkwürdig, aber dennoch wird es so sein, daß der Laboratoriumstisch zum Altar erhoben wird, an welchem die Prüfung eines Menschen darin besteht, daß bei der Zerlegung des Wassers in Wasserstoff und Sauerstoff Gefühle entwickelt werden, die dem entsprechen, was die Götter empfinden, wenn das geschieht. Da wird der Mensch durch einen innigen Zusammenhang mit dem niederen Devachan seine Impulse erhalten.

Und dann kommt das Zeitalter, das zunächst das letzte vor der nächsten großen Erdkatastrophe sein wird, das ist das, wo der Mensch durch seine Willensimpulse mit der höheren Welt in Zusammenhang steht, wo auf der Erde das gelten wird, was moralisch ist. Da wird weder das äußere Können, noch das Intellektuelle, noch das Gemüt an erster Stelle stehen, sondern die Willensimpulse. Nicht die Geschicklichkeit, sondern die moralische Qualität des Menschen wird maßgebend sein. Dadurch wird die Menschheit, wenn sie an diesem Zeitpunkt angelangt sein wird, das moralische Zeitalter erreicht haben, in dem sie in besonderer Beziehung steht mit der höheren Devachanwelt.

Es ist so, daß im Verlaufe der Entwickelung im Menschen immer mehr Kräfte der Liebe erwachen, aus denen er seine Erkenntnisse, Antriebe und Betätigungen schöpfen kann.

Während die Menschen früher, da der Christus im physischen Leibe herniederkam zur Erde, ihn nicht hätten wahrnehmen können anders als im physischen Leibe, erwachen in unserem Zeitalter tatsächlich die Kräfte, die schauen werden den Christus nicht in seinem physischen Leibe, wohl aber in einer Gestalt, die als eine ätherische auf dem Astralplan existieren wird. So wird schon in unserem Jahrhundert von den dreißiger Jahren ab und immer mehr bis zur Mitte des Jahrhunderts eine große Anzahl Menschen den Christus als ätherische Gestalt wahrnehmen. Das wird der große Fortschritt sein gegenüber dem früheren Zeitalter, wo die Menschen noch nicht reif waren, ihn so zu schauen. Das ist auch gemeint damit, daß gesagt wird: Christus wird erscheinen

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in den Wolken - denn damit ist gemeint, daß er als ätherische Gestalt auf dem Astralplan erscheinen wird. Es muß aber betont werden, daß er nur im Ätherleibe in dieser Epoche geschaut werden kann. Derjenige> der glauben könnte, daß Christus wiedererscheint in physischer Gestalt, vergißt den Fortschritt der menschlichen Kräfte. Es ist ein Mißgriff zu glauben, daß ein Ereignis wie die Erscheinung Christi sich in derselben Weise wiederholen könne, wie es schon einmal geschah.

Das nächste Ereignis ist also das, daß die Menschen den Christus auf dem Astralplan in ätherischer Gestalt schauen, und die, die dann auf dem physischen Plan leben und angenommen haben die Lehren der Geisteswissenschaft, werden ihn wahrnehmen, diejenigen aber, die dann nicht mehr leben, die sich jedoch vorbereitet haben durch geisteswissenschaftliche Arbeit, die werden ihn dann noch schauen im Äthergewande zwischen ihrem Tod und einer neuen Geburt. Es wird aber auch Menschen geben, die es nicht mehr fertig bekommen, ihn im Ätherleibe zu schauen. Diejenigen, die die Geisteswissenschaft verschmäht haben, werden ihn nicht wahrnehmen können, sondern warten müssen bis zur nächsten Verkörperung, während welcher sie sich dann der Geist-Erkenntnis widmen und sich vorbereiten können, da- mit sie dasjenige, was da auftritt, verstehen können. Es wird dann nicht abhängen davon, ob man gerade Geisteswissenschaft studiert hat oder nicht, wenn man auf dem physischen Plan lebt; nur wird ihnen dann die Christus-Erscheinung ein Vorwurf, eine Qual sein, während diejenigen, welche Geist-Erkenntnis anstrebten in der vorhergehenden Inkarnation, wissen> was sie sehen.

Dann wird ein Zeitalter kommen, wo im Menschen noch höhere Kräfte erwachen. Das wird das Zeitalter sein, wo sich Christus in noch höherer Weise offenbart: in einer astralen Gestalt in der niederen Devachanwelt. Und das letzte Zeitalter der moralischen Impulse wird dasjenige sein, wo die Menschen, die durch die anderen Stufen hindurchgegangen sind, den Christus sehen in seiner Glorie, als Gestalt des größten Ich, als das vergeistigte Ich-Selbst, als großen Lehrer der menschlichen Entwickelung im oberen Devachan.

Die Folge ist demnach die: Im griechisch-lateinischen Zeitalter erscheint

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Christus auf dem physischen Plan, in unserem Zeitalter als ätherische Gestalt auf dem Astralplan, in dem nächsten Zeitalter als Astralgestalt auf der Ebene des niederen Devachan, und im Zeitalter der Moralität als Inbegriff des großen Ich.

Jetzt können wir uns fragen: Wozu ist eigentlich Geisteswissenschaft da? Damit eine genügend große Anzahl Menschen da sein können, die vorbereitet sind, wenn diese Ereignisse eintreten. Und jetzt schon arbeitet die Geisteswissenschaft darauf hin> daß die Menschen in rechter Weise in Verbindung treten mit den höheren Welten, daß die Menschen in richtiger Weise einziehen in das Ätherisch-Astralische, in das Ästhetisch-Devachanische, in das Moralisch-Devachanische. In unserem Zeitalter ist die geisteswissenschaftliche Bewegung diejenige, die speziell hinsteuert darauf, daß der Mensch sich in seinen moralischen Impulsen in richtige Beziehung mit dem Christus setzen kann.

Die nächsten drei Jahrtausende werden dem gewidmet sein, daß die Christus-Erscheinung in der Ätherwelt wahrnehmbar sein wird. Nur denen, die ganz materialistisch fühlen, wird sie nicht zugänglich sein. Man kann materialistisch denken, wenn man nur die Materie gelten läßt und alles Geistige leugnet, oder auch dadurch, daß man das Geistige ins Materielle hinunterzieht. Man ist auch materialistisch dadurch, daß man Geistiges nur im materiellen Kleide gelten lassen will. Es gibt auch Theosophen, die Materialisten sind. Das sind diejenigen, die da glauben, daß die Menschheit dazu verurteilt ist, Christus wiederum in der physischen Gestalt sehen zu müssen. Nicht dadurch ist man nicht Materialist, daß man Theosoph ist, sondern dadurch, daß man einsieht, daß die höheren Welten auch dann da sind, wenn man sie nicht in einer sinnlichen Manifestation wahrnehmen kann, sondern man sich zu ihnen hinauf entwickeln muß, um sie wahrzunehmen.

Wenn wir uns dies alles vor die Seele führen, so können wir sagen: Es ist Christus der eigentliche moralische Impuls, der die Menschheit mit moralischer Kraft durchzieht. Der Christus-Impuls ist Kraft und Leben, die moralische Kraft, die die Menschen durchzieht. Aber diese moralische Kraft muß verstanden werden. Gerade für unser Zeitalter ist es notwendig, daß Christus verkündigt wird. Daher hat auch die

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Anthroposophie die Aufgabe, den Christus in ätherischer Gestalt zu verkünden.

Bevor der Christus auf Erden erschien durch das Mysterium von Golgatha, wurde auch die Lehre vom Christus vorbereitet. Auch damals ist der physische Christus verkündet worden. Es war hauptsächlich Jeshu ben Pandira, hundert Jahre vor Christus, der Vorläufer und Verkünder war. Auch er hatte den Namen Jesus, und er wurde zum Unterschied von dem Christus Jesus der Jesus ben Pandira, Sohn des Pandira, genannt. Dieser lebte etwa ein Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Um das zu wissen, braucht man kein Hellseher zu sein, denn das steht in rabbinischen Schriften, und diese Tatsache ist oft Anlaß gewesen, ihn zu verwechseln mit dem Christus Jesus. Jeshu ben Pandira wurde zunächst gesteinigt und dann an die Pfähle des Kreuzes gehängt. Jesus von Nazareth wurde wirklich zunächst gekreuzigt.

Wer war dieser Jeshu ben Pandira? Er ist eine große Individualität, die seit Buddhas Zeiten - also sechshundert Jahre vor unserer Zeitrechnung - fast in jedem Jahrhundert einmal verkörpert war, um die Menschheit vorwärts zu bringen. Um ihn zu verstehen, müssen wir zurückgehen bis zur Wesenheit des Buddha. Wir wissen ja, daß Buddha gelebt hat als Königssohn des Hauses der Säkja fünf und ein halbes Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Diejenige Individualität, die damals der Buddha wurde, war nicht auch vorher schon ein Buddha. Buddha, jener Königssohn, der der Menschheit die Lehre vom Mitleid brachte, wurde damals nicht als Buddha geboren. Denn Buddha ist keine Individualität, Buddha ist eine Würde. Jener Buddha wurde geboren als Bodhisattva und wurde zum Buddha erhoben im neunundzwanzigsten Jahre seines Lebens, als er in Meditation versunken unter dem Bodhibaum saß und die Lehre vom Mitleid herunter- holte aus den geistigen Höhen in die physische Welt. Ein Bodhisattva war er vorher, also auch in seinen vorhergehenden Inkarnationen, und dann wurde er ein Buddha. Nun ist es aber so, daß dadurch gleichsam die Stelle eines Bodhisattva, das ist die Stelle eines Lehrers der Menschheit in physischer Gestalt, für ein gewisses Zeitalter frei wurde und wieder besetzt werden mußte. Als der Bodhisattva, der sich hier inkarnierte> im neunundzwanzigsten Jahre seines Lebens zum Buddha

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aufstieg, wurde die Würde des Bodhisattva sofort an eine andere Individualität übertragen. Wir haben also zu reden von dem Nachfolger des Bodhisattva, der hier zur Buddha-Würde aufgestiegen ist. Der Nachfolger des Gautama-Buddha-Bodhisattvas wurde jene Individualität, welche damals, hundert Jahre vor Christus, als Jesus ben Pandira inkarniert war, als ein Verkünder des Christus im physischen Leibe.

Er ist nun der Bodhisattva der Menschheit, bis er einst nach dreitausend Jahren, von heute an gerechnet, seinerseits zum Buddha auf- rücken wird. Er wird also gerade fünftausend Jahre brauchen, um aus einem Bodhisattva ein Buddha zu werden. Er, der nahezu alle hundert Jahre einmal verkörpert gewesen ist seitdem, er ist auch jetzt schon

verkörpert und wird der eigentliche Verkünder des Christus im ätherischen Gewande sein> gleichwie er damals den Christus als physischen Christus vorausverkündete. Und viele von uns werden es noch selbst erleben, daß es in den dreißiger Jahren Menschen geben wird - und später im Laufe dieses Jahrhunderts immer mehr und mehr -, die den Christus in ätherischem Gewande schauen werden. Um dies vorzubereiten, ist Geisteswissenschaft da, und jeder, der mitarbeitet an dem geisteswissenschaftlichen Werke, hilft mit an diesem Vorbereiten.

Die Art, wie die Menschheit von den Führern, besonders aber von einem Bodhisattva, der der Maitreya-Buddha werden wird, unterrichtet wird, ändert sich in den Zeitperioden gewaltig. So wie man heute Geisteswissenschaft lehrt, konnte in der griechisch-lateinischen Zeit nicht gelehrt werden, das hätte damals niemand verstanden. Damals mußte das Christus-Wesen physisch-sichtbar das Ziel der Entwickelung vorleben, und nur so konnte er damals wirken.

Die Geistesforschung verbreitet diese Lehre immer mehr und mehr unter den Menschen, und immer mehr und mehr werden die Menschen den Christus-Impuls verstehen lernen, bis eingezogen ist in sie der Christus selbst. Heute wird durch das Wort des Kehlkopfes es möglich, in Begriffen und Vorstellungen, durch das Denken, das Ziel verständlich zu machen und einzuwirken auf die Seelen im guten Sinne, um sie zu ästhetischen und moralischen Idealen zu erwärmen und zu begeistern. Die heutige Wortsprache wird aber in folgenden

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Zeitabschnitten abgelöst werden von mächtigeren Impulsen der Anregung, als es heute möglich ist durch die Sprache allein. Dann wird die Sprache, das Wort es bewirken, daß in ihm, dem Wort selbst, Kräfte liegen, welche Gemütsbewegungen übertragen von Seele zu Seele, vom Meister zum Schüler, vom Bodhisattva auf alle, die sich nicht abwenden von ihm. Die Sprache wird dann ein Träger ästhetischer Gemütsbewegungen sein können. Aber dazu gehört der Anbruch einer neuen Zeit. In unserer Zeit wäre es selbst dem Bodhisattva nicht möglich, solche Wirkungen durch den Kehlkopf auszuüben, wie es dann möglich sein wird.

Und im letzten Zeitraum, vor dem großen Krieg aller gegen alle, da wird es dann so sein, daß so, wie heute die Sprache ein Träger ist der Gedanken und Vorstellungen und später sein wird ein Träger des Gemütes, so wird im letzten Zeitraum die Sprache von Seele zu Seele die Moral, die moralischen Willensimpulse tragen und übertragen. Heute kann das Wort noch nicht moralisch wirken. Solche Worte kann unser Kehlkopf, wie er heute ist, noch gar nicht hervorbringen. Eine solche Geistes kraft wird es aber einmal geben. Es werden Worte gesprochen werden, mit denen der Mensch moralische Kraft empfängt.

Dreitausend Jahre von heute an gerechnet wird der oben erwähnte Bodhisattva zum Buddha, und dann wird seine Lehre unmittelbar Impulse ausgießen in die Menschheit. Er wird derjenige sein, den die Alten vorausgesehen haben: der Buddha-Maitreya, ein Bringer des Guten. Derselbe hat die Aufgabe, vorzubereiten die Menschen, daß sie verstehen den eigentlichen Christus-Impuls. Er hat die Aufgabe, immer mehr die Augen der Menschen zu richten auf das, was man lieben kann, immer mehr das, was man als Theorie verbreiten kann, einlaufen zu lassen in ein moralisches Fahrwasser, so daß zuletzt alles, was der Mensch besitzen kann an Gedanken, in das Moralische sich ergießt. Und während es heute noch durchaus möglich ist, daß einer-sehr gescheit ist, aber unmoralisch, gehen wir einem Zeitalter entgegen, in dem es unmöglich sein wird, daß der Mensch gleichzeitig klug und unmoralisch sein kann. Es wird unmöglich sein, daß Klugheit und Unmoralität Hand in Hand gehen.

Es ist dies so zu verstehen: Diejenigen> die sich abseits gehalten und

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der Entwickelung widersetzt haben, werden die Kämpfer sein, die da alle gegen einander kämpfen. Selbst diejenigen, die heute die höchste Intelligenz entwickeln, werden, wenn sie in den folgenden Epochen sich nicht weiter entwickeln in Gemüt und Moral, von ihrer Klugheit keinen Nutzen haben. Die höchste Intelligenz wird ja in unserem Zeitalter entwickelt. Es ist darin auch ein Höhepunkt. Wer aber jetzt Intelligenz entwickelt haben wird und sich die folgenden Enrwickelungsmöglichkeiten entgehen läßt, der wird durch seine Intelligenz sich selber vernichten. Sie wird dann wirken wie ein innerliches Feuer, das ihn verbrennt, verzehrt, klein und so schwach macht, daß er dumm wird und nichts anfangen kann, ein Feuer, das ihn vernichten wird in der Epoche, wo die moralischen Impulse ihren Höhepunkt erreicht haben werden. Während heute ein Mensch mit seiner unmoralischen Klugheit noch sehr gefährlich werden kann, wird er dann unschädlich sein. Dafür wird aber die Seele immer mehr und mehr moralische Kräfte haben, und zwar moralische Kraft, wie sie sich der Mensch heute noch gar nicht vorstellen kann. Die höchste Kraft und Moralität gehört dazu, um den Christus-Impuls aufzunehmen, so daß er Kraft und Leben wird in uns.

Wir sehen also, daß die Geisteswissenschaft die Aufgabe hat, Keime für die zukünftige Entwickelung der Menschheit schon jetzt in diese hineinzulegen. Allerdings muß auch in der Geisteswissenschaft das berücksichtigt werden, was in der ganzen Weltbildung berücksichtigt werden muß: daß Irrtümer vorkommen können. Aber auch derjenige, der noch nicht in die höheren Welten eindringen kann, kann genau prüfen und sehen, ob da und dort das Richtige verkündet wird: da müssen die Einzelheiten zusammenstimmen. Prüfen Sie das, was verkündet wird, alle die einzelnen Daten, die zusammengetragen werden von der Entwickelung des Menschen, die einzelnen Phasen des Erscheinens des Christus und so weiter, und Sie werden sehen, daß sich die Dinge untereinander tragen. Das ist der Beweis der Wahrheit, den auch derjenige Mensch haben kann, der noch nicht in die höheren Welten hineinsieht. Man kann ganz ruhig sein: Für denjenigen, der prüfen will, wird die Lehre von dem im Geist wiederkehrenden Christus die einzig richtige sein.

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JESHU BEN PANDIRA - DER VORBEREITER FÜR EIN VERSTÄNDNIS DES CHRISTUS-IMPULSES. KARMA ALS LEBENSINHALT Leipzig, 5. November 1911 Zweiter Vortrag

Nachdem wir gestern gesprochen haben von der Gliederung des menschlichen Seelenlebens in drei Teile, in die Welt der Vorstellungen oder die Gedankenwelt, in die Welt der Gemütsbewegung und die Welt der Willensimpulse, muß es uns nunmehr interessant sein, die Frage aufzuwerfen: Wie kann die Selbsterziehung, die Pflege unseres Seelenlebens eingreifen, um in entsprechender Weise selbsttätig zu arbeiten an der richtigen Entwickelung und Bildung dieser drei Partien unseres Seelenlebens? Da gehen wir zunächst aus von unserem Willens- leben, von dem Leben unserer Willensimpulse und fragen uns: Welche Eigenschaften müssen wir ganz besonders kultivieren, wenn wir in günstiger Weise auf unser Willensleben einwirken wollen?

Von dem allergünstigsten Einfluß auf unser Willensleben ist ein Leben, das sich in seinem ganzen Sein richtet nach einer Auffassung des Karma, man könnte auch sagen, ein solches Seelenleben, das bestrebt ist, als Haupteigenschaft zu entwickeln: Gelassenheit und Ergebung in unser Schicksal. Und wie könnte man da eigentlich mehr diese Ergebung, diese Seelenruhe sich gegenüber dem Schicksal an- eignen als dadurch, daß man das Karma zu einem wirklichen Lebensinhalt macht?

Was heißt das: Karma zu einem wirklichen Lebensinhalt machen? Das heißt, nicht nur der Theorie nach, sondern lebendig, wenn uns eigenes Leid oder das Leid anderer, wenn uns Freude oder der schwerste Schicksalsschlag trifft, sich wirklich klar zu sein daruöber, daß in gewissem höheren Sinne wir selbst die Veranlassung gegeben haben zu dem schmerzlichen Schicksalsschlag. Das heißt eine solche Gesinnung entwickeln, daß wir eine Freude dankbar hinnehmen, uns aber auch darüber klar sind, daß wir insbesondere der Freude gegenüber nicht ausarten dürfen, denn es ist in gewisser Beziehung gefähr

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licb, der Freude gegenüber auszuarten. Wir können die Freude, wenn wir uns hinaufentwickeln wollen, in folgender Art auffassen. Freude ist zum größten Teil etwas, was auf ein zukünftiges Schicksal hindeutet, nicht auf ein vergangenes. Freude ist in den meisten Fällen im menschlichen Leben etwas, was man nicht verdient hat durch vorhergehende Taten. Wenn wir das Karma untersuchen mit den okkulten Mitteln, dann finden wir durchaus, daß man in den meisten Fällen die Freude, die man erlebt, nicht verdient hat, und daß man die Freude so betrachten soll, daß man sie dankbar hinnimmt als von den Göttern gesandt, als ein Göttergeschenk, und sich sagt, was uns heute an Freude begegnet, das soll uns anfeuern zu arbeiten, daß wir die uns durch die Freude zuströmenden Kräfte in uns aufnehmen und in nutzbringender Weise verwenden. Wir müssen die Freude betrachten als eine Art Abschlagszahiung für die Zukunft.

Dagegen beim Schmerz, da waren unsere Taten meist so, daß wir ihn verdient haben, daß wir die Veranlassung immer in den gegenwärtigen oder früheren Lebensläufen finden. Und dann soll man sich klar darüber sein bis zum höchsten Grade, daß man in seinem äußeren Leben oftmals sich nicht dieser karmischen Gesinnung entsprechend verhalten hat. Man kann sich im äußeren Leben nicht immer so verhalten demgegenüber, was uns Schmerzen verursacht, daß es wie eine Ergebenheit ins Schicksal aussieht. Wir sehen das meistens nicht gleich ein, das Gesetz des Schicksals. Aber wenn wir uns auch nicht äußerlich so verhalten können, so ist es doch die Hauptsache, daß wir es im Innern tun.

Und wenn man sich äußerlich nicht dieser karmischen Gesinnung entsprechend verhalten hat, in tiefster Seele soll man sich doch sagen, daß man im Grunde genommen die Veranlassung zu allen solchen Sachen selbst war. Nehmen wir zum Beispiel an, es schlägt uns jemand, es prügelt uns jemand mit einem Stock. Dann ist es gewöhnlich die Eigenheit des Menschen zu fragen: Wer ist es, der mich schlägt? Kein Mensch sagt da: Ich bin es selbst, der mich prügelt. - In den wenigsten Fällen geben die Menschen sich die Antwort, daß sie sich selbst strafen. Und dennoch ist es so, daß wir selbst den Stock erhoben haben gegen einen andern in verflossenen Tagen. Ja, Sie sind es selbst, der da den

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Stock erhebt. Wenn wir ein Hindernis zu beseitigen haben, das ist Karma. Es ist Karma, wenn der andere etwas gegen Uns hat. Wir selbst sind es, die uns als Ausgleich für irgend etwas, was wir getan haben, etwas zufügen. Und so kommen wir zur richtigen Auffassung unseres Lebens, zur Erweiterung unseres Selbstes, wenn wir uns sagen: Alles, was uns geschieht, kommt von uns selbst. Unsere Tat vollzieht sich da draußen, wenn es auch so aussieht, als ob es ein anderer täte.

Wenn wir eine solche Betrachtungsweise entwickeln, so stärkt uns Gelassenheit, Ergebenheit in unser Schicksal in allen Fällen den Willen. Wir werden stärker dem Leben gegenüber durch Gelassenheit, niemals schwächer. Durch Zorn und Ungeduld werden wir schwach. Jedem Ereignis gegenüber sind wir stark, wenn wir gelassen sind. Dagegen durch Murren und unnatürliches Ankämpfen gegen das Schicksal werden wir immer willensschwächer und willensschwächer.

Da müssen wir allerdings dasjenige, was wir als Schicksal betrachten, in einem weiten Umfang betrachten. Wir müssen dieses unser Schicksal so denken, daß wir zum Beispiel uns sagen, es gehört auch in das Schicksal des Menschen hinein, daß er in einem gewissen Lebensalter gerade diese oder jene Kräfte entwickelt. Und hier werden auch in der Kindererziehung oft Fehler gemacht. Damit stößt Karma auch an die Erziehungsfrage, denn die Erziehung ist Schicksal, Karma des Menschen in der Jugend.

Wir schwächen den Willen eines Menschen, wenn wir ihm etwa zumuten, etwas zu lernen, etwas zu verrichten> was seinen Fähigkeiten noch nicht angemessen ist. Für die Erziehung muß man sich klar gemacht haben, was für das allgemeine Menschheitskarma jedem Lebens- alter entspricht, so daß das Richtige getan werden kann. Ein unrichtiges Tun ist ein Anstürmen gegen das Schicksal, gegen diese Gesetze, und mit gewaltiger Schwächung des Willens verbunden. Es ist hier nicht möglich zu erörtern, wie mit einer Schwächung des Willens alles zu frühe Erwachen der Leidenschaften und sinnlichen Triebe verbunden ist. Im besonderen sind es alle zu früh erweckten Triebe, Begierden und Leidenschaften, die unter diesem Gesetze stehen. Denn solche Einrichtungen, wie die körperlichen Organe es sind, zu früh in Anspruch nehmen, ist gegen das Schicksal. Alles, was

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sich gegen das Menschheitskarma richtet, alle Taten, die gegen bestehende Natureinrichtungen ankämpfen, sind verbunden mit Willensschwächung. Weil man schon seit langer Zeit keine richtigen Erziehungsgrundsätze mehr hat, sind in der heutigen Bevölkerung viele, die nicht in richtiger Weise ihre Jugend zugebracht haben. Wenn sich die Menschheit nicht entschließt, das, was am wichtigsten ist, die Erziehung der Jugend nach den Grundsätzen der Geisteswissenschaft einzurichten, wird ein immer willensschwacheres Geschlecht entstehen, nicht bloß äußerlich genommen. Es greift dies weit hinein in das Leben des Menschen. Fragen Sie eine ganze Anzahl Menschen, wie sie zu ihrem Beruf gekommen sind. Seien Sie überzeugt, daß Sie meist die Antwort bekommen: Ja, das wissen wir nicht, wir sind so hineingeschoben worden. Dieses Sich-hineingeschoben-Fühlen, dieses Sich-getrieben-Fühlen, dieses Nicht-sich-befriedigt-Fühlen ist auch ein Anzeichen von Willensschwäche.

Wenn nun diese Willensschwäche in der Art verursacht wird, wie wir es besprochen haben, so entstehen hieraus noch andere Folgen für die menschliche Seele, namentlich, wenn die Willensschwäche in der Weise hervorgerufen wird, daß man im jugendlichen Alter Angstzustände, Furcht- und Verzweiflungszustände veranlaßt. Es wird immer mehr und mehr notwendig werden, daß die Menschen ein gründliches Verstehen der höheren Gesetze haben, um über Verzweiflungszustände hinauszukommen, denn gerade der Verzweiflungszustand ist es> der in Aussicht steht, wenn nicht gemäß der Geist- Erkenntnis vorgegangen wird.

Durch materialistische und monistische Weltanschauung kann man nur zwei Generationen der Menschen willensstark erhalten. Befriedigen kann der Materialismus gerade zwei Generationen: die eine, die ihn begründete und dann deren Schüler> die ihn in Empfang nehmen. Das ist das Eigentümliche dieser monistischen und materialistischen Weltanschauung, daß derjenige, der im Laboratorium oder in der Werkstatt arbeitet, der die Anschauung selbst begründet, dessen Kräfte voll beansprucht und beschäftigt sind von dem, was er aufbaut in seiner Seele, daß der innere Zufriedenheit hat. Aber wer sich nur diesen Lehren anschließt, wer den Materialismus fertig übernimmt,

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bei dem wird diese innere Zufriedenheit nicht zu erreichen sein, und dann wird die Verzweiflung wieder zurückwirken auf die Willens- kultur und Willensschwäche hervorrufen. Schwächung des Willens, unenergische Menschen werden die Folge dieser Weltanschauung sein.

Die zweite der gestern besprochenen drei Seiten des übersinnlichen Lebens sind die Gemütsbewegungen. Was wirkt auf die Gemütsbewegungen in günstigem Sinne?

Wenn wir uns möglichst bemühen, einen aufmerksamen Sinn uns anzueignen, eine große Aufmerksamkeit für das, was in unserer Umgebung vorgeht - glauben Sie nicht, daß diese Aufmerksamkeit besonders häufig und stark bei den Menschen entwickelt ist -, so kann uns dies sehr viel nützen. Ich kann nur immer wieder eines anführen. In einem Lande war einmal die Prüfungsordnung für die Schullehrer geändert worden, und aus diesem Grunde mußten alle Schullehrer noch einmal das Examen machen. Der Examinator hatte junge und alte Schullehrer zu prüfen. Die jungen konnte er prüfen nach dem, was sie im Seminar gelernt hatten. Wie aber sollte er die alten prüfen?

Er entschloß sich, sie um nichts anderes zu fragen als um das, worin sie selbst Jahr für Jahr unterrichteten in ihrer eigenen Klasse, und es stellte sich heraus, daß viele, viele keine Ahnung hatten von dem, worin sie selbst unterrichteten!

Dieses Aufmerksamsein, dieses mit lebendigem Interesse Verfolgen derjenigen Dinge, die sich in unserer Umgebung zutragen, ist speziell der Entwickelung, der Kultur unserer Gemütsbewegungen am meisten günstig. Nun hängen die Gemütsbewegungen, wie alles in der Seele, in gewisser Weise mit den Willensimpulsen zusammen, und wenn wir in ungünstigem Sinne unser Gemütsleben beeinflussen, so können wir auf diesem Umwege die Willensimpulse beeinflussen. Wir pflegen in gutem Sinne unsere Gemütsbewegungen, wenn wir in bezug auf unsere Affekte und Leidenschaften uns unter das Karmagesetz stellen, uns ans Karma halten. Und das finden wir in unserer Umgebung. Wir finden es zum Beispiel, wenn jemand das Gegenteil tut von dem, was wir erwartet haben. Da können wir uns sagen: Nun ja, er tut eben das! Wir können aber auch zornig und heftig werden, und dies ist ein Zeichen von Willensschwäche. Aufbrausen, Jähzorn ist

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etwas, was die Gemütsbewegungen und auch den Willen zurückbringt und noch viel weiter wirkt, wie wir gleich sehen werden. Nun ist der Zorn etwas, was der Mensch zunächst gar nicht in seiner Hand hat. Nur nach und nach kann er das Zornigwerden sich abgewöhnen. Das kann nur langsam gehen, und der Mensch muß mit sich selber Geduld haben. Wer da glaubt, er könne dies so im Handumdrehen fertig bringen, dem muß ich da die Geschichte von einem Lehrer wiederholen, der es sich besonders angelegen sein ließ, seinen Schulkindern den Zorn auszutreiben. Und als er nach den steten Bemühungen in dieser Beziehung es erlebte, daß ein Junge doch zornig wurde, da wurde er selbst so zornig, daß er dem Kinde das Tintenfaß an den Kopf warf. Wem das passieren kann, der müßte sich viele, viele Wochen dem Nachdenken über Karma hingeben.

Was das zu bedeuten hat, werden wir nur gewahr, wenn wir bei dieser Gelegenheit noch ein wenig tiefer in das menschliche Seelen- leben hineinschauen. Es sind die beiden Pole des Seelenlebens, das Willensleben einerseits und das Gedanken- und Vorstellungsleben auf der anderen Seite. Die Gemütsbewegungen stehen in der Mitte darin. Nun wissen wir, daß das Menschenleben wechselt zwischen Schlafen und Wachen. Und während der Mensch in wachem Zustande ist, da ist insbesondere tätig sein Vorstellungs- und Gedankenleben. Denn daß der Wille nicht eigentlich wachsam ist, davon kann sich jeder überzeugen, der acht gibt, wie eigentlich ein Willensimpuls zustande kommt. Man muß erst einen Gedanken, eine Vorstellung haben, dann erst dringt der Wille aus der Tiefe der Seele herauf. Der Gedanke ruft Willensimpulse auf. Wenn der Mensch wacht, so wacht er nicht im Willen, er wacht im Gedanken.

Aber die okkulte Wissenschaft lehrt uns: Wenn wir schlafen> ist alles umgekehrt. Da wacht der Wille und ist sehr tätig, und der Gedanke ist untätig. Das kann der Mensch zunächst nicht wissen im normalen Zustande, einfach darum, weiI er nur weiß durch seine Gedanken, und diese schlafen. So merkt er nicht, wie sein Wille tätig ist. Wenn er zum Hellsehen aufsteigt und zu einer imaginativen Vorstellungswelt kommt, da merkt er dann schon, daß der Wille in dem Moment auf- wacht, in dem die Gedanken einschlafen. Und in die Bilder, die er

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wahrnimmt, in die schlüpft der Wille hinein und erweckt sie. Die Bilder sind dann gewebt aus dem Willen, so daß also die Gedanken dann schlafen, der Wille aber wacht.

Aber dieses Wachen des Willens ist in ganz anderer Weise mit unserer gesamten menschlichen Wesenheit verbunden als unser Denken. Je nachdem der Mensch arbeitet oder nicht arbeitet, gesund oder krank ist, je nachdem er Gelassenheit entwickelt oder zornig ist, ergibt das gesunden oder kranken Willen. Und je nachdem unser Wille gesund oder ungesund ist, je nachdem arbeitet er während der Nacht an unserem Lebenszustand bis in den physischen Leib hinein. Es ist ein großer Unterschied, ob der Mensch bei Tag Gelassenheit entwickelt, Ergebenheit in sein Schicksal und dadurch seinen Willen zu- bereitet, daß man sagen kann, dieser Wille entwickelt eine angenehme Wärme, ein Gefühl des Wohlseins - oder ob er Zorn entwickelt. Diese Ungesundheit des Willens ergießt sich in den Leib im nachtschlafenden Zustand und ist die Ursache von zahlreichen Krankheitsformen, deren Ursache gesucht und nicht gefunden wird, weil die wirklichen Folgen, die als physische Krankheiten auftreten, erst nach Jahren oder Jahrzehnten auftreten. Nur der, der große Zeiträume überblickt, kann den Zusammenhang zwischen seelischen und leiblichen Zuständen in der angedeuteten Weise sehen. Also auch im Sinne leiblicher Gesundung muß der Wille geschult werden.

Ebenso können wir auch unsere Gemütsbewegungen durch Gelassenheit und Ergebenheit in unser Karma beeinflussen, daß sie in wohltuender Weise bis in unsere Leibesorganisation wirken. Dagegen schaden wir ihr durch nichts mehr als durch Stumpfheit, Interesse- losigkeit gegenüber dem, was um uns herum vorgeht. Diese Stumpfheit ist etwas, was sich immer mehr und mehr ausbreitet> sie ist eine Eigenschaft, die den letzten Grund bildet dafür, daß sich so wenige Menschen für geistige Dinge interessieren. Man kann glauben, d`aß objektive Gründe zur Annahme einer materialistischen Weltanschauung führen. Objektive Gründe sind gar nicht so viel vorhanden für eine materialistische Lebensauffassung. Nein, Stumpfsinn ist es, keiner kann Materialist sein, ohne stumpf zu sein. Unaufmerksamkeit ist es gegenüber unserer Umgebung. Wer mit regem Interesse

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seine Umgebung betrachtet, für den springt überall das hervor, was sich nur mit der Geisteserkenntnis vereinbaren läßt. Stumpfheit aber unterdrückt die Gemütsbewegungen und führt zur Willensschwachheit.

Von besonderer Bedeutung ist ferner die Eigenschaft, die man Eigensinn nennt, ein Sinn, der starr besteht auf diesem oder jenem. Ungesunde Gemütsbewegungen können auch den Eigensinn bewirken. Diese Dinge sind oft so, wie die Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt. Alles das vorher Gesagte kann auch der Eigensinn bewirken. Selbst Menschen, die sehr unaufmerksam durchs Leben gehen, können sehr eigensinnig sein. Menschen, die ganz willens- schwach sind, sieht man manchmal dieses eine gerade durchsetzen, wo man es nicht erwartet hat, und die Willensschwäche wird immer größer, wenn wir nicht den Eigensinn zu bekämpfen suchen. Gerade bei willensschwachen Personen findet man diesen Starrsinn. Wenn wir uns dagegen bemühen, den Eigensinn nicht auszubilden, da werden wir bemerken, daß wir mit jedem Male die Gemütsbewegungen gebessert und den Willen gestärkt haben. Jedesmal, wenn einen der Eigensinn so recht sticht, und wir geben ihm nicht nach, dann werden wir jedesmal stärker dem Leben gegenüberstehen. Wir werden die Früchte bemerken, wenn wir systematisch gegen diesen Fehler vorgehen, wir werden durch Bekämpfen des Eigensinns zufriedene Menschen. Namentlich ist es die Kultur der Gemütsbewegungen, die davon abhängt, daß wir Eigensinn, Stumpfheit, Interesselosigkeit in jeder Weise bekämpfen. Also Interesse und Aufmerksamkeit für die Umgebung fördert Gemüt und Willen. Stumpfsinn und Eigensinn bewirken das Gegenteil.

Für gesunde Gemütsbewegung haben wir das gute Wort «Sinnigkeit ». Sinnigkeit ist, daß einem etwas Sinnvolles einfällt. Kinder sollen so spielen, daß ihre Phantasie bewegt wird> daß die Selbsttätigkeit ihrer Seele geweckt wird, so daß sie nachdenken müssen über ihr Spiel. Sie sollen nicht nach Vorlagen Bausteine ordnen, dadurch wird nur Pedanterie geweckt, aber nicht Sinnigkeit. Sinnig ist es, wenn wir sie im Sande allerlei ausführen lassen, wenn wir sie in den Wald führen und aus Kletten Körbchen formen lassen und dann den Anstoß geben,

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auchandereGegenstände aus aneinandergekettetenKletten zu machen. Dinge, die eine gewisse Erfindungsgabe großziehen, pflegen die Sinnigkeit. So wenig man es glaubt, durch solche Pflege der Sinnigkeit kommt Seelenruhe, Seelenharmonie, Befriedigung in das menschliche Leben.

Ferner tun wir gut, wenn wir mit einem Kinde spazieren gehen, das Kind gewähren zu lassen, zu tun was es will, wenn es nicht gar zu ungezogen wird. Und wenn das Kind irgend etwas tut, dann soll man seine Freude, seine Zustimmung, sein Interesse kundgeben, nicht unwillig werden oder interesselos sein gegenüber demjenigen, was das Kind aus seiner Seele heraus schafft. Auch wenn man das Kind belehrt, soll man anknüpfen an die Formen und Vorgänge in der Natur. Sind die Kinder dann größer, ist es zu vermeiden, sie aus Zeitungen mit den Rätseln oder Rösselsprüngen zu beschäftigen, was nur Pedanterie erzeugt. Dagegen bietet die Betrachtung der Natur das Gegenteil von dem, was uns heute das Zeitungswesen bietet zu einer Pflege der Gemütsbewegung. Von einem in sich beruhigten Gemüt, von einem harmonischen Gemüt hängt nicht nur die seelische, sondern auch die leibliche Gesundheit ab, wenn manchmal auch große Zwischenräume zwischen Ursache und Wirkung liegen.

Nun kommen wir zur dritten Seite des übersinnlichen Lebens, zum Denken. Was dies betrifft, so pflegen wir es, machen es scharfsinnig insbesondere dadurch, daß wir Eigenschaften entwickeln, die scheinbar gar nicht mit dem Denken, den Vorstellungen zusammenhängen. Durch nichts pflegen wir mehr ein gutes Denken als durch Hingabe und Einsicht, nicht so sehr durch logische Übungen, sondern wenn wir dieses und jenes beobachten, Vorgänge in der Natur dazu benutzen, um einzudringen in die verborgenen Geheimnisse. Durch Hingabe an Natur- und Menschheitsfragen, durch den Versuch, komplizierte Menschen zu verstehen, durch eine Steigerung der Aufmerksamkeit machen wir unser Denken scharfsinnig. Hingabe heißt: versuchen zu enträtseln mit dem Denken, mit dem Vorstellen. In dieser

Beziehung können wir sehen, daß in der außerordentlich günstigsten Weise solche Hingabe mit dem Verstande in das spätere Leben hineinwirkt.

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Ein Fall aus dem Leben ist folgender: Ein kleiner Knabe zeigte seiner Mutter merkwürdige Seiten seiner Beobachtung, die mit außerordentlicher Hingabe und Einsichtsfähigkeit zusammenhängt. Er sagte: Weißt du, wenn ich auf der Straße gehe und Menschen und Tiere sehe, da ist es, als ob ich in die Menschen und Tiere hineingehen müßte. Da ist mir eine arme Frau begegnet> und ich bin in sie hinein- gegangen, und das war mir furchtbar schmerzlich, sehr elend war das. - Dabei hat der Knabe zu Hause keinerlei Elend gesehen, sondern lebt in ganz guten Verhältnissen. - Und dann bin ich in ein Pferd hineingegangen, dann in ein Schwein. - Und er schildert das in ausführlicher Weise und wird dadurch in außerordentlicher Weise zum Mitleid, zu besonderen Taten des Mitleids angeregt durch dieses Hineinfühlen. Woher kommt das, das Ausbreiten des Verständnisses für andere Wesen? Wenn man in diesem Falle darüber nachdenkt, dann kommt man in die vorhergehende Inkarnation zurück, wo der betreffende Mensch die oben geschilderte Hingabe an die Dinge, an die Geheimnisse der Dinge, gepflegt hat.

Auf die Wirkungen der Kultur der Hingabe brauchen wir aber nicht zu warten bis zur nächsten Inkarnation. Das drückt sich schon aus in einem einzelnen Leben. Wenn wir in der frühesten Jugend angehalten werden, alles das zu entwickeln, dann werden wir im späteren Leben ein klares, durchsichtiges Denken haben, während wir sonst ein zerrissenes, unlogisches Denken entwickeln. Es ist so, daß wirklich spirituelle Grundsätze uns vorwärtsbringen können im Leben.

Wirklich spirituelle Erziehungsgrundsätze waren in den letzten Jahrzehnten nur wenig, fast gar nicht vorhanden. Und nun erleben wir die Folgen. Unrichtiges Denken ist in unserer Zeit außerordentlich viel vorhanden. Ein Martyrium kann man erleben über das schrecklich unlogische Leben der Welt. Wer sich eine gewisse Hellsichtigkeit angeeignet hat, empfindet das nicht bloß so, daß er sich sagt, das ist richtig, jenes ist unrichtig, sondern er hat einen wirklichen Schmerz, wenn ihm unlogisches Denken entgegentritt, und ein Wohlsein bei klarem, durchsichtigem Denken. Das bedeutet: man hat sich eine Empfindung dafür erworben und danach kann man entscheiden. Und das ist dann ein viel richtigeres Entscheiden, wenn man es einmal bis

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dahin gebracht hat. Ein viel richtigeres Urteil über Wahrheit und Unwahrheit gibt das. Das scheint unglaublich, ist aber so. Wenn einem Hellseher gegenüber etwas unrichtig gesagt wird, da zeigt ihm der aufsteigende Schmerz, daß das unlogisch, unrichtig ist. Unlogisches Denken ist im weitesten Maße verbreitet, in keiner Zeit war das unlogische Denken so verbreitet als gerade in unserer gegenwärtigen Zeit, trotzdem man sich auf logisches Denken so viel zugute tut. Dafür ein Beispiel, das wohl etwas kraß sein mag, aber typisch ist für gedankenloses und interesseloses Erleben.

Ich fuhr einmal von Rostock nach Berlin. In mein Abteil stiegen noch zwei Menschen, ein Herr und eine Dame. Ich saß in einer Ecke und wollte bloß heobachten. Der Herr benahm sich bald in merkwürdiger Weise - er war sonst vielleicht ein ganz gebildeter Mensch -, er legte sich hin, in fünf Minuten sprang er wieder auf, dann wieder ächzte er erbarmungsvoll. Da die Dame ihn offenbar für leidend hielt, wurde sie von Mitleid erfaßt und bald war ein Gespräch zwischen ihnen im Gange. Sie erzählte ihm dann, daß sie wohl bemerkt habe, daß er leidend sei, aber sie wisse, was Kranksein heißt, denn sie war auch krank. Sie habe da einen Korb mit, in dem sei alles drin, was heilsam für sie sei. Sie sagte: Ich kann alles heilen, denn ich habe für alles ein Mittel. Und denken Sie mal, was ich für ein Unglück habe. Da komme ich tief aus Rußland bis hierher an die Ostsee, um mich zu erholen und etwas zu tun für mein Leiden, und als ich ankomme, bemerke ich, daß ich ein für mich wichtiges Mittel zu Hause vergaß. Nun muß ich sofort umkehren, und es ist auch diese Hoffnung vergebens gewesen. - Dann erzählte der Herr seine Leiden, und sie gab ihm für jede seiner Krankheiten ein Heilmittel, und er versprach, alles zu tun und notierte es sich auf. Ich glaube, es waren elf verschiedene Rezepte. Jetzt fing sie an, ihre Krankheiten alle einzeln aufzuzählen; und da fing er an, alles zu wissen, was dieselben heilt, daß ihr gegen dieses Leiden in diesem Sanatorium, gegen jenes in einem anderen geholfen werden könne. Da hat sie ihrerseits sich alle Adressen auf- geschrieben und hatte bloß Angst, daß in Berlin sonntags bei ihrer Ankunft die Apotheken geschlossen sein könnten. Diese beiden Leute sind nicht einen Augenblick auf den merkwürdigen Widerspruch ver

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fallen, daß ein jeder nur für den anderen alles weiß, was ihm vielleicht helfen könne, nur für sich selber wußten sie keine Hilfe. Dieses Erlebnis war für zwei gebildete Menschen eine Möglichkeit, sich zu baden in dem Meer von Unsinn, der da ausströmte.

Solche Dinge muß man ins Auge fassen, wenn man von der Selbsterkenntnis verlangt, daß sie Einsicht hergibt. Man muß von der Selbsterkenntnis verlangen, daß sie Zusammenhang im Denken entwickelt, namentlich aber Hingabe an die Sache. In der Seele wirken alle diese Dinge zusammen. Ein solch abgerissenes Denken, das wirkt so, wenn auch erst nach langer Zeit, daß der Mensch in die Notwendigkeit kommt, über alles moros, griesgrämig, hypochondrisch zu sein, und man weiß oft nicht, wo die Ursachen hierzu zu suchen sind. Die geringe Pflege der Einsicht und der Hingabe macht griesgrämig, moros, hypochondrisch. Was dem Denken so ungemein notwendig ist, hängt scheinbar gar nicht mit dem Denken zusammen. Aller Eigenwille, alle Selbstsucht wirkt zerstörend auf das Denken. Alle Eigenschaften, die mit Eigenwille und Selbstsucht zusammenhängen, wie Ehrgeiz, Eitelkeit, alle diese Dinge, die scheinbar auf etwas anderes gehen, machen unser Denken ungesund und wirken auf unsere Stimmung in ungünstigem Sinne zurück. Deshalb müssen wir auch den Eigenwillen, die Selbstsucht, den Egoismus zu bekämpfen suchen, dagegen den Dingen gegenüber eine gewisse Hingabe, eine gewisse Opferwilligkeit den Wesen gegenüber pflegen. Hingabe, Opferwilligkeit gegenüber den unbedeutendsten Gegenständen undVorfällen wirken günstig auf Denken und Stimmung. In der Tat, Selbstsucht und Egoismus strafen sich dadurch, daß der Selbstsüchtige immer unzufriedener und unzufriedener wird, immer mehr klagt, daß sein Selbst zu kurz gekommen sei. Wo jemand dies in sich spürt, sollte er sich unters Karmagesetz stellen und sich fragen, wenn er unzufrieden ist: Welche Selbstsucht hat mir meine Unzufriedenheit herangezogen?

So kann man geradezu angeben, wie man bilden kann und wie man schädigen kann die drei Partien unseres Seelenlebens, und das ist außerordentlich wichtig. Wir sehen daher, daß Geisteswissenschaft etwas ist, was tief, tief in unser Leben eingreift. Es greift tief in unser Leben ein, weil eine wirkliche Beobachtung spiritueller Prinzipien uns zum

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Selbsterzieher machen kann, und das ist für das Leben von ungeheurer Bedeutung, wird aber auch von einer immer größeren Bedeutung insofern, als die Zeiten für die Menschheitsentwickelung vorbei sind, da die Menschen geleitet wurden von den Göttern herab, von den höheren Welten heraus. Immer mehr und mehr werden die Menschen selbst tun müssen, ohne gelenkt und geleitet zu werden.

Im Hinblick auf das, was die Meister nun gelehrt haben als das Heraufarbeiten zum Christus, der auf dem Astralplan noch in diesem Jahrhundert erscheint, kann ein größeres Verständnis für diesen Menschheitsfortschritt nur so erzielt werden: Der Mensch muß sich immer mehr gegen die Zukunft seine Impulse selber geben. Geradeso wie wir gestern beschrieben haben, daß sich die Menschen allmählich heraufarbeiten zum Christus, so müssen wir allmählich in Freiheit Denk-, Gemüts- und Willensimpulse vervollkomnirien. Und das kann nur durch solche Selbstbeherrschung, Selbstbeobachtung erzielt werden. Geradeso wie früher in alter Hellsichtigkeit die Impulse von den Göttern herabgegeben wurden dem Menschen, so wird er später in neuer Hellsichtigkeit sich selbst die Wege bestimmen müssen. Deswegen tritt Anthroposophie gerade in unserer Zeit auf, damit die Menschheit lernen kann, in richtiger Weise Seeleneigenschaften auszubilden. Dadurch lebt dann der Mensch dem entgegen, was die Zu- kunft bringen soll. Nur dadurch kann begriffen werden, was einmal eintreten muß, daß nämlich diejenigen> die klug und unmoralisch sind, herausgestoßen und unschädlich gemacht werden.

Die genannten Eigenschaften sind für jeden Menschen von Wichtigkeit. Sie sind aber so, daß sie gerade für diejenigen wichtig sind, welche in einer besonderen Weise anstreben wollen, rasch und rationell zu den Eigenschaften zu kommen, die immer mehr und mehr notwendig werden für die Menschheit. Deshalb sind es besonders die Führer der Menschen, welche erstreben, diese Entwickelung in ganz besonderem Maße an sich selber zu bewirken, weil man nur durch höchste Eigenschaften Höchstes erreichen kann.

In allerhöchstem Maße wird diese Entwickelung vorbildlich betrieben von jener Individualität, die einst zur Würde eines Bodhisattva aufstieg - als der vorige Bodhisattva Gautama ein Buddha

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wurde -, der seitdem fast alle hundert Jahre einmal verkörpert war, und ungefähr hundert Jahre vor dem Christus als Jeshu ben Pandira, als Vorv<.rkündiger des Christus gelebt hat. Fünftausend Jahre braucht er zum Emporsteigen zur Würde eines Buddha, und dieser Buddha wird dann Maitreya-Buddha sein. Ein Bringer des Guten wird er sein, und zwar aus dem Grunde, weil er - und das können die sehen, die hellsichtig genug sind - es in strengster Selbsterziehung erlangt, jene Kräfte in äußerster Weise auszubilden, die magisch-moralische Kräfte hervorgehen lassen derart, daß er imstande sein wird, durch das Wort selbst Gemütsbewegung und Moral in die Seelen zu übertragen. Wir können heute auf dem physischen Plane noch keine Worte entwickeln, die dazu imstande wären. Auc;h der Maitreya-Buddha könnte das heute nicht, solche magische Worte bilden. Heute kann durch das Wort nur der Gedanke übertragen werden.

Wie bereitet er sich vor? Indem er vor allen Dingen diese Eigenschaften, welche die guten genannt werden, in allerhöchstem Maße entwickelt. Der Bodhisattva entwickelt in höchstem Grade das, was man Ergebenheit, Gelassenheit dem Schicksal gegenüber, Aufmerksamkeit auf alle Vorgänge unserer Umgebung, Hingabe an alle Wesen und Einsicht nennen kann. Und obwohl viele Leben des künftigen Buddha nötig sind, so erschöpft er sich in seinen Verkörperungen hauptsächlich darin, aufzumerken auf das, was geschieht, wenn auch das, was er jetzt tut, kaum viel ist> weil er sich ganz und gar vorbereitet auf seine künftige Mission. Das wird dadurch erreicht, daß gerade für diesen Bodhisattva ein besonderes Gesetz besteht. Dieses Gesetz werden wir verstehen, wenn wir in Betracht ziehen, daß es die Möglichkeit gibt, daß in einem gewissen Lebensalter ein völliger Umschwung unseres Seelen1ebens eintreten kann.

Der größte solcher UmscMäge, der jemals stattfand, war ja bei der Johannestaufe. Da geschah es, daß das Ich des Jesus im dreißigsten Jahre des Lebens das Fleisch verließ, und ein anderes Ich eintrat: das Ich des Christus, des Führers der Sonnenwesen.

Einen ähnlichen Umschlag nachleben wird der zukünftige MaitreyaBuddha. Aber in ganz anderer Weise lebt er in seinen Inkarnationen einen solchen Umschwung nach. Das Leben Christi lebt der Bodhi

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sattva nach, und diejenigen, welche eingeweiht sind, wissen, daß er in jeder Inkarnation ganz besondere Eigentümlichkeiten zeigt. Man wird gerade in der Zeit vom dreißigsten bis dreiunddreißigsten Lebensjahre immer bemerken, daß ein gewaltiger Umschwung in seinem Leben eintritt. Da wird, wenn auch nicht in so gewaltiger Weise wie beim Christus, die Seele ausgetauscht: das Ich, welches bis dahin den Leib belebt hat, geht heraus in dieser Zeit, und der Bodhisattva wird im Grunde genommen ein ganz anderer als er bis dahin war, wenn auch bei ihm nicht, wie beim Christus Jesus, das Ich aufhört und durch ein anderes Ich ersetzt wird. Das ist es, was alle Okkultisten gemeinsam verzeichnen, daß man ihn nicht erkennen kann vor diesem Zeitpunkt, vor dieser Umwandlung. Bis dahin - obwohl mit regstem Interesse an alles hingegeben - wird seine Mission sich nicht besonders hervor- heben, und wenn auch der Umschwung sicher eintritt, kann man doch niemals sagen, was mit ihm dann geschehen wird. Ganz verschieden ist immer die frühere Jugendzeit von dem, in das er sich umwandelt zwischen dem dreißigsten und dreiunddreißigsten Jahre.

So bereitet er sich vor zu einem großen Ereignis. Das wird so sein: Das alte Ich geht heraus, und ein anderes Ich tritt dann ein. Und das kann sein eine solche Individualität wie die des Moses, des Abraham, des Elias. Diese wird sich dann in diesem Leibe einige Zeit betätigen; dadurch kann geschehen, was geschehen muß, um den MaitreyaBuddha vorzubereiten. Den Rest des Lebens verlebt er dann so, daß er mit diesem Ich, das da eintritt, fortIebt.

Wie ein vollständiger Wechsel ist es also, was da eintritt. Doch kann geschehen, was notwendig ist> um den Bodhisattva zu erkennen. Und dann weiß rnan, daß, wenn er in dreitausend Jahren erscheinen wird und erhoben wird zur Würde des Maitreya-Buddha, zwar sein Ich in ihm bleiben wird, aber durchdrungen wird innerlich von einer anderen Individualität noch. Und das wird gerade geschehen in seinem dreiunddreißigsten Jahre> in jenem Jahre, in dem sich mit Christus vollzogen hat das Mysterium von Golgatha. Und dann wird er auftreten als der Lehrer des Guten, als ein großer Lehrer, der vorbereiten wird die richtige Lehre von dem Christus und die richtige Weisheit von dem Christus in einer ganz anderen Weise als dies heute geschehen

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kann. Geisteswissenschaft soll vorbereiten dasjenige, was einmal Platz greifen soll auf unserer Erde.

Es kann ja nun jemand in unserer Zeit sich auf den Standpunkt stellen, die den Gemütsbewegungen schädlichen Eigenschaften, die Stumpfheit und so weiter zu kultivieren. Das aber führt zu einer Lockerung der Gemütsbewegungen, zu einer Lockerung des inneren Seelenlebens, und der Mensch wird dann seine Aufgabe gegenüber dem Leben nicht mehr erfüllen können. Deshalb kann jeder es als eine besondere Gnade betrachten, wenn er sich ein Wissen von den zukünftigen Dingen verschaffen kann. Wer heute Gelegenheit hat, sich der Geist-Erkenntnis hinzugeben, genießt eine Gnade des Karma.

Denn Wissen von diesen Dingen heißt, Sicherheit, Hingebung und Frieden in seiner Seele begründen, sich stille machen in seiner Seele und mit Zuversicht und Hoffnung hinblicken auf das, was in den nächsten Jahrtausenden bevorsteht in der Menschheitsentwickelung. Das sollen alle Menschen, die davon wissen können, als ein besonderes Glück empfinden, als etwas, was die höchsten Kräfte des Menschen aufmft, was wie Feuer anfachen kann alles in seiner Seele, was im Erlöschen, in der Disharmonie ist oder dem Verfall entgegenzugehen scheint. Enthusiasmus, Feuer, Begeisterung wird auch Gesundheit, Glück im äußeren Leben.

Derjenige, der ernsthaft sich bekanntmacht mit diesen Dingen, der die nötige Hingabe an diese Dinge entwickeln kann, der wird schon sehen, was sie ihm an Glück und innerer Harmonie bringen. Und wenn jemand in unserer Gesellschaft das noch nicht an sich bewährt findet, sollte er sich einmal solcher Erkenntnis hingeben, daß er sagt: Wenn ich das noch nicht empfunden habe, so liegt die Schuld an mir. An mir liegt es, mich zu vertiefen in die Geheimnisse, die man heute hören kann. An mir liegt es, mich als Mensch als Glied einer Kette zu fühlen, die sich hinziehen muß von Anfang bis Ende der Entwickelung, in welche eingebettet sind als Glieder alle Menschen, Individualitäten, Bodhisattvas, Buddhas, Christus. Ich muß mir sagen: darin ein Glied zu sein, das empfinde ich als ein Bewußtsein von meiner wahren Menschenwürde. Das muß ich ahnen, das muß ich empfinden.

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DER CHRISTUS-IMPULS ALS REALES LEBEN München, 18. November 1911 Erster Vortrag

Anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft beruht ja, wie wir oft betont haben, auf okkulter Wissenschaft, die uns in ihren Forschungsresultaten mit den Kräften der verschiedenen Zeitepochen bekanntmacht; sie läßt uns diese Kräfte auch in unseren engeren Kulturepochen erkennen. So muß denn, wo wir nur immer versammelt sind, auch von diesen inneren Kräften unserer eigenen Zeit gesprochen werden, damit die Aufgaben der Geisteswissenschaft so ersichtlich werden, wie sie aus den Untergründen unseres Lebens zu verstehen sind, und wir auf Grund der okkulten Forschung unser Leben in seinen großen Zielen einrichten können.

Um über okkulte Zeitrichtungen zu sprechen, wird es gut sein, wenn wir an dasjenige anknüpfen, was aus den Quellen hoher, okkulter Forschung heraus uns herüberführen kann zu dem, was auch in unserer Zeit in der übersinnlichen Welt vorgeht. Einleitend müssen wir uns außerdem orientieren über das, was wir selbst in der Gegenwart hier vor uns haben, wobei keine Einzelheit, sondern nur allgemein Charakteristisches skizzenhaft gegeben werden kann. Über vieles kann man ja unbefangen nur in anthroposophischen Versammlungen sprechen, denn unsere Zeit ist eine solche der Dogmatik, der Abstraktion. Merkwürdig ist dabei, daß man diesen ihren Grundcharakter im exoterischen Leben mißversteht und allgemein glaubt, dogmenfrei zu denken und zu handeln, obgleich man tief in Dogmen steckt. Man glaubt, auf Realitäten loszugehen, trotzdem man sich tief hinein in die wüstesten Abstraktionen verirrt. Daher ist es nützlich, die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft mit ihren realen Dingen an größere Kreise heranzubringen, um ein Verständnis unserer Epoche zu ermöglichen, aber es wird voraussichtlich noch eine längere Zeit hingehen, bis sich die Außenwelt zu einem tieferen Verständnis wird entwickeln wollen. Wie sehr unsere Zivilisation in Dogmen und Abstraktionen befangen ist, erkennt man erst, wenn man sie nicht von solchen abstrakten

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Gesichtspunkten aus, sondern in wirklich lebensvoller Art betrachtet. Man findet dann eine Denkrichtung, deren Charakter darin besteht, fertige Dogmen aufzustellen und zu verlangen, daß ein aufgeklärter Mensch sich daran halte, dabei aber glaube, sich rein kritisch zu verhalten. Etwas Derartiges zeigt die sogenannte monistische Bewegung, die sich aber mit Unrecht als monistisch bezeichnet. Sie bezieht ihre hauptsächlichsten Bekenntnisse aus der modernen Naturwissenschaft, un,d zwar aus jener, die in engerem Sinne aus rein äußeren sinnenfälligen Methoden ihre Erkenntnisse schöpfen will. Würde diese Naturwissenschaft auf ihrem eigenen Arbeitsfelde bleiben, so könnte sie sehr Bedeutungsvolles leisten; statt dessen führt sie zur Bildung einer neuen Religion. Man nimmt die Tatsachen der materialistischen Naturwissenschaft und braut daraus abstrakte Dogmen. Und jeder, der auf der Höhe zu stehen meint, weil er auf diese Dogmen schwört> glaubt dann, die anderen seien weit hinter ihm zurückgeblieben. Man läßt vöffig außer acht das ganze Leben der menschlichen Individuen und strebt nur darnach, den Kopf anzufüllen mit dem, was die äußere Weltanschauung als Dogmen betrachtet, und das für das Wesentlichste zu halten, was aus dem Abstrakten folgt. Daraus entstehen dann Sekten aus Anhängern von Lehrmeinungen, Leitsätzen, Prinzipien, Dogmen, was sie dann als Hauptsache vertreten.

Im Gegensatz dazu soll stehen, was unter der anthroposophisch orientierten spirituellen Bewegung zu verstehen ist. Bei dieser handelt es sich nicht darum, eine Summe von Glaubenssätzen anzuerkennen, sondern den Wert des menschlichen Individuums in den Vordergrund zu stellen.

Die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft führt zu einem sozialen I`,eben, das auf der menschlichen Gegenseitigkeit beruht, die gegründet ist auf das Vertrauen, welches die eine Persönlichkeit in die andere Setzt. Es sollen und werden sich da die Menschen zusammenfinden, die einander Vertrauen. Und bei gemeinsamen Angelegenheiten soll man sagen: Du bist der rechte Mann, nicht weil du diesen oder jenen Grundsätzen folgst, sondern weil du dieses und jenes vollbringen kannst und durch die eigene Tätigkeit nicht die Kreise der

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andern störst. - Nichts würde schlimmer sein, als wenn die Unarten der modernen Sektenbildung sich im anthroposophischen Leben verbreiten würden. Man soll dem andern nicht nur folgen, wenn man völlig mit ihm übereinstimmt, sondern man soll sich und den andern im andern Falle auch noch Freiheit und Beweglichkeit vorbehalten, und so mit dieser Auffassung der Individuen in der anthroposophischen Bewegung erzieherisch wirken. Dafür hat unsere Zeit ein sehr geringes Verständnis. Sie strebt nach dem, was allgemein festgestellt ist. Dem einen gilt etwas als richtig, wofür der andre als Dummkopf und rückständig angesehen wird. Damit muß aber in der anthroposophischen Bewegung aufgeräumt werden. Wäre eine solche Gesinnung nicht außen in der materialistischen Welt verbreitet, so würde man von selbst dazu drängen, die menschlichen Individuen in unserem Sinne zu begreifen und dann würde sich bald eine wissenschaftliche Spiritualität zeigen, die zu einer geistgemäßen Weltauffassung führen müßte. Aber die Menschen erstarren in Dogmen und können daher nicht hierzu gelangen.

Wer sich in monistischen Versammlungen auf die Leitsätze einläßt, die dort vertreten werden, der könnte bei genauerem Eingehen auf die Sachlage bald einsehen, daß alle dort vorgetragenen Grundsätze und Dogmen keineswegs auf den Anschauungen und Ergebnissen der Wissenschaft von heute fußen, sondern auf denen von vor fünfzehn bis zwanzig Jahren. So sagte zum Beispiel eine in der modernen wissenschaftlichen Richtung angesehene Persönlichkeit an der Naturforscher-Versammlung in Königsberg vor kurzem: Die physikalischen Tatsachen drängen heute auf eine ganz bestimmte Richtung hin. Man hat früher immer von Äther gesprochen, der in unserer Materie und außen verbreitet sein soll, und man hat ihn ohne die sonst bekannten materiellen Wissenschaften vorausgesetzt. Das ist aber allmählich doch auf berechtigte Zweifel gestoßen, und man muß daher jetzt fragen, was denn der Physiker an Stelle dieses Äthers annehmen soll. - Die Antwort lautete: Rein mathematische Gebilde, Hertzsche und Maxwellsche Gleichungen, Begriffs- und Ideenformeln. Es pflanzt sich demnach das Licht im Raume nicht durch Ätherschwingungen fort, sondern es überwindet ohne deren Annahme den nicht materiellen

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Raum als Vakuum im Sinne der angedeuteten Gleichungen, so daß demgemäß die Fortpflanzung des Lichtes an Begriffe und Ideen gebunden erscheint. - Es könnte recht wohl vorkommen, daß man jemanden, der in einer monistischen Versammlung auf solche Hypothesen der neuesten Wissenschaft hinweisen würde, für einen verdrehten Theosophen halten würde, der den Unsinn vorbrächte, Gedanken als Träger des Lichtes anzunehmen. Aber solches hat ein ernst zu nehmender Vertreter der Naturwissenschaft, Max Planck aus Berlin, als seine wissenschaftliche Meinung vorgetragen. Wollten also die Monisten mit der Wissenschaft fortschreiten, so müßten sie auch diese, von führenden Männern vertretene Meinung annehmen. Da dieses aber nicht der Fall ist, so wird eine monistische Religion nur möglich, wenn deren Anhänger glauben, auf wissenschaftlichem Boden zu stehen> aber nicht wissen, daß ihre Annahmen schon längst überholt sind. Nur die Resultate sogenannter intellektueller Forschung und deren Weltanschauung oder daraus abgeleitete vorurteilsvolle Dogmen halten die monistisch denkenden Menschen zusammen. Dagegen hält der anthroposophisch orientierte Theosoph sich an Tatsachen, denen gegenüber niemand unfrei werden kanii, wodurch es nicht zur Sektenbildung kommen und jede Individualität frei bleiben kann.

Die anthroposophisch orientierte spirituelle Bewegung ist eine wichtige Entwickelung auf die Selbsterziehung hin, wie kaum eine gleiche in der Gegenwart aufgetreten ist. Sie muß sich nur selbst richtig verstehen und wissen, daß diese Bewegung auf Untergründen fußt, die nur in ihr selbst, aber niemals außer ihr gefunden werden können.

Das läßt sich aus den Tatsachen des Lebens erkennen. Da sind viele der Meinung> man solle dasjenige, was die anthroposophisch orienti&rte Geisteswissenschaft zu bieten hat, in philosophische Formen ausgießen, in der Art jener der offiziellen Wissenschaft, um dadurch die Geisteswissenschaft selbst den offiziellen Vertretern und Anhängern näherzubringen. Das ist aber nicht einzuhalten, weil es unmöglich ist, irgendwelche Kompromisse zwischen der okkulten Strömung der Geisteswissenschaft und einer anderen Bewegung zu

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schließen, welche, wie zum Beispiel die monistische, aus den charakteristischen Grundanschauungen unserer Zeit hervorgeht, also auf ganz anderem Boden wurzelt. Zwischen beiden auch nur der Form riach Kompromisse zustande zu bringen, ist unmöglich. Es muß vielmehr ein neuer Einschlag in die Zeitbildung versucht werden. Die anderen können ja ihre eigenen Grundtatsachen nicht verstehen, nicht erklären, nicht einen Tag weiter beurteilen, es fehlt ihnen der Mut, die Konsequenzen aus dem zu ziehen, was innerhalb dieser Tatsachen auf- tritt. In aIlen, auch in wissenschaftlichen Sektenbildungen, sehen wir bei näherer Prüfung Halbheiten, welche die Geisteswissenschaft durchschauen muß> denn sie weiß, daß eine halbe oder eine Viertelwahrheit schiirnmer ist als ein voller Irrtum, weil sie die äußere nicht genügend urteilsfähige Welt blendet. Der Anthroposoph aber muß auf den Nerv der spirituellen Bewegung eingehen, um die äußere materialistische, toriangebende Bewegung zu verstehen, weil in ihr auch manchmal Tat- sachen zum Ausleben in spiritueller Wahrheit drängen, dann aber nur unvollkommen entwickelt werden.

Eine ärztliche naturwissenschaftliche Richtung, die ernstlich auf die leibliche Forschung ausgeht, kann an den Gebieten und Begriffen und Resultaten der okkulten Forschung nicht vorbeigehen. Ein lehrreiches Beispiel für die dabei auftretenden Schwierigkeiten bietet die Psychoanalyse von 5tgömund Freud in Wien, die eine große und sich immer noch steigernde Verbreitung gefunden hat. Sie beschäftigte sich anfangs mit dem Seelenleben, indem versucht wurde, bei seelisch und leiblich Kranken nach gewissen seelischen Ursachen im Seelenleben, zum Beispiel im längst vergessenen Jugendalter, zu forschen, weil man recht wohl fühlte, daß auch das Unbewußte, das so geblieben war, seine nachhaltige Wichtigkeit für das spätere Leben habe. Ein geistvoller Mediziner dieser Schule, Dr. Breuer, versuchte, die HeilungSuchenden in einen Zustand von Hypnose zu versetzen, in denen er ihnen dann eine Art Beichte abnahm, um so die Tiefen ihrer Seelen zu erforschen. Sie alle wissen, daß es schon eine große Linderung ist, sich über das auszusprechen> was einen drückt. Durch solche hypnotischen Bekenntnisse trat oft schon Heilung ein oder wurde wesentlich vorbereitet. Auch ohne Hypnose erreichte` Freud nun durch geschickt

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angelegte Fragen häufig die gleichen Ergebnisse. Er fand außerdem, daß solche vielfach unbewußten Vorkommnisse sich im Traumleben verraten, und daraus entstand dann eine Art Traumdeutung der psychoanalytischen Schule. Wenn nun jemand sagen wollte, hier sei eine günstige Gelegenheit vorhanden, einen Kompromiß herzustellen zwischen der Geisteswissenschaft und dem, was sich in diesen Bestrebungen ergeben hat, so kann eine solche Meinung nur wiederum als trügerisch bezeichnet werden, da man trotz ihrer hier vorgefundenen Viertelwahrheit bald inne werden wird, daß die geschilderte Richtung in die wüstesten Irrungen führt und besser tun würde, bei den rein materialistischen Deutungen zu bleiben. Die richtig aufgefaßte Geisteswissenschaft muß derartiges ablehnen. Das hat seine tiefe Bedeutung darin, daß die Anschauungen vom Traumleben der Seele und die daraus abgeleitete Theorie in ein grobes, sinnenfälliges Vorstellen eingetaucht sind und daher die Möglichkeit fehlt, sie auf dieser Unterlage zur spirituellen Wahrheit heranzuschulen. Denn dazu braucht man das, was die Geisteswissenschaft an spirituellen Grundlagen bietet, sonst tappt man in finsteren Hypothesen und Theorien herum und legt diese materialistisch aus. Das hat sich auch bei der Freudschen Schule gezeigt. Sie kam wohl zur Symbolik des Traumes, arbeitete aber dann in diese hinein die Vorstellungen des materialistischen Zeitalters, während die richtige Auffassung von 5chubert, und Volkelt in Leipzig wohl angebahnt, aber nicht fortgesetzt werden konnte. Man faßte den Traum auf als eine Symbolisierung des sexuellen Lebens, weil unsere Zeit unfähig ist> einzusehen, daß dieses Gebiet die unterste Offenbarung von unzähligen Welten ist, die sich in ihrer geistigen Bedeutung weit über die unsrige erheben. Man macht es dadurch zu einer Sache, die einem ganzen Forschungsfelde ein nicht zuständiges Aroma gibt und demnach zu den schwersten Irrtümern verleitet. Die Geisteswissenschaft kann daher von der Freudschen Schule nur sagen: Die Resultate ihrer Forschung muß sie ablehnen, weil sie dilettantisch sind, sie möge sich doch erst gründlich mit der Geistesforschung bekanntmachen, dann werden deren Wahrheiten ganz andere Forschungsergebnisse zeitigen. Man wird dann beginnen einzusehen, daß unsere Zeit eine Zeit der Intellektualität ist, eine Zeit der Dogmen, die zu

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einem wüsten Chaos von Trieben und Leidenschaften treibt und sich nur im Intellektuellen und Abstrakten gefällt.

So sehen wir an dem Beispiel der Freudschen Schule, wie durch den wüstesten Materialismus uns ein Gebiet des Seelenlebens in ein falsches Licht gesetzt und heruntergezogen wird, indem sie alle dort auf- tretenden Erscheinungen auf das Sexualgebiet zurückführen will, ein Vorgehen, von dem man auch sagen könnte, daß es aus einer persönlichen Vorliebe der Forscher selbst entstünde, deren sie sich nur selbst nicht bewußt sind, die sich aber dazu noch professionell dilettantisch gibt.

Wir müssen die Notwendigkeit in uns fühlen, daß die Geistesforschung halbe und Viertelswahrheiten ablehnen muß und nur solche annehmen darf, die sie aus ihren Grundlagen heraus vertreten kann, denn wir sehen, daß die Geisteswissenschaft heute Kraft geben kann, aus sich selbst heraus zu arbeiten. Ich möchte Wert darauf legen, zu betonen, daß meine ersten Bücher nicht aus der Theosophie heraus gewachsen sind, aber die Fernstehenden finden den Umstand seltsam, daß ich trotzdem später Theosoph geworden bin. Das ist aber eine kurzsichtige, engherzige Meinung. Das eine haben doch diese Bücher: daß sie sich, trotz ihrer streng wissenschaftlichen Haltung, nicht einlassen auf dasjenige, was man sonst als offizielle Wissenschaft ansieht, daß sie nicht in die Art verfallen, aus der heraus man glaubt, alles umfassend, universell definieren zu können.

Geisteswissenschaft soll ein reiches Leben aus den Untergründen okkulter Quellen schöpfen, keine Kompromisse eingehen und einen Mut zeigen, der auf den außer ihr liegenden Gebieten fehlt. Wer in diesem Sinne überhaupt keine Kompromisse zulassen will, kommt in den Ruf der Unzulänglichkeit bei denen, die stets verlangen, daß man nachgebe, es aber selbst nicht tun. Demgegenüber steht aber die Geisteswissenschaft in der Welt als eine auf sich selbst fest gegründete spirituelle Bewegung, und ihre Anhänger müssen sich stets einer solchen Tatsache bewußt sein, und darin einen Lebensnerv dieser spirituellen Bewegung erkennen. Es kommt zuweilen vor, daß Menschen mit SpeziaIinteressen zur Geisteswissenschaft kommen, aber es handelt sich im geisteswissenschaftlichen Sinne und bei den geistigen

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Forschungen nicht um Spezialinteressen. Diese möge ein jeder für sich selbst verfolgen und nicht verlangen, daß die Geisteswissenschaft ihm darin folge. Diese muß in unsere gesamten Kulturverhältnisse eindringen und muß den Mut haben, ihre Lebensaufgabe in konsequenter Art durchzuführen in einem Zeitalter, das mit Recht intellektualistisch genannt wird.

Glauben wir nun aber nicht, daß diese Intellektualität auch in gleicher Art in das spirituelle Leben hineinspielen müsse, hier müssen wir ausgehen von Tatsachen, die auf hellseherischem Wege festgestellt

wurden. Wir finden dann drei Grundelemente des Seelenlebens. Erstens das Vorstellungs- und Begriffsleben, die Intellektualität, die sich anfangs nur in der Wahrnehmung äußert. Wenn wir diese Intellektualität für sich betrachten, so zeigt sich, daß sie im weitesten Sinne an die sinnliche Welt gebunden ist, von welcher der Mensch seine Vorstellungen abstrahiert. Diese Vorstellungen selbst sind allerdings übersinnlich. Schon aus dem Zusammenhang des Vorstellungs- und Wahrnehmungslebens geht hervor, daß ersteres [nicht] mit dem physischenPlan zusammenhängt. Wenn wir uns in schwierige Vorstellungen einlassen, viel nachdenken und davon müde werden, so schlafen wir auch gut, vorausgesetzt, daß nur das Vorstellungs-, nicht aber das Gemütsleben an unserer Tätigkeit beteiligt war. Daher begreifen wir, daß gesagt worden ist, das Vorstellungsleben sei ein übersinnlicherVorgang, es hängt also mit dem nächsten Element, mit der astralen Welt zusammen. Von dem Astralplan also fließen die Kräfte her, die in der menschlichen Seele das Vorstellungsleben erwecken und unterhalten.

Das zweite Element bilden die Gemütsbewegungen, die unsere Seele durchziehen als Lust, Unlust, Freude, Schmerz, Sorge, Liebe, Abneigung und so weiter. Eng und intim hängen sie mit unserem Ich

zusammen als Vorstellungs- und Gemütsbewegungen und rauben uns den Schlaf» weil sie uns mit dieser gemüthaften Unruhe nicht hereindringen lassen in den Astralplan. So begreifen wir auch, daß wir dadurch in Zusammenhang stehen mit dem niederen Devachan, welches unsere Gemütsbewegungen nicht aufnimmt, wenn sie nicht rein sind, sie also zurückweist von jenem Teil der astralen Welt aus, der zum niederen Devachan zu rechnen 1st.

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Das dritte Element finden wir im Moralischen, in den Willensimpulsen. Beim Einschlafen genießt derjenige einen seligen Augenblick, der bei seiner Tagesschau auf gute Taten zurückblicken kann. Er genießt einen Zustand, von dem er sagen kann: Wenn es doch möglich wäre, ihn zu verlängern, ihn als belebendes Element zu genießen, das sich ausbreiten möge als befruchtende Kraft über unser Seelenleben! - Wir werden daraus verstehen, daß die okkulte Forschung aussagt: Die Willensimpulse weisen hin auf das höhere Deva

chan, von dem sie nur eingelassen werden, wenn sie von einem reinen Willen ausgehen und hineinpassen in diese geistige Welt. Es steht also das Vorstellungs- und Begriffsleben, unsere Intellektualität, in enger Beziehung zur Astralwelt, unser Gemütsleben zum niederen Devachan und unser Willensleben zum höheren Devachan.

Hinzu tritt noch unser sinnliches Wahrnehmungsleben auf dem physischen Plan. Diese vier Elemente entwickeln sich ungleichmäßig in der menschlichen Inkarnation der verschiedensten Kulturepochen.

Wenn man auf solche okkulten Untergründe eingeht, so sieht man, wie sich im griechisch-lateinischen Zeitalter das Wahrnehmungsleben auslebt, wie der Grieche und Römer ganz eingestellt war auf die von ihm so hoch geschätzte physische Welt. Unser Zeitalter als fünfte Kulturepoche ist das des Denkens, der Intellektualität. Es blühen daher die abstrakten Wissenschaften. Das kommende sechste Zeitalter behält das intellektuelle Leben bei, wie wir im fünften das Wahrnehmungsleben beibehalten haben, und wird hauptsächlich im seelischen I~eben der Gemütsbewegungen sich zeigen. Die Umwelt wird den Menschen besonders von der Seite berühren, die ihm Lust und Leid, Freude und Schmerz, Sympathie und Antipathie verursacht in dem Sinne, wie es heute nur der Okkultist bereits emplinden kann, der imstande ist, die bloße Intellektualität zu überwinden, indem er gewisse Zusammenhänge des Lebens ohne langdauernde logische Begründung mit richtigem Gefühl begreift und durchschaut. Der Okkultist fühlt Unlust beim Unlogischen, Freude und Seelenfrieden beim Logischen. Vertritt er aber etwas, das er ohne weiteres richtig überblickt, so muß er dies heute erst in längerer Darlegung begründen, um sich verständlich zu machen. So fühlt besonders beim Zeitungs

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lesen der Okkultist lebhaften Schmerz, denn gerade in den Tagesblättern findet man häufig die verkörperte Unlogik. Trotzdem muß man sie - möglichst mit Auswahl - lesen, um mit der Umwelt in Beziehung zu bleiben. Man muß es nicht so machen wie jener Professor der chinesischen Sprache, der eines Tages ganz erregt zu seinen Kollegen sagte: Soeben erfahre ich - es war im Jahre 1870-71 -, daß Deutschland seit einem halben Jahre in einen Krieg mit Frankreich verwickelt ist, ich lese ja nur die chinesischen Zeitungen.

Im letzten nachatlantischen, also im siebenten Zeitalter, wird sich der moralische Sinn ausbilden, also der Sinn für die Willensimpulse. Dadurch geschieht ein bemerkenswerter Fortschritt. Die okkulten Forschungen, ja schon die Forschungen von heute zeigen uns, daß jemand sehr klug und intellektuell sein kann> ohne moralisch zu sein. Intellektualität und Moralität gehen heute nebeneinander her. Allmählich aber wird sich die eigenartige Tatsache einstellen, daß die Gescheitheit eines klugen Menschen durch seine Unmoralität getötet wird, so daß in der Tat in ferner Zukunft der Unmoralische gleichzeitig dumm sein oder werden muß. Wir gehen also einem moralischen Zeitalter dadurch entgegen, daß die Moralität in allem unserem Seelen- leben und die spätere Intellektualität eins sein werden.

Der Mensch hat zwar alle die eben genannten vier Elemente in seiner Seele, in vorherrschender Form aber machte sich vor allem andern geltend die sinnliche Wahrnehmung in der griechisch-lateinischen Zeit, die Intellektualität tritt hinzu in verstärktem Grade in der Gegenwart; in der vorletzten, der sechsten Periode, wird die Gemütsbewegung, und in der siebenten, der letzten Kulturepoche, die Moralität vorherrschen, und zwar in einer Art, von der man heute nur erst träumen kann. Ihr Auftreten kann man sich noch nicht vorstellen in der Art wie es 5ok:rates tat, der die Tugend für lehr- und lernbar hielt. Alles das wird aber bis zur siebenten Epoche zur Wirklichkeit werden, denn die im Okkultismus bereits deutlich bemerkbaren Tendenzen sagen es uns prophetisch voraus.

So ist denn der geistige Gesamtcharakter unseres Zeitalters die Intellektualität, aber es ist ein Unterschied darin, wie sie sich äußert in der materialistisch denkenden Umwelt und in der Geisteswissen

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schaft. Der Mensch hängt durch seine Intellektualität mit dem astralen Plan zusammen, aber es ist ihm das nur bewußt - und er kann auch dann nur den rechten Gebrauch davon machen -, wenn er hellsichtig entwickelt sein wird. Das wird im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts bei einer immer mehr zunehmenden Anzahl von Menschen beginnen. Der Fortschritt liegt dann nur darin, daß die Menschen eine erhöhte Intellektualität nicht nur für sich entwickeln, sondern dieselbe auch hinauftragen in die astrale Welt. Durch ein solches intellektuelles Hellsichtigwerden kann und wird den in solchem Sinne vorgeschrittenen Menschen der ätherisch sichtbare Christus immer mehr und deutlicher im Verlaufe der nächsten drei Jahrtausende entgegentreten. In der verflossenen Zeit aber, in welcher der Mensch in vorwiegendem Maße mit dem physischen Plane verbunden war, konnte Christus nicht anders als physisch verkörpert erscheinen. Im gegenwärtigen Zeitalter der Intellektualität kann er nur in Äthergestalt erscheinen. Hierzu will die Geisteswissenschaft die Menschen so vorbereiten, daß sie die zum Schauen später in natürlicher Entwickelung langsam hervortretenden hellsichtigen Kräfte richtig erkennen und anwenden, so daß dann die kommende Hälfte unseres intellektuellen Zeitalters ohne Zweifel hellblickend den Christus in seiner Äthergestalt schauen wird.

Das Zeitalter der Gemütsbewegungen wird dann die Seele in anderer Beziehung weiterbilden, um ihr zu ermöglichen, in bewußter Weise in die niedere devachanische Welt hineinzukommen. Christus wird sich da einer Anzahl von Menschen in der niederen Devachanwelt in einer Lichtgestalt als tönendes Wort offenbaren, einsprechend in die empfänglichen Gemüter der Menschen aus seinem astralen Lichtleibe jenes Wort, das schon im Urbeginn in astraler Gestalt wirkte, wie es Johannes in den Anfangsworten seines Evangeliums darlegt.

Das moralische Zeitalter wird in einer Anzahl von Menschen den Christus so wahrnehmen, wie er sich aus dem höheren Devachan in seinem wahren Ich offenbart, das alles menschliche Ich in unfaßbarer Höhe überragt, und im Glanze alles dessen, was für den Menschen auch dann die höchstmöglichen moralischen Impulse abgeben kann. So hängt also das Hereinwirken der einzelnen Kulturepochen mit der Seele zusammen. Von hohen und immer höheren Welten aus werden

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die Kräfte in den Menschen einfließen und wirksam werden. Wunderbar ist doch schon die Wahrnehmung in der physischen Welt, mehr noch die sich als vorherrschend entwickelnde Intellektualität und der dadurch gebildete Zusammenhang mit der astralen Welt, und im höheren Sinne die Gemütsbewegung und Moralität im Zusammenhang mit der Devachan-Welt.

Bei logischem Durchdenken wird man die so dargelegte Entwickelung auch logisch empfinden, da das Leben ja hierfür immer und überall Bestätigungen liefert. Der Anthroposoph geht solchen Entwickelungen bewußt entgegen, nicht nur in großen Zügen und allgemeinen Wahrheiten, sondern auch in den einzelnen Besonderheiten der Menschenentwickelung. In den Auswüchsen der Umwelt tritt das intellektuelle Element in seinem Streben nach Dogmenbildung stark hervor, aber in der Geist-Erkenntnis soll die Intellektualität sich zur Spiritualität vergeistigen, um die höheren Ergebnisse der okkulten Forschung verstehen zu können. Es läßt sich das dadurch näher bezeichnen, daß uns in der griechisch-lateinischen Zeit dasjenige als Mysterium von Golgatha in physischer Form entgegentritt, was sich

dann weiter entfaltete, um in seiner Einwirkung auf die Menschenseele als Impuls die Menschheit höher hinauf zu führen. Notwendig ist vor allem, daß der Mensch verstehen lerne> was dieser ChristusImpuls für unsere Welt bedeutet. Es muß darauf hingewiesen werden, daß dieser Christus-Impuls reales Leben ist, das auf die Menschheit einströmt, daß Christus der Welt keine Lehre, keine Theorie gebracht hat, sondern den Impuls eines neuen Lebens. Fassen wir das einmal ernstlich ins Auge.

Der Mensch hat sich seit der Saturnzeit durch die Sonnen- und Mondenzeit in seinem physischen, ätherischen und astralen Leib entwickelt. Das Ich konnte erst auf der Erde in die genügend vorbereiteten Körper eintreten und sich dort weiter entfalten unter den fördernden Einflüssen des Christus-Impulses, weil Christus makrokosmisch das ist, was unser Ich mikrokosmisch ist und für uns Menschen bedeutet. Die vier Prinzipien des Makrokosmos stehen in vielfacher Beziehung zu unseren vier unteren Prinzipien, einschließlich des bedeutendsten derselben, des Ich. In unserer Zeitepoche leuchten auch

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schon die höheren menschlichen Prinzipien in unsere Entwickelung hinein. Lebensgeist, Geistselbst und Geistesmensch werden aus den höheren geistigen Welten durch die makrokosmischen Prinzipien in uns entwickelt, aber nicht durch das vierte makrokosmische Prinzip, sondern dadurch, daß Wesenheiten, die selbst für sich keine makrokosmische, sondern nur eine mikrokosmische Bedeutung haben, in der Menschheit förmlich als Lehrer wirken, da sie schon um eines oder mehrere Prinzipien weitergeschritten sind als die Menschen selbst. Dagegen ist Christus eine makrokosmische Wesenheit, die auf der vierten Stufe ihrer makrokosmischen Entwickelung steht, wie der Mensch mikrokosmisch auf der vierten Stufe.

So muß man also makrokosmische und mikrokosmische Prinzipien auseinanderhalten, aber sich darüber klar sein, daß die makrokosmischen ersten vier Prinzipien die mikrokosmischen Prinzipien höherer Art natürlich sämtlich in sich enthalten. Die mikrokosmischen Wesenheiten wirken also als Lehrer und suchen den Menschen vorwärts zu treiben durch ihre Lehre. Christus dagegen, der als makrokosmische Realität wirkt, ist kein Lehrer wie die andern Lehrer, sondern er hat sich mit der Erde als eine Realität, als Kraft, als Leben verbunden.

Die höchsten Lehrer der aufeinanderfolgenden Zeitenräume sind die sogenannten Bodhisattvas, die schon in vorchristlicher Zeit auf Christus als auf eine Realität hinwiesen und diesen selben Christus in der nachchristlichen Zeit als eine ebensolche Realität wiederum bezeichnen, welche sich nun mit der Erde verbunden hat. Vor und nach dem irdisch-physischen Leben des Christus wirken also die Bodhisatrvas. So zum Beispiel jener, der 550 Jahre vor Christo als ein Königssohn in Indien geboren wurde, neunundzwanzig Jahre lang als Bodhisattva lebte und lehrte, und dann zur Buddha-Würde emporstieg. Er wurde dadurch eine solche Individualität> die nicht mehr im Fleisch auf Erden erscheinen sollte, sondern von der geistigen Welt herunterwirkte. Dieser Bodhisattva hatte einen Nachfolger in derselben Minute, da er zum Buddha geworden war, und dieser neue Bodhisattva hat die Menschheit einzuführen in das Verständnis des Wesens des ChristusImpulses. Dies geschah schon vor dem Erscheinen des Christus auf der Erde, denn etwa 105 Jahre vor Christi Geburt lebte in Palästina ein

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Mann, von der rabbinischen Literatur bis heute verleumdet, Jeshu ben Pandira, den wir als diesen Bodhisattva anzusehen haben. Jesus von Nazareth unterscheidet sich wesentlich von ihm dadurch, daß er im dreißigsten Lebensjahr in der Jordantaufe der Träger der ChristusWeseriheit geworden ist.

Jeshu ben Pandira hat besonders die Essäeilehre verbreitet. Als einer seiner Schüler wurde namentlich ein Matthai genannt, der gleich ihm auf das Mysterium von Golgatha hinwies. Jeshu ben Pandira wurde von seinen Gegnern gesteinigt und dann, um ihn recht verächtlich zu machen, tot ans Kreuz gehängt. Es ist eine Persönlichkeit, zu deren Feststellung man nicht einmal auf okkulte Forschung einzugehen braucht, da er genugsam in der rabbinischen Literatur geschildert wird, obgleich in mißve`rstandener oder absichtlich verstellter Art. Er trug in sich die Individualität des neuen Bodhisattva und wurde der Nachfolger des Gautama Buddha. Der Schülername Matthai übertrug sich auf spätere Schüler und das Matthäus-Evangelium war gewissermaßen seit dem ersten Matthäus schon da als` eine Beschreibung der Ritualien der alten Mysterien-Bücher. Ihr wesentlicher Inhalt spielte sich später mit Christus Jesus auf dem physischen Plan ab als eine Wirklichkeit von früheren Bildern der Mysterien, den Keimen der späteren Realitäten. So war das Christus-Mysterium schon prophetisch vorausgenommen und hatte sich bildlich in den alten Mysterien- Zeremonien abgespielt, bis es später auf dem physischen Plan als Realität des Weltgeschehens sich einmalig ereignete.

Der Bodhisattva, der einst als Jeshu ben Pandira lebte, kommt immer wieder im menschlichen Leibe auf unsere Erde herab und wird auch fernerhin immer wiederkommen, um seine übrige Aufgabe, seine besondere Mission zu erfüllen, die heute noch nicht ausführbar ist. Wenn sie in ihrer Vollendung auch schon hellseherisch vorausgesehen werden kann, so kann doch noch kein Kehlkopf die Laute jener Sprache hervorbringen, die gesprochen werden wird, wenn dieser Bodhisattva zum Buddha aufsteigt. Man kann daher im Einverständnis mit dem orientalischen Okkultismus sagen: Fünftausend Jahre nach Gautama Buddha Steigt der nachfolgende Bodhisattva zur BuddhaWürde auf, also gegen Ablauf der nächsten drei Jahrtausende. Da er

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aber die Menschen besonders auf das moralische Zeitalter vorbereiten soll, so muß er dazu später eine Sprache reden, die so zu fassen ist, daß alles, was der zum Buddha Gewordene dann aussprechen wird, von einer magischen Kraft des Guten durchdrungen ist. Daher sagte auch die orientalische Überlieferung seit Jahrtausenden voraus: Dieser kommende Buddha, der Maitreya-Buddha, werde ein Bringer des Guten durch das Wort sein. Er wird dann den Menschen die Lehre geben können von dem, was der Christus-Impuls ist, und in diesem Zeitalter werden die Strömungen des Buddha und des Christus zusammenfließen, und das Christus-Mysterium wird dadurch erst recht verständlich werden.

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DER CHRISTUS-IMPULS ALS REALES LEBEN München, 20. November 1911 Zweiter Vortrag

Der Christus-Impuls, der in die Menschheitsentwickelung eingetreten ist, war von so durchgreifender Kraft, daß seine Wellen in die künftigen Epochen weiter hineinschlagen. In der vierten Kulturepoche hat er sich dadurch dargelebt, daß Christus sich in einem physischen Menschenleibe verkörpert hat. Und jetzt gehen wir einem Zeitalter entgegen, in welchem der Impuls sich so ausleben wird, daß die Menschen auf dem astralen Plan den Christus wahrnehmen werden als Äthergestalt.

Gestern haben wir gehört, daß in noch späteren Zeitaltern er in noch höheren Formen in der ästhetischen und moralischen Sphäre wahrnehmbar sein wird. Wenn wir aber so vom Christus-Impuls sprechen, so haben wir es wirklich zu tun mit Ideen, gegen die sich gerade die christlichen Kirchen am abweisendsten verhalten werden. Um den Christus-Impuls allmählich verständlich zu machen, waren und sind innerhalb der fortschreitenden Menschheitsentwickelung wichtige Veranstaltungen notwendig. Es mangelte ja bisher gerade an dem, daß die Menschen Verständnis dafür gewinnen konnten. Und wer die neueren Theologien ins Auge faßt, der wird sehen, wie hilflos auf der einen Seite die Gegner des Christentums sind, wie hilflos aber auch diejenigen sind, die glauben auf dem Boden des Christentums zu stehen. Die abendländische theosophische Bewegung hätte die moderne Geistesströmung werden müssen, die aus den richtigen und wahrhaftigen Quellen heraus ein Verständnis für das Christentum erweckt. Die heftigsten Widerstände erwuchsen ihr bei diesem Bestreben.

Wir müssen uns eine Vorstellung machen über die Quellen des Christentums selber. Alle diese Quellen können ja hier wegen Zeitmangel nicht erwähnt werden. Es soll heute nur hingewiesen werden auf jene, welche sich der Menschheit seit dem dreizehnten Jahrhundert erschlossen haben.

Seit dem dreizehnten Jahrhundert ist in das Geistesleben der

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Menschheit eingefügt die spirituelle Bewegung, welche anknüpft an den Namen Christian Rosenkreutz. Damit das, was an diesen Namen anknüpft, überhaupt in die Geistesbewegung der neueren Zeit hat hereinkommen können, war im dreizehnten Jahrhundert eine ganz bestimmte spirituelle Veranstaltung notwendig geworden. Damals, als für das Schauen der Menschen die geistige Welt durchaus verschlossen war, hat sich zusammengefunden ein bedeutsames Kollegium von zwölf weisen Männern. Dieses vereinigte, gleichsam in verschiedene Ressorts abgeteilt, alles das, was an spirituellem Einblick in die Weltzusammenhänge überhaupt damals zusammenzutragen war. Sieben von diesen Zwöffen hatten durch gewisse okkulte Vorgänge dasjenige gewissermaßen wie überkommen erhalten, was von den heiligen Rishis als Weisheit des Menschentums von der Atlantis herübergekommen war. Vier von diesen weisen Männern hatten durch die entsprechenden okkulten Vorgänge das in sich vereint, was sich bezog auf die heiligen Geheimnisse der Inder, der Perser, der Ägypter und der griechisch-lateinischen Zeit. Und was der fünfte nachatlantische Zeitraum bis dahin hatte hervorbringen können, das war die Weisheit des ZwöIften. Der ganze Umfang des spirituellen Lebens war diesen Zwölfen erschlossen.

Nun wußte man in der damaligen Zeit, daß wiedergeboren werden mußte als Kind eine Individualität, die mitgemacht hatte die Zeit des Mysteriums von Golgatha. Diese Individualität hatte inzwischen in verschiedenen Inkarnationen die tiefste Inbrunst und Hingabe und Liebe entwickelt. Das Kollegium der zwölf weisen Männer nahm dieses Kind, bald nachdem es geboren war, in Pflege. Abgeschlossen von der exoterischen Außenwelt stand es einzig und allein unter ihrem Einfluß, sie waren seine Erzieher, auch was die leibliche Pflege betrifft. Das Kind entwickelte sich auf eine ganz eigenartige Weise, so daß sich auch das, was es als hohe Geistigkeit aus vielen Inkarnationen in sich trug, in der äußeren Körperlichkeit ausdrückte. Zwar schwach und kränklich, aber wunderbar durchsichtig wurde sein Körper. Es wuchs heran und entfaltete sich zu jener Sonderbarkeit, daß ein leuchtender, glänzender Geist in einem durchsichtigen Körper wohnte. DurchVorgänge einer ungeheuer weisen Erziehung wurde` eingestrahlt in seine

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Seele dasjenige, was aus den vor- und nachatlantischen Zeiten von den zwölf weisen Männern herkommen konnte. Durch die tieferen Seelenkräfte, nicht durch den Intellekt, waren alle Weisheitsschätze in der Seele dieses Kindes vereint. Dann kam ein ganz besonderer Zustand über dieses Kind. Es hörte in einer ganz bestimmten Zeit auf zu essen, es zeigte sich wie eine Lähmung aller äußeren Lebenstätigkeiten, und es strahlte wie zurück auf die Männer die ganze vom Kinde empfangene Weisheit. Jeder bekam das zurück, was er gegeben hatte, aber in umgewandelter Gestalt. Da empfanden die zwölf Männer: Jetzt haben wir erst die zwölf Religionen und Weltanschauungen als eine zusammenhängende Einheit empfangen! Und es lebte von da an in den zwölf Männern dasjenige, was wir nennen das rosenkreuzerische Christentum.

Nur kurze Zeit noch lebte das Kind. In der äußeren Welt nennen wir diese Individualität Christian Rosenkreutz. Genannt wurde sie erst so im vierzehnten Jahrhundert. Im vierzehnten Jahrhundert kam diese Individualität wieder und wurde da über hundert Jahre alt. Auch dann, wenn sie nicht im Fleisch verkörpert war, wirkte sie durch den Ätherleib, und zwar immer in dem Sinne, daß durch ihren Einfluß das wahre Christentum sich weiter entwickeln soll, daß es die Synthesis von allen großen Weltanschauungen und Religionen werden soll. Und bis in unsere Zeit hinein wirkte er, entweder als Mensch oder von seinem Ätherleib aus, erleuchtend in dasjenige hinein, was ins Abendland floß als Begründung der Synthesis der großen Religionen. Heute wird sein Einfluß immer größer. Mancher, dem wir es nicht ansehen, ist ein Auserwähiter dieses Christian Rosenkreutz. Wir können heute schon ein Zeichen anführen, durch welches Christian Rosenkreutz sich überall seine Bekenner auswählt. Dieses Zeichen können viele Menschen in ihrem Lebensgang entdecken. Es kann sich auf tausenderlei Weise äußern, aber diese verschiedenen Arten werden alle auf einen Typus zurückgehen, den wir mit der folgenden Schilderung charakterisieren können.

Es kann zum Beispiel die Auswahl in der folgenden Art geschehen. Nehmen wir an, da sei jemand, der irgend etwas unternimmt. Er strebt nach dem Gelingen dieser Unternehmung hin und steuert darauf los,

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um ans Ziel zu kommen. Und während er so in die Welt hinausstürmt - es kann ein ganz materiell gesinnter Mensch sein -, da hört er plötzlich eine Stimme: Halt ein mit dem, was du willst! - Und er wird gewahr werden: das war keine physische Stimme. Aber nehmen wir an, er sei zurückgetreten, hätte das Vorhaben unterlassen - und nun kann er gewahr werden: wenn er losgestürmt wäre auf sein Ziel, wäre er ganz sicher in den Tod gegangen.

Diese zwei Elemente sind notwendig, daß man klar erkennt: erstens, daß das, was einen gewarnt hat> aus der geistigen Welt kam, und zweitens, daß dann der Tod gekommen wäre, wenn man das Unternehmen wirklich durchgeführt hätte. Es zeigt sich dem künftigen Schüler also: Du bist eigentlich gerettet worden, und zwar durch eine Warnung aus einer Welt heraus, in der du zunächst nicht bist. Du bist in Wahrheit durch die Verhältnisse dieser irdischen Welt, in der du bist, eigentlich schon gestorben, und du hast dein weiteres Leben als eine Gabe, die dir aus der geistigen Welt heraus geschenkt worden ist, anzusehen, das Leben ist dir geschenkt worden. - Und wenn nun der betreffende Mensch auf all das kommt, dann wird er den Entschluß fassen, in einer spirituellen Bewegung zu arbeiten. Wird dieser Entschluß gefaßt, so ist die Erwählung geschehen. So beginnt Christian Rosenkreutz sich seine Bekenner zu sammeln, und viele würden bei genügenderAufmerksamkeit auf ein solches inneresEreignis kommen.

Die Menschen, von denen man sagen kann, daß sie auf eine solche Weise mit Christian Rosenkreutz verbunden waren oder es jetzt werden, das sind diejenigen, in welchen zuerst entstehen sollte eine tiefere Auffassung des esoterischen Christentums. Aus dieser geistigen Strömung, die anknüpft an Christian Rosenkreutz, geht die mächtigste Hilfe hervor für ein Verständlich-Machen des Christus-Impulses in unserer gegenwärtigen Zeit. Angebahnt wurde das schon viel früher: ein Jahrhundert vor dem Mysterium von Golgatha durch Jeshu ben Pandira, dessen Hauptmission es war, auf den Christus vorzubereiten. Er hatte einen Schüler, Matthai, dessen Namen sich später übertrug auf seinen Nachfolger, der zur Zeit des Jesus von Nazareth lebte. Das wichtigste, was dieser Jeshu ben Pandira getan hat, bestand darin, daß er vorbereitet hat das Matthäus-Evangelium. Das, was sich darauf

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bezieht, ist einem Einweihungs-Ritual alter Zeiten entnommen. Die Niederschrift ist so verfaßt, daß der Inhalt herübergenommen wurde aus alten Mysterien, so zum Beispiel was sich bezog auf die Versuchung, und anderes. Alle diese innerhalb der Menschheitsentwickelung vorgehenden Vorgänge sollten sich auch auf dem physischen Plan abspielen. Das wurde dann skizzenhaft aufgeschrieben von seinem Schüler.

Dem Jeshu ben Pandira wurde das Schwere nicht verziehen, das er voraussagte, er wurde gesteinigt und dann ans Kreuz gehängt. Für einige Bekenner blieb - wenn auch tief verborgen - dieses Urkundenbuch erhalten. Was nun später dainit geschehen ist, wird uns am besten klar dadurch, daß wir wissen, was Hiero,~`;`tts, der große Kirchenvater selbst darüber erzählt hat: er habe das Matthäus-Evangelium aus einer christlichen Sekte erhalten. Es hat damals einen kleinen Kreis gegeben, in welchem das Buch geheimgehalten wurde, und durch besondere Verhältnisse kam es an Hieronymus. Dieser erhielt von seinem Bischof den Auftrag, es zu übersetzen. Er erzählt das selbst. Er sagte aber auch zugleich, es sei so geschrieben, daß es nicht an die außenstehenden Menschen kommen solle. Er wolle es trotzdem so übersetzen, daß das darin Verhüllte weiter verhüllt bleibe. Ferner sagt er, daß er es auch nicht verstehe. - Dasjenige,, was in dieser Weise zustande kam, war in solchen Charakteren geschrieben, daß der eine es so, der andere es anders in profaner Sprache ausdrücken konnte. Es ist auch in dieser Art auf die Nachwelt herübergekommen. Es verhält sich also dainit so, daß die Welt eigentlich die Evangelien noch gar nicht hat. So ist es denn wohl berechtigt, wenn heute aus der Geistesforschung heraus die Evangelien neu erklärt werden, wenn auf die Akasha-Chronik zurückgegangen wird, weil dort allein ihre ursprüngliche Gestalt zu finden ist.

Wir müssen uns klar sein, daß das Christentum in seiner wahren Gestalt erst aus dem Schutt herausgeholt werden muß. Wie notwendig das ist, zeigt uns unter anderm auch die Tatsache, daß zum Beispiel 1873 in Frankreich gezählt worden sind diejenigen> von denen man noch sagen konnte, daß sie dem Innern nach noch dem Katholizismus angehörten. Ein Drittel fand sich, zwei Drittel hängen nicht mehr

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damit zusammen. Und das waren gewiß nicht solche, die überhaupt kein Bedürfnis nach Religion gehabt hätten. Wir leben eben so, daß die religiösen Sehnsuchten nach dem Christus hintendieren, aber es müssen die wahren Quellen des Christentums wieder gefunden werden. Und nach diesem Ziel hin sehen wir zusammenfließen die geistige Strömung, die ausgeht von Jeshu ben Pandira, und jene, die im Beginn des dreizehnten Jahrhunderts an Christian Rosenkreutz anknüpft.

Notwendig ist noch zu wissen: Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Verkörperungen des Bodhisattva, daß man ihn in seinen Jugendjahren nicht erkennen kann. Zwischen seinem dreißigsten und dreiunddreißigsten Jahre geschieht eine gewaltige Umwälzung, wodurch diese Persönlichkeit eine ganz andere wird. Es kann zum Beispiel eine Moses- oder Abraham-Individualität in dieser Zeit Besitz ergreifen von einer solchen Bodhisattva-Persönlichkeit.

Ungefähr dreitausend Jahre nach unserer Zeit wird dieser Bodhisattva erhoben zum Maitreya-Buddha. Und er wird dann von der geistigen Welt aus so wirken, daß es wie magische Moralität in die Herzen der Menschen einfließt. So wirken zusammen die Strömung des Maitreya-Buddha mit der abendländischen Strömung, die anknüpft an Christian Rosenkreutz.

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GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG - DREI STUFEN DES MENSCHHEITLICHEN LEBENS Nürnberg, 2. Dezember 1911 Erster Vortrag

Wir werden an dem heutigen und morgigen Abend eine zusammen- hängende Betrachtung versuchen über des Menschen Wesen und seinen Zusammenhang mit den okkulten Grundlagen unserer gegenwärtigen Zeit und der nächsten Zukunft. Aus mancherlei Andeutungen, die von mir schon hier in diesem Zweig gemacht worden sind und die Sie sonst hören konnten, werden Sie entnommen haben, daß wir in einer gewissen Beziehung in unserer Gegenwart vor einer Art neuen Offenbarung, neuen Verkündigung an die Menschheit stehen. Wir können wohl, wenn wir die letzten Zeiten der Menschheitsentwickelung ins Auge fassen, dasjenige, was in unserer Zeit kommen soll, am besten verstehen, wenn wir es zusammenbringen mit zwei anderen wichtigen Offenbarungen, die an die Menschheit gemacht worden sind. Wir berücksichtigen dabei allerdings sozusagen nur das, was sich der Zeit nach als das nächste an Offenbarungen der Menschheit erschlossen hat. Diese drei Offenbarungen, die da in Betracht kommen, unsere kommende und die zwei anderen, die ihr vorangegangen sind, sie lassen sich am besten verstehen, wenn wir sie vergleichen mit der Entwickelung des heranwachsenden Kindes, also des Menschen als solchem.

Wenn wir das Kind so recht beobachten, dann finden wir, daß das Kind in die Welt tritt zunächst so, daß es von seiner Umgebung vollständig gehegt und gepflegt werden muß, daß es nicht in der Lage ist, irgendwie auszudrücken, was in seinem Inneren lebt, daß es auch noch nicht in der Lage ist, auszudrücken für sich selbst in deutlichen Gedanken das, was die Seele bewegt. Das Kind kann noch nicht sprechen, es kann noch nicht denken, es muß also alles, was für das Kind zu geschehen hat, von denen, die es in ihren Kreis aufgenommen haben, verrichtet werden. Dann beginnt das Kind zu sprechen. Wer nun genau beobachtet - und es ist das ja auch erwähnt in meinem kleinen

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Büchelchen über «Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft» -, der wird wissen, daß zuerst das Kind redet, spricht, daß es zuerst das Sprechen lernt durch eine Art von Nachahmung dessen, was in seiner Umgebung gesprochen wird, und daß es eigentlich im Grunde genommen in den ersten Zeiten, wo es spricht, noch nicht das hat, was man ein denkerisches Verständnis der Sprache nennen kann. Nicht als ob die Sprache beim Kinde aus den Gedanken kommen würde, sondern das Umgekehrte ist der Fall. Das Kind lernt erst denken an der Sprache, lernt erst nach und nach das in klaren Gedanken verstehen, was es aus dunklen Gefühlen und Untergründen heraus spricht. So haben wir drei aufeinanderfolgende Perioden in des Kindes Entwickelung: Die erste Periode, da das Kind weder sprechen noch denken kann, da für es alles von außenher geschehen muß, eine zweite Periode, da das Kind sprechen, aber noch nicht denken kann, und eine dritte Epoche, da das Kind lernt, den Gedankengehalt der eigenen Sprache in seinem Bewußtsein zu erfassen. Mit diesen drei Perioden der kindlichen Entwickelung ist zu vergleichen, was die Menschheit durchgemacht hat und durchzumachen hat ungefähr seit der Zeit, die verflossen ist seit anderthalb Jahrtausenden vor der christlichen Zeitrechnung und die christliche Zeitrechnung hindurch.

Die erste Offenbarung an die sich entwickeinde Menschenseele des gegenwärtigen Menschheitszyklus, von der wir hier sprechen können, ist die Offenbarung, die erflossen ist vom Sinai herunter, die ihren Ausdruck gefunden hat in den Zehn Geboten des Moses. Derjenige, der tiefer nachdenkt über die eigentliche Bedeutung dieser Offenbarung an die Menschheit, die in den Zehn Geboten gegeben ist, der wird Wundersames gerade in den Zehn Geboten beobachten können. Nur sind diese Dinge so, daß sie sozusagen bereits zu dem alltäglichen Geistesgut des Menschen gehören, über das er nicht mehr scharf nachdenkt. Wenn er aber anfängt nachzudenken, dann wird er sich sagen müssen: Merkwürdig, in diesen Zehn Geboten ist etwas gegeben, was als Gesetz> seitdem es gegeben worden ist, durch die Welt geht und was im Grunde genommen heute noch gilt, was im Grunde genommen den Gesetzgebungen aller Länder des Erdenkreises, sofern sie nach

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und nach in die neuere Kultur sich einfügen, oder sich einfügten im Laufe der letzten Jahrtausende, zugrunde liegt. Es ist etwas Um- fassendes, Großartiges, Universelles der Menschheit geoffenbart worden, als ihr sozusagen gesagt worden ist: Es gibt in der geistigen Welt ein Urwesen, dem hier auf der Erde entspricht sein Abbild, das Ich, und dieses Urwesen kann sich so in das Ich des Menschen hineinkraften, sich so hineinergießen, daß der Mensch jenen Normen, jenen Gesetzen folgt, die in den Zehn Geboten gegeben sind.

Die zweite Offenbarung geschah durch das Mysterium von Golgatha. Was können wir von diesem Mysterium von Golgatha sagen? Es ist ja sogar gestern im öffentlichen Vortrag angedeutet worden, was wir von diesem Mysterium von Golgatha sagen können. Wie wir die ganze leibliche Menschheit auf ein Stamm-Menschenpaar der Erde zurückführen müssen und wie wir nur verstehen können diese leibliche Menschheit als generationsweise hervorgehend aus diesem Stamm-Menschenpaar der Menschheit> so müssen wir, wenn wir richtig verstehen dasjenige, was unseres Ichs wertvollstes Gut ist, was sich in unser Ich immer mehr und mehr während des Erdendaseins hiriein versenken muß, ableiten von dem Mysterium von Golgatha. Wenn wir - mag nun die althebräische Tradition auch verschieden sein in dieser Beziehüng von der heutigen naturwissenschaftlichen Auffassung, darauf kommt es jetzt nicht an -, wenn wir der Menschen Blutsverwandtschaft, den leiblichen Zusammenhang der Menschheit zurückführen auf das Stammpaar der Menschen, Adam und Eva, die also einmal auf der Erde gestanden haben als physische UrpersönIichkeiten> Ureltern der Menschheit, und wir also sagen müssen, das, was die Menschen als Menschenblut fortrinnen haben in ihren Adern, führt zuletzt zurück zu diesem Stamm-Menschenpaar, so können wir auf der anderen Seite sagen, das, was wir als Wertvollstes in unsere Seele hereinnehrhen können, als heiligstes, teuerstes Gut, was ein immerwährendes Wunder in den Menschenseelen vollzieht, was wir hereinnehmen können als das Bewußtsein, daß etwas in unserer Seele leben kann, das höher ist als unser gewöhnliches Ich, wenn wir also das, was des Menschen teuerstes Seelengut ist, was gleichsam sein Seelenblut werden muß, seinem Ursprung nach unteör

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suchen wollen> dann müssen wir kommen zu demjenigen, was aus dem Grabe auf Golgatha auferstanden ist. Denn was dazumal auferstanden ist, das lebt in denjenigen Menschenseelen, die eine innere Erweckung erfahren, ebenso fort, wie das Blut von Adam und Eva fortlebt in den leiblichen Menschen. Eine Art Stamm- oder Urvatertum haben wir im auferstandenen Christus zu sehen: den geistigen Adam, der in die Seelen der Menschen, wenn diese ihre Erweckung erleben, einzieht und sie erst zu ihrem vollen Ich bringt, zu demjenigen, was das Ich in der richtigen Weise belebt. So wie des Adam Leibesleben in den physischen Leibern der Menschen, so rinnt dasjenige, was aus dem Grabe von Golgatha sich erhoben hat, in den Seelen derer, die den Weg dazu finden. Das ist die zweite Offenbarung, die an die Menschen ergangen ist, daß sie Kunde erlangt haben von dem, was durch das Mysterium von Golgatha geschehen ist.

Wenn mit den Zehn Geboten den Menschen etwas gegeben worden ist, was sie von außen her leitete, so können wir diese Leitung von außen vergleichen mit dem, was an dem Kinde von außen geschieht, bevor es sprechen und denken kann. Was die Umgebung des Kindes in ihm vollbringt, das vollbringt die Führung des althebräischen Gesetzes an der Menschheit, die als solche in gewisser Weise noch nicht sprechen und noch nicht denken kann. Aber die Menschheit hat auch sprechen gelernt, hat, mit anderen Worten, etwas gelernt, was sich nur vergleichen Iäßt mit dem Sprechenlernen des Kindes, das ist: die Menschheit hat empfangen die Kunde von dem Mysterium von

Golgatha in den Evangelien. Und wie die Menschen die Evangelien zunächst zu verstehen hatten, das läßt sich vergleichen mit dem Sprechenlernen des Kindes. Durch die Evangelien ist an die Menschenseelen und Menschenherzen herangetreten eine Art von Verständnis des Mysteriums von Golgatha, das sich einlebte in die Gefühle, einlebte in die Empfindungen> einlebte in diejenigen Seelenkräfte, welche uns zutage treten, wenn wir, sagen wir, die tief bedeutsamen,

anschaulichen Bilder uiid Szenen aus den Evangelien durch die großen Maler auf uns wirken lassen, auch wenn wir die traditionellen Bilder auf uns wirken lassen, in denen dargestellt ist die Anbetung des Kindes durch die Hirten, die Anbetung des Kindes durch die Weisen aus dem

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MorgenIande, die Flucht nach Ägypten und so weiter. Was da in die Welt gekommen ist, was die Me`nschen seit jener Zeit auf ihre Seele haben wirken lassen, das führt zuletzt alles auf die Evangelien zurück, das ist so zum Verständnis der Menschen gekommen, daß die Menschen gleichsam haben sprechen lernen in ihrer Art über das Mysterium von Golgatha.

Jetzt gehen wir dem dritten Zeitraum in dieser Beziehung entgegen, der sich vergleichen läßt damit, daß das Kind in seiner eigenen Sprache den Gedankeninhalt lernt, zum Bewußtsein sich bringen kann, was in seiner Sprache liegt. Wir gehen entgegen jener Offenbarung, die uns bringen soll den vollen Gehalt> den Gedankengehalt, den Geist- und Seelengehalt der Evangelien. Denn die Evangelien sind von der Menschheit nicht besser verstanden worden als die Sprache vom Kinde verstanden wird, ehe es denken lernt. In weIt- historischer Beziehung sollen die Menschen durch die Geisteswissenschaft denken lernen den Gedankengehalt der Evangelien. Den ganzen tiefen Geistesgehalt der Evangelien sollen sie erst jetzt auf sich wirken lassen. Das allerdings hängt zusammen mit einem anderen großen Ereignis, das die Menschheit herannahen fühlen kann und das noch vor Ablauf unseres zwanzigsten Jahrhunderts an die Menschheit herankommen wird. Das ist jenes Ereignis, das wir etwa in der folgenden Weise vor unsere Seele hinstellen können.

Wenn wir noch einmal anknüpfen an das Mysterium von Golgatha, so war es so, daß dazumal das, was vom Christus aus dem Grabe von Golgatha auferstanden ist, nunmehr bei der Erde blieb, so bei der Erde blieb, daß es unmittelbar ergreifen kann jede einzelne Menschenseele und in jeder einzelnen Menschenseele das Ich zu einer höheren Stufe des Daseins erwecken kann. Der Christus wurde Erdengeist, können wir sagen, wenn wir in dieser Art von dem Mysterium von Golgatha sprechen. Und er ist seither Erdengeist geblieben. Aber in unserer Zeit tritt eine bedeutsame Veränderung in der Beziehung des Christus zur Menschheit ein, die ja verknüpft sein wird mit dem, was Sie mehr oder weniger alle schon wissen, mit der neuen Offenbarung des Christus für die Menschen.

Aber man kann diese neue Offenbarung auch noch in anderer Weise

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charakterisieren. Da müssen wir allerdings Rücksicht nehmen auf das, was eintritt, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geht. Was jetzt gesagt werden muß, ist eine Sache, die bisher noch nicht in den Büchern dargestellt werden konnte.

Wenn der Mensch durchgegangen ist durch die Pforte des Todes und durchlebt hat jene Zeit, in welcher er Rückschau halten kann auf das bisherige Erdenleben, durchlebt hat die Zeit bis zu dem Punkt, da er den Ätherleib abgelegt hat, wenn der Mensch übergeht in die Kamaloka-Zeit, dann tritt er vor zwei Gestalten hin. Gewöhnlich wird nur eine von diesen erwähnt, aber wir können der Vollständigkeit halber sagen - und was ich jetzt erzähle, ist für jeden wahren Okkultisten eine reale Tatsache -: Es tritt der Mensch vor seiner Kamaloka-Zeit vor zwei Gestalten hin. Allerdings, was ich jetzt erzähle> gilt nur für die Menschen des Abendlandes und für alle diejenigen Menschen, welche mit der Kultur dieses Abendlandes in den letzten Jahrtausenden einen Zusammenhang gehabt haben. Da tritt der Mensch nach seinem Tode zwei Gestalten gegenüber: Moses ist die eine - der Mensch weiß ganz genau, daß er Moses gegenübertritt -, der ihm vorhält die Gesetzestafeln, im Mittelalter nannte man es «Moses mit dem scharfen Gesetz», und der Mensch hat ganz genau in seiner Seele das Bewußtsein> inwiefern er bis in das Innerste seiner Seele abgewichen ist von dem Gesetz. Die andere Gestalt ist diejenige, die man nennt «den Cherub mit dem feurigen Schwert », der da entscheidet über diese Abweichung. Das ist ein Erlebnis, das der Mensch hat nach dem Tode, so daß wir in unserem geisteswissenschaftlichen Sinne sagen können: Das was da dem Menschen entgegentritt durch diese zwei Gestalten, durch Moses mit dem scharfen Gesetz und durch den Cherub mit dem feurigen Schwert, es stellt gewissermaßen das karmische Konto fest.

Diese Tatsache geht in unserer Zeit einer Änderung entgegen. Und das ist eine bedeutsame Änderung. Man kann diese Änderung dadurch ausdrücken, daß man sagt: Es wird in unserem Zeitalter der Christus der Herr des Karma für alle diejenigen Menschen, die das eben Besprochene nach ihrem Tode durchgemacht haben. Es tritt der Christus sein Richteramt an.

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Stellen wir uns diese Tatsache genauer vor! Wir wissen ja alle aus der geisteswissenschaftlichen Weltanschauung, daß wir ein karmisches Lebenskonto haben, daß wir für gewisse Taten, die auf der einen Seite unseres karmischen Kontobuches stehen, für alle gescheiten Taten, für alle schönen Taten, für alle guten Taten einen gewissen karmischen Ausgleich zu erfahren haben, aber auch für alle bösen, häßlichen, unwahren Taten und Gedanken. Es kommt nun auf der einen Seite darauf an> daß der Mensch im weiteren Verlaufe seines Erdenlebens für sich selber dieses karmische Konto auslebt, aber es kommt auch darauf an, daß der Mensch dasjenige, was er ausleben kann dadurch, daß er gute Taten, schöne Taten auf seinem karmischen Konto hat, oder was er ausleben muß, weil er böse Taten hat, in den verschiedensten Taten ausleben kann. Es ist nicht eindeutig bestimmt, wie wir, sagen wir, den Ausgleich durch diese oder jene Tat in unserem künftigen Leben finden. Nehmen wir an, irgendein Mensch hätte dieses oder jenes Böse getan, so muß er ein Gutes tun, welches aus- gleicht das Böse. Aber dieses Gute, das kann er in zweifacher Weise tun, so daß es vielleicht für ihri die gleiche Anstrengung bedeutet, wenn es nur wenig Menschen zugute kommt oder so, daß es für ihn die gleiche Anstrengung bedeutet, wenn es vielen Menschen zum Heile gereicht. Daß unser karmisches Konto in der Zukunft so ausgeglichen wird, das heißt in eine solche Weltordnung hineingestellt wird gegen die Zukunft, wenn wir den Weg zum Christus gefunden, daß die Art unseres karmischen Ausgleiches das größtmöglichste Menschenheil für den Rest der Erdenentwickelung hervorrufe, das wird die Sorge sein dessen, der von unserer Zeit an der Herr des Karma wird, es wird die Sorge Christi sein.

Mit dieser Übertragung des Richteramtes über die menschlichen Taten an den Christus ist aber verknüpft, daß dieser Christus auch unmittelbar eingreift in die menschlichen Geschicke. Nicht in einem physischen Leib, aber deshalb doch für diejenigen Menschen, die sich immer mehr und mehr die Fähigkeit erwerben werden, daß sie wahrnehmen können diesen Christus, für die wird der Christus eingreifen in die Geschicke der Erdenmenschheit. Da werden zum Beispiel Menschen sein, welche dieses oder jenes getan haben werden, irgendeine

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Tat vollbracht haben werden. Dann werden diese Menschen den Drang verspüren - und immer mehr und mehr wird es solche Menschen geben in den nächsten drei Jahrtausenden von unserem zwanzigsten Jahrhundert an -, etwas zurückzutreten von ihrer Tat. Denn etwas wie ein merkwürdiges Traumbild wird ihnen aufsteigen. In diesem Traumbild werden sie wie traumhaft etwas sehen, was so aussieht, wie wenn es ihre eigene Tat wäre, aber doch werden sie sich nicht erinnern können, jemals getan zu haben, was in diesem Bilde auftritt. Diejenigen aber, die sich nicht vorbereitet haben dafür, daß so etwas kommen wird in der Menschheitsentwickelung, die werden das nur als Ausbund einer wüsten Phantasie oder kranken Seele betrachten können. Jene aber, welche sich durch die neue Offenbarung, welche in die Menschheit kommt in unserer Zeit durch die Geistes- wissenschaft, durch diese dritte Offenbarung des letzten Menschheitszyklus, genügend vorbereitet haben, werden wissen> daß dies heran- wachsende neue Fähigkeiten der Menschen sind, solche Fähigkeiten, welche hineinschauen können in die geistige Welt. Und sie werden wissen, daß das Bild, das vor ihre Seele tritt, eine Vorherverkündigung jener karmischen Tat ist, welche eintreten muß einmal in der Zukunft, sei es in diesem Leben, sei es namentlich in den nächsten Erdenleben, um einen Ausgleich für das zu schaffen, was wir begangen haben. Kurz, die Menschen werden nach und nach die Fähigkeit erringen, den karniischen Ausgleich, die ausgleichende Tat, die in der Zukunft geschehen muß, zu schauen wie im Traumbilde. An dieser Tatsache können wir schon sehen, wie auch in unserer Zeit gesagt werden darf, ähnlich wie der Täufer Johannes am Jordan gesagt hat: Ändert die Seelenverfassung, denn neue Zeiten kommen, in denen neue Fähigkeiten der Menschen erwachen.

Aber was so gesagt ist über eine Art Wahrnehmung des Karma, das tritt noch dadurch in der kommenden Menschheit hervor, daß einem in solchem Schauen direkt entgegentritt da oder dort die ätherische Christus-Gestalt, der wirkliche Christus, wie er auf dem astralischen Plane lebt, wie er zwar nicht im physischen Leibe sich verkörpert, wie er aber auf der Erde auftritt, sichtbar für die neu erwachten Fähigkeiten der Menschen als Ratgeber, als Beschützer der

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Menschen, die Rat oder Hilfe oder Trost brauchen in der Einsamkeit ihres Lebens. Da werden die Zeiten kommen, wo die Menschen, sagen wir, sich durch das oder jenes betrübt und elend fühlen werden. Die Zeiten werden immer mehr und mehr solche werden, wo weniger Bedeutung und Wert haben wird das, was Hilfe des einen Menschen für den anderen ist, weil die Individualitätskraft, das individuelle Leben des Menschen immer mehr und mehr zunimmt, wo immer weniger wird, wie das in alten Zeiten unmittelbar der Fall war, daß der eine Mensch in die Seele des anderen helfend hineinwirken könne. Dafür aber wird der große Ratgeber als Äthergestalt da und dort erscheinen.

Der beste Rat, der uns für die Zukunft gegeben werden kann, ist der, unsere Seele zu stärken und zu kräftigen, damit wir immer mehr und mehr erkennen, je mehr w`fr der Zukunft entgegenwachsen, sei es schon in dieser Inkarnation - was für die Jugend der Gegenwart der Fall ganz gewiß ist -, sei es für die nächste Inkarnation, daß neu erwachte Fähigkeiten der Menschen den großen Ratgeber, der zugleich der Richter des Karma für die kommende Menschheit wird, den Christus in seiner neuen Gestalt erkennen lernen.

Für die Menschen, die, sich schon jetzt vorbereiten auf dieses Christus-Ereignis des zwanzigsten Jahrhunderts, wird es keinen Unterschied machen, ob sie dann, wenn dieses Christus-Ereignis in umfassendem Maße eintritt, in einem physischen Leibe verkörpert sind oder durch die Pforte des Todes gegangen sind. Denn auch diejenigen, die durch die Pforte des Todes gegangen sind, wenn sie sich hier auf das Christus-Ereignis vorbereitet haben, werden nach dem Tode das richtige Verständnis und Verhältnis erhalten können für das und zu dem Christus-Ereignis, nicht aber diejenigen, welche achtlos an der dritten großen Verkündigung für die Menschheit, an der Geisteswissenschaft vorübergegangen sind. Denn die Vorbereitung für das ChristusEreignis muß hier im physischen Leibe gewonnen werden. Diejenigen, welche durch die Pforte des Todes gehen, ohne die Blicke hingewendet zu haben zur Geisteswissenschaft in der gegenwärtigen Inkarnation, werden abwarten müssen die nächste Inkarnation, bis sie in der richtigen Weise Verständnis werden gewinnen können für das Christus-

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Ereignis. In der Tat, wer niemals von diesem Christus-Ereignis gehört hat auf dem physischen Plan, kann auch das Verständnis nicht gewinnen zwischen Tod und neuer Geburt, der muß dann warten, bis er wiederum auf dem physischen Plan dazu vorbereitet wird.

So also steht die Menschenwesenheit, gleichgültig wann sie für die jetzt bestehende Inkarnation stirbt, vor dem großen angedeuteten Ereignis, vor dem Übergang des Christus zu seinem Richteramt, vor der Möglichkeit, daß der Christus im ätherischen Leibe vom astralischen Plane herunter in die Menschheitsentwickelung unmittelbar eingreift, sichtbar wird unter den Menschen, da und dort auftritt.

Das ist das Eigentümliche der Menschheitsentwickelung aber, daß alte, nicht so sehr mit der geistigen Entwickelung zusammenhängende Eigenschaften der Menschen immer mehr und mehr ihre Bedeutung verlieren. Wenn wir die Menschheitsentwickelung seit der atlantischen Katastrophe überblicken, so können wir sagen: Von den großen Unterschieden, die sich in der atlantischen Zeit vorbereitet haben, haben sich hereingelebt in die gegenwärtigen Menschen die Unterschiede, die wir als Rassenunterschiede bezeichnen, und wir können in einem gewissen Sinne noch sprechen von einer altindischen Rasse, von einer urpersischen Rasse, von einer ägyptischen Rasse, von einer griechisch-lateinischen Rasse, selbst noch in unserer Zeit können wir von einer Art fünften Rasse sprechen. Aber jetzt schon hört der Rassenbegriff auf, in bezug auf` die Entwickelung der Menschheit einen rechten Sinn zu haben. Nicht wird es so sein> wie es zum Beispiel in früheren Zeiten war, daB für das, was als sechster Kulturzeitraum auf den unserigen folgt, von irgendeinem räumlichen Zentrum aus die Verbreiturig dieser Kultur im wesentlichen geschieht, sondern, was wichtig ist, das ist, daß Theosophie sich verbreitet unter der Menschheit, daß sie - wie man bei ihrem Ursprunge sagte, als man noch mehr ein dunkles Bewußtsein von dem gehabt hat, was als theosophische Bewegung notwendig ist - eine Lehre sein muß ohne Unterschied von Rasse, Nation und Geschlecht. Aus allen Rassen heraus werden diejenigen, die durch die Geisteswissenschaft gegangen sind, für die sechste Kulturepoche kommen und über die Erde hin eine neue Kulturepoche begründen, welche nicht mehr auf einen Rassenbegriff

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gegründet ist, gegenüber welcher der Rassenbegriff nicht mehr seine Bedeutung hat. Kurz, das, was in der Welt der Maja, der äußeren Räumlichkeit, eine Bedeutung hat, schwindet dahin. Das müssen wir allmählich verstehen lernen, indem wir uns weiter entwickeln mit der geisteswissenschaftlichen Bewegung. Das wurde im Anfange noch nicht verstanden. Deshalb sehen wir, wie das sonst so verdienstvolle Buch « Der buddhistische Katechismus» von Olcott, wenn wir es durchlesen, etwas hervorruft, als wenn sich Rassen immer gleichartig abwickeln wie Räder. Aber diese Begriffe verlieren ihre Bedeutung für die nächste Zeit, und wir müssen uns klar sein, daß diese Anfangsstadien der theosophischen Bewegung überholt sind und daß wir für die sechste Kulturperiode dem Rassenbegriff keinen rechten Sinn mehr beilegen können.

Also alles räumlich Beschränkte wird seine Bedeutung verlieren. Daher kann derjenige, der den ganzen Sinn der Menschheitsentwickelung versteht, auch verstehen, daß die Erscheinung des Christus, wie sie herantritt in den nächsten drei Jahrtausenden, nicht so sein darf, daß der Christus beschränkt ist auf einen räumlich beschränkten Leib, der doch auf ein bestimmtes Territorium beschränkt sein müßte. Wenn auch die Verkehrsmittel noch so sehr sich gehoben hätten und jetzt jemand Hilfe brauchte in Südamerika und der Christus in Europa wäre, so müßte, wenn der Christus beschränkt wäre auf einen physischen Leib> er wenigstens mit einem Ballon nach Südamerika fahren, wenn die nächste Hilfe dort geleistet werden müßte. Wenn nun auch in noch so beliebiger Weise vorgestellt werden können die Schhelligkeiten in der Überwindung des Raumes: Das, was der Christus bei se1riem Wiederkommen auf der Erde als Menschenhilfe zu leisten haben wird, wird sich nimmer darauf beschränken, was eine Wesenheit leisten kann in dem physischen Leib. Nicht einmal darauf wird es sich beschränken, daß der Christus zu gleicher Zeit nur an einem Orte sein kann: Er wird helfen können zu gleicher Zeit an einem Orte und an einem anderen Orte. Weil die geistige Wesenheit nicht an die Raum- ordnungen gebunden ist, so wird der, dem geholfen werden kann durch den Christus in seiner unmittelbaren Erscheinung, an dem einen Ende der Erde ebenso seine Hilfe erhalten können wie der, dem ge

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holfen werden soll an dem anderen Ende. Nicht an Raumesgrenzen und nicht an einen fleischlichen, physischen Leib ist die neue Erscheinung des Christus gebunden. Nur derjenige, der nichts verstehen will von dem Fortschritte der Menschheit zur Geistigkeit, von dem, was umwandelt alle wichtigsten Ereignisse allmählich in Geistigkeit, nur der kann gerade das, was mit der Christus-Wesenheit gemeint ist, eben gebunden erklären an den physischen Leib.

Damit aber haben wir schon charakterisiert, wie die Tatsachen liegen gegenüber der dritten Offenbarung und wie in dieser dritten Offenbarung auftreten muß das, was ja jetzt schon auftritt zur Durchleuchtung, zur Erklärung des Evangeliums. Das Evangelium ist die Sprache, die Geisteswissenschaft in ihrem Verhältnis zum Evangelium ist der Gedankengehalt des Evangeliums. Wie die Sprache zum vollen Bewußtsein des Kindes sich verhält, so verhält sich das Evangelium, wie es verkündet worden ist, zur neuen Offenbarung, die unmittelbar aus der geistigen Welt herauskommt, zu dem, was Geisteswissenschaft der Menschheit werden soll.

Dessen müssen wir uns bewußt sein, daß wir in der Tat eine gewisse Aufgabe haben, eine Aufgabe des Verständnisses, wenn wir zuerst aus dem Unbewußten der Seele heraus und dann immer klarer und klarer unsere Zugehörigkeit zur Anthroposophie verspüren. Wir müssen es gewissermaßen als eine Auszeichnung von Seite des Weltgeistes> als Gnade von seiten der schöpferischen, führenden Weltgeister betrachten, wenn unser Herz uns heute hintreibt zu dieser neuen Verkündigung, die sich als dritte zur Verkündigung vom Sinai und vom Jordan hinzugesellt. Das ist die Aufgabe dieser neuen Verkündigung, den gesamten Menschen uns erkennen zu lassen, uns tief und immer tiefer hinzuweisen darau?, daß das, dessen sich der Mensch zunächst bewußt ist, umhüllt ist von anderen Wesensgliedern der menschlichen Natur, die aber ihre Bedeutung haben für das gesamte Leben des Menschen. Und es ist notwendig, daß unsere Freunde von den verschiedensten Gesichtspunkten aus kennen lernen, was die Glieder der Menschenwesenheit sind.

Heute wollen wir einmal, von dem Innern des Menschen ausgehend, einiges sagen über diese Wesenheit des Menschen. Da wissen unsere

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Freunde zunächst, daß, wenn wir` von dem Ich, dem eigentlich zentralen Wesenskern des Menschen ausgehen, wir als die nächste Hülle finden das, was wir mehr oder weniger abstrakt genannt haben den astralischen Leib. Dann weiter nach außen gehend finden wir den sogenannten Ätherleib, und wiederum weiter nach außen den physischen Leib. Wir können aber, wenn wir auf das reale Leben blicken, noch in einer anderen Weise von diesen Hüllen des Menschen sprechen. Und wir wollen heute unmittelbar aus dem Leben herausgreifen, was allerdings nur aus den Vorstellungen des Okkultismus heraus erkannt werden kann, was aber verstanden werden kann durch eine unbefangene Beobachtung des Lebens.

Heute sagt gar mancher, der hochmütig und hochfahrend geworden ist durch das, was man naturwissenschaftliche Weltanschauung nennt: Die Zeiten des Glaubens der Menschheit sind lange vorbei, das Glauben entspricht der Kindheitsstufe der Menschheit, heute ist die Menschheit aufgerückt zum Wissen, heute muß man alles wissen, darf nicht mehr bloß glauben.

Nun, das mag ja alles leidlich klingen, aber es ist doch kein Verstand dabei im Grunde genommen, denn bei solchen Dingen muß man auch noch manche andere Frage aufwerfen als just die, ob im Laufe der Entwickelung heute etwa das Wissen an die Menschheit herangetreten ist durch die äußere Wissenschaft. Man muß die andere Frage aufwerfen: Bedeutet denn die Tatsache des Glaubens als solche etwas für die Menschheit? Gehört es vielleicht nicht zur Menschen- natur überhaupt, zu glauben? Es könnte ja natürlich durchaus sein, daß durch das oder jenes die Menschen den Glauben ablegen, abwerfen wollen. Aber so, wie es den Menschen gestattet ist, auch manchmal auf eine kurze Zeit hindurch auf ihre äußere Gesundheit loszuwüten, ohne daß sich der Schaden gleich zeigt, so könnte es sehr wohI sein und es ist so: Die Menschen mögen den Glauben zu den abgetanen Gütern ihrer Väter legen, das ist aber gerade so> wie wenn die Menschen eine Weile wüst auf ihre Gesundheit losstürmten und die alten Kräfte verbrauchten. Wenn der Mensch heute den Glauben zu den überlebten Gütern seiner Väter legt, so zehrt er doch in bezug auf seine Lebenskräfte der Seele von den alten Glaubensgütern, die er

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mit den Traditionen und Überlieferungen ererbt hat. Es hängt gar nicht vom Menschen ab, den Glauben abzulegen oder nicht, denn der Glaube stellt in der Menschenseele eine Anzahi von Kräften dar, eine Summe von Kräften, die zu den Lebenskräften der Seele gehören. Es kommt gar nicht darauf an, ob wir glauben wollen oder nicht, sondern darauf, daß wir die Kräfte, die das Wort «Glaube» ausdrückt, als Lebenskräfte der Seele haben müssen, daß die Seele verdorrt, verödet und vereinsamt, wenn sie nichts glauben kann.

Es gab ja übrigens auch Menschen, die ohne Kenntnis der Naturwissenschaft viel gescheiter waren als diejenigen, die die naturwissenschaftliche Weltanschauung heute vertreten. Die haben nicht gesagt, wie man glaubt, daß durchaus gesagt worden sei: Ich glaube, was ich nicht weiß - sondern: Ich glaube das, was ich weiß, eben erst recht. - Das Wissen ist nur die Grundlage des Glaubens. Wir sollen wissen, damit wir uns immer mehr zu den Kräften erheben können, die die Glaubenskräfte der menschlichen Seele sind. Wir müssen in unserer Seele haben, was hinblicken kann auf eine übersinnliche Welt, was IIinlenkung aller unserer Gedanken und Vorstellungen ist auf eine übersinnliche Welt. Wenn wir diese Kräfte nicht haben, die also das Wort «Glaube» ausdrückt, so verödet etwas an uns, wir werden dürr, trocknen ein wie das Laub im Herbst. Eine Weile kann es gehen für die Menschheit, aber dann geht es nicht mehr. Und wenn die Menschheit wirklich den Glauben verlieren würde, dann würde sie schon in den nächsten Jahrzehnten sehen, was das für die Entwickelung bedeuten würde. Dann würden durch die verlorenen Glaubenskräfte die Menschen herumgehen müssen so, daß keiner mehr recht weiß, was er mit sich anufarigen hat, um sich im Leben zurechtzufinden, daß keiner eigentlich bestehen kann in der Welt, weil er Furcht> Sorge und Ängstlichkeit hat vor dem und jenem. Kurz, jenes Leben, das in unserer Seele frisch quellen soll, kann uns nur durch die Glaubenskräfte gegeben werden.

Das ist aus dem Grunde so, weil in den verborgenen Tiefen unseres Wesens, für das äußere Bewußtsein zunächst unwahrnehmbar, etwas ruht, in das eingebettet ist unser eigentliches Ich und das, worin unser Ich ruht, was sich gleich geltend macht, wenn wir es nicht beleben.

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Das ist das, was wir nennen können jene menschliche Hülle, in welcher die Glaubenskräfte lebendig sind, was wir nennen können die Glaubensseele oder meinetwillen den Glaubensleib. Und das ist dasselbe, was wir bisher mehr abstrakt den astralischen Leib genannt haben. Die Glaubenskräfte sind die wichtigsten Kräfte des astralischen Leibes und ebenso wie richtig ist der Ausdruck «Astralleib », ebenso ist richtig der Ausdruck «Glaubensleib».

Ein zweites, was in den verborgenen Tiefen des menschlichen Wesens als Kräfte da sein muß, ist das, was zum Ausdruck gebracht wird mit dem Worte «Liebe». Liebe ist nicht nur etwas, was die Menschen durch entsprechende Bande zusammenhält, sondern etwas, was auch der einzelne Mensch braucht. Der Mensch, der keine Liebe- kraft entwickeln kann, verödet und verdorrt auch in seinem Wesen.

Man stelle sich nur einen Menschen vor, der nun wirklich so voll von Egoismus ist, daß er nicht lieben kann. Es ist im Grunde genommen - wenn es solche Menschen auch nur bis zu einem gewissen Grade gibt, und sie also doch gesehen werden können - recht traurig, solche Gestalten zu sehen, die nicht lieben können, die ihr Leben in irgendeiner Inkarnation zubringen ohne jene lebendige Wärme in sich zu erzeugen, die nur dann erzeugt wird, wenn wir nur irgend etwas, dieses oder jenes in der Welt, lieben können. Gestalten, die das nicht können, in ihrer Dürre und Trockenheit durch die Welt schreiten zu sehen, haben etwas recht Trauriges; denn die Liebekraft ist eine Lebenskraft, die etwas, was noch tiefer in unserem Wesen ruht, entfacht und wach und lebendig erhält, eine noch tiefere Kraft als selbst der Glaube.

Und so wie wir eingebettet sind in einen Glaubensleib, den wir auch von anderen Gesichtspunkten aus den Astralleib nennen, so sind wir eingebettet in einen Liebeleib, den wir von anderen Gesichtspunkten aus in der Geisteswissenschaft benennen gelernt haben den ätherischen oder Lebensleib. Denn die Kräfte, die zunächst aus den Tiefen unseres Wesens heraufwirken zu uns aus unserem Ätherleib, sind die Kräfte, die sich dadurch ausdrücken, daß der Mensch lieben kann, lieben auf allen Stufen seines Daseins. Wenn der Mensch ganz und gar die Liebekraft aus seinem Wesen entfernen könnte - das kann selbst nämlich der egoistischste Mensch nicht, denn es gehört, Gott sei

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Dank, zu dem, was der Mensch egoistisch erstreben kann, auch das, daß er etwas lieben kann; sagen wir, um ein naheliegendes Beispiel zu gebrauchen, wenn derjenige, der nichts anderes mehr lieben kann, oftmals noch anfängt, wenn er recht geizig wird, das Geld zu lieben und sich so eine wohltätige Liebekraft doch wenigstens noch ersetzt durch eine aus dem gründlichen Egoismus heraus kommende Liebekraft - so würde diese Hülle, welche von den Liebekräften unterhalten wird, wenn gar nichts von Liebe in dem Menschen wäre, ganz zusammenschrumpfen und der Mensch würde tatsächlich an Liebeleerheit sterben müssen. Wirklich physisch sterben würde der Mensch an Liebeleerheit. Das Zusammenschrumpfen der Liebekräfte ist dasselbe, was,wir nennen kÖnnen das Zusammenschrumpfen der Kräfte des Ätherleibes, denn der Atherleib ist zugleich der Liebeleib.

So haben wir im Mittelpunkte des menschlichen Wesens des Menschen zentralen Wesenskern, das Ich. Umgeben haben wir dieses Ich von seiner nächsten Hülle, dem Glaubensleib, und den Glaubensleib wiederum umgeben von dem Liebeleib.

Wenn wir weitergehen, so kommen wir noch zu einer Klasse von Kräften, die wir im Leben brauchen. Wenn wir diese Kräfte nicht haben können, gar nicht haben können, dann, ja dann drückt sich das in unserer äußeren Menschlichkeit in sehr bedeutsamer Weise aus. Das was wir im Leben brauchen als im eminentesten Sinne belebende Kräfte, das sind die Kräfte der Hoffnung, der Zuversicht für das Zukünftige. Der Mensch kann ohne die Hoffnung überhaupt nicht einen Schritt im Dasein machen, insoweit es der physischen Welt angehört. Der Mensch hat allerdings manchmal sonderbare Ausreden, wenn er zum Beispiel nicht einsehen will, daß es in gewisser Beziehung für den Menschen notwendig ist zu wissen, was sich zuträgt zwischen Tod und Geburt. Er sagt: Was brauchen wir denn das zu wissen, wir wissen ja nicht einmal, was mit uns am nächsten Morgen los ist, was sollen wir uns erst Kenntnisse aneignen über das, was zwischen Tod und Geburt sich zuträgt?

Kennen wir wirklich nicht den nächsten Tag? Wir kennen etwas nicht in bezug auf den nächsten Tag, was für die Einzelheiten unseres übersinnIichen Lebens bedeutsam ist. Gröber ausgesprochen: wir

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wissen vielleicht nicht, ob wir noch physisch am Leben sind. Aber eines wissen wir: Sofern wir physisch am Leben sind, wird am nächsten Tage geradeso Morgen, Mittag und Abend sein wie heute. Und wenn wir heute als Tischler einen Tisch gemacht haben, so wird er am nächsten Tage da sein, und wenn wir heute Stiefel gemacht haben, so wird sie jemand am nächsten Tag anziehen können, und wenn wir Samen gelegt haben, so wissen wir, daß sie im nächsten Jahre aufgehen werden. Wir wissen just das, was wir zu wissen brauchen von der Zukunft. Wenn das nicht so wäre, daß sich in rhythniischer Weise, in einer vorher zu erhoffenden Weise die Ereignisse der Zukunft zutrügen, so wäre das Leben in der physischen Welt unmöglich. Würde jemand heute einen Tisch machen, wenn er nicht sicher sein könnte, daß er über Nacht nicht zerstört würde, würde er Samen pflanzen, wenn er keine Ahnung hätte, was das nächste Jahr daraus wird? Gerade für das physische Leben brauchen wir die Hoff- nung, denn es hält die Hoffnung alles physische Leben zusammen und aufrecht.

Nichts kann geschehen auf dem äußeren physischen Plan ohne die Hoffnung. Daher hängen auch die Hoffnungskräfte mit der letzten Hülle unseres menschlichen Wesens zusammen, mit unserem physischen Leib. Was die Glaubenskräfte für den Astralleib, die Liebekräfte für den Ätherleib sind, das sind die Hoffnungskräfte für den physischen Leib. Daher ein Mensch, der nicht hoffen könnte, ein Mensch, der verzweifeln müßte an demjenigen, was er voraussetzen muß für die Zukunft, er würde so durch die Welt gehen, daß das an seinem physischen Leibe wohl bemerkbar ist. Nichts so sehr als die Hoffnungslosigkeit drückt sich aus in den groben Furchen, in den ertötenden Kräften unseres physischen Leibes. Wir können sagen: Unser zentraler Wesenskern ist umhüllt von dem Glaubens- oder Astralleib, von dem Liebe- oder Ätherleib und von dem Hoffnungsleib, dem physischen Leib. Und erst dann fassen wir den physischen Leib in seiner richtigen Bedeutung, wenn wir das ins Auge fassen, was er ist: daß er in Wahrheit nicht äußere physische Anziehungsoder Abstoßungskräfte hat - das ist materialistische Anschauung -, sondern das, was wir in unseren Begriffen kennen als Hoffnungs

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kräfte. Das ist in Wahrheit das, was in unserem physischen Leibe ist. Die Hoffnung baut unseren physischen Leib auf, nicht Anziehungsund Abstoßungskräfte. Gerade in dieser Beziehung können wir ein- sehen, daß uns die neue Offenbarung, die geisteswissenschaftliche Offenbarung das Richtige gibt.

Was gibt uns diese Geisteswissenschaft? Sie gibt uns dadurch, daß sie uns bekannt macht mit dem allumfassenden Karmagesetz, mit dem Gesetze der wiederholten ErdenIeben, das, was in geistiger Beziehung uns ebenso mit der Hoffnung durchdringt, wie uns das Bewußtsein, daß morgen die Sonne aufgehen wird, daß die Samen als Pflanzen wachsen werden, für den physischen Plan mit der Hoffnung ausstattet. Sie zeigt uns, daß das, was von uns auch noch im physischen Plan gesehen werden kann als das Untergehende, als das PulverisiertWerdende, wenn wir durch die Pforte des Todes gehen, daß dieser physische Leib von den Kräften, die uns als Hoffnungskräfte durch- dringen, wenn wir Karma verstehen, wieder aufgebaut wird in einem neuen Leben. Mit den stärksten Hoffnungskräften stattet die Geistes- wissenschaft die Menschheit aus.

Wenn diese Geisteswissenschaft als eine neue Offenbarung in der gegenwärtigen Zeit von den Menschen zurückgewiesen würde, so würden die Menschen natürlich auch in künftigen Leben auf der Erde wiedererscheinen. Denn dadurch hört das Leben nicht auf, daß die Menschen von den Gesetzen dieses Lebens nichts wissen. Die Menschen würden verkörpert werden, aber es würde sich etwas sehr Merkwürdiges erfüllen in diesen menschlichen Wiederverkörperungen. Es würde nämlich in diesen Wiederverkörperungen eintreten, daß die Menschen allmählich ein am ganzen Leib runzliges und welkes Geschlecht würden, ein Geschlecht, das zuletzt so lahme Leiber hätte auf dieser Erde, daß die Menschen nichts mehr verrichten könnten. Kurz, ein Absterben und Abdorren würde über die Menschheit kommen in den künftigen Inkarnationen, wenn nicht beleben würde das Bewußtsein - und von da aus die verborgensten Tiefen des menschlichen Wesens bis zum physischen Leib - jene starke Hoffnung, welche uns kommt durch die Sicherheit des Wissens, das wir erlangen aus dem Karmagesetz heraus und aus dem Gesetz von den wiederholten Erdenleben.

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Die Menschheit ist schon in der Tendenz, absterbende, verdorrende Leiber zu erzeugen, Leiber, die in der Zukunft immer rachitischer, selbst in bezug auf das Knochensystem werden würden. Mark in die Knochen, Lebenskraft in die Nerven hinein wird die neue Offenbarung bringen, die sich nicht bloß als Theorie geltend machen wird, sondern als belebende Kräfte, vor allen Dingen als belebende Hoffnungskräfte.

Glaube, Liebe, Hoffnung sind drei Stufen menschlichen Wesens, die zur gesamten Gesundheit und zum gesamten Leben gehören, ohne die der Mensch nicht sein kann. Und ebensowenig, wie ein dunkler Raum ein Arbeitsraum sein kann, wenn er nicht beleuchtet wird, so kann das menschliche Wesen in seiner vierfachen Natur nicht bestehen, wenn seine drei Hüllen nicht durchtränkt, durchglüht und durchkraftet sind von Glaube, Liebe, Hoffnung, von demjenigen, was die Grundkräfte sind unseres Astralleibes, unseres Ätherleibes und unseres physischen Leibes. Nehmen Sie nur den einen Fall in bezug auf die Art und Weise, wie sich in die Welt hineinstellt die neue Offenbarung, die durchdringt mit Gedankengehalt die alte Sprache! Dringen uns nicht herauf aus der Evangelienoffenbarung die drei wunderbaren Worte, die sozusagen wie Weisheitsworte durch die Zeiten klingen: Glaube, Liebe, Hoffnung! Aber man hat sie in ihrem ganzen Zusammenhange für das Menschenleben nicht verstanden, so wenig verstanden, daß nur in manchen Gegenden die richtige Reihenfolge eingehalten wird. Man sagt zwar zuweilen: Glaube, Liebe, Hoffnung, weil das der richtigen Reihenfolge entspricht, aber man hat den Gedankengehalt so wenig verstanden, daß man oft sagt: Glaube, Hoffnung, Liebe - was falsch ist, weil man nicht sagen kann: Astralleib, physischer Leib, Ätherleib, wenn man der Reihe nach aufzählen will. Das ist durcheinander geworfen worden etwa in derselben Weise, wie das Kind, das noch nicht den Gedankengehalt der Sprache hat, manchmal etwas durcheinander wirft in der Sprache.

So geht es mit allem, was sich auf die zweite Offenbarung bezieht, es wird durchdrungen von dem Gedankengehalt. Das haben wir angestrebt zum Beispiel in der Erklärung der Evangelien. Was sind diese Evangelien zunächst gewesen bisher? Etwas was die Menschen

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erbauen konnte, mit großen, gewaltigen Empfindungen durchdringen konnte, was der Menschheit ein Verständnis geben konnte für das Gemüt und Gefühl von dem Mysterium von Golgatha. Aber man nehme nur die ganz einfache Sache, daß man überhaupt erst an- gefangen hat über die Evangelien nachzudenken! Und als man nachzudenken angefangen hat, da hat man gleich Widersprüche gefunden und erst die geistige Wissenschaft wird zeigen, wie diese Widersprüche zu erklären sind. So wird man erst jetzt anfangen das, was der Menschheit als eine Sprache der übersinnlichen Welten in den Evangelien gegeben worden ist> als Gedankengehalt auf die Seele wirken zu lassen. Damit haben wir auf das ganz Wichtige und Wesentliche unserer Zeit hingedeutet, auf die neue Erscheinung des Christus im ätherischen Leibe, die durch den ganzen Charakter unserer Zeit eben nicht an einen physischen Leib gebunden sein darf. Darauf haben wir hin- gedeutet, daß der Christus erscheint auf der Erde in seinem Richteramt, gleichsam gegenüber dem leidenden Christus von Golgatha als der triumphierende Christus, als der Herr des Karma, der schon vorausgeahnt worden ist von denjenigen, die den Christus des jüngsten Gerichts gemalt haben. Malt oder schildert man das in Bildern, so stellt man etwas, das in einem Zeitmoment geschehen wird, hin. In Wahrheit ist das etwas, was in dem zwanzigsten Jahrhundert beginnt und durchgeht bis zu dem Erdenende. Das Gericht beginnt von unserem zwanzigsten Jahrhundert ab, das heißt die Ordnung des Karma. Und dann haben wir gesehen, wie unendlich wichtig es ist für unsere Zeit, daß diese Offenbarung herantritt an die Menschheit, so daß selbst Dinge wie Glaube, Liebe, Hoffnung erst richtig gewürdigt werden können.

Mögen diejenigen, die immer nur an Materielles glauben können, es zunächst wiederum so machen, wie es viele Menschen heute in bezug auf die Ereignisse von Palästina machen. Während Johannes der Täufer gesagt hat: Ändert die Seelenverfassung, die Reiche der Himmel sind nahe herb`eigekommen; nehmt an das menschliche Ich, das sich nicht mehr zu entäußern braucht, um in die geistige Welt zu kommen - damit ist klar und deutlich gesagt, um was es sich handelt, gesagt, daß die Zeit herangekommen ist, mit den Ereignissen von

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Palästina, wo das Übersinnliche hineinleuchten kann in das menschliche Ich, so daß die Himmel heruntergestiegen sind bis zum menschlichen Ich - während früher das Ich ins Unbewußte untertauchen mußte, um zu ihnen zu kommen, sagen diejenigen, die alles materiell ausdeuten: Ja, der Christus hat, mit den Schwächen und Fehlern, mit den Vorurteilen seiner Zeit rechnend, eben verkündigt wie die Leicht- gläubigen seiner Zeit: Das tausendjährige Reich werde sich verwirklichen oder es werde eine große Erdenkatastrophe kommen. Die sei aber gar nicht gekommen.

Es war schon eine Katastrophe, die ist wirklich gekommen, aber nur für den Geist bemerkbar. Diejenigen, die leichtgläubig, die abergläubisch sind, die da glauben, Christus hätte verkündigt ein buchstäbliches Herunterkommen aus den Wolken, das sind die materialistischen Ausleger dessen, was Christus gemeint hat. So mag es heute auch wiederum Leute geben, die das, was im Geiste zu erfassen ist, materiell auslegen, und wenn es sich materiell nicht vollzieht, dann über die Sache ebenso denken, wie man gedacht hat über die Ereignisse von der Verwirklichung des tausendjährigen Reiches. Wie sieht da heute mancher fast mitleidsvoll auf das Christus-Ereignis und sagt:

Nun ja, der Christus war eben in dieser Beziehung auch von dem Glauben seiner Zeit befangen, er dachte an ein baldiges Herankommen des Reiches der Himmel auf die Erde. Das war eine Schwäche von dem Christus, meinen sie, und dann sah man - das sagen selbst große Theologen -, daß die Reiche der Himmel doch nicht auf die Erde heruntergekommen sind.

Es mag sein, daß auch unserer neuen Offenbarung die Menschen so begegnen, daß sie nach einiger Zeit, wenn schon in vollem Gange sein wird die Erhöhung der menschlichen Fähigkeiten, sagen: Nun ja, es ist ja nichts gekommen von all dem, was ihr da verkündigt habt! - Sie werden nicht ahnen, daß alles schon da ist, daß sie nur nichts sehen. Das wird sich wiederholen. Anthroposophie als solche soll eine große Anzahl von Menschen zusammenbringen, bis die Zeit da ist der Erfüllung dessen, was gesagt worden ist von Menschen, die da wissen den rechten Sinn, wie die neue Offenbarung und die neuen übersinnlichen Tatsachen in unserem Jahrhundert eintreten in die Menschheitsentwickelung

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und von da ab, zunächst in der gleichen Art verlaufend, durch die nächsten drei Jahrtausende immer bedeutsamer werden, bis wiederum neue große Offenbarungstatsachen für die Menschheit eintreten werden.

Davon dann morgen weiter.

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GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG - DREI STUFEN DES MENSCHHEITLICHEN LEBENS Nürnberg, 3. Dezember 1911 Zweiter Vortrag

Wir haben uns gestern eine Vorstellung davon zu verschaffen gesucht, wie bedeutsam in das ganze menschliche Leben eingreift, was wir die Übersinnliche Offenbarung unserer Zeit nennen können. Wir haben darauf hingewiesen, daß im letzten Menschheitszyklus diese Offenbarung als die dritte zu bezeichnen ist, daß wir sie geradezu in einer gewissen Weise in eine Linie stellen müssen mit der Offenbarung auf dem Sinai und mit der Offenbarung während der Zeit, in welcher sich das Mysterium von Golgatha abgespielt hat.

Nun müssen wir diese Charakteristik unserer Zeit nicht so nehmen, daß wir sozusagen irgendwelche nur theoretischen oder nur wissenschaftlichen Empfindungen uns dabei aneignen, sondern wir müssen in der Tat immer mehr und mehr als Anthroposophen uns zu der Erkenntnis aufschwingen, daß die Menschheit in ihrer Entwickelung etwas Wesentliches versäumt, wenn sie sich fernhalten wollte von dieser unserer gegenwärtigen und zukünftigen Verkündigung. Zwar ist es ja richtig, daß zunächst alles äußere Leben in einer gewissen Weise vorübergehen würde, auch wenn diese Verkündigung einfach als Hirngespinst hingenommen würde, zwar ist es auch richtig, daß in gewisser Beziehung mancher Mensch die nachteiligen Folgen zu- nächst nicht merken würde, die ihm erstehen durch eine Nichtberücksichtigung dessen, was hier in Betracht kommt> aber Anthroposophen sollten sich klar werden darüber, daß die Seelen, die heute in Menschenleibern leben, ganz gleichgültig, was sie jetzt in sich aufnehmen, einer ganz bestimmten Zukunft entgegengehen. Und das, was ich zunächst werde zu sagen haben, das betrifft alle Seelen, denn das ist etwas, was zu dem Umschwung unserer Zeiten gehört, der sich vollzieht.

Die Seelen, die heute verkörpert sind, haben im Grunde genommen erst vor sehr kurzer Zeit jenes Stadium durchgemacht, durch das der

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Mensch zu einer Art wirklichen Ich-Bewußtseins vorrückt. Dieses Bewußtsein hat sich allerdings im Laufe der Entwickelung vorbereitet schon seit der alten atlantischen Zeit. Aber es war immer wiederum dieses Ich-Bewußtsein für die Menschen der älteren Zeiten, für die Menschen bis zu denjenigen Zeiten, da das Mysterium von Golgatha den großen Umschwung andeutete, tagtäglich abgelöst worden von einer Art von Bewußtsein> die der gegenwärtige Mensch gar nicht mehr recht kennt. Der gegenwärtige Mensch unterscheidet im allgemeinen nur den gewöhnlichen Wachzustand zwischen dem Auf- wachen und Einschlafen, und den Schiafzustand, in dem das Bewußtsein vollständig herabgedämmert ist. Dazwischen kennt der gegenwärtige Mensch allerdings noch jenen Zwischenzustand, den wir als Trauinzustand bezeichnen. Aber es weiß dieser Gegenwartsmensch, daß die Träume uns etwas sind, was wir in der Tat wie eine Art Ausnahmezustand ansehen müssen. Es treten zwar gewisse Vorgänge aus den Tiefen des Seelenlebens durch die Traumbilder in das Bewußtsein herauf, aber sie treten höchst unklar im gewöhnlichen Traumleben herauf, so daß de,r Mensch kaum immer in der Lage sein wird, das, was in seinem Traumleben allerdings hinweist auf tiefe, übersinnliche Vorgänge seines Lebens, seines Seelenlebens, in der richtigen Weise zu deuten.

Nehmen wir, um durch solch eine Tatsache leichter auf eine Charakteristik jenes Zwischenzustandes zu kommen, von dem ich gesprochen habe, den die ältere Menschheit noch kennt, den gewöhnlichen Fall eines Traumes, eines solchen Traumes, der einem neueren Bearbeiter der Traumwissenschaft eigentlich recht viel Kopfzerbrechen gemacht hat, denn er konnte ihn nur in äußerlicher, man möchte sagen, in materialistischer Weise erklären. Ein höchst bezeicbnender Traum! Es ist also ein Traum, den ich der Traumwissenschaft entnehme, die ja, wie ich aufmerksam gemacht habe in der Fragenbeantwortung, heute ebenso wie Physik und Chemie da ist, wenn sie auch von den wenigsten eingesehen und geahnt wird. Da wird folgender Traum verzeichnet. Er kann hier genannt werden, weil er ein charakteristischer Traum ist. Ich könnte leicht auch ähnliche Träume, die nicht aus der Literatur entnommen sind, hier erwähnen,

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möchte aber gerade diesen behandeln, weil er eben in der Literatur der heutigen Zeit, die auf solche Dinge nicht eingehen kann, gewisse Schwierigkeiten gemacht hat. Dieser Fall ist der folgende.

Ein Elternpaar liebt innig einen Sohn. Der Sohn wächst heran zur Freude der Eltern. Eines Tages wird der Sohn krank. In wenigen

Stunden verschlimmert sich sein Zustand ganz außerordentlich und nach einem Tage geht der Sohn durch die Pforte des Todes. Also ganz unvermittelt sozusagen für die äußeren Erlebnisse des betreffenden Ehepaares wird ihnen dieser Sohn entrissen. Der Sohn selbst wird herausgerissen aus einem hoffnungsreichen Leben. Das Elternpaar trauert selbstverständlich dem Sohne nach. In den Träumen sowohl des Mannes wie der Frau zeigt sich in den Monaten, die dem Todesereignis nachgefolgt sind> so manches, was an den Sohn erinnert. Aber nach langer Zeit, nachdem viele, viele Monate verflossen waren, da träumen in einer Nacht sowohl die Mutter wie der Vater denselben Traum, genau denselben Traum, den Traum, daß ihnen erscheint ihr verstorbener Sohn und daß dieser verstorbene Sohn ihnen die Mit- teilung macht, daß er lebendig begraben worden sei, in Wahrheit nur scheintot gewesen wäre, und man solle nur nachsehen, man würde sich überzeugen können, daß er lebendig begraben worden sei.

Die beiden, Vater und Mutter, teilen sich das mit, was sie in derselben Nacht geträumt haben. Sie sind Leute, in deren Denkungsweise es durchaus liegt, daß sie bei den Behörden sogar die Bitte anbringen, man möge das Ausgraben des Sohnes bewerkstelligen lassen. Aber wie unser gegenwärtiges Leben ist - Behörden sind für solche Dinge heute nicht zu haben -, es wurde abgelehnt. Die beiden Eltern mußten weiter forttrauern. Aber der betreffende Traumforscher, der diesen Traum nun selber verzeichnet und nur materialistisch darüber denken kann, hat nun große Schwierigkeiten. Zunächst nicht wahr, ist es ja sehr leicht, daß man sagt: Nun ja, das sei ganz begreiflich. Diese Eltern haben fortwährend an ihr Kind gedacht, warum solle nicht das eine einmäl träumen von dem Sohn, das andere einmal träumen von dem Sohn> das ist selbstverständlich. - Aber eines machte ihm ganz besonders Kopfzerbrechen, das ist, daß die beiden Leute in derselben Nacht denselben Traum träumen. Da kommt er auf eine höchst merk

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würdige Erklärung, und jeder, der nachliest, wird das ganze Geschraubte dieser Erklärung herausfühlen. Er sagt: Man kann nicht anders als voraussetzen, daß nur einer die Sache geträumt hat; er ist aufgewacht, und der andere, der nicht geträumt hat, hat die Meinung, er habe das alles auch geträumt. - Nun, diese Erklärung ist zunächst für das Gegenwartsbewußtsein recht einleuchtend, aber sehr tiefgehend ist sie nicht. Ich erwähnte ausdrücklich, daß für den, der in der Sphäre des Traumerlebnisses bewandert ist, es keine Seltenheit ist, daß derselbe Traum von mehreren Leuten zugleich geträumt wird.

Nun wollen wir einmal von dem Gesichtspunkte geistiger Wissenschaft aus versuchen, in dieses Traumerlebnis uns hineinzufinden. Wir wissen ja selbstverständlich nach den Ergebnissen der Geisteswissenschaft, daß der Mensch, wenn er durch die Pforte des Todes geschritten ist> als Individualität weiterlebt in der übersinnlichen Welt, ferner daß alle Dinge und Wesen in der Welt in gewissem Zusammenhang stehen und ferner, daß sozusagen ein Verbindungsband mit abgeschiedenen Menschen dasjenige darstellt, wenn die Menschen, die hiergeblieben sind auf dem physischen Plan, ihre intensiven, liebevollen Gedanken zu den Gestorbenen richten. Denn es handelt sich nicht darum, daß die auf dem physischen Plan gebliebenen Menschen mit den Menschen, die abgeschieden sind und in der übersinnlichen Welt sind, keine Verbindung haben - sie haben sie fortwährend, wenn sie nur irgendwie die Gedanken an sie richten, und auch in den Momenten, wo sie die Gedanken nicht an sie richten, wenn sie nur irgend einmal die Gedanken an sie richten, bleibt die Beziehung bestehen -, sondern darum handelt es sich, daß bei der gegenwärtigen 'Menschheitsorganisation der auf dem physischen Plan Lebende in sein Wachbewußtsein nicht hereinbringen kann sein Wissen von den Banden. Daraus aber, daß man etw`as nicht weiß, darf man nicht schließen, daß das Betreffende nicht da wäre. Das wäre ein sehr oberflächlicher Schluß. Sonst wurden diejenigen, die jetzt hier in diesem Raum sitzen und Nürnberg nicht sehen, leicht beweisen können, daß es Nürnberg nicht gibt. Wir müssen uns also klar sein, daß zwar durch die Organisation des gegenwärtigen Menschen der Mensch nichts weiß von der Verbindung mit den Toten, daß diese aber vorhanden ist. Aber was

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in den Tiefen der Seele spielt, kann zuweilen ein abnormes Wissen heraufzaubern, auch in das Bewußtsein herein, und das geschieht eben in den Träumen.

Das ist das eine, was wir in die Waagschale werfen müssen, wenn wir an diese Traumerlebnisse herangehen. Das andere ist, daß wir auch wissen, daß der Durchgang durch die Pforte des Todes nicht jener Sprung von einem in etwas ganz anderes ist, wovon gewöhnlich die Menschen träumen, die nichts wissen von diesen Dingen, sondern es ist ein allmählicher Übergang. Was eine Seele erfüllt hat hier auf der Erde, das verschwindet nicht mit einem Augenblick, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geht. Was der Mensch auf der Erde geliebt hat, das liebt er auch noch nach dem Tode, nur daß er für alles dasjenige, zu dessen Befriedigung ein physischer Leib gehört, keine Möglichkeit hat, es zu befriedigen. Aber was die Seele als Wünsche, Begierden, als Freude und Leid, als bestimmte Neigungen hatte während einer Verkörperung im physischen Leibe, das dauert natürlich auch fort, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen ist. Und so werden wir es verstehen, daß jener junge Mann> der, ganz unvorbereitet auf den Tod, rasch hinweggestorben ist, ein lebendiges Gefühl hatte, er möchte doch eigentlich noch auf der Erde sein, daß er den lebendigen Drang hatte, von einem physischen Leib umgeben zu sein. Dieser Drang dauerte fort durch die Kamaloka-Zeit, lange, lange. Das ist eine Kraft, die in der Seele wirkt.

Nun stellen Sie sich lebhaft vor das Elternpaar, mit den Gedanken eingeschlafen an den geliebten verstorbenen Sohn. Die Verbindungsglieder sind vorhanden, auch da sie im Schlafe sind. Der Sohn hat aber, sagen wir, in dem Augenblick, in dem für die beiden, für Vater und Mutter, der Traum eintritt, einen ganz besonders lebendigen Drang durch die Entwickelung seiner Seele, den wir etwa so ausdrücken dürfen: Ach, wäre ich noch jetzt auf der Erde, umgeben von meinem physischen Leib - wenn wir dies in solche Worte übersetzen dürfen. In den Tiefen der Seele der beiden Eltern drückte sich dieser Gedanke des Toten aus. Aber die Eltern hatten ja kein besonderes Verständnis für die besonderen Charaktere der Vorgänge in dem eben erwähnten Traume. Also übersetzen sie sich das, was da hinein sich

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drängt in das Seelenieben, in Bilder, die ihnen näherliegen, und während, wenn sie klar wahrnehmen könnten, was da der Sohn eigentlich hineingießt in ihr Seelenleben, sie das so empfinden würden, daß sie sagten: Jetzt sehnt sich unser Sohn, von einem physischen Leib umgeben zu werden - kleidet sich das Bild, das dann gegeben ist durch den Traum, in eine ihnen verständliche Sprache, und das breitet sich als Bild, er sei lebendig begraben worden, über das wahre Geschehen darüber.

Wir dürfen also nicht in einem solchen Traumbild ein Abbild dessen suchen, was wirklich in den übersinnlichen Welten ist, sondern wir müssen in dem, was da geträumt wird, je nach dem Verständnis der betreffenden träumenden Leute, eine Art Umschleiemng suchen dessen, was der eigentliche, objektive Vorgang ist. Das ist das Eigenartige der gegenwärtigen Traumwelt, daß wir sie nicht mehr so unmittelbar - wenn wir nicht tiefer in die Dinge eindringen können - ansehen können, so wie die Bilder auftreten, als wirkliche Abbilder dessen, was dahinterliegt, sondern wir müssen sagen: Zwar liegt immer irgend etwas, was in unsere Seele herein sich lebt, hinter dem Traumbild, aber wir dürfen das Traumbild nur als eine Art von noch größerer Maja ansehen als die äußere Welt um uns herum Maja ist, der wir im wachen Zustand gegenüberstehen.

Daß der Traum so ist, das hat sich aber erst in unserer Gegenwart herausgestellt, hat sich im Grunde genommen erst herausgestellt für die Menschen, seitdem die Ereignisse von Palästina sich abgespielt haben, seitdem das Ich-Bewußtsein gerade die Form angenommen hat, die es seit jener Zeit angenommen hat. Früher waren die Bilder, die hereinkamen in den Menschen in einem dritten Zustande, den er hatte außer dem Wachsein und Schlafen, mehr ähnlich dem, was eigentlich in den übersinniichen Welten vorging. Und auch mit den Toten lebten die Menschen viel mehr zusammen im Geiste, als sie jetzt etwa zusammenleben können. Wir brauchen gar nicht weit zurückgehen in den Jahrhunderten, die vor der christlichen Zeitrechnung liegen, so würden wir da noch zahlreiche, überzahlreiche Menschen finden, welche sich sagen konnten: Ja, die Toten sind nicht tot, die leben in der übersinnlichen Welt, ich sehe ja, was sie fühlen, sehe, was sie

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eigentlich jetzt sind. - Und so wie das für die Toten gilt, gilt es auch für die übrigen Wesen der übersinnlichen Welt, die wir zum Beispiel in den Reichen der Hierarchien anerkennen.

So war also in gewissen Übergangszuständen zwischen Wachen und Schlafen für den Menschen das da> wovon nur ein letzter, aber jetzt im Niedergange begriffener Rest im Traume geblieben ist. Daher ist es in jener Zeit auch sehr bedeutsam für die Menschen, daß sie fühlten, uns entschwindet etwas, was wir früher hatten. Ja, in jener Übergangsepoche der Menschheitsentwickelung, da die Ereignisse von Palästina sich abspielten, war durch so mancherlei Veranlassung gegeben, zu sagen: Ändert die Seelenverfassung, denn es kommen ganz

andere Zeiten an die Menschheit heran. - Eines darunter war auch dies, daß früher die Menschen hineingesehen haben in die geistigen Welten und aus der unmittelbaren Erfahrung wußten, wie es mit den Toten, mit den übersinnlichen Wesenheiten beschaffen ist. Das ging verloren. Und während uns ein lebendiger Beweis auch in der Geschichte für das Leben mit den Toten in alten Zeiten das sein kann, was als eine religiöse Form der Verehrung überall auftritt, der Ahnendienst, der sich darauf begründet, daß man den Toten als wahrhafte Realität wirksam sich denkt, während in alten Zeiten der Ahnendienst mehr oder weniger überall da ist, erleben die Menschen in der Übergangszeit, daß sie sich sagen müssen, wenn sie sich das auch nicht deutlich mit Worten sagen: Früher haben unsere Seelen hinauf- gereicht in die Welt, die wir als die geistige bezeichnen. Früher haben wir mit den höheren Wesen, mit den Toten zusammen leben können, jetzt aber gehen in einem viel anderen Sinne unsere Toten fort, jetzt gehen sie aus unserem Bewußtsein fort, wir haben nicht mehr jenen lebendigen Zusammenhang.

Da kommen wir auf eine Sache, von der wir sagen müssen, der Verstand wird sich nur äußerst schwer ein Verständnis davon aneignen, aber ein Verständnis kann sich aneignen das verständnisvolle Gemüt. Das machte so unendlich bedeutsam, so unendlich heilig und tief gerade die Art des Gottesdienstes der ersten Christen, daß die ersten Christen diejenigen waren, die am lebendigsten fühlten, wie ihnen der unmittelbare psychische Zusammenhang mit den Toten

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verloren gegangen war. Aber sie ersetzten das, was ihnen auf diese Art verloren gegangen war, durch jene heiligen Gefühle, die sie bei ihren Gottesdiensthandlungen durch ihre Seele ziehen ließen, wenn sie Über den Gräbern der Toten ihre Opfer verrichteten, ihre Messen lasen, kurz, ihre gottesdienstlichen Handlungen ausübten. Und im Grunde genommen ist durch diesen Übergang herbeigeführt überhaupt die Tatsache, daß in der Zeit, in der man das Bewußtsein für die Toten ersterben fühlt, die Altäre die Form des Sarges annehmen, daß man also in dem Gefühl für die Überreste gerade in dieser Form - nicht wie bei den alten Ägyptern - den pietätvollen Gottesdienst oder Geistesdienst verrichtete. Wie gesagt, das ist eine Sache, die der Verstand wird nicht recht begreifen können. Aber man braucht sich nur die Form eines Altares anzuschauen und lebendig zu fühlen jenen Übergang des ganzen menschlichen Anschauens im Laufe der Zeit, wie er charakterisiert wurde, dann kann man auch ein Gefühl, ein Verständnis für diese Umwandlung im Anschauen der Menschenseele, für alles das, was sie im Gefolge hatte, bekommen.

So sehen wir, daß langsam und allmählich der Zustand herbeigeführt wurde, in dem die Menschenseele heute ist. Und aus den

Andeutungen können wir entnehmen, daß dieser Zustand gestrigen, der nun herbeigeführt worden ist, allmählich wieder durch einen anderen abgelöst wird> und daß wir jetzt vor der Tatsache stehen, daß im Menschen die Fähigkeiten erwachen für diesen anderen Zustand.

Was ich gestern als ein Beispiel angeführt habe, daß der Mensch wie in einer Art von Traumbild etwas Reales sehen wird, das den karmischen Ausgleich bilden soll für eine Handlung, das wird das Wieder- auftreten von Fähigkeiten sein, die wiederum die Seele hinauftragen zu den übersirinlichen Welten. Es war für die ganze Erdenentwickelung verhältnismäßig nur ein kurzer Zwischenzustand, in dem die Menschenseele abgeschlossen war von der übersinnlichen Welt, der eintreten mußte, damit der Mensch in diesem Zwischenzustand die stärksten Kräfte für seine Freiheit erobern konnte. Nun ist aber etwas verbunden mit dem ganzen Fortschritt in der Entwickelung der Menschheit, von dem ich Ihnen jetzt gesprochen habe, es ist verbunden damit, daß der Mensch zu seinem in sich selber abgeschlossenen

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Ich-Gefühl, zu seinem rechten Ich-Bewußtsein nur auf diese Art hat kommen können. Dieses Ich-Bewußtsein wird sich immer mehr und mehr, je mehr der Mensch der Zukunft entgegengeht, in dem menschlichen Innern befestigen, es wird immer bedeutender und bedeutender werden. Mit andern Worten: Die Kraft und Geschlossenheit der Individualität des Menschen wird immer mehr und mehr zunehmen> die Menschen werden immer mehr und mehr in die Notwendigkeit versetzt werden, einen festen Stützpunkt ihres Wesens in sich selber zu haben.

So sehen wir, daß jenes eigentliche Ich-Bewußtsein, das der Mensch heute hat> gar nicht über so viele Inkarnationen reicht, als man gewöhnlich glaubt. Wir brauchten nur zurückzugehen durch ein paar Inkarnationen, so würden wir dieses Ich-Gefühl nicht in der Weise, wie es heute charakteristisch für den Menschen ist, haben. Daher brauchen wir uns auch nicht zu verwundern, da das Ich-Gefühl in inniger Weise zusammenhängt mit dem Gedächtnis> daß heute für viele Menschen noch nicht eingetreten ist dasjenige, was man nennen kann eine Rückerinnerung an die früheren Inkarnationen. Der Mensch erinnert sich ja auch nicht dessen, was in seinen ersten Kindheitsjahren an ihn herangetreten ist, weil da sein Ich-Gefühl noch nicht ausgebildet ist. Ist es da nicht ganz erklärlich, daß der Mensch sich heute noch nicht zurückerinnern kann an seine früheren Inkarnationen, weil eben auch sein Ich-Gefühl noch nicht ausgebildet war. Aber jetzt stehen wir an dem Übergang, wo der Mensch sein IchGefühl ausgebildet hat und wo sich die Kräfte ausbilden, die bewirken, daß für die nächsten Inkarnationen die Notwendigkeit eintritt, sich an die früheren Inkarnationen zu erinnern. Es nahen sich die Zeiten, wo die Menschen gar nicht anders mehr werden können, als sich zu sagen: Wir blicken ja merkwürdig zurück in Zeiten, in denen wir in anderen Lebensformen bereits auf der Erde waren, wir blicken zurück so, daß wir uns sagen müssen, wir waren eben schon da auf der Erde. - Und unter den Fähigkeiten, die immer mehr und mehr auftreten werden, wird auch die sein, die den Menschen darauf hinweisen wird: Ich kann gar nicht anders als zurückzublicken auf meine früheren Inkarnationen.

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Nun denken Sie sich einmal: Für die nächsten Inkarnationen, die die Menschenseelen durchmachen, welche gegenwärtig inkarniert sind, tritt sozusagen die innere Kraft ein, zurückzuschauen und sich rückschauend zu erkennen. Aber für diejenigen, die sich nicht bekannt gemacht haben mit dem Gedanken der wiederholten Erdenleben, wird diese Rückerinnerung eine furchtbare Qual sein. So daß in der Tat Nichtkennen der Geheimnisse von den wiederholten Erdenleben cjualvoll sein wird für die Menschen, in denen die Kräfte herauf wollen, ihnen etwas sagen wollen in bezug auf frühere Zeiten, aber nicht herauf können werden, weil die Menschen es versäumt haben, mit den großen Mysterienwahrheiten der wiederholten Erdenleben sich beka,nnt zu machen. Nicht sich bekannt machen mit diesen Mysterienwahrheiten, wie sie jetzt verkündet werden durch die Geisteswissenschaft, bedeutet nicht etwa bloß Theorien vernachlässigen, sondern das Leben der folgenden Inkarnationen sich zur Qual zu gestalten. Daher ist insbesondere für diese Übergangszeiten, in denen wir leben, etwas der Fall. Sie können die langsame Vorbereitung dazu auch entnehmen aus unserem zweiten Mysteriendrama «Die Prüfung der Seele», wo sozusagen hingewiesen ist auf frühere Inkarnationen der dort handelnden Personen, die nur wenige Jahrhunderte zurück- liegen. Das bereitet sich schon vor. Aber jetzt steht die Sache allerdings so, daß durch die weise Weltenlenkung in einer gewissen Weise den Menschen Gelegenheit gegeben wird, mit demjenigen, was die Mysterienwahrheiten sind, sich bekannt zu machen. Es sind jetzt verhältnismäßig wenig Menschen, die zurGeisteswissenschaft sich finden. Nicht wahr, die Zahl der Anthroposophen ist im Verhältnis zu der anderer Menschen überall gering, so daß wir sagen können: Die Menschen interessieren sich noch nicht in ausgebreitetem Maße für die Anthroposophie. Aber das Gesetz der Reinkarnation für unsere Zeit ist so, daß in der Tat für die Menschen, welche jetzt dumpf durch die Welt gehen und sich nicht von den Erlebnissen sagen lassen, daß man den Rätseln des Daseins nachforschen muß, verhältnismäßig bald ein nächstes Leben eintritt, daß sie sich bald wieder inkarnieren, daß sie also reichlich Gelegenheit finden werden, sich mit den geisteswissenschaftlichen Wahrheiten bekannt zu machen. Das ist der Fall.

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So daß wir, wenn wir jetzt in unserer Umgebung vielleicht Leute sehen, die uns wert und teuer sind, die aber nichts von Anthroposophie wissen wollen, ihr sogar spinnefeind sind, daß wir jetzt noch nicht gar zu sehr unsere Herzen davon bedrücken lassen müssen. Wahr ist es durchaus, und der Anthroposoph sollte das einsehen: Nichtberücksichtigung der geistigen Wissenschaft oder Anthroposophie bedeutet den Beginn des Lebens einer Qual für die künftigen Erdeninkarnationen. Das ist wahr, und wir dürfen die Sache auch nicht leicht nehmen. Auf der anderen Seite aber kann sich derjenige, der liebe Freunde und Bekannte hat, die nichts wissen wollen von Anthroposophie, sagen: Nun, wenn ich nur selber ein guter Anthroposoph bin, ich werde schon Gelegenheit finden, mich durch die Kräfte, die mir bleiben, wenn ich durch die ,Pforte des Todes geschritten bin - da ja die lebendigen Bande vorhanden sind, von denen wir gesprochen haben -, mich diesen Menschenseelen hilfreich zu erweisen. Und diese Seelen selber werden Gelegenheit haben dadurch, daß jetzt die Zeit des Zwischenlebens zwischen dem Tod und einer neuen Geburt verkürzt wird, die Mysterienwahrheiten in sich aufzunehmen, die die Menschen aufnehmen müssen, wenn ihnen die kommenden Inkarnationen nicht zur Qual werden sollen. Es ist noch nicht alles verloren.

So müssen wir die Anthroposophie als reale Macht ansehen, auf der anderen Seite aber die Sache nicht zu verdrossen, nicht zu pessimistisch ansehen. Falsch wäre der Optimismus, der sich sagte: Nun ja, wenn die Sache so ist, dann kann ich auch warten mit der Aufnahme dieser geisteswissenschaftlichen Wahrheiten bis zu meiner nächsten Inkarnation. Denn wenn das alle sagen wurden, dann würden nach und nach die Menschen sich hinüberleben in die nächsten Inkarnationen und der Gelegenheiten würden zu wenig da sein für die nächsten Inkarnationen, als daß den Menschen wirklich geholfen werden könnte. Denn wenn auch jetzt noch durch wenig Menschen diejenigen, die zur Anthroposophie kommen wollen, mit ihren Wahrheiten bekannt gemacht werden können, so werden für die zahllosen Scharen derer> die nach verhältnismäßig kurzer Zeit zur Anthroposophie heranrücken werden, zahllose Menschen nötig sein, entweder hier auf dem physischen Plan oder, wenn sie nicht inkarniert sind, von

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höheren Planen aus, die Leute bekannt zu machen mit Anthroposophie.

Das ist das eine, was wir uns sagen müssen aus dem ganzen Charakter des großen Umschwunges heraus, der jetzt stattfindet. Das andere ist aber, daß eben das Ich dieses alles durchgemacht hat, um immer mehr und mehr auf sich selber zu bauen, selbständiger und selbständiger zu werden. Dieses Bauen auf sich selber von seiten des Ich ist wiederum etwas, was eintreten wird, was kommen wird für alle Seelen, was aber wiederum zum Verderben sein wird für diejenigen Seelen, welche nicht Bekanntschaft machen mit den spirituellen Weistümern. Denn diese Seelen werden das Individueller- und Individueller-Werden empfinden wie eine Vereinsamung. Diejenigen dagegen, die sich bekannt machen werden mit den großen Geheimnissen der geistigen Welten, werden dadurch die Möglichkeit finden, im Geistigen immer mehr und mehr Bande zu schließen von Seele zu Seele. Die alten Bande werden sich immer mehr auflösen und neue werden geschiossen werden müssen. Das geschieht nun stufenweise in den nächsten Zeiten.

Wir leben jetzt im fünften nachatlantischen Zeitraum, auf diesen wird folgen der sechste, dann der siebente, bis wiederum eine solche Katastrophe eintreten wird, wie eine eingetreten ist zwischen der adantischen und der nachatlantischen Zeit. Diese Katastrophe ist ja in ihrer Ähnlichkeit und Verschiedenheit von der alten atlantischen gerade hier in Nürnberg aniäßlich des Zyklus über die Apokalypse seinerzeit charakterisiert worden. Was nun der besondere Charakter unseres Zeitraumes ist, das können wir, wenn wir das Leben rings- herum betrachten, dadurch bezeichnen, daß wir sagen: In unserer Zeit ist in den Menschen insbesondere tätig dasjenige, was wir nennen können den Intellektualismus, die verstandesmäßige` Auffassung der Welt. Wir leben tatsächlich in einer Zeit des Intellektualismus, in einer Zeit der verstandesmäßigen Auffassung der Welt. Diese Zeit der verstandesmäßigen Auffassung der Welt ist nun durch einen ganz besonderen Umstand herbeigeführt. Diesen Umstand werden wir verstehen lernen, wenn wir uns erinnern an die Zeit, die vorangegangen ist unserer jetzigen fünften nachatlantischen Kulturperiode. Vorangegangen

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ist der Zeitraum, den wir den griechisch-lateinischen nennen, jener merkwürdige Kulturzeitraum, in dem die Menschen noch nicht so, man möchte sagen, getrennt waren wie jetzt von der Natur und dem Wissen der Welt, wie sie sich äußerlich darstellt. Aber es ist das zugleich jener Zeitraum, in dem das Ich über die Menschen sozusagen hereinbrach. Daher mußte in diesem Zeitraum auch das ChristusEreignis stattfinden, weil da das Ich in besonderer Weise hereinbrach. In unserer Zeit, was erleben wir denn da? Da ist es nicht bloß das Hereinbrechen des Ich, sondern da erleben wir, daß eine der Hüllen des Menschen eine Art Spiegelung oder Reflex auf seine Seele macht. Die Hülle, die wir gestern bezeichnet haben als die Glaubenshülle, die macht eine Spiegelung oder einen Reflex auf die menschlichen Seelen jetzt in unserem fünften Zeitraum. So daß wir in unserem Zeitraum die Eigentümlichkeit haben, daß in der Seele der Menschen etwas vorhanden ist, wie wenn sich in der Seele spiegelte der GlaubensCharakter des astralischen Leibes. Im sechsten nachatlantischen Zeitraum wfrd sich spiegeIn im Innern des Menschen der Liebes-Charakter des Ätherleibes und im siebenten, vor der großen Katastrophe, der Hoffnungs-Charakter des physischen Leibes.

Für diejenigen, welche Vorträge, wie sie jetzt gerade gehalten worden sind, da und dort gehört haben, bemerke ich, daß ich diese stufenweisen Vorgänge von einein anderen Gesichtspunkte anders dargestellt habe, sowohl in München wie in Stuttgart. Es ist aber doch dasselbe. Es ist nur das, was jetzt dargestellt werden soll anknüpfend an die drei großen Kräfte der Menschen, Glaube, Liebe und Hoffnung, dort dargestellt worden durch uninittelbare Beziehung auf die Elemente des menschlichen Seelenlebens. Aber es ist ganz dasselbe, und ich mache es absichtlich so, damit die Anthroposophen sich daran gewöhnen, sich nicht an Worte zu halten, sondern an die Sache heranzutreten. Wenn wir sehen werden, daß die Dinge von den verschiedensten Seiten charakterisiert werden können, dann wird man auch nicht mehr auf die Worte schwören, sondern das Bestreben haben, an die Sache heranzutreten und sie so zu nehmen, daß man weiß, daß die Worte, die von den verschiedensten Seiten die Dinge charakterisieren, nichts anderes bedeuten sollen als ebenAnnäherungen

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an die Sache selber. Durch nichts weniger als durch Schwören auf die einmal gesprochenen Worte kommen wir der Sache näher, sondern nur, indem wir das, was in den aufeinanderfolgenden Zeiten gesagt wird, in eine Harmonie bringen, wie wir einen Baum nur dadurch kennen lernen, wenn wir ihn nicht von einer Seite nur, sondern von den verschiedensten Seiten aufnehmen.

Also es ist im wesentlichen jetzt die Glaubenskraft des astralischen Leibes, die in die Seele hereinscheint und unserer Zeit das Charakteristikum gibt. Sonderbar, könnten welche sagen, jetzt sagst du uns, daß die Glaubenskraft die wesentlichste Kraft unserer Zeit ist. Ja, vielleicht könnten wir das anerkennen von denjenigen Menschen, die sich den alten Glauben bewahrt haben, aber dann sind so viele, die heute auf den Glauben herabsehen, weil sie über ihn hinaus sind, die ihn als eine kiridliche Stufe der Menschheitsentwickelung betrachten. - Es mögen diejenigen Leute> die sich Monisten nennen, glauben, daß sie nicht glauben, aber sie sind gläubiger als die andern, die sie als Gläubige bezeichnen. Denn alles das, was in den verschiedenen monistischen Bekenntnissen zutage gefördert worden ist, ist der blindeste Glaube, nur sind sich die Leute dessen nicht bewußt: sie glauben es ist ein Wissen. Wir kommen überhaupt nicht zu einer Charakteristik dessen, was getan wird, wenn wir nicht fortwährend von Glauben sprechen. Wenn wir von dem Glauben derer absehen, die glauben, nicht zu glauben, dann finden wir, daß im Grunde genommen in unserer Zeit unendlich viel von dem, was gerade das Bedeutendste ist, beruht auf jenem Reflex> den der astralische Leib in die Seele herein- wirft und der Seele dadurch einen geradezu inbrünstigen GlaubensCharakter verleiht. Man braucht sich nur zu erinnern an die Lebenswege der Größten unserer Zeit, sagen wir Richard Wagners, wie sein Leben selbst als Künstler ein Aufstieg ist zu einer gewissen Glaubensinbrunst und wie das das Reizvollste ist beim Betrachten gerade dieser Persönlichkeit. Überall, wo wir Umschau halten in unserer Zeit, sind die Schatten- und Lichtseiten derselben aus dem heraus zu verstehen, was wir den Reflex des Glaubens in dem Ich oder der Ich-Seele des Menschen nennen können.

Und abgelöst wird unsere Zeit von derjenigen, in der das Liebebedürfnis

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hereinieuchten wird. In einem noch ganz anderen Sinne wird sich verwirklichen das, was auch christliche Liebe genannt werden kann in diesem sechsten Kulturzeitraum. Wir nähern uns ihm langsam immer mehr, diesem sechsten Zeitraum, und gerade dadurch, daß wir den Menschen in der anthroposophischen Bewegung bekannt machen mit dem, was die Geheiriinisse des Weltalls sind, was das Wesen der verschiedenen Individualitäten des physischen Planes oder der höheren Plane ist, versuchen wir in ihm zu entzünden die Liebe für ein jegliches Dasein. Nicht so sehr dadurch, daß wir von dieser Liebe sprechen, als dadurch, daß wir das fühlen, was in der Seele diese Liebe entzünden kann, bereitet sich durch Anthroposophie der sechste Zeitraum vor. Dadurch aber werden die Liebekräfte in der ganzen Seele des Menschen besonders bloßgelegt und wird das vorbereitet, was die Menschheit braucht, um nach und nach zu einem wahren Verständnis des Mysteriums von Golgatha zu kommen. Denn dieses Mysterium von Golgatha ist zwar geschehen, zwar hat das Evangelium hervorgerufen, was gestern bezeichnet wurde als vergleichbar mit der kindlichen Sprache, aber noch ist diese tiefste Lehre von der Mission der Erdenliebe, wie sie verknüpft ist mit dem Mysterium von Golgatha, nicht begriffen. Das kann vollständig erst begriffen werden im sechsten nachatlantischen Kulturzeitraum, wenn die Menschen sich immer mehr dazu erheben werden, die Basis, die Grundlage in Wirklichkeit vollständig in sich selber zu finden und aus dem Innersten, das heißt aus der Liebe das zu tun, was geschehen soll; wenn vollständig überwunden sein wird das Angewiesensein des Menschen auf die Gebote, wenn eingetreten sein wird der Zustand: «Pflicht, wo man liebt, was man sich selbst befiehlt», wie Goethe sagt. Wenn in unserer Seele erwachen die Kräfte, daß wir gar nicht mehr anders können, als aus Liebe zu vollbringen, was wir tun sollen, dann haben wir so etwas in uns entdeckt, wie es immer mehr und mehr zur Verbreitung kommen muß im sechsten Kulturzeitraum. Damit werden aber ganz besondere Kräfte auch des ätherischen Leibes bloßgelegt für die menschlichen Naturen.

Wenn wir begreifen wollen, was da immer mehr und mehr eintreten wird, so müssen wir das von zwei Seiten her betrachten. Die

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eine Seite ist diese, daß etwas kommen wird, was heute zwar von den besten Geistern erst geträumt werden kann, aber eben noch nicht da ist, das ist ein ganz bestimmtes Verhältnis zu Sittlichkeit, Moralität, Ethik und Verständigkeit, Intellektualität. Heute kann einer noch verhältnismäßig ein großer Schurke sein und zugleich ein verhältnismäßig kluger, gescheiter Mensch. Er kann vielleicht gerade seine Klugheit und Gescheitheit dazu verwenden, um möglichst viel Schurkerei zu begehen. Es ist heute noch nicht eine Notwendigkeit, daß in der Seele ein Maß von Klugheit vereint wäre mit demselben Maße von Moralität. Mit all den Dingen, die geschildert worden sind aIs für die Zukunft bevorstehend, wird nun auch das andere verknüpft sein, daß indem wir in diese Zukunft hineinleben, diese beiden Dinge in der MenschenseeIe nicht mehr werden getrennt sein können, nicht mehr in einem verschiedenen Maße werden bestehen können, sondern daß der Mensch, der durch seine vorherige Inkarnation in seinem Lebenskonto sich etwas angeeignet hat, was ihn zu einem besonders klugen Menschen machen würde, wenn er nicht moralisch war durch sein Lebenskonto, indem er sich hineinlebt in seine Inkarnation, seine Klugheit gelähmt erhält, so daß man in demselben Maße, in dem man klüger sein könnte als moralisch, für die nächsten Inkarnationen, im Hineinwachsen in diese Inkarnationen, durch allgemeine Weltengesetze dumm gemacht wird, so daß Dummheit und Unmoralität immer mehr und mehr zusammen auftreten müssen. Denn auslöschend, lähmend wird Unmoralität auf Klugheit wirken. Mit anderen Worten: Wir nähern uns dem Zeitalter, wo Moralität und das, was jetzt charakterisiert worden ist für den sechsten nachatlantischen Zeitraum als das Hereinscheinen der Liebekräfte des Ätherleibes in die Ich-Seele, im wesentlichen solche Kräfte bedeutet, welche zu tun haben mit dieser Harmonisierung der Klugheitskräfte und der Moralitätskräfte.

Das ist die eine Seite, die wir zu berücksichtigen haben. Die andere ist diese, daß erst durch eine solche Harmonie zwischen Moralität, Sittlichkeit und Klugheit das Mysterium von Golgatha in seinen vollen Tiefen zu begreifen ist. Und das wird dadurch geschehen, daß immer mehr derjenige Lehrer> der auch schon vorbereitet hat die

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Menschen auf dieses Mysterium von Golgatha, bevor der Christus Jesus auf die Erde gekommen ist, daß der immer mehr und mehr in seinen aufeinanderfolgenden Inkarnationen sich zu dem großen Lehrer des größten irdischen Ereignisses entwickelt. Diejenige Individualität, die wir den Nachfolger des Gautama Buddha nennen in bezug auf die Bodhisattva-Würde, sie war inkarniert in jener Persönlichkeit, die etwa hundert Jahre vor unserer Zeitrechnung gelebt hat und die wir da nennen Jeshu ben Pandira. Jener Jeshu ben Pandira hatte eine Anzahl Schüler> unter diesen auch einen, der schon dazumal das MatthäusEvangelium prophetisch vorher in gewisser Weise niedergeschrieben hat. Es brauchte dann nur erneuert zu werden, als das Mysterium von Golgatha sich abgespielt hatte. Und immer wiederum ist diese Individualität verkörpert gewesen und immer wieder trat sie auf, und sie wird auftreten immer wiederum so lange, bis sie von der BodhisattvaWürde zur Buddha-Würde aufsteigt. Das wird sein etwa fünftausend Jahre nach unserer Zeitrechnung. Da wird eine genügend große Anzahl von Menschen ausgestattet sein mit jenen Fähigkeiten, von denen wir gesprochen haben und da wird im Verlaufe einer merkwürdigen Inkarnation, welche jene Individualität durchmachen wird, die einmal der Jeshu ben Pandira war, es wird dieser große Lehrer der Menschheit, dieser Bodhisattva dazu gekommen sein, in ganz anderer Weise noch wirken zu können als Interpret des Mysteriums von Golgatha als das heute möglich ist. Heute kann zwar der Hellseher in den über- sinnlichen Welten Vorstellungen gewinnen von dem, was da fünftausend Jahre nach unserer Zeitrechnung eintreten wird, aber die äußere physische menschliche Organisation macht heute noch keinen physischen Leib fähig, das zu tun, was jener Lehrer etwa dreitausend Jahre nach unserem jetzigen gegenwärtigen Zeitpunkte wird tun können. Keine menschliche Sprache würde noch hergeben jene magische Art, durch die Mitteilung, durch die Lehre zu wirken, wie dann jener Lehrer der Menschen wirken wird. Seine Worte werden sich unmittelbar wie Balsam hineinflößen in die menschlichen Herzen, in die menschlichen Seelen und ein jegliches Wort wird nicht nur Theorie sein, sondern in einem Maße, das ungeheuer viel größer ist als das, was heute die Vorstellung davon aufnehmen kann, wird das, was

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Lehre ist, zugleich eine magische moralische Kraft haben, die Herzen und die Seelen von der urewigen bedeutungsvollen Bruderschaft von Intellektualität und von Moralität tiefinnerlich zu überzeugen.

Der große Lehrer, der am tiefsten, wenn die Menschheit dazu reif sein wird, lehren kann das Wesen des Mysteriums von Golgatha, wird erfüllen das, was die orientalischen Prophezeiungen immer gesagt haben: daß der, welcher der wahre Nachfolger des Buddha sein wird> der größte Lehrer sein wird des Guten, der Lehrer des Guten aller Menschen. Deshalb nennt ihn die orientalische Überlieferung den Maitreya-Buddha. Dieser wird die Aufgabe haben, gerade das Mysterium von Golgatha den Menschen zu erklären, und er wird die tiefsten und bedeutungsvollsten Ideen und Worte dadurch finden können, daß seine Worte, durch die besondere Sprache, in der gesprochen sein wird, die eine Sprache sein wird, von der heute noch in keiner menschlichen Sprache eine Vorstellung hervorgerufen werden kann, unmittelbar magisch in die menschliche Seele hineinprägen werden die Natur des Mysteriums von Golgatha. So nähern wir uns auch in dieser Beziehung dem, was wir nennen können das zukünftige moralische Zeitalter der Menschen. Wir könnten es geradezu in gewisser Beziehung als das herannahende goldene Zeitalter bezeichnen.

Wir aber, indem wir sprechen heute auf anthroposophischem Boden, deuten vollbewußt an, was geschehen soll, deuten an, wie der Christus sich nach und nach offenbaren wird für immer höhere und höhere Kräfte des Menschen, deuten an, wie die Lehrer, die nur für einzelne Völker und einzelne Menschen früher gelehrt haben, die Interpreten, die Erklärer des großen Christus-Ereignisses für alle Menschen, die es hören wollen, sein werden. Wir können andeuten, wie dadurch, daß das Zeitalter der Liebe anbricht, eben die Bedingungen für dieses Zeitalter der Moralität gegeben sind.

Und dann kommt der letzte große Zeitraum, in dem eine Spiegelung hereinwerfen wird in die menschliche Ich-Seele das. was wir Hoffnung nennen. Dann aber werden die Menschen, gestärkt durch die Kraft, die von dem Mysterium von Golgatha und vom moralischen Zeitalter ausgeht, in sich ihre Hoffnungskräfte hereinnehmen: das Bedeutsamste, was sie brauchen, um über die Katastrophe hinüberzukommen,

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um jenseits derselben in ähnlicher Weise ein neues Leben zu beginnen, wie die nachatlantische Zeit ein neues Leben gebracht hat.

Da, wenn im letzten nachatlantischen Zeitalter zwar die äußere Kultur> die rein kombinatorische Kultur auf ein höchstes gestiegen ist, aber die Menschen stark fühlen werden das Unbefriedigende dieser Kultur, wenn die Menschen dieser Kultur gegenüber so dastehen werden, daß, wenn sie nicht in sich entwickelt hätten das Spirituelle, sie wahrhaft trostlos dieser Kultur gegenüberstehen würden, da wird von der Spiritualität her die Hoffnung aufgepflanzt sein, die sich erfüllen wird in dem nächsten Zeitraum der menschlichen Entwickelung.

Wenn das nicht in die Menschenseelen einziehen könnte, was ihnen die Spiritualität bringen kann und was die anthroposophische Bewegung will, dann könnte etwa` die äußere Kultur ein wenig fortgehen, aber die Menschen würden zuletzt dahin kommen, daß sie sich sagen würden: Ja, das haben wir nun alles erlangt! Drahtlose Vorrichtungen tragen unsere Gedanken, Vorrichtungen, von denen sich unsere Vorwelt nichts hat träumen lassen, über den ganzen Erdball hin. Aber was haben wir davon? Die trivialsten, ödesten Gedanken schicken wir von einem Ort zum andern; menschliche Intelligenzkraft bis ins Höchste haben wir anspannen müssen, damit wir nun endlich mit allen möglichen vollkommenen Werkzeugen herüberbringen können von einem entfernten Ort der Erde an den andern, was wir nun essen, und angespannt haben wir unsere Kräfte der Intelligenz, um schnell, recht schnell den Erdkreis zu umspannen, aber wir haben in unserem Kopfe nichts darinnen, was wir irgendwie von einem Punkte zum andern tragen können. Denn die Gedanken, die wir tragen können, sind trostlos, und wahrhaftig, sie sind trostloser noch geworden, seit wir sie in unseren modernen Fahrzeugen tragen, gegenüber denen, die wir getragen haben in den alten schneckenartig sich fortbewegenden Fahrzeugen.

Kurz, Trostlosigkeit und Öde würde durch die äußere Kultur über den Erdkreis gebreitet sein. Aber im letzten Kulturzeitraum wird die Seele wie auf den Trümmern des äußeren Kulturlebens reich geworden sein, die da aufgenommen hat das spirituelle Leben. Und daß Sie dieses spirituelle Leben nicht umsonst aufgenommen haben, dafür

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wird Ihnen bürgen, was als starke Kräfte der Hoffnung in Ihnen leben wird, daß nach einer großen Katastrophe ein neues Menschenalter kommen wird, in dem herauf kommen wird auch im äußeren Leben in einer neuen Menschheitsbildung dasjenige, was innerlich spirituell in den Seelen vorbereitet worden ist.

So gehen wir in der nächsten Zeit, von unserem Zeitalter des Glaubens durch das Zeitalter der Liebe und der Hoffnung, in bewußter Weise, wenn wir uns geisteswissenschaftlich durchdringen, dem entgegen, was wir in immer mehr und mehr sich steigernder Annäherung zu den höchsten, zu den wahrsten, zu den schönsten Zielen der Menschheit hinsteuern sehen.

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WELTEN-ICH UND MENSCHEN-ICH. MIKROKOSMISCH-ÜBERSINNLICHE WESENHEITEN. DIE NATUR DES CHRISTUS München, 9. Januar 1912

Es besteht die Notwendigkeit, daß wir am heutigen Abend noch etwas über die Natur des Christus Jesus sprechen. Diese Notwendigkeit ergibt sich daraus, daß gegenwärtig so viel über dieses Thema gesprochen wird, besonders in theosophischen Kreisen, und daß im eininentesten Sinne das Bedürfnis dazu vorliegt, über mancherlei Punkte auf diesem Gebiete zur vollen Klarheit zu kommen.

Nun werden wir heute einen zwar für viele vielleicht etwas absonderlichen, aber doch eben sehr wichtigen Punkt dieser Frage zu besprechen haben. Wir werden ausgehen von der Entwickelung des Menschen. Wir wissen ja, daß diese so fortschreitet, daß die gesamte Menschheit innerhalb unserer Erdenentwickelung durchgeht durch gewisse zyklische Epochen. Und wir haben ja öfter davon gesprochen, daß wir, seit jener großen Katastrophe, die wir die atlantische nennen, durch welche das Leben auf dem alten atlantischen Kontinent verwandelt worden ist in das Leben auf den neueren Kontinenten, das eben unser Leben ist, fünf Kulturperioden bis zu unserer Zeit unterscheiden können. Wir sprechen von der ersten, der altindischen Kulturepoche, von der zweiten, der großen urpersischen Kulturepoche, von der dritten> der ägyptisch-chaldäisch-babylonischen, von der vierten, der griechisch-lateinischen, die für eine größere Weltenbetrachtung eigentlich erst abflutete, sagen wir, gegen das achte bis zwölfte nachchristliche Jahrhundert, und dann sprechen wir seit 1413 von dem Vorhandensein unserer eigenen, gegenwärtigen, der fünften nachatlantischen Kulturepoche.

Nun haben die Menschenseelen, also auch alle diejenigen Seelen, die hier sitzen, in diesen aufeinanderfolgenden Kulturepochen bis zur jetzigen Zeit verschiedene Verkörperungen durchgemacht; die eine Seele in mehr oder weniger Verkörpemngen, die andere in einer verhältnismäßig geringeren Anzahl von Verkörperungen. Diese Seelen

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haben, nach Maßgabe der Eigentümlichkeiten dieser Kulturepochen, sozusagen aus den Erlebnissen heraus dieses oder jenes sich angeeignet, haben es von früheren in die späteren Inkarnationen mitgebracht und erscheinen dann als Seelen auf dieser oder jener Entwickelungsstufe, je nachdem sie vorher in den verschiedenen Kulturepochen das oder jenes durchgemacht haben.

Nun können wir aber auch davon sprechen, daß in der Hauptsache - aber wohlgemerkt nur in der Hauptsache - von den verschiedenen Gliedern der menschlichen Natur in den einzelnen Kulturepochen dieses oder jenes am Menschen, aber in der Hauptsache immer ein bestimmtes Glied der menschlichen Natur, zur Ausgestaltung, zur Entwickelung gekommen ist. So können wir sagen, daß in unserer Kulturepoche die Menschen im wesentlichen dazu bernfen sind, wenn sie alles das auf sich wirken lassen, was unsere Kulturepoche geben kann, zur Ausgestaltung zu bringen das, was wir innerhalb unserer geisteswissenschaftlichen Anschauung nennen die Bewußtseinsseele. Dagegen kam vorzugsweise während der griechisch- lateinischen Kulturepoche zur Ausbildung die Verstandes- oder Gemütsseele, während der ägypn.sch~chaldäisch-babylonischen die Empfindungsseele, während der urpersischen Kulturepoche der Empflndungs- oder astralische Leib, und in der altindischen dasjenige, was wir als den Äther- oder I,ebensleib bezeichnen. Diese verschiedenen Glieder der menschlichen Natur haben bei den einzelnen Seelen, durchgehend durch diese Kulturepochen, in einer oder zumeist in mehreren Verkörperungen die entsprechende Ausbildung erfahren oder werden sie erfahren. Und in demjenigen, was nun auf unsere Kulturepoche folgt als sechste nachatlantische Kulturepoche, wird insbesondere zur Ausbildung kommen das, was wir als Geistselbst bezeichnen, was man gewohnt worden ist in der theosophischen Literatur als Nfanas zu bezeichnen, und in der letzten, der siebenten nachatlantischen Kulturepoche das, was wir als Lebensgeist bezeichnen, was man in der theosophischen Literatur gewohnt worden ist, die Buddhi zu nennen> während das, was Geistmensch oder Atma ist, in einer gewissen Weise nach einer erneuten Katastrophe in einer fernen Zukunft zur Ausgestaltung kommen soll.

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So stehen wir also mitten darin, auszubilden sozusagen durch die normalen Bedingungen unserer Kultur, durch das, was uns umgibt, auszugestalten dasjenige in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft, was man die Bewußtseinsseele nennt.

Nun wissen wir aber, daß diese ganze Ausbildung des Menschen, diese ganze Entwickelung der einzelnen Seelenglieder, wie wir sie unterscheiden, wesentlich gebunden ist an noch etwas anderes, wesentlich gebunden ist an die allmähliche Eingliederung des menschlichen Ich. Denn diese Eingliederung des menschlichen Ich in die Menschen- natur> das ist überhaupt die Aufgabe der Erdenentwickelung. So daß wir gleichsam zwei ineinanderlaufende Entwickelungsströmungen haben dadurch, daß wir die Erdenentwickelung nach der Saturn-, Sonnen- und Mondenentwickelung durchmachen müssen und daß wir als Erdenmenschen insbesondere dieses vierte Glied der menschlichen Natur, das Ich, zur Ausbildung bringen, hinzufügen dieses Ich zu den anderen Hauptgliedern der menschlichen Natur, die schon früher veranlagt worden sind: zu dem physischen Leib, dem Ätherleib und dem astralischen Leib. Sie müssen nun unterscheiden diese große hauptsächlichste Entwickelungsströmung, die gebunden ist an die großen Verkörperungen unseres Erdenplaneten selber, von jener kleineren Entwickelungsströmung, von jener engeren Entwickelungsströmung, die ich vorhin bezeichnet habe als solche, die innerhalb einer so kurzen Zeit sich abspielt, wie es die nachatlantische Periode ist.

Niemand, der die bisherigen Dinge verstanden hat, sollte die Frage aufwerfen: Ja, wie kommt es denn, daß die Menschen schon auf der alten Sonne den Äther- oder Lebensleib ausgebildet haben und daß nun eine besondere Ausbildung desselben stattfinden soll während der altindischen Kulturepoche? Wer die Dinge verstanden hat> sollte eigentlich diese Frage nicht aufwerfen, denn die Sache ist so: Gewiß, der menschliche Äther- oder Lebensleib ist veranlagt worden während der alten Sonne. Der Mensch ist also schon im Besitze eines Ätheroder Lebensleibes auf der Erde angekommen. Aber dieser Äther- oder Lebensleib kann nun wieder feiner ausgestaltet werden, es kann in ihn hineingearbeitet werden durch die späteren Glieder, die der Mensch an sich heranentwickelt. So daß der Mensch natürlich auf verhältnis

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mäßig hoher Stufe seinen Äther- oder Lebensleib hat, wenn er in einem altindischen Körper verkörpert wird, aber er arbeitet in dieser nachatlantischen Kulturperiode mit dem eroberten Ich - mit all dem, was mittlerweile der Mensch sich erarbeitet hat - hinein in seinen Äther- oder Lebensleib, arbeitet feinere Gestaltungen in ihn hinein. Und es ist im wesentlichen ein feineres Hineinarbeiten in die verschiedenen Glieder der menschlichen Natur, was sich in unserer nach- atlantischen Kulturperiode ausgestaltet.

Wenn Sie nun die ganze Evolution nehmen und das berücksichtigen, was jetzt gesagt worden ist> so wird Ihnen die vierte nachatlantische Kulturepoche, die griechisch-lateinische, als ganz besonders wichtige Epoche erscheinen. Denn da muß in einer gewissen feineren Gestaltungsweise bearbeitet werden innerhalb der Menschennatur dasjenige, was wir nennen die Verstandes- oder Gemütsseele. Aber bis zu jener Zeit hin hat schon das Ich, welches also der großen Entwickelungsströmung angehört, eine ganz besonders hohe Ausbildung erfahren. So daß wir sagen können: Dieses Ich des Menschen, das hat sich bis in die vierte nachatlantische Kulturperiode, bis in die griechisch- lateinische Zeit, auf eine gewisse Stufe hinauf entwickelt, und es obliegt ihm da, hineinzuarbeiten in die Verstandes- oder Gemütsseele, und in unserer Zeit in die Bewußtseinsseele.

In einer gewissen Beziehung besteht nun eine innige Verwandtschaft zwischen dem menschlichen Ich und den drei Gliedern seiner Seelennatur: der Empfindungs-, Verstandes- oder Gemütsseele und der Bewußtseinsseele. In diesen drei Gliedern lebt vorzugsweise zu- nächst das menschliche Ich sein inneres Leben, und es lebt und wird gerade in unserer fünften nachatlantischen Kulturepoche am Innerlichsten in der Bewußtseinsseele leben> weil sozusagen in der Bewußtseinsseele, ganz ungehindert durch die anderen Glieder> das reine Ich sich zum Ausdruck bringen kann. Ja, wir leben einmal in unserer Zeit in einer solchen Epoche, in welcher dieses Ich eben den großen besonderen Beruf hat, sich auszubilden, auf sich selbst zu bauen.

Wenn wir dann eine Art Zukunftsblick werfen auf das, was folgen wird, wenn wir Sagen, der Mensch wird entwickeln in der nächsten, in der sechsten nachatlantischen Kulturepoche das Geistselbst oder

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Manas, so erkennen wir: Das Geistselbst oder Manas liegt eigentlich schon über die Sphäre des Ich hinaus. Und der Mensch könnte sein Geistselbst im Grunde nicht aus eigenen Kräften in dieser späteren Zukunft entwickeln, sondern da muß ihm, wenn er sein Geistselbst entwickeln wird, in gewisser Weise das helfen, was durch die Kräfte höherer Wesen der Erde zuffießt. Der Mensch ist mit der Entwickelung seines Ich so weit, daß er eigentlich, so recht auf sich selbst gebaut, sich nur entwickeln kann bis zur Bewußtseinsseele. Aber diese Entwickelung würde nicht abgeschlossen sein, wenn der Mensch nicht schon vorausnehmen würde in gewisser Beziehung das, was erst auf dem Jupiter, auf der nächsten Verkörperung unseres Planeten, seine rechte, seine volle, seine selbsttätige menschliche Entwickelung erlangt. Bis zum Ende der Erdenentwickelung sollte der Mensch sein Ich ausbilden. Diese Ausbildung zu vollziehen hätte er Gelegenheit innerhalb von Empfindungs-, Verstandes- und Bewußtseinsseele. Aber das eigentliche Geistselbst soll erst auf dem späteren Jupiter menschliches Eigentum werden, da soll es erst so recht menschliches Gut werden. Auf dem Jupiter wird der Mensch zum Geistselbst sich ungefähr so stellen, wie er sich auf der Erde zum Ich stellt. Wenn also der Mensch schon während der Erdenzeit auch das Geistselbst ausbildet> so kann er sich nicht zu diesem Geistselbst so stellen wie zum Ich. Von unserem Ich sagen wir: Das sind wir selbst, das sind wir in Wahrheit. Wenn nun in der nächsten Epoche, der sechsten nach- atlantischen, das Geistselbst zum Ausdruck kommen wird, dann werden wir nicht dieses Geistselbst als unser Selbst ansprechen können, sondern dann werden wir sagen: Ja, unser Ich hat sich bis zu einer gewissen Stufe entwickelt, so daß hereinleuchten kann wie aus höheren Welten unser Geistselbst wie eine Art Engelwesen, das wir nicht selbst sind, das in uns hereinieuchtet und Besitz ergreift von uns. - So wird uns unser Geistselbst erscheinen. Und erst auf dem Jupiter wird es so erscheinen, daß es unser eigenes Wesen ist wie unser Ich. So geht die menschliche Entwickelung vorwärts.

Also wir werden uns in der nächsten, in der sechsten nachatlantischeri Kulturepoche wie hinaufgezogen fühlen zu etwas, was in uns hereinleuchtet. Wir werden nicht sagen: Du Geistselbst in mir da

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drinnen -, sondern werden sagen: Ich Teilnehmer an einer Wesenheit, die aus den oberen Welten in mich hereinleuchtet, die mich führt und lenkt, die mir durch die Gnade höherer Wesenheiten ein Führer und Lenker geworden ist! - Das, was uns erst auf dem Jupiter als unser Eigentum zukommen wird, werden wir wie eine Art aus den höheren Welten hereinleuchtenden Führer empfinden. Und so wird es später sein mit dem Lebensgeist oder Buddhi, mit dem Geistesmenschen und so weiter. So daß eine Zeit kommen wird, in welcher der Mensch anders von sich sprechen wird, als er jetzt von sich spricht. Wie spricht jetzt der Mensch von sich, wenn er im geisteswissenschaftlichen Sinne von sich spricht? Er sagt: Ich habe drei Hüllen, meinen physischen Leib, meinen Äther- oder Lebensleib und meinen astralischen Leib. Darinnen habe ich mein Ich, das eigentliche Erdengut, welches sich innerhalb dieser drei Hüllen entwickelt. Diese drei Hüllen sind gleichsam meine niedere Natur. Ich bin über sie hinausgewachsen, ich sehe herunter zu dieser meiner niederen Natur und sehe in demjenigen, was mein Ich geworden ist, mein vorläufiges eigenstes Wesen, das immer mehr und mehr wachsen soll, immer mehr und mehr sich entwickeln soll.

In der Zukunft wird der Mensch noch anders zu sprechen haben. Da wird er sagen: Ich habe nicht nur meine niedere Natur und mein Ich, sondern ich habe eine höhere Natur, zu der ich hinaufschaue als zu etwas, was an mir ist wie jetzt meine Hüllen, die ich von früher habe. - Also der Mensch wird sich in der Zukunft sozusagen in den Mittelpunkt gestellt fühlen zwischen seine niedere und höhere Natur. Die niedere Natur kennt er schon jetzt, die höhere wird ihm ebenso in der Zukunft als über ihm stehend erscheinen, wie jetzt die niedere unter ihm stehend. So daß wir sagen können: Der Mensch wächst von seinem vierten zu seinem fünften, sechsten, siebenten Grundteil während der Erdenentwickelung heran. Aber dieser fünfte, sechste, siebente Grundteil wird während der eigentlichen Erdenentwickelung nicht sein unmittelbares Eigentum, sondern etwas, wozu er nach und nach erst hinaufreichen wird. So müssen wir uns die Sache eigentlich vergegenwärtigen.

Wir werderi eine Zeit zu durchleben haben, wo wir sagen: Ja, es

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war unsere Erdenmission, unser Ich auszubilden. Aber wie prophetisch vorausnehmend sehen wir etwas, was auf dem Jupiter an uns zur Entwickelung kommen soll. - Was wir nun während der Erdenentwickelung durchleben, daß wir sozusagen mit einer menschlichen Ich-Natur uns durchdringen, und ausbildeten während der verflossenen Erdenzeit bis in die Gegenwart herein die feinere Ausarbeitung der niederen Grundteile und ausarbeiten werden während der Zukunft die höheren Grundteile, was wir als Menschen also erleben auf der Erde, das haben uns vorangehende Wesenheiten, die wir bezeichnen als Engel oder Angeloi - Wesenheiten also, die uns vorangehen - vor- gelebt auf früheren planetarischen Verkörperungen. Aber auch die höheren Mitglieder der Hierarchie, Erzengel oder Archangeloi und Archai haben es auf früheren Verkörperungen unseres Erdenplaneten, auf Mond, Sonne, Saturn durchlebt. Für sie gab es auch dazumal eine Art viertes Glied, das sie zur Entwickelung gebracht haben. Und dann in der zweiten Häffte der entsprechenden planetarischen Verkörperungen haben sie vorausgenommen das, was in ihnen eigentlich zur vollen Entwickelung kommen soll auf der Erde, wie bei uns das Geistselbst auf dem Jupiter. Sie haben sich das dazumal nicht voll einverleibt als ihr Eigentum, sondern so, daß sie zu demselben hinauf- schauten.

Wenn wir zunächst zurückblicken zu der alten MondenentwickeIung, so haben wir während derselben von solchen Wesenheiten zu sprechen, die nun geradeso, wie wir Menschen während der Erdenentwickelung, dazumal hätten kommen sollen bis zu ihrem siebenten Grundteil, aber ebenso, wie wir Menschen auf der Erde bis zum siebenten Grundteil kommen, daß sie es nicht sich voll einverleiben, sondern zu ihm hinaufschauen. Wenn wir von den luziferischen Wesenheiten sprechen, so sprechen wir von solchen, die etwa während der alten Mondenentwickelung in der Lage geblieben sind, in der ein Mensch wäre, der während der Erdenentwickelung nicht zur vollen Ausbildung sein fünftes, sechstes, siebentes Gmndteil bringen würde, sondern es ablehnen würde, der vielleicht beim vierten schon stehen bliebe oder beim fünften und so weiter. Sie sind also nicht voll zur Entwickelung gekommen, diese Wesenheiten, die auf den mannig

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faltigsten Stufen von eben luziferischen Wesenheiten stehen. So daß wir sagen können: Herübergekommen sind von der alten Mondenentwickelung zur Erdenentwickelung die Menschen. Die Menschen sind herübergekommen so, daß sie von der alten Mondenentwickelung sich mitgebracht haben eine normale Entwickelung. Diejenigen Menschen, die zum Abschluß gekommen sind, haben sich mitgebracht eine normale Entwickelung: ihren physischen Leib, Äther- oder Lebensleib und astralischen Leib, und sollen auf der Erde so recht eigentlich das Ich entwickeln, in das sie dann das andere aufnehmen sollen. Andere Wesen> die höher stehen als der Mensch, sollten auf dem alten Mond schon ausbilden, was bei ihnen dem menschlichen Ich entspricht. Doch hätten sie dieses Ich des Mondes bei sich nur voll zur Entwickelung bringen können, wenn sie vorausgenommen hätten alles, was für sie nun fünftes, sechstes, siebentes Grundteil wäre, was sie als fünftes voll auf der Erde hätten entwickeln sollen. Bis zu ihrem siebenten Grundteil hätten sie kommen sollen. Aber diese luziferischen Wesenheiten sind eben nicht bis zu diesem siebenten Grundteil gekommen. Sie haben eben gerade noch den fünften oder sechsten entwickelt, sind also nicht stehen geblieben beim vierten als solchem, aber sie haben ihn nicht voll ausgebildet dadurch, daß sie nicht voraus- genommen haben den fünften, sechsten und siebenten Grundteil, sondern beim fünften oder sechsten stehen geblieben sind.

Da fassen wir zwei Klassen von diesen Mondwesen ins Auge. Solche zunächst, welche eben ihren fünften Grundteil noch zur Ausbildung gebracht haben, so wie wir Menschen werden würden, wenn wir in der sechsten rachailantischen Epoche das Geistselbst zur Ausbildung bringen und dann abschließen würden und nicht den sechsten und siebenten Grundteil ausbilden würden. Fassen wir diese eine Klasse ins Auge, die als luziferische Wesenheiten ihren fünften Grundteil zur Ausbildung gebracht hat, und fassen wir eine andere Klasse von Mondwesenheiten luziferischer Art ins Auge, welche ihren sechsten Grundteil ausgebildet hat, aber nicht ihren siebenten. Solche gab es während des Beginnes der Erdenentwickelung, wo der Mensch sich anschickte, sein Ich zur Ausbildung zu bringen. So daß wir fragen können: Was war in bezug auf diese Wesenheiten mit dem Beginn der

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Erdenentwickelung da? Es waren Wesenheiten da, welche gierig darauf warteten, während der Erdenentwickelung ihren sechsten Grundteil auszubilden, Wesenheiten also luziferischer Art, welche auf dem Monde nur bis zur Ausbildung ihres fünften Grundteiles gekommen waren und auf der Erde ihren sechsten Grundteil ausbilden wollten. Und es waren Wesenheiten der zweiten Klasse da, welche auf dem Monde schon ihren sechsten Grundteil ausgebildet hatten und auf der Erde ihren siebenten ausbilden wollten. Das erwarteten sie von der Erdenentwickelung. Dann kam der Mensch herüber mit drei Grundteilen, um seinen vierten auszubilden.

Also wir können unterscheiden den Menschen, wartend sein Ich auszubilden, dann die luziferischen Wesenheiten, welche ihren sechsten, und die luziferischenWeseniieiten, welche ihren siebenten Grundteil auszubilden warteten. Wir wollen von denjenigen, die ihren fünften ausbilden wollen, absehen; solche gab es auch.

Damit haben wir ins Auge gefaßt sozusagen drei Klassen von mikrokosmischen Wesenheiten der Erde, drei Klassen von Wesenheiten, die auf dem Schauplatz der Erdenentwickelung angekommen waren. Von den drei Klassen konnte aber nur eine Klasse sich auf der Erde einen physischen Leib erringen. Denn die Bedingungen, die die Erde hergibt für eine physisch-fleischliche Leibesentwickelung, die kann sie nur hergeben vermöge eben ihrer ganzen Erdenverhältnisse für ein viertes Menschengrundteil. Nur das, was auf der Erde als Wesen sein, viertes Grundteil als Ich ausbilden wollte, das konnte sich einen physischen Leib erringen. Die anderen Wesenheiten, die ein sechstes und siebentes Grundteil ausbilden wollten, die konnten sich keinen physischen Leib erringen. Denn es gibt keine Möglichkeit auf der Erde, die dahin hätte führen können für Wesenheiten, welche so ungeeignet für die Erdenentwickelung in diese Erdenentwickelung eingetreten waren, einen unrnittelbaren pöhysischen Menschenleib zu erringen. Die Möglichkeit, unmittelbar einen solchen physischen Leib zu erringen, gibt es nicht. Was mußten diese Wesenheiten tun? Das folgende mußten sie tun. Sie mußten sich Sagen: Ja, einen aus Fleisch und Knochen bestehenden physischen Menschenleib finden wir nicht unmittelbar, denn solche Leiber sind für die Menschen da, die ihr Ich entwickeln

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wollen. Wir also müssen zu einer Art von Surrogat von physischem Leib unsere Zuflucht nehmen, wir müssen Menschen aufsuchen, die zu den entwickeltsten gehören, die also, sagen wir, ihr viertes Grundteil entwickelt haben. In diese müssen wir hineinkriechen und in denen muß unsere Wesenheit so arbeiten, daß sie ihr sechstes oder siebentes Grundteil zur Ausbildung bringen könnte.

Das hatte zur Folge> daß unter den gewöhnlichen Menschen der alten Zeit solche auftauchten, welche von höheren Wesenheiten luziferischer Art - die natürlich höher standen als der Mensch, da sie ihr sechstes, siebentes Grundteil doch ausbilden sollten und der Mensch erst sein viertes -, welche von höheren luziferischen Wesenheiten besessen sein konnten. Solche höhere Wesenheiten luziferischer Art gingen also in Erdenmenschenleibern auf der Erde herum. Sie waren die Führer der Erdenmenschen, sie wußten, verstanden und konnten viel mehr als die anderen Menschen. Uns wird von diesen Wesenheiten in den alten Erzählungen und Legenden berichtet, so berichtet, daß wir von ihnen hören, sie waren da oder dort große Städtegründer, große Völkerführer und dergleichen. Das waren nicht bloß normale Menschen auf der Erde, sondern das waren Menschen, die von solch höheren Wesenheiten luziferischer Art besessen waren, im besten Sinne des Wortes besessen waren. Dann erst verstehen wir die menschliche Erdenentwickelung, wenn wir solches ins Auge fassen können.

Immer aber suchen namentlich die niedriger stehenden dieser Wesenheiten, weil sie ja selbst keinen Menschenleib erringen können, ihre Entwickelung in anderen Menschenleibern fortzusetzen. Und das ist eben das, was charakterisiert werden konnte. Luziferische Wesenheiten hatten immer die Sehnsucht, in anderen Menschen drinnen, in- dem sie sie von sich besessen machten - das tun sie heute noch - ihre Entwickelung in der geschilderten Art fortzusetzen. In der menschlichen Seele arbeitet eben Luzifer mit seinen Scharen. Wir sind der Schauplatz der luzffenös,chen Entwickelung. Während wir Menschen einfach den physischen Leib der Erde nehmen, um uns zu entwickeln, nehmen diese luziferischen Wesenheiten uns und entwickeln sich in uns. Und das ist eben die Versuchung der Menschen, daß in ihnen arbeiten die luziferischen Geister.

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Diese luziferischen Geister sind aber mittlerweile, geradeso wie die Menschen vorwärts gekommen sind, auch vorwärts gekommen. So daß gar mancher von diesen Geistern, der, sagen wir damals, als der Mensch eintrat in die atlantische Zeit, dastand an der Schwelle> um sein sechstes Grundteil zu entwickeln, jetzt so weit schon ist - die Entwickelung ist ja für ihn auf der Erde abnorm -, eben sein siebentes Grundteil zu entwickeln. Das macht er auf die Weise, daß er nun wiederum einen Menschen von sich besessen macht, um vielleicht nur mehrere Jahre von diesem Menschen das zu benutzen, was dieser Mensch erleben kann, um seinerseits wieder zur Entwickelung zu kommen. Das ist nichts Übles in der Menschennatur. Denn rnan kann dadurch, daß wir in unserer Zeit die Bewußtseinsseele zum Ausdruck bringen können, von einem luziferischen Geist besessen sein, der daran ist, sein siebentes Grundteil zu entwickeln. Was wird man da- durch, daß man von einem hohen luziferischen Geist besessen ist? Ein Genie!, das zwar - weil es als Mensch besessen ist und die eigentliche Menschennatur überstrahlt wird von dieser höheren Wesenheit - unpraktisch ist für die gewöhnlichen Verrichtungen, aber auf irgendeinem Gebiet bahnbrechend, tonangebend wirkt.

Man darf über den luzfferischen Geist nicht so sprechen, als ob er durchaus etwas Hassenswertes wäre, sondern er ist etwas - weil er sich stellvertretend im Menschen entwickelt wie ein Parasit -, was macht, daß der Mensch besessen von ihm ist und unter seinem Einfluß arbeitet als ein Mensch von Genie, als ein inspirierter Mensch. So sind die Iuziferischen Geister durchaus notwendig. Und die genialen Menschen der Erde sind diejenigen, in denen - zumeist ein paar Jahre hindurch - ganz arg die luziferische Wesenheit arbeitet. Wenn das nicht der Fall wäre, hätte nicht Edouard Schure` Luzifer als eine sympathische Wesenheit schildern können, denn Luzifer ist im wesentlichen beteiligt an den großen Kulturfortschritten der Erde, und es ist eine Engherzigkeit des traditionellen Christentums, in der luziferischen Wesenheit etwa nur den schiimmen Teufel zu sehen. Es bedeutet dieses nichts weiter als eine arge Philistrosität. «Natur ist Sünde, Geist ist Teufel; sie hegen zwischen sich den Zweifel, ihr mißgestaltet Zwitterkind», lesen wir im «Faust». Gewiß, es geziemt dem eng traditionell

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gestalteten Christentum, den Luzifer als Teufel anzusprechen und ihn zu hassen, aber der, welcher die Menschheitsentwickelung kennt, weiß, daß gerade in den Genies das luziferische Prinzip wirkt. Dem Geisteswissenschafter geziemt es, diesen Dingen unmittelbar ins Auge zu schauen. Und wir würden gar nicht Anleitung haben, selber zu unserem fünften, sechsten Prinzip aufzusteigen, wenn nicht diese Geister uns vorwärtsschieben würden. In der Tat sind es die luziferischen Geister, denen wir, weil sie ihre eigene Entwickelung dabei suchen, das Vorwärtsstoßen verdanken> so daß wir selber über unser Ich hinauswachsen können, wie ja die Menschen auch trivial sagen, daß Dichter und Genies und Künstler hinauswachsen über das eng- begrenzte menschliche Ich.

So schauen wir zu den luziferischen Geistern in einer gewissen Weise doch auf als zu einer Art von Führern der Menschen. Wir müssen uns frei von der Beengtheit machen, frei von allem orthodoxen Christentum, das Luzifer nur einen Teufel nennt, der ihm hassenswert ist. Wir müssen das Befreiende des luziferischen Prinzips, das auch von guten Göttern hereingestellt worden ist, als solches anerkennen, denn es treibt uns während der Erdenentwickelung über uns selbst hinaus, so daß wir prophetisch das vorausnehmen, was uns als unser Eigentum erst während des Jupiters und so weiter zukommen wird. Es findet also eigentlich auf der Erde ein gegenseitiges Beeinflussen von mikrokosmischen Wesenheiten statt, die beim Beginn der Erdenentwickelung da waren; ein solches gegenseitiges Beeinflussen, daß wir sagen kÖnnen: Die Menschen werden weitergeführt, während sie ihr eigenes Ich entwickeln> von solchen Wesenheiten, die höher sind als der Mensch, denn sie haben ihr fünftes Grundteil entwickelt und entwickeln sich zum sechsten oder sie entwickeln schon ihr siebentes Grundteil, während der Mensch erst an seinem vierten arbeitet.

Wir sehen also übermenschliche Wesenheiten in diesen luziferischen Wesenheiten, mikrokosmisch-übermenschliche Wesenheiten. Und jetzt sehen wir von diesen geistigen Wesenheiten, die wir als luziferische ansehen, ab> und gehen zur Natur des Christus.

Der Christus unterscheidet sich ganz radikal von anderen Wesenheiten, die an der Erdenentwickelung teilnehmen. Er ist ein Wesen

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einer ganz anderen Ordnung. Er ist ein Wesen, welches nicht nur während der Mondenentwickelung so zurückgeblieben ist wie die luzfferischen Geister, sondern welches, vorausschauend die Mondenentwickelung, eigentlich noch früher zurückgeblieben ist, schon wäh

rend der alten Sonnenentwickelung, und aus einer gewissen sicheren, weit übermenschlichen Weisheit während der alten Sonnenentwickelung zurückgeblieben ist. Diese Wesenheit dürfen wir nicht in dem Sinne wie die andern angeführten Wesenheiten als eine mikrokosmische ansehen, denn als mikrokosmische Wesenheit haben wir

anzusehen diejenigen, die vom Beginne der Erdenentwickelung mit dieser Erdenentwickelung verbunden waren. Der Christus war nicht unmittelbar mit der Erdenentwickelung verbunden, sondern mit der Sonnenentwickelung. Er war eine makrokosmische Wesenheit vom Beginn der Erdenentwickelung an, eine Wesenheit, welche also ganz anderen Entwickelungsbedingungen ausgesetzt ist als die mikrokosmischen Wesenheiten. Und seine Entwickelungsbedingungen waren eigener Art. Sie waren so, daß diese makrokosmische ChristusWesenheit außerhalb des Irdischen das makrokosmische vierte Prinzip, das makrokosmische Ich entwickelt hatte. Für seine, also für diese Christus-Entwickelung war es normal, außerhalb der Erde ein Ich makrokosmischer Art gerade bis zur Ich-Vollendung zu bringen und dann zur Erde niederzusteigen. Es war also für die Entwickelung der Christus-Wesenheit normal - als sie von dem Makrokosmos nieder- stieg auf unsere Erde -, hereinzubringen den großen Impuls vom makrokosmischen Ich, damit das mikrokosmische Ich, das MenschenIch, diesen Impuls aufnehme und weiterkommen könne in der Entwickelung. Normal war es für den Christus, nicht den mikrokosmischen Ich-Impuls, aber den makrokosmischen Ich-Impuls gerade so weit zu haben, wie der Mensch den mikrokosmischen auf der Erde

hatte. So ist das Christus-Wesen ein Wesen, das in einer gewissen Beziehung dem Menschen gleicht, nur daß der Mensch mikrokosmisch ist und seine vier Prinzipien mikrokosmisch zum Ausdruck gebracht hat, also auch sein Ich mikrokosmisch hat als Erden-Ich, der Christus aber als Welten-Ich. Aber so war bei ihm die Entwickelung vor sich gegangen, daß er eben gerade groß und bedeutend war durch

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die volle Entwickelung dieses Ich, das er herunterbrachte auf die Erde. Und er hatte nicht das fünfte makrokosmische und nicht das sechste makrokosmische Prinzip, denn die wird er entwickeln, damit er sie dem Menschen geben kann, auf Jupiter und Venus.

Der Christus ist also eine Wesenheit viergliedriger Natur - bis zu seinem makrokosmischen Ich -, wie der Mensch selber mikrokosmisch eine solche ist. Und wie der Mensch während der Erdenzeit die Mission hat, sein Ich auszubilden, um empfangen zu können, so hatte der Christus sein Ich auszubilden, um geben zu können. Als er herunter- stieg auf die Erde war er so, daß alles in seiner Wesenheit verwendet war, um in möglichst vollkommener Gestalt sein viertes Prinzip zum Ausdruck 'zu bringen. Nun hat ein jedes gleichzahlige Prinzip des Makrokosmos und des Mikrokosmos eine innige Verwandtschaft zum

entsprechenden anderen, das die gleiche ZaM hat. Das vierte makrokosmische Prinzip im Christus entspricht dem vierten mikrokosmischen im Menschen und das fünfte im Christus wird dem Geistselbst im Menschen entsprechen.

So trat der Christus seine Erdeniaufbahn an, indem er dem Menschen aus dem Makrokosmos dasjenige herunterbrachte, was der Mensch mikrokosmisch ausbilden sollte, nur brachte es der Christus als makrokosmisches Prinzip. Er trat so ein in die Erdenentwickelung, daß er während derselben ebensowenig ein fünftes, sechstes, siebentes Prinzip als Eigentum hatte, wie es der Mensch in seiner Art auch nicht hat.

Der Christus ist eine Wesenheit, die sich makrokosmisch bis zum vierten Prinzip ausgebildet hatte und die während des Erdendurch

gangs die Entwickelung ihres vierten Prinzips darin sehen wird, daß

sie alles hergibt, damit der Mensch sein Ich ausbilden kann.

Nehmen wir die ganze Sachlage, so haben wir im Beginn der Erdenentwickelung drei Klassen von Wesenheiten: Menschen, die ihr viertes Prinzip voll ausgebildet erhalten sollen auf der Erde, eine Klasse luziferischer Wesenheiten, die ihr sechstes, und eine Klasse luziferischer Wesenheiten, die ihr siebentes Prinzip ausbilden sollen, die also dadurch, daß sie das sechste und siebente Prinzip ausbilden sollen, höher stehen als der Mensch, die also in dieser Beziehung über den

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Menschen hinausragen. Aber sie ragen in dieser Beziehung auch über den Christus hinaus, denn der Christus soll gerade sein viertes Prinzip auf der Erde in Hingebung an die Menschen zum Ausdruck bringen. Der Christus wird es nicht sein, welcher, sagen wir, die Menschen anregen wird, in der Zukunft etwas anderes zum Ausdruck zu bringen als das eigentliche Ich, die innerste Menschenwesenheit, zu immer höherer und höherer Stufe. Die luziferischen Geister werden es sein, welche dann den Menschen über sich selbst hinausführen werden in einer gewissen Beziehung.

Wer die Dinge dann von außen anschaut, kann sagen: Ja, dann steht der Christus eigentlich niedriger als zum Beispiel die luziferischen Geister, denn der Christus kommt mit etwas auf die Erde, was ganz verwandt ist dem vierten Prinzip des Menschen. - Er ist gar nicht daraufhin veranlagt, den Menschen über sich hinauszuführen, sondern nur tiefer in das eigene Seelenwesen des Menschen hinein. Er ist daraufhin veranlagt, das eigene Seelenwesen des Menschen immer mehr und mehr zu sich selbst zu bringen. Die luziferischen Wesenheiten haben das vierte, fünfte, sechste Prinzip ausgebildet, stehen also in gewisser Weise höher als der Christus. Praktisch wird sich das in der Zukunft so ausleben, daß, durch die Aufnahme des ChristusPrinzipes in die Menschennatur herein, diese Natur immer mehr und mehr vertieft werden wird, diese Menschennatur immer mehr und mehr Licht und Liebe innerhalb der eigenen Wesenheit aufnehmen wird, daß die Menschennatur Licht und Liebe wird empfinden müssen wie etwas, was ihr ureigen ist. Die Verinnerlichung der Menschenseele in unendliche Tiefen hinein, das wird die Gabe des Christus

Impulses sein, der immer weiter und weiter wirken wird. Und wenn

der Christus kommen wird, wie es dargestellt worden ist in den verschiedenen Vorträgen, so wird er auch nur wirken als die Menschenseele vertiefend. Die andern Geister, die höhere Prinzipien haben als

der Christus, wenn auch nur mikrokosmischer Art, die werden in gewisser Weise den Menschen über sich hinausführen. Der Christus wird die Menschen verinnerlichen, aber auch demütig machen; die luziferischen Geister werden den Menschen über sich hinausführen, klug, gescheit, genial machen, aber in gewisser Weise ihn auch hochmütig

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machen, ihm beibringen, daß er etwas Übermenschliches werden könnte schon während der Erdenentwickelung. Alles das daher, was in der Zukunft den Menschen zu etwas führen wird, wodurch er gleichsam über sich hinausragen wird, was ihn stolz machen wird auf seine eigene menschliche Natur schon hier auf der Erde, das wird demnach luzfferischer Einschlag sein. Was aber den Menschen vertiefen wird, was den Menschen in bezug auf sein Innenleben zu solchen Tiefen führen wird, als er nur kommen kann gerade zur vollen Ausbildung des vierten Prinzips, das wird von Christus herrühren.

Menschen, welche die Sache äußerlich anschauen, werden sagen: Der Christus steht eigentlich niedriger als die luziferischen Wesenheiten, denn er bringt nur das vierte Prinzip zur Ausbildung, die anderen aber die höheren Prinzipien. Der Unterschied ist nur der, daß diese anderen Wesenheiten die höheren Prinzipien wie etwas Parasitisches auf die Menscherinatur daraufgepfropft bringen, der Christus aber das vierte Prinzip so bringt, daß die Menschennatur voll durchsetzt und durchdrungen und durchkraftet wird von diesem Prinzip. Wie der fleischliche Leib des Jesus von Nazareth einmal durchsetzt und durchdrungen und durchkraftet war vom vierten makrokosmischen Prinzip, so werden vom vierten makrokosmischen Prinzip die Leiber derer durchsetzt sein, die den Christus in sich aufnehmen. So wie das vierte makrokosmische Prinzip die Gabe des Christus ist, so werden das sechste, siebente Prinzip die Gaben der luziferischen Geister sein. So daß wir es in der Zukunft werden erleben können - und die Zeiten bereiten sich schon vor -, wo unverständige Menschen werden sagen: Ja, derChristus, der ist eigentlich, wenn wir dieEvangelien durchnehmen oder sonst dasjenige auf uns wirken lassen, was er der Menschheit gegeben hat, in bezug auf seine Lehre, auf das, was von ihrn als Lehre ausfließt, gar nicht auf jener Höhe, auf der vielleicht andere geistige Wesenheiten, die mit dem Menschen in Beziehung sind, stehen. Die ragen über den Menschen in gewisser Weise hinaus, sie können nicht den ganzen Menschen durchsetzen, aber sie durchsetzen seinen Verstand, seine Genialität! - Und der äußerlich Betrachtende sagt: Diese Wesenheiten stehen eigentlich höher als der Christus.

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Es wird eine Zeit kommen, wo man die Sache so auffassen wird, daß man den mächtigsten, den bedeutendsten dieser luziferischen Geister, der sozusagen die Menschen über sich selbst hinausführen wird wollen, auf den Schild erheben und für einen großen Menschenführer ansehen wird. Sprechen wird man: Ach, dasjenige, was der Christus hat geben können, war im Grunde genommen nur ein Durchgangspunkt! Jetzt schon gibt es Menschen, die so reden: Ach was sind eigentlich die Lehren der Evangelien! Wir sind schon über sie hinausgewachsen. - Wie gesagt, einen umfassenden, genialen Geist, einen hervorragenden Geist wird man aufzeigen, der Besitz ergreifen wird von einer menschlichen fleischlichen Natur, die er durchsetzt mit seiner Genialität. Man wird sagen: Der übertrifft ja den Christus, denn der Christus war im Grunde genommen nichts als der, welcher Gelegenheit gegeben hat, das vierte Prinzip auszubilden; jener aber gibt Gelegenheit, es während der Erdenentwickelung bis zum siebenten Prinzip zu bringen!

So werden der Christus-Geist und der Geist dieser Wesenheit einander gegenüberstehen: der Christus-Geist, von dem die Menschen werden hoffen können, den mächtigen makrokosmischen Impuls ihres vierten Prinzipes zu erhalten, und der luziferische Geist, der in einer gewissen Beziehung sie darüber hinausführen wird wollen.

Wenn die Menschen dabei bleiben und sich sagen können: Wir müssen von den luziferischen Geistern nur dasjenige erlangen, zu dem wir so hinaufblicken, wie wir zu unserer niederen Natur hinunter- blicken, - so würden die Menschen recht tun. Indem aber die Menschen dazu kommen werden zu sagen: Seht, der Christus gibt nur das vierte Prinzip, da sind aber die Geister> die das sechste und siebente geben - da werden die Menschen, die dem Christus gegenüber so denken, anbeten und auf den Schild heben den Antichrist.

So wird sich die Stellung des Antichrist zum Christus in der Zukunft geltend machen. Und mit dem äußeren Verstand, mit der äußeren Genialität wird man nichts gegen solche Dinge einwenden können, denn man wird vieles aufweisen können, was im Sinne von Vernunft und Genialität gescheiter sein wird beim Antichrist als das, was als tiefstes menschliches Prinzip von dem Christus immer mehr und mehr

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in die Seele einfließen wird. Weil der Christus den Menschen das vierte, makrokosmische Prinzip bringt, das, da es makrokosmisch ist doch unendlich wichtiger ist als alle mikrokosmischen Prinzipien - es ist stärker als sie, wenn es auch verwandt ist dem menschlichen Ich, stärker als alle anderen, die während der Erdenentwickelung erlangt werden können -, so wird man, weil es eben nur das vierte Prinzip ist, sagen, es sei niedriger als das fünfte, sechste, siebente, welche von den luziferischen Geistern kommen, es sei insbesondere niedriger als das, was vom Antichrist kommt.

Es ist wichtig, daß auf dem Boden der Geisteswissenschaft ein- gesehen werde, daß es sO ist. Sagt man doch jetzt schon anläßlich der kopernikanischen Lehre> die sozusagen die Erde in Bewegung gebracht hat, die Erde dem Stillstand entrissen hat, in welchen man sie früher versetzt hatte, die sie um die Sonne herumgeführt und gezeigt hat, wie die Erde ein Staubkorn im Weltall ist: Ja, wie kann daneben die christliche Idee bestehen! - Man konstrniert einen Widerspmch zwischen der christlichen Idee und dieser Naturwissenschaft, indem man sagt: In älteren Zeiten, da konnten ja die Menschen zu dem Kreuz auf Golgatha und zum Christus aufschauen, denn da kam ihnen die Erde vor wie der auserlesene Platz im Weltenall, und die andern Weltenkörper kamen ihnen klein und der Erde wegen eigentlich daseiend vor. Da erschien - so könnte man sagen - die Erde dem Men-` schen würdig, das Kreuz von Golgatha zu tragen! Als aber die kopernikanische Lehre die Geister ergriff, fingen die Menschen an zu spotten und meinten: Da die anderen Weltenkörper zum mindesten dieselbe Bedeutung haben wie die Erde, so müßte der Christus von Weltenkörper zu Weltenkötper gewandelt sein. Da nun aber die anderen Weltenkörper viel größer sind als die Erde, so wäre es eigentlich sonderbar, daß auf der kleinen Erde der Gottmensch das Erlösungswerk vollbracht hätte! - So sprach wirklich ein nordischer Gelehrter. Er meinte: So wie wenn man ein mächtiges Drama, statt es auf einer großen Residenzbühne aufzuführen, auf einer kleinen Vorstadtbühne oder in einem Dorftheater aufführen wollte, so käme ihm das Christus-Drama vor. Er sagte: Es ist doch widersinnig, daß das größte Drama der Welt nicht aufgeführt werden sollte auf einem

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großen Weltenkörper. Es ist das gerade, wie wenn man ein mächtiges Stück nicht auf einem glänzenden Theater, sondern auf einem elenden Dorftheater aufführen wollte!

Eine solche Rede ist nun ganz sonderbar, und man kann erwidern: Die christliche Legende hat dafür gesorgt, daß man etwas so Törichtes eigentlich nicht sollte sagen können, denn sie hat ja nicht einmal dieses Mysterium auf einen glänzenden Platz der Erde verlegt, sondern auch noch in einen armen Hirtenstall. Damit ist ja eigentlich schon bekundet, daß man einen solchen Einwand nicht machen sollte, wie ihn der nordische Gelehrte gemacht hat. Die Menschen bedenken nur immer nicht> wie inkonsequent sie mit ihren besonders klugen Gedanken sind. Die Idee verfängt nicht gegenüber der einfachen großen Wahrheit, die schon in der christlichen Legende gegeben ist. Und wenn diese christliche Legende nicht auf der Erde an einen glänzenden, hervorragenden Residenzpunkt> sondern in den armen Hirtenstall die Geburt des Jesus verlegt, so erscheint es nicht widersinnig, daß den größten Weltenkörpern gegenüber die Erde als der Platz auserlesen worden ist, welcher das Kreuz trug. Überhaupt ist in der ganzen Art und Weise, wie die christliche Lehre in ihrer Art dasjenige gibt, was der Christus der Menschheit zu bringen hatte, eine Andeutung schon jener großen Lehren, die uns heute die Geisteswissenschaft wiederum geben soll. Lassen wir die Evangelien auf uns wirken: Wir können die tiefsten geisteswissenschaftlichen Wahrheiten finden, wie wir das oftmals gesehen haben. Aber wie sind in den Evangelien diese großen Weistümer enthalten? Ja, ich möchte sagen: Wenn diejenigen Menschen, die nicht einen Funken des Christus-Impulses in sich haben, sich aufschwingen sollen zu einem Verständnis dessen, was in den Evangelien steht, dann müssen sie förmlich ihr Gehirn zermartern, es muß eine gewisse Genialität sogar entwickelt werden. Daß das normale menschliche Bewußtsein nicht hinreicht, das kann man daraus entnehmen, daß so wenige Menschen die geisteswissenschaftliche Interpretation der Evangelien auch nur im geringsten verstehen. Man kann also mit Iuziferischen Kräften, mit der Ausbildung von Genialität die Evangelien nur rein äußerlich verstehen. Aber so wie sie gegeben sind, wie treten uns da ihre Wahrheiten entgegen? So treten sie

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uns entgegen, wie wenn sie unmittelbar, wie das reifste Gut, hervor- quellen würden aus dem, was wir die Wesenheit Christi nennen - ohne Mühe, ohne irgendeine Anstrengung - und so zu den Herzen sprechen, die sich durchdringen lassen vom Christus-Impuls, daß sie unmittelbar in Einheit die Seele durchleuchten und durchwärmen.

Die Art und Weise, wie die größten Weistümer da an den Menschen herantreten, ist das Gegenteil von der Art und Weise, wie auf die Klugheit gewirkt wird. Sie ist so, daß gerechnet wird damit, daß in jener unmittelbaren, ursprünglichen, elementaren Art aus dem vierten makrokosmischen Prinzip in dem Christus Jesus wie fertig hervorsprudeln diese Wahrheiten, daß sie unmittelbar auf die Menschen übergehen. Ja, es ist sogar dafür gesorgt, daß die Gescheitheit der Menschen, die Klugheit alles Luziferischen in der Menschheitsentwickelung, viel herumdeuteln wird an diesen Christus-Worten und sich nach und nach erst durchringen wird zu ihrer Einfachheit und Grandiosität, zu ihrem elementaren Charakter. Und so wie zu den Christus- Worten, so auch zu den Christus-Tatsachen.

Wenn wir eine solche Tatsache, wie es, sagen wir die Auferstehung als Tatsache ist, mit den Mitteln darstellen, die uns die Geisteswissenschaft an die Hand gibt, welch eigentümlicher Tatsache stehen wir da gegenüber? Ein sehr bedeutender deutscher Theosoph hat schon in den zwanziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts gesagt, man könne es sehen, wie immer mehr und mehr die Menschenvernunft mit dem luzfferischen Prinzip durchsetzt wird. Troxler ist es gewesen. Er hat gesagt: ganz luzii`erisch sei die menschliche Vernunft in alle dem, was sie begreifen will. - Es ist im allgemeinen schwer, gerade auf die tieferen theosophischen Weistümer hinzuweisen. Diejenigen von Ihnen, die in Prag bei meinem Zyklus dagewesen sind, werden sich erinnern, daß ich damals auf Troxler hingewiesen habe, um zu zeigen, wie in ihm schon vorhanden war, was jetzt gelehrt werden kann über den menschlichen Ätherkörper oder Lebensleib. Er hat den Ausspruch getan, daß die menschliche Vernunft durchsetzt ist von den luziferischen Kräften.

Wenn wir heute, abgesehen von den luziferischen Kräften, aus den guten theosophischen Kräften heraus die Auferstehung begreifen wollen,

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so müssen wir darauf hinweisen, daß mit der Johannestaufe im Jordan etwas Bedeutsames geschehen ist, daß da die drei Leiber des Lukas-Jesusknaben durchsetzt wurden von der makrokosmischen Christus-Wesenheit, die dann drei Jahre auf der Erde gelebt hat, dann durch das Mysterium von Golgatha gegangen sind mit dieser ChristusWesenheit. Diese Entwickelung des Christus Jesus war natürlich anders während der drei Jahre, als die eines andern Menschen. Wie war sie, so daß wir mit den geisteswissenschaftlichen Prinzipien, wenn wir ins Fundamentale gehen> begreifen können, wie die Auferstehung eigentlich war?

Da stand am Jordan Jesus von Nazareth. Sein Ich trennte sich von dem physischen Leib, Äther- oder Lebensleib und astralischen Leib, und die makrokosmische Christus-Wesenheit senkte sich nieder, nahm Besitz von diesen drei Leibern und lebte dann bis zum 3. April des Jahres 33 - wie wir feststellen konnten. Aber es war das ein anderes Leben. Denn schon von der Taufe angefangen, war dieses Leben des Christus in dem Leib des Jesus von Nazareth ein langsamer Prozeß des Sterbens. Mit jedem vorrückenden Zeitabschnitt in dem Leben dieser drei Jahre starb sozusagen etwas von den Hüllen in dem Jesus von Nazareth dahin. Langsam starben diese Hüllen ab, so daß nach drei Jahren der ganze Leib des Jesus von Nazareth etwas war, das an der Grenze schon stand, Leichnam zu sein und nur eben zusammengehalten wurde von der Macht der makrokosmischen Christus-Wesenheit. Sie dürfen sich nicht vorstellen, daß dieser Leib, in dem der Christus wohnte, sagen wir anderthalb Jahre nach der Johannestaufe im Jordan> so war wie ein anderer Leib, sondern so, daß eine gewöhnliche Menschenseele ihn sofort hätte von sich fallen fühlen, weil er nur zusammengehalten werden konnte von der mächtigen makrokosmischen Christus-Wesenheit. Es war ein fortwährendes, langsames, durch drei Jahre dauerndes Dahinsterben. Und an der Grenze des Auseinanderfallens war dieser Leib angekommen, als das Mysterium von Golgatha eintrat. Dann war nur noch notwendig, daß diejenigen Männer, von denen uns erzähit wird, herankamen an diesen Leib mit ihren sonderbaren Dingen, die Spezereien genannt werden, und eine chemische Verbindung herstellten zwischen diesen eigentümlichen Stoffen

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und dem Leib des Jesus von Nazareth, in dem die makrokosmische Christus-Wesenheit drei Jahre gewohnt hatte, und ihn dann ins Grab senkten. Da brauchte es nur ein ganz Weniges, daß dieser Leib zu Staub zerfiel im Grabe, und daß der Christus-Geist sich um- kleidete mit einem, man kann sagen, bis zur physischen Sichtbarkeit sich verdichtenden Ätherleib. So daß der auferstandene Christus umhüllt war mit einem bis zur physischen Sichtbarkeit verdichteten Ätherleib. So ging er herum und erschien denen, denen er erscheinen konnte. Er war nicht für alle sichtbar, weil es eigentlich nur ein verdichteter Ätherleib war, den der Christus nach der Auferstehung trug. Aber das, was ins Grab gelegt worden war, das zerfiel zu Staub. Und nach den neuesten okkulten Forschungen stellte sich in der Tat das ein, daß ein Erdbeben stattfand. Es war mir frappierend, nachdem ich aus okkulten Forschungen heraus gefunden hatte, daß ein Erdbeben stattgefunden hatte, im Matthäus-Evangelium dieses angedeutet zu finden. Es spaltete sich die Erde, der Staub des Leichnams fiel hinein und verband sich mit der ganzen Substanz der Erde. Durch das Durcheinanderrütteln infolge des Erdbebens wurden die Tücher so gerüttelt, wie man sie dort nach der Beschreibung des JohannesEvangeliums beschrieben findet. Es ist das im Johannes-Evangelium wunderbar geschildert.

So haben wir okkult die Auferstehung zu begreifen und brauchen gar nicht in Widerspruch zu kommen mit den Evangelien. Denn ich habe schon oft darauf aufmerksam gemacht, daß Maria von Magdala den Christus nicht erkannte, als er ihr begegnete. Wo würde sich denn einer jemanden, den er vor ein paar Tagen noch gesehen hat - besonders wenn dies eine solche wichtige Persönlichkeit ist, wie es der Christus Jesus war - nicht getrauen wieder zu erkennen? Wenn erzählt wird, daß Maria von Magdala ihn nicht erkannte, so mußte er ihr in einer anderen Gestalt entgegengetreten sein. Sie erkennt ihn erst, als sie sozusagen ihn sprechen hört. Da wird sie aufmerksam.

Und alle Einzelheiten in den Evangelien sind uns okkult ganz begreiflich.

Aber es könnte jemand sagen: Thomas wurde von dem Auferstandenen, der den Jüngern erschien, aufgefordert, mit seinen Händen in

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die Wundmale zu greifen. Da müßte man voraussetzen, daß diese noch dagewesen wären, daß Christus mit demselben Leib, der sich in Staub aufgelöst hat, zu den Jüngern gekommen wäre. Nein! Denken Sie sich, es hat jemand ein Wundmal: da zieht sich der Ätherleib besonders zusammen, bekommt eine Art Narbe. Und in dem besonders zusammengezogenen Ätherleib, dem entnommen sind die Bestandteile zu dem neuen Ätherleib, mit dem sich die Christus-Wesenheit umkleidete, da waren zur Sichtbarkeit gebracht diese Wundmale, waren besonders dichte Stellen, so daß auch der Thomas fühlen konnte, daß eine Realität da ist.

Gerade diese Stelle ist im okkultistischen Sinn eine wunderbare Stelle. Dies widerspricht durchaus auch nicht dem, daß wir es mit einem durch die Christus-Kraft bis zur Sichtbarkeit verdichtetenÄtherleib zu tun haben und daß dann auch die Emmaus-Szene eintreten kann. Wir finden sie im Evangelium so geschildert, daß nicht eine gewöhnliche Nahrungsaufnahme stattfindet, sondern eine Auflösung des Genossenen unmittelbar durch den Ätherleib, durch die Kräfte des Christus, ohne Mitwirkung des physischen Leibes.

Alle diese Dinge können aus okkulten Grundsätzen heraus auf dem Boden der Geisteswissenschaft heute verstanden werden. Die Evangelien können in gewisser Weise wörtlich - abgesehen von den in schlechter Übersetzung überlieferten Stellen -, wörtlich verstanden werden. Alles einzelne erklärt sich auf wunderbare Weise, und wer diese Dinge eingesehen hat, der sagt sich, wenn er einen Widerspruch bemerkt: Da bin ich noch zu dumm! - Er fühlt sich nicht so gescheit wie die modernen Theologen, welche sagen: Wir können die Auferstehung nicht so fassen> wie sie in den Evangelien geschildert ist! - Wir aber können sie gerade so fassen, wenn wir die Dinge aus den Fundamenten heraus begreifen.

Alles das> was jetzt ausgesprochen worden ist, wie wirkt es denn auf die menschliche Vernunft? Nun, eben so, daß die Leute sagen: Wenn ich die Auferstehung glauben soll, dann muß ich einen Strich machen durch das, was ich mir bisher durch meine Vernunft errungen habe. Das kann ich nicht. Deshalb muß die Auferstehung gelöscht werden. - Die Vernunft, die so spricht, ist eben die luzfferisch durchsetzte

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Vernunft, welche nicht diese Dinge begreifen kann. Diese wird immer mehr und mehr dazu kommen, abzulehnen die großen elementar wirkenden Reden und Tatsachen, die sich vordem zugetragen haben und um das Mysterium von Golgatha hernm. Aber die Geistes- wissenschaft wird dazu berufen sein, bis ins einzelnste hinein diese Dinge zu begreifen. Sie wird nicht ablehnen das, was als fünftes, sechstes, siebentes Prinzip hinausgehen kann über das vierte makrokosmische Prinzip. Dennoch wird sie in dem vierten makrokosmischen Prinzip den größten Impuls sehen, der der Erdenentwickelung gegeben worden ist.

Daraus aber sehen Sie, daß es in gewisser Weise nicht so ganz leicht ist, die Christus-Entwickelung innerhalb der Erde zu verstehen, weil ja der Einwand in gewisser Art berechtigt ist, daß besondere Geister, luziferische Geister> zu anderen, aber nur mikrokosriiischen Prinzipien hinaufführen. Ich habe das früher so ausgedrückt, daß ich sagte: Der Christus ist wie eine Art Mittelpunkt, wo das Wesen wirkt durch seine Tat, das Wesen wirkt durch das, was es ist. Ringsherum um den Christus sitzen die zwölf Bodhisattvas der Welt, auf die überstrahlt, was vom Christus ausgeht und die es zunächst im Sinne der Weisheitsverarbeitung zu höheren Prinzipien erheben. Aber es strahlt alles von dem vierten Prinzip aus auch auf die höheren Prinzipien, insofern diese auf der Erde zur Entwickelung kommen. Dadurch wird in bezug auf die Einzigartigkeit des Christus viel Irrtum hervorgemfen, daß man sich nicht klar ist darüber, wie man es zwar mit dem vierten, aber mit dem vierten rnakrokosmischen Prinzip im Christus zu tun hat, und

wenn auch höhere Pririzipien entwickelt werden~können, diese eben nur mikrokosmische Prinzipien sind von Wesenheiten, die auf dem alten Monde nicht zur vollen Entwickelung gekommen sind, die aber in ihrer Art über die Menschen hinaus sind, die, weil sie schon auf der Mondenentwickelung zur Entfaltung gekommen sind, ihrerseits auf dem Monde das entwickelt haben, was die Menschen auf der Erde erst entwickeln müssen.

Zu solchen Dingen, wie sie jetzt auseinandergesetzt worden sind, müssen wir uns auch erheben, wenn wir die richtige Stellung des Christus-Prinzips innerhalb unserer Erdenentwickelung einsehen wolIen,

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wenn wir uns klar werden wollen, warum in der Zukunft der Antichrist höher gestellt werden wird in vieler Beziehung als der Christus selber. Man wird den Antichrist vielleicht gescheiter finden, genialer finden als den Christus. Er wird einen mächtigen Anhang erringen. Aber die Geisteswissenschafter sollen sich dazu vorbereiten, nicht durch das, was jetzt charakterisiert worden ist, sich täuschen zu lassen. Es wird vor allen Dingen ein fest Gegründetsein in den guten geisteswissenschaftlichen Prinzipien notwendig sein, um sich nicht täuschen zu lassen auf diesem Gebiete. Es war vor allen Dingen die Aufgabe und Mission derjenigen Esoterik, die sich seit dem dreizehnten Jahrhundert im Abendland entwickelt hat und über die mancherlei gesagt worden ist: klar dasjenige herauszuarbeiten, was über die Natur des Christus in dieser Beziehung zu sagen ist. So daß derjenige, der auf dem Boden dieser Esoterik feststeht, klar und immer klarer erkennen wird, welche Mittelpunktsstellung der Christus innerhalb der Erdenentwickelung einnimmt. Und man wird schon dazu kommen - gegenüber allen sogenannten Wiederverkörperungen des Christus auf unserer Erde - geltend zu machen das ganz Einfache: Geradeso wie ein Waagebalken nur an einem Punkt unterstützt sein muß und nicht an zweien oder mehreren, so muß die Erdenentwickelung einen Grundimpuls haben. Und derjenige, welcher mehrere Verkörperungen des Christus annimmt, der macht denselben Fehler wie der, welcher meint, damit ein Waagebalken ja recht gut funktioniert, muß er an zwei Stellen unterstützt sein. Wenn dies geschieht, dann ist es eben keiner mehr. Und dasjenige, was in mehreren Inkarnationen über die Erde ginge, wäre kein Christus mehr. Das ist das, was jeder geschulte Okkultist gegenüber der Christus-Natur geltend machen wird. Mit einem einfachen Vergleich wird auf das Einzigartige der Christus-Natur immer hingewiesen. Da stehen in vollem Einklang Evangelium und Geisteswissenschaft.

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DIE MORGENRÖTE DES NEUEREN OKKULTISMUS Kassel, 27. Januar 1912 Erster Vortrag

Es wird heute meine Aufgabe sein, eine zunächst rein geschichtliche Betrachtung zu geben, weicher dann übermorgen folgen soll, was uns tiefer einführen kann in die Impulse rosenkreuzerischen Denkens, Wollens und Handelns. Dem Rosenkreuzertum von heute Verständnis entgegenbringen kann man nur, wenn man sich in die Seele schreibt, es sei das Rosenkreuzertum nicht etwas, was eine geschichtliche Norm ein für allemal hat, sondern eigentlich etwas anderes ist in jedem Jahrhundert. Das ist deshalb so, weil es stets sich den Verhältnissen der Gegenwart anpassen muß. Darüber sind wir uns ja klar, daß die eigentlichen Grnndimpulse der Geisteswissenschaft sich immer mehr einleben müssen in die Kultur der Gegenwart, aber daß dies in der abendländischen Kultur, in der wir stehen, schwer ist. Nicht von heute auf morgen ist es möglich, ein anderer Mensch zu werden durch die Geisteswissenschaft, weil wir hineingeboren sind durch unser Karma in die abendländische Kultur. Wir haben es nicht so leicht wie die Vertreter irgendwelcher Menschenzusammenhänge, die von Rassen- oder religiösen Voraussetzungen ausgehen können. Denn das muß ja unser Grundprinzip sein, daß wir nicht etwa auf dem Boden eines religiösen Bekenntnisses stehen, sondern wir sehen in den verschiedenen religiösen Systemen Ausgestaltungen des einen spirituellen Lebens. Diesen spirituellen Wahrheitskern in allen religiösen Weltanschauungen soll die Geisteswissenschaft aufsuchen. Es ist selbstverständlich, daß der Anthroposoph als abendländischer Mensch leicht mißverstanden werden kann, und dies am meisten von den verschiedenen religiösen Bekenntnissen und Weltanschauungen, die wir um uns herum vorhanden sehen.

Wenn wir richtig begreifen, was wir als Geisteswissenschafter sein wollen, dann müssen wir auf einem Boden feststehen: auf dem Boden des geschichtlichen Werdens. Wir müsson begreifen, daß Geisteswissenschaft ein Ereignis innerhalb der geschichtlichen Entwickelung

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ist. Jeder der Hiersitzenden ist verkörpert gewesen in jeder Kulturperiode, und zwar wiederholt verkörpert in jeder einzelnen Kulturperiode. Welches ist nun aber der Sinn dieser Verkörperungen? Warum muß der Mensch alle diese verschiedenen Schulungen durch sein Leben in den verschiedenen Kulturentwickelungen erfahren? Diese Frage hat L,esi`ing zu seinem Bekenntnisse der Reinkarnationsidee geführt. Lessing sagte sich: Die Menschen sind früher durch alle möglichen Kulturperioden hindurchgegangen, und sie müssen wiederkehren, um Neues zu lernen und das Alte mit dem Neuen zu verbinden. So etwa dachte Lessing: Es muß einen Sinn haben, daß wir durch die verschiedenen Inkarnationen gehen. Und dieser Sinn liegt eben darin, daß der Mensch in jeder neuen Inkarnation Neues zu dem Alten hinzuerlebt.

Es ist ja schon oft hingewiesen worden darauf, daß die aufeinander- folgenden Epochen ganz verschieden voneinander waren. Heute soll nun genauer auf einen außerordentlich wichtigen Zeitpunkt hingewiesen werden, auf das dreizehnte Jahrhundert. Man kann sagen, daß die zu jener Zeit inkarnierten Menschen etwas ganz Besonderes erlebten, etwas, was die zu andern Zeiten verkörperten Menschen nicht haben erleben können. Und was ich jetzt sagen werde, das sage ich in einem Sinne mit allen denen> die ein gewissermaßen erhöhtes geistiges Leben haben durchmachen dürfen und die heute wieder inkarniert sind. Die wissen das alle.

Im dreizehnten Jahrhundert war für alle Menschen eine geistige Finsternis, selbst für die erleuchtetsten Geister, auch für die Eingeweihten. Alles, was damals im dreizehnten Jahrhundert gewußt wurde von geistigen Welten, das wußte man durch Überlieferung oder von schon früher Eingeweihten, die ihre Erinnerung an das, was sie damals erlebt hatten, weckten. Aber für eine kurze Zeit konnten auch diese Geister nicht unmittelbar hineinblicken in die geistige Welt. Diese kurze Zeit der Verfinsterung mußte damals sein, um das Charakteristische unseres jetzigen Zeitalters vorzubereiten: die heutige intellektuelle, verstandesmäßige Kultur. Das ist das Wichtige, daß wir das heute in der fünften nachatlantischen Kulturperiode haben. Das war nicht so in der griechischen Kulturperiode. Da war an Stelle

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des jetzigen verstandesmäßigen Denkens die unmittelbare Anschauung das Dominierende. Der Mensch wuchs sozusagen zusammen mit dem, was er sah und hörte, ja, auch mit dem was er dachte, wuchs der Mensch damals zusammen. Damals wurde nicht so viel spintisiert, wie es heute geschieht und geschehen muß, denn das ist die Aufgabe der fünften nachatlantischen Kulturperiode.

Darnals, im dreizehnten Jahrhundert, mußten ganz besonders geeignete Persönlichkeiten für die Einweihung ausgewählt werden, und diese Einweihung selbst konnte erst geschehen nach Ablauf jener kurzen Zeit der Verflnsterung. Es ist heute noch nicht möglich, den Ort in Europa zu nennen, wo das geschehen ist, was ich jetzt sagen werde. Aber es wird in nicht ferner Zeit auch dieses geschehen können.

Heute nun soll gesprochen werden über die Morgenröte des neueren Okkultismus. Es handelt sich darum, daß in jener verflnsterten Zeit zwölf Menschen lebten, zwölf hervorragende Geister, die sich vereinigten, um den Menschheitsfortschritt zu fördern. Sie konnten alle nicht unmiftelbar hineinschauen in die geistige Welt, aber sie konnten rege machen in sich die Erinnerung an das, was sie durch frühere Ein- weihung erlebt hatten. Und das Menschheitskarma hat es So gefügt, daß in sieben dieser zwölf Menschen verkörpert war, was den Menschen geblieben war an Resten der alten atlantischen Kultur. In meiner «Geheimwissenschaft» ist es ja schon gesagt, daß in den sieben weisen Lehrern des uralt heiligen Indiens hinübergetragen wurde das, was von der atlantischen Epoche übriggeblieben war. Die sieben Männer, die im dreizehnten Jahrhundert wieder inkarniert waren, die einen Teil der zwölf bildeten, das waren eben diejenigen, die zurückblicken konnten auf die sieben Strömungen der alten atlantischen Kultur und auf das, was als diese sieben Strömungen weiter fortlebte. Von diesen sieben Individualitäten konnte jeder immer nur eine der Strömungen fruchtbar machen für die damalige und die heutige Zeit. Zu diesen Sieben kamen vier andere, die nicht auf längst verflossene Urzeiten zurückblicken konnten wie die erstgenannten sieben Weisen, sondern diese vier Persönlichkeiten konnten zurückblicken auf das, was die Menschheit sich angeeignet hatte von okkulten Wahrheiten in den

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vier nachatlantischen Kulturperioden. Es konnte der erste auf die urindische Zeit zurückblicken, der zweite auf die urpersische, der dritte auf die ägyptisch-chaldäisch-babylonisch-assyrische und der vierte auf die griechisch-lateinische Zeit. Diese vier vereinigten sich mit den sieben zu dem Kollegium der weisen Männer im dreizehnten Jahrhundert. Der Zwölfte hatte gewissermaßen am wenigsten von Erinnerungen, er war der intellektuellste, der besonders die äußeren Wissenschaften zu pflegen hatte. Diese zwölf Individualitäten lebten ja nicht nur weiter in den Erlebnissen des abendländischen Okkultismus, sondern konnten auch sich inkorporieren in Persönlichkeiten, die vom Okkultismus etwas wußten. Eine ganz besondere Art, darauf hinzuweisen, finden wir bei Goethe in seinem Gedicht «Die Geheimnisse».

Also von zwölf hervorragenden Individualitäten haben wir zu sprechen, und zu diesen kam ein Dreizehnter, der nach der Epoche der Verfinsterung ausgewählt werden sollte> um die in der abendländischen Kultur notwendige Einweihung zu erlangen. Die Umstände sind geheimnisvoll, und ich kann Ihnen das Folgende natürlich nur erzählen, doch für mich ist alles vollkommen objektive Wahrheit. Aber prüfen können Sie es, wenn Sie alles zusammennehmen, was schon von der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft gesagt worden ist im Laufe der letzten Jahre, und dazu das nehmen, was Sie aus der äußeren Geschichte seit dem dreizehnten Jahrhundert wissen.

Es war nämlich dem Kollegium der zwölf weisen Männer bekannt, daß in dieser Epoche geboren werden sollte ein Kind, das zur Zeit des Christus-Ereignisses in Palästina gelebt hatte und das bei dem Mysterium von Golgatha dabei war. Diese Individualität besaß eine ausgeprägte Herzensbildung> ja, eine ganz besonders intime Liebebildung, die sie sich in entsprechenden Verhältnissen seitdem hatte erwerben können. Eine außerordentlich spirituelle Individualität war in diesem Kind verkörpert. Es mußte nun etwas geschehen, was niemals wieder in derselben Form geschehen darf. Das Folgende ist nicht etwa ein Musterbeispiel einer Initiation, sondern es stellt etwas ganz Ausnahmweise-Geschehenes dar. Dieses Kind mußte nänilich herausgenommen

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werden aus der Umgebung, in die es hineingeboren war und in die Obhut der zwölf Weisen an einen bestimmten Ort Europas gebracht werden. Nun war aber nicht dasjenige das Wichtigste, was äußerlich vorgenommen wurde von den zwölf Weisen, sondern das eben war das Bedeutungsvolle, daß das Kind in der Umgebung der zwölf Weisen aufwuchs. Dadurch strömten die Weisheiten der zwölf Männer in das Kind ein. Also zum Beispiel hatte einer dieser Zwölf die Marsweisheit in sich, und dadurch hatte jene Seele ein in ganz bestimmter Weise geartetes Leben in sich, eine besondere Seelenstimmung war ihr geworden durch die Marskultur. Diese Marskultur bestand zum Beispiel unter anderem darin, daß die Seele eine gewisse Fähigkeit bekam, mit Begeisterung die okkulten Wissenschaften zu vertreten. Ähnliche planetarische Beeinflussungen geschahen im Hinblick auf die anderen Seelen. Durch das Zusammenklingen der verschiedenen Strömungen, die von den zwölf Weisen ausgingen, wurde die Seele dieses Kindes harmonisch geformt. So wuchs das Kind heran in ständiger Obhut der Zwölfe. Dann kam eine gewisse Zeit: das Kind war schon Jüngling geworden, nahe der Zwanzigerjahre, und konnte etwas äußern, was wie ein Reflex der zwölf Weisheitsströmungen war. Und das, was sich da äußerte, das war etwas Neues, auch für die zwölf Weisen. Die Umwandlung geschah unter starken organischen Veränderungen. Auch körperlich hat sich das Kind von andern Menschen stark unterschieden. Zeitweilig war es sehr krank, wurde ganz durchsichtig - der Körper des Jünglings wurde wie durchscheinend. Und dann kam eine Zeit, wo die Seele den Körper für einige Tage ganz verließ. Wie tot lag da der Jüngling. Und als die Seele zurückkehrte, hatte sich etwas vollzogen, was wie eine ganz neue Geburt der zwölf Weisheiten war, so daß auch die zwölf Weisen ganz Neues von dem Jüngling lernen konnten. Er konnte nun sprechen von ganz neuen Erlebnissen. Er konnte durch das Mysterium von Golgatha etwas Ähnliches erleben wie Paulus vor Damaskus. Damit war die Möglichkeit gegeben, alle Weltanschauungen, religiöse und wissenschaftliche - und es gibt im Grunde genommen nur zwölf solcher Weltanschauungen - in eine einzige zusammenzufassen, die aus diesen zwölfen geboren ist. Die Möglichkeit war gegeben, daß die

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zwölf Weltanschauungen sich zusammenfinden können in einer, die diesen allen gerecht werden kann. Dasjenige, was gelehrt wurde, soll übermorgen zur Sprache kommen. Jetzt aber muß gesagt werden, daß der Jüngling bald darnach starb, so daß er nur ein kurzes Erdendasein hatte. Seine Mission bestand eben darin, denkerisch die zwölf Weisheitsströmungen zusammenzufassen, zu durchleben und das Neue zu schaffen, das er dann den zwölf Weisen hinterlassen konnte, die es verarbeiten sollten. Eine bedeutende Anregung war gegeben worden. Die Individualität, von der dieser Impuls ausgegangen war, führte den Namen Christian Rosenkreut~. Dieselbe Individualität wurde im vierzehnten Jahrhundert wiedergeboren, und dieses Mal dauerte ibr Erdenleben über hundert Jahre;. In diesem Erdenleben machte sie auch äußerlich fruchtbar, was sie in jener kurzen Zeit erlebt hatte. Sie bereiste das ganze Abendland und nahezu die ganze damals bekannte Erde> um auf eine neue Weise wieder alle Weisheit aufzunehmen, von der aus im vorangegangenen Leben ihr die Anregung zu dem neuen Impuls gekommen war, der gleichsam wie eine Essenz einträufeln sollte in die ganze Kultur der damaligen Zeit.

Auch in exoterischer Weise kam dieser neue Einschlag zum Ausdruck. So hat zum Beispiel in Lessings Leben die Inspiration dieser Wesenheit hineingewirkt. Dies kann man allerdings nicht äußerlich nachweisen. Aber die ganze Art des Denkens bei Lessing ist so, daß der, der mit den Dingen vertraut ist, diesen rosenkreuzerischen Impuls wahrnehmen kann. Oder zum Beispiel im neunzehriten Jahrhundert, das doch in so hohem Maße ungeeignet war für solche Ideen wie Karma, Reinkarnation und so weiter, hat dieser Impuls in exoterischer Weise gewirkt. Es ist interessant, daß gerade in jener Zeit, gegen Ende der vierziger Jahre, eine wissenschaftliche Gesellschaft einen Preis aus- setzte für die beste philosophische Arbeit über die Unsterblichkeit der Seele. Unter den eingesandten Arbeiten war auch eine Schrift von widenmann, die dann den Preis erhielt. Sie trat ein für die Annahme von wiederholten Erdenleben der Seele. Es wurde darin natürlich nicht so von Reinkarnation gesprochen, wie das heute durch die Geisteswissenschaft geschieht, aber das Faktum ist interessant, daß damals eine solche Schrfft entstand und mit dem Preise ausgezeichnet wurde.

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Auch andere damalige Psychologen haben sich für wiederholte Erdenleben der Seele ausgesprochen. Also niemals ist ganz abgerissen der Faden des Glaubens an Reinkarnation und Karma. Und auch die ersten Schriften der Gründerin der Theosophischen Gesellschaft, der großen Persönlichkeit H. P. Blavatsk~, sind nur erklärlich, wenn man die zugrundeliegende rosenkreuzerische Inspiration erkennt.

Nun ist es von großer Bedeutung, daß wir wissen, daß jedesmal, in jedem Jahrhundert, die rosenkreuzerische Inspiration so gegeben wird, daß niemals der Träger der Inspiration äußerlich bezeichnet wird. Nur die höchsten Eingeweihten wußten es. Heute zum Beispiel kann äußerlich nur von solchen Geschehnissen gesprochen werden, welche hundert Jahre zurückliegen. Denn dies ist die Zeitspanne, die nach den Ereignissen jeweils verflossen sein muß, bevor davon äußerlich gesprochen werden darf. Die Versuchung ist zu groß für die Menschen, einer solchen ins Persönliche gezogenen Autorität fanatische Heiligenverehrnng entgegenzubringen, was das Schlimmste ist, das es gibt. Es liegt diese Gefahr eben zu nahe. Es ist die Verschwiegenheit aber nicht nur eine Notwendigkeit gegen die äußeren Anfechtungen des Ehrgeizes und Hochmutes, deren man sich ja vielleicht noch erwehren könnte, sondern vor allem gegen die okkulten astralen Attacken, die fortwährend gegen eine solche Individualität gerichtet sein würden. Deshalb also die Bedingung, daß erst hundert Jahre nach einem solchen Faktum davon gesprochen werden darf. Nach und nach soll durch solche Betrachtungen eine Vorstellung herausgearbeitet werden, daß der Schwerpunkt der geschichtlichen Entwickelung im Rosenkreuzertum gegeben ist.

Lassen Sie mich an einem trivialen Vergleich Ihnen zeigen, was mit einem solchen Schwerpunkt gemeint ist. Denken wir uns eine Waage: sie darf nur oben an dem Balken den einen Stützpunkt haben, hätte sie zwei solche Schwerpunkte, so könnte man nicht wiegen. Für die geschichtliche Entwickelung ist auch ein solcher Schwerpunkt notwendig. Die morgenländische Weltanschauung zum Beispiel, und auch Schopenhauer, geben einen solchen Schwerpunkt nicht zu, er

kennen überhaupt eine geschichtliche Entwickelung in dem Sinne nicht an. Aber es ist die Aufgabe der abendländischen Menschheit,

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Geschichte anzuerkennen. Und das Rosenkreuzertum hat die Mission, eine solche Auffassung herauszuarbeiten, die einen Schwerpunkt im geschichtlichen Werden zugibt. Und nun ist es ganz gleichgültig für das, was jetzt gesagt werden soll, welchem Bekenntnisse man angehört. Denn aus der Akasha-Chronik heraus läßt sich feststellen, daß der Tag, der den Schwerpunkt innerhalb der Menschheitsentwickelung darstellt, der 3. April des Jahres 33 ist. Das müssen wir als besonders bedeutsam für das Rosenkreuzertum ansehen, daß hier der Schwerpunkt der Entwickelung der Menschen liegt.

Was ist nun damals eigentlich geschehen? In jener Zeit geschah das, was man nennen kann: die Krisis der Dämonenwelt. Was ist das? Wir wissen, daß in früheren Zeiten die Menschen ein primitives Hellsehen besaßen. Das wurde dann immer schwächer und schwächer, bis es nahe zum Verlöschen kam. Die Sache ist nämlich so, daß die Menschen bis zu jenem Zeitpunkt hauptsächlich im Astralleibe lebten mit ihrem Bewußtsein, und nicht so sehr im Ich. Die Krisis wurde nun dadurch herbeigeführt, daß das alte Hellsehen sich immer mehr verdunkelt hatte. Daher konnte der Mensch nur noch in den untersten Regionen der geistigen Welt wahrnehmen. Das Ich lebte noch im Astralen; aber die Mächte, die das Ich wahrnehmen konnte, waren immer schlechter und schlechter, immer unreinlicher und unreinlicher geworden. Der Mensch hatte nicht mehr einen Blick auf die guten Mächte, sondern er sah bei seinem Ausblick ins Astralische nur noch diese bösartigen Wesenheiten. Die Heilung sollte kommen durch die Ich-Kultur. Der Anfang davon war das, was in der Johannestaufe im Jordan sich abspielte. Was erlebte ein solcher Mensch, der sich taufen ließ? Zuerst erlebte er die physische Prozedur des Untergetauchtwerdens in das Wasser und damit das Getrenntwerden des astralischen und Ätherleibes vom physischen Leibe. Dadurch konnte der Mensch sehen, wie eine Krisis in der Dämonenwelt ausbrechen mußte. Und die Täuflinge sagten sich: Wir müssen unsern Sinn ändern! Die Zeit muß kommen, wo der Geist unmittelbar ins Ich-Bewußtsein eindringen kann. Ein solcher Mensch fühlte: Oh, sie stecken noch alle in mir, diese gräßlichen astralischen Wesen, sie dringen fortwährend in mich hinein.

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Es mußte etwas kommen, was über das Astralische hinausgeht, und das ist das Ich. Durch das Ich wird es möglich sein, daß sich rein menschliche Gemeinschaften bilden aus der Freiheit der Seele heraus, die nicht mehr an Blutsbande geknüpft sind. Stellen Sie sich nun einen solchen Menschen vor, besessen von Dämonen schlimmster Art, die wissen, daß eine Krisis für sie bevorsteht. Denken Sie sich, daß diesem Menschen eine Wesenheit gegenübertritt, die gerade die Mission hat, den Dämonen entgegenzuarbeiten. Wie müssen diese sich fühlen? Unbehaglich im höchsten Grade müssen sie sich fühlen! Unbehaglich fühlten sich die Dämonen dem Christus Jesus gegenüber.

Das Rosenkreuzertum hat in sich die Impulse, die entgegengestellt werden sollen den Dämonen. Das Ich soll durch diese Impulse wieder heraufgehoben werden. Nur ist es mit dieser Herauf hebung des Ich noch nicht weit gekommen.

Zurückkommend auf den Ausgangspunkt unserer Betrachtung kann uns klar werden, wie natürlich es ist, daß wir Anthroposophen es schwerer haben müssen, uns in der Welt durchzusetzen, als irgendwelche andere. Die Anthroposophen werden verfolgt wie keine anderen Anhänger irgendeiner Weltanschauung. Denn nichts ist den Menschen unangenehmer, als wenn ihnen die wahre Gestalt des Christus geschildert wird. Aber unsere Gesinnung beruht auf den Ergebnissen echt okkult-wissenschaftlicher Forschung, und an dieser Gesinnung muß mit allen Kräften festgehalten werden.

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DIE MORGENRÖTE DES NEUEREN OKKULTISMUS Kassel, 29. Januar 1912 Zweiter Vortrag

Heute wollen wir an die Betrachtung von vorgestern etwas anknüpfen, was uns zu tief persönlicher Auffassung anthroposophischen Lebens führen kann. Wenn wir unser Leben überblicken, wenn wir versuchen, uns in seinen Einzelheiten zurechtzufinden, so können wir durch eine solche Lebensbetrachtung viel gewinnen. Da werden wir sehen an manchen Dingen, die uns als unser Schicksal getroffen haben oder treffen, daß wir sie als gerecht anerkennen müssen, daß wir es so verdient haben. Sagen wir, ein Mensch ist in dieser Inkarnation etwas leichtsinnig gewesen, und es trifft ihn später dann ein Schicksalsschlag, so kann man vielleicht nicht mehr äußerlich den Schicksalsschlag mit dem Leichtsinn zusammenbringen, aber man hat doch das Gefühl dafür, daß dieser Schlag uns in gerechter Weise zukommt. Andere Schicksalsschläge finden wir, weiterblickend, die uns wie Zufall dünken müssen> für die wir keine Erklärung finden. Diese zwei Kategorien von Erlebnissen finden wir, wenn wir zurückblicken auf unser Leben.

Es handelt sich nun darum, daß wir recht sehr unterscheiden zwischen dem, was uns als Zufall erscheint, und demjenigen, was als Notwendigkeit wirkt. Wenn der Mensch sein Leben auf diese zwei Kategorien von Erlebnissen hin betrachtet, dann kann er eine höhere Entwickelung nicht durchmachen, ohne daß er versucht, auf alles zu schauen, was ihm als Zufall erscheint. Wir müssen besonders versuchen zu schauen auf die Dinge, die wir nicht gewollt haben, die dem entgegenstehen, was uns gefällt. Es gibt eine gewisse Möglichkeit der Seelenverfassung, sich auf einen hypothetischen Möglichkeitsstandpunkt zu stellen und sich zu sagen: Wie wäre es, wenn ich mir vorstellte, daß ich dasjenige, was ich nicht gewollt habe, was mir gar nicht angenehm ist, was mir nicht gefällt, gerade so recht gewollt hätte, das was mir damals gerade nicht gefiel, und was ich nicht wollte? Dies muß man sich intensiv vorstellen: Wir selbst hätten diese unsere Lage aufs Energischste gewollt.

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Von dem, was uns Zufall dünkt, müssen wir uns vorstellen: Wie wäre es, wenn wir den energischsten Willen angewendet hätten, um das alles zu wollen? Gleichsam meditierend muß der Mensch sich in diese Seelenstimmung versetzen gegenüber dem, was uns in unserem

Leben als zufällige Ereignisse erscheint. Und jeder Mensch der Gegen- wart kann dieses tun. Wenn wir so vorgehen, dann macht das nach und nach einen ganz besonderen Eindruck auf unsere Seele, wir fühlen, aIs ob sich etwas loslösen wollte von uns. Ich habe mir da einen zweiten, einen anderen Menschen vorgestellt, sagt sich die Seele, der ist nun da. Und man kann nicht mehr loskommen von dieser Vorstellung, sondern ein solcher ausgedachter Mensch wird nach und nach zu unserem Doppelgänger. Mit diesem ausgedachten Menschen hast du eigentlich etwas zu tun, sagt sich die Seele. Man steigt auf zu der Vorstellung: Dieser Mensch lebt eigentlich in dir. Und wenn man sich recht intensiv hineinlebt in diese Vorstellung, dann wird man gewahr, daß dieser ausgedachte Mensch nicht so ganz ohne Bedeutung ist. Die Überzeugung wird in uns wach: Das ist schon einmal dagewesen, und damals hast du die Willenskräfte zu den scheinbaren Zufälligkeiten von heute in dir gehabt. - Auf diese Weise verschaffen wir uns eine gründliche Überzeugung davon, daß wir schon einmal da waren, bevor wir in diese Leibeshülle untertauchten. Und jeder Mensch der Gegenwart kann diese Überzeugung sich verschaffen.

Wir müssen nun ins Auge fassen, wie die aufeinanderfolgenden Inkarnationen des Menschen sind. Was reinkarniert sich denn eigentlich? Wie können wir das finden?

Im menschlichen Seelenleben haben wir vorzugsweise drei Arten von Seelenerlebnissen zu unterscheiden. Erstens unsere Vorstellungen, unsere Gedanken. Wenn wir uns etwas vorstellen, so kann das ja in ganz neutraler Weise geschehen. Wir brauchen das, was wir uns vorstellen, nicht zu lieben oder zu hassen, ihm weder sympathisch noch antipathisch gegenüberzutreten. An die Vorstellungen reiht sich das Leben in den Gemütsstimmungen, die dadurch entstehen, daß wir das eine gerne haben, lieben, das andere verabscheuen, hassen und so weiter. Eine dritte Art von Seelenerlebnissen bilden die Willensimpulse. Es gibt wohl Übergänge, aber im großen und ganzen sind es

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diese drei Kategorien von Seelenerlebnissen. Und es ist ein Grundzug eines gesunden Seelenlebens, diese drei Erlebnisarten gesondert haben zu können. Unser Vorstellungsleben entsteht dadurch, daß wir äußere Anregungen empfangen. Nun wird jeder leicht einsehen können, daß dieses Vorstellungsleben am engsten zusammenhängt mit der gegenwärtigen Inkarnation. Es wird schon daraus klar, wenn wir bedenken, daß uns die Sprache zum Ausdruck der Vorstellungen dient. Und die Sprache kann natürlich in jeder Inkarnation nur eine andere sein. Ebensowenig wie wfr die Sprache mitbringen, wenn wir eine neue Inkarnation beginnen, ebensowenig bringen wir die Vorstellungen mit. Beides, sowohl die Sprache als auch die Vorstellungen, müssen wir in jeder Inkarnation neu erringen. Hebbel hat einmal in sein Tagebuch einen merkwürdigen Eintrag gemacht. Er meinte, wie drastisch etwa ein Stück wirken müßte, in dem der wiederverkörperte Plato am meisten kujoniert wird von seinem Lehrer wegen schlechten PlatoVerständnisses. - Also das Vorstellungsleben geht nicht hinüber von einer Inkarnation zur anderen, und vom Vorstellungsleben nimmt der Mensch am wenigsten mit in die nachtodliche Welt. Wir bilden uns keine Vorstellungen nach dem Tode, sondern nehmen die Dinge unmittelbar wahr, wie unser physisches`Auge die Farbe wahrnimmt. Das, was wir als Begriffswelt kennen, sehen wir nach dem Tode wie ein Netz, das über die Welt ausgespannt ist. Das aber, was uns bleibt, wenn wir durch die Pforte des Todes geschritten sind, und was wir auch bei einer neuen Erdengeburt wieder mitbringen als seelische Anlagen, das sind unsere Gemütsbewegungen, unsere Gemütsstimmungen. Und wir werden bei einem Kinde zum Beispiel, das in bezug auf sein Vorstellungsleben noch sehr wenig weit ist, bemerken können, wie dagegen sein Empfindungsleben schon ganz bestimmte Linien zeigt. Und weil unsere Willensimpulse an die Gemütsverfassung geknüpft sind, so gehen auch sie mit uns durch die Pforte des Todes. Wenn zum Beispiel der Mensch sich einem Irrtum hingibt, so bewirkt das in seinem Gemüt etwas anderes, als wenn er sich einer Wahrheit hingibt. An diesen Folgen falscher Vorstellungen leiden wir noch lange nach dem Tode. Daher müssen wir sagen, daß wir auf das sehen müssen, was unsere Gemütsstimmungen und Willensimpulse sind,

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wenn wir uns fragen, was denn eigentlich von Inkarnation zu Inkarnation geht.

Nehmen wir nun einmal an, es habe uns vor zehn oder zwanzig Jahren ein schmerzliches Ereignis getroffen. Wir werden uns heute in unseren Vorstellungen noch ganz gut daran erinnern können, sogar an alle Einzelheiten. Aber wie verblaßt ist der Schmerz, den wir damals empfunden haben, und wie wenig ist der Mensch imstande, die damaligen Gemütsbewegungen und Willensimpulse nachzuerleben. Denken wir einmal an Bismarck, von dem ja bekannt ist, unter wie außerordentlich schwierigen Verhältnissen er 1866 zum Kriege geschritten ist. Welche Gemütsbewegungen, welche ungeheure Fülle von Willensimpulsen hat sich da in Bismarcks Seele abgespielt! Aber wird Bismarck auch beim Schreiben seiner Lebenserinnerungen diese seelischen Erregungen und Willensentschlüsse wieder durchlebt haben in annähernd derselben Stärke? Gewiß nicht! Das menschliche Gedächtnis ist so beschaffen zwischen Geburt und Tod, daß es als Vorstellungsgedächtnis vorhanden ist. Natürlich kann es sein, daß auch noch nach zehn oder zwanzig Jahren uns Schmerz überkommt bei der Erinnerung an ein damals stattgehabtes, für uns schmerzliches Ereignis, aber im allgemeinen wird der Schmerz stark verblaßt sein im Laufe der Jahre, während sich in unserer Vorstellung die Erinnerung bis auf Einzelheiten erstrecken kann. Wenn wir uns nun vorstellen, wir hätten solche schmerzlichen Ereignisse gewollt, wir hätten sympathisch gefunden, was wir als junger Mensch vielleicht ganz unsympathisch gefunden haben, dann rüttelt die Schwierigkeit dieser Tätigkeit die Seele auf; sie wirkt hinüber in unser Gemüt. Wenn uns früher vielleicht ein Stein auf den Kopf gefallen ist, so versuchen wir jetzt mit aller Kraft, uns vorzustellen, daß wir das selbst so gewollt hätten. Durch solche Vorstellungen, daß wir den Zufall, der uns betroffen, selbst gewollt hätten, bekommen wir ein Gemütsgedächtnis für unsere früheren Inkarnationen. Auf diese Weise erhalten wir eine Vorstellung davon, wie wir hineingestellt sind in die geistige Welt.

Unser Schicksal fangen wir an zu verstehen. Den Willen zu den Zufälligkeiten dieses Lebens haben wir aus unserer vorigen Inkarnation initgebracht.

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Wenn wir uns solchen Gedanken in der Meditation hingeben und sie weiter ausbilden, so kann das von außerordentlicher Wichtigkeit sein. Auch zwischen dem Tod und einer neuen Geburt geschieht etwas, ja, unendlich reich ist diese Zeit an Erlebnissen, die jedoch rein geistiger Art sind. Daher bringen wir auch Gemütsstimmungen und Willensimpulse mit aus der Zeit zwischen dem letzten Tod und der letzten Geburt, also aus der rein geistigen Welt. Darauf beruht eine Tatsache der neueren Zeit, die außerordentlich wichtig ist, die aber im ganzen wenig beachtet wird. Eine Tatsache, die im Leben vieler Menschen da ist heute, nur die meisten merken es nicht. Aber unsere anthroposophische Geistesströmung hat die Aufgabe, hinzuweisen auf diese Tatsache und ihre Bedeutung. Lassen Sie mich an einem Beispiel anschaulich machen, um was es sich handelt.

Ein Mensch, sagen wir, hat Veranlassung, irgendwohin zu gehen, und dieser Weg bringt es mit sich, daß er der Spur eines anderen Menschen folgt, eines Kindes vielleicht. Da sieht der Mens,ch plötzlich, daß am Rand des Weges, den das Kind geht, ein Abgrund gähnt. Unfehlbar wird das Kind hinabstürzen, wenn es noch einige Schritte weiter tut. Er läuft dem Kinde nach, um es zu retten, läuft und läuft und vergißt dabei ganz den Abgrund. Da plötzlich hört der Betreffende von irgendwoher eine Stimme kommen, die ihm zuruft: Bleibe stehen! - Wie angenagelt steht er still. In dem Moment faßt das Kind einen Baum und bleibt auch stehen, so daß nichts Übles passiert. Wäre die Stimme nicht in diesem Augenblick gekommen, der Mensch wäre unfehlbar in den Abgrund gestürzt. Der Mensch fragt sich nun: Woher kam die Stimme? Er findet niemanden, der gerufen haben könnte. Aber er hat ein Bewußtsein, daß er unfehibar verloren gewesen wäre, wenn er nicht diese Stimme gehört hätte. Er kann nicht entdecken, daß irgendein physisches Wesen ihn gerufen hat, so genau er auch forscht.

Ein ähnliches Erlebnis könnten viele Menschen der Gegenwart in ihrem Leben finden bei intimer Selbstbetrachtung. Man beachtet solche Dinge heute nur zu wenig. Entweder wird nun ein solches Erlebnis spurlos an dem betreffenden Menschen vorübergehen, dann verwischt sich der Eindruck, er hält dieses Erlebnis nicht für wichtig.

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Aber nehmen wir an, der Mensch wird aufmerksam, er hält dieses Erlebnis nicht für bedeutungslos. Dann kommt er vielleicht zu dem Gedanken: Eigentlich standest du da vor einer Krisis, einer karmischen Krisis, eigentlich sollte dein Leben enden in diesem Augenblick, du hattest dein Leben verwirkt. Nur durch etwas Zufallähnliches bist du gerettet, und es ist seit jener Stunde gleichsam ein zweites Leben

auf das erste draufgepflanzt. Dieses zweite Leben mußt du als dir geschenkt betrachten, und demgemäß hast du dich auch zu benehmen. - Wenn ein solches ErIebnis in einem Menschen diese innere Stimmung auslöst, daß er sein Leben von jener Stunde an als Geschenk betrachtet, so macht dies heute diesen Menschen zu einem Bekenner des Christian Rosenkreutz. Denn so ist seine Art, die Seelen zu sich zu rufen. Und derjenige, der sich zurü`ckerinnern kann an ein solches Erlebnis - und alle, die hier sitzen, können etwas derartiges in ihrem Leben finden bei genügend intimer Betrachtung -, ein solcher kann sich sagen: Christian Rosenkreutz hat mir einen Wink gegeben aus der spirituellen Welt, daß ich seiner Strömung angehöre. Christian Rosenkreutz hat zu meinem Karma hinzugefügt die Möglichkeit eines solchen Erlebnisses. Das ist die Art, wie Christian Rosenkreutz die Wahl seiner Schüler trifft. So wählt er seine Gemeinde. Wer solches bewußt erlebt, der sagt sich: Da ist mir ein Weg gewiesen; ich muß dem nachgehen und sehen, inwiefern ich meine Kräfte in den Dienst des Rosenkreuzertums stellen kann. Die aber, die den Wink nicht verstanden haben, werden später dazu kommen, denn an wen der Wink einmal ergangen ist, der wird auch nicht wieder davon loskommen.

Daß der Mensch ein Erlebnis der geschilderten Art haben kann, das rurirt daher, daß dieser Mensch in der Zeit zwischen seinem letzten Tode und seiner letzten Geburt zusammengetroffen ist in der geistigen Welt mit Christian Rosenkreutz. Damals hat uns Christian Rosenkreutz erwählt. Er hat einen Willensimpuls in uns hineingelegt, der uns nun zu solchen Erlebnissen führt. Das ist die Art, wie geistige Zusammenhänge herbeigeführt werden. Für eine materialistische Auffassung gilt dieses natürlich alles als Halluzination, wie ja auch das Erlebnis des Paulus vor Damaskus als eine Halluzination angesehen wird. Die Konsequenz davon würde natürlich sein, daß das ganze

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Christentum auf einer Halluzination, also auf einem Irrtum beruht. Denn die Theologen wissen ganz gut, daß eigentlich für das ganze spätere Christentum das Ereignis von Damaskus die Grundlage bildet. Und wenn diese Grundlage auf einer Täuschung beruht, so müßte man natürlich, wenn man konsequent weiterdächte, auch alles, was sich darauf aufbaut, als falsch betrachten.

So ist heute versucht worden, klarzulegen, wie gewisse Dinge, die uns im Leben etwas angehen, wie gewisse Erlebnisse uns zeigen können, wie wir in die geistigen Zusammenhänge der Welt hineingehören.

Wenn wir unser Gemütsgedächtnis ausbilden, wie das heute geschildert wurde, dann leben wir uns ein in das, was als spirituelles Leben die Welt durchströmt und durchpulst. Daher ist noch nicht der ein wahrer Anthroposoph, der theoretisch die Lehren kennt, sondern erst der, der sein Leben und das der anderen Menschen zu deuten weiß in dem Sinne, wie heute angegeben worden ist. Dann wird Anthroposophie eine Grnndkraft, welche unser Seelenleben umgestaltet. Und das muß ja auch das Ziel der Arbeit in unseren Zweigen sein: daß unsere inneren Seelenerlebnisse andere werden, daß wir das Unsterbliche empfinden lernen durch allmähliche Entwickelung unseres Gemütsgedächtnisses. Der anthroposophisch orientierte Theosoph muß den Glauben haben: Wenn du nur willst, wenn du nur deine starken inneren Kräfte anwendest, dann kannst du deinen Charakter um- gestalten. Man muß fühlen, empfinden lernen, daß in uns selber und in allem anderen ein Unsterbliches waltet. Der Anthroposoph wird dadurch ein Anthroposoph, daß er sein ganzes Leben lang aufnahmefähig bleibt, auch init grauen Haaren. Und dieses Bewußtsein, daß man immer und immer fortschreiten kann, das wird unser ganzes jetziges Geistesleben umgestalten.

Durch den Materialismus werden die Menschen vorzeitig alt. Vor dreißig Jahren zum Beispiel, ja da haben die Kinder anders ausgeschaut als heute. Heute sieht man schon zehn-, zwölfjährige alte Leute, Kinder> die geradezu einen greisenhaften Eindruck machen, gibt es heute. Die Menschen sind so altklug geworden, und ganz besonders die Erwachsenen. Sie sagen: Wir wollen unsere Kinder nicht mehr aniügen, zum Beispiel damit, daß der Storch die Kinder bringe.

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Die Kinder müssen aufgeklärt werden. Aber so lügen sie die Kinder in Wahrheit an. Unsere Nachkommen werden wieder wissen, daß tatsächlich unsere Kinderseelen als vogelartige geistige Gebilde herunter- schweben aus den höheren Welten. Es ist außerordentlich wichtig, daß man eine imaginative Vorstellung hat für manche Dinge, die noch nicht begreiffich sind. Es ist allerdings wohl möglich für die Tatsache, um die es sich handelt, eine bessere Imagination zu finden als die Storchgeschichte. Darauf kommt es an, daß spirituelle Kräfte spielen zwischen Kind und Eltern oder Erzieher, etwas wie ein geheimer Magnetismus muß da sein. Man muß selbst an die Imagination glauben, die man den Kindern gibt. Wenn man den Kindern den Tod erklären will, so muß man hinweisen auf ein anderes Naturereignis.

Man kann sagen: Sieh dir den Schmetterling an, wie er aus der Puppe herausfliegt: also ist es auch mit der Menschenseele nach dem Tode. - Aber erst muß man selbst glauben, die Welt sei so angeordnet, daß die Mächte in dem Schmetterling, der aus der Puppe herausfliegt, uns ein Bild für den Vorgang des Hervorgehens der Seele aus dem Körper hingezeichnet haben. Der Weltengeist hat uns aufmerksam machen wollen, wie das geschieht, deshalb hat er uns ein solches Bild in die Natur eingezeichnet. Das ist ungeheuer wichtig, daß wir immer lernen können, immer jung bleiben können, unabhängig von unserem physischen Leibe. Und das ist die ungeheuer wichtige Aufgabe der anthroposophisch orientierten Theosophie: der Welt die Verjüngung zu bringen, die sie braucht. Wir müssen hinauskommen über das BanalSinnliche. Seelisches und Geistiges in der Praxis anzuerkennen, das muß das Ziel unseres Zweiglebens sein. Die Erkenntnis muß uns immer mehr durchdringen, daß wir von der Seele aus Herrscher werden können über das Äußere.

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GRUNDSTIMMUNG DEM MENSCHLICHEN KARMA GEGENÜBER Wien, 8. Februar 1912 Erster Vortrag

Nicht ohne Bedeutung ist am Schlusse der beiden öffentlichen Vorträge immer schärfer von mir betont worden, daß Anthroposophie dem Menschen nicht` eine Theorie sein soll, nicht eine bloße Wissenschaft, nicht irgend etwas, was man im gewöhnlichen Sinne eine Erkenntnis nennt, sondern etwas, was sich in unserer Seele verwandeln kann aus einer bloßen Erkenntnis, einer bloßen Theorie in unmittelbares Leben, in ein Lebenselixier. So daß wir durch Anthroposophie nicht nur etwas wissen, sondern daß vor allen Dingen uns Kräfte durch sie zuffleßen, die nicht nur in dem gewöhnlichen Leben, das wir hier im physischen Dasein führen, uns helfen, sondern im Gesamtleben, das wir sowohl im physischen Dasein, wie auch im entkörperten Zustande zwischen dem Tod und einer neuen Geburt führen. Je mehr wir Anthroposophie so empfinden, daß sie uns stärkende Kräfte, lebenfördernde Elemente zuführt, desto besser verstehen wir sie. Nun wird ja vielleicht manchem bei einem solchen Ausspruch die Frage sich auf die Lippen drängen: Wenn Anthroposophie also etwas sein soll, das uns Lebensstärkung gibt, Kräfte verleiht, warum müssen wir dann doch wiederum in der Anthroposophie uns alle möglichen theoretisch aussehenden Erkenntnisse aneignen, warum werden wir dann sozusagen in unserem Zweigleben geplagt mit allerlei Erkenntnissen über die unserer Erde vorangehenden planetarischen Verkörperungen? Warum müssen wir Dinge erfahren, die sich in fernen Zeiten zugetragen haben? Warum müssen wir uns bekannt machen auch mit den intimeren, feineren Gesetzen von Reinkarnation, Karma und so weiter? - Mancher könnte glauben, das sei auch nur wiederum etwas wie eine Wissenschaft, wie uns Wissenschaften ja auch im äußeren Leben in der physischen Welt heute geboten werden.

Nun muß man bei dieser Frage, die eben hier berührt worden ist als eine Frage, die sich sozusagen auf die Lippen drängen kann, alle

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Lebensbequemlichkeit ausschalten. Man muß sich sorgfältig prüfen, ob man denn nicht schon, wenn man diese Frage tut, in dieselbe etwas hineinmischt vom gewöhnlichen Schlendrian des Lebens, der sich - verzeihen Sie - doch gar zu sehr mit den Worten ausdrücken läßt: Der Mensch will eigentlich ungern etwas lernen, sich geistig aneignen. Das ist ihm unbequem. Wir müssen uns fragen, ob nicht etwas von dieser Stimmung der Unbequemlichkeit in diese Frage sich hineinmischt. Denn eigentlich gehen wir davon aus, so ein bißchen zu glauben, daß das Höchste, was uns Anthroposophie geben soll, zu erreichen sei auf einem bequemeren Wege als demjenigen, der uns zum Beispiel in unserer von uns gepflegten Literatur gezeigt wird. Es wird auch oftmals in einer etwas leichffertigen Weise betont, der Mensch brauche sich ja nur selbst zu erkennen, brauche zu versuchen, ein guter Mensch zu werden, dann sei er eigentlich schon Anthroposoph genug. Ja, das gerade gibt uns eine tiefere Erkenntnis, daß es zu den allerschwierigsten Dingen der Welt gehört, ein guter Mensch zu sein, und daß nichts so sehr Vorbereitung braucht, als eben dieses Ideal, ein guter Mensch zu sein.

Und was gar die Frage nach der Selbsterkenntnis betrifft, so ist sie in Wahrheit keine solche, die sich im Handumdrehen beantworten läßt, wie so mancher Mensch glauben möchte. Wir wollen deshalb heute einmal gerade einigen Fragen näherrücken, welche in diesen eben gesprochenen Worten oftmals zum Ausdruck gebracht werden. Wir wollen betrachten, inwiefern uns Anthroposophie, wenn auch nur scheinbar, als eine Lehre, eine Wissenschaft entgegentritt, obgleich sie dennoch im eminentesten Sinne gerade dasjenige ergibt, was man Selbsterkenntnis nennen kann und dasjenige ergeben muß, was man bezeichnet als ein Hinstreben zum guten Menschen. Da handelt es sich allerdings vor allem darum, daß wir von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten, wie Anthroposophie in das Leben einffießen kann.

Nehmen Sie aus den großen Lebensfragen einen bestimmten Fall heraus. Ich meine nicht aus denjenigen> die die wissenschaftliche Forschung betreffen, sondern die das Leben jeden Tag bringt, Fragen, die ganz gewiß jeder von uns kennt: die Frage nach dem Troste, den wir

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im Leben gewinnen können, wenn wir in irgendeiner Weise an dem oder jenem zu leiden haben, wenn wir in dieser oder jener Weise an dem Leben nicht volle Befriedigung haben können. Mit anderen Worten, fragen wir uns: Inwiefern kann zum Beispiel Anthroposophie dem betrübten Menschen Trost gewähren, wenn er Trost braucht? Allerdings muß ja der einzelne dasjenige, was über eine solche Frage gesagt werden kann, auf seinen besonderen Fall anwenden. Wenn man zu vielen Menschen spricht, kann man nur im allgemeinen sprechen.

Warum brauchen wir Trost im Leben? Weil wir eben betrübt sein können über dieses oder jenes, weil wir leiden können, weil uns Schmerzen treffen können. Nun ist es natürlich, daß der Mensch dem Schmerze gegenüber sich fühlt, als ob sich irgend etwas in seinem Innern gegen diesen Schmerz so ablehnend verhalten müßte, daß er sich sagt: Warum muß ich Schmerzen ausstehen, warum trifft mich dieser Schmerz? Könnte denn das Leben für mich nicht auch so verrinnen, daß mich keine Schmerzen treffen, daß ich zufrieden bin? - Derjenige, der diese Frage so stellt, kann zu einer Antwort nur kommen, wenn er sich eine wirkliche Erkenntnis von der Natur unseres menschlichen Karma, des menschlichen Schicksals, verschafft. Warum leiden wir denn in der Welt? Und es sind damit die äußerlichen Leiden wie auch die innerlichen gemeint, die aus der inneren Organisation aufsteigen, daß wir uns nicht immer genug sind, daß wir nicht immer klar uns zurechtfinden können. Das ist jetzt gemeint. Warum treffen uns solche, uns unbefriedigt lassende Dinge im Leben?

Wenn wir uns einlassen auf die Gesetze des Karma, so werden wir sehen, daß unseren Leiden etwas Ähnliches zugrunde liegt, wie dasjenige ist, was im gewöhnlichen Leben zwischen Geburt und Tod etwa mit folgendem Beispiele sich verdeutlichen läßt, es ist von mir oft schon erwähnt worden: Nehmen wir an, jemand hat bis zum achtzehnten Jahre gelebt aus der Tasche seines Vaters, er hat in Lust und Freude gelebt, er hat sich nichts entgehen lassen. Dann verliert der Vater das Vermögen, er macht Bankerott. Der Junge muß etwas Rechtes lernen, er muß sich anstrengen. Mit Schmerzen und Entbehrungen trifft ihn das Leben. Wir werden es begreiflich finden, daß dieser junge Mensch recht wenig sympathisch berührt ist von den

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Schmerzen, die er durchzumachen hat. Nehmen wir an, der betreffende Mensch erreicht sein fünfzigstes Lebensjahr. Dadurch, daß er damals etwas hat lernen müssen, ist er ein ordentlicher Mensch geworden. Er steht nun fest im Leben und kann sich sagen: So wie ich meine Leiden und Schmerzen damals beurteilt habe, war es im damaligen Zeitpunkte begreiflich; jetzt muß ich aber anders darÜber denken, jetzt muß ich sagen, daß mich die Schmerzen nicht hätten treffen können, wenn ich dazumal schon alle Vollkommenheiten, wenn auch nur die beschränkten Vollkommenheiten eines achtzehn- jährigen Menschen, gehabt hätte. Hätten mich aber die Schmerzen nicht getroffen, wäre ich ein Taugenichts geblieben. Der Schmerz war es, der die Unvollkommenheiten verwandelt hat in eine Vollkommenheit. Diesem Schmerz muß ich es verdanken, daß ich jetzt ein anderer Mensch bin als vor vierzig Jahren. Was hat sich denn dazumal eigentlich bei mir zusammengefunden? Es hat sich zusammengefunden meine Unvollkommenheit, in der ich damals war, und mein Schmerz. Und meine Unvollkommenheit hat gleichsam meinen Schmerz gesucht, damit sie vertrieben werden könnte, damit sie sich in Vollkoinmenheit verwandeln könne.

Diese Betrachtung kann sich schon ergeben aus einer trivialen Anschauung des Lebens zwischen Geburt und Tod. Wenn wir auf das Gesamtleben eingehen und uns wirklich in einer solchen Weise unserem Karma gegenüberstellen, wie es namentlich im vorgestrigen Vortrag gezeigt worden ist, werden wir immer zur Überzeugung kommen, daß alle Schmerzen, die uns treffen, alle Leiden, die uns in den Weg gestellt werden, von der Art sind, daß sie gesucht werden von unserer Unvollkommenheit. Und zwar die weitaus meisten Schmerzen und Leiden werden gesucht von jenen Unvollkommenheiten, die wir herübergebracht haben aus früheren Inkarnationen. Und weil diese Unvollkommenheiten in uns sind, sucht ein Gescheiterer in uns, als wir sind, den Weg zu den Schmerzen, zu den Leiden. Denn das ist eine goldene Regel des Lebens, daß wir alle als Menschen stets einen Gescheiteren in uns tragen, als wir selber sind, einen viel Weiseren. Denn weniger weise ist der, zu dem wir im gewöhnlichen Leben «ich» sagen. Dieser «Weniger-Weise» würde, wenn es ihm überlassen

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wäre, entweder einen Schmerz aufzusuchen oder eine Lust, den Weg zur Lust gehen. Der «Gescheitere» ist derjenige, der in den Tiefen unseres Unterbewußtseins ruht, zu dem sich unser gewöhnliches BewUßtsein nicht hinab erstreckt. Er verhüllt uns den Blick zu einer leichten Lust und entzündet in uns eine magische Kraft, die den Weg geht zu den Schmerzen hin, ohne daß wir es wissen. Aber was heißt denn: ohne daß wir es wissen? Das heißt, daß der Gescheitere die größere Macht bekommt über den weniger Gescheiten, und der Gescheitere handelt stets so in uns, daß er unsere Unvollkommenheiten zu unseren Schnierzen hinleitet und uns leiden läßt, weil wir mit jedem inneren und äußeren Leide eine Unvollkommenheit ausmerzen und uns vollkommener machen.

Solche Sätze kann man theoretisch einsehen, aber es ist nicht viel damit getan. Aber viel ist getan, wenn man sich gewisse Feieraugenblicke des Lebens sucht, in denen man gewillt ist, so etwas wie diesen Satz nun wirklich mit aller Energie zu einem Lebensinhalt der Seele zu machen. Im gewöhnlichen Leben mit seiner Arbeit, seinem Hasten und Treiben, mit seinen Pflichten, da geht es nicht immer, da können wir uns unseres weniger gescheiten Menschen, den wir nun einmal haben, sozusagen nicht immer entschlagen. Aber wenn wir einen gewissen Feieraugenblick des Lebens uns auswählen - und mögen solche Feieraugenblicke auch noch so kurz sein -, können wir uns sagen: Ich will einmal absehen von allem, was da draußen 1umort und wo ich mitrumort habe, ich will auf meine Leiden so blicken, daß ich empfinde, wie der Gescheitere in mir mit magischer Kraft zu ihnen hingezogen worden ist> und daß ich gewisse Schmerzen mir selbst auferlegt habe, ohne die ich gewisse Unvollkommenheiten nicht überwunden hätte. Dann wird uns ein Gefühl überkommen von seliger Weisheit, welches sozusagen ergibt: Auch da, wo die Welt erfüllt scheint von Leid> da ist sie voller Weisheit! So etwas ist dann eine Errungenschaft der Anthroposophie für das Leben. Wir mögen so etwas für das äußere Leben wieder vergessen. Wenn wir es aber nicht vergessen und oft und oft es wieder üben, dann werden wir sehen, daß wir etwas wie einen Keim in unsere Seele gelegt haben und daß sich dann mancherlei, was in uns trübes Gefühl, mancherlei, was

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schwache Stimmung ist, verwandelt in heitere Lebensstimmung> in Kraft, in Stärkegefühl. Und dann werden wir von solchen Feieraugenblicken des Lebens das haben> daß wir als harmonischere Seelen und stärkere Menschen aus ihnen hervorgehen.

Und dann mögen wir wohl - aber der Anthroposoph sollte sich zur RegeI machen, daß er diese anderen Augenblicke sich erst dann verschaffen soll, wenn er die ersten, die Augenblicke des Trostes bei den Leiden in seiner Seele wirksam macht -, dann mögen wir wohl auch anderes hinzufügen: Blicke auf unsere Freuden, Blicke auf das, was wir als Lust im Leben erfahren können. Wer sich mit unbefangenem Gefühle dem Schicksal so gegenüberstellt, als ob er seine Schmerzen gewollt hätte, für den ergibt sich etwas ganz Eigentümiiches, wenn er seine Lust und Freude betrachtet. Er kommt damit nicht so zurecht, wie er mit seinen Leiden zu Rande kommt. Leicht wird es uns nämlich - und wer es nicht glaubt, mag versuchen, sich hineinzuversetzen - Trost im Leide zu finden. Aber es wird schwer, mit Lust und Freude zurechtzukommen. Man mag sich noch so sehr in die Stimmung versetzen, man habe sein Leid gewollt: wenn man das auf Lust und Freude anwendet, dann wird man gar nicht anders können, als beschämt zu sein. Richtiges Schamgefühl wird man empfinden, und über dieses Schamgefühl wird man nicht anders hinwegkommen als nur durch das eine, daß man sich sagt: Nein, meine Lust und Freude habe ich niir wirklich nicht durch mein Karma selbst gegeben! - Das ist die einzige Heilung, denn sonst kann die Scham so stark werden, daß sie einen schier in der Seele vernichtet. Die einzige Heilung ist, nicht dem Gescheiteren in sich zuzumuten, daß man zur Freude hingetrieben worden ist. An diesem Gedanken merkt man, daß man recht hat, weil das Schamgefühl verschwindet. Es ist so, daß uns Lust und Freude im Leben zufallen als etwas, was uns von der weisen Weltenlenkung ohne unser Zutun gegeben ist, was wir als Gnade hinnehmen müssen, und von dem wir immer erkennen, daß es bestimmt ist, uns einzufügen in das Gesamtall. Lust und Freude sollen so auf uns wirken in den Feieraugenblicken des Lebens, in den einsamen Stunden, daß wir sie als Gnade empfinden, als Gnade der Allgewalten der Welt, die uns aufnehmen wollen, die uns gleichsam in sich einbetten wollen.

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Während wir also durch unsere Schmerzen und Leiden zu uns selber kommen, uns selbst vollkommener machen, entwickeln wir durch unsere Lust und Freude - aber nur wenn wir sie als Gnade betrachten - dasjenige Gefühl, das man nur nennen kann ein Gefühl des beseligenden Ruhens in den göttlichen Mächten und Kräften der Welt. Und da gibt es als einzig berechtigte Stimmung nur Dankbarkeit gegenüber Lust und Freude. Und niemand kommt zurecht mit Lust und Freude> der in einsamen Stunden der Selbsterkenntnis Lust und Freude auf sein Karma hinschreibt. Schreibt er es seinem Karma zu, dann gibt er sich jenem Irrtum hin, der das Geistige in uns schwächt, lähmt. Jeder Gedanke, daß eine Lust, eine Freude verdient sei, schwächt und lähmt uns. Das scheint hart zu sein, denn mancher möchte wohl, wenn er sich schon seinen Schmerz zuschreibt als selbstgewollt und ihm zukommend durch seine Individualität, daß er der eigene Herr auch über seine Lust und Freude sei. Aber schon der gewöhnliche Blick in das Leben kann uns belehren, daß Lust und Freude etwas Auslöschendes hat. Man findet ja dieses Auslöschende von Lust und Freude wohi kaum irgendwo anschaulicher geschildert, als im «Faust», wo das Lähmende von Lust und Freude im menschlichen Leben anschaulich gemacht wird mit den Worten: «So tauml` ich von Begierde zu Genuß. Und im Genuß verschmacht` ich nach Begierde.» Und wer nur ein wenig nachdenkt über den Einfluß der Lust, wenn sie persönlich genommen wird, der wird sehen, daß die Lust etwas hat, was uns wie in einen Lebenstaumel führt und unser Selbst auslöscht.

Dies soll nicht etwa eine Predigt sein gegen die Lust, nicht die Auffordernng, daß wir uns Selbstpeinigungen hingeben sollen, uns vielleicht mit glühenden Zangen zwicken sollen und dergleichen. Das soll es nicht sein. Wenn man eine Sache in der richtigen Weise erkennt, bedeutet das nicht, daß man sie fliehen soll. Nicht «Fliehen» ist gesagt, sondern wir sollen sie ruhig hinnehmen, wo sie uns entgegentritt. Aber wir sollen die Stimmung entwickeln, daß wir sie als Gnade erfahren, und je mehr> desto besser, denn um so mehr tauchen wir ein in das Göttliche. Also nicht um Askese zu predigen, sondern um die richtige Stimmung gegenüber Lust und Freude zu erwecken, sind diese Worte gesagt.

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Wer aber sagen würde: Lust und Freude haben etwas Lähmendes und Auslöschendes, deshalb ffiehe ich die Lust, die Freude - das Ideal der falschen Askese, der Selbstpeinigung -, der würde fliehen vor der Gnade, die ihm geschenkt wird von den Göttern. Und im Grunde genommen sind fortwährende Auflehnungen gegen die Götter die Selbstpeinigungen derAsketen, Mönche und Nonnen. Es geziemt uns, daß wir die Schmerzen als etwas fühlen, was uns durch unser Karma zukommt, und daß wir die Freude als Gnade fühlen, daß das Göttliche sich zu uns herabIassen kann. Als Zeichen, wie nahe uns der Gott zu sich hingezogen hat, sei uns Lust und Freude, und als Zeichen, wie weit wir von dem entfernt sind, was wir als vernünftige Menschen erreichen müssen, sei uns Leid und Schmerz. Das gibt die Grundstimmung gegenüber Karma, und ohne diese Grundstimmung können wir im Leben nicht wahrhaft vorwärtsschreiten. Wir müssen empfinden an dem, was uns die Welt als Gutes, Schönes zukommen läßt, daß hinter dieser Welt die Mächte stehen, von denen in der Bibel gesagt ist: und sie sahen, daß sie schön und gut war, die Welt. - Insoweit wir aber Leid und Schmerz empfinden können, müssen wir anerkennen dasjenige, was der Mensch im Laufe der Inkarnationen aus der Welt, die anfänglich gut war, gemacht hat und was er verbessern muß, indem er sich zum energischen Ertragen dieser Schmerzen erzieht.

Dasjenige, was geschildert worden ist, das ist nur eine zweifache Art des Hinnehmens unseres Karma. Unser Karma besteht ja in gewisser Beziehung aus Leiden und Freuden. Wir stellen uns zu unserem Karma mit dem richtigen Willen, als ob wir es richtig wollten, wenn wir uns den Leiden und Freuden in der richtigen Weise entgegen- zustellen vermögen. Aber wir können das noch weiter ausdehnen.

Und gerade wie wir uns dem Karma gegenüberstellen können, das soll die heutige und morgige Betrachtung zeigen.

Unser Karma zeigt uns nicht bloß dasjenige, was leidvoll und freudvoll in Beziehung steht 'zu unserem Leben, sondern wir treffen im Verlaufe des Lebens, so daß wir darin sehen müssen karmische Wirkungen, zum Beispiel viele Menschen, mit denen wir flüchtige Bekanntschaft machen, Menschen, die uns mehr oder weniger in diesem

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oder jenem Verhältnis der Verwandtschaft, Freundschaft, eine lange Zeit unseres Lebens nahestehen. Wir treffen Menschen, denen wir so gegenüberstehen, daß sie uns Leid zufügen, oder daß durch das Zu- sammenwirken mit ihnen uns Leid, also Hemmnisse entstehen, oder wir treffen Menschen, die uns selber fördern, oder die wir fördern können, kurz, mannigfaltige Beziehungen ergeben sich. Auch solch einer Tatsache des Lebens gegenüber müssen wir, wenn fruchtbar werden soll im anthroposophischen Sinne dasjenige, was vorgestern über das Hinnehmen des Karma gesagt worden ist, daß wir es mit dem gescheiteren Teile in uns in einer gewissen Weise gewollt haben, gewollt haben also einen Menschen, der uns scheinbar in den Weg gelaufen ist, gewollt haben gerade den, mit dem wir dies oder jenes ausmachen. Was kann denn dann dieser Gescheitere in uns nur wollen, wenn er diesen oder jenen Menschen treffen will, worauf kann er sich denn stützen? Nicht wahr, es gibt keinen anderen vernünftigen Gedanken, als daß wir uns sagen: Wir wollen ihn treffen, weil wir ihn schon früher getroffen haben und weil sich das früher schon an- gebahnt hat. Es muß nicht im letzten Leben, sondern es kann viel früher gewesen sein. Weil wir in den verflossenen Leben mit diesem Menschen dieses oder jenes zu tun gehabt haben, weil wir in dieser oder jener Weise eine Schuld gehabt haben, so führt uns dieser Gescheitere mit ihm zusammen. Es ist ein mit magischer Kraft Hingeleitetwerden zu dem betreffenden Menschen.

Nun kommen wir da allerdings in ein Gebiet hinein, das außerordentlich mannigfaltig und verzweigt ist, und dem gegenüber eigentlich nur allgemeine Gesichtspunkte angegeben werden können. Aber es soll hier nur solches angegeben werden, was wirklich durch hellsichtige Forschung erfahren worden ist. Das kann jedermann nützlich sein, weil er es in gewisser Weise spezialisieren und auf sein eigenes Leben anwenden kann.

Es stellt sich eine merkwürdige Tatsache heraus. Wir alle erleben So um die eigentliche Mitte unseres Lebens herum diejenige Epoche, wo sozusagen die aufsteigende Linie in die absteigende Linie übergeht, wo wir alle Jugendkraft aus uns herausgesetzt haben, einen Höhepunkt überschreiten, und dann geht es wieder in die absteigende

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Linie über. Dieser Punkt, der so in die Dreißigerjahre hineinfällt, kann nicht als allgemeine Regel angegeben werden, aber es gilt dennoch für jeden von uns. Es ist diejenige Epoche unseres Lebens, in der wir in unserer Welt am meisten auf dem physischen Plane leben. In dieser Beziehung kann man sich einer Täuschung hingeben. Sie werden schon sehen. Ja, was vorhergegangen ist, das waren eigentlich seit der Kindheit immer, wenn es auch schwächer und schwächer geworden ist, Herausholungen von Dingen, die wir in die gegenwärtige Inkarnation mitgebracht haben. Das haben wir herausgesetzt, haben damit unser Leben gezimmei`t, so daß wir immer noch gezehrt haben von Kräften, die wir mitgebracht haben aus der geistigen Welt heraus. Die sind aufgebraucht> wenn der genannte Zeitpunkt eintritt. Und wenn wir dann wiederum die absteigende Lebenslinie betrachten, dann stellt sich die Sache so, daß wir das, was wir in der Lebensschule gelernt haben, anhäufen und verarbeiten, um das mitzunehmen in die nächste Inkarnation. Das leiten wir hinein in die geistige Welt; früher nahmen wir heraus. Da leben wir am allermeisten in der Welt des physischen Planes, da sind wir am meisten verstrickt in alles dasjenige, was uns von außen beschäftigt. Da haben wir unsere Lehrzeit ja sozusagen durch, da treten wir an das Leben unmittelbar heran, da müssen wir mit unserem Leben fertig werden. Da sind wir sozusagen mit uns selbst beschäftigt, am meisten beschäftigt mit dem Arrangieren der Außenwelt-Umstände für uns und mit dem Sich4n-ein-Verhältnis- setzen zur Außenwelt. Dasjenige aber, was sich mit der Welt in ein Verhältnis setzt, das ist der Verstand und die Willensimpulse, die aus dem Verstande kommen. Was am meisten da aus uns heörausquillt, das ist das Fremdeste, dem sich die geistigen Welten verschließen. Wir sind sozusagen am fernsten dem Geistigen in der Mitte des Lebens.

Nun stellt sich für die okkulte Forschung eine merkwürdige Tatsache ein. Wenn man untersucht> wie man da in der mittleren Lebenszeit mit anderen Menschen zusammentrifft, Bekanntschaften sucht im Leben, sind es kurioserweise diejenigen Menschen, mit denen man in der vorhergehenden Inkarnation oder einer früheren am Anfang seines Lebens zusammen war, in der allerersten Kindheit. Denn es hat sich

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herausgestellt, daß man in der Regel, nicht immer, in der Mitte seines Lebens durch irgendwelche äußeren Umstände des Karma diejenigen Menschen trifft, die früher einmal gerade die Eltern waren. Das sind die allerwenigsten Fälle, wo wir etwa mit den Menschen, die früher unsere Eltern waren, in der allerersten Kindheit zusammenkommen, sondern gerade in der Mitte des Lebens. So erscheint das gewiß als eine kuriose Tatsache, aber es ist so. Und erst wenn wir versuchen, nun eine solche Regel am Leben zu probieren, wenn wir unsere Gedanken so einrichten, können wir ungeheuer viel für das Leben gewinnen. Wenn ein Mensch, sagen wir, um das dreißigste Jahr herum, in irgendein Verhältnis tritt zu einem anderen Menschen: es mag sein, daß er sich in ihn verliebt, Freundschaft schließt, in irgendeinen Kampf kommt oder irgendwie in etwas anderes, so wird uns vieles lichtvoll und erklärlich, wenn wir zunächst probeweise daran denken, daß wir mit diesem Menschen einmal im Verhältnis von Kind und Eltern waren. Umgekehrt stellt sich eine höchst merkwürdige Tatsache heraus. Diejenigen Menschen, mit denen wir gerade in der aller- ersten Kindheit zusammentrafen, Eltern, Geschwister, Spielkameraden oder sonstige Umgebung der Kindheit, sind in der Regel solche Persönlichkeiten, mit denen wir in der vorhergehenden oder irgendeiner früheren Inkarnation die Beziehungen so entwickelt haben, daß wir damals um das dreißigste Jahr diese oder jene Bekanntschaft geschlossen haben. Es stellt sich sehr häufig heraus, daß diese Menschen als unsere Eltern oder Geschwister auftreten in der gegenwärtigen Inkarnation. Wenn uns so etwas auch kurios vorkommen mag, man versuche es nur einmal auf sein Leben anzuwenden. Man wird sehen, wie lichtvoller das Leben wird, wenn wir die Sache so betrachten. Wenn das einmal nicht stimmt, so macht eine fehlerhafte Probe nicht viel aus. Aber in einsamen Stunden das Leben so betrachten, daß es einen Sinn bekommt, das gibt ungeheuer viel. Nur soll man das Leben nicht so oder so arrangieren wollen, man soll nicht aussuchen diejenigen, die einem gerade gefallen, die man einmal als Eltern gerne gehabt haben würde. Man darf sich nicht durch irgendein Vorurteil die Sache in ein falsches Licht rücken. Sie merken, daß hier eine Gefahr liegt und unzählige Vorurteile auf uns lauern. Aber es ist schon

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ganz gut, wenn wir uns erziehen, in diesen schwierigen Dingen vorurteilsfrei zu sein.

Sie können die Frage an mich richten: Wie ist es denn nun aber mit dem Leben in der absteigenden Linie? In einer merkwürdigen Weise hat sich herausgestellt, daß wir am Beginne des Lebens bekannt werden mit Menschen, mit denen wir früher bekannt waren in der Mitte des Lebens, während wir jetzt, in der Mitte des Lebens, unsere Bekanntschaft mit ihnen am Anfange des damaligen Lebens wieder erkennen. Wie ist es denn im absteigenden Leben? - Da ist es so, daß wir dann mit Persönlichkeiten zusammengeführt werden, die vielleicht auch mit uns im früheren Leben etwas zu tun gehabt haben, vielleicht aber auch noch nicht. Sie haben dann etwas mit uns zu tun gehabt im früheren Leben, wenn besonders charakteristische Ereignisse vorkommen, wie sie so sehr häufig im Menschenleben auftreten, wenn irgendein entscheidender Lebenspunkt - sagen wir, starke Lebensprüfung durch bittere Enttäuschung - eintritt. Dann kommt das so, daß wir in der zweiten Hälfte des Lebens wieder mit Personen zusammengeführt werden, welche in der einen oder anderen Weise mit uns schon verbunden waren. Dadurch verschieben sich die Verhältnisse, und dadurch wird manches abgetragen, was früher verursacht war.

Das macht die Dinge mannigfaltig und läßt uns erkennen, daß wir nicht allzu schablonenhaft vorgehen sollen. Namentlich aber werden in der zweiten Hälfte des Lebens solche Personen uns in den Weg geführt, bei denen das Karma, das angesponnen ist, in einem Leben sich nicht erledigen läßt. Nehmen wir an, wir haben einem Menschen in einem Leben ein Leid zugefügt. Man könnte sich nun leicht denken, wir werden in einem folgenden Leben mit diesem Menschen wieder zusammengeführt, und der Gescheitere in uns führt uns so zusammen, daß wir ausgleichen können, was wir ihm getan haben. Aber die Lebensverhältnisse müssen nicht immer so sein, daß wir alles ausgleichen können, sondern oft nur einen Teil. Dadurch werden Dinge notwendig, welche die Sache komplizieren und welche es möglich machen, daß solche zurückgebliebenen Reste des Karma in der zweiten Hälfte des Lebens ausgeglichen werden. Da haben wir unser Karma

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so aufgefaßt, daß wir sozusagen unseren Verkehr und unser Zusammensein mit anderen Menschen in das Licht dieses Karma gerückt haben.

Wir können aber auch noch etwas anderes betrachten in unserem Karmaverlaufe, dasjenige, was wir in den zwei öffentlichen Vorträgen genantit haben: das Reifwerden, das Aneignen unserer Lebenserfahrung. Wenn das Wort nicht Unbescheidenheit erweckt, kann es ja gebraucht werden. Wir können in Betracht ziehen, wie wir weiser werden. Wir können an unseren Fehlern weiser werden, und am besten ist es für uns, wenn wir an unseren Fehlern weiser werden4, denn wir haben in ein und demselben Leben nicht oft Gelegenheit, die Weisheit anzuwenden: daher bleibt uns das, was wir an den Fehlern gelernt haben, als Kraft für ein Späteres Leben. Aber was wir uns an Weisheit, an Lebenserfahrnng aneignen können, was ist denn das eigentlich?

Ich habe gestern schon darauf aufmerksam gemacht: Unsere Vorstellungen können wir nicht aus einem Leben in das andere unmittelbar mitnehmen. Ich habe aufmerksam gemacht, daß selbst Plato die Vorstellungen seiner Seele nicht unmittelbar mitnehmen konnte in die andere Inkarnation. Wir nehmen das mit hinüber, was wie unser Wille, unser Gemüt aussieht, so daß wir eigentlich unsere Vorstellungen geradeso wie unsere Sprache mit jedem Leben neu bekommen. Denn der größte Teil der Vorstellungen lebt ja in der Sprache, so daß wir den größten Teil der Vorstellungen aus der Sprache uns aneignen. Dieses Leben zwischen Geburt und Tod gibt uns Vorstellungen, die eigentlich immer aus dem Leben zwischen Geburt und Tod sind. Wenn das aber nun so ist, dann müssen wir uns ja Sagen, also hängt es eigentlich immer von unserem Karma ab, immer hängt es von den jeweiligen Inkarnationen ab, wie viele Inkarnationen wir auch durchmachen, welche Vorstellungen wir aufnehmen. Dasjenige, was Sie als Vorstellungsweisheit erleben können, nehmen Sie immer von außen auf. Das hängt nun davon ab, wie Sie das Karma hineingestellt hat in Sprache, Volk, Familie. Wir wissen im Grunde genommen von der Welt in unseren Vorstellungen und Gedanken nichts anderes, als was abhängig ist von unserem Karma. Damit ist recht viel gesagt. Damit

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ist gesagt, daß all das, was wir im Leben wissen können, was wir als Erkenntnis uns aneignen können, etwas ganz Persönliches ist, daß wir nie über die Persönlichkeit hinauskommen durch das, was wir uns im Leben aneignen können. Wir kommen im Leben nie bis zum Gescheiteren, sondern bleiben immer beim Weniger-Gescheiten stehen. Wenn jemand sich einbildet, daß er mehr wissen kann von seinem höheren Selbst aus sich selbst, aus dem, was er sich in der Welt an- eignet, dann stellt er sich nach seiner Bequemlichkeit etwas Unrichtiges vor. Es ist nichts Geringeres damit gesagt, als daß wir von unserem höheren Selbst gar nichts wissen durch das, was wir uns im Leben aneignen.

Ja, wie können wir denn überhaupt etwas über unser höheres Selbst wissen, wie kommen wir zu solchem Wissen? Nun, einfach in folgender Weise müssen wir fragen: Was wissen wir denn eigentlich überhaupt? Zunächst das, was wir uns durch Erfahrung angeeignet haben. Das wissen wir, weiter nichts! Und der Mensch, der sich selbst erkennen will und nicht weiß, daß in seiner Seele nur ein Spiegel der äußeren Welt drinnen liegt, kann sich vordeklamieren, daß er durch das Hineingehen in sich sein höheres Selbst finden kann. Wohl wird er etwas finden, aber nichts anderes ist es, als was von außen herein- gekommen ist. Auf diesem billigen Wege der Bequemlichkeit geht es nicht. Wir müssen uns fragen über dasjenige, was in den anderen Welten vorkommt, in denen unser höheres Selbst auch ist, und da gibt es nichts anderes, als was uns erzählt wird, was uns gesagt wird über die verschiedenen Verkörperungen der Erde, über dasjenige überhaupt, worüber Geisteswissenschaft spricht. Wie man eine Kindesseele in bezug auf das äußere Leben durchforscht, wenn man frägt, was hat das Kind um sich herum, so müssen wir fragen, was hat das hÖhere Selbst um sich? Von den Welten aber, in denen unser höheres Selbst ist, erfahren wir durch Geisteswissenschaft, durch das, was uns erziihlt wurde vom Saturn und von allen seinen Geheimnissen, vom

Monde, von der Entwickelung der Erde, von Reinkarnation und Karma, vom Devachan und Kamaloka und so weiter. Dadurch er- fahren wfr einzig und allein etwas über unser höheres Selbst, über dasjenige Selbst> das wir über den physischen Plan hinaus haben. Und

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wer diesen Geheimnissen nicht folgen will, dem muß gesagt werden: Du bist eigentlich ein rechtes Schmeichelkätzchen zu dir selbst. - Denn es ist so, daß es sich so recht sehr dieser Seele einschmeichelt: Schau nur in dich, da findest du den Gottmenschen. - Jawohl, nichts weiter als was er von außen erlebt und was er innen abgelagert hat! Den Gottmenschen finden wir nur, wenn wir das in uns aufsuchen, was sich von außerhalb dieser Welt in ihr spiegelt, so daß alles, was unter Umständen uns unbequem zu lernen sein kann, nichts anderes ist als Selbsterkenntnis. Und wahre Theosophie ist in Wirklichkeit wahre Selbsterkenntnis! So daß wir, wenn wir Geisteswissenschaft empfangen, sagen können, wir nehmen sie hin als dasjenige, was uns aufkIärt gerade über unser Selbst. Denn wo ist eigentlich dieses Selbst? Ist es innerhalb unserer Haut? Nein, es ist ausgegossen in der ganzen Welt, und was in der Welt ist, ist mit unserem Selbst verbunden, und auch was in der Welt war, ist mit unserem Selbst verbunden, und nur wenn wir die Welt kennen lernen, lernen wir das Selbst kennen.

So ist es mit diesen scheinbaren Theorien, daß sie nichts anderes sind als Wege zur Selbsterkenntnis. Derjenige, der durch das Hinein- starren in sein Inneres das Selbst finden will, der sagt sich: du mußt gut sein, selbstlos sein! Ja, schön. Nur kann man bemerken, daß der immer egoistischer wird. Dagegen führt das Sichabplagen mit den großen Geheimnissen des Daseins, das Sichherausreißen aus diesem sich selbst so sehr schmeichelnden, persönlichen Selbst, das Aufgehen in dem, was in den höheren Welten ist und aus ihnen erkannt werden kann, zur wahren Selbsterkenntnis. Indem wir über Saturn, Sonne, Mond nachdenken, verlieren wir uns in Weltgedanken. «In deinem Denken leben Weltgedanken», sagt sich die anthroposophisch den- kende Seele, aber sie fügt hinzu: «Verliere dich in Weltgedanken». Die aus der Anthroposophie schöpfende Seele sagt sich: «In deinem Fühlen weben Weltenkräfte». Aber sie sagt gleich: « Erlebe dich durch Weltenkräfte!» Nicht in den schmeichelnden Weltenkräften, nicht der, der das Auge zumacht und sich vorsagt: Ich will ein guter Mensch sein - sondern derjenige, der das Auge aufmacht, der auch das Geistesauge aufmacht und sieht, wie draußenWeltenkräfte wirken und walten, und gewabr wird, wie er in diesen Weltenkräften eingebettet ist, 'der

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erlebt sie! Ebenso sagt sich die Seele, die Stärke schöpft aus der Anthroposophie: « In deinem Willen wirken Weltenwesen» und gleich fügt sie hinzu: «Erschaffe dich aus Willenswesen!» Und das gelingt, wenn man Selbsterkenntnis so auffaßt. Dann gelingt es, daß man sich umschafft aus Weltenwesen.

Scheinbar ist es trocken und abstrakt, in Wahrheit ist es aber nicht bloß Theorie, sondern etwas, was wie ein Samenkorn, das wir in die Erde stecken, lebt und wächst, Kräfte schießt nach allen Seiten und zur Pflanze, zum Baume wird. So ist es. Mit den Gefühlen, die wir aufnehmen in der Geheimwissenschaft, machen wir uns fähig, uns umzuschaffen: « Erschaffe dich aus Willenswesen! » So wird Anthroposophie zum Lebenselixier. Dann erweitern wir unseren Blick über Geisteswelten, dann werden wir die Kräfte saugen aus Geisteswelten, dann werden wir die Kräfte, die wir gewinnen, in uns hineinführen und dann erkennen wir uns in unseren Tiefen. Erst wenn wir die Welterkenntnis hineintragen in uns, erfassen wir uns und dringen allmählich vor von dem Weniger-Gescheiten, dem, der abgetrennt ist vom Hüter der Schwelle, zum Gescheiteren, und durch all das hindurch, was dem Menschen, der noch nicht stark sein will, sich verbirgt, was er aber gerade gewinnt durch die Anthroposophie.


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INTIMITÄTEN DES KARMA Wien, 9. Februar 1912 Zweiter Vortrag

Über einen Punkt, der gestern besprochen worden ist hier in unseren Abendbetrachtungen> möchte ich nicht gerne mißverstanden sein, und es schien mir doch aus einem Gespräche, das heute mit mir geführt worden ist, daß` leicht ein Mißverständnis sich einschleichen könnte.

Es ist ja natürlich, daß diese Dinge, die mit den Intimitäten unseres Karma zusammenhängen, schwer in Worte zu formulieren sind, und daß sehr leicht das eine oder das andere nicht ganz klar das erstemal verstanden werden kann. Es ist der Punkt, der gestern besprochen worden ist in bezug darauf, daß wir in unseren Schmerzen und Leiden etwas zu sehen haben, was der Gescheitere in uns aufsucht, um gewisse Unvollkommenheiten zu überwinden, und daß wir gerade da- durch, daß wir gelassen die Schmerzen ertragen, unsere Bahn weiterschreiten. Es ist nicht dieses, was mißverstanden werden könnte, sondern das andere, daß wir dagegen Lust und Freude hinzunehmen haben als etwas, das uns zukommt ohne unser Verdienst, ohne daß wir es auf unser individueIles Karma zu beziehen hätten, daß wir es vielmehr zu betrachten hätten als eine Art von Gnade, durch die wir eingesponnen werden in den allwaltenden Geist. Dies bitte ich Sie nicht so aufzufassen, als ob der Hauptton darin läge, daß uns Freude und Lust zukommt wie ein Geschenk der göttlichen, geistig waltenden Mächte, sondern ich bitte, den Hauptton darauf zu legen, daß gesagt worden ist: Wir sollen, wenn wir unser Karma verstehen wollen, darauf Rücksicht neöhmen, daß wir diese Dinge durch eine Gnade zugeteilt erhalten haben. So also, daß Freude und Lust ausgegossen sind über uns wie eine Gnade. Derjenige Mensch, der in seinem Karma seine Freude und Lust so verstehen will, als wollten ihn die Götter auszeichnen und ihn erhaben über alle anderen hinstellen, der wird das Gegenteil erreichen. Wir dürfen keineswegs das so auffassen, als ob sie uns zugeteilt würden zu dem Zwecke, uns als bevorzugt vor anderen zu halten. Wir haben sie aufzufassen, als ob sie uns zugeteilt

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wären als ein Aniaß, uns in der Gnade jener göttlich-geistigen Wesenheiten zu füMen. Also erst dieses Sich-Fühlen in der Gnade ist es, was einen Fortschritt bedeutet, das andere würde uns ganz wesentlich zurückwerfen in unserer Entwickelung. Du Mensch, du sollst nicht glauben, daß du zu reiner Lust und Freude kommen kannst durch besondere Vorzüge deines Karma, sondern du sollst glauben, daß du nur dazu kommen kannst dadurch, daß du keine Vorzüge hast. - Wir sollen besonders dann Werke der Barmherzigkeit tun, was wir dann besser tun können, als wenn wir Leid und Schmerz erleiden. Der Hinweis> daß wir uns der Gnade würdig machen sollen, das ist es, was uns vorwärtsbringt. Es würde also nicht eine Rechtfertigung sein der Anschauung mancher Leute, daß derjenige, der von Freude erfüllt und reich ist, sich das verdient habe; das soll gerade vermieden werden. Das bitte ich als einen Hinweis zu nehmen, durch den ein Mißverständnis vermieden werden könnte.

Nun wollen wir heute in einer noch freieren Weise unsere Betrachtungen über das Karma etwas weiter ausdehnen, über das Karma und unser Erleben in der Welt, so daß uns Geisteswissenschaft eine Art von Lebens kraft sein kann. Wir werden, wenn wir unser Leben betrachten und das, was mit uns passiert, zweierlei Arten von Erlebnissen zunächst haben können. Die eine Art kann etwa so sein, daß wir uns sagen können: Ja, da hat mich ein Unglück betroffen, oder da hat mich dies oder jenes betroffen. Nehmen wir an, ein Unglück habe mich betroffen. Ich werde vielleicht, wenn ich meine Gedanken hinlenke auf das Unglück, das mich betroffen hat, mir sagen können: Wäre ich nicht in bezug auf dieses oder jenes lässig oder ein Taugenichts gewesen, würde mich dieses Unglück nicht betroffen haben. - Wir können aber solch eine Betrachtung mit den gewöhnlichen normalen Mitteln des Bewußtseins nicht immer anstellen, sondern wir werden in zahlreichen Fällen finden, daß wir uns keine Rechenschaft geben können, wie denn das Unglück zusammenhängt mit den Ereignissen unseres gegenwärtigen Lebens. Wir werden mit den Mitteln des gewöhnlichen Bewußtseins geradezu veranlaßt sein> von manchem, was uns trifft, zu sagen: Es ist da ein Zufall in unser Leben hereingebrochen, wir sehen keinen rechten Zusammenhang. - Wir

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werden diesen Unterschied auch machen können in bezug auf Dinge, die wir imstande sind durchzuführen, die wir sozusagen treffen oder die wir nicht treffen. Bei manchem was uns mißglückt, werden wir begreiffich finden> daß es uns mißglücken mußte, weil wir faul oder unaufmerksam waren und dergleichen. Bei manchem aber werden wir mit unseren Kräften und Fähigkeiten den Zusammenhang nicht gleich durchschauen können. Damm ist es nützlich, gerade einmal von diesem Gesichtspunkte aus Umschau zu halten in seinen eigenen Erlebnissen, gerade die Dinge zu trennen, von denen man sagen kann: sie sind mir mißglückt, es ist, als ob sie mir mißglücken sollten, ohne daß ich daran schuld bin. Bei anderen Dingen wird man sagen: ich wundere mich eigentlich, daß sie geglückt sind. Und gerade diese Dinge, die wollen wir ins Auge fassen. Und dann wollen wir ins Auge fassen diejenigen Dinge, welche wie ein Zufall ins Leben herein- spielen, von denen wir uns gar nicht vorstellen können, daß sie zu- sammenhängen können mit den Ursachen, die sie hereingebracht haben, also zufällige Dinge und diejenigen, die wir getan haben, ohne daß sie unseren Fähigkeiten zu entsprechen scheinen. Das alles wollen wir aufsuchen und uns recht sehr hinein vertiefen.

Merkwürdige Sachen wollen wir machen. Wir wollen für alles, was uns getroffen hat, probeweise einmal uns vorstellen, daß wir es doch selbst gewollt hätten, daß wir geradezu den Willen dazu entfaltet hätten. Nehmen wir an, ein Ziegel hätte sich los gelöst vom Dache und wäre uns auf die Schulter gefaIlen. Wollen wir uns einmal probeweise vorstellen, daß uns das nicht zufällig getroffen hat. Wir wollen direkt den Gedanken ausarbeiten: Wie wäre es, wenn du auf dem Dache gewesen wärest, den Ziegelstein gelockert hättest, so daß er lose hing, und wärest dann heruntergegangen, und zwar so schnell, daß du gerade unten ankamst, als der herabfallende Ziegel anlangte und er dich dann getroffen hätte! - Also solch eine Betrachtung stellen wir einmal an. Oder sagen wir, wenn wir uns, scheinbar ohne Veranlassung, eine Erkältung zugezogen hätten, wie wäre es, wenn wir das selbst gemacht hätten? Zum Beispiel einer unglücklichen Dame gleich, die sich, unzufrieden mit ihrem Schicksal, absichtlich einer Erkältung ausgeSetzt hat, an deren Folgen sie auch starb. Also die Dinge, die wir

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sonst als zufällige erkennen, wollen wir in eine Gedankenfassung bringen, als ob wir sie sorgsam vorbereitet hätten, derart, daß sie uns dann betroffen hätten. Ebenso wollen wir es machen mit denjenigen Dingen, die mit unseren Fähigkeiten und Eigenschaften zusammenhängen. Sagen wir, es glückt uns etwas nicht. Zum Beispiel, wenn wir einen Eisenbahnzug versäumen, da wollen wir uns nicht vorstellen, daß alle möglichen äußeren Verhältnisse schuld daran waren, sondern wir wollen uns vorstellen, daß wir durch unsere Nichtsnutzigkeit versäumt hätten, zurechtzukommen. Denken wir uns dies probeweise so aus. Wenn mtl das macht, kommt man dazu, nach und nach aus diesen Gedanken heraus eine Art Menschen erphantasieren zu können. Es würde das ein sonderbarer Mensch sein> den wir uns da zusammenphantasieren, ein Mensch, der dies alles getan hätte: daß uns ein Stein auf die Schulter fällt, daß wir diese oder jene Krankheit bekommen und so weiter. Wir werden natürlich erkennen, daß wir nicht das selber sind. Aber wir malen uns einen solchen Menschen aus, recht klar. Da werden wir eine recht eigentümliche Erfahrung machen an einem solchen Menschen. Wir werden nämlich nach einiger Zeit merken: das hast du natürlich nicht getan, und der Mensch ist ein errräumter. Aber wir können von diesem Menschen nicht mehr los- kommen. Wir bringen den Gedanken nicht mehr los. Und merkwürdigerweise bleibt er nicht so, wie er ist. Er wird lebendig in uns, verwandelt sich in uns. Und darin, wenn er sich verwandelt hat, bekommen wir den Eindruck, als ob er doch in uns stecken würde, dieser Mensch. Und wir erhalten dadurch merkwürdigerweise immer mehr und mehr die Gewißheit: wir selbst haben doch in einer gewissen Weise vorbereitet, was wir uns hier ausgemalt haben. Das heißt, es ist dies keineswegs das Gefühl, daß wir das einmal wirklich getan hätten, aber es sind Gedanken, die doch dem entsprechen, was wir in einer gewissen Weise getan haben. Man wird sich sagen: du hast da und da etwas gemacht, was du jetzt erleidest, es ist für das oder jenes. Es ist eine sehr gute Übung, um eine Art Gemütsgedächtnis herauszubringen für unsere früheren Inkarnationen. Es legt sich dadurch etwas über unsere Seele, aus dem wir fühlen können: Du warst da und hast dir das vorbereitet.

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Sie werden verstehen können, daß die Herstellung der Erinnerung an die früheren Inkarnationen nicht ganz leicht zu sein braucht. Denn denken Sie nur daran, wie Sie sich besinnen müssen, sogar ein kurz Vergessenes heraufzubringen. Sie müssen eine Besinnungsarbeit machen. Gründlich hat der Mensch vergessen, was er erlebt hat in den früheren Inkarnationen, da muß er manches machen, um dem Gedächtnis zu Hilfe zu kommen. Und das ist eine solche Übung. Außer dem, was in den öffentlichen Vorträgen gesagt worden ist, sei hier gesagt, daß der Mensch merken wird, daß er in einer gewissen Weise zum Gemütsgedächtnis kommen wird: Das hast du dir früher selbst zubereitet!

Verachten wir nicht solche Regeln, die uns gegeben werden, denn wir werden immer mehr dabei erfahren, wie sich das Leben durchleuchtet und wir dadurch stärker und stärker werden im Leben. Wir werden schon erfahren, daß wir, wenn wir das einmal gemacht haben und wenn wir einmal das Gefühl erhalten: Du warst da und hast das selbst vollbracht -, daß wir dann den zukünftigen Ereignissen, denen wir begegnen, in ganz anderer Weise gegenüberstehen. Es ändert sich unsere ganze Gemütsverfassung dadurch. Während wir vielleicht früher Schrecken und alle anderen derartigen Gefühle gehabt haben> wenn uns etwas getroffen hat, so bekommen wir jetzt etwas wie ein Erinnerungsgefühi. Und wenn uns dann irgend etwas zustößt, haben wir schon die Richtung unseres Gemüts, das uns sagt: Ach, das ist für dieses oder jenes. - Und das ist Erinnerung an das frühere Leben. Dadurch wird das Leben abgeklärter und ruhiger, und das ist dasjenige, was die Menschen brauchen würden, nicht bloß die, die von der Sehnsucht zur Anthroposophie getrieben werden, sondern auch die, welche draußen stehen. Es gilt also die Ausrede nicht, welche von vielen Menschen gemacht wird, daß sie sagen: Was gehen uns die früheren Inkarnationen an, wenn wir uns nicht an sie erinnern! Wenn wir für dieses Erdendasein die Besinnung anstreben, werden wir es schon erleben, nur müssen wir nicht ein Vorstellungs-, ein Begriffsgedächtnis, sondern ein Gemütsgedächtnis entwickeln.

Es lag mir daran, besonders bei diesem Aufenthalte aufmerksam darauf zu machen, daß vieles sich praktisch einleben kann, daß so

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mancher, der Anthroposophie praktisch ausführt, das Gefühl gewinnen kann, sie zu erleben.

Nun aber ist für den Menschen im Verlaufe seines Karma nicht bloß dasjenige wichtig, was er sich in früheren Inkarnationen zugezogen hat, sondern wir durchleben ja auch ein Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Dieses ist nicht ein ereignisloses Leben, sondern ein solches, in welchem wir viele Ereignisse durchmachen, in dem wir allerlei erleben, erfahren. Und auch die Folgen der Erlebnisse, die wir in der geistigen Welt durchmachen, treten in unser Erdenleben, nur auf eine eigenartige Weise, so daß wir gerade diesen Ereignissen gegenüber oftmals uns recht geneigt fühlen, von Zufällen zu sprechen. Wir können solche Ereignisse zurückführen auf wichtige Vorkommnisse, die wir dort erlebt haben.

So möchte ich Ihnen heute etwas anführen, was scheinbar dem ersten Teil unserer Betrachtungen ferneliegt. Sie werden ersehen, wie solches wichtig sein kann für alle Menschen und wie scheinbare Zufälligkeiten eigentlich zu beurteilen sind im Leben, wie tief sie bezeichnend sein können in den geheimnisvollen Zusammenhängen des Lebens.

Da muß ich auf eine geschichtliche Tatsache hinweisen, welche nicht in Geschichtsbüchern, sondern in der Akasha-Chronik aufbewahrt ist. Aufmerksam muß ich zunächst machen, daß unsere Seelen, wie sie hier jetzt sind, ja, wie wir alle immer wieder und wieder in den verschiedensten Verhältnissen in irdischen Leibern verkörpert waren, verkörpert im alten Indien, Persien, Ägypten, Griechenland gelebt haben. Immer haben wir mit den Augen auf andere Verhältnisse gesehen> immer haben wir erfaßt andere Verhältnisse, und es hat einen Sinn, daß wir durch Inkarnation und Inkarnation durchgehen, und wir würden jetzt unser Leben nicht so zubringen können, wenn wir nicht diese verschiedenen Dinge erlebt hätten. Ganz Besonderes haben die Seelen derjenigen Menschen erlebt, welche gelebt haben im zwölften, dreizehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Damals waren nänilich über die Menschheit ganz besondere Verhältnisse herein- gebrochen. Das ist also jetzt, wenn wir so sagen dürfen, nicht ganz siebenhundert Jahre her. Da brachen über die Menschheitsentwicke

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lung solche Verhältnisse herein, daß wir sagen können, es waren dazumal die Menschenseelen am meisten abgeschlossen von der geistigen Welt, eine geistige Finsternis war da, und es war dazu mal nicht möglich, daß selbst vorgerückte Menschenseelen sich in unmittelbare Verbindung mit der geistigen Welt gebracht hätten. Nicht einmal in früheren Inkarnationen Eingeweihte konnten im dreizehnten Jahrhundert in die geistige Welt hineinschauen. In diesem Jahrhundert waren am meisten die Tore der geistigen Welt verschlossen, und Menschen, die früher eingeweiht waren, konnten sich zwar ihrer früheren Inkarnationen erinnern, als sie eingeweiht wurden, aber sie konnten nicht im dreizehnten Jahrhundert selbst hineinblicken in die geistigen Welten. Die Menschen mußten nämlich einmal diesen Tief- stand durchmachen> mußten die Tore zur geistigen Welt zugeschlossen finden. Allerdings gab es damals geistig hochentwickelte Menschen, aber sie mußten den Zustand mitmachen, der in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts da war, den Zustand der Verflnsterung. Dieser Zustand hörte auf um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, und da bildete sich etwas Eigentümliches aus in einer Gegend in Europa. Der Ort kann jetzt nicht angegeben werden, aber vielleicht wird es möglich sein, ihn einmal in einem Zweigvortrag bekanntzugeben. Aus diesem Dämmerungszustand des hellsichtigen Lebens heraus entwickelten sich zwölf große, hervorragende europäische Weise, die auf sonderbare Art geistig entwickelt waren. Wenn wir nun diese zwölf größten Weisen Europas ins Auge fassen, müssen wir zunächst Sieben abtrennen und diese Sieben ins Auge fassen. Diese Sieben hatten in dieser Zeit sich erinnert an ihre früheren Initiationen, ihre Einweihungen. Diese Erinnernng mit den Erkenntnissen, die geblieben waren, war so, daß diese sieben Weisen in sich wiederholten einen Zustand, den sie früher erlebt haben, den sie erlebt hatten in der Zeit nach der atlantischen Katastrophe, den sie durchgemacht hatten in der uralten indischen Kultur. Was die heiligen sieben Rishis der Inder gelehrt hatten, war wieder erstanden in den Seelen der sieben Weisen in Europa. Sie waren die sieben Strahlen der heiligen Weisheit, so daß dastand die alte heilige atlantische Kultur in den Herzen dieser sieben weisen Männer, welche versammelt waren durch ein

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großes Weltenkarma an einem bestimmten Orte Europas, wo sie sich wieder finden konnten- Zu diesen Sieben traten Vier. Von diesen Vier entwickelte der Erste die erste Periode nach der atlantischen Katastrophe, die uralt indische Kultur. Sein Seelenwesen erstrahlte wieder aufs neue in der Seele des Achten. Derjenige, der die uralt persische Kultur in sich trug, ließ erstrahlen sein Seelenwesen in der Seele des Neunten, der Dritte ließ erstrahlen die Kultur der dritten Periode, der ägyptisch-chaldäischen Kultur in der Seele des Zehnten, und derVierte, dessen Seelenwesen die griechisch-lateinische Kultur in sich trug, ließ sie wieder erstrahlen in der Seele des Elften. Das aber, was dazumal Gegenwartskultur war, was man in der Gegenwart erleben konnte, was da die Menschen erfahren konnten, das war im Zwölften vorhanden. Es waren in den zwölf Männern, die sich in der besonderen Mission vereinigten, die zwölf verschiedenen Standpunkte menschlicher Geistesentwickelung vorhanden. Das ist schon ein Geheimnis, daß man alle Religionen und alle Philosophien, die möglich sind, auf zwölf Grundtypen zurückführen kann. Und ob Sie den Buddhismus, den Brahmanismus, die Vedanta, den Materialismus nehmen, in zwölf Standpunkte läßt sich alles bringen, man muß nur ganz genau zu Werke gehen. So daß also in jenem Kollegium von zwölf weisen Männern vereinigt war sozusagen dasjenige, was über die ganze Erde verbreitet war an verschiedenen menschlichen Standpunkten, an verschiedenen Religionen, Philosophien und sonstigen Weltanschauungen.

Nun kam zu jenen zwölf Männern, nachdem die Dämmerung abgelaufen war und wieder in spiritueller Weise etwas gearbeitet werden konnte, ein Dreizehnter dazu. Dieser Dreizehnte war auf eine merkwürdige Weise dazugekommen. Was ich jetzt erzähle, das gehört zu jenen Ereignissen, die sich, in der Menschheitsentwickelung verborgen, aber nur einmal abspielen können. Sie können sich nicht wiederholen, und niemandem wird es erzählt aus dem Grunde, daß er das nachmachen sollte, sondern aus einem ganz anderen Grunde. Der Dreizehnte war in einer für die zwölf hellseherischen Weisen merkwürdigen Art angekündigt worden, als die Dämmerung vorüber war, und man die ersten Strahlen des Hellsehertums entfalten konnte, so daß sie wußten, es müsse jetzt ein Kind geboren werden, welches sehr

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bedeutungsvolle und merkwürdige Inkarnationen hinter sich habe. Vor allem wußten sie, daß eine Inkarnation verlaufen sei zur Zeit, als sich abgespielt hatte das Mysterium von Golgatha. Man wußte also, ein Zeitgenosse der Ereignisse von Palästina kehre wieder, und diese jetzt folgende Inkarnation des damals im dreizehnten Jahrhundert unter so eigentünilichen Verhältnissen als Kind Geborenen war so, daß man von ihm nicht sagen konnte, er wäre als hochstehende Individualität geboren. Das ist überhaupt eine Unart, daß man, wenn von Vorleben gesprochen wird, immer auf wichtige Persönlichkeiten aus der Geschichte zurückgreffen will. Das ist eine Unart, die nur zu sehr verbreitet ist. Es ist mir oft vorgekommen, daß die verschiedensten Personen auf historische und auf Personen aus den Evangelien als auf ihre Inkarnation zurückgreifen wollten. Unlängst erst kam eine Dame, die behauptete, sie sei Maria Magdalena gewesen. Ich habe ihr gesagt, sie sei die vierundzwanzigste Maria Magdalena, die mir im Leben begegnet sei. - Es muß die allergrößte Vorsicht angewendet werden, daß nichts Phantastisches hervorkommt!

Die Geschichte erzäHt uns auch recht wenig von den aufeinander- folgenden Inkarnationen dieser Persönlichkeit, des Dreizehnten. Er wurde immer und immer wieder geboren mit hervorragenden, bedeutsamen Gemütseigenschaften. Das wußte man, daß dieser Mensch wieder als Kind geboren werden würde und daß er ausersehen sei, ganz Besonderes für die Menschheit zu bedeuten. Das erhielten aus ihrer Hellsichtigkeit heraus diese zwölf Männer, die dieses Kind ganz in ihre Erziehung nehmen und es einrichten konnten, daß es von allem Anfang an der Welt ganz entrückt wurde. Es wurde ganz herausgenommen aus der Familie und unter die Erziehung und Obhut der zwölf Männer gebracht. Die zogen es mit aller Sorgfalt auf, entsprechend den Regeln ihres Hellsehertums, so daß alles, was als Kräfte von den Inkarnationen her veranlagt war, in diesem Kinde sich nach und nach wieder heranbilden konnte. Sie werden merken, daß von diesem Ereignisse eine Art ahnungsvolles Bewußtsein geblieben ist in jenen> die etwas von der Geschichte des geistigen Lebens wußten. Ich habe aus einer Dichtung, in der diese Ahnung lebt, vortragen lassen. Die «Geheimnisse» von Coethc sind wiederholt vorgetragen

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worden. Goethe hat aus einer tiefen Ahnung von diesem Kollegium der Zwölf gesprochen und wiedergegeben die Gemütszustände derselben. Es war nicht der Bruder Markus, sondern jenes Kind, von dem ich Ihnen erzähle, daß es von den ersten Tagen seiner Geburt hereingenommen worden ist in die Erziehung der Zwölf, bis es ein Jüngling geworden war. Merkwürdig entwickelte sich dieses Kind. Die zwölf Männer waren nicht Fanatiker, sondern abgeklärte, ruhige, innerlich harmonische Geister. Was tut der Fanatiker? Er will die Menschen so schnell als möglich bekehren; sie wollen aber gewöhnlich nicht. Jeder soll gleich glauben> was der Fanatiker will, und er ärgert sich, wenn man ihm nicht glaubt. Wenn in unserer Gegenwart jemand dies oder das vertritt, glaubt man ja gar nicht, daß er oft etwas anderes begreifflch machen will, begreiffich machen will, was derjenige dachte und glaubte, von dem er spricht. So hielt man mich jahrelang für einen Nietzscheaner, weil ich über /Möet~che objektiv ein Buch geschrieben habe. Aber die Menschen können ja durchaus nicht verstehen, daß man in objektiver Weise etwas wiedergeben will, sondern sie glauben, daß jeder ein Fanatiker sein muß für das, was er sagt.

Die Zwölf waren gewiß keine Fanatiker, und sie haben mit Lehren, die in Worte gekleidet waren, den Knaben recht verschont. Aber sie lebten mit ihm zusammen, und das bewirkte, daß von ihnen zwölf verschiedene Lichtstrahlen in den Knaben hineingingen, und er nahm sie so auf, daß sie sich zu einer inneren Harmonie in der Seele des Knaben herausblldeten. Man hätte ihn nicht in lehrhafter Weise examinieren können, aber in seinem Gemüte lebte, in Gefühl und Empfindung verwandelt, was die zwölf Träger der zwölf verschiedenen Typen der Religionen in seine Seele hineinstrahlen ließen. Und die ganze Konfiguration der Seele, die ganze Grundstimmung und Gemütsverfassung war ein harmonischer Widerklang der zwölf verschiedenen Bekenntnisse der Menschheit, die über die Erde verbreitet sind.

Es hatte allerdings die Seele dieses Menschen dadurch viel zu tragen, und die Folge davon war, daß in einer eigenartigen Weise diese Seele auf den Leib wirkte. Und gerade aus dem Grunde> weil das, was ich jetzt erzähle, eingetreten ist, darf dies nicht wiederholt werden; es

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konnte sich nur in jenem Zeitpunkte abspielen. Und merkwürdigerweise, je größer, harmonischer der Seeleninhalt dieses Knaben wurde, desto zarter wurde sein Leib, immer zarter und zarter. Und in einem bestimmten Lebensalter stellte sich geradezu heraus, daß der Leib so zart geworden war, daß er förmlich durchsichtig wurde, daß man durchsehen konnte durch die einzelnen Glieder. Und immer weniger und weniger aß dieser Jüngling, bis er zuletzt ganz aufhörte zu essen. Dann verfiel er durch Tage in einen apathischen Zustand; die Seele war herausgegangen aus dem Leibe und ging nach einigen Tagen wiederum in den Leib zurück. Jetzt war der Jüngling innerlich ganz veräridert. Die zwölf verschiedenen Strahlen der menschlichen Weltanschauungen waren wie in ein Licht vereinigt, und er sprach nun die wunderbarsten, gewaltigsten Geheimnisse. Er sagte nicht, was der Eine, der Zweite, der Dritte sagte, er sagte in ganz neuer Form und in einer wunderbaren Weise Dinge, die alle zusammen hätten sagen müssen, Dinge, in denen alles, was die anderen wußten, vereinigt war, und er sagte das so, als wenn diese neue Weisheit in ihm eben geboren worden wäre, als ob ein höherer Geist in ihm gesprochen hätte, so daß diese zwölf Männer jetzt alle etwas Neues lernen konnten. Und sie lernten alle von ihm, unendlich viel wurde ihnen geboten, einem jeden eine vollkommenere Erklärung dessen, was er von früher her wußte.

Ich habe Ihnen geschildert die erste Schule des Christian Rosenkreutz; denn dieser Dreizehnte ist diejenige Individualität, die wir als Christian Rosenkreutz bezeichnen. In jener Inkarnation starb er sehr bald, hatte nur ein kurzes Erdendasein. Er wurde im vierzehnten Jahrhundert wiedergeboren und lebte damals ein Leben, das über hundert Jahre währte. Da kamen in ihm wieder zum Vorschein alle diejenigen Dinge, die sich im dreizehnten Jahrhundert in ihm gebildet hatten. Damals, im dreizehnten Jahrhundert, hatte er ein kurzes, dann im vierzehnten Jahrhundert ein langes Leben. Die erste Hälfte des letzteren benützte er zu großen Reisen, um aufzusuchen die verschiedenen Kulturstätten Europas, Afrikas, Asiens, um kennen zu lernen, was in ihm damals im dreizehnten Jahrhundert aufgegangen war. Dann kam er wieder nach Europa zurück. Einige von denen, die

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ihn im dreizehnten Jahrhundert auferzogen hatten, waren wieder- verkörpert, andere gesellten sich hinzu. Es wurde damals diejenige Strömung insbesondere eingeleitet, die man die rosenkreuzerische nennt. Und immer kam Christian Rosenkreutz in den mannigfaltigsten Verkörpemngen wieder.

Aber durch seine Persönlichkeit wirkt er bis in die heutige Zeit herein auch in den kurzen Zwischenräumen, in denen er nicht inkarniert ist, ja, spirituell wirkt er in die Menschen durch seine höheren Leiber so herein, daß er nicht mit ihnen im Raume verbunden zu sein braucht. Wir müssen uns einmal dieses geheiniriisvolle Wirken vor Augen führen.

Da möchte ich Ihnen zunächst ein Beispiel anführen. Für diejenigen, die das okkulte geistige Leben miterleben, stellte sich etwas sehr Merkwürdiges heraus. Wenn man nämlich die Dinge miterlebte, die auf dem geistigen Plane um uns herum sich abspielen, zum Beispiel in den achtziger bis neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, dann konnte man gewisse Einflüsse einer merkwürdigen Persönlichkeit okkult verspüren - ich führe nur einen Fall von vielen an -, aber sie kamen so heraus, daß man sich bei ihnen nicht ganz wohl fühlte. Und alle diejenigen, welche Einflüsse von Zeitgenossen, die im Raume weit weg wohnen> spüren können, konnten damals etwas Strahlendes spüren, was von einer Persönlichkeit ausging, aber nicht ganz harmonisch war. Da kam das neue Jahrhundert, und da machte man die Erfahrung, daß die Einflüsse harmonisch wurden. Was war geschehen? Ich will Ihnen jetzt die Ursache erzählen.

Im Jahre 1900> am 12. August, war eine Persönlichkeit gestorben, die nur nicht genug gewürdigt wird: Solov/eff Er hatte einen solchen Ätherleib, daß er weithin strahiend wirkte. Aber der Kopf, der Intellekt, war, obwohl Solovjeff ein großer Philosoph ist, nicht so weit wie die Seele. Groß und schön ist sein Denken, aber seine bewußte Philosophie war durchaus nicht so viel wert, als was er in seiner Seele trug. Das wurde bis zu seinem Tode durch den Kopf beeinträchtigt, und so empfand man das als okkulten Einfluß unharmonisch. Und als er tot war, und das Gehirn sich getrennt hatte, und der Ätherleib in der Ätherwelt weiterstrahlte, war er von seinem Denken befreit, war

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er von diesem nicht mehr berührt und strahlte in einer ganz wunderbaren Weise.

Von solchen Erkenntnissen könnte man sagen: Was gehen uns denn solche Dinge eigentlich an? Gerade solches zu sagen ist eben eine richtige Phantasterei, denn der Mensch ist durchaus das Ergebnis der geistigen Vorgänge, die um ihn herum sind, und daß einige Okkultisten bemerken, daß und wie sie hereinspielen, kommt davon her, weil sie sie sehen. Aber die geistigen Vorgänge spielen auch in die anderen herein, die nicht sehen. Alles wirkt zusammen, was auf dem geistigen Gebiete geschieht. Das, was etwa französische oder russische hochentwickelte Menschen ausstrahlen, wird nicht nur auf dem zu- gehörigen Teile des Erdbodens gefühlt, sondern auf der ganzen Erde wird das empfunden, was so gedacht, gefühlt wird. Alles, was in der geistigen Welt geschieht, hat seinen Einfluß auf uns, und wir bekommen erst dann das richtige Gefühl, wenn wir wissen, daß die Seele so in der geistigen Welt darinnen steht, wie die Lunge in der Luft.

In einem ganz besonders hohen Grade strahlt aus dasjenige, was im Ätherleib hochentwickelter Individualitäten ist und wirkt auf die anderen Menschen. So ist es auch der Ätherleib des Christian Rosenkreutz, der weithin in der Welt wirkt. Aber eine sehr wichtige, für viele höchst bedeutsame Tatsache müssen wir hier hervorheben, und das ist etwas, das sich zwischen Tod und Geburt in der geistigen Welt abspielt und nicht nur anzusehen ist wie ein Zufall, den wir von früher her hervorrufen.

Christian Rosenkreutz hat die kurzen Zwischenzeiten zwischen den Inkarnationen immer dazu benützt, die Seelen, von denen er wußte, daß sie reif sind, gerade in die von ihm angesponnene Geistesrichtung hineinzurufen. Er hat sich sozusagen zwischen seinen Toden und Geburten damit beschäftigt, die für seine Strömung reifen Geister in einer gewissen Weise zu erwählen. Nun müssen aber auch die Menschen, wenn sie achtgeben lernen, imstande sein zu erkennen, wo- durch ihnen Christian Rosenkreutz ein Zeichen gibt, daß sie sich zu seinen Erwählten zählen dürfen. Dieses Zeichen kommt in das Leben zahlloser Menschen der Gegenwart hinein, nur achtet man solcher

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Zeichen nicht. Aber unter den scheinbar ganz zufälligen Ereignissen gibt es solche, namentlich ein solches für viele, das geradezu anzusehen ist als eines, das anzeigt, er habe denjenigen, dem es gegeben wird, für reif befunden zwischen Tod und Geburt. Hier auf dem physischen Plane zeigt er es an. Die Marke des Christian Rosenkreutz kann dieses Ereignis genannt werden.

Nehmen wir an, ein Mensch liege im Bette - ich habe an anderem Orte andere Ereignisse erzählt, alle haben sich abgespielt -, er wacht plötzlich auf. Unerklärlich ist es ihm, daß er aufwacht, und er schaut, wie von einem Instinkt geleitet, auf eine Wand, die sonst ganz dunkel ist. Das Zimmer ist halb dämmerhaft beleuchtet, die Wand ist dunkel, und siehe da, er sieht an jene Wand geschrieben: «Stehe sofort auf!» Er steht auf. Es kommt ihm sonderbar vor. Er geht aus dem Hause und kaum, daß er aus dem Hause getreten ist - es war die Sache so, daß niemand anderer geschädigt werden konnte -, stürzt über seinem Bette der Plafond ein, der ihn unweigerlich erschlagen hätte. Er hat alle Nachforschungen angestellt; nicht irgendein Wesen auf dem physischen Plane hat ihn aufmerksam gemacht, daß er aufstehen solle. Wäre er liegen geblieben, er wäre sicher tot.

Nun, ein solches Erlebnis könnte man so auffassen: man habe eine Halluzination gehabt oder etwas dergleichen. Aber man kann auch tiefer gehen.` Gerade solche Erlebnisse, die Hunderte erfahren, sind nicht zufällig. Immer handelt es sich um eine Berufung durch Christian Rosenkreutz, denn immer stellt sich das Karma dieser Berufenen bis zu diesem Zeitpunkte so, daß man sagen kann, Christian Rosenkreutz schenkt zuerst das Leben, das er beanspruchen kann. Ich sage ausdrücklich, ins Leben zahlreicher Menschen treten solche Erlebnisse in der Gegenwart ein> und es handelt sich darum, daß man aufmerksam ist. Nicht stets ist es ein so eklatanter Fall, aber zahlreiche Menschen der Gegenwart erleben solches. Und sehen Sie, wenn ich etwas wiederholt an einem Abend sage, geschieht es ganz absichtlich, weil ich die Erfahrung habe, daß man aus Dingen, die man halb oder ganz vergißt, merkwürdige Konsequenzen zieht. Ich sage das deshalb, weil niemand dadurch deprimiert zu sein braucht, der kein solches Erlebnis hat - es muß nicht so sein> er wird schon in seinem Leben etwas

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finden -, nur zum Nachforschen soll er kommen. Natürlich kann ich Ihnen nur ein typisches Ereignis heraus greifen. Da haben wir also in unserem Leben eine Tatsache, von der wir sagen können, daß sie nicht in einer Inkarnation verursacht ist: Wir können Christian Rosenkreutz in der geistigen Welt getroffen haben. Ich habe dieses hervorragendste Ereignis der Berufung ganz besonders hervorgehoben. Man könnte auch andere, unmittelbar an die geistige Welt anknüpfende Ereignisse anführen, die in dem Leben zwischen Tod und Geburt zu suchen sind, aber in unserem geistigen Zusammenhange muß uns gerade dieses Ereignis bedeutungsvoll erscheinen, das mit unserer geistigen Bewegung so irinig zusammenhängt.

So sehen Sie auch aus einem solchen Ereignis, wie eine ganz andere Stimmung gegenüber dem Leben Platz greifen muß, wenn wir das sehen wollen, was eigentlich ins Leben hineinspielt. Die meisten Menschen hasten durchs Leben und sind nicht aufmerksam. Viele kommen und sagen, man soll nicht brüten, sondern ein Leben der Tat entwickeln. Wenn nur lieber viele Taten, die unreif sind, nicht getan wurden, und die Leute ein wenig brüteten: sie würden reifere Taten tun! Wenn nur die Winke beachtet werden würden mit Gelassenheit und Aufmerksamkeit. Es sieht oft nur so aus, als ob wir hinbrüteten> aber es werden uns durch die Gelassenheit gerade Kräfte kommen, und dann werden wir auch folgen können, wenn das Karma ruft, und wir werden es verstehen, wenn es ruft. Das sind Dinge, auf die ich Sie diesmal aufmerksam machen wollte als auf solche, die uns das Leben weiter verständlich machen.

Ich habe Ihnen das Ereignis aus dem dreizehnten Jahrhundert, das manchem als absonderlich erscheinen mag, rein geschichtlich erzählt, um zu zeigen, was die Menschen beachten sollen, damit sie lernen, sich in das Leben hineinzufügen und den Wink des Christian Rosenkreutz zu verstehen. Damit das geschehen konnte, war die Veranstaltung der Zwölf und der Hinzutritt des Dreizehnten notwendig. Das eben geschilderte Ereignis im dreizehnten Jahrhundert war notwendig, damit in unserem und den folgenden Jahrhunderten ein solcher Wink oder andere ähnlicher Art verstanden und befolgt werden können. Solch ein Zeichen hat Christian Rosenkreutz gerade

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herausgearbeitet, um die Aufmerksamkeit der Menschen den neuen Zeifforderungen gegenüber wachzurufen, um ihnen den Wink zu geben, daß sie ihm zugehören, ihm das Leben im Sinne des Menschheits-Fortschrittes widmen dürfen.

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DIE TATSACHE DES DURCH DEN TOD GEGANGENEN GOTTES-IMPULSES. «FÜNF OSTERN» VON ANASTASIUS GRÜN Düsseldorf, 5. Mai 1912

Es soll heute meine Aufgabe sein, einiges zu besprechen im Zusammenhang mit Dingen, die auch Gegenstand des öffentlichen Vortrages hier bilden werden, die aber in einem öffentlichen Vortrage nicht so besprochen werden können, wie es vor denen möglich ist, die sich durch längeres Studium in einer Arbeitsgruppe vorbereitet haben, diese Dinge entgegenzunehmen.

Das erste, was wir besprechen wollen, ist etwas, was ja in unserer Gegenwart für alle diejenigen, die sich mit Geisteswissenschaft beschäftigen und die ihr Interesse und ihre Sehnsucht derselben zuwenden, außerordentlich wichtig ist. Zwar ist hier die Frage, die wir berühren wollen, oftmals besprochen worden, aber man kann nicht oft genug von den geisteswissenschaftlichen Anschauungen sprechen, die da Kräfte und Impulse für die Menschen der Gegenwart und der nächsten Zukunft bilden sollen. Eine Seite dessen, was die Strömung der Geisteswissenschaft in der Welt zu bedeuten hat, werde ich heute hervorheben, und das ist, daß wir in unserer Gegenwart es so außerordentlich nötig haben, dem, was wir nennen können unseren Weltenkörper, eine Art von Seele zu geben.

Weltenkörper! In der Tat, so wie wir heute sprechen können von einem Weltenkörper, so konnte man vor verhältnismäßig recht kurzer Zeit innerhalb der Menschheitsentwickelung noch nicht von einem Weltenkörper sprechen. Wir brauchen nur um ein weniges zurückzuschauen in der geschichtlichen Entwickelung der Menschheit, und wir werden finden, daß vor verhältnismäßig kurzer Zeit der Gedanke von einem Weltenkörper, der von einer Menschheit, die ein Ganzes bildet, bewohnt wird, den Menschen noch nicht zum Bewußtsein gekommen ist. Da finden wir Kulturen, die ein Ganzes bildeten und die in engen Grenzen sich abspielten. Bei einzelnen Völkern, die getrennt sind durch Gebirge, Meere oder Flüsse, die ein abgeschlossenes Leben

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für sich hatten, spielte sich ab die indische, persische Kultur und so weiter, die durch die Volksgeister der betreffenden Kultur geleitet wird.

Solche Kulturen sind zwar noch immer vorhanden, wir sprechen init Recht von einer italienischen, russischen, französischen, spanischen, deutschen Kultur. Aber neben alldem merken wir heute, wenn wir den Blick über den Erdkreis hinschweifen lassen, daß etwas Einheitliches> Gleiches sich über den ganzen Erdball hinbreitet, etwas, was die Völker des Erdballes in einer Einheit verbindet und was von enrferntesten Völkern zu entferntesten Völkern spielt. Wir brauchen nur zu denken an den Industrialismus, an Eisenbahnen, Telegraphen, an die Erfindungen der letzten Zeit. In derselben Weise stellt man Schecks aus und kassiert sie ein, baut Eisenbahnen und Telegraphen über den ganzen Erdkreis hin, und ebenso wird es sein mit den Erfindungen, die noch vor der Tür stehen.

Fragen wir uns nun: Was hat das alles als Eigentümliches an sich, was sich da in gleicher Weise über den Erdkreis erstreckt, so daß es in Tokio, Rom, Berlin, London gleich ist? Alles dies versorgt die Menschheit mit Brot, Kleidern> sowie mit den immer mehr erhöhten Luxusbedürfnissen. Eine materielle Kultur hat sich über den ganzen Erdball gebreitet, ohne Unterschied zwischen Nation und Nation, zwischen Rasse und Rasse. Und diese materielle Kultur hat sich seit den letzten Jahrhunderten ausgebreitet. Die griechische Kultur hat sich auf einem kleinen Gebiet der Erde abgespielt, und außerhalb dieses Gebietes wußte man nicht viel davon. Heute gehen Nachrichten um den ganzen Erdball in wenigen Stunden herum, und wer wollte zweifeln, daß man diese materielle Kultur eine Erdenkultur nennen könnte! Und diese Kultur wird eine immer mehr materielle werden, unser Erdenkörper wird immer mehr von dieser Kultur umschlungen sein.

Diejenigen Menschen aber, welche die Notwendigkeit der geisteswissenschaftlichen Bewegung einsehen, werden das Verständnis immer mehr entwickeln> daß niemals ein Körper bestehen kann ohne Seele. So wie eine materielle Kultur den ganzen Erdenkörper umfaßt, so soll Geist-Erkenntnis die Seele sein, die sich über die ganze Erde ausbreitet, ohne Unterschied von Nation, Farbe, Rasse und Volk.

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Und so wie man die Methode, Eisenbahnen und Telegraphen zu bauen, in gleicher Weise über die ganze Erde hin ausübt, so wird man sich verständigen müssen in kurzer Zeit über die ganze Erde hin über die Fragen, die die Seelen der Menschheit angehen. Dasjenige, was immer mehr als Sehnsucht und Fragen in diesen Seelen entstehen wird, fordert eine Antwort auf diese Fragen. Und daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer geistigen Bewegung. Es wird sich dann etwas abspieleh im Großen, so wie in der äußeren Kultur im Verkehr der einzelnen Völker. Wie ein Verkehr von Seele zu Seele wird es sich spinnen über den ganzen Erdball hin. Und was sich da von Seele zu Seele spinnen wird, können wir nennen eine intime Verständigung in bezug auf alles dasjenige, was über den Erdkreis hin den einzelnen Seelen heilig ist: wie sie sich verhalten zur geistigen Welt.

Es wird in nicht zu ferner Zeit über den ganzen Erdkreis hin ein intimes Verständnis geben über dasjenige, was in den Zeiten der Vergangenheit die herbsten Kämpfe, die furchtbarsten Disharmonien über die Menschheit gebracht hat, so lange sie in die einzelnen Kulturgebiete zerstückelt war, die nichts voneinander wußten. Was sich im großen über die Erde hin abspielen wird als eine die ganze Erdenmenschheit umfassende geistige Bewegung, muß sich aber auch ab- spielen im allerkleinsten von Seele zu Seele. Wie weit entfernt sind jetzt noch die Buddhisten und die Christen voneinander, wie wenig verstehen sie sich, wie sehr lehnen sie einander ab, wenn sie auf dem engsten Boden ihrer Bekenntnisse stehen! Aber die Zeit wird kommen, wo es immer mehr Buddhisten geben wird, die aus dem Buddhismus heraus Geisteswissenschafter sein werden, und immer mehr Christen, die aus dem Christentum heraus Geisteswissenschafter sein werden. Und diese werden vollstes, tiefstes Verständnis einander entgegenbringen.

Daß die Menschheit zu einem solchen intimen Verständnis, zu einer solchen Verständigung drängt, sehen wir heute daran, daß auch in der äußeren Wissenschaft Bestrebungen Platz greifen, die wir als vergleichende Religionswissenschaft bezeichnen. Es sollen nicht geschmälert werden die Verdienste dieser Wissenschaft; sie hat Großes vollbracht. Aber was fördert sie zutage, indem sie erzählt von den

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verschiedenen Lehren der verschiedenen Religionen? Wenn man es auch nicht sagt, aber es steckt hinter dem, was die vergleichende Religionswissenschaft zutage fördert, doch nur dasjenige, was in den Religionen Kinderglauben ist, worüber diejenigen hinaus sind, die den Kern dieser Religionen erfaßt haben: das sucht sie sich anzueignen.

Was will aber Geisteswissenschaft in bezug auf die Religionen? Sie will gerade dasjenige erkennen, was die wissenschaftlichen Religionsforscher nicht erkennen können, dasjenige, was in den einzelnen Religionen als tiefstes Wahrheitsgut enthalten ist.

Wovon geht die Geisteswissenschaft aus? Davon, daß die Menschheit ihren Ursprung genommen hat aus einem gemeinschaftlichen Gott und daß nur, wie in eine Anzahl von Strahlen gebrochen, verteilt ist eine Zeit hindurch auf die verschiedenen Völker und Menschengruppen jene Urweisheit der ganzen Menschheit, die aus dem gemeinsamen Gottesursprung stammt. Diese Urwahrheit und Urweisheit, ungetrübt durch dieses oder jenes Bekenntnis, wiederum aufzufinden und der Menschheit zurückzugeben, das ist das Ideal der Geisteswissenschaft. Daher kann sie auf die einzelnen Religionen ein- gehen. Sie schaut aber nicht auf die äußeren Riten und Zeremonien, sondern darauf, wie in dieser Religion ebenso wie in jener dieser uralte Weisheitskern enthalten ist. Die Religionen sind ihr so und so viele Kanäle, durch die sich in einzelnen Strahlen dasjenige ergießt, was einst über die ganze Menschheit gleichmäßig sich ergossen hat.

Während der Christ des äußeren Bekenntnisses, der nichts anderes weiß als dasjenige, was die äußere Konfession im Menschenherzen herangezogen hat im Laufe der Jahrhunderte, zu dem Buddhisten Sagt: Wenn du zur Wahrheit kommen willst, mußt du dasselbe glauben, was ich glaube - und der Buddhist dem gegenüber das aufstelIt, was ihm heilig ist, und es so zu keinem Verständnis kommen konnte zwischen Christ und Buddhist, verhält sich Geisteswissenschaft diesen Fragen gegenüber in anderer Weise.

Wer da eindringt durch die neuen hellsichtigen Methoden in den Kern des Buddhismus sowohl als des Christentums, der lernt dasjenige kennen, was für den Buddhismus der Hauptnerv ist: Er lernt

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kennen hohe Wesenheiten, die aus dem Reiche der Menschen hervorgegangen sind und die man Bodhisattvas nennt. Und auch der Christ hört charakterisieren, wie ein Bodhisattva hervorgegangen ist aus dem Menschentum und lernt erkennen, wie ein solcher Bodhisattva wirkt und arbeitet in der Menschheit. Er hört, daß unter diesen Bodhisattvas auch einer war, der geboren wurde sechshundert Jahre vor unserer Zeitrechnung als Siddhartha, der Königssohn des Suddhodana, daß er im neunundzwanzigsten Jahre seines Lebens zur BuddhaWürde aufgestiegen ist, und er lernt erkennen, dieser anthroposophische Christ, daß ein solches Wesen, das aufgestiegen ist vom Bodhisattva zum Buddha, nicht wiederum in einem fleischlichen Leibe auf die` Erde zurückkommen muß.

Solche Lehren überliefern uns zwar auch die Religionsforscher, aber sie können nichts anfangen mit einem solchen Wesen, wie es ein Bodhisattva oder ein Buddha ist. Sie können nicht hinaufschauen zu dem, was eigentlich der Kern eines solchen Wesens 'ist, sie können auch nicht überschauen, wie eine solche Wesenheit, wenn sie auch nicht in einem fleischlichen Leibe lebt, dennoch die Menschheit aus den geistigen Welten heraus weiter lenkt und leitet.

Wir aber können als anthroposophische Christen uns ebenso gläubig wie ein Buddhist diesem Bodhisattva gegenüberstellen. Wir verstehen das durch unsere geisteswissenschaftliche Entwickelung. Und wir sagen genau dasselbe, was ein Buddhist über seinen Buddha sagt. Auch das verstehen wir. Der anthroposophische Christ sagt zum Buddhisten: Ich verstehe und glaube dasselbe, was du verstehst und glaubst. - Und es würde keiner, der sich zur Geisteswissenschaft durchgerungen hat auf dem Felde des Christentums, jemals wagen, als Christ zu sagen: Der Buddha kommt doch wiederum im Fleische. - Er würde wissen, daß das verletzen müßte die intimsten Gefühle des Buddhisten und daß er durch eine solche Aussage nicht treffen würde den wahren Charakter jener Wesen, die vom Bodhisatrva zum Buddha aufgestiegen sind. Er hat diese Wesenheiten aus seinem Christentum heraus kennen und verstehen gelernt.

Und wie wird sich der Buddhist verhalten, der Anthroposoph geworden ist? Er wird hören, daß das Christentum in einer besonderen

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Weise charakterisiert werden muß in dem, was ihm zugrunde liegt. Er würde sagen: Das Christentum hat zwar zunächst auch einen solchen Religionsstifter, wie andere Religionen der Welt, aber mit ihm verbindet sich noch eine andere Wesenhaftigkeit. Der Stifter ist Jesus von Nazareth. Man könnte viel über diese Persönlichkeit sagen, über das, was sich im Laufe der Jahrhunderte angeknüpft hat an sie. Aber der Christ sieht diese Persönlichkeit des Jesus von Nazareth anders an, als der Buddhist den Stifter seiner Religion anschaut. Im Orientalischen sagt man: Wer ein großer Religionsstifter ist, hat sich aufgeschwungen zu einem vollständigen Gleichmaß aller Leidenschaften und Begierden, kurz aller menschlichen, persönlichen Eigenschaften. Vergleiche man damit Jesus von Nazareth. Zeigt er ein solches voll- ständiges Gleichmaß? Wir lesen, daß er in Zorn gerät, daß er die Tische der Wechsler umwirft, sie aus dem Tempel treibt, daß er Worte des leidenschaftlichen Zornes ausruft. Da sehen wir, daß er nicht dasjenige hat, was von einem Religionsstifter des Ostens erwartet wird. Wir könnten noch manches andere aufzeigen, aber diese Dinge kommen nicht in die Diskussion. Das Bedeutsame ist, daß das Christentum sich unterscheidet von allen anderen Religionen des Erdballes insofern, als diese auf einen Religionsstifter hinweisen als auf einen großen Lehrer. Wer aber glauben würde, daß das tiefste Wesen des Christentums in einem solchen liegt, der erkennt nicht das Wesen des Christentums. Nicht auf ein Zurückgehen auf den Jesus von Nazareth, nicht auf den IIinweis auf einen großen Lehrer kommt es an. Auf eine Tatsache weist der Ursprung des Christentums hin. Es geht von einer unpersönlichen Tatsache aus: von dem Mysterium von Golgatha.

Wodurch hat dies geschehen können? Dadurch, daß anwesend war drei Jahre in der Person des Jesus von Nazareth eine Wesenheit, die man als den Christus, wenn man ein Wort für sie wählen will, bezeichnet. Aber mit diesem Namen ist nicht der göttliche Geist zu umfassen, den wir in Christus erkennen. Mit einem menschlichen Namen, einem menschlichen Wort ist nicht ein Göftliches zu erfassen. Und init einem großen, über die Welt hinziehenden göttlichen Impuls haben wir es zu tun bei dem Christus: mit dem Christus-Impuls, der durch die Taufe am Jordan einzieht in den Jesus von Nazareth. Dies

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ist das Wesentliche beim Christentum, dieser Christus-Impuls, der durch eine physische Persönlichkeit auf die Erde kam, der einzog in die physische Persönlichkeit des Jesus von Nazareth, der in seinen Hüllen barg den Christus. Diese physische Hülle trug der Christus aus dem Gmnde, weil sich die Weltentwickelung abspielt in einer solchen Linie, daß sie zuerst hinab- und dann wiederum heraufsteigt. Am tiefsten Punkt des Hinabstieges haben wir das Mysterium von Golgatha. Und das war deshalb notwendig, weil aus ihm allein die Kraft ersprießen konnte, die Menschheit wieder aufwärts zu führen.

Nach der atlantischen Katastrophe haben wir die urindische Epoche, die in ihrer Spiritualität nicht wieder in den folgenden Epochen erreicht wird, sondern erst beim Ende der Entwickelung, beim Aufstieg erreicht werden wird in der siebenten Epoche. Auf die indische folgte die urpersische, dann die chaldäisch-ägyptische Epoche. Selbst wenn man nur äußerlich die Menschheitsentwickelung verfolgt, so wird es klar, daß die Spiritualität immer mehr zurückging. Dann kommen wir zu der Kultur, die ganz auf dem Boden des Irdischen stand: zur griechisch-lateinischen Kultur. Da sehen wir zusammenstoßen das Wunderbare, was geschaffen werden konnte in bezug auf die Vermählung des Geistes mit der Form in dem, was die Griechen geschaffen haben in ihren Kunstwerken. Und in der römischen Kultur, im römischen Bürgertum, da wird der Mensch Meister auf dem physischen Plan. Aber das Spirituelle der griechischen Kultur wird charakterisiert durch den Ausspruch: Lieber ein Bettler auf der Oberwelt als ein König im Reiche der Schatten. - Grauen vor der Welt, die hinter dem physischen Plan steht, drückt sich darin aus, Grauen vor der Welt, die der Mensch betreten soll nach dem Tode. Da ist die Spiritualität bis zum tiefsten Punkt herabgestiegen.

Von da ab brauchte aber die Menschheit einen Impuls zur Umkehr nach den spirituellen Welten, und dieser wird in diesem vierten nacIxatlantischen Zeitraum ihr auch gegeben dadurch, daß sich abspielte innerhalb dieses Zeitraumes etwas, was im Grnnde genommen entrückt war dem ganzen physischen Plan.

Das Mysterium von Golgatha, wie hat es sich abgespielt auf dem entlegenen Erdenfleckchen in Palästina? So, daß wir sagen können:

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international, interkonfessionell hat es sich abgespielt. Einsam, in Verborgenlieit fand es statt, dies Mysterium von GoIgatha. Nichts wußte davon die äußere Kultur, nichts wußten davon die Römer, welche Herren waren des Stückchen Landes, wo es sich abspielte. Und sie waren wahrhaftig keine Bekenner des Christus, und noch viel weniger waren das die Juden.

Wer ist denn eigentlich anwesend, als sich dies Mysterium von Golgatha abspielte? Wen hat um sich gesammelt derjenige, der im dreißigsten Jahre aüftiehmen durfte den Christus? Hat er um sich gesammelt Schüler, wie Konfuzius, Laotse oder Buddha es taten? Wenn man genau zusieht, tat er nicht einmal das. Denn waren seine Jünger bis zum Mysterium von Golgatha schon seine Apostel? Nein! Zerstreut haben sie sich, weggegangen sind sie, als derjenige, dem sie bis dahin gefolgt waren, seinen Leidensweg antrat. Dadurch erst sind sie seine Apostel geworden, daß er, durch den Tod hindurchgehend, ihnen die Gewißheit gab, daß etwas lebt, was Sieger ist über den Tod. Da erst sind sie seine wahren Apostel geworden und haben seine Kraft hinaus- getragen unter die Völker der Erde. Vorher aber haben sie ihn nicht einmal verstanden. Und derjenige, der nach dem Mysterium von Golgatha am meisten tut zur Ausbreitung des Christentums, versteht ihn wiederum erst, als er ihm im Geiste erschienen ist.

So sehen wir: Im wesentlichen besteht das Christentum nicht darin, wie es bei anderen Religionen und ihren Stiftern der Fall ist, daß ein großer Lehrer Schüler um sich sammelt und diese seine Lehren weiter verbreiten, sondern darin, daß ein Gottes-Impuls auf die Erde herabkommt, durch den Tod geht und die Ursache ist zu dem Impuls nach aufwärts für die Menschheit. Als das Persönliche weg ist, durch den Tod gegangen i8t, da erst wirkt die Kraft, die durch den Christus auf die Erde kam. Nicht wirkt fort eine persönliche Lehre, sondern die Tatsache, daß der Christus im Jesus war, daß er das Mysterium von Golgatha durchgemacht hat, und daß von diesem eine Kraft ausstrahlt über die ganze folgende Menschheitsentwickelung hin.

Das ist der Unterschied zwischen dem, was das Christentum an den Ausgangspunkt seines Werdens stellt, und dem, was andere Religionen an ihren Ausgangspunkt stellen. Es handelt sich darum zu

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charakterisieren, wenn wir den Ausgangspunkt des Christentums ins Auge fassen, was da geschehen ist beim Mysterium von Golgatha.

Paulus sagt: Durch Adam, das heißt denjenigen, der noch vor dem Sündenfall, noch ehe er eigentlich Mensch war, Veranlassung gab zu dieser absteigenden Linie, der also auch nicht eigentlich eine Persönlichkeit war, durch Adam ist die Menschheit veranlaßt zur absteigenden Linie, durch den Christus ist sie veranlaßt zur aufsteigenden Linie.

Alles dies erfordert, wenn es wahres Gefühl und Empfinden werden soll, ein volles Eingehen auf alle der Menschheit zufließenden okkulten Wahrheiten. Um alles das zu verstehen, was in dieser Tatsache liegt, ist notwendig, daß man durch die intimsten und tiefsten okkulten Wahrheiten sich zu einem Verständnis anregen läßt. Wenn man das versteht, da wird man begreiflich finden, daß zunächst auch da, wo sich das Christentum ausgebreitet hat, die höchsten Gedanken und die tiefsten Wahrheiten des Christentums nicht sogleich haben gefaßt werden können. Die Tatsache des durch den Tod gegangenen Gottes-Impulses zu begreifen, das zu bedenken, daß sich eine solche Tatsache nicht ein zweites Mal abspielen kann, daß sie, indem sie hineinfällt in den tiefsten Punkt der Menschheitsentwickelung, die Kraft aus- strömt, durch welche die Menschheit von nun an wiederum aufwärts- steigen kann, das alles zu denken> zu begreifen, das war nur wenigen zugänglich. Deshalb lehnten sich die Menschen der Jahrhunderte, die gefolgt sind, an den Jesus von Nazareth an, ihn suchten sie; den Christus konnten sie noch nicht begreifen. Durch den Jesus ist auch der Christus-Impuls eingeflossen in die Werke der Kunst. Den Jesus wollen die Menschen, nicht den Christus.

Aber wir stehen erst im Beginn des wirklichen Christentums, es ist erst am Anfang seiner Selbständigkeit. Und wenn jetzt gesagt wird: Nehmt uns nicht den persönlichen Jesus, der uns tröstet und erhebt, an den wir uns anlehnen, gebt uns nicht statt seiner eine unpersönliche Tatsache -, so müssen die Menschen einsehen lernen, daß das nur Egoismus ist. Erst wenn sie aus diesem persönlichen Egoismus herauswachsen werden, erst wenn sie einsehen werden, daß sie erst dann sich Christen nennen dürfen, wenn sie ihr Christentum herleiten werden

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von der Tatsache, die sich in grandioser Einsamkeit auf Golgatha abgespielt hat, erst dann werden sie wirklich sich dem Christus nähern können. Aber dies wird erst eine spätere Zeit einsehen.

Wenn es heute Menschen geben könnte, die sagen würden, es hätte der Christus nicht gekreuzigt werden sollen, oder beim Wiederkommen - es kann ja selbstverständlich nicht die Rede sein von einem Wiederkommen in einem fleischlichen Leibe - müßte dann vermieden werden die Kreuzigung, so würde dies eine Meinung der Menschen bedeuten und nicht mehr. Diese Menschen unterscheiden nicht zwischen dem, was nicht sein kann, und dem, was ein ganz gewöhnliches Mißverständnis ist. Denn dasjenige, was durch das Mysterium von Golgatha in die Menschheitsentwickelung eingezogen ist, konnte nur von einem Gottes-Impuls ausgehen, der durchgemacht hat alle Leiden und Schmerzen der Menschheit, allen Jammer und alles Elend, allen Spott und allen Hohn, alle Verachtung und alle Schmach, wie es geschehen ist durch den Christus. Und all dieses war für einen Gott viel, viel schwerer durchzumachen als für einen gewöhnlichen Menschen.

Man kann auch nicht so, wie andere geschichtliche Ereignisse, die Tatsache des Mysteriums von Golgatha beweisen. Schon daß überhaupt die Kreuzigung stattgefunden hat, ist nicht zu beweisen. Es finden sich keine äußeren authentischen Dokumente darüber. Aber es hat seinen guten Grund, daß man es nicht beweisen kann, denn es fällt heraus aus der übrigen Entwickelung der Menschheit. Denn das Mysterium von Golgatha ist ja - und dies ist sein Grundcharakter - etwas, was sich nicht beschäftigt mit dem, was mit der Menschheitsentwickelung unmittelbar in erster Linie zu tun hat.

Womit beschäftigt es sich denn? Mit dem Herabschreiten der Menschheit auf der absteigenden Bahn und dem, was sie wieder heraufführen soll, mit dem luziferischen Einfluß auf die Menschheit. Luzifer mit all dem, was zu ihm gehört, ist ja kein Mensch, Luzifer und die Seinen, das sind übermenschliche Wesenheiten. Und Luzifer hat nicht die Tendenz und die Sehnsucht gehabt> durch seine Taten die Menschen in eine abschüssige Bahn zu bringen, sondern sich gegen die oberen Götter aufzulehnen. Seine Feinde wollte er besiegen, nicht die Menschen auf eine abschüssige Bahn bringen. Die fortschreiten

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den, die oberen Götter, und Luzifer mit seinen Scharen der unteren, der hemmenden Götter kämpften miteinander, und der Mensch ist hereingerissen in diesen Götterstreit vom Anfang der Erdenentwickelung an. Das war etwas, was die Götter in den höheren Welten unter sich auszumachen hatten, aber die Menschen sind durch den Götterstreit tiefer hineingerissen in die Welt der Materie, als sie es gesollt hatten. Da hatten nun die Götter auch wiederum den Ausgleich zu schaffen dafür. Die Menschen mußten wiederum heraufgebracht werden, es mußte die Tat des Luzifer ungeschehen gemacht werden. 'LJnd nicht durch einen Menschen konnte das geschehen. Nur durch eine Göttertat konnte das vollbracht werden. Diese Göttertat soll charakterisiert werden, so wie sie wahrhaft ist.

Wenn wir unsere Erde durchforschen, so finden wir als das Rätselvollste auf ihr Geburt und Tod. Daß Wesen sterben können, ist doch das Grundproblem für die forschende Menschheit. Tod, Sterben gibt es nur auf der Erde; in den höheren Welten gibt es keinen Tod, sondern Verwandlung, Metamorphosen. Der Tod ist aber zurückzuführen auf dasjenige, was durch Luzifer in die Menschen gekommen ist> und es würde, wenn nicht etwas geschehen wäre von seiten der Götter, die ganze Menschheit immer mehr hineinverstrickt worden sein in eine dem Tode zuführende Tendenz. Da mußte von seiten der Götter ein Opfer gebracht werden: Es mußte einer der ihrigen herab- steigen und den Tod erleben, den man nur inmitten der Erdenkinder erleben kann, als eine die luziferische Tat ausgleichende Tat. Und von diesem Göttertod strahlt aus die Kraft, die auch in die Menschenseelen hineinstrahlen und sie wiederum hinaufbringen kann aus den Finsternissen, in die sie durch Luzifers Tat hineingeraten sind. Es mußte ein Gott einmal sterben auf dem physischen Plan.

Das geht die Menschen nicht direkt an, sie sahen zu bei einer Götterangelegenheit. Kein Wunder, daß man dasjenige, was An- gelegenheit der höheren Welten ist, nicht darstellen kann mit physischen Mitteln, denn es fällt heraus aus der physischen Welt.

Die Früchte aber dieser Göttertat, die sich hier auf unserer Erde abspielen mußte, fielen der Menschheit zu, und die christliche Initiation gibt den Menschen die Kraft, diese Göttertat zu verstehen. Und

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gerade so, wie sich der Ursprung der Menschheit, das Hervorgehen aus dem Schoß der Gottheit, nur einmal abspielen konnte, so konnte sich auch die Überwindung dessen, was bei diesem Ursprung in die Menschenseele eingezogen ist, nur einmal abspielen.

Stellt der Christ, der Anthroposoph geworden ist, dem Buddhisten, der Anthroposoph geworden ist, dieses Wesen des Christus dar, so würde dieser sagen: Also würde ich dich mißverstehen, wenn ich glauben könnte, daß das, was du den Christus nennst, etwas wäre, was der Reinkarnation unterläge. Nein, es unterliegt niemals der Reinkarnation, ebensowenig wie du sagen würdest, daß der Buddha wieder- kommen könnte! - Dennoch besteht ein großer Unterschied. Der Buddhist weist hin auf den großen Lehrer, auf den er seine Religion zurückführt, der wahre Christ aber auf eine Tatsache der geistigen Welten, die einsam sich auf dem Erdenball abgespielt hat, auf etwas, was ganz unpersönlich ist, was nichts zu tun hat mit irgendeiner Konfession. Keiner war zunächst Bekenner dieser Tatsache, nichts hatte sie zu tun mit einem bestimmten Fleck der Erde, in majestätischer Einsamkeit ergoß sich die Götterkraft von dieser Tatsache aus in die ganze folgende Menschheitsentwickelung.

Wahrheit zu suchen in den verschiedenen Religionen, das ist die Aufgabe einer geisteswissenschaftlichen Weltanschauung, und wenn wfr wirklich den Wahrheitskern suchen in allen Religionen, so bedeutet er den Frieden. Nicht will eine Religion, wenn der Bekenner derselben sie im Lichte der Geisteswissenschaft wirklich erkennt> einer anderen Religion ihren besonderen Strahl der Wahrheit aufdrängen. So wie der anthroposophische Christ nicht sagen kann, der Buddha würde wiederkommen, denn dann hätte er den Buddha nicht verstanden, ebensowenig könnte der anthroposophische Buddhist sagen, der Christus würde wiederkommen, denn da versteht er den Christus nicht. Wahrheit aber über den Buddha und Wahrheit über den Christus bedeutet nirgends - wenn wir nicht persöiiliche Vorurteile hegen - Unfrieden und Sektiererei, sondern Harmonie und Frieden. Das folgt ganz von selbst auf die Wahrheit, sie bedeutet und bewirkt Frieden in der Welt. Dem Buddha, dem großen Lehrer in der höchsten Wahrheit, können alle Nationen und alle Religionen

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der Erde angehören. Und dem Christus> der göttlichen Kraft in der höchsten Wahrheit, können alle Nationen und alle Religionen der Erde angehören. Und das gegenseitige Verständnis bedeutet den Frieden in d`~r Welt. Und dieser Frieden, das ist die Seele der neuen Welt. Und zu dieser Seele, die als Geisteswissenschaft aller Menschen inmitten aller Erdenkultur über die ganze Erde hin walten soll, muß Anthroposophie führen.

Solche Erkenntnisse wurden gepflegt in den Rosenkreuzerschulen der vergangenen Jahrhunderte vom dreizehnten, vierzehnten Jahrhundert an. Sie wußten, daß mit solchen Erkenntnissen der Friede in die Menschenseelen einzieht. Und sie wußten, daß gar mancher, der hier auf der Erde diesen Frieden nicht erleben kann, es nach dem Tode als eine Erfüllung seiner liebsten Ideale empfinden wird, wenn er herabschaut auf die Erde und den Frieden unter den Nationen entstehen sehen wird in demselben Maße, als sie solchen Erkenntnissen sich öffnen werden.

So wie ich heute hier gesprochen habe, so redeten in den letzten Jahrhunderten in engem, kleinem Kreise die Angehörigen der Rosenkreuzerkreise. Heute kann es vor größeren Menschenmengen gesprochen werden. Diejenigen, welche die Mission haben, aus der geisteswissenschaftlichen Bewegung heraus als Testamentsvollstrecker desjenigen zu wirken, was vom Mysterium von Golgatha in die Menschheit strömt, sie wissen, daß der Jesus, der den Christus in sich geborgen hat, jedes Jahr zur Osterzeit aufsucht die Stätte, wo sich abgespielt hat das Mysterium von Golgatha. Gleichgültig, ob der Jesus im Fleisch ist oder nicht, er sucht jedes Jahr diese Stätte auf, und da können die Schüler, die die Reffe erlangt haben, ihre Vereinigung mit ihm haben.

Das empfand ein Dichter - Anastasius Gruön - wie eine Individualität herabkommt, und die Stätte, wo sich das Mysterium von Golgatha abspielte, jedes Jahr am ersten Osterfeiertage besucht. Er beschreibt fünf solcher Versammlungen des Meisters mit seinen Schülern. Die erste, die sich nach der Zerstörung von Jerusalem abspielt, die zweite nach der Einnahme durch die Kreuzfahrer, die dritte: Ahasver auf Golgatha weilend, die vierte ein betender Mönch, die Rettung vom

289

Eroberer erhoffend, da Sekten verschiedener Art über die Erde zerstreut sind und miteinander streiten, während die Stätte seines Wirkens derjenige überschaut, der die größte Friedensbotschaft auf die Erde brachte. Das sind die vier Bilder von vergangenen Besuchen des Jesus auf der Stätte seines Wirkens auf Golgatha. Dann läßt Anastasius Grün im Gedicht «Schutt» ein Bild erstehen von einem zukünftigen Herabkommen auf Golgatha. In ferner Zukunft liegt das, was er schildert: diese Situation der Zukunft, die er wie die Gewalt des Friedens füMt, der dann herrschen wird auf der Erde. Sie liegt in dem nicht konfessionellen, sondern rosenkreuzerisch empfundenen Christentum. Da sieht er Kinder spielen. Sie graben - mag auch jetzt dieses Bild noch eine Utopie sein -, sie graben aus einen Gegenstand aus Eisen und sie wissen nicht, was das ist. Diejenigen nur, die noch ferne Nachrichten haben von dem längstvergangenen Streit der Menschen, sie wissen, daß das ein Schwert ist. In der Zeit des Friedens erkennt man nicht mehr den Zweck eines Schwertes und verwendet es als Pflugschar. Und ein Ackersmann gräbt weiter, findet einen Gegenstand aus Stein. Wiederum erkennt man das nicht. Es war eine Weile von der Erde verbannt, sagen diejenigen, die noch etwas davon wissen. Die Menschen haben es nicht mehr erkannt! Einst haben sie es als Symbol des Streites benutzt - es ist ein Kreuz aus Stein -, jetzt aber wird es, indem sich die Menschen versammeln unter dem Zukunftsimpuls des Christus Jesus, jetzt wird es etwas anderes.

Und wie schildert uns der Dichter dies im Jahr 1836? So schildert er uns dies Symbolum der Mission des richtig verstandenen ChristusImpulses:

Ob sie`s auch kennen nicht, doch steht`s voll Segen, Aufrecht in ihrer Brust, in ew`gem Reiz, Es blüht sein Same rings auf allen Wegen; Denn was sie nimmer kannten, war ein Kreuz!

Das Kreuz von Stein, sie stellen`s auf im Garten, Ein rätselhaft, ehrwürdig Altertum, Dran Rosen rings und Blumen aller Arten Empor sich ranken, kletternd um und um.

290

So steht das Kreuz inmitten Glanz und Fülle Auf Golgatha, glorreich, bedeutungsschwer: Verdeckt ist`s ganz von seiner Rosen Hülle, Längst sieht vor Rosen man das Kreuz nicht mehr.

291

FÜNF OSTERN

Anastasius Grün

1.

Im Orient, wo - wie aus blühndem Hage

Ein spielend Kinderpaar rotwangig grüßt -

Das heitre Märchen und die sinn`ge Sage

In Rosenwäldern zwischen Blumen sprießt,

Dort gibt manch rauher Hirte dir die Kunde:

Es walle Jesus Christus, ungesehn,

Zu Ostern jährlich um die Morgenstunde

Im Auferstehungskleid auf Ölbergs Höhn

Und seh` hinab nach seines Wandelns Tale,

Das ihm ein Kreuz und Leichentuch einst wies;

Wo Zion stolz geprangt im goldnen Strahle,

Granitnes Bollwerk, das sein Fluch zerblies!

Und Ostern war es einst; der Herr sah nieder

Zur kahlen Flur, verödet und ergraut,

Rings Trümmer, Asch` und Staub, und Trümmer wieder,

Und Schutt auf Schutt, soweit das Auge schaut!

Er weiß, es sind dies nur die wirren Schollen

Durchwühlten, neugepflügten Ackerlands,

Wo einst die Saatenwogen fluten sollen,

Und winden sich der goldne Garbenkranz!

Er sieht daraus den Baum der neuen Lehre

Mit tiefer Wurzel, ries`gem Säulenschaft,

Sich steigend wölben über Land und Meere

Und weithin streuen Schatten, Früchte, Kraft!

292

Des Tods Triumphz~g ging durch diese Gründe,

Rings keine Spur von eines Menschen Pfad,

Kein Vogel singt, es rauscht kein Blatt im Winde,

Es weht kein Halm, es grünet keine Saat.

Daß doppelt groß der Sieg des Todes rage,

Lebt spärlich hier noch eines Lebens Schein:

Es seiifzt, wie eines Dichters Leichenklage,

Des Kedrons Quelle zischend durchs Gestein:

«Einst streckt` ich wohlbehaglich meine Glieder

Im Blütenpfühl, auf weichem Silberkies,

Bis von Morias alter Feste nieder

In meinen Schoß der Sturm die Trümmer stieß!

Nun ich den Leib von Stein an Steine trage,

Muß ich wohl ächzen laut vor Schmerz und Zorn;

Nun die Gelenk> an Trümmern wund ich schiage,

Ist, gleich als blut` er, jetzt so rot mein Born!

Mein Born, so klar einst, weisend noch als Spiegel

Der Kön`ge Burg, den Tempel gottverklärt,

Palastbesäte, wallumkränzte Hügel

Und auch ein Volk, einst solcher Fülle wert!

O daß sich am Gestein zu Scherben schlüge

Der Spiegel, dem einst solches ward zu schaun,

Auf daß dies Bild des Tods er nimmer trüge,

Dies Bild verdorrter Fluren voll von Grau`n!

Die Gräber nur, die sie in Fels einst hieben,

Sie halten jetzt noch, wie seit Jahren schon;

Sie sind rings um dies große Grab geblieben,

Termitenhügel um den Libanon!

293

Und als der alte Bau zusainmenkrachte,

Flog weit des Staubes Wolke, riesengroß,

Daß grau die Flur jetzt, die so grün einst lachte,

Und grauen Schleier trägt das ärmste Moos!

Da floh des Volkes Rest, Iebend`ge Leichen,

Tod ohne Tempel, Satzung, Vaterland!

Da sah ich Baum und Strauch weithin erbleichen,

Und morsch aufs Antlitz sinken in den Sand!

Fort flogen da der Büsche Nachtigallen,

Die Vögel all`, weit übers ferne Meer;

Nicht ziemt es ihrem freud`gen Lied, zu schallen,

Wo alles schweigt und trauert ringsumher.

Fort zogen da die Rosen auch nach ihnen,

Bis an das blaue Meer, das Halt! gebot;

Da blühn sie gaukelnd nun die reichen, grünen

Gestad` entlang, ein Blumenmorgenrot!

Fort alle Farben, fort auch alle Töne,

Und alles, alles Leben fortgedrängt!

Ich blieb allein zurück als eine Träne,

Die an dem Auge der Veriiichtung hängt.»

2.

Und wieder Ostern war es einst, und wieder

Sah Jesus von des Ölbergs Höhn zu Tal;

Auf alle Fluren sank der Lenz schon nieder,

Nur hier blieb alles wüst und grau und kahl.

294

Gleich wie die Schwalbe wohl die Brandesstelle

Des einst so schönen Hauses bang umschwebt

Und doch, ob mitverbrannt auch ihre Zelle,

Das neue Nestchen an die Trümmer klebt;

So wagte mählich an die Trümmerreste

Der Mensch sich wieder hier, und ins Gestein

Baut` er sich Hütten, Häuser und Paläste,

Bis er es wachsend sah zur Stadt gedeihn.

Wenn diese Stadt ihr Auge wollte lenken

Auf Schutt und Trümmer rings, draus ihr Entstehn,

Sie müßte auch wie jeder Wandrer denken:

Du wardst aus Trümmern, wirst in Trümmer gehn!

Sie denkt es nicht! Denn horch! von ihren Zinnen

Schallt freudighell der Glocken voller Klang.

Wer fröhlich singt, mag nicht des Sterbens sinnen,

Und Glocken sind der Städte Lied und Sang.

Dort um den Dom aus grauem Felsgesteine,

Drinn in den Hallen, draußen im Gefild

Schart sich in Helm und Panzer die Gemeine

Kampfrüst`ger, ehr`ner Männer, rauh und wild.

Wie all` die Speer` aufs Marmorpflaster klirren!

Wie mutig draußen wiehert Pferd an Pferd!

Und Panzer glänzen, farb`ge Banner schwirren,

An jeder Lende hängt ein rasselnd Schwert.

Weh, liegen sie im Krieg mit ihrem Gotte,

Daß sie in Erz umlagern rings sein Haus?

Weh, will den Himmel stürmen gar die Rotte

Daß sie zum Tempel zieht gewaffnet aus?

295

Doch nein! Wie sie in Demut plötzlich nieder

Beim Orgelklang auf ihre Kniee saust!

Es beugt das Haupt sich und die stolzen Glieder,

Und reuig schlägt ans Herz die Eiseufaust.

Das Christus kreuz, das heil`ge seh ich ragen

Hoch von des Domes Kuppeln, licht und frei,

Die Männer auch es all am Busen tragen:

O daß auch er ein Dom des Gottes sei!

Sie hefteten in Farben aller Arten

Das Kreuz auf ihre Kriegesmäntel sich,

Wie wandelnde, lebend`ge Kreuzstandarten,

Zur Huldigung gesenkt jetzt feierlich.

Wie am Altar, wo tausend Ampeln flimmern,

Der Priester jetzt das Brot des Opfers bricht,

Seh` rot von Blut ich seine Hände schimmern,

Und traun, mich dünkt`s, von Christi Blut ist`s nicht!

Zunächst am Altar, andachtsvoll geneiget,

1m samtnen Betstuhl kniet ein Mann allein,

Vor allen schön, selbst schön aufs Knie gebeuget,

Fürwahr, noch schöner müßt` er aufrecht sein!

Des Mann`s Gebet gleicht seinen heim`schen Eichen,

Die, stolz sonst fühlend ihres Marks Gewalt,

In Demut doch die Wipfel niederstreichen,

Wenn Sturm, die Orgel Gottes, drüber hallt:

«Vollbracht ist`s! - ach, wie alles Menschenstreben!

Kein Stein, drum nicht schon kämpfte Menschenwut,

Kein Strauch, an dem nicht Menschentränen kleben,

Kein Stäubchen Land, an dem nicht Menschenblut!

296

Das Kreuz, in dieses Tal einst starrend nieder,

Der Schande, Schmach und Untat blut`ger Pfahl,

Auf Golgatha erhöhten jetzt wir`s wieder,

Glanzvoll und hoch> des Sieges herrlich Mal!

Von aller Kön`ge Kronen, allen Fahnen,

In alles Land, von allen Bergen dar,

Auf allen Masten, allen Ozeanen

Strahlt glorreich jetzt, was einst ein Galgen war!

Sie kränzten mich mit blankem Kronenbande!

Ob dreifach auch durchglüht sein goldnes Laub

In jener Städt` und Hütten rotem Brande,

Doch fällt, wie dieser Schutt, sie einst zu Staub.

Nur eine Krone wird hier ewig glänzen

Und ewig leuchten überm Tale hier:

Sie ward geflochten einst aus Dornenkränzen!

Weh, daß die Kron` ich trage neben ihr!

Ha, seh` ich die Gemeinde, die zum Feste

Statt grüner Palmen blut`ge Schwerter trug,

Da ahn` ich hier auch Kains Opferreste,

Der seinen Bruder argen Grimms erschlug.

Da ahn` ich`s: rings von allen Stirnen grelle

Muß auch des Bnidermörders Blutmal schrein!

Ach, wär` ich jener Pilger an der Schwelle

Und trüg` ein Herz, wie er, so still und rein!

O Iäg` mein Haupt, wie seins, am Schwellensteine,

In lichte Träume sterbend eingewiegt!

Die bIeiche Lilie sinkt im Erdenhaine,

Der Glaube zu den Himmelssternen ffiegt.»

297

3.

Und wieder Ostern war`s, vom Ölberg wieder

Sah Jesus in das Tal zur Stadt hinab:

Das Kreuz, gestürzt ist`s von den Zinnen nieder,

Nur eins steht schüchtern noch ob seinem Grab.

Hoch von Moscheenkuppeln, Minaretten

Prangt goldnen Strahis der Halbmond übers Land;

Der Ruf des Muezins gebeut zu beten,

Wo sto1z einst Salomonis Tempel stand.

Dem Stein gilt`s gleich, welch Zeichen man ihm wählte,

Ob er als Tempel, Dom, Moschee euch dien`;

Vom Menschen lernt er`s ab, daß gleich ihm`s gelte,

Tritt Mönch, Levite oder Derwisch ihn.

Der Moslim riß herab aus Himmelsfernen

Den Mond, zu schmücken seinen Erdenraum;

Der Christ hob von der Erde zu den Sternen

Sein Kreuz, gezimmert nur aus ird`schem Baum. -

Zerstäubt, vermodert längst des Kreuzes Fechter!

Kein Psalm, kein Glockenklang in weiter Luft!

Nur Mönche blieben, hütend noch als Wächter,

Wie treue Doggen, ihres Herren Gruft.

Dies Ieere Grab, sie kauften es mit Golde,

Krambuden scMug der Heide drinnen auf;

Dem müden Pilger beut um schnöde Solde

Er Platz für seine beiden Knie` zu Kauf.

Der Ostern Fest ist`s heut! Auf allen Bahnen

Ziehn fromme Christenpilger wohl heran?

Durch alle Lande reiche Karawanen

Und rüst`ge Schiff` auf aller Meere Plan?

298

Nein! Öd` und leer sind noch des Domes Hallen, Darin zerstreut nur einzle Beter knien! Vielleicht daß draußen noch vor`m Tor sie wallen? Blick` um dich, Auge, wo die Wandrer ziehn?

Kein Pilger hier! Nur Beduinen jagen Auf flinken Rossen durch das Heideland; Kein Pilger dort! Die Christenschiffe tragen Des Kaufherrn Gold und Ballen nur zum Strand.

Sieh dort, bemoost vier Trümmerwände ragen, Längst eingebrochen ist Gewölb` und Dach; Ein Kirchlein Gottes war`s in alten Tagen, Jetzt stürzt es mählich seinen Bauherrn nach.

Es sprießen grüne Terebinthen drinnen, Sie stehn die letzten, treuen Beter hier; Es wölbt ihr Laub zu KuppeIn sich und Zinnen, Es ragen ihre Stämm` als Säulenzier.

In ihrem Schatten ruht ein müder Waller, Olivenfarbe trägt sein Angesicht, Wahrzeichen trägt auch er der Pilger aller: Den Stab und Staub, - doch Christi Zeichen nicht!

Er ist ein Körnlein jener Handvoll Samen, Die einst der Sturm von diesem Boden hob Und in die Länder säte aller Namen Und weit hinaus in alle Winde stob!

Und wie ums Haupt beim Laubeswehn ihm schwanken Bald Sonnenlichter> bald die Schatten dicht, So gaukeln drinn die Bilder und Gedanken, Bald mitternächtig schwarz, bald sonnenlicht:

299

« Mir blüht kein Vaterland! Die Brüder ringen

Durchs Leben sich, zerstreut, im Wandrerkleid!

Und doch sind wir ein Volk! In eins verschlingen

Gemeinsam Elend uns, gemeinsam Leid!

Vom Manne, der nicht sterben kann, die Sage

Lallt manch ein Christenkind, vom Ahasver.

Es wallt vorbei der Völker Sarkophage

Mein Volk, unsterblich, zäh und hart, wie er!

Die Christen sahn`s, da mocht` es ihnen dünken,

Es sei wohl eisenfest auch unser Leib,

Daß unser Blut ihr Schwert sie ließen trinken,

Uns niederdolchten Greis und Kind und Weib!

Die Christen sahn`s, und unsres Leibes Glieder

Hielt da wohl auch für feuerfest ihr Wahn,

Daß sie uns Haus und Hütten brannten nieder

Und unter uns den Holzstoß schürten an!

Was zürnen sie? Weil einst, was noch sie üben,

Gerichtet einen Sünder wir nach Fug!

Wenn das er lehrte, was sie tun und trieben,

Traun, war`s kein Unrecht, was ans Kreuz ihn schlug!

Und gönnst du, Christ, uns einst auch deine Fluren,

Gibst du uns Freiheit, Recht, Gesetz zurück,

Ein Krieg, den die Jahrtausende sich schwuren,

Den endigt nicht ein Friedensaugenblick!

Hier ist mir wohl! Hier sind wir gleich, wir beiden,

Verschmäht, getreten gleich, in diesem Land!

Doch unterm Tritte selbst der schnöden Heiden

Reich ich dir nicht zum Frieden meine Hand! - -

300

Genug der Rast! Wie l&bt des Schiummers Bronnen!

Laßt sehn, wie die Geschäft` am Grab dort stehn. -

Kauft Goldmonstranzen, Rosenkranz, Madonnen!

Kauft Kreuze, schmucke Kreuze, blank und schön!»

4.

Und wieder sah der Herr vom Ölberg nieder,

Ein Ostermorgen glänzt aufs Talgeflld!

Ihn grüßen keine Glocken, keine Lieder.

In Lüften nur wehn Festesschauer mild.

Noch strahlt der Halbmond von den Zinnen allen,

Fest wie ein Ätherbild, siegreich und klar;

Doch auch das Kreuz am Grab ist nicht zerfallen,

Und nicht gewichen seiner Mönche Schar.

Zersplittert in des Wahnes Sekten, fachten

Statt Friedenslampen Hassesglut sie an;

Kaum fochten Kreuz und Mond so blut`ge Schlachten,

Als hier der braun` und graue Kuttenmann!

Altar und Kanzel werden Schanz` und Festen,

Feldlager ist der Dom, drinn k~mpferglüht

Roms Mönch im Norden steht, der Kopt` im Westen,

Der Griech` im Ost, Armenier im Süd.

Des Pascha drohend Antlitz muß es wahren,

Daß nicht ihr Blut besudle den Altar:

Gebietend hält der Stock des Janitscharen

In Eintracht hier der Friedenslehrer Schar.

301

Im Kloster liegt ein Mönch auf seinen Knien,

Mit weißem Bart> vom Morgenwind umweht,

Und zwischen Rosen, die vor Andacht glühen,

Wetteifernd sprießt gen Himmel sein Gebet:

«Wie freudig soll mein morsch Gebein versinken

Einst in dein graues Leichentuch, o Tal,

Säh` nur mein brechend Auge wieder blinken

Von allen Zinnen hoch des Kreuzes Strahl!

Und ließest du auf allen Bergen wieder,

Herr, deine Oriflamme siegreich stehn,

Der Glocken Klang, der Christenpilger Lieder

Anstatt der Blumen übers Grab mir wehn!

Zwar als du jüngst in deiner Gottheit Schöne

Im Traum mir nah, rief donnergleich dein Zorn:

«Hinweg, Unwürd`ge, ihr der Zwietracht Söhne,

Nicht fürder schändet hier des Friedens Born!

Ihr, die in meinem Dom um eine Stufe,

Um eine Pfort` ihr wild in Hader schwellt,

Wißt, daß der Erdball rings zu mir die Stufe,

Und meine Pforte rings die weite Welt!

Ihr, die ihr um ein Altarlämpchen streitet,

Ihr Blinden ahnt in eurer Nacht es kaum,

Daß, meines Lichtes voll, sich glänzend breitet

Rings um und über euch der Erde Raum!

Ich pflanzte, reichen Schirms sich zu erheben,

Einst meinen Fruchtbaum in den Erdenhain

Mein Wort, es quillt lebend`ges, volles Leben,

Und nicht gefesselt ist`s an toten Stein!»

302

So sprachst du, Herr. Doch was mein Aug` in Tränen

Längst von dir flehte, hast du jetzt gesandt!

Es baute kühn ein Heer von Gottfrieds Söhnen

Sich Zelte in der Pharaonen Land!

In ihrem Blick die alte Schiachtenweihe,

Ums Haupt des alten Ruhmes Widerschein,

In Arm und Brust die alte Kraft und Treue!

Da wird wohl auch der alte Glaube sein!

Dort steht der Feldherr! Um sein Haupt zu kühlen,

Gebricht`s an frischen Siegespalmen hie.

Des Nilstroms Katarakte stäubend spülen

Des neuen Ruhmes Taufe über sie.

Ich weiß es, seines Degens Feuerrute

Schwang über Murad Bei allein er nicht,

Und mit des Mamelucken Übermute

Geht nicht allein sein Zürnen ins Gericht.

Ich weiß, als Straße nur zu Zions Tale

Liegt ihm die Wüste vor den Augen da;

Ich weiß, der Pyramiden Riesenmale

Sind ihm die Staffeln nur zu Golgatha!

Da wird einst stehn, den Halbmond zu den Füßen,

Das goldne Kreuz hoch in der Hand, der Held,

Die graue Flur den grauen Mantel grüßen:

Er deckt, wie sie, die Größe einer Welt!

Auf Golgatha läßt ruhn er seine Aare

Ums Kreuz, des Sieg den schönsten Kranz ihm gab.

Die andern Kränze nimmt er aus dem Haare

Und legt sie nieder aufs befreite Grab!» - -

303

So sprach der Mönch. Und horch, die fernen Hügel

Erdröhnen dumpf, wie ehrner Heere Gang;

Und horch, in Lüften rauscht`s wie Adlerflügel,

Wie ferner Waffenhall und Schlachtgesang.

Ja, seine Heere sind`s! - Doch raschen Zuges,

Im Siegesglanz, ziehn sie vorbei, vorbei!

Ja, seine Adler sind`s! - Doch stolzen Fluges

Rauscht ihres Fittichs Schlag vorbei, vorbei!

5.

Und Ostern wird es einst, der Herr sieht nieder

Vom Ölberg in das Tal, das klingt und blüht;

Rings Glanz und Füll` und Wonn` und Wonne wieder,

So weit sein Aug` - ein Gottesauge - sieht!

Ein Ostern, wie`s der Dichtergeist sieht blühen,

Dem`s schon zu schaun, zu pflücken jetzt erlaubt

Die Blütenkränze, die als Kron` einst glühen

Um der noch ungebornen Tage Haupt!

Ein Ostern, wie`s das Dichteraug` sieht tagen,

Das überm Nebel> der das Jetzt umzieht,

Die morgenroten Gletscherhäupter ragen

Der werdenden Jahrtausende schon sieht!

Ein Ostern, Auferstehungsfest, das wieder

Des Frühiings Hauch auf Blumengräber sät;

Ein Ostern der Verjüngung, das hernieder

Ins Menschenherz der Gottheit Atem weht!

304

Sieh, welche Wandlung blüht auf Zions Bahnen!

Längst hält ja Lenz sein Siegeslager hier;

Auf Bergen wehn der Palmen grüne Fahnen,

Im Tale prangt sein Zelt in Blütenzier!

Längst wogt ja über all` den alten Trümmern

Ein weites Saatenmeer in goldner Flut,

Wie fern im Nord, wo weiße Wellen schimmern,

Versunken tief im Meer Vineta ruht.

Längst über alten Schutt ist unermessen

Geworfen frischer Triften grünes Kleid,

Gleichwie ein stilles, ,freundliches Vergessen

Sich senkt auf dunkler Tag` uraltes Leid.

Längst stehn die Höhn unifahn von Rebgewinden>

Längst blüht ein Rosenhag auf Golgatha.

Will jetzt ein Mund den Preis der Rose künden,

Nennt er gepaart Schiras und Golgatha.

Längst alles Land weitum ein sonn`ger Garten;

Es ragt kein Halbmond mehr, kein Kreuz mehr da!

Was sollten auch des blut`gen Kampfs Standarten?

Längst ist es Frieden, ew`ger Frieden ja!

Der Kedron blieb! Er quillt vor meinen Blicken,

Ins Bett von gelben Ähren eingeengt,

Wohl noch als Träne, - doch die dem Entzücken

Sich durch die blonden, goldnen Wimpern drängt!

Das ist ein Blühen rings, ein Duften, Klingen,

Das um die Wette sprießt und rauscht und keimt,

Als gält` es jetzt, geschäftig einzubringen,

Was starr im Schlaf Jahrtausende versäumt.

305

Das ist ein Glänzen rings, ein FunkeIn, Schimmern

Der Städt` im Tal, der Häuser auf den Höhn;

Kein Ahnen, daß ihr Fundament auf Trümmern,

Kein leiser Traum des Grabs, auf dem sie stehn!

Die Flur durchjauchzt, des Segens freud`ger Deuter,

Ein Volk, vom Glück geküßt, an Tugend reich,

Gleich den Gestirnen ernst zugleich und heiter,

Wie Rosen schön, wie Zedern stark zugleich.

Begraben längst in des Vergessens Meere,

Seeungetümen gleich in tiefer Flut,

Die alten Greu`l, die blut`ge Schergenehre,

Der Krieg und Knechtsinn und des Luges Brut.

Einst, da begab sich`s, daß im Feld die Kinder

Ausgruben gar ein formlos, eisern Ding;

Als Sichel däucht`s zu grad und schwer die Finder,

Als Pflugschar fast zu schlank und zu gering.

Sie schleppen`s mühsam heim gleich seltnem Funde,

Die Eltern sehn es, - doch sie kennen`s nicht.

Sie rufen rings die Nachbarn in der Runde,

Die Nachbarn sehn es, - doch sie kennen`s nicht.

Da ist ein Greis, der in der Jetztwelt Tage

Mit weißem Bart und fahlem Angesicht

Hereinragt, selbst wie eine alte Sage;

Sie zeigen`s ihm, - er aber kennt es nicht.

Wohl ihnen allen, daß sie`s nimmer kennen!

Der Ahnen Torheit, längst vom Grab verzehrt,

Müßt` ihnen noch im Aug` als Träne brennen.

Denn was sie nimmer kannten, - war ein Schwert!

306

Als Pflugschar soll`s fortan durch Schollen ringen,

Dem Saatkorn nur noch weist`s den Weg zur Gruft;

Des Schwertes neue Heldentaten singen

Der Lerchen Epopee`n in sonn`ger Luft! - -

Einst wieder sich`s begab, daß, als er pflügte,

Der Ackersmann wie an ein Felsstück stieß,

Und, als sein Spaten rings die Hüll` entfügte,

Ein wundersam Gebild aus Stein sich wies.

Er ruft herbei die Nachbarn in der Runde,

Sie sehn sich`s an, - jedoch sie kennen`s nicht!

Uralter, weiser Greis, du gibst wohl Kunde?

Der Greis besieht`s, - jedoch er kennt es nicht.

Ob sie`s auch kennen nicht, doch steht`s voll Segen

Aufrecht in ihrer Brust, in ew`gem Reiz,

Es blüht sein Same rings auf allen Wegen;

Denn was sie nimmer kannten, - war ein Kreuz!

Sie sahn den Kampf nicht und sein blutig Zeichen,

Sie sehn den Sieg allein und seinen Kranz.

Sie sahn den Sturm nicht mit den Wetterstreichen,

Sie sehn nur seines Regenbogens Glanz!

Das Kreuz von Stein, sie stellen`s auf im Garten,

Ein rätselhaft, ehrwürdig Altertum,

Dran Rosen rings und Blumen aller Arten

Empor sich ranken, kletternd um und um.

So steht das Kreuz inmitten Glanz und Fülle

Auf Golgatha, glorreich, bedeutungsschwer:

Verdeckt ist`s ganz von seiner Rosen Hülle,

Längst sieht vor Rosen man das Kreuz nicht mehr.

307

ZUR EINWEIHUNG DES CHRISTIAN ROSENKREUTZ-ZWEIGES Hamburg. 17. Juni 1912

Wir sind hier versammelt, um den Segen derjenigen spirituellen Mächte zu erbitten, welche über unserer geisteswissenschaftlichen Bewegung stehen, den Segen für eine Arbeitsgruppe, welche sich zu innigster Befriedigung eine Arbeitsstätte geschaffen, die durch die rnamigfaltigsten Symbole die Impulse unseres Wollens ausdrückt: nämlich der Ergebung an die spirituellen Mächte, den Willen, ihnen in der rechten Weise zu dienen. Viel Arbeit des Geistes und der Seele ist verwendet worden, um diese Räume würdig auszustatten. Die Mitglieder werden umgeben von diesen Symbolen stets den richtigen Antrieb für ihre Arbeit erhalten; diejenigen aber, die herbeigeeilt sind, um die Eröffnung mitzuerleben, werden eine bleibende Erinnerung mitnehmen, so auch diejenigen, welche immerfort, um kräftigende Antriebe hierherzusenden, im Geiste verbunden sind mit denen, die sich hier eine Arbeitsstätte gesucht haben.

Innerhalb einer solchen Strömung zu stehen, wie unsere geisteswissenschaftliche Bewegung es ist, müssen wir als eine Gnade spiritueller Mächte betrachten, denn in die Zukunft hinein ist diese Bewegung eine Notwendigkeit, und wir dürfen zuerst in dieser Strömung stehen, die einfließen muß in die zukünftige Menschheitsentwickelung, wenn sie nicht vertrocknen, verdorren soll. Man sieht als Okkultist, daß eine solche Befruchtung unumgänglich ist. Und daß gerade wir uns verpflichtet fühlen dürfen, bei dieser Befruchtung hilfreiche Hand zu leisten, das wollen wir als eine Gnade betrachten.

Die Zeit zwischen dem sechzehnten und neunzehnten Jahrhundert brachte die Wellen des Materialismus, der auch eine Notwendigkeit ist, wenn er auch nur Segnungen bringen konnte, die für die physische Welt notwendig sind. Nur wenige unter den führenden Geistern der neueren Zeit konnten verstehen, daß aus den notwendigen, aber auch hinabziehenden Banden des Materialismus wieder ein Aufstieg ersprießen muß.

308

Die theosophische Bewegung ist die Ausgießung von spirituellen Kräften und Wahrheiten aus höheren Welten herunter. Wissen sollten die Menschen wieder Dinge, welche seit Jahrtausenden überdeckt waren.

Wenn wir prüfen wollen, wie die Bewegung beschaffen ist, in der wir stehen, so können wir das bedeutsamste Kennzeichen herausfinden. Es ist, wie wenn der schönste und echteste Menschheitsgeist in ihr gewirkt hätte> denn drei Punkte, in der richtigen Weise gefühlt, geben sogleich die Vorstellung, daß es sich um etwas handelt, was ganz im Sinne der Forderungen unserer Zeit ist. Diese drei Punkte sagen nichts Geringeres, als daß eine spirituelle Bewegung in die Welt geleitet werden soll, an der jeder Mensch teilhaben kann. Die allgemein menschlichste Strömung ist charakterisiert, wenn es heißt: Es bildet diese Gesellschaft den Kern einer allgemein menschlichen Verbrüderung - und so weiter. Das sagt nichts Geringeres als: Auf der Erde kann es keinen Menschen geben, der nicht Mitglied dieser Gesellschaft werden könnte. - Über die Erde hin aber sind verbreitet die mannigfaltigsten Bekenntnisse und Philosophien. Diese können nicht alle Irrtümer sein. Wer das behauptete, würde die weiseWeltenlenkung anklagen. Es kann also sich nur darum handeln, den objektiven Kern aller Weltanschauungen zu suchen, der zu gegenseitigem Verständnis führt. Als etwas wie eine Devise ist hervorgewachsen aus diesen Prinzipien der Satz: «Keine Religion steht höher als die Wahrheit». Das Streben nach der Wahrheit kann alle Menschen zusammenführen, denn sie wird das gegenseitige Verständnis fördern. Dann ist im Grunde der dritte Grundsatz schon da. Aber man könnte sagen, die Materialisten seien von der Gesellschaft doch ausgeschlossen. Sie sind es nur dann, wenn ihnen ihr materialistischer Glaube höher steht als das Suchen nach den Kräften, die allen Erscheinungen zugrunde liegen. Nicht wir schließen den Materialisten aus, denn keiner, der ernstölich suchen wollte, ist stehengeblieben auf dem materialistischen Standpunkt. Er schließt sich also nur selber aus, weil er nicht suchen will nach der Wahrheit. Unsere Bewegung bedarf keiner anderen Grundsätze, denn wenn alles richtig aufgefaßt wird, kann es keinerlei Mißbrauch und Ausartung innerhalb der theosophischen Bewegung

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geben, denn es wird in ihr zusammengefaßt das große Ideal von Seelenharmonie und Seelenfrieden. Machen wir es uns klar, wie Frieden und Harmonie über die Welt hingetragen werden kann.

Der Christ, der nicht Theosoph geworden ist, wird wenig Verständnis haben für das, was den Buddhisten erhebt zu den höheren Welten. Der Christ aber, der Theosoph wurde, muß sich bemühen, ihn zu verstehen, er empfindet es als Pfficht auf Grund der Leitsätze der theosophischen Bewegung, die er anerkennt. Und es wird dem Christen klar, daß das Leben des Gautama Buddha auf Erden etwas bedeutet hat, wenn er weiß, daß ein Mensch unzählige Verkörperungen durchgemacht haben muß, ehe er zum Buddha werden kann. Der Buddhist weiß, daß Buddha nach der Erlangung der Buddha-Würde nicht mehr wiederzukehren braucht auf die Erde. In Kristiania ist auf die Mission des Gautama Buddha hingedeutet worden. Es wurde gezeigt, wie diese Seele eine besondere Aufgabe auf dem Mars zu lösen hat. Der Buddha hat auf der Erde die Vorstufe durchgemacht, um unter den Marsmenschen eine ähnliche Rolle zu spielen, wie der Christus auf Erden - nicht durch eine Art Mysterium von Golgatha, nicht durch das Hindurchgehen durch einen Tod, denn die Mars- menschen haben andere Lebensbedingungen als die Erdenmenschen. Dem Okkultisten ist es also klar, daß der Glaube der Buddhisten, daß der Gautama Buddha nicht in einem physischen Leibe auf die Erde wiederzukehren braucht, seine volle Begründung hat. Wir bekämpfen also nicht mehr ihre Überzeugung, das, was ihrem Herzen so naheliegt, sondern wollen ihr tiefstes Interesse entgegenbringen.

Wenn der Buddhist Theosoph geworden ist, so lernt er erkennen, was dem Christen das Heiligste ist. Er erkennt, daß in der Tatsache des Durchgehens einer gewissen Persönlichkeit durch den physischen Tod ein Weltmysterium ruht, daß der Christus aus höheren Welten heruntergestiegen ist zu einer einmaligen Inkarnation, um daraufhin nie wieder in einen physischen Leib zu kommen. Er beginnt zu verstehen, daß dies Mysterium der Ausgleich ist des Kampfes zwischen Christus und Luzifer. Wenn der Buddhist dies durch die Theosophie lernt, so sagt er sich: Ich verstehe, was der Christ im tiefsten Sinne meint, ich verstehe die einmalige Inkarnation des Christus und sehe,

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daß der Christus vorher nicht auf der Erde war, ehe er durch den Jesus von Nazareth einen Körper fand.

Wenn wir uns den betonten Grundsätzen hingeben, so lernen wir besonders etwas, was einer gewissen Furcht, die man häufig bei Christen findet, gerade entgegengesetzt ist. Der Ängstliche glaubt nämlich leicht> sein Bekenntnis verliere an Glanz, wenn auch die Vorzüge der anderen beleuchtet werden. Gerade einen höheren Glanz erhält das christliche Bekenntnis, wenn man okkultistisch die einzelnen Religionsbekenntnisse durchdringt. Wer so ängstlich besorgt ist, daß sein Bekenntnis verlieren könnte, wenn es neben den buddhistischen Glauben hingestellt wird, der sollte sich erinnern, daß es für den christlichen Theologen noch manche ungelöste Fragen gibt, daß es zum Beispiel noch eine wichtige Frage ist, ob die Menschen, die vor dem Mysterium von Golgatha gelebt haben, auch teilhaben an der Er- lösung. Nimmt aber der Christ hinzu, was der Buddhist weiß, so sieht er, daß es dieselben Seelen sind, die schon vor der Erscheinung des Christus in einem Körper lebten und nach dem Mysterium immer wieder auf die Erde zurückkommen. Nun könnte man fragen: Wie ist es denn aber mit der Buddha-Seele, die sechshundert Jahre vor Christi zum letzten Male inkarniert war und nicht wieder zurückkam?

Auch da wird uns durch die okkulte Forschung eine befriedigende Antwort zuteil. Es wird uns gezeigt, daß der Buddha ein Vorausgesandter war, der, einer höheren Hierarchie angehörend, mit den Venusmenschen heruntergeschickt wurde, so daß man von einer Sendung des Buddha zur Vorbereitung für den Christus mit Recht sprechen darf. Man kann von jeder Religion aus jede andere verstehen, wenn keine egoistisch die andere tyrannisieren will. Ein orthodoxer Buddhist könnte ja einmal seinen Buddha über alle anderen Wesen erheben wollen, was allerdings kein wirklicher Buddhist

tun würde. Wenn jemand fanatisch sein wollte im Sinne eines beschränkten Buddhismus, so könnte er lehren, daß es kein anderes Wesen geben kann, das nicht wieder als Mensch auf die Erde zurückzukehren braucht, außer dem Buddha, er müsse also der Höchste sein. Damit würde dem Buddhismus ein unendlicher Vorsprung eingeräumt gegenüber dem Christentum, dann setzte man dieses an die

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zweite Stelle. Dann würde die eine Religion durch die andere bekämpft. Das aber wäre eine untheosophische Tat. Denn die Theosophie oder Geisteswissenschaft ist da, Frieden über die Erde zu verbreiten, durch Verständnis und Studium der gleichen Wahrheiten zu der Erkenntnis der Wichtigkeit einer jeden zu führen. Darum seien wir eingedenk, daß wir unsere Grundsätze nicht nur mit dem Munde bekennen und dann ins Gegenteil verkehren dürfen.

Es muß uns die Überzeugung überkommen, daß die Begründung einer Arbeitsgruppe nicht nur etwas ist, worüber wir froh sein dürfen, sondern daß damit eine hohe Verpflichtung erwächst, und besonders dann, wenn es unternommen wird, jenen Namen der Gründung beizulegen, der dem edlen Märtyrer gehört, der durch seine Art des Wirkens mehr erduldet hat und in die Zukunft hinein zu erdulden haben wird als je ein Mensch. Ich sage: ein Mensch, denn was der Christus litt, das hat ein Gott gelitten. Das hängt zusammen mit den großen Gefahren, welche die Wahrheit in der Zukunft durchzumachen haben wird. Wenn wir uns auf den Namen «Christian Rosenkreutz» taufen, so müssen wir uns vor die Seele stellen, daß es schwer ist, gerade dieses Bündnis zu halten. Wir geloben eine Treue, zu der wir vielleicht nicht stark genug sein werden. Trotzdem soll es niemandem verwehrt sein, diese Treue in seiner Seele zu pflegen, eine Treue, die es notwendig macht, daß wir unsere Zukunft in einer bestimmten Richtung in die Hand nehmen. Wenn wir uns zu irgend etwas, was schon da ist, so hingezogen fühlen, daß wir es zu unserem eigenen Arbeitsfeld machen, so appellieren wir an die Mächte des schon erstarkten Idealismus. Begründen wir aber irgend etwas Neues, so steht hinter uns der Freund alles Separatismus, aller überirdischen Selbstigkeit: Dem Luzifer erwächst eine neue Hoffnung bei jeder neuen Gründung. Nicht so, wenn wir uns an etwas Altes anschließen. Darum wehe uns, wenn wir nicht des Wortes gewärtig siIid: «Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte». Wir können ihn aber auch immer von unserem Kragen entfernen, wenn wir guten Willens sind.

Ein großer, aber gefährlicher Moment ist es, wenn wir die Gründung verbinden mit einem Namen, den ein so großer Märtyrer trug.

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Sich selber müssen die Begründer das Gelöbnis ablegen, das Wagnis nicht leicht zu nehmen, sondern mit aller Treue und mit aller Kraft festzuhalten, was sie gelobt haben. Mit einer jeden Gründung anthroposophischer Arbeitsgruppen übernimmt man eine schwere Verantwortung. Wenn man beachtet, wie wenig noch verstanden wurde der Impuls, der durch Christian Rosenkreutz gegeben wurde, so wird man ermessen können, daß ungeheure Schwierigkeiten gerade denjenigen erwachsen werden, die ihm zu folgen gesonnen sind.

Keiner widerspricht den Orientalen, wenn sie vom MaitreyaBuddha in ihrer Weise sprechen. Wenn aber einmal über die Erde hin gefunden werden wird das Prinzip des Christentums, das im Grunde in den drei Prinzipien der Theosophischen Gesellschaft ruht, dann werden sich starke Mächte erheben, die Irrtum auf Irrtum häufen werden. Zu Christian Rosenkreutz werden diejenigen gehören, welche ihm Treue halten können.

Wir sehen schon in unserer Zeit> wie schwierig das Verständnis des Christentums ist und wie wenig guter Wille vorhanden ist, den Kern des Christentums zu fassen. Die Prinzipien, die wie gute Sterne innerhalb der geisteswissenschaftlichen Bewegung walten und heute charakterisiert worden sind, werden beitragen sowohl zu einer Vertiefung, wie zu einer Aufrüttelung der Lauen. Es ist notwendig, das Verantwortlichkeitsgefühl zu wecken. Uns gerade damit stark zu durchdringen, das soll die Aufgabe an dieser Stelle sein. Auch im engsten Raume werden noch mancherlei Prüfungen an Euch herantreten!

In dem Augenblicke> wo nur der Name des Christian Rosenkreutz genannt wird, vertritt man den Grundsatz: Keine Religion sei uns höher als das Streben nach Wahrheit. - Christian Rosenkreutz verlangt nie irgendwelchen Personenkultus und sieht darauf, daß die Lehren dem Verstande nahegebracht und eingesehen werden. Nie fordert seine Lehre blinden Glauben an die Meister. Gebrauchen wir erst unsere eigenen Kräfte, dann wird sich schon die Möglichkeit ergeben, durch die Wahrheit die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen zu erkennen. Von keinem wird von vorneherein der Glaube an sie verlangt, denn dann würde der Glaube an die Meister höher stehen als die Wahrheit. Wenn jemals etwas wie der unbedingte

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Glaube an einen Meister verlangt werden würde> wären schon die Grundsätze der Theosophischen Gesellschaft durchbrochen.

Man kann erkennen, ob irgend etwas wahr oder nicht wahr ist, was aus okkulten Quellen stammt, wenn man auf gewisse Methoden achtet. Es wäre zum Beispiel ein Leichtes gewesen bei der Herausgabe des Buches «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» zu schreiben: Diese Lehren sind gegeben unter Inspiration und so weiter, sie stammen vom Meister und ähnliches. - Durchbrochen ist aber das Prinzip der theosophischen Bewegung, wenn der Schreiber nicht die Verantwortung für das Geschriebene trägt. Wenn irgendwo behauptet würde, ein Buch sei ohne Verantwortung des Verfassers geschrieben, so könnt Ihr wissen, daß hier keine Wahrheit, sondern luziferisch-ahrimanische Täuschung ist. Das gestatten heute die Meister nicht> daß der Schreiber die Verantwortung von sich weist, darum ist es Pfflcht, stets seine Vernunft zu Rate zu ziehen, und nichts auf Autorität hin für wahr zu halten. Viel bequemer ist es natürlich, auf PersonenkuItus zu schwören, denn die Vernunft muß man sich erarbeiten. Nur die, welche prüfend dem gegenüberstehen, was aus den geistigen Welten gegeben wird, können Christian Rosenkreutz die Treue halten. Darum habt im Auge, daß hier eine Arbeitsgruppe errichtet wird, die Treue halten will - über die Persönlichkeit hinaus, die als jeweiliger Lehrer berufen ist - dem Grundsatze, umzugießen in menschlich Begreifbares das, was aus den spirituellen Welten durch den Christus herunterfließt.

Wenn Ihr Euch gelobt, so zu denken und zu streben, dann darf ich in dieser Stunde herunterrufen den Segen der spirituellen Wesenheiten, an die wir nicht zu glauben brauchen, wenn wir uns auch in ihrer Strömung wissen. Es mögen walten hier die guten Geister und segnen diese Arbeit> sie, von deren Dasein ich so überzeugt bin, wie von dem Dasein aller,` die hier sitzen im physischen Leibe. Damit sei auch diese Arbeitsstätte eingeweiht. Was in gutem Geiste unsere Arbeit zustande bringt, das wird in der Lage sein, die sonst unfehlbar über das Christentum hereinbrechende Finsternis zu verhüten. Es mögen walten die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen.

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DIE MISSION DES CHRISTIAN ROSENKREUTZ, DEREN CHARAKTER UND AUFGABE. DIE MISSION DES GAUTAMA BUDDHA AUF DEM MARS Neuchâtel 18. Dezember 1912

Unsere Freunde hier haben gewünscht, daß heute eine Betrachtung von mir angeknüpft werde an dasjenige, was wir im vorigen Jahre hier besprochen haben. Wir haben dazumal hervorgehoben, daß die Initiation des Christian Rosenkreutz auf eine ganz besondere Art im dreizehnten Jahrhundert erfolgt ist und daß seither die Individualität des Christian Rosenkreutz immerfort gewirkt hat und immerfort wirkt durch die Jahrhunderte hindurch. Wir wollen heute wiederum etwas von dem Charakter und der Wesenheit von Christian Rosenkreutz kennen lernen, indem wir die große Aufgabe ins Auge fassen, die er hatte in der ersten Morgenröte unserer dem Intellektualismus zugewendeten Zeit, um für die Zukunft der Menschheit zu sorgen.

Derjenige, der wie Christian Rosenkreutz als ein führender Okkultist vor die Welt hintritt> hat zu rechnen mit der Eigentümlichkeit seines Zeitalters. Das Geistesleben, in dem wir jetzt stehen, hat in seinem eigentlichen Charakter doch den Anfang genommen, als die neuere Naturwissenschaft herauf kam mit Kopernikus, Giordano Bruno, Gaüki und anderen. Die Menschen der Gegenwart lernen das Weltsystem des Kopernikus schon in der frühen Schulzeit kennen und nehmen die dadurch gewonnenen Eindrücke für das ganze Leben mit. In früheren Zeiten empfand die Seele etwas anderes: fühlen Sie, welch großer Unterschied besteht zwischen einem Menschen der Gegenwart und einem, der da lebte vor Jahrhunderten. Vor dem Zeitalter des Kopernikus glaubte jede Seele der Erdenmenschen, die Erde ruhe im Weltenraum und die Sonne und die Sterne drehten sich um sie. Der Boden schwand den Menschen unter den Füßen weg, als Kopernikus die Lehre aufstellte, daß die Erde mit riesiger Schnelligkeit unter ihnen sich im Weltall bewegt. Wir dürfen eine solche Revolution des Denkens nicht unterschätzen, die eine entsprechende Umwandlung des FühIens mit sich brachte. Alle Ideen und Vorstellungen der Menschen

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wurden anders als sie vor Kopernikus waren. Wir wollen uns nun die Frage stellen: Was bat der Okkultismus zu dieser Revolution des Denkens zu sagen?

Derjenige, der als Okkultist die Frage aufwirft, wie man mit den modernen Ideen des Kopernikus die Welt begreifen kann, der muß sich sagen: Man kann mit den Ideen des Kopernikus vieles schaffen, was naturwissenschaftlich zu großen Triumphen im äußeren Leben führt, aber nichts begreifen von dem geistigen Untergrund der Welt und der Dinge, denn die kopernikanischen Ideen sind das schlechteste Instrument, das jernals in der Menschheitsentwickelung da war, um die geistigen Untergründe zu begreifen. Dies rührt davon her, daß alle diese Begriffe und Ideen des Kopernikus von Luzifer inspiriert sind. Denn der Kopernikanismus ist eine der letzten Attacken, der letzten großen Angriffe, die Luzifer auf die menschliche Entwickelung gemacht hat. In der älteren, vorkopernikanischen Weltanschauung hatte man außen die Maja; aber man hatte vielfach in dem, was man verstand, was überliefertes Weisheitsgut war, die Wahrheit der Dinge und der Welt. Seit Kopernikus aber hat der Mensch nicht nur in der sinnlichen Anschauung um sich die Maja, sondern die Begriffe und Ideen sind selbst Maja. Heute ist es dem Menschen wie selbstverständlich, daß die Sonne in der Mitte feststeht und die Planeten sich da in Ellipsen herumdrehen. Nicht lange wird es in die Zukunft hinein dauern, und man wird einsehen, daß die Anschauung des Kopernikus von der Sternenwelt viel unrichtiger ist als die vorhergehende des Ptokll;äus. Die kopernikanisch-keplersche Weltanschauung ist eine sehr bequeme Weltanschauung. Um aber dasjenige zu erklären, was der Makrokosmos ist, ist sie nicht die Wahrheit.

Christian Rosenkreutz stand so vor der Tatsache einer Weltanschauung, die selber eine Maja ist, und er hatte Stellung dazu zu nehmen. Christian Rosenkreutz mußte den Okkultismus retten zu einer Zeit, in der alle wissenschaftlichen Begriffe selbst eine Maja waren. In der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts erschien das grundlegende Werk des Kopernikus über die «Umdrehung derWeltkörper». Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts war an die Rosenkreuzer die Notwendigkeit herangetreten, aus dem Okkultismus heraus das Welt-

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system zu begreifen, da das kopernikanische Weltensystem mit seinen materiell gedachten Kugeln im Raume schon im Begriff Maja war. Gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts fand daher eine jener Konferenzen statt, wie wir sie hier vor einem Jahre kennen gelernt haben, als näinlich im dreizehnten Jahrhundert Christian Rosenkreutz selbst eingeweiht wurde. Diese okkulte Konferenz der führenden Individualitäten vereinigte Christian Rosenkreutz mit jenen zwölf Individualitäten von damals und, noch einigen anderen bedeutsamen Individualitäten der Menschheitsführung. Es waren dabei anwesend nicht nur Persöniichkeiten, die auf dem physischen Plan inkarniert waren, sondern auch solche, die sich in den geistigen Welten befanden. Anwesend war bei jener Konferenz auch dieselbe Individualität, die im sechsten Jahrhundert vor Christus verkörpert war als der Gautama Buddha.

Die orientalischen Okkultisten glauben mit Recht - denn sie wissen es als eine Wahrheit -, daß Buddha, der im neunundzwanzigsten Jahre seines Lebens als Gautama Buddha von einem Bodhisattva zu einem Buddha wurde, zum letzten Male damals im physischen Körper inkarniert war. Es ist durchaus richtig, daß die Individualität, die von einem Bodhisattva zu einem Buddha wird, danach nicht mehr in einer physischen Inkarnation auf Erden erscheint. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit «nicht mehr tätig sein» für die Erde. Der Buddha ist tätig für die Erde auch für die folgende Zeit, wenn er auch nicht mehr im physischen Leibe auf Erden erscheint, sondern von der geistigen Welt aus seine Tätigkeit ausübt. Das Hineinwirken des Buddha mit seinen Kräften aus der geistigen Welt in den Astralleib des Jesus vom Lukas-Evangelium vernehmen wir in dem Gloria-Gesang, der auch den Hirten auf dem Felde hörbar wurde. Diese Worte rühren her von dem Buddha, der wirksam im Astralleibe des Jesusknaben des LukasEvangeliums war. Diese schöne, herrliche Botschaft des Friedens und der Liebe ist tatsächlich ein Ergebnis dessen, was Buddha beigesteuert hat zu dem Christentum. Aber auch später wirkt der Buddha - nicht physisch, aber aus der geistigen Welt - in die Taten der Menschen hinein und er arbeitete mit an dem, was zu geschehen hatte für den Fortschritt der Menschheitsentwickelung.

Im siebenten und achten Jahrhundert zum Beispiel war in der Nähe

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des Schwarzen Meeres eine sehr bedeutende Einweihungsschule, in der Buddha im Geistleibe lehrte. In solchen Schulen gibt es Lehrer, die im physischen Leibe lehren; aber für die vorgerückteren Schüler ist es auch möglich, Unterweisungen von einem Lehrer zu bekommen, der nur im ätherischen Leibe lehrt. Und so lehrte dort der Buddha für diejenigen, welche die höheren Erkenntnisse aufzunehmen vermochten.

Unter den Schülern des Buddha war damals einer, der dann wenige Jahrhunderte darnach wieder inkarniert wurde. Wir haben es also zu tun mit einer physisch lebenden Persönlichkeit, die Jahrhunderte später wieder im physischen Leibe lebt, in Italien, und die wir als den heiligen Franziskus von Assisi kennen. Die eigentümliche Art des Franz von Assisi, die ja so viel Ähnlichkeit hat, auch in dem Leben seiner Mönche, mit den Schülern des Buddha, ergibt sich aus dem Umstand, daß Franz von Assisi selbst ein Schüler des Buddha war.

Man braucht nur ein wenig den Blick hinzuwenden auf die Eigentüinlichkeiten solcher nach dem Geistigen strebenden Menschen wie Franz von Assisi> und solcher, die durch die jetzige Kultur in der Industrie, der Technik und den neueren Entdeckungen der Gegenwart stehen. Es gab viele, auch okkulte Persönlichkeiten, die in der Seele viel Leid erlebten, als sie denken mußten, daß es in der Zukunft zwei Arten von Menschen würde geben müssen. Und zwar glaubten sie, die eine Klasse werde ganz dem praktischen Leben zugewandt sein, sie werde in der Erzeugung von Nahrungsmitteln, im Bauen von Maschinen und so weiter ihr Heil sehen, sie werde ganz aufgehen im praktischen Leben. Und die andere Klasse werde diejenige sein, welcher Menschen wie Franz von Assisi angehören, die sich wegen des geistigen Lebens ganz abwenden vom praktischen Leben.

Es war daher ein bedeutungsvoller Augenblick, als zur Vorbereitung jener erwähnten Konferenz Christian Rosenkreutz im sechzehnten Jahrhundert eine Anzahl von Okkultisten, einen größeren Kreis von Menschen zusammenberief, denen er die zwei Arten von Menschen vor Augen stellte, die es in der Zukunft geben müßte. Zuerst berief er einen größeren Kreis, später einen kleineren, um den Menschen dieses Bedeutsame zu sagen. Christian Rosenkreutz hielt diese Vorversammiung eine Anzahl von Jahren vorher, nicht weil es ihm

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unklar war> was zu geschehen hatte, sondern weil er die Menschen zum Nachdenken bringen wollte über die Perspektive der Zukunft.

Er sagte ungefähr folgendes zur Anregung des Denkens: Man sehe hin auf die Zukunft der Welt. Die Welt drängt nach Praxis, nach Industrie, nach Eisenbahnen und so weiter. Die Menschen werden sein wie Lasttiere. Und diejenigen, die das nicht wollen, werden sein wie Franz von Assisi, unpraktisch für das Leben, sie werden nur der inneren Entwickelung leben. - Christian Rosenkreutz machte damals seinen Zuhörern klar, daß es auf Erden kein Mittel gebe, um die Bildung dieser zwei Menschenklassen zu verhindern. Alles was man für die Menschen tun könne zwischen Geburt und Tod, könne nicht verhindern, daß die Menschen in diese zwei Klassen geteilt würden. So- weit die Verhältnisse auf der Erde in Betracht kommen, ist es unmöglich, Abhilfe zu schaffen für die zwei Klassen von Menschen. Hilfe könne nur kommen, wenn eine Art von Erziehung geschaffen würde, die sich nicht abspiele zwischen Geburt und Tod, sondern zwischen dem Tode und einer neuen Geburt.

Bedenken wir also, daß die Rosenkreuzer vor die Aufgabe gestellt waren, zu wirken aus der übersinnlichen Welt in die einzelnen Menschen hinein. Um zu verstehen, was zu geschehen hatte, müssen wir das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt von einer gewissen Seite her betrachten.

Auf der Erde leben wir zwischen Geburt und Tod. Zwischen Tod und neuer Geburt steht der Mensch in einer gewissen Verbindung mit den anderen Planeten. Sie finden in meiner «Theosophie» beschrieben das Kamaloka. Dieser Aufenthalt des Menschen in der Seelenwelt ist eine Zeit, während welcher der Mensch ein Mondbewohner wird. Dann wird er ein Merkurbewohner, dann ein Venusbewohner, dann ein Sonnen-, Mars-, Jupiter-, Saturnbewohner und dann ein Bewohner des weiteren Himmels- oder Weltenraumes. Man redet nicht unrichtig, wenn man sagt, daß zwischen zwei Inkarnationen auf der Erde Verkörperungen auf anderen Planeten liegen, geistige Verleiblichungen. Der Mensch ist heute noch nicht so weit in seiner Entwickelung, daß er sich in seiner Inkarnation erinnern kann an das, was er erlebt hat zwischen Tod und neuer Geburt, aber in der Zukunft wird das möglich

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sein. Wenn er auch jetzt sich nicht erinnern kann an das, was er zum Beispiel auf dem Mars erlebt hat, so hat er aber doch die Kräfte des Mars in sich, wenn er auch nichts davon weiß. Man kann durchaus sagen: Jetzt bin ich ein Erdenbewohner, aber die Kräfte in mir schließen in sich etwas, was ich mir auf dem Mars angeeignet habe. - Betrachten wir einmal einen Menschen, der auf der Erde lebte, nachdem sich die kopernikanische Weltanschauung ausgebreitet hatte. Woher haben Kopernikus, Galilei, Giordano Bruno und andere die Fähigkeiten in dieser Inkarnation? Bedenken Sie, daß die Individualität des Kopernikus kurz vorher, 1401-1464, in Nikolaus Cusanus, der ein tiefer Mystiker war, verkötpert war. Bedenken Sie seine «Docta ignorantia», wie ganz anders ist da die Seelenverfassung. Wie sind die Kräfte in diese Individualität hineingekommen, die den Kopernikus so ganz anders gemacht haben als den Nikolaus Cusanus? Aus den Kräften des Mars ist das eingeflossen, was ihn dann zu dem Astronomen Kopernikus gemacht hat. So ist es auch bei Galilei, auch er hat Kräfte vom Mars aufgenommen, die ihm die besondere Konfiguration des modernen Naturdenkers verliehen haben. Auch Giordano Bruno hat seine Kräfte vom Mars mitgebracht, und so ist es mit der ganzen Menschheit. Daß die Menschen denken wie Kopernikus oder Giordano Bruno, bekommen sie aus den Kräften des Mars, die sie sich zwischen Tod und neuer Geburt aneignen.

Aber daß man solcheKräfte bekommt, die vonTriumph zu Triumph führen, rührt davon her, daß der Mars damals anders wirkte als vorher. Früher waren es andere Kräfte, die vom Mars ausgingen. Die Marskultur, die die Menschen durchleben zwischen Tod und neuer Geburt, hat eine große Krise durchgemacht im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert der Erde. So einschneidend, so katastrophal war es im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert auf dem Mars, wie es auf der Erde war zur Zeit des Mysteriums von Golgatha. Wie zur Zeit des Mysteriums von Golgatha das eigentliche Ich des Menschen geboren wurde, so wurde auf dem Mars geboren diejenige Geistesrichtung, die, wenn sie sich dem Menschen einpflanzte, sich zeigt im Kopernikanismus. Nachdem diese Zustände auf dem Mars herrschten, wäre es die ganz natürliche Folge gewesen, daß der Mars immer

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Menschen auf die Erde geschickt hätte, die nur Ideen wie Kopernikus mitgebracht hätten, die doch eigentlich Maja sind. Wir blicken also auf eine Dekadenz, auf einen Niedergang der Mars kultur. Vorher waren es gute Kräfte gewesen, die vom Mars ausgeströmt waren. Jetzt aber .3trömten von dort immer mehr Kräfte aus, die den Menschen immer tiefer in die Maja hineingeführt hätten. Geistreich zwar waren die Errungenschaften, die vom Mars stammten in jener Zeit, aber doch eben Maja.

Sie sehen also, daß man im fünfzehnten Jahrhundert hat sagen können: Das Heil des Mars und damit der Erde hängt davon ab, daß auf dem Mars die niedergehende Kultur wieder einen Impuls nach aufwärts erhält. So etwa war es auf dem Mars, wie auf der Erde bis zum Mysterium von Golgatha, wo die Menschheit von spirituellen Höhen in die Tiefe des Materiellen versunken war und der ChristusImpuls dann einen Aufstieg für sie bedeutete. Auf dem Mars war im fünfzehnten Jahrhundert die Notwendigkeit eingetreten, der Mars- kultur einen Impuls nach aufwärts zu geben. Das war die große Frage, die vor Christian Rosenkreutz und seinen Schülern stand, wie der Marskultur dieser Impuls zum Aufstieg zu geben sei, denn von der Marskultur hing auch das Heil der Erde ab. Die große Aufgabe stand vor dem Rosenkreuzertum, die Frage zu beantworten: Was hat zu geschehen, daß zum Heile der Erde die Mars kultur zu einem Aufstieg gelangt? Die Marswesen hätten gar nicht wissen können, was zu ihrem Heile dienen kann, denn nur auf der Erde konnte man wissen, wie es um den Mars stand. Auf dem Mars empfand man den Niedergang gar nicht. Einer praktischen Antwort wegen trat daher jene Konferenz am Ende des seChzehnten Jahrhunderts zusammen, von der gesprochen wurde. Wohivorbereitet war diese Konferenz von Christian Rosenkreutz dadurch, daß der intimste Schüler und Freund des Christian Rosenkreutz der im Geistleib lebende Gautama Buddha war. Und bei dieser Konferenz ist verkündet worden, daß die Wesenheit> die einst auf Erden inkarniert war als Gautama Buddha, jetzt, als geistige Wesenheit, wie er war, seitdem er «Buddha» geworden, den Schauplatz seiner Tätigkeit auf den Mars verlegen werde. Gleichsam abgeschickt wurde von der Erde auf den Mars die Individualität des

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Gautama Buddha durch Christian Rosenkreutz. Gautama Buddha verläßt den Schauplatz seiner Tätigkeit und geht nach dem Mars und im Jahre 1604 vollbrachte die Individualität des Gautama Buddha eine ähnliche Tat für den Mars, wie das Mysterium von Golgatha für die Erde war.

Christian Rosenkreutz hatte erkannt, was es für das ganze Weltall bedeuten würde, wenn Buddha dort wirkte, und was des Buddha Lehre vom Nirwana, die Lehre, daß sich der Mensch von der Erde loslösen solle, dort auf dem Mars zu bedeuten hätte. Um die auf das Praktische gerichtete Erdenkultur zu fördern, war die Lehre vom Nirwana ungeeignet. Das zeigte sich am Schüler des Buddha, Franz von Assisi, daß diese Lehre ihre Adepten zu weltfremden Menschen macht. Was aber im Buddhismus nicht geeignet war, um das praktische Leben des Menschen zu fördern zwischen Geburt und Tod, das war von hoher Bedeutung für die Förderung seiner Seele zwischen Tod und neuer Geburt. Das sah Christian Rosenkreutz ein, daß für dasjenige, was auf dem Mars als Läuterung zu geschehen hatte, die Lehre des Buddha das Geeignetste sei. Wie einstmals das göttliche Liebewesen, Christus, auf der Erde weilte in einer Zeit und unter einem Volk, das diesem Liebewesen nicht gerade nahestand, so stieg der Friedensfürst Buddha im siebzehnten Jahrhundert auf den Mars hinauf, wo Krieg und Kampf herrschten, um dort seine Mission zu erfüllen. Dort waren die Seelen vor allem kriegerisch gestimmt. Eine große Opfertat vollzog der Buddha, gleich jener des Trägers des göttlichen Liebewesens im Mysterium von Golgatha. Eine kosmische Opfertat war es, Buddha zu sein auf dem Mars. Dort war er gleichsam das Opferlanun, und man kann es als eine Art von Kreuzigung für den Buddha bezeichnen, daß er sich hineinversetzen ließ in diese kriegerische Umgebung. Buddha hat diese Tat auf dem Mars vollbracht im Dienste des Christian Rosenkreutz. So wirken zusammen im Weltenall die großen führenden Wesenheiten, nicht nur auf der Erde, sondern von einem Planeten zum andern hin.

Seit jener Zeit, in der das Mysterium des Mars sich vollzogen hat durch Gautama Buddha, ninimt der Mensch vom Mars andere Kräfte auf in der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt als früher, zur Zeit

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des Niederganges der Marskultur. Und nicht nur bringt der Mensch sich ganz andere Kräfte mit vom Mars herein in die neue Geburt, sondern durch den Einfluß, den die geistige Tat des Buddha ausübt, strömen dem Menschen vom Mars auch Kräfte zu, wenn er hier der Meditation obliegt, um in die geistige Welt zu kommen. Wenn der moderne Geistesschüler meditiert in dem von Christian Rosenkreutz angegebenen Sinne, so strömen auch Kräfte herein, die der Buddha als Marserlöser in die Erde hereinschickt.

So erscheint uns Christian Rosenkreutz als der große Diener des Christus Jesus. Aber dem Werke, das Christian Rosenkreutz im Dienste des Christus Jesus zu verrichten hatte, mußte zugleich zu Hilfe kommen dasjenige, was der Buddha als der Sendbote des Christian Rosenkreutz zum Werke des Christus Jesus beizutragen hatte. So ist die Seele des Gautama Buddha zwar nicht weiter mehr auf der physischen Erde, aber diese Seele ist ganz zum Helfer geworden des ChristusImpulses. Was ertönte als Friedenswort auf den im Lukas-Evangelium beschriebenen Jesusknaben herab? «Gloria in der Höhe und Friede auf Erden!» Das tönte aus Buddhas Wesen herab, und es tönt dies - geheimnisvoll von Buddha ausgehend - aus dem Planeten des Krieges in die Menschenseelen auf Erden hinein.

Dadurch aber, daß dies alles geschehen ist, war es möglich, daß die Teilung der Menschen in zwei Klassen vermieden wurde, die Teilung in Menschen wie Franz von Assisi, und in solche, die nur im Materialismus aufgehen. Wäre Buddha mit der Erde unmittelbar in Verbindung geblieben, so hätte er um die « praktischen» Menschen sich nicht kümmern können, und die andern hätte er zu Mönchen wie Franz von Assisi gemacht. Durch die Erlösertat des Gautama Buddha auf dem Mars ist es möglich geworden, wenn wir einmal in der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt durchmachen unsere Entwickelung auf dem Mars, Anhänger des Franz von Assisi zu sein, ohne daß wir der Erde dadurch etwöas zu entziehen brauchen. Grotesk klingt es vielleicht, aber richtig ist es, daß jeder Mensch seit dem siebzehnten Jahrhundert innerhalb des Marszustandes Buddhist, Franziskaner, unmittelbarer Folger des Franz von Assisi ist für eine Zeitlang. Franz von Assisi ist seitdem nur einmal als Kind kurz auf der Erde erschienen

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und in der Kindheit gestorben und war seither nicht mehr verkÖrpert. Er ist seitdem verbunden mit der Tätigkeit des Buddha

und einer der hervorragendsten Folger des Buddha auf dem Mars. So haben wir uns vor die Seele gestellt alles, was geschehen ist durchjene bedeutsame Konferenz am Ende des sechzehnten Jahrhunderts und was ähnlich ist dem, was im dreizehnten Jahrhundert auf Erden geschah, als Christian Rosenkreutz seine Getreuen um sich vereinigt

hatte. Nichts Geringeres ist geschehen, als daß die Möglichkeit gegeben wurde, dem drohenden Auseinanderfallen der Menschheit in zwei Klassen vorzubeugen, so daß die Menschheit vereinigt bleiben konnte. Und jene Menschen, die eine esoterische Entwickelung durchmachen wollen trotz ihres Aufgehens im praktischen Leben, können ihr Ziel dadurch erreichen> daß der Buddha von dem Mars aus wirkt und nicht von der Erde aus. So daß auch die Kräfte zu einem gesunden esoterischen Leben von der Wirksamkeit des Buddha herrühren.

Wenn der Mensch heute Meditant wird - was das heißt, habe ich schon behandelt in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» -, so ist es gerade das Wesentliche, daß bei der Rosenkreuzerschulung die Entwickelung so ist, daß der Mensch nicht herausgerissen wird aus der Tätigkeit, die sein Karma auf Erden von ihm verlangt. Rosenkreuzerische esoterische Entwickelung ist vereinbar mit jeder Art von Lebenslage und Beschäftigung. Dadurch, daß Christian Rosenkreutz es verstanden hat, die Tätigkeit des Buddha von der Erde auf den Mars zu verlegen, ist es möglich, daß Buddha auch außerhalb der Erde auf die Menschen richtig einwirken kann.

So haben wir wieder eine der spirituellen Taten des Christian Rosenkreutz kennen gelernt und wir müssen uns schon auf den esoterischen Inhalt einlassen, wenn wir seine Taten vom dreizehnten Jahrhundert und die vom sechzehnten Jahrhundert verstehen wollen. Es wäre gut, wenn allgemein begriffen würde, wie unsere abendländische Theosophie konsequent verfuhr seit der Begründung der mitteleuropäischen Sektion der Theosophischen Gesellschaft. Wir haben hier in der Schweiz Vortragszyklen gehabt über die vier Evangelien. Alle die Evangelien-Zyklen sind im Keime enthalten in meiner Schrift «Das Christentum als mystische Tatsache», die vor zwölf Jahren geschrieben

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worden ist. In dem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» ist der Weg der abendländischen Entwickelung in der Weise geschildert, wie er bei jeder Art von praktischer Betätigung erlebt werden kann. Heute habe ich Ihnen den Grund dieser Tatsache angegeben in der Mission des Gautama Buddha, die ihm durch Christian Rosenkreutz übertragen wurde, indem ich Ihnen von der Bedeutung gesprochen habe, die seine Entsendung auf den Mars für unser Sonnensystem erhalten hat. So fügt sich und muß sich fügen Baustein auf Baustein in unserer abendländischen Theosophie, die konsequent und folgerichtig aufgebaut worden ist, und bei der alles Spätere auch im Einklang mit dem Früheren sein wird. Innere Folgerichtigkeit ist eine der Eigenschaften, die eine Weltanschauung haben muß, wenn sie auf Wahrhaftigkeit aufgebaut sein soll. Und derjenige, der Christian Rosenkreutz nahestehen darf, blickt voll bewundernder Ehrfurcht darauf hin, wie folgerichtig Christian Rosenkreutz selber die große, ihm auferlegte Mission erfüllt hat, die für unsere Zeit als die rosenkreuzerisch-christliche ihm zugewiesen worden ist. Daß der große Lehrer des Nirwana eine Mission außerhalb der Erde auf dem Mars erfüllt, das ist eine der ungeheuren Folgerichtigkeiten, ist eine der Taten des Christian Rosenkreutz.

An diese Betrachtungen sei noch eine kurze praktische angeschlossen. Wer Schüler des Christian Rosenkreutz werden will, beachte folgendes: Wir haben im vorigen Jahr davon gesprochen, wie man unwillkürlich eine Erkenntnis davon bekommen kann, daß man in einer gewissen Beziehung zu Christian Rosenkreutz stehen kann. Man kann aber auch etwas wie eine Frage an das Schicksal stellen: Kann ich die Eignung erlarigen, ein Schüler des Christian Rosenkreutz zu werden? - Es kann auf folgende Weise geschehen: Man versuche, sich das Bild des großen Lehrers der Neuzeit, Christian Rosenkreutz inmitten seiner Zwölf, vor die Seele zu stellen, hinaussendend in den Weltenraum den Gautama Buddha im Beginne des siebzehnten Jahrhunderts, in der Konsequenz erfüllend dasjenige, was ungefähr geschehen ist im sechsten Jahrhundert vor Christus durch die Predigt von Benares.

Wenn dieses Bild vor der Seele steht mit seiner ganzen Bedeutung, wenn man fühlt, wie von dem Bilde, das einen erschütternden Ein-

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druck macht, etwas ausgeht, so daß sich aus der Seele die Worte herausringen: O Mensch, du bist nicht bloß ein irdisches, du bist ein kosmisches Wesen! -, dann darf man getrost glauben: Ich kann ein dem Christian Rosenkreutz nachstrebender Schüler werden. - Ein wichtiger Meditationsstoff ist dieses Bild, welches das Verhältnis des Christian Rosenkreutz zu Gautama Buddha schildert.

Und das wollte ich als ein aus dieser Betrachtung resultierendes Streben in Ihren Seelen erwecken. Denn das sollen wir uns immer vorhalten: Wir sollen Interesse haben für die Betrachtung der Welt, dann aber daraus die Mittel gewinnen, durch die wir selbst unsere Entwickelung in die höheren Welten hinein vollziehen können.

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ANHANG

DIE BEDEUTUNG DES JAHRES 1250 Notizen aus dem Vortrag, Köln 29. Januar 1911

Warum brauchen wir Geisteswissenschaft? Als lebende Wesen auf dem physischen Plan sind wir auf einem Abstieg. Unser Körper ist nicht derselbe wie in alten Zeiten, unsere Leiber sind weniger durchseelt, weniger vom Geist unterhalten. Wie die Pflanze durchsetzt ist von Wasser, so auch war in alten Zeiten der Ätherleib in uns tätig. Er durchdrang mit seinen auf bauenden Kräften den physischen Leib. Heute hat er die Macht über den Körper verloren. Rettung ist nur möglich, wenn wir das Geistige in uns stärker machen. Wenn der Astralleib sich mit dem Geistigen durchdringt, dann wird auch das Menschengeschlecht gesünder werden. Schicksal ist es, daß der menschliche physische Körper abbröckelt, aber der Ätherleib kann kräftiger werden und auf ihn zurückwirken. Jetzt steuern die Menschen jedoch direkt in die Dekadenz hinein. Geisteswissenschaft arbeitet zur Belebung, zur Gesundung von Leib und Seele. Gesundend wirkt besonders das, was nicht allein mit den Sinnen oder dem Gehirn wahrgenommen werden kann. Es erscheint der Welt als Unsinn, wenn wir sagen, daß wir unsere Gedanken richten sollen auf Dinge, die nicht äußerlich nachzuweisen sind. Aber es ist kindisch, mit Mitteln der heutigen Wissenschaft die Geisteswissenschaft beweisen zu wollen.

Im Denken über die Außenwelt liegt ein notwendig abbauendes Element, das auf den physischen Leib zerstörend wirkt. Der Schlaf bessert das aus.Viele Erscheinungen des heutigenKulturlebens wirken zerstörend, zum Beispiel insbesondere auch die Lichtbilder, die den Ätherleib durchaus schädigen. Lichtbilder erregen auch die Sinnlichkeit. Echte Kunst kann das, was aus den höheren Welten kommt, zum Heile der Menschen versinnlichen. In der geisteswissenschaftlichen Weltanschauung arbeiten wir im Verein mit übersinnlichen Mächten. Nichts gibt einen festen Stützpunkt im Innern als die Geist-Erkenntnis. Irgendein Sklave mit festem geistigem Stützpunkt in der

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Zeit der Pharaone und ägyptischen Priesterherrschaft stand sicherer im Leben darin als mancher Mensch der jetzigen Zeit. Die Menschen streben heute nach dem Schablonenmäßigen, nach der Autorität. Doch nur durch eigene innere Tätigkeit im wachen Innern kann die Seele einen festen Stützpunkt finden. Geisteswissenschaftliche Stimmung gibt den Menschen einen Halt und macht sie zufrieden> denn sie haben eine feste Stütze im eigenen Innern durch das, was ihnen die Geistes- wissenschaft gibt, die der Seele so nötig ist wie dem Leibe das tägliche Brot.

Wir stehen auf einer Erde, die der Auflösung entgegengeht. Allmählich-wird es dahin kommen, daß Seen, Flüsse austrocknen. Durch solche UrnIagerungen ändert sich das Bild der Erde. Die Geologie gibt schon an, wie wir bereits in einer zerfallenden Epoche darinnen sind. Der namhafte Geologe 5ueß bestätigt es, daß statt steigender, belebender Prozesse in der Erde Verwesungsprozesse stattfinden. Das geht bereits durch die große letzte Entwickelungsepoche der Erde hindurch. Besonders intensiv äußert es sich in der kleinen, seit dem Jahre 1250. Einige Forscher und in ihrem Fach geniale Menschen zeigen manches Fünkchen von Einsicht. Zum Beispiel Burdach. Er bemerkt einen Umschwung seit der Renaissance, doch weiß er nichts von der Richtungsänderung der Erdachse zur Zeit, da sich die Geister der Persönlichkeit zurückzogen.

Verschiedene geistige Wesenheiten greifen in verschiedener Art zu verschiedenen Zeiten ein. Dadurch hat jedes Zeitalter einen eigenen Charakter, wie auch jedes Lebensalter seine besondere Aufgabe hat. Es würde zerstörend, untergrabend wirken, wenn man einführen wollte was nicht zeitgemäß ist, zum Beispiel alte ägyptische Lehren, die im atavistischen Schauen des Volkes verankert waren und als Glaube an eine übersinnliche Welt sich in umgewandelter Gestalt erhalten haben. Nicht, was der Verstand sieht, nicht das Äußere in der Welt ist Gegenstand des Glaubens; dieser hat seine starken Wurzeln in früheren Erfahrungen der Seele. Die Geister der Persönlichkeit, die Archai, sind nicht sichtbar, und doch sind sie da und greifen ein. Ein besonders starkes Eingreifen der Archai war vorhanden in der ägyptisch-babyIonischen Zeit. Die Geister der Persönlichkeit waren damals

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besonders angezogen durch die Erdensphäre. Jetzt ist es anders. Jetzt sind sie am wenigsten angezogen oder sympathisch berührt von dem, waj auf Erden geschieht. Sie greifen nicht mehr ein, auch nicht in den Charakter der Menschen. Seit dem Jahre 1250 ist es anders geworden. Im dreizehnten Jahrhundert fand eine wichtige, bedeutende Umwandlung der Erdenverhältnisse statt. Seitdem ließen die Archai nach, so stark einzugreifen. Sie zogen sich zurück zu Taten in den höheren Welten. Vorher war ihre Wirksamkeit mehr auf der Erde selbst gewesen. Solche Ereignisse sind entsprechend zu würdigen, denn es walten seitdem andere Gesetze.

Allen fortschrittlichen Geistern im Weltenall stehen Gegner gegen- über> in diesem Falle jene, die ziirückgebliebene Geister der Persönlichkeit sind. Diese Gegner, die schlimmen Geister der Persönlichkeit> gewinnen nun das Feld. Das hängt zusammen mit der Änderung der Stellung der Erdachse um 1250. Die Erde beschreibt ja im Laufe von Jahrtausenden eine Kegelbewegung, eine tanzende Be`wegung. Seit dem fünften, sechsten Jahrtausend vor Christus hat die Erdachse sich immer mehr gewendet. Man nennt das wissenschaftlich das Vor- rücken des Frühlingspunktes, des Äquinoktiums. Auch die Verteilung von Frühling, Sommer, Herbst und Winter war früher anders, gleichmäßiger.

Die Liebe zur Persönlichkeit, alles was damit zusammenhängt, hat seine guten und schiechten Seiten. Das brachte auch die Renaissance mit, als sie Menschen hervorbrachte, die ganz in der Persönlichkeit lebten. Es war alles vehement gegen das dreizehnte Jahrhundert hin und noch lange nachher, bis in die Renaissance hinein, sowohl bei Künstlernaturen, wie auch bei &sare Borgia und Papst Alexander VI. Auch bei den Führern der Kreuzzüge war es so gewesen. Es hat sich in jener Zeit alles abgespielt im Zeichen der Geister der Persönlichkeit. Die ganze Geschichte ist damals durchsetzt von den schlimmen Geistern der Persönlichkeit. Der Mensch war gleichsam besessen von den Geistern der Persönlichkeit.

Die im dreizehnten Jahrhundert inkarnierten Seelen wußten, daß die Menschen nicht los konnten von ihrer Persönlichkeit, und die gegnerischen Mächte machten allmählich die Menschen so materiell

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gesinnt als möglich. Die von den schlimmen Geistern der Persönlichkeit durchsetzten Menschen konnten nicht mehr hinaufblicken in die geistigen Welten. Da wird nun in jener Zeit die Verbindung mit der geistigen Welt hergestellt durch den Glauben, und darauf wurde auch Gewicht gelegt von seiten der scholastischen Kirchengelehrten. Glaube und Wissen waren nun streng voneinander getrennt. Durch die Jahrhunderte hindurch hat dieses weitergewirkt. Ein letzter Nachzügler jener Zeit war noch Kant, seine Anhänger waren nur Nachbeter. Luther aber empfand noch dumpf diese Einwirkung der schlimmen Geister der Persönlichkeit. Er warf das Tintenfaß gegen den materialistischen Geist der Zeit.

Diese Epoche ist vorbei. Wir leben in der Zeit der Erzengel, mit Gedanken, die hinaufreichen können in die Region> wo die Erzengel und die Gegner der Erzengel sind. Die Gegner der Erzengel durchsetzen nicht mehr so wie früher die Archai große Persönlichkeiten. Es gibt keine Persönlichkeiten mehr, die wie Leonardo da Vinci in Verbindung stehen mit den guten Geistern der Persönlichkeit, oder wie Papst Alexander VI. in Verbindung mit den schlimmen. Heute sind die Menschen mehr schablonenhaft. Jetzt wird abstrakten Idealen nachgejagt. Immer mehr sind es Ideen, Meinungen, Empfindungen, durch welche die Menschen wie besessen sind von den Gegnern der Erzengel. Dadurch schwärmen die Menschen für abstrakte Ideale, werden Phantasten, sie lieben nicht mehr ihr eigenes ewiges Ich, werden aber durch allerlei Lüste und Leidenschaften getrieben. Sie haften bloß an der irdischen Persönlichkeit, sie schwärmen für irgendein unreales Phantasiegebilde. Doch nur das Streben nach der geistigen Welt kann die Seelen wirklich mit Inhalt ausfüllen.

Eine sekundäre Wirkung der schlimmen Geister der Persönlichkeit entsteht durch den Wein. Wein wird zum Gegner im eigenen Leibe des Menschen. Die Enthaltung vom Weine ergibt sich als Konsequenz für denjenigen, der in die geistigen Welten eindringen will. Aber schwärmerischer Antialkoholismus und Vegetarismus gehören zu den partiellen Idealen. So ist es auch zum Beispiel mit dem Schwärmen für griechische Körperkultur, für olympische Spiele und so weiter. Auch die heutige Marotte der kalten Abwaschungen gehört dazu,

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alles Schwärmen für das physisch Greifbare und das physisch weniger Greffbare. Das steigert sich von der Träumerei trunkener Menschen bis hin zum wilden Hang zum Verbrechen, weil die Gegner der Archai in dieser Art in der sinnlichen Welt wirken.

Jeder Mensch muß seinen Platz in der Welt erfühien, muß etwas erleben von dem, was in der charakterisierten Weise in die Menschheit hereinstürmt. Haltlosigkeit, Unsicherheit, Verlieren des Gleichgewichts werden sonst allgemein werden. Menschen, die zwischen Schwärmerei und Materialismus schwanken, finden sich nirgends zu- recht. Da war zum Beispiel ein Wagner-Verehrer - man kann für Wagner schwärmen und nichts davon verstehen -, der barfuß nach Bayreuth ging, dann wurde er Asket> er schlief auf einem Holzbrett mit Kieselsteinen, zuletzt wurde er mit Nieksche zusammen ein Gegner Wagners. Haltlosigkeit der Seele drückt sich aus in Neurasthenie, dem gegenüber ist eine feste Stütze im Innern der Seele nötig.

Wir brauchen aber etwas anderes als die Menschen im Mittelalter, denen der Glaube genügte. Ein Kind von sieben Jahren braucht etwas anderes als ein Mensch von sieben mal sieben Jahren. Geisteswissenschaft kann uns herausreißen aus der uns passiv tragenden Schablone, ohne daß wir dadurch haltlos werden. Mit Sturmschritt wird der äußerliche Glanzbau unserer Zivilisation zerfallen. Künste, Wissenschaften, alles wird auseinanderfallen. Die Formen können nicht bleiben, sie zerstieben: die Zeit und der Geist sind stärker als der Mensch mit seinen Wünschen und Leidenschaften. Geisteswissenschaft ist eine Notwendigkeit, und der Geisteswissenschafter sollte in sich gewahr werden, daß sie eine Notwendigkeit ist.

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DIE SIEBEN PRINZIPIEN DES MAKROKOSMOS UND IHR ZUSAMMENHANG MIT DEM MENSCHEN Notizen aus dem Vortrag, Stuttgart 28. November 1911

Der Makrokosmos, die große Welt, ist ebenso in Entwickelung begriffen wie der Mikrokosmos> der Mensch, die kleine Welt. Ebenso wie der Mensch muß er seine sieben Prinzipien entwickeln. Diese Prinzipien stellen die Gesamtheit der Hierarchien dar.

I. Seraphim, Cherubim, Throne.
II. Kyriotetes, Dynamis, Exusiai.
III. Archai, Archangeloi, Angeloi.
IV. Menschensohn.

Die Entwickelungslinie der makrokosmischen Prinzipien ist die folgende:

Erstes makrokosmisches Entwickelungsprinzip = Throne
Zweites makrokosmisches Entwickelungsprinzip = Cherubim
Drittes makrokosmisches Entwickelungsprinzip = Seraphim
Viertes makrokosmisches Entwickelungsprinzip = Christus

oder graphisch:

#Bild SE331

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Bei der Erde sind unten mit 1, 2, 3 und so weiter die Wurzelrassen angezeigt. Also schematisch:

1. Polarische Wurzelrasse - Wiederholung des Saturnprinzips: Throne
2. Hyperboräische Wurzelrasse - Wiederholung des Sonnenprinzips: Cherubim
3. Lemurische Wurzelrasse - Wiederholung des Mondprinzips: Seraphim
4. Atlantische Wurzelrasse - Erdmitte: Christus
5. Unsere Wurzelrasse - Weiterentwickelung
6. Vorausahnung der Jupiter-Entwickelung
7. Vorausahnung der Venus-Entwickelung

Das Christus-Prinzip entwickelt sich also weiter durch die Jupiter zeit hindurch und ist voll entwickelt erst um die Mitte der sechsten, der Venus-Epoche.

Von der Mitte der atlantischen Zeit an kann das Christus-Prinzip erst in den ersten Keimanfängen wirken. Beim Menschen geschieht das durch die Anlage des ersten Ich-Keims. Die erste direkte, wirkliche Einwirkung geschah in unserer Zeit in der Offenbarung auf dem Sinai, wo der Christus sich unter dem Jahve- oder Jehova-Namen dem Moses offenbarte. Dann geschah die direkte Verbindung des Christus mit der Erde durch die Jordantaufe und die drei Jahre in den Leibern des Jesus von Nazareth. Der Christus-Impuls ist also zugleich mit dem Ich-Impuls in die Menschheit eingeflossen. Christus bedeutet daher das makrokosmische Ich.

Die Weiterentwickelung des fünften, sechsten und siebenten Prinzips auf der Erde kann also nur wie eine Art Vorahnung innerlich möglich sein. Es kann dem Menschen kein höherer Leib als der mit dem vierten makrokosmischen Prinzip aufgebaute physische Leib gegeben werden. Erst auf dem Jupiter erhalten wir den fünften und auf der Venus den sechsten Leib und so weiter. Es besteht daher gegenüber der griechisch-lateinischen Zeit im Menschen jetzt etwas wie ein innerer Widerspruch zwischen Geist, Seele und Leib, der immer mehr

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fühibar werden wird, je weiter die Entwickelung fortschreitet. Diesen Widerspruch können namentlich sensitive Menschen heute schon spüren.

Betrachten wir nun einmal von diesem Schema aus die Gegenwirkung der luziferischen Geister. Die Iuzfferischen Geister entstammen ja einer höheren Hierarchie als der Mensch: der Hierarchie der Angeloi oder Engel, die aber mit ihrer Gesamtentwickelung auf dem Monde, wo sie ihre Menschheitsstufe durchmachten, nicht fertig geworden sind. Daher bleiben sie unfähig, nun in ihrer Weiterentwickelung den Anschiuß an das vierte makrokosmische Prinzip zu finden. Dafür haben die luziferischen Geister aber auf dem Mond ihr viertes und fünftes Prinzip und so weiter schon sozusagen vorausahnend entwickelt, aber noch ohhe das makrokosmische vierte Prinzip, ohne den Christus-Impuls, der ja noch nicht da war.

Nehmen wir nun einmal die Entwickelung solcher luziferischer Geister, die es bis zum fünften Prinzip auf dem Monde gebracht haben. Diese wissen ja nichts über das vierte makrokosmische Prinzip hinaus, wissen also nichts vom Christus. Es ist das schwer in unserer Sprache auszudrücken. Man könnte etwa so sagen: Sie wenden sich wie höhnisch gegen die oberen Götter, die sich um die Entwickelung des Christus-Prinzips bemühen in der Menschheit, und rufen ihnen zu: Ihr könnt dem Menschen nur das vierte Prinzip geben; wir aber können ihm das fünfte Prinzip geben. - Das ist ja tatsächlich etwas Höheres, das sie, ebenso wie wir es jetzt in der fünften Wurzelrasse tun, wie vorausahsiend mitgebracht haben. Es fehlt dem aber das makrokosmische vierte Prinzip, der Christus, von dem sie gar nichts wissen. Sie sind also schon in gewisser Weise wie frühreif, nehmen etwas voraus, aber nicht in Harmonie mit dem Kosmos. Die normale Entwickelung stellt daher den luziferischen Geistern gegenüber etwas «Einfacheres» vor, über das sie sich erhaben dünken. Und es werden Zeiten kommen, wo durch die Macht der höheren Prinzipien, des fünften oder gar sechsten Prinzips, die luziferischen Geister großen Einfluß auf die ihnen verfallende Menschheit haben werden.

Können wir das nicht heute schon überall in seinen Anzeichen richtig empfinden? In Kunst und Wissenschaft und so weiter, Überall

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tritt uns entgegen eine gewisse frühreife Höherentwickelung, der aber der innere Wahrheitskern, die Harmonie mit dem Ewigen zu fehlen scheint.

Der Führer derjenigen Geister, die in dieser Weise sechs Prinzipien entwickelt haben, die also auf dem Monde bis dicht an die Vollendung herangekommen sind, ist der Antichrist, der dem Christus schon zum Verwechseln ähnlich sehen kann.

Heute ist bereits der größte Teil der Menschheit diesem Einfluß der luziferischen Geister verfallen. Daher die Notwendigkeit, jetzt das zu fördern, was der Mensch auf der Erde nur als Innerliches empfangen kann durch die Meditation. Daher die Notwendigkeit der Geisteswissenschaft.

Zu Anfang unserer fünften Periode, also am Ende der griechisch- lateinischen Zeit, im dreizehnten Jahrhundert, war eine kurze Zeit lang die Menschheit ganz abgeschnitten vom hellseherischen Vermögen. Deshalb wurde damals eine große Konferenz der weisesten Menschen abgehalten, in dem Kollegium der Zwölf. Hiervon waren die ersten Sieben die heiligen Rishis, von denen jeder je eine der sieben atlantischen Entwickelungsstufen in sich verkörpert hatte. Vier andere Weise hatten die ersten vier Unterrassen unserer Zeit: der achte die indische, der neunte die urpersische, der zehnte die ägyptisch-chaldäische und der elfte die griechisch-lateinische in sich verkörpert> der zwölfte alles Folgende. Dann war unter ihnen ein Knabe, ein Dreizehnter, den nahmen sie in ihre Mitte und alle Zwölf ließen in einer bestimmten Weise ihre Weisheit auf ihn einströmen. Der Körper des Knaben wurde dadurch ganz durchschimmernd. Er hatte schon längere Zeit gar keine Speise mehr zu sich genommen. Er lebte unter diesem mächtigen Einfluß nur kurze Zeit, konnte aber in dieser Zeit durch das, was er von allen gemeinsam aufgenommen hatte, der Lehrer dieser Zwölfe werden über die Dinge, die sie selber einzeln nicht uinfassen konnten. Namentlich konnte er ihnen durch eigene Anschauung das paulinische Ereignis in höherem Sinne erklären. Er starb dann und wurde wiedergeboren im vierzehnten Jahrhundert als Christian Rosenkreutz. Er lebte dann hundert Jahre und ist seitdem nicht nur der Lehrer der zwölf Weisen, sondern der ganzen Menschheit.

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Er hat die Aufgabe, die Menschheit zu schützen gegen den luziferischen Einfluß.

Diese luziferischen Einflüsse sind sehr groß und werden noch bedeutend wachsen. Aber man kann mit Recht von ihnen sagen: «Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte.» Der Iuziferische Einfluß wird aber schon deutlicher werden in der nächsten Zeit.

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DER GESTIRNTE HIMMEL ÜBER MIR - DAS MORALISCHE GESETZ IN MIR Notizen aus dem Vortrag, St. Gallen 19. Dezember 1912

Die Geisteswissenschaft lehrt uns, daß sich die Vorgänge zwischen Tod und neuer Geburt auf die Verhältnisse des Kosmos beziehen. Einem sehr wichtigen Gegensatz ist die Seele unterworfen: während des physischen Daseins können wir Veränderungen in uns vorgehen lassen, nicht aber zwischen Tod und neuer Geburt. Wir haben zum Beispiel zwischen Geburt und Tod eine gewisse Beziehung zu einem Menschen gehabt, wir erleben etwas gemeinsam mit einem Freunde; jetzt, nach seinem Tode, haben wir etwas von ihm erfahren, was wir hier auf Erden nicht mit ihm erlebt haben. Wie gestalten wir nun das Verhältnis nach dem Tode? Wie können wir unsere Gefühle zu ihm sympathisch oder antipathisch gestalten? Wenn wir selbst schon durch die Pforte des Todes hindurchgeschritten sind, und es folgt uns jemand nach, mit dem wir im physischen Leben ein gewisses Verhältnis gehabt haben, so muß dies` lange nach dem Tod unverändert so bleiben, denn nach dem Tode können wir dem alten bestehenden Verhältnis nichts Neues mehr hinzufügen. Wir sind dem eigenen Karma unterworfen, nachdem wir in die geistige Welt eingetreten sind. Der Augenblick der Umgestaltung dieses Karma tritt erst in einem neuen Leben ein; erst in einer neuen Inkarnation kann es ausgeglichen werden. Ein physisch Toter kann im geistigen Dasein auf die anderen physisch Toten nicht im Sinne einer Veränderung ihres Lebens wirken. Aber der Lebende hat die Möglichkeit, eine Wirkung auf den Dahin- gegangenen auszuüben.

Nehmen wir zum Beispiel den Fall: zwei Menschen, die sich lieben, haben ein verschieden geartetes Verhältnis zur Geisteswissenschaft, der eine liebt sie, der andere haßt sie. Es ist zwischen beiden Seelen Oppositionsgeist vorhanden. Wenn der Mensch von Freiheit seines Willens reden kann, so ist es, weil in der menschlichen Seele das Ich-Bewußtsein viel tiefere Wege geht als das astralische Bewußtsein, so daß man sich oft im Grunde der Seele sehnt nach dem, das man be

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wußt haßt. Wie kommen wir dem Toten helfend entgegen? Dazu müssen wir durch ein geistiges Band mit ihm verbunden sein. Man kann zum Beispiel ihm helfen durch stilles Vorlesen, man kann, sich herzlich mit ihm vereinend, Gedankenfolgen durchnehmen, Vorstellungen, Imaginationen in die höheren Welten zu ihm hinauf senden. Solche Freundesdienste haben immer eine gute Wirkung. Auch dann ist das Vorlesen gut, wenn der Mensch im irdischen Leben zu gleichgültig, zu bequem war. Wir können ihm die Qualen in der Tat erleichtern, auch wenn wir keinen Beweis haben, daß er sich im Leben darriach sehnte. Oft können wir erleben, daß viel Segen von dem physischen Plan aus in die geistigen Welten hinausgesandt wird, trotz der ungeheuren Kluft, die da besteht zwischen dem Leben zwischen Geburt und Tod und dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt.

Zahfreiche Lebende werden fühlen, daß sie mit den Toten in inniger Verbindung stehen, und zugleich das Bewußtsein in sich tragen> daß auch sie auf die Toten helfend wirken. Die ersten Seelen, mit denen wir nach dem Tode in Beziehungen kommen, sind diej`öenigen, mit denen wir schon auf der Erde nahe Beziehungen an- geknüpft hatten, nicht solche können es sein, die wir hier nicht gekannt haben. Es findet das irdische Leben eine unmittelbare Fortsetzung nach dem Tode. Die Seele ist in den Gegenständen, die sie wahrnimmt, darinnen, füllt sie aus.

In der Kamaloka-Zeit vergrößert sich die Ätherform des Menschen immer mehr und mehr, so daß ihre äußerste Grenze von der Bahn des Mondes umkreist wird. Alle Menschen füllen denselben Raum aus, der von der Mondbahn umschlossen ist; sie sind sich nicht im Wege während der Kamaloka-Zeit. Nach dieser Zeit werden wir Merkurhewohner, wie wir vorher Mondhewohner waren, dann Venus-, dann Sorinenbewohner. Da hat man es mit einer erhöhten Geistigkeit zu t1in, das Astralische der Mondensphäre ist überwunden. Es hängt das Lehen auf jedem Planeten von der Seelenverfassung ab> die man sich während der Mondenzeit angeeignet hat. Diejenigen, die von sittllchem Mitfühlen ergriffen sind, leben anders als die Egoisten und öf&ien sich der Menschheit. Insbesondere werden wir mit jenen ein Verhältnis anknüpfen können, mit denen wir im irdischen Leben

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schon zusammen waren. Die Art dieser Beziehungen wird davon ab- hängen, welche Tröstungen und welche Qualen wir uns gegenseitig bereitet haben. Ein nur wenig moralischer Mensch wird geistiger Einsiedler, ein moralischer dagegen geselliger Merkurbewohner während der Merkurzeit werden.

In der nächsten Zeit, während des Venuszustandes, dehnen wir uns so weit aus, daß wir den Raum bis zur äußersten Grenze der Venussphäre ausfüllen. Wer nicht religiös war, wer nicht Ewiges, Göttliches in sich aufgenornrnen hat, wer nicht in der Merkurzeit zu andern Menschenseelen geistig-seelische Beziehungen haben konnte, der wird auch in der Venuszeit ein Einsiedler werden, während wir auch dort geseffige Wesen sind, wenn wir in der Merkurzeit mit gIeichgesinnten Wesen zusarrtrnen waren, religiöse Wärme entfaltet haben untereinander. Atheisten werden Einsiedler in der Venuszeit, Monisten werden im Gefängnis der eigenen Seele leben müssen, so daß der eine nicht an den andern heran kann. Einsiedler sein, heißt ein dumpfes Bewußtsein haben, das den andern nicht umschließt, ein geselliges Wesen sein, heißt ein helles Bewußtsein haben, das in das andere eindringt. Freilich steigt der Mensch immer in die Sternenwelten hinauf, aber je dämmerhafter er eine Region durchlebt, desto schrieller rast er durch die Zeiten hindurch und kommt dadurch schneller zur Reinkarnation, zum Beispiel solche, die im vorigen Dasein als Verbrecher oder Idioten gelebt haben. Je heller hingegen das Bewußtsein in der Sternenwelt war, desto Iangsamer kommt die Seele zurück zur Inkarnation. Man muß draußen im Kosmos schon ganz bewußt geworden sein, um sein späteres physisches Gehirn ausbilden zu können. Der nächste Zustand ist der des Sonnenbewohners. Er findet statt etwa ein Jahrhundert nach dem Tode des Menschen. In der Sonnen- zeit kann man die Möglichkeit haben» ein gewisses Verhältnis zu allen Menschen zu gewinnen. Wenn sich ein Mensch dem Christus-Impuls erschlossen hat, so ist seine Seele für alle offen. Seitdem sich das Mysterium von Golgatha vollzogen hat, können wir uns mit dem Christus-ImpuIs verbinden, der größten geistigen Kraft. Derjenige aber, der den Christus-ImpuIs nicht aufgenommen hat, bIeibt auch in der Sonnenzeit ein Einsiedler.

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Wir müssen noch auf etwas anderes aufmerksam werden. Wenn ein Mensch mit seiner Aura in der Mondenzeit dem Hellseher erscheint, so sieht dieser, daß in dem gewaltigen Ätherleibe sich darstellt ein Kern, der in einer wolkenartigen Aura erscheint. Diese ist nach allen Seiten hin gleich dunkel und bleibt auch noch während der Merkur- zeit so. In der Venuszeit tritt an der einen Seite der Wolke eine Beleuchtung auf, und wenn wir dann als Hellseher den Menschen betrachten, so finden wir, daß er von da ab, wenn er ein moralischer, religiöser Mensch war, Beziehungen zu Wesenheiten der höheren Hierarchien erreichen konnte. Wenn der Mensch ein guter Mensch war, lebt er in der Venus zeit mit höheren Wesenheiten in geistiger Berührung, war er nicht gut, so kann er diese nicht erkennen> und er verurteilt sich dadurch zu der Qual, dem Schmerz des Einsiedlertums.

Vor dem Mysterium von Golgatha, in der ersten Kulturepoche der nachatlantischen Zeit, war die Sonne so, daß auf dem Sonnenkörper gleichsam zu erblicken war der Thron des Christus. Diejenigen, die gut waren im Leben, trafen auf dem Sonnenplan die Wesenheit des Christus an. Während der Zarathustra-Zeit war der Christus schon auf dem Wege zur Erde, und der Mensch konnte ihn auf der Sonne nicht finden. Seit dem Mysterium von Golgatha ist der Christus mit der Erde vereinigt. Wenn die Menschen auf der Erde sich nicht den Christus-Impuls angeeignet haben, können sie zwischen dem Tode und einer neuen Geburt den Christus nicht finden. Wenn man dann Sonnenbewohner geworden ist und sich den Christus-Impuls einverwoben hat, so steht man vor einer Menge von Tatsachen, die wir als die Akasha-Chronik der Sonne bezeichnen. Hat man auf der Erde den Christus nicht gefunden, so kann man auch auf der Sonne die Akasha-Chronik nicht lesen. Wir können diese Schrift lesen lernen, wenn wir auf der Erde mit warmem Herzen das Mysterium von Golgatha aufgenommen haben, dann lernen wir auf der Sonne lesen, was der Christus seit Millionen von Jahren auf der Sonne getan hat. Unseren heutigen Verhältnissen nach sind wir stark genug, um Sonnenbewohner werden zu können. Später gelangen wir zum Mars, dann zum Jupiter und Saturn, dann in die Fixsternwelt. Bei der Rück

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kehr hierher wird unser Ätherleib kleiner und kleiner, bis wir so klein geworden sind, daß wir uns wieder in einem neuen Menschenkeim verkörpern können.

Bis zur Sonnenzeit stehen wir unter der Führerschaft des Christus. Von da ab brauchen wir einen Führer, der uns von der Sonne weiter hinaus in den Kosmos zu führen hat. Es tritt uns nun Luzifer zur Seite. Wenn wir ihm auf dem physischen Plan verfallen, so ist das schlimm, aber wenn wir auf der Erde das richtige Verständnis für den Christus-Impuls gehabt haben, so sind wir auf der Sonne stark genug, auch Luzifer ohhe Gefahr zu folgen. Er sorgt von da an für das innere Weiterkommen der Seele, so wie der Christus auf dieser Seite der Sonne für unsern Aufstieg bis dahin gesorgt hat. Haben wir uns den Christus-Impuls auf der Erde angeeignet, so ist auf dem Wege zur Sonne Christus der Konservator der Seele. Außerhalb des Sonnenkreises ist Luzifer der Führer im kosmischen Weltenall; innerhalb desselben ist er der Versucher.

Sind wir zur Sonnenzeit ausgerüstet mit dem Christus-Impuls, so leiten uns Christus und Luzifer als Brüder. Wie verschieden sind doch die gleichen Worte Christi und Luzffers aufzufassen! Als ein wunderbarer Geleitspruch das Wort Christi: «In euch lebt der göttliche Funke, ihr seid Götter». Und Luzifers große Versuchung: « Ihr werdet sein wie Gott». Das sind zwei gleiche Aussprüche, aber die furchtbarsten Gegensätze! Alles hängt davon ab, wo der Mensch hier steht: an der Seite Christi oder an der Seite Luzffers.

Geisteswissenschaft gibt uns ein bedeutendes Verständnis für die Welt. Es muß im physischen Körper etwas wie Erkenntnis an uns herantreten. Wir müssen uns durch Geisteswissenschaft auf der Erde ein Verständnis für Christus und Luzifer aneignen, sonst kommen wir nicht bewußt in den Weltenraum hinaus.

Jetzt beginnt auf der Erde die Zeit, wo die Menschen sich bewußt darüber werden müssen, ob es Christus oder Luzifer ist, die uns nach dem Tode ihre Worte in die Seele raunen. Wir müssen in dem Leben zwischen Geburt und Tod Christus in der rechten Weise verstehen lernen, damit wir nicht im schlafenden Zustand von der Sonnenzeit an durch die Weltenräume wandern müssen.

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Auch in bezug auf die Kleinigkeiten des Lebens muß uns Geistes- wissenschaft etwas werden. Immer mehr und mehr wird sich zeigen, was zwischen Tod und neuer Geburt erworben werden kann an Lebenskräften. Menschen werden geboren werden mit verdorrten Körpern, weil sie sich durch ihre Ablehnung gegen Geisteswissenschaft nicht vorbereitet haben, aus dem Kosmos Kräfte zu holen. Die Menschen müssen schon um der Erdenentwickelung willen Verständnis für Geisteswissenschaft gewinnen! Zu wissen: vor diesem Leben warst du in einer geistigen Welt - das wird die Menschen, wenn sie sich der Geisteswissenschaft erschlossen haben, glücklich machen. «Der gestirnte Himmel über mir, das moralische Gesetz in mir», das macht die Welt erst groß. Es sagt sich der Mensch: Das, was mein Innenleben ist> habe ich aufgenommen in der Sternenwelt; das, was ich im Weltenraum erlebte, leuchtet jetzt in meiner Seele auf. Du hast schlechte Triebe in deiner Seele, weil du während des Sternenlebens nicht versucht hast, deren Kräfte und die Geistkräfte des Christus aufzunehmen. - Wir müssen lernen verwandt zu werden mit dem Makrokosmos. Heute kann der Mensch nur ahnen und fühlen, was zwischen dem Tod und einer neuen Geburt vor sich geht.

Er fühlt: Im Erdendasein lebst du in deiner Seele und birgst in deinem Geiste des Sternenhimmels Kräfte. - Wenn der Mensch in der richtigen Weise meditativ diesen Satz als Vorstellung erlebt, wird er ihm eine Kraft werden, die von ungeheurer Bedeutung ist.

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HINWEISE

Die Themen der in diesem Band gesammelten Vorträge sind im Grunde genommen weitere Ausführungen der Darstellungen der kleinen Schrift (Bibl.-Nr. 15). welche im August 1911 erschien, also kurz vor dem ersten Vortrag dieses Bandes. Auf diesen Zusammenhang sei vor allem zum besseren Verständnis der spärlichen Notizen des Kölner Vortrages vom 29. Januar 1911 hingewiesen. Hingegen wäre für die Notizen des St. GaIlener Vortrages vom 19. Dezember 1912 der Band .Okkulte Untersuchungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt> (1912-13, Bibl.-Nr. 140) heranzuziehen und zu den Ausführungen Kassel 29. Januar, Wien 8., 9. Februar 1912 (5 Vorträge, Berlin 23., 30. Januar, Stuttgart, 20., 21. Februar, Berlin 5. März 1912; Bibl.-Nr. 135).

Textunterlagen: Die Mitschriften stammen von verschiedenen Zuhörern. Einige können als gute, nahezu wörtliche Wiedergaben des gesprochenen Wortes betrachtet werden, bei anderen sind Lücken deutlich fühlbar. Andere sind gekürzte Wiedergaben oder nur spärliche, bruchstückhafte Notizen. Ganz besonders gilt dies für die Vorträge von Köln, 29. Januar 1911, Stuttgart, 28. November 1911, und St. Gallen, 19. Dezember 1912. Der bedeutsamen Hinweise wegen. die sie enthalten, sind sie dem Band als Anhang doch beigegeben.

Die Worte «Theosophie» und «theosophisch» wurden einer späteren Angabe Rudolf Steiners gemäß im allgemeinen durch «Geisteswissenschaft» oder «Anthroposophie», «geisteswissenschaftlich» oder «anthroposophisch» ersetzt.

Die Vorträge waren von Rudolf Steiner nicht zum Druck bestimmt, und er hat sie selbst nicht durchgesehen. Deshalb starnmen auch der Titel des Bandes sowie die Titel der Voiiräge nicht von ihm. Soweit die Vortriige schon veröffentlicht waren, gehen die Titel auf die Herausgaben durch Marie Steiner zurück (siehe unten). Die der dritten Auflage beigegebenen ausführlichen lnhaltsangaben wurden von Paul Frey erstellt.

Als Einzelausgaben sind früher erschienen:

Lugano 17. September. Locarno 19. September 1911 Mailand 21. September 1911 , Dorn- ach 1944

Neuchatel 27./28. September 1911 , Dornach 1947; erweitert um Neuchatel 18. Dezember 1912, Stuttgart 1950

Basel 1. Oktober 1911 , Dornach 1933, Dornach 1947 (mit Fragenbeantwor. tung), Stuttgart 1949, Domach 1962, 1969, 1980

Leipzig 4.l5. November 1911 , Dornach 1934

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Nürnberg 2.13. Dezember 1911 , Dornach 1963, Dornach 1977

München 9. Januar 1912 , Dornach 1937

München 18./20. (18. teilweise zusammen mit 20.) November 1911, Kassel 27./29. Januar, Wien 8./9. Februar, Neuchatel 18. Dezember, St. Gallen 19. Dezember 1912 , Dornach 1947

Düsseldorf 5. Mai 1912 , Dornach 1936

München 18. November 1911 erschienen im Nachrichtenblatt , 1944, Nr. 50-52

Werke Rudolf Steiners innerhalb der Gesamtausgabe (GA) werden in den Hinweisen mit der Bibliographie-Nummer angegeben. Siehe auch die Übersicht am Schluß des Bandes.

zu Seite:

9 Vorwort von Marie Steiner: Das Vorwort schrieb Marie Steiner ffir die Einzelausgabe der Vortriige Lugano und Locarno, 16. und 19. September 1911 , Dornach 1947. Die letzten drei Abschnitte sind Hinzufügungen aus dem Vorwort zu , Dornach 1947.

Die von H P Biavaitsky begründete Iheosophische Gesellschaft: Helena Petrovna BIavatsky, geb. von Hahn (Jekaterinoslav, Südrußland 1831-1891 London), gründete 1875 mit Col. H.S. Olcott in New York die Theosophical Society, die ihr Zentrum bald darauf nach Indien (Adyar bei Madras) verlegte.

«Ihe Seeret Doctrine. The s`rnthesis of science, religion, and philosophy>. Volume I Cosmogenesis. Volume 11 Anthropogenesis, London 1888. Ein 3. Band nach Manuslcripten herausgegeben von Annie Besant, London 1897. Aus dem Englischen der 3. Auflage übersetzt von Robert Froebe , Leipzig o. J. (1899-1906), Verlag J.J. Couvreur, Den Haag 1975.

Max Müller; 1823-1900, einer der bedeutendsten Orientalisten des 19. Jahrhunderts.

Paul Deußen, 1845-1919, Philosoph und Indologe.

10 Rudolf Steiner. Seine Jugend verlebte er: Siehe Rudolf Steiner , GA Bibl.-Nr. 28.

11 in Genua anberaumter Kongreß: Siehe Rudolf Steiner . Acht Vortriige in Dornach Juni 1923, GA Bibl.-Nr. 258.

12 Ziel der 1911 und 1912 gehaltenen Vortvage: die Bedeutung des Karma: Siehe hierzu die Berliner und Stuttgarter Vortriige , GA Bibl.-Nr. 135.

345

23 Jeshu ben Pandira, den u.a. Haeckel verschimpft hat: Ernst Haeckel (1834-1919) deutscher Naturforscher. Seine Auslassung über Jeshu ben Pandira findet sich in seinem Werk von Jethu ben Pandira rührt... das Matthdus-Evangelium her: Matthai war ein Schüler des Jeshu ben Pandira. Siehe Rudolf Steiner , 12 Vorträge, Bem September 1910. GA Bibl.-Nr. 123.

26 die neuzeitliche theosophische Bewegung: Vergleiche Marie Steiner im Vorwort, S. 9.

30 daß die Natur keine Sprünge niache: Siehe Karl von Linne` (1707-1778) in ein Jahr das große Bedeutung hat: das Jahr 1899: Mit dem Jahr 1899 schließt ein von 3101 v.Chr. bis 1899 n.Chr. berechneter Zeitraum, der im lndischen 33 Wkadimir Sologeff 1853-1900, russischer Philosoph. Die von Rudolf Steiner angeführten drei Erlebnisse schildert Solovjeff in Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, 1775 - 1854.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, 1770-1831.

Ernst Haeckel 1834-1919. Siehe Rudolf Steiner 34 wie ich in Basel angedeutet habe: Rudolf Steiner Nirmanakaya: In der östlichen Wissenschaft die Bezeichnung für den Leib eines Buddha-Wesens, nachdem es durch die Vollendung durchgegangen ist.

35 Gottfried Wilhelm Leibm^ 1646—1716. Siehe Rudolf Steiner «Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt» (1914), GA 18.

Johann von Damaskus ... ein Buch in Romanform: «Die Legende von Barlaam und Josaphat.» Erste deutsche Übersetzung des griechischen Textes von Felix Liebrecht, Münster 1847. Neue Übersetzung von Ludwig Burchard, München o. J. (Theatiner Verlag).

37 «Die Prüfung der Seele», die ich in München aufführen lassen durfte: Das zweite von Rudolf Steiners vier modernen Mysteriendramen, Uraufführung München Sommer 1911. Siehe «Vier Mysteriendramen» (1910-1913), GA 14.

38 Traum des Sokratet: Vergleiche Hinweis zu Seite 96.

39 Celtus, Römischer Philosoph. Schrieb Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. das 45 Urim... Tummim: Hebräisch: Glanz und Weisheit. Siehe 2.Mos. 28,9ff.

346

48 Josaphat... derselbe Name für Bodhisattva: Vergleiche Hinweis zu S. 35, ferner Ernst Kuhn, , München 1894, Abhandlungen der philosophisch-philologischen Klasse der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

50 E,: deo nascimur: Ex deo nascimur = Aus Gott sind wir geboren; In christo morimur = In Christus sterben wir; Per spiritum sanctum reviviscimus = Durch den Heiligen Geist werden wir wiedergeboren. Zu diesem Zielsatz des wahren Rosenkreuzertums vgl. zum Beispiel Rudolf Steiner , GA Bibl.Nr. 284/285.

55 5abhatai Zewi, 1626-1676. Trat 1666 als Messias auf, ging aber dann zum Islam über. Siehe J. Kastein, Sabbatai Zewi, der Messias von Ismir, 1930.

57ff. Zum Vortrag Neuchdtel 27. September 1911: Gegenüber der gedruckten weist eine andere vorliegende Mitschrift Textvarianten auf. Siehe nach den Hinweisen.

Cbristtaön Rotenkreutz: Eine von der äußeren Geschichte nicht als historisch angesehene Persönlichkeit des 14. Jahrhunderts, legendär bekannt aus zwei anonymen Rosenlllreuzerschriften .Fama Fraternitatis oder Entdeckung der Brüderschaft des Hochlöblichen Ordens des R. C.>, Kassel 1614 und >Confessio Fraternitatis oder Bekandtnus der löblichen Bruderschaft des hochgeehrten Rosen Creutzes>, Kassel 1615. und nach diesen ein Deutscher adeliger Abkunft, der von 1378 bis 1484 lebte. Der Name tritt zuerst auf in der 1604 verfaßten und handschriftlich verbreiteten, 1616 in Straßburg anonym erschienenen Schrift >Chymische Hochzeit: Christiani Rosencreutz. Anno 1459>, deren Verfasser Johann Valentin Andreae als Inspirationsträger des Christian Rosenlcreutz war. Siehe Rudolf Steiner , Aufsatz für die Zeitschrift , München 1917/18. Innerhalb der Gesamtausgabe in . Gesammelte Aufsätze 1904-1918, GA Bibl.-Nr. 35. Ferner in Johann Valentin Andreae , übertragen von Walter Weber, Stuttgart 1957, Basel 1978.

58 In seinen letzten e,:otertschen Ausführungen hat Christian Rosenkreutz dieses selbst so angedeutet: Rudolf Steiner bezieht sich hier, ebenso wie schon in einem früheren Vortrag (Berlin 16. Dezember 1904, in GA Bibl.-Nr. 93), offensichtlich auf einen in der Literatur überlieferten Ausspruch des Grafen Saint-Gerniain (siehe den Hinweis zu Seite 67), wonach er in Wien im Jahre 1790 geäußert habe: (Zitiert nach Isabella Cooper-Oakley in der Zeitschrift >Gnosis> I. Jg. Nr. 20 vom 15. 12. 1903.) Im Jahre 1875, also genau 85 Jahre nach diesem Ausspruch, wurde die Theosophical Society begründet.

Die geheimen Figuren der Rotenkreuzer: Geheime Figuren der Rosenkreuzer aus dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, 3 Hefte, Altona 1785-88 (anonym). Heft l enthält eine Abhandlung von Hinricus Madathanus Theosophus: , die schon 1621 erschienen war.

58f. Hinricus Madathanus Iheosophus:Anagrammatisches Pseudonym des Paracelsisten Hadrianus a Munsicht (Adrian von Mynsicht. Mynsicht ist wiederum ein Anagramm des eigentlichen Farniliennamens Symnicht, ursprünglich Seumenicht, eines

347

Alchimisten), der das Verdienst hat, zuerst den Brechweinstein (Antimono;rydkali) dargestellt zu haben. Er war als Sohn eines Pastors im Braunschweigischen geboren und lebte von ca. 1590-1638. Siehe C.S. Picht, Hinricus Madathanus, in . Stuttgart 1927. VII. Jg. Heft 4.

58 H F Bk;vattky «Die entschieierte Isit»: , 2 Bände, New York 1877, deutsch , 2 Bände, Leipzig o.j. (1909), Verlag j.J. Couvreur, Den Haag 1976.

60 An einem örtein Europa, von dem hier noch nicht gesprochen werden daif- aber es wird in nicht fer,er Zeit auch dies getchehen können: Dieser Ort wurde auch später nicht genannt

61 G`ethet Gedicht , Köln, 25. Dezember 1907 in , GA Bibl.-Nr. 98.

66 «Die geheimen Figuren der Rosenkreuzer»: Siehe Hinweis zu Seite 58.

67 Der Graf von Saint-Ger`main ist im 1& Jahrhundert die exoterische Wiederverkörperung von Christian Rotenkreutz geweten: Dieser Zusammenhang der beiden Gestalten ist von Rudolf Steiner auch schon im Vortrag vom 4. November 1904 in GA Bibl.-Nr. 93 erwähnt worden.

Go#hoLd Ephraim Lessing, 1729-1781. In seiner Schrift setzt sich Lessing mit der Idee der Wiederverkörperung auseinander.

Wiaenmann... Droßbach: Maximilian Droßbach (1810-1884) schrieb 1849 die Schrift . Ohne Nennung seines Namens lieb er für die beste Durchführung der in dieser Schrift niedergelegten Gedanken einen Preis von 40 Dukaten in Gold ausschreiben. Dadurch wurde die Abfassung der Schrift von Gurtav Widenmann (1812-1876) , Wien 1851, veranlaßt, welcher der Preis zufiel. Die kleine Schrift erschien neu zusarnmen mit einem Aufsatz von C.S. Picht im Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1961.

75 Heinrich Khunrath, 1560-1605, praktischer Arzt und Verfasser zahlreicher alchimistischer Schriften. Das in einer Vortragsnachschrift vorkommende dürfte mit auf Khunrath deuten.

96 Sokrates... daß die Tugend iehrbar sei: In den platonischen Dialogen und .

97 Schopenhauer-Zitat: Wörtlich: In , Frankfurt 1836. Siehe Sämtliche Werke in 12 Bänden mit Einleitung von Rudolf Steiner, j. G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin o.j. (1894), 6. Band.

348

97 das Christus- Wort: Der Geist ist willig, das Fleisch aber ist schwach: Matth. 26, 41 und Markus 14.38.

gegenüber den Guten ein Heer des Bösen: In der ersten Auflage hieß es gemäß der Nachschrift , was auch als gelesen werden könnte. Wahrscheinlicher ist, daß hier ein Höriehler oder Schreibfehler vorlag, weil diese Stelle im ganzen nur lückenhaft festgehalten worden zu sein scheint.

101 das Phänomen, von dem Paulus spricht: 1. Korinther 14, 1-6.

Goethe... hat eine sehr schöne Abhandlung über dieses Phänomen geschrieben: Siehe in , Lindau 1773.

115 T1xLles, 640 bis um 543 v.Chr., erster griechischer Philosoph.

142 Max Planck, 1858-1947. Begründer der Quantentheorie. , Vortrag, gehalten am 23. 9. 1910 auf der 82. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Königsberg; Leipzig 1910.

143 Sigmund FreuI 1856-1939, Begründer der Psychoanalyse.

Joseph Breuc,; Wiener Internist. Siehe Rudolf Steiner , Bibl.Nr. 28, ferner Vortrag vom 10. November 1917 über die Psychoanalyse, in , GA Bibl.-Nr. 178.

144 Gotthilf Heinrich von Schubert 1780-1860, Naturphilosoph: , Stuttgart 1839.

Johann Volkdt, 1848-1930: , Stuttgart 1875. Siehe auch Rudolf Steiner , GA Bibl.-Nr. 18.

152 Eitaerlehre: Essäer, jüdischer Geheimorden, etwa 150 v.Chr. bis 70 n.Chr. Siehe auch Rudolf Steiner , GA Bibl.-Nr. 148.

i54 Gestern haben wir gehört: Im öffentlichen Vortrag, München 19. November 1911 . Von dem Vortrag ist keine Nachschrift erhalten. Vgl. den entsprechenden Vortrag Berlin 16. November 1911, in 158 was Hieronymus, der große Kirchenvate<, selbst darüber erzöhlt hat: er habe das Matthöus-Evangelium aus einer christlichen Sekte erhalten: Möglicherweise sind die Ausführungen Rudolf Steiners in diesem Teil der Vortragsnachschrift nicht lückenlos festgehalten, so daß durch etwaige Textzusammenziehungen die Unklarheit entstehen konnte, als ob es sich um den griechischen Text des kanonischen MatthäusEvangeliums handle, der zur Zeit des Hieronymus (340-420) schon längst in der Christenheit allgemein bekannt war. Auf ihn konnte Hieronymus keinen Einfluß mehr nehmen. Wohl aber bestand eine solche Möglichkeit in bezug auf die Gestalt, die er durch seine Übersetzung ins Griechische einem Texte gab, den er in Caesarea kennengelernt hatte und in dem er die vorkanonische hebräische Urschrift des Matthäus vor sich zu haben glaubte. ( lII). Diese Übersetzung ist bis auf wenige Zitate nicht erhalten. Daß Rudolf Steiner eine solche Vorgestalt

349

des Matthäus-Evangeliums im Auge hatte, geht vor allem aus seinem ein Jahr vorher gehaltenen Vortragszyklus über (4. Vortrag) her- vor, in dem er sich offensichtlich auf die in seiner Bibliothek vorhandene Schrift von Daniel Chwolson , Leipzig 1910, stützte, in der nachgewiesen wird, sondern den damaligen Christen auch gut bekannt war> -. Auch im Vortrag Karlsruhe, 8. Oktober 1911 in GA Bibl.-Nr. 131 wird von Rudolf Steiner auf diese Urschrift des Matthäus-Evangeliums hingewiesen.

I6I «Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft»: Einzelausgabe, innerhalb der Gesamtausgabe in GA Bibl.-Nr. 34 .

162 im öffentlichen Vortrag: Nürnberg, 1. Dezember 1911 .

163 den geistigen Adam: Paulus, 1.Korinther 15,45 und 47 in der Übersetzung von D. Leander van Ess> die von Rudolf Steiner benutzt wurde.

169 Tbeosophie... eine Lehre sein muß ohne Unterschied von Rasse, Nation und Geschlecht: Vgl. den Hinweis zu S. 308.

170 der buddhistitche Katechismus von Olcott: Henry Steel Olcott, 1832-1907, GründerPriisident der Theosophical Society von 1875 bis 1907. Sein Büchlein 178 ErklärungderEvangelien:Siehe die im Hinweis zus. 323 angeführten Vortragszyklen.

183 einem neueren Bearbeiter der Traumwissenschaft: Konnte nicht festgestellt werden. in der Fragenbeantwortung: Siehe Hinweis zu Seite 162.

191 «Die Prüfung der Seele»: ln , GA Bibl.-Nr. 14.

193 Zyklus über die Apokalypse: Rudolf Steiner , 13 Vor

triige> Nürnberg Juni 1908, GA Bibl.-Nr. 104.

194 VortvaWe sowohl in München wie in Stuttgart: Gemeint sind die Vortriige München 18., 20. November und Stuttgart 28. November 1911; alle in diesem Bande enthalten.

195 Richard Wagne`; 1813-1883. Hervorragendster dramatlscher Komponist des 19. Jahrhunderts.

196 Goethe-Zitat: , 6. Abteilung. Enthalten in Band V> S. 460 von , von Rudolf Steiner mit Einleitungen und Kommentaren henausgegeben in Kürschners 1884-1897. Nachdruck Dornach 1975 in 5 Bänden, GA Bibl.-Nr. ia-e.

202 daß gegenwa~rtig so viel über dieses 1bema gesprochen wird: Vergleiche das Vorwort von Marie Steiner, S. 9f.

212 Edouard Schur6: Siehe Rudolf Steiner / Edouard Schure` >Lucifer - Die Kinder des Lucifer>, Schauspiel von Edouard Schure`, übersetzt von Marie Steiner-von Sivers, in freie Rhythmen gebrscht durch Rudolf Steiner, Dornach 1955.

«Natur ist Sünde, Geist ist Teufel...»: Goethe , 11. Teil, Saal des Thrones.

219 ein nordischer Gelehrter: Konnte bisher nicht festgestellt werden.

350

221 Ignaz Paul Vital Troxler, 1780-1866. Arzt und praktischer Pädagoge in Basel und Bern. , Bern 1835, und , 1811.

in Prag bei meinem Zyklus: Rudolf Steiner , 8 Vorträge Prag März 1911, GA Bibl.-Nr. 128.

228 Lessing... Reinkarnationsidee: Siehe Hinweis zu Seite 67.

230 Goethe «Die Geheimnisse»: Siehe Hinweis zu Seite 61.

232 Christian Rotenkreutz: Siehe Hinweis zu Seite 57.

Wile,nmann: Siehe Hinweis zu Seite 67.

233 HP. Blavatrky: Siehe Hinweis zu Seite 9.

Arthur Schopenhauer, 1788-1860. Siehe in den zum zweiten Buch, Kapitel 38 .

238 Hebhel... Tagebuch: Hebbels Tagebücher Nr. 1335.

239 Bismarck: . 1898, 2 Bände.

244 öffentliche Vorträge: Wien, 6. und 7. Februar 1912: und . Die Vorträge sind nicht gedruckt. Vgl. die entsprechenden Vorträge Berlin, 26. Oktober 1911 und 21. März

1912, in , GA Bibl.-Nr. 61.

250 «So taum`l ich von Begierde zu Genuß...»: Goethe , 1. Teil, Wald und Höhle.

251 in der Bibel gesagt ist: 1.Mose, 1,31.

258 «In deinem Denken leben Weltgedanken»: Worte des Benediktus in Rudolf Steiners zweitem Mysteriendrama , i. Bild.

267 alle Religionen und alle Philosophien... auf zwölf Grundtypen zurückführen kann: Siehe Rudolf Steiner , 4 Vorträge, Berlin Januar 1914, GA Bibl.-Nr. 151.

268 Goethe «Die Geheimnisse»: Siehe Hinweis zu Seite 61.

269 weil ich über Nietztche obiektiv ein Buch geschrieben habe: (Weimar 1895). GA Bibl.-Nr. 5.

276 Gegenstand des öffentlichen Vortrages: Düsseldorf, 5. Mai 1912: Die geistige Führung des Menschen. Von dem Vortrag ist keine Nachschrift erhalten. Vergleiche jedoch die Schrift , GA Bibl.-Nr. 15.

281 mit ihm verbindet sich noch eine andere Wesenhaftigkeit: Hier ist eine Lücke in der Nachschrift.

282 Lieber ein Bettler auf der Oberwelt: Homer, Odyssee, Xl. Gesang.

283 undde,ienige, der nach dem Mysterium von G>lgatha am meisten tut zur Ausbreitung des Christentums...: Gemeint ist Paulus, dem Christus als Auferstandener vor Damaskus erschien.

351

284 Paulus sagt: 1.Kor. 15,45. Vgl. auch Rudolf Steiner , GA Bibl.-Nr. 131, 6. Vortrag.

288 Anastasius Grün (Anton Graf von Auersperg) 1806-1876. , ein episch-lyrischer Zyklus erschien 1836. Die Dichtung >Fünf Ostern> bildet dessen Schluß. Da die Dichtung kaum mehr bekannt ist, wurde sie gekürzt von Marie Steiner schon der ersten Ausgabe des Vortrages beigefügt.

308 drei Punkte der Iheosophischen Gesellschaft: 1. Den Kern eines allgemeinen Bruderbundes der Menschheit zu bilden, ohne Unterschied des Glaubens, der Nation, des Standes, des Geschlechtes. 2. Die Erkenntnis des Wahrheitskernes aller Religionen zu pflegen. 3. Die tieferen geistigen Kräfte zu erforschen, welche in der Menschen- natur und in der übrigen Welt schlummern.

309 in Kristiania ist auf die Miision des Buddha hingedeutet worden: , 10 Vorträge, Kristiania (Oslo) Juni 1912, GA Bibl.-Nr. 137, 9. Vortrag vom 11.Juni 1912. Siehe auch den Vortrag Neuchatel, 18. Dezember 1912 (im vorliegenden Band) und Berlin, 22. Dezember 1912, 5. Vortrag in , GA Bibl.-Nr. 141.

311 Den Teufel spürt dus Völkchen nie: Goethe, l. Teil, Auerbachs Keller.

314 Wir haben dazumal hervorgehohen: Siehe Seiten 57ff. dieses Bandes.

314 NikolausKopernikus, 1473-1543.

Giordano Bruno, 1548-1600.

Galileo Galilei, 1564-1642.

315 Claudius Ptolemäus, um 100 bis um 180 n.Chr., Astronom, Mathematiker und Geograph in Alexandria.

grundlegende Werke des Kopernikus: De Revolutionibus Orbium Coelestium Libri VI, Nürnberg 1543.

317 Franziskus von Assisi, 1181 oder 82-1226.

319 daß die Individualität des Kopernikus kurz vorher in Nikolaus Cusanus verkö,pert war: Der Zusammenhang dieser beiden lndividualitiiten wurde genauer dargestellt in den Vortragen vom Jahre 1909 Nikolaus Cusanus, 1401-1464. Schrieb 1440 .

323 seit der Bigründung der mitteleu>opa~ischen Sektion der Iheosophischen Gesellschaft: Siehe Rudolf Steiner , 8 Vortriige, Dorn- ach Juni 1923, GA Bibl.-Nr. 258.

in der Schweiz Vortragszyklen üher die vier Evangelien: , 8 Vortrage, Basel November 1907, in >Menschheitsentwickelung und Christus-Erkenntnis>, GA Bibl.-Nr. 100. , 10 Vorträge, Basel September 1909, GA Bibl.-Nr. 114. , 12 Vortriige, Bern September 1910, GA Bibl.-Nr. 123. , 10 Vorträge, Basel September 1912, GA Bibl.-Nr. 139.

352

324 die Predigt von Benares: Die erste Predigt des Buddha nach seiner Erleuchtung:

327 Eduard Sueß, 1831-1914, österreichischer Geologe. , 3 Bände, Wien 1883-1901.

Konrad Burdach, Königsburg 1859-1936 Berlin, Hauptvertreter der geistesgeschichtlichen Methode in Sprach- und Literaturforschung. Zu dem Hinweis Rudolf Steiners, daß Burdach einen Umschwung seit der Renaissance bemerkt, vgl. , GA Bibl.-Nr. 138. Vortrag vom 30. August 1912.

328 Gegner der Archai... Gigner der Erzengel: Die Notizen sind hier nur stichwortartig und eventuell sogar fehlerhaft.

Änerrung der Stellung der Erdachse um 1250: Siehe auch den 5. Vortrag in Rudolf Steiner .Oltkulte Geschichte. Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhiinge von Persönlichkeiten und Ereignissen der Weltgeschichte>, GA Bibl.Nr. 126.

329 ImmanuelKant, 1724-1804.

Martin Luther; 1483-1546, der große Inaugurator der deutschen Reformation. Siehe auch die Vortriige Berlin, 11. und 18. September 1917 in , GA Bibl.-Nr. 176.

Luther... waif das Tintenfaß gegen den materialistischen Geist der Neuzeit: Es ist eine bekannte Sage, daß Luther während seines Aufenthaltes auf der Wartburg in Thüringen als >junker Jörg. unter dem Schutze Friedrichs des Weisen (1521/22), dem Teufel, der ihm erschienen sei, das Tintenfaß an den Kopf geworfen habe. Der Tintenfleck an der Wand sei immer noch sichtbar.

Leonardo da Vinci, 1452-1519.

340 In euch lebt der göttliche Funke, ihr seid Götter:johannes, 10,34.

Ihr werdet sein wie Gott: 1. Moses 3,5.

341 «Der gestirnte Himmel über mir», Immanuel Kant , 2. Teil, Methodenlehre der reinen praktischen Vernunft. Beschluß. Ausgabe Reclam Leipzig o.j., S. 221.

353

Textvarianten zum Vortrag Neuchatel 27. September 1911

Gegenüber der gedruckten Mitschrift weist eine andere vorliegende handschriftliche Mitschrift, gez. , folgende Varianten auf:

Seite Zeile

37 12 v.o. Einen neuen Zweig zu gründen:

Eine neue Loge zu gründen, setzt voraus das Bekenntnis zum geistigen

Leben, und einer Loge den Namen einer okkulten Persönlichkeit zu

geben, setzt voraus, daß der Glaube vorhanden ist an die Macht einer

Persönlichkeit, die über die Zeit hinausgeht. Solch eine Persönlichkeit

wirkt nicht nur, wenn sie im physischen Leibe verkörpert ist, sondern

auch...

7 v. u. Sie wirken auf uns in gutem oder bösem Sinne:

Sie wirken auf unsere intellektuellen und moralischen Kräfte und Ge

danken gut oder schlecht, je nachdem die Persönlichkeit gut oder

schlecht war.

5 v. u. So geht vom Ätherleib des Christian Rosenkreutz eine große Kraft aus...:

Von Christian Rosenkreutz geht eine mächtige ätherische Kraftsumme

aus, an die wir appellieren. wenn wir in echtem Sinne Theosophie be

treiben. Diese Kräfte kennenzulernen, wird nun unsere Aufgabe sein.

62 14v.o. Sie waren e#üllt...:

Sie waren in ihrem Innern erfüllt von der Größe des Christentums,

äußerlich konnte man sie sogar für Gegner desselben halten.

63 12 v.u. Dieser Dreizehnte starb verhaöltnismaßigjung und die Zwölf widmeten

sich dann der Aufgabe:

nicht in Worten, sondern in Bildern, in 1maginationen aufzuzeich

ne....

64 13 v.o. Alle Kräfte des wunderbaren Ätherleibes:

Wir müssen uns klarmachen, wodurch das eintrat. Durch das eigen

tümliche Leben der vorigen Inkarnation, auch durch sein Siechtum

kam es, daß alle Kaäfte des Ätherleibes intakt blieben nach dem physi

schen Tode. Nichts ging in den allgemeinen Weltenäther über. Es ist

ein bleibe.der Ätherleib, der fortan in der geistigen Atmosphäre der

Erde vorhanden blieb.

67 5 v. o. Das zwanzigsteJahrhundert hat aber die Miition, diesen Ätherleib...:

die Ausstaahlungen dieses Ätherleibes

354

Textkorrekturen gegenüber der 1. und 2. Auflage

Seite Zeile

56 5 v.o. Nachfolger des Buddha, jenes Bodhisattva...>

In der i. Auflage fehlte

60 8 v. u. . Sinngemiße Korrektur seit der

2. Auflage statt

78 11 v. u. treya-Buddha erscheinen>. Sinngemiiße Korrektur gegenüber früher


84 4 v. o. >.. . wirkt da wie in seinem wahren feurigen Element> statt früher nem wahren Element>

94 13 v.o. daß es ein übersinnliches Wesen ist, daß

es sogleich verschwindet.> Dieser Satz fehlt in der 1. Auflage.

97 6/7 v.o. sche Spruch>.

101 2 v.u. «eine sehr schöne Abhandlung> statt früher lungen>

115 16/17 v. o. anstatt früher .

272 10 v. o. ausstnithlen, wird nicht nur...> anstatt früher etwa...>. Sinngemäße Umstellung.

340 4/3 v.u. .

355

PERSONENREGISTER

(H = Hinweis)

Mexander VI., Papst (1430/31-1503) Johannes von Damaskus (um 700 bis

(Roderigo, Borgia, Papst von 1492-1503) um 754) 35. 48

328, 329

Anastasius Griin (1806-1876) Kant, Immanuel (1724-1804) 329

(Anton Graf von Auersperg) Kepler,Johannes (1571-1630) 315

288 H, 289, 291 Khunrath, Heinrich (1560-1605) 75 H

Kopernikus. Nikolaus (1473-1543)

Bismarck, Otto von (1815-1898) 239 H 314, 315 H, 319 H, 320

Blavatsky, Helena Petrovna (1831-1891)

9 H, 10, 58 H, 63, 67, 233 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646-1716)

Borgia, Cesare (1475-1507) 328 35 H

Breuer, Dr. Joseph (1842-1925)143 H Lessing, Gotthold Ephraim (1729-1781)

Bruno, Giordano (1548-1600) 314, 319 67 H, 228

Burdach, Konrad (1859-1936) 327 H Luther, Martin (1483-1546) 329 H

Celsus (2. Jahrh. n. Chr.) 39 H

Cusanus, Nikolaus (1401-1464) 3i9 H Müller, Max (1823-1900) 9 H

da Vinci, Leonardo (1452-1519) 329 Nietzsche, Friedrich (1844-1900)

Deußen, Paul (1845-1919) 9 H 269 H, 330

Droßbach, Makimilian (1810-i884) Olcott, Henry Steel (1832-1907)170 H

67 H

Franz von Assisi (1181/82-1226) Planck, Max (1858-1947)142 H

317, 322 Plato (427-347 v. Chr.) 238, 256

Freud, Sigmund (1856-1939) Ptolemiius, Claudius (i38-180)

143 H, 144, 145 315 H

Galilei, Galileo (1564-1642) 38, 314, 319 Sabbatai Zewi (1626-i676) 55 H

Goethe, Johann Wolfgang (1749-1832) Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph

35,61 H, i01 H, 196 H, 230, 268, 269 (1775-1854) 33, 35

Schopenhauer, Arthur (1788-1860)

Haeckel, Ernst (1834-1919) 47, 97 H, 233 H

23 H, 33 H, 39 Schubert, Gotthilf Heinrich (1780-i860)

Hebbel, Friedrich (1813-1863) 238 H 144 H

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770- Schure`, Edouard (1841-1929) 212 H

1831) 33 Sokrates (um 469-399 v. Chr)

Hieronymus (340-420)158 H 38 H, 96 H, 148

Hinricus, Madathanus Theosophus (ca. Solovjeff, Wladimir (1853-1900)

1590-1638) 58 H, 63 33 H, 35, 38, 271

356

St. Gerniain, Graf von (1710?-1784) Volkelt,Johann (1848-1930)144 H

67 H

Sueß, Eduard (1831-19i4) 327 H Wagner, Richard (1813-i883) 195 H,

330

Thales (um 640-543 v. Chr.) i15 H Widenmann, Gustav (18i2-1876) 67 H,

Troxler, Ignaz Paul Vital (i780-1866) 232

221 H

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AUSFÜHRLICHE INHALTSANGABEN

Die vier makrokosmischen Welten und ihre Schattenbilder im Menschen. Die Wandlung der menschlichen Konfiguration: allmähliche Verselbständigung der übersinnlichen Glieder gegenüber den höheren Welten und immer stärkere Verhärtung des physischen Leibes. Möglichkeiten der ätherischen Schau des Christus. Der Unterschied zwischen dem einmaligen Auftreten des Christus als makrokosmische Wesenheit auf der Erde und dem Erscheinen eines Bodhisattva als wiederholt inkamierter Menschheitsführer. Der vorchristliche Buddha und der künftige Maitreya-Buddha. Die besondere Bedeutung des Jeshu ben Pandira und seine Beziehung zur ChristusWesenheit.

Locarno, 19. 5eptember 1911 27

Das Sprechen des göttlichen Geistes aus allem, was uns an Maja-Natur umgibt. Verantwortung und Pflichtgefühl zur Erkenntnis des geistigen Lebens zum Wohl der ganzen Menschheit. Möglichkeit und Notwendigkeit neuer hellseherischer Schau in den kommenden 3 Jahrtausenden zum besseren Verständnis des okkulten Geschehens. Die vom nathanischenJesusknaben ausgehende mehr innerlich inspirierend wirkende Buddha-Strömung im Astralischen und die mehr objektiv-äußere, vom Christus-Wesen als neuem Geist der Erde ausgehende Golgatha-Strömung im Ätherischen. Die Verknüpfung die

ser beiden Strömungen. Die Bedeutung der Wesenheit des «Jeshu ben Pandira» als neuer Bodhisattva fiir die künftige moralische Entwicklung der Menschheit.

Mailand, 21. 5eptember 1911 42

Die Aufgaben der Menschheitsentwicklung durch die zweite Hälfte der nachatlantischen Kultur und die besondere Beziehung der Menschen in den einzelnen Kulturepochen zu den höheren Welten-planen. Das verschiedene Erleben der Christus-Wesenheit in diesen Kulturperioden durch die Menschen. Die Bedeutung der «Mosesgestalt» und des Christus-Wesens für den Durchgang der Menschen durch das Kamalokaleben für ihre weitere Entwicklung. Die Buddha

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Inspiration als allgemeine moralische Karmalehre und der ChristusImpuls als persönliche moralische Kraft. Die Weisheits- oder Buddha-Strömung, die zum Maitreya-Buddha führt in ihrer Beziehung zu der Christus-Strömung.

Neuchate4 27. 5eptember 1911 57

Hinweis auf den Tiefpunkt im geistigen Leben der Menschheit in der Mitte des 13.Jahrhunderts als Grundlage für die intellektuelle Kultur. Das Erscheinen von Persönlichkeiten zur Überbrückung dieser geistigen Verfinsterung. Das Kollegium der zwölf (7 + 4 + 1) Individualitäten als Vertreter der gesamten in der Erdenentwicklung bisher errungenen Weisheit. Die Ausbildung eines besonderen Kindes durch die 12 Weisen und dessen innere Wandlung auf Grund dieser Erziehung. Der Tod des Dreizehnten, die Erhaltung seines Ätherleibes und die weitere Verbreitung seiner Offenbarungen. Die Wiederverkörperung dieser Individualität als Christian Rosenkreutz und sein Damaskuserlebnis. Das Weiterwirken und Mächtigerwerden des Ätherleibes in der Rosenkreuzer-Strömung. Die äußere und die innere Arbeit der Rosenkreuzer. Das Gesetz der 100 Jahre.

Neuchatel, 28. 5eptember 1911 69

Die äußeren und die inneren Voraussetzungen für die Aufnahme eines Menschen in die Rosenkreuzer-Schule und dessen Weiterbildung zum Hellseher als Nachwirkung von Erlebnissen vor der Geburt. Der Unterricht des Christian Rosenkreutz im Mittelalter im Zusammenhang mit Naturvorgängen und derjenige in neuerer Zeit, mehr ausgehend von spiritueller Betrachtung und aufbauend auf den Wirksamkeiten früherer innerer Schulung. Neue Möglichkeit des Schauens des Christus im Ätherleib ffir die Menschen auf Grund eigenen geistigen Tuns im Sinne der Geisteswissenschaft. Die allmähliche Vereinigung der verschiedenen Religionsbekenntnisse im Rosenkreuzermystenum.

Basel, 1. Oktober 1911 80

Der tiefere Zusammenhang unserer Gedanken, Gefühle und Willensimpulse als Schattenbilder von Wesenheiten des Astralplans, des niederen und des höheren Devachans und den drei Bewußtseinszuständen des Wachens, des Träumens und des Schlafens. Die mikrokosmische Strömung des ätherisierten Blutes vom Herzen nach oben während des Wachens und die makrokosmische Gegenströmung von

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außen nach innen während des Schlafens, entsprechend den moralischen Qualitäten der einzelnen Menschen. Die Ätherisierung des Blutes des Christus Jesus auf Golgatha, dessen Weiterwirkung im Erdenäther und dessen Bedeutung für die Menschen. Die Möglichkeit des Schauens des ätherischen Christus. Die durch Christus in die Menschheitskultur hineingekommenen aufbauenden Kräfte im Gegensatz zu den zerstörend wirkenden Kräften unterphysischer Natur als Spiegelbild der Gebiete des Luzifer, des Ahriman und der Asuras. Die Bedeutung der neuen Buddhaströmung für die moralische Ätheratrnosphäre der Erde.

Lei~zigö, 4ö November 1911 105

Vorstellungen, Gemütsbewegungen und Willensimpulse als über- sinnliche Seelenerlebnisse mit geringer, mit engerer und mit besonders inniger Beziehung zu unserem eigenen Wesen. Der Zusammenhang zwischen dem Vorstellungsleben und der Astralwelt, den ästhetischen idealen und dem niederen Devachan, den moralischen Im- pulsen und dem höheren Devachan. Das Erscheinen des Christus auf immer höherem Plane, entsprechend der jeweiligen Entwicklungsstufe der Menschheit. Das kommende Ätherisch-Astralische, Ästhetlsch-Devachanische und Moralisch-Devachanische. Christus als moralische Kraft für die weitere Entwicklung der Menschen. Jeshu ben Pandira als Inkamation des neuen Bodhisattva. Die moralische Gewalt des Wortes in der Zukunft.

Leipzig, 5. November 1911 123

Die Pflege der drei Partien des Seelenlebens durch Selbsterziehung.

Bedeutung der Gelassenheit und Ergebenheit ins Schicksal für die Stärkung des Willens, der Aufmerksamkeit und des lebendigen Interesses für die Förderung des Gemütes, der Hingabe an die Natur und die Menschheitsf»`agen für die Verbesserung der Denkfähigkeit. Interesselosigkeit, Eigensinn, Ehrgeiz und Selbstsucht als Feinde innerer Entwicklung. Die Förderung der Selbsterziehung durch die Geisteswissenschaft. Die Bedeutung der Selbsterziehung in Freiheit für die Führer der Menschheit. Jeshu ben pandira als Vorverkünder des Christus, als besonderer Pfleger der menschlichen Selbsterziehung und als ein Lehrer und Bringer des Guten durch seine weiteren Inkarnatlonen. Das besondere Gesetz dieses Bodhisattva.

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München, 18. November 1911 139

Notwendigkeit des mutigen Versuches zu einem neuen Einschlag in die Zeitbildung. Unmöglichkeit des Kompromiß-Schließens zwi schen der okkulten Strömung der Geisteswissenschaft und der auf Dogmen fußenden materialistischen offiziellen Wissenschaft. Das sinnliche Wahmehmungsleben und die drei übersinnlichen Grund

elemente des menschlichen Seelenlebens der Intellektualität, der Ge mütsbewegungen und der moralischen Impulse im Zusammenhang mit den vier Weltplänen des Physischen, des Astralen, des niederen und des höheren Devachan, und im Zusammenhang mit den vier letzten Epochen der nachatlantischen Kultur. Das Erleben des Chri stus in Äthergestalt, als tönendes Wort und im Glanze seines wahren Ich. Christus als makrokosmische Realität im Unterschied zu den mi krokosmischen Bodhisattvas.Jeshu ben Pandira, sein Schüler Matthai und das Mattha~us-Evangelium.

München, 20. November 1911 154

Die Bedeutung des Christus-Impulses für die zweite Hälfte der nachaflantischen Menschheitsentwicklung. Die Erziehung der Individualität des Christian Rosenkreutz durch das Kollegium der Zwölf und ihr weiteres Wirken im Sinne einer Synthesis aller großen Religionen bis heute. Die besonderen inneren Seelenerlebnisse werdender Rosenkreuzer und ihre Arbeit im Dienste der spirituellen Bewegung für das Verständnis des wahren Christentums. Hinweis auf das Zusammen- fließen der Rosenkreuzer.Strömung mit der neuen Bodhisattva-Strömung. Der Kirchenvater Hieronymus als Übersetzer des MatthäusEvangeliums.

Nürnberg 2. Dezem ber 1911 160

Die beiden großen Offenbarungen für die Menschheit in der Vergangenheit: die Zehn Gebote des Moses im Alten und die Kunde von der Auferstehung des Christus im Neuen Testament im Vergleich mit der Entwicklung des Kindes durch die beiden ersten Lebensstadien. Die neue Offenbarung für die Menschheit im 20.Jahrhundert als Parallele zur Entwicklung des eigenen Denkens beim Kinde: Erleben-Können des vollen Geistgehaltes der Evangelien im Denken durch die Geisteswissenschaft im Zusammenhang mit der Möglichkeit der Schau des Christus-Wesens als Erdengeist in ätherischer Gestalt. Das Erleben der beiden Geistgestalten des Moses mit den scharfen Gesetzen und des Cherub mit dem feurigen Schwert als Mahner

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und Richter nach dem Tod. Christus als Herr des Karriia. Die drei Leibeshüllen des Ich in ihrer engen Beziehung zu den drei Seelenkiften des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung. Die Gesunderhaltung des astralischen, des ätherischen und des physischen Leibes durch die Geisteswissenschaft.

Nürnberg, 3. Dezember 1911 182

Charakterisierung der menschlichen Traumerlebnisse in der Gegenwart und ihre Deutung im Gegensatz zum Verstehen der Traumbilder der Menschen in vorchristlicher Zeit. Die neue Möglichkeit des Sich-Verbindens mit den Toten und andern rein geistigen Wesen nach der Festigung des Ich-Bewußtseins. Die Geisteswissenschaft als Schutz gegen die Vereinsamung durch das Individueller-Werden und als Hilfe für das Erleben der Erinnerung an frühere Inkamationen. Die Spiegelung der Glaubenskräfte des astralischen Leibes, der Liebeskräfte des ätherischen Leibes und der Hoffnungskräfte des physischen Leibes in der menschlichen Seele in den drei letzten Epochen der nachatlantischen Kultur. Die Harmonisierung der Intellektualität und der Moralität durch das Wirken des Bodhisattva als Interpret des Mysteriums von Golgatha.

München, 9.Januar 1912 202

Die Eingliederung des Ich als 4. Glied in die niedere Menschennatur, die feinere Ausarbeitung der 3 niederen Glieder und die Vorbereitung fiir die Ausbildung der 3 höheren Glieder als besondere Aufgabe der Erdenentwicklung. Das Mitwirken der zurückgebliebenen Engel als mikrokosmische Geister luziferischer Art bei der Ausbildung der höheren menschlichen Glieder. Der Niederstieg des Christus als makrokosmisches Ich-Wesen auf die Erde und seine Impulse für die volle Ausbildung des mikrokosmischen Ich des Menschen. Das Ein- greifen mikrokosmischer luziferischer Wesen in die Menschheitsentwicklung und das vertiefte Weisheits- und Liebeswirken des makrokosmischen Christus-Ich für die Menschen. Die Inkamation des Christus, sein dreijähriges Wirken mit dem dahinsterbenden Leibe, sein Sterben und Auferstehen vom okkulten Gesichtspunkte aus.

Kassel, 27.Januar 1912 227

Der Gang der Weltgeschichte in ihrem Zusammenhang mit der Wiederverkörperung der Menschen. Der notwendige Tiefstand im Geistesleben der Menschheit im I3.Jahrhundert und der verborgene

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Neubeginn einer geistigen Kultur in Europa durch zwölf hervorragende Geister als Vertreter der gesamten atlantischen und nachatlantischen Kultur und die dazu gekommene Individualität des Christian Rosenkreutz. Die Zusammenfassung aller Weisheitsströmungen. Die Inkamation des Christian Rosenkreutz im I4.Jahrhundert. Die rosenkreuzerischen Inspirationen in den folgenden Jahrhunderten. Die Mission des Rosenkreuzertums und die neue Ich-Kultur in der Menschheit.

Kassel, 29januar 1912 236

Schicksals-Schläge, die wir als gerechte Folge früherer Taten erleben, und andere, die wir als uns einfach zugefallene empfinden. Die drei Arten von Seelenerlebnissen in ihrer verschiedenen Beziehung zum inneren Selbst und zu unserem vorirdischen, irdischen und nachtodlichen Dasein. Das eigene vorgeburtliche Leben als tieferer Grund für die «zufälligen Schicksalsschliige und das Mitbringen von Gemütsstimmungen und Willensimpulsen aus der geistigen Welt. Das Erwähltwerden als Schüler für das Rosenkreuzertum und das wahre Ziel anthroposophischer Arbeit.

Wien, &Februar 1912 244

Das Wirken eines unterbewußten weisen Lenkers in unserem Karriia. Trost in allem Schmerz und Leid: sie sind die wahren Mittel zu unserer eigenen inneren Vervollkommnung. Dankbarkeit für Lust und Freude: sie sind die Gnadengaben der Weltlenkung. Tieferes eigenes Wollen auf Grund von Menschen-Begegnungen in früheren Inkamationen. Die karmischen Auswirkungen von früheren Begegnungen in den verschiedenen Altersstufen. Die Beschränktheit des Vorstellungs. lebens auf die einzelnen Inkarnationen. Walire Selbsterkenntnis nur durch geistesoffene Weltgedanken.

Wien, 9. Februar 1912 260

Übungen im Begreifen «unverschuldeter> Erlebnisse zur Stärkung des Seelenlebens, Erlangung eines Gemütsgedächtnisses für frühere Inkarnationen und einer Gelassenheit gegenüber kommenden Erlebnissen. Das höhere Selbst des Menschen als Lenker im Karma. Der Tiefpunkt im direkten Erleben der Geistwelt im 13.Jahrhundert. Die Erziehung des auserwählten Kindes durch das Kollegium der 12 Vertreter der Weltweisheit. Die Einweihung dieser Individualität, ihre Wiedergeburt als Christian Rosenkreutz im 14.Jahrhundert und ihr

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weiteres Wirken bis in die Gegenwart herein. Die besondere Art, wie Christian Rosenkreutz von der geistigen Welt aus reife Seelen als seine Schüler und Helfer beruft.

DüsseIdotf, 5. Mai 1912 276

Das Einheitliche und das Einigende in der materiellen Kultur auf der Erde in der Neuzeit. Notwendigkeit einer besseren Verständigung der einzelnen Volksgemeinschaften in ihrem Verhältnis zur geistigen Welt. Der gemeinsame Gottesursprung der ganzen Erdenmenschheit. Das Wiederfinden der Urweisheit und deren Rückgabe an die Menschen als Ziel der Geisteswissenschaft. Der wahre Weisheitskem der buddhistischen und der christlichen Religion und die Möglichkeit der Verständigung von Buddhisten und Christen auf dem Boden wahrer Geistes-Erkenntnis. Christus als das in Einsamkeit durch den Tod gebende und den Tod überwindende Gotteswesen. Die besondere Stellung des Christentums für die Wiederhinaufführung der Menschenseelen aus der geistigen Finstemis. Das Wirken der Rosenkreuzerschulen für den Frieden unter den Nationen.

Hamburg, 1 7.Juni 1912 307

Hinweis auf das Gnadenvolle des Drinnenstehens in der weltnotwendigen spirituellen Strömung zur Überwindung des Materialismus und zur Harrnonisierung der großen Weltreligionen. Das Verantwortungsvolle und Verpflichtende der Begründung einer Arbeitsgruppe, deren Wirken dem Geiste des Rosenkreuzertums die Treue halten will. Hinweis auf drohende Gefahren und kommende Prüfungen. Herbei- rufen des Segens der guten Geister für die Arbeit in dem neu gegründeten Zweig.

NeuchaieI, 18. Dezember 1912 314

Das Majahafte der Begriffe und Ideen von Kopernikus, Bruno und Galilei als Nachwirkung ihrer Erlebnisse in der Marssphäre. Die Individualität des Franziskus von Assisi als Schüler des Buddha in der Einweihungsstätte am Schwarzen Meer. Die Gefahr der Spaltung der Menschheit durch das Wirken des Geistes von Buddha und das Wirken der Marskräfte. Die okkulte Konferenz von führenden Individualitäten am Ende des 16.Jahrhunderts unter der Leitung des Christian Rosenkreutz und unter Mitwirkung des Gautama Buddha. Das neue Wirken des Buddha als Geistwesen auf dem Mars zum Wohle der Menschheitsentwicklung. Die Rosenkreuzerschulung als gesunder Weg im geistigen Weiterschreiten für die abendländischen Menschen.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.