GA 109

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Das Prinzip der spirituellen Ökonomie
im Zusammenhang
mit Wiederverkörperungsfragen

Ein Aspekt der geistigen Führung
der Menschheit

Dreiundzwanzig Vorträge, gehalten
zwischen dem 21. Januar und 15. Juni 1909
in verschiedenen Städten

GA 109

1965

Inhaltsverzeichnis

I DAS PRINZIP DER SPIRITUELLEN ÖKONOMIE IM ZUSAMMENHANG MIT WIEDERVERKÖRPERUNGSFRAGEN. EIN ASPEKT DER GEISTIGEN FÜHRUNG DER MENSCHHEIT

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KOMPLIZIERTE FRAGEN DER WIEDERVKÖRPERUNG. WODURCH BLEIBT DAS, WAS DIE EINGEWEIHTEN ERRUNGEN HABEN, FÜR DIE ZUKUNFT ERHALTEN? Heidelberg, 21. Januar 1909

Es sollen einige intime Fragen der Wiederverkörperung besprochen werden, welche nur in einem Zweige von vorbereiteten Anthroposo­phen erörtert werden können. Damit ist nicht bloß gemeint, daß solche Anthroposophen theoretisch vorbereitet sein sollen, sondern daß sie durch ihr Mitarbeiten in einem Zweige ihr Empfindungsvermögen herangebildet haben. Denn wir alle erinnern uns, daß durch dieses Mitarbeiten Veränderungen vorgegangen sind in unseren Empfindungen und Gefühlen für die Wahrheit. Was wir heute nicht nur glauben, sondern als über allem Glauben stehend [als wahr] betrachten, das war auch uns früher unglaubhaft und ist heute noch phantastisch, Unsinn, Träumerei für die Fernstehenden. Daß man sich also gewöhnt hat, wirklich in diesen Anschauungen so zu leben, das ist das Zeichen des Vorgerückteren, und dieser kann dann herantreten an die Betrachtung spezieller Fragen. Manches was hier gesagt wird, scheint fernliegend und doch sind alle diese Dinge aufklärend für das Leben und seine Erscheinungen, obwohl wir zunächst weit zurückgehen müssen in ferne Perioden der Menschheitsentwickelung. Wir müssen davon aus­gehen, uns vor die Seele zu stellen, wie der Vorgang der Reinkarna­tion sich im allgemeinen darstellt.

Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geht, so hat er zu­nächst bestimmte Erlebnisse. Das erste Erlebnis besteht darin, daß er das Gefühl hat, als ob er größer würde, als ob er hinauswüchse aus seiner Haut. Er bekommt dann eine andere Anschauung von den Dingen als vorher im physischen Leben. In der physischen Welt hat jedes Ding seinen bestimmten Platz, hier oder dort, außerhalb des Be­obachters. In dieser neuen Welt aber ist das anders. Da ist es, als ob der Mensch darinnen sei, als ob er mit oder in den Dingen ausgedehnt wäre, während er früher nur ein Glied an seinem Platze war. Das zweite Erlebnis besteht darin, daß der Mensch ein Erinnerungstableau

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seines verflossenen Lebens hat, daß alle Ereignisse des Lebens in umfassender Erinnerung auftreten. Dies dauert eine ganz bestimmte Zeit. Aus Gründen, die heute nicht angegeben werden können, ist diese Zeit länger oder kürzer, je nach dem Individuum. Im allgemeinen kann man die Dauer dieses Zustandes daran bestimmen, wie lange der Mensch in seinem verflossenen Leben sich wach erhalten konnte, ohne vom Schlaf bezwungen zu werden. Angenommen, er habe als äußerste Grenze für die Dauer des Wachbleibens die Zeit von achtundvierzig Stunden gehabt, dann dauert auch nach seinem Tode das Erinnerungstableau achtundvierzig Stunden. Also diese Stufe ist wie ein Überschauen des letzten Lebens

Dann tritt der Ätherleib heraus aus dem Astralleibe, in welchem das Ich lebt. Bisher waren alle drei verbunden, nachdem der physische Leichnam verlassen worden war; nun tritt auch der Ätherkörper aus und wird zum ätherischen Leichnam. Jedoch wird bei keinem heutigen Menschen der Ätherleib vollständig abgelegt, sondern der Mensch nimmt von seinem Ätherleibe einen Extrakt oder Auszug für die ganze folgende Zeit mit. Also der Ätherleichnam wird abgelegt, aber die Frucht des letzten Lebens wird von Astralleib und Ich mitgenom­men. Wenn man ganz genau sprechen will, so muß man sagen, daß auch vom physischen Leibe etwas mitgenommen wird: eine Art geistigen Auszug dieses Leibes - die Tinktur der mittelalterlichen Mystiker. Aber dieser Auszug des Physischen ist in allen Leben gleich, er repräsentiert nur das Faktum, daß das Ich verkörpert war. Die Essenz des Ätherleibes dagegen ist in allen Leben verschieden, je nach den darin gesammelten Erfahrungen, je nachdem man viel oder wenig vorwärtsgekommen ist.

Darauf folgt nun der Kamalokazustand, die Zeit des Abgewöhnens vom physischen, sinnlichen Leben, welche etwa ein Drittel der physi­schen Lebenszeit dauert. Wenn der Ätherleib abgelegt ist, so hat der Astralleib noch alle die Leidenschaften, Begierden und so weiter, welche er am Ende des Lebens hatte; diese müssen nun abgewöhnt, geläutert werden, und das ist Kamaloka. Dann wird auch der Astral­leib abgelegt. Auch da wieder wird die Frucht, die Astralessenz mitgenommen, das übrige, der Astralleichnam, zerfließt in die astralische

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Welt. Und nun tritt der Mensch ins Devachan ein, wo er sich in der geistigen Welt vorbereitet für ein neues, künftiges Leben. Hier lebt er mit geistigen Ereignissen und Wesenheiten, bis er wieder hereingerufen wird in die physische Welt, sei es, weil sein Karma es so bedingt, sei es, weil er auf der physischen Erde gebraucht wird.

Dies ist eine allgemeine Schilderung des Vorganges. Aber das Leben im Geistigen schreitet beständig vorwärts, dadurch daß das Zu­künftige sich angliedert an das Vergangene, daß das Kommende sich aufbaut mit Hilfe des Früheren. Wenn man darauf eingeht, wie dies im einzelnen geschieht, so enthüllen sich wunderbare Dinge, vieles, was in der einfachen Darstellung des Reinkarnationsvorganges nicht enthalten ist. Es ist ja klar, daß es große Unterschiede in dem Gange der Entwickelung der Menschen gibt, daß auch die Auszüge oder Extrakte ihrer Körper von ganz verschiedenem Werte sein werden, je nachdem sie diese oder jene Früchte aus dem Leben herausgezogen haben. Und wenn wir uns erinnern, daß es große Führer der Mensch­heit, Eingeweihte gibt, welche andere Menschen in die geistigen Welten einführen, so müssen wir uns fragen: Wodurch bleibt das, was die Eingeweihten errungen haben, für die Zukunft erhalten? - Die äußere Geschichte kann darüber natürlich keine Auskunft geben. Wir müssen die Wiederverkörperung der Eingeweihten näher betrachten, und zwar zunächst der ältesten Eingeweihten, um dann die Resultate anzuwenden.

Ehe die Menschheit die jetzigen Kontinente bewohnte, war die Physiognomie der Erde eine ganz andere. Es existierte da, wo heute der Atlantische Ozean ist, der Kontinent Atlantis. Dieser wurde dann durch große Katastrophen, die in der Sintflutsage der Völker enthalten sind, vernichtet. Die Atlantier - also wir selbst - hatten ihre großen Führer und Eingeweihten, und es gab schon zu jener Zeit Lehrstätten oder Schulen, in denen die Eingeweihten lehrten. Sie können heute hellseherisch erforscht werden. Wir sehen dann, daß es eine Anzahl solcher Stätten gab, in denen die Führer lehrten und lebten. Ein guter Name für dieselben ist «Orakel». Eines der größten und wichtigsten Orakel war das Sonnenorakel. In diesem lebte der

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bedeutsamste Führer. Seine Hauptaufgabe bestand darin, Offen­barungen über die Geheimnisse der Sonne zu geben; nicht der physi­schen - denn das ist nur die Außenseite -, sondern der wirklichen Sonne. Diese wirkliche Sonne besteht aus geistigen Wesenheiten, die sich der physischen Sonne bedienen, wie die Menschen sich der Erde bedienen. Die inneren Geheimnisse dieses Sonnendaseins zu schauen und zu offenbaren, das war die Aufgabe des großen Sonnenorakels. Für dieses war das Sonnenlicht nicht einfach etwas Physisches, son­dern jeder Sonnenstrahl ist die Tat der geistigen Wesenheiten, welche auf der Sonne ihren Schauplatz haben. Diese großen Wesenheiten waren zur Zeit der alten Atlantis noch ausschließlich auf der Sonne. Später änderte sich dies, indem die große Wesenheit, welche später Christus genannt wurde, sich mit der Erde vereinte. Man kann daher das Sonnenorakel auch das Christus-Orakel nennen. Die Vereinigung der Christus-Wesenheit mit der Erde geschah, als auf Golgatha das Blut des Christus Jesus floß. Da vereinte sich sein Wesen mit der Atmosphäre der Erde, wie dies heute noch im hellseherischen Rück­blick wahrgenommen werden kann. So kam die Christus-Wesenheit von der Sonne auf die Erde. Als bei Damaskus das Licht der geistigen Erleuchtung auf den Saulus-Paulus fiel, da sah Paulus den mit der Erde vereinten Christus und wußte zugleich, daß er es war, der auf Golgatha sein Blut vergossen hatte.

Auf den kommenden Christus wies schon das Sonnenorakel der alten Atlantis. Es prophezeite das Kommen des Sonnengottes, der zwar erst viel später als Christus bezeichnet wurde, aber wir können trotzdem das Sonnenorakel als Christus-Orakel bezeichnen. Diese Orakel hatten viele Nachzügler in späteren Zeiten, es gab Saturn-, Jupiter-, Mars-, Venus-, Merkur-, Vulkanorakel, jedes mit seinen großen Geheimnissen und Lehren. Gegen Ende der atlantischen Zeit entwickelte sich in der Nähe des heutigen Irland eine Schar von Vor­geschrittenen, aus deren Mitte sich der größte Führer eine Anzahl auserwählte, um durch sie die Kultur fortzusetzen, wenn die sich vorbereitende Katastrophe eintreten würde. Unterdessen hatten schon vor langen Zeiten große Wanderungen stattgefunden in die sich hebenden Länder von Europa, Asien und Afrika, und in diesen entstanden

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viele Nachfolger der alten Orakel, aber immer mehr an Be­deutung abnehmend. Der große Führer aber wählte die Besten aus, um sie in ein besonderes Land zu führen. Sie waren schlichte, einfache Leute und unterschieden sich von den meisten andern Atlantiern dadurch, daß sie die Hellsichtigkeit fast ganz verloren hatten. Die Mehrzahl der Atlantier war ja noch hellsichtig. Wenn sie nachts ein­schliefen, wurden sie nicht bewußtlos, sondern die Sinnenwelt ver­schwand, und an ihrer Stelle baute sich auf die geistige Welt, in der sie dann Genossen der göttlich-geistigen Wesen waren. Die Fortgeschrit­tenen aber hatten angefangen, den Intellekt zu entwickeln. Aber sie waren schlicht, tief warm von Gemüt, tief anhänglich an ihren Führer. Mit ihnen zog er nach dem Osten, nach dem Inneren von Asien und gründete dort das Zentrum für die nachatlantische Kultur. Fern­gehalten wurde dort die Schar von den andern Lebenden, welche für diese Aufgabe ungeeignet waren. Die Erziehung der Nachkommen wurde ganz besonders sorgfältig gepflegt. Erst bei diesen Nachkom­men bildete sich das aus, wodurch sie zu großen Lehrern wurden. Auf geheimnisvolle Weise wurde das erreicht. Vorbereitet wurde, was nötig war, um alles Gute der atlantischen Kultur herüberzuretten in die neue Rasse, um eine neue, fortschreitende Kultur einzuleiten. Das war die Aufgabe des Manu, des großen Führers; denn die Weisen, welche an den kleineren Orakeln lebten, konnten dies nicht tun. Es war durch den Manu von den großen Orakelweisen dasjenige auf­bewahrt worden, was wir den Ätherleib nennen. Während dieser Ätherleib sonst, wie wir sahen, als zweiter Leichnam sich auflöst, wurde er in gewissen Fällen aufbewahrt. Die größten dieser Orakel­weisen hatten in ihren Ätherleib so viel hineingearbeitet, daß er zu wertvoll war, um in die allgemeine Ätherwelt aufzugehen. Deshalb wurden die sieben besten Ätherleiber der sieben größten Weisen aufbewahrt, bis der Manu die sieben Besten aus seiner Schar so weit aus­gebildet hatte, daß sie für diese Ätherleiber geeignet waren. Nur der Ätherleib des großen Eingeweihten des Christus-Orakels wurde in gewisser Beziehung verschieden behandelt von diesen andern. Diese sieben Weisen also, die sieben großen Rishis, welche die sieben Ätherleiber der größten Eingeweihten empfangen hatten, diese gingen nach

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Indien und wurden dort die großen Gründer der indischen Kultur, die sieben großen Lehrer.

Diese uralte, heilige Kultur der vorvedischen Zeit stammt von den sieben Rishis, welche die aufbewahrten Ätherleiber der Orakeleingeweihten des Venus-, Mars-, Jupiterorakels und so weiter trugen. In ihnen wirkte sozusagen ein Abdruck jener Eingeweihten, eine Wiederholung von deren Fähigkeiten. Äußerlich waren sie ganz schlicht und einfach. Ihre große Bedeutung war nicht äußerlich er­kennbar. Auch ihr Intellekt stand nicht auf der gewaltigen Höhe ihrer Prophetien. Sie waren nicht Gelehrte, sie standen nicht so hoch in der Urteilskraft wie manche andere, tiefer sogar als viele heutige Men­schen. Ihr Astralleib und Ich war ja das ihrige, nur der Ätherleib war ihnen von jenen großen Weisen gegeben. Aber in inspirierten Zeiten wurden sie von diesen Orakelwesen gleichsam ergriffen; der Ätherleib war dann tätig, sie waren dann nur Instrumente, durch welche jene uralte Weisheit verkündet wurde - Veden -, welche für den heutigen Menschen viel zu schwer, ja unverständlich ist. So offenbarte sich die alte Weisheit der alten Orakel. Nur das Sonnen- oder Christus­-Orakel konnte auf diesem Wege nicht ganz offenbart werden. Ein Abglanz nur der Sonnenweisheit konnte überliefert werden, denn sie war so hoch, daß auch die heiligen Rishis sie nicht erreichen konnten.

Hier sehen wir, daß die Reinkarnation nicht immer und allgemein so glatt vor sich geht, wie man vielfach annimmt, sondern wenn ein Ätherleib besonders wertvoll ist, so wird so etwas wie ein Modell, um es bildlich auszudrücken, aufbewahrt und dann einem späteren Menschen gegeben. Und dieser Fall ist nicht so ganz selten. Mancher schlichte Mensch kann einen sehr wertvollen Ätherleib haben, und dieser wird aufgespart. Es lösen sich nicht alle Ätherleiber einfach wieder auf, sondern die besonders brauchbar sind, die werden auf andere Menschen übertragen. Und zwar ist es durchaus nicht dasselbe «Ich», welches diesen erhaltenen Ätherleib oder Astralleib wieder erhält, sondern ein anderes Ego, welches mit dem Ich, welches vorher den Ätherleib hatte, gar nichts zu tun hat. Dies gibt leicht Anlaß zu großen Täuschungen, wenn die Vergangenheit eines Menschen mit unvollkommenen hellseherischen Mitteln erforscht wird. Daher sind

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oft die okkulten Theorien über die früheren Leben von Menschen ganz verkehrt, wie es ja auch ganz verkehrt wäre zu sagen, daß die sieben Rishis dieselben Iche seien wie die Eingeweihten, deren Ätherkörper sie haben.

Vieles aber in der menschlichen Entwickelung wird erst klar, wenn man solche Dinge weiß; dann erst wird es erklärlich, wie das einmal Errungene aufbewahrt wird und dem Haushalte der Natur erhalten bleibt. So konnte das Höchste der atlantischen Kultur uns gerettet werden durch die Übertragung dieser sieben Ätherleiber.

Es soll hier noch ein anderes Beispiel angeführt werden, über welches früher nicht gesprochen werden konnte. Gehen wir zurück auf die altpersische Zeit, die Periode der Zarathustra-Kultur. Wir sehen eine wichtige Periode in ihr, weil sie die erste nachatlantische Zeit ist, in der die physische Welt mehr erobert wurde. In der indischen Zeit ist noch die Sehnsucht nach dem Geistigen überwie­gend. Die geistige Welt war jenem Menschen die wirkliche, er fühlte sich ein Fremdling im Physischen, das Irdische ist vorübergehend, illusorisch, Maja. In der vorgeschichtlichen persischen Kultur wurde dies anders durch die Lehren des Zarathustra, das heißt des eigent­lichen oder ersten Zarathustra, denn es gab deren viele. Seine Anf­gabe als Führer bestand darin, die Menschen auf den physischen Plan hinzuweisen, Erfindungen zu machen, Instrumente und Geräte her­zustellen, um diese physische Welt zu erobern. Dies war nötig. Der Mensch mußte ja das Physische als etwas für ihn Wichtiges kennen­lernen. Aber der Verführer, der sagt ihm, daß das Physische das einzige sei, daß es nur das Irdische gäbe. Und da lehrt Zarathustra, daß dies falsch ist, daß es hinter allem Physischen das Geistige gibt, so wie die physische Sonne uns das äußere Zeichen ist der größte Sonnenwesenheit, des Geistig-Göttlichen, der großen Aura, Ahura Mazdao, Ormuzd. Diese Wesenheit ist jetzt physisch unsichtbar und jetzt fern von der Erde auf der Sonne. Aber, so sagt Zarathustra, ein­mal wird sie offenbar werden; später einmal wird sie auch auf der Erde erscheinen, so wie sie jetzt auf der Sonne ist.

In diese Geheimnisse weihte er seine intimsten Schüler ein, und namentlich zweien derselben gab er die tiefsten Lehren. Den einen

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bildete er vorzüglich aus in bezug auf alles, was die Urteilskraft betrifft, in den Wissenschaften, Astronomie und Astrologie, in Acker­bau und anderem. Alles dies übertrug er auf diesen einen Schüler, und zwar wurde dies ermöglicht durch einen Vorgang oder Prozeß zwischen ihnen, welcher ein Geheimnis ist. Dadurch wurde der Schüler so vorbereitet, daß er in der folgenden Verkörperung den Astralleib des Lehrers tragen konnte. Dieser wiederverkörperte Schüler mit dem Astralleib seines Lehrers ist Hermes. Hermes war der große Lehrer und Weise der ägyptischen Mysterien. Mit Zara­thustras Astralleib wird Hermes geboren; dadurch wird er zum Träger der großen Weisheit.

Der zweite intime Schüler wurde unterrichtet in den Dingen, welche sich besonders im Ätherleib ausprägen, also tiefere Eigen­schaften. Dieser Schüler empfing in der folgenden Verkörperung den Ätherleib des Zarathustra. Die religiösen Urkunden erzählen darüber Dinge, welche erst durch diese Erklärungen verständlich werden. Der Schüler mußte bei seiner Wiedergeburt in ganz besonderer Weise auf­leben, der Ätherleib mußte stark sein, ehe der Astralleib auflebte. Dies wird erreicht mit dem, was mit der Geburt des Moses - denn er ist der wiedergeborene Schüler - verbunden war. Daß er in ein Käst­chen gepackt in das Wasser gelegt wurde und so weiter, das hatte den Zweck, den Ätherleib als Kind völlig zu erwecken. Dadurch wurde Moses befähigt, über weit vergangene Zeiten im Gedächtnis zurück­zuschauen, die Genesis der Erde in Bildern niederzuschreiben, in der Akasha-Chronik zu lesen. So sieht man gleichsam hinter den Kulissen diese Dinge wirken, durch welche alles Wertvolle aufbewahrt und verwendet wird.

Es gibt auch andere Beispiele aus späteren Zeiten. So lebte im 15. Jahrhundert eine merkwürdige Persönlichkeit: Nikolaus von Kues - Cusanus. Wir sehen hier den merkwürdigen Fall, daß dieser Mann in seinen Forschungen die ganze Lehre des Kopernikus im 16. Jahrhundert sozusagen vorbereitet hat. Sie ist zwar in seinen Büchern noch nicht so richtig reif wie bei Kopernikus, aber sie ist doch darin in allem Wesentlichen enthalten, eine Tatsache, welche der gewöhnlichen For­schung ganz unerklärlich ist. Tatsächlich ist der Astralleib des Cusanus

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auf den Kopernikus übertragen worden, obwohl das Ich des Koper­nikus ein ganz anderes war als das des Cusanus. Dadurch erhielt Kopernikus die Grundlagen, alle Vorbereitungen seiner Lehre.

Ähnliche Fälle kommen öfter vor. Immer wird das besonders Wert­volle erhalten, nichts vergeht. Aber Verwechslungen kommen da­durch natürlich oft vor, besonders auch, wenn die früheren Leben eines Menschen vermittels spiritistischer Medien erforscht werden sollen. Die Übertragung vom Äther- oder Astralleib auf spätere Men­schen geschieht jetzt gewöhnlich so, daß, wenn ein Astralleib über­tragen wird, er innerhalb desselben Volkes - sprachlich - bleibt; ein Ätherleib kann aber in ein anderes Volk gehen.

Ein anderer charakteristischer Fall ist der folgende. Wenn eine bahn­brechende Persönlichkeit stirbt, so wird stets der Ätherkörper er­halten. Dafür gibt es künstliche Methoden, die in den Geheimschulen immer bekannt waren. So war es für gewisse Zwecke der Neuzeit wichtig, daß der Ätherkörper des Galilei aufbewahrt wurde. Er war der große Reformator der mechanischen Physik, er hat Ungeheures geleistet, ja man kann sagen, daß ohne seine Entdeckungen viele rein praktische Errungenschaften der Neuzeit gar nicht möglich gewesen wären, denn alle Fortschritte der Technik beruhen auf der Wissen­schaft Galileis. Ein Gotthard- oder Simplontunnel sind nur möglich geworden dadurch, daß Leibniz, Newton, Galilei die Wissenschaften der Integral- und Differentialrechnung, der Mechanik und so weiter ausgearbeitet haben. Es wäre also auch in bezug auf Galilei eine Ver­schwendung im Haushalte der Natur gewesen, wenn sein Ätherleib, der Träger seines Gedächtnisses und seiner Fähigkeiten, verloren­gegangen wäre. So wurde dieser Ätherleib auf einen andern Menschen übertragen. Aus einem armen Bauerndorf ging dieser hervor und wurde später der Schöpfer der russischen Grammatik, der klassischen Literatur: Michail Lomonossow. Aber dieser ist nicht der wieder-geborene Galilei, wie eine oberflächliche Forschung vielleicht finden könnte.

So finden wir also, daß solche Fälle vielfach vorliegen, und daß der Vorgang der Wiederverkörperung nicht so einfach ist, wie man meist annimmt. Daher muß auch viel größere Vorsicht angewendet werden

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wenn Menschen mit okkulten Mitteln ihre früheren Inkarnationen erforschen. In vielen Fällen ist es ja nichts als Kinderei, wenn Leute angeben oder sich einbilden, sie seien der wiedergeborene so und so, vielleicht Nero, Napoleon, Beethoven oder Goethe. Das ist natürlich albern und verwerflich. Aber die Sache ist viel gefährlicher, wenn vor­geschrittene Okkultisten in dieser Beziehung Fehler machen, sich viel­leicht einbilden, sie seien die Wiedergeburt von diesem oder jenem Manne, wenn sie in Wirklichkeit nur dessen Ätherkörper haben. Dann ist dies nicht nur ein Irrtum - der ja an und für sich bedauerlich ist -, sondern der Mensch lebt dann unter dem Einfluß dieser falschen Idee, und dies hat geradezu verheerende Wirkungen. Die ganze Seelenentwickelung nimmt einen falschen Gang durch diese Illusion.

Wir sehen also, daß nicht nur die Iche sich wiederverkörpern, son­dern daß auch die niederen Glieder in einem gewissen Sinne einen ähnlichen Vorgang durchmachen. Dadurch bekommt der Gesamt-vorgang der Wiederverkörperung eine viel kompliziertere Gestaltung, als man gewöhnlich annimmt. So sehen wir, daß das Ich des Zara­thustra sich wiederverkörpert als Zarathas-Nazarathos, welcher der Lehrer des Pythagoras wurde. Sein Astralleib tritt wieder auf in Hermes und sein Ätherleib in Moses. Nichts also geht verloren in der Welt, alles wird aufbewahrt und übertragen, wenn es nur wertvoll genug ist.

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DAS CHRISTENTUM IM ENTWICKELUNGSGANG UNSERER GEGENWÄRTIGEN MENSCHHEIT. FÜHRENDE INDIVIDUALITÄTEN UND AVATARISCHE WESENHEITEN Berlin, 15. Februar 1909

Sie haben aus dem einen Vortrag, der hier über kompliziertere Fragen der Wiederverkörperung gehalten worden ist, ersehen können, daß mit dem weiteren Fortschreiten in der geisteswissenschaftlichen Welt­anschauung dasjenige, was man anfangs geben konnte als elementare Wahrheiten, sich modifiziert, daß wir allmählich zu höheren und höheren Wahrheiten aufsteigen. Es bleibt deshalb doch richtig, daß man im Anfang die allgemeinen Weltwahrheiten so elementar, so ein­fach wie möglich darstellt. Es ist aber auch notwendig, daß man nach und nach vom Abc aus langsam hinaufdringt zu den höheren Wahr­heiten; denn durch diese höheren Wahrheiten wird ja erst allmählich das erreicht, was unter anderem die Geisteswissenschaft geben soll: die Möglichkeit nämlich, die Welt, die uns in der sinnlichen, in der physischen Sphäre umgibt, zu verstehen, zu durchdringen. Nun haben wir allerdings noch sehr weit hinauf, bis es uns gelingen wird, einigen Zusammenhang zeichnen zu können in den geistigen Linien und Kräften, die hinter der Sinneswelt sind. Aber schon durch manches, was in den letzten Stunden gesagt worden ist, wird diese oder jene Erscheinung unseres Daseins erklärlicher, klarer geworden sein. Heute wollen wir gerade in dieser Beziehung ein wenig vorschreiten, und auch da wollen wir wieder über kompliziertere Fragen der Reinkarna­tion, der Wiederverkörperung sprechen.

Dazu wollen wir uns heute vor allen Dingen klarmachen, daß zwischen den Wesenheiten, welche eine führende Stellung einnehmen in der Menschheitsentwickelung der Erde, ein Unterschied besteht. Wir haben im Laufe unserer Erdenentwickelung solche führenden Individualitäten zu unterscheiden, welche sozusagen von Anfang an mit der Menschheit unserer Erde, wie sie eben ist, sich entwickelt haben, nur daß sie schneller fortgeschritten sind. Man möchte so

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sagen: Wenn man zurückgeht bis in die Zeit der urfernen lemurischen Vergangenheit, so findet man unter den damals verkörperten Men­schenwesen die verschiedensten Entwickelungsgrade. Alle die Seelen, die damals verkörpert waren, haben durch die folgende atlantische Zeit, durch unsere nachatlantische Zeit immer wieder und wieder Reinkarnationen, Wiederverkörperungen durchgemacht. Mit einer verschiedenen Schnelligkeit haben sich die Seelen entwickelt. Da leben Seelen, die verhältnismäßig langsam durch die verschiedenen Inkarna­tionen sich hindurchentwickelt haben, die noch weite, weite Strecken in der Zukunft erst zu durchschreiten haben. Da sind aber auch solche Seelen, welche sich rasch entwickelt haben, die, man könnte sagen, in ausgiebigerem Maße ihre Inkarnationen benutzt haben, und die daher heute auf einer so hohen Stufe stehen in seelisch-geistiger, also in spiritueller Beziehung, daß der normale Mensch von heute erst in einer sehr, sehr fernen Zukunft zu einer solchen Stufe hinanschreiten wird. Aber wenn wir in dieser Sphäre von Seelen bleiben, so können wir doch sagen: So fortgeschritten diese einzelnen Seelen auch sein mögen, wie weit sie auch hinausragen mögen über den normalen Menschen, sie haben doch innerhalb unserer Erdenentwickelung einen gleichartigen Gang durchgemacht mit den übrigen Menschen; sie sind eben nur schneller fortgeschritten.

Außer diesen führenden Individualitäten, die also in dieser Art gleichartig sind mit den übrigen Menschen, nur auf einer höheren Stufe stehen, gibt es auch im Verlaufe der Menschheitsentwickelung andere Individualitäten, andere Wesenheiten, die keineswegs ebenso durch verschiedene Verkörperungen hindurchgegangen sind wie die andern Menschen. Wir können uns etwa veranschaulichen, was da zugrunde liegt, wenn wir uns sagen: Es hat Wesen gegeben zu eben der Zeit der lemurischen Entwickelung, die wir gerade in Betracht gezogen haben, welche es nicht mehr nötig hatten, so tief hinunter­zusteigen in die physische Verkörperung wie die andern Menschen, wie alle die Wesen, die eben geschildert worden sind, Wesen also, welche in höheren, geistigeren Regionen ihre Entwickelung weiter hinauf hätten durchlaufen können, die es also zu ihrem eigenen wei­teren Fortschreiten nicht nötig hatten, in fleischliche Leiber hinunterzusteigen.

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Solch eine Wesenheit kann aber dennoch, um einzugreifen in den Gang der Menschheitsentwickelung, sozusagen stellvertretend heruntersteigen eben in einen solchen Leib, wie ihn die Menschen haben. So daß also zu irgendeiner Zeit eine Wesenheit auftreten kann, und wenn wir sie hellseherisch in bezug auf ihre Seele prüfen, können wir bei ihr nicht wie bei andern Menschen sagen, wir verfolgen sie in der Zeit zurück und finden sie in einer vorhergehenden fleischlichen Inkarnation, verfolgen sie weiter zurück und finden sie wieder in einer andern Inkarnation und so weiter, sondern wir müssen uns sagen: Verfolgen wir die Seele einer solchen Wesenheit im Zeitenlauf zurück, so kommen wir vielleicht gar nicht zu einer früheren fleischlichen Inkarnation einer solchen Wesenheit. Wenn wir aber zu einer solchen kommen, dann ist es nur aus dem Grunde, weil eine solche Wesenheit auch öfter in Zwischenräumen heruntersteigen und sich stellvertretend in einem menschlichen Leib verkörpern kann. - Solch eine geistige Wesenheit, die also heruntersteigt in einen menschlichen Leib, um als Mensch einzugreifen in die Entwickelung, ohne daß sie sozusagen selber etwas von dieser Verkörperung hat, ohne daß dasjenige, was sie hier erfährt in der Welt, für sie selbst diese oder jene Bedeutung hat, wird in der morgenländischen Weisheit «Avatar» genannt. Und das ist der Unterschied zwischen einer führenden Wesenheit, die aus der Menschheitsentwickelung selbst hervorgegangen ist, und einer sol­chen, die man Avatar nennt, daß eine Avatarwesenheit für sich keine Früchte zu ziehen hat aus ihren physischen Verkörperungen, oder aus der einen physischen Verkörperung, der sie sich unterzieht, denn sie zieht als Wesenheit zum Heil und Fortschritt der Menschen in einen physischen Körper ein. Also wie gesagt: Entweder nur einmal, oder auch mehrmals hintereinander kann eine solche Avatarwesenheit in einen menschlichen Leib einziehen, und sie ist durchaus dann etwas anderes als eine andere menschliche Individualität.

Die größte Avatarwesenheit, die auf der Erde gelebt hat, wie Sie ja aus dem Geiste aller der Vorträge, die hier gehalten werden, ent­nehmen können, ist der Christus, diejenige Wesenheit, die wir als den Christus bezeichnen, und die im dreißigsten Jahre des Lebens des Jesus von Nazareth von dessen Körpern Besitz ergriffen hat. Diese

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Wesenheit, die erst im Beginne unserer Zeitrechnung mit unserer Erde in Berührung gekommen ist, drei Jahre verkörpert war in einem fleischlichen Leib, seit jener Zeit mit der astralen Sphäre, also mit der geistigen Sphäre unserer übersinnlichen Welt in Verbindung steht, diese Wesenheit ist als avatarische Wesenheit von einer ganz einzig­artigen Bedeutung. Wir würden die Christus-Wesenheit ganz ver­geblich in einer früheren menschlichen Verkörperung auf der Erde suchen, während andere, niedrigere Avatarwesenheiten sich allerdings auch öfters verkörpern können. Der Unterschied liegt nicht darin, daß sie sich öfter verkörpern, sondern daß sie für sich selber aus den Erdenverkörperungen keine Früchte ziehen. Die Menschen geben nichts der Welt, sie nehmen nur. Diese Wesenheiten geben nur, sie nehmen nichts von der Erde. Nun müssen Sie allerdings, wenn Sie diese Sache ganz ordentlich verstehen wollen, unterscheiden zwischen einer so hohen Avatarwesenheit, wie es der Christus war, und zwischen niedrigeren Avatarwesenheiten.

Die verschiedensten Aufgaben können solche Avatarwesenheiten auf unserer Erde haben. Wir können zunächst von einer solchen Auf­gabe avatarischer Wesenheiten sprechen. Und damit wir nicht im Spekulativen herumsprechen, wollen wir gleich an einen konkreten Fall herangehen und uns veranschaulichen, worinnen eine solche Auf­gabe bestehen kann.

Sie alle wissen aus der Erzählung, die sich um Noah herumgruppiert, daß in der althebräischen Darstellung ein großer Teil der nachatlantischen, der Nach-Noahschen Menschheit zurückgeführt wird auf die drei Stammväter Sem, Ham und Japhet. Heute wollen wir nicht weiter eingehen auf das, was uns in einer übrigen Hinsicht Noah und diese drei Stammväter darstellen wollen. Wir wollen uns nur klar­machen, daß das hebräische Schrifttum, das von Sem, dem einen Sohne Noahs spricht, den ganzen Stamm der Semiten auf Sem als auf dessen Stammvater zurückführt. Einer wirklich okkulten Anschauung über eine solche Sache, einer solchen Erzählung, liegen überall die tieferen Wahrheiten dabei zugrunde. Diejenigen, welche aus dem Okkultismus heraus eine solche Sache erforschen können, wissen über diesen Sem, den Stammvater der Semiten, das Folgende.

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Für eine solche Persönlichkeit, die der Stammvater eines ganzen Stammes werden soll, muß schon von der Geburt an, ja schon früher, vorgesorgt werden, daß sie eben dieser Stammvater sein kann. Wo­durch wird nun vorgesorgt dafür, daß eine solche Individualität, wie hier zum Beispiel der Sem, der Stammvater einer solchen ganzen Volks- oder Stammesgemeinschaft sein kann? Bei Sem ist das dadurch geschehen, daß er sozusagen einen ganz besonders zugerichteten Ätherleib erhielt. Wir wissen ja, daß der Mensch dann, wenn er hineingeboren wird in diese Welt, herumgliedert um seine Individua­lität seinen Äther- oder Lebensleib neben den andern Gliedern der menschlichen Wesenheit. Für einen solchen Stammahnen muß so­zusagen ein besonderer Ätherleib zubereitet werden, welcher gleich­sam der Musterätherleib ist für alle die Nachkommen, die dieser Indi­vidualität in den Generationen folgen. So daß wir bei einer solchen Stammesindividualität einen typischen Ätherleib haben, gleichsam den Musterätherleib; und dann geht durch die Blutsverwandtschaft die Sache durch die Generationen hindurch so, daß in einer gewissen Weise die Ätherleiber aller Nachkommen, die zu demselben Stamm gehören, Abbilder sind des Ätherleibes des Ahnen. So war in allen Ätherleibern des semitischen Volkes etwas wie ein Abbild des Äther­leibes des Sem eingewoben. Wodurch wird nun eine solche Sache herbeigeführt im Laufe der Menschheitsentwickelung?

Wenn wir uns diesen Sem genauer ansehen, so finden wir, daß sein Ätherleib dadurch seine urbildliche Gestalt erhalten hat, daß sich gerade in seinen Ätherleib ein Avatar eingewoben hat - wenn auch nicht ein so hoher Avatar, daß wir ihn mit gewissen andern Avatarwesenheiten vergleichen können; aber immerhin hatte sich eine hohe Avatarwesenheit heruntergesenkt in seinen Ätherleib, die allerdings mit dem astralischen Leib nicht verbunden gewesen ist und auch nicht mit dem Ich des Sem, aber sie hatte sich sozusagen eingewoben in den Ätherleib des Sem. Und wir können gerade gleich an diesem Beispiel studieren, was das für eine Bedeutung hat, wenn eine Avatarwesenheit an der Konstitution, an der Zusammensetzung des Menschen teil­nimmt. Was hat es denn überhaupt für einen Sinn, daß ein Mensch, der wie Sem eine solche Aufgabe hat, der Stammvater des ganzen Volkes

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zu sein, in seinen Leib sozusagen einverwoben erhält eine Avatar­wesenheit? Es hat das den Sinn, daß jedesmal, wenn eine Avatar­wesenheit einverwoben ist einem fleischlichen Menschen, irgendein Glied, oder auch mehrere Glieder dieser menschlichen Wesenheit sich vervielfältigen können, auseinandergesplittert werden können.

In der Tat war infolge der Tatsache, daß eine Avatarwesenheit dem Ätherleib des Sem einverwoben war, die Möglichkeit geboten, daß lauter Abbilder des Originals entstanden und diese unzähligen Ab­bilder einverwoben werden konnten all den Menschen, die in der Generationenfolge dem Stammvater nachfolgten Also das Herab­steigen einer Avatarwesenheit hat unter anderem den Sinn, daß es zur Vervielfältigung eines oder mehrerer Glieder der betreffenden Wesen­heit, die beseelt wird durch den Avatar, beiträgt. Lauter Abbilder des Originals entstehen, die alle darnach gebildet sind. Es war, wie Sie daraus sehen können, ein besonders wertvoller Ätherleib in diesem Sem vorhanden, ein urbildlicher Ätherleib, der durch einen hohen Avatar zubereitet und dann einverwoben worden ist dem Sem, so daß er dann in vielen Abbildern herabsteigen konnte zu all denen, die blutsverwandt sein sollten mit diesem Ahnen.

Nun haben wir ja schon in der eingangs erwähnten Stunde davon gesprochen, daß es auch eine spirituelle Ökonomie gibt, darin be­stehend, daß etwas, was besonders wertvoll ist, erhalten bleibt und hinübergetragen wird in die Zukunft. Wir haben gehört, daß nicht nur das Ich sich wiederverkörpert, sondern daß auch der astralische Leib und der Ätherleib sich wiederverkörpern können. Abgesehen davon, daß unzählige Abbilder des Ätherleibes des Sem entstanden, wurde auch wieder der eigene Ätherleib des Sem in der geistigen Welt auf­bewahrt, denn dieser Ätherleib konnte später sehr gut gebraucht wer­den in der Mission des hebräischen Volkes. In diesem Ätherleib waren ja ursprünglich alle Eigentümlichkeiten des hebräischen Volkes zum Ausdruck gekommen. Sollte einmal etwas ganz besonders Wichtiges geschehen für das alte hebräische Volk, sollte jemandem eine be­sondere Aufgabe, eine besondere Mission übertragen werden, dann konnte das am besten von einer Individualität geschehen, die in sich diesen Ätherleib des Stammvaters trug.

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Tatsächlich trug später eine in die Geschichte des hebräischen Volkes eingreifende Individualität den Ätherleib des Stammvaters. Hier haben wir in der Tat eine jener wunderbaren Komplikationen im Menschheitswerden, die uns so viel erklären können. Wir haben es zu tun mit einer sehr hohen Individualität, die sich sozusagen herablassen mußte, um zum hebräischen Volke in einer entsprechenden Weise zu reden und ihm die Kraft zu einer besonderen Mission zu geben, etwa so, wie wenn ein geistig besonders hervorragender Mensch zu einem niedrigen Volksstamm sprechen müßte, er ja die Sprache dieses Volks­stammes lernen müßte, aber man deshalb nicht behaupten muß, daß die Sprache irgend etwas ist, was ihn selbst höher bringt, der Be­treffende muß nur in diese Sprache sich hineinbequemen. So mußte sich eine hohe Individualität hineinbequemen in den Ätherleib des Sem selber, um einen ganz bestimmten Impuls dem althebräischen Volke geben zu können. Diese Individualität, diese Persönlichkeit ist dieselbe, die Sie unter dem Namen Melchisedek in der biblischen Ge­schichte finden. Das ist die Individualität, die sozusagen den Ätherleib des Sem sich anzog, um dann den Impuls an Abraham zu geben, den Sie dann so schön in der Bibel geschildert finden. Also abgesehen davon, daß das, was in der Individualität des Sem enthalten war, sich vervielfältigte dadurch, daß eine Avatarwesenheit darinnen verkörpert war und dann einverwoben wurde all den andern Ätherleibern der Angehörigen des hebräischen Volkes, wurde der eigene Ätherleib des Sem in der geistigen Welt aufbewahrt, damit ihn später Melchisedek tragen konnte, der dem hebräischen Volke durch Abraham einen wichtigen Impuls geben sollte.

So fein verwoben sind die Tatsachen, die hinter der physischen Welt sind und die uns das erst erklärlich machen, was in der physischen Welt vorgeht. Wir lernen die Geschichte erst dadurch kennen, daß wir auf solche Tatsachen hinweisen können: auf Tatsachen geistiger Art, die hinter den physischen Tatsachen stehen. Niemals kann die Ge­schichte aus sich selber erklärlich werden, wenn wir nur bei den physischen Tatsachen stehenbleiben.

Von einer ganz besonderen Wichtigkeit wird das, was wir jetzt er­örtert haben, daß durch das Herabsteigen einer Avatarwesenheit die

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Wesensglieder desjenigen Menschen, der Träger einer solchen Avatar­wesenheit ist, vervielfältigt werden und auf andere übertragen werden, in Abbildern des Urbildes erscheinen, von einer ganz besonderen Wichtigkeit wird das durch die Erscheinung des Christus auf der Erde. Dadurch, daß die Avatarwesenheit des Christus in dem Leib des Jesus von Nazareth wohnte, war die Möglichkeit gegeben, daß sowohl der Ätherleib des Jesus von Nazareth unzählige Male vervielfältigt wurde als auch der astralische Leib und sogar auch das Ich, das Ich als ein Impuls, wie er dazumal in dem astralischen Leib angefacht worden ist, als in die dreifache Hülle des Jesus von Nazareth der Christus einzog. Doch zunächst wollen wir darauf Rücksicht nehmen, daß durch die Avatarwesenheit vervielfältigt werden konnte der Ätherleib und der astralische Leib des Jesus von Nazareth.

Nun tritt in der Menschheit einer der bedeutsamsten Einschnitte auf, gerade durch das Erscheinen des Christus-Prinzips in der Erden­entwickelung. Was ich Ihnen von Sem erzählt habe, das ist im Grunde genommen typisch und charakteristisch für die vorchristliche Zeit. Wenn in dieser Weise ein Ätherleib oder auch ein astralischer Leib vervielfältigt wird, so werden die Abbilder desselben in der Regel auf solche Leute übergehen, die blutsverwandt sind mit dem, der das Urbild hatte. Auf die Angehörigen des hebräischen Stammes wurden daher die Abbilder des Sem-Ätherleibes übertragen. Das wurde anders durch das Erscheinen der Christus-Avatarwesenheit. Der Ätherleib und der astralische Leib des Jesus von Nazareth wurden vervielfältigt und als solche Vervielfältigungen nun aufgehoben, bis sie im Verlaufe der Menschheitsentwickelung gebraucht werden konnten. Aber sie waren nicht gebunden an diese oder jene Nationalität, an diesen oder jenen Stamm, sondern, wo sich in der Folgezeit ein Mensch fand, gleichgültig welche Nationalität er trug, der reif war, geeignet dazu war, in seinem eigenen astralischen Leib ein astralisches Abbild des Astralleibes des Jesus von Nazareth einverwoben zu erhalten oder ein ätherisches Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth, dem konnten diese einverwoben werden.

So sehen wir, wie die Möglichkeit gegeben war, daß in der Folgezeit, sagen wir, allerlei Leuten wie Abdrücke einverwoben wurden die

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Abbilder des astralischen Leibes oder des Ätherleibes des Jesus von Nazareth.

Mit dieser Tatsache hängt die intime Geschichte der christlichen Entwickelung zusammen. Was gewöhnlich als Geschichte der christ­lichen Entwickelung geschildert wird, ist eine Summe von ganz äußeren Vorgängen. Und daher wird auf das Hauptsächlichste, näm­lich auf die Scheidung in bezug auf wirkliche Perioden in der christlichen Entwickelung, viel zu wenig Rücksicht genommen. Wer tiefer in den Entwickelungsgang des Christentums Einblick halten kann, der wird leicht erkennen, daß in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeit die Art, wie das Christentum verbreitet wurde, eine ganz andere war als in den späteren Jahrhunderten. In den ersten christ­lichen Jahrhunderten war sozusagen die Verbreitung des Christen­tums gebunden an alles das, was man vom physischen Plan her er­ringen konnte. Wir brauchen nur bei den ersten Lehrern des Christen­tums Umschau zu halten, und wir werden sehen, wie da die physischen Erinnerungen, die physischen Zusammenhänge und alles, was physisch geblieben war, betont wird. Denken Sie nur daran, wie Irenäus, der in dem 1. Jahrhundert viel beigetragen hat zur Verbreitung der christ­lichen Lehre in den verschiedenen Ländern, gerade einen großen Wert darauf legt, daß Erinnerungen zurückreichen zu solchen, die noch selber die Apostelschüler gehört haben. Man legte großen Wert darauf, durch solche physischen Erinnerungen bewahrheiten zu kön­nen, daß der Christus in Palästina selber gelehrt hatte. Da wird zum Beispiel besonders betont, daß Papias selber gesessen hat zu den Füßen der Apostelschüler. Es werden sogar die Orte gezeigt und be­schrieben, wo solche Persönlichkeiten gesessen haben, die noch als Augenzeugen dafür da waren, daß Christus in Palästina gelebt hat. Der physische Fortschritt in der Erinnerung ist das, was besonders betont wird in den ersten Jahrhunderten des Christentums.

Wie sehr alles, was physisch geblieben ist, hervorgehoben wird, das sehen Sie an den Worten des alten Augustinus, der am Ende dieser Zeit steht und der da sagt: Warum glaube ich denn an die Wahrheiten des Christentums? Weil die Autorität der katholischen Kirche mich dazu zwingt. - Ihm ist die physische Autorität, daß etwas da ist in der

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physischen Welt, das Wichtige und Wesentliche, daß sich eine Körper­schaft erhalten hat, welche, Persönlichkeit an Persönlichkeit knüpfend, hinaufreicht bis zu dem, der ein Genosse des Christus war wie Petrus. Das ist für ihn das Maßgebende. Wir können also sehen, die Doku­mente, die Eindrücke des physischen Planes sind es, auf welche in den ersten Jahrhunderten der christlichen Verbreitung der größte Wert gelegt wird.

Das wird nunmehr nach der Zeit des Augustinus bis etwa in das 10., 11., 12. Jahrhundert hinein anders. Da ist es nicht mehr möglich, sich auf die lebendige Erinnerung zu berufen, nur die Dokumente des physischen Planes heranzuziehen, denn sie liegen zu weit zurück. Da ist auch in der ganzen Stimmung, in der Gesinnung der Menschen, die nunmehr das Christentum annahmen - und besonders ist das gerade bei den europäischen Völkern der Fall -, etwas ganz anderes vor­handen. In dieser Zeit ist in der Tat etwas da wie eine Art unmittel­bares Wissen, daß ein Christus existiert, daß ein Christus gestorben ist am Kreuz, daß er fortlebt. Es gab in der Zeit vom 4., 5. Jahrhundert bis zum 10., 12. Jahrhundert eine große Anzahl von Menschen, denen gegenüber es höchst töricht erschienen wäre, wenn man ihnen gesagt hätte, man könne an den Ereignissen von Palästina auch zweifeln, denn sie wußten es besser. Besonders über europäische Länder waren diese Menschen verbreitet. Sie hatten in sich selber immer erleben können etwas, was eine Art Paulus-Offenbarung im kleinen war, was Paulus, der bis dahin ein Saulus war, auf dem Wege nach Damaskus erfahren hat, und wodurch er ein Paulus wurde.

Wodurch hat in diesen Jahrhunderten eine Anzahl von Menschen solche, in einer gewissen Beziehung hellseherischen Offenbarungen über die Ereignisse von Palästina erhalten können? Das war dadurch möglich, daß in diesen Jahrhunderten die Abbilder des vervielfältigten Ätherleibes des Jesus von Nazareth, die aufbewahrt worden waren, einer großen Anzahl von Menschen einverwoben worden sind, daß sie diese sozusagen anziehen durften. Ihr Ätherleib bestand nicht aus­schließlich aus diesem Abbild des Ätherleibes des Jesus, aber es war ihrem Ätherleib einverwoben ein Nachbild des ursprünglichen Origi­nals des Jesus von Nazareth. Menschen, die in sich einen solchen

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Ätherleib haben konnten, und die dadurch unmittelbar ein Wissen haben konnten von dem Jesus von Nazareth und auch von dem Christus, solche Menschen gab es in diesen Jahrhunderten. Dadurch wurde aber auch das Christus-Bild losgelöst von der äußerlich histo­rischen, physischen Überlieferung. Und am meisten losgelöst erscheint es uns in jener wunderbaren Dichtung des 9. Jahrhunderts, die bekannt ist als die Heliand-Dichtung, die aus der Zeit Ludwigs des Frommen stammt, der von 814 bis 840 regiert hat, und die von einem äußerlich schlichten Manne des Sachsenlandes niedergeschrieben worden war. In bezug auf seinen astralischen Leib und sein Ich konnte er gar nicht heranreichen an das, was in seinem Ätherleibe war. Denn seinem Ätherleib war einverwoben ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth. Dieser schlichte sächsische Seelsorger, der diese Dichtung geschrieben hat, hatte aus unmittelbarer hellseherischer Anschauung die Gewißheit: der Christus ist vorhanden auf dem astralischen Plan, und der ist derselbe, der auf Golgatha gekreuzigt worden ist! Und weil das für ihn eine unmittelbare Gewißheit war, brauchte er sich nicht mehr an die historischen Dokumente zu halten. Er brauchte nicht mehr die physische Vermittlung, daß der Christus da war. Er schildert ihn daher auch losgelöst von der ganzen Szenerie in Palästina, losgelöst von dem Eigentümlichen des Jüdischen. Er schildert ihn etwa so wie einen Anführer eines mitteleuropäischen oder germanischen Stammes, und diejenigen, die als seine Bekenner, als die Apostel um ihn herum sind, beschreibt er so etwa wie die Dienst­mannen eines germanischen Fürsten. Alle äußere Szenerie ist ver­ändert, nur das, was das eigentlich Wesentliche, das Ewige an der Christus-Gestalt ist, was die Struktur der Ereignisse ist, das ist ge­blieben. Er also, der ein solches unmittelbares Wissen hatte, das sich auf solchen wichtigen Grund aufbaute, wie auf den Abdruck des Ätherleibes des Jesus von Nazareth, er war nicht angewiesen, da wo er von Christus sprach, sich ganz hart an die unmittelbaren histo­rischen Ereignisse zu halten. Er umkleidete das, was er als ein un­mittelbares Wissen hatte, mit einer andern äußeren Szenerie. Und so wie wir in diesem Schreiber der Heliand-Dichtung eine der merkwürdigen Persönlichkeiten haben schildern können, der einverwoben

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hatte in seinem Ätherleib ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth, so könnten wir andere Persönlichkeiten in dieser Zeit finden, die ein Gleiches hatten. So sehen wir, wie hinter den physischen Ereignissen das Allerwichtigste vorgeht, was uns in intimer Weise die Geschichte erklären kann.

Wenn wir nun weiter die christliche Entwickelung verfolgen, so kommen wir etwa ins 11., 12. bis 15. Jahrhundert hinauf. Da war nun wiederum ein ganz anderes Geheimnis, welches nun die ganze Ent­wickelung weitertrug. Erst war es sozusagen die Erinnerung an das, was auf dem physischen Plan war, dann war es das Ätherische, das unmittelbar sich hineinverwob in die Ätherleiber der Träger des Christentums in Mitteleuropa. In den späteren Jahrhunderten, vom 12. bis 15. Jahrhundert, da war es besonders der astralische Leib des Jesus von Nazareth, der in zahlreichen Abbildern einverwoben wurde den astralischen Leibern der wichtigsten Träger des Christentums. Solche Menschen hatten dann ein Ich, das sich als Ich sehr falsche Vorstellungen machen konnte von allem möglichen, aber in ihren astralischen Leibern lebte ein Unmittelbares an Kraft, an Hingebung, eine unmittelbare Gewißheit der heiligen Wahrheiten. Tiefe Inbrunst, ganz unmittelbare Überzeugung und unter Umständen auch die Fähig­keit, diese Überzeugung zu begründen, lag in solchen Menschen. Was uns manchmal gerade bei diesen Persönlichkeiten so sonderbar an­muten muß, das ist, daß sie in ihrem Ich oft gar nicht gewachsen waren dem, was ihr astralischer Leib enthielt, weil er einverwoben hatte ein Abbild des astralischen Leibes des Jesus von Nazareth. Grotesk erschien manchmal das, was ihr Ich tat, großartig und er­haben aber die Welt ihrer Stimmungen und Gefühle, ihrer Inbrunst. Eine solche Persönlichkeit zum Beispiel ist Franz von Assisi. Und gerade wenn wir Franz von Assisi studieren und nicht verstehen können als heutige Menschen sein bewußtes Ich und dennoch die allertiefste Verehrung haben müssen für seine ganze Gefühlswelt, für alles, was er getan hat, so wird das erklärlich unter einem solchen Gesichtspunkt. Er war einer derjenigen, die einverwoben hatten ein Abbild des astralischen Leibes des Jesus von Nazareth. Dadurch war er imstande, gerade das zu vollbringen, was er gerade vollbracht hat.

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Und zahlreiche seiner Anhänger aus dem Orden der Franziskaner mit seinen Dienern und Minoriten hatten in ähnlicher Weise solche Ab­bilder in ihrem astralischen Leib einverwoben.

Gerade alle die merkwürdigen, sonst rätselhaften Erscheinungen aus jener Zeit werden Ihnen lichtvoll und klar werden, wenn Sie dieses Vermitteln im Weltenwerden zwischen Vergangenheit und Zukunft sich ordentlich vor das Auge der Seele führen. Da kam es nun darauf an, ob diesen Leuten des Mittelalters vom astralischen Leibe des Jesus von Nazareth mehr einverwoben war dasjenige, was wir Empfindungsseele nennen oder mehr die Verstandesseele oder das, was wir Bewußtseinsseele nennen. Denn der astralische Leib des Men­schen muß ja in gewisser Beziehung alles dieses in sich enthaltend gedacht werden: also das Ich umschließend und dieses enthaltend gedacht werden, Empfindungsseele, Verstandes seele und Bewußtseinsseele. Ganz sozusagen Empfindungsseele des Jesus von Nazareth war alles in Franz von Assisi. Ganz Empfindungsseele des Jesus von Naza­reth war alles in jener wunderbaren Persönlichkeit, die Sie mit der Seele biographisch verfolgen werden, wenn Sie das Geheimnis ihres Lebens kennen: in der Elisabeth von Thüringen, 1207 geboren. Da haben wir eine solche Persönlichkeit, die einverwoben hatte in die Empfindungsseele ein Abbild des astralischen Leibes des Jesus von Naza­reth. Das Rätsel der Menschengestalt wird uns gerade durch solch ein Wissen gelöst.

Und vor allen Dingen wird Ihnen eine Erscheinung klar werden, wenn Sie wissen, daß in dieser Zeit die mannigfaltigsten Persönlich­keiten Empfindungsseele, Verstandesseele oder Bewußtseinsseele als Abbilder aus dem astralischen Leib des Jesus von Nazareth in sich einverwoben hatten: Es wird Ihnen verständlich werden jene Wissen­schaft, die sonst heute so wenig verstanden und so viel verlästert wird, die man gewöhnlich als die Scholastik bezeichnet. Was hatte sich denn die Scholastik für eine Aufgabe gestellt? Sie hatte sich die Aufgabe gestellt, aus Urteilsgründen heraus, aus dem Intellekt heraus Belege, Beweise zu finden für das, woran man keine historische Anknüpfung, keine physische Vermittlung hatte, und wofür man auch keine un­mittelbare hellseherische Gewißheit hatte, wie es in den vorherigen

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Jahrhunderten war durch den einverwobenen Ätherleib des Jesus von Nazareth. Diese Leute mußten sich so die Aufgabe stellen, daß sie sich sagten: Es ist uns durch Überlieferung mitgeteilt worden, daß in der Geschichte aufgetreten ist jene Wesenheit, die als der Christus Jesus bekannt ist, daß eingegriffen haben in die Menschheitsentwicke­lung andere geistige Wesenheiten, von denen uns die religiösen Urkunden zeugen. - Aus ihrer Verstandesseele heraus, aus dem In­tellekt des Abbildes des Jesus von Nazareth-Astralleibes stellten sie sich die Aufgabe, mit feinen und scharf ausgebauten Begriffen alles das zu beweisen, was in ihren Schriften als Mysterienwahrheiten da war. So entstand jene merkwürdige Wissenschaft, die das größte an Scharfsinn, an Intellekt zu leisten versucht hat, was überhaupt wohl in der Menschheit geleistet worden ist. Durch mehrere Jahrhunderte hindurch - man möge über den Inhalt der Scholastik denken, wie man will - wurde einfach dadurch, daß diese feine, feine Begriffsunterscheidung und Begriffskonturierung getrieben wurde, die Fähigkeit des menschlichen Nachdenkens gepflegt und der Zeitkultur ein­geprägt. Es war ja im 13. bis 15. Jahrhundert, daß die Menschheit durch die Scholastik eingeprägt erhalten hat die Fähigkeit, scharf­sinnig, eindringend logisch zu denken.

Bei denen, welchen wiederum mehr eingeprägt war die Bewußt­seinsseele beziehungsweise das Abbild, das sich als Bewußtseinsseele des Jesus von Nazareth auslebt, trat auf- weil in der Bewußtseinsseele das Ich sitzt - die besondere Erkenntnis, daß im Ich der Christus ge­funden werden kann. Und weil sie selber das Element der Bewußt­seinsseele aus dem astralischen Leib des Jesus von Nazareth in sich hatten, leuchtete in ihrem Innern ihnen der innere Christus auf, und durch diesen Astralleib erkannten sie, daß der Christus in ihrem Innern der Christus selber war. Das waren die, die Sie kennen als Meister Eckart, Johannes Tauler und die ganzen Träger der mittelalter­lichen Mystik.

So sehen Sie, wie die verschiedensten Phasen des astralischen Leibes, die dadurch vervielfältigt wurden, daß die hohe Avatarwesenheit des Christus eingezogen war in den Leib des Jesus von Nazareth, weiter wirkten in der folgenden Zeit und die eigentliche Entwickelung des

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Christentums bewirkten. Es ist übrigens auch sonst ein wichtiger Übergang. Wir sehen, wie die Menschheit in ihrer Entwickelung auch sonst darauf angewiesen ist, diese Stücke der Jesus von Nazareth­ Wesenheit in sich einverleibt zu erhalten. In den ersten Jahrhunderten waren Menschen da, die ganz auf den physischen Plan angewiesen waren; dann kamen Menschen in den folgenden Jahrhunderten, die zugänglich waren in ihrem Ätherleib eingewoben zu erhalten das Element des Ätherleibes des Jesus von Nazareth. Später waren die Menschen sozusagen mehr hingeordnet auf den astralischen Leib; daher konnte ihnen jetzt auch das Abbild des astralischen Leibes des Jesus von Nazareth einverleibt werden. Der astralische Leib ist der Träger der Urteilskraft. Die Urteilskraft erwacht ganz besonders im 12. bis 14. Jahrhundert. Das könnten Sie auch noch aus einer andern Erscheinung ersehen.

Bis zu dieser Zeit war es ganz besonders klar, welche Mysterientiefen das Abendmahl enthielt. Das Abendmahl wurde so hingenom­men - höchstens im kleinen wurde darüber diskutiert -, daß man selbst alles das zu empfinden verstand, was in den Worten lag: «Dies ist mein Leib und dies ist mein Blut...», weil der Christus daraufhinwies, daß er vereinigt sein werde mit der Erde, der planetarische Geist der Erde sein werde. Und weil das Kostbarste aus der physischen Erde das Mehl ist, deshalb wurde dem Menschen das Mehl zum Leibe des Christus, und der Saft, der durch die Pflanzen, durch die Reben geht, wurde ihnen etwas von dem Blute des Christus. Durch dieses Wissen wurde der Wert des Abendmahls nicht verringert, sondern im Gegenteil erhöht. Etwas von diesen unendlichen Tiefen fühlte man in diesen Jahrhunderten, bis dann die Urteilskraft im astralischen Leib erwachte. Von da ab erwacht auch erst der Zweifel. Von da ab begann auch erst der Streit über das Abendmahl. Denken Sie einmal darüber nach, wie im Hussitismus, wie im Luthertum und seinen Spaltungen des Zwinglianismus und Calvinismus diskutiert wird, was das Abend­mahl sein soll! Solche Diskussionen wären früher nicht möglich ge­wesen, weil man da noch ein unmittelbares Wissen von dem Abend­mahl hatte. Aber da sehen wir bewahrheitet ein großes historisches Gesetz, das besonders für Geisteswissenschafter wichtig sein sollte:

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Solange die Leute wußten, was das Abendmahl war, hatten sie nicht diskutiert, erst als sie verloren hatten das unmittelbare Wissen vom Abendmahl, fingen sie zu diskutieren an. Betrachten Sie es überhaupt als ein Anzeichen, daß man irgendeine Sache eigentlich nicht weiß, wenn man über diese Sache zu diskutieren anfängt. Wo Wissen ist, wird das Wissen erzählt, und da ist eigentlich keine besondere Lust am Diskutieren vorhanden. Wo Lust am Diskutieren ist, da ist in der Regel kein Wissen von der Wahrheit. Die Diskussion beginnt erst mit dem Nichtwissen, und es ist stets und überall ein Zeichen des Verfalls in bezug auf den Ernst einer Sache, wenn Diskussionen beginnen. Auflösung der betreffenden Strömung kündigt sich immer mit Dis­kussionen an. Das ist sehr wichtig, daß man das auf geisteswissen­schaftlichem Felde immer wieder und wieder begreifen lernt, daß der Wille zum Diskutieren eigentlich als ein Zeichen der Unwissenheit aufgefaßt werden darf. Dagegen sollte dasjenige, was dem Diskutieren gegenübersteht, der Wille zum Lernen, der Wille, nach und nach ein­zusehen, um was es sich handelt, gepflegt werden.

Hier sehen wir eine große historische Tatsache an der Entwickelung des Christentums selber bewahrheitet. Wir können aber noch etwas anderes lernen, wenn wir sehen, wie in diesen charakterisierten Jahrhunderten des Christentums die Urteilskraft - das, was im astralischen Leibe ist -, diese scharfe intellektuelle Weisheit ausgestaltet wird. Allerdings, wenn wir Realitäten, nicht Dogmen, ins Auge fassen, dann können wir daran lernen, was das Christentum im Fortschreiten überhaupt alles getan hat. Was ist denn aus der Scholastik geworden, wenn wir sie nicht ihrem Inhalt nach auffassen, sondern wenn wir sie als Heranzüchtung, Heranerziehung von Fähigkeiten ins Auge fassen? Wissen Sie, was daraus geworden ist? Die moderne Naturwissenschaft ist daraus geworden! Die moderne Naturwissenschaft ist gar nicht denkbar ohne die Realität einer christlichen Wissenschaft des Mittel­alters. Nicht nur, daß Kopernikus ein Domherr war, daß Giordano Bruno ein Dominikaner war, sondern alle die Gedankenformen, mit denen man seit dem 15., 16. Jahrhundert über die Naturobjekte sich her­machte, sind nichts anderes als das, was heranerzogen, herangezüchtet worden ist vom 11. bis 16. Jahrhundert durch die christliche Wissenschaft

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des Mittelalters. Diejenigen leben nicht in der Realität, sondern in Abstraktionen, die da nachschlagen in den Büchern der Scholastik, das mit der neueren Naturwissenschaft vergleichen und dann sagen: Haeckel und so weiter behaupten etwas ganz anderes. Auf Realitäten kommt es an! Ein Haeckel, ein Darwin, ein Du Bois-Reymond, ein Huxley und andere wären alle unmöglich, wenn nicht die christliche Wissenschaft des Mittelalters vorangegangen wäre. Denn daß sie so denken können, das verdanken sie der christlichen Wissenschaft des Mittelalters. Das ist die Realität. Daran hat die Menschheit denken gelernt. im wahren Sinne des Wortes.

Die Sache geht noch weiter. Lesen Sie David Friedrich Strauß. Ver­suchen Sie zu schauen auf die Art und Weise, wie er denkt. Versuchen Sie seine Gedankengebilde sich klarzulegen: wie er darstellen will, daß das ganze Leben des Jesus von Nazareth ein Mythos ist. Wissen Sie, woher er die Gedankenschärfe hat? Er hat sie aus der christlichen Wissenschaft des Mittelalters. Alles das, womit man heute das Christen­tum so radikal bekämpft, das ist gelernt an der christlichen Wissen­schaft des Mittelalters. Es könnte heute eigentlich gar keinen Gegner des Christentums geben, bei dem man nicht leicht nachweisen könnte, daß er gar nicht so denken könnte, wie er denkt, wenn er die Ge­dankenformen nicht gelernt hätte an der christlichen Wissenschaft des Mittelalters. Das hieße allerdings die Weltgeschichte real betrachten.

Und was ist denn seit dem 16. Jahrhundert geschehen? Seit dem 16. Jahrhundert ist immer mehr und mehr das Ich selber zur Geltung gekommen, damit auch der menschliche Egoismus und damit der Materialismus. Man hat verlernt und vergessen, was das Ich alles an Inhalt aufgenommen hat: man mußte sich daher beschränken auf das, was das Ich beobachten kann, was das Instrument der Sinnlichkeit dem gewöhnlichen Verstande geben kann, und nur das konnte es in die innerliche Wohnstätte nehmen. Eine Kultur der Egoität ist die Kultur seit dem 16. Jahrhundert. Was muß nun in dieses Ich hinein­kommen? Die christliche Entwickelung hat durchgemacht eine Ent­wickelung in dem äußeren physischen Leib, eine Entwickelung im Ätherleib, eine solche im astralischen Leib, und bis zum Ich ist sie hinaufgedrungen. Jetzt muß sie in dieses Ich aufnehmen die Mysterien

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und Geheinmisse des Christentums selber. Jetzt muß es möglich sein, das Ich zum Christus-empfänglichen Organ zu machen, nachdem eine Weile das Ich das Denken gelernt hat durch das Christentum und die Gedanken angewendet hat auf die Außenwelt. Jetzt muß dieses Ich wiederum die Weisheit finden, welche die Urweisheit des großen Avatars, des Christus selber ist. Und wodurch muß das geschehen? Durch die geisteswissenschaftliche Vertiefung des Christentums. Sorg­sam vorbereitet durch die drei Stufen der physischen, der ätherischen und der astralischen Entwickelung, würde es jetzt darauf ankommen, daß im Innern das Organ sich dem Menschen erschließe, um nunmehr in seine geistige Umwelt zu schauen mit jenem Auge, das ihm der Christus öffnen kann. Als die größte Avatarwesenheit ist der Christus auf die Erde herabgestiegen. Stellen wir uns auf diese Perspektive ein: versuchen wir so die Welt anzuschauen, wie wir die Welt anschauen können, wenn wir den Christus in uns aufgenommen haben. Dann finden wir unseren ganzen Weltenwerdegang durchglüht und durchflutet von der Christus-Wesenheit. Das heißt, wir schildern, wie nach und nach entstanden ist auf dem Saturn der physische Leib des Men­schen, wie auf der Sonne der Ätherleib hinzutrat, auf dem Mond der astralische Leib, und auf der Erde dann das Ich dazugekommen ist, und wir finden, wie das alles zu dem Ziel hinstrebt, immer selbständi­ger und individueller zu werden, um jene Weisheit, die von der Sonne zur Erde übergeht, der Erdenentwickelung einzuverleiben. Sozusagen zu dem perspektivischen Mittelpunkt der Weltenbetrachtung muß für das freigewordene Ich der neueren Zeit der Christus und das Christen­tum werden.

So sehen Sie, wie das Christentum sich nach und nach vorbereitet hat zu dem, was es werden soll. Mit seiner physischen Erkenntnisfähigkeit hat in den ersten Jahrhunderten der Christ das Christentum aufgenommen, dann später mit seiner ätherischen Erkenntnisfähigkeit und mit seiner astralischen Erkenntnisfähigkeit durch das Mittelalter hindurch. Dann wurde das Christentum in seiner wahren Gestalt eine Weile zurückgedrängt, bis das Ich durch die drei Leiber im Werdegang der nachchristlichen Entwickelung erzogen worden ist. Aber nachdem dieses Ich denken und den Blick in die objektive Welt hinauszurichten

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gelernt hat, ist es jetzt auch reif, in dieser objektiven Welt in allen Erscheinungen das zu schauen, was an geistigen Tatsachen mit der Mittelpunktswesenheit, mit der Christus-Wesenheit so innig ver­knüpft ist: den Christus in den mannigfaltigsten Gestalten allüberall als die Grundlage zu schauen.

Damit stehen wir am Ausgangspunkte eben des geisteswissenschaft­lichen Begreifens und Erkennens des Christentums, und wir erkennen, welche Aufgabe, welche Mission dieser Bewegung für Geist-Erkennt­nis zugeteilt ist. Da erkennen wir zugleich die Realität dieser Mission. So wie der einzelne Mensch physischen Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich hat, und nach und nach hinaufsteigt zu immer höheren Höhen, so ist es auch im geschichtlichen Werdegang des Christentums. Man möchte sagen: Auch das Christentum hat einen physischen Leib, einen Ätherleib, einen Astralleib und ein Ich, ein Ich, das sogar seinen Ursprung verleugnen kann wie in unserer Zeit, wie überhaupt das Ich egoistisch werden kann, aber doch ein Ich, das zu gleicher Zeit auch die wahre Christus -Wesenheit in sich aufnehmen und zu immer höhe­ren Stufen des Daseins aufsteigen kann. - Was der Mensch im einzelnen ist, das ist die große Welt sowohl in ihrer Gesamtheit als im Verlauf ihres geschichtlichen Werdens.

Wenn wir die Sache so betrachten, eröffnet sich uns vom geistes-wissenschaftlichen Standpunkt aus eine weite Zukunftsperspektive. Und wir wissen, wie diese unser Herz ergreifen und mit Enthusiasmus erfüllen kann. Wir begreifen immer mehr und mehr, was wir zu tun haben, und wir wissen auch, daß wir nicht im dunkeln tappen. Denn wir haben uns keine Ideen ausgeheckt, die wir willkürlich in die Zu­kunft hineinstellen wollen, sondern diejenigen Ideen wollen wir haben und ihnen allein folgen, die nach und nach durch die Jahrhunderte der christlichen Entwickelung vorbereitet worden sind. So wahr es ist, daß das Ich erst erscheinen und nach und nach hinaufentwickelt wer­den muß zum Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmenschen, nach­dem der physische Leib, der Ätherleib und astralische Leib zuerst vorhanden waren, so wahr konnte sich der moderne Mensch mit seiner Ich-Gestalt, mit seinem heutigen Denken nur entwickeln aus der astralischen, der ätherischen und der physischen Gestalt des

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Christentums heraus. Ich ist das Christentum geworden. So wahr, wie das die Entwickelung aus der Vergangenheit war, so wahr ist es, daß die Ich-Gestalt der Menschheit erst in Erscheinung treten kann, nach­dem die astralische und ätherische Gestalt des Christentums entwickelt worden ist. Das Christentum wird sich in die Zukunft fortentwickeln, es wird noch ganz andere Dinge der Menschheit darbieten, und die christliche Entwickelung und die christliche Lebenshaltung werden in neuer Gestalt erstehen: es wird der umgewandelte astralische Leib erscheinen als das christliche Geistselbst, der umgewandelte Ätherleib als der christliche Lebensgeist. Und in einer leuchtenden Zukunfts­perspektive des Christentums glänzt vor unserer Seele auf als der Stern, dem wir zuleben, der Geistesmensch, ganz durchleuchtet und durchglüht von dem Geiste des Christentums.

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INTIMERE REINKARNATIONSFRAGEN München, 7. März 1909

Es ist mir eine Aufgabe jetzt, in den verschiedenen Zweigen über ein ganz bestimmtes Thema zu sprechen, weil dieses Thema uns immer mehr und mehr innerlich bekanntwerden und uns durchdringen soll, nämlich das Thema «Intimere Wiederverkörperungs- oder Reinkarna­tionsfragen» und verschiedenes, was damit im Zusammenhange steht. Daher werden wir auch heute über diese intimeren Fragen der Reinkarnation und deren Bedeutung für das ganze Leben der Mensch­heit einiges zu besprechen haben. Unseren Ausgang werden wir zu nehmen haben von sehr alten Zeiten, und werden uns aber dann nach und nach wichtigen Fragen der Gegenwart nähern. Es ist in unserer Geisteswissenschaft einmal so, daß man in ihr anders vorschreiten muß als in andern Lebensanschauungs- oder etwa in gesellschaftlichen Fragen. Man muß in der Geisteswissenschaft zuerst die Tatsachen des Lebens im allgemeinen behandeln, und sie dann mehr ins einzelne herausarbeiten. Es wird in unserer Weltanschauung im allerelementar­sten Sinn zunächst davon gesprochen, wie sich des Menschen innerer Wesenskern, sein göttliches Ich von Leben zu Leben immer wiederum fortentwickelt, wie es sich reinkarniert. Damit ist aber die Frage der Reinkarnation eigentlich nur in einem elementaren Sinn behandelt, und es handelt sich jetzt darum, diese Dinge genauer und intimer zu schildern. Denn damit ist es nicht abgetan, daß das Ich des Menschen von Leben zu Leben eilt, sondern es gibt noch manches andere, was mit diesen Wiederverkörperungsfragen zusammenhängt und eigent­lich erst das richtige Licht in diese Wiederverkörperungsfragen und ihre Zusammenhänge mit dem Leben bringt. Wenn wir nun zurückblicken in alte Zeiten, so wollen wir sie von diesem Gesichtspunkte aus charakterisieren.

Wir haben oft davon gesprochen, daß die Menschheit ihre Vorfahren zu suchen hat in der alten Atlantis, also in dem Landgebiet zwischen dem heutigen Afrika und Europa einerseits und Amerika andererseits. Da waren in Leibern, die zum Teile von den heutigen

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Menschenleibern recht verschieden sind, alle die Seelen schon verkörpert, die heute hier sitzen. Da haben wir die nächste Vorfahrenschaft der Menschheit zu suchen. Diese atlantische Menschheit hatte nun ihre ganz bestimmte Führerschaft. Es waren aber die Seelenkräfte, überhaupt alle Fähigkeiten der atlantischen Menschheit anders als die unserer heutigen Menschheit. Daher gab es in der alten Atlantis nicht das, was wir etwa heute als Führerschaft haben. Und wenn wir etwas von dieser alten Atlantis herausgreifen: Kirchen, Kultus stätten und Schulen im heutigen Sinne gab es damals nicht. Es gab etwas wie ein Zwischending zwischen Kultusstätte und Schule; es gab eben im aus­geprägtesten Maße das, was wir als Mysterienstätten kennen. Diese hatten in bezug auf Erkenntnis und das äußere Leben durchaus die Führung der Atlantier. Man möchte sagen, daß die geistigen Führer zu gleicher Zeit die Könige der atlantischen Volksstämme waren. Ein Wort, das natürlich erst später geprägt worden ist, kann uns wiedergeben den Sinn von der Aufgabe dieser atlantischen Mysterien, dieser atlantischen Kultusstätten und Schulen, von denen aus die Ein­geweihten der Atlantier wirkten, von denen aus sie sowohl mit Er­kenntnis die einzelnen Menschen befruchteten, wie auch die Führer­schaft über sie ausübten. Dieses Wort, das eben später geprägt worden ist, aber heute uns wiedergibt die Aufgabe der Mysterienstätten, ist das Wort «Orakel». Daher sprechen wir von den atlantischen Orakeln als den großen Mittelpunkten atlantischer Kultur.

Wir müssen uns einen Begriff machen von dem, was diese Orakel zu tun hatten. Sie hatten den Menschen Lehren zu verkünden über die geistige Welt, die hinter der physischen ist. Diese Lehre der geistigen Welt ist nun nicht so - wenn wir zunächst nur dieses eine Merkmal hervorheben - im Raume beschränkt als unsere Erkenntnis in bezug auf die physische Welt. Wer da weiß, welches die Geheimnisse zum Beispiel des Mars sind, der weiß überhaupt einen großen Teil von den geistigen Geheimnissen unserer Welt. Alle diese physischen Weltenkörper unseres Sonnensystems zunächst sind ja in Verbindung mit­einander, sind der äußere Ausdruck von geistigen Wesenheiten. Wer diese geistigen Wesenheiten kennt, der kennt auch die Kräfte, die von Planet zu Planet gehen, welche also in der geistigen Welt, in der wir

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uns zwischen Tod und neuer Geburt befinden, wirksam sind. Es gab nun ein Orakel, welches vorzugsweise die Aufgabe hatte, die Ge­heimnisse des Mars, ein anderes, welches die Aufgabe hatte, die Ge­heimnisse des Jupiter und so weiter den Menschen zu verkünden und zu übermitteln, und aus diesen einzelnen Erkenntnissen gewann man die Möglichkeit, gewisse Volksmassen zu führen. Ein anderes Mal werden wir davon sprechen, warum das so war, heute wollen wir es nur andeuten. Unsere Aufgabe ist heute eine andere.

Die atlantischen Völker waren in Gruppen geteilt und mit der gan­zen Entwickelung hing es zusammen, daß eine Gruppe der Menschen insbesondere regiert werden mußte mit den Kräften, die man ge­winnen konnte durch Erkenntnis des Mars. Eine andere Gruppe war zu regieren mit den Kräften, die man gewinnen konnte mit den Erkenntnissen des Jupiter oder mit denen der Venus, des Merkur und so weiter. Es gab ja in der alten Atlantis das, was man nennen konnte Jupitermenschen oder Marsmenschen. Sieben Orakelstätten gab es, weil das Leben der Atlantis nach den verschiedenen Merkmalen der Rassenbildung in sieben Gruppen zerfiel. Es gab das Mars-, Venus-, Merkur-, Jupiterorakel und so weiter: alles Namen, die später geprägt wurden, aber anwendbar sind auf diese Orakelstätten. Und die Führer­schaft, gleichsam die Oberherrschaft über sie hatte das Orakel, das wir bezeichnen können als das uralte atlantische Sonnenorakel. Was an Orakeln nach der atlantischen Zeit in Griechenland, Ägypten und so weiter war, alles das, was in Asien an Orakeln war, waren Nachzügler der großen atlantischen Orakel. Das Apolloorakel Griechenlands war ein Nachzügler des Sonnenorakels der atlantischen Zeit. Der Ein­geweihte, der an der Spitze des Sonnenorakels stand, war der Träger der tiefsten Geheimnisse unseres Sonnensystems. Er hatte mit seinen Untergebenen zu erforschen, was das geistige Leben der Sonne selbst war. Alle die Geheimnisse unseres ganzen Planeten-Sonnensystems hatte er damit als Botschaft zu verkünden der atlantischen Menschheit und er hatte die Oberherrschaft über die andern Orakelstätten aus­zuüben.

Diesem Eingeweihten des Sonnenorakeis fiel eine ganz besondere Aufgabe zu. Ihm fiel die Aufgabe zu, die Menschheit so zu leiten und

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zu führen, damit sie sich, wenn die große atlantische Katastrophe, die mit dem Untergange der Atlantis endete, vorüber sein würde, in die nachatlantische Zeit hinein fortpflanzen und begründen könne die Kulturen, die wir öfter als die nachatlantischen besprochen haben. Also es hatte der große Eingeweihte des Sonnenorakels die Aufgabe, die Menschen schon während der atlantischen Zeit so vorzubereiten, daß in der nachatlantischen die altindische, altpersische, ägyptisch­babylonisch-jüdische, die griechisch-lateinische Kultur kommen konnte, daß geeignetes Menschenmaterial dazu vorhanden sei.

Nun müssen wir uns ein wenig unterrichten über die Aufgabe dieses großen Eingeweihten des Sonnenorakels. Was war eigentlich atlantische Kultur? Sie war ganz anders als die späteren Kulturen. Der­jenige war in der alten Atlantis an der Spitze der Kultur, gleich einem heutigen großen Führer in der Gelehrsamkeit oder Kunst oder In­dustrie oder Handel, der über besondere hellseherische Kräfte ver­fügte und besonders magisch zu wirken wußte. Was heute den Men­schen zum Führer, zum Gelehrten und so weiter macht, das gab es damals noch nicht oder höchstens in den allerersten Anfängen. Rech­nen, Zählen, Kombinieren, verstandesmäßiges Urteilen wie heute, gab es nicht. Es waren primitive Kräfte hellseherischer Art, hellseherischer Kraft vorhanden, die hineinschauen konnten in die geistigen Welten. Ohne das heutige Selbstbewußtsein sah damals der Mensch in die geistige Welt hinein, und wer am besten hineinschaute, der war Träger der atlantischen Kultur. Wir haben hervorgehoben, daß die Atlantier gewisse innere Kräfte der Natur beherrschten, zum Beispiel die Samen-kräfte der Pflanzen, daß sie damit ebenso ihre Fahrzeuge lenkten, wie heute der Mensch mit den Kräften der Steinkohle seine Fahrzeuge lenkt. So waren diejenigen, die die Führer der atlantischen Kultur waren, nicht wie Menschen von heute, die durch die Urteilskraft die Geheimnisse der Welt zu erforschen suchen, sondern diejenigen, die die größten Hellseher und Magier waren, die gingen an der Spitze. Und jene Menschen, die die allerersten Entwickelungskeime hatten zum Rechnen, Zählen, Kombinieren, verstandesmäßigen Urteilen, waren in einer gewissen Beziehung durch ihre Schlichtheit verachtet, gehörten nicht zu dem, was die Aristokratie der Kultur ausmachte.

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Aber gerade diese Menschen, die die allerersten Anfänge dieser nach-atlantischen Fähigkeiten hatten, die am wenigsten hatten von dem Hellsehen, von den magischen Kräften, die sammelte sich der große Führer des Sonnenorakels aus allen Gegenden zusammen. Es waren die schlichtesten, in einer gewissen Beziehung verachtetsten Leute der alten Atlantis; die sammelte er sich. Mit ihnen hatte er ja gerade das zu begründen, was nachatlantische Kultur werden sollte. Das, was an der Spitze der atlantischen Kultur marschierte, was das dämmerhafte Hellsehen am meisten beherrschte, war kein brauchbares Material, um hinübergeführt zu werden über die große atlantische Katastrophe. An die schlichten Leute der Atlantis, die zuerst die intellektuellen Fähig­keiten entwickelten, erging der Ruf des großen Eingeweihten des Sonnenorakels.

Nur nebenbei sei erwähnt, daß wir heute in einer ähnlichen Zeit leben, daß heute wiederum ein ähnlicher Ruf an die Menschheit ergeht. Allerdings, so wie es heute, wo die Menschheit nur äußerlich, nur auf dem physischen Plan sieht, sein muß: Aus unbekannten Geistestiefen heraus, welche die Menschheit nach und nach kennen­lernen wird, ergeht der Ruf an die Menschheit, wiederum vorzuberei­ten etwas, was als neue, von hellseherischen Kräften wieder durch­zogene Kultur der Zukunft dastehen soll. Eine Katastrophe wird kommen, ähnlich der atlantischen, und dann wird eine neue Kultur mit spirituellen Fähigkeiten aufgehen, die verknüpft sein wird mit dem, was wir die umfassende Bruderschaftsidee der Menschheit nennen.

Auch heute kann nicht der Ruf an diejenigen ergehen und verstanden werden, welche an der Spitze unserer Kultur stehen. Die Stellung, welche die atlantischen Hellseher und Magier eingenommen haben, die dazu bestimmt waren sozusagen auszusterben mit ihrer Kultur, dieselbe Stellung nehmen heute diejenigen ein, die an der Spitze der Gelehrsamkeit und des äußeren industriellen Lebens stehen, die großen Erfinder und Entdecker der Gegenwart. So viel sie auch noch zu tun haben, sie nehmen dieselbe Stellung ein. Sie sehen ver­achtungsvoll herunter auf diejenigen, die etwas zu fühlen beginnen von dem spirituellen Leben, das folgen soll. Dieses Bewußtsein muß

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sich derjenige in die Seele pflanzen, der heute in seiner Mitarbeiterschaft gestärkt werden soll in den theosophischen Arbeitsgruppen. Wenn mit Verachtung geblickt wird auf die kleinen Konventikel von seiten der Führer der heutigen Kultur, so muß der, welcher fleißig in seiner Seele mitarbeitet an der Vorbereitung eines Zukünftigen, sich sagen: Auf diejenigen, die heute an der Spitze stehen mit ihrer intellek­tuellen Kraft, auf die ist nicht gerechnet. Gerade die, die von ihnen verachtet werden, von denen gesagt wird, daß sie nicht auf der Höhe der heutigen Gelehrsamkeit stehen, gerade diese Menschen werden heute gesammelt - so wie gesammelt worden sind die schlichten Leute der alten Atlantis von dem Führer des Sonnenorakels -, um vor­zubereiten eine künftige Kultur, um die Morgenröte zu sein der­selben, während in der Gelehrsamkeit die Abendröte der heutigen Kultur vor uns steht. Das sei nebenbei gesagt zur Stärkung derjenigen, die die Angriffe von Seite derer, die an der Spitze unserer Kultur wandeln wollen, auszuhalten und ihnen standzuhalten haben.

Dieser große Eingeweihte des Sonnenorakels sammelte nun seine schlichten Leute in einer Gegend ungefähr westwärts vom heutigen Irland. Nun müssen wir uns die Situation klarmachen. Die Atlantis ging im Laufe langer, langer Zeiträume zugrunde. Immer wieder zogen mächtige Völkerschaften von Westen nach Osten. In den ver­schiedensten Gebieten von Asien, Europa und Afrika saßen Völker, die in verschiedenen Zeiten angekommen waren und sich mischten. Da brach auch der große Führer des Sonnenorakels mit seiner kleinen Schar auf, um in der Mitte von Asien eine Kolonie zu gründen, von der ausgehen sollten die Strömungen, welche die nachatlantischen Kulturen begründeten. Neben seinen schlichten Leuten hatte aber der große Führer noch etwas anderes mitgenommen. Und hier kommen wir an eines der Kapitel, wo wir eben ein durch das Zweigleben in der Geisteswissenschaft gefestigtes und etwas gestärktes Herz brauchen, um überhaupt eine Ahnung zu haben von der Wahrheit dessen, was da gesagt wird.

Es inspizierte gleichsam der große Führer die andern Orakelstätten und er hatte aufzusuchen die größten Eingeweihten der verschiedenen Orakel. Nun gibt es eine gewisse Methode, durch die das in Ausführung

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gesetzt werden kann, was man nennen könnte «spirituelle Ökonomie». Sie wissen ja, und es ist ganz richtig, wenn es so ge­schildert wird, daß, nachdem der Mensch gestorben ist, sein Ätherleib sich auflöst. Nur ein Extrakt bleibt und wird mitgenommen. Das ist aber nur die elementare Wahrheit. Diese Wahrheit muß modifiziert werden, wenn man weiter aufsteigt in der spirituellen Erkenntnis. Nicht alle Ätherleiber aller Menschen werden in dieser Weise auf­gelöst im allgemeinen Äther. Solche Ätherleiber, wie sie die größten Eingeweihten der sieben alten atlantischen Orakel hatten, sind wert­voll. In sie sind hineinverwoben die spirituellen Arbeiten dieser Ein­geweihten, und es wäre gegen die spirituelle Ökonomie, wenn diese Ätherleiber der großen Eingeweihten einfach aufgelöst würden. Sie bleiben erhalten wie Modelle für eine spätere Zeit, und der große Eingeweihte des Sonnenorakels hatte die sieben Modelle der sieben bedeutendsten Eingeweihten aufzubewahren. Er nahm sie mit. Da er seine schlichte Schar hinüberführte nach Asien, nahm er die sieben Ätherleiber der sieben bedeutendsten Eingeweihten der alten Atlantis mit. So etwas ist möglich durch die Methoden, die in den Mysterien ausgebildet werden. So etwas kann man machen. Sie müssen sich durchaus spirituelle Vorgänge vorstellen und nicht etwa, daß man die Ätherleiber in Schachteln verpacken kann; aber man kann sie für spätere Zeiten aufbewahren.

In Asien drüben machte nun der Führer folgendes: Von Generation zu Generation pflanzten sich fort die schlichten Leute, die als eine Schar sich um den Führer gesammelt hatten. Sie hatten vor allen Dingen eine ungeheure Ergebenheit und unendliche Anhänglichkeit an ihren großen Führer. Von Generation zu Generation pflanzten sie sich fort und ihre Erziehung wurde in bestimmter Weise klug und spirituell bedeutsam geleitet, so geleitet, daß nach langen Genera­tionen folgendes möglich wurde, wiederum durch eine der Methoden, die in den Mysterien ausgearbeitet werden, die sich abspielen hinter den Kulissen des äußeren Lebens. Wir werden sehen, wie solche Methoden wirken. Es soll der heutige Vortrag der Anfang sein von vielen, die einzelnes dann erklären können.

Es ist durch solche Methoden durchaus möglich, daß man, wenn

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der Mensch wiederum heruntersteigt zu einer neuen Verkörperung, wo er sich wiederum mit einem Ätherleib umgeben muß, daß man in diesen Ätherleib einverwebt einen alten Ätherleib, den man auf­bewahrt hat. Und so wurde, als die Zeit gekommen war, da durch eine sorgfältige Erziehung der eingewanderten Schar und ihrer Nach­kommen sieben Leute da waren, bei welchen so etwas vorgenommen werden konnte, es wurden ihnen einverwoben bei ihrer Geburt die aufbewahrten sieben Ätherleiber der sieben bedeutendsten Eingeweihten der atlantischen Orakel. Einer von denen, die da um den großen Führer des Sonnenorakels waren, bekam eingewoben den Ätherleib des bedeutendsten Saturneingeweihten, ein anderer den des Mars-, ein dritter den des Jupitereingeweihten und so weiter. Und so hatte der große Führer sieben Leute, denen einverwoben waren die sieben Ätherleiber der sieben bedeutendsten Eingeweihten der alten atlanti­schen Orakel. Wenn Sie diesen sieben Leuten begegnet wären irgend­wo im Alltag, so würden Sie sie gefunden haben als schlichte Leute, denn sie waren nicht die wiederverkörperten Iche der atlantischen Eingeweihten, sondern waren eben schlichte Leute mit den neuen Fähigkeiten der nachatlantischen Zeit. In ihrem Ich unterschieden sie sich nicht besonders von dem, was sozusagen die erste schlichte primitive Kultur war in dieser Zeit unmittelbar nach der atlantischen Katastrophe. Aber in ihrem Ätherleib hatten sie die Kräfte der sieben großen atlantischen Eingeweihten. Wir haben hier eine Wiederverkör­perung nicht des Ich, sondern der Ätherleiber der atlantischen Ein­geweihten. So sehen wir, daß nicht nur das Ich sich wiederverkörpern kann, sondern daß auch das zweite Glied der menschlichen Wesenheit für sich sich wiederverkörpern kann. Und dadurch, daß diese Sieben aus der Gefolgschaft des großen Eingeweihten des Sonnenorakels diese Ätherleiber erhielten mit den Kräften, die eben von der atlanti­schen Zeit darinnen waren, dadurch waren sie große Inspirierte. Sie hatten in gewissen Stunden die Fähigkeit, hereinströmen zu lassen in ihre Ätherleiber die Kräfte, welche die Geheimnisse von Sonne, Mars, Saturn und so weiter enthüllten. Daher erschienen sie wie Inspirierte, die in ihrer Botschaft weit hinausreichten über das, was sie in ihrem Astralleib oder in ihrem Ich hätten beurteilen können. Wie ein wunderbarer

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harmonischer Chor wirkten zusammen die Botschaften, welche von den verschiedensten Gliedern der Welt zusammenklingen ließen diese Sieben, die in der Loge der sieben Rishis vereinigt und hinuntergeschickt wurden nach Indien, wo sie die uralte indische Kultur zu inspirieren hatten. Es ist uns viel und Großes von dieser Kultur in wunderbarer Form erhalten in den Veden, es ist uns Wunderbares erhalten von der tiefen wissenschaftlichen Art dieser indischen Kultur in den Upanishaden, in der Vedantaphilosophie und so weiter; aber das, was die alten heiligen Rishis gelehrt hatten, wo noch nichts niedergeschrieben worden ist, das ragt weit hinaus über das, was uns als Schönstes mitgeteilt worden ist in den indischen Schriften. Wie ein schwaches Nachklingen erweist sich das, was später aufgeschrieben worden ist. Denn von der uralt heiligen Kultur der Rishis wurde nichts aufgeschrieben, das pflanzte sich durch die Mysterien auf geistige Art fort.

Uns soll heute interessieren, wie Ätherleiber wiederverkörpert wer­den können und wie das, was in der alten atlantischen Zeit erarbeitet worden ist, durch die Mysterien herüberverpflanzt wurde durch den großen Eingeweihten des Sonnenorakels in die nachatlantische Zeit und in die erste Kultur, die indische Kultur herübergetragen worden ist, welche so groß heraufstrahlt.

Nur die Geheimnisse des Sonnenorakels selber konnten nicht un­mittelbar gegeben werden im alten Indien. Daher sprechen diese sieben Rishis von einer Wesenheit, die jenseits ihrer Wissenssphäre war. Sie sprachen von jenem Wesen, das die Sonne selber führt und die Sonnenkräfte der Erde zuführt und von dem sie sagten, daß es jenseits ihrer Erkenntnismöglichkeit liegt, von dem Vishva-Karman. Dieser Vishva-Karman ist nichts anderes als der spätere Christus. Er wurde auch schon in der alten indischen Kultur verkündet.

Der zweite bedeutsame Schüler des Eingeweihten des Sonnen­orakels, der nun die Geheimnisse des Sonnenwesens übermittelt er­hielt, war derjenige, der einst die zweite nachatlantische Kultur be­gründen sollte: Zarathustra. Nicht der Zarathustra, von dem die Gelehrsamkeit spricht. Es war in alten Zeiten so üblich, daß der Nachfolger eines großen Menschheitslehrers denselben Namen annahm

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wie der große Vorfahr. Von dem Zarathustra, von dem wir jetzt reden, redet allerdings kein Buch, sondern nur von seinem letzten Nachfolger reden die Bücher. Dieser uralte Zarathustra war es, wel­cher eine ururalte persische Kultur begründete, die zuerst die persischen Völker hinwies darauf, daß es in der Tat ebenso eine geistige Macht in der Sonne gibt, wie es eine physische gibt, die herunterströmt auf die Erde. So etwas suchte der alte Zarathustra in seinen Menschen zu erwecken, was wir charakterisieren können, indem wir sagen: Wenn wir die Augen auf die Pflanzen und alles andere, was ringsherum Leben hat, richten, wenn wir das tun,so müssen wir fragen: Was wäre es ohne Sonnenlicht? Aber wie das physische Sonnenlicht herunterfließt, so ffießt herunter die spirituelle Kraft, deren Führer eine große überragende Wesenheit ist. Wie der Mensch seinen physischen Leib hat und seine Aura, diejenige Aura, die wir die kleine Aura nennen, so hat auch die Sonne ihren physischen Leib und ihre Aura: Ahura Mazdao, die große Aura, die Schar der großen Sonnenwesen mit ihrem Führer. Von diesem Ahura Mazdao oder Aura Mazdao, von der großen Aura sprach Zarathustra. Ebenso nun, wie der Zarathustra diese die Fortentwickelung bewirkende Kraft der Sonnenaura ver­kündete, so verkündete er auch die der Sonnenwesenheit feindlichen Kräfte als Ahriman. Das waren die Lehren Zarathustras äußerlich.

Aber Zarathustra hatte seine intimen Schüler, die er einweihte in die großen Geheimnisse der Welt. Zwei der Schüler Zarathustras kommen für uns in Betracht. Dem einen der Schüler vermittelte der Zarathustra alle diejenigen Weistümer, die zum Hellsehen im Astral­leibe führen. Er vermittelte ihm alles das, was man wahrnehmen kann in der Welt des physischen und geistigen Raumes sozusagen in derselben Zeit, in der man eben ist. So daß er einen Schüler hatte, der von ihm hellseherisch gemacht worden ist im astralischen Leibe, der hineinschauen konnte in die geistigen Welten der Astral- und Deva­chansphäre und in noch höhere Welten. Alles, was gleichzeitig aus­gebreitet ist an physischen und geistigen Geheimnissen, wurde diesem Schüler übermittelt. Einem andern Schüler übermittelte er alles das, was man bezeichnen könnte als Lesen in der Akasha-Chronik, als jene hellseherische Kraft, die kommt, wenn der Ätherleib hellseherisch

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wird, wodurch der Mensch die verschiedenen Phasen der Entwicke­lung, die sich nacheinander abspielten, wahrnimmt. Während der eine übermittelt erhielt das, was gleichzeitig sich abspielt, erhielt der andere das übermittelt, was die Akasha-Chronik der Erde und Sonne selbst überhaupt ist, was sich nacheinander abspielt, und zum Verständnis der Erden- und Sonnenentwickelung führen kann. Dadurch, daß Zarathustra dieses seinen Schülern gegeben hat, wirkte er in der Richtung, daß nun die Kultur der nachatlantischen Zeit weitergehen konnte. Denn der eine Schüler wurde wiedergeboren als der große Inspirator, als der Einleiter der ägyptischen Kultur, als die Wesenheit, die wir kennen unter dem Namen Hermes, Hermes Trismegistos. Dieser Hermes hatte nun zugleich übermittelt erhalten, damit er verkündigen konnte die Botschaft von den höheren Welten und ihren Geheimnissen und sie einverleiben konnte der ägyptischen Kultur, er hat übermittelt erhalten durch Vorgänge, die bekannt sind in den Mysterien, den Astralleib des Zarathustra. So sehen wir, daß der Astralleib des Zarathustra aufbewahrt worden war durch jene Vor­gänge, welche wir nach und nach kennenlernen werden, und nun übertragen wurde bei der Wiedergeburt des einen Schülers, über­tragen wurde an Hermes. Wie ein Kleid trug Hermes diesen wiedergeborenen Astralleib des Zarathustra.

Auch der andere Schüler wurde wiedergeboren. Ihm sollte aufgehen alles das, was in der Akasha-Chronik der Erde sich darbietet. Er sollte einverwoben erhalten den Ätherleib des Zarathustra. Dazu mußte eine ganz besondere Sache sich abspielen. Er mußte in gewisser Weise aufleuchten haben in sich die Kräfte dieses Ätherleibes. Was da geschah, ist uns in der entsprechenden religiösen Urkunde in einer schönen, wunderbaren Weise angedeutet. Führen wir uns vor die Seele, wie sich das eigentlich abspielen mußte.

Dieser wiedergeborene Schüler des Zarathustra hatte ja seinen eigenen Astralleib, sein eigenes Ich, und er erhielt einverwoben den Ätherleib des Zarathustra. Er mußte also als kleines Kind aufgehen fühlen die Kräfte aus diesem Ätherleib des Zarathustra, bevor noch die eigene Urteilskraft aus dem Astralleib angeregt war, bevor das Ich hineinpfuschte. Da mußte eine Art Initiation stattfinden. Als ganz

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kleines Kind, bevor noch die eigene individuelle Entwickelung mit­spielte, mußten auferweckt werden in diesem wiedergeborenen Schüler die Kräfte des Ätherleibes des Zarathustra. Daher wurde das Kind eingeschlossen in ein Kästchen und ins Wasser gesetzt, so daß es abgeschlossen war von der übrigen Welt und diese nicht hineinspielen konnte. Da keimten auf die Kräfte des Ätherleibes des Zara­thustra. Dieser wiedergeborene Schüler des Zarathustra ist nämlich Moses, und in der Erzählung von Moses und seiner Aussetzung haben wir nichts anderes gegeben als jenes tiefe Geheimnis, welches hinter den Kulissen der äußeren Welt vor sich gegangen ist, von der Auf­bewahrung des Ätherleibes des Zarathustra und seiner Wiedererweckung in Moses. Dadurch konnten Hermes und Moses die nachatlantische Kultur so weiterleiten, wie es geschehen ist.

Hier haben wir Beispiele von Wiederverkörperungen von Ätherleibern, von der Wiederverkörperung eines Astralleibes. So daß wir nicht bloß sprechen von einer Wiederverkörperung des Ich, sondern von der Wiederverkörperung der Glieder der menschlichen Natur, die wir sonst auch kennengelernt haben: des Ätherleibes und Astralleibes. In der spirituellen Ökonomie liegt es begründet, daß dasjenige, was erobert worden ist, nicht zugrunde geht, sondern daß es erhalten bleibt und auf die Nachwelt verpflanzt wird. Aber auch in anderer Weise kann dies, was gesagt worden ist, geschehen. An einem andern Beispiel wollen wir sehen, wie es wiederum andere Methoden gibt, um die Vergangenheit in die Zukunft zu tragen.

Sie erinnern sich an eine Persönlichkeit, welche in der Bibel erwähnt wird, an einen der Söhne des Noah, an den Stammvater des semiti­schen Volksstammes, an Sem. Es liegt - das ist auch okkultistisch nachzuweisen - hinter Sem eine Individualität, die wir als Stammindividualität der semitischen Völker bezeichnen müssen. Es stammen von diesem Urvater die semitischen Völker ab. Wenn so etwas sich vollzieht, daß von einem Stammvater eine Anzahl von Menschen abstammt, dann muß eine besondere Vorkehrung in der spirituellen Welt getroffen werden. Diese Vorkehrung spielte sich im besonderen Falle des Sem so ab: Es wurde für den Sem aus der geistigen Welt heraus ein eigener Ätherleib gewoben. Sem trug also einen Ätherleib,

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der aus der geistigen Welt heraus besonders gewoben wurde. Dadurch war er fähig geworden, in seinem eigenen Ätherleib eine besonders hohe Wesenheit aus der geistigen Welt zu tragen, eine hohe Wesenheit, die sich sonst nicht hätte verkörpern können auf der Erde, eine Wesen­heit, die nicht imstande gewesen wäre, bis zum dichten physischen Leibe zu gehen, die sich nun so verkörperte, daß sie sich hineinbegeben konnte in den Ätherleib des Sem, so daß dieser Sem erstens er selber war - er hatte seinen physischen, Äther-, Astralleib und sein Ich -, daß dann aber in den Sem hineinverwoben war ein Ätherleib, der besonders zubereitet worden ist für den eben charakterisierten Zweck der Gründung eines Stammes. Aber in diesen Ätherleib war hineinverwoben eine andere hohe Wesenheit der geistigen Welt. So daß dem hellseherischen Bewußtsein, wenn es sich gegenübergestellt hätte dem Sem, sich dargestellt hätte der Sem selber und herausragend aus ihm, wie eine zweite Wesenheit, verbunden mit Sems Ätherleib, diese höhere Wesenheit, eine solche Wesenheit, die sich herabsteigend-also nicht Sem - gleichsam in einem Menschen verkörperte zu einer besondern Aufgabe. Die hat also nicht hinter sich verschiedene In­karnationen wie die Menschen, sondern steigt in diese eine Inkarnation herab. Eine solche Wesenheit nennt man Avatar. Sie ist nicht mensch­lich heimisch in unserer Welt, sondern steigt herab, um einmal zu einer bestimmten Mission zu wohnen innerhalb dieser Welt.

Dadurch, daß eine solche avatarische Wesenheit in einem Menschen wohnt, hat der Teil des Menschen, den dieser bewohnt, noch eine ganz besondere Eigenschaft. Er kann sich nämlich vervielfältigen. Geradeso wie wenn Sie ein Samenkorn in die Erde stecken und der Halm wächst heraus und Sie finden in der Ähre eine Vervielfachung des Kornes, so vervieffältigte sich der Ätherleib des Sem in viele Abbilder, und diese wurden einverwoben allen denjenigen, die zum Stamme Sem gehörten. So geht es. So haben wir in denjenigen, die echte Abkömmlinge waren des Sem, hineinverwoben in ihre eigenen Ätherleiber die Abbilder des Ätherleibes, der damals besonders zu­bereitet worden war als das Urbild in dem Sem.

Aber noch in anderer Weise wurde dieser Ätherleib des Sem später benützt. Wie diese Benutzung war, können wir uns am besten vor die

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Seele rufen durch einen Vergleich. Sie können ein bedeutender euro­päischer Bildungsmensch sein. Wenn Sie aber zu den Hottentotten ihre Bildung tragen wollen, müssen Sie die Hottentottensprache ler­nen. So müssen auch hohe Wesenheiten, die heruntersteigen, wenn sie die Menschheit führen wollen, sich einverweben die Kräfte, durch die sie auf der Erde zu den Menschen sprechen können. Nun gab es in einer späteren Entwickelungsphase des semitischen Volkes die Notwendigkeit, daß eine sehr bedeutende Wesenheit herabstieg auf die Erde, um sich den Menschen mitzuteilen und die Kultur weiter­zuschieben. Diese Wesenheit, die erwähnt wird unter dem Namen Melchisedek, mußte nun sich gleichsam anziehen den erhaltengeblie­benen Ätherleib des Sem, so daß wir in Melchisedeks Ätherleib einverwoben haben jenen Ätherleib, der einstmals in Sem vorhanden war, der von einem avatarischen Wesen bewohnt war und der wieder von Melchisedek benützt wird, damit er dem Abraham den Impuls zum Weiterstoß der semitischen Kultur geben kann. So haben wir wieder eine eigentümliche Art kennengelernt, wie der Ätherleib sich fortbildet in einem bestimmten Menschen, dann von einem bestimm­ten Menschen wiederum zu einer dazu ausersehenen Individualität führt.

Solche Beispiele können wir bis in die neueste Zeit herauf verfolgen Und wenn wir sie so herauf verfolgen, dann wird uns allmählich klar, was der Okkultismus heute schon wirklich sagen kann: Bei den mei­sten Menschen der Gegenwart haben wir gar nicht mehr einen Ätherleib, der ursprünglich, oder einen Astralleib, der ursprünglich heraus­gewoben wurde aus dem allgemeinen Weltengewebe. Fast jeder Mensch hat ein Stück in seinem Äther- und Astralleib, das aus alten Zeiten aufbewahrt worden ist, weil in der spirituellen Ökonomie das Brauchbare immer weiter und weiter aufbewahrt wird.

Es seien noch aus der neuen Zeit zwei Beispiele erwähnt, die uns veranschaulichen können, in welcher Art die Geheimnisse von Zeit zu Zeit wirken. Zunächst das Beispiel, das anknüpft an die Persönlich­keit, die Sie erwähnt finden in meiner «Mystik im Aufgange des neu­zeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Welt-anschauung», an Nikolaus von Kues. Wenn Sie seine Schriften lesen, so

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finden Sie eine, die von ihm genannt ist «De docta ignorantia», die gelehrte Unwissenheit, obwohl mehr Gelehrsamkeit drinnensteckt als in manchem Buch, das sich gelehrte Wissenheit nennt. Sie heißt aus gewissen Gründen so. Wenn Sie andere seiner Schriften lesen, so werden Sie finden, daß in merkwürdiger Weise hineinverwoben ist die prophetische Vorherverkündigung des Weltbildes des Kopernikus. Ganz drinnen ist es für den, der da lesen will. Bei Kopernikus erst war die Sache so, daß die Welt reif war, in der unmittelbaren Gestalt dieses Weltbild entgegenzunehmen. Wenn man den Zusammenhang durchforscht, so bekommt man folgendes heraus. In dem Nikolaus von Kues steckte in einem seiner Wesensglieder eine sehr hohe alte Indi­vidualität. Dadurch war es möglich, daß der Astralleib des Nikolaus von Kues aufbewahrt wurde und hinübergeleitet wurde so, daß er eingewoben werden konnte dem Nikolaus Kopernikus, so daß dieser einverwoben hatte den Astralleib des Nikolaus von Kues. Daher konnte in ihm gleichsam auferstehen, was Nikolaus von Kues in sich hatte. Das ist ein solches Beispiel, wie der Astralleib sich wiederverkörpert hat.

Ein anderes Beispiel ist das Folgende: Diejenigen unter Ihnen, die nachgedacht haben über die Sache, wissen, welche ungeheure Bedeu­tung für das neue Denken Galilei hat. Denn es gäbe eigentlich unsere ganze Physik nicht, wenn es nicht Galilei gegeben hätte. Die ganze Art, wie heute physikalisch gedacht wird, führt zurück auf Galilei. Jeder Schulknabe findet heute in den allerersten, in den elementaren Büchern, daß es das Beharrungsvermögen oder das Trägheitsgesetz gibt, das besagt, daß ein Körper in der Bewegung, in der er sich befindet, zu bleiben trachtet, bis ein Hindernis kommt. Also wenn wir etwas werfen, so wird das vermöge seiner eigenen Trägheit weiterfliegen, bis ein Hindernis kommt. So denkt man heute, und so wird es den Kindern in den Schulbüchern beigebracht. Vor Galilei dachte man nicht so. Da dachte man: Wenn ein Stein weitergeworfen wird, so könnte er nicht fliegen, wenn die Luft ihn nicht weitertreiben, nicht hinten anschieben würde. Ganz anders wurde da über diese Dinge gedacht. Also die Gesetze des Falles, der Pendelbewegung, die Ge­setze der einfachen Maschine, alles das ist zurückzuführen auf Galilei.

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Galilei schöpfte seine Erkenntnisse aus einer gewissen Inspiration heraus. Ich will Sie nur daran erinnern, wie er die Pendelgesetze erkannte an jener schwingenden Kirchenlampe im Dome von Pisa. Eine geniale Tat war die Entdeckung der Pendelgesetze durch Galilei! Viele Menschen sind an dieser Lampe vorübergegangen und ihnen ist nichts eingefallen. Dem Galilei sind aufgegangen die großen mecha­nischen Grundgesetze. Ein solcher Mensch, der in dieser Weise inspi­riert sein kann, hat einen Ätherleib, welchen verfallen zu lassen wider­sprechen würde der spirituellen Ökonomie. Dieser Ätherleib wurde ebenfalls aufbewahrt und nach verhältnismäßig kurzer Zeit erscheint er wieder. Er wird verwendet so, daß er einverwoben wird einer Persönlichkeit, die ebenfalls Bedeutsames leistete. Einverwoben wurde er derjenigen Persönlichkeit, die in einem ganz fernen Bauerndorfe Rußlands aufwächst, da eines Tages den Eltern durchgeht und aufbricht nach Moskau. Schon bald entwickelt sich bei diesem Menschen eine hohe Begabung und schnell macht er in Schulen Rußlands und Deutschlands alles das durch, was ihn sozusagen auf die Höhe der Kultur seiner Zeit bringen kann. Er hatte nur nachzuholen, was über die Erde gegangen war seit der Zeit, seit er als Galilei - im Ätherleib - gestorben war. Und dann wird dieser selbe Mensch sozusagen der Begründer der ganzen klassischen Literatur in Rußland. Wie aus dem Nichts heraus schafft er diese Schriften. Aber nicht nur dieses, er wird auch ein bedeutender Anreger auf allen Gebieten der Mechanik, des physikalischen und chemischen Lebens der Wissenschaft. Es ist Michail Lomonossow, der da also durchaus nur dadurch zu seiner reformatori­schen Tat kommen konnte, daß ihm einverwoben war der Ätherleib des Galilei. Wenn wir sehen, wie gegen das Ende des 17. Jahrhunderts Galilei stirbt und am Anfange des 18. Jahrhunderts Michail Lomo­nossow geboren wird mit demselben Ätherleib, so sehen wir eine von jenen intimen Wiederverkörperungen, wo ein anderes Wesensglied als das Ich wiederverkörpert wird. Solche Dinge führen uns tief hinein in das Verständnis des ganzen Hergangs der Menschheits­entwickelung und sie führen uns zum Verständnis mancher andern Tatsachen, die sich entwickelt haben im Laufe der Zeit und die zu unserer Gegenwart heraufgeführt haben.

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Der größte Avatar auf der Erde war Christus selber, der Christus, der gewohnt hat durch drei Jahre hindurch in den drei Leibern des Jesus von Nazareth. Dadurch, daß der Christus gewohnt hat in den drei Leibern des Jesus von Nazareth als Avatar, dadurch ist es auch möglich geworden, daß für diese drei Leiber, vor allen Dingen für Astral- und Ätherleib des Jesus etwas eintrat, was ich eben charakterisiert habe: eine Vervielfältigung. In der Tat, nachdem das Mysterium von Golgatha sich vollzogen hatte, waren in der geistigen Welt durch die wunderbare Ökonomie in vielen, vielen Abbildern vorhanden der Astralleib und Ätherleib des Jesus von Nazareth. Also: wie wenn wir die Urbilder hätten im Astral- und Ätherleib des Jesus von Nazareth, und jetzt waren viele Abbilder da. Dadurch, daß ein Avatar hinein­fährt in eine menschliche Hülle, dadurch wird sie auseinandergetrieben und ist in vielen Abbildern da. Nun hatten diese Abbilder des Astral­leibes und Ätherleibes des Jesus von Nazareth im Verhältnis zum Beispiel zu den Abbildern des Ätherleibes des Sem noch eine be­sondere Eigenschaft. Die Abbilder des Ätherleibes des Sem konnten nur eingepflanzt werden denjenigen, die abstammten von Sem, wäh­rend die Astral- und Ätherleiber, die abstammten von dem Astral- und Ätherleib des Jesus von Nazareth, einverpflanzt werden konnten allen Menschen der verschiedensten Völker und Rassen. Jedem, der sich durch seine eigene Entwickelung reif gemacht hatte, so etwas in seinen eigenen Astral- oder Ätherleib einverwoben zu erhalten, welcher Rasse er auch angehört, konnte einverpflanzt werden dieser Astral­und Ätherleib, die Abbilder waren des Urbildes vom Astralleibe und Ätherleibe des Jesus von Nazareth. Und wir sehen in der nachfolgenden Entwickelung des Christentums, wie sich hinter den äußeren geschichtlichen Ereignissen merkwürdige Dinge vollziehen, die erst erklärlich machen den äußerlichen Verlauf der Ereignisse selber.

Wie ist die Verbreitung des Christentums? In den ersten Jahr­hunderten so, daß wir sagen können: Es ist diese Verbreitung auf den physischen Plan angewiesen. Wir sehen auch betont, daß durch das­jenige, was auf dem physischen Plan lebt, das Christentum fort­gepflanzt wird. Wird es doch von den Aposteln hervorgehoben, daß der Fortpflanzung des Christentums die unmittelbare, sinnenfällige

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Wahrnehmung zugrunde liegt. «Wir haben unsere Hände in seine Wundmale gelegt», das wird angeführt zum Beweise dafür, daß der Christus in einem Menschenieibe gewandelt hat. Betont wurde so­zusagen das, was der physische Plan als Unterlage für die Entwicke­lung des Christentums bieten konnte. Es wird immer erwähnt, wie diejenigen, die noch selber Schüler der Apostel waren, das Christen­tum fortgepflanzt hatten, indem hervorgehoben wird, daß sie gekannt haben solche, die noch dem Herrn selber gefolgt sind. Also sozusagen auf den Augenschein wird gebaut. Und in einem noch tieferen Sinne wird bis Äugustinus hin auf den Augenschein gebaut. Augustinus sagt Ich würde an die Wahrheit der Evangelien nicht glauben, wenn mich nicht die Autorität der katholischen Kirche dazu zwänge. - Warum also glaubt er? Weil er der Ansicht ist, daß die sichtbare Kirche dieses Evangelium von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, von Jahrhundert zu Jahr­hundert auf dem physischen Plan fortgepflanzt hat. Aber in den fol­genden Jahrhunderten, von dem 5. bis zum 10. Jahrhundert, da ge­schieht diese Fortpflanzung auf andere Weise. Warum und wie? Das ist lehrreich, wenn wir den spirituellen Fortgang der Menschheitsentwickelung verfolgen wollen.

Die Art der Fortpflanzung in dieser Periode können Sie sich ver­anschaulichen, wenn Sie zum Beispiel ein solches Werk nehmen wie die altsächsische Evangelienharmonie, den «Heliand». Da haben Sie das, was die Christus-Idee ist, die Anschauung vom Christus-Wesen, durch eine Art Eingeweihten dargestellt. Der Heliand, den der säch­sische Eingeweihte darstellt, ist übersinnlich; aber er wird ein­gekleidet nicht in die Ereignisse von Palästina, sondern wie ein Fürst eines germanischen Stammes. Die Jünger sind einzelne Leute aus germanischen Ländern. Das ganze Christentum ist da getaucht in ein mitteleuropäisches Kleid. Warum? Weil der Eingeweihte, der hinter dem Heliand steht, der, angeregt durch Ludwig den Frommen, diese Geschichte schrieb, ein hellseherisches Vermögen hatte, um den Christus in einer ähnlichen Weise zu sehen wie Paulus selber bei dem Ereignis von Damaskus. Dadurch, daß durch das Ereignis von Gol­gatha die Christus-Wesenheit sich verbunden hat dem Astralleibe der Erde, dadurch hat er die Erdenaura mit seiner Kraft durchdrungen,

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und als der Paulus hellseherisch geworden war, konnte er wahr­nehmen: der Christus ist da. Er hat sich nicht zum Glauben bewegen lassen durch das, was in Palästina geschehen war; aber dadurch, daß er ihn selber gesehen hat, ihn, der einverwoben war der Erde, dadurch war aus Saulus ein Paulus geworden. Ähnlich sah den ewigen, den auf­erstandenen Christus, den Christus, der in der geistigen Welt lebt seit Golgatha, der Verfasser des «Heliand», und ihm war er wichtiger als der historische Christus von Palästina. Er kleidet ihn in ein anderes Bild ein; denn nicht das äußere Bild war ihm das Wichtige, sondern der geistige Christus. Warum konnte der, der den «Heliand» schrieb, ein solches Bild aus hellseherischer Anschauung mitteilen? Weil sei­nem Ätherleib einverwoben war ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth. Denn in diesen Jahrhunderten, von dem 5., 6. bis ins 9., 10. Jahrhundert hinein wurde in die Ätherleiber derer, die etwas leisten sollten für den Fortgang des Christentums, hineinverwoben ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth. Ein solcher, der ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth einverwoben hatte, war der Schreiber des «Heliand».

Aber viele haben solch ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth einverwoben erhalten. Daher sehen wir, daß in diesen Jahr­hunderten diese Menschen in Imaginationen lebten, welche sich anschlossen an die Ereignisse von Golgatha. Alle diejenigen, die die Urbilder des Heilands am Kreuze, der Maria mit dem Jesuskinde geschaffen haben, die nachher wiederholt wurden, es waren solche Leute, die zu diesen bildlichen Darstellungen des Ereignisses von Golgatha und was damit zusammenhängt, gekommen waren dadurch, daß ihnen einverwoben war in den eigenen Ätherleib ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth. In diesen Zeiten sind wie typisch diese Bilder entstanden dadurch, daß diese Leute hellseherisch waren. Dadurch entstanden die Dinge, die sich fortpflanzten dann durch die Tradition. Was wir an bildlichen Darstellungen des Ereignisses von Golgatha haben, es rührt her von Leuten, denen einverwoben waren solche Abbilder des Ätherleibes des Jesus. Sie schauten gerade dadurch in ihren Visionen das Ereignis von Golgatha und was damit zusammenhängt. Auch derjenige, der die «Einteilung der Natur»

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geschrieben hat zur Zeit Karis des Kahlen, Johannes Scotus Erigena, er hat einverwoben gehabt ein Abbild des Ätherleibes des Jesus. Und vom 11., 12., 13. bis 15.Jahrhundert, da kamen dann die Menschen, die einverwoben erhielten in ihren eigenen Astralleib ein Abbild des Astralleibes des Jesus von Nazareth.

So sehen wir in den Jahrhunderten, vom 5. bis 10. Jahrhundert, Menschen geboren werden, die in ihren Ätherleib einverwoben er­hielten ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth, bei den späteren Menschen, vom 11. bis 15. Jahrhundert, sehen wir in den eigenen Astralleib hineinverwoben Abbilder des Astralleibes des Jesus von Nazareth. Dadurch wird uns manche Persönlichkeit dieser Zeit verständlich. Wie wird uns eine solche Persönlichkeit, die in den eigenen Astralleib ein Abbild des Astralleibes des Jesus einverwoben hat, erscheinen? Das Ich des Jesus ist ja nicht etwa verkörpert in diesen Menschen; das Ich ist von dieser Persönlichkeit selber. Durch das Urteil des Ich kann mancher Irrtum hineinkommen in sein Leben, aber dadurch, daß in den Astralleib hineinverwoben ist dieses große Abbild des großen Urbildes, dadurch wird Hingebung, dadurch wird in allen Gefühlen, in alledem, was diesen Astralleib durchwebt, etwas erscheinen, mit dem vielleicht das Ich selber in Widerspruch steht, das aber gerade alles, was im Astralleib wurzelt, als etwas Besonderes erscheinen läßt. Nehmen Sie Franz von Ässisi! Da haben Sie eine Persönlichkeit, in deren Astralleib einverwoben war ein Abbild des Astralleibes des Jesus von Nazareth. Mögen Sie manches Extreme in Franz von Assisi finden: sein Ich hat es getan, das war nicht auf der­selben Höhe wie der Astralleib. Aber studieren Sie jetzt die Seele des Franz von Assisi unter der Voraussetzung, daß sein Ich nicht immer das richtige Urteil fällen konnte über die wunderbaren Gefühle und die wunderbare Demut des Astralleibes, so werden Sie ihn verstehen. In Franz von Assisi war wiederverkörpert ein Abbild des Astralleibes des Jesus von Nazareth. In sehr vielen Leuten damals waren solche Abbilder gerade im Astralleibe wiederverkörpert. Bei Franziskanern und Dominikanern finden Sie viele, welche solche Abbilder des Astral­leibes damals verkörpert haben. Auch bei andern Persönlichkeiten der damaligen Zeit, die Sie nur verstehen können, wenn Sie sie so

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betrachten, war es so. Zum Beispiel war die berühmte heilige Elisabeth von Thüringen eine solche Persönlichkeit, in welcher ein Abbild des Astralleibes von Jesus von Nazareth einverwoben war. So wird uns das, was äußerlich geschieht, erst verständlich, wenn wir sehen, wie das Geistige gegeben wird von Zeit zu Zeit, wie es sich im Laufe der Zeit fortpflanzt.

Als nun der Christus in dem Jesus von Nazareth sich verkörperte, wurde ferner in dem Astralleibe des Jesus von Nazareth etwas wie ein Abdruck des Ich geschaffen. Wir können uns leicht vorstellen, wenn dies die Christus -Wesenheit ist, die in den Astralleib sich hinein-begibt, daß dann in den umliegenden Partien des Astralleibes etwas wie ein Abbild entsteht [Es wurde offenbar an die Tafel gezeichnet]. Dieses Abbild des Ich von dem Christus [in dem Leibe des] Jesus hatte nun zahlreiche Vervielfältigungen hervorgerufen, die in der geistigen Welt sozusagen aufbewahrt blieben. Einzelne hatten in ihrem eigenen Ich gleichsam als Propheten einer neuen Zeit etwas einverwoben erhalten, so zum Beispiel einige der deutschen Mystiker, die deshalb den inneren Christus mit solcher Inbrunst verkündeten, weil sich etwas wie ein Abbild des Ich des Christus in ihnen ver­körpert hat; aber ein Abbild natürlich! Erst die Menschen, welche nach und nach sich vorbereiten zum vollen Christus-Verständnis, die durch die Erkenntnis der spirituellen Welten verstehen werden, was der Christus ist, indem er von Zeit zu Zeit, sich wandelnd, immer wieder sich findet im Fortgang der Erdenentwickelung, die werden nach und nach reif, dieses Christus-Erlebnis in sich zu haben, so­zusagen die wartenden Abbilder des Christus-Ich, das der Christus im Leibe des Jesus durch einen Abdruck gebildet hat, dieses Ich auf­zunehmen.

Das gehört zu der inneren Mission der spirituellen Weltenströmung, die Menschen dazu vorzubereiten, ihr Seelisches so reif zu machen, daß nun auch eine immer größere und größere Anzahl von Menschen ein Abbild der Ich-Wesenheit des Christus Jesus in sich aufnehmen kann. Denn so ist der Gang der christlichen Entwickelung: Erst die Fortpflanzung auf dem physischen Plan, dann die Fortpflanzung durch die Ätherleiber, dann durch die Astralleiber, die vielfach die wieder-verkörperten Astralleiber des Jesus waren. Nun soll die Zeit kommen,

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wo immer mehr und mehr in den Menschen die Ich-Natur des Christus Jesus selber als die innerste Wesenheit ihrer Seele aufgeht. Ja, es warten diese geprägten Abbilder der Christus Jesus-Individualität, daß sie aufgenommen werden von den Seelen, sie warten! Und hier sehen Sie, aus welchen Tiefen heraus die geisteswissenschaftliche Weltenströmung wirkt. Sie ist nicht eine Theorie, nicht eine Summe von Begriffen, die bloß gegeben werden, um den Menschen auf­zuklären, sie ist eine Realität, und Realitäten sollen der Seele gegeben werden durch die Geisteswissenschaft. Derjenige, der das Christentum spirituell verstehen und in sich erleben wird, der wird dazu beitragen, daß entweder in der jetzigen oder in einer späteren Inkarnation in sein Ich einverwoben wird ein Abbild des Ich der Christus Jesus-Indivi­dualität. Nicht bloß zu einer Erkenntnis, zu einer realen Tatsache bereiten sich diejenigen vor, welche die wahre innere, die wahrhafte Realität der geisteswissenschaftlichen Weltenströmung verstehen, denn das ist ihre wahre innere spirituelle Wirklichkeit. Fühlen Sie das, daß es sich in unserer Weltbewegung nicht handelt um die Mitteilung von Theorien allein, sondern um die Vorbereitung von Tatsachen, um das Entgegennehmen von etwas, was da wartet in der spirituellen Welt und was die Menschen empfangen können aus der spirituellen Welt, wenn sie sich dazu in der entsprechenden Weise vorbereiten.

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GEISTESWISSENSCHAFTLICHE ERGEBNISSE ÜBER DIE MENSCHHEITSENTWICKELUNG Rom, 28. März 1909

Heute abend werden wir von der Sünde sprechen, der Erbsünde, der Krankheit und so weiter. Schauen wir zuerst rückwärts, auf die Vergangenheit, und lassen wir danach die Zukunft vor dem geistigen Auge vorüberziehen. Vor unserer Zeit haben wir die Zeit von Rom und von Athen, der vorangegangen ist die ägyptisch-chaldäische Zeit; weiter zurück fehlen die eigentlichen historischen Urkunden. Für die noch älteren Zeitepochen haben wir zwei Quellen, aus denen wir Auskunft schöpfen können: die alten Religionslehren, wenn man sie zu entziffern versteht, und die retrospektiven Bilder, die das hell­sichtige Bewußtsein schauen kann. Von diesen letzteren wollen wir reden.

Alles auf Erden unterliegt den Gesetzen der Evolution, in ganz besonderer Weise gilt das für das menschliche Seelenleben. In alten Zeiten war das Leben der Seele verschieden von dem jetzigen Seelenleben. Die Menschen in Europa, Asien und Afrika hatten in dem vorhistorischen Zeitalter ein Seelenleben, das ganz verschieden war von der heutigen Menschenseele. Wenn wir Jahrtausende zurückschauen, finden wir, daß die Vorläufer der heutigen Menschheit einen viel um­fangreicheren seelischen Gesichtskreis hatten wie den, den wir jetzt haben. Sie hatten zwar nicht den Verstand, der uns zum Lesen und Rechnen befähigt, aber sie hatten dagegen eine primitive Hellsichtigkeit und außerdem ein ungeheures Gedächtnis, von dem das unsrige nicht einmal eine blasse Ahnung geben kann. Wir werden noch sehen, wodurch das möglich war. Um Ihnen eine Ahnung zu geben davon, wie ihnen die Welt erschien, werde ich zum Beispiel sagen, daß sie, als sie in ihrem Tagesbewußtsein aufwachten, alles wie von einer Aura umgeben sahen. Eine Blume zum Beispiel erschien ihnen um­geben von einem Lichtkreis, ähnlich dem, den wir um die Laternen im Abendnebel sehen. Während des Schlafes aber konnten diese Men­schen seelisch-geistige Wesenheiten in Wirklichkeit wahrnehmen. Allmählich

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lernte der Mensch die Umrisse der Dinge bestimmter sehen, zu gleicher Zeit aber wurde der bewußte Verkehr mit der geistigen Welt und den sich in ihr befindenden Wesenheiten immer weniger, um endlich ganz aufzuhören, als das Ich sich in jedes einzelne Wesen individualisierte. Vor dieser Individualisierung waren die Menschen nicht voneinander getrennt. Auch die Erde hatte in jenen Zeiten eine ganz andere Konfiguration als jetzt. Die Menschheit lebte auf andern Gebieten, Kontinenten, und gerade unsere Vorfahren lebten auf einem Erdteil, der jetzt vom Atlantischen Ozean eingenommen wird. Die Tradition nennt diesen Kontinent Atlantis. Das Verschwinden dieses Erdteiles erzählen uns die Mythen von allen Völkern, und die Legende von der universellen Sintflut bezieht sich eben darauf. Die atlantische Kultur war großartig, und durch ihren Untergang verlor die Mensch­heit viele wichtige Erkenntnisse, die sie jetzt mühevoll wieder er­obern muß. Wie wir für den Handel und die Industrie die in den fossi­len Pflanzen - Kohlen - verborgenen Kräfte zu gebrauchen wissen, so verstanden es die Atlantier, die treibenden Kräfte in den Samen­körnern zu gebrauchen, um zum Beispiel ihre Luftschiffe zu bewegen, die sich etwas über dem Boden fortbewegten, in jener Luft, die viel dichter war als die unsere.

Schauen wir uns jetzt den physischen Organismus der Atlantier an. Er zeigte eine bedeutungsvolle Eigentümlichkeit, nämlich daß der Ätherleib nicht vollkommen dem physischen Leib ähnlich war, und der Ätherkopf über den physischen Kopf hinausragte. Diese Eigentümlichkeit ist eben verbunden mit den hellseherischen Fähigkeiten der Atlantier, mit ihrem außerordentlichen Gedächtnis und ihren magischen Kräften. Der Ätherkopf hatte einen besonderen Wahr­nehmungspunkt - Zentrum. Im Laufe der Evolution zog sich dieser Ätherkopf immer mehr in den physischen Kopf zurück, wodurch das Profil geändert wurde. Jetzt haben wir an dem betreffenden Punkt das Organ, dessen Entwickelung der Menschheit die Hellsichtigkeit zu­rückgeben wird: die Zirbeldrüse. - So verschwand allmählich die hellsehende Kraft der Atlantier und zugleich ihr ungeheures Gedächtnis und ihre magischen Kräfte, und es entwickelte sich unsere Denk- und Zahlenfähigkeit.

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Wenn wir noch weiterzurückgehen, finden wir andere Katastrophen. Da wurden ganze Erdteile durch Feuer vernichtet. Unsere heutigen Vulkane sind die letzten Reste von jener Zeitepoche. Der Kontinent, der damals zugrunde ging, wird mit dem Namen «Lemurien» be­zeichnet, und war das Gebiet, das jetzt zum größten Teil von dem Großen Ozean und dem Indischen Ozean eingenommen wird. Die Bewohner jenes Kontinentes hatten eine Gestalt, die sehr verschieden von der unseren war, die uns sogar für unsere Auffassungen grotesk erscheinen würden. Ihr physischer und ihr Astralleib verhielten sich anders zueinander. Der Scheitel war geöffnet und in diese Öffnung drangen die Lichtstrahlen hinein, so daß der Kopf von einer strahlen­den Aura umgeben war und die Menschen so aussahen, als ob sie oben eine Laterne hätten. Der Leib war riesengroß und von einer feinen, beinahe gelatineartigen Substanz gebildet. Die letzte Andeu­tung von dem Scheitelbau der Lemurier sehen wir an dem Kopf eines eben geborenen Kindes, und zwar die kleine Öffnung oben, die un­gefähr ein Jahr oder etwas mehr offen bleibt. Der Mensch war damals gar nicht selbständig; er konnte nur das tun, was ihm durch die geistigen Kräfte eingegeben wurde, in deren Mitte er sozusagen ein­gebettet war. Alles bekam er von ihnen, und er handelte wie durch einen seelischen Instinkt getrieben. Da offenbarte sich die Kraftwirkung von geistigen Wesenheiten, die nicht zur physischen Inkar­nation heruntergestiegen waren. Es waren dies Wesenheiten, die der Menschheit nicht gutgesinnt waren und so auf sie wirkten, daß sie die ihr fehlende Unabhängigkeit erlangte. Dem göttlichen Plan gemäß sollte die Menschheit einmal diese Unabhängigkeit sicher erlangen, aber diese Wesenheiten brachten sie früher zustande. Zusammen mit den andern Kräften schlüpften sie in den Astralleib des Menschen hinein, der noch nicht in enge Verbindung mit seinem Wesen getreten war, und gaben dem Menschen eine Art Willenskraft, die, weil sie nur astralisch war und nicht von der Vernunft geführt war, ihn fähig machte, das Böse zu tun. Diese Kräfte werden die luziferischen Kräfte genannt. Wie wir sehen, hat der Einfluß dieser Kräfte eine gute und eine böse Seite, weil sie die Menschheit verführten einerseits, ihr aber andererseits die Freiheit gaben.

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Unser heutiges Bewußtsein entstammt dem hellsehenden Bewußt­sein, und wir finden letzteres immer mehr ausgebildet, je weiter wir zurückgehen in der Menschheitsevolution. Die Lemurier konnten nur seelisch wahrnehmen. Von einer Blume zum Beispiel nahmen sie weder die Form noch die Farbe wahr, noch ihre äußerlichen Eigen­schaften. Es zeigte sich ihnen ein leuchtendes astralisches Gebilde, das sie mit einer Art innerlichem Organ wahrnahmen. Nach dem göttlichen Plan sollten die Menschen erst in der Mitte der atlantischen Zeit angefangen haben, mit den äußeren Sinnesorganen wahrzunehmen, aber die luziferischen Kräfte verursachten diese Tatsache schon früher, während die menschlichen Instinkte noch nicht reif waren. Darin besteht der «Fall» der Menschheit. Die religiösen Urkunden sagen, daß die Schlange die Augen des Menschen öffnete. Ohne die Ein­mischung von dem luziferischen Einfluß wäre der menschliche Kör­per nicht so fest geworden, wie er jetzt ist, und die atlantische Mensch­heit hätte die geistige Seite von allen Dingen gesehen. Statt dessen verfiel der Mensch der Sünde, der Illusion und dem Irrtum. Um die Sache noch schlimmer zu machen, kam gegen die Mitte der atlanti­schen Zeit der Einfluß von ahrimanischen Kräften dazu. Die luziferi­schen Kräfte hatten auf den Astralleib gewirkt, die ahrimanischen Kräfte dagegen wirkten auf den Ätherleib, insbesondere auf den Ätherkopf Dadurch verfielen die Menschen in den Irrtum, die äußere physische Welt für die wahre Welt zu halten. Der Name «ahrima­nisch» kommt von Ahriman her, nach dem Namen, den die Perser diesem Prinzip gaben. Zoroaster sprach seinem Volke von ihm und sagte, es solle sich vor ihm hüten und die Vereinigung mit Ahura Mazdao - Ormuzd - anstreben. Ahriman ist derselbe wie Mephisto­pheles und hat nichts mit Luzifer zu tun. Mephistopheles stammt von dem hebräischen Worte: Me-phis-to-pel, das heißt der Lügner, der Betrüger. Auch Satan in der Bibel ist Ahriman und nicht Luzifer.

Die alte Atlantis ging im Laufe von Jahrhunderten allmählich durch Fluten zugrunde und die übriggebliebenen Bewohner zogen sich auf Gebiete zurück, die vor der Katastrophe bewahrt blieben, in Asien, in Afrika und in Amerika. Das erste Gebiet, wo sich die atlantische Kul­tur weiterentwickelte, war dasjenige, das später Indien genannt wurde.

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Da behielten die Menschen eine deutliche Erinnerung an das frühere Hellsehen und von der Anschauung der geistigen Welt. Es war da­durch ihren Lehrern, den Rishis, nicht schwer, ihre Aufmerksamkeit auf die geistige Seite der Welt zu lenken, und die Einweihung war eine leichte Sache. Das Hellsehen ging nie vollständig verloren, und bis zu Christus gab es immer Hellseher. Ein Überbleibsel dieses primitiven Hellsehens sehen wir in der Mythologie, deren Kern sich bezieht auf Wesenheiten, die wirklich gelebt haben, wie Apollo, Zeus und so weiter. Obwohl der ahrimanische Einfluß, wie wir gesagt haben, in der atlantischen Zeitepoche seinen Anfang nahm, machte er sich erst später völlig in der Menschheit geltend. Die alten Inder waren ge­nügend gegen ihn geschützt, und die physische Welt war für sie nie etwas anderes als Maja, Illusion. Erst in der Zeitepoche von Zarathustra, der urpersischen, fing die physische Welt an, einen Wert zu haben für die Menschen, die dadurch der Macht von Ahriman verfielen. In dieser Weise wird uns die Mahnung des Zarathustra klar, von der wir schon gesprochen haben.

So ging die Menschheitsevolution weiter bis zur griechischen Zeit. Da kam an den Menschen heran eine andere Kraft, die anfing, ihn wieder hinaufzutreiben zu der geistigen Welt, aus der er sozusagen verjagt worden war seit der lemurischen Zeit. Die neue Kraft war das Christus-Prinzip, das sich in den Jesus von Nazareth hineinbegab, seine drei Leiber, physischen, ätherischen und astralischen Leib durch­dringend. Wenn die menschliche Seele ganz erfüllt ist von dem Christus-Prinzip, werden die ahrimanischen und die luziferischen Kräfte besiegt, und durch dieses Prinzip vollzieht sich eine Umkehr in der Evolution. Der Christus hätte nicht auf die Menschen einwirken können, wäre sein Erscheinen ihnen nicht schon lange Zeit vorher verkündigt worden. Er hat sie aber immer innerlich geführt; das sehen wir an den großartigen Bildern, in denen den Menschen prophezeit wurde, daß er kommen würde. Wer hätte ihnen sonst die Kraft ge­geben, solche mächtige Imaginationen zu bilden? Eine großartige Änderung vollzieht sich im physischen, ätherischen und astralischen Leib der Menschheit durch die Inkarnation des Christus, gleich nach­dem das Mysterium von Golgatha vollbracht worden ist, als das Blut

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aus den fünf Wunden rann und der Christus bis in die untersren Reiche hineindrang. Sein Äther- und sein Astralleib vermannigfaltig­ten sich wie ein Samenkorn, und die geistige Welt erfüllte sich mit diesen Abbildern. So daß zum Beispiel im 5., 6. Jahrhundert bis zum 10. Jahrhundert diejenigen Menschen, die einen genügenden Grad von Entwickelung erreicht hatten, bei der Geburt einverleibt bekamen solch ein Abbild der Christus-Inkarnation des Jesus von Nazareth. Der Mensch, in welchem am deutlichsten ein derartiges Anteilhaben am ätherischen Leib des Christus zutage tritt, ist Augustinus Dieser Tat­sache ist die große Bedeutung seines Lebens zuzuschreiben. Vom 10. bis ungefähr zum 16. Jahrhundert wird der Astralleib des Christus einverleibt. Dem verdanken wir die Erscheinung von Menschen, wie der heilige Franz von Assisi und der großen Dominikaner voller Demut und Tugend, die eben die großen astralischen Eigenschaften des Christus widerspiegeln. Daher hatten sie ein so klares Bild der großen Wahrheiten in sich, die sie in ihrem Leben übten, im Gegensatz zu Augustinus, der nie frei blieb von Zweifeln und immer in Streit geriet zwischen der Theorie und der Praxis. Von den großen Dominikanern soll besonders genannt werden der heilige Thomas, in dem der Einfluß von dem astralischen Leib des Christus sich in hohem Maße zeigte, wie wir später noch sehen werden. Mit dem 16. Jahrhundert fängt die Zeit an, in der sich bereitfinden, sich in das Ich einzelner Individualitäten zu verweben die Abbilder des Christus-Ich. Einer dieser war eben Christian Rosenkreutz, der erste Rosenkreuzer. Dieser Tatsache ver­danken wir es eben, daß eine innigere Verbindung mit dem Christus möglich wurde, wie uns das die esoterische Lehre offenbart.

Die Christus-Kraft wird den Menschen immer vollkommener machen, wird ihn vergeistigen und zurückführen in die geistige Welt. Die Menschheit entwickelte ihre Vernunft auf Kosten der Hellsichtig­keit; die Christus-Kraft wird den Menschen befähigen, hier auf Erden zu lernen und wieder emporzusteigen mit dem, was er erworben haben wird. Der Mensch stammt vom Vater her, und die Christus-Kraft Führt ihn zum Vater zurück.

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GEISTESWISSENSCHAFTLICHE ERGEBNISSE ÜBER DIE MENSCHHEITSENTWICKELUNG Rom, 31. März 1909

Langsam und allmählich wird sich dasjenige entwickeln, was im Keime auf Golgatha sich vollzog. Mit diesem Mysterium wurde die Brücke geschlagen von der Vergangenheit zur Zukunft hin: das Seelenleben der Menschheit wurde ganz umgewandelt. Dieses kommt besonders deutlich zum Ausdruck in zwei großen Geistern, die den Weg für das Christentum vorbereiteten: Augustinus und Thomas von Aquino. Um sie richtig zu verstehen, ist es notwendig, einen Blick auf das alte Mysterienwesen zu werfen, wo das Höchste, das an Wissen erreicht werden konnte, gelehrt wurde. Ohne diesen Blick ist es unmöglich, gründlich solche eigenartigen Persönlichkeiten zu verstehen. Wie wir wissen, gab es bei allen Völkern sogenannte Mysterien. Hier werden wir nur ihre Grundzüge besprechen. Die Mysterien waren Einrichtungen, die sowohl Kirche wie Schule in sich beschlossen. Was dort zuerst erteilt wurde, war die Lehre von dem Ursprung der Schöpfung und seiner Fortsetzung, aber keine öde Lehre wie die moderne Schöpfungslehre, sondern eine Erkenntnis, die bis an das hellsichtige Erschauen geführt wurde. In den wahren Mysterien gab es keine Trennung zwischen Glauben und Erkenntnis. Sie teilten sich in höhere und niedere Myste­rien. In den letzteren wurde in großartigen Bildern die Evolution der Erde beschrieben, so daß alles von Kunst und Schönheit getränkt und durchdrungen war. Kunst, Religion und Erkenntnis wurden alle aus derselben Quelle geschöpft.

Derjenige, der noch höher kommen wollte, bekam elementare und allgemeine Übungen. Was wir heute theosophisches Wissen nennen, war damals nur die Vorbereitung. Daran wurden Übungen geknüpft wie diejenigen, die wir in den vorigen Vorträgen beschrieben haben, obwohl in anderer Art, nicht christlich oder rosenkreuzerisch. Lange Jahre hindurch wurde auf diese Weise der Astralleib organisiert. Dann geschah folgendes, was aber heute wegen der geänderten Verhältnisse nicht mehr notwendig ist: Als der Hierophant sah, daß der Astralleib

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genügend reif geworden war, wurde der Einzuweihende dreiundeinhalb Tage lang in einen todähnlichen Zustand gebracht, wie der Leib des Lazarus. Bei dieser Gelegenheit wurde auch sein Ätherleib fast ganz aus dem physischen Leib, zusammen mit den andern höheren Leibern entfernt. In diesen dreiundeinhalb Tagen hatte der Diszipel die Vision der geistigen Welt. Er wurde erleuchtet, konnte bis in die höchsten Regionen gelangen und alles schauen, was sich auf Vergangenheit und Zukunft bezieht. Waren die dreieinhalb Tage vorüber, dann wurde der Diszipel aufgeweckt, und dann konnte er erzählen, was in den Höhen geschieht. Er hatte schauen können, wie der füh­rende Geist unserer Evolution, der Christus, einmal ebenfalls dem­selben Prozeß unterliegen und dreieinhalb Tage lang im Grabe liegen würde. Durch diese Tatsache wurden die Mysterien eine geschicht­liche Wirklichkeit. Das Mysterium von Golgatha war der Höhepunkt desjenigen, was in den niederen Mysterien stattfand. In ihm wurde zu wirklicher Tatsache dasjenige, was vorher nur eine Ahnung war. Mit den Übungen der Imagination und so weiter hatte das Ich des Schülers seinen Astralleib umgewandelt; durch das Mysterium von Golgatha aber wurde auch sein Ätherleib umgewandelt. So viel als von dem Astralleib umgewandelt war, wurde zum Manas, Geistselbst - der eigentliche Geist -, das höhere Ich. So viel als vom Ätherleib umgewandelt wird, bildet das Buddhi, Lebensgeist. Danach versucht der Schüler auch seinen physischen Leib umzuwandeln, wodurch Atma entsteht - Atma: Atmung -, weil in Wirklichkeit die Umwandlung des physischen Leibes durch besondere Atmungsübungen geschieht. Nur durch die Entstehung von Buddhi kann der Mensch den Christus als geistige Wesenheit erkennen und schauen,

Warum mußte der Astralleib erst entfernt werden? Weil er, wenn er mit dem physischen Leibe verbunden geblieben wäre, nicht die Kraft gehabt hätte, Eindrücke in den Ätherleib einzuprägen. Der Christus aber hat uns von dieser Probe der dreieinhalb Tage befreit, und durch ihn sind auch die oben genannten Übungen möglich geworden ohne die Hineinmischung des Hierophanten. Das erste Beispiel davon haben wir in Saulus, als er Paulus wurde. In dem, was mit ihm auf dem Wege nach Damaskus geschah, müssen wir etwas Ähnliches wie die

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Einweihung sehen. Die wenigen Augenblicke genügten bei ihm, weil er im vorhergehenden Leben die Reife erlangt hatte. DieVerbindungs-punkte mit dem, was man in vorhergehenden Inkarnationen gelernt hat, können getrennt sein durch Zwischenzeiten von einigen Inkarna­tionen, können aber auch erst spät in einem Leben erscheinen. Dies macht es begreiflich, warum die Bekehrung von Saulus, das heißt, das Sich-Verbinden mit seiner vorhergehenden Entwickelung in einem verhältnismäßig reifen Alter stattfand. Dazu kommt, daß Paulus sich nicht bis in die höheren Welten zu erheben brauchte, um den Christus zu schauen, wie das für einen andern Eingeweihten in der vorchristlichen Zeit notwendig gewesen wäre. Christus war ja fortan auf der Erde, intim verbunden mit dem Astralleib der Erde. Ein hellsehender Beobachter, der von einem andern Stern aus hätte beobachten können, hätte die große Umwandlung gesehen, die durch das Mysterium von Golgatha hervorgebracht wurde. Früher mußte man alles in den Mysterien lernen und begreifen, um Erkenntnis zu erlangen; jetzt vollziehen sich die Dinge anders, und Beweise davon sind Augustinus und Thomas von Aquino. Vor ihrer Zeit wäre es nutzlos gewesen, über die geistigen Hierarchien zu diskutieren, weil niemand, der nicht eingeweiht war, sie schauen konnte. Diese Unfähigkeit zum Schauen war der Tatsache zuzuschreiben, daß schon sechshundert Jahre vor unserer Zeitrechnung die Mysterien aufgehört hatten und die Einweihungen nicht mehr stattfanden. An Stelle der wahren Mysterien kamen die Schulen der Philosophie, und an Stelle der Einweihung wurde die Philosophie gesetzt. Sie war aber nicht immer so ein abstraktes System, wie es die heutige ist; sie war im Gegenteil, be­sonders im Anfang, eine mehr oder weniger vollkommene Remini­szenz an die Mysterien. Aristoteles ist der letzte, von dem wir eine solche Philosophie haben; in ihm aber ist der Nachklang von den Mysterien schon auf das geringste Maß zurückgebracht. Nach Aristo­teles kam es sogar so weit, daß ganz vergessen wurde, daß jede Philosophie auf die Weisheit der Mysterien zurückzuführen ist. Später haben wir nur noch eine Einfiltrierung von abstrakten Begriffen, so etwas wie ein Strohdach.

Der erste Schritt vorwärts wird durch das Mysterium von Golgatha

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gekennzeichnet. Bis dahin waren die menschlichen Fähigkeiten, zum Beispiel die Vernunft, wenig entwickelt. Der Mensch konnte keine Fortschritte machen, weil sein Verstand an die Sinnesorgane gebunden war. Es sollte erst die Zeit kommen, in der sein Verstand sich un­abhängig entwickeln konnte. Denn mit dem bloßen Verstand hätte man nicht begreifen können, was sich auf Golgatha vollzog. Als aber der Christus die sinnliche Welt verließ, entstanden unzählige Wiederholungen von seinem Äther- und Astralleibe, die dazu bestimmt waren, hineinverwoben zu werden in die Leiber derjenigen, die geeignet waren, das Christentum zu verbreiten. Einer von diesen war Augustinus, der, als er beim Hinuntersteigen zum physischen Dasein, um sich wiederum zu verkörpern, sich einen neuen Ätherleib bilden wollte, eben in seinen Ätherleib eine von diesen Wiederholungen des Ätherleibes des Christus einverwoben bekam. So kam er dazu, in sich selbst die Quellen von seiner Lehre über die wahre Form der christlichen Mystik zu finden. Aber weil er nur den Ätherleib des Christus in sich hatte, war sein Ich dem Irrtum unterworfen und konnte er der Spielball der Leidenschaften werden. So aber entwickelte Augustinus sein Ich, verfiel aber auch in Irrtümer und machte alle Stadien des Zweifels in bezug auf die Lehre Christi durch. Es war bei ihm wie ein höherer Materialismus; denn auch damals bestand schon der Fehler, alles vermaterialisieren zu wollen. Nur derjenige, der sich davon be­freit, versteht die Dinge des Geistes. Als dann endlich Augustinus das Christentum fand in den Worten des Johannes und des Paulus, da fing in ihm der Ätherleib des Christus zu wirken an. Er spricht nämlich nicht von dem physischen Leib, sondern von dem Ätherleib, der das­selbe ist wie das, was er «Soma» nennt. Von dem Astralleib spricht er als dem «Sinn» und vom Ich sagt er, daß es sich in ihm erheben kann durch die Reinigung. Die Umwandlung des Astralleibes nennt er «das Ergreifen der Wahrheit» und die vom Ätherleib nennt er «das Sich-erfreuen und Genießen der geistigen Dinge». Und von dem höchsten Grad der Vergeistigung spricht er als von der «Vision». Die Schriften des Augustinus sind uns eine gute Vorbereitung, weil in ihnen die innere Entwickelung des Mystikers dargestellt wird. Der Augenblick, in dem er in die geistige Welt gelangt, ist

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deutlich zu erkennen. Augustinus ist der beste Dolmetscher der Paulusbriefe.

Nehmen wir jetzt den andern großen Vertreter des Christentums: Thomas von Aquino. Vergleichen wir ihn mit Augustinus, so sehen wir, daß er nicht wie dieser in Irrtümern befangen war, und daß er seit den Kinderjahren weder Zweifel noch Unglauben gekannt hat, weil Urteil und Überzeugung ihren Sitz im Astralleib haben, und er in seinen eigenen Astralleib denjenigen des Christus einverwoben be­kommen hatte. Eine Einpflanzung irgendeines Prinzips in einen Men­schenieib kann nur stattfinden, wenn eine äußere Tatsache den natür­lichen Lauf der Dinge ändert. Als Thomas nämlich noch ein Kind war, schlug der Blitz in seiner Nähe ein und tötete sein Schwesterchen. Dieses physische, nur scheinbar physische Ereignis machte ihn ge­eignet, in seinen Astralleib denjenigen des Christus zu empfangen.

Der Thomismus fällt zusammen mit der Zeit, in der der menschliche Verstand, wie wir ihn kennen, sich bildete. Der stärkste Impuls zu dieser Bildung kam vom Arabismus, der eine wirkliche intellektuelle Wissenschaft war, während dagegen die alten Weisen wußten, wo­durch es kam, daß sie direkt schauen konnten. Für die Verarbeitung der neuen Philosophie war Aristoteles gut zu gebrauchen, da er schon die Verstandesarbeit der Mysterienweisheit vorgezogen hatte. Letztere verschwand dann vollkommen mit dem Arabismus, der nur eine reine Verstandesspekulation war; die bringt einen höchstens zum Pan­theismus der Begriffe (rationalistisch), kommt aber nicht weiter als bis zu diesem Gedanken eines einheitlichen Ganzen. Thomas nun nahm die intellektuelle Wissenschaft auf, die ihm zugänglich war, ließ aber unverändert das Offenbarungswissen und bediente sich der Dialektik, um es zu begreifen. - Im Neuen Testament ist alles enthalten, so daß Thomas demjenigen, was da auseinandergesetzt wird, nur die fein-geschliffene Wissenschaft hinzuzufügen brauchte. Die Scholastik, die heutzutage sowenig geschätzt wird, machte diese intellektuelle Wissen­schaft möglich, ebenso das sich wieder bis zum göttlichen Gedanken Erheben durch eine fortschreitende Dialektik. Scholastik kommt aus dem Griechischen «scole», bedeutet also «Aufmerkung», was irrtüm­lich übersetzt wurde in «scuola», Schule. Das scholastische System

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ist das vollkommenste logische Gewebe. Auf diese Weise finden wir in Thomas aufs neue gedacht die vorschöpflichen göttlichen Gedanken, frei von Irrtum und Täuschung, wie sie nur gedacht werden konnten in einer Klosterzelle, weit entfernt von dem Lärm der Welt. - Der Mensch der Welt beeilt sich zu verstehen, sich schnell eine Auf­fassung zu eigen zu machen und alles zu vereinfachen. Aber die Gott­heit ist nicht so einfach! Mit Thomas von Aquino erhebt sich der menschliche Gedanke. Er ist nicht weniger Mystiker als Scholastiker. Er konnte nämlich solche Beschreibungen geben, weil er die geistigen Hierarchien sah, so wie sie der Seher Dionysius der Areopagite uns gegeben hat, und in seinen langen nächtlichen Meditationen vor dem Altar konnte er die schwersten Probleme lösen. So finden sich in ihm vereinigt der Mystiker und ein Denker so hell wie ein Diamant und nicht von den Sinnen beeinträchtigt. Nach ihm gab es keine Ver­mehrung der Begriffe mehr. Sogar der Begriff der Evolution findet sich schon in Aristoteles und vielleicht sogar besser beschrieben. Wir haben schon gesagt, wie sich im Neuen Testament alles findet. Es enthält nämlich den Keim der Mystik, und wir haben gesehen, wie dieser Keim gereift ist und wie unendlich viele Schätze aus den Evangelien herausgegraben worden sind. Heutzutage haben wir die Theosophie, später werden andere geistige Wellen kommen und neue Schätze in den Evangelien wieder gefunden werden. In der Offen­barung Johannis schließt sich die Zukunft der Erde ab.

Heute habe ich Ihnen zeigen wollen, wie die Freiwerdung des In­tellekts die erste Stufe war des Christentums. Dies ist nur wie ein Blatt, aber an der mächtigen Pflanze des Christentums werden noch neue Blätter entstehen, eines nach dem andern. Die Blüte wird die Gesamtschönheit der Erde sein, durch das Christentum erneuert; die Frucht wird sein die neue Welt, für die die heutige Erde die Vorbereitung ist.

Christus läßt sich finden von demjenigen, der ihn sucht, wie er lehrte, wie er noch lehrt und immer lehren wird bis ans Ende.

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ZUR EINWEIHUNG DES FRANZ VON ASSISI-ZWEIGES Malsch, 6. April 1909

Wir sind heute hier versammelt, um unserem anthroposophischen Zweig in Malsch die Weihe zu geben. Zwar ist dieser Zweig schon seit längerer Zeit in voller Arbeit tätig, doch sind wir erst heute imstande, die Eröffnungsweihe diesem Zweige zu geben.

Zu dieser Feier sind die lieben anthroposophischen Freunde von den verschiedensten Gegenden unseres anthroposophischen Strebens zu­sammengekommen und haben damit gezeigt, daß sie ihre anthroposo­phischen Gefühle und Gedanken vereinigen wollen mit jener ernsten, arbeitenden Menschengruppe, die hier - man möchte sagen, ver­schlagen ins Gebirge, aber zugleich umgeben von allen schönen und großen und edlen Kräften der Natur - anthroposophisches Leben ent­falten wird. Diejenigen von Ihnen, die ihr Auge haben herumschweifen lassen in der Umgebung dieses gastlichen Hauses in Malsch, werden gesehen haben, daß da mancherlei auch in bezug auf das Äußere gearbeitet worden ist, um auch in der äußeren Erscheinung zutage treten zu lassen, daß das spirituelle Leben, welches uns alle beseelt, hier auf diesem Fleck Erde ganz besonders zum Ausdruck kommen soll.

Und wenn wir zurückblicken auf unseren Anfang des anthroposo­phischen Lebens bei der Gründung unserer deutschen Sektion, der sich Malsch als Faktor einfügt, wenn wir zurückblicken auf die gering­fügigen Anfänge unseres Lebens in der deutschen Sektion, wo wir mit einer kleinen Gruppe geisteswissenschaftlich begeisterter Men­schen begonnen haben, und dann den Blick schweifen lassen auf solche Ereignisse wie heute und sehen, wie zahlreich die Seelen sind, die sich vereinigen mit uns in geisteswissenschaftlichen Gefühlen und Empfindungen, so dürfen wir wohl mit Befriedigung auf die letzten Jahre unseres Strebens zurückblicken.

Und die Familie Stockmeyer, welche sich hier auf diesem Fleck Erde die größte Mühe gegeben hat, um dieses spirituelle Leben hier zu ent­falten innerhalb der es allerdings sehr fördernden Geister der Natur,

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diese Familie kann wiederum mit Befriedigung sehen, wie nach ihrem gastlichen Fleckchen Erde herbeigeeilt sind so viele echte, wahre Freunde; denn echte, wahre Freunde dürfen alle die anthroposophi­schen Freunde genannt werden. Denn Anthroposophie muß vor allem sein Wahrheit in unseren Herzen. Und Wahrheit ist Aufrichtig­keit. Anthroposophie muß daher sein Aufrichtigkeit und anthroposo­phische Freundschaft, die sich ausdrückt in dem Mitfeiern eines sol­chen Festes, eines solchen Weihefestes. Getaucht muß das alles sein in Aufrichtigkeit. Freundschaft in Aufrichtigkeit verbindet uns mit denen, die hier so emsig gearbeitet haben, damit auch hier ein Arbeits­feld anthroposophischen Wirkens sei. Und aller derjenigen Herzen, die herbeigekommen sind, werden von Dankbarkeit erfüllt sein gegen­über dem, was gerade hier von der Familie Stockmeyer gearbeitet worden ist, und versichert kann sie sein dieser dankbaren Gefühle wahrhaftiger Aufrichtigkeit, anthroposophischer Dankbarkeit.

Auf der andern Seite zeigt gerade der Erfolg eines solchen Weihefestes mit den zahlreichen Seelen, daß Geisteswissenschaft in unserer Gegenwart ein mächtiger Magnet für das menschliche Streben ist. Und es darf vielleicht bei einem solchen Weihefeste erwähnt werden, daß wir ja auch hinausblicken können über die Räume, die, so schön um­schlossen von den Geistern einer herrlichen Natur, uns heute umschließen, daß wir hinausblicken dürfen in die übrige Welt. Man darf sagen: Geisteswissenschaftliches Leben und Streben, es ist heute wahrhaft etwas, was sich zeigt wie mit einer inneren Notwendigkeit behaftet. Es ist wirklich so, wie wenn manches Blatt der alten Kul­turen, die durch Jahrtausende hindurch die europäische und abendländische Menschheit aufrechterhalten haben, die dieser Menschheit gegeben haben Sicherheit und Kraft fürs Leben, wie wenn sie heute anfingen zu verdorren, kalt und nüchtern zu erscheinen den Men­schenherzen. Daher sehen wir, wie auf mancherlei Lebensgebieten heute geisteswissenschaftliche Sehnsucht lebt. Und wahrhaftig, es ist etwas wie Zauberkraft, was gerade in den letzten Tagen um mich her­um sich abspielen durfte, der ich hier zu Ihnen sprechen darf.

Jetzt darf ich das Wort unserer großen Verkündiger der neuen Weisheit, das Wort unserer Meister der Weisheit und des Zusammenklangs

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der Empfindungen hier an diesem Ort vermitteln, an diesem Ort, der umgeben ist von grünen Bäumen und dem sprießenden Leben der Natur, von dem herrlichen, alles belebenden und geist­durchdrungenen Sonnenlicht, das heute so günstig herniederschaut auf unsere liebe Feier. Heute darf das geschehen.

Und es sind wenige Tage her, da durfte ich aus demselben Geiste heraus sprechen in einem Vortragszyklus, weit weg von hier. Ich durfte sprechen in einem Zyklus, den ich in Rom halten konnte. Und gerade diese Tatsache symbolisiert mir so recht, welcher Magnet das geisteswissenschaftliche Streben ist. Anders sah aus der Ort, an dem da gesprochen werden sollte zu denjenigen, die auch geisteswissenschaftliche Sehnsucht im Herzen haben, wenn auch manchmal eine Sehnsucht, die noch recht ungeklärt ist. Auf einem Boden, den eigent­lich mit geistigen Angelegenheiten nur Kardinäle betreten haben, nun diejenigen, die aus positiv-orthodoxestem Katholizismus heraus wir­ken. Auf diesem Boden durfte in den letzten Tagen der freie Hauch geisteswissenschaftlicher Weltanschauung verkündet werden. Das­selbe Wort durfte tönen durch die Luft derjenigen Räume, in denen eigentlich nur die Botschaft verkündet worden ist aus dem ortho­doxen Zentrum Roms heraus.

So sehen wir, daß die freien Geister der Gegenwart, die sich hier mehr im Norden zur Anthroposophie herangezogen fühlen, doch auch mit einer gewissen Befriedigung blicken können auf jene Seelen, die sich heraussehnen aus einer wie mit eisernen Banden haltenden alten Tradition, aus einem alten Orthodoxismus. Und es ist immerhin ein Zeichen der Zeit, daß es möglich war, ebenso frei und unbefangen über die anthroposophischen Wahrheiten auf dem Boden zu sprechen, wo bisher nur Kardinäle gesprochen haben, wie hier auf dem freien nordischen Boden.

Denn das ist wahr gesprochen, was vorhin gesagt worden ist: Anthroposophie ist Aufrichtigkeit. Und wo sie gerufen wird, wo Seelen ihrer bedürfen, da geht sie hin. Aber in keinem Augenblick wird sie aus irgendeiner Rücksicht auf den Boden, wo sie verkündigt wird, auch nur das allergeringste ablassen von dem, was die große Richtschnur ist, die uns beseelt bei der Verkündigung.

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Wo sie auch immer verkündigt wird die anthroposophische Wahr­heit, wo das Spirituelle gepflegt wird, das uns durchpulst: Im Lichte der Aufrichtigkeit soll diese Botschaft verkündet werden, auch da, wo sie noch umgeben wird von den Gedanken derer, die Anthroposophie hassen. Mitten unter denen, die Anthroposophie hassen, leben aber die Seelen, die mehr oder weniger bewußt doch nach dem Lichte der Anthroposophie sich hinsehnen. Und so kann gerade ein solcher Kontrast, wie er an mir vorübergegangen ist seit vierzehn Tagen, uns zeigen, ein wie starker Magnet das anthroposophische Leben ist.

Wenn uns so die Betrachtung der unmittelbaren Gegenwart lehrt, daß diese anthroposophische Kraft eine starke in der Gegenwart ist, die Betrachtung der Zeiten, die lehrt uns erst recht, daß wir mit freudiger und uns befriedigender Zuversicht hoffen dürfen, daß das, was wir mit kleinen Keimen heute pflanzen, zum mächtigen Baum sich entfalten wird in der Zukunft. Wir sind als Theosophen heute in einer Lage, die wir nur vergleichen können mit der Lage, in der die Menschheit war in der alten atlantischen Zeit. Und wie seit der Zeit das Leben anders geworden ist, so wird das Leben in eine gewisse Zukunft hinein wiederum bis nach einer Katastrophe anders werden. Aber diese große Perspektive soll vor unsere Seele treten.

Erinnern wir uns einmal an eine ähnliche Bewegung, die klein aus­gegangen ist wie die unsrige, im letzten Drittel der atlantischen Zeit. Da war das atlantische Seelenleben auf einen Höhepunkt gediehen. Dieses Seelenleben war in vieler Beziehung noch ein hellseherisches. Was sich die Menschheit hinzuerobert hat, das ist das Selbstbewußt­sein, das ist das starke Ich-Gefühl. Dieses Ich-Gefühl, dieses Selbst­bewußtsein hatte die atlantische Menschheit noch nicht. Die atlan­tische Menschheit hatte dafür ein gewisses Hellsehen und gewisse magische Kräfte. Hineinschauen konnte der Atlantier in die geistige Welt. Und das waren diejenigen, die an der Spitze der Zivilisation geschritten waren, die am besten hineinschauen konnten in die geistige Welt in der alten Weise, diejenigen, die am meisten Kundschaft her­ausbringen konnten aus dem Reich des Astralischen. Denn nach und nach schwand dieses Hellsehen dahin. Die Menschheit mußte es ver­lieren als ein Ganzes, um sich das Selbstbewußtsein an der physischen

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Außenwelt zu erobern. Aber es war das hellseherische Wissen im letzten Drittel der atlantischen Zeit auf eine besondere Höhe ge­stiegen.

Sie erinnern sich, wie die eigentliche Technik der Atlantier war. Auf kleinen Luftschiffen fuhren die Atlantier dahin über die Erde, nahe der Erde, weil die Luft durchsetzt war von dichten Nebel-massen. Und für dieses Luft-Wassermeer hatten sie ihre kleinen Fahrzeuge, die sie mit der Kraft der sprießenden Pflanze in Bewegung setzten. Diejenigen, welche in bezug auf solche Technik das Äußerste leisteten, das waren diejenigen Menschen, die verglichen werden kön­nen mit unseren heutigen großen Industriellen, mit denjenigen, die kunstvolle Maschinen bauen aus toten Kräften heraus. Und diejeni­gen, die aus der geistigen Welt am meisten verkündigen konnten, das waren diejenigen, die sich vergleichen lassen mit denen, die unsere Gelehrten, Naturforscher sind, die an der Spitze der Bildung marschieren.

Aber innerhalb dieser Menschheit bereitete sich eine andere Mensch­heit vor, eine Menschheit, die nur geringe Kräfte des Hellsehens hatte, dafür aber die Fähigkeit, die äußere Welt liebevoll zu beobachten. Die ersten Elemente des Rechnens und Zählens bereiteten sich vor. Aber sie konnten sich nur in geringem Maße beteiligen an den großen Fortschritten der atlantischen Industrie, an dem Bau der mächtiger und immer mächtiger werdenden Fahrzeuge, die das Wasser-Luft-meer durchsetzten. Und so war eine kleine, unscheinbare Menschen­menge gerade im letzten Drittel der atlantischen Zeit entstanden, die in gewisser Beziehung verachtet wurde, denn sie war wenig hell­seherisch, wenig imstande, sich zu beteiligen an dieser großen Indu­strie. Sie bereitete aber das Erkennen vor, das heute unser Erkennen ist, auf das die äußere Welt in unserer Zeit so stolz ist, da sie es einseitig ausgebildet hat.

Bei denjenigen Menschen, welche an der Spitze der atlantischen Zivilisation standen, die alles beherrschten, was man aus dem atlan­tischen Wissen heraus erfahren konnte, welche in der Beherrschung der Technik der Atlantis am weitesten vorgeschritten waren, da tauchte gegen Ende der atlantischen Zeit zuerst ein technischer Gedanke

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auf, der dann fruchtbar geworden ist für unsere Zeit. Wir kön­nen ihn mit einem andern Fortschritt in unserer Zeit vergleichen, mit einem Fortschritt, der hinüberragen wird über die nächste Kata­strophe. Die Atlantier hatten Fahrzeuge während ihrer Blüteperiode, welche durch die wassergeschwängerte Luft hingingen. Aber später, als die atlantische Kultur schon im Niedergang war, tauchte die Not­wendigkeit auf, auch das Wasser zu befahren. Und bei den späteren Kulturrassen der atlantischen Zeit entstand der Gedanke an die Schifffahrt, die Eroberung des Wassers. Das war ein gewaltiger, in der alten atlantischen Zeit einschlagender Gedanke. Und ungeheure Sensation im atlantischen Leben machte es, als man zuerst auf einem Fahrzeug nicht nur in die Lüfte sich erhob und die Luft durchmaß, sondern hinsegelte auf der Wasser-Meeresfläche. Ein Gedanke, der ungeheuer sensationell wirkte, und der bei den letzten atlantischen Rassen in die Wirklichkeit umgesetzt wurde. Lange Versuche wurden gemacht, um auf dem bloßen Wasser zu fahren. Dann gelang es. Es gelang das in jener Zeit, wo die atlantische Kultur im Niedergang begriffen war.

Aus denjenigen, welche an diesem mächtigen Fortschritt beteiligt waren, konnten sich nicht rekrutieren die einfachen Leute, die mit den Fähigkeiten für die physische Welt zuerst ausgestattet waren, und die hinübertragen sollten das eigentliche geistige Leben aus der atlan­tischen Zeit in unsere Zeit, das geistige Leben: Schlichte, einfache Leute, die sich am wenigsten Reste bewahrt hatten von dem Hellsehen, aber doch noch so viel, als nötig war für den, der ein Sendbote war aus der geistigen Welt. Menschen mit diesem Geistvermögen sammelte damals ein großer Eingeweihter um sich, der, den wir nen­nen den großen Eingeweihten des Sonnenorakels. Es waren die Men­schen, die am wenigsten technische Fähigkeiten bewahrt hatten, auf die höhnend herabsahen diejenigen, die an der Spitze standen. Alle die, welche die großen Forscher und Entdecker waren, sahen ver­achtungsvoll herunter auf dieses kleine Häuflein. Aber diese waren es, die der große Eingeweihte des Sonnenorakels führte von Westen nach Osten, durch Europa nach Asien. Und dieses kleine Häuflein war es, welches dann die Möglichkeit lieferte, daß die nachatlantischen Kul­turen begründet worden sind.

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Denn das Beste, was die verschiedenen Kulturen dann entwickelten, der mächtige Baum der nachatlantischen Bildung, ging hervor aus den Nachkommen der verachteten, schlichten Leute aus der atlanti­schen Zeit. Vor allen Dingen ging aus der Mitte derer, die die Nach­kommen dieses schlichten Häufleins waren, noch etwas anderes her­vor. Stellen wir die äußeren Ereignisse neben die inneren Ereignisse unserer Bildung.

Sehen wir uns an die große Sensation der atlantischen Zeit, als die Erfindung gemacht wurde bei derjenigen Unterrasse, deren Nach­kommen die Phönizier waren: sehen wir uns die Schiffahrt an. Was hat sie geschaffen, diese Schiffahrt?

Wir brauchen uns nur zu erinnern an die großen Ereignisse vom Beginn der neuen Zeit, an das, was Kolumbus und die andern See­fahrer getan haben, an die großen Entdeckungsreisen, die nicht hätten gemacht werden können ohne die Schiffahrt, und wir werden sehen, daß diese Sensation dazu geführt hat, den physischen Plan der Erde nach und nach zu erobern. Die Erde hat sich geschlossen, sozusagen. Auf kleine Kreise waren beschränkt die Nachatlantier. Aber die Er­findung der Schiffe hat die Erde abgerundet zu einem geschlossenen Gebilde des physischen Planes. So ragt die sensationelle Erfindung der atlantischen Welt herein in unsere Zeit und hilft mit, die großen Fortschritte auf dem physischen Plan zu machen.

Die größte Eroberung aber, sie ging hervor in der nachatlantischen Zeit aus denjenigen, die die Nachfolger waren jener schlichten Schar um den großen Eingeweihten des Sonnenorakels. Und nachdem sie vorbereitet hatten, was so zu tun war, diese schlichten Leute, durch ihre eigene Entwickelung die indische, perische, ägyptische, griechisch-lateinische und unsere Kultur, da war es der Erde möglich, das Material herzugeben, in das der Christus hineingeboren werden konnte. Und so ging das größte geistige Ereignis, die größte spiri­tuelle Tat der nachatlantischen Zeit hervor aus dem Volk, das zu den verachtetsten Menschenschichten gehörte bei denen, die an der Spitze der Zivilisation in der Atlantis marschierten. Daraus ging der große spirituelle Fortschritt hervor, der alles geistige Leben in unserer Zeit trägt und hält und durchfruchtet und durchwebt.

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Wir sehen etwas ähnliches in unserer Zeit sich abspielen. Wir sehen, wie jene Fähigkeiten, die in der Atlantis in ihren ersten Keimen ent­halten waren, das Rechnen, das Zählen, wie diese Fertigkeiten alle ausgebildet werden heute in einer wunderbaren Eroberung des phy­sischen Planes durch alle möglichen technischen Fortschritte hindurch. Wir sehen heute die großen Erfinder und Entdecker gerade diejem­gen Kräfte anwenden in gewisser Beziehung auf einem Gipfelpunkt, die bei einem verachteten Menschenhäuflein der atlantischen Zeit zu­erst aufsprießten. Und was damals hellseherische Erkenntnis war, in der atlantischen Zeit, heute ist es Naturerkenntnis, heute ist es Er­kenntnis der physischen Welt. Und vergleichen lassen sich mit den Spitzen der atlantischen Zivilisation unsere heutigen Naturforscher und Gelehrten. Aber auch heute ist wieder eine schlichte Menschenklasse da, ohne Unterschied der andern Stellungen in der Welt, über­all verbreitet, und hat im Herzen jenen mächtigen Magnet, der zum spirituellen Leben hinzieht wie damals zum Leben in den äußeren Fähigkeiten für den physischen Plan.

Nur ist ein gewisser Unterschied. Während damals die letzten Reste des Hellsehens noch da waren, konnten sie erkennen den großen Ein­geweihten. Heute haben es die Menschen in gewisser Richtung noch schwieriger. Heute ertönt an ein ähnliches kleines Häuflein ein Ruf aus der geistigen Welt, den wir den Ruf der Meister der Weisheit und des Zusammenklangs der Empfindungen nennen. Weil aber heute die Menschen herausgestellt sind auf den physischen Plan, bleiben die Meister der Weisheit und des Zusammenklangs der Empfindungen zunächst wie etwas Unbekanntes dem heutigen kleinen Menschenkern, der sich herauskristallisiert aus der großen Masse. Aber in ihren Herzen fühlen diese Menschen, wie wir aus den Tatsachen der Gegen­wart ersehen können, daß es so etwas gibt wie eine neue spirituelle Botschaft, die ebenso in die Zukunft hineinwirken soll, wie die da­malige Botschaft in unsere Gegenwart hereingewirkt hat. Diese Men­schen, die heute aus allen Schichten unserer Bevölkerung heraus kommen, mit der Sehnsucht im Herzen nach spirituellem Leben, das die Zukunftskulturen begründen soll, diese Menschen, die wir überall finden, diese sind eben die wahren Theosophen.

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Und die wahren Theosophen, die tauchen auf in unserer Zeit, ge­rade als in unserer Zeit eine ähnliche Sensation auftaucht wie damals in der atlantischen Zeit.

Das Wasser wurde damals erobert durch die höchsten Fortschritte der Technik. Die Luft wird erobert in unserer Zeit. Freilich wird diese Eroberung hineinragen in eine spätere Epoche. Aber wie in unserer Zeit die Schiffe nur heraufgebracht haben die Eroberung des physischen Planes, so wird das Luftschiff die Menschen in die Lüfte führen, in den Lüften aber werden die Luftschiffer nur finden den Stoff, nur Materielles. Und wenn auch neue Gebiete des physischen Planes erobert werden, und wenn auch segensreich für die äußere Welt wirken wird, was in der äußeren Technik geschieht, das innere, geistige Leben tragen diejenigen im Busen, welche sich spirituell, geistig fühlen, erfüllt fühlen von dem, was in der Zukunft führen soll zu einem Hineinschauen in die geistige Welt mit Selbstbewußtsein.

Und diejenigen, die an der Spitze der Zivilisation heute marschie­ren, die sich vergleichen lassen mit den atlantischen Weisen und Technikern, seht hinaus, draußen wirken sie als Erfinder und Ent­decker und Gelehrte und Naturforscher. Auf ein solches Häuflein, das heute sich rekrutiert zu einem neuen Kulturträger, wie es hier sitzt, wie es sich vereinigt in unseren geisteswissenschaftlichen Ver­einigungen, da blicken diese großen Forscher und Gelehrten, die die äußere Kultur tragen, mit Verachtung und Hohn wieder herab. Die Erscheinungen der alten atlantischen Zeit wiederholen sich.

Aber wenn das spirituelle Leben Eure Herzen so stark ergreift, daß Ihr Euch mit Würde vergleichen könnt mit denen, die um den gro­ßen Sonneneingeweihten sich geschart haben, wenn dieselbe Kraft der Zuversicht in Euch lebt, dann werdet Ihr in späteren Zeiten die Träger sein des geistigen Lebens, jenes Lebens, das der Menschheit zu den äußeren, materiellen Körperlichkeiten gibt das Wiederhinein­dringen in die geistige Welt. Damals war es der große Eingeweihte, der in ähnlicher Weise die Menschen um sich versammelte, heute sind es die Meister der Weisheit und des Zusammenklangs der Empfin­dungen. Ihr Ruf ergeht an Euch. Und wenn Ihr so fühlt, so aus der Geschichte heraus Eure Mission fühlt, dann werden Eure Herzen

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stark werden, das zu ertragen, was von außen als Spott und Hohn von denen auf die Geisteswissenschaft gegossen wird, die sich Kulturträger nennen. Und wenn Ihr so Eure Mission begreift, dann werden Eure Gedanken stark sein, und kein Zweifel, der von außen heranklingt, wird Euch erschüttern können in Eurer Überzeugung. Denn Eure Gedanken selber werden durchgeistigt sein durch die Kraft, die ausfließen kann aus einer solchen Erkenntnis unserer Mission. Und wenn wir auch über Jahrtausende den Blick werfen müssen und Ideale aufstellen müssen, die weithin reichen: Wo solche Ideale nicht auf­gestellt werden, ist das Leben tot; wo sie aufgestellt werden, ver­wandelt sich das Leben. Ideale, die zwar den großen Zeiträumen ent­nommen sind und manchen kleinmütig erscheinen lassen könnten, die verwandeln sich in eine Kraft des Augenblicks. Ihr werdet stark sein für die kleinste Tat, wenn Ihr Euer Ideal aus den höchsten Höhen herauszunehmen imstande seid. So werdet Ihr feststehen, wenn die­jenigen, die die Welt beherrschen mit ihrer Bildung, mit Hohn und Verachtung von den kleinen geisteswissenschaftlichen Vereinigungen sprechen, in denen die sitzen, die «nicht mitwollen mit der heutigen Kultur». Oh, sie wollen mit, sie wissen ebenso zu schätzen das, was in der äußeren, physischen Welt gewonnen wird, aber sie wissen auch, daß ebensowenig wie ein Körper ohne Seele ist, ebensowenig eine äußere Kultur ohne spirituelles Leben bestehen könnte.

Wie die Menschheit, die charakterisiert worden ist, die sich als ein damals verachtetes Häuflein um den großen Eingeweihten geschart hat, nach Generationen das Material gegeben hat, um den Christus auf Erden möglich zu machen, so muß die heutige anthroposophische Menschheit wieder möglich machen, Christus vollkommen zu ver­stehen. Christus ist im vierten Zeitraum herabgestiegen. Den Christus ganz zu verstehen, es wird gegeben sein denjenigen, die ihn aus der Anthroposophie verstehen wollen.

Warum kommen aus einem unbestimmten Bewußtsein diejenigen, die bisher genährt worden sind von den positiven Religionen, von den orthodoxen Religionen, warum kommen sie auch zur Geistes­wissenschaft? Warum hören sie das anthroposophische Wort, wäh­rend sie bisher nur den Vatikan gehört haben? Warum? Darf man

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heute noch sagen, Anthroposophie sei etwas, was nur da sei für die­jenigen, die die größte geistige Tatsache unseres Zeitalters gleich­gültig ansehen, die Tatsache des Christus-Impulses? Was verlangen jene Leute von uns? Daß wir ihnen sagen, wer der Christus war, was der Christus getan hat! Sie kommen, weil diejenigen, die sich heute als die privilegierten Träger des Christus-Namens bezeichnen, ihnen nicht sagen können, wer der Christus war. Deshalb kommen sie zur Anthroposophie, weil diese sagen kann, was der Christus ist. Nicht die heutigen Kulturträger, welche der äußeren Überlieferung, die sich anschließt an diese oder jene Religion, entgegenstellen die Leugnung des Christus, nicht diese können etwas anhaben den positiven, ab­sterbenden spirituellen Strömungen. Wer nicht zu sagen weiß, was der große Christus ist, wer den Christus ableugnet in seiner Spiritua­lität, demgegenüber werden sich die alten Religionsströmungen noch immer stärker erweisen. Erst die geistigen Richtungen, die sich hin­einstellen mitten unter diejenigen, die sich das Privilegium auf den Christus-Namen geben, die zu sagen wissen, was die wahre Wesenheit des Christus ist, denen, die es im andern Sinne verlangen, die werden sammeln um sich eine Menschheit, die in sich die Zukunft im Busen trägt. Gegenüber allem Religionsnihilismus werden sich die alther­gebrachten Religionsströmungen stärker erweisen.

Nicht im kleinen, dogmatischen Sinne fassen wir auf das anthropo­sophische Leben. Nicht mit einzelnen Dogmen, nicht mit einzelnen Erkenntnissätzen wollen wir dieses anthroposophische Leben um­fassen, sondern so, daß wir die Mission und die Aufgabe unserer Zeit erkennen. Wir wollen es so umfassen, daß aus uns der wahre Geist unserer Zeit spricht, daß die größte Tatsache unserer nachatlantischen Zeit durch die Worte der Anthroposophie ausgesprochen werden kann. Dann werden diese Worte lebendiges Leben und lebendige Kraft in unserer Seele sein. Dann wird man verstehen, was das anthro­posophische Leben ist. Das läßt sich nicht deklamieren, sondern nur herausleben aus dem Geiste unserer Zeit.

Wenn wir so fühlen, werden unsere Kräfte größer und größer. Wenn wir so fühlen, bekommen wir Stärke, uns fest anzuklammern an unser Ideal. Und dann wissen wir, wie wir dieses Ideal vertreten

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können, gleichgültig ob auf diesem oder jenem Boden, wo eine alte Kultur sich sehnt nach einem neuen Inhalt, oder auf diesem Boden hier, wo ringsherum umschlossen ist das, was durch das Tagewerk der Anthroposophie zustande gebracht wird, von der Natur und den herr­lichen, geistbelebten Sonnenstrahlen, die uns jetzt hier umglänzen. Denn wir werden wiederum, was uns auch äußere Forschung sagen mag, in den Sonnenstrahlen, die uns hier umglänzen, erkennen den Geist dieser Strahlen. Und wir werden wissen, daß, wenn die Sonne untergegangen sein wird, der Geist, der in der Sonne lebt, in unsere Herzen hineinscheint. Wir werden lernen, was es heißt, die Sonne um Mitternacht zu schauen, den Geist der Sonne zu schauen. Und wenn wir den Geist der Sonne begreifen, dann werden wir sehen, wie die­ser heruntergestiegen ist, sich vereinigt hat als spirituelles Leben mit demjenigen, was als das Beste in unserer Zeit lebt. Es ist notwendig, daß der Christus-Impuls verstanden wird, daß wir zu sagen wissen, wer der Christus war. In dieser Beziehung ist die Menschheit erst im Anfang. In demselben Maße wie die spirituelle Einsicht wachsen wird, in demselben Maße wird die Menschheit erkennen, wie sich der Christus-Impuls in dieses Weltgebäude hineingestellt hat.

So etwas fühlt man mit Recht, wenn ein Zweig ins Leben tritt, dem man die Weihe zu geben hat, wie wir heute hier, und der aus einem tiefen Bedürfnis der in diesem Zweig Vereinigten sich mit einem Namen belegt hat, der in so tief inniger Beziehung steht zu der ganzen Ent­wickelung des Christentums. Aus einem tiefen Bedürfnis der in die­sem Zweige Vereinigten nennt sich dieser Zweig: Franz von Assisi-Zweig. Oh, es umschwebt ein tiefes, spirituelles Geheimnis jenen Franz von Ässisi.

Als der Christus auf die Erde herniederstieg, umhüllte er sich mit dem dreifachen Leibe des Jesus von Nazareth, mit dem physischen, Ather- und Astralleib des Jesus von Nazareth. Drei Jahre lebte der Christus, der Sonnengeist, in der Hülle des Jesus von Nazareth. Und als das Mysterium von Golgatha eintrat, da geschah so mancherlei. Der Christus stieg aus den Höhen herunter auf die Erde. Aber es ge­schah, abgesehen von dem, was Ihr kennt, auch noch etwas anderes. Durch das Wohnen des Christus in dem Jesus von Nazareth geschah

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mit den drei Leibern des Jesus von Nazareth, namentlich mit dem Astralleib und Ätherleib, etwas ganz Besonderes. Da der Christus ab­gelegt hat die Leiber des Jesus von Nazareth, da waren sie geistig vor­handen in der geistigen Welt, aber vervieffältigt in vielen, vielen Ab­bildern. Nicht zugrunde gingen sie im Weltenäther oder in der astra­lischen Welt, sondern fortlebten sie in der geistigen Welt in Abbildern. So wie das Pflanzenkorn, das wir hinab in die Erde senken, in vie­len Körnern erscheint nach dem Geheimnis der Zahl, so waren in der geistigen Welt vorhanden in Abbildern der Ätherleib und der Astralleib des Jesus von Nazareth. Und wozu waren sie da in dem großen Zusammenhange spiritueller Ökonomie? Um aufbewahrt zu werden und ihren Dienst zu tun im großen Fortschritt des Menschen­geschlechts .

Einer der ersten, dem die große Wohltat wurde, die dadurch der Menschheit möglich geworden ist, daß der Ätherleib des Jesus in vielen, vielen Abbildern in der geistigen Welt vorhanden war, einer der ersten war der, den man den Äugustinus nennt. Als Augustinus nach seiner früheren Verkörperung wieder herunterstieg auf die Erde, da wurde ihm nicht ein beliebiger Ätherleib einverwoben, sondern in seinen Ätherleib wurde hineinverwoben ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth. Den Astralleib und das Ich hatte er für sich. In seinem Ätherleib hatte er ein Abbild des Jesus von Nazareth. Er mußte sich hindurcharbeiten durch die Kultur seines Ich und Astralleibes. Als er an den Ätherleib drang, da kamen ihm die großen Wahr­heiten, die uns in seiner Mystik entgegentreten. Und viele Menschen des 6., 7., 8. und 9. Jahrhunderts bekamen in ihren eigenen Ätherleib einverwoben Nachbilder des Ätherleibes des Jesus von Nazareth. Manche von denen, welche in jener Zeit die große christliche Kon­zeption gefaßt haben jener Bilder, die die Kunst dann so verherrlicht hat - die Madonna, Christus am Kreuz -, alle diejenigen, die gewirkt haben so, daß sie die Bilder schufen, trugen einverwoben in ihren Ätherleib ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth. Daher erlebten sie wieder in sich das, was die Menschen erlebt hatten zur Zeit des Ereignisses von Golgatha.

Und im 11., 12., 13., 14. und 15. Jahrhundert war die Zeit gekommen,

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wo bei der Verkörperung gewisser Seelen verwoben wurde in den Astralleib ein Abbild des Astralleibes des Jesus von Nazareth. Viele Menschen des 11., 12., 13., 14. Jahrhunderts bekamen nicht bloß den Astralleib beim Heruntersteigen, sondern während sich ihr Astral­leib bei der Wiederverkörperung bildete, wob sich ein in diesen Astralleib ein Abbild des Astralleibes des Jesus von Nazareth. Daher konnten diese Leute die großen christlichen Wahrheiten verkündigen. Denn sie hatten in ihren Astralleib, aus dem ihr Wissen entsprungen ist, einverwoben das, was Abbild war des Astralleibes des Jesus von Nazareth selber. Unter denen aber, die in sich verwoben hatten ein solches Abbild des Astralleibes des Jesus von Nazareth, war Franz von Assisi. Es waren in der damaligen Zeit viele, unter andern Elisa­beth von Thüringen, die hatten eingewoben ein Abbild des Astralleibes des Jesus von Nazareth. Daher konnten sie die großen Wahrheiten des Christentums als Urteil, als logische Erkenntnis, als wissenschaft­liche Weisheit verkündigen. Aber sie konnten noch etwas anderes: Sie konnten in sich erleben, was man fühlen kann, wenn man den Astralleib des Jesus von Nazareth selbst in sich trägt.

Nun lassen Sie auf sich wirken all die Demut, das Hingebungsvolle, das christlich Liebende in dem Franz von Assisi, und es wird Ihnen wie Schuppen von den Augen fallen. Und Sie werden verstehen, wie Sie Franz von Assisi begreifen können: in allen seinen Irrtümern, weil er sein Ich für sich hatte; in all seinem Großen, da er ein Abbild in sich trug des Astralleibes des Jesus von Nazareth.

Alle die demutsvollen Gefühle, die tiefe, tiefe Mystik, all das spiri­tuelle psychische Leben, das in Franz von Assisi lebt, wird verständ­lich, wenn wir dieses Geheimnis seines Lebens kennen. Und dann kön­nen wir gute Aussicht für die Zukunft dieses Zweiges im Geiste er­blicken, wenn er sich so recht aufrankt an dieser großen Gestalt des Franz von Assisi. Denn diejenigen, die durch solche Gnade wie Franz von Assisi berufen worden sind, die christliche abendländische Menschheit zu leiten, die lassen auch ihr spirituelles Licht hineinstrahlen da, wo in spirituellem Sinne gearbeitet wird in allen Zeiten. Und wenn in echtem spirituellem Sinne gerade der Franz von Assisi-Zweig arbeitet, dann wird in der Vereinigung der Gedanken und Gefühle,

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die da walten in diesem Zweig, es wird in ihm walten das har­monisch einigende Licht des Franz von Assisi, das er durch eine solche Gnade, wie geschildert worden ist, in dem Durchdringen seines eige­nen Astralleibes mit dem Astralleib des Jesus von Nazareth, erhalten hat. Es wird etwas hereinscheinen von diesem seinem Lichte in die­sen Zweig.

Und wir werden die rechten Weihegefühle heute zurücklassen, die wir versammelt sind, um diesem Zweige die Weihe zu geben, diesem Zweige, der an bescheidenem Orte wirkt, wenn wir an uns vorüber-ziehen lassen die Betrachtung solcher Perspektiven. Blicken wir auf zum Lichte des Franz von Assisi, nehmen wir mit das, was entzündet werden kann in uns in diesem Augenblick, und denken wir zurück mit solchen Gefühlen an diesen Zweig und an diesen Augenblick, dann werden unsere Gefühle und Gedanken unsichtbar auch umschweben diesen Zweig Franz von Assisi, in dem gearbeitet werden wird in einer Weise dann, daß das, was von unten hinauf sich ringt, sich würdig erweisen mag dem Lichte, das von außen hereinkommt. In einem solchen Augenblick werden wir uns bewußt, daß wir da sind zu wirken für die wahren, wirklichen Fortschritte unserer nach-atlantischen Zeit. Und es lebte wohl in den Seelen der Begründer die­ses Zweiges, als das Bedürfnis entstand, ihn so zu nennen, etwas von dem Bewußtsein dieses großen Fortschrittes in unserer Zeit, jenes großen Fortschrittes in unserer nachatlantischen Zeit.

Wann ist der tiefste Einschnitt geschehen in unserer ganzen Evo­lution? Da, als der Christus heruntergestiegen ist. Blicken wir zurück sechshundert Jahre vor diesen Zeitraum, und blicken wir sechshundert Jahre später die Erde an, nachdem der Christus da war. Zwölfhundert Jahre liegen die beiden Zeiten auseinander.

Blicken wir auf eine Individualität, so groß, daß wahrhaftig nicht Worte der Bewunderung ausgesprochen werden sollen, blicken wir auf den großen Buddha, der gelebt hat sechshundert Jahre vor Chri­stus. Sehen wir auf jenen Augenblick, wo er herausgeführt wird, wo er nicht hat leben können das Leben, das er hat leben sollen, wo er hinausgeführt wird ins Leben. Sehen wir, wie ihm begegnet zuerst ein unbehilfliches Kind. Und er bildet sich die Anschauung: Ja, es ist

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Leid in dem, in das der Mensch eintritt durch die Geburt. Und dann sieht er einen Kranken. Und er sagt sich: Es ist ja Leid, Krankheit da. Der Krankheit ist der Mensch ausgesetzt auf diesem Plan. Und er sieht einen alten Menschen, der seine Glieder nicht mehr bewegen kann. Und er sagt sich: Es ist Leid, alt zu werden. Und er sieht einen Leich­nam. Und der ruft in ihm hervor die Anschauung: Der Tod, er ist Leid. Und dann bildet er sich noch die Anschauung: Getrennt sein von dem, was man liebt, ist Leid. Vereint sein mit dem, was man nicht liebt, ist Leid. Nicht erlangen, was man begehrt, ist Leid. Und diese Lehre breitete sich aus als die Lehre des großen Buddha, sechshundert Jahre vor Christus.

Halten wir jenen Moment fest, wo der Buddha hinaustritt in die Welt und einen Leichnam sieht, dem Tode ins Angesicht sieht. Sechs­hundert Jahre vor Christus war das. Und sechshundert Jahre nach dem Ereignis von Golgatha entsteht zuerst das Bild, zu dem Tausende ihre Augen richten, das Holz des Kreuzes, an dem der Leichnam des Erlösers hängt. Buddha hat einen Leichnam angeschaut, und der Leich­nam personifizierte ihm alles Erdenleid. Die Gläubigen der Christus-Gemeinde sehen hin auf einen Leichnam, sechshundert Jahre nach Christus, und, indem sie den Leichnam anblicken, sehen die Gläubi­gen den Sieg alles geistigen Lebens über den Tod, die Anwartschaft auf die Seligkeit. So wurde ein Leichnam angeschaut von einem der größten Menschen sechshundert Jahre vor Christus, und so wurde er angesehen sechshundert Jahre nach dem Ereignis von Golgatha von einer gläubigen Gemeinde.

Und was sagt uns das Christus-Ereignis über die andern Sätze des Leides? Ist die Geburt Leiden? Buddha hat es gesagt. Im Anblick des Christus sagt sich die Menschheit, die ihn versteht: Durch die Geburt treten wir ein in dieses Dasein, das wert befunden wurde, den Christus zu tragen. Geboren werden wir in ein Leben hinein, in dem wir uns mit Christus verbinden können. Krankheit ist nicht Leid, wenn man Christus versteht. Man wird aus dem Christus-Impuls verstehen ler­nen das, was aus dem Geiste heraus die Gesundheit schafft. Auf spiri­tuelle Weise wird die Krankheit geheilt werden aus dem innersten, christianisierten Leben heraus. Indem wir dem Äußeren absterben,

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werden wir gewiß, daß wir das, was wir in der Verbindung mit dem Christus-Impuls haben, hinübertragen in jegliches Leben.

Der Tod erscheint uns dadurch, daß der Christus den Sieg davon­getragen hat, als das, was uns hinüberführt in eine geistige Welt. Den Tod lernen wir verstehen in seiner Bedeutung für die geistige Welt durch den Christus-Impuls.

Und nicht mehr kann man sagen, es sei Leid, von dem getrennt sein, was man liebt. Denn die Christus-Kraft wird uns zusammen­führen mit alldem, was wir lieben wollen von Seele zu Seele. Zu dem, was sich liebt, wird die Christus-Kraft die Bande schlingen. Das Leid, das kommen könnte dadurch, daß getrennt wird, was sich liebt: Mit Christus wird diese Trennung überwunden werden.

Und lernen wir, alle zu lieben, werden wir nicht mehr anschauen die Welt, als ob vereinigt sein mit dem, was man nicht liebt, Leid sei. Ein jegliches Geschöpf wollen wir lieben lernen nach seinem Maße. Und unsere Begierde wird so geläutert werden, daß uns zuteil werden kann, was der Seele zuteil werden muß, wenn nicht mehr die Hinder­nisse der physischen Welt da sind, wenn die geistigen Quellen fließen. Fließen können sie durch den Christus-Impuls. Im Geist, im Christus-Geist werden sie erlangen, was sie begehren. Denn sie werden ein geläutertes Verlangen haben.

So hat sich hingestellt durch den Christus-Impuls das neue spiri­tuelle Leben neben das alte. So tief war der Fortschritt im geistigen Leben vor und nach dem Christus-Impuls.

So etwas fühlt derjenige, der an einen der frohesten, der glühend­sten Verehrer und Botschafter des Christus-Impulses sich wendet, um einen Namen zu haben für die Vereinigung, in der spirituelles Leben gepflegt werden soll. Möge dieser Name eine gute Vorbedeutung sein, damit in diesem Zweige hier so gearbeitet wird, wie es aus dem Geiste unserer Zeit, aus dem wahrhaft begriffenen Geiste unserer Zeit heraus notwendig ist für jenen Fortschritt, den wir uns vor die Seele gemalt haben.

In dem Geiste, der aus den Worten heraus gesprochen, in dem Geiste sei heute dieser Zweig eingeweiht durch die Herunterrufung eines Segens, den wir schon gestern heruntergerufen haben, als wir

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den Grundstein legten zum äußeren Tempel. Noch einmal sei dieser Geist angerufen, daß er walte und webe in diesem Franz von Assisi-Zweige.

Vereinigen mögen sich mit diesem Geiste alle die Gefühle von uns allen, die wir heute herbeigekommen sind, um die Weihe zu geben diesem Zweige, um uns brüderlich zu vereinigen mit denjenigen, die hier im ernsten anthroposophischen Sinne arbeiten, damit mitten unter Bäumen und Wald, unter sprießenden, sprossenden Pflanzen, mitten unter einer sonnigen Natur geistiges Leben aufsprießen könne. Und ob draußen die hellen Sonnenstrahlen verkünden das, was in der Natur ein Schönes, Herrliches ist, ob draußen auch hoch der Schnee liegen möge und ob dichte Wolken das äußere, physische Sonnenlicht verdunkeln mögen: Zu allen Zeiten, zu den Zeiten, wo die äußere Natur sich erneut, oder wo sie ihr düsteres Kleid anzieht, immer soll walten hier der Geist spirituellen Lebens, den wir heute mit unserer Weihe über diesen Zweig von allen Geistern, die diese Geistigkeit lei­ten, herbeisehnen möchten.

Damit sei aus unserer aller Herzen diesem Franz von Assisi-Zweig die Weihe gegeben. Er wirke fort in dem Sinn, wie er angefangen hat, durch die in jeden Zweig hineinströmende spirituelle Gewalt der Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen. Er wirke fort durch den guten Geist, den er sich selbst gegeben hat, indem er in seinem Namen den glänzenden Christus-Träger angerufen hat. Er wirke fort, wie er begonnen hat.

Es werden gute Geister über ihm walten. Er wird eine von den Pflegestätten sein jenes Lebens, das nach so vielen Anzeichen unsere Zeit braucht, braucht, um die Keime zu legen zu dem, was eine fernste Zukunft notwendig haben wird.

Mögen diejenigen, die jetzt wieder einsam hier arbeiten müssen, aus dieser heutigen Festlichkeit, wo so viele gleichgesinnte, aufrich­tige Freunde ihre Gefühle mit ihnen vereinigen, gestärkt hervorgehn! Dann wird zurückfließen zu allen das spirituelle Leben, das auf die­sem Boden hier gepflegt wird. Und eine der Quellen möge auch hier an diesem Orte erfließen, zusammenfließen in die große Harmonie anthroposophischen Lebens hinein. Die Gedanken, die hier entstehen,

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werden den unsrigen begegnen. Unsere Gedanken werden hierher fließen. Diese Harmonie aber bedeutet etwas wie ein äußeres Kleid der Spiritualität, die wie ein geistiger Windhauch durch die Evolu­tion der Menschheit gehen muß, wenn Segenskräfte über der geistigen Menschheit walten sollen.

Und damit sei dieser Zweig im vollsten Sinne des Wortes eröffnet, geweiht, zu einem Arbeitsfelde gemacht, auf das wir immer hoffen, mit derselben Liebe, mit derselben inneren Befriedigung sehen zu können, wie wir das heute in diesem Weiheaugenblicke, wo wir so schön beisammen sind, tun .

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DAS MAKROKOSMISCHE UND DAS MIKROKOSMISCHE FEUER. DIE VERGEISTIGUNG DES ATEMS UND DES BLUTES Köln, 10. April 1909

In ergreifender Weise hat einer der inspiriertesten Geister der neueren Zeit, hat Goethe zu zeichnen gewußt die Macht und die Kraft der Ostertöne, der Osterglocken. Stellt Goethe doch vor uns hin den Repräsen­tanten der strebenden Menschheit, den Faust, so wie er gekommen ist an den Rand des irdischen Daseins, und zeigt er uns doch, wie es die Ostertöne sind, wie die Helle des Osterfestes es ist, was auch im Herzen dieses Todsuchers den Gedanken an den Tod, den Impuls des Todes zu besiegen vermag.

So wie Goethe diesen innern Impuls der Osterklänge vor uns hin­stellt, so ging dieser Impuls durch die gesamte Entwickelung der Menschheit hindurch. Und wenn der Mensch in nicht allzuferner Zu­kunft durch eine erneute spirituelle Vertiefung verstehen wird, wie die Feste unsere Seele in Zusammenhang bringen sollen mit allem, was im großen Weltenraum lebt und webt, dann wird man auch in einer er­neuten Gestalt in diesen Tagen des Frühlingsanfangs die Seele erwei­tert fühlen, um zu erfassen, wie die Quellen des spirituellen Lebens uns erlösen können aus dem materiellen Leben, aus der Enge des Daseins, das an den Stoff gefesselt ist.

Gerade in der Osterzeit wird die Menschenseele am stärksten emp­finden lernen, was in die Seele zu gießen vermag die unerschütterliche Zuversicht, daß im Innersten des Menschen ein Quell des ewigen, göttlichen Daseins wohnt, ein Quell, der uns aus aller Enge heraustreibt und uns eins sein läßt, ohne daß wir uns verlieren, mit dem Quell des universellen Daseins, in dem wir jederzeit auferstehen, wenn wir uns zu seiner Erkenntnis durch Erleuchtung aufzuschwingen ver­mögen. Nichts anderes und nichts Geringeres ist das, was das eigent­liche Wesen des Osterfestes ausmacht, als ein äußeres Zeichen des Tiefsten, was die Menschheit zu erleben vermochte, als ein äußeres Zeichen des tiefsten christlichen Mysteriums. Und so ist es uns am heutigen Osterfeste, als wenn im äußeren Feste und in den äußeren

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Festeszeichen ein Symbol dastände dessen, was die Menschen am Be­ginn der menschlichen Erdenentwickelung nur finden konnten und was sie nur gewußt hatten in den Tiefen der heiligen Mysterien. Wo die Völker auf der Erde das gefeiert haben, was wir Osterfest nen­nen - und in den weitesten Kreisen der Menschheit bei den alten Völ­kern wurde es gefeiert -, wir sehen es überall emporblühen aus den heiligen Mysterien heraus. Und überall ruft es die Ahnung und die Überzeugung hervor, daß das Leben im Geiste den Tod in der Materie zu besiegen vermag. Was auch immer der Menschenseele diese Über­zeugung einflößte, das mußte in alten Zeiten aus den Tiefen der heili­gen Mysterien heraus verkündet werden.

Aber darin besteht ja gerade die Fortentwickelung der Menschheit, daß jetzt immer mehr und mehr von dem, was Geheimnis der heiligen Stätten ist, herausdringt, und daß die Weisheit der heiligen Mysterienstätten hinausdringt in die ganze Menschheit, daß sie Allgemeingut der Menschheit wird. Und so sei denn das heutige und morgige Fest in bezug auf seine Betrachtung gewidmet dem Versuch einer Darstel­lung, wie diese Ahnung, diese Empfindung, diese Überzeugung im Laufe der Menschheitsentwickelung immer mehr sich Bahn bricht und herausdringt aus uralter Erkenntnis in immer weitere Kreise. Heute wollen wir in die Vergangenheit zurückblicken, damit wir morgen das, was die Gegenwart diesem Feste gegenüber fühlt, zu schildern ver­mögen.

Wir müssen allerdings, weil das Osterfest das Auferstehungs­fest des Menschheitsgeistes ist, uns heute zu ernster Betrachtung im Innern sammeln, um zu solcher Weisheit vordringen zu können, die in gewisser Weise zu den höchsten Höhen geisteswissenschaftlicher An­schauung hinaufzuführen vermag.

Unser christliches Osterfest ist nur eine der Formen des Menschheits-Osterfestes überhaupt, und was die Weisen der Menschheit zu sagen hatten aus stärksten, tiefsten Überzeugungen, aus den tiefsten Gründen der Weisheit heraus, von der Überwindung des Todes durch das Leben, das wurde hineingeheimnißt in die Symbole des Osterfestes. Überall werden wir bei ihnen die Elemente finden, um uns ein Verständnis für das Osterfest, für das Auferstehungsfest des Geistes

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zu verschaffen. Eine schöne, tiefe, morgenländische Legende erzählt das Folgende:

Der große Lehrer des Morgenlandes, Shakyamuni, der Buddha, er hat die Gegenden des Morgenlandes mit seiner tiefen Weisheit beglückt, die aus den Urquellen des geistigen Daseins geholt war und daher die Herzen der Menschheit mit tiefster Seligkeit durchglühte. Was tief beseligend war für die Herzen der Menschheit, als der Mensch noch hineinzuschauen vermochte in die göttliche Welt - uralte Weis­heit von den göttlich-geistigen Welten -, hat bis in die spätere Zeit hinein Shakyamuni für die Menschheit gerettet. Einen großen Schüler hatte er, und während die andern Schüler mehr oder weniger nicht begriffen die umfassende Weisheit, die der Buddha lehrte, hat Kashyapa - so hieß dieser Schüler - sie begriffen. Er war einer der tiefsten Ein­geweihten in diese Lehre, einer der bedeutendsten Nachfolger des Buddha. Die Legende erzählt: Als Kashyapa ans Sterben kam und er vermöge seiner Reife ins Nirvana eingehen sollte, da ging er an einen steilen Berg und verbarg sich in einer Höhle. Und in dieser Höhle ver­blieb sein Leib nach seinem Tode unverweslich und dauerte fort. Nur die Eingeweihten wußten von diesem Geheimnis und wo der Leib ruht. Denn an verborgenem, geheimem Orte ruht dieser unverwes­liche Leib des großen Eingeweihten, des Kashyapa. Aber vorhergesagt hatte der Buddha, daß einst kommen würde sein großer Nachfolger, der Maitreya-Buddha, der erneute große Lehrer und Führer der Menschheit, und er würde, wenn er zum Gipfel gelangt sein würde jenes Daseins, das er während des Erdenlebens erreichen sollte, jene Höhle des Kashyapa aufsuchen, mit seiner rechten Hand den unver­weslichen Leichnam des Erleuchteten berühren, und vom Himmel würde herabströmen ein wunderbares Feuer, und in diesem Feuer würde sich erheben vom irdischen Dasein in ein geistiges der unver­wesliche Leib des großen Erleuchteten, des Kashyapa.

So spricht die große Legende des Morgenlandes, vielleicht etwas unverständlich für das Abendland. Auch sie spricht von einer Auf­erstehung, einem Entrücktwerden aus dem irdischen Dasein, von einer Überwindung des Todes, die so herbeigeführt wird, daß die Ver­wesungskräfte der Erde nichts vermögen über den geläuterten, gereinigten

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Leib des Kashyapa, und daß, wenn der große Eingeweihte kommt und ihn berührt mit der Hand, das wunderbare Feuer ihn hinaufhebt in die himmlischen Sphären. Und gerade in dem, wo diese Legende des Morgenlandes abweicht von dem, was wir als den Inhalt des abendiändischen, christlichen Osterberichtes kennen, liegt eine Möglichkeit, zu einem tieferen Verständnis des Osterfestes zu kommen. Es ist in solch einer Legende eine Urweisheit verborgen, der wir uns nur nach und nach nähern können. Und so könnten wir fragen: Warum wird dort nicht Kashyapa, wie der Erlöser - wie uns im christ­lichen Osterbericht gesagt wird -, nach drei Tagen Sieger über den Tod? Warum wartet der unverwesliche Leib des morgenländischen Eingeweihten durch lange Zeiten hindurch, bis er durch ein wunder­bares Feuer in die himmlischen Höhen entrückt wird?

Wir können heute nur anklingen lassen das Tiefe, das in solchen Dingen liegt. Wir werden erst nach und nach eine Ahnung bekommen von der Weisheit, die sich in solch tiefen Legenden ausspricht. Gerade bei solchen Festeszeiten müssen wir mit unseren Empfindungen erst scheu und ehrfurchtsvoll in der Ferne bleiben und erst nach und nach hinaufschauen lernen durch solche Festesfeiern zu den Höhen der Weisheit. Nicht sollen wir gleich mit unserem nüchternen Verstande das erfassen wollen, was in solchen Legenden liegt. Rechtes Verständ­nis wird nur dann erreicht, wenn wir uns so diesen Wahrheiten nähern, daß wir erst unsere Empfindungen und Gefühle geeignet und reif machen, ehe wir uns annähern an die großen Wahrheiten, um dann in vollem Feuer und mit voller Wärme die großen Wahrheiten mit unse­ren Empfindungen zu erfassen.

Für die heutige Menschheit stehen zwei Wahrheiten wie mächtige Leuchten am Horizont des Geistes da, Wahrzeichen, die miteinander innig verwandt sind. Zwei wichtige Richtpunkte sind es für die sich entwickelnde, im Geistigen strebende Menschheit der heutigen Ent­wickelungs stufe.

Als das erste Wahrzeichen erscheint der brennende Dornbusch des Moses und als das zweite das Feuer, das unter Blitz und Donner am Sinai erscheint, durch welches dem Moses die Verkündigung wird: «Ich bin der Ich-bin.»

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Jene geistige Wesenheit, die sich damals dem Moses verkündigt hat, die da in beiden Erscheinungen spricht, wer ist sie?

Wer die Botschaft des Christentums versteht im geistigen Sinne, der versteht auch die Worte, die ankündigen, wer die Wesenheit ist, die im Dornbusch und danach auf dem Sinai unter Blitz und Donner dem Moses erscheint und die Zehn Gebote ihm vor die Seele hinstellt. Es sagt uns der Schreiber des Evangeliums Johanni selber, daß Moses vor­herverkündet hat den Christus Jesus, und der Evangelist läßt ihn gerade aufjene Stellen hinweisen, wo im brennenden Dornbusch und später im Feuer auf Sinai sich die Macht ankündigt, die später der Christus genannt worden ist. Keine andere Gottheit soll vorgestellt werden als der Christus in dem, der zu Moses von sich selbst spricht: «Ich bin der Ich-bin.»

Derjenige Gott, der später im menschlichen Leibe erschienen ist und der das Mysterium von Golgatha vor die Menschheit hingestellt hat, er waltet unsichtbar, sich selber vorherverkündend im Feuerelement der Natur, im Feuer des brennenden Dombusches und im Blitzesfeuer auf Sinai. Und der nur versteht die Verkündigung des Alten Testa­ments, der nur versteht das Neue Testament, der da weiß, daß der Gott, den Moses verkündet, der Christus ist, der unter den Menschen wandeln soll. So kündigt sich der Gott an, der den Menschen Erlösung bringen soll, in einer Weise, die nicht in menschlicher Gestalt gesehen werden kann. Er kündigt sich an in dem feurigen Element der Natur; denn darin, in diesem Element, lebt der Christus. Das, was seine gött­liche Wesenheit ist, kündigt sich in den verschiedensten Gestalten an. Durch das ganze Altertum waltet dieselbe Wesenheit, die dann sicht­bar hervortrat durch das Ereignis von Palästina.

So schauen wir zurück auf das Alte Testament und fragen uns: Wen verehrt das althebräische Volk in Wirklichkeit? Wer ist der Gott des alten hebräischen Volkes? - Die Angehörigen der hebräischen Myste­rien haben es gewußt: den Christus haben sie verehrt; den Christus haben sie gesehen in dem, der sprach das Wort: «Sage meinem Volke: Ich bin der Ich-bin.» - Aber wenn auch alles das nicht bekannt wäre, die Tatsache, daß sich innerhalb unseres Menschheitszyklus der Gott im Feuer ankündigt, wäre für den, der hineinschaut in die tiefen Ge­heimnisse der Natur, maßgebend genug, um das zu erkennen, daß die

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Gottheit des brennenden Dornbusches und die Gottheit, die auf dem Sinai sich ankündigte, dieselbe ist, die aus geistigen Höhen herabkommt, um das Mysterium von Golgatha zu vollziehen durch den Herabstieg in den menschlichen Leib. Denn es besteht ein geheimnis­voller Zusammenhang zwischen dem Feuer, das draußen durch die Elemente der Natur entzündet wird und dem, was als Wärme durch unser Blut pulsiert. Oft wurde schon betont in unserer Geisteswissen­schaft, der Mensch sei ein Mikrokosmos, der sich gegenüberstellt der großen Welt, dem Makrokosmos. Es muß daher, wenn wir in richtiger Weise zusehen, das, was im Menschen an innern Vorgängen ist, ent­sprechen äußeren Vorgängen im Universum. Zu jedem innern Vor­gang müssen wir den entsprechenden äußeren Vorgang finden kön­nen. Wir müssen tiefe Schächte der Geisteswissenschaft betreten, wenn wir die Bedeutung davon verstehen wollen. Hier berühren wir den Rand eines tiefen Geheimnisses, einer großen Wahrheit, jener Wahrheit, die da Antwort gibt auf die Frage: Was ist es in der großen Außenwelt, was dem Geheimnis der Entstehung des menschlichen Gedankens in uns entspricht?

Der Mensch ist das einzige wirklich denkende Wesen auf unserer Erde. Durch seine Gedanken erlebt der Mensch eine Welt, die ihn über diese Erde hinausführt. In der Form, in welcher sich im Menschen die Gedanken entzünden, erlebt kein anderes irdisches Wesen die Gedan­ken. Was entzündet in uns den Gedanken, was spielt sich in uns ab, wenn der einfachste oder herrlichste Gedanke uns durchzuckt? - Zweierlei wirkt in uns zusammen, wenn wir Gedanken durch unsere Seele ziehen lassen: unser Astralleib und unser Ich. Der physische Ausdruck für unser Ich ist das Blut; der physische Ausdruck für unseren Astral­leib ist unser Nervensystem, das, was wir Leben nennen in unserem Nervensystem. Und niemals würden unsere Gedanken unsere Seele durchzucken, wenn nicht ein Zusammenwirken wäre zwischen Ich und Astralleib, welches seinen Ausdruck findet im Zusammenwirken zwischen Blut und Nervensystem. Sonderbar wird es einmal einem menschlichen Zukunftswissenschaft vorkommen, wenn die heutige Wissenschaft allein im Nervensystem die Entstehung des Gedankens sucht. Nicht in den Nerven allein ist der Ursprung des Gedankens. Nur

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in dem lebendigen Zusammenspiel zwischen Blut und Nervensystem haben wir den Vorgang zu erblicken, der den Gedanken entstehen läßt.

Wenn unser Blut, unser inneres Feuer, und unser Nervensystem, unsere innere Luft, so zusammenwirken, dann durchzuckt der Gedanke die Seele. Und die Entstehung des Gedankens im Innern der Seele entspricht im Kosmos dem rollenden Donner. Wenn das Blitzes­feuer sich entzündet in den Luftmassen, wenn Feuer und Luft zusam­menspielen und den Donner erzeugen, dann ist das in der großen Welt dasselbe makrokosmische Ereignis, dem entspricht der Vorgang, wenn das Feuer des Blutes und das Spiel des Nervensystems sich entladen im innern Donner, der allerdings sanft und ruhig und unvernehmbar für die Außenwelt erklingt im Gedanken. Was der Blitz in den Wol­ken, das ist für uns die Wärme unseres Blutes, und die Luft draußen mit allem, was sie an Elementen enthält im Universum, entspricht dem, was unser Nervensystem durchzieht. Und wie der Blitz im Widerspiel mit den Elementen den Donner erzeugt, so erzeugt das Widerspiel von Blut und Nerven den Gedanken, der die Seele durchzuckt. Wir schauen hinaus in die Welt, die uns umgibt: Wir sehen den zuk­kenden Blitz in den Gebilden der Luft und hören den sich entladen­den, rollenden Donner. Und dann blicken wir in unsere Seele und spüren die innere Wärme, die in unserem Blute pulsiert und spüren das Leben, das unser Nervensystem durchzieht - dann fühlen wir den Gedanken uns durchzucken und sagen: Beides ist eins.

Wahrhaft und wirklich ist es so! Denn in uns denken wir, und wenn der Donner am Himmel rollt, so ist das nicht nur eine physisch-mate­rielle Erscheinung. Das ist es nur für die materialistische Mythologie. Für den aber, der die geistigen Wesen durchweben und durchwallen sieht das materielle Dasein, für den ist es Wahrheit und Wirklichkeit, wenn der Mensch hinaufschaut und den Blitz sieht und den Donner hört und sich sagt: Jetzt denkt der Gott im Feuer, wie er sich uns ver­kündigen muß. Das ist der unsichtbare Gott, der das Universum durch-webt und durchwallt, der seine Wärme in dem Blitz und seine Nerven in der Luft und seine Gedanken in dem rollenden Donner hat. Der sprach zu Moses in dem brennenden Dornbusch und auf Sinai in dem Blitzesfeuer.

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Dieselben Elemente Feuer und Luft, die im Makrokosmos sind, sind im Menschen, im Mikrokomsos, Blut und Nerven; und wie im Makrokosmos Blitz und Donner, so sind im Menschen die Gedanken. Und der Gott, den Moses gesehen und gehört hatte im brennenden Dornbusch, der zu ihm sprach in dem Blitzesfeuer auf Sinai, der er­scheint als Christus im Blute des Jesus von Nazareth. Im menschlichen Leibe des Jesus von Nazareth erscheint der Christus, der herab steigt in die menschliche Form. Indem er wie ein Mensch denkt im mensch­lichen Leibe, wirkt er als das große Vorbild der Menschheitsentwicke­lung in die Zukunft hinein.

So begegnen sich die beiden Pole der Menschheitsentwickelung: der makrokosmische Gott auf dem Sinai, der sich verkündigt im Donner und Blitzesfeuer, und derselbe Gott mikrokosmisch, verkörpert im Menschen von Palästina.

Aus der tiefsten Weisheit herausgeholt sind die erhabenen Mysterien der Menschheit. Sie sind nicht erdichtete Legenden, sondern tiefe Wahrheit. Aber sie sind so tiefe Wahrheit, daß wir alle Mittel der Geisteswissenschaft brauchen, um zu enthüllen die Geheimnisse, die umweben diese Wahrheit. - Und was hat die Menschheit für einen Impuls erhalten durch dieses ihr größtes Vorbild, durch die Wesen­heit, die herabgestiegen ist und sich verbunden hat mit den mikrokosmischen Abbildern der Elemente in einem Menschenleibe, durch die Wesenheit des Christus?

Blicken wir auf die Verkündigung alter Völker noch einmal zurück. Alle alten Völker, bis in die graue Vergangenheit der nachatlantischen Zeit, haben wohl gewußt, wie die menschliche Entwickelung verläuft. Überall, in allen Mysterienschulen wurde verkündigt, was heute wie­der von der Geisteswissenschaft verkündet wird: daß der Mensch aus vier Gliedern besteht - dem physischen Leib, dem Ätherleib, dem Astralleib und dem Ich -, daß er aber aufsteigen kann zu höheren Stufen seines Daseins, wenn er durch sein Ich selbsttätig umwandelt den Astralleib in das Geistselbst - Manas -, den Ätherleib in den Lebensgeist - Buddhi -, und wenn er den physischen Leib vergeistigt zu Atman oder Geistesmensch. Dieser physische Leib, er muß in allen seinen Gliedern nach und nach durchgeistigt werden, er muß so tief in

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unserem Erdenleben durchgeistigt werden, daß dasjenige, was den Menschen zum Menschen gemacht hat, das Einströmen des göttlichen Odems, daß das vergeistigt wird. Und weil die Vergeistigung des physischen Leibes mit der Vergeistigung des Atems beginnt, darum nennt man den verwandelten, vergeistigten physischen Körper: Atma oder Atman - Atem: Atman. Es sagt die Verkündigung des Alten Testaments, daß der Mensch zum Beginne seines Erdendaseins erhal­ten hat den Lebensatem, und alle uralten Weisheiten sehen im Lebensatem dasjenige, was der Mensch nach und nach vergeistigen muß. Alle alten Weltanschauungen sahen das große, zu erstrebende Ideal in Atman, in dem, was den Atem so vergöttlicht, daß der Mensch durch­zogen wird von einer spirituellen Atemluft.

Aber noch mehr muß vergeistigt werden am Menschen. Wenn sein ganzer physischer Leib vergeistigt werden soll, muß nicht nur der Atem, sondern auch das, was durch den Atem fortwährend erneuert wird, das Blut, der Ausdruck des Ich vergeistigt werden. Das Blut muß ergriffen werden von einem zum Spirituellen treibenden Impuls. Die Mysterien des Blutes - des Feuers, das im Menschen eingeschlossen ist - hat das Christentum hinzugefügt zu den alten Mysterien. Die alten Mysterien sagen: Der Mensch auf der Erde, wie er in irdischer Gestalt lebt, ist aus geistigen Höhen herabgestiegen in die physisch-irdische Körperlichkeit. Der Mensch hat verloren, was seine geistige Wesenheit ausmacht. Er hat sich umhüllt mit physischer Körperlich­keit. Aber er muß wieder zurück in die Geistigkeit, muß wieder von sich werfen die physische Hülle, muß hinaufsteigen in ein geistiges Dasein.

Solange des Menschen Ich, das seinen physischen Ausdruck im Blute hat, nicht ergriffen war von einem auf der Erde befindlichen Impuls, so lange konnten die Religionen nicht lehren das, was man die Kraft der Selbsterlösung des menschlichen Ichs nennt. So wird uns ge­schildert, wie die großen geistigen Wesen, die großen Avatare, her­untersteigen und sich von Zeit zu Zeit verkörpern in menschlichen Leibern, wenn die Menschen Hilfe brauchen. Es sind Wesen, die nicht zu ihrer eigenen Entwickelung in einen Menschenkörper hinunter­zusteigen brauchen, denn sie hatten ihre Menschheitsentwickelung in

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einem früheren Weltenzyklus vollendet. Sie steigen herunter, weil sie den Menschen helfen wollen. So steigt von Zeit zu Zeit, wenn die Menschheit Hilfe braucht, der große Gott Vishnu herab ins irdische Dasein. Eine der Verkörperungen des Vishnu, Krishna, spricht von sich selber, deutlich sagend, was eines Avatares Wesenheit ist. Er spricht selbst aus, was er ist, in dem göttlichen Liede, in der Bhagavad Gita. In ihr haben wir die herrlichen Worte, die der Krishna, in dem Vishnu als Avatar lebt, von sich selber ausspricht: «Ich bin der Schöpfung Geist, ihr Anfang, ihre Mitte, ihr Ende; ich bin unter den Sternen die Sonne, unter den Elementen das Feuer, unter den Wassern das Weltenmeer, unter den Schlangen die ewige Schlange. Ich bin der Weltengrund.»

Man kann nicht schöner, herrlicher die allwaltende Göttlichkeit ver­künden, als es geschehen ist in diesen Worten. Die Gottheit, die Moses sieht im Elemente des Feuers, die nicht nur als makrokosmische Gott­heit die Welt durchwebt und durchwallt, ist auch im Innern des Menschen zu finden. Darum lebt die Krishna-Wesenheit in allem, was Menschenantlitz trägt, als großes Ideal, zu dem sich der Menschen­keim von innen heraus entwickelt. Und wenn, wie es die Weisheit des Altertums anstrebte, des Menschen Atem spiritualisiert werden kann durch den Impuls, den wir in uns aufnehmen aus dem Mysterium von Golgatha, haben wir das Prinzip der Erlösung durch das, was in uns selber lebt. Alle Avatare haben die Menschheit erlöst durch Kraft von oben, durch das, was sie aus geistigen Höhen auf die Erde herunter-strahlen ließen. Der Avatar Christus aber hat die Menschheit erlöst durch dasjenige, was er aus den Kräften der Menschheit selber genom­men hat, und er hat uns gezeigt, wie die Kräfte der Erlösung, die Kräfte zur Besiegung der Materie durch den Geist in uns selber ge­funden werden können.

So konnte selbst ein solcher Erleuchteter wie der Kashyapa, trotz­dem er durch die Spiritualisierung seines Atems seinen Leib unver­weslich gemacht hatte, die volle Erlösung noch nicht finden. Der un­verwesliche Leib muß warten in der geheimnisvollen Höhle, bis ihn abholt der Maitreya-Buddha. Denn erst dann, wenn der physische Leib vom Ich aus so vergeistigt ist, daß der Christus-impuls in den physischen

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Leib einströmt, erst dann bedarf es nicht mehr des wunder­baren kosmischen Feuers, um die Erlösung herbeizuführen, sondern des im eigenen Innern des Menschen, in unserem Blute wallenden Feuers, das die Erlösung herbeiführt. Daher können wir auch von dem Lichte, das ausstrahlt von dem Mysterium von Golgatha, eine so wunderbar tiefe Legende beleuchten, wie diese über den Kashyapa erzählte.

Zunächst ist die Welt für uns finster und voller Rätsel; aber wir können sie vergleichen mit einem dunkeln Zimmer, in dem viele prächtige Gegenstände sind, die wir erst nicht sehen können. Wenn wir aber ein Licht anzünden, so erscheint dadurch die ganze Pracht der Gegenstände in dem Zimmer und alles, was diese Gegenstände sind. So kann es für den nach Weisheit strebenden Menschen sein. Der Mensch strebt zunächst in Dunkelheit. Er blickt in die Welt nach der Vergangenheit und nach der Zukunft und kann zunächst nur Dunkel­heit erblicken. Wenn dann aber das Licht, das von Golgatha kommt, entzündet wird, dann wird alles erleuchtet, bis in die fernste Ver­gangenheit, bis in die fernste Zukunft hinein. Denn alles Materielle ist aus dem Geist geboren, und aus der Materie wird der Geist wiederum auferstehen. Und diese Gewißheit in einem an die Ereignisse der Welt anknüpfenden Feste wie dem Osterfest auszudrücken, ist der Sinn dieses Festes, das wir in diesen Tagen feiern. Und wenn die Menschheit sich vergegenwärtigt, wohin sie durch die Geisteswissenschaft dringen kann - daß die Seele, indem sie erkennt die Geheimnisse des Daseins, sich einleben kann in solchen wichtigen symbolischen Festzeiten wie der Zeit des Osterfestes in die Geheimnisse des Universums -, dann wird die Seele etwas fühlen von dem, was es heißt: nicht mehr bloß mit seinem engen persönlichen Dasein zu leben, sondern mit alldem, was in den Sternen scheint, was in der Sonne leuchtet, was da lebt im Uni­versum. Sie wird sich erweitert fühlen zum Universum. Sie wird immer geistiger werden in diesem Hineinleben in das Universum.

Vom Menschenleben durch die Auferstehung zum universellen Leben zu kommen, das sind die Töne, die wir in unser Herz hineinklingen lassen durch die geistigen Osterglocken. Und wenn wir sie hören, diese geistigen Osterglocken, dann wird uns schwinden aller

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Zweifel gegenüber der geistigen Welt. Dann wird uns die Gewißheit aufgehen, daß kein Tod in der Materie uns etwas anhaben kann. Dann hat das Leben im Geiste uns wieder, wenn wir sie verstehen, diese geistigen Osterglocken.

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DAS EREIGNIS VON GOLGATHA. DIE BRUDERSCHAFT DES HEILIGEN GRAL. DAS VERGEISTIGTE FEUER Köln, Ostersonntag, 11. April 1909

Ein unmittelbarer Gewinn solcher bedeutsamen Zeitsymbole wie das Osterfest ist der, daß es unsere Herzen und Seelen geeigneter macht, um tiefer und tiefer hineinzuschauen in die Menschenrätsel und das Menschenwesen. Und so sei denn noch einmal die gestern vor unserer Seele aufgeleuchtete morgenländische Legende vor unser geistiges Auge hingestellt, jene Legende, von der wir gestern schon ahnen konnten, was sie von diesem Menschenrätsel und Menschenwesen umschließt: die Legende von Kashyapa, dem großen Weisen, dem er­leuchteten Schüler Shakyamunis, der alle Weisheit des Orients zusam­mengefaßt hatte mit großem Überblick und einem riesigen Impuls des Wirkens, und von dem mit Recht gesagt wurde, daß alle seine Nach­folger nicht vermochten, auch nur im entferntesten zu bewahren, was er aus Shakyamunis tiefem Brunnen der Weisheit hervorgeholt hatte und als Letzter - aus der Urweltweisheit - der Menschheit gegeben hatte.

Und weiter lautet die Legende: Als sich dann dem Kashyapa der Tod nahte und er sein Nirvana herankommen fühlte, ging er in die Höhle eines Berges. Da starb er bewußt und es blieb unverweslich sein Leib, unauffindbar für die äußere Menschheit, auffindbar nur für die, welche durch Initiation reif geworden waren, solche Geheimnisse zu durch­dringen. In der Bergeshöhle ruhte nun geheimnisvoll verborgen des Kashyapa unverweslicher Leib. Und vorausgesagt wurde, daß erschei­nen würde als neuer großer Verkünder der Urweltweisheit in neuer Gestalt der Maitreya-Buddha, der, wenn er zum Gipfel seines Erdendaseins emporgestiegen sein wird, gehen wird zu der Höhle, wo der Leichnam des Kashyapa ruht. Berühren wird er ihn mit seiner rechten Hand, und ein wunderbares Feuer wird aus dem Universum herabkommen, und der unverwesliche Leib des Kashyapa wird davon ergriffen werden und entrückt werden in die höheren, geistigen Welten.

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So erwartet der Morgenländer, der solche Weisheit versteht, das Wiedererscheinen des Maitreya-Buddha und seine Tat an dem unverweslichen Leib des Kashyapa. Werden sie eintreten, diese beiden Er­eignisse? Wird erscheinen der Maitreya-Buddha? Wird dann des Kashyapa unverweslicher Überrest entrückt werden durch das wun­derbare, himmlische Feuer? - Die tiefe Weisheit, die darinnen ruht, werden wir ahnen können mit unseren wahren Osterempfindungen, wenn wir aufsuchen das wunderbare Feuer, das die Überreste des Kashyapa in sich aufnehmen soll.

Wir haben gestern gesehen, wie sich die Gottheit in unserer Zeit durch zwei Pole offenbart: auf der einen Seite durch das makrokosmische Blitzesfeuer, auf der andern Seite durch das mikrokosmische Feuer des Blutes. Wir haben gesehen, daß sich angekündigt hat dem Moses im brennenden Dornbusch und auf dem Sinai im Donner und Blitzesfeuer der Christus. Denn keine andere Macht als der Christus sprach zu ihm das «Ich bin der Ich-bin.» Er gab die Zehn Gebote aus dem Blitzesfeuer am Sinai. Damit hat er sich vorbereitet. Dann er­schien er in dem mikrokosmischen Pol in Palästina. Im Feuer, das in unserem Blute lebt, da ist derselbe Gott, der sich im Himmelsfeuer an­gekündigt hat und der sich dann verkörperte im Mysterium von Palä­stina in einem menschlichen Leibe, um zu durchdringen mit seiner Kraft das menschliche Blut, in dem das menschliche Feuer seinen Sitz hat. Und durch dieses Ereignis, wenn wir es in seinen Konsequenzen verfolgen, in dem, was es bedeutet für das Erdendasein, werden wir finden können jenes lodernde Feuer, das des Kashyapa Überreste auf­nehmen wird.

Aller Weltengang besteht darin, daß sich das Materielle nach und nach vergeistigt, spiritualisiert. Im materiellen Feuer des brennenden Dornbusches und auf dem Sinai erschien dem Moses ein äußeres Zeichen der Gottesmacht. Durch das Christus-Ereignis ist aber dieses Feuer vergeistigt. Und nachdem die Christus-Macht in diese Erde ein­gegriffen hat, wer sieht dann das brennende geistige Feuer? Wer kann es wahrnehmen? - Das geistige Auge, das durch den Christus-Impuls selber geöffnet wird und das der Christus-Impuls geweckt hatte. Das sieht dieses sinnliche Feuer des Dornbusches spiritualisiert, vergeistigt.

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Und nachdem der Christus-Impuls das geistige Auge erweckt hatte, da wirkte dieses Feuer auch geistig, spirituell auf unsere Welt.

Wann wurde dieses Feuer wieder wahrgenommen? Es wurde wie­der wahrgenommen, als das erleuchtete, hellseherisch gewordene Auge des Saulus auf dem Wege nach Damaskus im Himmelsfeuer erstrahlen sah und erkannte den, der das Mysterium von Golgatha vollbracht hatte. So schauten beide den Christus: Moses im materiellen Feuer - im brennenden Dornbusch und im Blitzesfeuer auf dem Sinai -, und es kann sich ihm nur im Innern ankündigen, daß der Christus zu ihm spricht; dem erleuchteten Auge des Paulus aber zeigt sich der Christus aus dem spirituellen, dem vergeistigten Feuer. Wie Materie und Geist zueinander stehen im Weltenwerden, so stehen zueinander im Welten­gang das wundersame, materielle Feuer des Dornbusches, des Sinai, und die wunderbare Erscheinung: das Feuer aus den Wolken, das dem zum Paulus gewordenen Saulus erstrahlt. Und was ist für den ganzen Weltenwerdegang durch dieses Ereignis geschehen?

Sehen wir zurück auf die große Reihe der Menschheitsbeglücker, der Menschheitserlöser, auf die großen Gestalten der Menschheit, die der äußere Ausdruck waren für die Avatare, für die göttlich-geistigen Mächte, die von Epoche zu Epoche herunterstiegen aus geistigen Höhen und Menschengestalt annahmen, wie Vishnu, Krishna und so weiter, die erscheinen müssen, damit die Menschheit den Weg zurückfindet in die geistigen Welten. Die Menschheit brauchte, damit sie den Weg zurückfinden konnte, in der Vorzeit Gotteskraft dazu, die herunterstieg. Aber dadurch, daß das Mysterium von Golgatha ge­schehen ist, ist dem Menschen die Fähigkeit gegeben, aus seinem eige­nen Innern heraus die Kräfte zu finden, die ihn heraufheben, hinaufführen können in die geistigen Welten. Tiefer, viel tiefer als jene Welt- und Menschheitsführer ist der Christus heruntergestiegen, denn er hat nicht nur himmlische Kräfte in den irdischen Leib gebracht, sondern er hat diesen irdischen Leib selber so vergeistigt, daß nun die Men­schen aus diesen Kräften heraus den Weg zurückfinden konnten in die geistigen Welten. Mit göttlichen Kräften haben die vorchristlichen Erlöser die Menschheit erlöst. Mit Menschenkräften hat der Christus die Menschheit erlöst. Damit aber sind diese Menschenkräfte so vor

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unsere Seele gestellt worden, wie sie in ihrer Urkraft sein können. Was wäre geschehen auf unserer Erde, wenn der Christus nicht auf Erden erschienen wäre? - Diese ernste, diese tief einschneidende Frage wollen wir uns heute stellen.

Welterlöser auf Welterlöser hätten heruntersteigen können aus gei­stigen Welten: sie hätten zuletzt unten nur Menschen gefunden, so eingegraben in die Materie, so versunken in den Stoff, daß aus diesem unheiligen, unreinen Stoff die reinen göttlich-geistigen Kräfte den Menschen nicht wieder hätten emporheben können. Und tief betrübt und trauernd blickten die morgenländischen Weisen in die Zukunft, von der sie wußten: der Maitreya-Buddha wird erscheinen, um die Urweltweisheit zu erneuern, aber kein Jünger wird erhalten können die Urweltweisheit. Und wenn der Weltengang so fortging, hätte der Maitreya-Buddha tauben Ohren gepredigt, und er würde nicht mehr verstanden werden von den ganz in die Materie versunkenen Men­schen. Das, was so materiell auf der Erde geworden wäre, hätte des Kashyapa Leib verdorren lassen, so daß der Maitreya-Buddha nicht mehr imstande gewesen wäre, des Kashyapa Überreste hinaufzutragen in göttlich-geistige Höhen. Tief trauernd sahen gerade die am tiefsten Verstehenden der morgenländischen Weisheit in die Zukunft und dachten, ob denn die Erde fähig sein würde, noch etwas entgegenzu­bringen an Verständnis und Empfindung dem erscheinenden Maitreya­-Buddha.

Es mußte eine starke Himmelskraft in den physischen Stoff hinein-strahlen, sich in den physischen Stoff hineinopfern. Nicht bloß ein Gott in der Maske der Menschengestalt durfte es sein, sondern ein wahrer Mensch mit Menschenkräften, der den Gott in sich trägt, mußte es sein. Es mußte das Ereignis von Golgatha eintreten, damit der Stoff, in den der Mensch hineingestellt ist, bereit werde, gereinigt und geläutert werde, damit das Material des so gereinigten und ge­heiligten Stoffes geeignet sei, daß für künftige Inkarnationen die Ur­weltweisheit wieder verständlich werden könne. Und es muß nun die Menschheit dahin gebracht werden, zu verstehen, wie in diesem Sinne wirklich gewirkt hat das Ereignis von Golgatha. Denn was ist das Ereignis von Golgatha für die Menschheit gewesen? Wie tief einschneidend

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hat es sich hineingestellt in Menschenwesen und Men­schensein?

Lassen wir den Blick schweifen über zwölf Jahrhunderte! Schauen wir auf sechs Jahrhunderte vor dem Ereignis von Golgatha und sechs Jahrhunderte nach demselben. Sehen wir uns da einmal gewisse Begebenheiten an, die sich in den menschlichen Seelen in dieser Zeit ab­gespielt haben. Wahrlich, man kann kaum Größeres und Bedeut­sameres hinstellen vor die empfindende menschliche Seele als jene ge­waltigen Momente, die aufbewahrt hat die Buddha-Legende von der allmählichen Erleuchtung des Buddha. Er tritt heraus aus königlicher Umgebung. Er ist nicht geboren im Stalle, unter armen Hirten. Aber das ist es nicht, was hervorgehoben werden soll, sondern daß er aus dieser königlichen Umgebung herausgeht, und daß er dann das findet, was er bisher nicht gefunden hat: das Leben in seinen verschiedenen Gestalten.

Ein Kind findet er, schwach und elend. Leiden ist ihm beschert in dem Dasein, in das es durch die Geburt eingetreten ist. Er empfand: Geburt ist Leiden. - Und weiter sieht der Buddha mit seiner empfäng­lichen Seele einen Kranken, einen Siechen. So kann der Mensch wer­den, wenn er durch den Durst nach Dasein in die irdische Welt hineingetragen wird: Krankheit ist Leiden. - Einen durch Alter bresthaft gewordenen Greis findet er. Was ist es, das dem Menschen durch sein Leben beschert wird, so daß er allmählich nicht mehr Herr sein kann seiner Glieder? Alter ist Leiden. - Und einen Leichnam sah er. Der Tod steht vor ihm mit allem seinem Zerstören und Auslöschen des Lebens: Tod ist Leiden. - Und weiter forscht der Buddha dem Leben nach und sagt sich: Getrennt sein von dem, was man liebt, ist Leiden; vereint sein mit dem, was man nicht liebt, ist Leiden; nicht erhalten, was man begehrt, ist Leiden.

Groß und gewaltig und eindringlich erklang die Lehre vom Leiden durch Menschenherz und Menschenbrust. Unzählige Menschen lern­ten die große Wahrheit von der Befreiung vom Leiden durch das Er­löschen des Durstes nach Dasein, lernten, wie sie sich hinaussehnen sollten aus dem irdisch-physischen Dasein, wie sie hinausstreben soll­ten aus den irdischen Inkarnationen, und wie allein das Erlöschen des

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Durstes nach Dasein zur Erlösung und zur Befreiung vom Leiden führen kann. Wahrlich, ein höchster Gipfel der Menschheitsentwicke­hing wird da vor unsere Seele hingestellt.

Und nun lassen wir die Blicke schweifrn über einen Zeitraum, der zwölf Jahrhunderte umfaßt, sechshundert Jahre vor unserer Zeitrechnung und sechshundert Jahre nach unserer Zeitrechnung. Da muß eines hervorgehoben werden: da hat inmitten dieses Zeitraumes das Mysterium von Golgatha stattgefunden. Aus dem Zeitalter des Buddha sei jetzt nur eines hervorgehoben: der Leichnam und was der Buddha beim Anblick eines solchen empfand und lehrte. Und sechshundert Jahre nach dem Ereignis von Golgatha: da wandten sich unzählige Seelen, unzählige Augen einem Kreuzesholz zu, an dem ein Leichnam hängt; aber es gehen von diesem Leichnam für die Menschheit die Impulse aus, die das Leben durchgeistigen, die Impulse, daß durch das Leben der Tod besiegt wird. Es ist der Gegenpol von dem, was der Buddha beim Anblick eines Leichnams empfunden hat.

Der Buddha hat einen Leichnam gesehen und an ihm die Nichtig­keit des Lebens erkannt. Die Menschen, die sechshundert Jahre nach dem Ereignis von Golgatha gelebt haben, sie haben aufgeschaut mit andachtsvoller Inbrunst zu dem Leichnam am Kreuz. Er war ihnen das Zeichen des Lebens, und in ihrer Seele ging die Gewißheit auf, daß das Dasein nicht Leiden ist, sondern daß es über den Tod hinüberführt in die Seligkeit. Der Leichnam des Christus Jesus am Kreuze wurde sechs Jahrhunderte nach dem Ereignis von Golgatha zum Er­innerungszeichen des Lebens, der Auferstehung des Lebens, der Über­windung des Todes und allen Leidens, so wie der Leichnam sechs­hundert Jahre vor dem Mysterium von Golgatha das Erkenntniszeichen war dafür, daß Leid den Menschen befallen muß, der durch den Durst nach Dasein hineintritt in die physische Welt. Niemals gab es einen größeren Umschwung in der gesamten Menschheitsent­wickelung.

Wenn sechshundert Jahre vorher der Eintritt in die physische Welt für den Menschen Leiden war, wie stellt sich für die Seele jetzt, nach dem Ereignis von Golgatha, die große Wahrheit vom Leid des Lebens dar? Wie stellt sie sich dar für diejenigen Menschen, die mit Verständnis

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aufblicken zum Kreuz auf Golgatha? Ist Geburt Leiden, wie Buddha sagte? Diejenigen, die mit Verständnis aufblicken zum Kreuz auf Golgatha, die sich mit ihm verbunden fühlen, sagen sich: Diese Geburt führt den Menschen auf eine Erde, die die Möglichkeit hatte, zu umkleiden aus ihren Elementen den Christus. - Sie wollen gern be­treten diese Erde, über die der Christus gewandelt ist. Und durch die Verbindung mit dem Christus ersteht in der Seele die Kraft, durch die sie hinauffinden kann in die geistigen Welten, ersteht die Erkenntnis, daß Geburt nicht Leiden ist, sondern das Tor ist zum Finden des Er­lösers, der sich auch mit denselben irdischen Stoffen umhüllt hat, die die menschliche Leibeshülle bilden.

Ist Krankheit Leiden? - Nein! - so sagten sich die, welche den Impuls von Golgatha im wirklichen Sinne verstanden - nein, Krank­heit ist nicht Leiden. Wenn auch heute die Menschheit noch nicht ver­stehen kann, was das spirituelle Leben in Wahrheit ist, das mit dem Christus einströmt, die Menschen werden es in der Zukunft verstehen lernen, und sie werden wissen, daß, wer sich durchströmen läßt von dem Christus-Impuls, in wessen Innerstes die Christus-Kraft einzieht, daß der alle Krankheit überwinden kann durch die starken, gesunden­den Kräfte, die er aus sich entwickelt. Denn der Christus ist der große Heiler der Menschheit. In seiner Kraft ist umschlossen alles das, was aus dem Geistigen heraus wirklich die starke heilende Kraft entwickeln und was die Krankheit überwinden kann. Krankheit ist nicht Leid. Krankheit ist eine Gelegenheit, ein Hemmnis zu überwinden, indem der Mensch in sich entwickelt die Christus-Kraft.

Über die Beschwerden des Alters muß der Mensch sich in gleicher Weise klarwerden. Je mehr wir zunehmen in der Schwachheit unserer Glieder, desto mehr können wir wachsen im Geiste, können Herr werden durch die in uns wohnende Christus-Kraft. Alter ist nicht Lei­den, denn mit jedem Tage wachsen wir ja hinein in die geistige Welt Und auch der Tod ist nicht Leiden, denn er wird besiegt in der Aufer­stehung. Durch das Ereignis von Golgatha ist der Tod besiegt worden.

Kann das Getrenntsein von dem, was wir lieben, noch Leiden sein? -Nein! Die Seelen, die sich mit der Christus-Kraft durchziehen, wissen, daß die Liebe Bande schlingen kann von Seele zu Seele über alle

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materiellen Hindernisse hinweg, Bande im Geistigen, die unzerreißbar sind. Und es gibt nichts im Leben zwischen Geburt und Tod und zwischen Tod und neuer Geburt, zu dem wir nicht im Spirituellen den Weg finden durch den Christus-Impuls. Es ist undenkbar, daß wir auf die Dauer, wenn wir uns mit dem Christus-Impuls durchdringen, ge­trennt sein können von dem, was wir lieben. Der Christus führt uns zusammen mit dem, was wir lieben.

Und ebenso kann «vereint sein mit dem, was wir nicht lieben», nicht Leiden sein, weil der Christus-Impuls uns lehrt, wenn wir ihn in unserer Seele aufnehmen, alles seinem entsprechenden Maße nach zu lieben. Der Christus-Impuls zeigt uns den Weg, und wenn wir diesen Weg finden, kann niemals mehr «vereint sein mit dem, was wir nicht lieben», Leiden sein, denn es gibt nichts mehr, was wir nicht mit Liebe umfassen. - Und «nicht erreichen, was man begehrt», kann mit dem Christus nicht mehr Leiden sein, denn die Empfindungen und Gefühle des Menschen, sein Begehren, werden durch den Christus-Impuls so gereinigt und veredelt, daß die Menschen nur noch begehren nach dem, was ihnen werden soll. Sie leiden nicht mehr unter dem, was sie entbehren; denn sollen sie entbehren, so ist es zur Läuterung, und die Christus-Kraft gibt ihnen die Kraft dazu, es als Läuterung zu emp­finden, und daher ist es auch nicht mehr Leiden.

Was ist also das Ereignis von Golgatha? Es ist das allmähliche Hin­wegschaffen der von dem großen Buddha hingestellten Tatsachen vom Leiden. Es gibt keinen größeren Einschlag im Weltenwerden und Weltenwesen als das Ereignis von Golgatha. Daher können wir auch verstehen, daß es fortwirkt und positive, gewaltige Folgen hat für die kommende Menschheit. Der Christus ist der größte Avatar, der her­untergestiegen ist auf die Erde, und wenn eine solche Wesenheit her­untersteigt ins Dasein, wie das der Christus im Jesus von Nazareth war, so tritt etwas Geheimnisvolles, höchst Bedeutsames ein: Gerade- so wie im Kleinen, wenn wir ein Weizenkorn in die Erde senken, es keimt und Halme herauswachsen und Ähren, die viele, viele Körner, Abbilder des einen Weizenkorns tragen, welches wir in dle Erde ge­legt haben, gerade so ist es auch in der geistigen Welt. Denn «alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis» - und in dieser Vervielfältigung

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des Weizenkornes können wir sehen ein Bild, ein Gleichnis für die geistigen Welten.

Als sich vollzogen hatte das Ereignis von Golgatha, da war etwas geschehen mit dem Ätherleibe und dem Astralleibe des Jesus von Nazareth: durch die Kraft des innewohnenden Christus wurden sie vervielfältigt, und in der geistigen Welt waren seitdem vorhanden viele, viele Abbilder des Astralleibes und des Ätherleibes des Jesus von Nazareth. Und diese Abbilder wirkten fort.

Wenn eine menschliche Individualität aus geistigen Höhen herabsteigt ins physische Dasein, umkleidet sie sich mit einem Ätherleibe und einem Astralleibe. Dann aber, wenn in geistigen Welten so etwas vorhanden ist wie die Abbilder des Ätherleibes und Astralleibes des Jesus von Nazareth, dann geschieht für die Menschen, in deren Karma es liegt, etwas ganz Besonderes. Wenn das Karma einer Individualität es zuließ - nachdem das Mysterium von Golgatha vollzogen war -, so wurde ihr ein Abbild des Ätherleibes oder des Astralleibes des Jesus von Nazareth einverwoben. So war es in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, zum Beispiel bei Augustinus der Fall. Als diese Individualität herunterstieg aus geistigen Höhen und sich umkleidete mit einem Ätherleib, da wurde ihrem Ätherleib ein Abbild einver­woben vom Ätherleibe des Jesus von Nazareth. Ihren Astralleib und ihr Ich hatte sie für sich, hatte aber einverwoben in den Ätherleib ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth.

So übertrug sich das, was umhüllt hatte den Gottmenschen von Palästina, auf andere Menschen, die nun den Einschlag dieses großen Impulses weitertragen sollten in die übrige Menschheit hinein. Weil Augustinus angewiesen war auf sein eigenes Ich und seinen eigenen Astralleib, war er all dem Zweifel, all den Schwankungen, den Irrun­gen ausgesetzt, welche er schwer überwinden konnte; sie kamen aus diesen noch unvollkommenen Teilen seiner Wesenheit. Alles, was er durchgemacht hat, hat er durchgemacht durch sein irrendes Urteil und die Irrtümer seines Ich. Aber als er sich durchgerungen hatte, als sein Ätherleib zu wirken begann, da stieß er auf die Kräfte, die ihm einver­woben waren aus dem Abbilde des Ätherleibes des Jesus von Naza­reth in seinem Ätherleibe. Und jetzt wurde er derjenige, der einen Teil

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der großen Mysterienwahrheiten dem Abendlande verkündigen konnte. So gab es viele derjenigen, die wir als die großen Träger des Christentums im Abendlande kennen, die berufen waren, das Christen­tum fortwirken zu lassen im 4., 5., 6. bis 10. Jahrhundert, denen auf­gehen konnten die großen Ideen, die vorbildlich waren, die einver­woben gehabt haben in ihrem Ätherleib ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth. Daher konnten ihnen aufgehen die großen Visionen, die großen vorbildlichen Ideen, die dann ihre Ausgestal­tungen gefunden haben bei den großen Malern und Bildhauern.

Wie sind sie entstanden, diese vorbildlichen Typen für die Bilder, die noch jetzt uns erfreuen? Diese entstanden, als durch das einver­wobene Abbild des geheiligten Ätherleibes des Jesus von Nazareth bei den Menschen des 5., 6., 7. und 8. Jahrhunderts unserer Zeitrech­nung die großen Erleuchtungen kamen, mit einem Inhalt des Christen­tums, zu dem man nicht brauchte historische Überlieferungen. Zu dem Inhalt der Lehre von dem Christus erhielten sie einverwoben ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth, und sie brauchten keine historische Überlieferung der Tatsachen des Christentums; sie wußten aus innerer Erleuchtung, daß der Christus lebt, weil sie einen Teil des Jesus von Nazareth in sich trugen. Sie wußten es ebenso, wie Paulus es wußte, daß der Christus lebt, als er in dem spiritualisierten, lodernden Himmelsfeuer die Christus-Erscheinung sah. Hatte der Paulus sich bekehren lassen bis dahin durch das, was über die Er­eignisse in Palästina zu erzählen war? Keines der Ereignisse, die man ihm hat erzählen können, war imstande, aus dem Saulus einen Paulus zu machen, und dennoch ging der wichtigste Impuls für die äußere Ausbreitung des Christentums von Paulus aus, durch ihn, der ungläubig blieb gegenüber den Erzählungen auf dem physischen Plan, aber der gläubig wurde durch ein okkultes Ereignis, das in der spiri­tuellen Welt sich vollzog. Sonderbar nehmen sich die aus, die ein Christentum haben wollen ohne spirituelle Erleuchtung! Denn nie­mals würde das Christentum sich in der Welt ausgebreitet haben ohne die spirituelle Erleuchtung des Paulus. Einem übersinnlichen Ereignis verdankt die äußere Ausbreitung des Christentums ihr Dasein.

Und wiederum pflanzte sich das Christentum fort in späterer Zeit

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durch diejenigen, die indem geschilderten Weise in innerer Erleuchtung den Christus erleben konnten, auch den historischen Christus erleben konnten, weil sie in sich trugen, was als Rest geblieben war von dem historischen Christus und seinen Hüllen. Im 11., 12., 13. und 14.Jahrhundert erhielten andere Menschen, wenn sie durch ihm Karma dazu berufen und reif waren, Abbilder einverwoben des Astralleibes des Jesus von Nazareth. Solche Menschen, die in sich trugen Abbilder des Astralleibes des Jesus von Nazareth, waren zum Beispiel Franz von Assisi, Elisabeth von Thüringen und andere mehr. Ohne diese Kennt­nis ist für uns zum Beispiel das Leben des Franz von Assisi und dem Elisabeth von Thüringen unverständlich. Alles, was uns heute so sonderbar erscheint im Leben des Franz von Assisi, rührt daher, daß das Ich des Franz von Assisi das menschliche Ich dieser menschlichen Individualität war; aber all die Demut, Hingabe, Inbrunst, die wir so bewundern an Franz von Assisi, sie rührt davon her, daß ihm einverwoben war in seinem Astralleib ein Abbild des Astralleibes des Jesus von Nazareth. Manchen andern Persönlichkeiten dieser Zeit war einverwoben ein solches Abbild. Sie werden uns zu Vorbildern, denen wir nachstreben, wenn wir dies wissen. Derjenige, der der Sache auf den Grund geht, wie sollte der verstehen das Leben der Elisabeth von Thüringen, wenn er nicht wüßte, daß ihm einvemwoben war ein Abbild des Astralleibes des Jesus von Nazareth? Viele, viele waren durch diese fortwirkende Christus-Kraft dazu berufen, diesen mächtigen Impuls in die Nachwelt zu tragen.

Aber noch etwas anderes war erhalten geblieben für noch spätere Zeiten: unzählige Abbilder des Ich des Jesus von Nazareth sind erhalten geblieben. Sein Ich war zwar aus den drei Hüllen verschwun­den, als dem Christus darin einzog, aber ein Abbild, ein durch das Christus-Ereignis noch erhöhtes Abbild ist vorhanden geblieben, und dieses Abbild des Ich, das ist unendlich vervielfältigt. In diesem Abbilde des Ich des Jesus von Nazareth haben wir etwas, was heute noch vorhanden geblieben ist in dem geistigen Welt. Ja, es kann gefunden werden dieses Abbild des Ich des Jesus von Nazareth von Menschen, die sich dazu reif gemacht haben, dieses Abbild und damit zugleich dem Glanz der Christus-Kraft und des Christus-Impulses, den es in sich trägt.

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Der äußere physische Ausdruck für das Ich ist das Blut. Das ist ein großes Geheimnis. Es hat aber immer Menschen gegeben, die das wußten und denen bekannt war die Tatsache, daß Abbilder des Ichs des Jesus von Nazareth in der geistigen Welt vorhanden sind. Und es hat immer Menschen gegeben, die durch die Jahrhunderte hindurch, seit dem Ereignis von Golgatha, im geheimen dafür zu sorgen hatten, daß die Menschheit langsam heranreift, damit es Menschen gebe, die aufnehmen können die Abbilder des Ich des Jesus von Nazareth-Christus, wie es auch Menschen gegeben hat, die aufgenommen haben Abbilder seines Ätherleibes und Astralleibes. Dazu mußte das Ge­heimnis gefunden werden, wie ganz in der Stille, im tiefen Mysterium, dieses Ich aufbewahrt werden könne bis zum geeigneten Momente der Menschheits- und Erdenentwickelung. Es bildete sich dazu eine Bruderschaft von Eingeweihten, die dieses Geheimnis bewahrten: die Bruderschaft des Heiligen Gral. Sie hütete dieses Geheimnis. Diese Gesellschaft hat es immer gegeben. Und gesagt wird, daß ihr Ahnherr die Schale genommen hat, die dem Christus Jesus beim Heiligen Abendmahl benutzt hatte, und in dieser Schale hat er aufgefangen das Blut des Erlösers, das vom Kreuze aus seinen Wunden floß. Gesam­melt hat er das Blut, den Ausdruck des Ich, in dieser Schale, im Hei­ligen Gral. Er hat die Schale mit dem Blute des Erlösers, mit dem Geheimnis des Abbildes des Ich des Christus Jesus aufbewahrt am heiligen Ort, in dem Bruderschaft, die durch ihre Einrichtungen und ihre Einweihung die Brüder vom Heiligen Gral sind.

Heute ist die Zeit gekommen, wo diese Geheimnisse verkündet werden dürfen, wenn die Herzen der Menschen sich reif machen lassen durch ein spirituelles Leben, so daß sie sich zum Verständnis erheben können dieses großen Mysteriums. Wenn sich die Seelen zum Verständnis solcher Geheimnisse anfachen lassen durch die Geisteswissen­schaft, wenn unsere Seelen sich einleben zu solchem Verständnis, so werden die Seelen reif, im Anblick jenem heiligen Schale das Mysterium von dem Christus-Ich, von dem ewigen Ich, zu dem jedes Menschen-Ich werden kann, kennenzulernen. Da ist es, dieses Geheimnis - her­bei nur sollen sich die Menschen rufen lassen durch die Geisteswissen­schaft, dieses Geheimnis als Tatsache zu verstehen, um das Christus-Ich

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im Anblick des Heiligen Gral zu empfangen. Dazu braucht man das, was da geschehen ist, zu verstehen als Tatsache, es hinzunehmen als Tatsache.

Dann aber, wenn die Menschen immer mehr vorbereitet sein werden zum Empfang des Christus-Ich, dann wird sich das Christus-Ich immer mehr in die Seelen der Menschen ergießen. Sie werden dann sich hin­aufentwickeln dahin, wo ihr großes Vorbild, der Christus Jesus, stand. Die Menschen werden dadurch erst verstehen lernen, inwiefern der Christus Jesus das große Menschheitsvorbild ist. Und wenn die Menschheit das verstanden haben wird, wird sie beginnen, in ihrem tiefsten Innern zu ahnen, daß die Gewißheit, die Wahrheit von der Ewigkeit des Lebens von dem toten Leichnam am Holze des Kreuzes von Golgatha ausgeht. Die von dem Christus-Ich Inspirierten und Durchdrungenen, die Christen der Zukunft, werden noch anderes ver­stehen. Sie werden verstehen, was nur die Erleuchteten bisher ver­standen haben. Nicht bloß den Christus werden sie verstehen, der durch den Tod gegangen ist, sondern sie werden verstehen den trium­phierenden, in das spirituelle Feuer auferstehenden Christus der Apo­kalypse, der vorherverkündet worden ist. Und das Osterfest kann uns immer ein Symbolum sein für den Auferstandenen, ein Band, das ge­schlungen wird von dem Christus am Kreuze zu dem triumphierenden Christus, dem auferstandenen und erhobenen Christus, zu dem, der alle Menschen mit sich erhebt zur Rechten des Vaters.

So weist uns das Ostersymbolum in die ganze Erdenzukunft per­spektivisch hinein, in die Zukunft der Menschheitsentwickelung hin­ein, und so ist es uns ein Unterpfand dafür, daß die vom Christus in­spirierten Menschen einst immer mehr aus Saulus-Menschen zu Pau­lus-Menschen werden und immer mehr schauen werden ein spirituelles Feuer. Wahrlich, wie dem Moses und denen, die sich zu ihm bekannt haben, im sinnlichen Feuer des Dornbusches und des Blitzes auf Sinai der Christus vorherverkündigend erschienen ist, so wird der Christus uns erscheinen in einem vergeistigten Feuer der Zukunft. «Er ist bei uns alle Tage, bis an der Welt Ende», und er wird erscheinen im spiri­tuellen Feuer denen, die den Blick sich haben erleuchten lassen durch das Ereignis von Golgatha. Die Menschen werden ihn schauen in dem

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geistigen Feuer. Erst haben sie ihn in anderer Gestalt geschaut; dann erst werden sie schauen die wahre Gestalt des Christus in einem spiri­tuellen Feuer.

Damit aber, daß der Christus so tief heruntergewirkt hat in das Erdendasein, bis in das physische Knochengerüst hinein, hat das, was aus den Elementen der Erde seine Hülle gebildet hat, diesen physischen Stoff so geläutert und geheiligt, daß er nie mehr so werden kann, wie es in ihrer Betrübnis die Weisen des Morgenlandes annahmen, indem sie glaubten, daß der Erleuchtete der Zukunft, der Maitreya-Buddha, nicht finden werde Menschen auf der Erde, die aufsteigen können zu einem Verständnis für ihn, weil sie zu tief in den Stoff hinuntergesun­ken sind. Darum ist der Christus auf Golgatha geführt worden, damit er den Stoff wieder hinaufführen konnte in geistige Höhen, damit das Feuer nicht zur Schlacke werden möge auf der Erde, sondern daß es vergeistigt werde. So werden die Menschen wiederum verstehen die Urweltweisheit, wenn sie selbst vergeistigt sind: die Urweltweisheit, aus der sie selbst einstmals als aus der geistigen Welt entsprungen sind. So wird der Maitreya-Buddha das Verständnis finden auf der Erde - was er sonst nicht hätte finden können -, nachdem die Menschen durch ein noch tieferes Verständnis hindurchgegangen sind. Denn wir verstehen alles, was wir in der Jugend gelernt haben, besser, nachdem wir durch Prüfungen reifer geworden sind und später darauf zurück­schauen können. Und so wird die Menschheit die Urweltweisheit ver­stehen dadurch, daß sie zurückschauen wird auf diese Urweltweisheit im Lichte des Christus durch das Ereignis von Golgatha.

Und wie nun können die unverweslichen Überreste des Kashyapa gerettet werden, und wohin werden sie gerettet? Es heißt: der Maitreya-Buddha wird erscheinen und ihn berühren mit seiner rechten Hand, und der Leichnam wird in einem Feuer entrückt werden.

In demselben Feuer, das Paulus auf dem Wege nach Damaskus ge­sehen hat, haben wir zu sehen das wunderbare, vergeistigte Feuer, in dem geborgen wird der Leib des Kashyapa. In diesem Feuer wird ge­borgen werden alles Große und Edle der Vorzeit in der Zukunft. In dem vergeistigten Feuer, in welchem dem Paulus der Christus erschien, wird durch den Maitreya-Buddha der unverwesliche Leib des Kashyapa

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geborgen werden. So werden wir einströmen sehen, einfließen sehen das Große, das Herrliche, Weisheitsvolle aller Vergangenheit in dasjenige, was der Menschheit durch das Ereignis von Golgatha geworden ist.

Eine Auferstehung des Erdgeistes selber, eine Erlösung der Menschheit tritt uns in dem Symbole der Osterglocken entgegen. Die­ses Symbolum gab noch jedem, der es zu verstehen wußte, ein, wie der Mensch sich aufschwingt zu geistigen Höhen durch das Oster-geheimnis. - Nicht ohne Bedeutung ist es, daß Faust, der am Rande des Todes steht, durch die Osterglocken zurückgerufen wird zu einem neuen Leben, das ihn zu dem großen Augenblick führt, wo er sich sagt, als er vor seinem Tode erblindet: «Allein im Innern leuchtet helles Licht.» So kann er hinaufdringen in die geistigen Welten, wo der Menschheit edle Glieder gerettet werden.

Gerettet, geläutert, geborgen wird alles, was in der Vergangenheit gelebt hat, in der geläuterten Geistigkeit, die sich durch das Mysterium von Golgatha über die Erde und in die Menschheit ausgegossen hat, so wie auch geläutert wird einstmals, wenn der Maitreya-Buddha er­scheinen wird, der unverwesliche Leib des Kashyapa, des großen, morgenländischen Weisen, in dem wunderbaren Feuer, in dem Lichte des Christus, das dem Paulus erschienen ist auf dem Wege nach Damaskus.

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ALTE OFFENBARUNG UND NEUZEITLICHES FRAGENLERNEN Kristiania (Oslo), 16. Mai 1909

Es soll heute die mehr okkulte Seite unserer gestrigen Betrachtung zur Geltung kommen. Die vier nachatlantischen Kulturen hatten so­zusagen widerzuspiegeln in den Seelen der Menschen die großen kosmischen Vorgänge, wie sie sich in der Zeitenfolge abgespielt haben, während wir in unserer Kulturperiode vom 13., 14. Jahrhun­dert ab keine solche Spiegelung mehr haben, denn das, was sich äußer­lich in der Menschheitsentwickelung abspielt, ist auf tieferliegende Gründe zurückzuführen.

Wir wissen, wie für die sieben heiligen Rishis aufbewahrt worden waren die Ätherleiber der großen atlantischen Eingeweihten und wis­sen auch, wie der Ätherleib und der Astralleib des Zarathustra einverwoben worden sind dem Moses und dem Hermes. In aller Zeit gab es die Möglichkeit, daß solche Ätherleiber, welche durchgearbeitet und vorbereitet waren von den Eingeweihten, weiter benutzt wurden in der spirituellen Ökonomie der Welt. Es fand auch anderes statt. Für besonders wichtige Persönlichkeiten werden solche Ätherleiber in den höheren Welten geformt. Wenn jemand für die Menschheits­mission besonders wichtig war, so wurde in den höheren Welten ein solcher Ätherleib oder Astralleib gewoben und diesen besonderen Persönlichkeiten eingeprägt.

So geschah es mit Sem, der in der Tat etwas zu tun hat mit dem ganzen Stamm der Semiten. Für einen solchen Stammvater wurde ein besonderer Ätherleib geprägt. Sem war dadurch eine Art Doppelpersönlichkeit. So fabelhaft es dem heutigen Menschensinn auch vor­kommt, es erschien eine solche Persönlichkeit wie Sem dem Hellseher wie ein gewöhnlicher Mensch mit seiner Aura, aber so, als ob ein höheres Wesen, das herunterragt aus höheren Welten, seinen Ätherleib ausfüllte und die Aura dieses Menschen dadurch den Vermittler bildete zwischen dieser Persönlichkeit und den höheren Welten. Ein solches göttliches Wesen hat aber, als in einem Menschen wohnend, ganz besondere Macht: Es kann dann einen solchen Ätherleib vervielfältigen;

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und diese vervielfältigten Ätherleiber bilden dann ein Gewebe, das den Nachkommen immer wieder einverwoben wird. So bekamen die Nachkommen des Sem eingeimpft die Abbilder seines Ätherleibes. Aber auch der Ätherleib des Sem selbst, nicht nur die vervielfachten Abbilder, wurde in den Mysterien aufbewahrt. Und eine Persönlichkeit, die eine besondere Mission erhalten sollte, mußte, um sich ganz verständigen zu können mit dem semitischen Volke, diesen Ätherleib benutzen; so wie ein hochgebildeter Europäer etwa die Sprache der Hottentotten lernen müßte, um sich mit ihnen zu ver­ständigen. Die Persönlichkeit, die eine besondere Mission hatte, mußte also, um sich dem semitischen Volke verständlich zu machen, in sich tragen den nun wirklichen Ätherleib des Sem. Solch eine Per­sönlichkeit zum Beispiel war Melchisedek; der sich nur in dem Äther-leibe des Sem dem Abraham zeigen konnte.

Und nun müssen wir uns die Frage stellen: Wenn wir erst jetzt, in der fünften nachatlantischen Kulturperiode, ein Verständnis ent­wickeln können für das Christentum, wie war es denn da in dem Rest der griechisch-lateinischen Zeit, die noch bis in das 13. und 14. Jahr­hundert dauerte?

Da findet ein geheimnisvoller okkulter Vorgang statt. Der Christus lebte ja nur während dreier Jahre in den Hüllen des Jesus von Naza­reth, der eine so hohe Individualität ist, daß er im dreißigsten Lebens­jahre die physische Welt verlassen konnte, um in die geistige Welt einzugehen, damals, als über seinem Haupte erschien die Taube. Die drei hochentwickelten Leiber werden nun ausgefüllt von der Christus-Individualität dadurch, daß diese Christus-Individualität in dem phy­sischen Menschenleibe lebt. Diese für das physische Auge unsicht­baren Leiber des Jesus von Nazareth werden nun in ähnlicher Weise vervielfältigt wie dazumal der Ätherleib des Sem, so daß vom Tode am Kreuz an nun vorhanden sind Abbilder des Ätherleibes und des Astralleibes des Jesus von Nazareth. Das hat nichts zu tun mit seinem Ich; dies ging ja in die geistige Welt und hat sich später immer wieder verkörpert.

In den ersten Jahrhunderten nach dem Christus-Ereignis sehen wir, wie die christlichen Schriftsteller noch auf Grund mündlich überlieferter

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Tradition der Apostelschüler arbeiten. Sie legten Wert auf physische Überlieferung. Auf diese allein hätten aber spätere Jahr­hunderte nicht bauen können. Vom 6. und 7. Jahrhundert an geschieht es nun, daß besonders hervorragenden christlichen Verkündern einverwoben wurde ein Abbild des Ätherleibes des Jesus von Nazareth. Ein solcher Mensch war Augustinus. Er hatte gewaltige Kämpfe durch­zumachen in seiner Jugend. Dann aber wurde in bedeutsamer Weise in ihm wirksam der Impuls des Ätherleibes des Jesus von Nazareth, und da beginnt er erst, aus sich selbst heraus christliche Mystik zu treiben. Wir können seine Schriften eben nur in diesem Lichte verstehen.

Viele Persönlichkeiten sind in der Welt herumgegangen, in sich tragend eine solche Kopie. Columban, Gallus, Patrick, sie trugen alle solch ein Abbild des Ätherleibes in sich, und gerade dadurch waren sie in der Lage, das Christentum zu verbreiten. So konnte eine Brücke geschlagen werden vom Christus-Ereignis zur nachfolgenden Zeit.

Und nun sehen wir im 11. und 12. Jahrhundert solche Menschen, die einverwoben erhalten in den eigenen Astralleib denjenigen des Jesus von Nazareth. Eine solche Persönlichkeit war Franz von Assisi. Wenn wir sein Leben verfolgen, wird es uns in manchem unverständ­lich sein; aber gerade seine Impulse der Demut, der christlichen Hin­gebung, können wir verstehen, wenn wir uns sagen, daß ein solches Geheimnis in ihm lebte. Durch solche Einverwebungen des Astral­leibes werden nun um das 11., 12. und 13. Jahrhundert solche Men­schen Verkündiger des Christentums. Sie haben also das Christentum durch Gnade empfangen.

Das Ich des Jesus von Nazareth hat ja die drei Hüllen bei der Johannestaufe verlassen; aber es ist doch ein Abbild dieses Ich gleich einem Siegelabdruck verblieben in den drei Hüllen. Von diesen drei Leibern nimmt die Christus-Wesenheit Besitz, aber auch von noch etwas, das wie ein Abdruck des Jesus-Ich zurückbleibt. So etwas wie eine Ich-Kopie des Jesus wird nun einverwoben vom 12., 13., 14. Jahr­hundert ab in solche Menschen, die nun zu sprechen beginnen von einem «inneren Christus». Meistör Eckart, Tauler, sie sprechen dann aus ihrer eigenen Erfahrung heraus wie ein Ich-Abdruck von Jesus von Nazareth.

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Es sind nun noch viele Menschen da, die so etwas in sich tragen wie Kopien dem verschiedenen Leiber des Jesus von Nazareth, aber diese werden nun nicht mehr die führenden Persönlichkeiten. Wir sehen nun immer mehr, wie es in unserem fünften Zeitraum Menschen gibt, die sich auf sich selbst, auf ihr eigenes Ich stellen müssen. Immer sel­tenem werden solche inspirierte Menschen. Deshalb mußte vorgesorgt werden, daß in unserem fünften Zeitraum eine geistige Strömung ent­stehe, die dafür zu sorgen hätte, daß auch noch weiter spirituelle Er­kenntnisse zur Menschheit dringen könnten. Es mußte für die Men­schen, die angewiesen sind auf ihr bloßes menschliches Ich, vorgesorgt werden von jenen Individualitäten, die in die Zukunft schauen konn­ten. Es wird uns erzählt in einem solchen Legende, daß das Gefäß, in dem der Christus Jesus das Abendmahl mit seinen Jüngern genommen hatte, aufbewahrt wurde. Das ist die Legende vom Heiligen Gral, und wir sehen in der Erzählung von Parzival typisch ausgedrückt einen Schülenwendegang unserem fünften nachatlantischen Zeit. Da hat er eins versäumt, der Parzival: Es war ihm nämlich gesagt wor­den, er sollte nicht viel fragen. Das ist der wichtige Übergang von dem alten Zeit zur neuen Zeit: Möglichst passive Hingabe war das Notwendige im alten Indien für den Schüler; später auch noch bei Augustinus, bei Franz von Assisi. Alle diese demütigen Leute ließen sich inspirieren durch das, was in ihnen lebte, was ihnen einverwoben war. Nun aber sollte das Ich die Frage in sich tragen. Jede Seele, die heute einfach passiv hinnimmt, was ihr gegeben wird, die kommt da­durch nicht über sich selbst hinaus. Sie kann dann nur beobachten, was in der physischen Welt um sie her vorgeht. Die Seele muß heute fragen, muß sich über sich selber erheben, aus sich selber herauswachsen. Die Seele muß heute fragen, wie einstmals Parzival fragen mußte nach den Geheimnissen der Gralsburg.

So beginnt heute die geistige Forschung erst da, wo das Fragen ist. Die Seelen, die heute angeregt werden durch die äußere Wissenschaft zum Fragen, die da fragen und suchen, das sind die Parzival-Seelen. So ist sie also eingeleitet worden die Mystemienströmung, die viel an­gefeindete Rosenkreuzerschulung, die mit keinem überlieferten Weis­heit rechnet, wenn sie auch die Überlieferungen dankbar hinnimmt.

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Aber das, was heute die rosenkreuzerische Geistesrichtung ausmacht, das ist unmittelbar in den höheren Welten mit dem geistigen Auge er­forscht worden und mit den Mitteln, die der Schüler selbst angewie­sen bekommt. Nicht, weil dies oder jenes in alten Büchern steht, weil diese oder jene dieses oder jenes geglaubt haben, sondern heute er­fomschtes Weisheitsgut wird verkündet durch die rosenkreuzerische Geistesrichtung. Und solches wurde nach und nach in den Rosen­kreuzerschulen vorbereitet, die gegründet worden sind im 13., 14. Jahr­hundert durch die Individualität, die Christian Rosenkreutz genannt wird.

So kann dieses Weisheitsgut heute als Geisteswissenschaft verkün­det werden. Heute sind eben nicht mehr solche Menschen da, die ohne ihm Zutun eingeimpft bekommen das, was sie innerlich inspiriert. Heute sollen die Menschen, die fühlen, daß Geisteswissenschaft zum Herzen spricht, an sie herankommen. Es soll nicht agitiert werden für Geisteswissenschaft; ein jedem soll zum Geisteswissenschaft durch sei­nen eigenen freien Impuls kommen, dadurch, daß er in lebendigem Weise ergriffen wird von dem spirituellen Wissen.

So ziehen wir durch diese theosophisch-rosenkreuzerische Geistes-strömung das wieder an uns heran, was vorhanden ist von den Kopien des Ich des Jesus von Nazareth. So werden diejenigen, die sich dazu vorbereiten, hineinziehen in ihre Seelen das Abbild des Ich des Jesus von Nazareth. Dadurch daß sein Inneres wie ein Siegelabdruck ist von dem Ich des Jesus, dadurch wird ein solchem Mensch das Christus-Prinzip in seine Seele aufnehmen. - So bereitete die Rosenkreuzerei etwas Positives vom, Anthroposophie soll Leben werden, und die Seele, die sie wirklich in sich aufnimmt, verwandelt sich nach und nach. Anthroposophie in sich aufnehmen, das heißt, die Seele so ver­wandeln, daß sie zu dem Christus-Verständnis kommen kann.

Der Anthroposoph macht sich zu einem lebendigen Empfänger dessen, was in dem Jahve-Christus-Offenbamung dem Moses, dem Pau­lus gegeben wird. So heißt es im fünften Brief der Apokalypse, wie die Menschen dem fünften Kulturepoche diejenigen seien, die wirk­lich in sich aufnehmen, was dann für die Kulturperiode dem Gemeinde von Philadelphia etwas Selbstverständliches sein wird. Die Weisheit

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der fünften Kulturperiode wird als Liebesblume aufgehen in der sechsten.

Die Menschheit ist heute dazu berufen, etwas Neues, Göttliches in sich aufzunehmen und dadurch den Aufstieg in die geistige Welt wie­der vorzunehmen. Die geisteswissenschaftliche Entwickelungslehre wird mitgeteilt; sie soll nicht geglaubt werden, sondern die Mensch­heit soll durch eigene Urteilskraft dazu kommen, sie zu verstehen. Sie wird verkündet denen, die den Keim der Parzival-Natur in sich tragen. Und nicht lokal, nicht an einem besonderen Ort wird sie verkündet, sondern aus der ganzen Menschheit heraus werden die Menschen zusammengeführt werden, die den Ruf hören der spirituellen Weisheit.

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DER GOTT DES ALPHA UND DER GOTT DES OMEGA Berlin, 25. Mai 1909

Mit Recht wird oftmals betont, daß Geisteswissenschaft nicht nur eine Theorie über die Welt, das Leben und den Menschen sein soll, son­dern daß sie werden soll des Menschen tiefster Seeleninhalt: Lebensgehalt. Wenn man in der richtigen Gesinnung der Geisteswissenschaft gegenübertritt, so wird sie das durchaus im Menschen werden. Aus­drücklich sei betont, daß sie das nach und nach werden wird, denn Geisteswissenschaft gleicht dem, was wächst und sich entwickelt: erst ist der Keim da, der immer größer wird und damit immer wirk­samer.

Es ist aber so, daß niemand hoffen kann, daß er durch das bloß ver­standesmäßige Begreifen der Geisteswissenschaft aus ihr das richtige Leben ziehen könnte. Äußerlich betrachtet erscheint es so, als ob Geisteswissenschaft eine Weltanschauung wäre, allerdings umfassender und großartiger als andere. Aber sie ist noch etwas anderes; denn welche Theorie würde jene umfassenden Anschauungen über Saturn, Sonne und Mond haben können? Welche Weltanschauungen würden heute wagen, ganz bestimmte Aussagen darüber zu machen? Sie blei­ben bei abstrakten Begriffen stehen, wenn sie sich über dasjenige er­heben, was sinnliche Augen sehen und sinnliche Ohren hören. Solche Weltauffassungen und Theorien haben unbestimmte Begriffe über das Göttliche, das hinter dem Wirklichen webt. Auch in bezug auf andere, weniger hochfliegende Wahrheiten, wie die Lehren von Reinkarnation und Karma, auch darin ist Geistesforschung weit voran alldem, was die Wissenschaft in bezug auf die Entwickelung des Menschen zu sagen wagt. Sie könnte zwar auch zu diesen Lehren kommen; denn wenn man die Konsequenzen der materialistisch-wissenschaftlichen Tatsachen wirklich ziehen wollte, so müßten Reinkarnation und Karma längst populäre Lehren sein. Aber weil man nicht wagt, in der heutigen Wissenschaft diese Konsequenzen zu ziehen, so macht man halt. Man spricht von naturgeschichtlicher und geschichtlicher Entwickelung, aber von der wahren Entwickelung der menschlichen Individualität,

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die von Leben zu Leben geht und welche die Menschenseele in die Zukunft hinüberträgt, davon will man nichts hören.

Diejenigen, die das Leben betrachten, müssen rein durch die Kon­sequenzen dieses Lebens auch zu der Lehre kommen, die durch die hellseherische Forschung bekundet wird: zu der Lehre von den vier Gliedern des Menschen. Aber weil die heutige Zeit in ihrem Denken so mutlos ist, wird diese Lehre nur von der Geisteswissenschaft ver­kündet. So hat Geisteswissenschaft auch als Lehre vieles voraus vor andern Weltanschauungen und Philosophien, die in der Gegenwart an den Menschen herantreten.

Aber alles das ist im Grunde genommen doch nicht die eigentliche Frucht der Geisteswissenschaft. Ihre Frucht besteht nicht darin, daß sie als befriedigende, weittragende Lehre hingenommen wird. Man kann die Frucht nicht haben ohne den Keim. Was wir heute als Frucht der anthroposophischen Weltanschauung entwickeln und was unsere Herzen beseligen und unsere Liebe warm machen kann: diese Frucht geisteswissenschaftlicher Weltanschauung kann man nicht haben ohne den Keim, das heißt die geisteswissenschaftliche Erkenntnis selber. Man sagt etwa: Was brauchen wir diese Vorstellungen über Re­inkarnation und Karma, über die Glieder des Menschen und die Ent­wickelung der Welt? Es handelt sich um Entwickelung der Menschenliebe und einer edlen Gesinnung. - Gewiß handelt es sich darum, aber eine wahre, für die Welt fruchtbare Menschenliebe ist nur möglich auf der Grundlage der Erkenntnis, und zwar der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis.

Als Erkenntnis hat Geisteswissenschaft vieles vor den andern Welt­anschauungen voraus. Wenn sie in uns wahrhaft innerlich erlebt wird, wenn wir uns nicht verdrießen lassen, in unseren Seelen immer wieder diese großen, umfassenden Gedanken zu erwecken, die Gedanken immer in uns herumtragen, dann sehen wir, daß diese Lehre in einem ganz bestimmten Sinn ein Lebensinhalt werden kann. Die geisteswissenschaftliche Lehre ist eine Summe von Ideen, die uns in über­sinnliche Welten führen, und wir müssen uns deshalb bei unserem geisteswissenschaftlichen Denken aufschwingen zu höheren Welten. Eine jede geisteswissenschaftliche Stunde ist ein Hinausgreifen der

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Seele über das Alltägliche. Wir sind mit unserem Denken in dem Augenblick, wo wir uns der Lehre hingeben, hinausentrückt in eine andere Welt. Unser Ich ist dann vereint mit der geistigen Welt, und wenn wir bedenken, daß sie es ist, aus der unser Ich herausgeboren ist, so sind wir dann, wenn wir geisteswissenschaftlich denken, mit unse­rem Ich in unserer geistigen Heimat, bei dem Urquell, aus dem es stammt.

Wenn wir dies in richtigem Sinne fassen, dann können wir wahrlich das geisteswissenschaftliche Denken mit demjenigen Bewußtseinszustande vergleichen, den wir - vom geistigen Standpunkte aus - als den Schlaf erkennen. Wenn der Mensch des Abends einschlummert und in eine geistige Welt hineinschläft, dann ist er mit seinem Ich auch in derjenigen Welt, aus der sein Ich herausgeboren ist, aus der es an jedem Morgen heraustritt, um innerhalb des Leibes in die Sinnenwelt hineinzutreten. Einstmals wird die Seele bewußt in dieser geisti­gen Welt darinnen sein; im normalen Menschenbewußtsein ist das Ich nicht bewußt darinnen. Warum? Deshalb, weil es im Lauf der Zeiten in seinem Bewußtsein für die geistige Welt immer schwächer ge­worden ist.

In der atlantischen Zeit sah sich das Ich im Schlafe umgeben von göttlich-geistigen Wesenheiten. Nach der atlantischen Katastrophe wurde das Ich herausversetzt in die Sinneswelt und verlor immer mehr die Fähigkeit, hineinzuschauen in diejenige Welt, in der es im Schlafe darinnen ist. Denn unsinnig ist der Gedanke, daß es am Abend aus­löschen und am Morgen wieder auferstehen würde. Es ist in der gei­stigen Welt, nur nicht bewußt!

Geisteswissenschaftliches Denken macht uns stark, um nach und nach uns bewußt zu verbinden mit diesen geistigen Welten. Dadurch, daß uns Anthroposophie wenigstens im Denken in diese Welt hineinführt, hat sie gewisse Eigenschaften - wohltuende Eigenschaften - mit dem Schlaf gemein. Im Schlaf hören alle Sorgen und Bekümmer­nisse auf, die aus den Dingen der Sinnenwelt heraus kommen. Wenn der Mensch schlafen kann und sein Denken ausgelöscht ist, vergißt er alle Sorgen. Das ist die wohltuendste Wirkung des Schlafes und sie beruht darauf, daß das Ich während des Schlafes die Strömungen der

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geistigen Welt in sich einfließen läßt. Diese Strömungen haben stär­kende Kräfte und bringen es dahin, daß nicht nur während des Schla­fes Vergessen der Sorgen und Kümmernisse eintritt, sondern daß auch jene Schädigungen unseres Organismus, die wir durch Sorgen und Kümmernisse empfangen, dadurch überwunden werden. Was diese schlimm gemacht haben, löscht jene geistige Macht aus, und daher die Erquickung, die Wiedergeburt, die jeder gesunde Schlaf gibt. Solche Eigenschaften hat geisteswissenschaftliches Denken mit dem Schlaf im höheren Sinn gemein.

Die spirituellen Gedanken sind starke Gedanken, wenn wir sie lebensvoll erfassen. Wenn wir uns hinauferheben zu den Gedanken der Erdenvergangenheit und -zukunft und diese grandiosen Geschehnisse auf uns wirken lassen, dann wird unsere Seele gespannt hingezogen werden zu ihnen und sie wird über die Sorgen des Tages weit hinweggetragen werden. Gedanken, wie aus dem Karma, diesem Schicksalsplan, uns das Ideal unseres eigenen königlichen Willens erwächst, geben uns Mut und Kraft, so daß wir uns sagen: Mögen auch heute diese oder jene Hindernisse in meinem Leben unüberwindlich sein -meine Kraft wächst von Inkarnation zu Inkarnation. Immer stärker wird der königliche Wille in mir, und alle Hemmnisse werden mir helfen, diesen Willen immer königlicher zu machen. Ich werde die Hemmnisse überwinden und daran wird sich mein Wille immer mehr entwickeln, meine Energie wird wachsen. Die Kleinlichkeiten des Lebens, als das Minderwertige des Daseins, werden schmelzen wie Reif an der Sonne, jener Sonne, die aufgeht in der Weisheit, die uns im spirituellen Denken durchdringt. Unsere Gefühlswelt wird durchwärmt, durchglüht, durchleuchtet; unser Dasein wird sich weiten und wir werden uns darin beseligt fühlen.

Wenn wir solche Augenblicke wiederholen und auf uns wirken lassen, dann wird eine Stärkung unseres ganzen Daseins nach allen Richtungen hin daraus erfließen. Zwar nicht von heute auf morgen, aber in steter Wiederholung solcher Gedanken werden der Trübsinn, das Wehklagen über unser Schicksal, das trübselige Temperament nach und nach hinschwinden. Ein Heilmittel unserer Seele wird Geist-Erkenntnis sein! Und wenn sie das wird, wenn sich unser Dasein so

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weitet, dann pflanzt sie in uns die Gesinnung, welche die Frucht der Geist-Erkenntnis ist. Das, was sie so in uns erstehen läßt, muß be­trachtet werden als das geisteswissenschaftliche Ideal. Aller Zwiespalt, alle Disharmonien des Lebens werden gegenüber den harmonischen Gedanken und Gefühlen, die einen energischen Willen nach sich zie­hen, fallen. Damit erweist sich die Geistesforschung nicht bloß als Wissen und Lehre, sondern als Kraft des Lebens und als Inhalt unserer Seele. Wenn sie so verstanden wird, dann wird sie imstande sein, im Leben derart zu wirken, daß sie den Menschen allen Sorgen und Kümmernissen entreißt. Und so muß sie wirken in unserer Zeit, denn sie verdankt ihr Dasein nicht einer Willkür, sondern der Erkenntnis, daß sie notwendig ist.

Die Individualitäten, die dem normalen Dasein der Menschen weit vorangeschritten sind, die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen haben erkannt, daß Geisteswissenschaft in unsere Kultur einfließen muß, wenn diese nicht verdorren soll. Geisteswissenschaft ist ein neuer Lebenssaft, und die Menschheit muß von Zeit zu Zeit neue Lebenssäfte zugeführt bekommen. Geistes­wissenschaft ist eine in unserer Zeit notwendige Strömung. Diejeni­gen, die ein Gefühl haben für diese großen Wahrheiten, sollen herbeieilen und die Wahrheiten aufnehmen, um eine Art Ferment zu sein für die übrige Menschheit, um Salz zu sein für das Geistesleben der gan­zen Menschheit. Das muß der Strebende als eine Art Pflicht empfin­den. Unschwer ist es zu erkennen, warum gerade in unserer Zeit von hoher Stelle aus der Ruf nach Geisteswissenschaft ergangen ist, um diejenigen zu sammeln, die offenes Herz und freien Verstand für sie haben. Wir haben an unserer Seele vorüberziehen lassen die nach-atlantische Menschheit und haben die Kulturepochen verfolgt von der indischen bis zu unserer Zeit, der fünften Epoche. Wir sahen, wie während dieser Zeit die Menschen Stück für Stück das Bewußtsein der geistigen Welt verloren haben.

In der ersten Epoche hatten die Menschen noch ein tiefes Sehnen nach der geistigen Welt. Die Sinnenwelt ist ihnen Maja, Illusion. Dann aber kamen Zeiten, die den Menschen zu äußerer, physischer Arbeit berufen haben. Er muß die Sinneswelt liebgewinnen, denn nur dann

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kann er sie bearbeiten. Nicht mehr darf der Mensch sagen, die äußere Welt ist nur Maja, sondern er muß sich mit seinen Kräften und seiner Weisheit in sie hineinvertiefen. Dadurch aber verliert er nach und nach das Bewußtsein von der geistigen Welt, und Zarathustra, der Initiator der persischen Kultur, muß seinen Schülern sagen: Die Kraft, die von der Sonne ausstrahlt als physische Kraft, ruft alles Lebende zum Dasein auf. Aber diese physische Kraft ist nicht das einzige. In der Sonne lebt Ahura Mazdao, das geistige Wesen der Sonne. - Es mußte den Menschen gezeigt werden, wie in allem Sinnlichen der äußere Ausdruck eines Geistigen gegeben ist.

So kam es, daß zuerst in der persischen Kultur aufging jene Stim­mung: Das, was von der Sonne beleuchtet wird, ist zwar Maja, aber hinter dieser Maja ist der Geist zu suchen. Die geistige Welt ist immer um mich herum, aber mit sinnlichen Augen und Ohren kann ich sie nicht erleben, nur mit übersinnlichem Bewußtsein. Wenn dieses Be­wußtsein erweckt wird, dann kann ich auch im sinnlichen Dasein den großen Geist der Sonne mit allen seinen Unterwesen, die zur Sonne gehören, erkennen. Es kommt eine Zeit, wo meine Seele das nicht erkennen wird. - Aber schwierig war es, dies den Menschen voll zu überliefern. Sie müssen in immer neuen Verkörperungen nach und nach reif gemacht werden, um hinter allem Physischen ein Göttlich-Geistiges zu erkennen, um zu erkennen, daß die ganze Natur davon durchdrungen ist.

Der Mensch konnte in diesem Leben das Göttliche erkennen, aber er konnte nicht dieses Bewußtsein in die Zeit zwischen Tod und einer neuen Geburt hinübernehmen. Denn das war das Eigenartige in dieser Zeit, daß das Bewußtsein des Menschen zwischen Tod und einer neuen Geburt immer dunkler wurde. Nehmen wir eine Seele von einem Inder der alten Zeit. Wenn sie hinüberging durch den Tod und in der andern Welt war, so lebte sie noch in einer verhältnismäßig hellen Welt innerhalb geistiger Wesenheiten. In der persischen Kultur war das schon weniger der Fall. Die Welt zwischen Tod und neuer Geburt war dunkler geworden. Hindernisse türmen sich auf zwischen Seele und Seele, und einsam fühlt sich die Seele. Sie kann sozusagen nicht die Hand hinüberreichen zur andern Seele. Das ist das Schwere und

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Dunkle dieses Lebens in der geistigen Welt, daß man nicht gemein­sam mit andern gehen kann.

Während der ägyptischen Zeit war schon ein großer Teil der Kraft für die Seele verloren, die sie befähigte, andern Seelen die Hand zu reichen; so viel, daß die ägyptische Seele sich sehnte nach Erhaltung des Leibes. Er sollte in der Mumie erhalten bleiben. Das kam daher, weil die Seele spürte: Die Kraft, die ich mitnehme in dieses Leben zwischen Tod und neuer Geburt, ist gering. Man will den Leib er­halten, damit die Seele auf ihn herabschauen kann wie auf etwas, das zu ihr gehört und so die Kraft ersetzen, die sie drüben nicht mehr er­hielt. Solche Kulturerscheinungen wie die Mumifizierung hängen tief zusammen mit der Entwickelung der menschlichen Seele.

Der Ägypter hatte die Vorstellung, daß er sich im Tode mit Osiris vereinigt. Er sagte sich: Einstmals, in alten Zeiten, konnte die Seele drüben schauen. Jetzt hat sie die Kraft verloren, aber sie kann sich dafür einen Ersatz schaffen, wenn sie hier im Leben sich solche Eigen­schaften aneignet, daß sie Osiris immer ähnlicher wird. Dann wird sie selbst eine Art Osiris und wird mit ihm nach dem Tode vereint sein. - So hatte sich die Seele durch Anklammern an Osiris einen Ersatz zu schaffen versucht für das, was sie nicht mehr aus alten Zeiten erhalten konnte. Aber was Osiris der Seele nicht geben kann, das zeigt die ägyptische Legende, die sagt, daß Osiris einst mit den Menschen zu­sammen die Erde bewohnte. Dann aber wurde er von seinem bösen Bruder Seth in einen Kasten gesperrt, wie in einen Sarg. Das will sagen, daß Osiris einstmals, als die Menschen noch geistiger waren, mit ihnen zusammen war auf der Erde; doch dann mußte er in der geisti­gen Welt verbleiben, weil er zu gut war für die physische Menschengestalt. Ein solches Wesen muß die Seele werden, ein Wesen, das zu gut ist für die Menschengestalt, wenn diese Seele sich einen Ersatz verschaffen wollte für die geistige Kraft des Schauens zwischen Tod und neuer Geburt. Durch das Ähnlichwerden mit Osiris konnte die Seele drüben ihre Einsamkeit überwinden, doch sie konnte nicht das, was sie so erhielt in der geistigen Welt durch die Gemeinschaft mit Osiris, wieder mitbringen in eine neue Verkörperung, denn Osiris paßte ja nicht hinein in diese sinnlich-physische Verkörperung. Erträglich

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machte sich die Seele das Dasein zwischen Tod und neuer Geburt, aber sie konnte nichts von dem mitbringen in eine neue In­karnation.

Das war die schwere Gefahr, in der die Menschheit damals schwebte, daß die Inkarnationen immer schlechter wurden. Denn nichts Neues konnte hinzukommen an geistiger Kraft. Nur das, was aus alter Zeit geblieben war, konnte ausgebildet werden. Das war ausgereift in der griechisch-römischen Zeit. Wie von der Blüte die Frucht trat das zu­tage in der herrlichen Kunst der Griechen. Das war die schönste Frucht dessen, was der Menschheit als altes Erbgut mitgegeben war aus Urzeiten. Aber damit war verknüpft Dunkelheit und Finsternis in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt, und recht hatte der vornehme Grieche, wenn er sagte: Lieber ein Bettler auf Erden, als ein König im Reich der Schatten! - Jawohl, in dieser Welt der grie­chischen Lande und der römischen Staaten, wo der Mensch so viel besaß, was seine Sinne beglückte und befriedigte, in dieser Welt war es, wo er nichts mitnehmen konnte in das Leben zwischen Tod und neuer Geburt.

Dann kam das Ereignis von Golgatha, jenes Ereignis, das nicht nur Bedeutung hat für die äußere physische Welt, sondern für alle die Welten, die der Mensch durchlebt. In dem Augenblick, wo das Blut aus den Wunden des Erlösers floß, als der Leichnam am Kreuze hing, erschien der Christus in der Unterwelt und entfachte das Licht, das wiederum sehend machte die Seelen da unten. Und von jenem Augen­blicke an war es, daß die Seele einsehen konnte, daß auch wiederum von da unten Kraft kommen kann für die äußere Welt. Nicht mehr vereint sich die Seele mit dem Osiris, um Ersatz zu haben für das ver­lorene Schauen, sondern von nun an konnte sie sich sagen: Ich finde auch da unten das Christus-Licht, das, was sich hineinversenkt hat in die Erde, denn der Christus ist der Geist der Erde geworden. Und ich sauge Kraft im Leben zwischen Tod und neuer Geburt aus dem Gei­stigen heraus, solche Kraft, die ich mitbringen kann, wenn ich zu neuer Geburt auf die Erde zurückkehre. - Was war aber notwendig, damit diese Kraft in richtiger Weise einströme? Dazu war notwendig, daß sich in bezug auf das Sinnliche ein völliger Umschwung vollzog.

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Fragen wir uns, was diese alten Inder empfanden, wenn sie sagten: Diese Welt ist Maja, die große Täuschung, und wenn ich durch meine Sinne mich mit ihr verbinde und sie wahrnehme, dann bin ich selbst der großen Täuschung verfallen. Nur wenn ich mich abziehe von ihr und mich erhebe zu dem, was jenseits vom Sinnlichen liegt, wenn ich mich zu dem uralten Geistigen erhebe, dann bin ich in der Welt der Götter! Allein dadurch, daß ich mich von der Außenwelt zurückziehe, komme ich durch mein Inneres, das mir wie ein altes Erbstück geblieben ist von diesen geistigen Welten, zurück zu meiner alten Heimat. Ich muß zurückgehen in dieses uralt heilige Land, aus dem ich hineingeschritten bin in die Sinnenwelt. Ich kann nur dadurch zu­rückkommen, daß ich mein Geistiges wirken lasse, wenn es den Blick ablenkt von der Außenwelt. - Das konnte man in jener Zeit: man konnte den Schritt zurückwenden. Es war noch so viel in diesem Innern geblieben von der Kraft, zu den alten Göttern aufzuschauen, daß bei Anwendung dieser Kraft der Weg zu den Göttern gefunden werden konnte. So fand der Inder seine Devas, aus denen alles ent­sprungen ist.

Nun kam die persische Zeit, in der die menschliche Seele nicht mehr so viel hatte von der Kraft, die wie ein Erbgut aus der alten Zeit war. Hätte jetzt die Seele gesagt: Ich lenke meine Schritte zurück, ich will nicht in dieser Welt bleiben -, so würde sie nicht mehr die alten Götter gefunden haben. Dazu reichte die Kraft nicht mehr aus. Das ist mit der Fortentwickelung der Menschheit verbunden. Versuchte jetzt die Seele den Blick hinwegzulenken über die äußere Welt und sie bloß als Maja anzusehen, so hätte das dazu geführt, nicht die hohen Götter zu sehen, sondern nur die untergeordneten Devas, die schlimmen geistigen Wesenheiten, die nicht zu den hohen Göttern gehören, und die in das Böse herabgefallen sind. Dies hätten die Seelen gefunden. Weil diese Gefahr vorlag, mußte der Seele gezeigt werden, wie sie, nicht sich abwendend von der Sinneswelt, sondern ausgehend von ihr, in ihr mehr sehen kann, wie die Sinneswelt ein äußerer Ausdruck für ein Geistiges ist. Wenn sich der Blick zur Sonne emporwendet, so lernt die Seele in ihr nicht bloß die äußere physische Sonnenkraft sehen, sondern Ahura Mazdao, den Sonnengott, und dadurch wird die

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Seele fähig, auch innerhalb der Sinnenwelt etwas vom Göttlich-Geistigen zu wissen.

Die persische Seele war schwach geworden für die geistigen Kräfte, die zu den alten Göttern zurückführten, und sie mußte erst erzogen werden, durch den Schleier des Materiellen, der über dem Geistigen liegt, hindurchzuschauen. In der Außenwelt verbargen sich ihr die schlechten Asuras, aber sie konnte noch nicht die guten geistigen Wesenheiten schauen, die hinter der Maja sind. Deshalb kehrt sich zwischen der indischen und der persischen Kultur alle Namengebung für das Geistige um. Devas sind in der indischen Kultur die guten Wesen, in der persischen sind die Devas die schlechten Götter ge­worden. Das ist der wahre Grund dieser Umänderung; er lebt in der Fortentwickelung der menschlichen Seele. Sie war immer stärker ge­worden in bezug auf die äußere, aber immer schwächer in bezug auf die innere Welt. Aber nun wurde von denjenigen, die die Menschheits­entwickelung zu leiten haben, das Kommende vorbereitet.

Als Zarathustra gelernt hatte, den Blick zur Sonne emporzuwenden und in der Sonnenaura den Sonnengott zu schauen, da wußte er be­reits, daß das kein anderer als der Christus-Geist ist, der sich vorläufig nur von außen offenbaren kann. In seiner Seele auf der Erde konnte der Mensch noch nicht die Christus-Wesenheit erblicken. Was als Ahura Mazdao früher in der Sonne gesehen ward, das muß herab­steigen auf die Erde. Erst dann kann der Mensch lernen, durch sein Inneres wieder einen Deva, ein Göttlich-Geistiges, in sich selber zu sehen. Das Leben im Menschenleibe war in der persischen Zeit noch nicht fähig, den Christus-Geist aufzunehmen und sich damit zu durch­dringen. Das mußte langsam und allmählich kommen. Wir müssen uns mit dem Gedanken bekanntmachen, daß sich die Götter nur dem offenbaren können, der sich zu einem Empfänger der Götter bereitet. Nur zu der Menschheit, die sich vorbereitet hatte, konnte der Deva kommen, der durch das Innere geschaut werden konnte.

Alles in der Menschheitsentwickelung geschieht langsam und all­mählich; nicht überall schreitet sie in der gleichen Weise vorwärts. Nach der atlantischen Flut waren die Völker nach dem Osten gezogen. Dieser oder jener Teil der atlantischen Nachkommen war in dieser

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oder jener Gegend geblieben, und diese Völker hatten sich verschie­den entwickelt. Wodurch war der Inder fähig geworden, eine leben­dige Empfindung zu haben für die geistige Welt? Dadurch, daß die Ich-Entwickelung einen ganz besonderen Gang genommen hat. Das Ich ist tief drinnen geblieben in der geistigen Welt, so daß es geneigt war, wenig Zusammenhang mit der physischen Welt zu finden. Das war die Eigentümlichkeit des Inders, daß er diesen Hang zum Geisti­gen der Vorzeit hatte und wenig Zusammenhang hatte mit der physi­schen Welt, mit der er sein Ich nicht in Verbindung bringen wollte. Daher blühen die Errungenschaften der äußeren Kultur nicht im Osten; die Völker dort haben keine Erfindungsgabe dafür. Im Westen hatte der Mensch mehr die Begabung, in der Außenwelt Hand anzu­legen, da er die Aufgabe hatte, sie durchzuarbeiten. Persien bildete da gewissermaßen die Grenze zwischen Westen und Osten. Mehr im Osten blieben die Menschen, die den Blick wenig auf das äußere Sinn­liche richteten. Daher konnte es kommen, daß sechshundert Jahre vor Christi für den Osten noch eine Lehre notwendig wurde, wie die des Buddha. Er mußte an diesen Punkt der Weltentwickelung hingestellt werden, weil er in den Seelen die Sehnsucht nach den geistigen Welten der Vorzeit wach erhalten sollte. Darum mußte er predigen gegen den Durst, in die physische Welt hineinzukommen. Und da predigt er ihr in einer Zeit, in der die Seele zwar noch den Hang, aber nicht mehr die Fähigkeit hatte, sich in die geistigen Welten zu erheben. Buddha predigt den Menschen die hohen Wahrheiten über das Leid, und er bringt ihnen die Erkenntnisse, die die Seelen hinwegheben über diese Welt des Leides.

Für die westliche Welt wäre diese Lehre unmöglich gewesen. Für sie mußte eine solche da sein, die dem Hang zur sinnlichen Welt ge­wachsen war. Der Westen mußte eine Lehre haben, die da sagte: In der äußeren Welt müßt Ihr so arbeiten, daß die Kräfte dieser Welt in den Dienst der Menschen gestellt werden. Aber Ihr könnt auch die Früchte dieses Lebens hineinnehmen in die geistige Welt nach dem Tode.

Man faßt gewöhnlich das Eigenartige des Christentums nicht richtig auf. In der römischen Welt fand es wenig Anklang bei denen, die die

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Schätze und Reichtümer dieser Welt genießen konnten, dagegen vielen Anklang bei denen, die die Arbeit in der sinnlichen Welt hatten. Trotz aller Arbeit in der sinnlichen Welt, innerhalb der physischen Welt, wußten diese, daß sie hier etwas entwickeln, was sie mitnehmen kön­nen nach dem Tode. Das war das hohe Gefühl, das diejenigen beseelte, die das Christentum annahmen. Die Menschen konnten sich sagen: Indem du den Christus als dein Ideal hinstellst, wirst du etwas ent­wickeln in dieser Welt, was selbst durch den Tod nicht zerstört wer­den kann. - Dieses Bewußtsein konnte sich nur dadurch ausbilden, daß der Christus wirklich auf der Erde war, nicht als Devawesenheit, son­dern als Wesenheit, die in einem Menschenleib sich verkörperte, so daß ein jeder Mensch sie zum Vorbild und Ideal nehmen konnte. Aber dazu mußten der Impuls und die Kraft geschaffen werden. Und Zarathustra schaffte die Vorbedingungen dafür. Er hatte so viel durch­gemacht, daß er vorbereitet war, diese Mission zu übernehmen.

Der Zarathustra, der in Persien in der Sonnenaura den Gott der Sonne erblickte, hatte sich in früheren Verkörperungen wohl vor­bereiten müssen, um diesen Gott erblicken zu können. Er hatte schon in der Zeit, die noch erfüllt war von den Lehren der heiligen Rishis, hohe, erhabene Inkarnationserlebnisse hinter sich. Er war eingeweiht in die Lehren der heiligen Rishis. Er hatte sie nach und nach empfan­gen in sieben aufeinanderfolgenden Inkarnationen. Dann wurde er geboren in einem Leibe, der blind und taub war und möglichst wenig Beziehung zur Außenwelt hatte. Als ein Mensch, der geradezu un­empfänglich war für äußere Sinneseindrücke, mußte Zarathustra ge­boren werden; und da kam ihm aus seinem Innern heraus die Erinne­rung an die Lehre der heiligen Rishis, die er einstmals empfangen hatte. Und gerade da konnte der große Sonnengott etwas in ihm an­zünden, was über die Lehre der Rishis hinausging. Das erstand wieder bei der nächsten Inkarnation und da war es, wo Ahura Mazdao sich von außen dem Zarathustra offenbarte.

So hatte Zarathustra viel durchgemacht, ehe er der Lehrer und Inspirator des persischen Volkes wurde. Dann wissen wir, daß er Moses und Hermes zu Schülern hatte und daß er seinen Astralleib dem Her­mes, seinen Ätherleib dem Moses gab. Von Moses geht aus die aus der

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Akasha-Chronik geflossene Lehre von dem «Ich bin der Ich-bin» - Ejeh asher ejeh. So hat Zarathustra sich langsam vorbereitet zu einem noch viel größeren und gewaltigeren Opfer. Als der Astralleib des Zarathustra wieder erschien in Hermes und der Ätherleib in Moses, da konnte sich das Ich, das sich immer weiterentwickelt hatte, bei der neuen Verkörperung einen Astral- und Ätherleib bilden, entsprechend dem vollkommenen Ich. Und Zarathustra wurde innerhalb der alten chaldäischen Lande wiedergeboren, sechshundert Jahre vor Christi, und wurde Lehrer des Pythagoras - als Zarathos oder Nazarathos. Er bereitet dann innerhalb der chaldäischen Kultur vor auf den Im­puls, der in die Welt kommen soll. Das finden wir wieder in jener Stimmung, die sich in dem Teil der Bibel ausdrückt, in dem gesagt wird: die Weisen des Morgenlandes kommen den Christus zu be­grüßen als den neuen Stern der Weisheit, der aufgegangen war. Zara­thustra hat gelehrt, daß der Christus kommen werde, und diejenigen, die als Schüler dieser bedeutsamen Zarathustra-Lehre verblieben, die wußten, wann der Zeitpunkt des großen Impulses von Golgatha kommen werde.

Nun ist zwischen denjenigen, die also in der Welt dastehen - einem Buddha, Zarathustra, Pythagoras -, immer ein gewisser Zusammen­hang. Denn was in der Welt wirkt, ist ja eine Kraft, ist Tatsache. Die Geister wirken zusammen, sie werden nicht umsonst zusammen in einem Zeitalter geboren. So greifen ineinander die großen Impulse der Menschheitsentwickelung. Zarathustra wies hin auf denjenigen, der durch das Ereignis von Golgatha bewirken sollte, daß die Menschen die Welt der Devas durch die Kraft ihres eigenen Innern finden kön­nen, immer mehr und mehr, je weiter sie sich in die Zukunft hinein entwickeln und die Schritte nach vorwärts richten können. Und zur selben Zeit sagte der Buddha: Ja, es ist eine geistige Welt, der gegen­über alle Sinneswelt Maja ist. Lenkt Eure Schritte zurück in die Welt, in der Ihr waret, bevor der Durst nach irdischem Dasein erwachte, und Ihr werdet finden Nirvana, das Ruhen im Göttlichen! - Das ist der Unterschied in der Lehre des Buddha und des Zarathustra. Der Buddha lehrt, daß der Mensch durch Zurücklenkung der Schritte zum Gött­lichen kommen kann, und der Zarathustra lehrt als Zarathos: Es wird

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die Zeit kommen, da wird das Licht sich verkörpern innerhalb der Erde selbst, und dadurch wird die Seele, wenn sie vorwärtsschreitet, näher dem Göttlichen kommen. - Buddha sagt: Im Zurückschreiten - Zarathustra sagt: Im Vorwärtsschreiten wird die Seele den Gott finden

Ob man den Gott sucht im Alpha oder im Omega: man findet ihn. Ob man zurück- oder vorwärtsschreitet: zu Gott kommt man! Aber mit erhöhten menschlichen Kräften sollen die Menschen ihn finden. Diejenigen Kräfte, die nötig sind, den Gott des Alpha zu finden, sind die Urkräfte des Menschen. Die Kräfte aber, die nötig sind, den Gott des Omega zu finden, die muß sich der Mensch selber erringen auf der Erde. Es ist nicht einerlei, ob man zurück zum Alpha oder vorwärts zum Omega geht. Wer nur den Gott finden will, nur hineinkommen will in die geistige Welt, der mag vorwärts- oder rückwärtsgehen, aber wem daran liegt, daß die Menschheit die Erde in einem erhöhten Zustande verlasse, der muß den Weg zum Omega weisen.

Das tat Zarathustra. Er bahnte den Weg für jene Menschheit, die Hand anlegen sollte an die Kräfte der Erde selber. Das vollste Ver­ständnis brachte Zarathustra dem Buddha entgegen, denn beide such­ten ja ein und dasselbe. Was muß Zarathustra tun? Er muß die Mög­lichkeit herbeiführen, daß der Christus-Impuls zur Erde hinabsteigen kann. Zarathustra wird wiedergeboren als Jesus von Nazareth, und durch das, was in der vorangehenden Inkarnation geschehen war, konnte sich Zarathustra mit mancherlei, was übriggeblieben war durch die spirituelle Ökonomie, vereinigen. Die Welt ist tief und die Wahrheit kompliziert!

Und einverleibt wurde dem Jesus von Nazareth auch die auf verschiedenen Wegen fortgeführte Wesenheit des Buddha, denn in dem, der viel wirken soll, wirkt viel. Das Ich des Jesus verließ bei der Taufe im Jordan den physischen, Äther- und Astralleib, und der Sonnengott, der Christus-Geist zieht ein und lebt drei Jahre in den Leibern des Jesus von Nazareth. So hatte Zarathustra hingearbeitet darauf, die Menschheit zu einem Empfänger des Christus-Impulses zu machen.

Damit war ein wichtiger Moment der Erdenentwickelung gekom­men. Es war jetzt möglich geworden, daß die Menschen den Gott in ihrem Innern finden konnten, und sie konnten jetzt etwas mitbringen

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aus diesem Leben zwischen Tod und neuer Geburt in die neue Ver­körperung hinein. Und jetzt sind schon Seelen da, die stark genug empfinden: Ich war in einer Welt, in der das Christus-Licht geleuchtet hat. - Daß das in mancher Seele dunkel geahnt wird, das macht den Menschen fähig, heute das Wort der Geisteswissenschaft zu verstehen. Weil es heute solche Menschen gibt, sagten sich die Meister der Weis­heit und des Zusammenklanges der Empfindungen, dürfen wir hoffen, daß sie die Wahrheiten der Geisteswissenschaft empfinden und daß sie dieselben zu ihrem Lebensinhalte machen werden. Weil die Meister dies wissen, übertrugen sie denen, die Verständnis dafür hatten, die Mission, die Anthroposophie in der Gegenwart zu verkünden.

Es ist eine Notwendigkeit, daß Geisteswissenschaft jetzt beginnt, eine geistige Strömung in unserer Gegenwart zu werden. Die Seelen für sie hat der Christus selber vorbereitet, und eine völlige Gewähr für ihr Bleiben ist die Tatsache, daß das Christus-Licht, nachdem es ein­mal entzündet ist, nicht mehr erlöschen kann. Mit diesem Gefühl der Notwendigkeit der anthroposophischen Geistesströmung erfüllen wir uns, und dann stehen wir im rechten Sinne darinnen und sie wird uns als unverrückbares Ideal vor Augen stehen.

Ja, eine menschliche Persönlichkeit mußte sich so weit entwickeln, daß ermöglicht wurde, daß das Licht hinabsteigen und in einem Menschenleibe sagen konnte: «Ich bin das Licht der Welt!»

Es leuchtete zuerst hinab in die Seele Zarathustras und sprach zu dieser Seele, und diese Seele begriff das Licht der Welt und hat sich für dasselbe hingeopfert, damit es eine Stätte fand, um den Menschen aus einem irdischen Leibe heraus sagen zu können: «Ich bin das Licht der Welt!»

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VON BUDDHA ZU CHRISTUS Budapest, 31. Mai 1909

Keine religionsphilosophische Betrachtung, keine literarhistorische Abhandlung, keinen wissenschaftlichen Vortrag will ich Ihnen über dieses Thema halten, sondern nur das soll gesagt werden, was die Geisteswissenschaft und der Okkultismus darüber mitzuteilen haben, und zwar dasjenige, was sie aus dem Rosenkreuzerokkultismus heraus uns zu geben haben, was diese zu sagen haben über solche Größen wie Buddha, wie Christus.

In einem Kongreßvortrag, der für reifere Theosophen bestimmt sein soll, ist es mir wohl gestattet, in intimerer Weise über diese Wahr­heiten zu sprechen. Es soll darüber in großen Linien gesprochen wer­den, denen auch Detailfragen sich eingliedern mögen. Der Rosen­kreuzerokkultismus stellt eines der großen Prinzipien okkult-theo­sophischer Forschung dar, aus welchen spirituelles Leben einfließen soll in die Herzen. Die Ziele und Ideale der Theosophie finden wir auch draußen, außerhalb der Theosophischen Gesellschaft. Aber ein Unterschied der Mittel besteht, die angewendet werden, um okkulte Erkenntnis und Wahrheit zu erringen und sie richtig zu verwerten; denn okkultes Forschen kann und muß unmittelbar einfließen ins Leben. Lassen Sie mich das Ihnen an einem trivialen Beispiel klar­machen: Es ist mit der Menschenseele ähnlich wie mit einem Ofen, dem man nicht zuzureden braucht, das Zimmer warm zu machen, da dies seine Ofenaufgabe wäre. Er tut es von selbst, wenn wir Holz in ihn hineinbringen und anzünden. Vielleicht könnte jemand dazu sagen, dem Holz sieht man es ja gar nicht an, daß es Wärme gibt. Und doch gibt es Wärme. Indem wir das ganz anders aussehende Holz in den Ofen hineinbringen, es anzünden, bringen wir Wärme in unser Haus. Indem wir uns an die geisteswissenschaftlichen Begriffe ge­wöhnen, gewöhnen wir uns an eine freie Urteilsfähigkeit, an eine freie Orientierungsfähigkeit in der Welt.

Nicht Ideale vorzupredigen ist unsere Aufgabe, sondern Heizmaterial

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müssen wir den Menschenseelen geben, das Heizmaterial spiritueller Weisheit, echter Brüderlichkeit und wahren Menschentums. Dieses zu verwirklichen ist unser Ziel.

In der Zeit, während welcher in der spirituellen Strömung des Christentums eine Verdunkelung eintrat, weil das Christentum sich veräußerlichte, lebte im 13. und 14. Jahrhundert diejenige Strömung auf, die wir die rosenkreuzerische nennen. Ihr wurde die Aufgabe zu­teil, die uralte Weisheit zu pflegen, die Schätze der Urweltweisheit zu behüten, während draußen in der Welt das Christentum immer mehr sich veräußerlichte und in seiner wahren Gestalt verblaßte. Da wo draußen nur äußere Formen und verknöcherte Dogmen galten, da gab es dann auch für das wirkliche spirituelle Leben nur Abschwur und Fluch; Abschwur und Fluch für das, was in den Mysterien als das Höchste und Heiligste galt und verehrt wurde. So konnte man damals oft hören die Worte: Ich fluche dem Skythianos, ich fluche dem Boddha, ich fluche dem Zarathas. - Das sind die drei Namen derjeni­gen, die ganz im Geheimen und im Inneren der Mysterien und Mysterienschulen der Rosenkreuzer als heilige Meisternamen verehrt wur­den.

Zarathas ist dieselbe Persönlichkeit wie Zarathustra, nicht der Zarathustra, von dem die Geschichte spricht, sondern jene hohe Indi­vidualität, welche die uralt persische Kultur begründete und der Leh­rer der damaligen Geheimschulen war. Skythianos, eine uralte, hoch­entwickelte Persönlichkeit, die in einer späteren Inkarnation in Innerasien die okkulten Schulen leitete und später auch der Lehrer der inne­ren Schulen Europas wurde. Boddha oder Buddha ist ein und die­selbe Persönlichkeit.

Um verstehen zu können, was der Eingeweihte bei diesen drei Namen empfand, und um das, was sie geben konnten, ahnen zu kön­nen, müssen wir zurückgehen in der Menschheitsevolution und müs­sen uns näher auf den Rosenkreuzerokkultismus und die Rosenkreuzerart einlassen. Verstehen im Hören wollen wir. Blicken wir zurück in die Vergangenheit. Vorgeschrittene Menschen, solche, die aus der Menge herausragten, gab es immer. Sie waren es, zu denen der Durch­schnittsmensch in Verehrung aufblickte als zu hohen Idealen. Anfeuernd

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auf seine Moral und Lebensenergie wirkte es, wenn er auf­blickte zu solchen Persönlichkeiten, die es in Weisheit und Intellektualität so hoch gebracht. Heute noch strömt die Kraft der hohen Geister in unsere feineren Leiber ein. Blicken wir zurück in die Ver­gangenheit zu all den spirituellen Individualitäten, von denen jetzt ge­sprochen werden soll, zurück bis in die Zeit der uralt indischen Kul­tur. Gehen wir noch weiter in der Menschheitsevolution zurück, bis in die Zeit der alten Atlantis und ihrem Untergang, dem Ereignis, das uns trennt von einer noch älteren Epoche der Menschheit, wo unsere Seelen anders gelebt haben als in den heutigen Leibern. Wir wollen uns auf die Beschreibung der damaligen Kultur und des Lebens dort jetzt nicht näher einlassen, sondern nur die Antwort auf die Frage heute zu beleuchten suchen: Wie war in alten Zeiten die Füh­rung unserer Menschheit und woher kamen die Einflüsse?

Wenn der Seher, dessen Geistesauge eröffnet ist, und der da zu lesen versteht in jener feinen Schrift, die wir die Akasha-Chronik nen­nen, den Blick zurückschweifen läßt in den geistigen Welten, so findet er die Stätten, von denen damals die Kultur und alles geistige Leben ausgegangen sind. Die Stätten findet unsere Seele, in denen in den da­maligen Mysterien die Meister mit ihren Schülern versammelt waren. Mannigfache Mysterien gab es in der alten Atlantis, anders waren sie als die heutigen, sie wurden auch anders benannt. Nicht Kirche und nicht Schule allein waren diese Stätten, sondern beides zugleich. In den Stätten, wo man die Wahrheit suchte, fand man Religion und Weisheit, eines waren beide im Mysterium. Wir können mit einem heutigen Wort den Begriff der damaligen Kultusstätten, der Myste­rienstätten, charakterisieren, obwohl sie damals ganz anders benannt wurden: atlantische Orakel können wir sie nennen. So werden sie innerhalb der Mysterien Europas genannt.

So wie heute das äußere Wissen und die Erwerbs- und Berufsgebiete des äußeren Lebens unterschieden werden in einzelne Wissenszweige und Abteilungen, so war es in der alten Atlantis im geistigen Leben der atlantischen Orakel und ihrer Weisheitsstätten. Es gab verschie­dene Zweige der Orakelerforschung, des okkulten Wissens in der alten Atlantis. Anders als heute war das damals, auch von andern Bedingungen

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abhängig. Die alte Orakelweisheit war in den einzelnen Orakelstätten verschieden, je nach der Fähigkeit der damaligen Men­schen. Sie richtete sich nach dem, was äußerlich den Menschen umgab. Es bestanden Zusammenhänge zwischen bestimmten menschlichen Fähigkeiten und bestimmten Planeten; und so knüpften bestimmte mystisch-okkulte Fähigkeiten an bestimmte Planeten an. Wir haben daher in der alten Atlantis ein Monden-, Merkur-, Venus-, Sonnen-, Mars-, Jupiter-, Saturnorakel zu unterscheiden.

Auch unsere heutigen Fähigkeiten haben sich aus dem Kosmos heraus entwickelt wie unsere Erde, und hängen je nachdem mit andern Planeten und deren Einflüssen zusammen. Man sammelte also jeweilen aus der damaligen Bevölkerung Menschen, die dazu geeignet waren, die eine oder andere Erkenntnisfähigkeit auszubilden; dadurch wur­den sie der einen oder andern Orakelstätte zugehörig. Sieben solche Orakelstätten gab es in der alten Atlantis, nach den sieben Planeten der alten Atlantis genannt. Das Sonnenorakel erhob sich über sie alle. Im Verborgenen bereitete sich noch das Vulkanorakel zu seiner künf­tigen Aufgabe vor.

Dem Kosmos entsprungen seiner Fähigkeit nach war jedes dieser Orakel; aber in einem bestimmten Territorium, da flossen die Fähig­keiten aller sieben Orakelstätten zusammen. Dort vereinigte sich das gesamte Wissen aller sieben Orakel der Atlantis. Eine Stätte gab es, das heilige Sonnenorakel, dessen Eingeweihte initiiert waren in das Mysterium und den Dienst dessen, was wir heute die Sonne nennen. Die physische Sonne ist ja nur der äußere Ausdruck die äußere Phy­siognomie des geistigen Lebens der hohen Wesenheit, die zu ihrem Leibe, zu ihrem Kleide die physische Sonne hat.

In jener Zeit, von der Sie alle ja gehört haben, als sich die Sonne von der Erde getrennt hat, verließen zugleich mit der physischen Sonne diejenigen Wesenheiten den Schauplatz der Erde, die so weit waren, daß sie für ihre Entwickelung die Erde nicht mehr gebrauchen konnten, die also ihre Menschheitsstufe schon absolviert hatten. Nach­dem auch noch der Mond herausgegangen war, konnte die Erde ihre Bestimmung erfüllen, Wohnsitz der Menschheit zu werden. Hätte nur die Sonne auf die Erde eingewirkt, so hätte diese eine solch rasche

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Entwickelung durchgemacht, daß die Menschen, kaum geboren, schon alt gewesen wären. Hätte aber nur der Mond auf unsere Erde gewirkt, so wären die Menschen zu Mumien erstarrt. Eine Erstarrung, eine Verholzung der Körper wäre eingetreten; zu langsam wäre die Entwickelung vor sich gegangen. Dadurch aber, daß Sonne und Mond von außen in weiser Führung in ihrer Einwirkung auf die Erde das Gleichgewicht halten, dadurch ist es möglich, daß Erde und Menschen nun das für sie geeignete Tempo gefunden haben. Die Wesenheiten, die nicht mehr zu ihrer Entwickelung das brauchten, was sich außer Mond und Erde abspaltete - Mars, Merkur, Venus und so weiter -, die gingen mit der Sonne heraus und hatten nun dort ihren Wohnplatz. Doch blieben sie mit der Erde verbunden und sandten im Licht ihre wohltätigen Kräfte auf sie herab.

Mit Sonne und Erde verbunden ist nun ein Wesen, das ein sehr ver­borgenes und geheimnisvolles ist; doch von diesem wollen wir jetzt nicht reden, sondern von dem Wesen, das vorangegangen ist der Schar jener hohen Sonnenwesen, die so weit waren, daß sie sich ab­trennen konnten von der Erde. Ein führender Sonnengeist ist es, der von der Sonne seine geistige Kraft so auf unsere Erde heruntersendet, wie physisches Licht von der Sonne auf die Erde strahlt. Sonnenwärme und Sonnenlicht strahlt er herab, diese locken das Leben aus der Erde heraus, das Blühen und Gedeihen. Aber mit dem physischen Sonnenlicht zugleich strömten die Werke, die Taten eines geistigen Sonnenwesens auf unsere Erde herunter.

Eingeweiht nun in die Taten dieses hehren Sonnenwesens waren die Initiierten des Sonnenorakels der alten atlantischen Zeit. Der Füh­rer dieses höchsten Orakels, er, der große Eingeweihte, war in der umfassendsten Weise in diese Mysterien eingeweiht. Die ganze alte atlantische Kultur und, wie wir sehen werden, nachatlantische Kultur, ging von ihm aus. Der «Manu», so wurde der Führer des Sonnen­orakels genannt - aber auf den Namen kommt es ja nicht an -, er suchte sich die Träger der nachatlantischen Kultur nicht unter den so­genannten Gelehrten und Wissenschaftern, unter den großen Hell­sehern und Magiern der damaligen Zeit. Nicht die, welche spirituelle, psychische Erkenntnisse hatten und damals etwa dasselbe darstellten

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wie heute die Wissenschafter und Gelehrten, taugten dazu, sondern die schlichten Leute, die das Hellsehen allmählich zu verlieren began­nen. Das Gegenwartsbewußtsein, das arbeitet sich erst in den letzten Zeiten der Atlantis heraus, als das alte Hellseherbewußtsein allmäh­lich abdämmert und dafür die volle Selbsterkenntnis, das Ich-zu-sich-Sagen, auftritt. Diejenigen, die intellektuell denken konnten, die sammelte der große Manu; nicht die Hellseher, nicht die Magier, aber die, welche die ersten Elemente des Rechnens, des Zählens in sich auf­nahmen und ausbildeten, welche die Verachteten waren, gar nichts konnten nach Ansicht der maßgebenden Kreise - so etwa wie heute die Theosophen -, die sammelte er und zog mit ihnen hinüber zu der heiligen Stätte Asiens, dem Punkte, von dem aus die nachatlantische Kultur kommen sollte. Europa, Asien und Afrika - Amerika wollen wir hier beiseite lassen - sind besiedelt worden von den Nachkömm­lingen der alten Atlantier, die unter der Führung des Manu dahin her­übergegangen waren. Der Eingeweihte des Sonnenorakels hatte nun dafür zu sorgen, daß die Begründung dieser nachatlantischen Kultu­ren sowie die Entwickelung der nachatlantischen Menschheit, mit den rechten Einflüssen versehen, vor sich ging. Er hatte schon früh zu sorgen, daß hinübergetragen werde alles das, was wertvoll für die künftige Entwickelung war. Es ist ein Gesetz des Okkultismus, diese Aufbewahrung, ein Gesetz der spirituelien Ökonomie. Nur aus der Kenntnis des Okkultismus, aus der spirituellen Weisheit heraus kann man das wissen.

Der große Eingeweihte nahm nun etwas Wertvolles aus der alten Atlantis mit sich hinüber nach Europa. Er hatte zu diesem Zweck vor­her sozusagen die andern Orakelstätten bereist, inspiziert, wenn Sie es so ausdrücken wollen. Sie wissen, daß beim gewöhnlichen Menschen bald nach dem Tode sich der Ätherleib vom Astralleib und Ich loslöst und allmählich im allgemeinen Weltenäther sich auflöst; ebenso nach gegebener Zeit der Astralleib. Eine Durchbrechung dieses Gesetzes findet im Interesse der spirituellen Ökonomie statt. So geschah es auch bei den Ätherleibern der sieben größten Eingeweihten der Orakelstätten der alten Atlantis.

Was heißt arbeiten an sich? Das heißt reinigen den Ätherleib und

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den Astralleib. Nun, der Äther- und Astralleib, der durchgereinigt, spiritualisiert ist, der löst sich nicht auf nach dem Tode, sondern bleibt erhalten nach dem Gesetz der spirituellen Ökonomie. Kurz, in den Mysterien gibt es die Mittel der Aufbewahrung - darüber Nähe­res zu sagen, würde jetzt zu weit führen - dessen, was an wertvollen Ätherleibern und Astralleibern von großen Initiierten errungen ist. Das wird von den Bewahrern in den Mysterienschulen erhalten. Dar­um zog der Eingeweihte des Sonnenorakels aus nach den andern atlantischen Orakelstätten und sammelte die sieben Ätherleiber der größten atlantischen Initiierten und nahm sie mit sich. Und nunmehr zog er durch seine Weisheit eine Anzahl Menschen heran, die tüchtig werden sollten für die kommende Kultur. So zog er sie heran, die Menschen, die um diese große Individualität vereinigt waren, daß sie immer fähiger und reiner wurden. Eine Kunst darf genannt werden, was nun folgte. Nach einiger Zeit nämlich konnten die sieben bedeu­tendsten Ätherleiber der sieben größten Eingeweihten der alten atlan­tischen Orakel einverleibt werden sieben Menschen, die ihrem Ich, ihrer Urteilskraft nach und so weiter in diesem Sinne schlichte Leute waren, die gar nichts bedeuteten äußerlich. Aber in sich trugen sie die sieben zuhöchst entwickelten Ätherleiber der sieben bedeutendsten Eingeweihten. Diese hatten sie in sich einströmen lassen, und dadurch konnten sie ausströmen lassen zu bestimmten Zeiten durch Inspiration von oben die großen, gewaltigen Schauungen und Wahrheiten der Evolution. Über all dieses hohe Wissen konnten sie sprechen.

Diese sieben schickte der große Eingeweihte dahin, wo noch am meisten Sinn und Verständnis für Geistiges, für die geistigen Welten war. Diese sieben Weisheitsträger sandte er ins alte Indien. Dort hat­ten die Menschen noch das Gefühl und das Bewußtsein, daß sie der­einst aus geistiger Urwelt entsprungen, aus dem Schoße der Gottheit herausgeboren waren. Maja, Illusion, dünkte ihnen daher diese ganze physische Welt. Sie sehnten sich zurück nach dieser Welt der Götter, der göttlich-geistigen Wesenheiten, mit denen sie dereinst gelebt hat­ten. Zu diesen Menschen konnten nun die sieben Weisheitsträger sprechen. Die heiligen Rishis werden sie genannt. Sie sind es, welche die erste Morgenröte unserer nachatlantischen Kultur heraufführen.

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Damit ist die Möglichkeit gegeben worden für alle diese Völker, die aus der Atlantis herübergewandert sind und sich das Bewußtsein und die Sehnsucht für die geistige Welt mit ihren göttlich-geistigen Wesen­heiten bewahrt hatten, Kunde über diese Welt zu erhalten und den Weg dahin wieder hinauf zu finden.

Aber es kamen andere Zeiten. Es gab Völker, die nicht nur dazu bestimmt waren, in den geistigen Welten zu schauen, sondern solche, die mitbegründen wollten eine neue Kultur und lieb gewinnen sollten die physische Welt; die nicht nur Maja oder Illusion in dieser physi­schen Welt sehen sollten, sondern die anfingen zu verstehen, daß diese physische Welt nur der Ausdruck, die Physiognomie für die dahinter-stehende geistige Welt ist. Diese zweite Periode ist die urpersische Kultur, die Zarathustra-Kultur. Die äußere Geschichte, die kennt nur einen verhältnismäßig späten Zarathustra, sie ahnt nicht, daß es in diesen alten Zeiten üblich war, die Namen der großen Führer auch den Nachfolgern beizulegen. Hier ist gemeint der größte Zarathustra, einer der intimsten Schüler des Eingeweihten des Sonnenorakels. Er hatte den Zusammenhang zu finden zwischen der Sinneswelt und der geistigen Welt; das war seine Aufgabe. Für ihn galt es, seinen Schü­lern klarzumachen, daß dieser physische Sonnenball der Leib der gei­stigen Wesenheiten ist, die ihren Wohnsitz in der Sonne haben, und daß diese ganze physische Welt wie Glieder und Teile des physischen Leibes göttlich-geistiger Wesenheiten anzusehen ist. Wie die Sonne eine große Aura um sich hat, so hat der Mensch seine kleine Aura, den mikrokosmischen Ausdruck jener großen Aura. Die Sonne ist der Leib des Sonnengeistes, der sich geoffenbart hat im Sonnenorakel der alten atlantischen Zeit. Sichtbar wurde dieser Sonnengeist dem Zara­thustra im Hellsehen. Die große Sonnenaura nannte er den Sonnengeist - Ormuzd nennt ihn die spätere Geheimlehre, es ist dieselbe Wesenheit, die Zarathustra auch Ahura Mazdao nannte. Sehen sollten die Menschen in der physischen Sonne den Ahura Mazdao und sich nicht verführen lassen von Ahriman, von ihm, der seit dem letzten Drittel der atlantischen Zeit im Physischen lebt, und der dem Men­schen die Seele angreift mit der Sinnenwahrnehmung, also von außen her. Luzifer dagegen ist derjenige, der von innen die Seele des Menschen

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angreift. Zarathustra hatte in den Menschen zu entzünden das Gefühl, die Herzensneigung für den großen Sonnengeist. In gewaltigen Worten tat er das, in Worten, die nicht in unsere Sprache zu übertragen sind. Alles, was Sie Herrliches in den Veden, in den Gathas finden, so schön diese Schriften auch sind, sie sind doch nur der schwache äußere Ausdruck der großen, erhabenen, ursprüng­lichen Zarathustra-Worte. Etwa wiedergeben kann man in unserer Sprache die Worte mit Folgendem:

«Ich will reden, nun höret und horchet mir zu, ihr, die ihr von nah, ihr, die ihr von fern Verlangen danach traget - ich will reden von dem, was auf der Welt mir das Höchste, was Er mir geoffenbart hat, der große, der mächtige Ahura Mazdao. Nun höret und horchet mir zu und merket alles genau: Nicht mehr soll der Irrlehrer, der Böse, der schlechten Glauben mit seinem Munde bekannt hat, verführen die Menschheit - denn Er wird offenbar, Ahura Mazdao, der Mächtige! Wer nicht hören will meine Worte, wie ich sie sage, wie ich sie meine, der wird Übles erfahren, wenn der Zeitenlauf zu Ende geht.» Und zu andern Zeiten sprach der Zarathustra: «So groß und so mächtig ist Er, der sich mir in der Sonne geoffenbart hat, daß ich alles für Ihn dahingebe. Gerne opfere ich Ihm meines Leibes Leben, meiner Sinne ätherisches Sein, den Ausdruck meiner Taten» - den Astralleib. Das war das Gelöbnis, das einstens der große Zarathustra getan.

Zwei Schüler hatte der Zarathustra. Dem einen derselben, dem teilte er durch spirituelle Mittel alles das mit, was man mit hellseheri­schen Astralorganen sehen kann. Dieser eine wurde wiedergeboren unter dem Namen Hermes, der ägyptische Hermes. Dem zweiten teilte er mit, was man mit hellseherischem Ätherleib wissen kann, die Weisheit der Akasha-Chronik: Moses war es. Sie finden sie wieder in den Büchern des Moses.

Hermes, der bei seiner Wiedergeburt den Astralleib des Zarathustra trug, dem teilte er mit nicht nur die Lehre, sondern das Wesen des Lehrers, solches kann geschehen: den hingeopferten Astralleib des Zarathustra. Zarathustra-Weisheit war es also, die Hermes, der Trä­ger der dritten Kulturepoche, verkündete.

Wiedergeboren wurde auch der andere Schüler, dem er die Weisheit

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im Ätherleibe gegeben hatte. Ihm war bei seiner Wiedergeburt einverwoben der eigene Ätherleib des Zarathustra, den er hingeopfert hatte: Moses war dieser Schüler. Finden können Sie solche Tatsachen immer in den religiösen Urkunden, doch nur verhüllt wird solches an­gedeutet in den heiligen Schriften. Lesen Sie die Erzählung von der Geburt des Moses. Was geschah da? Das Kind wurde in ein Kästchen von Schilfpappe gelegt und ins Wasser gebracht. Was heißt das? Er wurde abgeschlossen von aller Welt. Ich und Astralleib durften nicht vorher zum Ausdruck kommen, ehe nicht das Prinzip des Ätherleibes durchgedrungen ist. Wie geschieht dieses? Während der Zeit, die Moses abgeschlossen im Korbe im Wasser ruhte, leuchtet in ihm der einverwobene Ätherleib auf. Danach erst konnten dann der Astralleib und das Ich arbeiten. Die gewaltigen Bilder der Genesis, die noch lange die Menschheit beschäftigen werden, was sind sie anderes als Bilder aus der Akasha-Chronik? - Ohne Okkultismus ist das nicht zu verstehen.

Nun stehen wir in der vierten Epoche der nachatlantischen Kultur, der griechisch-römischen. Bis jetzt wurden die Menschen nur immer so ausgebildet, daß sie die Erde lieb gewinnen sollten. Aber es waren auch solche da, die in der atlantischen Zeit Genossen der Götter ge­wesen waren. Die Frage ist daher wohl berechtigt: Wo sind sie, die Iche der großen Eingeweihten jener Zeit? Bei einem solchen Ich der atlantischen Zeit, das dazumal in jener weicheren, feineren Körper­lichkeit war, ist das Dasein auf der Erde so zu verstehen, daß diese Individualitäten sich nur so lange zu verkörpern hatten, als es not­wendig war, um den Zusammenhang der Urweltweisheit und der Ur­weltspiritualität mit den Menschen aufrechtzuerhalten.

Eine solche Individualität ist der große Buddha, der wirklich er­füllen konnte die morgenländischen Schriften mit jener tiefen Weis­heit und spirituellen Kraft, die wir in ihnen finden. Die Mitteilungen über ihn, wir begreifen sie als Okkultisten und wissen sie wörtlich zu nehmen. Wenn es zum Beispiel heißt: «Er leuchtete bei seiner Geburt wie das helle Sonneulicht», so ist das wahr; oder wenn er sagt: «Die letzte der Inkarnationen habe ich beschritten, fürderhin brauche ich nicht mehr auf diese Erde zu kommen, es sei denn freiwillig.»

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In der nachatlantischen Zeit hat er sich auch durch intellektuelle Erkenntnis hindurchgearbeitet, und wir verstehen ihn, wenn er sagt, wie in ihm aufleuchtete die Reihe der Inkarnationen und Einweihungsstufen, die er hinter sich hatte:

Vor mir stand der Lichtglanz der Gestalten -
aber meine Intuition war noch nicht rein!

Ich sah die Geister der Erkenntnis -
aber meine Intuition war noch nicht rein!

Ich sah den Ort der Einweihung -
aber meine Intuition war noch nicht rein!

Ich war der Genosse unter denen:
Jetzt war meine Intuition rein!

Hier haben wir die Erleuchtung des Buddha.

Er war einer derjenigen, mit denen wir leben in der Rosenkreuzer­theosophie. Drei der Meister haben wir genannt: Zarathas, Skythia­nos, Boddha oder Buddha.

So sehen wir, wie sich diese großen führenden Persönlichkeiten in die Gegenwart hineinstellen. Der Okkultist kann alle diese Dinge nachprüfen. Doch nicht nur, was solche Größen hinterlassen, sondern alles, was für die Menschheit wertvoll ist, wird im Haushalte der spirituellen Ökonomie aufbewahrt. Nehmen wir zum Beispiel eine Persönlichkeit wie Galilei, der in der Physik des 16. Jahrhunderts Großes, Bedeutungsvolles geleistet hat. In Galilei lebte ein Ätherleib, der nach seinem Tode nicht verlorengehen darf Weit weg von dem Orte, wo einst Galilei gewirkt, in der Mitte des 18. Jahrhunderts, da lebte eine Persönlichkeit, die nach Jahrzehnten einer devotionellen Kindheit sich vorbereitet hat zu Großem. Tief in Rußland, am Weißen Meer, in einfachsten Verhältnissen lebte eine Persönlichkeit, die sich Michail Lomonossow nannte. Unbekannt, ohne Mittel, wanderte er nach Moskau, studierte dort, begründete die russische Grammatik. Lomo­nossow, er trug den Ätherleib des Galilei in sich. Und da begab es sich nun, daß eine Persönlichkeit, die das wußte, daß der Ätherleib

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des Galilei erhalten geblieben und dabei war, als gerade diese Tat­sache im Okkultismus erforscht wurde, diesen Zusammenhang fand: diese Persönlichkeit, die wußte gar nichts von Michail Lomonossow. Das ist keine Schande, man kann nicht alles wissen auf dem physischen Plan.

So sehen wir, daß durch das Gesetz der spirituellen Ökonomie das Wertvolle erhalten bleibt und die Vergangenheit mit der Zukunft ver­knüpft wird. So trifft man in den Rosenkreuzermysterien auch auf die Individualität, die in Buddha verkörpert auf dem physischen Plan lebte, die in der Atlantis als Bodhisattva im Ätherleib nur lebte, und dann als Buddha bis in den physischen Leib herunterstieg.

Unseren Blick wollen wir nun richten auf die Zeit des Buddha, auf die des Zarathustra, und auf das, was die Seelen in der Zwischenzeit zu tun hatten.

Da haben wir auf der einen Seite die Lehre von dem Ahura Mazdao und auf der andern Seite das im Menschen, was die Erde immer lieber gewinnt. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die indische, die persische, die chaldäisch-assyrisch-babylonische Zeit. In dieser Zeit verlor die Seele immer mehr den Zusammenhang mit der geistigen Welt. Sie gewann in der Griechenzeit die Erde so lieb, daß der Aus­spruch jenes großen Griechen Wahrheit ward, der da sagte: Lieber ein Bettler sein in der Oberwelt, als ein König im Reiche der Schatten!

In dieser vierten nachatlantischen Kultur, der griechisch-lateinischen, da war alles entzückend in der äußeren Welt. Der Seher be­trachtet zum Beispiel mit dem physischen Auge die Ruinen des Tem­pels von Paestum. Bewundernd schwelgen kann er in der Schönheit der Formen, in dem Reiz der Linien. Wendet er aber dann den Blick ab und sucht das in der geistigen Welt, so findet er dort nichts von dem: wie ausgelöscht ist da alles. Und so erging es den Seelen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Eisig abgeschlossen in ihrer Indi­vidualität, fanden sie sich abgeschnitten von allem Geistigen und sehnten sich nur nach dem Physischen, nach all der Schönheit zurück. Da hinein, in diese eisige Abgeschlossenheit, da mußte nun Ahura Mazdao leuchten. Der Führer der Sonne selbst, er mußte heruntersteigen. Mensch mußte er werden in der physischen Welt, um Hilfe

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zu bringen den Toten und den Lebendigen: Mensch unter Menschen mußte er sein! Das was in der Sonne lebt, das Hohe und Herrliche, das steigt herunter auf die Erde und kündigt sich jetzt im Menschen selbst an. Zuvor hat es sich in den Elementen angekündigt. Im Feuer des brennenden Dornbusches und im Feuer auf dem Sinai kündigte es sich dem Mose an. Das israelitische Volk sollte sich kein Bild von seinem Gotte machen - warum das? Kein äußerer Name kann «mich», dieses Wesen, benennen; ein ganz anderer Name nur kann das aus­drücken: «Ich bin der Ich-bin!» Es gibt keine Möglichkeit, woanders den Namen zu finden des Sonnengeistes als in dem Menschen. Das, was als Ich im Menschen lebt, das ist das Christus-Wesen.

Die Jehova-Verkündigung ging voran dem Christus. Das war die Zeit, in der das Christus-Wesen immer mehr heruntersteigen konnte. Wie hatte Zarathustra sich einst dem hohen Sonnenwesen angelobt? Was wollte er ihm opfern? Leib, Sinn, Leben und Rede. Zarathustra wurde wiedergeboren als ein Zeitgenosse des großen Buddha. Er kann sich seinen Äther- und seinen Astralleib, die er hingeopfert hat, nun selber aufbauen. Als Zarathas oder Nazarathos wird er wiedergeboren und wird da der Lehrer des Pythagoras, der selbst wiedergeboren wird als einer der drei Weisen aus dem Morgenlande und dann ein Schüler des Jesus von Nazareth wird. Der Zarathustra, der geopfert hat einmal seinen Astralleib und einmal seinen Ätherleib, der ist nun fähig, die äußere Hülle auch dem abzugeben, den er dereinst verkündigt hat: jetzt als der Jesus von Nazareth des westlichen Okkultismus. Jesus von Nazareth konnte dem Sonnengeist selber sei­nen Körper zur Verfügung stellen, er konnte sagen: «Ich bin das Licht der Welt!»

In den Mysterien war sie immer bekannt, die Christus-Wesenheit: im alten Indien der sieben Rishis nannte man sie, die stellvertretend für den Christus dastand: Vishva-Karman; Ahura Mazdao nannte sie der Zarathustra; Osiris hieß sie in Ägypten; Jahve oder Jehova nannte sie das jüdische Volk. Und jetzt, in der vierten Kulturepoche, lebte dieselbe Wesenheit drei Jahre auf unserer physischen Erde. Und sie ist es, die in der Zukunft wieder verbinden wird die Sonne mit der Erde. Als das Blut auf Golgatha aus den Wunden des Erlösers floß,

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da hat sich der Christus mystisch mit der Erde verbunden i; da erscheint die Christus-Wesenheit selber in der Aura der Erde. Seither ist sie dort zu sehen. Und der erste, der sie dort gesehen hat, wer war es? Paulus, der am meisten zur Ausbreitung des Christentums beigetragen hat. Was hat aus Saulus einen Paulus gemacht? Nicht die Lehren, nicht die Ereignisse in Palästina, sondern das Ereignis von Damaskus, ein übersinnliches Ereignis. Er konnte vorher nicht glauben, daß derjenige, der so schimpflich am Kreuze gestorben war, der Christus sei; aber er wußte als Eingeweihter der Kabbala, daß der Christus, wenn er auf Erden erschienen sein wird, in der Erdenaura sichtbar wird. Und das war das Erlebnis des Paulus. So wurde aus dem Saulus ein Paulus. Eine Frühgeburt nennt er sich - auch von Buddha wird das gesagt. Es bedeutet, daß ein solcher nicht zu tief in die Materie herabgestiegen ist. Er sah und wußte, wer der Christus ist, als er vor Damaskus hell­sehend wurde.

Der Christus hat als Bodhisattva in Buddha gewirkt. Seit dem Er­eignis von Golgatha ist er der planetarische Geist der Erde, und seit­her ist er zu finden in der physischen Erdenaura. Ein neues Licht ist in dieser und in jener Welt durch den Einschlag des Christus-Prinzips entzündet worden. Der Leib des Jesus von Nazareth, der Ätherleib, Astralleib und das Ich des Jesus von Nazareth, sie sind in großer Ver­vielfältigung in der geistigen Welt vorhanden. Das ist etwas höchst Bedeutungsvolles, was damit gesagt wird. Um dies zu verstehen, gibt uns die Natur zahlreiche aufklärende Beispiele. Denken wir nur an das Samenkorn, das zum Getreidehalm wird und sich dabei so stark vervielfältigt. Ein Gleichnis ist dieser scheinbar einfache Vorgang in der Natur für die gesetzmäßig verlaufenden Geschehnisse in der über­sinnlichen Welt. Viele Kopien vom Äther- und Astralleibe und vom Ich des Jesus von Nazareth sind da, um einverleibt zu werden den vorläufigen Trägern des Christus-Prinzips. So bedeutungsvoll ist das­jenige, was mit dem Christus-Prinzip zusammenhängt, daß es erst nach und nach von der Menschheit begriffen werden kann.

Eine Kopie des Ätherleibes des Jesus von Nazareth trug zum Beispiel Augustinus. Sie werden nun sein Leben, seine Irrtümer und seine Leistungen besser verstehen können. Sein Ich und sein Astralleib blieben

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sich selbst überlassen, und nur im Ätherleib lebte sich seine große mystische Begabung dar. Bei Franz von Assisi, bei Thomas von Aquino ist es der Astralleib des Jesus von Nazareth, dessen Kopie ihnen einverwoben ist, und die sie als Lehrer so gewaltig wirken läßt. Sie wir­ken aus dem heraus, worinnen einst der Christus war.

Manchmal müssen bei diesem Einverweben auch äußere Gescheh­nisse, es müssen zum Beispiel Naturkatastrophen oder ähnliches mit­helfen. So wird von Thomas von Aquino erzählt, daß der Blitz ein­schlägt in den Raum, in dem er sich befindet, und das Schwesterchen in der Wiege neben ihm tötet, ihn aber verschont. Für ihn bedeutet dieses Einschlagen des Blitzes neben ihm, daß die Kraft, die aus den Elementen stammt, mithilft, um ihn aufnehmen zu lassen die Kopie des Astralleibes des Jesus von Nazareth. Auch eine Elisabeth von Thüringen, sie hatte einen Abdruck des Astralleibes des Jesus von Nazareth.

Zarathustra oder Jesus von Nazareth ist einer der drei Meister der Rosenkreuzer. Abbilder seines Ich, das heißt eines Ich, in dem ge­wohnt hat der Christus-Geist selbst, sind in Vervielfältigung in der geistigen Welt zu finden. Es warten im Hinblick auf die künftige Menschheitsentwickelung in der geistigen Welt auf uns die Kopien des Ich des Jesus von Nazareth. Solche Menschen, die sich hinauf-ringen können zu den Höhen der spirituellen Weisheit und Liebe, sie sind Kandidaten für die Kopien des Ich des Jesus von Nazareth, sie sind dann die Christus-Träger, die wahren Christophoren. Sie sollen auf dieser Erde die Vorbereiter sein für sein Wiedererscheinen.

Kraft gibt uns das für unser Wirken in die Zukunft hinein, wenn wir wissen, welche Individualitäten hinter der Mission bedeutsamer Menschen stehen. Es gibt eine Möglichkeit der Prüfung dieser Tat­sachen. Erforschen kann nicht jeder das, was hinter den Kulissen der physischen Welt vor sich geht, prüfen aber das Erforschte, das kann jeder an den heiligen Schriften vor und nach der christlichen Zeit. Und es können diese Tatsachen dem Verständnis aufleuchten. Sie werden uns dann zu spirituellem Lebensblut.

II THEOSOPHIE UND OKKULTISMUS DES ROSENKREUZERS

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Erster Vortrag, Budapest, 3. Juni 1909 Die Theosophie des Rosenkreuzers

Es wird in diesem Zyklus meine Aufgabe sein, Ihnen ein Bild theo­sophischer Weltanschauung darzulegen, und zwar soll dieses vom Gesichtspunkte der sogenannten Rosenkreuzermethode aus gegeben werden. Und ich bitte Sie, diese Bezeichnung: Rosenkreuzermethode nicht dahin mißzuverstehen, daß etwa gesprochen werden soll über eine geschichtliche Entwickelung des Rosenkreuzertums, daß eine historische Darstellung darüber gegeben werden soll. Die Bezeich­nung: Rosenkreuzermethode soll nur sagen, daß Theosophie dar­gestellt werden soll nach jener Methode, nach der sie immer in den Geheimschulen Europas dargestellt worden ist seit dem 13. und 14. Jahrhundert, und die man eben die Rosenkreuzerschulung nennt.

Sie wissen, daß Theosophie dasjenige ist, was sich in alten Zeiten als Wahrheit über die Menschheit ergossen hat, um in den Herzen überall einen Grundstock menschlicher Erkenntnis zu bilden. Je wei­ter wir aber zurückgehen, je geheimer werden diese Erkenntnisse gehalten. Warum? Ich werde in diesen Vorträgen darauf noch zurück­kommen, warum diese universelle Weisheit einzelnen, die reif dazu befunden wurden, in geheimen Schulen und Pflegestätten mitgeteilt worden ist. Einzelnen, die nicht nur zu lernen, sondern etwas mit sich vorzunehmen hatten, was ihre ganze Seele umwandelte, so daß sie hellsichtig wurden. Dadurch erhielten sie Einsicht in höhere Welten. Und solche wurden dann hinausgeschickt, gleichsam als Sendboten, die berufen waren, die andern zu lenken und zu leiten. Nun besteht aber der Fortschritt darin, daß immer mehr Menschen da sind, die durch ihr Urteil und durch ihren Verstand fähig sind, diese Weisheit zu begreifen. Daher ist es notwendig geworden, daß immer mehr von dem öffentlich bekanntgegeben wird, was früher geheimgehalten wurde.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde durch äußere Verhältnisse, die wir noch kennenlernen werden, die Notwendigkeit herbeigeführt,

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eine große Menge, eine bedeutende Summe von Erkenntnissen der Geheimwissenschaft zum Heil und Fortschritt der Menschheit in die Öffentlichkeit einfließen zu lassen. Im 19. Jahrhundert sagten sich die Hüter dieses Wissens: In früheren Zeiten haben die Mitteilungen über geistige Dinge, wie sie in den Religionen oder anderswie an den Men­schen herangekommen sind, genügt, um die Bedürfnisse des Men­schen in bezug auf das Ewige zu befriedigen. Doch die Bedürfnisse der Menschheit ändern sich. - Und so mußten diese Hüter der Urweltweisheit erkennen, daß immer mehr Menschen in der Zukunft da sein werden, deren Seelen nicht mehr befriedigt werden können durch die alten Formen der Mitteilung geistiger Belange. Für solche nun ist es möglich, in der Theosophie Befriedigung zu finden. Es entspringt die Theosophie, diese neue Form der Mitteilung, der in der neueren Zeit beobachteten Wahrnehmung eines Menschheitsbedürfnisses. Die Hüter des geheimen Wissens haben natürlich gewußt, daß solche Zei­ten kommen würden, aber erst in einem bestimmten Zeitpunkt war es nötig, die Vorbereitung zum Einfließenlassen dieser Weisheit zu tref­fen und sich zu sagen: Wir müssen Sorge tragen, daß diese Geheim­nisse auch von dem Verstande des 19. und 20. Jahrhunderts erfaßt werden können. - Dies geschah im 13. und 14. Jahrhundert. Sehr wenige waren es damals, die dieses Zeitpunktes der Vorbereitung innerhalb Europas gewahr wurden. Es waren die ersten Rosenkreuzer diejenigen, die sich geschart haben um eine bedeutsame Individualität, die unter dem Schlagnamen «Christian Rosenkreutz» bekannt ist. Ghristian Rosenkreutz, er war es, der sich im deutlichsten Sinne sagen konnte: Wir haben in den Mysterien ein Wissen, einen Weisheits­schatz erhalten von dem Übersinnlichen. Lassen wir es dabei bewen­den, so dürfen wir hoffen, daß wir auch in Zukunft das machen kön­nen, was bisher geschehen ist: daß wir einzelne, in unseren Schulen herangereifte Menschen, wenn sie die Geheimnisse der Urweltweisheit gelernt und geschaut haben, hinausschicken, um andere zu belehren. Diese alte Methode der Verbreitung der Urweltweisheit soll fort­gesetzt werden, aber es muß noch anderes vorbereitet werden. - Er war imstande, sich sagen zu können: Eine weit größere Menge von Menschen wird kommen, die verlangen wird nach der Urweltweisheit.

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Wir könnten sie in der Form mitteilen, die wir jetzt dafür haben. Doch um sie so anzunehmen, dazu gehört ein hoher Grad des Glau­bens und der Anerkennung unserer Autorität, der aber immer mehr und mehr in der Menschheit verschwinden wird. Je mehr die Urteils­kraft in den Menschen wachsen wird, desto weniger werden sie den Lehrern so wie früher glauben. - Für die frühere Form der Mitteilung war Glauben und Vertrauen die Voraussetzung. Jetzt mußte man sich sagen: Es werden Leute kommen, die selbst werden prüfen wollen dasjenige, was ihnen mitgeteilt wird. Diese werden sagen: Wir wollen denselben logischen Verstand, den wir bei Betrachtung der Sinneswelt gebrauchen, anwenden bei dem, was ihr uns sagt. Zugegeben, daß zum Erforschen des Geistigen auch noch etwas anderes notwendig ist als dieser Verstand, so wollen wir doch mit demselben prüfen. - Des­halb war es im Beginn unserer Zeit notwendig, die Urweltweisheit in neue Formen zu gießen. Das war die Arbeit der Rosenkreuzer: die Urweltweisheit so zu gestalten, daß sie nach und nach die Anpassung finden konnte an den modernen Geist und die moderne Seele.

Was ist Theosophie nach Rosenkreuzermethode? Theosophie an sich ist immer und überall dasselbe. Ein Theosoph nach Rosenkreu­zerart ist heute ein Theosoph des 19. und 20. Jahrhunderts. Seine Weisheit ist in ihren Formen genau dem angepaßt, was heute die Men­schen verstehen wollen und was sie haben müssen. Was ist das Spezifische unserer Zeit? Der Gang der Menschheitsentwickelung war ja so, daß die Menschen immer mehr und mehr sich befreunden mußten mit der äußeren physischen Wirklichkeit. Blicken Sie zurück in alte Zeiten, zum Beispiel auf die alte ägyptische Kultur, mit welch ein­fachen Mitteln und Kräften die Menschen arbeiteten, ihre Bauwerke selbst aufführten, ihre persönlichen Bedürfnisse befriedigten. Schauen Sie sich dagegen unser heutiges Leben an, mit seinem ganzen raffinier­ten Aufwand von Arbeitsleistung für das physische Behagen. Welch eine ungeheure Summe von Geisteskraft und Gedankenarbeit wird da für tägliche physische Bedürfnisse verschwendet! Es war natürlich nötig, ja geradezu die Aufgabe der westlichen Welt, die äußere Kultur so zu gestalten, die äußere Natur so zu beherrschen, daß der physische Plan wirklich vom Menschengeist beherrscht wird. Eine solche Welt,

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wie die unsrige es geworden ist, braucht andere Mittel, um die Weis­heit der Geheimschulen aufnehmen zu können, als jene alte Zeit. Wenn wir dagegen das Wissen der Chaldäer und ihre Erkenntnisse in bezug auf spirituelles Wissen vergleichen mit unserem heutigen Wissen, dann stehen allerdings die Chaldäer turmhoch über uns. Wir bewun­dern heute einen Kopernikus, einen Galilei, das, was die äußere Wissen­schaft zu verzeichnen hat, aber das ist alles Kinderspiel gegenüber der alten Weisheit der Chaldäer. Für den heutigen Forscher ist der Planet Mars zum Beispiel ein äußerer Körper eben, dessen Gang und Be­wegung man bemessen kann; die Chaldäer aber wußten dazu noch, welche Kräfte und Wesen mit dem Mars zusammenhängen, welcher göttliche Wille das alles lenkt, welcher Zusammenhang zwischen die­sen Kräften und dem Menschen besteht. Das Geheimnisvolle, das Walten dieser geistigen Kräfte war ihnen kund. Deshalb ist der heutige Forscher so hilflos gegenüber dem inneren Wesen dieser alten chaldäischen Kultur. Die äußeren Mittel zu ihrer Erforschung, die hat er, die inneren aber nicht. Theosophen und Rosenkreuzer haben die spirituellen inneren Mittel, um in ihren Geist einzudringen.

Die großen Namen unserer wissenschaftlichen Autoritäten, von denen man heute liest, wie sie die Tonzylinder und -scherben aus­graben, auf denen die alte babylonische Weisheit eingeprägt ist, sie stehen dem gegenüber wie ein dreijähriges Kind vor einem elektrischen Apparat. Der Forscher weiß nicht, was anfangen mit dem, was er da ausgräbt: so gewaltig, so weit hinausdringend war damals das spirituelle Wissen. Der äußeren Wissenschaft aber war es erst möglich, mit dem Verstande und durch die äußeren Mittel unserer Kultur das zu schaffen, was wir heute - und mit Recht - als die großen Kultur-fortschritte der letzten Jahrhunderte bewundern. Eine solche Zeit aber braucht eine andere Art des Denkens, des Empfindens, um das Geistige zu verstehen. Hier darf vielleicht eine Warnung eingefloch­ten werden. Man spricht heute so viel von höheren oder tieferen Ent­wickelungsgraden. Man streitet sich herum, ob der Buddha oder der Christus größer sei. Aber das ist ganz gleichgültig. Darauf kommt es nicht an. Nicht, ob die assyrische höher oder unsere Weisheit tiefer steht, ist wichtig. Wir leben in der materialistisch gesinnten Gegenwart

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und wir brauchen das Einfließen des spirituellen Wissens in unsere Kultur, damit das Sehnen der Menschheit darnach befriedigt werde. Und in solcher Art, wie der heutige Mensch dieses Wissen braucht, gibt es ihm die Rosenkreuzerweisheit. Das, was hier gesagt wird, klingt vielleicht etwas gewagt, aber bitte, nehmen Sie es jetzt hin, später wird sich das alles klären. Ist doch die rosenkreuzerische Weisheit mehr mißverstanden worden als irgend etwas anderes in der Welt.

So wie die Dinge sich abspielten, geschah es, daß einst die große Individualität des Christian Rosenkreutz voraussah, welche Forderun­gen des Verständnisses tatsächlich von seiten der rationalistisch den­kenden Menschen kommen würden, und wie es schon damals notwendig geworden war, alles geistige Wissen in eine Form zu gießen, die sich zu dem gestalten würde, was die Forderung der heutigen Zeit ist. Wir müssen uns klarmachen, daß die Rosenkreuzer es viel schwe­rer hatten als irgendeine ähnliche Bewegung von früher, denn ihr an­fängliches Wirken im 13. und 14. Jahrhundert fiel in die Zeit des immer näher herankommenden Materialismus hinein. Alle die modernen Errungenschaften, wie Dampfmaschinen, Telegraph und so weiter muß­ten den Menschen vollends auf den physischen Plan herausstellen. Die Rosenkreuzer hatten zu arbeiten für ein Zeitalter, das mathematisch denken muß. Sie mußten in diesem Sinne ihre Vorbereitungen treffen, mußten daher auch am meisten mißverstanden werden. Über Rosen­kreuzerei können Sie sich deshalb auch nicht unterrichten durch das, was öffentlich darüber bekanntgegeben wird. Nichts von dem, was im Rosenkreuzertum gepflegt wurde, ist eigentlich in dieser Literatur zu finden. Die tiefsten spirituellen Wahrheitsinhalte der Rosenkreuzer wurden so aufgefaßt, als ob man Spirituelles in alchimistischen Küchen mit Retorten und so weiter zubereiten könne. Durch diese Auffassung der Alchimie kam jenes materialistische Zerrbild des Rosenkreuzer­tums zustande, wie es heute geboten wird. Vorzubereiten hatten die Rosenkreuzer eine Wissenschaft, durch welche sie nach und nach ihre Weisheit in die Welt einfließen lassen konnten.

Aus alledem ersehen Sie, daß, wenn wir den heutigen Menschen Theosophie vortragen, wir ihnen Rosenkreuzertheosophie vortragen

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müssen. Mit der Anwendung älterer Formen könnten wir einige Men­schen gewinnen, aber das müßten Menschen sein, die nicht mit allen Fasern ihres Seins mit der heutigen Welt und Kultur zusammen­hängen. Es gibt solche Egoisten, die sich der Gegenwartsaufgabe ent­ziehen; wir wollen diese Gegenwart und ihre Formen aber ernst nehmen. Wir müssen unser Zeitalter so nehmen, wie es ist, aber geistig auf es einzuwirken suchen. In diesem Sinne hat die Rosenkreuzer­theosophie ihre Aufgabe aufzufassen.

Im Laufe der Verhandlungen des Kongresses haben Sie ja Gelegen­heit gehabt zu sehen, wie fruchtbar diese Theosophie zu wirken ver­mag; zum Beispiel wie sie eingreift in die Medizin. Lassen Sie nur die Medizin sich so materialistisch weiterentwickeln: wenn Sie vierzig Jahre voraussehen könnten, Sie würden erschrecken, in welch bru­taler Weise diese Medizin vorgehen wird, bis zu welchen Formen des Todes die Menschen von dieser Medizin da kuriert würden. - Wie er­forscht denn die Medizin heute die Wirkung ihrer Heilmittel? Nun, an dem Menschenmaterial, das sie in den Spitälern und anderwärts findet, also durch äußerliche Beobachtung. Spirituelle Weisheit aber ist eine solche, die in die inneren Zusammenhänge des Geistigen hineinwirkt, die weiß, was im Physischen dem Spirituellen entspricht. Eine völlige Neuschöpfung alles medizinischen Wissens wird aus­gehen von dem, was man Rosenkreuzerei nennt. Dieses ist aber nur ein Gebiet. Vergleichen Sie unsere komplizierten Lebensbedingungen von heute mit denen der alten Chaldäer. Denken Sie, welch eine Summe von Verstandeskraft und Kombinationsvermögen aufgewen­det wird, um einen Scheck, den man in New York ausstellt, in Tokio einzulösen. Eine so geartete Zeit, die eine solche Kultur mit solchen Mitteln über den Erdball hin gesponnen hat, die braucht andere spiri­tuelle Methoden als frühere Zeiten. Der Okkultist weiß dieses. Es reicht einfach das heutige Denken nicht aus, um das Chaos der äuße­ren Verhältnisse und Aufgaben, in die der Mensch immer mehr hin­eingeraten wird, zu bezwingen. Das Denken wird erstarren. Heute stehen wir in einer Übergangszeit, aber bald wird das Denken nicht mehr flüssig und geschmeidig genug sein, um die komplizierten Ver­hältnisse einzufangen und umzugestalten. Warum wir also Theosophie

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verbreiten? Um praktische Wirkungen zu erzielen. Theosophische Gedanken machen das Denken elastischer, flüssiger, ermöglichen raschere Überschau über größere Zusammenhänge. So hat das Rosen­kreuzertum alle Gebiete des Lebens zu befruchten. Damit Sie sehen, wie praktisch Theosophie wirkt, nehmen Sie das kleine Heftchen, das ich über «Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geistes­wissenschaft» geschrieben habe. Das darin Enthaltene können Sie ein­fach ohne Rosenkreuzertheosophie nicht wissen. Nicht Theorie soll sie bleiben, sondern ein Handanlegen an das praktische tägliche Leben soll sie werden. Suchen Sie das in den früheren Formen der Theosophie: es ist einfach nicht da. Die Rosenkreuzertheosophie ist da, um des Menschen geistige Sehnsuchten zu befriedigen, und auch um den Geist einfließen zu lassen in die täglichen Verrichtungen. Rosenkreu­zertheosophie ist nicht da für den Salon oder den Einsiedler, sondern für die ganze Menschheitskultur.

Die Weisheit ist immer eine. Doch so, wie der einzelne Mensch lebt und sich immer weiter entwickelt, so auch die Menschheit als Ganzes. Und darum müssen die Formen der ihnen offenbarten Weisheit, dem Entwickelungsgange der Menschen entsprechend, sich ändern. Die großen Lehrer der Menschheit wirken unter uns heute wie immer. Wir auch, die wir jetzt als Seelen hier gegenwärtig sind, waren schon früher verkörpert, sind durch alle Entwickelungsperioden hindurch­gegangen, die griechisch-lateinische, die ägyptisch-chaldäische, und weiter abwärts in der Zeit, um immer neue und neue Errungenschaf­ten aufzunehmen, um immer Neues zu lernen. Denken Sie sich eine Seele, die verkörpert war, als die gigantischen Pyramiden, die geheim­nisvollen Sphinxe sie in Ägypten umgaben! Wie anders wirkte das auf diese Seele als dasjenige, was sie heute umgibt. Solange die Erde Neues bieten kann - und die Erde schreitet dauernd fort -, so lange nimmt auch die Seele immer wieder Neues auf. Die Seele ist nicht zum Vergnügen der Götter auf der Erde verkörpert, sondern um zu lernen. Anders sah die Erde aus, als die Seele sie in ihrer ersten Ver­körperung betrat, anders wird sie ausschauen in ihrer letzten. Erst dann kommen wir auf diese Erde wieder, wenn wir Neues auf ihr lernen können; darum ist die Zeitdauer zwischen den Verkörperungen

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so groß. Nehmen wir nur an, wie anders das nördliche Gebiet von Europa ausgeschaut hat als heute, allein nur landschaftlich, zu der Zeit, als der Christus hier auf der Erde wandelte. Nicht zweimal be­treten wir die Erde, ohne Neues lernen zu können. Alles in der Welt ist in Entwickelung. Entwickelung aber heißt, jeweilig später Neues zu verarbeiten und darzuleben.

Aber nicht nur die Menschen, sondern alle Wesen entwickeln sich. Wir werden hier den Pfad zu suchen haben zu Wesenheiten, die auf höheren Stufen stehen als der Mensch, doch tritt der Mensch vielfach schon in diesem Leben zu ihnen in Beziehung. Auch diese höheren Wesenheiten unterliegen dem Gesetze der Entwickelung, und wie unsere Seelen vor Jahrtausenden anders waren, so auch die sich offen­barenden Wesen in früheren Zeiten. Auch sie lernten fortwährend. Und wenn wir von einem der höheren Wesen sprechen, die zu uns heruntergestiegen sind, um uns mit den Mitteln des Geistes die Ge­heimnisse der höheren Welten zu verkündigen, so müssen wir uns sagen: das ist eine erhabene Kunst, die muß man erlernen. Sogar wenn man ein Gott ist, muß man das lernen. Denn anders muß man sprechen zu den Menschen von heute, anders zu denen, die vor zehn­tausend Jahren gelebt haben. Die höheren Wesen machen ebenso ihre Entwickelung durch wie die Menschen. Und was während der Kon­greßverhandlungen von mir über das Ereignis von Damaskus gesagt worden ist, zeigt, wie höhere Wesen sich entwickeln. Nehmen Sie an, es wäre einer hellsehend gewesen zweitausend Jahre vor der Erschei­nung des Christus Jesus. Ein geistig Schauender sieht ja nicht nur die äußere Umwelt, sondern auch alles das, was zur geistigen Sphäre der Aura der Erde gehört. Wie die Menschen von einer Aura umgeben sind, so sind es auch die Weltenkörper. Und den Geist eines Weltenkörpers, man lernt ihn sehen. Ein geistig Schauender vor zweitausend Jahren hätte etwas ganz anderes in der Erdenaura gesehen als einer vor tausend Jahren und als einer, der heute hellsehend geworden ist. Geradeso wie das Bild der Natur äußerlich, so ändert sich auch um uns das Bild der geistigen Welt, in die man hineinschaut.

Von einem Ereignis will ich sprechen, auf das ich später noch zu­rückkommen werde: vom brennenden Dornbusch und der Verkündigung

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auf dem Sinai. Was heißt das? Was ist da mit dem Moses vor­gegangen? Seine hellseherische Kraft hatte sich bis zu einem gewissen Punkte entwickelt, und er hat das Übersinnliche in dem Sinnlichen wahrgenommen. Der Nichthellseher hätte da einfach ein Naturereig­nis wahrgenommen. Moses aber sah in dem brennenden Dornbusch dasjenige Wesen, das sich ihm ankündigte als der «Ich bin der Ich-bin!» Und er hat gewußt, daß dieses Wesen da ist, daß jenes Feuer nicht nur äußeres Feuer war, sondern daß dahinter sich Geistiges verbirgt. Ihm hat sich da ein Wesen geoffenbart, das innig mit der ganzen ferneren Menschheitsentwickelung verbunden ist, das sich den Namen gab: «Ich bin der Ich-bin.» Was wußten nun alle Moses-Schüler? Sie haben es in den damaligen Mysterienschulen gelernt: Dasselbe Wesen, das sich auf dem Sinai geoffenbart hat, das wird heruntersteigen auf die Erde und wohnen in einem Menschenleib und drei lahre in einem Menschen sprechen, und dieser Mensch wird sein der Christus Jesus. Das wußten die Eingeweihten. Das wußte auch der Saulus, der später ein Paulus wurde. Aber er sagte sich: Gewiß, dieses Wesen gibt es, und es wird auf die Erde herabsteigen. Aber ich kann mir nicht vor­stellen, daß es durch den schmachvollen Tod am Kreuze endigen wird, jenes Wesen, das sich im brennenden Dornbusch als Jahve ge­offenbart hat. - Was konnte ihn nun überzeugen? Das Ereignis von Damaskus. In dem Augenblicke, da er hellsehend wurde und die Erdenaura für ihn sichtbar ward und er darinnen den Christus schaute, den lebendigen Christus, der sich ihm zeigte als derselbe, der am Kreuze gestorben ist, da wurde Saulus zum Paulus.

Das aber konnte man erst zu jener Zeit sehen. Früher, vor zwei­tausend Jahren, da war der Christus noch nicht in der Erdenaura, da war er noch in der Sonne sichtbar. Zarathustra sah die Sonne von einer Aura umgeben: Ahura Mazdao nannte er sie, die große Aura des Ormuzd. Dieses Wesen aber ist heruntergestiegen, hat sich erst dem Moses im brennenden Dornbusch geoffenbart und hat dann als Mensch unter uns gewohnt in dem Leibe des Jesus von Nazareth. «Ich bin das Licht der Welt», konnte der Christus daher von sich sagen. Vorher hätte keiner so sprechen können, weil das Licht der Welt vorher in keinem gelebt hat.

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Diese Dinge wollen wir ausarbeiten bis zu ihrem vollen Verständ­nis. Heute aber soll nur angedeutet werden, daß das Christus-Wesen sich nicht immer so offenbaren konnte wie zum Beispiel im Falle von Paulus. Die Christus-Wesenheit mußte sich das erst erwerben; sie mußte ihre Kraft so weit entwickeln, daß sie sich in solcher Weise offenbaren konnte. Vor zweitausend Jahren wäre ihr das noch nicht möglich gewesen. Es macht jede Seele in jeder Verkörperung Fort­schritte. Das ist wichtig, darauf kommt es bei den führenden Individualitäten an. Wir müssen erkennen, daß der Christus nicht immer der­selbe ist, wir müssen ihn in seinen spezifischen Wirkungsweisen er­kennen, darin, wie auch er fortschreitet von Entwickelung zu Ent­wickelung. Und es ist für den Menschen ein überwältigendes Gefühl der Erhebung, wenn er erkennt, wie - gleich seiner Seele und deren Inkarnation und Fortschritten - auch die geistigen Wesenheiten immer höher und höher steigen und immer mächtiger und mächtiger werden. Das gibt das lebendige Gefühl für die Entwickelung. Es kommt ge­rade in der Rosenkreuzertheosophie darauf an, zu zeigen, wie ein sol­ches Wesen, wie der Christus, gewirkt hat einst und jetzt, wie bei Moses und bei Paulus, und daran zu sehen, wie auch ein solches Wesen fortschreitet. Das gibt einen intimeren Begriff von der Ent­wickelung.

Betrachten wir einmal ein Kind. Es wird geboren, es erblickt, so heißt der technische Ausdruck, das Licht der Welt, es verändert sich, und gerade in den allerersten Lebenswochen verändert es sich beson­ders schnell, es geht da der Entwickelungsgang gegenüber späteren Epochen am schnellsten vor sich. Die äußere materialistische Wissen­schaft kann sogar da vieles feststellen. Sie kann zum Beispiel beob­achten, wenn sie das Gehirn untersucht - das ist mit äußeren Mitteln festzustellen -, wie beim Kinde da oben am Kopf, an der Stelle, die lange Zeit noch weich bleibt, die Schädelteile sich erst später zusam­menschließen und das Gehirn sich allmählich gestaltet. Gliederung und Verbindung hat die Aufgabe, ein Instrument zu bilden für das, was das Kind erst später können wird: denken; es soll Wahrnehmun­gen verbinden. Der Hellseher sieht nun an dem Kinde, wie es in den allerersten Tagen und Wochen der Entwickelung umgeben ist von

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mächtig wirkenden Kräften, die dem zweiten Wesensteil des Men­schen, dem Ätherleibe, angehören. Wir wissen, daß dieser beim heuti­gen Menschen etwa dieselbe Größe hat wie der physische Leib, beim Kinde aber noch sehr weit über den physischen Leib herausragt, be­sonders am Kopf. Und da ist nun auch dieses Arbeiten der Kräfte, das wie ein Lichtspiel sich ausnimmt für den Hellseher, besonders lebhaft. Es ist wunderbar anzusehen, wie gewisse Kräfte aus dem Körper von unten heraufschießen, wie es dann von oben herunterstrahlt, vom Genick, von allen Seiten her und da, wo sich die Haare wirbeln, in ein lebendiges Spiel der Kräfte ausstrahlt, zu einem astralisch-ätherischen Lichtspiel wird im Ätherleib des Kindes, das sich dann mit der Zeit immer mehr verliert. In diesem Lichtspiel liegen die Kräfte, die jene physischen Verbindungsglieder im Gehirn schaffen. Das Gehirn wird erst in der Zeit gestaltet, wenn das Kind schon geboren ist, und zwar aus einer geistigen Substanz heraus. Vierzig bis fünfzig Kräfteströme können Sie da zusammenarbeiten sehen - aus ihnen ist der Lichtkörper zusammengesetzt -, ein wunderbares Schauspiel, wenn Sie so das Kind in den ersten Lebenswochen beobachten. Allmählich dringt die­ser Lichtkörper in das Gehirn des Kindes hinein, ist dann drinnen. Erst war der Ätherleib des Kindes draußen, er umgab den Kopf, war ganz primitiv; ihn umgab ein Lichtkörper, aus dem er Kräfte sam­melte, und nun geht er allmählich in den Kopf des Kindes hinein, sitzt da drinnen als der komplizierte Ätherorganismus. Das ist das Wundervolle an der Entwickelung, daß alles Physische aus der geisti­gen Welt heraus konstruiert ist, aus dem Geistigen heraus gearbeitet ist, welches wir dann selbst aufnehmen. Das Seelische hat sich zuerst die Behausung ausgearbeitet, in der es dann wohnt. So sehen wir, wie es in der kleinen Welt geschieht, im menschlichen Gehirn des Kindes; so ist es auch in der großen Welt. Schauen Sie auf eine besonders vor­geschrittene Individualität wie die des Jesus von Nazareth, in dessen Leib drei Jahre lang als Seele der Christus gewohnt hat. Geradeso wie beim Kinde der Ätherleib sich das physische Gehirn selbst zubereitet, um dann später dahineinzuziehen, so hat sich der Christus auch zuvor die Stätte zubereitet, darinnen er wohnen konnte. Das mußte er aber erst sich erarbeiten. Erst hat er sozusagen nur äußerlich mit der Erde

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zusammengehangen, sie hat ihn aber noch nicht in sich aufnehmen können. Die Besten aber haben an ihr so gearbeitet, daß der Christus ihr immer näher und näher kommen konnte, und er selbst, der Chri­stus, hat dabei mitgeholfen. Wer hat denn den Körper des Jesus von Nazareth so umgestaltet und zuletzt soweit gebracht, daß er den Christus aufnehmen konnte? Der Christus selber hat das getan. Erst hat er von außen an ihm gearbeitet und nachher konnte der Christus selbst in den Menschen einziehen.

Gleiches geschieht in der kleinen Welt wie in der großen. Und nur dadurch, daß diese Wesen, die über uns stehen, sich auch entwickeln, ist überhaupt Entwickelung möglich. Erst dadurch, daß der Christus sich übersinnlich zeigen konnte, ist er der planetarische Geist der Erde geworden. Das Mikrokosmische entspricht immer dem Makrokosmischen.

Nicht einmal das erste Kapitel des Rosenkreuzertums konnte ich heute vor Sie hinstellen, sondern nur erst die Art und Weise charak­terisieren, wie der Mensch der Gegenwart denken und empfinden lernen soll. Denn die wahre Bedeutung des «Erkenne dich selbst» liegt darin, daß wir in dieser Weise die Weltenentwickelung verfolgen. Wo ist unser Selbst? Doch nicht in uns allein. Das zu denken wäre egoistisch. Es ist herausgebaut und herausgeboren aus dem ganzen Weltenall und auch unser Aufstieg soll uns dazu führen, in dem gan­zen Kosmos aufzugehen. Hineinstellen will die Selbsterkenntnis den Menschen in die ganze Welt, um ihm da zu zeigen den wahren Sinn des Wortes: Selbsterkenntnis.

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Zweiter Vortrag, Budapest, 4. Juni 1909 Die verschiedene Art der Beseelung der uns umgebenden Welt

Wie bereits gestern in der einleitenden Betrachtung von mir gesagt worden ist, soll in diesem Zyklus wie in einer Überschau ein Bild theosophischer Weltanschauung gegeben werden. Es wird dabei not­wendig sein, vieles zu erwähnen, was einem größeren Teil der Anwesenden

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schon bekannt ist. Aber nur dadurch, daß wir aus den Fun­damenten heraus diese Wahrheiten kennenlernen, wird es möglich sein, daß wir uns in den späteren Vorträgen in höhere Gebiete er­heben können. Bevor ich in die eigentliche Darstellung eintrete, möchte ich zuvor noch eine Frage von außerordentlicher Wichtigkeit zur Sprache bringen: Warum müssen wir uns denn eigentlich mit theosophischen Gedanken und Theorien beschäftigen, ehe wir selbst in der geistigen Welt etwas erleben können? Mancher wird sagen: Mitgeteilt werden uns die Resultate der seherischen Forschung; ich selbst kann aber noch nicht hineinschauen. Wäre es da nicht richtiger, wenn uns nicht hellseherische Forschungsergebnisse, sondern wenn vor allen Dingen uns nur gesagt würde, wie ich selbst mich zum Hell­seher entwickeln kann? Dann könnte jeder ja selbst die weitere Ent­wickelung nachher durchmachen. - Wer außerhalb der okkulten For­schung steht, der mag glauben, daß es gut wäre, wenn nicht schon vorher von solchen Dingen und Tatsachen gesprochen würde. Aber es gibt in der geistigen Welt ein ganz bestimmtes Gesetz, dessen ganze Bedeutung wir uns durch ein Beispiel klarmachen wollen. Nehmen Sie einmal an, in irgendeinem Jahre hätte ein beliebiger, regelrecht geschulter Hellseher dies oder jenes in der geistigen Welt wahrgenom­men. Nun stellen Sie sich vor, daß zehn oder zwanzig Jahre später ein anderer ebenso geschulter Hellseher dieselbe Sache wahrnehmen würde, auch dann, wenn er von den Resultaten des ersten Hellsehers gar nichts erfahren hätte. Wenn Sie das glauben würden, wären Sie in einem großen Irrtum, denn in Wahrheit kann eine Tatsache der geisti­gen Welt, die einmal von einem Hellseher oder einer okkulten Schule gefunden worden ist, nicht zum zweiten Mal erforscht werden, wenn der, welcher sie erforschen will, nicht zuerst die Mitteilung erhalten hat, daß sie bereits erforscht ist. Wenn also ein Hellseher im Jahre 1900 eine Tatsache erforscht hat, und ein anderer im Jahre 1950 so weit ist, um dieselbe wahrnehmen zu können, so kann er das erst, wenn er zuvor gelernt und erfahren hat, daß einer sie schon gefunden und erforscht hat. Es können also selbst schon bekannte Tatsachen in der geistigen Welt nur geschaut werden, wenn man sich entschließt, sie auf gewöhnlichem Wege mitgeteilt zu erhalten und sie kennenzulernen.

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Das ist das Gesetz, das in der geistigen Welt für alle Zeiten hindurch die universelle Brüderlichkeit begründet. Es ist unmöglich, in irgendein Gebiet hineinzukommen, ohne sich zuerst zu verbinden mit dem, was schon von den älteren Brüdern der Menschheit er­forscht und geschaut worden ist. Es ist in der geistigen Welt dafür gesorgt, daß keiner ein sogenannter Eigenbrötler werden und sagen kann: Ich kümmere mich nicht um das, was schon vorhanden ist, ich forsche für mich allein. - Alle die Tatsachen, die heute in der Theosophie mitgeteilt werden, würden von auch noch so sehr Ausgebilde­ten und Vorgeschrittenen nicht gesehen werden können, wenn man nicht vorher davon erfahren hätte. Weil dem so ist, weil man sich ver­binden muß mit dem, was schon erforscht ist, deshalb mußte auch die theosophische Bewegung in dieser Form begründet werden.

Es wird in verhältnismäßig kurzer Zeit viele Menschen geben, die hellsehend sein werden; diese würden nur Wesenloses, aber nicht die Wahrheit in der geistigen Welt schauen können, weil sie nicht das Wichtige, das schon erforscht ist in der geistigen Welt, sehen könnten. Erst muß man diese Wahrheiten, wie sie die Theosophie gibt, lernen, dann erst kann man sie wahrnehmen. Also selbst der Hell­seher muß erst das lernen, was schon erforscht ist, und dann kann er bei gewissenhafter Schulung die Tatsachen selbst schauen. Man kann sagen: Befruchten nur einmal, für ein erstes Sehen, die göttlichen Wesenheiten eine Menschenseele, und hat diese einmalige, jungfräu­liche Befruchtung sich vollzogen, dann ist es notwendig für die andern, den Blick erst auf das zu richten, was sich diese erste Menschenseele erworben hat, um ein Anrecht zu haben, sich ein gleiches zu erwerben und es zu schauen. - Dieses Gesetz begründet zuinnerst eine univer­selle Brüderlichkeit, eine wahre Menschenbruderschaft. Von Epoche zu Epoche ist so das Weisheitsgut durch die okkulten Schulen ge­wandert und von den Meistern treulich aufbewahrt worden. Und auch wir müssen diesen Schatz tragen helfen und Brüderlichkeit hal­ten mit denen, die schon etwas erreicht haben, wenn wir hinauskom­men wollen in die höheren Gebiete der geistigen Welt. Das, was als moralisches Gesetz auf dem physischen Plan angestrebt wird, das ist also ein Naturgesetz der geistigen, der spirituellen Welt.

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Theosophie lehrt uns, daß aus dem Geistigen heraus alles Physisch­-Sinnliche geboren ist. Aber man darf in unserer Zeit sich nicht be­gnugen mit diesem Bewußtsein von einer geistigen Welt. Daß es das Wesentliche sei, daß hinter allem Sinnlichen, allem Physischen, ein Geistiges stehe, das ist ein abstraktes Bewußtsein von dem Geiste. Es ist notwendig, sich bestimmte Begriffe und Vorstellungen davon zu erwerben, wie das Geistige in seinen einzelnen Gebieten aussieht. Man kann heute nur so jemanden dahin geleiten, daß man ihn gewissenhaft alle die Schritte machen läßt von der äußeren Welt in die gei­stige hinein.

Das erste, was wir in den uns umgebenden physischen Reichen be­trachten, ist das Mineralreich, die Welt der Gesteine. Wer dieses nur sinnlich anschaut, wird sagen: Das Reich der Mineralien unterscheidet sich von dem Reich der Menschen dadurch zum Beispiel, daß der Mensch weiß, wenn er einen andern hart gestoßen hat, so empfindet dieser einen Schmerz. Dem äußeren Anschein nach ist das nicht der Fall, daß ein Mineral beim Schlagen Schmerz empfindet. Daraus wird der Schluß gezogen: im Menschen ist eine Seele vorhanden, die Lust und Leid fühlt, dem Mineral ist das nicht gegeben. - Wir wollen nicht von vorneherein sagen, das Mineral hat aber auch eine Seele; nein, wir müssen da schon auf die Ergebnisse der hellseherischen Forschung ge­nauer eingehen. Der Stein, so wie er zunächst vor uns liegt, er hat nichts Seelenhaftes an sich. Aber worauf es ankommt bei einer geisti­gen Weltanschauung, das ist, daß man an der richtigen Stelle mit sei­ner Betrachtung einsetzt und nicht an einer falschen. Denken Sie sich ein kleines Tier, das den Menschen betrachten würde und nur im­stande wäre, die Fingernägel von ihm zu sehen. Es würde sagen, das sind Gegenstände für sich, denn das kleine Tier kann nicht über­schauen, daß die Nägel zu einem Organismus gehören. Erst wenn es das überblickt, wenn es aufsteigt zum Anschauen des Ganzen, dann muß es zu einer richtigen Betrachtung kommen. So ist es für den Geistesforscher mit der Gesteinswelt. Schauen Sie den Stein als etwas für sich an, so sind Sie in der Lage des kleinen Tieres, das die Finger­nägel oder Zähne für den ganzen Menschen hält, für ein selbstän­diges Wesen hält. Nehmen Sie die Felsen der Erde: sie sind nicht

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denkbar, ohne herausgewachsen zu sein aus dem ganzen Organismus. Wo ist nun aber das Wesen, von dem das alles Teile sind, zu dem das alles gehört? Es gibt geistige Wesenheiten, zu denen unsere ganze Gesteinswelt gehört. Sie empfinden Freude und Schmerz, Lust und Leid wie die Menschenseele, so daß wir tatsächlich sprechen können von einer Mineralseele. Nicht aus den bloßen Analogien heraus dürfen Sie aber da urteilen, sonst könnten Sie denken, daß wenn man einen Stein zerschlägt, die Mineralseele Schmerz empfindet. Das ist nicht der Fall. Im Gegenteil: der Mensch empfindet Schmerz, wenn ihm ein Finger verletzt wird, die Mineralseele empfindet im ähnlichen Falle Freude und Lust. Die größte Lust ist es für das Wesen, das zum Mine­ral gehört, wenn die Steine zerschlagen werden; dagegen bereitet es dem Mineral Schmerz, wenn die Steine, die einzelnen Teile davon, wieder zusammengesetzt werden. Weil nun in der Außenwelt alles so verläuft, daß fortwährend mineralische Teile aufgelöst und wieder zusammengepackt werden, entsteht, wie Sie begreifen werden, fort­während Lust und Leid in den Seelen der Wesen, die zum Mineralreich gehören. Denken Sie sich, wir hätten hier Salz und ein Glas mit warmem Wasser. Was geschieht, wenn wir das Salz in das Wasser streuen? Bei hellseherischer Betrachtung lösen sich da nicht nur die Salzteile in dem Wasser auf, sondern Wollustgefühle entstehen, wirk­liche Lust ist zu sehen, wenn jene das ganze Glas allmählich durch­dringen. Dann, wenn sich das Wasser wieder abkühlt und ein Würfel des Salzes sich da herauskristallisiert, geschieht das unter Schmerz und Leid der Mineralseele. In Gebirgen, wo die Felsen entstanden sind, hat sich das so vollzogen. Und wenn in der Erde Kristalle sich herausformen, so ist das von Leid und Schmerzgefühl begleitet für die dem Mineral zugrunde liegenden Wesenheiten.

Wenn ein Planet entsteht, sich zusammenballt, sich verdichtet, so geschieht das unter Schmerz- und Leidempfinden der entsprechenden Geistwesen. Solch ein Planet wie unsere Erde entsteht unter Leid und Schmerz. Nun können Sie mich fragen: Wo sind denn die Wesenheiten, die das Auge nicht sieht, die Leid und Schmerz erdulden, und Lust und Freude empfinden, wenn zum Beispiel in einem Steinbruch die Steine von den Arbeitern zerschlagen werden? Wo sind diese Wesenheiten?

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- In einer verhältnismäßig sehr hohen geistigen Welt. Was das Auge als Mineral sieht, das ist eigentlich nur ein Schattenbild von ihnen. Jene Wesen sind in der Welt, die wir die Welt der Formlosigkeit nennen. In unserer ganzen Mineralwelt leben geistige Wesenheiten, und die sind nach okkulter Forschung in der Welt der Formlosigkeit. Warum nennen wir diese Welt so? Sie werden das gleich begreifen, wenn wir heraufsteigen zu der Welt der Pflanzen. Auch die Pflanze ist der Ausdruck von bestimmten Seelenwesen. Auch hier wollen wir die Ergebnisse der hellseherischen Forschung betrachten. Diese weiß zu berichten, daß wenn zum Beispiel im Herbst das Getreide abgemäht wird, die Sense auf den Feldern durch die Halme fährt, dann die Seelen, deren Körper die Pflanzen sind, kein Leid empfinden. O nein! An Leid dürfen Sie dabei nicht glauben; ganze Ströme von Freude und Seligkeit wehen darüber hin. Ebenso wenn das Tier auf der Wiese weidet und die Gräser abgrast: das ist Seligkeit für die Pflanzenseele, nicht Schmerz. Man kann es mit dem Gefühl vergleichen, welches das Säugetier empfindet, wenn das Junge an der Mutter die Milch saugt; es ist das ein gewisses Seligkeitsgefühl. Was unser Planet an seiner Oberfläche hergibt zur Nahrung für seine Insassen, das ist gleichsam die Milch der Wesenheiten, die zum Planeten gehören und die eigent­lich im Mittelpunkt der Erde wohnen. Sie können mich fragen: Ja, haben sie dort denn auch alle Platz? - Gewiß, alle vertragen sich dor­ten gut, vermöge des Gesetzes der Durchdringlichkeit, der Durchläs­sigkeit. Es ist dieses Sich-Hingeben, wenn ein gewisser Reifezustand erreicht ist, Seligkeit für die Pflanzenseele. Schmerz bedeutet für sie alles das, was an Pflanzen aus dem Boden ausgerissen wird. Sie kön­nen nun sagen: Ja, wenn nun aber nichtsnutzige Jungens und Mädels die Blumen nutzlos abreißen, wie kann das der Pflanzenseele Lust sein? Wäre es da nicht doch viel besser, sie sorgfältig auszujäten? Wie kann sie das schmerzen? - Vom Gesichtspunkte aus, der sich für die physische Welt eignet, haben Sie wohl recht. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß diese Gesichtspunkte nicht immer die maßgebenden für die spirituellen Welten sind. Schöner mag ja jemand sein, wenn er sich die ersten grauen Haare ausreißt, aber weh tut es ihm doch. Es kommt eben auf den Gesichtspunkt an, und gegen das Gesetz der

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okkulten Welt können wir nicht mit moralischen Bedenken ankämp­fen. Auch zu den Pflanzen gehören Wesen, Seelen, zu denen die Pflan­zenwelt den Körper gibt. Wir wollen nun versuchen, uns vorzustellen, wie Lust und Leid verläuft in der Welt der Pflanzen.

Die Pflanzenwelt ist eine Abschattung der geistigen Welt. Wo sind nun die zu ihr gehörenden Wesen? In der Welt der Form. Man be­nennt sie auch noch anders. Es leben also die geistigen Wesen des Mineralreichs in einem geistigen Reich, dem Reich der Formlosigkeit, diejenigen der Pflanzen leben in dem Reich der Form.

Reich der Formlosigkeit, Arupa oder oberes Devachan. Reich der Form, Rupa oder unteres Devachan.

Zu einem bestimmten Gebiet der geistigen Welt, und zwar zu seinen oberen Partien, gehören die Seelen des Mineralreiches. Sie müssen sich nicht darüber wundern, denn die Seelen sind in einem um so höheren Reiche zu suchen, je mehr sie sich verbergen, je weniger sie sich äußern können. Warum nennt man das eine Gebiet ein Reich der Formlosigkeit, das andere ein Reich der Form?

Wenn ein Kristall zerschlagen wird, so ist eben nur dessen Form zerstört; diese kann sich aber wiederum woanders, unabhängig von der zerstörten, ebenso bilden. Wenn in der Natur ein Salzkristall ent­steht, so ist es nicht notwendig, daß er aus einem andern heraus entsteht. Er kann auch nur aus der Substanz des Salzes heraus entstehen und wieder verschwinden als Form: das ist die Eigenart der form­losen Substanz. Bei der Pflanze kann die Form nicht in derselben Weise aus der Substanz, aus dem Formlosen entstehen. Sie muß sich, und das ist das Charakteristische der Pflanze, aus einer Vorfahrenpflanze entwickeln. Vom Vorfahren auf den Nachkommen muß die Form übergehen. Da, wo wir die Seelen der Wesen in dem Reiche der Form haben, geschieht die Fortpflanzung durch Übertragung der Form. Nur die Form, sonst nichts, steckt in dem Samenkorn.

Es ist eine oberflächliche Betrachtung der Wissenschaft, daß sie glaubt, es bestehe kein großer Unterschied zwischen Pflanzensamen und Tiersamen. Im Tiersamen ist es die Form und das Leben, das vom Vorfahren auf den Nachkommen übergeht: das Leben geht über. Im Liliensamen ist nichts anderes konserviert als die Form, und die

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wird auf die neue Lilie übertragen. Beim Mineral ist es so, daß aus dem oberen Devachan heraus die Kräfte entstehen, die sozusagen die Form prägen. Beim Kristall schießt sozusagen die Formlosigkeit vor dem Auge in die Form. Wir müssen uns also sagen, daß der ganze Planet, auf dem ein Pflanzenleben sich entfaltet, von einem Gesamt-leben umgeben ist, in welchem der Impuls liegt, daß das Leben der Pflanze daraus entstehen kann, und aus dem Samen nur die Form der Pflanze. Von dem Leben der alten Lilie geht nichts über auf das Beet oder den Blumentopf, in dem das Samenkorn ruht. Daß die neue Lilie belebt wird, rührt davon her, daß der Same aufgenommen wor­den ist in das All-Leben unserer Erde.

Dadurch ist schon der Übergang zum Tierreich geschaffen. Durch den Samen wird nur die Form vererbt; das Leben kommt hinein, weil der Same aufgenommen worden ist in das All-Leben unserer Erde. Die Seelenhaftigkeit beim Tier ist augenscheinlich, es ist daher selbst­verständlich, daß wir von Lust und Leid, Freude und Schmerz beim Tiere sprechen. Wenn wir uns klarmachen wollen, was Lust und Leid im Pflanzenreich bedeutet, so müssen wir zur Betrachtung von andern Wesenheiten übergehen. Denn Lust und Leid wird außerhalb der ein­zelnen Pflanzen empfunden; der ganze Organismus der Erde empfin­det das innerhalb unserer Erdensphäre gerade so, wie wenn Sie sich in den Finger schneiden, es Ihnen nicht eigentlich weh tut im Finger: der Schmerz entsteht dadurch, daß er zum ganzen Organismus über­geführt wird. Wenn Sie den Schmerz der Pflanze begreifen wollen, müssen Sie zur ganzen Erde übergehen, um die Seele der Pflanze dort zu erfassen. Das Wesentliche ist folgende Unterscheidung: Wenn Sie ein Tier verletzen, ist es so, daß beim Tiere der Schmerz innerhalb der Haut sitzt, ebenso beim Menschen in bezug auf seine tierische Natur. Hier nähern wir uns immer mehr der Individualisierung: je weiter die Entwickelung der Naturreiche heraufsteigt, desto mehr kommen wir zu Wesen, die ihren Mittelpunkt in sich selbst haben, in sich Lust und Leid empfinden. Die Pflanze betrachten wir nur richtig, wenn wir sie im Zusammenhang mit der ganzen Erde betrachten. Das Tier hat eine Seele und empfindet allerdings Lust und Leid innerhalb seiner Haut. Diese Seele sehen Sie nicht, sie ist in jenem Reiche, das wir das astralische

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nennen. Wesen, die einen Mittelpunkt in sich selbst haben, deren Seelen leben im astralischen Reich. Sie sehen, daß wir zu glei­cher Zeit eine gewisse Gliederung unserer Weltenidee haben: das Mineral verbirgt seine Seele sehr, die Pflanze weniger, das Tier noch weniger; es hat sein Zentrum in sich, das heißt da, wo das Unsichtbare ist. Die Seelen der Tiere müssen wir in einer andern als der physischen Welt suchen.

Wir unterscheiden also vier Reiche. Erstens: das Reich, wo das Sichtbare ist von Mineral, Pflanze und Tier; die physische Welt. Zwei­tens: das Reich, wo das Unsichtbare vom Tier ist, das astralische Reich. Drittens: das Reich der Pflanzen, deren Seelen sich verbergen im unteren Devachan. Viertens: das Reich, dessen Seelen sich verbergen im oberen Devachan.

Diese Unterscheidung ergibt sich uns schon aus der Betrachtung der äußeren Welt. Jetzt wollen wir übergehen zu den Ergebnissen der hellseherischen Forschung. In dem Raum, den das Mineral selbst einnimmt, ist nichts von Seelenhaftigkeit vorhanden. Seelisch ist dieser Raum leer, schwarz, aber außen herum beginnt es zu leuchten, etwas weiter weg wird dieses Leuchten noch stärker. Was ist das? Es ist der im Kosmos wesende Ätherleib des Minerals, der da, wo das Mineral selbst nicht ist, ausgespart hat einen Teil des Äthers. Und die seelisch­kosmischen Kräfte des Minerals empfinden Lust und Leid in jenem Raum, wo der Ätherleib des Minerals ausgespart ist: da beginnt es zu schmerzen, oder es fliegt Freude zum Beispiel voran dem Splitter des Steines aus dem Steinbruch, wie ein geistiger Lichtstrahl. Der Äther­leib des Minerals ist das, was den physischen einsäumt. Da, wo das Mineral ist, könnte man sagen, hat der Ätherleib sich so verdchitet, daß er physisch geworden ist. Der Unterschied zwischen Mineral und Pflanze entsteht dadurch, daß der Ätherleib in der Pflanze darinnen ist, daß alle ihre Teile durchzogen sind von ihm, daß er sie ganz durch­dringt. Alles das, was als Grünes die Pflanze durchzieht, das ist eben die Substanz, die wir vorher als Ätherleib des Minerals, außerhalb desselben, beschrieben haben.

Wenn aber in der Pflanze nur das der Fall wäre, daß sie vom Ätherleib durchzogen ist, so würde sie nicht blühen, sondern immer nur

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grüne Blätter treiben. Fängt die Pflanze an zu blühen, so sieht das hell­seherische Bewußtsein über der Pflanze sich etwas ausbreiten, das sie umspült: das ist das astralische Leben, das bringt diese Krönung des Wachstums hervor. Die grüne Pflanze wächst, und zum Abschluß breitet sich ein Neues über sie aus, das Astralische, das aber nie in sie hineingeht.

Das Tier hat geistig das in sich, wovon die Pflanze umspült wird. Wenn das, was die Pflanze umspült, innerhalb der Haut ist, dann ist das ein Tier. Das, was oberhalb der Pflanze schwebt, das Astralische, das umgibt die ganze Erde. Das ist die Gesamtastralität der Erde, die wie ein Rauch über der Pflanze schwebt, wenn sie zur Blüte ansetzt. Drinnen, in der Pflanze selbst, sitzt nicht Lust und Leid, sondern das wird von der Erde empfunden. Das Tier hat selbst Lust und Leid in sich; das, was im Tier als Astralleib drinnen ausgebreitet ist, das webt in unserer Gesamt-Erdenastralität. Das Mineralreich ist wie eingebet­tet in eine Ätherwelt, hat seinen Ätherleib um sich herum. Durch­drungen vom Ätherleib ist die Pflanze, und weil die Pflanzenwelt ein­gebettet ist in einen Astralleib, welcher der gesamten Astralität der Erde entspricht, deshalb ist Schmerz und Lust außerhalb der Pflanze. Und das Wesen, das nicht nur umspült ist vom Astralen, sondern die­ses selbst in sich aufnehmen kann, das ist das Tier.

So haben wir uns einen Überblick verschafft über die drei Reiche der uns umgebenden Welt in ihrem Zusammenhang mit den höheren Welten.

Der Mensch nun ist eine kleine Welt für sich. Ihn müssen wir auf­bauen aus alledem, was ihn umgibt. Das, was wir heute gefunden haben, das wollen wir dann morgen zur Erfassung des Aufbaus des Menschen benützen.

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Dritter Vortrag, Budapest, 5. Juni 1909 Das Wesen des Menschen

Gestern versuchte ich, Ihnen einen Überblick zu geben über die ver­schiedene Art der Beseelung der uns umgebenden Welt. Heute wollen wir uns über das Wesen des Menschen selbst genauer orientieren. Mancherlei schon Bekanntes wird auch hier erwähnt werden müssen. Wir wollen uns zunächst Tatsächliches aus dem Wesen des Menschen in solcher Art vor Augen führen, wie es sich am besten in das Bild hineinstellt, das ich Ihnen gestern geben konnte. Da werden wir dann sehen, wie der Mensch aus dem ersten Reich, das uns umgibt und das wir als das Mineralreich charakterisiert haben, in bezug auf seinen niedrigsten Leib zunächst wie aus ihm herausgewachsen erscheint. Betrachten wir den Menschen, wie er vor uns steht, so ist das erste, was wir an ihm wahrnehmen, das Handgreiflichste: sein physischer Leib. Für die okkulten Forscher aber ist dieses nur ein Glied seiner Menschennatur. Es ist leicht, sich über diesen physischen Leib eine falsche Vorstellung zu machen, wenn man denkt, der physische Leib sei eben das, was man mit Augen sehen, mit Händen greifen kann. Man begeht damit denselben Fehler, wie wenn man Wasserstoff für Wasser ansehen wollte. Diesem physischen Menschenleib sind näm­lich schon die höheren Glieder beigemischt. So wie er uns physisch entgegentritt, ist dieser physische Menschenleib schon von den andern Gliedern der Menschennatur durchdrungen, so daß dasjenige, was uns da als Fleisch und Knochen entgegentritt, nicht ohne weiteres der physische Leib genannt werden kann. Dieser physische Menschenleib ist zwar das, was aus denselben Stoffen und Kräften besteht wie das­jenige, was Sie draußen in der mineralischen Welt haben, in kunst­vollem Bau sind diese selben Stoffe und Kräfte zusammengefügt im Menschenleib, doch daß er so aussieht, sich so anfühlt, wie er es tut, das rührt davon her, daß ihm schon die andern Wesensglieder bei­gemischt sind. Was das Auge vom physischen Menschenleib sieht, das ist eigentlich nicht der physische Leib. Der ist als solcher vorhanden, wenn der Mensch eben durch die Pforte des Todes gegangen ist: der Leichnam, das ist der eigentliche physische Leib, das, was befreit ist

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von all den Gliedern der höheren Menschennatur. Wenn er sich über­lassen ist, dieser physische Leib, so folgt er ganz andern Gesetzen als bis zu diesem Augenblick. Bisher hat er eigentlich stets den physika­lisch-chemischen Gesetzen widersprochen. Der Körper des Menschen würde im irdischen Leben jeden Augenblick Leichnam sein, wenn er nicht dauernd durchzogen wäre vom Ätherleib, der ein Kämpfer ist gegen den Zerfall des physischen Leibes das ganze Leben hindurch. Der Äther- oder Lebensleib ist das zweite Glied der menschlichen Wesenheit.

Wir wollen hier gleich vorausnehmen, daß einen Ätherleib auch die Pflanze und auch das Tier hat. Aber es unterscheidet sich doch der Mensch in gewisser Beziehung auch in seinem Ätherleib vom Tier. Und dieser Unterschied soll uns nun besonders interessieren: Wie unterscheidet sich der menschliche Ätherleib von dem des Tieres? -Zunächst aber wollen wir noch fragen: Wie kommt das hellseherische Bewußtsein dazu, etwas zu wissen vom Ätherleib des Menschen? Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir das Hellsehen schildern.

Wer eine gewisse Stufe des Hellsehens erreicht hat, der hat auch die Fähigkeit sich erworben, die starke Kraft errungen, seinen Geist so zu beherrschen, daß er in viel höherem Grade imstande ist, auf etwas seine Aufmerksamkeit zu lenken, oder sie davon abzulenken. Wenn Sie vom gewöhnlichen Menschen verlangen, seine Aufmerksamkeit so abzulenken, daß er sich sozusagen die physische Gestalt absugge­rieren kann, so wird ihm das nur äußerst selten möglich sein; der Hell­seher aber ist dazu durchaus imstande. Der Raum, in dem sonst der physische Leib ist, ist für den Hellseher dann ausgefüllt, durchglänzt von diesem Ätherleib oder Lebensleib. Derselbe hat annähernd die menschliche Gestalt an Kopf, Rumpf und Schultern. Je mehr er nach unten verläuft, desto weniger ähnlich ist er der menschlichen Gestalt. Beim Tier ist der Ätherleib sehr verschieden vom physischen Leib. Beim Pferd zum Beispiel ragt, wie Sie wissen, der Ätherkopf weit her­aus. Und wenn Sie erst beim Elefanten den Ätherleib hellseherisch beobachten könnten, würden Sie erstaunt sein, welch riesigen Aufbau derselbe hat. Je mehr wir bei der Menschengestalt nach unten kom­men, desto mehr ändert sich der Ätherleib gegenüber der physischen

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Form. Sonst aber entspricht sich in gewisser Beziehung Links und Rechts im physischen und im Ätherleibe. Etwas nach links liegt das physische Herz; das entsprechende Organ im Ätherkörper ist das Ätherherz, welches auf der rechten Seite liegt. Der größte Unterschied aber zwischen physischem und Ätherkörper ist der, daß der Ätherleib des Mannes weiblich ist und der der Frau männlich. Diese Tatsache ist sehr wichtig, und viele Rätsel der Menschennatur sind auf Grund dieses okkulten Forschungsergebnisses erklärlich. So ist also beim Menschen eine Art Entsprechung, beim Tier ein großer Unterschied zwischen diesem zweiten Glied der menschlichen Wesenheit und dem ersten.

Den Astralleib können Sie sich beim Menschen noch viel klarer machen. Er ist das dritte Glied der menschlichen Wesenheit. Schon der Ätherleib ist eine Tatsache für den Hellseher, für den Materialisten freilich eine Phantasterei. Die äußere, anatomische, physiologische Wissenschaft durchforscht am Menschen nur den physischen Körper. Aber in diesem physischen Körper ist etwas, was als Blut und Nerven dem Bewußtsein des Menschen noch viel näher steht. Er weiß näm­lich von seiner Lust, von seinem Leid, von seiner Freude, und dieses spielt sich ab im Raum, der von seinem physischen Körper ausgefüllt ist. Der Träger davon, der ihm unsichtbar ist, wird sichtbar für das hellseherische Bewußtsein wie eine leuchtende Wolke: es ist der astra­lische Leib. Dieser unterscheidet sich sehr vom Ätherleib.

Die Bewegung im physischen Leib ist nicht zu vergleichen mit der außerordentlichen Beweglichkeit des Ätherleibes. Beim gesunden Menschen hat dieser die Farbe der Blüte des jungen Pfirsichbaumes. Es glänzt und glitzert alles an ihm in der eigentümlichen Nuance, in Rosenrot, Dunklem und Hellem bis zum Weiß-Leuchtenden; dabei hat der Ätherleib eine bestimmte Grenze, wenn dieselbe auch schwankend ist. Beim astralischen Leib ist das ganz anders. Der zeigt die mannig­faltigsten Farben und Formen, gleich einer Wolke, die dahinflutet in steter wechselnder Bewegung. Und das, was sich in der Wolke bildet, das drückt sich aus in den Gefühlen und Empfindungen, die der Mensch dem Menschen entgegenbringt. Sieht der Hellseher die bläu­lich-rote Farbe im Astralleib auftauchen, so sieht er gleichsam die

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Liebe strömen von Mensch zu Mensch, doch sieht er auch all die häß­lichen Empfindungen, die von Mensch zu Mensch spielen. Und da die Seelentätigkeit des Menschen sich fortwährend ändert, so ändern sich auch fortwährend die Farben und Formen des astralischen Leibes, sie treten auf und schwingen ab in buntem Spiel und bilden ihre Einschlüsse.

Das vierte Glied der menschlichen Wesenheit ist der Träger des Ich. So haben wir am Menschen nun den physischen Leib, der in der Natur draußen dem Mineral gleichkommt, dann den Ätherleib, wel­cher der Pflanze vergleichbar ist, und als drittes den Astralleib, den das Tier mit dem Menschen gemeinsam hat. Nur ist der Astralleib beim Menschen viel beweglicher als beim Tier.

Der Ich-Träger, das vierte Glied der menschlichen Wesenheit, ist gleich einer Art Ovalfigur, deren Ursprung bis hinein in das Vorderhirn zu verfolgen ist. Dort ist dieselbe für den Hellseher als eine bläu­lich4euchtende Kugel sichtbar. Von der strömt aus in Ovafform, wie ein Raum-Ei, könnte man sagen, das in den Menschen hineinspielt, eine Art von Bläue. Wie ist dieser Ich-Träger zu sehen? Erst wenn der Hellseher imstande ist, sich auch den Astralleib des Menschen abzusuggerieren, erst dann vermag er den Ich-Träger wahrzunehmen. Die drei andern Leiber hat der Mensch mit den drei Reichen der Natur, dem Mineralreich, Pflanzen- und Tierreich gemeinsam. Durch den Ich-Träger aber unterscheidet er sich von diesen, dadurch ist er die Krone der Schöpfung.

Indem wir so die viergliedrige Wesenheit des Menschen betrachtet haben, haben wir uns gleichzeitig das vor Augen geführt, was der Mensch sozusagen von den höheren Welten mitbekommen hat, ganz gleichgültig, auf welcher Entwickelungsstufe er steht. Dadurch, daß er diese vier Glieder der menschlichen Wesenheit hat, dadurch ist er eben Mensch. Jetzt erst, wenn das Ich an den drei andern Leibern arbeitet, beginnt die Arbeit des Menschen selbst. Ein Mensch steht höher oder niedriger in seiner Entwickelung, je nachdem er seine Arbeit an den drei niedrigeren Gliedern seiner Wesenheit vollbringt. Es beginnt das Ich zuerst am Astralleib zu arbeiten. Diese Arbeit drückt sich an einem niedrigerstehenden Menschen und an einer hochstehenden

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Persönlichkeit, wie Schiller etwa, sehr verschieden aus. Der eine hat an der Umwandlung seines Astralleibes weniger geleistet als der andere. Diese innere Arbeit an sich selbst nennt man in der Ge­heimsprache die Läuterung oder Reinigung: Katharsis. In dieser Weise arbeitet das Ich an der Vervollkommnung des Astralleibes. Bei allen Menschen finden Sie daher, daß der Astralleib in zwei Teile zerfällt: der eine Teil ist durchgearbeitet, geläutert, der andere nicht. Nehmen wir nun an, das Ich arbeitet unentwegt weiter am astralischen Leib, dann wird der Mensch allmählich dahinkommen, nicht mehr sich gebieten zu müssen, das Gute zu tun, sondern das Gute zu tun wird ihm zur Gewohnheit werden. Es ist nämlich ein Unterschied, ob der Mensch nur einem Gebot folgt, oder so stark in der Liebe ist, daß er gar nicht anders kann, als das Gute, das Gescheite, das Schöne zu tun. Folgt der Mensch nur dem Gebot, so arbeitet das Ich am Astral­leibe; wird ihm aber das Gute zur Gewohnheit, so bearbeitet das Ich bereits auch den Ätherleib.

In welcher Weise arbeitet nun das Ich am Ätherleib? Um dies zu erkennen, wollen wir ein Beispiel zu Hilfe nehmen. Wenn Ihnen irgend etwas erklärt wird und Sie haben die Sache verstanden, so hat das Ich in den Astralleib hineingearbeitet. Wenn Sie aber tagtäglich ein Gebet verrichten, etwa tagtäglich das Vaterunser beten, so arbeiten Sie in den Ätherleib dadurch hinein, daß Sie jeden Tag dasselbe wieder­holen, daß die Seele immer wieder dieselbe Tätigkeit zustande bringt. Wiederholung ist etwas ganz anderes als einmaliges Verständnis. Wir wollen uns das klarmachen, wie das eine den Astralleib, das andere den Ätherleib vom Ich aus bearbeitet.

Schauen Sie auf das Wachsen der Pflanze. Sie treibt den Keim, den Stengel, setzt Blatt für Blatt an, immer neue grüne Blätter. Dadurch, daß sie mit einem Ätherleib begabt ist, kann sie das, denn das Prinzip des Ätherleibes ist das der Wiederholung. Überall da, wo Wieder­holung auftritt, da wirkt ein Ätherleib. Den Abschluß der Pflanze, die Blüte, den bewirkt ein anderes Prinzip, der sie überschattende Astral­leib. Also ein Abschluß, das ist das Prinzip der Astralität. Merken Sie wohl - Sie können das auch beim Menschen am Bau seines physischen Leibes beobachten. Sehen Sie das Rückgrat an, die immer sich wiederholenden

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Rückenwirbel, da haben Sie den Ätherleib im Physischen ausgedrückt. Nun betrachten Sie den Kopf des Menschen, das Gehirn:

da haben Sie den Abschluß, den Astralleib in der physischen Form. Denselben Vorgang haben Sie geistig als das einmalige Verständnis durch die Wirkung auf den Astralleib, und als errungene Tätigkeit durch die tägliche Wiederholung desselben Gebetes oder derselben Meditationsübung, einer Arbeit am Ätherleib. Darin ist das Wesent­liche der Meditation zu sehen, daß sie durch das Prinzip der Wieder­holung in den Astralleib nicht allein, sondern in den Ätherleib hinein wirkt. Die großen Religionslehrer haben deshalb so Großes gewirkt, weil sie der Menschheit Inhalte gegeben haben, in denen fortwirkende Kraft sich offenbarte, die immer noch weiter wirkt. So ist also auch der Ätherleib des Menschen zweiteilig: er hat einen durchgearbeiteten Teil, der allerdings beim Durchschnittsmenschen noch gering ist, und den vom Ich aus noch nicht bearbeiteten Teil.

Ein drittes noch gibt es für den Menschen: Er kann von seinem Ich aus in den physischen Körper wirken. Das ist die härteste Arbeit. Der Mensch hat unbewußt fortwährend schon an seinem physischen Kör­per gearbeitet; nicht aber von seinem Ich aus. Das ist nur den Vor­geschrittensten möglich.

So lernen wir die vier niederen Glieder des Menschen kennen und die drei höheren Glieder, welche Umwandlungsprodukte sind der drei niederen Leiber durch die Arbeit des Ich. Es besteht bei dieser Be­arbeitung der drei unteren Glieder ein beträchtlicher Unterschied: dieselbe geschieht bewußt oder unbewußt. Unbewußt, das heißt ohne daß der betreffende Mensch es weiß, durch das Betrachten und In-sich-Aufnehmen künstlerischer Werke, Bilder und so weiter, durch hingebende Andacht und Gebetsverrichtungen. Es sind sich aber die Menschen dessen nicht bewußt, daß sie an ihrem Äther- und Astral­leib arbeiten; das bewußte Arbeiten daran beginnt verhältnismäßig spät. Wir haben also zu unterscheiden ein bewußtes und ein unbewuß­tes Arbeiten des Menschen an den unteren Wesensgliedern. Es besteht der menschliche Astralleib aus zwei Gliederungen: einem unbewuß­ten und einem bewußten Teil. Den Teil des Astralleibes, der vom Ich aus in unbewußter Weise durchgearbeitet wurde, nennt man die Empfindungsseele;

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diese ist beim Menschen heute fertig durchgebildet. Was unbewußt am Ätherleib vom Ich aus bearbeitet wurde, das ist die Verstandesseele. Was im physischen Leibe unbewußt seit langer Zeit umgearbeitet worden ist, das ist die Bewußtseinsseele. So unterschei­den wir also am Menschen den physischen Leib, den Ätherleib, den Astralleib und das Ich, und von diesem als vom Astralleib unbewußt Umgearbeitetem die Empfindungsseele; vom Ätherleib die Verstan­des seele; vom physischen Leib die Bewußtseins seele. Wir haben also sechs, beziehungsweise sieben Glieder der menschlichen Natur, die so entstanden sind, daß der Mensch unbewußt an sich gearbeitet hat. Nun beginnt das bewußte Arbeiten. Was entsteht dadurch? Es ist das­jenige, was der Mensch bewußt in den Astralleib hineinarbeitet, das Geistselbst oder Manas; was der Mensch bewußt an seinem Ätherleib arbeitet - das aber geschieht erst bei einer bewußten okkulten Schulung -, nennt man die Buddhi oder den Lebensgeist. Und was ge­schieht dann, wenn das Ich einmal in die Lage kommt, den physischen Leib bewußt zu bearbeiten, das heißt Kräfte bis in den physischen Leib hineinzuarbeiten? Durch okkulte Schulung, durch den Atmungs­prozeß kann das wirklich bewußt geschehen, aber es muß dabei sehr vorsichtig und sehr subtil zu Werke gegangen werden, denn bei fal­scher Schulung, wie sie oft in öffentlichen Schriften gegeben wird, kann man auch dem Körper des Europäers sehr schaden, und man muß wissen, was der Konstitution des modernen Menschen angemes­sen ist. Durch solche bewußte Atmung wird dann der physische Kör­per vom Ich aus umgestaltet zu Atman oder dem Geistesmenschen.

Das Wesen des Menschen war viergliedrig, als er irdische Gestal­tung annahm. Mit der ersten irdischen Inkarnation beginnt er schon die Arbeit an sich selbst durch das Ich. Dabei entwickelt er durch die Verkörperungen hindurch unbewußt die drei Seelenaspekte: Emp­findungsseele, Verstandesseele, Bewußtseinsseele. Wir werden noch sehen, wie die bewußte Umgestaltung von physischem Leib, Äther- und Astralleib in die drei höheren Glieder vor sich geht. Hier haben Sie nun inzwischen dasjenige, was gewissermaßen die siebengliedrige Wesenheit des Menschen ist, sie entwickelt sich so durch die Inkarna­tion hindurch. Die vier Glieder: physischer Leib, Ätherleib und Astralleib

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mit Ich sind die sogenannte heilige Vierheit, wie man sie in allen okkulten Schulen verehrte, zu der sich noch eine heilige Dreiheit ge­sellte, die sich zu einer Siebenheit und einer Zehnheit bewußt gliedert. So haben wir den universellen Menschen vor unsere Seele hingestellt, der alles in sich hat, was ihn gleichsam fächerartig umgibt, der aber durch seinen Ich-Träger darüber hinausragt.

Nun wollen wir auch den Menschen im Wachen und Schlafen betrachten, um zu erkennen, wie da die Leiber zusammengefügt sind. Was geschieht, wenn Freude und Schmerz im Menschen schweigen, wenn das Bewußtsein in den Schlaf hinabsinkt? Der Astralleib und das Ich sind dann außerhalb des physischen und Ätherleibes. Für den Menschen tritt da im Schlafzustande etwas sehr Eigentümliches ein. Wie eine Pflanze am Tage, so ist der Mensch in der Nacht: er hat nur den physischen und Ätherleib in sich, er ist sozusagen heruntergestie­gen zur Pflanzheit. Das Menschenwesen spaltet sich in zwei Glieder: physischer und Ätherleib bleiben im Bette und Astralleib und Ich sind außerhalb. Nun können Sie die Frage vorlegen: Ja, ist denn der Mensch im Bette eine Pflanze? - Nein, das nicht, aber sie bestehen beide aus der gleichen Körperzusammensetzung. Auf unserer Erde nun kann ein Wesen mit physischem und Ätherleib nur existieren, wenn es Pflanze ist. Dadurch, daß ein Astralleib und ein Ich darinnen wohnt, verändern sich die andern Leiber auch, der physische und der Ätherleib. Bei den Pflanzen finden sich keine Nervenstränge, und warmes Blut hat nur der physische Leib, in dem ein Ich darinnen wohnt. Die höheren Tiere sind als heruntergesunkene Formen des ursprünglichen Menschen zu betrachten. Im physischen Leibe drückt sich das Ich im Blutsystem aus, der Astralleib in den Nerven, der Ätherleib im Drüsensystem und die physische Natur in des Menschen eigenem Körper. Wenn nun der Astralleib der eigentliche Bildner des Nervensystems ist, und das ist er, so kommt dieses bei Nacht in eine sehr trübselige Lage, denn es wird von seinem Herrn verlassen; das Drüsensystem aber nicht, denn der Ätherleib bleibt ihm treu. Aber auch das Blutsystem des physischen und Ätherleibes wird in der Nacht treulos vom Ich verlassen. Der physische Leib kann für sich bestehen, denn die physische Natur bleibt dieselbe, ebenso das Drüsensystem,

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denn der Ätherleib bleibt im physischen Leibe bei Nacht. Aber das Nervensystem wird von seinem Herrn verlassen. Wir wollen nun das hellseherische Bewußtsein fragen, was dann im physischen Leibe ge­schieht? In demselben Maße, in dem der menschliche Astralleib wäh­rend der Nacht aus dem physischen und Ätherleib herausgeht, in demselben Maße dringt ein göttlich-geistiger Astralleib in die Leiber, die im Bette liegen, ein. Ebenso verhält es sich mit dem Blutsystem: ein göttlich-geistiges Ich geht hinein und versorgt es. Der Mensch ist auch in der Nacht ein viergliedriges Wesen, aber etwas anderes lebt in ihm: ein Wesen höherer Ordnung nimmt Besitz von den zwei Leibern im Bette. Und wenn der Mensch, das heißt sein Astralleib und sein Ich, am Morgen zu seinem Äther- und physischen Leibe zurückkehrt, so jagt sein kleiner Astralleib ein Mächtigeres hinaus. Ebenso geht es bei seinem Blutsystem: sein Ich vertreibt das göttlich-geistige Ich, das während der Nacht dasselbe versorgt hat.

In unserer Umgebung sind immer göttlich-geistige Wesenheiten. Diese müssen sich nun bei Tage zurückziehen, wir tun dasselbe bei Nacht. Diese göttlich-geistigen Wesenheiten schlafen nämlich bei Tag: Götterschlaf und Menschenschlaf entsprechen sich vollständig. Ein göttlich-geistiges Ich und ein göttlich-geistiger Astralleib ziehen am Abend in den im Bette liegenden Menschen, seinen physischen und Ätherleib ein und kehren am Morgen daraus zurück. Beim Men­schen geschieht dies gerade umgekehrt, er verläßt am Abend seine Leiber und nimmt am Morgen wieder Besitz von ihnen. Selbst in den Religionen ist ein Empfinden zurückgeblieben für den Schlaf der Götter bei Tage. Es gibt Länder, wo die Kirchen um die Mittagszeit geschlossen werden, weil da die Götter am tiefsten schlafen.

Auch dasjenige wollen wir uns nun vom Menschen ansehen, was da bei Nacht außerhalb seines Leibes ist: der Astralleib und das Ich. Wir wissen, daß im Astralleibe Triebe, Begierden und Leidenschaften wurzeln, aber der Mensch nimmt diese in der Nacht nicht wahr. Wo­her kommt das? Weil der Astralleib und das Ich des Menschen in der gegenwärtigen Entwickelung keine Organe haben, um wahrzuneh­men. Nur mit den physischen Organen kann der gegenwärtige Mensch wahrnehmen. Denn so viele Organe der Mensch hat, so viele Welten

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eröffnen sich ihm, sind um ihn. Hat er ein Organ mehr, so erschließt sich ihm eine neue Welt. Der Astralleib des Menschen hat, wenn der Mensch noch nicht hellseherisch geworden ist, noch keine Organe, deshalb nimmt der Mensch in der Nacht auch nichts wahr. Wir kön­nen uns leicht denken, daß der Mensch da ohne Sinne sein kann. Wir wissen, es gibt Blinde und solche, denen andere Sinne fehlen; keine Welt ist für den Menschen da, wenn er sich nicht seiner Sinne be­dienen kann. Daher ist am Morgen, wenn der Mensch sich wieder der physischen Sinne bedienen kann, die Welt wieder um ihn herum da. Anders aber ist es beim Tode. Der Ätherleib und der physische Leib bleiben während des ganzen Lebens miteinander verbunden; im Tode nun geht der Ätherleib in der Regel zum ersten Male heraus und ver­läßt den physischen Leib. Der Moment des Todes wird daher von dem, der davon etwas weiß, als der Moment des Rückblicks geschil­dert, wo das ganze verflossene Leben wie ein Panorama am Menschen vorbeizieht. Warum? Weil der Ätherleib der Träger des Gedächt­nisses ist und dieses Gedächtnis nun frei wird. Solange der Ätherleib im physischen Leib ist, kann er nicht seine ganze Kraft entfalten, son­dern nur so viel davon entwickeln, als das physische Instrument zu­läßt. Jetzt aber, im Tode, wird er frei und kann ohne den physischen Leib das entwickeln, was in der ganzen Lebenszeit in ihn eingeschrie­ben worden ist. Auch durch einen Schock, bei dem aber den Menschen das Bewußtsein nicht wie nach dem Tode verlassen darf, kann dieses Panorama eintreten, zum Beispiel bei Todesgefahr. Das ist aber ein Ausnahmefall.

Nun können Sie fragen: Wie lange dauert dieses Tableau? Das ist nun bei den Menschen sehr verschieden. Im allgemeinen kann man sagen, es dauert so lange, als der Mensch im Leben wachen kann, ohne vom Schlaf übermannt zu werden; das ist: zwanzig Stunden, fünfzig, sechzig bis achtzig Stunden. Die äußerste Grenze, die der Mensch im Wachen erreichen kann, ist ungefähr die Zeitdauer für dieses Pano­rama. So lange währt diese Rückerinnerung, dann flutet sie ab, und zugleich sieht der Hellseher, wie sich der Ätherleib herauslöst, aber nicht ganz, und das ist das Wesentliche. Eine Essenz, einen Extrakt nimmt der Mensch mit sich, und mit der Essenz seines Ätherleibes die

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Früchte seines letzten Lebens. Dadurch steigt der Mensch auf. Nun behält er die Essenz seines Ätherleibes, seinen Astralleib und sein Ich, bis er auch den Astralleib ablegt. Jetzt hat er zwei Leichname abgelegt, und dann geht er in die geistige Welt ein.

Morgen wollen wir dann das Leben nach dem Tode und den Eintritt in die devachanische Welt betrachten.

Vierter Vortrag, Budapest, 6. Juni 1909 Der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt

Gestern haben wir uns vor die Seele geführt, wie der Moment des Todes verläuft, wie der Ätherleib mit dem Astralleib und dem Ich-Träger heraustritt aus dem physischen Leibe und das Erinnerungs­tableau vor der Seele steht. Bei diesem Tableau zeigt sich eine Eigen­tümlichkeit. Es ist nämlich so, daß die Ereignisse wie gleichzeitig vor der Seele stehen und wie eine Art Panorama einen Überblick gestat­ten. Das Wesentliche davon ist aber, daß man es wirklich wie ein Bild empfindet. Im wirklichen physischen Leben sind die Ereignisse mit Freude und Schmerz verbunden; diese Empfindungsinhalte sind in den wenigen Tagen nach dem Tode fort. Es ist dieses Erinnerungs­bild ein objektives Gemälde. Versuchen wir es uns klarzumachen an einem Beispiel. Wir sehen uns in einer recht fatalen, schmerzlichen Situation drinnen, wir erleben sozusagen deren Verlauf, aber das Schmerzliche dabei bleibt weg. Es ist wie ein Bild, das wir betrachten und das etwa einen Gemarterten darstellt: wir empfinden den Schmerz nicht wirklich, sondern schauen ihn nur objektiv an. So ist es mit dem Erinnerungsbild nach dem Tode. In dem Momente tritt es ein, wo der Ätherleib zum großen Teil heraustritt, sich von dem physischen Leibe loslöst und dann im allgemeinen Weltenäther sich auflöst. Und zurück bleibt von ihm der Extrakt, der die Frucht des verflossenen Lebens enthält. - Jetzt beginnt für die Seele eine wirklich wesentlich andere Zeit, die Zeit des Abgewöhnens von dem Hängen an der phy­sischen Welt. Vorstellungen davon machen wir uns am besten, indem

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wir uns sagen: Für den Okkultisten ist die Summe von Trieben und Begierden etwas Reales. Das nun, was im astralischen Leibe vorhan­den ist, das hört nach dem Tode mit dem Ablegen des physischen Leibes nicht auf, sondern all diese Triebe und Wünsche sind da. Wer in diesem Leben ein Feinschmecker gewesen ist, der verliert im Tode nicht die Lust an den leckeren Speisen, denn die Lust haftet am Astralleibe, und nur die physischen Werkzeuge, Gaumen, Zunge und so weiter hat er nicht mehr, womit er die Gier befriedigen kann. Wir können seine Lage vergleichen - weil auch die Sache aus einem andern Grunde so ist - mit einem Menschen, der furchtbaren Durst hat und keine Möglichkeit, ihn zu löschen. Er leidet diese Begierden, er leidet unter der notwendigen Entbehrung der Erfüllung dieser Begierden. Der Sinn dieses Leidens ist, zu fühlen, was es heißt, Begierden zu haben, die nur mit physischen Werkzeugen befriedigt werden kön­nen. Kamaloka: Abgewöhnung, «Ort der Begierden» nennt man die­sen Zustand. Er dauert, vielleicht können wir noch genauer darauf eingehen, ein Drittel der Zeit, die der Mensch zwischen Geburt und Tod zubringt. Stirbt also jemand mit sechzig Jahren, so kann man sagen, zwanzig Jahre, ein Drittel seines verflossenen Lebens bringt er in Kamaloka zu. In der Regel dauert also Kamaloka so lange, bis er sich all die Begierden, die ihn noch an den physischen Plan knüpfen, abgewöhnt hat. Das ist eine Seite der Kamalokazeit. Aber wir wollen Kamaloka auch noch von einer andern Seite betrachten.

Das, was der Mensch im physischen Leibe erlebt, ist von Wert für ihn, weil er auf dem Wege jener Erfahrungen sich immer höher und höher entwickelt durch das, was er auf Erden leistet. Das ist das Wesentliche. Andererseits bieten sich zwischen Geburt und Tod für den Menschen zahlreiche Anlässe, sich Hindernisse der Entwickelung zu schaffen. Dazu gehört alles das, was von unserem Tun dem Mit­menschen schadet. Jedesmal, wenn wir uns auf Kosten unserer Mit­menschen irgendeine eigennützige Befriedigung verschaffen, oder irgend etwas Eigensüchtiges unternehmen, das aber zusammenhängt und irgendwie eingreift in die Welt, schaffen wir ein Hindernis für unsere Entwickelung. Wir geben jemandem eine Ohrfeige: der phy­sische und moralische Schmerz derselben ist für uns ein Entwickelungshindernis.

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Dieses Entwickelungshindernis würde uns für alle folgenden Zeiten und Leben anhängen, wenn wir es nicht aus der Welt schaffen würden. Der Mensch erhält nun in der Zeit des Kama­loka einen Anstoß, diese Entwickelungshindernisse aus dem Weg zu schaffen. Nun spielt sich die Kamalokazeit so ab, daß der Mensch sein ganzes Leben zurückerlebt, und zwar wird er es dreimal so schnell rückwärts durchleben. Das ist überhaupt das Merkwürdige der astra­lischen Welt, des Kamaloka, daß die Dinge alle wie Spiegelbilder er­scheinen. Und das ist auch das Verwirrende für den Schüler bei seinem Eintritt in die astralische Welt. Die Zahl 346 zum Beispiel muß er 643 lesen. Er muß alles umkehren beim Schauen in der astralischen Welt. So ist es mit allen Dingen, die sich auf die astralische Welt beziehen. So ist es aber auch mit allen Ihren Leidenschaften. Nehmen wir an, es wird jemand durch Schulung oder pathologische Zustände hellsehend, so sieht er zuerst die eigenen Triebe und Leidenschaften, die von ihm ausströmen, ihm erscheinen in Form von allerlei Figuren und Ge­stalten, und in Radien von allen Seiten auf ihn zukommen. Wer regulär oder auf unregelmäßige Art sehend wird im astralen Raum, der sieht zuerst diese Gestalten, die als Fratzen oder dämonische Gestalten auf ihn eindringen. Das ist eine sehr fatale Sache, besonders für solche, die sehend werden und jenes Eigentümliche noch nie gehört haben. Es wird das immer weniger selten werden, weil wir heute gerade in einem Entwickelungszustande begriffen sind, wo einer Anzahl von Menschen sich das Auge für die geistige Welt öffnet. So soll auch dies gesagt werden, damit sich jene, denen es passiert, dann nicht fürchten. Denn Geisteswissenschaft ist dazu da, um dem Menschen Führer in die geistige Welt zu sein. Für viele, die hellsehend werden, hängt damit viel seelisches Unglück zusammen, weil sie unwissend sind über alle diese Tatsachen und Zustände. Sie sehen also alle diese Dinge im Spiegelbilde in der astralischen Welt, Sie sehen auch anderes in der geistigen Welt. In der physischen Welt sehen Sie, wenn das Huhn ein Ei legt, erst das Huhn und dann das Ei, astralisch sehen Sie den Vor­gang, wie das Ei in das Huhn zurückgeht. Es wird also alles zurückerlebt. Denken Sie sich, man stirbt mit sechzig Jahren und kommt dann in Kamaloka an den Punkt, wo man mit vierzig Jahren dem

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andern eine Ohrfeige gegeben hat: jetzt erlebt man in Kamaloka alles das, was der andere durch uns erlebt hat, man ist förmlich in der Natur des andern darinnen. So lebt man sein Leben zurück bis zu der Geburt. Aber nicht nur Schmerz, auch Freude erlebt man, die Freude, das Glück, das man andern zugefügt hat. Stück für Stück legt die Seele so dasjenige ab, was ihre Entwickelungshindernisse sind. Und sie muß der weisheitsvollen Lenkung dankbar sein, die ihr die Möglichkeit des Ausgleichs gibt. Denn sie nimmt mit dem Willen, das wieder gut­zumachen, jedesmal so etwas davon auf wie eine Marke, einen Willens­impuls, das wieder gutzumachen, was für sie Entwickelungshinder­nisse sind. Und sie kommt im kommenden Leben in die Lage, das zu tun. Wir sehen also, das objektive Tableau ist etwas ganz anderes als das Rückerleben in Kamaloka. In Kamaloka erlebt man sehr genau das, was der andere empfunden hat bei unserem Verhalten, man erlebt die andere Seite der eigenen Taten. Aber es ist nicht bloß dieses Kreuz dort zu erleben, sondern das, was man hier als Schmerzen erlebt hat, es ist dort Lust und Freude. Man erlebt also Lust und Leid als das Gegenteil von dem, was es in der physischen Welt war. Ge­rade dazu ist Kamaloka da, um der Seele das zu geben, was das Erin­nerungstableau nicht gibt: das Zurückerleben von Schmerz und Freude.

Ist nun das Kamaloka durchlebt, so wird eine Art dritter Leichnam abgelegt. Zuerst war es der physische Leichnam, dann der ätherische, der sich im allgemeinen Weltenäther auflöst, und jetzt ist es der astra­lische Leichnam. Dieser umfaßt alles das von des Menschen astra­lischem Leibe, was er noch nicht von seinem Ich aus geläutert und geordnet hat. Das, was er einst mitbekommen hat als Träger seiner Triebe und Leidenschaften, und was er nicht vom Ich aus umgearbeitet, vergeistigt hat, das löst sich los nach dem Kamalokazustand. Mit nimmt der Mensch auf seiner weiteren Bahn einen Extrakt vom Astralkörper: erstens die Summe all der guten Willensimpulse, und zweitens alles das, was er vom Ich aus umgewandelt hat. Alles, was er veredelt hat von seinen Trieben: das Schöne, das Gute, das Moralische, das bildet den Extrakt seines astralischen Leibes. Der Mensch besteht nun am Ende der Kamalokazeit aus dem Ich, und um dieses gleichsam

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herumgelagert hat er den Extrakt des astralischen Leibes und des Ätherleibes, die guten Willensimpulse.

Nun beginnt für den Menschen ein neuer Zustand, der des leidfreien, geistigen Lebens, des Devachans. Es ist für den Okkultisten sehr erhebend, wenn er solche Dinge als Tatsachen erlebt und sie dann wiederfindet in den heiligen Urkunden und religiösen Schriften. Die Stelle im Neuen Testament ist eine solche, die da lautet: «So ihr nicht werdet wie die Kindlein, so könnet ihr nicht in die Reiche der Him­mel kommen.» Hier ist hingedeutet auf das Zurückleben bis zur Ge­burt: das sind solche große Momente, die man den religiösen Urkun­den gegenüber haben kann. Sie müssen mich recht verstehen: der Okkultist schwört auf keinerlei Urkunde und Autorität, für ihn sind einzig die Tatsachen der geistigen Welt maßgebend, aber die Urkun­den, sie werden ihm objektiv wieder wertvoll. Die Theosophie ist nicht aufgebaut auf irgendeine religiöse Urkunde, sondern unmittel­bar auf die Erforschung von geistigen Tatsachen. Die Grundlage aller Geisteswissenschaft ist die objektive Forschung; wenn dann die Ur­kunden Ähnliches enthalten, dann wird sie der Okkultist erst recht entsprechend werten können.

Jetzt beginnt das Leben im Devachan, im Geistgebiet. Diese geistige Welt, sie ist immer zu beobachten, sie ist immer da; der Tote tritt eben erst in sie ein, aber sie ist immer da. Die Methoden, durch die man sie wahrnehmen kann, werden wir später kennenlernen. Diese geistige Welt ist sehr schwer zu beschreiben, da unsere Worte eben für die physische Welt geprägt sind. Es kann daher nur vergleichs­weise eine Vorstellung davon gegeben werden. Hier in unserer irdi­schen Welt finden wir feste Erde, wir wandern darauf herum, Flüssi­ges, das Wasser, einen Luftkreis, und das Ganze durchdrungen von Wärme. So etwa können Sie sich vergleichsweise auch das Geistgebiet vorstellen. Es gibt ein Festland dorten, das auf sehr merk­würdige Weise gebildet ist, das Kontinentalgebiet des Devachans: da ist alles Mineralische in seinen Formen enthalten. Sie wissen, daß der Hellseher da, wo das Mineral fest ist, nichts sieht im Raume, der Raum ist ausgespart, und außen herum sind die geistigen Kräfte für den hellseherischen Blick, etwa wie ätherische Lichtfiguren. Stellen

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Sie sich einen Kristall vor: was von der physischen Materie ausgefüllt ist, das ist für das Bewußtsein, wenn es sich in die geistige Welt er­hebt, nicht das Wesentliche, sondern der Geist des Kristalls, die Kräfte, die außen herum an ihm sichtbar sind. Wie ein Negativ stellt sich der Kristallwürfel dem Hellseher dar. Was an physischen Formen in unserer Welt ist, das ist ein fester Boden im Devachan. Vieles andere ist noch darinnen im Devachan. Alles das, was an Leben auf der Erde ist, pflanzliches, tierisches und menschliches Leben, und wie es da in den verschiedenen Wesen verteilt ist, das erscheint dem Seher wie das flüssige Element der geistigen Welt, wie Meer- und Flußgebiet. Das flüssige Leben, das dort strömt, das können wir aber in der Anord­nung nicht gut vergleichen mit unseren Flüssen und Meeren, viel eher mit dem Blute, wie es den Menschenleib durchströmt. Das ist das ozeanische und das Flußgebiet des Devachans. Nicht ab- oder auf­steigend, nicht stufenförmig erscheint dieses feste und flüssige Gebiet dort, sondern in einem ähnlichen Verhältnis wie hier Land und Meer.

Das dritte Gebiet ist vergleichbar unserem Luftkreis. Gebildet ist derselbe im Devachan aus dem, woraus unsere und die tierischen Empfindungen bestehen. Er ist die Summe alles dessen, was im Astra­lischen lebt. Fließender Schmerz, fließende Lust, ist die Substantiali­tät, die im Devachan das bildet, was hier die Luft ist. Denken Sie sich, der Hellseher sähe sich vom Devachan aus eine Schlacht an. Wenn Sie sie physisch anschauen, so sehen Sie Kämpfer, Kanonen und so wei­ter, der Hellseher sieht aber mehr als die physischen Menschengestal­ten und die physischen Instrumente, er sieht, wie sich die Leidenschaf­ten der Kämpfenden gegenüberstehen. Was in den Seelen lebt, das würden Sie da sehen: wie Leidenschaft auf Leidenschaft prallt. Gleich einem furchtbaren Gewitter, wie es im Hochgebirge wütet, so etwa nimmt sich eine solche Schlacht aus für den Hellseher vom Devachan aus. Doch auch liebreiche Empfindungen nimmt der Mensch dort wahr: wie ein wunderlieblicher Ton durchziehen diese das devachani­sche Luftgebiet. - Also drei Gebiete: Festes, Flüssiges und Luftiges des Devachan haben wir sie vergleichsweise mit denen unserer Erde genannt.

Wie Wärme die drei unteren Gebiete bei uns durchzieht, so durchzieht

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auch ein gemeinschaftliches Element die drei genannten Gebiete des Devachan. Und das, was dort alles durchzieht, das ist die Substanz unserer Gedanken, die dort als Formen und Wesen leben. Das, was hier der Mensch an Gedanken erlebt, das ist nur ein Schattenbild der wirklichen Gedanken. Denken Sie sich eine Leinwand ausgespannt und dahinter lebendige Wesen und Gestalten, auf der Leinwand aber würden Sie nur deren Abbilder sehen können. Genau so verhalten sich die Gedanken, die der Mensch in der physischen Welt kennt, zu dem, was die Gedanken im Geistgebiet sind. Dort sind die Wesen­heiten, mit denen man verkehren kann, die wie Wärmezustände den ganzen Raum des Devachan durchziehen. In diese Welt tritt der Mensch ein. Sehr genau empfindet es der Mensch in diesem Leben nach dem Tode, wenn er in das Devachan eintritt.

Noch haben wir zu erwähnen, daß in demselben Maße, als der Mensch sich in Kamaloka die physischen Zusammenhänge abgewöhnt, auch sein Bewußtsein sich wieder aufhellt. Nach dem schar­fen, klaren Bild der Überschau über sein Leben tritt im nachtodlichen Leben eine Umdüsterung seines Bewußtseins ein, je stärker der Wunsch nach dem Physischen wird. Aber je mehr sich der Mensch das Hängen am Physischen abgewöhnt, desto mehr hellt sich das um­düsterte Bewußtsein auf Und im Devachan erlebt der Mensch bewußt, nicht etwa traumhaft, die Ereignisse und alle Erlebnisse des Devachan. Wir werden noch darüber sprechen, wie sich die Organe dafür bilden.

Der Mensch weiß es genau, wenn er die geistige Welt betritt. Der erste Eindruck des Devachan ist der, daß er den physischen Leib des vorigen Lebens in seiner Form außerhalb seines Ich sieht. Dieser Leib ist ja einverleibt dem Kontinentalgebiet der geistigen Welt; er gehört zu dem Festland des Devachan. Im physischen Leben, da sagen Sie: Ich mache das. - Sie konstatieren, daß Sie in Ihrem physischen Leibe leben und sagen daher «Ich» zu ihm; nicht so im Deva­chan. Da sind Sie außerhalb des physischen Leibes, aber er wird Ihnen in seiner Form bewußt in dem Moment, wo Sie das Devachan be­treten, und da sagen Sie zu ihm: Das bist du! - Nicht mehr sagen Sie nun zu Ihrem physischen Leibe Ich. Das ist ein einschlagendes, sehr bedeutsames Ereignis für die Seele, bei dem ihr klar wird: nicht mehr

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in der physischen, sondern in der geistigen Welt, da bin ich jetzt. Darum sprechen Sie Ihren physischen Leib nicht mehr mit Ich an, sondern sagen: Das bist du! - Auf dieses Erlebnis geht auch in Wahr­heit der Spruch aus der Vedantaphilosophie zurück: Tat twam asi - das bist du. - Alles, was so in der morgenländischen Philosophie ge­sagt wird, das sind Tatsachen der geistigen Welt. Wenn die Vedanta also den Schüler lehrt zu meditieren über das «Das bist du», so be­deutet das nichts anderes, als daß er in sich schon in diesem Leben jene Vorstellungen wachrufen soll, die ihm dann beim Betreten des Deva­chan aufgehen. Wahre Meditationsformeln sind nichts anderes als Photographien von Tatsachen der geistigen Welt. Und das «Tat twam asi» ist der Grenzstein, die Marke, die einem anzeigt, daß man in die geistige Welt eintritt. Des weiteren lernt man da nach und nach ken­nen, objektiv zu betrachten das, was mit dem eigenen physischen Leben zusammenhängt, ohne Sympathie und Antipathie, wie Bilder, die man sich beschaut.

Ein anderes nun wieder sind die Erlebnisse der Seele gegenüber dem fließenden Leben des Devachan. In der physischen Welt ist das Leben verteilt auf die vielen individuellen Wesen. Als ein Ganzes da­gegen erscheint das Leben im Devachan. Das eine, allumfassende Leben tritt einem da entgegen, und die Empfindung, die man davon hat, ist eine ungeheuer starke, denn in diesem einen Leben sind die Er­lebnisse ja nicht darinnen als etwas Abstraktes. Denken Sie doch, wie alles das, was die großen Religionsstifter hineingelegt haben ins Leben, wie das von dem Menschen wiederum in seinen Astralleib und in seinen Ätherleib hineingelebt wird: das alles wird als etwas Erhebendes wieder erlebt im Devachan. Was ausgeflossen ist durch die großen Stifter und eingeflossen während der einzelnen Verkörperun­gen - und gerade die wertvollsten Erfahrungen sind hineingelegt in den Ätherleib -, dem stehen Sie im Geistgebiet als einem Erlebnis gegenüber. Alles, was eingeflossen ist in das physische Leben, Sie haben es in großen, gewaltigen Bildern vor sich. Sie erleben das, was die Menschen eint. Was sie harmonisiert, das erleben Sie im Devachan; dasjenige, was uns hier trennt, was uns fremd ist, das bringen wir dort in Einklang. Und das, woran wir hier innerlich so stark beteiligt sind,

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Lust und Leid, erscheint uns dort wie Wind und Wetter. In Bildern erleben wir es um uns herum, was wir früher in uns erlebten: es ist jetzt der Luftkreis um uns herum. Das ist wichtig, daß wir das, was wir im physischen Leben persönlich erfühlen, dort im Zusammen­hang mit dem Ganzen erfahren. Nicht anders empfinden wir Freude, als im Zusammenhang mit der gesamten Lust, nicht anders Schmerz, als im Zusammenhang mit dem gesamten Leid. So zeigen sich unsere Lust und unser Leid, wie sie in ihrer ganzen Tragweite für die Ge­samtheit wirken. Solche Erfahrung von Lust und Leid gewinnen wir in dem Leben nach dem Tode. Mit den Gedanken leben wir dort wie mit den Dingen.

Und nun fragen wir: Was bewirkt das in der Wesenheit des Men­schen, wenn er so in allem darinnen lebt im Devachan? Wir wollen uns das durch einen Vergleich klarmachen. Wodurch sieht der Mensch in der physischen Welt? Dadurch, daß Licht auf ihn eindringt und ihm das Organ dafür bildet. Goethe sagt nicht ohne Absicht: Das Auge ist vom Licht für das Licht gebildet. - Die Richtigkeit dieser Tat­sache ist aus dem zu ersehen, daß, wenn Tiere in dunkle Höhlen einwandern, ihre Augen verkümmern und andere Organe, etwa die Tast­organe, die dort nötig sind, sich feiner ausbilden. Das Organ der Wahrnehmung wird gebildet durch das äußere Element. Gäbe es keine Sonne, so gäbe es kein Auge, das Licht hat das Auge geboren. Unser Organismus ist ein Ergebnis der um ihn herum befindlichen Elemente, alles, was wir an uns physisch haben, das ist aus der Um­gebung um uns herum gebildet. Und ebenso werden im Devachan aus der geistigen Umgebung heraus die geistigen Organe dem Menschen angebildet. Und der Mensch nimmt fortwährend im Devachan etwas vom Leben seiner Umgebung auf und baut sich aus den Elementen seiner Umgebung eine Art Geistorganismus zurecht. Er fühlt sich dort fortwährend als ein Werdender, dem Glied um Glied seines gei­stigen Organismus entsteht. Und nun bedenken Sie, daß alle Wahr­nehmung einer Produktivität als Seligkeitsgefühl empfunden wird und auch im physischen Leben mit einem solchen verbunden ist! Denken Sie an den Künstler, den Erfinder. Dieses Wachsen und Wer­den nun, Stück für Stück, das empfindet der Mensch beim Durchwandern

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des Devachan als ein Seligkeitsgefühl. Und so bildet er sich dort das geistige Urbild eines Menschen heraus. Ein solches hat er sich schon oft gebildet, jedesmal, wenn der Mensch nach seinem Tode im Devachan verweilte, aber jedesmal wird als Neues das hinein-gearbeitet, was der Mensch als Frucht seines letzten Lebens, als Extrakt in seinem Ätherleib mit ins Devachan genommen hat.

Als der Mensch das erste Mal das Devachan betrat, da hat er sich schon ein Urbild des Menschen geistig aufgebaut, und dieses verdich­tete sich dann zu dem physischen Menschen. Jetzt, da er durch viele Inkarnationen hindurchgegangen ist, nimmt er jedesmal den Extrakt des verflossenen Lebens mit und darnach bildet er sich dann das Ur­bild eines neuen Menschen. Diese Arbeit dauert lange, wir wollen heute das nur im allgemeinen erwähnen. Es ist also nicht zwecklos, daß der Mensch in aufeinanderfolgenden Inkarnationen auf der Erde erscheint und immer wieder den Durchgang durch das Devachan voll­zieht. Jedesmal trägt für ihn die Erde ein anderes Antlitz, und Neues bietet sich ihm dar in der äußeren Kultur und in bezug auf alle mög­lichen Verhältnisse. Die Seele erscheint nicht früher auf dem physi­schen Plan, als bis sie Neues hier lernen kann. Die Zeit, die zwischen den Reinkarnationen liegt, will ich Ihnen in Zahlen dann noch an­geben; so lange braucht der Mensch auch, um sein neues Urbild auf­zubauen. Ist es aufgebaut, so hat jedesmal dieses Urbild den Impuls, wieder auf der Erde zu erscheinen, dieses Urbild, das ja eigentlich der Mensch selber ist. Es ist nicht leicht, diesen Impuls zu beschreiben. Nehmen Sie ein Beispiel. Jemand hat einen Gedanken, und nun hat er auch den Drang, denselben auszudrücken: Es hat der Gedanke von dem Impuls her die physische Form angenommen. Heute liegt die Kraft dazu, sein im Devachan geschaffenes Urbild auszugestalten, noch nicht in der Willkür des Menschen. In diesem Lebenszyklus kann der Mensch noch nicht seine Reinkarnationen selbst leiten, er braucht höhere geistige Wesenheiten, die ihn hinleiten zu dem Eltern­paar, das imstande ist, den geeigneten physischen Leib für das Urbild zu geben. Sie leiten ihn hin zu dem Volke und der Rasse, die am besten zu ihm für dieses Urbild paßt. Ist der Zeitpunkt der Wiederverkörpe­rung gekommen, so umgibt sich der Mensch zunächst, nach Maßgabe

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dessen, was er als Urbild im Devachan ausgebildet hat, mit astraler Substantialität, und zwar bildet sich das wie von selbst: diese schießt sozusagen an. Nun beginnt die Hinleitung durch höhere Wesenheiten zu dem Elternpaar. Und da nur ungefähr entsprechend passend zu dem Astralleib und Ich gefunden werden kann der physische Leib, den die Eltern geben, so wird von diesen Wesenheiten der Ätherleib dem Menschen dazwischen einverleibt, durch den dann die möglichste Anpassung zwischen dem Irdischen und dem aus der geistigen Welt Gegebenen geschieht. Von dieser Angliederung des Ätherleibes und von der physischen Geburt wollen wir dann morgen sprechen. Aber das sehen wir heute schon: Bei der Geburt, bei dem Wiedererscheinen auf der Erde macht der Mensch den umgekehrten Weg zurück wie nach dem Tod. Zuerst gliedert sich jetzt der Astralleib an, dann der Ätherleib und zuletzt der physische Leib. Beim Tode legt er zuerst den physischen Leib, dann den Ätherleib und zuletzt den Astralleib ab.

Und wenn der Mensch den Ätherleib erhält, geschieht mit ihm etwas Ähnliches, wie wenn er durch die Pforte des Todes geht. Da hat er einen Rückblick auf sein vergangenes Leben gehabt, jetzt hat er eine Vorschau, eine prophetische, auf das Leben, das er nun betreten will. Das ist sehr bedeutungsvoll für ihn. Es geschieht in dem Augen­blick, wo der Ätherleib sich eingliedert. Der Moment verschwindet ihm dann wieder aus dem Gedächtnis. Es sind nicht Einzelheiten, die er da sieht, sondern es ist ein Bild der Lebensmöglichkeiten. Diese Vorschau kann ihm nur insofern verhängnisvoll werden, als er da­durch einen sogenannten Schock erhält, das heißt, er sträubt sich, in das physische Leben einzutreten. Beim regulären Eintritt deckt sich der Ätherleib und der physische Leib; in solchen Fällen, wie bei einem Schock, nicht. Da geht dann der Ätherleib nicht ganz in den physischen Leib hinein, besonders am Kopf bleibt er herausragend, und daher kann er dann die Verstandesorgane nicht richtig herausarbeiten. Ein Teil der Fälle, wo Idiotie auftritt, rührt davon her, aber durchaus nicht alle; das sei extra betont.

So wird uns das physische Leben begreiflich durch das geistige, das dahintersteht. Und diese Erkenntnis wird uns helfen, unser Wissen in den Dienst des hilfreichen Lebens zu stellen.

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Fünfter Vortrag, Budapest, 7. Juni 1909 Die physische Welt als Ausdruck geistiger Wirkungen und Wesen

Nun müssen wir etwas die Verhältnisse unserer physischen Welt be­leuchten in ihren Beziehungen zu der gestern beschriebenen geistigen Welt, durch die der Mensch hindurchgeht zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Wer sich einläßt auf geisteswissenschaftliche Wahrheiten, für den ist es selbstredend, daß alles, was in der physi­schen Welt geschieht, der Ausdruck geistiger Wirkungen, Tatsachen und Wesenheiten ist, so daß in der geistigen Welt, im Devachan, die Untergründe aller unserer physischen Geschehnisse zu suchen sind. Nun können Sie mich fragen: Gibt es auch umgekehrt ein Hineinwirken von unserer physischen Welt in die geistige Welt? - Ja, und wir werden diese Beziehungen bei der Betrachtung des Menschen­lebens am besten verstehen. Fäden werden hier in der physischen Welt von Seele zu Seele gesponnen, wie sie sich aus den mannigfaltigen Lebensverhältnissen ergeben, Bande der Freundschaft, der Liebe und so weiter werden geknüpft. Und alles das, was so angeknüpft wird von Mensch zu Mensch, das hat nicht nur für diese physische Welt Bedeutung und Wesenhaftigkeit, sondern ist auch wichtig für die geistige Welt. Und zwar kann man sagen, je geistiger hier die Beziehungen gewesen sind, desto bedeutungsvoller sind sie für die deva­chanische Welt. Stirbt der Mensch, so fällt auch von diesen Verhält­nissen der Liebe und der Freundschaft alles das ab, was physisch ist an ihnen, und nur das Seelisch-Geistige bleibt. So zum Beispiel im Ver­hältnis zwischen Mutter und Kind. Zunächst spinnt sich zwischen diesen beiden aus der Naturgrundlage heraus ein Verhältnis an, dieses vergeistigt sich allmählich, ja, im Laufe der Zeiten ist diese ursprüng­liche Naturgrundlage etwas, was eigentlich nur Gelegenheit gegeben hat, ein Band zwischen Seele und Seele zu spinnen. Stirbt der Mensch, so fällt diese Naturgrundlage ab, aber das, was sich als Band zwischen Seele und Seele geschlungen hat, das bleibt erhalten. Und wenn Sie sich vor die Seele rücken das ganze Menschengeschlecht der Erde, alle die bestehenden Bande der Freundschaft und der Liebe, so müssen Sie sich diese Zusammenhänge denken wie ein großes Netz, wie ein

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gewaltiges Gewebe, und dieses Gewebe ist auch wirklich vorhanden im Devachan. Und wenn der Hellseher vom Standpunkte des Deva­chan auf die Erde blickt, dann sieht er dieses Gewebe geistiger Zu­sammenhänge. Das Gewebe dieser geistigen Zusammenhänge findet der Mensch wieder, wenn er nach dem Tode das Devachan betritt. Er ist hineingestellt in all die geistigen Zusammenhänge, die er selbst ge­woben hat. Daraus beantwortet sich auch die Frage: Sieht man im Devachan seine Lieben wieder? - Ja, wir sehen sie wieder, und zwar befreit von allen Hindernissen des Raumes und der Zeit, die sich wie ein Schleier hienieden über alle diese Seelenverhältnisse legen. Im Devachan stehen die Seelen einander selbst gegenüber. Das Verhält­nis von Seele zu Seele ist viel innerlicher als in der physischen Welt und viel inniger. Niemals kann im Devachan ein Zweifel sein, ob der eine den andern wiedererkennt, wenn der eine früher, der andere viel später nach langer Zwischenzeit das Devachan betritt. Das Wieder­erkennen seiner Lieben dort ist gar nicht besonders schwierig, denn dort trägt sozusagen jeder seine geistige innere Wesenheit auf seinem geistigen Antlitz geschrieben. Er spricht seinen Namen selbst aus, und zwar in einer viel passenderen Weise als es hier möglich ist, als seinen eigenen Grundton - wie man im Okkultismus sagt -, der er auch sel­ber ist in der geistigen Welt. Ein solches ungestörtes Zusammensein der sich Liebenden ist erst möglich, wenn beide im Devachan sind. Doch herrscht für den Entkörperten in bezug auf den, der noch auf der Erde sich befindet, nicht Bewußtlosigkeit; er kann dessen Tun so­gar verfolgen. Irdisch-physische Farben und Formen sieht der im Devachan sich Befindende natürlich nicht, da er keine physischen Organe mehr hat im Devachan. Alles aber in der physischen Welt hat sein geistiges Gegenbild im Geistgebiet, und das nimmt der Voran­gegangene wahr. Jede Handbewegung in der physischen Welt, denn ihr geht ein Wille voraus, bewußt oder unbewußt, jede Veränderung am physischen Menschen hat ein geistiges Gegenbild, das er im Devachan wahrnehmen kann. Das Sein im Geistgebiet ist nicht etwa eine Art von Traum oder Schlaf, sondern es ist durchaus ein bewußtes Leben. Denken Sie sich, daß der Mensch Anlagen und Im­pulse empfängt im Devachan, um mit den Lieben in einem näheren

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Verbande zu bleiben, um sie in einer späteren Verkörperung wieder auf Erden zu finden. Das ist vielfach der Sinn der Erdenverkörperung, immer intimere Bande zu schlingen. Das Zusammenleben im Deva­chan ist ein mindestens ebenso intimes, wie jedes Leben hier. Das Mitfühlen im Devachan ist ein viel energischeres, intimeres als auf der Erde; den Schmerz erleben Sie dort mit als Ihren eigenen Schmerz. Auf Erden ist mehr oder weniger persönliches Glück möglich auf Kosten der andern, im Devachan ist das ausgeschlossen. Dort würde das Unglück, das einer etwa einem andern bereitet, um selbst glück­lich zu sein, auf ihn zurückstrahlen, und man könnte wirklich nicht auf Kosten der andern glücklich sein. Das ist der Ausgleich, der vom Devachan ausgeht. Die Impulse, um die Brüderlichkeit auf der Erde zu verwirklichen, bringen Sie von dort mit. Das, was im Devachan selbstverständliches Gesetz ist, das soll auf der Erde als eine Aufgabe verwirklicht werden.

Noch vieles wäre über den Zusammenhang der geistigen Welt und der Erde zu sagen. Sie können es nun durchdenken und sich dann selbst viele Fragen beantworten über das Wiedersehen und das Zu­sammensein mit den Lieben im Devachan.

Gestern wurde gesagt, daß wenn der Mensch im Devachan sein geistiges Urbild ausgebildet hat, er den Impuls erhält, wieder her­unterzugehen auf den physischen Plan, etwa so, wie wenn ein Ge­danke reif ist und Sie den Drang fühlen, ihn in die Tat umzuarbeiten. Doch das ist noch halb abstrakt gesagt. Was ist es, das die Seele eigentlich veranlaßt, wieder in die physische Welt herunterzugehen, das ihr den Impuls dazu besonders eingibt? Während der Kamaloka­zeit, wo sich die Seele das Hängen am physischen Leben allmählich abgewöhnt, nimmt sie fortwährend in den Erlebnissen Impulse auf, die ihr den Willen entzünden, Entwickelungshindernisse aus dem Weg zu räumen. Sie erlebt selbst an sich den Schmerz und den Schaden nach, den sie andern gegenüber angerichtet hat. In diesem Erleben des Schmerzes der andern entsteht bei ihr der Impuls: Das mußt du gut machen! - ein vorläufig unauslöschlicher Impuls. So nimmt die Seele Schritt für Schritt vom Kamaloka ins Devachan die Impulse der Ausbesserung ihrer Fehler mit. In den höheren Welten besteht noch viel

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mehr die Möglichkeit, daß dasjenige, was entsteht, in der entspre­chenden Weise erhalten bleibt. Legt der Mensch nun nach der Kama­lokazeit den Astralleib als dritten Leichnam ab, so löst sich von ihm alles das auf, woran das Ich noch nicht gearbeitet hat. Aber es bleibt in der Astralwelt zurück von dem, was er selbst als Entwickelungshindernisse in die Welt gesetzt hat, etwas wie ein Gewebe. Der Mensch pflastert sich wirklich selbst den Weg durch die Welt mit all den Formen, die ausdrücken, daß er diese oder jene Schädigung den andern verursacht hat. Hat der Mensch nun sein Urbild im Devachan vollendet und da hinein all das verwoben, was er als Extrakt seines Ätherleibes von der letzten Verkörperung mitgenommen hat, so ge­schieht jetzt eine Art von Befruchtung. Das Urbild wird befruchtet von dem Gewebe der eigenen unausgeglichenen Taten. Das erste also, was mit der Seele geschieht, nachdem sie ausgereift ist im Devachan, ist, daß sie eine Befruchtung erfährt mit dem, was wir ihr Karma nen­nen. Und dadurch erhält sie den Impuls, wieder auf die Erde her­unterzusteigen, um möglichst viel von dem früher verursachten Scha­den auszugleichen. Mit den Folgen der eigenen Taten wird die Seele befruchtet am Ende des Devachan. Dann erst ist sie vollständig reif zum Heruntersteigen zu einem neuen irdischen Dasein.

Der Hellseher sieht überall in der astralen Welt solche Seelen, die sich verkörpern wollen. Raum- und Zeitverhältnisse der astralen Welt sind allerdings anders als die der physischen Welt. Eine solche Seele kann sich mit riesiger Geschwindigkeit bewegen im astralen Raum, und sie wird von besonderen Kräften hingetrieben an den Ort, wo ein für diese Seele richtig konstruierter physischer und Ätherleib erzeugt wird. Eine Entfernung wie die zwischen Budapest und New York spielt da gar keine Rolle. Zeitverhältnisse kommen überhaupt nur so­weit in Betracht, als durch sie die irdischen Möglichkeiten der besten Verkörperungsbedingungen erreicht werden können. Von der Erde kommt dieser Seele, die wie eine von oben nach unten sich verbrei­ternde Glockenform aussieht, wenn sie den Astralraum durchfliegt, das Physische entgegen, das von der Vererbungslinie her geschaffen ist.

Nun müssen wir noch ein wenig das besprechen, was die Seele da unten anzieht, und das, was sich verkörpern will. Sie wissen, der Fortpflanzung

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entspricht eine gewisse Summe von Gefühlsimpulsen, mehr oder weniger geistiger Liebesimpulse, Lebessympathie. Dem Fort­pflanzungsvorgang geht voraus eine Liebessympathie, die der Hell­seher wahrnimmt als ein Hinundherwogen von astralen Kräften, ein Hinundwiderspielen von astralischen Strömungen zwischen Mann und Frau. Es lebt da etwas, was sonst nicht vorhanden ist, wenn der Mensch allein ist; das Zusammenleben der Seelen selber drückt sich aus in dem Hinundherwogen der astralischen Strömungen. Nun ist aber jeder Liebesvorgang individuell. Jedes Lieben geht im Hinund­widerspiel von einer besonderen Individualität aus. Und nun spiegelt sich darinnen, vor aller irdischen Befruchtung, vor dem physischen Akt in dem Liebesbegehren, in diesem astralischen Hinundherspielen die Individualität, die Natur des Wesens, das wieder auf die Erde heruntersteigt. Das ist das Besondere der einzelnen Liebesakte. So daß man sagen kann: Vor der physischen Befruchtung, da beginnt schon das zu wirken, was aus der geistigen Welt heruntersteigt; das Zu­sammengeführtwerden von Mann und Frau wird von der geistigen Welt mitbestimmt. Hier spielen in einer intimen wunderbaren Weise Kräfte aus der geistigen Welt mit. Und dasjenige, was heruntersteigt, sich heruntersenkt, ist im allgemeinen von Anfang an gebunden an das Ergebnis der Befruchtung. Durchaus ist es nicht so, daß erst nach einer gewissen Zeit irgendeine Individualität sich damit verbindet. Vom Moment der Befruchtung an ist diese heruntersteigende Individualität mit dem Resultat der physischen Fortpflanzung zusammen­gehörig. Ausnahmen gibt es allerdings auch da. In den ersten Tagen nach der Befruchtung wirkt freilich diese geistige Individualität, die herunterkommt, noch nicht auf die Entwickelung des physischen Menschen ein, aber sie ist sozusagen dabei, sie ist schon mit dem sich entwickelnden Embryo verbunden. Das Eingreifen geschieht etwa vom achtzehnten, neunzehnten, zwanzigsten und einundzwanzigsten Tage an nach der Befruchtung; da arbeitet dann schon mit dem wer­denden Menschen das, was heruntergestiegen ist aus einer höheren Welt. So daß von Anfang an vorbereitet wird, nach den früheren Fähigkeiten, jenes feine, intime organische Gewebe, das notwendig ist, wenn die menschliche Individualität den physischen Leib als Instrument

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gebrauchen soll. Daß der Mensch eine Einheit ist, rührt da­von her, daß das kleinste Organ dem ganzen Organismus entspricht, das heißt, auch das Kleinste muß von einer gewissen Art sein, damit das Ganze so sein kann, damit es geschehen kann, daß schon vom achtzehnten bis einundzwanzigsten Tage an das Ich an der Aus­gestaltung des physischen und des Ätherleibes mitwirkt.

Inwieweit hat nun da von dem, was physisch sich fortpflanzt, also was die Eltern geben - das weibliche und das männliche Element -, Einfluß auf die Ausgestaltung des werdenden Menschen? Nun, wenn Sie sich einlassen auf das, was okkult-geistig dem Physischen zu­grunde liegt, dann wird Ihnen vieles dabei verständlich werden. Hier kann natürlich nur das Wesentliche skizziert werden. Wenn an der menschlichen Fortpflanzung nur das Weibliche beteiligt wäre - wir werden hören, daß früher, vor der Geschlechtertrennung die Fort­pflanzung ohne Zutun des Männlichen geschah -, wenn das heute noch so wäre, was würde dann geschehen? Wie weit also ist das Weib­liche als Weibliches beteiligt? Das wollen wir jetzt sehen. - Würde nur das Weibliche einwirken, dann wäre die Fortentwickelung so gesche­hen, daß das Kind im allerhöchsten Maße den Vorfahren ähnlich wäre. Immer nur ganz gleichgestaltete Wesen würden entstehen. Das Gene­relle, das Gleichartige rührt vom weiblichen Element her. Erst durch die Geschlechtertrennung ist es möglich geworden, daß sich die menschliche Individualität entfalten kann. Denn das, was bewirkt, daß der Nachkomme Verschiedenheiten von seinen Vorfahren auf­weist, das ist der Einfluß des Mannes. Das männliche Element spe­zialisiert; im weiblichen wird die Gattung erhalten, es reproduziert das Gleichartige; das Männliche, das gibt die Individualität.

Daher auch war es erst, als die Zweigeschlechtlichkeit auf Erden entstanden war, möglich, daß die Verkörperungen oder Reinkarna­tionen nacheinander erfolgen konnten. Da erst hatte der Mensch die Möglichkeit, irgendwie auf der Erde das verkörpern zu können, was das Ergebnis vom Früheren war. Daß das, was da unten auf der Erde sich vollzieht, und das, was von Inkarnation zu Inkarnation sich ent­wickeln und bereichern muß, was individuell ist, zusammenpaßt, das rührt davon her, daß männliches und weibliches Element zusammenwirken.

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Das menschliche Ich würde heute keinen passenden Körper mehr finden, wenn nicht das allgemeine Menschheitsprinzip abgeändert würde durch das männliche Element, das heißt, wenn nicht der allgemeine Typus zum Individuellen sich gestalten würde. Vom weib­lichen Element her wirkt im wesentlichen der Ätherleib. Im Ätherleib, in dem die dauernden Neigungen liegen, ist die treibende Kraft des weiblichen Elements. In ihm ist verankert das, was das Generelle ist, das Gattungsmäßige. Im Ätherleib der Frau ist heute noch das Gegen­bild dessen vorhanden, was man da außen findet als die Volksseele, als den Rassengeist. Volksseele und Rassengeist sind einander ähn­lich. Fassen wir nun ins Auge, was als Geistiges der Befruchtung zu­grunde liegt, so müssen wir sagen: Die Befruchtung an sich ist nichts anderes als eine Art Ertötung der lebendigen Kräfte des Ätherleibes. Schon bei der Befruchtung wird der Tod hineingewoben in den menschlichen Leib. Es ist etwas, was den Ätherleib, der sich sonst ins Unendliche vervielfältigen würde, verhärtet, ihn sozusagen abtötet. Das, was von der weiblichen Natur herrührt, der Ätherleib, der sonst nur Kopien gestalten würde, wird durch den männlichen Einfluß ver­dichtet und dadurch wird er der Bildner der neuen menschlichen Indi­vidualität. Die Fortpflanzung besteht in der Erzeugung einer Kopie des weiblichen Ätherleibes; dadurch, daß er durch die Befruchtung in einer gewissen Beziehung verhärtet wird, abgetötet, wird er zugleich individualisiert. Und in dem abgetöteten Ätherleib liegt die Formkraft verborgen, die den neuen physischen Menschen hervorbringt. So rücken zusammen Befruchtung und Fortpflanzung. Wir sehen also, daß zweierlei Befruchtungen stattfinden: unten die physische, mensch­liche Befruchtung, und oben die Befruchtung des Urbildes durch das eigene Karma. Schon vom achtzehnten bis einundzwanzigsten Tage an, sagten wir, arbeitet das Ich an dem Embryo; aber erst viel später, nach sechs Monaten, arbeiten an dem Embryo andere Kräfte mit, die wir die Kräfte nennen können, die das Karmische des Menschen be­dingen. Wir können es so ausdrücken, daß wir sagen: da greift jenes Gewebe ein, das aus Karma gewoben ist. Nach und nach greifen diese Kräfte ein. - Nun gibt es aber auch hier Ausnahmen, so daß in spä­terer Zeit eine Auswechslung des Ich eintreten kann. Darüber wollen

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wir später noch sprechen. Das allererste, was da eingreift zur Aus­gestaltung, ist das Ich.

Wenn wir uns ein ungefähres Bild machen wollen von dem, was in den geistigen Welten sich vorfindet und da heruntersteigt, so müssen wir sagen: Das sich verkörpernde Individuum führt die sich Lieben­den zusammen. - Das Urbild, das sich verkörpern will, hat sich ja die Astralsubstanz angegliedert, und diese Astralsubstanz wirkt nun hin­ein in die Liebesleidenschaft, in das Liebesgefühl. Das, was unten auf der Erde hin und wider wogt als astralische Leidenschaft, das spiegelt in sich wieder das Astralische des heruntersteigenden Wesens. Also der astralischen Substanz von oben kommt das astralische Gefühl der Liebenden entgegen; es wird beeinflußt von der Substanz dessen, was zur Verkörperung niedersteigt. Wenn wir diesen Gedanken ganz durchdenken, so müssen wir sagen: Der sich wiederverkörpernde Mensch ist durchaus beteiligt an der Wahl seiner Eltern. Je nachdem er ist, wird er hingetrieben zu dem betreffenden Elternpaar. Der Ein­wand ist billig, daß man behauptet: mit solcher Begründung der Aus­wahl der Eltern verliere man das Gefühl, in seinen Kindern wieder zu erstehen, und daß die Liebe, die sich darauf gründet, den Kindern das Ureigene verliehen zu haben, sich dadurch verringere. Das ist eine grundlose Furcht; denn diese Mutter- und Vaterliebe wird in einem viel höheren und schöneren Sinne aufgefaßt, wenn wir sehen, daß das Kind in einem gewissen Sinne die Eltern vorher liebt, schon vor der Befruchtung, und dadurch zu ihnen hingetrieben wird. Die Elternliebe ist also die Antwort auf die Liebe des Kindes, sie ist die Gegen-liebe. So haben wir eine Erklärung der Elternliebe als Wiedergabe dessen, was als kindliche Liebe vor der physischen Menschheitsent­stehung gegeben ist.

Es wurde schon erwähnt, daß höhere Wesenheiten mitwirken bei der Verkörperung des neuen Menschen. Sie werden das begreifen, wenn Sie bedenken, daß niemals eine völlige Entsprechung stattfindet zwischen dem, was sich von oben zur Verkörperung herabsenkt, und dem, was dieses sich an Hüllen da unten anlegen läßt. Sie kann erst stattfinden, diese völlige Entsprechung des Oberen und des Unteren, wenn der Mensch am Ziele seiner Entwickelung angelangt sein wird,

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wenn er Atma erreicht hat. Wenn er den physischen Leib in Atma, den Ätherleib in Buddhi, den Astralleib in Manas umgewandelt haben wird, dann steht der Mensch an dem Evolutionspunkte, wo er mit vollständig freiem Willen seine letzte Inkarnation sich selbst wählt. Vorher ist ein wirkliches Zusammenpassen unmöglich. Bedenken Sie: so wie der Mensch heute ist, hat er nur einen Teil seines Astralleibes, einen Teil seines Ätherleibes und seines physischen Leibes umgearbei­tet. Und darüber nur ist er Herr. Aber das, was er noch nicht um­gearbeitet hat, das muß ihm von außen her ankristallisiert werden. Andere Wesenheiten müssen ihm das angliedern. Das sind zwei ver­schiedene Arten von Wesenheiten, die sich daran beteiligen, solche, die ihm den Ätherleib angliedern, und solche, die ihn dem Eltern­paar zuführen. Den Ätherleib sich selbst angliedern könnte det Mensch auf der heutigen Stufe seiner Entwickelung noch nicht. Durch die im Ätherleib liegenden Kräfte entsteht für den Menschen der Moment des Vorgesichts, von dem wir gestern gesprochen haben. Wenn nun der Mensch den Ätherleib und den Astralleib hat, und der physische Leib dann angegliedert wird, dann kommt der Augenblick, wo das Vorge sicht verschwinden muß; da muß der Ätherleib sich in den physischen Leib hineinpassen. Der Ätherleib, er ist ja nicht nur der Träger des Gedächtnisses, sondern alles Zeitlichen: der Erinne­rung und der Voraussicht. Wenn er aber in den physischen Leib ein­tritt, ist er gebunden an die physischen Gesetze, und diese löschen seine Macht in gewisser Beziehung aus. Geradeso wie der Mensch durch den Einfluß des physischen Leibes sein Gedächtnis nur bis zu einem gewissen Grade entfalten kann, während nach dem Tode, wenn der Ätherleib wieder frei ist, er das ganze Erinnerungsbild herstellt, genau so ist es mit der Vorschau: das Schauen in die künftige Zeit wird beschränkt in der physischen Welt durch den physischen Leib. Das ist der normale Verlauf der Einkörperung. Den neulich angedeu­teten Schock erhält die Seele durch eine abnorme Vorschau schwerer Verhältnisse seines späteren Lebens.

Nun haben wir den Moment erreicht, wo der eigentliche Mensch, das Ich selbst, zu arbeiten beginnt an dem, was ihm gegeben worden ist und womit er zusammengebracht wird in der physischen Welt. Die

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Kräfte der verschiedenen geistigen Glieder des Menschen, die in der Zeit vor der Geburt zu wirken haben, die wirken nun zunächst durch die entsprechenden Wesensglieder der Mutter hinein. In der ersten Zeit vor der Geburt kann der Mensch ja nur dadurch leben, daß er allseitig von der Mutterhülle umschlossen ist. Diese physische Mutter-hülle, die stößt der Mensch bei der Geburt von sich. Zunächst wird da nur der physische Leib frei, der Ätherleib - das sieht der Hellseher -bleibt noch umgeben von einer Äther-Mutterhülle; er bleibt geschützt und behütet davon bis zum Zahnwechsel des physischen Leibes. Das ist ein wichtiger Punkt in der Menschheitsentwickelung, wo die müt­terliche Ätherhülle abgestreift wird und eine zweite Geburt statt­findet. Dann, wenn der Ätherleib seine Mutterhülle abgestreift hat, ist der eigene Ätherleib geboren, er wird frei. Damit ist etwas sehr Wichtiges gegeben für die menschliche Entwickelung. Bis zum Zahnwechsel ist noch die Möglichkeit vorhanden, daß die Menschenformen nach dieser oder jener Richtung elastisch bleiben, sich verändern; von dieser Zeit ab vergrößern sie sich nur noch. Im wesentlichen sind mit dem Zahnwechsel die Formen ausgebildet. Das ist wichtig zu wissen. Daher muß alles, was von außen her bildend ist für den physischen Leib, was bleibend an ihm sein soll, sorgfältig berücksichtigt und ge­bildet werden bis zu dieser Zeit des Zahnwechsels. Nun formt aber auch alles Äußere, was auf den Menschen einwirkt, die feineren Glie­der und Organe an ihm, so zum Beispiel das Licht und die Farbe. All das formt den Menschen im wesentlichen bis zum siebenten Jahr. Es ist daher nicht gleichgültig, welche Farbe, welche Umgebung das Kind um sich hat, und was Sie es verrichten lassen. Wenn Sie die Hand nie gebrauchen würden, so würde sie verkümmern. So ist es mit allen Organen. Auch die feineren bilden sich durch Tätigkeit aus. Rot zum Beispiel hat eine andere Wirkung auf die feineren Organe im Menschen, die sich eben ausgestalten, als Blau; und so ist, je nach der Farbe, die das Kind umgibt, die Wirkung verschieden. In der Arbeit bilden sich die Organe aus. Das Auge sieht gewohnheits­mäßig, gewiß, aber was es sieht, wirkt ein auf die ganze menschliche Natur. Es ist nicht einerlei für die Entwickelung des Kindes, ob das Auge Rot oder Blau sieht. Hier wird es sein, wo die Theosophie im

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eminentesten Sinne sich in nicht gar zu ferner Zeit praktisch erweisen wird. Warum treiben wir Theosopbie? Aus Menschenliebe treiben wir sie, weil sie es gestattet, auch hier in solche subtilen Zusammenhänge nützlich einzugreifen.

Mit dem siebenten Jahre also wird der Ätherleib frei. Er ist der Träger des Gedächtnisses. Das Wichtigste ist nun in bezug auf das Gedächtnis des Kindes, daß man es vor dem siebenten Jahre nicht durch pädagogische Mittel ausbildet. Erst vom siebenten Jahre an ist die Zeit da, wo wahre Erziehung auf die Bildung des Gedächmisses einwirken soll. Man wendet manchmal dagegen ein: die Natur sorgt ja selbst dafür, daß längst vor dem siebenten Jahre das Kind das Ge­dächtnis übt. Das ist richtig; aber das ist eben die Vorarbeit, welche die Natur vollzieht. Das Auge des Kindes ist auch schon im Mutterleibe vor der Geburt von der Natur aus fertig, aber was würde ge­schehen, wenn Sie auf das Auge des Embryo das Sonnenlicht wirken lassen wollten? Eben damit das Sonnenlicht später richtig auf das Auge wirken kann, deshalb muß an dem Auge von der Natur vor der Geburt vorgearbeitet werden. So ist es auch mit den andern Organen vor der physischen Geburt. Die Natur fertigt sie vorher, aber sie sind geschützt von der äußeren Einkleidung der Mutterhülle. Und so soll auch bis zum siebenten Jahr an dem Gedächtnis des Kindes von der Natur gearbeitet werden, damit es dann vom siebenten Jahre ab in richtiger Weise weiter ausgebildet werden kann. Und wie soll man von da ab auf das Gedächtnis des Kindes wirken? So wie die Natur einwirkt, bis das Kind physisch geboren wird.

Eine astralische Mutterhülle trägt der Mensch mit sich herum bis zum vierzehnten, fünfzehnten Jahre, bis zur Geschlechtsreife. Da wirft er sie ab, und der Astralleib wird frei: sozusagen eine dritte Ge­burt findet statt. Der Astralleib ist der Träger des menschlichen Ur­teils, der menschlichen Kritik. Man sollte abkommen von der Ansicht, daß das Kind möglichst früh zu einem selbständigen Urteil kommen soll. Vom siebenten bis vierzehnten Jahr ist es notwendig, einen wei­sen Gedächtnisschatz zu sammeln für das Leben, um so sich in der Zeit, wo der Astralleib geboren wird, einen möglichst reifen und reichen Seeleninhalt zu erschaffen. Erst dann soll das Urteilen beginnen.

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Die frühere Methode, in den Schulen das Einmaleins einfach aus­wendig lernen zu lassen: 1x 1 = 1 und so weiter, ist, da sie eine rein gedächtnismäßige ist, bedeutend vorzuziehen der jetzigen abstrakten Methode, an der sogenannten Rechenmaschine das Einmaleins mit roten und weißen Kugeln zu «beweisen». Diese ist entschieden schäd­lich. Auch hier gilt dasselbe wie beim kleinen Kinde; dieses versteht die Sprache lange Zeit, ehe es selbst sprechen kann. So soll man es auch erst urteilen lassen wollen, wenn es einen guten Gedächtnisschatz für den Ätherleib sich angeeignet, gewisse bleibende Neigun­gen und Gewohnheiten entwickelt hat. Das Gefühlsleben beim Kinde zu entwickeln, das ist sehr wichtig: Dankbarkeit, Ehrfurcht und hei­lige Scheu sind Gefühle, die im späteren Leben sich äußern als Kraft des Segnens, der ausströmenden Menschenliebe. Die allerstärksten Impulse werden dem Ätherleib gegeben durch religiöse Erlebnisse, durch das Sich-angegliedert-Fühlen an ein Göttlich-Geistiges, an ein Weltenganzes. Das abstrakte Urteil, das soll erst gegen die Zeit hin ausgebildet werden, in der man so weich und biegsam das gemacht hat, was aus dem Ätherleib fließt, daß die Gefahr einer Angewöhnung des abstrakten und pietätlosen Denkens abgewendet ist. Je bildhafter und symbolischer die Erkenntnis dem Kinde gebracht wird, desto besser. Die Gefühlswelt entwickelt sich durch Gleichnisse und Sinn­bilder, besonders durch alles, was aus der Geschichte charakteristi­scher Menschen vorgeführt wird, und durch Vertiefung in die Ge­heimnisse und Schönheiten der Natur. Von großer Bedeutung ist da­bei, wie Fragen dem Kinde beantwortet werden. Zum Beispiel, als Erklärung für das Werden des Menschen, für Tod und Geburt, das Werden des Schmetterlings aus der Puppe. Es ist dies ein Bild für die Seelenhaftigkeit des Menschen, der aus dem physischen Leib herausstrebt. Aber natürlich, wenn man das dem Kinde sagt, muß man selbst daran glauben, sonst wird das Kind es auch nicht glauben. Für die Wahrheit der Bilder finden sich überall entsprechende Tatsachen in der Natur. Der Okkultist weiß, daß gerade das Bild vom Schmetter­ling und der Puppe zum Symbol eines viel höheren Vorgangs dienen kann. Wir müssen wieder glauben lernen an das, was heute nur eine abstrakte Philosophie zu Sagen und Märchen stempelt. Auch das

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Storchenmärchen, auch Lieder wie «Flieg, Käferchen, Rieg» können sinnvoll erschlossen werden. Nicht wurde dieses Märchen in alten Zeiten ausgedacht, um dem Kinde eine Lüge zu sagen, sondern es ist von einem solchen erdacht, der da wußte, daß bei der Geburt etwas heruntersteigt aus der geistigen Welt. Später wird man ja ebensogut sagen können: Es ist eine Lüge, daß es in der Vergangenheit Men­schen gegeben hat, welche geglaubt haben sollen, daß bei dem Werden, bei der Geburt eines neuen Menschen, kein anderer Vorgang sich abspielt als die physische Verbindung zweier Menschen. Das ist ein Märchen, das Märchen des 19. und 20. Jahrhunderts, wir wissen es wieder besser! - wird man in Zukunft sagen. Und unsere Nachkom­men werden dann hoffentlich verständiger und nachsichtiger sein mit unseren Schwächen als wir mit denen unserer Vorfahren.

Das Sinnbild ist die beste Art, um auf den Astralleib zu wirken. Die Vorstellung soll gepflegt werden bis zur Bildung des freigewordenen astralischen Leibes, erst dann das Urteil. Weshalb sind so viele Gegen­wartsmenschen in ihrer Seele leider verkrüppelte Menschen? Warum? Weil sie viel zu früh «Ja» und «Nein» zu den Dingen sagen gelernt haben. Verehren lernen sollen sie in der Zeit bis zur Geschlechtsreife die großen Vorbilder, die großen Vorgänge in der Natur: erst zwischen dem vierzehnten und einundzwanzigsten Jahre sollte das Urteil reifen. Es würde dann auch eine geringere Anzahl jener Sorte von Schrift­stellern auf die Menschheit losgelassen werden, die unter und über dem Strich zu schreiben pflegen. Das Ergebnis der zu frühen Urteilsbildung unreifer, aber schriftstellernder Menschen ist der seichte Materialismus unserer Gegenwart. Dieser verborgene Materialismus ist viel schlimmer als der streitbare, wissenschaftliche. Eine Meinung hat erst Gewicht, wenn sie sich auf Seelenerfahrung stützt. Lernen muß der Mensch zu urteilen; die Meinungen sind daher auch so ver­schieden, weil viel zu früh die Meinungen gebildet werden. Erst mit dem einundzwanzigsten Jahre wird das Ich geboren, und erst von da ab kann in Frage kommen, daß der Mensch von sich aus die Welt be­urteilt. Erst da steht er der Welt selbständig gegenüber.

Weiterhin, so etwa vom einundzwanzigsten bis achtundzwanzigsten Jahre, bildet sich dann noch das, was man die Empfindungsseele nennt,

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heraus; dann die Verstandesseele und die Bewußtseins seele in Zeit­räumen von je sieben Jahren. Es ist daher ein okkultes Gesetz, daß einer vor dem fünfunddreißigsten Jahre nicht imstande ist, auf dem Felde des Okkultismus irgend etwas zu geben oder zu erreichen. Von großer Wichtigkeit ist besonders das fünfunddreißigste Jahr. Ich er­innere Sie an Dante, seine Vision, sein Hineinschauen in die geistige Welt: rechnen Sie es aus, er hatte das im fünfunddreißigsten Jahre. Da, wo okkulte Tradition lebte, da wußte man, daß solche Zyklen

sich auch im einzelnen Menschen ausleben. Man wußte, wie die geisti­gen Kräfte des Menschen, der da heruntersteigt, arbeiten, wo sie ein­setzen und wie lange sie zur richtigen Entfaltung brauchen. Man wußte, daß alles Leben eine Einheit ist, ein großes Ganzes. Aus dieser Einsicht heraus muß sich auch das Zusammenleben der menschlichen Gesellschaft gestalten. Theosophie soll uns lehren, daß die Weisheit übergehen muß in die Tat, in die soziale Tat und in den Alltag des unmittelbaren Lebens. Theosophie hat um so größeren Wert, je weniger sie abstrakte Weisheit bleibt, je mehr sie durch die Seele bis in die Geschicklichkeit der Hand hineinfließt. Die Handfertigkeit ist dann eine Art physischer Ausdruck des Geistes der Welt. ein sinnlicher Ausdruck des Spirituellen.

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Sechster Vortrag, Budapest, 8. Juni 1909 Die Gestaltung und die Wandlungen des physischen Menschenleibes

Heute wollen wir, an schließend an die gestern in bestimmten engen Grenzen betrachtete Entwickelung der Menschheit, zurückgehen bis in die längst vergangenen Epochen der Entwickelung, und betrach­ten, was damit zusammenhängt. Ehe wir in diesem Zusammenhange die Tatsache der Reinkarnation besprechen, die wir unmittelbar daran anschließen könnten, und ehe wir die Fragen des menschlichen Schick­sals, des Karmagesetzes erörtern, wollen wir noch zu älteren Zeiten zurückgehen und den Blick über große Perioden der Menschheitsevolution schweifen lassen.

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Der heutige Mensch stellt sich uns dar als ein Gefüge von physi­schem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich - dem Träger des Ich und der eigentlichen Selbständigkeit. Nicht das Ich oder der Astralleib sind die vollkommensten Glieder am Menschen, weil sie geistig höher stehen, sondern der physische Leib. Er ist das vollkommenste Glied der menschlichen Wesenheit, ein Gefüge, eine Zusammensetzung aus wunderbarsten Einzelheiten. Welch ein Wunderbau ist dieser physi­sche Menschenleib! Der Astralleib, er ist zwar geistiger, aber weniger vollkommen; er ist der Träger von Freude und Schmerz, von Trieb, Begierde und Leidenschaft. Warum ist der physische Leib dennoch vollkommener? Betrachten Sie das menschliche physische Herz. Welch ein Wundergebilde ist dieses, daß es das ganze Leben lang all den Angriffen standhält! Und ebenso ist es mit allen andern Organen des physischen Leibes: Weisheit spricht aus ihnen. Und wie ist es nun beim Astralleib in bezug auf dieses Herz? Keineswegs benimmt er sich immer weise. Der Astralleib braucht Mittel des Genusses aus der Sehnsucht am Genuß heraus und malträtiert damit fortwährend den physischen Leib; fortwährend führt er Attacken auf das physische Herz aus, und dieses leistet ihm Widerstand. Warum? Weil der Bau des physischen Leibes bereits eine viel längere Zeit in der Vergangen­heit in Anspruch genommen hat als die andern Körper. Der physische Menschenleib ist das älteste Glied der menschlichen Wesenheit, daher auch das vollkommenste. Eine Schar vollkommener Wesenheiten haben an ihm schon gearbeitet. Alles, was physisch, was sinnlich ist, das hat sich aus dem Geiste heraus entwickelt, hat sich vom Geiste herabgearbeitet zu seiner physischen Gestalt. Das erste, was vom Menschen in der physischen Welt vorhanden war, das war die Anlage des menschlichen physischen Leibes. Damals war noch keine Anlage des Ätherleibes, des Astralleibes und des Ich-Trägers in der physi­schen Welt vorhanden.

Alles in der Welt ist in Entwickelung, nicht nur der Mensch, son­dern auch ein Planet wie unsere Erde. Wie der Mensch, so hat auch diese unsere Erde schon andere planetarische Verkörperungen durch­gemacht. Die erste davon nennen wir den Saturn, die zweite die Sonne und die dritte den Mond. Dabei müssen wir absehen von dem heutigen

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Mond; der ist nur ein Rest, ein Überbleibsel, eine Schlacke des alten Mondes.

Wir wollen nun sehen, warum seit alten Zeiten unser Mond «Mond» genannt wird. Dabei müssen wir uns daran erinnern, daß die Namengebung der alten Okkultisten absolut nichts Zufälliges, son­dern etwas tief Bedeutsames war. Der Name, der gegeben wurde einem Ding oder einem Wesen, der war organisch immer verknüpft mit dem, was das Wesen ausdrücken soll. Der vorhergehende planeta­rische Zustand unserer Erde war also der alte «Mond»; der noch frü­here die alte «Sonne», nicht die heutige Sonne; diese ist wie eine Er­innerung an jene alte Sonne. Zuerst kommen wir dann bis zu jenem Weltenkörper, auf den es heute zunächst möglich ist, mit den okkul­ten Mitteln zurückzublicken: es ist der «Saturn», der alte Saturn, von dem wir schon öfter gesprochen haben. Skizzenhaft will ich Ihnen nun diesen alten Saturn in seiner Entwickelung beschreiben. Dabei wollen wir uns zuerst klarmachen, was im Sinne des Okkultisten die Grundelemente unserer äußeren Welt sind. Man hat unterschieden im alten Okkultismus die vier Elemente: Erde, Wasser, Luft, Feuer oder Wärme. Für den heutigen Physiker hat das keinen rechten Sinn mehr; was die heutige Wissenschaft Element nennt, das deckt sich nicht mehr recht mit dem, was der Okkultist darunter versteht. Die heutige Benennung «Aggregatzustand» ist etwa gleichbedeutend mit «Element». Der Okkultist nennt erdig oder fest alles, was bei den heutigen Temperaturen auf der Erde fest ist: ein Quarzkristall zum Beispiel ist bei den heutigen Temperaturzuständen für den Okkultisten «Erde». Alles Flüssige, auch flüssige Metalle und so weiter sind für ihn «Was­ser», alles Gasförmige wird «Luft» genannt. Und das, was der heutige Physiker als einen Zustand der drei Aggregatzusammensetzungen an­sieht, das Feuer, das ist für den Okkultisten das vierte Element. Ich weiß sehr wohl, daß es der Wissenschaft ein wahrer Greuel ist, wenn man das Feuer nicht bloß als einen Zustand, sondern als etwas, was gleichberechtigt ist mit der Erde, dem Wasser und der Luft, ansieht. Dreist darf man sich im Okkultismus vorstellen, daß Wärme etwas ist, was noch von feinerer Substanz ist als die drei andern: Erde, Wasser, Luft. Von Erde, Wasser und Luft hätten Sie auf dem Saturn nichts gefunden,

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nur Wärme oder Feuer war vorhanden. Hätten Sie damals mit heliseherischem Blick das verfolgen können, indem Sie sich einen Stuhl in den Weltenraum gestellt und die Saturnentwickelung beob­achtet hätten, nur eine Wahrnehmung hätten Sie mit dem Wärmesinn machen können, und zwar war es zuerst nur seelische Wärme. Von all den Wesen, die heute auf der Erde sind, war auf dem Saturn nur der Mensch vorhanden; kein Mineral-, kein Pflanzen-, kein Tierreich war da. Unter den heutigen Verhältnissen braucht der Mensch die drei Reiche zu seinem Aufbau; im damaligen Zustand brauchte er sie nicht. Der ganze Mensch war sozusagen nur vorhanden als ein Wärmegebilde. Nichts, nichts sonst war vom Menschen da. Denken Sie sich nun vom heutigen Menschen alles weg, was Sie physisch an ihm wahr­nehmen, selbst die eingeatmete Luft, und lassen Sie nichts von ihm bestehen als das, was ihn heute durchströmt als seine heutige Blutwärme, aber so gestaltet, wie wenn Sie heute das Blutsystem nach-malen würden: nur solche Menschen gab es auf dem alten Saturn, sonst nichts. Ein Himmelskörper ist für den Okkultisten nur eine Zu­sammensetzung von Wesenheiten. Auch die Erde ist nichts anderes als eine Zusammensetzung von mineralischen, pflanzlichen, tierischen und menschlichen Wesenheiten.

Das Bewußtsein der alten Saturnmenschen war auch schon in Entwickelung. Es war dumpf, aber umfassend. Das heutige helle Tagesbewußtsein ist erst auf der Erde möglich geworden. Die Menschen auf dem alten Saturn hatten einen sehr merkwürdigen dumpfen Be­wußtseinszustand. Sie wissen, der Mensch ist schon im Schlafe be­wußtlos. Nun, nehmen Sie die Pflanze, nur die physische Pflanze, ohne die hinter der Pflanze sich verbergenden Wesenheiten: da haben Sie einen Schlafzustand, der noch tiefer, traumloser Schlaf ist. Die Pflanze ist ein tiefschlafendes Wesen. Und nun denken Sie sich einen Zustand des Schlafes, der noch tiefer, noch dumpfer ist, das Tief-Trance-bewußtsein, dann haben Sie das Saturnbewußtsein. Ich will es Ihnen beschreiben dadurch, daß ich Ihnen eine Art abnormen Zustand der heutigen Zeit - eines in früheren, jetzt also abnormen Verhältnissen zurückgebliebenen Wesens - an einem beobachteten Beispiel schil­dere: Ein Mädchen, das bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr ganz

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ungewohnt war jeglichen Alkoholgenusses, wird durch ein Ereignis verführt, rasch einige Gläser Rotwein hinunterzustürzen. Dieses machte nun, vermöge anderer Verhältnisse ihres Organismus, einen solchen Eindruck, daß sie wie tot war. Man gab ihr nun einen Blei­stift in die Hand, und sie fing an, allerlei Dinge zu zeichnen und schrieb Namen dazu. Sie hatte keine Ahnung von dem, was sie tat. Sie war wie eine Maschine; sie hatte kein Leben, kein Bewußtsein. Wenn Sie nun das, was dieses Mädchen aufzeichnete, vergleichen mit dem, was in den theosophischen Büchern von Planeten und dem, was heute das Weltengebäude und so weiter ist, steht, so würden Sie finden, daß das, was dieses Mädchen da aufgeschrieben hat, zwar eine ganz merk­würdige Kosmologie ist, aber doch mit der okkulten Kosmologie in einigem übereinstimmt. Es war in einem Zustand, tiefer als der ge­wöhnliche Schlaf Dabei ist das Wesen fähig, weit, weit über die Erde in seinem dumpfen Bewußtseinsinhalte hinauszugehen und kosmische Dinge zum Ausdruck zu bringen. Der Okkultist weiß, daß im physi­schen Stein ein solches Bewußtsein vorhanden ist: dumpf und um­fassend, Stein ohne die dazugehörigen Iche, und daß der Stein, wenn er so sich zum Ausdruck bringen könnte, ähnlich es täte. Weite Ge­biete umfaßt dieses Bewußtsein, aber dumpf So war das Bewußtsein der Menschen auf dem alten Saturn.

Der Saturn selbst ist ein Wesen, das seiner selbst unbewußt ist, besser gesagt, ein niederes Bewußtsein hatte, welches so zu beschreiben ist, daß er in sich trug ein Spiegelbild des ganzen Kosmos, und daß er imstande gewesen wäre, das zeichnen zu können. Um solches zu ver­stehen, müssen wir noch anderes betrachten. Während also der Mensch auf dem Saturn die Stätte fand, wo die erste Anlage für seinen physischen Leib sich bilden konnte, war der Saturn gleichzeitig der Schauplatz, worauf sich auch andere Wesen entwickeln konnten, Wesen, die heute weit, weit über dem Menschen stehen. Wir wollen uns das klar­machen an einem Ausspruch, den ein ägyptischer Weiser einem Grie­chen gegenüber getan hat. Er sagte: Ihr Griechen, ihr bleibt doch immer große Kinder. Ihr wißt nichts von dem größten Mysteriengeheimnis, daß Götter einst Menschen waren! - Diese Wesenheiten haben dann nicht mehr nötig, in das physische Dasein einzutreten.

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Der Mensch war also auf dem alten Saturn wie eine Art Mineral; er hatte auch ein Bewußtsein wie das Mineral. In dem Menschenleibe aber haben gewohnt Wesenheiten, die heute weit erhaben sind über die Menschheitsstufe. Es sind die Urbeginne oder Archai oder Geister der Persönlichkeit. Die haben auf dem Saturn ihre Menschheitsstufe durchgemacht. Nicht Menschen, wie wir heute, waren sie, sie benütz­ten nur den physischen Menschenleib, um sich der Welt gegenüber-zustellen, um ihre Menschheitsstufe zu erleben, das Ich-Bewußtsein zu erringen. Sie hatten also ihr Ich-Bewußtsein auf dem Saturn, diese erhabenen Wesenheiten, und wie einen Wagen brauchten sie den Menschenleib, der ihnen stellvertretend als ihre leibliche Wohnung galt. Gewisse Wesen durchdrangen da den menschlichen physischen Leib und durchdrangen ihn mit ihren Eigenschaften, und diesen ver­dankt der Mensch heute zweierlei. Erstens die Fähigkeit, daß ein Ich-Träger jemals in ihm Platz greifen kann, diese Geister der Persönlich­keit waren es, die dem Menschenleibe damals die Form gegeben haben, die von ihrer Persönlichkeit ausgegangen ist. Zweitens gaben sie dem Menschen aber auch die Möglichkeit, die Selbstsucht zu entwickeln. Durch die Einwirkung der Geister der Persönlichkeit empfing der Menschenleib wie in der Keimanlage die Fähigkeit, sich als eine freie Persönlichkeit zu entwickeln, gleichzeitig aber auch die Selbstsucht, den Egoismus in sich auszubilden. Nicht einen Vortrag oder einen Zyklus, sondern Jahre würde ich brauchen, wenn ich Ihnen hier alle Einzelheiten beschreiben wollte. Wir können also daher nur Etappen, Stufen betrachten, und zwar wollen wir sieben solche Stufen in der Saturnentwickelung denken, die unter sich verschieden sind.

Bei der ersten Stufe müssen Sie sich vorstellen, daß noch nichts da war von physischer Wärme, sondern daß sich diese erst vorbereitet hat. Bloß Seelisches war da, seelische Wärme war vorhanden, und erst in der Mitte der Saturnentwickelung war dann der physische Men­schenleib, aus physischem Wärmestoff gebildet, vorhanden. Dieser menschliche Wärmeleib löst sich dann am Ende der Saturnentwicke­lung wieder auf. Wir haben sieben Etappen: drei Vorstufen, eine physische Wärmestufe und drei absteigende Stufen, und jede von die­sen sieben Stufen hat wieder sieben Unterabteilungen, die wir hier

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aber lieber weglassen wollen, und auf die wir bei der Erdenentwicke­lung dann zurückkommen wollen. Die heutigen theosophischen Bücher sprechen von ihnen als von Runden und Globen.

Nun wollen wir aber fragen: Woher kam denn die Substanz, aus welcher der Menschenleib gebildet wurde? Hohe geistige Wesen­heiten waren es, die ihr eigenes Wesen ausfließen ließen, es herniederträufelten als Substanz für den physischen Menschenleib: es waren die Geister des Willens oder die Throne, die das Opfer brachten, ihre eigene Wesenheit ausfließen zu lassen. Also wir haben auf dem Saturn die Geister des Willens oder die Throne, welche die Substanz zum Menschenleib geben, dann die Geister der Persönlichkeit, die ihn während ihrer Menschheitsstufe bewohnen, und den Menschen selbst als physischen Keim. Die Saturnentwickelung geht nun so vor sich, daß wir den Beginn, den Höhepunkt und das Abfluten uns vorzustel­len haben. Darnach geht das Ganze durch ein Pralaya hindurch. Wir können uns den Prozeß etwa so wie beim Pflanzenwesen denken. Der Keim wird in die Erde gelegt, verfault und rettet die Form in ein neues Dasein hinüber. Wie nun zwischen der ersten und der zweiten Pflanze ein Zwischenzustand, ein verborgener Zustand ist, ebenso ist es beim Planeten. Man nennt diesen Zustand das Pralaya. Der Unter­schied ist nur der, daß die Pflanze eine der alten ähnliche Wieder­holung dann hervorbringt, der Planet aber eine Höherentwickelung dann erreicht hat. Sein Weg ist der einer Spirale wie beim Menschen. Den sichtbaren Zustand des Planeten nennt die indische Theosophie ein Manvantara. Bei der Pflanze ist dies ihre Entwickelung über der Erde. So gehen auch die Planeten durch ein offenbares Dasein und durch ein verborgenes Dasein hindurch. Dieses letztere nennt man einen Weltenschlaf.

Nach diesem Weltenschlaf des Saturn, als er aus dem Dunkel wieder heraustrat in einer neuen Verwandlungsform, da war es die alte Sonne, die da nun erstand. Der Unterschied zwischen Saturn und Sonne ist der, daß in ihren mittleren Zuständen die Wärmesubstanz des Saturn sich zu einem Luft- oder Gaszustand verdichtet hatte. Die Wärme behält die Sonne, aber sie entwickelt noch etwas dazu, die Luft, so daß wir nun also Wärme und Luft auf der Sonne haben. Und noch

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etwas: es wird Licht auf der Sonne. Der Saturn bestand aus dunkler Wärme, der zweite Planet, die Sonne, besteht aus Licht - das Gas brennt -, Wärmeäther und Luft. Durch den Saturn ist in die Evolu­tion hineingekommen ein für allemal die Anlage, daß der Keim zum physischen Menschenleib da ist. Jetzt, auf der Sonne, kommt etwas Neues dazu. Wie hineingegossen von geistigen Wesenheiten ist nun in diese Substanz der Ätherleib: der zweite planetarische Zustand, in dem der Mensch nun erlangt hat den Wert einer Pflanze. Leben ist in ihm. Durch diese Eingliederung des Ätherleibes hat sich aber auch der physische Leib des Menschen verändert. Er behält nicht die Eiform der Saturnzeit bei, sondern er wird in sich gegliedert. Er ist nun ein vibrierendes Wärme-Ei, das in Lichtgebilden aufglänzt und ab­glimmt und Einbuchtungen hat. Der Ätherleib bearbeitet nun den physischen Leib.

Während beim Saturn die Throne die Substanz des physischen Lei­bes aus sich selbst ausgegossen haben, sind es jetzt andere Wesen­heiten, welche dazu die Substanz als ihr großes Opfer ausfließen las­sen: es sind die Geister der Weisheit, Herrschaften oder Kyriotetes genannt. Das schwerere Opfer haben die Throne gebracht. Wäre von ihnen nicht die Grundlage geschaffen worden, so hätten die Geister der Weisheit nicht ihre Arbeit beginnen können.

Auf der Sonne haben nun auch wieder Wesenheiten ihre Mensch­heitsstufe durchgemacht. Es sind die Erzengel oder Feuergeister, Archangeloi in der christlichen Esoterik genannt. Stellvertretend be­wohnten sie den Menschenleib und erhielten so ihr Ich-Bewußtsein.

Hier ist jetzt etwas zu erwähnen, auf das zu achten ist. Wäre der Saturn nach dem Pralaya gleich als Sonne hervorgegangen, dann hät­ten die Menschenleiber nicht den Ätherleib in sich aufnehmen können. Der neue Planet, die Sonne, mußte daher zuerst eine kurze Wieder­holung des Saturn durchmachen. Die Wesen mußten gleichsam ihre alte Form wieder annehmen.

Was für Wesen gab es nun noch auf dieser Sonne? Es gab dort ge­wisse Geister der Persönlichkeit, die nicht Menschen wurden auf dem Saturn, denen es nicht gelungen war, ihr Ich-Bewußtsein auf dem Saturn zu erlangen. Diese mußten das nachholen auf der Sonne. Sie

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mußten nun auf der Sonne das nachholen, standen also da noch auf der gleichen Stufe wie ihre Genossen auf dem Saturn. Sie konnten also auf der Sonne gleichsam nur in einer Schale wohnen, einem mine­ralischen Leib ohne Ätherleib, die nicht von einem Ätherleib durch­zogen war. Es mußte also auf der Sonne noch einmal ein Gebilde ent­stehen, das nur aus dem physischen Leibe bestand. Es gab also nied­rigere Gebilde neben denen, die aus physischem und Ätherleib be­standen, und das sind die Vorgänger unserer heutigen Tiere. Auf der Sonne haben wir also zwei Reiche: ein Menschenreich und das Reich der Wesen, die auf der Sonne auf der Stufe der Saturnentwickelung waren, das Tierreich. Zwei Reiche haben wir auf der Sonne, ein Men­schenreich und ein Tierreich. Die Nachkommen des letzteren haben wir in den heutigen höheren Tieren.

Nun geht die Sonne auch wieder über in eine Art Weltennacht und wird in einem dritten Verwandlungszustand wiederum geboren als der alte Mond, der zunächst fähig ist, die früheren Zustände zu wie­derholen, denen sich die wäßrige Substanz hinzufügt. Bei der Ab­spaltung geht mit der Sonne das hinaus, was Wärme und Licht ist. Auch die hohen Wesen gehen mit den feinen Essenzen hinaus. Das wässerig Gewordene geht als Mond hervor und wird immer dichter und dichter und wird eine Art Nebenplanet. Auf dem Monde haben wir also damals Wärme, Licht und Wasser. Der Mensch hat seinen Äther- oder Lichtleib wie auf der Sonne, das Neue, das hinzukommt auf dem Monde, ist dasjenige, was wir als Ton oder Schall bezeichnen können. Um sich das besser vorstellen zu können, will ich Ihnen ein Beispiel geben. Denken Sie an eine mit Staub bedeckte Metallplatte, über die mit dem Fiedelbogen gestrichen wird: der Staub ordnet sich zu bestimmten Figuren, den Klangfiguren des Physikers. Was wir heute als Ton erkennen, ist die physische Ausgestaltung des Tones. Das Wasser auf dem Mond war durchzogen von dem Ton und war dadurch in eine regelmäßige Bewegung gebracht. Der physische Leib der Wesen kommt dadurch auf dem Monde in ein inneres Erleben; es bilden sich in der Form Glieder, zum Beispiel die Leber; das aber ver­geht wieder. Es ist ein Bilden und Wiederauflösen von Organen, ein Erleben in Figuren und Rhythmen. Dies macht die Leiber reif, die

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Astralsubstanz in sich aufzunehmen. Solches Einschlagen des Urtones in die wässerige Substanz, das drückt die Bibel also aus: Gott ordnete alles nach Maß, Zahl und Gewicht. Das Wesentliche, das Neue der Mondenentwickelung ist also das innere Erbeben, das wie einschlägt in die physische Materie. Von diesem innern Erbeben, geordnet in regelmäßigem Zahlenrhythmus, davon haben Sie sich den alten Mond durchdrungen zu denken. Früher, auf dem Saturn, waren es wärme­artige Gebilde, die den Menschenleib bildeten, später, auf der alten Sonne, waren es luftartige Gebilde, wie eine Luftspiegelung erschei­nend, einer Fata Morgana gleich. Auf dem Monde nun ist die Sub­stanz wässerig, durchwogt, von innerem Erbeben in Bewegung ge­bracht. Innerlich sich verwandelnde Gliederungen entstanden durch dieses Erbeben; von denen war der Menschenleib durchstrahlt. Wie ein vorübergehendes Werden und Wiedervergehen müssen Sie sich das denken: so wurde im Menschenleib eine Leber oder eine Lunge gebildet und wieder aufgelöst. Das waren also die Zustände auf dem alten Mond. Die Bibel drückt das so aus: Gott hat einst alles geordnet nach Zahl, Maß und Gewicht. - Damit ist das innere Erbeben gemeint. Innerhalb des alten Mondes entstehen nun zuerst wieder die früheren Gebilde des Menschenleibes, es bildet sich wieder der physische und der Ätherleib. Warum? Weil auf dem alten Monde wieder zuerst die Wiederholung von Saturn und Sonne stattfindet; dann erst entstand der eigentliche alte Mond. In den physischen Menschenleib, der nun einerseits das Wässerige in sich hatte, andererseits durch das innere Erbeben durchzogen war von dem Urton und dem Ätherleib, lassen nun einfließen die Geister der Bewegung, Mächte oder Dynamis genannt, den menschlichen Astralleib. Sie opfern, wie die Geister des Willens auf dem Saturn und die Geister der Weisheit auf der Sonne, so opfern sie jetzt aus ihrer eigenen Substanz heraus den menschlichen Astralleib. So ist die Erde fortwährend in fortschreitender Entwicke­lung, und ebenso der Mensch selber, der sie bewohnt.

So haben Sie den physischen Leib sich auf dem Saturn entwickeln sehen. Durch die drei Verwandlungen hindurch - Saturn, Sonne, Mond - ist er nun so geworden, daß er die dritte Vollkommenheits-stufe erreicht hatte. Dieser menschliche phyische Leib kommt nun auf

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dem Monde noch näher seiner heutigen Gestalt. Seine fernere Ent­wickelung, die seinem Astralleib notwendig war, die hätte der Mensch auf der Erde aber nicht erhalten können, wenn nicht in einem be­stimmten Zeitpunkt eine Abspaltung stattgefunden hätte. Es bleibt eine Grundsubstanz des Planeten, des alten Mondes, zurück, und ein Teil geht heraus, der dann die Grundsubstanz umgibt, den Körper seiner Grundsubstanz umkreist. Nun haben wir erstens Saturn, zwei­tens Sonne, drittens Mond. Das Beste der Substanzen und Wesen­heiten hat sich jetzt abgespaltet in einem Grundkörper. Er tritt als Sonne aus ihm heraus in unserer Erdenzeit und steht in seinem Range höher als ein Planet, er wird zum Fixstern. Und ein anderer Körper trennt sich davon ab, der ein Planet bleibt. Die heutige Sonne ist auch erst eine Sonne geworden, einst war sie ein Planet. Wenn Sie die heu­tige Sonne, den heutigen Mond und unsere Erde in ihrer Substanz und ihren Wesen in einem großen Topf zusammenrühren würden, dann hätten Sie die alte Sonne; rührten Sie Erde und Mond zusam­men, dann hätten Sie den alten Mond.

Im Verlaufe der Menschheitsentwickelung löst sich also ab von dem Planeten Erde unsere Sonne. Mit ihr gehen die besten Substanzen und Wesenheiten heraus aus der Erde. Der Sonne zur Seite geht das Wässerige, das immer dichter und dichter wird. Die dichten Formen sind die Träger der Wesenheiten, die den alten Mond bewohnen; einen Schauplatz in Absonderung wähien sich nun die Menschen aus. Ein Fixstern, eine Sonne entsteht immer dadurch, daß eine Art Avancement eines Planeten stattfindet. Während dieser Menschheits-entwickelung waren nun nicht nur die Menschen da und so ent­wickelt, daß sie die drei Leiber, physischen Leib, Ätherleib und Astral­leib eingegliedert hatten. Es waren auch Wesen da, die zurückgeblie­ben waren.

Die Menschen, die auf dem Monde ihre Menschheitsstufe durch­gemacht hatten, das waren die Engel, in der christlichen Esoterik Angeloi genannt, in Indien auch lunarische Pitris. Diese Menschen hatten ein anderes Bewußtsein als die Menschen heute. Nun waren aber auf dem alten Monde auch noch andere Wesenheiten. Da waren gewisse Erzengel, die auf der Sonne zurückgeblieben waren und nun

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ihre Menschheits stufe nachholen mußten auf dem Monde, dann waren Wesenheiten da, welche die Stufe der Geister der Persönlichkeit, also die Saturnstufe der Menschheit, nun auf dem alten Monde erst erreicht hatten.

Die Erzengel, die auf der Sonne zurückgeblieben waren, die bilde­ten als Menschenleiber Gebilde, die nur einen physischen und einen Ätherleib hatten. Das war dann ein Reich unter den Menschen, ein Reich, das sich fortsetzte auf Erden als Tierreich; sie sind die Vor­läufer dieser physischen Leiber der heutigen Tierwelt. Und solche Wesenheiten, die auf dem Monde gar nur einen physischen Leib hat­ten, das sind die Vorläufer des heutigen Pflanzenreichs. Also ein Menschen-, ein Tier- und ein Pflanzenreich gab es auf dem alten Monde. Auf dem Saturn nur ein Menschenreich, auf der Sonne ein Menschen- und ein Tierreich, und auf dem Monde haben wir sogar ein Menschen-, ein Tier- und ein Pflanzenreich. Das Mineraireich ist das letzte der Reiche, die in der ganzen kosmischen Entwickelung entstanden sind. Der Mensch ist das älteste Reich in der Menschheits-entwickelung, er war schon da, ehe es eine Erde gab. Auf der Erde erhält er dann noch zu seinen drei Leibern hinzu das vierte Glied sei­ner Wesenheit, den Träger des Ich.

Siebenter Vortrag, Budapest, 9. Juni 1909 Die Entwickelungsstadien unserer Erde bis zur lemurischen Epoche

Gestern sind wir in unserer Betrachtung der Entwickelung unseres Planeten bis zur Mondenmetamorphose der Erde gekommen. Wir haben gesehen, daß sie ihre erste Verkörperung als der uralte Saturn durchgemacht hat, dann als Sonne und nun als Mond wieder erschie­nen ist. Wir sind nun gestern bis an den Punkt gekommen, wo wir gesehen haben, daß, wenn alles in gleicher Weise wie bisher fortgegangen wäre, dann der Mensch nicht imstande gewesen wäre, in derselben Weise Schritt halten zu können mit dem Tempo der kos­mischen Entwickelung der andern Wesen. Darum mußte während der

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Mondenzeit des Planeten eine Art Abspaltung an einem bestimmten Punkte dieser Mondenerde geschehen. Es fand eine Art Heraustreten der im kosmischen Ganzen vorrückenden Sonne mit den feinsten Substanzen und Wesenheiten statt. Und das weniger Fortgeschrittene, der eigentliche alte Mond, der noch enthielt alles das, was unsere heutige Erde und der heutige Mond sind, der blieb als eine Art Nebel-körper zurück. Dadurch fand unter besonderen Bedingungen eine Verdichtung, eine Art Verhärtung auf dem alten Monde statt und gleichzeitig eine ebensolche der leiblichen Wesenheiten, die ihn be­wohnten.

Als die Sonne fort war, wirkten dann ihre Kräfte von außen auf den alten Mond ein. Das, wovon gesagt ist, daß es später als ein menschliches, tierisches und pflanzliches Reich entstanden ist, war nun aus der Sonne herausgetreten mit dem alten Monde und ließ sich von der Sonne bescheinen, nahm deren Kräfte von außen auf. Nach der Ab­spaltung gestalteten sich die drei Reiche auf dem Monde so wie folgt: Ein mineralisches Reich gab es noch nicht, aber das, was sich herausbildete nach der Verhärtung als unterstes Reich, war eine Art von mineralisch-pflanzlichem Reich; Mineralisches, das pflanzlichen Cha­rakter hatte, oder, wenn Sie wollen: Pflanzliches, das mineralischen Charakter hat. Und das bildete den Boden des Mondes, sozusagen eine festflüssige Grundlage. So wie Sie heute auf der Erde auf Mine­ralischem herumtreten, so bestand dort der Boden aus einer festflüssigen Grundlage, die eine Art Pflanzenmineral war. Denken Sie sich eine Masse wie Kochsalat, eine pflanzliche Substanz, auf der man her­umtritt: so war das niederste Reich des Mondes, das zugleich, man könnte sagen, halblebendig war. Unser Erdboden ist heute verhältnis­mäßig zur Ruhe gekommen, nur wenn vulkanische Tätigkeit sich zeigt, gemahnt dies uns noch an ein gewisses inneres Leben unserer Erde. Das war auf dem Monde noch nicht so. Was der Okkultist über Erdbeben und Vulkantätigkeit zu sagen hat, davon können wir viel­leicht später noch sprechen. Wie Organe in einer Pflanze wachsen und nachher wieder absterben, so äußerte sich dieses Halblebendige auf dem Monde. Wie ein lebendiger, beweglicher, großer Organismus, so war dieser alte Mond, auf dem die auf ihm herumlebenden Wesen sich

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ähnlich fühlen konnten wie Parasiten etwa in der heutigen Zeit. Diese Mondpflanzen waren von mineralischer Substanz, hatten etwas Leben und waren beweglich, also ein Pflanzenmineral. Was heute unsere Felsen sind, würden wir dort auch gefunden haben, aber es waren horn- oder holzartige Verhärtungen, das heißt von ähnlicher Substanz. Im Umkreise des Mondes, wie eine Art Atmosphäre, waren weniger dichte Nebelmassen, weniger dichter, halb wässeriger, halb lebendiger Substanz, darinnen die Wesen des nächsten Reiches - halb tierischer, halb pflanzlicher Natur - eingebettet waren. Wenn Sie einen Baum quetschen könnten und er würde dabei etwas wie einen Anklang an eine tierische Empfindung haben, dann hätten Sie etwas diesem tie­risch-pflanzlichen Reich Ähnliches. Dieses könnte heute als solches nicht mehr innerhalb unserer Erde leben.

Wie schon öfter erwähnt, bleiben nicht nur in der Schule die Schü­ler sitzen, sondern es gibt auch in der Evolution immer Wesenheiten, die sitzenbleiben, und die mit ihnen zusammenhängenden Gestalten, die den Ausdruck dieser Wesenheiten bilden, bleiben dann auch zu­rück, sie werden erhalten. So gab es gewisse Mondenwesenheiten dann noch auf der Erde, die sozusagen noch nicht so weit waren, daß sie die Erdenentwickelung mitmachen konnten. Diese mußten sich dann in ihrem äußeren Ausdruck das schaffen, was ihre Lebensbedingung gewesen war auf dem Monde. Sie wissen, die Pflanzen auf dem Monde, sie wurzelten nicht wie heute in einem mineralischen Boden, sondern in dem halblebendigen Mondboden. Die Mistel ist zum Beispiel ein Nachkomme, ein Nachzügler einer alten Mondform; sie muß wurzeln auf pflanzlichem Boden. In den Mythen der Völker können Sie manches ausgedrückt finden, das darauf Bezug nimmt, zum Beispiel die Sage von Baldur und Loki, der eine Wesenheit vom Monde her ist, während Baldur eine Wesenheit ist, die innig zusam­menhängt mit der Erden- und Sonnenentwickelung. Wenn man eine Sage interpretieren will, dann muß man wissen, aus welchem Gebiet der okkulten Forschung heraus die Zusammenhänge gefunden wer­den. Durch das, was der Hellseher bringt, kann eine äußere Wissen­schaft so befruchtet werden, daß sie in der Sage wieder mehr zu er­kennen vermag als bloße Volksphantasie. Mit der ganzen Seele zu

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forschen, statt nur mit dem Verstande, das muß Geisteswissenschaft lehren.

Dann haben wir noch ein drittes Reich auf dem Monde, das ein Zwischenreich ist zwischen Tier- und Menschenreich: das Tiermenschenreich. Allerdings würden Sie ganz anders gestaltete Wesen­heiten in jenen Tiermenschen finden, als die heutige materialistische Wissenschaft sie sich vorstellt. Sie sind nur deshalb Tiermenschen, weil sie wichtige Glieder ihres Wesens noch nicht in sich, innerhalb ihrer eigenen Wesenheit hatten. Heute hat der schlafende Mensch seinen physischen und Ätherleib hier unten im Bette liegen und den Astralleib außerhalb. Er ist also im Grunde genommen in der physi­schen Welt nur mit der Hälfte seines Wesens drinnen und nicht der wichtigeren; er gehört mit physischem und Ätherleib gleichsam einem früheren, kosmischen Bewußtseinsstadium an. Auf dem Monde sieht der hellseherische Blick diesen Zustand als einen dauernden walten. Der astralische Leib war da noch zu keiner Zeit im physischen und Ätherleib ganz drinnen, nur war er auf dem Monde gründlicher und deut­licher mit dem Menschen verbunden, als er es heute im Schlafe ist. Der Kopf beim Mondenmenschen war noch nicht so abgeschlossen für sich wie heute. Ein Überbleibsel davon, wie damals die Organe da oben im Kopfe waren, ist noch die Stelle oben am Kopfe des Säug­lings, die lange sehr weich und offen bleibt. Der Kopf des Menschen war damals nach oben hin vollständig offen, und das Organ, auf das Sie treffen, wenn Sie senkrecht unter dieser weichen Stelle eine Linie ziehen, die Zirbeldrüse, die heute allerdings vertrocknet und ver­kümmert ist, das war während der Mondenentwickelung ein sehr wichtiges Organ. Es war eine Art Sinnesorgan, das die Verbindung des menschlichen physischen und Ätherleibes mit dem Astralleibe des Menschen vermittelte. Der menschliche Astralleib sandte durch dieses Organ, das wie ein feiner, leuchtender Körper war, seine wichtigsten Strahlenkräfte in die andern Leiber hinein. Es war das Bewußtsein des Menschen nicht Schlaf- und nicht Wachbewußtsein. Äußere Dinge nahm der Mensch nicht wahr. Sein Bewußtsein wäre so etwa mit dem heutigen Traum zu vergleichen gewesen. Diese Zirbeldrüse war da­mals eine Art Wärmeorgan, sie sandte mächtige, leuchtende Wärmestrahlen

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aus. Wenn auf dem alten Monde der Mensch sich in der Außenwelt bewegte, so diente dieses Organ dazu, ihm die Richtung, die er zu nehmen hatte, zu weisen. Seine Wahrnehmung auf dem Monde war so, daß der Mensch aufsteigen gefühlt hat etwas wie ein lebendiges Traumbild. Ein gegenständliches Sehen oder Wahrnehmen gab es noch nicht, aber ein innerliches Aufundabwogen von lebendi­gen Bildern. Die heutigen Traumbilder sind nur schwache Schatten davon. Alles, was der Mensch auf dem Monde unternahm, wie er seine Nahrung suchte und so weiter, alles geschah durch diese Bilder. Diese Mondbilder standen in einem Zusammenhang mit der Außenwelt. Von ihnen konnte er sich dirigieren und leiten lassen. Wenn er seine Nahrung suchte, wurde er dadurch geleitet, daß gewisse Bilder vor ihm aufstiegen; Schädliches wurde ihm durch ganz bestimmte Bilder angezeigt. Und der Astralleib ragte weit hinaus über den physischen und Ätherleib, nur der physische Leib hatte eine Form, die wir als menschliche bezeichnen können.

Auf dem Monde hatte der Mensch auch noch nicht eine gewisse Konstanz seiner innern Wärme. Heute hat er das, er hat es sich auf der Erde erworben. Auf dem alten Monde nahm der Mensch Wärme von der ihn umgebenden Wärme auf und strömte sie wieder aus, wie er heute die Luft aus- und einatmet. Und das machte sich sichtbar an seinem Wärmeorgan. Das leuchtete auf, erglänzte, wenn er Wärme aufnahm, und wenn er Wärme ausströmte, verdunkelte sich dieses. Hätten Sie das sehen können, so hätte es so ausgesehen wie der Feuerdrache, den Sie heute als eine Nachbildung davon sehen. Das alles hat eine tiefe Bedeutung. Wenn Sie Gestalten sehen, wie den Erzengel Michael, der den Feuerdrachen unter die Füße tritt, oder den Sankt Georg im Kampf mit dem Drachen, so führen solche Vorstellungen auf jene Zustände zurück. Das ist eine Gestalt, die es einmal gegeben hat: jener Feueratmer des alten Mondes, der alte Drache - eine Stufe, die überwunden werden mußte.

Das ist die aus der okkulten Erkenntnis heraus geschöpfte Er­klärung solcher Dinge. Wenn später einmal die Geisteswissenschaft mehr verbreitet sein wird, dann wird man auch solche Dinge, wie sie in solchen Bildern und Vorstellungen erhalten geblieben sind, wieder

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anders ansehen. Diese Tiermenschengestalt, sie war freilich ganz anders als die der heutigen Menschen, weil der Astralleib noch nicht so tief untertauchte in den menschlichen physischen Leib wie später auf der Erde. Der Mensch ist das Gebilde von heute dadurch, daß der Astralleib ganz in ihn untertauchte. Man könnte sagen, weil das, was während der Mondenentwickelung noch nicht sich darauf einließ, so in die Tiefen der physischen Welt herabzusteigen, sich nun während der Erdenentwickelung dazu entschloß. Wäre aber dieser Vorgang im Kosmos früher vor sich gegangen, dann wäre der Mensch auf einer viel niedrigeren Stufe stehengeblieben. Während der Erdenentwicke­lung hat er vom Geiste heraus sich zu dieser edlen Gestalt, die gottähnlich ist, durchgerungen. Wäre auf dem Monde schon die Möglich­keit der Menschengestaltung gewesen, so wäre dieses Hinuntersteigen für den Astralleib zu früh gewesen. Die göttlichen Lenker haben stets den richtigen Augenblick gewählt. Denn das ist das Wesentliche der Mondenentwickelung: Es wurde dem physischen Leibe noch sozu­sagen Zeit gelassen zu seiner Entwickelung, und für die Erde wurde aufgespart, daß der Mensch vom Astralleib durchzogen wurde, nach­dem er sich auf dem Monde auf einer unteren Stufe physisch ent­wickelt hatte. Dann ereignete sich wieder ein gewisses Zurückgehen des Mondes in die vorher abgespaltene Sonne; aufgesogen wurde die alte Mondkugel wieder von der Sonne, und alles ging wiederum in einen Weltenschlaf über, durch ein Pralaya hindurch. Das beginnt in demselben Moment, wo der Mond in die Sonne zurückkehrt.

Die alte Mondenentwickelung ging also folgendermaßen vor sich: Erstens eine Art Vorbereitung, zweitens Trennung in Sonne und Mond, drittens Bildung der drei Reiche auf dem Monde, viertens Zu­rückkehren in die Sonne, fünftens ein Abfluten, sechstens der Weltenschlaf.

Aus diesem Weltenschlaf tritt dann die vierte Metamorphose unse­rer Erde zutage: unser Planet, die Erde selbst. Diese erste Gestalt der Erde ist allerdings ganz verschieden von dem, was unsere Erde jetzt als Gestalt zeigt. Als sie zuerst aufleuchtete, diese Erde, aus der kos­mischen Nacht, dem Dämmerdunkel, da war sie groß, ungeheuer groß, denn sie hatte ja wieder in sich die Sonne und den Mond; alle

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Abspaltung geschah erst später. Sie war so groß, daß sie bis zum heu­tigen Saturn reichte. Die Differenzierung unseres Systems geschah erst später. Die Kant-Laplacesche Theorie gibt, soweit es dem physika­lischen Denken möglich ist, dieses erste Hervorgehen unserer Erde in ganz verständlicher Weise. Sie spricht von einem Nebel, einer Art Urnebel, in dem alles aufgelöst ist, und aus dem daher das ganze Sonnensystem hervorgeht. Durch die Rotation dieses Nebels haben sich Ringe gebildet, diese Ringe verdichten sich, und durch die Rota­tion bilden sich dann die Planeten. In der Schule wird das an einem Experiment häufig dargestellt: man bringt eine Ölkugel in einer gleich schweren Flüssigkeit mittels einer einfachen mechanischen Vorrich­tung zum Rotieren. Man kann alsdann beobachten, wie sich diese Kugel abplattet, wie sich von ihr Tropfen losreißen, die sich wieder­um zu Kugeln formen und die Hauptkugel umkreisen, und auf diese Weise sieht man im Kleinen eine Art Planetensystem durch das Rotie­ren entstehen. Das wirkt ungeheuer suggestiv. Warum sollte man sich das nicht in der Welt ebenso vorstellen? Man sieht es ja hier förmlich, wie durch die Rotation ein Planetensystem entsteht, man hat es ja vor sich! Man vergißt dabei nur eines - sich selbst oder den Herrn Lehrer, der die Drehung vornimmt. Mit dieser äußeren Tatsache ist nichts erklärt. So etwas wie dieses Weltensystem entsteht nicht aus dem Nichts, entsteht nicht aus dem Nebel von selbst, sondern weil viele geistige Wesenheiten daran gearbeitet haben und an einem bestimm­ten Punkte ihrer Entwickelung aus der chaotischen Substanz die fein­sten Substanzen herauszogen und die gröberen, den Mond, hinausschleuderten.

In der ersten Zeit nach dem Pralaya wiederholte die Erde, die nun wieder alle die Substanzen und Wesenheiten in sich vereinigt hatte, den Saturnzustand. Sie war im Anfang dieser Entwickelung keine Gaskugel, wie vielfach falsch angenommen wird, sondern eine Wärmekugel. Denn sie wiederholte eben den Saturnzustand und reichte so weit wie bis zum heutigen Saturn. Die geistigen Wesenheiten sind es, die sich auf einer gewissen Stufe ihre Substanzen mitnehmen. Allem liegt eben der Geist zugrunde, sowohl bei der Trennung der Sonne wie bei der alten Mondenentwickelung. Nichts Äußeres war daran

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schuld, sondern innere Notwendigkeit war es für einen Teil der Wesenheiten. Die höheren Wesenheiten sondern aus der chaotischen Substanz das heraus, was sie brauchen. Der Geist ist es überall, der das Äußere lenkt. Als die Erde zuerst aufleuchtete, war alles in ihr darinnen; da waren diese Wesenheiten auf verschiedenen Stufen ihrer Entwickelung darinnen. Wir werden das bei den nun folgenden Betrachtungen ins Auge fassen.

Die Erde wiederholte also jetzt zuerst, nach dem Pralaya, den Saturnzustand; das ist ein Wärmezustand. Dann verdichtete sich diese riesige, machtige Kugel, so daß sie gasig wurde, und erst an einem bestimmten Punkt war es für sie möglich, das Flüssige zu bilden, den Mondzustand zu wiederholen. In diesem Moment wiederholte sich dann auch das, was früher auf dem Monde geschehen war: die Sonne sonderte sich auch von unserer Erde ab, und die Erde plus Mond wurde ein selbständiger Körper mit den Substanzen und Wesenheiten von Erde und Mond, wie sie auch heute vorhanden sind. Es waren also eine Zeitlang Erde plus Mond und Sonne miteinander ver­bunden. Dann wurde ausgeschieden die Erde plus Mond, denn der Mensch konnte ferner das Tempo der Sonnenwesen nicht mitmachen. Wäre die Sonne in der Erde geblieben, so wäre er, kaum geboren, auch schon alt gewesen. Die Wesenheiten des Weltenalls stehen auf ganz verschiedenen Stufen der Entwickelung. Wir werden nur die Haupt­sachen davon für unsere vierte Periode, die Erdenzeit, angeben kön­nen. Es gibt alle möglichen Grade, auch bei den reiferen Wesenheiten. Es gab solche, die das rasche Sonnentempo und auch wieder das lang­same Tempo der Erde nicht brauchen konnten. Diese nun sonderten sich schon ab vor der Trennung, als Sonne, Erde und Mond noch bei­sammen waren, und bildeten besondere Schauplätze für ihr Wirken, hatten dort die ihnen gemäßen Herrschaftsgebiete. Dadurch eben bil­deten sich die äußeren Planeten Saturn, Jupiter und Mars.

Während der Wiederholung des Saturnzustandes lösen sich von der Erde ab Uranus, Vulkan und Saturn. Während der Wiederholung des Sonnenzustandes lösen sich ab Jupiter und Mars. Nachdem die Sonne sich von der Erde getrennt hat, spaltete sie von sich ab Merkur und Venus, nach der Sonnentrennung spaltete die Erde ab den Mond.

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Das Auseinanderzerren des alten Mondes geschah durch die Kräfte der fortgeschrittenen Mächte, welche den Sonnenkörper herauszogen, während die normalen und zurückgebliebenen den ihn umkreisenden Mond bildeten. In allen Mysterien nennt man dies den Streit am Himmel. Die versprengten Planetoiden sind die Trümmer jenes Schlachtfeldes, in welchem auch das Urgeheimnis über die Entstehung des Bösen gesucht werden muß.

Jene Planetengeister haben sozusagen nicht warten können, bis die Sonne sich von der Erde abspaltete, sie hätten sonst nicht den richti­gen Boden für ihre Arbeit gefunden, als die Entwickelung in jenem Zeitpunkt in andere Bahnen einlenkte. Denn die Raum- und Bewegungsverhältnisse der Planeten sind alle der Ausdruck und die Wir­kung der Tätigkeit ihrer Wesenheiten; sie bekunden den Entwickelungsstandpunkt der geistigen Wesen, welche die Planeten bewohnen. Wesenheiten nun, die jetzt geglaubt hatten, auch mit der Sonne mit­kommen zu können, weil sie es früher gekonnt hatten, und die nun doch nicht mitkamen, die sonderten sich von dieser ab erst nach der Trennung der Sonne von der Erde. Sie schieden erst nachträglich aus, diese Wesenheiten, die immerhin noch weit über den Menschen hinausragten. Sie brauchten einen andern Schauplatz ihrer Tätigkeit. Venus und Merkur, diese beiden, die erst während der Abtrennung unserer Erde von der Sonne sich von dieser sonderten, sie bildeten die inneren Planeten unseres Sonnensystems.

Für die Erde begann nun, nach ihrer Abtrennung von der Sonne, eine schwere, dunkle Zeit, in einer gewissen Beziehung die finsterste, här­teste Zeit für die Erde. Sie war ja noch mit dem Monde verbunden und nahm also in sich alle die Kräfte mit, welche die Entwickelung ver­zögerten. Das Leben zu hemmen im eminentesten Sinne, das gehört zu den Kräften, die hauptsächlich im Monde wirken. Diese hemmen­den Kräfte waren nun in dieser Zeit viel zu stark wirksam in der Erde. Wären sie mit ihr verbunden geblieben, dann wäre das Leben auch nicht in dem richtigen Tempo verlaufen. Der Mensch hätte sich ver­härtet bis zur Mumifizierung; ein realer Kirchhof wäre die Erde ge­worden, ein großer Friedhof, auf welchem Statuen von mumifizierten Menschenleibern sich befunden hätten. Keine Fortpflanzung hätte

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mehr stattfinden können. Als die Sonne fort war aus der Erde, ge­schah eine ungeheure Verödung und Verhärtung alles Lebens auf der Erde. Es gab also schon damals Zeiten, wo der physische Leib von dem geistigen Teil verlassen wurde, wie heute der physische Leib von seinem geistigen Teil beim Tode verlassen wird. Es gab damals schon ein Sich-Zurückziehen des Geistig-Seelischen, sein Herausgehen aus dem Physischen und sein Wiederaufsuchen dieses Physischen, wie es heute bei den Inkarnationen der Fall ist. Aber immer häufiger kam es vor, daß, wenn das Seelisch-Geistige wieder einen Menschenleib fin­den wollte, während der Mond noch mit der Erde verbunden war, es einfach keinen fand, weil der Leib nicht mehr geeignet war, das Geistig-Seelische in sich aufzunehmen. Denken Sie sich, die Menschen würden heute in großen Massen sterben, und es würden durch Eigen­schaften des physischen Leibes diese Leiber so in die Dekadenz kom­men, daß die Seelen sich sagen würden: Wir können diese Leiber nicht brauchen. Sie sind zu schlecht für uns, wir finden in ihnen keine Ge­legenheit zur Weiterentwickelung. - Durch ein besonderes Überhand­nehmen des Alkoholismus zum Beispiel würde die Nachkommen­schaft allmählich so schlecht, daß die Leiber einfach unbrauchbar für die herabsteigenden Seelen wären. So können Sie sich etwa den da­maligen Zustand auf der Erde vor dem Mondenaustritt denken. Ver­härtet, verrindet, vertrocknet, mumifiziert war oft alles das, was da unten hätte sollen bewohnt werden. Es gab wirklich eine Zeit, wo die Seelen sich vergeblich nach Leibern für die eigene Erdenentwicke­lung umschauten. Die Folge davon war, daß gewisse geistig-seelische Wesenheiten zu jener Zeit einfach nicht als Menschen auf den physi­schen Plan wiederkehren konnten. Sie konnten sich auf der Erde nicht wiederverkörpern. Und diese Wesenheiten, sie gingen nun zu andern Weltenkörpern, zu denen, die sich von der Sonne abgespalten hatten, zu Venus, zu Jupiter, Saturn und Mars. Und es gab eine Zeit, wo ein größerer Teil dieser Wesen, die normalerweise auf der Erde sich hätten verkörpern sollen, je nachdem sie geartet und je nach der Entwicke­lungsstufe, auf der sie standen, sich unter den Schutz des Mars, des J upiter, der Venus- oder Saturnwesenheiten begaben, zu diesen Wel­tenkörpern hinaufstiegen und sie bevölkerten. Und unsere Erde verödete

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dadurch eine Zeitlang. Nur die allerstärksten Seelen fanden die Möglichkeit, die widerspenstigen Leiber zu besiegen, sie sozusagen weich zu erhalten. Verstehen wir uns recht: nur das allerbeste Seelenmaterial war es, das auf die Erde da wiederkam, weil es die größte Macht hatte, die widerspenstigen Leiber zu besiegen. Die Entwicke­lung konnte aber dabei nicht vorwärtsgehen.

Die höchsten Wesenheiten, die zu unserem Sonnensystem gehör­ten, sie trafen nun eine neue Vorrichtung. Es wurden von den ver­härtenden Kräften die dichtesten Substanzen aus der Erde herausgeholt und abgespalten: es geschah die Abtrennung des Mondes. Da­durch wurden die zurückbleibenden Kräfte nicht mehr in ihrer Ent­wickelung gestört. Dieser Mond wurde aber erst später, wie er heute ist. Für die physische, ätherische Menschenentwickelung war nun die Zeit gekommen, wo sie das richtige Tempo finden konnte, das ihrer Stufe entsprach. Nun wirkten die Sonnen- und die Mondenkräfte von außen auf die Erde gemeinsam und hielten sich die Waage, das Gleich­gewicht. Nach und nach, während der Mond sich hinausbegab, fand nun wieder eine Art von Verweichung, von Verbesserung der Men­schenleiber statt. Diese Zeit, die wir eben beschrieben haben, nennt man im Okkultismus die lemurische Zeit, die Zeit der Mondentren­nung in der physischen Erdenperiode. Die Zeit, da die Sonne hinaus­geht aus der Erde, nennt man die hyperboräische Zeit, und jene, wo Sonne, Mond und Erde noch zusammen waren, die polarische Zeit.

In der ganzen Zeit nun, als die Sonne von der Erde getrennt war und der Mond zuerst verhärtend auf die Erde wirkte und dann die Erde verließ, in jener ganzen Zeit wirkten hohe Wesenheiten auf diese Differenzierung ein. Und ihre bedeutsamsten Diener waren die Geister der Form, in der christlichen Esoterik Exusiai genannt, auch Geister der Offenbarung, Gewalten.

Auf dem Saturn waren es die Throne, Geister des Willens, die sich opferten und den Stoff für den physischen Leib des Menschen aus ihrer eigenen Substanz träufelten. Auf der Sonne sind es die Herr­schaften oder Geister der Weisheit, welche die Substanz für die Ätherkörper hergeben, auf dem Monde die Geister der Bewegung oder die Mächte, welche die Bildung des astralischen Leibes ermöglichen. Auf

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der Erde nun sind es die Geister der Form oder die Gewalten, welche das Ich eingießen und so bewirken, daß in dieser Entwickelungsphase nach und nach, ganz allmählich, dieses Ich in das, was nun wieder ent­standen war, den physischen Leib, den Äther- und Astralleib sich einfügte. Das ist die Arbeit der Geister der Form. Daß ein Ich-Mensch überhaupt entstehen konnte, der Ausdruck eines Ich-Bewußtseins, daß eine solche Gliederung der drei andern Leiber - physischer Leib, Ätherleib, Astralleib - sich bilden konnte, dazu war all das, was wir beschrieben haben, notwendig. Dazu war notwendig das Heraustreten von Sonne und Mond aus der Erde, es war notwendig, daß der Mensch eine solche Verhärtung erfuhr und wieder eine Milderung derselben. All das konnte geschehen dadurch, daß jene weisheitsvollen Wesenheiten, die das alles leiteten, erst probeweise das alles unternahmen zum Heile der Evolution. Es geschieht vieles in der Erden-entwickelung probeweise von den hohen Wesenheiten aus, die hinter der Evolution stehen, auch heute noch. Was ist denn die theosophi­sche Bewegung? Sie ist dadurch in die Welt gekommen, daß durch die hohen Wesenheiten, die wir die Meister nennen, und die in einem physischen Menschenleibe leben, aber auf einer viel höheren Ent­wickelungsstufe stehen als der Mensch von heute, ausströmte vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts an eine gewisse Summe von Weis­heit. Das lebendige Hereinströmen dieser Weisheit aus höheren Regionen in unsere Kultur, das ist die reale Grundlage unserer theo­sophischen Bewegung. Glauben Sie nicht, daß es nicht möglich wäre, daß die Einströmung, die versucht wird, ein taubes Ohr bei der Menschheit fände. Dann würden sich die Meister sagen: Es muß ein späterer Versuch gemacht werden, wenn die Menschheit reif dazu ist. Man nennt das im Okkultismus: die Probe auf die Reife der Mensch­heit. Es ist nicht genug damit, daß von solchen höheren Individualitäten Weisheit einströmt in unsere Menschheit, sondern wie ihr ent­gegengekommen wird, davon hängt das Gelingen der Probe ab. Es sind oft schon solche Proben unternommen worden, aber nicht immer geglückt. Die Menschheit erwies sich oft nur innerhalb enger Grenzen als reif dazu; nicht immer fanden sich geneigte Seelen und Herzen. So wie hier zum Zwecke der theosophischen Bewegung, so geschieht

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es auch im großen Weltenall. Als das Ich der Menschheit eingeströmt werden sollte, bestand die Probe darin, daß man nach und nach ver­suchte, das, was früher nur astralischer Leib war, vom Ich aus zu durchdringen. Und da stellte es sich dann heraus, daß der astralische Leib, der durchdrungen war mit dem Ich, nicht vermochte in den physischen Leib einzudringen. Man mußte eine Anpassung vollzie­hen, und dies geschah dadurch, daß man den Mond hinausführte. Erst in der Mitte der lemurischen Zeit vollzog sich der Einschlag des Ich, des Christus-Prinzips.

Damit aber hing das Folgende zusammen: Während der Mondlos­lösung war die Erde verödet. Wir haben gehört, daß die Leiber so schlecht geworden waren, daß sie den Seelen keine Unterkunft mehr sein konnten. In der Sage sind solche kosmischen Vorgänge erhalten geblieben, aber die okkulte Forschung, die zeigt ihren wahren Ursprung und lehrt uns, daß, während der Abtrennung des Mondes, als die Erde verödet war, viele Seelen in dem kosmischen Raum nach geeigneter Verkörperung suchten und dann fortgingen von der Erde und auf andern Planeten sich verkörperten. Jetzt aber, nachdem der Mond fort war, zeigte es sich, daß die Erde wieder fähig war, geeig­nete Leiber abzugeben. Und jetzt stellten sich auch die Seelen auf der Erde wieder ein, die auf die andern Planeten schon in der letzten Zeit der Lemuria gegangen waren, und darnach in der atlantischen Ent­wickelung, und sie verkörperten sich wieder in diesen Leibern auf der Erde. Es bildeten sich nun auf der Erde Menschengruppen heraus:

solche, die Leiber hatten für Seelen, die von Jupiterverkörperungen herkamen; für jene, die von Mars, Venus oder Saturn kamen und nun das zu ihnen Passende fanden. Diese Gruppierung der Seelen gab die Veranlassung zu der Entstehung der Menschenrassen. Dadurch sind die Rassen in einem gewissen Zusammenhang mit den Weltenkörpern. So konnte man also von Saturnmenschen, Jupitermenschen und so weiter sprechen, und nun hatte auch das erst Berechtigung, was man den Rassenbegriff nennen kann.

Auf dem Monde, und auch auf der Erde zu ihrer Mondenzeit, gab es Menschen verschiedener Entwickelungsstufen. Wir können das verfolgen bis in das lemurische Zeitalter, wo durch den Austritt des

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Mondes die Menschheit sich differenziert; darnach taucht der Rassenbegriff auf und beginnt von jetzt ab einen gewissen Sinn, eine gewisse Bedeutung zu haben. Die Rasse ist etwas, was entstanden ist und wie­der vergeht. Das Zeitalter, in dem die Rassen sich gebildet haben, ist das lemurische und atlantische Zeitalter. Heute haben wir nur die Nachzügler der Rassen.

Achter Vortrag, Budapest, 10. Juni 1909 Die Entwickelungsstadien unserer Erde. Lemurische, atlantische, nachatlantische Epoche

Gestern sind wir in unseren Betrachtungen bis zu dem Zeitalter gekommen, das man das lemurische unserer Erdenentwickelung nennt. In jener Zeit haben wir ein großes kosmisches Ereignis zu verzeich­nen: den Austritt des Mondes aus unserer Erdensubstanz. Gerade da­durch kam das richtige Tempo in die Entwickelungsmöglichkeit des Menschen. Damals war unsere Erde weit verschieden in Gestalt und Temperatur von unserer heutigen Erde. Viel höher war die Tempera­tur, so daß heutige Menschen auf dieser Erde nicht hätten leben kön­nen. Wesentlich anders war auch die Gestalt. Ganz allmählich hat sich die Erde dann so verdichtet, daß sich feste Substanzen auf ihr bildeten. Und wenn wir gestern davon gesprochen haben, daß sich die Leiber verhärteten, so ist das nicht physisch, sondern in bezug auf Stärke und Qualität aufzufassen. Gewisse Stofflichkeiten lösten sich auf. Die ganze Erde war in feurig-flüssigem Zustand und wurde erst allmäh­lich fester und fester. Das ist aber nicht so aufzufassen, als ob sie im heutigen physischen Sinne hart und dick geworden wäre, sondern es hat eben Bezug auf die Stärke und Qualität. Diese Kräfte sind solche, daß sie den Menschen mumifiziert hätten. Aus dem feuerflüssigen Zu­stand der Erde gliederten sich dann inselartige Gebilde heraus, und die Wesen darauf haben eine entfernte Ähnlichkeit mit unseren heuti­gen Tieren und Pflanzen. Der Mensch selber aber wohnte während der ersten Hälfte des lemurischen Zeitalters nicht unmittelbar auf der Erde, sondern in der Sphäre über der Erde in einer dünnen, feinen

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Leiblichkeit; geistigere Menschen waren das. Es hatte der Mensch im Anfang des lemurischen Zeitalters noch nicht die spätere Körperlichkeit und nahm nicht die festere Art Nahrung zu sich. Ja, selbst noch am Ende der Lemuria würden Sie die Formen des Menschenleibes, der schon am dichtesten in der Substanz geworden war, nicht mit den heutigen Knochen behaftet finden. Die Substanz, aus welcher der physische Menschenleib bestand, war noch weich, gallertartig, so daß sie sich äußerlich kaum von der übrigen Substanz unterschied. Die­jenigen Seelen, die zu früh auf die Erde heruntergestiegen waren, die nahmen in ihren Leibern diese Art von dichterer Erdensubstanz auf. Es lebten dann die Menschen, die am wenigsten geistig waren, schon auf der Erde, die andern noch über der Erde.

Jetzt erst, während der lemurischen Zeit, entsteht, sozusagen durch das Herausfallen feiner Aschenmassen, feuerflüssiger Metallmassen, der erste Bodensatz von Mineralischem. Diese Massen, sie bilden gleichsam den Anfang von Inseln. Es ist das mehr bildlich ausgedrückt, aber dem hellseherischen Blick stellt sich diese allmähliche Verdichtung so dar. Dann kommt aus dieser Masse heraus das, was wir nennen können ein Pflanzenreich, später bildet sich dann erst das Tierreich. Es würde zu weit führen, wenn ich Ihnen ausführlich er­zählen wollte, wie sich allmählich das Physische verdichtet. Es steigt wirklich alles herunter aus höheren Sphären, auch die sich verdichtenden Kontinente. Das aber, was heute der Mensch ist, das hielt sich zu­nächst noch auf sozusagen in einer Sphäre über der Erde. Darinnen lebten die Menschen und bildeten in dieser weichen Sphäre ihre wei­chen, feinen Leiber aus. Des Menschen Ätherleib und Astralleib waren da noch nicht mit dem physischen Leibe in so starkem Zu­sammenhang, noch waren sie mehr frei. Aber mit der Verfestigung des physischen Leibes, der nun immer dichter und dichter wird, wurde auch die Verbindung mit dem Ätherleib und Astralleib eine engere, und der Mensch wurde aus einem schwebenden, schwimmenden Wesen nun ein Wesen, das jetzt die Erde betrat.

In dieser Zeit machte sich beim Menschen ein Einfluß geltend, der sehr wichtig ist. Was wäre ohne diesen Einfluß mit dem Menschen geschehen? Er wäre noch lange, lange ein Wesen geblieben ohne

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Initiative, ohne innere Selbständigkeit, ein Automat wäre er geblieben, der von höheren geistigen Wesenheiten, von deren Kräften ge­zogen worden wäre. In den physischen Leib, Ätherleib und Astralleib strömten fortwährend geistige Kräfte von den geistigen Wesenheiten ein. Da waren nun auch solche Wesenheiten darunter, die vorzugs­weise in seinem Astralleib wirkten, und die selbst in ihrer Entwicke­lung zurückgeblieben waren: das sind die luziferischen Wesenheiten. Die zogen den Menschen noch rascher auf den physischen Plan her­unter als die guten, in ihrer Entwickelung normalen geistigen Wesen­heiten.

Die luziferischen Wesenheiten waren Geister, die eigentlich auf dem Monde ihr Pensum hätten absolvieren sollen. Hätten sie dort ihren Einfluß auf den Menschen geltend gemacht, dann hätten sie nur auf den Astralleib wirken können, denn er war das höchste Glied der menschlichen Wesenheit auf dem Monde. Aber das konnten sie auf dem Monde nicht, weil sie zurückgebliebene Wesenheiten waren. Und auf das Ich konnten sie nicht wirken, da sie das auf dem Monde nicht gelernt hatten. Jetzt waren die luziferischen Wesenheiten so weit, daß sie auf den Astralkörper des Menschen zu wirken vermochten. Aber der Mensch war inzwischen fortgeschritten und hatte sein Ich eingegliedert erhalten. Auf das Ich konnten die luziferischen Wesenheiten noch nicht wirken; auf das Ich wirkten höhere Wesenheiten ein, auch auf den Astralleib, aber nur durch das Ich hindurch. Direkt auf den Astralleib zu wirken, hätten sie sich sozusagen nicht erlaubt, das war eine Aufgabe, die diese höheren Wesenheiten schon während der Mondenentwickelung erfüllt hatten. Hätten nun die luziferischen Wesenheiten keinen Einfluß auf den Menschen bekommen, dann hät­ten die höheren Wesenheiten allein gewirkt auf den Astralleib durch das Ich und so den Astralleib gereinigt. Statt dessen wirkten nun während der lemurischen Zeit die luziferischen Wesenheiten von allen Seiten auf den Astralleib direkt ein, und dadurch wurde der mensch­liche Astralleib all den Einflüssen ausgesetzt, die eigentlich schon auf dem Monde hätten zu Ende gewirkt haben sollen. Es wurden da­durch bestimmte Triebe, Begierden und Leidenschaften dem Men­schen eingepflanzt, die er nicht erhalten hätte, wenn die höheren

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Wesenheiten allein auf ihn gewirkt hätten. Die Götter hätten diese Einflüsse einfach nicht hereingelassen. Zweierlei erhielt der Mensch durch den luziferischen Einfluß: Erstens konnte er zu einer gewissen Rage, einem gewissen Enthusiasmus, einer Begeisterung entflammt werden, dieses oder jenes zu tun; aber diese Begeisterung wurde nicht von seinem Ich aus gelenkt, nicht von den höheren Wesen im Men­schen beeinflußt. Zweitens erhielt er die Möglichkeit, von den höhe­ren Wesen abzufallen, das Böse zu tun, aber auch die Möglichkeit der Freiheit. So war die Initiative, der Enthusiasmus, die Freiheit das, was der Mensch den luziferischen Wesenheiten verdankte, aber gleichzeitig entstand in ihm die Möglichkeit des Bösen. So schlichen sich die luziferischen Wesenheiten in den Astralleib des Menschen ein und sind im Grunde genommen heute noch darinnen, denn sie sind es, die ihn einerseits frei machen, andererseits zum Übel hinreißen.

Dadurch, daß des Menschen Astralleib von den luziferischen Wesenheiten durchsetzt war, wurde der Mensch früher, zu früh aus der Atmosphäre über der Erde auf die Erde heruntergeführt. Daran sind im wesentlichen die luziferischen Wesenheiten schuld. Der Astralleib des Menschen wurde durch sie verschlechtert und dadurch zu bald verdichtet, sonst wäre er noch lange in dieser Atmosphäre geblieben, die man das Paradies in der Bibel nennt. Also die Austrei­bung aus dem Paradiese geschah durch den Einfluß der Götter. Stel­len Sie sich also die Erde vor in ihrem feuerflüssigen Zustande und dann den Menschen, wie er durch die luziferischen Wesenheiten - zu früh - auf die Erde heruntergeführt wird, auf der sich eben Konti­nente bilden. Damals hatte nun der Astralleib des Menschen noch einen viel größeren Einfluß auf seine Umgebung, der Mensch hatte größere magische Kräfte als später, es war noch keine so strenge Trennung zwischen Naturgesetz und Menschenwille. Heute könnte in dieser Beziehung ein böser Mensch nichts Besonderes anrichten. Es würde in der Natur heute nichts erfolgen durch ihn. Damals war das anders. Böse Gelüste in der Seele des Menschen hatten eine sicht­bare magische Naturwirkung, sie zogen die Kräfte des Feuers über und auf der Erde an, und der Mensch entflammte die Naturkräfte durch seine bösen Gelüste, seinen magischen Willen. Heute blitzt es

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nicht mehr dadurch; damals aber blitzte das Feuer durch die Luft, wenn die Menschen böse wurden.

Dadurch nun, daß Massen von Menschen böse wurden und der Mensch sich gar zu sehr dem Einfluß der luziferischen Wesenheiten hingab, zum Bösen sich neigte, wurden auf den Kontinenten der Lemuria die Feuerkräfte entflammt, und die Lemuria ging unter durch die wütenden Feuermassen, durch die Schlechtigkeit eines gro­ßen Teiles seiner Bewohner. Die Menschen, die gerettet wurden, gingen nach Westen auf einen Kontinent, der zwischen dem heutigen Afrika, Europa und Amerika sich befand, der Atlantis. In langen, langen Zeitepochen setzte sich dort die Menschheitsentwickelung fort. Es vermehrte sich allmählich die Menschheit wieder, und auf diesen Kontinent stiegen die Seelen herunter, die nach dem Jupiter, dem Mars und so weiter in der Zeit der Verödung gegangen waren. Das nahm lange Zeit in Anspruch. Und so bildeten sich in der alten Atlan­tis die Rassenbegriffe heraus. Man sagt im Okkultismus: In der alten Atlantis waren Menschen, deren Körper Seelen bewohnten, die früher auf dem Mars, Jupiter, Venus und so weiter waren. Marsmenschen, Jupitermenschen und so weiter nannte man sie. Auch die äußerlichen Gestalten der Leiber wurden dadurch voneinander verschieden. In der ganzen ersten Hälfte der Atlantis war der Menschenleib noch von viel weicherer Masse, er gab den Kräften der Seele nach. Diese Seelen-kräfte waren wesentlich stärker als heute und bewältigten, formten den physischen Leib. Ein Mensch von der alten Atlantis hätte, sagen wir, eine Eisenbahnschiene mit Leichtigkeit zerbrechen können, nicht weil seine physischen Kräfte sehr stark waren, denn er hatte noch nicht einmal sein Knochensystem ausgebildet, sondern vermöge sei­ner magisch-psychischen Kräfte. Eine Flintenkugel zum Beispiel wäre an dieser psychischen Kraft abgeprallt. Die Dichtigkeit der fleischlichen Materie bildete sich erst später aus. Wir finden heute noch eine ähnliche Erscheinung bei gewissen Wahnsinnigen, die durch das Freiwerden starker psychischer Kräfte - weil in dem Zu­stande der physische Leib nicht in der richtigen Verbindung mit den höheren Leibern ist - schwere Gegenstände heben und werfen können.

Weil der physische Leib nun in der Atlantis noch weich war, so

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konnte er sich leichter den Seelenvorgängen anschmiegen; es konnte die physische Gestalt kleiner oder größer werden. Wenn zum Beispiel der Mensch der Atlantis dumm war oder sinnlich und so weiter, dann fiel er sozusagen in die Materie hinein und wurde ein Riese an Gestalt. Die mehr geistigen Menschen gliederten sich feiner heraus und waren kleiner an Gestalt, die Dummen waren groß. Die äußere Gestalt in ihrer weichen Materie richtete sich viel, viel mehr nach den seelischen Kräften als heute, wo die Materie starr geworden ist. Die Körper also bildeten sich nach den Eigenschaften der Seele, darum waren auch die Rassen so verschieden.

Wenn die Mythen und Sagen die Zwerge als klug, die Riesen als dumm geschildert haben, so sehen wir wieder einen tiefen okkulten Zug sich darin widerspiegeln. Wenn eine solche Seele also vom Mars jetzt wieder auf die Erde herunterkam, so hatten die dortigen Eigen­schaften, mit denen sie verwandt war, noch lange Einfluß auf sie und den Körper, den sie bewohnte. Aus dieser Tatsache erklären sich die Rassenverschiedenheiten und Eigentümlichkeiten.

Wäre die Menschheitsentwickelung bis zur Mitte der atlantischen Zeit ohne den Einfluß von Luzifer gegangen, dann hätte der Mensch bis dahin ein in hohem Grade hell seherisches Bilderbewußtsein entwickelt. In seiner Seele wäre etwas gewesen, was durch seine Kraft ihm die Außen­welt in innern Bildern geoffenbart hätte; nicht durch sein Auge hätte er da die äußeren Gegenstände wahrgenommen. Durch den luziferischen Einfluß nun hat der Mensch die physische Welt früher gesehen, aber nicht richtig, sondern wie durch einen Schleier sieht er die Außenwelt. Vorgesehen war von den göttlich-geistigen Wesenheiten für ihn die Entwickelung so, daß er an Stelle der bei dumpfem hellseherischem Bewußtsein im Bilde wahrgenommenen Innenwelt die Außenwelt wahrgenommen hätte, aber so, daß hinter jedem Sinnlichen ein Gei­stiges sich befindet. Den realen Geist hinter der physischen Welt hätte er gesehen. Mit einem Schlage - bitte, das nicht wörtlich zu nehmen, es hätte immerhin einige Zeit gedauert - wäre, ohne Luzifer, dem Menschen zu einer gewissen Zeit die Außenwelt erschienen; er wäre erwacht. Die Innenwelt wäre plötzlich verschwunden gewesen, aber das Bewußtsein vom Geiste, aus dem sie stammt, wäre geblieben. Der

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Mensch hätte nicht nur die Pflanzen, Tiere und so weiter gesehen, sondern gleichzeitig auch den Geist, aus dem sie herausgewachsen sind. Weil nun die luziferischen Wesenheiten den Menschen zu früh auf die Erde heruntergezogen haben, ist die Außenwelt dem Menschen so geworden, daß ihm die Welt des Geistes dahinter zugedeckt ist, und er das Physische undurchsichtig sieht, sonst würde er durch sie hindurch den geistigen Urgrund der Welt sehen. Weil der Mensch zu früh in die Materie hinunterkam, wurde diese Materie für ihn zu dicht. Er konnte sie nicht mehr durchdringen. Aber andere, zurückgeblie­bene geistige Wesenheiten, konnten sich von der Mitte der atlanti­schen Zeit an in diese Materie mischen, so daß sie wie von Rauch durchzogen wurde, getrübt wurde, und der Mensch das Geistige nicht mehr schauen konnte. Das sind die ahrimanischen oder mephisto­phelischen Wesenheiten. Mephistopheles-Ahriman ist etwas anderes als Luzifer. Durch eine Unwahrheit - Lügner nennt ihn Zarathustra - trübt er den reinen menschlichen Geist, verbirgt ihm das Geistige. Ahriman folgt dem Luzifer, er bringt dem Menschen die Illusion bei, daß die Materie etwas für sich ist. So hat also der Mensch bei seinem Fortschreiten, während die göttlich-geistigen Wesenheiten mit ihrem Einfluß auf ihn wirken wollten, zwei andere Einflüsse auf sich wirken lassen: Luzifer, der im Innern, im Astralleib den Menschen angreift und zu beirren sucht, und Ahriman, der von außen her dem Menschen etwas weis macht, der ihm die Außenwelt als Maja, als Materie er­scheinen läßt. Luzifer müssen wir ansprechen als den Geist, der im Innern tätig ist, Ahriman dagegen ist der Geist, der die Materie wie einen Schleier über das Geistige breitet und das Erkennen der geisti­gen Welt unmöglich macht. Und diese beiden Geister halten den Men­schen in seiner Entwickelung zur Spiritualität zurück. Und nament­lich der ahrimanische Einfluß war es, der sich im Menschen geltend machte und bewirkte, daß ein Teil der Erde zugrunde ging: die Atlantis.

In Lemurien wirkten die Menschen mit ihren magischen Kräften sehr stark auf die Natur. Sie konnten zum Beispiel das Feuer beherr­schen. Die Atlantier konnten das schon nicht mehr. Aber sie konnten mit ihrem Willen beherrschen die Samenkräfte, in denen tiefe Geheimnisse

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verborgen liegen, die Luft- und Wasserkräfte; das Feuer war ihnen entzogen. Machen wir uns klar, daß, wenn wir heute eine Lokomotive sehen, die der Mensch gebaut hat und nun beherrscht, da etwas ganz anderes vorliegt. Der Mensch versteht heute, die in der Steinkohie verborgenen Kräfte sich dienstbar zu machen, sie in eine fortbewegende Kraft umzuwandeln. Dieser Vorgang bedeutet, daß er die leblose, die mineralische Kraft, die darinnen wohnt, beherrscht; aber der Atlantier beherrschte die Lebenskraft selbst, die im Samen wohnt. Denken Sie sich, daß die Kraft, die als lebendige Kraft den Halm aus der Erde sprießen läßt, vom Atlantier aus dem Samen her­ausgelockt und nutzbar gemacht werden konnte. Bei ihren Magazi­nen, wo die Atlantier ihre Fahrzeuge hatten, da hatten sie riesige Samenmengen lagern, so wie wir heute Kohlenlager haben. Und mit der darin aufgespeicherten Kraft bewegten sie ihre Fahrzeuge vor­wärts. Wenn der Hellseher zurückblickt bis in jene Zeit, so sieht er diese Fahrzeuge in der Nähe der Erde in der noch festeren Luft, der dichteren Atmosphäre, sich, mit einer Art Steuerung versehen, er­heben und bewegen. Diese lebendigen Kräfte meisterten die Atlantier. Nun ist es aber undenkbar, sich vorzustellen, daß man solche Kräfte, die in den Pflanzen sind, also seelische Kräfte, magisch verwenden kann, ohne gleichzeitig auf die Kräfte von Luft und Wasser zu wirken. Und als nun der Wille der Atlantier böse wurde und diese seelischen Kräfte zu egoistischen Zwecken verwendete, da rief er zugleich auch die Kräfte des Wassers und der Luft auf, entfesselte sie, und dadurch ging die alte Atlantis zugrunde. Die Kontinente sind entstanden durch das Zusammenwirken der Elemente und Menschen. Jetzt aber konnte der ahrimanische Einfluß allmählich so stark werden, daß der Mensch das Geistige nicht mehr sehen konnte. Er konnte hinter der physischen Materie nichts anderes mehr erkennen als das Mineralische, das Unorganische, und damit schwanden dem Menschen immer mehr die magischen Kräfte.

In dem atlantischen Zeitalter konnte der Mensch die Lebenskraft beherrschen. In der lemurischen Zeit gehörte es zu den Kräften des Menschen, die tierischen Samenkräfte zu beherrschen, und es kam so­gar dazu, daß der Mensch, der Lemurier, diese tierischen Samenkräfte

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dazu verwandte, tierische Formen in menschliche umzuwandeln. Mit jeder solchen magischen Wirkung des Menschen auf die Samenkräfte ist verbunden eine Einwirkung, eine Entfesselung der Feuerkräfte. Wenn nun solcher Wille böse wird, dann werden die schlimmsten Kräfte der schwarzen Magie entfaltet und aufgerufen. Und heute noch werden die schlimmsten Kräfte auf der Erde dadurch entfesselt, daß schwarze Magier Unfug treiben mit solchen Kräften, die im allgemei­nen der Menschheit entzogen sind. Kräfte sind das, gewaltige und heilige, die in den weisen Händen würdiger Lenker zum höchsten und reinsten Dienste der Menschheit verwendet werden können.

Der Mensch verliert jetzt allmählich die Fähigkeit, seinen Leib zu formen. Knorpel und Knochen, die harten Teile gliedern sich ein, und immer ähnlicher wurde der Mensch seiner heutigen Gestalt. Das vor­her Geschilderte geschah erst in der atlantischen Zeit. Es ist daher begreiflich, daß für den Forscher der alte Atlantier nicht zu finden ist. Auch die Hoffnung der Gelehrten, Spuren solcher alten Zeiten mensch­licher Entwickelung doch noch zu finden, wird sich nie erfüllen, denn der Mensch war damals ein Wesen, dessen Teile stofflich noch weich waren. Solch ein Körper kann sich nicht erhalten, ebensowenig wie von den heutigen Weichtieren nach hundert Jahren noch etwas zu finden sein wird. Tierüberreste sind noch aus solchen alten Perioden zu finden, denn die Tiere waren ja schon verhärtet, als der Mensch noch weich war. Die Tiere sind zu früh in die Materie gestiegen, sie haben nicht warten können. Aus den frühesten Menschengestalten, die zu früh physisch geworden sind, sind die verkümmertsten Men­schenbildungen entstanden. Die edelsten sind am längsten oben geblieben, weich geblieben; sie haben gewartet, bis sie nicht mehr in eine Zeit gefallen sind, wo sie auf einer Verhärtungsstufe hätten ste­henbleiben müssen, wie dies bei den Tieren der Fall war. Die Tiere sind auf einer versteiften, verhärteten Stufe stehengeblieben, weil sie nicht haben warten können.

Wir haben die Erdenentwickelung beschrieben bis dahin, wo die Kräfte des Wassers entfesselt wurden und die alte Atlantis zugrunde ging. Die Menschen, die sich von der Atlantis retteten, zogen einer­seits nach Amerika, andererseits nach dem heutigen Europa, Asien

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und Afrika. Diese Wanderungen, große Wanderzüge, fanden statt, nahmen lange Zeiträume in Anspruch.

Nun wollen wir uns noch einmal anschauen die alte atlantische Kul­tur. In der ältesten atlantischen Zeit hatte der Mensch starke magische Kräfte. Mit denen beherrschte er die Samenkräfte, beherrschte die Naturkräfte und konnte in einer gewissen Weise noch hineinschauen in die geistige Welt. Allmählich war dann das Hellsehen eingeschlum­mert, denn die Menschen sollten ja die Erdenkultur begründen; sie sollten wirklich auf die Erde heruntersteigen. So gab es am Ende der Atlantis zweierlei Arten von Menschen innerhalb all der Völker und Rassen: erstens Hellseher, große Magier, die auf der Höhe der atlan­tischen Kultur standen, und die durch magische Kräfte wirken und hineinschauen konnten in die geistige Welt. Daneben gab es solche, die sich vorbereiteten, die heutige Menschheit zu begründen. Sie hat ten schon die Anlagen zu den Fähigkeiten des heutigen Menschen. Sie konnten gar nichts mehr bewirken im Sinne des alten Atlantiers, aber sie bereiteten die Intelligenz, die Urteilskraft vor. Sie besaßen die Anfänge des Rechnens, des Zählens, des Kombinierens und so weiter. Sie waren diejenigen, welche die heutige Intelligenz entwickelten, aber die magischen Kräfte, welche die alten atlantischen Magier verwende­ten in der Zeit, wo ihre Anwendung schon gefährlich war wegen des großen ahrimanischen Einflusses, nicht mehr gebrauchten. Sie waren die «Anderen», die Verachteten, etwa wie die heutigen Theosophen, die sich in kleinen Konventikeln vereinen, oder wie die ersten Christen im alten Rom, die in Katakomben zusammenkamen.

Nun gab es in der Atlantis auch mächtige leitende Kultur- und Kultusstätten - wir wollen sie die atlantischen Orakel nennen -, in denen gepflegt wurde, was man die atlantische Weisheit nennt. Nach den Seelen der Menschen, die ja verschieden waren, da sie von den verschiedenen Himmelskörpern heruntergestiegen sind, mußte es auch verschiedene Orakelstätten geben für die andersgearteten Men­schen. Es gab ein Marsorakel, ein Jupiterorakel, ein Venusorakel und so weiter. Solche Orakel gab es. Sie waren führende Kultstätten, in denen die Eingeweihten, die Weisen bis zu einer gewissen Höhe, die Marsrasse, die Jupiterrasse und so weiter lenkten und leiteten. Alle

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diese Orakel wurden aber wieder geleitet von einem mächtigeren Orakel, dem Sonnenorakel. Das war die leitende Mysterienstätte, von der die Kultur für die andern ausging. Daneben wurden alle Marsmenschen geleitet von der Stätte, wo der Eingeweihte des Marsorakels mit seinen Schülern lebte; alle Merkurseelen vom Merkurorakel aus, alle Jupiterseelen vom Jupiterorakel aus und so weiter. Alle diese Orakelstätten aber unterstanden dem großen Eingeweihten des Sonnenorakels.

Dieser große Führer des Sonnenorakels nun, der größte Einge­weihte der Atlantis, er lenkte seine Aufmerksamkeit überall auf jene Schichten von Menschen, die sich von der landläufigen Bevölkerung in der alten Atlantis unterschieden. Das waren schlichte Leute, die gar keine magischen Kräfte mehr besaßen; sie sammelte der große Ein­geweihte, jene Verachteten, welche die neuen Fähigkeiten, wenn auch nur primitiv, in sich entwickelt hatten, von denen Verständnis für die neue Zeit zu erwarten war. Das gute Material für die Zukunft nahm er, dazu auch diejenigen alten Eingeweihten oder Magier, die nicht egoistisch an den alten Formen hängen blieben. Wir können unsere heutige Zeit, die ein ähnliches Bild bietet wie jene dazumal in der Atilantis, mit der damaligen Zeit vergleichen. Auch heute gibt es einerseits die Tonangebenden in der herrschenden ausgebreiteten Kul­tur, die in ihrer Art Magier sind, die nur mit dem Unorganischen arbeiten, andererseits gibt es die Verachteten, die für die Zukunft arbeiten wollen, auch heute. Damals, auf der Atlantis, schauten die Angehörigen ihrer Kultur, die alten Magier, auch mit Verachtung auf die kleine Zahl derer herab, welche die neue Fähigkeit in sich entwickelt hatten, eine Fähigkeit, die ja auf der alten Atlantis zu nichts zu gebrauchen war. Nur der große Eingeweihte des Sonnenorakels verachtete sie nicht. Und so schauen heute die großen Träger unserer Kultur auf ein kleines Häuflein von Menschen herab, auf die Theosophen, die da in kleinen Konventikeln zusammenkommen und allerlei verrücktes Zeug treiben, die im allgemeinen Laien sind und die Zukunft heraufführen sollen. Sie sind es, sind die Leute, die heute eine Fähigkeit in sich entwickeln und vorbereiten, die den andern nutzlos erscheint, die aber geeignet ist, aus der Ahnung der Zukunft

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heraus wieder einen Zusammenhang mit der geistigen, der spirituel­len Welt zu schaffen. Damals auf der Atlantis galt es, den Zusammehang mit der physischen Welt, dem Sinnlichen zu finden, heute ist die Aufgabe, daß das Geistige, das Spirituelle wiedergefunden werde. Und so wie damals der alte Eingeweihte örtlich seine Schar sammelte, seinen Ruf ergehen ließ an die Verachteten, die Schlichten, so ergeht heute wiederum, unter andern Bedingungen, nicht lokal, ein Ruf von den großen Meistern der Weisheit, die ein gewisses spirituelles Gut von Weisheit hineinfließen lassen in die Menschheit. Und diejenigen folgen diesem Ruf, die in einer gewissen Weise dazu veranlagt sind, wie es damals jene waren, welche die primitiven Eigenschaften des Rechnens, des Zählens und so weiter in sich veranlagt hatten. Nicht bloß, um mit dem Verstande theosophische Dogmen zu begreifen, werden diese Lehren erteilt, sondern um mit dem Herzen sie zu er­fassen. Dadurch erhält man dann die Kraft, zu wissen, warum Theosophie heute da ist. Sie ist da, um einer großen Forderung der Menschheitsentwickelung zu entsprechen. Und wer das weiß, der findet auch die Kraft, die Widerstände zu besiegen, was auch kommen möge; er geht seine Bahn, weil er weiß, daß das geschehen muß, was geschehen soll durch die Theosophie zur Weiterentwickelung der Menschheit auf dem spirituellen Pfade.

Der große Eingeweihte des Sonnenorakels führte das kleine Häuf­lein und bildete in Asien eine Art Kulturzentrum. Er zog sich diese Menschen in einer gewissen Beziehung so heran, daß sie die nachatlantische Kultur begründen konnten. Bei den großen Wanderzügen war alles das, was auf der Atlantis entstanden war, zusammengewürfelt worden, durcheinandergemischt. Man sollte daher in der nachatlantischen Zeit nicht mehr von Rassen sprechen, sondern von Kulturen.

Nun wollen wir die in der nachatlantischen Zeit aufeinanderfolgen­den Kulturen betrachten. Die erste Kultur ist die uralt indische. Ein merkwürdiges Völkergemisch hatte sich nach der atlantischen Katastrophe da herübergerettet und zusammengefunden im uralten Indien. Die Menschen, die dort lebten, sie hatten noch die tiefste, die eminen­teste Sehnsucht nach der geistigen Welt, von der sie wußten, daß sie aus ihr herausgeboren sind und daß sie nun sie verloren haben. Dorthin

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sendet der große Eingeweihte des Sonnenorakels die sieben heili­gen Rishis. Lebendig empfand der Inder mit schmerzlicher Sehn­sucht: unwahr ist die Sinneswelt, wahr allein ist die Welt, aus der wir heruntergestiegen sind, die geistige Welt. Leicht ward es daher den heiligen Rishis, das, was sie zu sagen hatten von der Urweltweisheit, von den Mysterien, denen zu lehren, die die Sehnsucht nach der geistigen Welt noch in sich hatten. Maja oder Illusion, die große Täu­schung, war den alten Indern die sinnliche Welt.

Schon ein anderer Geist war es, der da waltete in der zweiten nachatlantischen Kultur, in der uralt persischen. Westliches Denken und westliche Forschung im Physischen lernt erkennen, daß dieses Physi­sche, diese wundervoll nach so harmonischen Gesetzen aufgebaute Welt es wert ist, sie mit dem Geiste zu durchdringen. Solch ein Volk, dem dafür eine Ahnung aufging, war das Volk des Zarathustra. Wer dieses uralt persische Volk kennt, der wird genau unterscheiden können zwischen diesem Volke und dem Volke der Inder. Maja, Illusion war diesen alles, was sie umgab; wahr und erstrebenswert war ihnen nur die geistige Welt, nur sie durchdrungen von dem höchsten Selbst. Erobern konnte man mit solcher Gesinnung nicht die physische Welt. Das war erst möglich mit der Kultur des Zarathustra, dem großen Schüler des großen Eingeweihten des Sonnenorakels. Er wußte und lehrte, daß das Äußere nicht Maja, sondern der Ausdruck eines Göttlich-Geistigen ist, daß dahinter dasjenige ruht, was Ahriman dem Menschen verdeckt hatte. Dieses, was da hinter der Sinneswelt liegt, das sollte enthüllt werden. Dahin wirkt der Zarathustra: im Sinnlichen den Geist zu finden. Das ist seine Mission. In Ormuzd und Ahriman stehen sich Licht und Finsternis gegenüber.

In der dritten Epoche, der ägyptisch-chaldäisch-assyrisch-babylonischen, da hat der Mensch schon mehr den Anschluß an die physische Welt gefunden. In der gewaltigen Sternenschrift des Firmaments, da sieht er die Taten, die Weisheit der Götter eingegraben, und er lenkt den Blick hinauf und sucht sie zu verstehen, zu ergründen. Die wun­derbare Sternenweisheit der chaldäischen Priesterweisen ist ein Denk­mal dafür.

Die vierte Kultur, die griechisch-römische, sie führt den Menschen

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vollends herab auf den physischen Plan. So lieb hat er ihn jetzt gewonnen, daß er ganz vergessen hat, woher er gekommen ist. Das Verständnis für die geistige Welt ist ihm verlorengegangen. Tief zeigt dieses der Ausspruch des griechischen Helden Achilles: Lieber ein Bettler in der Oberwelt als ein König im Reiche der Schatten. - Die wundervolle Plastik der Griechen und der römische Bürger sind die charakteristischen Merkmale dieser Kultur. Die fünfte Kultur ist die unsrige. Der Materialismus und das Warenhaus drücken ihr einen gewissen Stempel auf.

Der Sinn all dieser Kulturen ist ja der, daß immer mehr und mehr vom Menschen der physische Plan erobert wird, und zwei Strömun­gen, zwei Grundstimmungen kommen da zum Ausdruck in den Kul­turen, die sich bis heute erhalten haben. Es stehen sich heute gegen­über die östliche und die westliche Welt, ihre Anschauungen und Ge­fühlsströmungen. Maja oder Illusion nennt die östliche Welt den phy­sischen Plan, und sie will sich nicht mit ihm verquicken in ihrem Denken, in ihrem Handeln und ihrem Gefühlsleben. Hineinarbeiten in diese Sinnenwelt, Hand an sie anlegen, das ist der Grundsatz der westlichen Weltanschauung. Äußerlich mag es daher zu einer Kolli­sion kommen, jede aber hat ihre volle Berechtigung. Möge die west­liche in die äußere Kultur hineinarbeiten und so die Kräfte der Seele entfalten, und möge die östliche ihren Weg gehen: der Gipfel führt sie beide zusammen.

So haben wir den Inder, der ein Leben geistig in sich führt, abgewandt von der äußeren sinnlichen Welt, und den Perser, der etwas Feindliches in der Materie noch sieht, aber schon in sie den Geist hin­einarbeitet. Wir haben den Ägypter, der ihre Gesetze studiert, den Chaldäer, der in dem Gang der Sterne die Handschrift des Gottes im Raume sieht, der die Sternenweisheit als Ausdruck der göttlich-geisti­gen Wesenheiten verehrt. Vor uns steht der Grieche, der das Ideal der Schönheit und Vollkommenheit dessen, was die Natur geschaffen hat, dem Stoffe selbst einzuprägen verstanden hat; mit ihm die Zeit, wo wir die Ehe zwischen dem Geiste und der Materie in den physischen Wunderwerken der Kunst bestaunen können. Ein tiefer okkulter Hin­tergrund ist hier zu erwähnen. Betrachten Sie den griechischen Tempel

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in seiner herrlichen Reinheit und Schöne: der Gott wohnt wirk­lich darinnen. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen Werken der Architektonik und Plastik und denen anderer Kulturepochen ist der, daß der griechische Tempel in seiner reinen Form schon vom rein architektonischen, künstlerischen Standpunkte aus so hoch in der Vollkommenheit der Linien steht, daß nichts ihn erreichen kann. Vertieft sich die Seele darein - in den Ruinen des Tempels von Paestum können Sie das noch wahrnehmen -, betrachtet sie einen dorischen Tempel, einen ionischen, und hat sie etwas von dem in sich, was man Raumbewußtsein nennt, so spürt sie, wie diese Linien förmlich in den Raum hineingegossen sind. Sie wissen, daß gewisse Strömungen im Raum vorhanden sind. Die Notwendigkeit dieser Strömungen benutzend, sie physisch darstellend, erbildet sich der griechische Tem­pel. Das, was er schon im Raume findet, das schafft der Grieche im Raum. Beim griechischen Tempel ist die Hauptsache, daß der Gott selbst darinnen ist; zum gotischen Dom gehört die gläubige Ge­meinde. Der griechische Tempel ist ein Ganzes an sich, der gotische Dom mit seinen Spitzbogenfenstern ist nur denkbar mit der Gemeinde, deren andächtig gefaltete Hände seine Formen widerspiegeln und mit ihm zusammen ein Ganzes bilden. In dem griechischen Tempel war wirklich die Geistigkeit darinnen, er gab den Geistwesen eine Ge­legenheit, daß sie heruntersteigen und darin Wohnung nehmen konnten.

Aber in dieser Zeit, die es so sehr verstanden hat, die Erde mit sol­chen Wunderwerken zu schmücken, da verloren die Menschen immer mehr den Zusammenhang mit der geistigen Welt. Licht und hell war es in der physischen Welt für den Menschen, aber wenn er durch den Tod ging, dann war es in der geistigen Welt für ihn zur Zeit der grie­chisch-lateinischen Kultur öde und kalt und finster. Erobert hatte sich der Mensch die physische Welt in der nachatlantischen Zeit, aber in der geistigen Welt war es für ihn traurig und trübe, und auch die Eingeweihten, die ja hier wie dort Lehrer der Menschheit sind, sie konn­ten keinen Trost bringen. Denn wenn sie denen, die in dem Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt waren, von dem erzähl­ten, was in der physischen Welt geschah, so wurden sie ja, jene Menschenseelen,

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nur noch unglücklicher, denn sie hingen ja mit allen Fasern ihrer Seele an dieser sinnlichen Welt, die ihnen nun genommen war. Eine Änderung ist auch hier eingetreten durch das Ereignis von Golgatha und die Erscheinung des Christus Jesus auf der Erde. Er stieg nach seinem Tode am Kreuze in die Unterwelt hinab - man nennt das die Höllenfahrt - und er verkündete auch denen, die nicht mehr im physischen Leibe lebten, daß das Leben wirklich den Tod besiegt hat. Dadurch war den Seelen wieder die Möglichkeit des Auf­stiegs in der geistigen Welt gegeben.

Neunter Vortrag, Budapest, 11. Juni 1909 Das Erleben des Menschen nach dem Tode

Öfters schon haben wir betont, wie die Gegenwart uns am besten verständlich werden kann aus der Vergangenheit und ihren Geschehnissen heraus, und auch das Charakteristische unserer spirituellen Zu­kunftsideale werden wir am leichtesten dadurch finden und erfassen lernen, daß wir zurückblicken in alte, längst verflossene Zeiten. Heute wollen wir daher hinweisen auf das, was nach dem Untergang der alten Atlantis sich herausgebildet hat, und dabei wollen wir uns mit dem beschäftigen, was der Mensch in der Zeit nach dem Tode erlebt hat.

Der Zustand der Seele zwischen dem Tode und einer neuen Geburt war nämlich nicht immer der gleiche, auch er hat sich im Laufe der Menschheitsentwickelung geändert. Während der vier großen Kulturepochen, der uralt indischen, derjenigen der heiligen Rishis, der ur­persischen, der Zarathustra-Kultur, der ägyptisch-chaldäischen, der griechisch-lateinischen und unserer Gegenwart, verband sich der Mensch immer enger mit dem physischen Plan, gewann ihn immer lieber. In jedem solchen Zeitraume stieg sozusagen die Menschenseele immer tiefer in die sinnliche Welt hinab. Je mehr Verständnis der Mensch für diese Welt hatte, desto fremder wurde ihm die geistige Welt nach dem Tode. Am meisten war dies der Fall in der griechisch-lateinischen

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Kultur. Lieb hatten sie die physische Welt, dieses sinn­liche Dasein, die Griechen, weil sie in ihrer wunderbaren Kunst, in dieser herrlichen Verschönerung des physischen Daseins, ihre ganze Seele ausleben konnten. Dem Römer war diese Welt lieb, weil er in der Entdeckung des Ich das Gefühl der eigenen Persönlichkeit voll in sich entwickeln konnte. Der Begriff des römischen Bürgers und das römische Recht sind Marksteine dieser Kulturepoche. Heimisch fühlt sich der Römer in dieser physisch-sinnlichen Welt. Erst seit dieser Zeit entstehen die Rechtsbegriffe, so daß man mit Recht spricht von dem Heraufkommen der Jurisprudenz im Römischen Reiche, sie ist das Zeichen der Verehrung der Einzelpersönlichkeit. Und der Tod wurde das große Unbekannte, das Furcht einflößte. Der Ausspruch des Achilles: Lieber ein Bettler sein in der Oberwelt, als ein König im Reiche der Schatten -, er bezeichnet am besten die damalige Auffas­sung des Zustandes der Seelen während des Lebens nach dem Tode. Es entspricht dem Erlebnis der Seele in der geistigen Welt. Je mehr diese Seelen ihre ganzen Fähigkeiten auslebten im Reich des Irdischen, desto mehr schwand ihnen das Vermögen, sich in der geistigen Welt nach dem Tode zurechtzufinden. Die Seele fühlte sich einsam in den Welten, die sie nun betrat. Auch im Geistgebiet hatte sie das Gefühl, daß es finster um sie herum sei, leer und kalt. Es fehlte ihr die Fähig­keit, mitzuerleben das Geistige der jenseitigen Welt. Auch die großen Führer der Menschheit, die Eingeweihten, auch sie konnten diesen Zustand nicht ändern, sie, die ja nicht nur hier auf Erden die Lehrer der Menschen sind, sondern auch drüben in den jenseitigen Welten. Wenn sie den Toten etwas von der diesseitigen Welt erzählten, so empfanden diese dann gerade doppelt schmerzlich, daß sie die physische Welt entbehren mußten, die sie so lieb gewonnen hatten. Sie konnten also den Toten nichts hinübertragen, was diesen etwas gab, was ihnen wertvoll war, und so sehnten sich diese alle nach der Wiederverkörperung. Der Mensch fühlte sich wie abgeschlossen von sei­nen Brüdern, er fühlte selbst im Geistgebiet sich verlassen. Wäre das so geblieben, dann wäre auch auf der Erde die Liebe und die Brüderlichkeit immer mehr verschwunden. Denn das Verweilen im Geistgebiet hätte für die Seelen nichts anderes bewirkt, als daß sie als Anlage

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sich von dort mit ins sinnlich-physische Dasein den Egoismus gebracht hätten, das Leben in dem eigenen Selbst.

Wenn in der uralt indischen Zeit der Mensch die irdische Welt noch als Maja betrachtete, so wurde die Sache anders im Laufe der Ent­wickelung. Zarathustra wies schon darauf hin, daß der Mensch auch in der physischen Welt wiederfinden könne das Geistige. Er eröffnete jenen Weg, durch den die Völker einsehen sollten, daß in dem äuße­ren Sonnenlichtleib nur gegeben ist der äußere Leib eines hohen gei­stigen Wesens, welches er - im Gegensatz zu der kleinen menschlichen Aura - die große Aura, Ahura Mazdao nannte. Er wollte damit an­deuten, daß dieses zwar jetzt noch weit entfernte Wesen einstmals heruntersteigen würde auf die Erde, um innerhalb der Menschheits­geschichte sich substantiell mit der Erde zu vereinigen und im Menschheitswerden weiterzuwirken. Damit wurde für diese Menschen von Zarathustra auf dieselbe Wesenheit hingewiesen, die später in der Geschichte als der Christus lebte. Wenn ihr allmählich verstehen lernt, sagte er zu seinen Schülern, daß in allem Physisch-Sinnlichen das Gei­stige drinnen ist, daß das Physische durchdrungen ist von der großen Sonnenaura, von Ahura Mazdao, dann wird euch Ahriman nicht mehr verführen.

Zu andern Zeiten sprach der Zarathustra: So groß und so mächtig ist der, der sich mir in der Sonne geoffenbart hat, daß ich alles für ihn dahingehe. Gerne opfere ich ihm meines Leibes Leben, meiner Sinne ätherisches Sein, den Ausdruck meiner Taten - den Astralleib.

Das war das Gelöbnis, das einstens der große Zarathustra getan. Er wies seine Schüler darauf hin, daß der große Sonnengeist in der Erde selber, in ihren Tatsachen sich unmittelbar offenbaren werde. So macht Zarathustra den Anfang mit der Lehre, die im Sinnlichen nur die Physiognomie, den Ausdruck des Geistigen sieht.

Dann kam die Zeit, wo diese selbe Wesenheit, die der Zarathustra verkündigt hatte, sich dem Moses im brennenden Dornbusch und auf dem Sinai geoffenbart hat. Moses lehrt nun, daß diese Sonnenwesen­heit zugleich die Ich-Wesenheit ist, das Höchste, was der Mensch in sich aufnehmen könne. Aber nicht nur im Menschen ist ein Tropfen des Sonnengeistes hineingesenkt, sondern auch in allem draußen in

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der Natur, in den Elementen, überall. Dieselbe Gottheit, die sich dem Moses offenbarte in dem Namen «Ich bin der Ich-bin», das, was sich dem Zarathustra einstmals geoffenbart hat als Ahura Mazdao, als das Innerste, Intimste, als der Urgrund alles Wesens, das war damit einem ganzen Volke verkündet als der Höchste, dessen Name unaus­sprechlich war, nur im Allerheiligsten vom Priester ausgesprochen werden durfte. Die Gottheit, die im Menschen lebt, nicht nur sich offenbarte im Wesen der Elemente, im Aufblitzen des Feuers, die wird hier verkündigt.

In Zarathustra können wir so den Vorherverkünder des Jahve sehen, derselben Wesenheit, die im Beginne unserer Zeitrechnung in dem Leibe des Jesus von Nazareth gewohnt hat und drei Jahre darin­nen blieb. Es ist derselbe Gott, den Moses und Zarathustra verkün­digt haben.

«Wie werdet ihr mir glauben, so ihr Moses und den Propheten nicht geglaubt habt», sagt Christus. Damit bestätigt der Christus, daß das Alte Testament denselben Gott vorherverkündigt hat, nur unter anderem Namen, den Christus verkündigt. Alle Ereignisse in der Welt brauchen eine gewisse Zeit, um sich auszuleben. Auf dem Sinai, im feurigen Dornbusch, war diese aus geistigen Höhen sich herab-senkende Sonnenwesenheit auf dem Punkte angelangt, daß sie sich durch die Elemente dem Menschen mitteilen konnte. Nun kam sie der Erde immer näher und näher, bei der Taufe im Jordan in die Hülle des Jesus von Nazareth, und als das Mysterium von Golgatha auf der Erde sich vollzog und das Blut aus den Wunden des Erlösers floß, da war das nicht nur der Ausdruck eines großen kosmischen Er­eignisses, sondern auch des größten irdischen Ereignisses: der Chri­stus zog als Geist der Erde in die Erdenaura ein. Ein neuer Einschlag war geschehen. Hellseherisch war das so zu verfolgen, daß in diesem Augenblick die Erdenaura sich veränderte, daß sie ganz bestimmte Farben zeigte. Neue Farben traten auf in ihr, neue Kräfte wurden ihr einverleibt. In dem Augenblick, da das Blut aus den Wunden des Er­lösers auf Golgatha geflossen war, das Blut, das der physische Aus­druck des Ich ist, da verband sich das Ich des Christus mit der Erde, es war aber auch der Augenblick gekommen, wo es anfangen konnte

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anders zu werden in der geistigen Welt für die Seelen nach dem Tode. Dies ist der Sinn der Höllenfahrt Christi.

Wer vor dem Ereignis von Golgatha hellsehend war, der hätte in der Erdenaura das nicht gesehen, was später darin wahrgenommen werden konnte, als der Christus Jesus auf Golgatha durch den Tod geschritten war. Betrachten wir das Ereignis von Damaskus: Saulus, der als Eingeweihter der jüdischen Mysterien sehr wohl wußte, daß die große Aura - Ahura Mazdao - sich einst mit der Erde verbinden werde, er weigerte sich zu glauben, daß diese Wesenheit auf dem schimpflichen Kreuze geendet haben könnte. Trotzdem er die Ge­schehnisse in Palästina miterlebte, glaubte er nicht, daß in dem Jesus von Nazareth dieser große Geist auf der Erde geweilt habe. Erst als er vor den Toren von Damaskus hellseherisch wurde, da sah er in der Erdenaura den Christus-Geist, den lebendigen Christus, den man frü­her darin nicht sehen konnte. Da sagte er sich: Ja, das, was voraus­gesagt ist, daß die Erdenaura sich ändern wird, das ist jetzt eingetre­ten! - und aus dem Saulus wurde ein Paulus. Eine Frühgebutt nennt sich der Paulus selbst, die durch Gnade helisehend geworden ist; eine Frühgeburt, weil noch nicht ganz ausgereift, nicht so tief in die Materie heruntergestiegen und weniger fest mit dem physischen Leibe verbunden. Wer den Gang des Christentums verfolgt, der weiß, daß Paulus die wichtigste Persönlichkeit ist, die am meisten zu dessen Ausbreitung beigetragen hat. Eine okkulte Tatsache, ein übersinn­liches Ereignis also war es, das den Paulus bekehrt hat, und man kann sagen, durch dieses hellseherische Ereignis ist die Menschheit zu Christus gekommen. Damals, als sich die Erdenaura veränderte - und sie ist seither verändert -, als das Blut aus den Wunden des Erlösers floß, damals vollzog sich das, was hineingeheimnißt Ist in die Worte des Johannes-Evangeliums: «Der mein Brot isset, der tritt mich mit Füßen.» Der Christus ist seither der Geist der Erde, der planetarische Geist geworden. Die Erde ist der Leib des Christus; er hat seinen Wohnplatz im Innern der Erde. Nicht nur abfällig oder als ein Hin­weis auf den Judas, der den Christus verrät, ist dieser tiefe Ausspruch des Johannes-Evangeliums aufzufassen, sondern er ist auf die Christus­ Jahve-Gottheit und ihr Verhältnis zur Erde zu beziehen.

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Der okkulte Forscher findet, wenn er die Kunst der Griechen und die nachchristliche Kunst vergleicht, in ihrer Wirkung auf jene Welt, die der Mensch nach dem Tode betritt, noch folgendes: Wenn der Hellseher zum Beispiel einen griechischen Tempel mit seinen dori­schen Säulen, etwa die Ruinen von Paestum, mit dem sinnlichen Auge betrachtet, so kann er schwelgen in den harmonischen Formen, die aus den geistigen Richtlinien selbst herausgeboren sind und die da­durch wirklich diesen Tempel zu einem Wohnort des Gottes machen. Wie eine Seele sich hingezogen fühlt zu dem Leibe, der ihr entspricht, so steigt der Gott nieder in diese Formen, die so vollkommen seinem Wesen entsprechen. Wenn aber dann das Seherauge hinblicken will auf das geistige Gegenbild dieses Tempels, dann findet er davon nichts in der geistigen Welt. Wie ausgelöscht ist dort dieser Tempel, wie ausgespart ist der Raum in der geistigen Welt, nichts ist von ihm dort zu sehen. Betrachtet dagegen im gleichen Sinne der Seher die Werke der nachchrisdichen Kunst oder zum Beispiel das Johannes-Evangelium, das, was mit dem Christus-Jahve zusammenhängt, das Alte und das Neue Testament, oder Raffaels Madonnen, betrachtet er diese Schöp­fungen erst sinnlich und dann hellsehend, so sind sie in der geistigen Welt nicht verloren, sondern leuchten dort noch viel herrlicher auf Ganz besonders mit dem Johannes-Evangelium ist es so. Da erst geht Ihnen die Größe dieser Schöpfung auf Hell und klar wird Ihnen erst in der geistigen Welt das, was als zusammenhängend mit dem Ereig­nis von Golgatha bezeichnet werden kann.

Gleichzeitig mit dem historischen Ereignis auf dem physischen Plan geschah etwas Spirituelles, das zugleich auch ein Symbolisches war, da aus den Wunden des Erlösers das Blut floß. Als der Christus nicht mehr lebte in dem physischen Leibe des Jesus von Nazareth, in dem Augenblick, da er auf Golgatha gestorben war, erschien der Christus in der geistigen Welt den zwischen Tod und Geburt lebenden Seelen, und da wich die Finsternis dort. Wie von einem Lichte wurde plötz­lich die geistige Welt durchstrahlt. Wie in einem dunklen Raum die Gegenstände alle plötzlich sichtbar werden, wenn ein Lichtstrahl hereindringt, wie Sie plötzlich alles das sehen, was ja immer vorhanden war, was Sie aber vorher nicht wahrnehmen konnten, so ergoß sich

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das Licht in jene Welt der Abgeschiedenen. Und diese konnten wie­derum wahrnehmen, was um sie herum war, konnten wieder sich ver­bunden fühlen im Geistgebiet mit ihren Brüdern und konnten nun als Anlage in die physische Welt hereinbringen die Liebe und die Brü­derlichkeit. Ein neues Licht kam so hinein in diese Welt der Toten, denn das Mysterium von Golgatha hat nicht nur eine Bedeutung für die Welt, in der es sich physisch vollzogen hat, sondern es hat eine Bedeutung für alle die Welten, mit denen der Mensch in seiner Ent­wickelung es zu tun hat. Wäre es in der geistigen Welt so geblieben, wie es für die Toten in der griechisch-lateinischen Zeit war, wäre die Seele in der eisigen Kälte und Einsamkeit von damals geblieben, so ware immer mehr in der physischen Welt das verschwunden, was man Brüderlichkeit und Liebe nennt. Es hätte der Mensch aus dem Devachan mitgebracht den Hang zur Abgeschlossenheit. Denn das Licht, das damals hineinströmte in die irdische Welt und das auch hineingeleuchtet hat in die Welt der Toten, das soll das Reich der Brüderlichkeit und der Liebe auf der Erde begründen. Das ist die Mission des Christus-Impulses.

Nun wollen wir uns noch von einer andern Seite her das Mysterium von Golgatha, das Geheimnis des aus den Wunden des Erlösers flie­ßenden Blutes, klarmachen.

Wir wissen, daß der Mensch auf der Erde vom Monde her eine Erbschaft angetreten hat. Die drei niederen Leiber, physischer Leib, Äther- und Astralleib waren ihm zubereitet, und erst auf der Erde kam das Ich dazu, der Ausdruck der menschlichen Freiheit und Selb­ständigkeit. Wichtig war es in alten Zeiten, zu begründen die Zu­sammengehörigkeit der Menschheit. Es geschah anfangs so, daß nur gerettet wurden die Beziehungen von Mensch zu Mensch dadurch, daß man ihnen eine physische Grundlage gab. Das Blut, es ist der Ausdruck des Ich. Die Blutsverwandtschaft und die Blutsbande be­herrschten das Menschengeschlecht. Das physische Blut war das Mit­tel, das Medium, um von Mensch zu Mensch zu wirken. So war es in alten Zeiten. Nun ist aber durch den Christus Jesus die Liebe zu einem unsinnlichen Band geworden. Das Wirken des menschlichen Gruppen-Ichs tritt zurück. Früher gehörte der einzelne Mensch zu

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einem gemeinschaftlichen Stammes-Ich, und er fühlte sich darin ge­borgen, im Schoße des Vaters Abraham. Viel wichtiger war diese Zu­sammengehörigkeit als seine individuelle Person. In der Zusammen­gehörigkeit der Blutsverwandtschaft besteht sein höheres Selbst. Wir hören im Alten Testament von Noah und andern Stammvätern, daß sie jahrhundertelang lebten. Das ist so zu nehmen, daß wir da in Zei­ten zurückgeführt werden, in denen der Mensch nicht nur ein Ge­dächtnis für das hatte, was er selbst erlebte, sondern wo dieses weit hinauf in die Generationen zurückging. Er sagte nicht «Ich» zu sich, sondern er lebte wie in seinem Ich bis zu den fernliegenden Urahnen hin. Sein Leben fing nicht an bei seiner Geburt, er fing nicht da an, zu sich Ich zu sagen, sondern er sagte Ich zu alledem, was seine Ahnen erlebt hatten.

Gegen die Blutsliebe führten in allen Zeiten die luziferischen Wesenheiten ihre allerschärfsten Angriffe. Sie wollten jeden einzelnen Menschen auf sich selbst stellen. Das Selbstbewußtsein, das wollten sie den Menschen einimpfen zwischen dem Tod und einer neuen Ge­burt. Göttliche Wesenheiten, Träger der Liebe, trachteten den Men­schen mit dem Menschen in Liebe zusammenzubringen durch andere Bande als die Blutsbande, die nicht mit der Freiheit rechnen. Das Christus-Prinzip verbindet mit der vollen Ausprägung des Ich die dem Geist der Liebe entströmende Kraft und läßt sie walten von Mensch zu Mensch. Daher heißt ein Ausspruch: Christus verus Luci­ferus - Christus der wahre Luzifer oder Lichtbringer, und zuletzt der Gegner des gefallenen Luzifer. Die Blutsliebe wurde umgewandelt durch den Christus in die geistige Liebe, in die strömende Bruderliebe von Seele zu Seele. Der Ausspruch des Christus: Wer nicht verlässet Vater und Mutter, der kann nicht mein Jünger sein - ist so zu ver­stehen, daß die Blutsliebe sich umwandeln muß in die Bruderliebe, die alle Menschen mit gleicher Kraft umfaßt. Nichts wegnehmen will die Geisteswissenschaft von all diesen Aussprüchen der Bibel, sondern hinzufügen kann sie nur ein tieferes Verständnis der christlichen Gnade, wenn sie im rechten Sinne entgegengenommen wird. Die Kraft der geistigen Liebe, die hat der Christus der Menschenseele zu­erst gebracht bei seinem Erscheinen auf der Erde, und mit dem Blute,

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das auf Golgatha aus den Wunden des Erlösers floß, war sozusagen das überschüssige Blut der Menschheit geopfert worden, durch die Tat war die Lehre besiegelt worden, daß das Individuum dem Indi­viduum als Menschenbruder dem Menschenbruder gegenüberzuste­hen hat. Das Christus-Verständnis ist heute noch sehr klein in der Welt. Man muß erst lernen, die ganze Größe dieses gewaltigsten kos­mischen Ereignisses zu verstehen. Geahnt haben immer einige die ganze Bedeutung des Christus-Wesens und seines Erscheinens auf der Erde. Wie haben sie es geahnt? Schauen Sie hin auf die Menschen und Völker, die länger aufrechterhalten haben den Zusammenhang mit der geistigen Welt. Der Inder, er machte sich nicht viel aus dem Zu­sammenhang mit der physischen Welt. Übersinnliche Wahrheiten und höchstes spirituelles Leben wollte er sich erringen in der geistigen Welt, aber nicht lieb gewinnen wollte er das physische Leben. Eine morgenländische Sage lassen Sie mich Ihnen erzählen, die in grandioser Weise darauf hinweist, wie das Christus-Prinzip ahnend dort er­faßt worden ist.

Im Laufe der Zeit - so heißt es - erschien die Macht, die unsere Erde lenkt. Eine morgenländische Sage, die darüber berichtet, wurde in den Tempeln Tibets, in dessen nördlichen Teilen, dem Schüler der Urweltweisheit des Buddha erzählt und hat sich seither bewahrt. Kashyapa, so berichtet die morgenländische Legende, der beste Schüler des Buddha, lebte in einer Zeit, in der wenig Verständnis selbst im Osten für die Weisheit zu finden war. Und als er herannahen fühlte sein Ende, zog er sich zurück in eine Höhle; dort lebte er lange Zeit, und sein Leichnam sollte dort aufbewahrt bleiben und harren des Er­scheinens des Maitreya-Buddha, um dann zum Himmel aufsteigen zu können.

Diese Legende will sagen: Wenn nichts Besonderes eingetreten wäre, das heißt, wenn der Christus nicht auf der Erde erschienen wäre, so hatte das Morgen- und das Abendland nicht mehr finden können den Weg in die geistige Welt. Der Leib des Kashyapa wird aufbewahrt, bis der Maitreya-Buddha befreien wird den Leichnam von der Erde, das heißt, der Mensch wird wieder Kräfte haben in der Zu­kunft, wonach das, was irdisch ist, vergeistigt werden kann. Tiefer als

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jemals eine solche Wesenheit heruntergestiegen ist, wird die hohe Wesenheit herabsteigen, die des Kashyapa Leib hinaufführt in die geistige Welt. Der Christus selber befreit den Leib des Kashyapa. Und in der Zeit, die diesem Ereignis folgt, ist der Leib nicht mehr da. Was heißt das? Der Leib ist zugleich in die spirituelle Welt übergeführt. Im Elemente des Feuers kann der Leib des Kashyapa befreit werden. Wo ist dies Feuer? Vergeistigt ist es, als es der Paulus vor Damaskus sieht. So ist das Erscheinen des Christus auf der Erde der große Wendepunkt, wo der Mensch wieder hinaufsteigen kann aus der physischen Welt in die geistige Welt.

Und nun blicken Sie auf das, was der Buddha gelehrt hat. Dem Buddha ging durch die Betrachtung von Alter, Krankheit, Tod und so weiter die große Wahrheit vom Leiden auf. Und er lehrte nun die Aufhebung des Leidens, die Befreiung vom Leid durch die Auslöschung des Verlangens nach Geburt, nach sinnlicher Verkörperung.

Nun betrachten Sie die Menschheit sechshundert Jahre später. Was erkennen Sie da? Die Menschheit verehrt einen Leichnam: sie schaut auf den Christus am Kreuze, der gestorben ist und durch seinen Tod das Leben gebracht hat. Das Leben hat den Tod überwunden.

Erstens: Geboren werden ist Leiden? - Nein, denn der Christus ist durch die Geburt in unsere Erde eingetreten, fortan ist für mich, den Christen, Geborenwerden kein Leiden mehr. - Zweitens: Krankheit ist Leiden? - Aber es wird erstehen das große Heilmittel, die Seelen-kraft, die durch den Christus-Impuls entzündet worden ist. Indem der Mensch sich verbindet mit dem Christus-Impuls, vergeistigt er sein Leben. - Drittens: Alter ist Leiden? - Aber während sein Leib ge­brechlich wird, wird er selbst immer stärker und mächtiger. - Vier­tens: Tod ist Leiden? - Aber durch den Christus ist der Leichnam das Symbol geworden dafür, daß der Tod, das Physische, durch das Leben, den Geist, besiegt worden ist, daß der Tod endgültig über-wunden worden ist durch das Leben. - Fünftens: Getrenntsein von dem, was man liebt, ist Leiden? - Aber der Mensch, der den Christus erfaßt hat, ist nimmer getrennt von dem, was er liebt, denn der Chri­stus hat die Welt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt erhellt, so daß der Mensch verbunden bleibt mit dem, was er liebt. - Sechstens:

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Nicht erhalten, was man begehrt, ist Leiden? - Wer mit Christus lebt, der wird nicht mehr begehren, was ihm nicht zukommt, was nicht gegeben wird. - Siebentens: Vereint sein mit dem, was man nicht liebt, ist Leiden? - Aber der Mensch, der den Christus erkannt hat, der entfacht in sich jene große, umfassende Liebe, die jedes Wesen, jedes Ding umschließt und liebt nach seinem Werte. - Achtens: Ge­trennt sein von dem, was man liebt, ist nicht mehr Leiden, denn es gibt in Christo keine Trennung mehr.

So ist für die Krankheit des Leides, die der Buddha gelehrt und erkannt hat, durch den Christus das Heilmittel gegeben.

Diese Entwickelung der Menschheit zu Christus und dem Leich­nam am Kreuz ist der größte Umschwung, der jemals in der Evolu­tion geschah.

Zehnter Vortrag, Budapest, 12. Juni 1909 Einiges über Karma, Reinkarnation und über die Einweihung

Wir haben gesehen, wie die Atlantier mit ihrem Bewußtsein noch heimisch waren in der geistigen Welt, wie es eigentlich dort Tag für sie war und sogenannte Nacht hier in der physischen Welt. Dann haben wir das Heruntersteigen der Menschheit in die nachatlantische Zeit verfolgt durch die verschiedenen Kulturepochen hindurch bis zur griechisch-lateinischen Zeit, bis zur Erscheinung des Christus Jesus auf Erden.

Nun wollen wir noch einmal unsere Zeit betrachten, die fünfte Kulturepoche. Vermöge ihrer nur auf den physischen Plan gerichte­ten Intelligenz hat sich die heutige Menschheit weit tiefer unter das Niveau des Herabstiegs hinunterbegeben, als das in den andern gro­ßen Kulturen der Fall war. Der Materialismus trieb zu einem un­geheuren Aufwand von Verstandeskraft und Gedankenarbeit, der nur für das physische Behagen schafft. Das Typische unserer Zeit hat sich zum Beispiel herauskristallisiert in dem Warenhaus. Nur für den physischen Plan arbeitet die Kultur der Gegenwart, aber mit einem

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bisher unerreichten Raffinement. Dem Okkultisten ist es daher klar, warum gerade in unserer Zeit der Gegensatz zwischen Religion und Wissenschaft, der sich in den verschiedensten Bewegungen zum Aus­druck bringt, ein so großer, und die Kluft zwischen ihnen eine so weite ist. Ein Zwiespalt zwischen Religion und Wissenschaft - unter dem dann auch die Kunst leidet - stellt sich immer dann heraus, wenn das Niveau der Kultur heruntersinkt. Wir können das bei der gegenwärtigen Wissenschaft, die sich ganz verstrickt hat im materiel­len und abstrakten Denken, bemerken. Philosophie ist nicht etwas Unbedingtes, sondern etwas, das im Laufe der Menschheitsentwicke­lung aus gewissen Voraussetzungen heraus hat entstehen und sich wandeln müssen. Bevor es eine philosophische Betrachtungsweise gab - und sie begann erst im 6. vorchristlichen Jahrhundert bei den Griechen -, gab es eine Erkenntnisart, die aus der Mysterienweisheit geschöpft war. Diese Weisheit hatte zum Quell ein innerliches Erleben der Seele, in dem die Geheimnisse des Weltgeschehens zur Offenbarung kamen. Als sich die alte Fähigkeit des intuitiven Schauens in der Menschenseele verlor, trat die vom Verstande orientierte Beobachtung der sinnlichen und seelischen Wahrnehmungen auf Doch war es in den ersten Zeiten noch so, daß die Philosophen, durch ein ihnen noch mögliches inneres Schauen oder durch Überliefrung der alten Mysterienerkenntnis, von dieser noch wußten und sie mit der nun auftretenden Verstandesfähigkeit durchsetzten. Pythagoras und Plato haben ihre Quellen noch im Sehertum. Erst Aristoteles arbeitet aus der reinen Denktechnik heraus und begründet die Logik. Der Aristotelismus blieb tonangebend durch das Mittelalter hindurch und erlebte eine Blüte in der Frühscholastik. Allmählich aber tat sich ein Abgrund auf zwischen Wissen und Glauben. Zwischen der Vernunft und ihrer Denktechnik einerseits und der übersinnlichen Wahrheit andererseits entstand eine Kluft, die ihren letzten Ausdruck gefunden hat in Kant. In Kant und seiner Philosophie haben wir eine der Sack­gassen, in die das materielle Denken geführt hat. Und Kant war ja leider derjenige, der die ganze moderne Philosophie befruchtet hat. Doch nicht um Kritik zu üben an der modernen Wissenschaft, weist der Geistesforscher auf solche Tatsachen hin. Er zeigt sie, um Licht

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auf jenen Weg zu werfen, der aus der Verknöcherung der Gedanken wieder herausführen kann. Es gibt dazu nur einen Weg: Wissenschaft, Kunst und Religion, die drei Äste der Kultur, sie müssen wieder ver­einigt werden und sich gegenseitig durchdringen, sie müssen spiri­tuelles Leben ausströmen. Und dieses zu erreichen, ist die Aufgabe der abendländischen Theosophie. Frieden hat sie zu stiften unter den zwei Aspekten der Seele selber, die Glauben und Wissen nicht mehr in sich vereinigen kann. Selbst in unserer materiellen Welt geschieht nichts, an dem das Geistige nicht arbeitet. Das Geistige ist immer der Schöpfer des Physischen. Wir haben in der so viel Aufsehen erregenden philosophischen Schule des Pragmatismus von Ja, es etwas, das man nur als Pseudospiritualismus kennzeichnen kann, der das Geistige materialistisch auffaßt. Immerhin hat er gleichzeitig einiges Gute her­vorgebracht.

Eine ungeheure und ausschlaggebende Bedeutung mißt unsere Zeit der erblichen Belastung bei. Auch in bezug auf die erbliche Belastung ist vom Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft aus, welche das Phy­sische als eine Folge des Geistigen ansieht, zu sagen, daß bei den dar­auf zurückgeführten krankhaften Erscheinungen Geistiges durch das Physische gehemmt wird, nicht zur Auswirkung kommen kann. Der Geist ist aber nur heruntergestiegen in die physische Materie, er wird ebenso wieder hinaufsteigen, wenn er seine Erfahrungen im Physi­schen gesammelt hat. Alles in der Welt ist in Entwickelung, so auch der physische Mensch und seine Organe. Wir wissen, daß der physi­sche Menschenleib Organe enthält, die heute keine Funktionen mehr haben; es sind Organe der Vergangenheit, deren Rudimente wir in uns tragen. Ebenso haben wir die Anlagen zu Organen der Zukunft, die heute im Übergang oder in einer Umbildung begriffen sind. Wir erwähnen vor allem das menschliche Herz. Es ist ein Organ, das quergestreifte Muskeln hat. Das Herz ist eine Crux für die Anatomie der materialistischen Wissenschaft, denn es ist ein unwillkürliches Organ und hat, statt längsgestreiften, doch quergestreifte Muskelfasern, wie alle willkürlichen Organe des Menschen. Es ist eben, was die Wissenschaft nicht ahnt, ein Organ der Zukunft und auf dem Wege, ein willkürliches Organ des Menschen zu werden. Bei dem

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Eingeweihten ist es heute schon ausgebildet. Ebenso der Kehlkopf: auch er ist ein Organ der Zukunft. Das tiefe Geheimnis der Zeugung hängt mit ihm zusammen. Das zeigt sich in der Gegenwart in der Zeit der Geschlechtsreife am Stimmbruch. In der Zukunft wird der Mensch seinesgleichen aussprechen, der Kehlkopf wird ein schöpfe­risches Organ werden. Das Innere, das Seelisch-Geistige in materiel­len Formen zu gestalten, das ist die Zukunft der Menschheit. Die Menschheit ist auf dem Wege, sich zu spiritualisieren, um immer be­wußter und bewußter an der Umarbeitung ihrer Leiber zu arbeiten. Kraft für diese Aufgabe in der Zukunft sollen wir schöpfen aus einer spirituellen Weltanschauung. Mit Freude und mit Kraft soll uns auch das Gefühl durchdringen, ein Mitarbeiter zu werden an dieser gran­diosen Evolution.

Lassen Sie mich noch einige Worte hier sagen über die zwei großen Weltengesetze von Karma und Reinkarnation. Auf dem alten Monde gab es diese beiden Gesetze noch nicht. Erst mit der Einverleibung des Ich auf der Erde, beginnend in der Mitte der lemurischen Zeit bis etwa zur Mitte der atlantischen Zeit, kann gesprochen werden von dem Anfangen einer solchen Reinkarnation, wie wir sie jetzt haben. Für das Tier, dessen Ich die Gruppenseele ist, gibt es auch heute keine Reinkarnation. Die Verbindung zwischen einer Tierart und dem da­zugehörenden Ich finden wir in der Astralwelt. Für die Gruppenseele der Löwen zum Beispiel bedeutet der Tod eines Löwen hier unten auf dem physischen Plan so viel wie für Sie, wenn Sie sich einen Nagel abschneiden. Es ist ein solches Tier, ein Löwe, zuerst ein astrales Ge­bilde, das wie ein Strang von der Gruppenseele aus herunterreicht; so steigt es herunter auf den physischen Plan, verdichtet sich, und dieses Astralische geht nach dem Tode des einzelnen Löwen wieder zurück auf den astralischen Plan. Die Gruppenseele zieht es wie ein Glied wieder ein. Auf dem alten Monde war es derselbe Vorgang, der noch mit der menschlichen Seele sich abspielte. Sie war ein Glied ihrer Gruppenseele und kehrte in deren Schoß zurück. Sie war, wie die Bibel es ausdrückt, geborgen im Schoße des Vaters Abraham. Erst während der lemurischen Zeit beginnen die Worte Reinkarnation und Karma einen Sinn zu haben, und werden einmal wieder aufhören,

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einen Sinn zu haben. Dann geht der Mensch dauernd in eine geistige Welt ein, in der er weiterarbeiten wird. Wenn der Mensch zum Bei­spiel den Impuls der Brüderlichkeit in sich entwickelt haben wird, dann wird die Rassenentwickelung aufhören, sie wird überwunden sein. In der sechsten Kultur werden die Menschen sich schon besser zu gliedern verstehen; die Rassenbegriffe werden da nicht mehr gel­ten. Von innen heraus, vom Geistigen aus werden sich die Menschen da ordnen, und nicht mehr von außen her durch die physischen Zu­sammenhänge. Und in der siebenten Kultur, welche die indische widerspiegeln wird, da wird es von neuem eine Kasteneinteilung geben, aber eine freiwillige. Alles in der Evolution ändert sich fortwährend; doch ist ein beständiger Fortschritt zu verzeichnen. Die atlantische Zeit, diese Mitte unserer Erdenentwickelung, zeigt uns den wichtigen Punkt, der durch den nunmehr vollendeten Einzug des Ich in den physischen Menschenleib bezeichnet ist. Er beginnt in der Mitte der lemurischen Zeit, nach dem Austritt des Mondes aus der Erde. Weiter und immer weiter entwickelt sich dann die Menschheit, und wenn der Begriff der Brüderlichkeit praktisch auf der Erde ver­wirklicht sein wird, dann werden die Rassen überwunden sein. Auch das Karma wird dann überwunden sein.

Was ist das Gesetz vom Karma? Die Tendenz, wieder gutzumachen in einer der nächsten Inkarnationen, was ungut war in einer der vor­hergegangenen. Es muß dabei unterschieden werden zwischen einem innerlich wirkenden Karma und einem mehr äußerlich wirkenden Karma. Zum innerlich wirkenden gehört die Bildung von Charakter, von Eigenschaften und Gewohnheiten. Das mehr äußerlich Herantretende sind die Lebensbedingungen, in die man hineingestellt ist, Familie, Volk und so weiter. Wie Karma im physischen Leben wirkt, wollen wir genauer betrachten. Was zum Beispiel in einem Leben als Trieb, Begierde und Vorstellung auftritt, das tritt im nächsten Leben, oder in einem der nächsten Leben, als Gewohnheit auf. Und aus guten Gewohnheiten wird ein schöner und gutgefügter, gesunder physischer Leib im nächsten Leben entstehen; eine schlechte Gewohnheit kommt als eine Krankheit oder als eine Anlage zur Krankheit in einem andern Leben zum Vorschein. So sind die Ursachen von Krankheiten in den

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Neigungen und Gewohnheiten früherer Leben zu suchen. Das Schicksal des Menschen ist dagegen das Resultat seiner früheren Taten. Wer viel Liebe in einem Leben gibt, der wird die Eigenschaft in einem andern haben, sich lange jung, auch äußerlich, zu erhalten. Wer viele Haßgefühle in einem Leben hegt, der wird in einem andern früh altern. Menschen, die sich dem trägen normalen Leben überlassen, das der Spiritualität entgegenarbeitet, die versäumen etwas für ihre späteren Leben, was nachzuholen ihnen schwerfallen wird.

Nun lassen Sie mich noch einige Worte über die Einweihung oder Initiation beifügen. Aus ihren Quellen schöpfte allezeit die Führer­schaft der Menschheit. Die großen Individualitäten, die den Mysterien vorstanden, die wir die Meister nennen, sie waren es, welche die Menschheit lenkten und leiteten. Um dieses besser zu verstehen, wol­len wir uns mit dem Prinzip der Einweihung beschäftigen. Von einer den Menschen zuteil werdenden Einweihung kann man eigentlich erst sprechen seit der Zeit der atlantischen Katastrophe. Denn auch die Initiation hat eine Entwickelung durchgemacht, hat sich, nicht nur in ihren äußeren Formen, je nach den Bedürfnissen der Menschen ge­ändert.

Warum nimmt der Mensch im Schlafe keine sinnlichen Eindrücke wahr, obwohl er doch von einer Sinnenwelt umgeben ist? Weil sein Verstand in der Nacht nicht arbeitet. Im Bette bleiben beim schlafen­den Menschen der physische und der Ätherleib, Astralleib und Ich lösen sich heraus und sind in der geistigen Welt. Warum aber nimmt er auch von der ihn umgebenden geistigen Welt, in die der Astralleib und das Ich während der Nacht eingehen, nichts wahr? Weil der Astralleib des gewöhnlichen Menschen, der den physischen Leib in der Nacht verläßt, keine astralen Sinnesorgane hat, also astral nicht wahrnehmen kann. Durch die Einweihung oder Schulung wird der chaotische astrale Klumpen, als welcher sich der Astralleib des Durchschnittsmenschen zeigt, so organisiert, daß er allmählich Organe erhält und dann in der Nacht wahrnehmen kann. Im normalen Leben ist der Mensch noch nicht stark genug dazu, um Organe in seinem Astralkörper zu bilden. Um das zu können, muß die Kraft des Men­schen im Innern wesentlich verstärkt werden. Es wird dies durch ganz

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bestimmte Übungen der Meditation und Konzentration und andere Anweisungen erreicht. Der Schüler hat sich ganz bestimmten Vor­stellungen in seinem Gefühls- und Gedankenleben hinzugeben, und dabei solche Dinge zu wählen, die wenig oder gar nicht der Wirklich­keit entsprechen. Vorstellungen nämlich, die äußere Dinge darstellen, sind nicht geeignet zur Bildung der Organisation des astralischen Lei­bes. Stellen Sie sich aber ein Gebilde vor, wie zum Beispiel das Rosen­kreuz, das schwarze Kreuz mit den sieben roten Rosen, so werden Sie, wenn Sie die Übung nur mit der nötigen Energie und Geduld aus­üben, nach längerer oder kürzerer Zeit, je nach Ihrem Entwickelungs­grade, etwas dadurch erleben. Sie werden Ihren Astralleib damit umändern, ihm Organe eingliedern. Nicht bloß abstrakte Vorstellungen dürfen das sein, sondern das richtige Gefühls- und Empfindungsleben muß sich dazugesellen. Erst dann werden Sie die richtigen Resultate erzielen.

Drei Arten der Initiation haben wir zu unterscheiden, die alle drei zum selben Ziele führen. Drei Wege sind es, die je nach der Indivi­dualität des Menschen zu wählen sind. Die eine Initiation ist die der Weisheit: ihr entspricht die indische oder orientalische Schulung. Die zweite, die des Fühlens, ist die christliche. Wenige Menschen nur können heutzutage diesen Weg noch gehen, weil eine sehr starke Kraft der Hingabe und der Frömmigkeit dazu notwendig ist. Der erste Weg, der indische, ist aber für die europäischen abendländischen Kör­per mit großen Gefahren verbunden und daher nicht der richtige. Der dritte Weg der Initiation ist die Rosenkreuzerschulung, der Weg der Initiation des Denkens und des Willens. Er führt zu einer Verbindung mit den Kräften der andern Initiationswege. Der Abschluß ist ein bestimmter bei jeder Einweihung, sie selbst aber muß sich im Laufe der Entwickelung anpassen den jeweiligen Bedürfnissen der Seelen und den Möglichkeiten, die durch den menschlichen Körper gegeben sind.

Drei Tage und einen halben mußte der Schüler der alten Initiation im Grabe liegen und war wie tot. Sein Ätherleib und Astralleib waren draußen und erlebten die geistige Welt. Der Hierophant überwachte den Vorgang und rief den Neophyten ins Leben zurück. Nach seiner

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Erweckung war er ein Zeuge der geistigen Welt. Das ist die Form der alten Einweihung, heute ist sie nicht mehr in der Weise notwendig. Die christliche und die Rosenkreuzereinweihung wirken so stark auf den Menschen, daß der Mensch das erreichen kann, was bei der alten Initiation durch das Heraustreten der höheren Wesensglieder aus dem physischen Leib hat bewirkt werden sollen, nämlich, daß sich die Eindrücke aus der geistigen Welt in den Astralleib und in den Ätherleib abdrücken, ohne jene dreienhalbtägige Lethargie. Die moderne Initiation, wenn wir sie so nennen wollen, sie ruft, nachdem die Läu­terung oder Katharsis des astralischen Leibes vollzogen ist, jene Wir­kungen hervor, die zu realen Schauungen führen und ein erfahrungs­gemäßes Wissen von der geistigen Welt ergeben, denn die in der gei­stigen Welt von der Seele erhaltenen Eindrücke drücken sich dann ab im Astralleib und Ätherleib. Das ist, was in der okkulten Entwicke­lung die Erleuchtung genannt wird.

III

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BUDDHA UND CHRISTUS Wien, 14. Juni 1909

Heutzutage tauchen in der theosophischen Vereinigung, und nament­lich bei deren jungen Mitgliedern, oft Fragen auf, die wohl der Mühe wert sind, näher beleuchtet zu werden. Eine dieser Fragen, welche sehr oft gestellt wird, ist diese: Weshalb sollen wir eigentlich so viele Zeit dem eingehenden Studium der Theosophie widmen? Warum beschweren wir uns mit dem ganzen Ballast von Theorien über das Ent­stehen des Kosmos vom Urbeginn an bis zum Aufbau des Menschen mit seinen verschiedenen Körpern und Prinzipien? - Dann wieder­um: Die Lehre der vielen Verkörperungen, die der Mensch durchleben muß, und die Lehre vom Gesetz der Ursachen und Wirkungen, wozu haben wir dieses alles nötig? Kommen wir nicht viel weiter, wenn wir die ethische Seite der theosophischen Lehre in uns aufneh­men, um uns besser zu entwickeln und zu guten Menschen zu wer­den? Ist dieses nicht schließlich die Hauptsache? Wozu also all das Studium?

Ja, das ist auch die Hauptsache, daß sich unsere Seele entwickelt! Um aber zu dieser Hauptsache zu kommen, ist es zuerst notwendig, sich die hohen Lehren der Theosophie zu eigen zu machen. Wir kön­nen uns schneller und besser entwickeln und an uns arbeiten, wenn wir wissen, wie die Zusammenfügung der menschlichen Wesenheit ist, wie sie mit dem Kosmos in Zusammenhang steht, wenn wir kennenlernen, wie die ganze Weltenentwickelung, gleich der unsrigen, durch höhere Wesenheiten beeinflußt und geleitet wird. Nun kann man aber wiederum fragen: Woher stammen denn all diese Wissen­schaften und Theorien? Ist Theosophie nicht ebensogut eine Welt­anschauung, eine Philosophie wie jede andere, sagen wir die von Haeckel, Kant und Schopenhauer? - Nein, das ist Theosophie nicht. Jene sind eingegliedert, eingegossen in gewisse Formen, sagen wir Dogmen; sie vergegenwärtigen ein gewisses System. Das ist aber mit der theosophischen Weltanschauung ganz anders: sie ist fließendes Leben, welches von höheren Welten in die Menschheit eindringt, und

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ihre Weisheit wird uns verkündigt durch Erleuchtete, Eingeweihte, die durch ihre hellseherische Kraft die geistige Welt so deutlich, ja noch viel deutlicher sehen als wir die Welt der Gegenstände um uns herum. Die Eingeweihten haben die Verpflichtung, die Menschheit zu belehren; sie haben seit den letzten dreißig Jahren diese Botschaft wiederum empfangen von den höheren Wesenheiten, die bereits über die Entwickelung des Menschen hinausgestiegen sind, von den Mei­stern des Zusammenklangs der Empfindungen, von diesen erhabenen Wesenheiten, die tatsächlich jede spirituelle Strömung auf unserer Erde beeinflussen und allmählich immer mehr von ihrer Weisheit in die Welt einfließen lassen, je nachdem der Mensch in seiner Ent­wickelung höher und immer höher steigt. Nun könnte wiederum ge­fragt werden: Ist es denn für uns gewöhnliche Menschen wohl genügend, daß wir nur diese Lehren begreifen lernen? Müssen wir denn eigentlich nicht alle Eingeweihte werden, um die Theosophie verstehen zu können?

Ja, es sollten alle Menschen auf einer gewissen Stufe der Entwicke­lung darnach streben, Eingeweihte zu werden an Hand der gegebenen Methoden, welche aber nur durch moralische Kraft eine erfolgreiche Entwickelung der schlummernden Kräfte in der Seele zur Folge haben können. Doch auch jene, welche vorläufig noch nicht so weit sind, diese Kräfte entwickeln zu können, welche die erhabenen Lehren der Theosophie nur durch Studium und durch die Hilfe ihres Lehrers in sich aufnehmen können und verstehen lernen, auch sie genießen schon ein großes Vorrecht. Sie stehen, wenn sie nach dem Tode sich auf dem Astralgebiet befinden, in ihrem Anschauen auf derselben Stufe wie ihr Lehrer; er hat nichts voraus, er hat alles, was er für sich er­rungen hatte, wieder seinen Schülern gegeben, er schaut nicht mehr als seine Schüler, er hat nicht aus Selbstsucht gegeben, um selbst höher zu kommen. Es gibt nicht Selbstsucht in den höheren Welten oder bei den wirklich Eingeweihten; sie geben nur, um der Menschheit zu helfen.

Eine andere Frage steigt wohl auch bei Theosophen auf, wenn sie sich sagen: Muß ich nun doch durch so viele Verkörperungen hin­durch, dann kann ich ja auch noch mit dem Studium warten bis zur

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nächsten Inkarnation; jetzt habe ich noch so viel anderes zu tun, bin auch zu bequem dazu. - Dieses wäre gerade so, als wenn das Mai­glöckchen sagen würde: Ich bin zu faul, um jetzt zu blühen, ich will noch ein bißchen in der Erde schlafen, ich warte lieber noch bis zum Oktober. - Aber im Oktober würde es nicht mehr die Bedingungen seines Blühens finden. Und ebenso wird es beim Menschen der Fall sein: stößt er in diesem Leben die Gelegenheit zurück, die spirituellen Wahrheiten, die ihm geboten werden, zu empfangen, aus Bequemlich­keit oder sonstigen Gründen, so kann er sicher sein, daß er sich schon in diesem Leben die Bedingungen schafft, die ihn verhindern werden, sie im folgenden Leben überhaupt annehmen zu können.

Daß der Mensch überhaupt imstande ist, diese Wahrheiten in sich aufzunehmen, dazu wurde der Impuls gegeben in dem Ereignis von Golgatha. In ihm liegt der Keim zum geistigen Erfassen der mensch­lichen Evolution.

Betrachten wir einmal die Entwickelungsphasen der Menschheit, indem wir sechshundert Jahre vor dem Erscheinen des Christus Jesus auf unserer Erde zurückgehen, bis sechshundert Jahre nach diesem Ereignis. Sechshundert Jahre vor Christus verkörperte sich in der Persönlichkeit des Siddharta Gautama die hohe Wesenheit des Buddha, der durch seine Weisheit Millionen von Menschen eine herrliche Lehre brachte. Er war ein Königssohn, von früher Jugend auf behütet und beschirmt worden vor allem Elend, Laster und jeglichem Leiden, das die Welt mit sich bringt. Als er zum Jüngling herangereift war und es ihm gelang, die Grenzen des Gartens seines Palastes zu überschrei­ten, trat ihm zum erstenmal das Leben in seiner ganzen Wirklichkeit entgegen. Er begegnete einem in Lumpen gehüllten Bettler und einem Kranken, und zuletzt sah er einen Leichnam; er zog daraus die Er­fahrung, daß alles auf der Erde nur Leiden sei. Geburt ist Leiden, Tod ist Leiden, Getrenntsein von seinen Lieben ist Leiden, Nichterhalten, was man wünscht, ist Leiden, Vereintsein mit denen, die man nicht liebt, ist Leiden, Nichterhalten, was man wünscht, ist Leiden, und Erhalten, was man nicht begehrt, ist Leiden. Er sagt deshalb: Alles Irdische ist nichtig, darum soll der Mensch das Leben verneinen, sich loslösen von allem, was irdisch ist; den Durst nach Dasein soll man

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auslöschen, denn alles ist Maja. - Er kehrte nicht wieder in seinen Königspalast zurück, sondern ging in die Wüste.

Wie war nun die menschliche Entwickelung sechshundert Jahre nach dem Ereignis in Palästina weitergeschritten? Der Buddha hatte gesagt: Alles ist Leiden, Leben ist Leiden, Tod ist Leiden, deshalb tötet den Durst nach Dasein. - Christus hingegen zeigte uns, wie wir gerade dadurch, daß wir uns tief ins Leben begeben, alles Leiden durch Liebe überwinden können, daß wir, indem wir den Materialis­mus durch den Geist überwinden, auch den Geist hinüberretten in eine höhere Welt und dadurch auch den Tod überwinden. Sechshun­dert Jahre vor Christus Jesus hatte Buddha durch den Anblick des Leichnams die Gewißheit erlangt und es der Welt gelehrt, daß Tod Leiden sei; Christus zeigte der Welt sechshundert Jahre später durch seinen eigenen Leichnam am Kreuze, daß der Tod nicht Leiden, son­dern der Sieger über das Leiden der Welt ist, daß er keine Vernich­tung, sondern neues Leben hervorbringt. Christus brachte nach sei­nem Tod Licht in die astrale Welt. Und seitdem das Blut auf Golgatha geflossen ist, hat sich auch die Aura der Erde verändert, und dieses neue Prinzip in der Erdenaura ist es, welches der Menschheit den Christus-Impuls einflößte. Wir wollen das Einfließen dieser hohen Individualität, welche auf Erden den Christus-Impuls brachte, etwas näher beleuchten.

Wenn wir zurückgehen in ferne Zeiten, da die heiligen Rishis die hohe Weisheit des Vishva-Karman, des großen Sonnengottes ver­kündigten, so finden wir: sie sprechen von derselben Individualität, von der auch später Zarathustra verkündigt, die er Ormuzd nennt und deren physische Gestalt er in Ahura Mazdao sieht, der großen Sonnenaura. Und dieselbe große Wesenheit ist es auch, die dem Moses im brennenden Dornbusch erscheint auf dem Berge Sinai, dieselbe gei­stige Sonnenindividualität, welche sich von der Sonne immer mehr hinunterneigte, die immer näher und näher der Erde kam, und die, als Moses fragte: Was soll ich dem Volke sagen, wenn sie mich fragen, wer du bist? - antwortete: «Ich bin, der ich bin, der ich war und der ich sein werde!», und die ihm ankündigte, daß, wenn die Zeit gekom­men sein würde, wo die Erde ihn empfangen könnte, er im Fleische

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unter uns wohnen werde. Wann war diese Zeit gekommen? Diese Zeit war gekommen, als ein reiner Körper geboren war, der als Träger dieser hohen Wesenheit dienen konnte. Und dieser Träger war der Körper des Jesus von Nazareth, in welchem sie drei Jahre wohnte. Dieses große Geheimnis: das Leben der göttlichen Wesenheit in einem irdischen Körper, sein Sterben auf Golgatha, liegt der nun folgenden Entwickelung als Substanz und Kraftimpifis zugrunde.

Christi Lehren sind es nicht allein, welche die Verbreitung des Christentums herbeigeführt haben; andere Religionsstifter hatten schon dieselben Lehren verkündigt. Zu Lebzeiten des Christus war das kleine Häuflein Christen selbst so wenig bekannt, daß es sogar viele Länder gab, wo man von der Existenz des Christus gar nichts wußte. Was war es denn, das später das Christentum verbreitete? Es war die Tat des Christus Jesus, daß er sich auf der Erde verstofflicht hatte. Nur dadurch wurde der christliche Impuls in uns gelegt. Paulus ist der eigentliche Verbreiter und Begründer des Christentums ge­worden, und zwar erst nach dem Ereignis zu Damaskus. Auch er, der die Lehren des Christus Jesus empfangen und in sich aufgenommen hatte, konnte nicht zum Glauben und nicht zum Bekennen des Chri­stus Jesus kommen, denn er konnte nicht glauben, daß eine Gottheit die Schmach des Todes am Kreuze auf sich nehmen mußte. Was war es denn, was ihn zum Glauben an ihn führte? Nichts anderes war es, als daß er plötzlich zum Hellseher wurde, und daß er das Bild des lebendigen Christus in der astralen Welt, in der Erdenaura erblickte. Da erkannte er, daß der Christus Jesus nicht gestorben ist, sondern mit der Welt verbunden geblieben ist. Die Menschheit wird erst in fernen Zeiten begreifen, was der Christus ist. Der Christus ist der Planetengeist unserer Erde, der Geist, welcher sich vom Anbeginne her von der Sonne zu uns herniedergelassen hat, welcher, indem er die hohen Gebiete verlassen hat, immer tiefer und tiefer in die Sphären herniederkam, bis er sich in Jesus von Nazareth verstofflichte, um durch dieses große Opfer den Christus-Impuls in uns zu erwecken, dessen höchste Entfaltung das Ziel unserer Erdenentwickelung ist, die erst dann ihren Zweck erfüllt haben wird, wenn alle Menschen so geworden sind, wie der Lehrer war.

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Die Worte, die Christus spricht: «Wer mein Brot isset, der tritt mich mit Füßen», sind wörtlich zu nehmen, denn Christus ist der Geist unserer Erde, die Erde ist sein physischer Körper. Durch das Ereignis von Golgatha, als der Geist der großen göttlichen Sonnen-individualität den Körper des Jesus von Nazareth verließ, und in dem Augenblick, da das Blut aus den Wunden floß, geschah etwas Bedeut­sames für die Menschheit. Nehmen wir an, ein Hellseher hätte von einem andern Planeten aus in diesem gewaltigen Augenblick die Aura unserer Erde beobachtet, so würde er eine große Veränderung darin wahrgenommen haben: er würde in der Aura eine andere, eine neue Farbe entdeckt haben, etwas wie ein anderes Element, das vorher nicht darinnen gewesen ist und welches von dieser Zeit an die Mensch­heit befruchtete, auf daß sie das christliche Prinzip der Liebe und der Selbstaufopferung in sich aufnehmen könne. Wenn wir uns nun diese Wahrheiten durch eingehendes Studium der theosophischen Lehren eigen zu machen suchen, indem wir begreifen lernen, daß die ganze kosmische und menschliche Evolution in allen ihren Einzelheiten im Zusammenhang steht mit dem Eingreifen von höheren Mächten, mit dem Wirken der geistigen Hierarchien, und daß von ihnen aus unsere ganze geistige Entwickelung geleitet wird, erst wenn uns das zur Gewißheit geworden ist, erst dann wird die hohe erhabene Weisheit so auf uns wirken, daß die Ethik der theosophischen Lehren ihre wahre Weihe erhält, die unsere Seele von innen heraus erwärmt durch ihr eigenes Erkennen der Wahrheiten, so daß sie auch vermag, die wah­ren Früchte der Theosophie oder Geisteswissenschaft herauszutragen ins praktische Leben. Nur wenn wir den Christus begreifen lernen und damit seine ganze Bedeutung für unsere Erdenentwickelung, wie es uns die uralte Weisheit, die Theosophie lehrt, die uns hineinführt in die Geheimnisse des Schöpfungsgedankens und uns den Zweck unse­res Daseins enthüllt, nur dann können wir die wunderbare Ethik der theosophischen Lehre mit unserer ganzen Seele erfassen, so wie sie erfaßt werden soll. Die schönsten Moralpredigten und ethischen Be­trachtungen helfen dem Menschen sehr wenig. Wir werden es oft in der Welt sehen, daß sie nur zur frommen Gewohnheit werden, helfen tun sie aber sehr wenig. Es ist gerade so, als wenn man zu jenem Ofen

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sagte: Lieber Ofen, tue deine moralische Pflicht als guter Ofen und wärme mir das Zimmer. - Man wird eine Weile warten - aber warm wird es nicht. Geben Sie diesem Ofen jedoch Heizmaterial, dann wird er nach kurzer Zeit eine wohltuende Wärme verbreiten. Ebenso ist es mit dem Menschen. Predigen Sie ihm Moral und Ethik so viel Sie wollen, es wird Ihnen wenig helfen. Geben Sie ihm jedoch Heiz­material für seinen Geist, so wird es warm werden in seinem Innern, und er wird von seiner Seele aus seine Pflicht in der Welt erfüllen, nicht, weil er es als moralischer Mensch muß, sondern weil er nach seinem inneren Wesen nicht anders kann. Wenn wir die Geisteswis­senschaft hineintragen in das Leben: welchen Beruf wir auch beklei­den, überall wird sie einen Umschwung zuwege bringen. Denken Sie einmal: welch eine andere Denkart würde sie zum Beispiel bei der Rechtsgelehrtheit erzeugen, besonders in der Jetatzeit, wo der Advo­kat sich oftmals vor dem Wust der Paragraphen und Gesetzesartikel nicht zu helfen weiß! Jeder Fall wird nur als Nummer behandelt und betrachtet, in eine gewisse Kategorie gefügt. Wäre der Advokat ein Bekenner der Geisteswissenschaft, so würde er die ganze Natur um sich herum, die ganze Menschheit, jeden einzelnen Menschen mit ganz andern Augen anschauen, er würde seinen Klienten besser verstehenlernen, weil er sich eins mit ihm fühlen würde. Sein Denken, welches wie jedes Denken, das sich ohne Geisteswissenschaft in gewisse For­men, Schemata, Dogmen hineinzwängt, erstarrt, es würde durch die Geisteswissenschaft beweglicher, flüssiger werden, sich erweitern, und deshalb würde er, wenn er spirituelles Denken hätte, mitarbeiten am Heile der Menschheit. Und nehmen wir den Mediziner: ein ganz anderes, viel weiteres Feld würde sich ihm eröffnen. Hier sind wir ja schon auf gutem Wege, denn es gibt schon viele Ärzte, die durch die Erleuchtung der Geisteswissenschaft sich nach dieser Richtung hin betätigen. - Aus all diesen Gründen müssen wir, nachdem wir erst fleißig die geisteswissenschaftlichen Lehren studiert und begriffen haben, deren Früchte in das praktische Leben hinaustragen zum Wohle und zum Heile der Menschheit,

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ZUR EINWEIHUNG DES ZWEIGES BRESLAU Breslau, 15. Juni 1909

Bei Worten, die zur Einweihung eines Arbeitszweiges gesprochen werden sollen, gilt es mehr, Zweck und Ziel der geisteswissenschaft­lichen Arbeit zu erläutern, als darum, bedeutende Enthüllungen über Geheimnisse höherer Welten zu bringen. Wenn man sich vorstellen will, welche Bedeutung die geisteswissenschaftliche Weltanschauung für die menschliche Seele hat, müssen wir unsere Blicke auf und über verschiedene Gebiete lenken.

Stellen Sie sich einen Menschen des 13. bis 14. Jahrhunderts vor. Er lebte in einer Zeit, als die Buchdruckerkunst noch nicht erfunden war, durch welche in der neueren Zeit eine so mächtige Einwirkung auf die menschliche Seele in Erscheinung trat. Stellen Sie sich also einmal einen Menschen jener Zeit vor und fragen Sie sich, was in dessen Seele vorging, wenn er zum Beispiel seine Augen nach dem Himmel richtete. Er, dessen Anschauungen noch nicht durch angehäuftes Wis­sen und durch materielle Gelehrsamkeit beeinflußt waren, wie es die­jenigen eines heute lebenden Menschen sind, er sah am Tage den Raum durchglänzt von der Sonne, in der Nacht durchstrahlt vom Sternenschimmer, und da fühlte seine Seele den Weltenraum durchmessen von geistigen Kräften und geistigen Wesenheiten. Er fühlte sie. Durch die damaligen Kulturmittel entstanden in ihm Vorstellungen von göttlich-geistigen Tatsachen, und er fühlte sie unmittelbar. Und so war es auch, wenn er im Frühling die Pflanzen hervorwachsen sah aus der Erde: seine Seele fühlte diese Natur erhellt und erfüllt von göttlich-geistigen Wesenskräften.

Dieses Erfühlen, dieses unmittelbare Empfinden der geistigen Wesenskräfte tritt immer mehr zurück, je mehr wir uns der Jetztzeit nähern. Hiermit soll über die letztere nicht etwa eine abfällige Kritik geübt werden, denn das Zurücktreten dieses Fühlens ist begleitet von dem Aufkommen einer andern Art des Naturerkennens, von der mehr verstandesmäßigen, äußerlichen Weltbetrachtung, und es ist durch­aus richtig, daß die Menschen dadurch gelernt haben, sich die Beherrschung

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der Naturkräfte zu erarbeiten, mit den Mikroskopen die Welt im Kleinen zu erforschen und mit den Fernrohren die Sterne in ihrem Laufe durch den Raum zu verfolgen. Es ist richtig, daß die Menschen in gewisser Beziehung stolz sind, die Beherrschung der Naturkräfte noch weiter steigern zu können, aber wir wollen uns auch gleichzeitig klarmachen, daß hierdurch alle Menschheitsimpulse andere geworden sind.

Wenn der Mensch früher nach den Sternen gesehen hat, so sagte er sich: Ich fühle Göttlich-Geistiges in den Sternen. Heute dagegen sieht er nur die physischen Körper, und es ist für den heutigen Menschen schwierig, sich Göttlich-Geistiges vorzustellen. Die Menschheit hat wirklich das Verständnis für dieses göttlich-geistige Schauen ver­loren. Trotzdem ist es doch wahr, daß es auch heute viele Seelen gibt, die im Erkennen von Göttlich-Geistigem wunderbar berührt werden. Oh, die Seele hat einen Durst, sich vorzustellen, wie der Raum aus­gefüllt ist von Göttlich-Geistigem, ausgefüllt ist von einer geistigen Kraft, und sie hat das Bedürfnis, dieses Göttliche zu erkennen.

Nun ist die geschilderte materielle Entwickelung so weit gediehen, daß gerade die ernstesten und eifrigsten Wahrheitsforscher in der letz­ten Zeit nach und nach dazu kamen, anzunehmen, es könne nur eine kindliche Auffassung sein, in der Welt etwas Göttliches zu fühlen, und die Menschheit sei jetzt in ein reiferes Zeitalter eingetreten, wo man überwundene Standpunkte beiseite schieben müsse. Schon das Kind in der Schule wird einem Zwiespalte ausgesetzt, der zu den tiefgehendsten Folgen für das Leben führt. Auf der einen Seite wird dem Kinde der naturwissenschaftliche Unterricht in rein materialistischer Weise gegeben, auf der andern Seite der Religionsunterricht. Zwi­schen beiden ist keine Brücke, kein verbindendes Glied. Was wird daraus im späteren Leben? Man kann sagen, die ganze Menschheit wird dadurch in zwei Lager geteilt, je nach den Konsequenzen, welche aus diesem Zwiespalt entspringen. Da gibt es dann einerseits diejeni­gen, die gleichgültig geworden sind und sich um nichts mehr küm­mern, und andererseits dänn diejenigen, die es tragisch auffassen, grübeln und doch nicht klar werden,um schließlich an der Lösbarkeit der Lebensrätsel zu verzweifeln. In diese zwei Lager zerfällt tatsächlich

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die denkende Menschheit. Vielleicht sind es dann schließlich nur noch die einfacheren Gemüter, die sich noch ein gewisses Empfinden für das Geistige bewahrt haben. Derjenige, der nicht bloß äußerlich alles anschaut, weiß, daß gerade in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Ge­fahr des gänzlichen Einsinkens der Menschheit in das materialistische Leben am größten war. Die ganze Stimmung und Gemütslage des Menschen wurde zu einem materialistischen Fühlen und Empfinden. Darin bestand eine furchtbare Gefahr für die Menschheit. Wissen Sie, was da eingetreten wäre, wenn da Geisteswissenschaft nicht eingegriffen hätte? Immer tiefer wäre die Denkweise ins materialistische Fahrwasser eingesunken. Die Gedankenformen hätten sich immer mehr verhärtet und wären immer verknöcherter geworden, ihre Ab­grenzungen würden immer schärfer und unveränderlicher geworden sein, statt in regem Flusse sich anzupassen. Kein Mensch hätte für einen andern und mit einem andern fühlen können, und nur jeder für sich allein hätte sich im Recht gefühlt und jeden anders denkenden und anders fühlenden verachtet und gehaßt. Ganz starre Formen, jeder Liebe bar, hätte das Denken erhalten, und der Geist wäre schließ­lich so in den Hintergrund gedrängt worden, daß ein Anschluß für immer unmöglich gemacht worden wäre, und der Weg in die geistige Welt, er wäre verloren worden. Die Erde würde ein Mond geworden sein. Aus diesem Grunde haben diejenigen, die Einblick haben in die höheren geistigen Welten, der Menschheit die Geisteswissenschaft ge­bracht. Aus welchen Quellen fließen nun diese Lehren, die dazu be­stimmt sind, die Menschheit vor dieser großen Gefahr zu retten?

Gerade an einem Tage, wo es gilt, eine neugebildete Arbeitsgruppe einzuweihen, ist es angebracht, darüber etwas zu sagen. Diese Quel­len sind den meisten Menschen noch verborgen, doch werden sie nach und nach immer offenbarer werden. Aber aus diesen Quellen heraus wurde die Geisteswissenschaft gegründet. Was sagt nun die Geisteswissenschaft? Sie sagt vielerlei, was der gewöhnliche Mensch mit seinen gewöhnlichen Sinnen nicht wahrnimmt. Sie sagt zum Bei­spiel, daß der Mensch nicht bloß aus dem äußerlich sichtbaren Körper besteht, sondern daß er viergliedrig sei; daß er außer dem sichtbaren Körper auch einen für gewöhnliche Menschen unsichtbaren Lebens- oder Ätherleib,

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ferner einen Empfindungs- oder Astralleib, und vier­tens das Ich besitzt, welches von Verkörperung zu Verkörperung geht, um eine fortschreitende Entwickelung in einer langen Zeit zu vollenden. Sie, die Geisteswissenschaft, sagt uns noch mehr. Sie sagt uns zum Beispiel, daß die Erde selbst auch eine Entwickelung von Verkörperung zu Verkörperung durchmache, eine Entwickelung kosmischer Natur. Sie zeigt uns ferner, daß die Sonne und die Plane­ten in diesem Entwickelungsvorgange die wichtigsten Rollen spielen, und daß das Bestehen aller dieser Weltenkörper und ihrer Vorgänge mit der Existenz geistiger Wesen zusammenhängt.

Was ist das alles? Wo sind die Quellen dieser Wahrheiten? Sie kom­men von den Eingeweihten. Und wer sind die Eingeweihten? Es sind diejenigen, deren geistige Augen geöffnet sind, und die deshalb von der geistigen Welt reden, weil sie diese geistige Welt kennen. Sie sind die Sehenden zwischen Blinden. Schon Fichte spielte auf dieses Ver­hältnis an, und in der Tat sind für den Sehenden die geistigen Dinge so wirklich wie die körperlichen, ja noch viel wirklicher, denn ihm sind die letzteren nur der Ausdruck der ersteren. Freilich werden viele Menschen sagen, wenn ein Seher spricht von Ätherleib, Empfindungs­leib und so weiter und von andern Kundgebungen geistiger Art, daß das ein Träumer und Phantast sei, welcher Theorien und Hypothesen für Wirklichkeiten halte. Der Seher begreift vollkommen, daß die­jenigen, die nicht sehen, solche Einwendungen machen können. In einer Gesellschaft von physisch Blinden kann noch so viel und noch so genau von und über Farben und Licht gesprochen werden, für den Blinden bleibt das Theorie, aber den Begriff, den tatsächlichen Wirklichkeitsbegriff von Farbe und Licht wird der physisch Sehende dem physisch Blinden auch nicht eröffnen können. Dazu müßten die Blinden eben selbst sehen können, und erst dem erfolgreich operier­ten Blinden kann die Welt des Lichts aufgehen.

Wir wollen uns dieses Verhältnis noch in einem andern Bilde vor­zustellen versuchen. Wir wollen uns vorstellen, wir hätten ein großes Gefäß mit Wasser vor uns, und wollen annehmen, es gäbe einen Men­schen, der mit seinen Sinnen Wasser nicht sehen, nicht fühlen, über­haupt nicht empfinden könne. Für diesen Menschen würde das Gefäß

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leer sein. Nun wollen wir weiter annehmen, es könnte auf irgendeine Weise bewirkt werden, daß Kälteströmungen auf das Wasser ein­wirken, die es zum Gefrieren bringen. Zunächst würden hier und da Eisnadeln entstehen, welche sich dann bis zur Klumpenbildung zu­sammenballen können. Weil aber Eis ein fester Körper ist, so würde jener Mensch, der für Wasser keine Empfindung hat, die sich bilden­den Eisteile wahrnehmen können. Was nimmt er nun wahr? Er nimmt wahr, daß Eis entsteht. Aber aus was entstünde es ihm? Aus nichts. So steht der Eingeweihte da in seinem Verhältnis zu den andern Menschen. Wo diese nichts sehen, sieht er. Nun aber sagen die Men­schen: Wie kann ich das, was ich nicht nachprüfen kann, glauben können? Und da ich das nicht kann, welchen Zweck hätte es, sich da überhaupt erst mit solchen Dingen zu befassen, sich auf solche Dinge einzulassen? - Dazu verlangen besonders die philosophisch-monisti­schen Dogmatiker folgendes: erstens, daß alles zugegeben wird, was sie selber behaupten, und zweitens, daß niemand mehr wissen dürfe, als sie selber wissen. Sie stellen sich als die unfehlbaren Menschen hin, die die Grenzen der Erkenntnis bestimmen können. Der wahre Ein­geweihte wird die wissenschaftlich erforschten Tatsachen niemals in Abrede stellen, sondern wohlwollend die Wahrheiten und die Ver­dienste der Wissenschaft anerkennen. Jedoch muß er es ablehnen, zu­zugeben, daß der wissenschaftliche Dogmatiker die Grenzen der Er­kenntnis festzustellen vermöge. Der Wissenschafter ist stolz auf das Wissen, im Gegensatz zum Glauben. Aber wenn da von Glauben und Nichtglauben gesprochen wird und der Wissenschafter der Meinung ist, daß seine Forschungsresultate frei von Glauben seien, so irrt er. Es ist einfach unmöglich, irgend etwas zu erforschen und zu lehren, ohne zu glauben. Man nehme zum Beispiel die Zellenlehre. Wir haben da in den Büchern die schönen Abbildungen von Zellen, Zellenteilun­gen, Zellenleben und so fort, klar und deutlich, mit allen Einzelheiten. Aber wer von uns hat das mit solcher Deutlichkeit selbst schon gesehen? Wir glauben alle, daß das so ist. Selbst die Universitätslehrer, die solches lehren, haben in den seltensten Fällen dies selbst alles ge­sehen, und doch lehren sie es. Sie haben es deswegen nicht selbst sehen können, weil es so schwer und selten zu beobachten ist, daß es nur

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wenigen einzelnen gelingt, es zu sehen, und dann, weil es in Wirk­lichkeit gar nicht so klar und deutlich ist, wie die Abbildungen aus­schauen. Man denke an die Embryologie. Von jedem Augenblick der Schwangerschaft glaubt man ganz genau das Aussehen des Embryos zu kennen. Aber wie äußerst selten ist ein Forscher in der Lage, etwa durch einen plötzlichen Todesfall, der gerade in einem gewissen Moment der Schwangerschaft eintritt, Einblick zu bekommen. Wie mancher dieser Forscher hat das nie gesehen, was er lehrt. Bis dahin wo er selbst erst sah, mußte er glauben, und andere mit ihm. Und doch stellt er der Geisteswissenschaft gegenüber die Forderung, man solle nicht glauben, und niemand solle mehr wissen als er selbst. Das Wesen des Eingeweihten besteht darin, daß er hineinsehen kann in die geistige Welt. Bei den Eingeweihten sind die Quellen geisteswissen­schaftliche Erkenntnis.

Ja, aber was nützt dies denen, die diese Erkenntnis nicht besitzen? Das soll ein Gleichnis lehren. Sehen Sie diesen Ofen an! Nun stellen Sie sich vor, es stelle sich jemand hin vor diesen Ofen und spreche zu ihm: Du Ofen, du bist zum Wärmen geschaffen, besinne dich auf deine Mission und mache die Stube warm! - Wird er es tun? Wird die Rede etwas nützen? Nein, der Ofen rührt sich nicht. Aber man rede nicht, sondern schaffe Holz und Kohlen herbei und heize, dann wird er seine Mission erfüllen.

So ist es mit der Mitteilung geisteswissenschaftlicher Wahrheiten. Sie sind das Heizmaterial für die menschliche Seele. Seit Jahrtausen­den wird den Menschen Moral gepredigt und ihnen gesagt: Seid gut, liebet euch! - Aber tun sie es denn? Sieht es nicht ziemlich schlimm aus trotz aller christlichen Kirchenlehre? In einer süddeutschen Stadt sagte mir einst ein Pastor: Was Sie da über die Evangelien sagen, da­gegen kann ich ganz und gar nichts einwenden, aber was hat es für einen Zweck, hie und da kleine geisteswissenschaftliche Konventikel zu bilden, wo doch die Kirche die praktische Erziehung in größtem Maßstabe ausführt? - Ja, wenn dieser Pastor recht hätte, dann hätte es keinen Zweck. Aber er hat nicht recht, denn wenn die Kirche ihre Aufgabe in vollem Umfange erfüllen würde, woher kommen dann immerfort noch die vielen Schlechtigkeiten? Gehen denn überhaupt

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alle Leute in die Kirche? Die Kirche predigt eben nicht praktische Moral, sondern Ofenmoral. Heutzutage gibt es nicht mehr viele Men­schen, die auf bloßes Zureden hin besser werden. Und nun haben sich auch gerade noch die fähigsten Menschen von der Kirche ab­gewendet. Und wenn das so weiterginge, dann würden die Anhänger der Kirche immer sparlicher und spärlicher werden und der Materia­lismus sich immer breiter und breiter machen, bis eines Tages von der Kirche nicht mehr viel übrigbliebe. Dazu ist eben die Geistes­wissenschaft gekommen, sie ist nötig geworden, um das Heizmaterial herbeizuschaffen. Sie ist Heizmaterial, denn die bloße Mitteilung von Tatsachen aus den geistigen Welten wirkt anziehend und fördernd auf die geistige Entwickelung des einzelnen, fördernd nicht nur in Be­ziehung zur Moral, sondern auch in Beziehung auf geistiges Schauen.

Es gibt auch unter Geisteswissenschaftern solche, die der Meinung sind, man solle nur gut und edel sein und nach Vollkommenheit stre­ben, dann würden sich die geistigen Augen schließlich von selbst auftun. Zugleich meinen sie, die Mitteilungen höherer Wahrheiten seien gering zu achten, und man solle nur darauf warten, es selbst sehen zu können, bis dahin, wo einem der Schleier von selbst gelüftet wird. Diejenigen, die so denken, irren. Sie verkennen den Charakter solcher Mitteilungen in seiner Wirkung als Heizmaterial. Es kommt darauf an, in der Seele Schwingungen zu erregen, die ihr auf andere Weise oder von selbst nicht kommen würden.

Was ist es aber, was im Menschen aufleuchten kann, aufleuchten soll, wenn er seine richtige Entwickelung begreift und fördert, wie es die Geisteswissenschaft sich zur Aufgabe hinstellt? Dazu müssen wir weit ausholen. Bis in die altindische Kultur müssen wir zurückgehen, welche wir bezeichnen als die Zeit der sieben Rishis. Diese waren die Eingeweihten jener Zeit, welche die Entwickelung der Menschen lei­teten. Wenn sie aus ihrem geistigen Schauen heraus den Menschen Kunde brachten vom Höchsten, so sagten sie: Hoch über allem Sein, unerkennbar, unerforschbar, liegt eine Ursache, ein Wesen, das wir Vishva-Karman nennen, das wir aber nur ahnen können. Es liegt uns gleichsam zu fern, um es erkennen zu können. Jedoch nach uns, viel später, wird es der Menschheit näher kommen. Dann in einer viel

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späteren Kulturepoche sprach ein anderer Eingeweihter über dieses Wesen. Es war Zarathustra, nicht der historische, sondern ein Vor­gänger desselben. Wenn er zum Volke sprach in seiner altpersischen heiligen Sprache, deren Herrlichkeit sich heut kaum darstellen läßt, so sagte er: Ich sehe das höchste Wesen in der Sonne, um die Sonne. In der Atmosphäre der Sonne ist es! - Und deshalb nannte er es: Ahura Mazdao, die große Aura, im Gegensatz zum Menschen, der kleinen Aura. Er erkannte in der großen Aura ein Ebenbild oder Vorbild für die kleine Aura, den Menschen. Ahura Mazdao ist gleich Ormuzd. Und er ,hat gepredigt, daß der Ahura Mazdao einst im Menschen wird offenbar werden. Das hat er vorausgeschaut. Aber er schaute auch, daß im Menschen Kräfte vorhanden sind, die ihn von der Offenbarung des höchsten Wesens in ihm hindern und fernhalten. Diese bezeichnete er als Ahriman, das Böse.

Noch später, in einer andern Kulturepoche, da haben wir wieder einen großen Eingeweihten. Dem war die Erkenntnis noch näher ge­worden. Bei den Rishis war das höchste Wesen gleichsam in ungeheu­rer Entfernung im Weltraum verborgen, bei Zarathustra war es bis zur Sonne vorgerückt, aber bei Moses reichte die Erkenntnis bereits in greifbare Nähe. Im brennenden Dornbusch, der zu Moses sprach, haben wir die Aura als Bestandteil irdischer Elemente. Moses er­kannte, daß das höchste Wesen in der Erde vorhanden ist. Das Wesen war für den Eingeweihten heruntergestiegen über die Sonne zur Erde. Es lebte nun in den Elementen. Und als Moses das Wesen fragte, was er dem Volke sagen sollte, so sagte es ihm: «Ich bin der Ich-bin, Jahve.» Damit haben wir die Erklärung, daß das Wesen gekommen sei, um im Ich des Menschen zur Entfaltung zu kommen. Das war damals noch nicht der Fall. Der Mensch hatte damals das Bewußtsein des Höchsten noch nicht in seinem Innern zur Entfaltung gebracht. Moses jedoch wußte, daß dies geschehen sollte.

Und noch später kam ein andrer Mensch, der hellsichtig wurde: Paulus. Er wußte, daß in Jesus Christus dieses höchste Wesen ver­körpert war. Aber er konnte nicht glauben, nicht fassen, daß jenes Wesen am Kreuze sterben mußte. Da wurde er eingeweiht. Daß er eingeweiht werden konnte, hatte er dem eigentümlichen Umstande

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zu verdanken, daß er eine unzeitige Geburt war. Eine Frühgeburt, ein Mensch, der nicht volle neun Monate ausgetragen wurde, ist einer, der nicht so tief in die Materie gestiegen ist, weshalb ihm der Einblick in die geistige Welt leichter wird. Und als Paulus hellsichtig wurde, da erkannte er, daß in Christus das höchste Wesen lebte. Nun war es tatsächlich im Menschen aufgelebt. Daher sagt Christus beim Abend­mahl: «Das Brot ist mein Leib, der Wein ist mein Blut.» Brot: Erde; Wein, Pflanzensaft: Geist.

Bis hierher wollte ich Sie heute führen, um Sie fühlen zu lassen, was es zu bedeuten hat, daß ein solches Wesen sich der Erde genähert hat, in die Erde herabgelassen hat. Und das geschah auf Golgatha. Ist nun in Golgatha wirklich dieses Wesen über die Erde geflossen? Dazu be­trachten wir und vergleichen wir die Zeit, sagen wir sechshundert Jahre vor Christi Geburt mit der Zeit sechshundert Jahre nach Christi Geburt. Was ist da vorgegangen, worin besteht der Unterschied?

Sechshundert Jahre vor Christus, da lebte Buddha. Er lebte in einem Königspalast. Dann ging er hinaus ins Land und lernte kennen Alter, Krankheit, Armut, Tod, Leichnam. Er sah, daß das ganze Menschen­leben Leiden ist: Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Armut ist Leiden, Tod ist Leiden, Geburt ist Leiden, getrennt leben von denen, die wir lieben, ist Leiden, kurz alles Dasein ist Leiden. - Also sagte er sich und so lehrte er das Volk: Ihr sollt den Durst nach Dasein ver­lernen. - Da haben wir den hoffnungslosen Verzicht auf die Schöpfung.

Aber sechshundert Jahre später kam Golgatha. Da sehen wir als Symbol ein Kreuz aufgerichtet und auf dem Kreuz einen menschlichen Leichnam. Und die Menschen schauen zu dem Leichnam auf und ahnen, daß es die Heilung von allen Leiden gibt. Das ist ein Un­terschied. Die Menschen sehen im Tode nicht mehr das Zeichen des Leidens, sondern das Zeichen von der Heilung des Leidens. Sieger können sie werden über das, was im Leben hier ist. Und das heißt: Es wird eine Frucht mitgenommen ins andere Leben.

Versteht nun der Mensch, daß Geburt und Leben nicht Leiden ist, sondern die Möglichkeit gewährt, aus dem Leiden herauszukommen, indem das Leben Gelegenheit gibt, das Geistige zu entwickeln, das über alles Leiden hinausführt, so ist Alter nicht mehr Leiden, sondern

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Annäherung an die Frucht des Lebens; Tod ist nicht mehr Leiden, sondern Erlösung; Nichtvereintsein mit denen, die wir lieben, ist nicht mehr Leiden, wenn man sich mit dem Christus-Wesen der All­-Liebe vereint hat und alle Wesen in allen Welten in seine Liebe hüllt.

Das alles fühlte man sechshundert Jahre nach Christus, und seitdem konnte sich der Mensch verbunden fühlen mit dem Christus, dem Sonnengeist, der auch der Geist der Erde ist, der, wie er die Erde durchtränkt, auch jeden von uns durchdringt, und der Milde, Wärme, Liebe in unserer Seele erweckt, der die All-Liebe erweckt und die Erde umgestaltet.

Und weil Geisteswissenschaft durch die Mitteilung geistiger Wahr­heiten nicht Moral doziert, sondern praktische Moral begründet, so wird sie für den modernsten Menschen die Brücke bauen, die in die geistige Welt hineinführt. Es mag sein, daß diejenigen, die an der Spitze der heutigen Kultur stehen, die führenden Persönlichkeiten der Industrie und der Gelehrsamkeit, die Tonangebenden, lächeln mögen über diese kleinen geisteswissenschaftlichen Konventikel und über das, was da untersucht wird. Lassen Sie sie denken, was sie wol­len! Da war auch einst eine mächtige römische Kulturwelt, dieses alte kaiserliche Rom, das wir noch heute in seinen Trümmern bewundern. Das alte riesige Colosseum war die Stätte, wo Weihrauch abgebrannt wurde, um den aufsteigenden Fleischdunst der dort von den wilden Tieren zerrissenen Christenmenschen zu überdecken. Das war das alte Rom, oben am Tageslicht. Und unten? Steigen wir hinunter in die Katakomben! Da finden wir die ersten Bekenner des Christen­tums, des Mysteriums von Golgatha, verfolgt und verachtet. Da unten versteckt verehren sie Christus, da verrichten sie ihre symbo­lischen Handlungen, da unten werden die ersten christlichen Gemein­den begründet. Obschon klein an Zahl und verachtet, zweifelten sie nicht. Da unten ist eine kleine Schar verachtet und verstoßen, da oben ist eine große Schar, die den Ton angibt: einige Jahrhunderte später ist das alte Rom nicht mehr da, aber die da unten waren, die untere Welt, sie ist hinaufgestiegen. So wird auch die Geisteswissenschaft in einigen Jahrhunderten hinaufsteigen über Industrie, Gelehrsam­keit und heutige Menschheitsbeziehungen. Doch fühlen Sie das nicht

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wie im Stolz, sondern mit Demut, wenn Sie in Ihren kleinen Konven­tikeln sich vergleichen mit den unterirdischen Roms. Und wenn Sie sich ausmalen, daß die heutige glanzvolle Wissenschaft vor der Geistes­wissenschaft zerronnen sein wird, so malen Sie sich das nur in Demut aus. Wenn Sie dieses Gefühl von dieser Stunde an mitnehmen, so daß es immer lebendig in Ihnen bleibt, dann werden Sie an der Verbreitung der allgemeinen Menschenliebe mitarbeiten, und dann werden Sie ein­tauchen in eine neue Kultur.

Ich rufe an alle guten geistigen Kräfte, daß sie über dem neugegrün­deten Arbeitszweig wachen mögen und Ihnen helfen mögen, das Ziel zu erreichen und Ihre Arbeit zu erleichtern.

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ANHANG

Auszüge von wesentlichen Aussagen Rudolf Steiners aus mangelhaften Notizen von Vorträgen des gleichen Themas

Aus dem Vortrag Basel, 3. Februar 1909:

Im Kollegium der Rishis klang in den schönsten Klängen zusam­men, floß nun in schönster, in größter Harmonie zusammen, was bei den Bekennern der Orakel sich widersprochen hatte. Der Manu selbst konnte sich nicht enthüllen in dieser Zeit, er wurde nicht verstanden. Für die eigentlichen Geheimnisse der Sonne gab es Stellvertreter. Einer der Rishis war das.

*

Hermes erhielt nicht nur die Lehre des Zarathustra, sondern alle die Kraft, die Geheimnisse des Weltensysterns zu kennen.

*

Das Ich des Zarathustra nimmt einen andern Weg. Es ging in einen Leib, der im alten Assyrien lebte, in Nazarathos oder Zarathas, den Lehrer des Pythagoras. So daß wir also die pythagoräische Weisheit, die auf tiefe okkulte Weisheit zurückgeht und in Verstandesform ge­kleidet ist, zurückgehen sehen auf Zarathas, das wiederverkörperte Zarathustra-Ich im alten Assyrien. So sehen wir, wie die Kontinuität aufrechterhalten wird, sehen, wie der, der die Sonnengeheimnisse übernimmt, weiterwirkt auf die nachatlantische Kultur, dann auf den Lehrer des Pythagoras. Pythagoras hat auf seinen Reisen die Ein­weihungsstätten seines Lehrers Nazarathos besucht.

*

Gar mancher schlichte Mensch, der herumgeht, hat in seinem Astral­und Ätherleib Reste von bedeutenden Individualitäten. - Leute, die etwas erforschen können durch gewisse Mittel über Reinkarnation

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und die das ehrlich tun, müssen, wenn sie diese Tatsachen nicht ken­nen, wissen: das Ich ist es dann nicht, was sie durch somnambule Mittel auffinden. - Es findet nicht nur Reinkarnation der einzelnen Iche statt, sondern auch der einzelnen Glieder. Es ist wichtig, daß wir auf solche Dinge hinweisen, weil es sich herausgestellt hat, daß irr­tümliche Ansichten fatale Wirkungen ausüben nicht nur auf die, wel­che Anfänger sind, sondern auch Vorgerücktere werden verhängnis­voll beeinflußt, wenn sie glauben, daß diese oder jene Individualität verkörpert sei in dieser oder jener Persönlichkeit. Dem wird man einen Riegel vorschieben können, wenn man weiß, daß auch einzelne Glie­der sich wiederverkörpern können.

Aus dem Vortrag Stuttgart, 7. Februar 1909:

Zarathustra kam wieder als Nazarathos oder Zarathas und be­gründete eine Schule, wo er die Zeichen lehrte, die am Himmel geschehen mußten, wenn der Christus auf die Erde kommen sollte. Aus dieser Schule gingen die drei Weisen aus dem Morgenland hervor.

*

Heute darf ich diese Tatsachen mitteilen, und zwar erst seit acht Tagen, nachdem ich in den «Gathas» der Altperser folgende Stelle gefunden: «Als Gabe gibt Zarathustra des eigenen Körpers Leben dem Mazdao...»

Aus dem Vortrag Leipzig, 19. Februar 1909:

Heute ist kein Mensch, der nicht ein Stück vom vergangenen Äther- oder Astralleib an sich hat. Das sind verwickelte Fragen der Reinkarnation, und da über Reinkarnation in nächster Zeit manches verlauten wird, so bin ich verpflichtet, über diese Fragen zu sprechen. Ein Irrtum in den Reinkarnationsfragen hat großen Schaden im Ge­folge. Es schadet weniger den Anfängern als den Vorgeschritteneren.

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Auch in späterer Zeit können wir noch mannigfache Dinge darüber anführen. Ein Beispiel aus alter Zeit will ich bringen. Noah hatte drei

Söhne: Sem, Ham und Japhet. Sie waren Stammväter von Volks­stämmen. Es gibt da auch einen übersinnlichen Vorgang. Weil Sem -von ihm wollen wir hier reden, Moses stammte auch von ihm ab -zum Stammvater ausersehen war, erhielt er einen ganz besonderen Ätherleib, der ihm vollkommen eingegliedert wurde. Ein solcher Stammvater hatte einen Ätherleib, der, möchte man sagen, sich ins Unendliche vermehren kann, und so teilte sich allen Gliedern des semitischen Volksstammes wie eine Kopie, ein Abdruck, ein Teil des Ätherleibes dieses Stammvaters mit. Trotzdem wurde der Ätherleib des Sem aufbewahrt.

Hier könnte man fragen: Nützt sich der Ätherleib nicht ab und ver­mindert er sich nicht? Ein Klrschkern, der in die Erde gepflanzt wird, erzeugt einen Baum, der erzeugt Kirschen mit Kernen, die geben wieder Bäume, und so kann man von Verminderung nicht sprechen. Unendlich lange Zeiten bleibt der Ätherleib bestehen, schließlich aber werden die Verhältnisse zu verschieden und der gesammelte Äther-leib paßt nicht mehr, und da löst er sich im Weltenäther auf.

*

Es muß eine besondere Bedingung gegeben werden, wenn der Ätherleib sich vervielfältigen soll. Der Mensch ist eigentlich nur mit seinem Ich allein. Wenn nun ein Ätherleib auf solche Menschen über­geht, dann steigen höhere Wesen auf: Avatare. Durch solche avatari­sche Wesenheiten wird der betreffende Teil vervielfältigt; ohne dies ist eine Vervielfältigung einer solchen Wesenheit nie da. Vishnu und viele ausgezeichnete Brahmanen sind solche Wesenheiten. Ein Äther-leib, der erworben wird durch verschiedene Inkarnationen, kann auf­bewahrt bleiben als ein einzelner; ein sich verteilender gibt Kopien, Abdrücke. Einen Ätherleib, der sich als einzelner erhält, kann man Nirmanakaya, und einen solchen Ätherleib, der hervorgeht aus Tei­lung, Dharmakaya nennen.

Aber auch in der nachchristlichen Zeit gab es solche Übertragun-gen. Der Christus-Persönlichkeit liegt ein großes Geheimnis zugrunde.

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Kommen wir vom Ältesten auf Neues, so erwähne ich hier ein Beispiel aus dem 15. Jahrhundert. Von 1401 bis 1464 lebte Niko­laus von Kues, auch Nicolaus Cusanus genannt. Er schrieb ein Werk «De docta ignorantia», dessen Titel nur seinen Inhalt verbergen sollte. In ihm lebte der astralische Leib Christi und dieser ging später über auf Nikolaus Kopernikus. Ein anderes Beispiel: Der ätherische Leib des Christus leuchtete auf in Galilei. Wie hat dieser bedeutend eingegriffen in physisches Denken! Alles geht auf Galilei zurück. Bis zu seiner Zeit glaubte man, daß bei einer durch die Luft fliegenden Kugel die hinter ihr liegende Luft sie treibe, als würde die Kugel durch dieselbe geschoben. Man kannte nicht das Verharrungsvermögen. Eine Per­sönlichkeit, für die Galileis Ätherleib aufbewahrt wurde, ist Michail Lomonossow (1711 geboren). Er war Begründer des russischen Schrift­tums. Als Bauer in Rußland lebend, ging er später nach Moskau, um dort zu wirken, später kam er auch nach Deutschland.

Wie unterschied sich Jesus von Nazareth von dem Christus? Ge­boren als Jesus lebte er bis zu seinem dreißigsten Jahre als hoch-bedeutsame Persönlichkeit. Bei der Johannestaufe verläßt sein Ich die drei Leiber und geht andere Wege. Aber diese drei Leiber belebte der größte Avatar, so daß wir in dieser dreifachen Hülle den auf der Sonne lebenden Christus drei Jahre hindurch unter uns hatten. Er war die größte der avatarischen Wesenheiten.

Mit seinem Ich ist er verkörpert als Zarathas, der Lehrer des Pythagoras, ferner in Nachfolgern der Schule des Zarathas oder Nazarathos und in Nachfolgern der drei Weisen aus dem Morgen-lande. Das Ich des Jesus von Nazareth geht weiter als Lehrer des Arius; später ist er verkörpert in Norditalien und in einer Person der Neuzeit. - Während früher Teile des Ätherleibes nur auf Blutsver­wandte übergingen, konnten die des Jesus von Nazareth übergehen auf die verschiedensten Persönlichkeiten. Solch eine Persönlichkeit war der Dichter des «Heliand». Er lebte zur Zeit Ludwigs des From­men im 9. Jahrhundert. Das Spirituelle des Christus-Bildes lebte in ihm und er stellte es auf seine Weise dar, wie es ihm vor geschwebt hatte. Eine andere Gestalt war Franz von Assisi. Mancherlei Züge sind in seiner Gestalt vereinigt. Er trug in sich eine der vielen Kopien

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des astralischen Christus-Leibes. Sein Ich war nicht auf der Höhe, es irrte, das war noch nicht durchchristlicht; hingegen, was er empfand am astralischen Leibe, war alles echt und groß. Er bewohnte eine Ver­vielfältigung der drei Leiber, jener drei Hüllen, die Christus bewohnte. Im 11., 12., 13. und 14.Jahrhundert gab es viele solcher Vervielfäl­tigungen. Eine war zum Beispiel die heilige Elisabesh von Thüringen. Diejenigen, die sich heute vorbereiten, bereiten damit einen Abdruck des Ich jener Wesenheit vor, und das ist die Entwickelung des zu­künftigen Christentums. So wirkt Vergangenes in Zukünftiges hin­ein. So wird der Mensch erst erkennen seine Bestimmung und damit wird er zum Mitarbeiter an der großen spirituellen Aufgabe.

Nach der Verleugnung des Christus vom 16. Jahrhundert an, müs­sen wir jetzt streben, das Geistige des Christentums zu erfassen, und dann wird das Ich des Christus zum Abbild kommen. Daß dies mög­lich ist, hat seine Veranlassung in Christi Opfertod. Später wird sich das Abbild oder ein Abdruck des Manas, noch später der Buddhi und zuletzt des Atma vollziehen. Es wird ein fortwährendes Opfern statt­finden.

Aus demselben Vortrag (Leipzig, 19. Februar 1909):

In Notizen von einer andern Hand finden sich folgende Varianten:

Wir müssen heute einige höhere Kapitel der Geisteswissenschaft durchnehmen, da wir sonst nicht weiterkommen würden. Freilich ge­hören auch diese Kapitel zu den elementaren Anfängen, aber in bezug auf das, was wir bisher besprochen haben, sind es doch höhere Kapitel.

*

Der Begründer der zweiten nachatlantischen Kulturepoche, Zara­thustra, war auch Schüler des Manu. Es ist aber ein großer Unter­schied zwischen ihm und den Rishis. Letztere wußten durch Inspira­tion das Geheimnis der Planeten, aber nicht das Geheimnis der Sonne.

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Daher sprechen sie von Vishva-Karman, der Macht, die jenseits des Wissens der Rishis steht und die gerade die Sonnenmacht, die spätere Christus-Macht ist. Gerade in diese weihte der Manu seinen Lieb­lingsschüler Zarathustra ein.

*

Wenn ein Ätherleib vervielfältigt wird, so müssen besondere Be­dingungen herrschen. Eine höhere Wesenheit muß als Avatar in dem­jenigen Ätherleib oder Astralleib wirken, mit dem eine andere Wesen­heit begabt werden soll. Ohne das ist keine Vervielfältigung möglich. So wirkte in Krishna Vishnu als Avatar; deshalb konnte dieser Äther-leib vervielfältigt werden für viele spätere ausgezeichnete Brahmanen.

Aus dem Vortrag Kassel, 25. Februar 1909:

Kardinal Nikolaus von Kues hat das Buch «Über die gelehrte Un­wissenheit» geschrieben. Er hat vorweggenommen die kopernika­nische Planetensystem-Anschauung. Mehr verschleiert brachte er sie. Der Astralleib des Nikolaus von Kues wird übergeführt in Nikolaus Kopernikus, und der beschreibt und erklärt, was er vorher verschleiert gegeben hatte. Ein Stück des ägyptischen Hermes war darin ent­halten, ein wichtiges Stück.

*

In der okkulten Forschung handelt es sich einmal darum, zu suchen nach dem Weiterwirken des Ätherleibes von Galilei. Etwa sechs Jahre liegen diese Forschungen zurück. Wer da suchte, war schlecht be­schlagen in der russischen Literatur. Er sah nur, daß dieser Ätherleib in einem Menschen wieder auftauchte, der Michail Loinonossow hieß und 1711 geboren war. Der Forscher wußte nichts Näheres von die­ser Persönlichkeit. Dadurch ist die Sache noch interessanter.

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Aus dem Vortrag Berlin, 22. März 1909:

(ganzer Vortrag in dem Band «Geisteswissenschaftliche Menschenkunde»)

Wenn uns erzählt wird, daß es eine niedrige Auffassungsweise der Orientalisten sei, zu sagen, daß der Buddha an Übergenuß von Schweinefleisch zugrunde gegangen sei - wie es die gelehrten Herren anführen -, und wir darüber belehrt werden, daß das seine tiefere Bedeutung hat, die Bedeutung, daß der Buddha denen, die zunächst um ihn herum waren, zuviel der esoterischen Weisheit gegeben hat, so daß er an dieser Überfüllung zunächst eine Art von Karma hatte, wir geben es zu; wir sagen: Selbstverständlich liegen dahinter die tieferen esoterischen Weisheiten, die ihr behauptet, die ihr morgen­ländische Esoteriker seid. Wenn man uns aber dann sagt, niemand könne begreifen, daß Johannes die Apokalypse unter Blitz und Don­ner auf Patmos empfangen habe, dann sagen wir: Ein jeder, der da weiß, was damit gemeint ist, der weiß, daß das eine Wahrheit ist. Wir leugnen das eine nicht; aber wir können nicht mitgehen, wenn man leugnen wollte, daß das andere richtig ist. Uns fällt nicht ein, irgend etwas dagegen zu sagen, daß es richtig ist, wenn gesagt wird, der astralische Leib des Buddha ist aufbewahrt worden und später ein­verleibt worden dem Shankaracharya. Aber uns kann es nicht hindern, zu lehren, daß der astralische Leib des Jesus von Nazareth aufbewahrt wurde und in so und so vielen Abbildern erschienen ist und verschie­denen, die damals im Sinne des Christentums gewirkt haben, einver­leibt worden ist, wie dem Franz von Assisi oder der Elisaheth von Thüringen. Wir leugnen keine einzige Wahrheit des orientalischen Esoterismus. Wenn man uns also fragt: Warum wird etwas geleugnet? Warum ist eine Gegnerschaft vorhanden? - so ist es nicht an uns, zu antworten. Denn an uns wäre es, zu antworten, wenn wir irgendeine Gegnerschaft in uns hätten. Wir haben keine! Die Pflicht des Ant­wortens hat derjenige, der etwas leugnet, nicht der, der etwas zugibt. Das ist ganz selbstverständlich.

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HINWEISE

Die in diesem Band gesammelten Vorträge erscheinen erstmals in dieser Zusammen­stellung. Die Vorträge waren von Rudolf Steiner nicht zum Druck bestimmt und er hat sie selbst nicht durchgesehen. Deshalb stammt auch der Titel des Bandes, wenn er auch auf der von ihm gebrauchten Formulierung filßt, sowie die Titel der einzelnen Vorträge - mit Ausnahme des Gesamttitels des Budapester Zyklus «Theosophie und Okkultismus des Rosenkreuzen» - nicht vun ihm. Soweit einzelne Vorträge schon veröffentlicht waren, gehen die Titel auf die Herausgabe durch Marie Steiner zuruck (vgl. Seite 4).

Die Güte der Nachsehriften ist sehr unterschiedlich. Einige können als gute, nahezu wörtliche Wiedergaben des gesprochenen Wortes gelten, bei andern sind Lücken deutlich spürbar, wiederum andere sind nur als Notizen zu werten. Letzteres gilt insbesondere für die Vorträge Rom 28., 31. März 1909, Kristiania (Oslo), 16. Mai 1909 und Wien, 14. Juni 1909. Sowohl bei den beiden Rom-Vorträgen wie dem Kristiania-Vortrag ist zu berücksichtigen, daß sie Vortragsreihen entstammen, die jedoch im Ganzen zu mangelhaft nachgeschrieben sind, um veröffentlicht werden zu können. Die drei Vorträge wurden nur aus dem Grunde hier einbezogen, weil in ihnen wichtige Details zu dem hier in Frage kommenden Zusammenhang berührt werden, die in andern Vorträgen nicht dargestellt sind. Der Budapester Zyklus «Theosophie und Okkultismus des Rosenkreuzers» liegt ebenfalls nur in einer stark gekürzten Nachsehrift vor, die von Marie Steiner im Jahre 1944 für den Abdruck im Nachrichtenblatt «Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht» durchgesehen wurde.

Der Berliner Vortrag vom 15. Februar 1909 ist in der Gesamtausgabe bereits ent­halten in dem Band «Geisteswissenschaftliehe Menschenktinde», Dornach 1959. Da er jedoch für das Thema vorliegenden Bandes von grundlegender Bedeutung ist, wurde er auch hier aufgenommen. Außerdem weist der Text dureb eine seither aufgefundene andere Nachsehrift eine ganze Reihe von Verbesserungen aufl

Von den in der Bibliographie unter Nururnern 109 und 111 angeführten rund vierzig Vorträgen hat sich eine ganze Anzahl als für den Druck zu unzureichend erwiesen, aus denen deshalb nur die wesentlichsten Stellen als Arshang ausgezogen sind. Der Auszug aus dem bereits gedruckt vorliegenden Vortrag vom 22. März 1909 wurde nur deshalb angefügt, weil es sieh hier um eine zur Thematik des vorliegenden Bandes gehörende einmalige Angabe handelt.

Über das Prinzip «Spirituelle Ökonomie» sprach Rudolf Steiner zu der Zeit, da eran seinem Werk «Die Geheimwissenschaft im Umriß» arbeitete, beginnend in Berlin am 28. Dezember 1908. Da Nachsehreiben hierbei nicht gestattet war, gibt es davon keine Nachschrift. Aus einigen von einem Teilnehmer hinterher aus dem Gedächtnis fest­gehaltenen Punkten gebt jedoch hervor, daß es sich um dieselben Ausführungen handelte, wie sie darauffolgend auch an andern Orten gegeben wurden, zunächst in Heidelberg am 21. Januar 1909, weshalb dieser Vortrag den Band eröffnet. An die beiden Kölner Vorträge vom 10. und 11.April 1909 schloß sich in Düsseldorf vom 12.-18. April 1909 der zehn Vorträge umfassende Zyklus «Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt. Tierkreis, Planeten, Kosmos», in welchem das Thema ebenfalls behandelt ist.

Die Thematik steht in unmittelbarem Zusanunenbang einerseits mit Rudolf Steiners geisteswissenschaftlichen Forschungsergebnissen über «Die geistige Führung des Men­schen und der Menschheit», andererseits mit den späteren Karmavorträgen. Eine be­sondere Stellung im Gesamtwerk nehmen die Betrachtungen dadurch ein, daß in ihnen ein Aspekt hervorgehoben ist, der in dieser Weise später nicht mehr zur Darstellung kommt.

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Zu der Zeit als Rudolf Steiner diese Vorträge hielt, stand er mit seiner anthropo­sophisch orientierten Geisteswissenschaft noch innerhalb der damaligen Theosophischen Gesellschaft und gehrsuchte die Ausdrücke «Theosophie» und «theosophisch», jedoch immer im Sinne seiner von Anfang an anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft.

Einer späteren Angabe Rudolf Steiner, gemäß, sind hier diese Bezeichnungen im all­gemeinen durch «Geisteswissenschaft» oder «Anthroposophie», «geisteswissenschaft-lieb» oder «anthroposophisch» ersetzt.

Zu Seite:

15 f. der eigentliche oder erste Zarathustra: Im öffentlichen Vortrag über «Zarathustra» im Berliner Architektenhaus vom 19. Januar 1911 führt Rudolf Steiner noch an:

«Griechische Geschichtsschreiber weisen immer wieder darauf hin, daß man Zarathustra weit hinaus au versetzen hat, etwa 5000-6000 Jahre weit hinter den trojanischen Krieg.» Vgl. auch Hinweis zu Seite 18.

16 f. Nikolaus von Kues (Cusanus), 1401-1464, deutscher Kardinal. Schrieb 1440 sein Werk «De docta ignorantia».

Nikolaus Kopernikus, 1473-1543.

17 Galileo Galilei, 1564-1642.

17 f. Michail Lononssow, 1711-1765. Bahnbcechend für Literatur und Wissenschaft in Russland.

18 f. Zarathas-Nazarathos, welcher der Lehrer des Pythagoras war: Siehe hierzu auch Otto Willmann, Geschichte des Idealismus, Band 1, § 5 Die ehaldlilache Weisheit:

«Clemens von Alexandrien teilt aus der Schrift des Alexander Polyhistor <über

die pythagoräischen Symbole> mit, daß jener von dem Assyrier Nazarathos

Unterricht empfangen habe... Plutarch nennt Zarathas ohne Angabe der Ab­stammung, Pythagoras' Lehrer... Unter diesem Zarathas kann Plutareh nicht Zoroastcr meinen, da er diesen Jahrtausende vor dem troisehen Kriege lebend denkt.»

19 Vortrag, der hier üher kompliziertere Fragen der Wiederverkörpeurng gehalten worden ist:

Bezieht sich auf den Vortrag vom 28. Dezember 1908, hei welchem nicht nach-geschrieben werden durfte.

nanches, was in den letzten Stunden gesagt worden ist: Bezieht sieh auf die Vorträge des Bandes «Geisteswiasenschaftliehe Menschenkunde», Domach 1959.

27 Irenäus. War 177/78 Bischof von Lyon, als Knabe hatte er in Smyrna noch selbst den Predigten des Bischofs und Märtyrers Polykarp gelauseht, der seiner­seits, ebenso wie Papias, als Schüler der Apostel galt.

27 f. Augustinus, 354-430. Das Zitat ist frei wiedergegeben aus Contr. Faustum

XXXIII., 6. Es lautet wörtlich: «Wer möchte so verblendet sein, zu sagen, die

Kirche der Apostel verdiene keinen Glauben, die so treu ist und von 50 vieler

Brüder Einstimmung getragen, daß diese deren Schriften gewissenhaft den

Nachkommen überlieferten, wie sie auch deren Lehrstühle bis zu den gegen­wärtigen Bischöfen herab mit streng gesicherter Nachfolge erhalten hat.»

Zitiert nach Otto Willmann, Geschichte des Idealismus, Band II, S.256 (1896).

30 f. Franz von Assisi, 1182-1226.

295

Zu Seite:

31 f. Blisaheth von Thüringen, 1207-1231.

32 Meister Eckart, um 1260-1327.

Johannes Tauler, 1300-1361.

35 David Friedrich Strauß, 1808-1874. Philosoph und freigeistiger protestantischer Theologe.

58 Johannes Scotus Erigena, um 810 bis um 877.

66 Thomas von Aquino, 1227-1274.

66 f. Christian Rosenkreutz: Vgl. hierzu den Band der Gesamtausgabe « Das esote­rische Christentum und die geistige Führung der Menschheit», Doimaeh 1962.

67 Augustinus und Thonas von Aquino (die den Weg für das Christentum vor­bereiteten): Siehe hierzu Rudolf Steiner: «Die Philosophie des Thomas von Aquino», 3 Vorträge, gehalten Pilngsten 1920 in Dornach, Dornach 1958.

74/75 Meister der Weisheit und des Zusannenklanges der Enpfindungen: Siehe hierzu den Vortrag Berlin, 26. Dezember 1909 in « Das Weihnachtsmysterium. Novalis, der Seher und Christuskünder», Dornach 1954, sowie den Vortrag München, 24. Augnat 1911 in «Weltenwunder, Seelenprüfungen und Geistesoffen­barungen», Gesamtausgabe Dornach 1960.

75 Zyklus, den ich in Ron halten konnte: Auf Einladung der Principeasa Elika D'Antuni hielt Rudolf Steiner in deren Palazzo del Drago 7 Vorträge «Ein­führung in die Theosophie» vom 25.-31. März 1909, von denen Vortrag IV und VII aus den auf Seite 293 angeführten Gründen in diesen Band aufgenom­men wurden.

89/90 gestern . . . als wir den Grundstein legten: In der dem Vortrag vorangegangenen Nacht wurde der Grundstein zu dem von der Familie Stockmeyer errichteten sogenannten Malseher Modellbau gelegt als einem ersten Versuch zur Realisie­rung von Rudolf Steiners Baugedanken. Vgl. Rudolf Steiner: «Bilder okkulter Siegel und Säulen. Der Münchner Kongreß Pfingsten 1907», Gesamtausgabe 1957.

94 Shakyanu"i: Buddha als «Der Weise aus dem Shakyagesehlecht».

Maitreya-Buddha: VgL den im Hinweis zu Seite 66 genannten Band.

121 Colunhan, 545-615, iriseher Missionar.

Gallus, gest. 527, iro-schottischer Missionar.

Patricka, um 385 bis um 460, englischer Missionar.

141 «Ich fluche den Skythianos, ich fluche den Boddhaa, ich fluche den Zarathas»: Es gibt zwei solcher Abachwörungsformein in griechischer Sprache. Siehe Migne:

«Patrologia Graeca» I 1321 und 1468. Rudolf Steiner spricht über diese Formel noch einmal im Augnst desselben Jahres in München in dem Vortragazyklus «Der Orient im Lichte des Okzident. Die Kinder Luzifer und die Brüder Christi», Gesamtausgabe Domach 1960.

296

Zu Seite:

148 Zarathustra-Zitat «Ich will reden...»: Freie Wiedergabe einer Gatha-Stclle, Yasna 45.

Zarathustra-Zitat « So groß und so mächtig ist er...»: Nach welcher Übersetzung

Rudolf Steiner hier zitiert, ließ sich nicht feststellen. Es handelt sich um die

Stelle aus dem Avesta, Yasna 33, 14.

150 Buddha-Zitat « Vor mir staud. . . »: Anguttaranikaya IV, p. 302 (Pali Text Society). Vgl. auch Hermann Beckh: « Buddba und seine Lehre», Neuausgabe Stuttgart 1958, S.175.

151 Lieber ein Bettler in der Oherwelt, als ein König im Reiche der Schatten: Homer, Odyssee, XI. Gesang 489-491. Die Seele des Acbilles, durch Totenopfer des Odysseus aus dem Hades heraufbeschworen, spricht zu Odysseus: « Preise mir jetzt nicht tröstend den Tod, ruhmvoller Odysseus. Lieber möcht' ich fürwahr, dem unbegüterten Hüfner, Der nur kümmerlich lebt, als Taglöhner das Feld baun, Als die ganze Schar vermoderter Toter beherrschen.»

160 Im Lauft der Verhandlungen des Kongresses: 5. Kongreß der Pöderation europäischer Sektionen der Theosopbischen Gesellsehaft in Budapest vom 30. Mai bis 2. Juni 1909.

eine völlige Neuschöpfung alles medizinischen Wissens: Siehe Rudolf Steiner/Dr. Ita Wegman: « Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geiste>-wissenschaftlichen Erkenntnissen», Arlesbeim 1953.

161 das kleine Heftchen, das ich über die Erziehung des Kindes geschrieben habe: Aufsatz aus dem Jahre 1907, innerhalb der Gesamtausgabe in dem Band « Luzifer-Gnosis», Dornach 1960.

162 was während der Kongrefiverhandlungen von mir über das Ereignis von Damaskus gesagt worden ist: Vgl. den Vortrag vom 31. Mal 1909 in diesem Band.

194 Goethe-Zitat: Wörtlich «Das Auge hat sein Dasein dem Licht zu danken. Aus gleichgültigen tierischen Hilfsorganen ruft sich das Licht ein Organ hervor, das seinesgleichen werde; und so bildet sich das Auge am Lichte fürs Licht, damit das innere Licht dem äußeren entgegentrete.» Entwurf einer Farben­lehre, didaktischer Teil, 1810. Siehe Goethes Naturwissenschaftliche Schriften in Kürschner> Deutscher Nationalliteratur, herausgegeben von Rudolf Steiner, 3. Band, S.88.

214 Ausspruch eines ägyptischen Weisen: Plato, im «Timaios».

222 Was der Okkultist über Erdbeben und Vulkantätigkeit zu sagen hat, kann vielleicht noch gesagt werden: Wurde hier nicht mehr ausgeführt. Vgl. hierüber den Vortrag Berlin, 1. Januar 1909 in dem Band «Geisteswissen,chaftliche Menschenkunde», Dornach 1959.

291 Wenn man uns aber dann sagt, niemand könne begreifin, daß Johannes die Apokalypse unter Blitz und Donner auf Patmos empfangen habe: Diese Stelle bezieht sich auf H.P. Blavatskys Ablehnung dieser okkulten Tatsache in ihrem Buche «Die Geheimlehre» im III. Band.

Shankaracharya: 788-820 nach Christus. Reformator derVeden und des sonstigen indischen Wissens.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.