GA 14

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RUDOLF STEINER

SCHRIFTEN


VIER MYSTERIENDRAMEN

Die Pforte der Einweihung
Die Prüfung der Seele
Der Hüter der Schwelle
Der Seelen Erwachen

GA 14

1962

Inhaltsverzeichnis

1

DIE PFORTE DER EINWEIHUNG (INITIATION)

EIN ROSENKREUZERMYSTERIUM
DURCH
RUDOLF STEINER

2


3

PERSONEN

DES VORSPIELES UND ZWISCHENSPIELES
Sophia
Estella
Zwei Kinder
DES MYSTERIUMS
Johannes Thomasius
Maria
Benedictus
Theodosius, dessen Urbild im Verlaufe als Geist der Liebe sich offenbart
Romanus, dessen Urbild im Verlaufe als Geist der Tatkraft sich offenbart
Retardus, nur als Geist wirksam
German, dessen Urbild im Verlaufe als Geist des Erdgehirns sich offenbart
Philia } Freundinnen Marias, deren Urbilder im Verlaufe als Geister von Marias Seelenkräften sich offenbaren
Astrid
Luna
Helena, deren Urbild im Verlaufe als Lucifer sich offenbart
Professor Capesius
Doktor Strader
Felix Balde, der sich als ein Träger des Naturgeistes offenbart
Frau Balde
Die andre Maria, deren Urbild im Verlaufe sich als Seele der Liebe offenbart
Theodora, Seherin
Ahriman, nur als Seele wirksam gedacht
Der Geist der Elemente, nur als Geist wirksam gedacht
Ein Kind, dessen Urbild im Verlaufe als junge Seele sich offenbart
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VORSPIEL

Zimmer der Frau Sophia, in gelbrötlichem Farbenton gehalten Sophia mit ihren beiden Kindern, einem Knaben und einem Mädchen, dann Estella.

SINGEN DER KINDER:
(Sophia begleitet auf dem Klavier):
Der Sonne Licht durchflutet
Des Raumes Weiten,
Der Vögel Singen durchhallet
Der Luft Gefilde,
Der Pflanzen Segen entkeimet
Dem Erdenwesen,
Und Menschenseelen erhehen
In Dankgefühlen
Sich zu den Geistern der Welt.

SOPHIA:
Und nun, Kinder, geht in eure Stube und überdenkt die Worte, die wir eben geübt haben.
(Sophia geleitet die Kinder hinaus, Estella tritt ein.)
ESTELLA:
Sei mir gegrüßt, meine liebe Sophie. Ich störe dich doch nicht.
SOPHIA:
Nein, meine gute Estella. Sei mir herzlich willkommen.
(Fordert Estella zum Sitzen auf und setzt sich selbst.)
ESTELLA:
Hast du gute Nachrichten von deinem Manne?

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SOPHIA:
Recht gute. Er schreibt mir, daß der Kongreß der Psychologen ihn interessiere, trotzdem die Art, wie da manche große Frage behandelt wird, wenig ansprechend sei. Ihn als Seelenforscher interessiert aber gerade, wie die Menschen sich durch eine bestimmte Weise geistiger Kurzsichtigkeit die freie Aussicht auf die eigentlichen Geheimnisse unmöglich machen.
ESTELLA:
Nicht wahr, er hat doch vor, selbst über ein wichtiges Thema zu sprechen?
SOPHIA:
Ja, über ein Thema, das ihm und auch mir sehr wichtig scheint. Eine Wirkung verspricht er sich allerdings nicht von seinen Ausführungen, in Anbetracht der wissenschaftlichen Vorstellungsarten der Kongreßteilnehmer.
ESTELLA:
Es führt mich ein Wunsch zu dir, meine liebe Sophie. Könnten wir diesen Abend nicht gemeinsam verbringen? Es ist heute die Aufführung der «Enterbten des Leibes und der Seele», und du könntest mir keine größere Freude machen, als wenn du mit mir zusammen die Vorstellung besuchen wolltest.
SOPHIA:
Es ist dir entfallen, liebe Estella, daß heute abend gerade für unsere Gesellschaft selbst die Aufführung ist, auf die wir uns seit langer Zeit vorbereitet haben.
ESTELLA:
Ach ja, das hatte ich vergessen. So gern hätte ich diesen Abend mit der alten Freundin verlebt. Ich freute mich von ganzem Herzen, an deiner Seite in die tiefen Untergründe unseres gegenwärtigen Lebens zu schauen. - Doch deine mir so fremde

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Ideenwelt wird auch noch den letzten Rest des schönen Bandes zerstören, das unsere Herzen verknüpft, seit wir zusammen auf der Schulbank gesessen.
SOPHIA:
Das sagtest du mir schon oft; doch hast du mir immer wieder zugeben müssen, daß unsere Meinungen keine Scheidewand aufzurichten brauchten zwischen den Gefühlen, welche seit der gemeinsam verlebten Jugend in jeder von uns für die andere leben.
ESTELLA:
Es ist wahr, das habe ich oft gesagt. Doch erweckt es mir immer wieder Bitternis, wenn ich sehen muss, wie mit jedem Jahre fremder dein Empfinden wird allem, was mir im Leben wertvoll scheint.
SOPHIA:
Wir könnten einander eben dadurch viel sein, daß wir uns gegenseitig gelten ließen in dem, wozu unsere verschiedenen Anlagen uns geführt.
ESTELLA:
Ach, oft lasse ich mir von meinem Verstande sagen, daß du darinnen recht hast. Und doch ist etwas in mir, was sich auflehnt gegen die Art, wie du das Leben betrachtest.
SOPHIA:
Gib dir doch ernstlich einmal zu, daß du damit eigentlich von mir die Verleugnung meines innersten Wesenskernes verlangst.
ESTELLA:
Ja, ich wollte das auch alles gelten lassen, wenn nur eines nicht wäre. Ich kann mir ganz gut denken, daß Menschen verschiedener Vorstellungsarten sich in völliger Sympathie der Gefühle begegnen. Deine Ideenrichtung legt dir aber förmlich die innere Verpflichtung

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zu einer gewissen Überhebung auf. Andere Menschen können ganz gut so zueinander stehen, daß sie von ihren Ansichten denken, diese seien durch verschiedene mögliche Standpunkte bedingt und stehen als gleichberechtigt nebeneinander. Deine Anschauung aber gibt sich allen anderen gegenüber als die tiefere. Sie sieht in den andern nur Ausflüsse eines untergeordneten menschlichen Ent-wicklungsgrades.
SOPHIA:
Aus dem, was wir so oft besprochen, könntest du aber wissen, daß meine Gesinnungsgenossen den Wert des Menschen im letzten Grunde doch nicht nach seiner Meinung und seinem Wissen bemessen. Und wenn wir auch unsere Ideen als diejenigen betrachten, ohne deren lebendige Erfassung alles andere Leben ohne rechten Grund ist, so bemühen wir uns doch so ernstlich als möglich, den Menschen deshalb nicht zu überschätzen, weil er sich zum Werkzeug gerade unseres Lebensinhaltes machen darf.
ESTELLA:
Das scheint alles schön gesprochen. Es will mir aber einen Argwohn nicht nehmen. Denn ich kann mich davor nicht verschließen, daß eine Weltansicht, welche sich eine unbedingte Tiefe zuschreibt, nur auf dem Umweg einer vorgetäuschten Tiefe zu einer gewissen Oberflächlichkeit führen muß. Du bist mir eine viel zu liebe Freundin, als daß ich dir kommen möchte mit dem Hinweis auf diejenigen deiner Gesinnungsgenossen, die auf eure Ideen schwören und den geistigen Hochmut in schlimmster Art zur Schau tragen, trotzdem die Leerheit und Banalität ihrer

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Seele aus jedem ihrer Worte und aus ihrem ganzen Verhalten spricht. Und auch darauf will ich dich nicht weisen, wie stumpf und gefühllos gegen ihre Mitmenschen gerade manche eurer Anhänger sich zeigen Deine große Seele hat sich ja doch niemals dem entziehen können, was das tägliche Leben nun einmal von jedem Menschen verlangt, der im echten Sinne als ein guter bezeichnet werden muß. Doch gerade, daß du mich heute allein läßt, da, wo echtes, künstlerisches Leben spricht, das zeigt mir auch an dir, daß eure Ideen doch gegenüber diesem Leben - verzeihe das Wort - eine gewisse Oberflächlichkeit erzeugen.
SOPHIA:
Und wo liegt diese Oberflächlichkeit?
ESTELLA:
Du solltest doch wissen, da du mich so lange kennst, wie ich mich losgerungen von einer Lebensart, die von Tag zu Tag nur jagt nach dem, was Herkommen und banale Meinungen vorschreiben Ich habe gesucht, kennenzulernen, warum so viele Menschen anscheinend unverdient leiden müssen Ich bestrebte mich, den Niederungen und den Höhen des Lebens nahezutreten. Ich habe auch die Wissenschaften, soweit sie mir zugänglich sind, befragt, um allerlei Aufschlüsse zu erlangen. - Nun, halten wir uns an Einen Punkt, der gerade durch diesen Augenblick geboten ist. Es ist mir bewußt geworden, was echte Kunst ist. Ich glaube zu verstehen, wie sie das Wesen des Lebens erfaßt und die wahre, die höhere Wirklichkeit vor unsere Seele hinstellt. Ich meine den Pulsschlag der Zeit zu Spüren, wenn ich solche Kunst auf mich wirken lasse. Und mir graut, wenn ich nun denken soll: Du, meine liebe Sophie, ziehst diesem

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Interesse an lebensvoller Kunst etwas vor, was mir doch nichts anderes zu sein scheint als die abgetane lehrhaft-allegorische Art, welche puppenhafte Schemen statt lebendiger Menschen betrachtet und sinnbildliche Vorgänge bewundert, die fernstehen allem, was im Leben täglich an unser Mitleid, an unsere tätige Anteilnahme sich wendet.
SOPHIA:
Meine liebe Estella, du willst eben nicht begreifen, daß da erst das reichste Leben sein kann, wo du nur ausgeklügelte Gedanken siehst. Und daß es Menschen geben darf, welche deine lebensvolle Wirklichkeit dann arm nennen müssen, wenn sie nicht gemessen wird an dem, woraus sie eigentlich hervorsprudelt. Es mag dir manches herb klingen an meinen Worten Allein unsere Freundschaft fordert ungeschminkte Aufrichtigkeit. Du kennst, wie so viele, von dem, was Geist genannt wird, nur das, was Träger des Wissens ist; du hast nur ein Bewußtsein von der Gedankenseite des Geistes. Auf den lebendigen, den schöpferischen Geist, der Menschen gestaltet mit elementarer Macht, wie Keimeskräfte in der Natur Wesen gestalten, willst du dich nicht einlassen Du nennst wie so viele zum Beispiel in der Kunst das naiv und ursprünglich, was den Geist in meiner Auffassung verleugnet. Unsere Art der Weltauffassung vereinigt aber volle bewußte Freiheit mit der Kraft des naiven Werdens. Wir nehmen bewußt in uns auf, was naiv ist, und berauben es dadurch nicht der Frische, Fülle und Ursprünglichkeit. Du glaubst, man könne sich nur Gedanken über einen menschlichen Charakter machen: dieser aber müsse sich gleichsam von selbst formen. Du willst nicht

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einsehen, wie der Gedanke in den schaffenden Geist taucht, an des Daseins Urquell rührt und sich entpuppt als der schöpferische Keim selbst. - So wenig die Samenkräfte die Pflanze erst Lehren, wie sie wachsen soll, sondern sich als lebendig Wesen in ihr erweisen, so lehren unsere Ideen nicht: sie ergießen sich, Leben entzündend, Leben spendend in unser Wesen. Ich verdanke den Ideen, die mir zugänglich geworden sind, alles, was mir das Leben sinnvoll erscheinen läßt. Ich verdanke ihnen den Mut nicht nur, sondern auch die Einsicht und die Kraft, die mich hoffen lassen, aus meinen Kindern Menschen zu machen, die nicht nur im hergebrachten Sinne arbeitstüchtig und für ein äußeres Leben brauchbar sind, sondern die innere Ruhe und Befriedigung in der Seele tragen werden. Und, um nicht in alles mögliche zu verfallen, will ich dir nur noch sagen: Ich glaube zu wissen, daß die Träume, welche du mit so vielen teilst, sich nur dann verwirklichen können, wenn es den Menschen gelingt, das, was sie Wirklichkeit und Leben nennen, anzuknüpfen an die tieferen Erfahrungen, die du Phantastereien und Schwärmereien so oft genannt hast. Es mag dir sonderbar erscheinen, wenn ich dir gestehe, daß ich so manches, was dir echte Kunst dünkt, nur als unfruchtbare Lebenskritik empfinde. Denn es wird kein Hunger gestillt, keine Träne getrocknet, kein Quell der Verkommenheit geschaut, wenn man bloß die Außenseite des Hungers, der tränenvollen Gesichter, der verkommenen Menschen auf den Brettern zeigt. Wie das gewöhnlich gezeigt wird, steht den wahren Tiefen des Lebens und den Zusammenhängen der Wesenheiten unsäglich ferne.

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ESTELLA:
Wenn du so sprichst, bist du mir nicht etwa unver-ständlich, sondern du zeigst mir nur, daß du eben doch lieber in Phantasien schwelgen willst, als des Lebens Wahrheit schauen. Auf diesen Wegen gehen wir ja doch auseinander. - Ich muß heute abend auf meine Freundin verzichten. (Aufstehend.) Jetzt muß ich dich verlassen; ich denke, wir bleiben doch die alten Freundinnen.
SOPHIA:
Wir müssen es wirklich bleiben.
(Während die letzten Worte gesprochen werden, geleitet
Sophia die Freundin zur Türe. Der Vorhang fällt.)

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ERSTES BILD

Zimmer in rosenrotem Grundton, rechts, vom Zuschauer aus gemeint, die Tür zu einem Versammlungssaal; die Personen kommen aus diesem Saal nach und nach heraus; eine jede verweilt noch einige Zeit in diesem Zimmer. Während dieses Verweilens sprechen sich die Personen über mancherlei aus, was in ihnen durch eine Rede angeregt worden ist, die sie in dem Versammlungssaal gehört haben. Maria und Johannes kommen zuerst, dann treten andere hinzu. Es ist die gehaltene Rede seit einiger Zeit zu Ende, und die folgenden Reden sind Fortsetzungen von Gesprächen, welche die Personen schon im Versammlungssaal geführt haben.


MARIA:
So nahe geht es mir, mein Freund,
Daß ich dich welken seh' an Geist und Seele.
Und fruchtlos sehen muss ich auch das schöne Band,
Das zehen Jahre uns vereint.
Auch diese inhaltvolle Stunde,
In welcher wir so vieles hören durften,
Was Licht in dunkle Seelentiefen strahlt,
Sie hat nur Scharten dir gebracht.
Ich konnte nach so manchem Worte,
Das unser Redner eben sprach,
Im eignen Herzen mitempfinden,
Wie tief es dich verwundet.
-----------------
Ich sah in deine Augen einst:
Sie spiegelten Freude nur
An aller Dinge Wesenheit,
Und deine Seele hielt
In schönheitvollen Bildern fest,

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Was Sonnenlicht und Luft,
Die Körper überflutend
Und offenbarend Daseinsrätsel,
In flücht'gen Augenblicken malen.
Noch war gelenk nicht deine Hand,
In derber Farbenpracht
Nicht konnte sie verkörpern,
Was lebensvoll vor deiner Seele schwebte.
In unsrer beider Herzen lebte doch
Der schöne Glaube,
Daß sicher dir die Zukunft bringen müsse
Die Kunst der Hand zur frohen,
In des Geschehens Grund
So innig-tief ergossnen Seele.
Und was vom Daseinswesen offenbart
So wunderbar des Geistes Forscherkraft,
Es werde Seelenwonnen
Aus deiner Kunst Geschöpfen
In Menschenherzen giessen:
So dachten wir in jenen Zeiten.
Der Zukunft Heil im Spiegel höchster Schönheit,
Entspringend deinem Können:
So malte deiner Seele Ziel die meine sich.
Und nun ist wie erloschen
In deinem Innern alle Kraft,
Wie tot ist deine Schaffensfreude,
Gelähmt fast scheint der Arm,
Der jugendfrisch vor Jahren
Den Pinsel kräftig führte.

JOHANNES THOMASIUS:
So leider ist es.
Ich fühle wie verschwunden

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Der Seele früh'res Feuer.
Und stumpf nur schaut mein Auge
Den Glanz der Dinge,
Den Sonnenlicht verbreitet über sie.
Fast fühllos bleibt mein Herz,
Wenn wechselnde Luftstimmung
Hingleitet über meinen Umkreis.
Es regt sich nicht die Hand,
Zu zwingen in die bleibende Gegenwart,
Was flüchtig Elementgewalten
Aus Daseinsgründen zaubern vor die Sinne.
Es quillt mir lustvoll
Nicht mehr der Schaffenstrieb.
Und Dumpfheit breitet über all mein Leben sich.

MARIA:
Beklagen muss ich tief,
Daß solches dir erwächst aus allem,
Was mir das Höchste,
Was Strom des heiligen Lebens mir ist.
O Freund, in jenem Wechselspiel,
Das Menschen Dasein nennen,
Verbirgt ein ewig geistig Leben sich.
Und jede Seele webt in diesem Leben.
Ich fühle mich in Geisteskräften,
Die wirken wie in Meerestiefen,
Und seh' der Menschen Leben
Wie Wellenkräuseln an des Wassers Oberfläche.
Ich fühle eins mit allem Lebenssinne mich,
Nach dem die Menschen rastlos streben,
Und welcher mir nur scheint
Des eignen Wesens Offenbarung.
Ich sah, wie oft er sich verband
Mit eines Menschen Seelenkern,

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Zum Höchsten ihn erhebend,
Was nur das Herz erflehen kann.
Doch wie er lebt in mir,
Erweist als böse Frucht er sich,
Berührt mein Wesen sich
Mit andrer Menschen Wesen.
Es zeigt sich dies mein Schicksal auch in allem,
Was dir ich geben wollte,
Der liebend sich mir nahte.
An meiner Seite wolltest du
Die Wege wacker gehen,
Die dich zu ediem Schaffen führen sollten.
Und was ist nun geworden!
Was stets als reinstes Leben sich mir offenbart,
In seines eignen Wesens Wahrheit,
Es war der Tod für deinen Geist.

JOHANNES:
Es ist so.
Was deine Seele trägt
In lichte Himmelshöhen,
Will stürzen mich,
Erleb ich es mit dir,
In finstre Todesgründe.
Als du in unsrer Freundschaft Morgenröte
Mich führtest zu der Offenbarung,
Die Licht verbreitet in den Finsternissen,
Die ohne wissend Leben jede Nacht
Betritt die Menschenseele;
In welche wandert
Des Menschen irrend Wesen,
Wenn Todes Nacht zu spotten scheint
Des Lebens wahrem Sinn;
Und als du wiesest mir

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Die Wahrheit von der Wiederkehr des Lebens, -
Da konnte ich mir denken,
Daß ich erwachsen werde
Zum echten Geistesmenschen.
Und sicher schien es mir,
Daß eines Künstlerauges Schärfe
Und alles Künstlerschaffens Sicherheit
Mir erst erblühen werden
Durch deines Feuers edle Kraft.
Ich liess auf mich nun wirken dieses Feuer,
Da raubt' es mir
Der Seelenkräfte Ineinanderfliessen;
Es presste allen Glauben an die Welt
Erbarmungslos mir aus dem Herzen.
Und nun bin ich so weit gekommen,
Daß Klarheit mir auch darin fehlt,
Ob ich bezweifeln soll, ob glauben
Die Offenbarung aus den Geisteswelten.
Und dazu selbst ermangle ich der Kraft,
Zu lieben, was in dir
Des Geistes Schönheit kündet.

MARIA:
Ich muss seit Jahren es erkennen,
Daß meine Art, das Geistesselbst zu leben,
Ins Gegenbild sich wandelt,
Durchdringt es manches andern Menschen Art.
Und sehen muss ich auch
Wie segenspendend sich die Geisteskraft erweist,
Gelangt auf andern Wegen sie in Menschenseelen.
(Es treten Philia, Astrid und Luna ein.)
Sie wird im Worte ausgesprochen,
Doch wird das Wort zur Kraft
Und lenkt in Weltenhöhen

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Der Menschen Denkungsart.
Es schafft da frohe Stimmung,
Wo trüber Sinn erst lebte;
Imstande ist es, umzuwandeln
Die Flüchtigkeit des Geistes
In würdig ernstes Fühlen;
Dem Menschenwesen gibt es sich're Prägung.
Und ich, ich bin ergriffen ganz
Von dieser Geisteskraft,
Und muss gewahren,
Daß Schmerzen und Verwüstung
Sie mit sich trägt,
Ergiesst aus meinem Herzen sie
In andre Herzen sich.

PHILIA:
Es war, als ob ein ganzer Chor
(Es treten Professor Capesius und Doktor Strader ein.)
Aus Meinungen und Gesinnungen
Zusammentönte in dem Kreise,
Der eben uns vereinte.
Der Harmonien gab es viele,
Doch auch so manche herbe Dissonanz.

MARIA:
Wenn vieler Menschen Worte
In solcher Art sich vor die Seele stellen,
Dann ist's, als ob
Geheimnisvoll dazwischenstünde
Des Menschen volles Urbild;
Es zeigt in vielen Seelen sich
Gegliedert, wie das Eine Licht
Im Regenbogen sich
In vielen Farbenarten offenbart.

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CAPESIUS:
So hat man denn
In vielen Jahren ernsten Strebens
Durchwandert mancher Zeiten wechselnd Wesen,
Zu forschen stets nach allem,
Was lebte in den Menschengeistern,
Die künden wollten Daseinsgründe
Und weisen Lebensziele ihrem Wirken.
Man glaubte, in der eignen Seele
Des Den nkens hohe Macht belebt zu haben
Und manchen Schicksals Rätsel.
Man konnte meinen, daß man fühle
Im Innern alles Urteils feste Stützen,
Wenn neu Erlebtes fragend
Sich vor die Seele drängt.
Doch wankend wird die Stütze mir bei allem,
Was ich schon früher,
Und auch in dieser Stunde wieder,
Mit Staunen habe hören können
Von dieser hier gepflegten Denkungsart.
Und wankend wird sie vollends,
Wenn ich bedenke, wie gewaltig
Die Wirkung sich erweist im Leben.
So manchen Tag hab' ich damit verbracht:
Was ich den Zeitenrätseln abgelauscht.
In solchen Worten auszusprechen,
Die Herzen fassen und erschüttern können.
Und froh schon war ich,
Wenn nur die kleinste Ecke
Im Seelenwesen meiner Hörerschar
Ich voll erwärmen konnte.
Und manches schien mir auch erreicht.
Nicht klagen kann ich über Misserfolg.
Doch alles Wirken solcher Art,

20

Es konnte mich nur führen
Zur Anerkennung jener Meinung,
Die so geliebt wird und betont
Im Reich der Tatenmenschen:
Daß in des Lebens Wirklichkeit
Gedanken nichts als blasse Schatten sind.
Sie könnten wohl befruchten
Die Schaffensmächte unsres Lebens;
Sie zu gestalten aber
Ist ihnen nicht gegeben.
Und längst hab' ich mich abgefunden
Mit dem bescheidnen Wort:
Wo nur Gedanken-Blässe wirkt,
Erlahmt das Leben und auch alles,
Was sich dem Leben zugesellt.
Und stärker als die reifsten Worte
Mit ihrer inhaltvollen Kunst
Erweist im Leben sich
Begabung als Naturgeschenk,
Erweist das Schicksal sich.
Die Bergeslast der Überlieferung
Und dumpfer Vorurteile Alp,
Sie werden stets erdrücken
Der besten Worte Kraft.
Was hier jedoch sich zeigt,
Gibt viel zu denken Menschen meiner Art.
Erklärlich schien uns solche Wirkung,
Wo überhitzter Sektengeist,
Die Seelen nur betörend,
Sich über Menschen giesst.
Doch hier ist nichts von solchem Geist zu sehn.
Man will nur durch Vernunft zur Seele sprechen.
Und doch: man schafft

21

Durch Worte echte Lebenskräfte,
Und spricht zum tiefsten Herzensgrund.
Und selbst des Wollens Reich
Ergreift das sonderbare Etwas,
Das jenen, die gleich mir
In alten Bahnen wandeln,
Als blasses Denken nur erscheinen will.
Ich bin ganz unvermögend,
Zu leugnen solche Wirkung;
Ich kann nur nicht
Mich selber ihr ergeben.
Es spricht dies alles zu mir so ganz eigenartig:
Nicht so, als ob an mir es wäre,
Zurückzustossen das Erlebte;
Es scheint mir fast,
Als könnte dieses Etwas meine Art
In sich nicht dulden.

STRADER:
Ich muss im vollsten Sinne mich bekennen
Zu euren letztgesprochnen Worten;
Und schärfer möchte ich sogar betonen,
Daß alle Wirkung auf die Seele,
Die wir erblühen sehen aus Ideen,
Entscheiden darf in keiner Weise,
Was an Erkenntniswert sie bergen.
Ob Wahrheit oder Irrtum
In unsrem Denken lebt,
Darüber kann allein nur richten
Des echten Wissens Wahrspruch.
Und niemand sollte ernstlich leugnen,
Daß solcher Prüfung wohl in keiner Art
Gewachsen sich erweisen kann,
Was hier nur scheinbar klar sich zeigt

22

Und Lösung höchster Lebensrätsel bieten will.
Es spricht berückend zu dem Menschengeist
Und lockt doch nur des Menschen gläubig Herz;
Man meint zu öffnen Türen in die Reiche,
Vor denen ratlos und bescheiden
Die streng bedächt'ge Forschung steht.
Und wer in wahrer Treue
Zu dieser Forschung lebt,
Ihm ziemt es zu bekennen,
Daß niemand wissen kann,
Woraus des Denkens Quellen strömen
Und wo des Daseins Gründe liegen.
Wenn solch Bekenntnis auch recht hart der Seele wird,
Die allzugern ergründen möchte,
Was jenseits allen Wissens liegt:
Der Denkerseele drängt ein jeder Blick,
Ob er nach aussen sich bemüht,
Ob man ins Innre ihn gerichtet hält,
Des Wissens Grenze doch gewaltig auf.
Verleugnen wir Vernunft
Und was Erfahrung uns gewährt,
So sinken wir ins Bodenlose.
Und wer vermöchte nicht zu sehn,
Wie wenig unsrer Denkungsart
Im Ernst sich fügen will,
Was hier als neue Offenbarung gilt.
Es braucht fürwahr nicht viel,
Zu zeigen, wie so ganz ihr fehlt,
Was allem Denken feste Stützen gibt
Und Sinn für Sicherheit verleiht.
Die Herzen wärmen mag die neue Offenbarung;
Der Denker sieht in ihr nur Schwärmerträume.

23


PHILIA:
So sprechen wird wohl stets
Das Wissen, das erobert ist
In Nüchternheit und mit Verstand.
Doch andres muss die Seele haben,
Die an sich selber glauben soll.
Sie wird wohl stets auf solche Worte hören,
Die ihr vom Geiste sprechen.
Was dunkel sie schon vorher ahnen konnte,
Erstrebt sie zu begreifen.
Zu reden von dem Unbekannten,
Es kann den Denker locken;
Doch niemals Menschenherzen.

STRADER:
Ich kann empfinden,
Wieviel in solchem Einwurf liegt.
Er trifft die blossen Grübler,
Die nur des Denkens Faden spinnen
Und fragen, was aus dem und jenem folgt,
Das sie erst selber sich als Meinung bilden.
Doch kann er mich nicht treffen.
Ich habe nicht Gedanken mich ergeben,
Weil äussrer Anlass mich geführt.
Ich wuchs als Kind heran
Im Kreise frommer Leute
Und sah Gebräuche,
Die meinen Sinn berauschten
Durch Bilder jener Himmekeiche,
Die man der Einfalt
So trostesreich zu schildern weiss.
In meiner Knabenseele
Erlebte ich die wahrsten Wonnen,
Wenn ich im Aufblick schwelgte
Zu höchsten Geisteswelten;

24

Und Beten war Bedürfnis meines Herzens.
Im Kloster ward ich dann erzogen,
Und Mönche waren meine Lehrer;
Und selber Mönch zu werden,
Ward meines Innern Sehnsucht
Und meiner Eltern heisser Wunsch.
Ich stand schon vor der Priesterweihe.
Es trieb ein Zufall dann mich aus dem Kloster.
Doch dankbar muss ich diesem Zufall sein;
Denn meiner Seele war
Der stille Friede längst geraubt,
Als jener Zufall sie errettet.
Ich war bekannt geworden mit so vielem,
Was nicht in eines Mönches Welt gehört.
Naturerkenntnis kam mir zu aus Schriften,
Die mir verboten waren.
So lernte ich die neue Forschung kennen;
Und schwer nur fand ich mich zurecht.
Ich suchte auf so manchem Wege.
Erklügelt wahrlich hab' ich nicht,
Was mir als Wahrheit sich gezeigt.
In heissen Kämpfen habe ich
Aus meinem Geist gerissen,
Was Glück und Frieden mir als Kind gebracht.
Ich kann verstehn das Herz,
Das nach den Höhn sich sehnt.
Doch weil als Traum erkannt ich hab,
Was mir die Geisteslehre brachte,
Musst' sichern Boden ich dann finden,
Wie Wissenschaft und Forschung nur ihn schaffen.

LUNA:
Ein jeder mag verstehn in seiner Art,
Wo Sinn und Ziel des Lebens liegen.

25

Mir fehlt ganz sicher jede Fähigkeit,
Am Wissen unsrer Zeit zu prüfen,
Was ich als Geisteslehre hier empfange.
Ich fühle aber klar in meinem Herzen,
Daß meine Seele ohne sie ersterben würde,
Wie meine Glieder ohne Blut es müssten.
Sie, lieber Doktor, sprechen viele Worte,
Um gegen uns zu kämpfen.
Und was Sie eben uns gesagt
Von Ihren Lebenskämpfen,
Gewicht verleiht es Ihren Worten
Bei jenen Menschen auch,
Die unvermögend sind, zu folgen Ihrer Rede.
Ich muss nur stets mich fragen,
(Theodora tritt ein.)
Warum gerader Menschensinn
Wie selbstverständlich finden muss
Das Wort vom Geist,
Das stets mit warmem Anteil er ergreifen wird;
Und Kälte nur ihn überläuft,
Wenn er die Seelennahrung suchen will
Aus Worten, wie sie jetzt von Ihnen kommen.

THEODORA:
Obwohl auch ich so wohl
Mich fühlen muss in diesem Kreise,
Erscheinen mir doch fremd die Reden,
Die ich hier hören muss.

CAPESIUS:
Warum die Fremdheit?
THEODORA : Ich mag es selbst nicht sagen.
Maria, schildre du es.

26


MARIA:
Die Freundin hat es oft uns dargestellt,
Wie sonderbar es ihr ergangen.
Sie fühlte eines Tages sich wie umgewandelt.
Und nirgends konnte sie Verständnis finden.
Ihr Wesen wirkte überall Befremden nur,
Bis sie in unsre Kreise trat.
Nicht daß wir selbst begreifen könnten,
Was sie mit keinem Menschen teilt;
Doch wir erwerben uns durch unsre Denkungsart
Die volle Anteilnahme auch für Ungewohntes,
Wir lassen jede Art
Des Menschenwesens gelten.
Für unsre Freundin gab es
Im Leben einen Augenblick,
Da sie verschwinden fühlte alles,
Was ihrem eignen Lebenslaufe angehört.
Vergangnes war wie ausgelösclit in ihrer Seele.
Und seit sich diese Wandlung eingestellt,
Erneuert immer wieder sich die Seelenstimmung.
Sie dauert jedesmal nur kurze Zeit.
Im andern Leben ist sie so wie alle Menschen.
Wenn sie in jenen Zustand fällt,
Ermangelt sie fast ganz
Der Gabe der Erinnerung.
Es ist ihr auch des Auges Kraft genommen,
Sie fühlt dann mehr, was sie umgibt.
Sie sieht es nicht.
Dabei erglimmen ihre Augen
In eigenartigem Licht.
Dafür erscheinen ihr Gebilde,
Die anfangs traumhaft waren,
Die jetzt so klar doch sind,
Daß sie als Vorverkündung spätrer Zukunft

27

Nur zu verstehen sind,
Wir haben dieses oft gesehn.

CAPESIUS:
Das ist es eben,
Was mir so wenig
Gefallen will in diesem Kreise:
Daß Aberglaube sich vermengt
Mit Logik und Vernunft.
Das war so überall,
Wo man auf diesen Wegen ging

MARIA:
Wenn ihr so sprechen könnt,
 Ist euch noch unbekannt,
Wie wir zu diesen Dingen stehn.

STRADER:
Was mich betrifft,
So muss ich frei gestehn,
Daß mir erwünschter ist,
Von solcher Offenbarung hier zu hören
Als von den zweifelhaften Geisteslehren.
Denn fehlt mir auch
Die Lösung für das Rätsel solcher Träume,
So seh' ich sie als Tatbestand ja doch.
Es gibt wohl keine Möglichkeit,
Zu sehen eine Probe
Der sonderbaren Geistesart.

MARIA:
Vielleicht, sie kommt da eben wieder.
 Es schien mir fast,
Als ob das Sonderbare jetzt
Sich zeigen wollte.

28


THEODORA:
Es drängt zu sprechen mich:
Vor meinem Geiste steht ein Bild im Lichtesschein,
Und Worte tönen mir aus ihm;
In Zukunftzeiten fühl' ich mich,
Und Menschen kann ich schauen,
Die jetzt noch nicht im Leben.
Sie schauen auch das Bild,
Sie hören auch die Worte,
Sie klingen so:
Ihr habt gelebt im Glauben,
Ihr ward getröstet in der Hoffnung,
Nun seid getröstet in dem Schauen,
Nun seid erquickt durch mich.
Ich lebte in den Seelen,
Die mich gesucht in sich,
Durch meiner Boten Wort,
Durch ihrer Andacht Kräfte.
Ihr habt geschaut der Sinne Licht
Und musstet glauben an des Geistes Schöpferreich.
Doch jetzt ist euch errungen
Ein Tropfen edler Sehergabe,
O fühlet ihn in eurer Seele.
Ein Menschenwesen
Entringt sich jenem Lichtesschein.
Es spricht zu mir:
Du sollst verkünden allen,
Die auf dich hören wollen,
Daß du geschaut,
Was Menschen noch erleben werden.
Es lebte Christus einst auf Erden,
Und dieses Lebens Folge war,
Daß er in Seelenform umschwebt

29

Der Menschen Werden.
Er hat sich mit der Erde Geistesteil vereint.
Die Menschen konnten schauen ihn noch nicht,
Wie er in solcher Daseinsform sich zeigt,
Weil Geistesaugen ihrem Wesen fehlten.
Die sich erst künftig zeigen sollen.
Doch nahe ist die Zukunft,
Da mit dem neuen Sehen
Begabt soll sein der Erdenmensch.
Was einst die Sinne schauten
Zu Christi Erdenzeit,
Es wird geschaut von Seelen werden,
Wenn bald die Zeit erfüllt wird sein.
(Sie geht ab.)


MARIA:
Es ist zum ersten Male,
Daß sie vor vielen Menschen so sich gibt,
Es drängte sie sonst nur,
Wenn zwei bis drei zugegen waren.

CAPESIUS:
Es scheint doch sonderbar,
Daß sie wie auf Befehl und nach Bedarf
Gedrängt sich fand zu dieser Offenbarung.

MARIA:
Das mag so scheinen.
Wir aber kennen ihre Art.
Wenn sie in diesem Augenblick
Die Stimme ihres Innern
In eure Seelen senden wollte,
Es war aus keinem andern Grunde,
Als weil an euch
Sich richten wollte dieser Stimme Quell.

30


CAPESIUS:
Bekannt ist uns geworden,
Daß von der künft'gen Gabe,
Von der sie sprach wie träumend,
Auch oftmals schon berichtet hat
Der Mann, von dem man uns gesagt,
Daß er die Seele dieses Kreises ist
Ist's möglich, daß von ihm
Der Inhalt ihrer Rede stammt,
Und nur die Art aus ihrem Wesen kommt?

MARIA:
Wenn so die Sache stünde,
Sie wäre uns nicht wichtig.
Es ist jedoch genau der Tatbestand geprüft.
Die Freundin war ganz unbekannt
Mit unsres Führers Reden,
Bevor sie unsren Kreis betrat.
Und auch von uns hat keiner
Vorher gehört von ihr.

CAPESIUS:
Dann sehen wir nun eben einen Tatbestand,
Wie sie entgegen dem Naturgesetz
Sich öfter bilden
Und nur als krankhaft gelten können.
Entscheiden über Lebensrätsel kann
Gesundese Denken nur allein,
Und was der wachen Sinnesart entspringt.

STRADER:
Doch liegt ein Tatbestand ja vor;
Und wichtig ist gewiss,
Was eben uns gesagt:
Fs könnte zwingen -
Verwürfe man auch alles andre, -
An Übertragung von Ideen
Durch Seelenkraft zu denken,

31


ASTRID:
Ach könntet ihr den Boden doch betreten,
Den euer Denken meiden will!
Es müsste schmelzen wie der Schnee im Sonnenlicht
Der Wahn, der fremd und wunderbar,
Ja krankhaft gar erscheinen lässt,
Was solcher Menschen Art uns offenbart.
Es ist hedeutsarn zwar, doch seltsam nicht.
Denn klein will mir dies Wunder scheinen,
Betracht' die tausend Wunder ich,
Die täglich mich umgeben.

CAPESIUS:
Ein andres ist es doch,
Das überall Vorhandne zu erkennen,
Ein andres, was man hier uns zeigt.

STRADER:
Von Geist zu sprechen
Wird nötig erst,
Wenn Dinge man uns weist,
Die nicht in jenem Kreise liegen,
Der streng umschlossen ist
Durch unsre Wissenschaft.

ASTRID:
Das helle Sonnenlicht,
Erglänzend in dem Tau des Morgens,
 (Es tritt Felix Balde ein.)
Die Quelle, die aus Felsen rieselt,
Der Donner, der aus Wolken dröhnt,
Sie reden eine Geistessprache:
Ich suchte sie zu kennen.
Von dieser Sprache Sinn und Macht
Ist nur ein schwacher Abglanz
In eurer Forschung zu erblicken.
Ich fand mein Seelenglück,

32

Als jener Sprache Art ins Herz mir drang,
Die Menschenwort und Geisteslehre
Mir nur gewähren konnten.

FELIX BALDE:
Das war ein rechtes Wort.

MARIA:
Fs drängt mich auszusprechen,
Wie sehr mein Herz sich freut
(Frau Balde erscheint.)
Zum erstenmal bei uns zu sehn
Den Mann, von dem so vieles mir bekannt.
Was mir erzeugt den Wunsch,
Recht oft ihn hier zu sehn.

FELIX BALDE:
Es ist mir ungewohnt,
Mit vielen Menschen zu verkehren;
Und nicht nur ungewohnt.

FRAU BALDE:
Ach ja, es ist so seine Art.
Sie drängt uns ganz in Einsamkeit.
Wir hören Jahr um Jahr
Kaum mehr, als was wir selber sprechen.
Und käme dieser liebe Mann
(Auf Capesius zeigend.)
Zuweilen nicht in unser Häuschen,
Wir wussten kaum,
Daß ausser uns noch Menschen leben.
Und wenn der Mann,
Der in dem Saale vorhin sprach
Und uns durch seine schönen Worte
So stark ergriffen hat,
Nicht träfe meinen Felix oft,
Wenn dieser sein Geschäft besorgt,

33

Ihr wüsste: nichts
Von uns verschollnen Leuten.

MARIA:
Und der Professor kommt zu euch?

CAPESIUS:
Gewiss, und sagen darf ich wohl,
Ich bin der guten Frau
Zu tiefstem Dank verpflichtet.
Sie gibt mir reichlich,
Was keiner sonst mir geben kann.

MARIA:
Und welcher Art sind ihre Gaben?

CAPESIUS:
Berühren muss ich,
Will davon ich erzählen,
Ein Ding, das wahrlich wunderbarer mir erscheint
Als manches, was ich hier gehört,
Weil mehr zu meiner Seele sprechend.
Ich könnte kaum an andrem Orte
Die Worte aus dem Munde bringen,
Die hier so leicht mir werden.
Für meine Seele gibt es Zeiten,
Wo sie wie ausgepumpt und leer sich fühlt.
Es ist mir dann, als ob des Wissens Ouelle
In mir erschöpft sich hätte;
Als ob kein Wort ich finden könnte,
Das wert zu halten wäre Gehört zu werden.
Empfind' ich solche Geistesöde,
Dann flüchte ich in dieser guten Leute
Erquickend stille Einsamkeit.
Und Frau Felicia erzählt
In Bildern wunderbar

34

Von Wesen, die im Traumeslande wohnen
Und in den Märchenreichen
Ein buntes Leben führen,
Es ist der Ton der Rede
Wie Sagenweise aus den alten Zeiten.
Jch frage nicht, woher sie ihre Worte hat.
Ich denke dann an eines nur mit Klarheit,
Wie meiner Seele neues Leben fliesst
Und wie hinweggebannt
Mir alle Seelenlähmung ist.

MARIA:
Daß von der Gattin Kunst
So Grosses zu verkünden,
Es fügt in schönster Art
Zu allem sich harmonisch,
Was Benedicrus sprach von seines Freundes
Verborgnen Wissensquellen.

FELIX BALDE:
Der vorhin eben sprach,
(Benedictiis erscheint in der Tür.)
Als wenn in Weltenräumen
Und Ewigkeiten nur sein Geist verweilte,
Hat wahrhaft keinen Grund,
Von meiner Einfalt viel zu reden.

BENEDICTUS:
Ihr irrt, mein Freund,
Unsäglich ist mir wert ein jedes eurer Worte.

FELIX BALDE:
Es war nur Vorwitz,
Der Trieb zu schwätzen,
Wenn ihr die Ehre mir oft gabt,
So neben euch zu gehn auf unsern Bergeswegen,
Nur weil ihr mir verborgen,

35

Wieviel ihr selber wisst,
Hab' ich gewagt zu reden.
Doch unsre Zeit ist um,
Wir haben einen weiten Weg
Nach unsrem stillen Heim.

FRAU BALDE:
Es war mir rechte Lebsal,
Daß ich einmal bei Menschen war.
Es wird so bald nicht wieder sein. -
Für Felix taugt kein andres Leben
Als das in seinen Bergen.
(Felix und Frau ab.)

BENEDICTUS:
Die Frau hat sicher recht,
Er wird so bald nicht wiedet kommen.
Es brauchte vieles,
Ihn diesmal herzubringen.
Und doch ist nicht bei ihm
Der Grund zu suchen,
Daß niemand von ihm weiss.

CAPESIUS:
Mir schien er nur ein Sonderling.
Ich fand ihn redselig
In mancher Stunde,
Die ich bei ihm verbracht.
Doch blieben mir stets dunkel seine sonderbaren Reden,
In denen er zutage brachte,
Was er zu wissen meint.
Er spricht von Sonnenwesen,
Die in den Steinen wohnen,
Von Monddämonen,
Die jener Wesen Werke stören,

36

Vorn Zahlensinn der Pflanzen redet er.
Und wer ihn hört, der wird nicht lange
In seinen Worten einen Sinn bewahren können

BENEDICTUS:
Man kann auch fühlen,
Wie wenn Naturgewalten in den Worten suchtcn,
Zu offenbaren sich in ihres Wesens Wahrheit.
(Benedictus geht ab.)

STRADER:
Ich ahne schon,
Daß schlimme Tage
In meinem Leben kommen werden!
Seit jener Zeit,
Da mir in Klosters Einsamkeit
Die Kunde solchen Wissens ward zuteil,
Das mich im tiefsten Seelengrunde furchtbar traf,
Ist kein Erlebnls mir so nah' gegangen,
Wie das mit dieser Seherin.

CAPESIUS:
Was hier erschütternd wirken soll,
Vermag ich nicht zu sehn
Ich fürchte, lieber Freund,
Verliert ihr hier die Sicherheit,
Es werde bald euch alles sich
In finstre Zweifel hüllen.

STRADER:
Die Furcht vor solchem Zweifel:
Sie quält mich manche Stunde.
Ich weiss sonst nichts
Von Sehergaben durch mich selbst;
Doch oft, wenn Rätseifragen mich gewaltig quälen,
Dann steigt gespenstig mir aus dunkler Geistestiefe
Ein schreckhaft Traumeswesen vor dem Geistesauge auf.

37

Es legt sich schwer mir auf die Seele,
Und schaurig auch umkrallt es mir das Herz
Und spricht aus mir:
Bezwingst du mich
Mit deinen stumpfen Denkerwaffen nicht,
Bist mehr du nicht
Als flüchtig Truggebild des eignen Wahnes nur.

THEODOSIUS (der schon früher eingetreten):

So ist das Schicksal aller Menschen,
Die denkend nur der Welt sich nah'n.
Es lebt im Innern uns des Geistes Stimme.
Wir haben keine Macht, die Hülle zu durchdringen,
Die vor den Sinnen sich verbreitet.
Es bringt das Denken Wissen jener Dinge nur,
Die schwinden mit dem Zeitenlauf.
Was ewig ist und geistig,
Im Menscheninnern ist es nur zu finden.

STRADER:
Soll eines frommen Glaubens Frucht
Der Seele Ruhe hringen,
Sie kann auf solchen Wegen,
Sich selbst genügend, wandeln.
Doch echten Wissens Kraft
Erblüht auf diesem Pfade nicht.

THEODOSIUS:
Es gibt jedoch nicht andre Wege,
(Es treten Romanus und German ein.)
Im Menschenherzen wahres Geisteswissen zu erzeugen.
Der Hochmut kann verführen,
(Helena tritt ein.)
Der Seele wahres Fühlen
Zu Truggebilden umzuschaffen,

38

Und Schauen vorzumajen,
Wo Glaubensschönheit nur sich ziemt!
Von allem, was wir hier
Als Wissen aus den höhern Welten
So geistvoll hören konnten,
Gilt eines nur dem echten Menschensinn:
Nur daß im Geisterland
Die Seele heimisch sich erfühlt.

DIE ANDRE MARIA (die mit Theodosjus eingetreten ist):

Solange nur zu sprechen
Gedrängt sich fühlt der Mensch,
Mag ihm genügen solcher Rede Inhalt.
Im vollen Leben mit all' seinem Streben,
Mit seiner Glückessehnsucht, seinem Jammer,
Bedarf man andrer Nahrung,
Zu reichen sie den Seelen.
Mich hat ein innter Trieb gelenkt,
Den Rest des Lebens,
Der noch mir zugeteilt,
Zu widmen jenen Menschen,
Die des Geschickes Lauf
Gebracht in Elend und in Not.
Und öfter noch war ich genötigt,
Zu lindern Schmerzen in den Seelen
Als Leiden an den Leibern.
Ich fühlte wohl auf vielen Wegen
Die Ohnmacht meines Willens;
Ich muss stets neue Kraft
Mir holen aus dem Reichtum,
Der hier aus Geistesquellen fliesst.
Die warme Zauberkraft der Worte,
Die hier ich höre,

39

Ergiesst in meine Hände sich
Und fliesst wie Balsam weiter,
Berührt die Hand den Leidbeladnen.
Sie wandelt sich auf meinen Lippen
In rechte Trostesrede
Für schmerzdurchwühlte Herzen.
Ich frage nach der Worte Ursprung nicht.
Ich schaue ihre Wahrheit,
Wenn lebend Leben sie mir spenden.
Und deutlich seh' ich jeden Tag,
Wie ihnen Macht nicht gibt,
Was eignen Willens schwache Kraft vermag,
Wie täglich sie mich neu mir selber schaffen.

CAPESIUS:
Es gibt ja Menschen doch genug,
Die ohne diese Offenbarung
Unsäglich Gutes schaffen?

MARIA:
Es fehlt an ihnen
Gewiss an vielen Orten nicht.
Doch andres will die Freundin sagen.
Erkennt ihr erst ihr Leben,
Ihr werdet anders sprechen.
Wo Kräfte unverbraucht
In voller Blüte walten,
Wird Liebe reichlich keimen
Bei gutem Herzensgrunde.
Doch unsre Freundin hat erschöpft
Des Lebens beste Kräfte durch die Arbeitsüberfülle.
Und aller Lebensmut war ihr genommen
Durch schweren Schicksalsdruck,
Den sie erfahren.
Die Kräfte hatte sie geopfert
Der Kinder sorglich Leitung,

40

Der Mut war hingesunken,
Als Ihr ein früher Tod
Den teuren Gatten nahm.
In solcher Lage schien ein müder Lebensrest
Ihr weitres Los zu sein.
Da brachten Schicksalsmächte sie
In unsrer Geisteslehre Bann,
Und ihre Lebenskräfte
Erblühten noch zum zweiten Male.
Mit neuem Dseinsziel
Kam wieder Mut in ihr Gemüt.
So hat in ihr der Geist ganz wahrhaft
Den neuen Menschen aus erstorbnem Keim geschaffen.
Wenn solcher Schaffenskraft
Der Geist sich fruchtbar zeigt,
Dann scheint die Art erwiesen auch,
In der er kund sich gibt.
Und wenn kein Hochmut in dem Worte liegt,
Und recht im Herzen lebt der Seele höchstes Sittenziel,
Zu glauben auch in keiner Weise,
Daß unser Eigenwerk die Lehre -
Daß nur der Geist
Sich selbst in unserm Innern deutet,
Dann ist es wohl vermessen nicht,
Zu sagen, daß in eurer Denkungsart
Nur blasse Schatten weben
Vom echten Quell des Menschenseins;
Und daß der Geist, der uns beseelt,
Verbindet innig sich mit allem,
Was in den Lebensgründen
Des Menschen Schicksal spinnt.
Die Jahre, seit erlaubt mir ward,
Dem lebensvollen Werke mich zu widmen,

41

Sind mehr der blutenden Herzen
Getreten mir vor Augen
Und mehr der sehnenden Seelen,
Als mancher Mensch nur ahnt.
Ich schätze eurer hohen Ideen Flug
Und eures Wissens stolze Sicherheit.
Ich liebe, daß zu euren Füssen
Verehrend sitzt der Hörer Schar,
Und daß aus euten Werken
Für viele Seelen strömt
Erhebenden Denkens Klarheit.
Doch scheint mir, daß die Sicherheit
Nur wohnt in diesem Denken,
Solange in sich selbst es bleibt. -
Die Art, der ich gehöre,
Sie schickt in tiefe Wirklichkeiten
Die Früchte ihrer Worte,
Weil sie in tiefen Wirklichkeiten
Die Wurzeln pflanzen wilL
Es liegt wohl ferne eurem Denken
Die Schrift am Geisteshimmel,
Die mit gewicht'gen Zeichen
Den neuen Trieb verkündet
Am Baum der Menschheit.
Und scheint auch klar und sicher
Das Denken, das in alter Weise lebt,
Es kann des Baumes Rinde pflegen;
Doch reicht es nicht
An seines Markes Lebensmacht.

ROMANUS:
Ich finde nicht die Brücke,
Die von Ideen
Zu Taten wahrhaft führen könnte.

42


CAPESIUS:
Man überschätzt auf jener Seite
Die Kräfte der Ideen;
Doch ihr verkennt in andrer Art
Den Lauf der Wirklichkeit.
Es sind Ideen doch wohl sicherlich
Die Keime aller Menschentaten.

ROMANUS:
Wenn diese Frau des Guten vieles leistet,
So liegt dazu der Trieb
In ihrem warmen Herzen.
Es ist gewiss dem Menschen nötig,
Wenn Arbeit er geleistet hat,
Erbanung zu empfangen von Ideen,
Doch wird allein die Zucht des Willens
Im Bunde mit Geschick und Kraft
Bei allem echten Lebenswerk
Der Menschheit vorwärtshelfen.
Wenn Räderschwirren
Mir in die Ohren tönt,
Und wenn zufriedner Menschen Hände
An Kurbeln ziehen,
Dann fühle ich die Lebensmächte.

GERMAN:
Ich habe oft so leichthin ausgesprochen,
Daß ich die Schnurren liebe
Und nur sie geistvoll finde,
Daß sie jedoch für mein Gehirn
Stets bleiben werden guter Stoff,
Die Zeiten hinzubringen,
Die zwischen Arbeit und Vergnügen liegen.
Und jetzt ist mir recht abgeschmackt dies Wort.
Die unsichtbare Macht hat mich bezwungen.
Gelernt hab' ich zu fühlen,

43

Was stärker ist im Menschenwesen
Als unsers Witzes Kartenhaus.

CAPESIUS:
Und nirgends als nur hier habt ihr vermocht,
Zu finden solche Geisteskraft?

GERMAN:
Das Leben, das ich führte,
Es bot mir manche Geisteswerte;
Es lag mir nicht,
Zu pflücken ihre Früchte
Doch diese Denkungsart,
Sie zog mich hin zu sich,
So wenig ich auch selber tat.

CAPESIUS:
Wir haben schöne Stunden hier verlebt
Und müssen dankbar sein des Hauses Leiterin.
(Es gehen alle ab, nur Maria und Johannes bleiben.)

JOHANNES:
O bleibe eine Weile noch bei mir.
Es ist mir bange - ach so bange.

MARIA:
Was ist dir? sprich!

JOHANNES:
Erst unsres Führers Worte,
Dann dieser Menschen bunte Reden!
Erschüttert bis ins Mark erschein' ich mir.

MARIA:
Wie konnten diese Reden
Dein Herz so stark ergteifen?

JOHANNES:
In diesem Augenblicke
War mir ein jedes Wort
Ein furchtbar Zeichen
Der eignen Nichtigkeit.

44


MARIA:
Es war gewiss bedeutsam,
In kurzer Zeit ergiessen sich zu sehn
Soviel von Lebenskämpfen
Und Menschenwesenheit
In dies Zusammenspiel der Reden.
Doch ist es ja die Eigenart
Des Lebens, das wir führen,
Des Menschen Geist zum Sprechen zu erwecken.
Und was sich sonst begibt in langer Zeiten Lauf,
Enthüllt sich hier in wenig Stunden.

JOHANNES:
Ein Spiegelbild des vollen Lebens,
Das mich so klar mir selbst gezeigt.
Die hohe Geistesoffenbarung
Hat mich dazu geführt, zu fühlen
Wie Eine Seite nur des Menschen
So mancher in sich birgt,
Der ganz sich glaubt als Wesenheit
Die vielen Seiten zu vereinen
In meinem eignen Selbst,
Betrat ich kühn den Weg,
Der hier gewiesen ist.
Er hat ein Nichts aus mir gemacht.
Was ihnen fehlt,
Ist mir bewusst.
Bewusst ist mir jedoch nicht minder,
Daß sie im Leben stehen
Und ich im wesenlosen Nichts.
Es zogen ganze Lebensläufe
Bedeutsam sich in kurze Reden hier zusammen.
Doch auch des eignen Lebens Bild
Erstand in meiner Seele.
Es malte sich die Kindheit

45

Mit ihrer frohen Lebensfülle,
Es malte sich die Jugendzeit
Mit stolzen Hoffnungen,
Die in der Eltem Herzen
Die Gaben ihres Sohnes weckten.
Die Träume einer Künstlerschaft,
Die Leben waren in den frohen Tagen,
Sie tauchten alle mahnend
Aus Geistestiefen auf.
Und jene Träume auch,
In welchen du mich sahst
In Farben und in Formen wandeln,
Was dir im Geiste lebt.
Und Flammen sah ich züngeln,
Die Jugendträume und auch Künstlerhoffnung
In nichts verwandelten!
Ein andres Bild entwand sich dann
Dem furchtbar öden Nichts:
Ein Menschenwesen war's,
Das sein Geschick an meines hat
In treuer Liebe einst gebunden.
Es wollt' mich halten,
Als ich vor Jahren wieder
In meine Heimat kam,
Gerufen zu der Mutter Leichenfeier
Ich riss mich los.
Denn mächtig war die Kraft,
Die mich in deine Kreise
Und nach den Zielen zog,
Die hier verkündet werden.
Kein Schuldgefühl verblieb
In mir aus jenen Tagen,

46

Da ich zerriss ein Band,
Das Leben war der andern Seele.
Und auch die Botschaft, die mir kam,
Daß langsam welkte jenes Leben
Und endlich ganz erlosch,
Liess fühllos mich bis heute.
Bedeutsam sprach in jenem Saale
Vorhin der Führer nun,
Wie wir verderben können,
Wenn wir nicht richtig streben,
Das Schicksal jener Menschen,
Die liebend uns verbunden.
O, grässlich klangen wieder
Die Worte aus dem Bilde;
Und dann ertönte es von allen Seiten -
Es war wie schauervoller Widerhall:
Du hast sie hingemordet.
So ward die inhaltschwere Rede
Den andren Menschen Anlass,
In sich zu schauen;
In mir jedoch erzeugte sie
Bewusstsein schwerster Schuld.
Ich kann durch sie erkennen,
Wie irrend ich gestrebt.

MARIA:
In diesem Augenblick, o Freund,
Betrittst du finstre Reiche.
Da kann dir niemand helfen
Als der allein, dem wir vertraun.
(Helena kommt zurück. Maria wird abgerufen.)

HELENA:
Zu bleiben drängt es mich
Noch eine kurze Zeit bei dir,

47

Des Blick so kummervoll
Seit vielen Wochen ist.
Wie kann das Licht,
Das herrlich strahlt,
Verdüstern deine Seele,
Die mit der stärksten Kraft
Allein nach Wahrheit strebt?

JOHANNES:
Und dir hat Freude nur
Dies Licht gebracht?

HELENA:
Nicht Freude nur von jener Art,
Die früher mir bekannt.
Doch jene Freude,
Die in den Worten keimt,
Durch die der Geist
Sich selbst verkündet.

JOHANNES:
Ich sage dir jedoch,
Daß auch zermalmen kann,
Was schaffend wirkt.

HELENA:
Es muss ein Irrtum sich mit List
In deine Seele schleichen,
Wenn dieses möglich ist.
Und wenn dir Sorgen
Statt freier Seligkeit
Und kummervolle Stimmung
Statt Geisteswonnen
Erfliessen aus der Wahrheit Quellen.
So suche nach den Fehlern,
Die deine Wege stören.
Wie oft wird uns bedeutet,

48

Gesundheit nur ist unsrer Lehre wahre Fruchr,
Und Lebenskraft erblüht aus ihr.
Wie sollte sie das Gegenteil in dir bezeugen!
Ich seh' die Früchte an so vielen,
Die, mir vertrauend, sich vereinen.
Die alte Lebensführung wird
Der Seele fremd und fremder;
Es öffnen neue Quellen sich dem Herzen,
Das sich dann selbst erneut.
Der Blick in Daseinsgründe,
Er schafft Begierden nicht,
Die Menschen quälen können.
(Sie geht ab.)

JOHANNES:
Daß Sinne Wahn nur künden,
Wenn Geist-Erkenntnis als Genossin
Sich ihnen nicht verbündet,
Ich brauchte viele Jahre,
Um dies verstehn zu können.
Daß selbst der höchsten Weisheit Worte
in deinem Wesen Seelenwahn nur sind,
Das zeigt ein einziger Augenblick.
(Vorhang)

49
  1. TI

ZWEITES BILD

Gegend im Freien, Felsen, Quellen; die ganze Umgebung ist in der Seele des Johannes Thomasius zu denken; das Folgende als Inhalt seiner Meditation; später Maria.

(Es tönt aus Quellen und Felsen: 0 Mensch, erkenne dich!)
JOHANNES:
So hör' ich sie seit Jahren schon,
Die inhaltschweren Worte.
Sie tönen mir aus Luft und Wasser,
Sie klingen aus dem Erdengrund herauf,
Und wie ins kleine Sarnenkorn geheimnisvoll
Der Rieseneiche Bau sich drängt,
So schliesst zuletzt sich ein
In dieser Worte Kraft,
Was von der Elemente Wesen,
Von Seelen und von Geistern,
Von Zeitenlauf und Ewigkeit
Begreiflich meinem Denken ist.
Die Welt und meine Eigenheit,
Sie lehen in dem Worte:
O Mensch, erkenne dich!
(Aus Quellen und Felsen tönt es: O Mensch, erkenne dich!)
Und jetzt! - es wird
Im Innern mir lebendig fürchterlich.
Es webt um mich das Dunkel,
Es gähnt in mir die Finsternis;

50

Es tönt aus Weltendunkel,
Es klingt aus Seelenfinsternis:
O Mensch, erkenne dich!
(Es tönt aus Quellen und Felsen: O Mensch, erkenne dich!)
Es raubt mich jetzt mir selbst.
Ich wechsle mit des Tages Stundenlauf
Und wandle mich in Nacht.
Der Erde folge ich in ihrer Weltenbahn.
Ich rolle in dem Donner,
Ich zucke in den Blitzen.
Ich bin. - O schon entschwunden
Dem eignen Wesen fühl' ich mich.
Ich sehe meine Leibeshülle;
Sie ist ein fremdes Wesen ausser mir,
Sie ist ganz fern von mir.
Da schwebt heran ein andrer Leib.
Ich muss mit seinem Munde sprechen.
Ich habe ihmso ganz vertraut.
Er liess im Kummer mich allein,
Er raubte mir die Lebenswärme
Und stiess in kalte Erde mich.
Die ich verliess, die Arme,
Ich war sie eben selbst.
Ich muss erleiden ihre OuaL
Erkenntnis hat mir Kraft verliehn,
Mein Selbst in andres Selbst zu tragen.
O grausam Wort!
Dein Licht verlöscht durch eigne Kraft.
O Mensch, erkenne dich!
(Es tönt aus Quellen und Felsen: O Mensch, erkenne dich!)
Du führst zurück mich wieder
In meines eignen Wesens Kreise.

51

Doch wie erkenne ich mich wieder!
Mir ist verloren Menschenform.
Ein wilder Wurm erschein' ich mir,
Aus Lust und Gier geboren.
Und klar empfinde ich,
Wie eines Wahnes Nebelbild
Die eigne Schreckgestalt
Bisher verborgen mir gehalten hat.
Verschlingen muss mich eignen Wesens Wildheit.
Ich fühle als verzehrend Feuer
Durch meine Adern rinnen jene Worte,
Die mir so urgewaltig sonst
Der Sonnen und der Erden Wesen offenbarten.
Sie leben in den Pulsen,
Sie schlagen mir im Herzen;
Und selbst im eignen Denken fühle ich
Die fremden Welten schon als wilde Triebe lodern.
Das sind des Wortes Früchte:
O Mensch, erkenne dich!
(Es tönt aus Quellen und Felsen: 0 Mensch, erkenne dich!)
Da, aus dem finstern Abgrund, -
Welch Wesen glotzt mich an?
Ich fühle Fesseln,
Die mich an dich gefesselt halten.
So fest war nicht Prometheus
Geschmiedet an des Kaukasus Felsen,
Wie ich an dich geschmiedet bin.
Wer bist du, schauervolles Wesen?
(Es tönt aus Quellen und Felsen: O Mensch, erkenne dich!)
O, ich erkenne dich.
Ich bin es selbst.
Erkenntnis schmiedet an dich verderblich Ungeheuer
(Maria tritt ein, wird von Johannes zunächst nicht hemerkt.)

52

Mich selbst verderblich Ungebeuer.
Entfliehen wollt' ich dir.
Geblendet haben mich die Welten,
In welche meine Torheit floh,
Um von mir selber frei zu sein.
Geblendet bin ich wieder in der blinden Seele:
O Mensch, erkenne dich!
(Es tönt aus Quellen und Felsen: 0 Mensch, erkenne dich!)

JOHANNES (wie wenn er zu sich käme, erblickt Maria.
Die Meditation geht in innere Realität über):
O Freundin, du bist hier!

MARIA:
Ich suchte dich, mein Freund;
Obwohl bekannt mir ist,
Wie lieb dir Einsamkeit,
Nachdem so vieler Menschen Meinungen
Die Seele dir durchflutet.
Und weiss ich auch,
Daß ich durch meine Gegenwart dem Freund
In dieser Zeit nicht helfen kann,
So drängt ein dunkles Streben
In diesem Augenblick mich doch zu dir,
Da Benedictus' Worte dir statt Licht
So schweres Leid
Aus deines Geistes Tiefen lockten.

JOHANNES:
Wie lieb mir Einsamkeit!
Ich habe sie so oft gesucht,
In ihr mich selbst zu finden,
Wenn in Gedankenlabyrinthe mich
Der Menschen Leid und Glück getrieben hatten.
O Freundin, das ist nun vorbei.

53

Was Benedictus' Worte erst
Mir aus der Seele holten,
Was durch der Menschen Reden
Ich erleben musste,
Gering nur scheint es mir,
Vergleich dem Sturm ich dies,
Den Einsamkeit mir dann gebracht
In dumpfem Brüten.
O diese Einsamkeit!
Sie hetzte mich in Weltenweiten.
Entrissen hat sie mich mir selbst.
In jenem Wesen, dem ich Leid gebracht,
Erstand ich als ein andrer.
Und leiden musste ich den Schmerz,
Den ich erst selbst bewirkt.
Die grausarn finstre Einsamkeit,
Sie gab mich dann mir selber wieder.
Doch nur, zu Schrecken mich
Durch meines eignen Wesens Abgrund.
Mir ist des Menschen letzte Zuflucht,
Mir ist die Einsamkeit verloren.

MARIA:
Ich muss das Wort dir wiederholen:
Nur Benedictus kann dir helfen.
Die Stützen, die uns fehlen,
Wir müssen beide sie von ihm erhalten.
Denn wisse, auch ich kann länger nicht
Ertragen meines Lebens Rätsel,
Wenn nicht durch Seinen Wink
Die Lösung sich mir zeigt.
Die hohe Weisheit, daß stets über alles Leben
Nur Schein und Trug sich breitet,

54

Wenn unser Denken seine Oberfläche bloss ergreift.
Ich habe sie recht oft mir vorgehalten
Und immer wieder sprach sie:
Du musst erkennen, wie dich Wahn umfängt,
So oft es dir auch Wahrheit dünkt,
Es könnte schlimme Frucht erstehn,
Wenn du erw'ecken willst in andern Licht,
Das in dir selber lebt.
In meiner Seele bestem Teil ist mir bewusst,
Daß auch der schwere Druck,
Deti dir, mein Freund,
Das Leben hat gebracht an meiner Seite,
Ein Teil des Dornenweges ist,
Der zu dem Licht der Wahrheit führt.
Erleben musst du alle Schrecken,
Die aus dem Wahn erstehen können,
Bevor der Wahrheit Wesen sich dir offenbart.
So spricht dein Stern.
Doch auch erscheint mir durch dies Sternenwort,
Daß wir vereint die Geisteswege wandeln müssen.
Doch such' ich diese Wege,
So breitet sich vor meinem Blicke finstre Nacht.
Und schwärzer wird die Nacht durch vieles noch.
Was ich erleben muss
Als Früchte meines Wesens.
Wir müssen beide Klarheit in dem Lichte suchen,
Das wohl dem Aug entschwinden,
Doch nie erlöschen kann.

JOHANNES:
Maria, ist dir denn bewusst,
Was meine Seele eben durchgerungen?
Ein schweres Los fürwahr
Ist dir geworden, edle Freundin.

55

Doch ferne liegt ja deinern Wesen jene Macht,
Die mich so ganz zerschmettert hat.
Du kannst in hellste Wahrheitshöhen steigen,
Du kannst die sichern Blicke
In Menschenwirrnis richten,
Du wirst in Licht und Finsternis
Dich selbst bewahren.
Mir aber kann ein jeder Augenblick
Mich selber rauben.
Ich musste in die Menschen untertauchen,
Die sich vorhin in Worten offenbarten.
Ich folgt' dem einen in die Klostereinsarnkeit,
Ich hörte in des andern Seele
Felicias Märchen.
Ich war ein jeder,
Nur selbst erstarb ich mir.
Ich müsste glauben können,
Daß Nichts der Wesen Ursprung sei,
Wenn ich die Hoffnung hegen sollte,
Daß aus dem Nichts in mir
Ein Mensch je werden könne.
Mich führt aus Furcht in Finsternis
Und jagt durch Finsternis in Furcht
Der Weisheit Wesenswort:
O Mensch, erkenne dich!
(Aus Quellen und Felsen tönt es: 0 Mensch, erkenne dich!)
(Der Vorhang fällt.)

56

DRITTES BILD

Ein Meditationszimmer. Benedictus, Johannes, Maria, Kind.

MARIA:
Ich bringe euch das Kind,
Es braucht ein Wort aus eurem Munde.

BENEDICTUS:
Mein Kind, du sollst fortan
An jedem Abend zu mir kommen,
Zu holen dir das Wort,
Das dich erfüllen soll,
Bevor das Seelenreich des Schlafes du betrittst.
Willst du es so?

KIND:
Ich will es so gern.

BENEDICTUS:
Erfülle dein Gemüt an diesem Abend,
Bis dich der Schlaf umfängt,
Mit dieses Wortes Kraft:
Mich in des Geistes Haus.
(Das Kind wird von Maria hinausgeführt.)

MARIA:
Und nun, da dieses Kindes Schicksal
In Zukunft fliessen soll
Im Schatten eurer Vaterhuld,
Erbitten darf des Führers Rat
Auch ich, die Mutter ihm geworden,

57

Wenn nicht durch Blutesbande,
So doch durch Schicksalsmächte.
Ihr wieset mir den Weg,
Den ich es führen sollte
Von jenem Tage an, da ich es fand,
Von seiner unbekannten Mutter
Mir vor die Tür gelegt.
Und wunderwirkend zeigten
Sich an dem Pflegling alle Regeln,
Nach welchen ich ihn führen durfte.
Zutage traten alle Kräfte,
Die in dem Leibe und der Seele keimten.
Es zeigte sich, wie eure Weisung
Entsprossen war dem Reiche,
Das dieses Kindes Seele barg,
Bevor sie baute ihres Leibes Hülle.
Erwachsen sahen wir die Menschenhoffnung,
Die heller strahlte jeden neuen Tag.
Ihr wisst, wie schwer des Kindes Neigung
Ich erst gewinnen konnte.
Es wuchs heran in meiner Pflege,
Und mehr nicht als Gewohnheit
Verband erst seine Seele mit der meinen.
Es stand zu mir, empfindend,
Daß ich ihm reichte, was ihm nötig war
Für Leibeswohl und Seelenwachstum.
Es kam die Zeit, in welcher
Im Kindesherzen sich erzeugte
Die Liebe zu der Pflegerin.
Ein äussrer Anlass brachte solche Wandlung.
Es trat in unsern Kreis die Seherin.
Das Kind war gern um sie,
Und manches schöne Wort

58

Erlernte es in ihrem Zauberbann,
Da kam ein Augenblick, in dem Begeisterung
Erfasste unsre wundersame Freundin,
Und schauen konnte unser Kind
Der Augen glimmend Licht.
Erschüttert bis ins Lebensmark
Empfand die junge Seele sich.
Sie kam in ihrem Schreck zu mir.
Von dieser Stunde an
War mir das Kind in Liebe warm ergeben.
Doch seit bewusstes Fühlen
Von mir empfing die Lebensgaben,
Und nicht der Trieb allein,
Seit wärmer dieses junge Herz erbebte,
Sobald sein Blick den meinen liebend traf,
Verloren eure Weisheitsschätze ihre Fruchtbarkeit.
Verdorren musste vieles,
Was schon gereift dem Kinde.
Erscheinen sah ich an dem Wesen wieder,
Was an dem Freunde furchtbar sich erwiesen,
Ich bin mir immer mehr ein dunkles Rätsel.
Du kannst mir wehren nicht die bange Lebensfrage:
Warum verderb' ich Freund und Kind,
Wenn liebend ich das Werk versuch'
An ihnen zu verüben,
Das mich die Geistesweisung
Als gut erkennen lässt im Herzen?
Du hast mich an die hohe Wahrheit oft gewiesen,
Daß &hein sich breitet an des Lebens Oberfläche,
Doch muss ich Kiarheit haben,
Soll ich ertragen dies Geschick,
Das grausam ist und Böses wirkt.

59

BENEDICTUS:
Es formt sich hier in diesem Kreise
Ein Knoten aus den Fäden,
Die Karma spinnt im Weltenwerden.
O Freundin, deine Leiden
Sind Glieder eines Schicksalsknotens,
In dem sich Göttertat verschlingt mit Menschenleben.
Als auf dem Pilgerpfad der Seele
Erreicht ich hatte jene Stufe,
Die mir die Würde gab,
Mit meinem Rat zu dienen in den Geistersphären,
Da trat zu mir ein Gotteswesen,
Das niedersteigen sollte in das Erdenreich,
Um eines Menschen Fleischeshülle zu bewohnen.
Es fordert dies das Menschenkarma
An dieser Zeiten Wende.
Ein grosser Schritt im Weltengang
Ist möglich nur, wenn Götter
Sich binden an das Menschenlos.
Es können sich entfalten Geistesaugen,
Die keimen sollen in den Menschenseelen,
Erst wenn ein Gott das Samenkorn
Gelegt in eines Menschen Wesenheit.
Es wurde mir nun aufgegeben,
Zu finden jenen Menschen,
Der würdig war, des Gottes Samenkraft
In seine Seele aufzunehmen.
So musste ich verbinden Himmels-Tat
Mit einem MenschenschicksaL
Mein geistig Auge forschte.
Es fiel auf dich.
Bereitet hatte dich dein Lebenslauf zum Heilesmittler.
In vielen Leben hattest du erworben dir
Empfänglichkeit für alles Grosse,

60

Das Menschenherzen leben.
Der Schönheit edles Wesen, der Tugend höchste Forderung,
Du trugst als Geisteserbe sie
In deiner zarten Seele.
Und was dein ewig Ich
Ins Dasein durch Geburt gebracht,
Es ward zur reifen Frucht
In deinen jungen Jahren.
Zu früh nicht stiegest du
Auf steile Geisteshöhen.
Und so erstand dir nicht
Der Hang zum Geisterland,
Bevor du voll erfasst
Der Sinne unschuldvolle Freuden.
Erkennen lernte deine Seele Zorn und Liebe,
Als ihrem Denken jeder Trieb
Zum Geist noch ferne war.
Natur in ihrer Schönheit zu geniessen,
Der Künste Früchte pflücken,
Erstrebtest du als deines Lebens Reichtum.
Du durftest heiter lachen,
Wie nur ein Kind kann lachen,
Das von des Daseins Schatten
Noch nichts erfahren hat.
Du lerntest Menschenglück verstehn
Und Leid beklagen in den Zeiten,
Da deinem Ahnen selbst nicht dämmerte,
Zu fragen nach des Glückes und des Leides Wurzeln.
Als reife Frucht von vielen Leben
Betritt das Erdensein die Seele,
Die solche Stimmung zeigt.
Und ihre Kindlichkeit ist Blüte,
Nicht Wurzel ihres Wesens.

61

Nur diese Seele durfte ich erkiesen
Zum Mittler für den Geist,
Der Wirkenskraft erlangen sollte
Durch unsre Menschenwelt.
Und nun begreife, daß dein Wesen
Sich wandeln muss zum Gegenbild,
Ergiesst aus dir es sich in andre Wesen.
Der Geist in dir, er wirkt in allem,
Was für das Reich der Ewigkeit
An Früchten reifen kann im Menschenwesen.
Ertöten muss er darum vieles,
Was nur dem Reich des Zeitenseins gehören soll.
Doch seine Todesopfer
Sind Saaten der Unsterblichkeit.
Dem höhern Leben muss erwachsen,
Was aus dem niedern Sterben blüht.

MARIA:
So also steht's mit mir.----
Du gibst mir Licht,
Doch Licht, das mir die Kraft des Sehens raubt
Und mich mir selbst entreisst.
Bin ich denn eines Geistes Mittler nur
Und nicht mein eigen Wesen,
Dann dulde ich nicht länger Die Form an mir,
Die Maske und nicht Wahrheit ist.

JOHANNES:
O Freundin, was ist dir!
Es schwindet deines Blickes Licht,
Zur Säule wird dein Leib,
Ich fasse deine Hand,
Sie ist so kalt, Sie ist wie tot.

62

BENEDICTUS:
Mein Sohn, du hast der Proben viel erfahren
Du stehst in dieser Stunde vor der stärksten,
Du schaust der Freundin Leibeshülle,
Vor meinem Blick jedoch
Entschwebt ihr Selbst in Geistersphären.

JOHANNES:
O sieh! die Lippen regen sich.
Sie spricht ----

MARIA:
Du gabst mir Klarheit,
Ja, Klarheit, die in Finsternis
Mich hüllt nach allen Seiten.
Jch fluche deiner Klarheit,
Und dich verfluche ich,
Der mich zum Werkzeug
Der wilden Künste formte,
Durch die er Menschen täuschen will. -
Ich habe keinen Augenblick bisher
An deiner Geisteshöhe zweifeln können,
Doch jetzt genugt der eine Augenblick,
Aus meinem Herzen mir zu reissen jeden Glauben.
Erkennen muss ich, daß sie Höllenwesen sind,
Die Geister, welchen du ergeben bist.
Ich musste andre täuschen,
Weil du erst mich getäuscht!
Jch will dich fliehn in Fernen,
Wohin von dir kein Laut mehr dringt,
Und die doch nah genug,
Daß meine Flüche dich erreichen können!
Des eignen Blutes Feuer,
Du hast es mir geraubt,
Um deinem falschen Gott zu geben,
Was mein sein muss.

63

O dieses Blutes Feuer,
Es soll dich brennen!
Ich musste glauben
An Trug und Wahn.
Und daß es möglich wurde,
Zum Truggebilde musstest du
Mich selbst erst machen!
Ich musste oft erleben,
Wie meines Wesens Wirkung
Ins Gegenbild sich wandelte.
So wandie jetzt,
Was Liebe war zu dir,
In wilden Hasses Feuer sich.
Ich will in allen Welten
Nach jenem Feuer forschen,
Das dich verzehren kann.
Ich ------- - ach -- --

JOHANNES:
Wer spricht an diesem Ort?
Ich schau die Freundin nicht!
Ich schau ein grausig Wesen.

BENEDICTUS:
Der Freundin Seele schwebt in Höhen,
Sie liess ihr sterblich Scheinbild
An diesem Ort zurück uns nur.
Und wo ein Menschenleib
Vom Geist verlassen wird,
Ist Raum, den sich
Des Guten Widersacher sucht,
Um einzutreten in das Reich der Sichtbarkeit.
Er findet eine Leibeshülle,
Durch die er sprechen kann.
Es sprach ein solcher Widersacher,
Der mir zerstören will das Werk,

64

Das mir obliegt
Für vieler Menschen Zukunft
Und auch für dich, mein Sohn.
Und könnt' ich halten jene Flüche,
Die unsrer Freundin Hülle eben sprach,
Für andres als Versucherlist,
Du dürftest mir nicht folgen.
Des Guten Widersacher war an meiner Seite;
Und du, mein Sohn,
Hast stürzen sehn in Finsternis,
Was zeitlich ist an jenem Wesen,
Dem deine ganze Liebe strahlt.
Weil Geister dir so oft
Aus ihrem Mund gesprochen,
Ersparte dir das Weltenkarma nicht,
Den Höllenfürsten auch
Durch sie zu hören.
Nun darfst du erst sie suchen
Und ihres Wesens Kern erkennen.
Sie soll dir Vorbild jenes höhern Menschen sein,
Zu dem du dich erheben sollst.
Es schwebet ihre Seele in die Geisteshöhen,
Wo Menschen ihres Wesens Urform finden,
Die in sich selbst sich gründet.
Du sollst zum Geistgebiet ihr folgen,
Und schauen wirst du sie im Sonnentempel.
Es formt sich hier
In diesem Kreise
Ein Knoten aus den Fäden
Die Karma spinnt
Im Weltenwerden.
Mein Sohn, da du bis jetzt gehalten dich,
Wirst du auch weiterdringen.

65

Ich sehe deinen Stern im vollen Glanze.
Es ist nicht Raum im Sinnensein
Für Kämpfe, welche kämpfen Menschen,
Die nach der Weihe streben.
Was Sinnensein an Rätsel hat,
Die mit Verstand zu lösen,
Was solches Sein erzeugt in Menschenherzen,
Es mag durch Liebe oder Hass entstehen
Und sich entladen noch so schauervoll:
Dem Geistessucher muss es werden
Ein Feld, auf das er unbeteiligt
Den Blick von aussen richten kann.
Ihm müssen Kräfte sich entfalten,
Die nicht auf diesem Feld zu finden sind.
Du musstest dich durch Seelenprüfung ringen,
Die dem nur werden kann,
Der sich gerüstet
Für solche Mächte findet,
Die Geistes-Welten angehören.
Und wärest du von diesen Mächten
Nicht reif befunden zum Erkenntnisweg,
Sie hätten dir das Fühlen lähmen müssen,
Bevor du wissen durftest,
Was dir bekannt nun ist geworden.
Die Wesen, die in Welten-Gründe schauen,
Sie führen Menschen,
Die zu den Höhen streben,
Zuerst auf jenen Gipfel,
Wo es sich zeigen kann,
Ob ihnen Kraft gegeben,
Bewusst zu schauen Geistessein.
Die Menschen, welchen solche Kräfte eigen sind,
Sie werden aus der Sinnenwelt entlassen;

66

Die andern müssen warten.
Du hast dein Selbst bewahrt, mein Sohn,
Als Höhenkräfte dich erschütterten,
Und als dich Geistesmächte
In Schauer hüllten.
Und kraftvoll hat dein Selbst sich durchgekämpft,
Auch als in eigner Brust die Zweifel wühlten
Und dich den dunklen Tiefen überliefern wollten.
Du bist mein wahrer Schüler
Erst seit der inhalevollen Stunde,
Wo du an dir verzweifeln wolltest,
Wo du dich selbst verloren gabst,
Und wo die Kraft in dir dich dennoch hielt.
Ich durfte dir an Weisheitsschätzen geben,
Was Kraft dir brachte,
Dich selbst zu halten,
Auch da du selbst an dich nicht glaubtest.
Es war die Weisheit,
Die du errungen,
Dir treuer als der Glaube,
Der dir geschenkt.
Du. bist als reif befunden.
Du darfst entlassen werden.
Die Freundin ist vorangeschritten,
Du wirst irn Geist sie finden.
Ich kann dir noch die Richtung weisen:
Entzünde deiner Seele volle Macht
An Worten, die durch meinen Mund
Den Schlüssel geben zu den Höhen.
Sie werden dich geleiten,
Auch wenn dich nichts mehr leitet,
Was Sinnesaugen noch erblicken können.
Mit vollem Herzen wolle sie empfangen:

67

Des Lichtes webend Wesen, es erstrahlet
Durch Raumesweiten,
Zu füllen die Welt mit Sein.
Der Liebe Segen, er erwarmet
Die Zeiten folgen,
Zu rufen aller Welten Offenbarung.
Und Geistesboten, sie vermählen
Des Lichtes webend Wesen
Mit Seelenoffenbarung;
Und wenn vermahlen kann mit beiden
Der Mensch sein eigen Selbst,
Ist er in Geisteshöhen lebend.
O Geister, die erschauen kann der Mensch,
Belehret unsres Sohnes Seele.
Im Innern lasset ihm erstrahlen,
Was ihm durchleuchten kann
Die Seele mit dem Geisteslicht.
Im Innern lasset ihm ertönen,
Was ihm erwecken kann
Das Selbst zu Geistes Werdelust.

GEISTESSTIMME (hinter der Bühne):
Es steigen seine Gedanken
In Urweltgründe.
Was als Schatten er gedacht,
Was als Schemen er erlebt,
Entschwebet der Gestaltenwelt,
Von deren Fülle
Die Menschen denkend
In Schatten träumen,
Von deren Fülle
Die Menschen sehend
In Schemen leben.
(Der Vorhang fällt.)

68

VIERTES BILD

Eine Landschaft, die durch ihre Eigenart den Charakter der Seelenwelt ausdrücken soll. Es treten auf zuerst Lucifer und Ahriman; Johannes ist, in Meditation versunken, an der Seite sichtbar; das Folgende wird von ihm in der Meditation erlebt.

LUCIFER:
O Mensch, erkenne dich,
O Mensch, empfinde mich.
Du hast dich entrungen
Der Geistesführung
Und bist geflolin
In freie Erdenreiche.
Du suchtest eignes Wesen
In Erdenwirrnis;
Dich selbst zu finden,
Es ward dir Lohn,
Es ward dein Los.
Du fandest mich.
Es wollten Geister
Dir Schleier vor die Sinne legen.
Ich riss entzwei die Schleier.
Es wollten Geister
In dir nur ihrem Willen folgen.
Ich gab dir Eigenwollen.
O Mensch, erkenne dich,
O Mensch, empfinde mich.

69

AHRIMAN:
O Mensch, erkenne mich,
O Mensch, empfinde dich,
Du bist entflohen
Aus Geistesfinsternis.
Du hast gefunden
Der Erde Licht.
So sauge Kraft der Wahrheit
Aus meiner Festigkeit.
Ich härte sichern Boden.
Es wollten Geister
Der Sinne Schönheit dir entreissen.
Ich wirke diese Schönheit
In dichtem Licht.
Ich führe dich
In wahre Wesenheit.
O Mensch, erkenne mich,
O Mensch, empfinde dich.

LUCIFER:
Es gab nicht Zeiten,
Da du mich nicht erlebtest.
Ich folgte dir durch Lebensläufe.
Erfüllen durft' ich dich
Mit starker Eigenheit,
Mit Selbstseinsglück.

AHRIMAN:
Es gab nicht Zeiten,
Da du mich nicht erschautest.
Mich schauten deine Leibesaugen
In allem Erdenwerden.
Erglänzen durft' ich dir
In stolzer Schönheit,
In Offenbarungsseligkeit.

70


JOHANNES (in der Meditation zu sich selbst):
Das ist das Zeichen, von dem Benedictus sprach.
Die beiden Mächte stehen vor der Seelenwelt.
Die eine lebt im Innern als Versucher,
Die andre trübt den Blick,
Wenn er nach aussen ist gerichtet.
Die eine nahm des Weibes Form jetzt an,
Das mir den Seelenwahn vors Auge brachte,
Die andre findet sich in allen Dingen.

(Lucifer und Ahriman verschwinden. Es tritt auf der
Geist der Elemente mit Capesius und Strader, die er aus
Erdentiefen zur Erdenoherfläche gebracht hat. Es ist zu
denken, daß sie die Erdenoherfläche als Seelen sehen.)

GEIST DER ELEMENTE:
So seid ihr denn am Orte,
Den ihr so heiss ersehnt.
Es machte mir gar schwere Sorge,
Den Wunsch euch zu erfüllen.
In wildem Sturme rasten
Die Elemente und die Geister,
Als ihr Bereich betreten
Ich musst' mit eurem Wesen;
Es widerstrebte euer Sinn
Dem Walten meiner Kräfte.

CAPESIUS (verjüngt):
Geheimnisvolles Wesen.
Wer bist du,
Der mich durch GeisterSphären
In dieses schöne Reich gebracht?

GEIST DER ELEMENTE:
Mich schaut die Menschenseele,
Erst wenn zu Ende ist

71

Der Dienst, den ich ihr leiste.
Doch folgt sie meinen Mächten
Durch alle Zeitenläufe.

CAPESIUS:
Es drängt nur wenig mich,
Zu fragen nach dem Geist,
Der mich hierher geführt.
Ich fühle in dem neuen Feld
Erwarmen meines Lebens Kräfte.
Dies Licht, es weitet mir die Brust.
Ich spüre alle Macht der Welt
In meinen Pulsen Schlagen.
Und Vorgefühl der höchsten Leistung
Entringt sich meinem Herzen.
Ich will in Worte wandeln
Des Reiches Offenbarung,
Das herrlich mich erquickt.
Und Menschenseelen sollen
Zu schönstem Sein erhlühn,
Wenn ich Begeistrung aus den Quellen,
Die hier mir fliessen,
Eröffnen kann dem Leben.

(Blitz und Donner aus den Tiefen und Höhen.)

STRADER (gealtert):
Warum erhebt die Tiefe,
Warum erdröhnt die Höhe,
Da schönste Hoffnungsträume
Entringen sich der jugendlichen Seele?

(Blitz und Donner.)

GEIST DER ELEMENTE:
Euch Menschenträumern
Erklingt gar stolz solch Hoffnungswort;

72

Doch ruft in Weltentiefen
Des irren Denkens Wahn
Solch Echo immerdar.
Ihr hört es nur in Zeiten,
Die euch in meine Nähe führen.
Ihr glaubt der Wahrheit
Erhabne Tempel zu erbauen,
Doch eurer Arbeit Folge
Entfesselt Sturmgewalten
In Urwelttiefen.
Es müssen Geister Welten brechen.
Soll euer Zeitenschaffen
Verwüstung nicht und Tod
Den Ewigkeiten bringen

STRADER:
So wäre vor den Ewigkeiten
Ein irrer Wahn,
Was Wahrheit scheint
Dem besten Menschenforschen!

(Blitz und Donner.)

GEIST DER ELEMENTE:
Ein irrer Wahn,
So lang der Sinn nur forscht
Im geisterfremden Reich.

STRADER:
Du magst wohl Träumer nennen
Die jugendfrohe Freundesseele,
Die mit so edler Feuerkraft
Das Ziel sich wacker malt.
In meinem alten Herzen
Erstirbt jedoch dein Wort
Trotz Sturm und Donner,

73

Die es zu Helfern hat.
Ich rang mich aus dem Klosterfrieden
Zu stolzem Forschersinn.
Ich habe viele Jahre lang
Im Lebenssturm gestanden.
Man glaubt mir, was
Aus tiefstem Wahrheitssinn
Ich Menschen anvertraut.

(Blitz und Donner.)

GEIST DER ELEMENTE:
Es ziemt dir, zu bekennen,
Daß niemand wissen kann,
Woraus des Denkens Quellen strömen,
Und wo des Daseins Gründe liegen.

STRADER:
O dieses Wort, es ist das gleiche,
Das in der Jugend Hoffnungstagen
In eigner Seele mir
So grausig oft erklungen,
Wenn festgeglaubte Stützen
Im Menschendenken wankten.

(Blitz und Donner.)

GEIST DER ELEMENTE:
Bezwingst du mich
Mit deinen stumpfen Denkerwaffen nicht,
Bist mehr du nicht
Als flüchtig Truggebild
Des eignen Wahnes nur.

STRADER:
Schon wieder solch ein schaurig Wort.
Auch dies erklang mir einst

74

Aus meinem eignen Innern,
Als eine Seherin
Den Kreis des sichern Denkens mir zerstören
Und mich des Zweifels Stachel
Bedrohlich wollte fühlen lassen.
Doch das ist wohl vorbei.
Ich trotze deiner Macht,
Du Alter, der des eignen Wesens Abbild
In des Naturgebieters Maske
So täuschend mir versinnlicht.
Es wird Vernunft dich niederzwingen,
Doch anders, als du meinst.
Hat sie im Menschen erst
Erstiegen ihre stolze Höhe,
Wird sie die Meisterin wohl sein
Und nicht die Dienerin in der Natur.

(Blitz und Donner.)

GEIST DER ELEMENTE:
Es ist die Welt geordnet so,
Daß Leistung stets verlangt
Die Gegenleistung.
Ich habe euch das Selbst gegeben;
Ihr schuldet mir den Lohn.

CAPESIUS:
Ich will aus meiner Seele schaffen
Der Dinge geistig Ebenbild.
Und wenn Natur, zu Idealen
Verklärt, ersteht in Menschenwerken,
Ist sie belohnt genug
Durch ihre echte Spiegelung.
Und wenn du selber
Verwandt dich fühlst

75

Der grossen Weltenmutter
Und aus den Tiefen stammst,
Wo Urweltmächte walten,
So lass dir meinen Willen,
Der zu den hohen Zielen
In Kopf und Brust mir lebt,
Den Lohn sein deiner Tat.
Sie hat aus stumpfem Fühlen
Zu stolzem Denken mich gehoben.

(Blitz und Donner.)

GEIST DER ELEMENTE:
Ihr konntet sehen,
Wie wenig eure kühnen Worte
In meinem Reiche gelten.
Den Sturm entfesseln sie,
Und Elemente rufen sie
Zu aller Ordnung Gegnern auf.

CAPESIUS:
So magst du holen dir
Den Lohn, wo du ihn findest;
Des Menschen Seelentriebe müssen
Auf echten Geisteshöhen
Sich selber Mass und Ordnung geben.
Er kann nicht schaffen,
Wenn seines Schaffens Werk
Die andern nutzen wollen.
Es ist des Vogels Lied,
Das aus der Kehle dringt,
Sich selbst genug.
Und so ist Lohn dem Menschen auch.
Wenn schaffend er
Im Wirken Seligkeit erlebt.

(Blitz und Donner.)

76

GEIST DER ELEMENTE:
Es geht nicht an,
Daß ihr den Lohn mir weigert;
Und könnt ihr selbst ihn mir nicht leisten
So sagt der Frau,
Die euren Seelen Kraft verleiht,
Daß sie für euch bezahle.

(Der Geist der Elemente verschwindet.)

CAPESIUS: Er ist fort.
Wohin wohl wenden wir uns nun?
Zurecht erst uns zu finden
In diesen neuen Welten,
Wird unsre Sorge sein.

STRADER:
Dem besten Wege,
Den wir nun treffen können,
Vertrauend folgen
Und unsre Vorsicht brauchen:
Das wird das Ziel uns gehen.

CAPESIUS:
Mich dünkt, man sollte
Vom Ziele lieber schweigen.
Es wird sich finden,
Wenn mutig wir gehorchen
Dem Trieb der innern Wesenheit.
Und mir sagt dieser Trieb:
Das Wahre sei dir Führer;
Entfalte starke Kräfte
Und forme sie in edler Art
In allem, was du wirkst,
Und deine Schritte müssen
Ans rechte Ziel gelangen.

77

STRADER:
Doch darf vom Anbeginn
Bewusstsein rechter Ziele
Ermangeln nicht den Schritten,
Die Menschen Nutzen bringen
Und Glück erschaffen wollen.
Wer nur sich selber dienen mag,
Er folgt allein dem Herzensdrang;
Wer andern aber helfen will,
Muss sicher wissen,
Was seinem Leben nötig ist.

(Die andre Maria wird - ebenfalls in Seelenform - sichtbar.)

Doch sieh, welch sonderbares Wesen!
Es ist, als ob der Fels
Es selbst geboren hätte.
Aus welchem Weltengrund
Erstehen solche Wesen?

DIE ANDRE MARIA:
Ich ringe mich durch Felsengründe
Und will der Felsen eignen Willen
In Menschenworte kleiden;
Ich wittre Erdenwesenheit
Und will der Erde eignes Denken
Im Menschenkopfe denken.
Ich schlürfe reine Lebenslüfte
Und bilde Luftgewalten
In Menschenfühlen um.

STRADER:
Dann kannst du uns nicht helfen.
Was in Natur verbleiben muss,
Ist fern dem Menschenstreben.

78

CAPESIUS:
Ich liebe deine Sprache, Frau,
Und möchte gerne übersetzen
In meine Art die deine.

DIE ANDRE MARIA:
Mir wird so sonderbar
Bei euren stolzen Reden.
So wie ihr selber sprecht,
Ist unverständlich meinem Ohr.
Doch lasse ich erst eure Worte
Aus meinem Wesen anders tönen,
Verbreiten sie sich über alle Dinge,
Die meinen Umkreis füllen,
Und deuten ihre Rätsel

CAPESIUS:
Ist Wahrheit deine Rede,
So wandle uns
Die Fragen nach den rechten
Lebenswerten In deine Sprache,
So daß Natur uns Antwort gebe.
Denn unvermögend sind wir selbst,
Die grosse Mutter so zu fragen,
Daß sie uns hören kann.

DIE ANDRE MARIA:
Ihr seht in mir die niedre Schwester nur
Des hohen Geisteswesens,
Das jenes Reich bewohnt,
Aus dem ihr eben kommt.
Sie hat dies Feld mir angewiesen,
Daß hier ich ihren Abglanz
Für Menschensinne zeige.

79

CAPESIUS:
So sind dem Reiche wir entflohn,
Das unsre Sehnsucht stillen könnte?

DIE ANDRE MARIA:
Wenn ihr den Weg zurück
Nicht wieder findet,
Gedeiht ihr nimmermehr.

CAPESIUS:
Und welcher ist der rechte Weg?

DIE ANDRE MARIA:
Es gibt der Wege zwei.
Erwächst mir meine Kraft zu ihrer Höhe,
So können alle Wesen meines Reichs
In hehrster Schönheit strahlen.
Es glänzt dann funkelnd Licht
Von Fels und Wasser;
Der Farben reichste Fülle
Verbreitet sich im Umkreis,
Und Heiterkeit der Wesen
Erfüllt die Luft mit frohen Tönen.
Ergibt sich eure Seele dann
Den reinen Wonnen meines Seins,
So schwebet ihr auf Geistesflügeln
Im Weltenurbeginne.

STRADER:
Das ist kein Weg für uns.
Er heisst in unsrer Sprache Schwärmerei.
Wir wollen auf dem Boden bleiben,
Nicht in die Wolkenhöhen fliegen.

DIE ANDRE MARIA:
Und wollt ihr wandeln Den andern Weg,

80

Ihr müsst verzichten
Auf euren stolzen Geist.
Vergessen, was Vernunft gebeut,
Natursinn erst erobern eurem Wesen,
In Mannesbrust die Kindesseele,
Von des Gedankens Schattenbildern unberührt
Natürlich walten lassen.
So kommt ihr zwar nicht wissend,
Doch sicher zu des Lebens Quellen.

(Die andre Maria verschwindet)

CAPESIUS:
So sind wir doch
Auf uns nur selbst zurückgewiesen.
Und haben bloss gelernt,
Daß uns geziemt zu wirken
Und in Geduld die Früchte zu erwarten,
Die aus dem Wirken reifen.

JOHANNES (wie aus der Meditation; er ist hier wie auch im folgenden abseits sitzend und gehört nicht selbst in die Handlung hinein):
So finde ich im Seelenreich
Die Menschen wieder, die bekannt mir sind:
Den Mann, der von Felicias Geschichten sprach -
Nur konnt' ich hier ihn schauen,
Wie er in jungen Jahren war;
Und jenen, der als junger Mann
Zum Mönche sich bestimmt -
Als alter Mann erschien er mir.
Der Geist der Elemente war bei ihnen.
(Vorhang)

81

FÜNFTES BILD

Ein unterirdischer Felsentempel, die verborgene Mysterienstätte der Hierophanten. Benedictus, Theodosius, Romanus, Retardus; Felix Balde, die andre Maria. Johannes in Meditation, wie im vorigen Bilde.

BENEDICTUS (im Osten):
Die ihr Gefährten mir geworden
Im Reich des ewig Seienden,
Ich bin in eurer Mitte jetzt,
Die Hilfe mir zu holen,
Der ich von euch bedarf
Zum Schicksalsfaden eines Menschen,
Der Licht von hier empfangen soll
Er ist geschritten durch die Leidensproben
Und hat in bittrer Seelennot
Den Grund gelegt zur Weihe,
Die ihm Erkenntnis geben solL
Erfüllt ist nun die Sendung,
Die mir obliegt als Geistesbote,
Der dieses Tempels Schätze
Zu Menschen bringen soll.
An euch, ihr Brüder, ist es jetzt,
Mein Wirken zu vollenden.
Ich habe ihm gezeigt das Licht,
Das ihn geführt
Zum ersten Geistesschauen.
Doch soll aus Bild

82

Ihm Wahrheit werden,
Muss euer Werk
Zu meinem Werke kommen.
Mein Wort, es ist aus mir allein;
Durch euch ertönen Weltengeister.

THEODOSIUS (im Süden) :
Es spricht die Kraft der Liebe,
Die Welten bindet
Und Wesen mit dem Sein erfüllt.
Es fliesse Wärme in sein Herz.
Er soll begreifen,
Wie er dem Weltengeist
Sich naht durch Opferung
Des Wahnes seiner Eigenheit
Du hast entbunden jetzt
Sein Schauen aus dem Sinnesschlaf;
Die Wärme wird den Geist erwecken
Aus seinem Seelenwesen.
Du hast das Selbst gezogen
Aus seiner Leibeshülle;
Die Liebe wird die Seele festigen,
Daß sie zum Spiegel werden kann,
Aus dem geschaut muss werden,
Was in der Geisteswelt geschieht.
Die Liebe wird die Kraft ihm geben,
Sich selbst als Geist zu fühlen,
Und so das Ohr ihm schaffen,
Das Geisterworte hört.

ROMANUS (im Westen):
Auch meine Worte sind
Nicht eignen Wesens Offenbarung;

83

Es spricht der Weltenwille.
Und da gebracht du hast
Den Menschen, der dir anvertraut,
Zur Kraft, im Geist zu leben,
So soll die Kraft ihn führen
Durch Raumesgrenzen und durch Zeitenenden.
In jene Sphären soll er gehen,
Wo Geister schaffend handeln.
Sie sollen ihm sich offenbaren
Und Taten von ihm fordern.
Er wird sie willig tun.
Der Weltenbildner Ziele,
Sie werden ihn beleben;
Und Urbeginne sollen
Durchgeistern ihn.
Die Weltgewalten werden
Durchkraften ihn;
Die Sphärenmächte
Durchleuchten ihn;
Und Weltenherrscher
Befeuern ihn.

RETARDUS (im Norden):
Ihr musstet seit dem Erdbeginn
In eurer Mitte mich ertragen.
So muss in eurem Rate
Auch heute meinem Wort
Gehör gegeben sein.
Bis ihr vollführen könnt,
Was ihr so schön besprochen,
Ist wohl noch eine Weile Zeit.
Noch hat die Erde selbst
Durch nichts uns angekündigt.

84

Daß sie Verlangen trägt
Nach neuen Eingeweihten.
So lange nicht betreten haben
Den Raum, in welchem wir beraten,
Die Wesen, die noch ungeweiht
Den Geist entbinden können
Aus Sinnes-Wirklichkeiten,
So lange bleibt mir's unbenommen,
Zu hemmen euren Eifer.
Erst müssen sie uns Botschaft bringen,
Daß neue Offenbarung
Der Erde nötig scheint.
Ich halte euer Geisteslicht
Deshalb zurück in diesem Tempel,
Auf daß nicht Schaden
Statt Heil es bringe,
Wenn es die Seelen unreif trifft.
Ich gebe aus mir selbst
Dem Menschen jenen Teil,
Der ihm die Sinneswahrheit
Als Höchstes lässt erscheinen,
So lang die Geistesweisheit
Sein Auge blenden könnte.
Der Glaube mag auch ferner
Zum Geist ihn führen;
Und seines Wollens Ziele,
Sie können durch Begierden,
Die blind im Finstern tasten,
Gelenkt noch weiter werden.

ROMANUS:
Wir mussten seit dem Erdbeginn
In unsrer Mitte dich ertragen.
Doch ist die Zeit nun abgelaufen,

85

Die deinem Wirken zugemessen.
Es fühlt in mir der Weltenwille,
Daß jene Menschen nahen,

(Felix Balde erscheint in seiner irdischen Gestalt, die
andre Maria in Seelenform aus dem Felsen.)

Die ungeweiht, aus Sinnenschein
Den Geist entbinden können.
Zu hemmen unsre Schritte
Ist dir vergönnt nicht länger.
Aus freiem Willen werden sie
Sich unserm Tempel nahen
Und dir die Botschaft bringen,
Daß sie mit uns vereint
Am Geisteswerke helfen wollen.
Sie fanden sich bis jetzt
Dazu noch nicht bereit,
Sie hingen an dem Glauben,
Daß Seherkräfte von Vernunft
Getrennt sich halten sollen.
Sie haben nun erkannt,
Wozu Vernunft den Menschen führt,
Wenn sie vom Schauen abgesondert
In Weltentiefen sich verirrt.
Sie werden zu dir sprechen
Von Früchten, die aus deiner Kraft
In Menschenseelen reifen müssen.

RETARDUS:
Ihr, die ihr unbewusst
Mein Schaffen habt gefördert.
Ihr sollt mir weiterhelfen.
Wenn ihr euch ferne haltet allem,
Was nur in mein Gebiet gehört,
So wird auch eurem Wirken

86

Der Raum gewahrt stets bleiben,
Wie ihr bisher ihn hattet.

FELIX BALDE:
Mir hat befohlen eine Kraft,
Die aus den Erdengründen
Zu meinem Geiste spricht,
Zu gehen an den Weiheort.
Sie will durch mich euch künden
Von ihrer Sorge, ihrer Not.

BENEDICTUS:
Mein Freund, so sage uns,
Was du in deinen Seelengründen
Vom Kummer in den Erdentiefen
Erkundet hast.

FELIX BALDE:
Das Licht, das in den Menschen
Als Frucht des Wissens leuchtet,
Es soll zur Nahrung werden
Den Mächten, die im Erdendunkel
Dem Weltengange dienen.
Sie müssen nun seit lange schon
Der Sättigung fast ganz entbehren
Denn was in diesen Tagen
Erwächst in Menschenhirnen,
Es dient der Erdenoberfläche,
Doch in die Tiefen dringt es nicht.
Es spukt ein neuer Aberglaube
In klugen Menschenköpfen.
Sie richten ihren Blick in Urbeginne
Und wollen in den Geistersphären
Gespenster sehen nur,
Erdacht aus Sinnenwahn.
Der Händler hielte sicher geistverworren

87

Den Käufer, der ihm sagen wollte.
Es kann im Tal der Nebeldunst
Sich zu dem baren Gelde ballen;
Du aber sollst bezahlt
Mit diesem Gelde sein.
Der Händler will Dukaten nicht
Aus Nebeldunst erwarten.
Doch durstet er
Nach Lösung höchster Daseinsrätsel,
So nimmt er ganze Weltenbaue
Aus Urweltnebeln willig hin,
Wenn Wissenschaft als Zahlung
Zum Geistbedarf sie reicht.
Der Lehrer, der erführe:
Es wollt' ein Laienwicht
Ganz ohne Prüfung selber sich
In Wissenshöhen heben,
Er würde mit Verachtung drohn.
Doch Wissenschaft bezweifelt nicht.
Daß ungeprüft und geistesleer
Das Urwelttier zum Menschen
Aus eigner Kraft sich wandeln könne.

THEODOSIUS:
Warum eröffnest du den Menschen
Nicht deines Lichtes Quellen,
Das in so hellem Strahl
Dir aus der Seele leuchtet?

FELIX BALDE:
Mich nennen Grübler und Phantast,
Die guten Willen haben.
Den andern aber gelte ich
Als dumpfer Tropf,
Der unbelehrt von ihnen
Der eiguen Narrheit folgt.

88

RETARDUS:
Du zeigst, wie unbelehrt du bist
Schon durch die Einfalt dieser Rede.
Du weisst nicht, daß gescheit genug
Ein Mann der Wissenschaft,
Um solchen Einwand sich auch selbst zu machen.
Und macht er ihn sich nicht,
So kennt er auch den Grund.

FELIX BALDE:
Ich weiss ganz gut,
Daß er gescheit genug wohl ist,
Den Einwand zu verstehn;
Doch sicher nicht gescheit genug,
An ihn zu glauben.

THEODOSIUS:
Was soll geschehn,
Den Erdenmächten jetzt zu geben,
Was sie so nötig haben?

FELIX BALDE:
So lang auf Erden
Gehör nur jene Menschen finden,
Die ihres Geistes Ursprung
Sich nicht entsinnen wollen,
So lange werden hungern
In Erdentiefen Erzgewalten.

DIE ANDRE MARIA:
Ich hör' aus deinen Worten, Bruder Felix,
Daß du die Zeit als abgelaufen denkst,
Da wir dem Erdendasein dienen sollten,
Um ohne Weihe durch das Weisheitslicht
Aus eignen Lebensgründen Geist und Liebe
Ihr Dasein zu beleben.
In dir erhoben sich die Erdengeister,

89

Um ohne Wissenschaft dir Licht zu schaffen.
In mir hat Liebe walten dürfen,
Die in dem Menschensein sich selbst bewirkt.
Wir wollen ferner im Verein mit jenen Brüdern,
Die in dem Tempel leisten Weihedienste,
In Menschenseelen fruchtbar wirken.

BENEDICTUS:
Wenn ihr euch eint mit uns,
So muss das Weihewerk gelingen.
Die Weisheit, die ich meinem Sohn erteilt,
Sie wird in ihm zur Macht erblühn.

THEODOSIUS:
Wenn ihr euch eint mit uns,
So muss die Opferlust erstehn.
Die Liebe wird dann warm durchwehn
Des Geistessuchers Seelenleben.

ROMANUS:
Wenn ihr euch eint mit uns,
So müssen Geistesfrüchte reifen
Und Taten keimen, die im Geisteswirken
Erwachsen aus der Seelenschülerschaft.

RETARDUS: Wenn sie sich mit euch einen,
Was soll mit mir geschehen!
Es werden meine Taten
Dem Geistesschüler fruchtlos sein.

BENEDICTUS:
Du wirst zu andrem Sein dich wandeln,
Da du dein Werk getan.

THEODOSIUS:
Du wirst in Opfern weiterleben,
Wenn du dich selber opferst.

90

ROMANUS:
Du wirst in Menschentaten fruchten,
Wenn ich die Früchte pflegen kann

JOHANNES (Wie im vorigen Bilde aus der Meditation):
Es zeigten sich dem Seelenauge
Die Brüder in dem Tempel.
Sie glichen an Gestalt den Menschen,
Die ich im Sinnenschein schon kenne.
Nur Benedictus auch an Geist.
Der ihm zur Linken stand,
Ist jenem Manne gleich,
Der nur durch Fühlen sich dem Geiste nähern will.
Der dritte glich dem Menschen,
Der nur in Kurbeln und im äussern Werk
Die Lebensmächte gelten lässt.
Der vierte ist mir unbekannt.
Die Frau, die nach des Gatten Tod
Dem Geisteslicht sich zugewandt,
Ich sah sie hier in ihrem tiefsten Wesen.
Und Felix Balde kam,
Wie er im Leben ist.

(Vorhang fällt langsam.)

91

SECHSTES BILD

Dieselbe Szenerie Wie im vierten Bilde. Der Geist der Elemente ,steht an derselben Stelle. Vor ihm Frau Balde; später German. Johannes in Medi-tation

FRAU BALDE:
Du hast mich rufen lassen;
Was willst du von mir hören?

GEIST DER ELEMENTE:
Zwei Männer schenkte ich der Erde.
Es ward durch dich befruchtet
Der beiden Männer Geisteskraft.
In deinen Worten fanden sie
Belebung ihrer Seelen,
Wenn trocknes Sinnen sie gelähmt.
Was du gegeben ihnen,
Verschuldet dich auch mir.
Es reicht ihr Geist nicht aus,
Zu lohnen mir den Dienst,
Den ich an ihnen tat.

FRAU BALDE:
Es kam durch Jahre
Der eine Mann in unser Häuschen,
Zu holen sich die Kraft,
Die seinen Worten Feuer gab.
Er brachte später auch den andern mit.
Und so verzehrten beide

92

Die Früchte, deren Wert
Mir damals unbekannt.
Doch wenig Gutes
Erfuhr von ihnen ich als Gegengabe.
Sie schenkten unsrem Sohn
Erkenntnis ihrer Art.
Es war recht gut gemeint,
Doch unser Kind
Empfing dadurch den Seelentod.
Erwachsen war es in dem Licht,
Das Vater Felix aus den Quellen,
Den Felsen und den Bergen
Durch Geisterspruch erhalten.
Vereint damit ward alles,
Was mir gewachsen in der Seele
Seit meinen ersten Kinderjahren.
Des Sohnes Geistessinn
Erstarb im finstern Schatten
Der dunklen Wissenschaft.
Und statt des heitern Kindes
Erwuchs ein Mensch
Mit öder Seele
Und leerem Herzen.
Und nun verlangst du gar,
Daß ich bezahle,
Was sie dir schulden.

GEIST DER ELEMENTE:
Es muss so sein.
Hast du gedienet erst
Dem Erdenteil in ihnen,
Verlangt der Geist durch mich,
Daß du das Werk vollendest.

93

FRAU BALDE:
Es ist nicht meine Art,
Zu weigern, was ich soll;
Doch sage mir zuerst,
Ob Nachteil mir erwächst
Aus meinem Liebesdienst.

GEIST DER ELEMENTE:
Was du auf Erden erst für sie getan,
Es raubte deinem Kinde seine Seelenkraft.
Was du nun ihrem Geiste gibst,
Ist dir im eignen Selbst verloren;
Und dein Verlust an Lebenskraft
Wird an dem Leib sich dir
Als Hässlichkeit erweisen.

FRAU BALDE:
Sie nahmen meinem Kinde
Die Kräfte seiner Seele,
Und ich soll wandeln
Als Scheusal vor der Menschen Blicken,
Daß ihnen Früchte reifen,
Die wenig Gutes wirken!

GEIST DER ELEMENTE:
Doch wirkst du zu der Menschen Heil
Und auch für eignes Glück.
Der Mutter Schönheit und des Kindes Leben,
Sie werden euch in höherer Weise blühn,
Wenn in den Menschenseelen
Die neuen Geisteskräfte keimen.

FRAU BALDE:
Was soll ich tun?

94

GEIST DER ELEMENTE:
Du hast so oft die Menschen inspiriert,
So inspiriere jetzt die Felsengeister;
Du musst in dieser Stunde dir
Entringen eines deiner Märchenbilder
Und anvertrauen es den Wesen,
Die mir in meiner Arbeit dienen.

FRAU BALDE:
Es sei - - Es war einmal ein Wesen,
Das flog von Ost nach West
Dem Lauf der Sonne nach.
Es flog hin über Länder, über Meere;
Es sah von seiner Höhe
Dem Menschentreiben zu.
Es sah, wie sich die Menschen lieben
Und hassend sich verfolgen.
Es konnte nichts das Wesen
In seinem Fluge hemmen,
Denn Hass und Liebe schaffen
Das gleiche stets vieltausendfach
Doch über einem Hause,
Da musst' das Wesen halten.
Darinnen war ein müder Mann.
Der sann der Menschenliebe nach
Und sann auch über Menschenhass.
Ihm harte schon sein Sinnen
Ins Antlitz tiefe Furchen eingeschrieben.
Es hatte ihm das Haar gebleicht.
Und über seinem Kummer
Verlor das Wesen seinen Sonnenführer
Und blieb bei jenem Mann.
Es war in seinem Zimmer

95

Noch, als die Sonne unterging;
Und als die Sonne wiederkam,
Da ward das Wesen wieder
Vom Sonnengeiste aufgenommen. -
Und wieder sah es Menschen
In Lieb' und Hass
Den Erdenlauf verbringen.
Und als es kam zum zweiten Mal,
Der Sonne folgend über jenes Haus,
Da fiel sein Blick
Auf einen toten Mann.

(Hinter einem Felsen spricht German, so daß er unsichtbar bleibt.)

GERMAN:
Es war einmal ein Mann,
Der zog von Ost nach West;
Ihn lockt' der Wissenstrieb
Hin über Land und Meer.
Er sah nach seinen Weisheitsregeln
Dem Menschentreiben zu.
Er sah, wie sich die Menschen lieben
Und hassend sich verfolgen.
Es sah der Mann sich jeden Augenblick
An seiner Weisheit Ende.
Doch wie stets Hass und Liebe
Die Erdenwelt regieren,
Es war in kein Gesetz zu bringen.
Er schrieb viel tausend Einzelfälle,
Doch fehlte alle Überschau.
Es traf der trockne Forscher
Auf seinem Weg ein Lichteswesen;
Dem war das Dasein schwer,
Da es in stetem Kampfe war

96

Mit einer finstern Schattenform.
Wer seid ihr denn
So frägt der trockne Forscher.
Ich bin die Liebe,
So sagt das eine Wesen;
In mir erblick den Hass.
So sprach das andre.
Es hörte dieser Wesen Worte
Der Mann nicht mehr.
Als tauber Forscher zog fortan
Von Ost nach West der Mann.

FRAU BALDE:
Wer bist du denn,
Der meine Worte
So unerwünscht
In seiner Art entstellt?
Es klingt wie Spott,
Und spotten ist nicht meine Art.

GERMAN (hervortretend) :
Ich bin der Geist des Erdgehirns;
Im Menschen lebt von mir
Ein zwerghaft Abbild nur.
Es wird so manches drin gedacht,
Das Spott nur auf sich selber ist,
Wenn ich es in der Grösse zeige,
Wie es in meinem Hirn erscheint.

FRAU BALDE: Darum verspottest du auch mich!

GERMAN:
Ich muss recht oft
Dies Handwerk üben;
Doch hört man mich meist nicht.

97

Ergriffen hab ich die Gelegenheit,
Einmal auch da zu sein,
Wo man mich hört.

JOHANNES (aus der Meditation):
Dies war der Mann,
Der von sich sagte,
Das Geisteslicht sei wie von selber
In sein Gehirn gedrungen.
Und Frau Felicia, sie kam,
Gleich ihrem Mann,
Wie sie im Leben ist.

(Vorhang fällt.)

98

SIEBENTES BILD

Das Gebiet des Geistes. Maria, Philia, Astrid, Luna, Kind; Johannes, erst yon ferne, dann näherkommend; Theodora, zuletzt Benedictus.

MARIA:
Ihr, meine Schwestern, die ihr
So oft mir Helferinnen wart,
Seid mir es auch in dieser Stunde,
Daß ich den Weltenäther
In sich erbeben lasse.
Er soll harmonisch klingen
Und klingend eine Seele
Durchdringen mit Erkenntnis.
Ich kann die Zeichen schauen,
Die uns zur Arbeit lenken.
Es soll sich euer Werk
Mit meinem Werke einen
Johannes, der Strebende,
Er soll durch unser Schaffen
Zum wahren Sein erhohen werden.
Die Brüder in dem Tempel,
Sie hielten Rat,
Wie sie ihn aus den Tiefen
In lichte Höhen führen sollen.
Von uns erwarten sie,
Daß wir in seiner Seele heben
Die Kraft zum Höhenfluge.

99

Du, meine Philia, so sauge
Des Lichtes klares Wesen
Aus Raumesweiten,
Erfülle dich mit Klangesreiz
Aus schaffender Seelenmacht,
Daß du mir reichen kannst
Die Gaben, die du sammelst
Aus Geistesgründen.
Ich kann sie weben dann
In den erregenden Sphärenreigen.
Und du auch, Astrid, meines Geistes
Geliebtes Spiegelbild,
Erzeuge Dunkelkraft
Im fliessenden Licht,
Daß es in Farben scheine.
Und gliedre Klangeswesenheir;
Daß webender Weltenstoff
Ertönend lebe.
So kann ich Geistesfühlen
Vertrauen suchendem Menschensinn.
Und du, o starke Luna,
Die du gefestigt im Innern bist,
Dem Lebensmarke gleich,
Das in des Baumes Mitte wächst,
Vereine mit der Schwestern Gaben
Das Abbild deiner Eigenheit,
Daß Wissens Sicherheit
Dem Seelensucher werde.

PHILIA:
Ich will erfüllen mich
Mit klarstem Lichtessein
Aus Weltenweiten,
Ich will eratmen mir

100

Belebenden Klangesstoff
Aus Ätherfernen,
Daß dir, geliebte &hwester,
Das Werk gelingen kann.

ASTRID:
Ich will verweben
Erstrahlend Licht
Mit dämpfender Finsternis,
Ich will verdichten
Das Klangesleben.
Es soll erglitzernd klingen,
Es soll erklingend glitzern,
Daß du, geliebte Schwester,
Die Seelenstrahlen lenken kannst.

LUNA:
Ich will erwärmen Seelenstoff
Und will erhärten Lebensäther.
Sie sollen sich verdichten,
Sie sollen sich erfühlen,
Und in sich selber seiend
Sich schaffend halten,
Daß du, geliebte Schwester,
Der suchenden Menschenseele
Des Wissens Sicherheit erzeugen kannst.

MARIA:
Aus Philias Bereichen
Soll strömen Freudesinn;
Und Nixen-Wechselkräfte,
Sie mögen öffnen
Der Seele Reizbarkeit,
Daß der Erweckte
Erleben kann
Der Welten Lust,

101

Der Welten Weh. -
Aus Astrids Weben
Soll werden Liebelust;
Der Sylphen wehend Leben,
Es soll erregen
Der Seele Opfertrieb,
Daß der Geweihte
Erquicken kann
Die Leidbeladenen,
Die Glück Erflehenden. -
Aus Lunas Kraft
Soll strömen Festigkeit.
Der Feuerwesen Macht,
Sie kann erschaffen
Der Seele Sicherheit;
Auf daß der Wissende
Sich finden kann
Im Seelenweben,
Im Weltenleben.

PHILIA:
Ich will erbitten von Weltengeistern,
Daß ihres Wesens Licht
Entzücke Seelensinn,
Und ihrer Worte Klang
Beglücke Geistgehör;
Auf daß sich hebe
Der zu Erweckende
Auf Seelenwegen
In Himmelshöhen.

ASTRID:
Ich will die Liebesströme,
Die Welt erwarmenden,
Zu Herzen leiten

102

Dem Geweihten;
Auf daß er bringen kann
Des Himmels Güte
Dem Erdenwirken
Und Weihestimmung
Den Menschenkindern.

LUNA:
Ich will von Urgewalten
Erflehen Mut und Kraft
Und sie dem Suchenden
In Herzenstiefen legen;
Auf daß Vertrauen
Zum eignen Selbst
Ihn durch das Leben
Geleiten kann.
Er soll sich sicher
In sich dann selber fühlen.
Er soll von Augenblicken
Die reifen Früchte pflücken
Und Saaten ihnen entlocken
Für Ewigkeiten.

MARIA:
Mit euch, ihr Schwestern,
Vereint zu edlem Werk,
Wird mir gelingen,
Was ich ersehne.
Es dringt der Ruf
Des schwer Geprüften
In unsre Lichteswelt.

(Johannes erscheint.)

JOHANNES:
O Maria, du bist es!
Es hat mein Leid

103

Mir reiche Frucht gebracht.
Es hat dem Wahngebilde mich entrückt,
Das ich aus mir erst selbst gemacht
Und das mich dann gefangen hielt.
Dem Schmerz verdank' ich es,
Daß ich auf Seelenbahnen
Zu dir gelangen konnte.

MARIA:
Wie war der Weg,
Der dich hierhergeführt?

JOHANNES:
Ich fühlte mich entronnen
Den Sinnesfesseln.
Befreit ward dann mein Blick
Von jenen Schranken,
Die ihm die Gegenwart umschliessen.
Ich konnte andres schauen
In eines Menschen Leben,
Als was ein Augenblick
In engstem Kreise zeigt.
Capesius, den mir das Sinnensehen
In seinen ältern Jahren hat gewiesen,
Ihn hat der Geist
Als Jüngling vor die Seele mir gerückt.
Wo er von Hoffnungsträumen voll
Dem Leben erst entgegengeht,
Das immer wieder ihm gebracht
Die treue Hörerschar.
Und Strader, der noch jung
Im Erdendasein steht,
Dem Klosterleben kaum entwachsen,
Ich konnt' ihn sehen so,
Wie er einst werden müsste,

104

Wenn er das Ziel
In solcher Art verfolgte,
Wie er bisher es dachte.
Und jene Menschen nur,
Die geisterfüllt im Erdenfeld schon sind,
Sie schienen unverwandelt
Im Geistgebiet.
Behalten hatten Vater Felix
Und Mutter Felicia
Die Erdenformen sich,
Als meines Geistes Auge sie erblickte.
Und dann erwiesen meine Führer
Mir ihre Gunst und sprachen
Von Gaben, die mir werden sollen,
Wenn ich erreichen kann
Erhabne Wissenshöhen.
Und vieles hab' ich noch gesehn
Mit meinen Geistorganen,
Was erst die Sinne mir gezeigt
Auf ihre enge Art.
Und klärend Urteilslicht erstrahlte
In meiner neuen Welt.
Doch ob ein Traum mir dämmerte,
Ob Geisteswirklichkeit mich schon umgab,
Ich konnte es noch nicht entscheiden.
Ob meine Geistesschau berührt
Von andern Dingen ward,
Ob ich das eigne Selbst
Mir nur zu einer Welt erweitert,
Ich wusst' es nicht.
Und dann erschienst du selbst.
Nicht wie in dieser Zeit du bist,
Nicht wie Vergangenheit dich sah,

105

Nein, so erblickt' ich dich,
Wie ewig du im Geiste stehst.
Nicht menschlich war dein Wesen;
Den Geist in deiner Seele,
Ihn konnt' ich klar erkennen.
Er tat nicht, was ein Mensch
In einem Sinnenleibe tut.
Er handelt' wie ein Geist,
Der Werken Dasein geben will,
Die in den Ewigkeiten wurzeln.
Und jetzt erst, da vor dir
Im Geist ich stehen darf,
Erstrahlt mir volles Licht.
In dir hat schon mein Sinnensehn
Die Wirklichkeit so fest ergriffen,
Daß mir Gewissheit ist
Auch hier im Geisterland:
Es steht kein Zauberbild vor mir.
Es ist die waure Wesenheit,
In der ich dir begegnet dort,
In der ich hier dich treffen darf.

THEODORA (erscheinend):
Es drängt zu sprechen mich.
Aus deiner Stirn, Maria,
Entsteigt ein Lichtesschein.
Der Schein gestaltet sich.
Er wird zur Menschenform.
Er ist ein geisterfüllter Mann.
Und andre Menschen sammeln sich um ihn.
Ich schau in lang entschwundne Zeit.
Und jener fromme Mann,
Der deinem Haupt entstiegen ist,

106

Er strahlt aus seinen Augen
Die reinste Seelenruhe,
Und Innigkeit erglimmt
Aus seinen edlen Zügen.
Vor ihm erblickt mein Auge
Ein Weib, das in Ergebenheit
Den Worten lauscht,
Die aus des Mannes Munde kommen.
Ich hör' die Worte.
Sie klingen so:
Ihr habt zu euren Göttern
In Ehrfurcht aufgeschaut.
Ich liebe diese Götter,
Wie ihr sie selber liebt.
Sie schenkten eurem Denken Kraft,
Sie pflanzten Mut in eure Herzen.
Doch stammen ihre Gaben
Aus einem höhern Geisteswesen.
---------------------
Ich schau', wie wilden Sinn erregte,
Was jener Mann den Leuten sagt'.
Ich kann die Rufe hören:
O tötet ihn; er will uns rauben,
Was Götter uns gegeben.
Es spricht der Mann gelassen weitet.
Er redet von dem Menschengotte,
Der zu der Erde niederstieg,
Und der den Tod besiegte:
Von Christus redet er.
Und wie er weiterspricht,
Da sänftigen sich die Seelen,
Es widersteht nur eins der Heidenherzen.
Das schwört dem Manne Rache.

107

Ich kann erkennen dieses Herz;
In jenem Kinde schlägt es wieder,
Das sich an deine Seite schmiegt.
Es spricht zu ihm der Christusbote:
Dein Schicksal will es nicht,
Daß du mir nahst in diesem Leben;
Doch warte ich geduldig,
Dein Weg, er führt dich doch zu mir.
Das Weib, das vor dem Manne steht,
Es fällt zu dessen Füssen;
Verwandelt fühlt es sich.
Es betet eine Seele zu dem Menschengotte;
Es liebt ein Herz den Gottesboten.

(Johannes sinkt auf die Knie vor Maria.)

MARIA:
Johannes, was dir dämmert,
Zum Vollbewusstsein sollst du es erwecken.
Gedächtnis rang sich eben
In dir von Sinnesfesseln los.
Du hast empfunden mich,
Du hast erfühlet dich,
Wie wir im vor'gen Erdensein vereint.
Das Weib, von dem die Weise sprach,
Du warst es selbst.
So lagst du mir zu Füssen,
Als ich dereinst als Christusbote
Zu deinem Stamme kam.
Was in Hybernias geweihten Stätten
Vertraut mir ward von jenem Gotte,
Der in dem Menschen wohnte
Und Sieger wurde über Todesmächte :
Ich durfte dies zu Völkern bringen,
In welchen noch lebendig war

108

Die Seele, die dem starken Odin
Die frohen Opfer brachte
Und an den lichten Balder
Mit Trauer denken musste.
Dich zog vom ersten Tage,
Da mich dein Sinnesauge sah in diesem Leben,
Die Kraft zu mir, die damals dir
Aus jener Botschaft wuchs.
Und weil sie mächtig wirkte
Und unbewusst doch blieb uns beiden,
Verwob sie unserm Dasein
Die Leiden, die wir durchgerungen.
Doch lag im Leiden selbst die Macht,
Zu führen uns in Geistesreiche,
Wo wir uns wahrhaft kennenlernen.
Es stieg dein &hmerz zum Übermass
Durch vieler Menschen Gegenwart.
Du bist verbunden ihnen durch die Schicksalsmacht.
So konnte ihres Wesens Offenbarung
Dein Herz so stark erschüttern.
Es hat sie Karma jetzt um dich versammelt,
Um eine Kraft in dir zu wecken,
Die deinem Leben vorwärtshalf.
Und diese Kraft hat dich durchrüttelt,
Daß du befreit vom Leib
In Geisteswelten steigen konntest.
Am nächsten stehst du meiner Seele,
Der du in Schmerzen Treue hast bewahrt;
Darum ist mir das Los gefallen,
Die Weihe zu vollenden,
Der du das Geisteslicht verdankst.
Es haben dich erweckt zum Schauen
Die Brüder, die im Tempel Dienste tun.

109

Doch kannst du nur erkennen,
Daß Wahrheit dies Geschaute ist,
Wenn du im Geisterlande wiederfindest
Ein Wesen, dem du schon in Sinneswelten
Im tiefsten Sein verbunden bist.
Daß dir dies Wesen hier entgegentreten kann,
Entsandten mich die Brüder dir voraus.
Es war die schwerste deiner Proben,
Als ich hierher gerufen ward.
Ich bat den Führer, Benedictus,
Zu lösen mir
Das Rätsel meines Lebens,
Das grausam mir erschien.
Und Seligkeit entströmte seinen Worten,
Als er von seiner Sendung sprach und meiner.
Er sprach mir von dem Geiste, dessen Dienst
Die Kraft in mir gewidmet solle sein.
Es war bei seinen Worten mir, als ob
In einem Augenblicke mir das hellste Geisteslicht
Die Seele ganz durchstrahlte, und Leid
In Seligkeit beglückend sich gewandelt hätte.
Und ein Gedanke nur erfüllte mir die Seele:
Er gab mir Licht -
Ja, Licht, das mir die Kraft des Sehens schenkte.
Es war der Wille, der in dem Gedanken lebte:
Mich hinzugeben ganz dem Geist
Und fähig für das Opfer mich zu machen,
Das mich ihm nahebringen könnte.
Es hatte der Gedanke höchste Kraft.
Er gab der Seele Schwingen und entrückte mich
In dieses Reich, in dem du mich gefunden.
In jenem Augenblick, da ich mich frei
Vom Sinnenleibe fühlte, konnte ich

110

Das Geistesauge auf dich richten.
Ich hatte nicht Johannes nur vor mir;
Ich sah das Weib, das mir gefolgt
In alten Zeiten war und sein Geschick
An meines enge hat gebunden.
So ward mir Geisteswahrheit hier durch dich,
Der mir in Sinnesweiten schon
Im tiefsten Sein verbunden ist.
Ich hatte mir erworben Geistessicherheit
Und ward befähigt, sie zu geben dir.
Zu Benedictus sendend einen Strahl
Der höhsten Liebe, ging ich dir voran.
Und Er hat dir die Kraft verliehn,
Zu folgen mir in Geistersphären.

BENEDICTUS (erscheinend):
Ihr habt euch selbst
Gefunden hier im Geistgebiet.
So darf auch ich
An eurer Seite wieder sein.
Ich durfte euch die Kraft verleihn,
Die euch hierher getrieben,
Doch konnt' ich euch
Nicht selbst geleiten.
So will es das Gesetz,
Dem ich gehorchen muss.
Ihr musstet, durch euch selbst,
Erwerben erst das Geistesauge,
Das mich auch hier
Euch sichtbar macht.
Es hat der Weg der Geistespilgerschaft
Für euch nun erst begonnen.
Ihr werdet jetzt im Sinnensein

111

Mit neuen Kräften stehen
Und mit dem Geiste,
Der euch erschlossen ist,
Dem Menschenwerden dienen können.
Es hat das Schicksal euch verbunden,
Vereint die Kräfte zu entfalten,
Die gutem Schaffen dienen müssen.
Und wandelnd auf dem Seelenpfade,
Wird euch die Weisheit selber lehren,
Daß Höhstes kann geleistet werden,
Wenn Seelen, die sich Geistessicherheit verliehn,
In Treue sich zum Weltenheile binden.
Die Geistesführung einte zur Erkenntnis euch,
Nun eint euch selbst zum Geisteswirken.
Die Mächte dieses Reiches geben euch
Durch meinen Mund das Wort der Kraft:
Des Lichtes webend Wesen, es erstrahlt
Von Mensch zu Mensch,
Zu füllen alle Welt mit Wabrheit.
Der Liebe Segen, er erwarmet
Die Seele an der Seele,
Zu wirken aller Welten Seligkeit.
Und Geistesboten, sie vermählen
Der Menschen Segenswerke
Mit Weltenzielen;
Und wenn vermählen kann die beiden
Der Mensch, der sich im Menschen findet,
Erstrahlet Geisteslicht durch Seelenwärme.
(Vorhang.)

112

ZWISCHENSPIEL

Es ist angenommen, daß das Vorhergehende die Aufführung war, welcher Sophia beigewohnt hat, und daß sie am nächsten Tage wieder von ihrer Freundin Estella besucht wird. Das Folgende in demselben Zimmer wie das Vorspiel.

SOPHIA:
Meine liebe Estella, verzeih, daß ich dich habe warten lassen; es war notwendig, erst etwas bei den Kindern zu besorgen.

ESTELLA:
Ich bin nun schon wieder bei dir. Ich habe dich so lieb, daß ich mich stets nach dir sehne, wenn mich etwas tief bewegt.

SOPHIA:
Du wirst in mir stets die Freundin finden, die an deinen Empfindungen den wärmsten Anteil nehmen kann.

ESTELLA:
Es gingen mir diese so nahe. Es mag dir recht sonderbar scheinen, wenn ich Sage, daß es mir einige Augenblicke lang war, als ob alles mir sich vor die Seele stellte, was ich jemals an Menschenleid habe beobachten können. Mit der grössten künstlerischen Kraft ist in diesem Werke nicht nur dargestellt, was an äusserem Missgeschick bei so vielen Menschen anzutreffen ist, sondern es wird mit einem bewundernswerten

113

Scharfblick auf die tiefsten Seelenschmerzen gewiesen.

SOPHIA:
Man kann sich von einem Kunstwerke gewiss keine rechte Vorstellung bilden, wenn man nur von seinem Inhalt hört; dennoch wäre es mir lieb, wenn du mir etwas mitteilen wolltest von dem, was dich so sehr bewegt.

ESTELLA:
Man hatte es mit einem wundervollen Aufbau zu tun. Der Künstler will zeigen, wie ein junger Maler alle Schaffenslust verliert, weil er an der Liebe zu einer Frau zu zweifeln beginnt. Sie hatte ihm die Kraft gegeben, seine hoffnungsvollen Anlagen zu entwickeln. In ihr war aus reinster Begeisterung für seine Kunst die schönste Opferliebe entstanden. Und dieser konnte er es danken, daß er auf seinem Gebiete eine volle Entfaltung seiner Kräfte erlebte. Er erblühte gewissermassen in der Sonne seiner Wohltäterin. Aus seiner Dankbarkeit entwickelte sich nun durch vieles Zusammensein mit dieser Frau eine leidenschaftliche Liebe zu ihr. Dadurch vernachlässigte er immer mehr ein armes Geschöpf, das ihm in Treue ergeben war und das schliesslich aus Gram starb, weil es sich sagen musste, daß ihm des geliebten Mannes Herz verloren sei. Als er von ihrem Tod hörte, ging ihm die Nachricht nicht besonders nahe, denn seine Gefühle gehörten allein Seiner Wohltäterin. Doch musste er immer mehr Sich überzeugen, daß deren edie Freundschaftsempfindungen sich nie in leidenschaftliche Liebe wandeln könnten. Das trieb ihm alle Schaffensfreude aus der Seele. Er fühlte sich in seinem Innenleben

114

immer öder. In solcher Lebensiage kam ihm auch wieder seine anne Verlassene in den Sinn. Und aus einem hoffnungsvollen Menschen wurde eine Lebensruine. Ohne Aussicht auf irgendeinen Licht-punkt siechte er dahin. - Das alles ist mit h&hster drämatischer Lebendigkeit durchgeführt.

SOPHIA:
Ich kann mir denken, wie gewaltig diese Darstellung gerade auf meine liebe Estella gewirkt hat, die schon in ihrer Jugend so sehr litt, wenn ihr das Schicksal solcher Menschen vor Augen trat, die durch schwere Lebenskonflikte in bittre Seelennot getrieben wurden.

ESTELLA:
Meine liebe Sophie, du missverstehst mich nach dieser Richtung. Ich kann wohl unterscheiden zwischen Kunstwerk und Wirklichkeit. Und es hiesse das erstere nicht aus sich selbst beurteilen, wenn man in das Urteil die Gefühle hineintragen wollte, welche man im Leben den dargestellten Ereignissen ent-gegenbringt. Was mich so tief erschüttert hat, ist diesmal wirklich nur die vollendete künstlerische Ausgestaltung einer tiefen Lebensfrage. Und ich konnte wieder mit voller Klarheit erkennen, wie die Kunst nur dann zu ihrer Höhe emporsteigen kann, wenn sie sich an das volle Leben hält. Sobald sie sich von diesem entfernt, werden ihre Werke unwahr.

SOPHIA:
Ich kann dich völlig verstehen, wenn du so sprichst Ich habe immer diejenigen Künstler bewundert, welche bis zu einer vollendeten Darstellung dessen gelangen, was du Lebenswahrheit nennst. Und ich glaube, daß gerade in unserer Zeit darinnen es mancher

115

zur Meisterschaft gebracht hat. Nur liessen in meiner Seele gerade die höchsten Leistungen auf diesem Gebiete eine gewisse Unbehaglichkeit zurück. Ich konnte mir das lange nicht erklären. Eines Tages kam mir das Licht, das mir Antwort brachte.

ESTELLA:
Du willst mir wohl sagen, daß dich deine Weltanschauung von der Schätzung der sogenannten Wirklichkeitskuns:t abgebracht hat.

SOPHIA:
Liebe Estella, reden wir doch heute nicht von meiner Weltanschauung. Du weisst recht gut, daß die eben geschilderte Empfindung in mir lange vorhanden war, bevor ich auch nur das Geringste von dem wusste, was du meine Weltanschauung nennst. Und ich empfinde so nicht nur der realistisch sein wollenden Kunst gegenüber, sondern auch andere Richtungen erzeugen mir ein ähnliches GefühL Das tritt besonders dann in mir auf, wenn ich gewahr werde, was ich in einem höhern Sinne die Unwahrheit gewisser Kunstwerke nennen möchte.

ESTELLA:
Darinnen kann ich dir wahrlich nicht folgen.

SOPHIA:
Bedenke, meine liebe Estella, daß eine lebensvolle Erfassung der wahren Wirklichkeit dem Herzen das Gefühl einer gewissen Armut des Kunstwerkes erzeugen muss, da es doch gewiss ist, daß auch der grösste Künstler der vollen Natur gegenüber nur ein Stümper bleiben muss. Mir wenigstens kann auch die vollendete künstlerische Nachbildung das nicht geben, was ich etwa den Offenbarungen einer Landschaft oder eines menschlichen Antlitzes verdanke.

116

ESTELLA: Das liegt doch aber in der Natur der Sache und ist nicht zu ändern.

SOPHIA: Es wäre zu ändern, wenn nur die Menschen sich über eines zur Klarheit bringen wollten. Sie können sich nämlich sagen, daß es widersinnig ist, durch die menschlichen Seelenkräfte das noch einmal zu bilden, was höhere Mächte als das wahrste Kunstwerk vor uns ausbreiten. Doch haben dieselben Mächte dem Menschen ein Streben in die Seele gelegt, an dem Schöpfungswerke gewissermassen fortzuarbeiten, um das der Welt zu geben, was diese Mächte noch nicht selbst vor die Sinne hinstellen. In allem, was der Mensch schaffen kann, haben die schöpferischen Mächte die Natur unvollendet gelassen. Warum sollte er ihre Vollkommenheit in unvollkomanener Gestalt nachbilden, da er doch ihre Unvollkommenheit in Vollkommenheit wandeln kann. Denke dir diese Behauptung in ein elementarisches Gefühl verwandelt, und du wirst dir auch eine Vorstellung davon machen können, warum ich Unbehagen empfinde so vielem gegenüber, was du Kunst nennst. Das Gewahrwerden einer unvollkommenen Wiedergabe der sinnenfälligen Wirklichkeit muss Unbehagen hervorrufen, während die unvollkommenste Darstellung dessen, was sich hinter der äußeren Beobachtung verbirgt, eine Offenbarung sein kann.

ESTELLA:
Du redest eigentlich von etwas, was nirgends vorhanden ist. Denn eine blosse Wiedergabe der Natur erstrebt ja kein wahrer Künstler.

117

SOPHIA: Darin liegt aber gerade die Unvollkommenheit vieler Kunstwerke, daß die schöpferische Betätigung durch sich selbst über die Natur hinausführt, und daß der Künstler nicht weiss, wie das aussieht, was nicht in die sinnliche Beobachtung fällt.

ESTELLA:
Ich sehe keine Möglichkeit für uns, in diesem Punkte zu einem gegenseitigen Verständnis zu kommen. Es ist recht bittet, die liebste Freundin in den wichtigsten Seelenfragen Wege gehen zu sehen, die von den eigenen so abweichen. Ich hoffe dennoch auf bessere Zeiten für unsere Freundschaft.

SOPHIA:
Wir sollten in diesem Punkte hinnehmen können, was uns das Leben bringt.

ESTELLA: Auf Wiedersehen, liebe Sophie.

SOPHIA: Auf Wiedersehen, meine gute Estella.

(Vorhang.)

  1. SE014-118

ACHTES BILD


Daselbe Zimmer wie für das erste Bild. Johannes, Maria, Capesius; Strader.

JOHANNES (an einer Staffelei, an der auch Capesius und Maria Sitzen) :
Dies waren wohi die letzten Striche;
Beendet darf ich meine Arbeit nennen.
Es war mir ganz besonders lieb,
Daß ich gerade eure Wesenheit
Durch meine Kunst erforschen durfte.

CAPESIUS:
Dies Bild ist mir ein Wunder wahrlich.
Und ein noch gröss'res
Ist mir sein Schöpfer.
Die Wandlung, die in euch geschehn,
Es kann ihr nichts verglichen werden.
Was Menschen meiner Art
Bisher für möglich hielten.
Man kann sie dann nur glauben,
Wenn Augenschein den Glauben fordert.
Ich sah zuerst euch vor drei Jahren.
Ich durfte damals jenen Kreis betreten,
In welchem ihr zu eurer Höhe euch erhobet.
Ein sorgenvoller Mensch wart ihr zu jener Zeit;
Ein jeder Blick in euer Antlitz zeigte dies.
Ich hatte eine Rede in eurem Kreise angehört
Und musste Worte an sie schliessen,

119

Die sich nur schwer mir aus der Seele rangen.
Ich sprach in einer solchen Stimmung,
In der man sonst an sich nur denkt.
Mein Blick war dennoch stets gerichtet
Nach jenem leidbeladnen Maler,
Der in der Ecke saß und schwieg.
Doch schwieg und sann er
In einer ganz ahsonderlichen Art.
Man konnte von ihm selhst wohl glauben,
Daß er nicht eins der Worte hörte,
Die neben ihm gesprochen wurden.
Es schien der Kummer, dem er hingegeben,
Ein Leben für sich selbst zu haben.
Es war, als ob der Mensch nicht hörte,
Als ob vielmehr der Kummer selbst Gehör besässe.
Vielleicht wär's unzutreffend nicht,
Zu sagen, daß er ganz besessen von dem Kummer.
Ich traf euch bald nach jenem Tage wieder;
Und da schon wart ihr wie verwandelt.
Es strahlte Seligkeit aus euren Augen,
Es lebt' in eurem Wesen Kraft;
Und edles Feuer klang aus euren Worten.
Ihr sprachet damals einen Wunsch mir aus,
Der mir recht wunderlich erschien.
Ihr wolltet Schüler von mir werden.
Und wirklich habt ihr auch drei Jahre lang
Mit Eifer euch vertieft in alles,
Was ich zu sagen habe von dem Weltverlauf. -
Da wir uns immer näher traten,
Erlebte ich das Rätsel eures Künstlertums.
Und jedes eurer Bilder war ein neues Wunder.
(Strader ist unterdessen eingetreten.)
Mein Denken hatte früher wenig Neigung,

120

In sinnentrückte Welten sich zu heben.
Sie zu bezweifeln lag mir fern.
Sich ihnen forschend nahn,
Das galt mir als Vermessenheit.
Und jetzt muss ich bekennen,
Daß ihr zu andrer Meinung mich gebracht.
Ich höre oft euch wiederholen,
Daß ihr die Künstierschaft
Allein der Gabe dankt,
Bewusst in andren Welten zu empfinden,
Und daß ihr nichts
In eure Werke legen könnt,
Was ihr nicht erst im Geist erschaut.
Ich seh' an euren Werken, wie der Geist
Sich wirksam offenbart.

STRADER:
Noch nie verstand ich euch so wenig.
Es hat doch so in jedem Künstler
Lebendig sich der Geist erwiesen,
Was unterscheidet denn
Thomasius von andern Meistern?

CAPESIUS:
Ich habe nie bezweifelt,
Daß Geist im Menschen wirksam sich erzeigt;
Doch bleibt ihm sonst
Des Geistes Wesen unbewusst.
Er schafft aus einem Geiste,
Doch er versteht ihn nicht.
Thomasius jedoch erschafft im Sinnensein,
Was er bewusst im Geiste schauen kann.
Und er gestand mir immer wieder,
Daß seiner Art kein andres Schaffen möglich ist.

121

STRADER:
Mir ist Thomasius bewundernswert;
Und ich gestehe frei,
Daß mir in seinem Bilde
Capesius, den ich zu kennen glaubte,
Erst wirklich ganz sich offenbart.
Ich glaubte ihn zu kennen;
Das Kunstwerk zeigt mir klar,
Wie wenig ich gewusst von ihm.

MARIA:
Wie könnt ihr, lieber Doktor,
Des Werkes Grösse so bewundern
Und doch der Grösse Quelle leugnen?

STRADER:
Was hat Bewundrung,
Die ich dem Künstler zolle,
Mit Glauben an sein Geistesschaun zu tun?

MARIA:
Man kann dem Werke Beifall zollen,
Auch wenn der Glaube an die Quelle fehlt.
Doch könnte man in diesem Falle nichts bewundern,
Wenn dieser Künstler nicht den Weg beschritten,
Der ihn zum Geiste hat geführt.

STRADER:
Man sollte doch nicht sagen,
Sich hinzugeben an den Geist, es sei
Erkennend ihn durchdringen.
Es schafft im Künstler Geisteskraft,
Wie sie im Baume oder Steine schafft.
Erkennen aber kann sich nicht der Baum,
Es kann dies nur, wer ihn betrachtet.
Der Künstler lebt in seinem Werk
Und nicht in Geisterfahrung.
Doch wenn zu eurem Bilde jetzt

122

Mein Blick sich wendet,
Vergess' ich alles, was den Denker lockt.
Es leuchtet meines Freundes Seelenkraft
Aus diesen Augen, die gemalt doch sind.
Es lebt des Forschers Sinnigkeit
Auf dieser Stirn;
Und seiner Worte edle Wärme,
Sie strahlt aus allen Farbentönen,
Durch welche euer Pinsel
Dies Rätsel löste.
O diese Farben, sie sind flächenhaft
Und sind es nicht,
Es ist, als ob sie sichtbar seien nur,
Um sich unsichtbar mir zu machen.
Und diese Formen,
Die als der Farbe Werk erscheinen,
Sie sprechen von dem Geistesweben,
Von vielem sprechen sie,
Was sie nicht selber sind.
Wo ist, wovon sie sprechen?
Nicht auf der Leinwand kann es sein;
Denn da sind geistentblösste Farben.
So ist es in Capesius?
Warum kann ich es nicht an ihm erschauen?
Thomasius, ihr habt gemalt,
Daß dies Gemalte sich durch sich
Im Augenblick vernichtet,
Sobald der Blick es fassen will.
Ich kann es nicht begreifen,
Wozu dies Bild mich treibt.
Was will von mir ergtiffen sein?
Was soll ich suchen?
Die Leinwand, ich möchte sie durchstossen,

123

Zu finden, was ich suchen soll.
Wo fass' ich, was dies Bild
In meine Seele Strahlt?
Ich muss es haben.
O, ich betörter Mann.
Es ist, als ob Gespenster mich berückten!
Ein unsichtbar Gespenst;
Und meine Ohnmacht,
Die kann es nicht erblicken.
Thomasius, ihr malt Gespenster,
Ihr zaubert sie in eure Bilder;
Sie locken, sie zu suchen,
Und lassen sich nicht finden.
------ O, wie sind eure Bilder grausam!

CAPESIUS:
Mein Freund, in diesem Augenblick
Habt ihr des Denkers Ruhe ganz verloren.
Bedenkt doch nur, wenn ein Gespenst
Aus diesem Bilde spräche,
Gespenstig müsste ich doch sein.

STRADER:
Verzeiht, o Freund,
Es war nur Schwäche...

CAPESIUS:
O, sprechet Gutes nur
Von diesem Augenblick!
Als ob ihr euch verloren hättet,
So schien es. Doch ihr wart
Emporgehoben über euer Selbst.
Ergangen ist es euch wie mir recht oft.
Man mag in solchen Zeiten noch so stark
Mit seinem Denken sich gerüstet fühlen,
Man hat sich doch nur selbst bewiesen,

124

Daß man von einer Macht ergriffen ist,
Die nicht in Sinneswissen und Vernunft
Den Ursprung haben kann.
Wer hat dem Bilde solche Macht gesellt?
Ich möcht' für mich es Sinnbild nennen,
Was an dem Bilde ich erlebt.
Es lehrte mich erkennen meine Seele,
Wie ich vorher es nicht vermocht.
Und überzeugend war die Selbsterkenntnis.
Johannes Thomasius erforschte mich,
Weil er die Kraft besitzt,
Durch Sinnenschein zum Geistesselbst
Durch sein besondres Schauen
Im Geist hindurchzudringen.
So seh' ich jenes alte Weisheitwort
«Erkenne dich» in einem neuen Licht.
Man muss, um zu erkennen, was man ist,
In sich die Kraft erst finden,
Die als ein wahrer Geist
Sich vor uns selbst verbergen kann.

MARIA:
Man muss, um sich zu finden,
Die Kraft entfalten erst,
Die in das eigne Wesen dringen kann,
In Wahrheit sagt das Weisheitwort:
Entwickle dich, um dich zu schaun.

STRADER:
Wenn man Thomasius wollt' zugestehn,
Er habe durch die Geistentfaltung
Erkenntnis sich erworben von dem Wesen,
Das unsichtbar in euch besteht,
So sagt man damit doch,
Erkenntnis sei auf jeder Lebensstufe anders.

125

CAPESIUS: Das eben möchte ich behaupten.
STRADER:
Wenn so die Sache stünde,
Dann wäre alles Denken nichtig
Und Wissen nur ein Wahngebilde.
Verlieren müsst' ich mich in jedem Augenblick.
O lasset mich allein.

CAPESIUS: Ich werde ihn begleiten. (Ab.)

MARIA:
Es ist Capesius dem Geisteswissen
Viel näher, als er selber meint.
Und Strader leidet schwer.
Es kann sein Geist nicht finden,
Was seine Seele heiß ersehnt.

JOHANNES:
Es stand vor meinem Geistesauge
Der beiden Männer Wesenheit,
Schon als ich machen durfte
Den ersten Schritt ins Seelenreich.
Ich sah Capesius als jungen Mann
Und Strader in den Jahren,
Die er noch lange nicht erreicht.
Und jener zeigte eine Jugendblüte,
Die viel verbirgt, was dieses Leben
Im Sinnensein nicht reifen lässt.
Es trieb mich hin zu seiner Wesenheit.
Ich konnt' zuerst bei seinem Seelenwesen
In eines Menschen Wesenskern erschauen,
Wie Eigenschaften dieses Lebens
Sich durch sich selbst als Folgen
Bezeugen eines andern Erdenseins.

126

Ich sah die Kämpfe, die er durchgekämpft,
Und die aus andren Leben ihm gebildet haben
Sein gegenwärt'ges Sein.
Und konnt' ich auch sein abgelegtes Sein
Noch nicht vor meine Seele stellen:
So sah ich doch in seiner Eigenart,
Was aus der Gegenwart nicht stammen kann.
So konnte ich im Bilde wiedergeben,
Was ihin im Seelengrunde waltet
Mein Pinsel ward geführt
Von Kräften, die Capesius entfaltet
Aus frühern Erdenleben.
Und hab' ich so enthüllt ihm seine Eigenheit,
So hat mein Bild den Dienst getan,
Den ich ihm zugedacht.
Als Kunstwerk schätze ich es gar nicht hoch.

MARIA:
Es wird in jener Seele weiter wirken,
Der es den Weg ins Geistgebiet gewiesen hat.

(Der Vorhang fällt, während Maria und Johannes noch im Zimmer sind.)

127

NEUNTES BILD


Dieselbe Gegend wie im zweiten Bild. Johannes; später Maria.
(Es tönt aus Felsen und Quellen: 0 Mensch, erlebe dich!)

JOHANNES:
O Mensch, erlebe dich!
Ich habe sie drei Jahre lang gesucht,
Die mutbeschwingte Seelenkraft,
Die Wahrheit gibt dem Worte,
Durch das der Merssch, sich selbst befreiend, siegen
Und sich besiegend, Freiheit finden kann:
O Mensch, erlebe dich!
(Aus Felsen und Quellen tönt: O Mensch, erlebe dich!)
Sie kündigt sich im Innern an,
Nur leise fühlbar meinem Geistgehör.
Sie birgt in sich die Hoffnung,
Daß wachsend sie den Menschengeist
Aus engem Sein in Weltenfernen führt,
So wie geheimnisvoll sich weitet
Das kleine Samenkorn
Zum stolzen Leib der Rieseneiche. --
Es kann der Geist in sich beleben,
Was in der Luft und was im Wasser webt
Und was den Erdengrund gefestigt.
Es kann der Mensch ergreifen,
Was in den Elementen,
In Seelen und in Geistern,

128

In Zeitenlauf und Ewigkeit
Des Daseins sich bemächtigt hat.
Es lebt das ganze Weltenwesen in dem Seelensein,
Wenn solche Kraft im Geiste wurzelt,
Die Wahrheit gibt dem Worte:
O Mensch, erlebe dich!
(Aus Felsen und Quellen tönt: O Mensch, erlebe dich!)
Ich fühle - wie es tönt in meiner Seele,
Sich regend kraftverleihend.
Es lebt in mir das Licht,
Es spricht um mich die Helligkeit,
Es keimt in mir das Seelenlicht,
Es schafft in mir die Weltenhelle:
O Mensch, erlebe dich!
(Aus Felsen und Quellen tönt: O Mensch, erlebe dich!)
Ich finde mich gesichert überall,
Wohin mir folgt des Wortes Kraft.
Sie wird mir leuchten in der Sinnesdunkelheit
Und mich erhalten in den Geisteshöhen.
Sie wird mich mit dem Seelensein erfüllen
Für alle Zeitenfolgen.
Ich fühle Weltensein in mir,
Und finden muss ich mich in allen Welten.
Ich schau' mein Seelenwesen
Durch Eigenkraft belebt in mir.
Ich ruhe in mir selber.
Ich blicke nach den Felsen und den Quellen;
Sie sprechen meiner Seele eigne Sprache.
Ich finde mich in jenem Wesen wieder,
Das ich in bittre Not gebracht.
Heraus aus ihm ruf' ich mir selber zu:
Und mir die Schmerzen lindern.

129

Das Geisteslicht, es wird mir Stärke geben,
Das andre Selbst im eignen Selbst zu leben.
O hoffnungsvolles Wort,
Du strömst mir Kraft aus allen Welten zu:
O Mensch, erlebe dich!
(Aus Felsen und Quellen tönt: O Mensch, erlebe dich!)
Du lässt mich meine Schwachheit fühlen
Und stellst mich neben hohe Gottesziele;
Und selig fühle ich
Des hohen Zieles Schöpfermacht
In meinem schwachen Erdenmenschen.
Und offenbaren soll sich aus mir selbst,
Wozu der Keim in mir geborgen ist.
Ich will der Welt mich geben
Durch Leben meines eignen Wesens.
Empfinden will ich alle Macht des Wortes,
Das mir erst leise klingt;
Es soll mir wie belebend Feuer sein
In meinen Seelenkräften,
Auf meinen Geisteswegen.
Ich fühle, wie mein Denken dringt
In tief verborgne Weltengründe;
Und wie es leuchtend sie durchstrahlt.
So wirkt die Keimkraft dieses Wortes:
O Mensch, erlebe dich!
(Aus Quellen und Felsen: O Mensch, erlebe dich!)
Aus lichten Höhen leuchtet mir ein Wesen,
Ich fühle Schwingen,
Zu ihm mich zu erheben.
Ich will mich selbst befrei'n
Wie alle Wesen, die sich selbst besiegt.
(Aus Quellen und Felsen: O Mensch, erlebe dich!)
Ich schaue jenes Wesen,

130

Ich will ihm gleich in Zukunftzeiten werden.
Der Geist in mir wird sich befrei'n
Durch dich, erhabnes Ziel.
Ich will dir folgen.
(Maria kommt hinzu.)
Das Seelenauge haben mir erweckt
Die Geisteswesen, die mich aufgenommen.
Und sehend in den Geisteswelten
Erfühle ich in meinem Selbst die Kraft:
O Mensch, erlebe dich!
(Aus Quellen und Felsen: O Mensch, erlebe dich!)
O meine Freundin, du bist hier!

MARIA:
Mich trieb meine Seele hierher.
Ich konnte deinen Stern erschauen.
Er strahlt in voller Kraft.

JOHANNES:
Erleben kann ich diese Kraft in mir.

MARIA:
So eng sind wir verbunden,
Daß deiner Seele Leben
Sein Licht in meiner Seele leuchten lässt.

JOHANNES:
O Maria, so ist dir bewusst,
Was sich mir eben offenbarte?
Mir ist des Menschen erste Zuversicht,
Mir ist die Wesenssicherheit gewonnen.
Ich fühle ja des Wortes Kraft,
Die überall mich leiten kann:
O Mensch, erlebe dich!
(Aus Felsen und Quellen: O Mensch, erlebe dich!)
(Vorhang fällt.)

131

ZEHNTES BILD


Meditationszimmer. Johannes, Theodosius, Benedictus. Lucifer und Ahri-man.

THEODOSIUS:
In dir erleben kannst du alle Welten.
So lebe mich als Weltenliebesmacht.
Ein Wesen, das von mir durchleuchtet ist,
Fühlt eigne Daseinskraft erhöht,
Ergibt es sich beglückend andren Wesen.
So wirke ich in Werdelust den Weltenbau.
Es ist kein Dasein ohne meine Kraft,
Es kann kein Wesen leben ohne mich.

JOHANNES:
So trittst du, Weltbeglücker, vor mein Seelenauge!
Es treibt mir Schaffenslust durch meine Geisteskraft,
Erblick' ich dich als Frucht des Selbsterlebens! -
Du zeigtest dich im Tempel meinem Geistesauge;
Doch konnt' ich damalS noch nicht wissen,
Ob Traum, ob Wahrheit mir erscheint.
Es sind die Binden mir nun abgenommen,
Die mir das Geisteslicht verborgen hielten.
Erkennen kann ich, daß du wirklich bist.
Ich will dein Wesen
In meinen Taten offenbaren,
Sie sollen heilerwirkend sein durch dich.
Und danken muss ich Benedictus.

132

Er hat durch Weisheit mir die Kraft verliehn
In deine Welt den Geistesblick zu lenken.

THEODOSIUS:
Empfinde mich in deinen Seelentiefen
Und trage meine Kraft in alle Welten.
Du wirst in Liebesdiensten Seligkeit erleben.

JOHANNES:
Ich fühle deiner Nähe wärmend Licht,
Ich fühle, wie die Schaffensmacht in mir ersteht.
(Theodosius verschwindet.)
Er ist fort,
Doch wiederkommen wird er mir
Und Kraft mir geben aus den Liebequellen.
Sein Licht, es kann für Zeiten nur entschwinden;
Es lebt im eignen Sein dann weiter.
Ich darf mir selbst mich überlassen,
Der Liebesgeister Wesen in mir selbst erlebend.
Durch ihn kann ich mich selbst gehoben fühlen,
Er soll durch mich Sich offenbaren.
(Er wird unsicher, was sich allmählich in seinen Gebärden
ausdrückt.)
Doch wie empfind' ich mich
Es scheint ein Wesen geistig mir zu nahen.
Seit ich des Geistesauges würdig bin befunden,
Empfind' ich immer so,
Wenn bose Mächte mich ergreifen wollten.
Doch, was auch kommen mag,
Ich habe Kraft, zu widersetzen mich.
Ich kann mich in mir selbst erleben;
Und dieses Wortes Kraft ist unbesieglich.
Doch jetzt erleb' ich stärksten Widerstand;
Es muss der schlimmste Feind wohl sein - -
Er komme nur, er findet mich gerüstet.

133

Des Guten Feind, du musst es selber sein;
Du bist an deiner starken Kraft zu fühlen.
Ich weiss, daß du zerschmettern willst,
Was deiner Herrschaft sich entreisst.
Ich will die Kraft in mir erstarken,
An der du keinen Anteil haben kannst.
(Benedietus erscheint.)

JOHANNES:
O - - Benedictus,
Du meines neuen Lebens Quelle.
Es ist nicht möglich, nein! - -
Du kannst es nicht, - du darfst es selbst nicht sein!
Ein Trugbild bist du nur.
O lebt mir auf, ihr guten Seelenkräfte;
Zerschmettert mir den Wahn,
Der mich betören will.

BENEDICTUS:
Befrage deine Seele, ob sie fühlen kann,
Was ihr durch Jahre meine Nähe war;
Durch mich ist dir der Weisheit Frucht erwachsen.
Es kann nur sie dir vorwärtshelfen
Und dir im Geistgebiet den Irrtum bannen.
Erlebe mich in dir.
Doch willst du weiter schreiten,
So musst du jenen Weg betreten,
Der dich zu meinem Tempel führt.
Soll meine Weisheit dir auch ferner leuchten,
Sie muss von jenem Orte fliessen,
Wo ich vereint mit meinen Brüdern wirke.
Ich gab dir Kraft der Wahrheit.
Entzündet ihres Feuers Macht in dir sich selber,
So musst den Weg du finden.
(Er geht ab.)

134

JOHANNES:
O er verlässt mich.
Ob ich den Wahn vertrieben - -
Ob mich die Wirklichkeit verlassen - - -
Wie kann ich dies entscheiden?
Doch fühl' ich mich in mir erstarkt.
Es war kein Trug, er war es selbst,
Du, Benedictus, ich erlebe dich in mir,
Du hast die Kräfte mir verliehen,
Die weiterlebend mir im eignen Selbst
Den Irrtum von der Wahrheit trennen sollen.
Und doch - ich war dem Wahn ergeben.
Ich fühlte schaudernd deine Nähe
Und konnte dich für Täuschung halten,
Als du mir gegenüberstandest
(Theodosius erscheint wieder.)

THEODOSIUS:
Du wirst vom Wahne dich befreien,
Wenn du mit meinen Kräften dich erfüllst.
Es konnte Benedictus dich zu mir geleiten,
Doch muss dich jetzt die eigne Weisheit führen.
Erlebst du nur, was er in dich gelegt,
So kannst du nicht dich selbst erleben.
In Freiheit strebe nach den Lichteshöhen;
Empfange meine Kraft zu diesem Streben,
 (Verschwindet.)

JOHANNES:
Wie herrlich klingen deine Worte;
Ich muss sie in mir selbst erleben.
Sie werden wirksam mich vom Wahn befreien,
Wenn sie mein Wesen ganz erfüllen.
So wirket mir im Seelengrunde weiter,

135

Erhaben schöne Worte!
Ihr könnt nur von dem Tempel stammen,
Da Benedictus Bruder sie gesprochen.
Ich fühle schon, wie sie entsteigen meinem Innern.
Sie werden aus mir selbst ertönen
Und so mir recht verständlich sein.
Du Geist, der mir im Innern lebt,
Entsteige der Verborgenheit
Und zeige dich in wahrer Wesenheit.
Schon fühle ich dein Nahen.
Erscheinen musst du mir.
(Lucifer und Ahriman erscheinen.)

LUCIFER:
O Mensch, erkenne mich,
O Mensch, empfinde dich;
Du hast dich entrungen
Der Geistesführung
Und bist geflohn
In freie Erdenreiche.
Du suchtest eignes Wesen
In Erdenwirrnis.
Dich selbst zu finden,
Es war dir Lohn.
Gebrauch den Lohn.
Bewahr dich selbst
Im Geisteswagnis.
Du findest fremdes Wesen
Im weiten Höhenreich;
Es wird dich bannen
An Menschenlos,
Es wird dich auch bedrücken.
O Mensch, empfinde dich,
O Mensch, erkenne mich

136

AHRIMAN:
O Mensch, erkenne dich,
O Mensch, empfinde mich,
Du bist entflohn
Aus Geistesfinsternis.
Du hast gefunden
Der Erde Licht.
So sauge Kraft der Wahrheit
Aus meiner Sicherheit.
Ich härte fesren Boden.
Du kannst ihn auch verlieren.
In deinem Schwanken
Zerstreuest du die Kraft des Seins.
Du kannst vergeuden Im Höhenlicht
Die Geisterkraft.
Du kannst in dir zerfallen.
O Mensch, empfinde mich,
O Mensch, erkenne dich.
(Sie verschwinden.)

JOHANNES:
O was war dies; aus mir der Lucifer
Und folgend ihm auch Ahriman
Erlebe ich nur neuen Wahn,
Da ich mir Wahrheit heiss erfleht?
Es rief mir Benedictus Bruder jene Mächte,
Die in den Menschenseelen Wahn nur wirken.

DAS FOLGENDE ALS GEISTERSTIMME AUS DEN HÖHEN:
Es steigen deine Gedanken
In Urweltgründe;
Was in Seelenwahn dich getrieben,
Was in Irrtum dich erhalten,
Erscheinet dir im Geisteslicht,

137

Durch dessen Fülle
Die Menschen schauend
In Wahrheit denken!
Durch dessen Fülle
Die Menschen strebend
In Liebe leben.
(Vorhang fällt.)

138

ELFTES BILD


Der Sonnentempel; oberirdisch, verborgene Mysterienstätte der Hierophanten.

RETARDUS (vor ihm Capesius und Strader):
Ihr habt mir bittre Not gebracht.
Das Amt, das euch von mir gegeben war,
Ihr habt es schlecht verwaltet.
Ich fordre euch vor meinen RichterstuhL
Capesius, ich gab dir hohe Geistesart,
So daß Ideen vom Menschenstreben
Anmutvoll deiner Rede Inhalt waren
Und überzeugend hätten wirken sollen.
Ich lenkte deine Wirksamkeit in Kreise,
In denen du Johannes und Maria trafest.
Du hättest ihre Neigung für das Geistesschauen
Verdrängen sollen durch die Kraft,
Die deine Worte hätten wirken sollen.
Statt dessen übergabst du selbst dich nur
Der Wirkung, die von ihnen kommt.
Dir, Strader, öffnet' ich den Weg
In sich're Wissensbahnen.
Du solltest durch das strenge Denken
Die Zauberkraft der Geistesschau zerstören.
Doch mangelt dir des Fühlens Sicherheit.
Die Kraft des Denkens, sie entwand sich dir,
Wo dir Gelegenheit zum Sieg sich bot.

139

Es ist mein Schicksal euren Taten eng verbunden.
Durch euch gehn jene beiden Wahrheitsucher
Für alle Zukunft meinem Reich verloren.
Ich muss die Seelen an die Brüder überliefern.

CAPESIUS:
Ich konnte dir ein guter Bote niemals sein.
Du gabst mir Kraft, das Menschenleben darzustellen.
Ich konnte schildern, was die Menschen
Zur einen oder andern Zeit begeistert;
Doch war es mir nicht möglich,
Den Worten, welche das Vergangne malten,
Die Kraft zu geben, Seelen ganz zu füllen.

STRADER:
Die Schwäche, welche mich befallen musste,
Sie ist das Abbild nur der deinen.
Du konntest mir das Wissen schenken;
Doch nicht die Kraft, zu stillen alle Sehnsucht,
Die in dem Menschenherzen nach der Wahrheit strebt.
Ich musste stets in meinem Innern
Noch andre Kräfte fühlen.

RETARDUS:
Ihr seht die Wirkung eurer Schwäche.
Es nahen schon die Brüder mit den Seelen,
In welchen sie mich überwinden werden.
Johannes und Maria folgen ihrer Macht.
(Benedictus mit Lucifer, Ahriman, dahinter Johannes und
Maria. Dann Theodosius, Romanus; die Seelenkräfte;
Felix und Felicia Balde, die andre Maria; zum Schluss
Theodora.)

BENEDICTUS (zu Lucifer):
Johannes' und Marias Seelen,
Sie haben Raum nicht mehr für blinde Kraft;
Sie sind zum Geistessein erhoben.

140

LUCIFER:
Ich muss die Seelen wohl verlassen.
Die Weisheit, welche sie errungen,
Sie gibt die Kräfte, mich zu schauen.
Ich habe über Seelen nur Gewalt,
So lang sie mich nicht schauen können
Doch bleibt die Macht bestehn,
Die mir im Weltenwerden zugeteilt.
Und kann ich ihre Seelen nicht versuchen,
Wird meine Kraft im Geiste ihnen erst
Die schönsten Früchte reifen lassen.

BENEDICTUS (zu Ahriman):
Johannes' und Marias Seelen,
Sie haben Irrtums Finsternis in sich vertilgt.
Das Geistesauge haben sie eröffnet.

AHRIMAN:
Ich muss auf ihren Geist verzichten.
Sie werden sich zum Lichte wenden;
Doch bleibt mir's unbenommen,
Die Seelen mit dem Scheine zu beglücken.
Sie werden nicht mehr glauben,
Daß er die Wahrheit sei,
Doch schauen können,
Wie er sie offenbart.

THEODOSIUS (zur andren Maria):
Es war dein Schicksal eng verbunden
Mit deiner höhern Schwester Leben.
Ich konnte ihr der Liebe Licht,
Doch nicht der Liebe Wärme geben,
So lange du beharren wolltest,
Dein Edles aus dem dunklen Fühlen nur
In dir erstehn zu lassen,

141

Und nicht in vollem Weisheitslichte
Es klar zu schauen dir erstrebtest.
In dunkler Triebe Wesen reicht
Des Tempels Einfluss nicht,
Auch wenn sie Gutes wirken wollen.

DIE ANDRE MARIA:
Ich muss erkennen, daß ein Edles nur
Im Lichte heilsam wirken kann,
Und wende mich zum Tempel.
Mein Fühlen soll in Zukunft
Dem Liebeslicht nicht seine Wirkung rauben.

THEODOSIUS:
Durch deine Einsicht gibst du mir die Kraft,
Marias Seelenlicht den Weg zur Welt zu bahnen.
Es musste stets die Macht verlieren
An Seelen deiner frühern Art,
Die Licht mit Liebe nicht verbinden wollen.

JOHANNES (zur andren Maria) :
Ich schau' in dir die Seelenart,
Die auch im eignen Innern mich beherrscht;
Den Weg zu deiner höhern Schwester,
Ihn konnte ich nicht finden,
So lang in mir der Liebe Wärme
Vom Liebeslicht getrennt sich hielt.
Das Opfer, welches du dem Tempel bringst,
In meiner Seele soll es nachgebildet sein.
In ihr soll Liebeswärme sich
Dem Liebeslichte opfern.

MARIA:
Johannes, du erwarbest dir im Geisterreich
Erkenntnis jetzt durch mich;

142

Du fügst zur Geist-Erkenntnis Seelensein,
Wenn du die eigne Seele findest,
Wie du die meine hast gefunden.

PHILIA:
Es wird aus allem Weltenwerden
Die Seelenfreude sich dir offenbaren.

ASTRID:
Es wird dein ganzes Sein
Die Seelenwirme jetzt durchleuchten können.

LUNA:
Du wirst dich selber leben dürfen,
Wenn Licht in deiner Seele leuchten kann.

ROMANUS (ZU Felix Balde):
Du hieltest dich dem Tempel lange fern;
Du wolltest nur Erleuchtung anerkennen,
Wenn eigner Seele Licht sich offenbarte.
Die Menschen deines Wesens rauben mir die Kraft,
Mein Licht zu geben Erdenseelen.
Sie wollen nur aus dunklen Tiefen schöpfen,
Was sie dem Leben bringen sollen.

FELIX BALDE:
Es hat der Menschenwahn nun selbst
Aus dunklen Tiefen mir das Licht gewiesen
Und mich den Weg zum Tempel finden lassen.

ROMANUS:
Daß du den Weg hieher gefunden,
Kann mir die Kraft verleihn,
Johannes und Maria
Den Willen zu erleuchten,
Daß er nicht blinden Mächten folge,
Daß er aus Weltenzielen
Sich seine Richtung gibt.

143

MARIA:
Johannes, du hast dich nun selbst
Im Geist an meinem Selbst geschaut;
Du wirst als Geist dein Sein erleben,
Wenn Weltenlicht in dir sich schauen kann.

JOHANNES (zu Felix Balde):
Ich schau' in dir, mein Bruder Felix,
Die Seelenkraft, die mir im eignen Geist
Den Willen hielt gebunden.
Du hast den Weg zum Tempel finden wollen;
Ich will in meinem Geist der Willenskraft
Den Weg zum Seelentempel weisen.

RETARDUS:
Johannes' und Marias Seelen
Entringen meinem Reiche sich.
Wie sollen sie nun finden,
Was meiner Macht entspringt?
So lang im eignen Innern
Des Wissens Gründe ihnen fehlten,
Erfreuten sie sich meiner Gaben;
Gezwungen seh' ich mich,
Von ihnen abzulassen.

FRAU BALDE:
Daß ohne dich der Mensch
Zum Denken sich befeuern kann,
Ich habe dir's gezeigt.
Aus mir entströmt ein Wissen,
Das Früchte tragen darf.

JOHANNES:
Es soll dies Wissen sich dem Licht vermählen.
Das aus des Tempels vollem Quell
Den Menschenseelen leuchten kann.

144

RETARDUS:
Capesius, mein Sohna,
Du bist verloren;
Du hast dich mir entzogen,
Bevor des Tempels Licht dir leuchten kann.

BENEDICTUS:
Er hat den Weg begonnen.
Er fühlt das Licht
Und wird die Kraft gewinnen,
In eigner Seele zu ergründen,
Was ihm Felicia bis jetzt erzeugen muss.

STRADER:
Verloren scheine ich allein.
Ich kann die Zweifel selbst nicht bannen,
Und wiederfinden werde ich doch sicher nicht
Den Weg, der zu dem Tempel führt.

THEODORA (erscheinend):
Aus deinem Herzen
Entschwebt ein Lichtesschein,
Ein Menschenbild entringt sich ihm.
Und Worte kann ich hören,
Die aus dem Menschenbilde kommen;
Sie klingen so:
«Ich habe mir errungen
Die Kraft, zum Licht zu kommen.»
Mein Freund, vertraue dir!
Du wirst die Worte selber sprechen,
Wenn deine Zeit erfüllt wird sein.
(Vorhang fällt.)

149

DIE PRÜFUNG DER SEELE

SZENISCHES LEBENSBILD
ALS NACHSPIEL
ZUR «PFORTE DER EINWEIHUNG»
DURCH
RUDOLF STEINER


150


151

Personen, Gestalten und Vorgänge

Die geistigen und seelischen Erlebnisse der Menschen, welche in dieser „Prüfung der Seele“ gebildet sind, stellen eine Fortsetzung derjenigen dar, welche in dem früher von mir erschienenen Lebensbilde „Die Pforte der Einweihung“ vorgeführt worden sind.

Professor Capesius    
Benedictus Hierophant des Sonnentempels  
Philia die geistigen Wesenheiten, welche die Verbindung der menschlichen Seelenkräfte mit dem Kosmos vermitteln; nicht allegorisch, sondern so, wie sie für die geistige Erkenntnis Realität sind.
Astrid
Luna
Die andre Philia die geistige Wesenheit, welche die Verbindung der Seelenkräfte mit dem Kosmos hemmt; in "Der Seelen Erwachen" erweist sie sich als die Trägerin des Elementes der Liebe in der Welt, welcher die geistige Persönlichkeit angehört.
Die Stimme des Gewissens    
Maria    
Johannes Thomasius    
Doktor Strader    
Felix Balde    
Frau Balde    
Der Doppelgänger des Johannes Thomasius    
Lucifer    
Ariman    
Sechs Bauern und sechs Bäuerinnen    
Simon, der Jude vorige Inkarnation des Doktor Strader  
Thomas, vorige Inkarnation des Johannes Thomasius  
Ein Mönch vorige Inkarnation Marias  
Der Großmeister Oberhaupt eines Zweiges einer mystischen Brüderschaft, tritt in den folgenden Dramen als Hilarius Gottgetreu auf
Erster Präzeptor derselben Brüderschaft, vorige Inkarnation des Professors Capesius
Zweiter Präzeptor In der "Pforte der Einweihung" German genannt. In der "Prüfung der Seele" und dem "Hüter der Schwelle" Präzeptor eines Mystenbundes.
Erster Zeremonienmeister derselben Brüderschaft; in der "Pforte der Einweihung" Theodosius genannt,  in den folgenden Dramen Albert Torquatus
Zweiter Zeremonienmeister in der "Pforte der Einweihung" Romanus genannt, in den folgenden Dramen Friedrich Trautmann
Der Geist des Benedictus    
Joseph Kühne vorige Inkarnation des Felix Balde  
Frau Kühne vorige Inkarnation der Frau Balde  
Berta deren Tochter, vorige Inkarnation der andren Maria in der "Pforte der Einweihung"  
Cäcilia genannt Cilli, Kühnes Pflegetochter, vorige Inkarnation der Theodora in der "Pforte der Einweihung"  
Theodosius Hierophant des Sonnentempels  
Romanus Hierophant des Sonnentempels  


Die Ereignisse des sechsten, siebenten, achten und neunten Bildes sind der Inhalt der geistigen Rückschau des Capesius in sein voriges Leben. Dieselbe Rückschau erleben (wie die Darstellung selbst Zeigt) zugleich Maria und Johannes Thomasius; nicht aber Strader, dessen vorige Inkarnation nur von Capesius, Maria und Johannes geschaut wird. Die Bilder der Rückschau in das vierzehnte Jahrhundert sind als Ergebnisse der imaginativen Erkenntnis gedacht und stellen sich daher gegenüber der Geschichte als idealisierte Darstellung von Lebensverhältnissen dar, die in der physischen Welt nur durch ihre Wirkungen erkennbar sind. Die Art der Lebenswiederholung (von Vorgängen des vierzehnten Jahrhunderts in der Gegenwart) darf nicht als etwas allgemein Gültiges aufgefasst werden, sondern als etwas, das nur an einem Zeitenwendepunkt geschehen kann. Daher sind auch Konflikte, wie sie hier dargestellt werden, als Folgen aus einem vorigen Leben nur für einen solchen Zeitabschnitt möglich.

153

ERSTES BILD


Ein Bibliothek- und Studierzimmer des Capesius. Brauner Grundton. Abendstimmung. Capesius, dann Geistgestalten, die Seelenkräfte sind; hernach Benedictus. Dieses und die folgenden Bilder stellen Ereignisse dar, welche mehrere Jahre nach der Zeit liegen, in welcher «Die Pforte der Einweihung» spielt.

CAPESIUS (lesend in einem Buche):
«Ins Wesenlose blickend mit dem Seelenauge
Und in des Denkens Schattenbildern
Nach selbstgemachten Regeln träumend -:
So forschet oft des Menschen irrend Wesen
Nach Sinn und Ziel des Lebens.
Aus Seelentiefen will es Antwort holen
Auf Fragen, die nach Weltenweiten zielen.
Doch solches Sinnen lebt im Wahne schon
Bei seinen allerersten Schritten
Und sieht zuletzt die Geistesblicke
Ohnmächtig sich nur selbst verzehren.»
(Das Folgende sprechend.)
So prägt in ernsterfüllte Worte
Des Benedictus edler Sehergeist
Die Seelenbahn gar vieler Menschen.
Vernichtend trifft mich jedes dieser Worte - - -
Des eignen Lebensweges Bild,
Sie malen mir es grausam wahr.
Und wenn ein Gott in dieser Stunde

152

Aus wilder Stürme Macht
Im Zorne sich mir nahen wollte,
Es könnten seine Schreckgewalten
Entsetzensvoller mich nicht quälen
Als dieser Schicksalsworte Kraft.
In einem langen Menschenleben
Hab' ich gewoben nur in Bildern,
Die schattenhaft sich zeichnen
Im Seelentraum, der wahnbefangen
Natur und Geistestaten spiegelt
Und der aus seinem Traumgewebe
Gespenstig Weltenrätsel lösen will.
Ich wandte nach so manchem Ziel
Die suchende Seele rastlos hin -;
Doch klar muss ich erkennen:
Ich selbst - ich lebte nicht in meiner Seele,
Wenn wahnbetört in Weltenfernen
Des Denkens Fäden hin sich spannen wollten.
So blieb ein leeres Sinnen nur,
Was ich in Bildern selbstgefällig malte.
Da trat in meine Lebensbahn
Thomasius, der junge Maler -;
Er schritt durch wahre Seelenkräfte
Zu jener hohen Geistesart,
Die Menschenwesen wandelt
Und aus verborgnen Seelenschachten
Entsteigen lässt die Kräfte,
Die Daseinsquellen schaffen.
Was ihm erwuchs aus Seelengründen -:
Es ruht in jedem Menschen.
Und weil es mir an ihm sich offenbarte,
Erkenn' ich als des Lebens grösste Sünde,

153

Den Geistesschatz verfallen lassen. -
So weiss ich, dass ich suchen muss ---
Und darf im Zweifel nicht verharren.
Es hätte früher meines Denkens eitler Weg
Zur falschen Meinung mich verführen können:
Vergebens sei des Menschen Forschungstrieb,
Entsagung nur gezieme allem Sinnen,
Das nach den Lebensquellen strebt.
Und wenn als aller Weisheit Schluss
Sich sicher mir ergeben hätte,
Dass Menschenschicksalsmächte fordern.
Als Eigenwesen zu vetsinken
Ins wesenlose Nichts:
Ich wagt' es unverzagt. - - -
Es wäre Frevel, so zu denken,
Nachdem ich deutlich hab' erfahren,
Dass ich nicht Ruhe finden darf,
Bevor der Geistesschatz in meiner Seele
Das Licht des Tages hat gefunden.
Es haben Geisteswesen ihrer Arbeit Früchte
In Menschenseelen eingepflanzt,
Und Götterwerk vernichtet,
Wer ungepflegt die Geistessamen lässt verwesen. -
So kann ich höchste Lebenspflicht erkennen -;
Doch will ich einen Schritt nur wagen
In jenes Reich, das ich nicht meiden darf,
So fühl' ich, wie die Kräfte mir versagen,
Durch die in hochmutvollem Denken
Ich deuten wollte Lebensziele
In Zeitenstrom und Weltenweiten.

154

Einst glaubte ich, mit Leichtigkeit
Gedanken aus dem Hirn zu pressen,
Die Wirklichkeiten greifen sollten.
Doch jetzt, da ich den Lebensquell
Iln Währheitlicht erfassen will,
Erscheint des Denkens Werkzeug stumpf -,
Und machtlos quäl' ich mich ,
Gedankenbildet klar zu formen
Aus Benedictus' ernsten Worten ,
Die mir die Geisteswege weisen sollen:
(Das Weitere wieder lesend.)
«In deine Seelentiefen dringe ruhig;
Und Starkrnut lass dir Führer sein.
Verliere frühern Denkens Formen,
Wenn du versinkst in dich,
Um dich zu dir zu führen.
Ertötend alles Eigenlicht,
Erscheint dir Geisteshelle.»
(Das Folgende wieder sprechend.)
Es ist, als ob der Atem mir versagen wollte,
Wenn ich erstrebe solcher Rede Sinn zu fassen.
Und eh' ich fühle, was ich denken soll,
Ergreifen Angst und Schrecken meine Seele.
Empfinden muss ich, wie wenn alles,
Was bis hierher im Leben mich umgab,
Zusammenstürzen und in seinen Trürümern
Zum Nichts mich wandeln müsste.
O, hundertmal hab' ich gelesen
Die Worte, die nun folgen .
Mit einem jeden Male ist
Nur finsterer die Finsternis
Um mich hereingebrochen.
(Wieder lesend.)

155

«In deinem Denken leben Weitgedariken,
In deinem Fühlen weben Weltenkräfte,
In deinem Willen wirken Weltenwesen.
Verliere dich in Weitgedanken,
Erlebe dich durch Weltenkräfte,
Erschaffe dich aus Willenswesen.
Bei Weltenfernen ende nicht
Durch Denkenstraumesspiel-- -;
Beginne in den Geistesweiten,
Und ende in den eignen Seelentiefen: -
Du findest Götterziele,
Erkennend dich in dir.»
(Ohnmächtig durch eine Vision in sich versinkend.--
Zu sich kommend, dieas Weitere sprechend.)
Was war dies?
(Drei Gestalten, als Seelenkräfte, umschweben ihn.)

LUNA:
Die Kraft, sie fehlt dir nicht
Zum edlen Geistesflug.
Sie ist gegründet
Im Menschenwollen.
Sie ist gehärtet
Von Hoffnungssicherheit.
Sie ist gestählet
Von Zukunftsferneblicken.
Der Mut nur fehlet dir,
Ins Wollen zu ergiessen
Die Lebenszuversicht-- -.
Ins weite Unerkannte
Zu wagen nur, erkühne dich!

ASTRID: Von Weltenfernen
Aus Sonnenfreudelicht -

156

Von Sternenweiten
Aus Weltenzaubermacht -,
Vom blauen Himmelsäther
Aus Geistes Höhenkraft -
Erstrebe Seelenmacht
Und lenke ihre Strahlen
In Herzensgründe,
Erwarmend wird Erkenntnis
Erzeugen sich in dir.

DIE ANDRE PHILIA:
Sie täuschen dich,
Die bösen Schwestern;
Sie wollen dich umspinnen
Mit Lebensgaukelspiel.
Es wird zerfliessen
Der Gaben eitler Trug,
Den sie dir reichen,
Wenn du mit Menschenkraft
Ihn halten willst.
Sie führen dich
Zu Götterwelten
Und werden dich zerstören,
Wenn du in ihrem Reich
Das Menschenwesen
Ertrotzen willst.

CAPESIUS:
Es war ganz deutlich ---
Es sprachen Wesen hier - -
Und doch, es ist gewiss - -
Kein Mensch ist ausser mir
An diesem Ort ----

  1. SE014-157

So habe ich zu mir nur selbst gesprochen - - -- -
Auch das ist möglich nicht;
Denn nimmer könnte ich ersinnen,
Was ich zu hören meinte - -
Bin ich denn noch,
Der ich vordem war?
(An seinen Gebärden ist zu bemerken,
dass er sich unfähig fühlt, «Ja> zu antworten.)
O - ich bin -- ich bin es nicht -

GEISTESSTIMME, DAS GEISTIGE GEWISSEN:
Es steigen deine Gedanken
In Menschenwesens Tiefen.
Was als Seele dich umhüllt,
Was als Geist in dich gebannt,
Entschwebet in Weltengründe;
Von deren Fülle
Die Menschen trinkend
Im Denken leben;
Von deren Fülle
Die Menschen lebend
Im Scheine weben.

CAPESIUS:
Zu viel . . . . zu viel - -
Wo ist Capesius?
Ich fleh' zu euch,
Ihr unbekannten Mächte,
Wo ist Capesius?
Wo bin ich selbst?
 (Er versinkt neuerdings brütend in sich. )

158

BENEDICTUS (tritt ein. Capesius bemerkt ihn zunächst nicht,
Benedieictus berührt ihn an der Schulter):
Es ist mir kundgeworden,
Dass ihr verlangt, mit mir zu sprechen;
So sucht' ich euch in eurem Heim.

CAPESIUS:
So gütig ist's von euch,
Den Wunsch mir zu erfüllen.
Doch hättet ihr mich kaum
In einer schlechtren Lage treffen können.
Und dass nach solcher Seelenpein,
Wie sie mich eben traf,
Ich nicht gelähmt am Boden
In diesem Augenblicke vor euch liege,
Nur eurem milden Blicke dank' ich es,
Der meinen fand, als eure Hand
So sanft mich aus den Schreckensträumen weckte.

BENEDICTUS:
Verborgen ist's mir nicht,
Dass ich im Lebenskampfe euch getroffen.
Ich wusst' es lange schon,
Dass wir uns so begegnen müssen.
Gewöhnet euch, zu wandeln mancher Worte Sinn,
Wenn wir uns ganz verstehen sollen.
Und wundert euch dann nicht ,
Wenn euer Schmerz in meiner Sprache
Den Namen ändern muss.
Ich finde euch im Glücke.

CAPESIUS:
So mehrt ihr noch die Qual,
Die mich in Finsternisse wirft.

159

Ich fühlte eben, als wenn entflohn
Das eigne Selbst in Weltentiefen wäre,
Und durch des Selbstes Glieder fremde Wesen
In diesem Raume sprächen. -
Dass ich solch Geistesgaukelspiel
Als Wahn empfinden durfte,
Und Schmerz mir war der Trug der Seele:
Das hielt allein mich aufrecht.
O raubte mir solchen Fühlens Stütze nicht! -
Nennt Glück mir nichte, was Fieberwahn, -
Soll ich nicht ganz verloren sein.

BENEDICTUS:
Es kann der Mensch verlieren nur,
Was ihn vom Weltenwesen scheidet.
Und scheint ihm erste verloren,
Was er in Denkens Traumesstimmung
Zu wesenlosem Dienst missbraucht',
So soll er suchen, was sich ihm entwunden.
Er wird es wiederfinden
Und dann es erst in rechter Art
Dem Menschenwerke weihen.
Zu trösten euch in dieser Stunde,
Es wär' ein lehrhaft Spiel mit Worten.

CAPESIUS:
Nein - Lehren, die Vernunft allein genügen,
Sie sind doch wahrlich nicht bei euch zu finden.
Ich hab' es schwer empfinden müssen.
Gleich Taten, die auf Höhen führen
Und auch in Abgrundtiefen stürzen,
So strömet feurig Leben
Und Todeskälte auch durch eure Reden
In Menschenseelen kraftvoll ein.
Sie wirken wie des Schicksals Winke
Und auch wie Lebensliebesstürme.

160

Ich hab' gedacht, geforscht,
Bevor ich euch begegnet; - -
Des Geistes Schöpferkräfte
Und sein Vernichtungswerk,
Sie kenn' ich erst,
Seit ich in eure Spuren trat.
Was euer Wort in meiner Seele angerichtet,
Das fandet ihr an mir,
Als ihr in meine Stube tratet.
Ich war zermartert oft
Beim Lesen eures Lebensbuches,
Doch heute war der Qualen Mass erfüllt.
Und überfliessen musste meine Seelennot
Durch eures Buches Schicksalswort.
Verständnis eurer Reden,
Es blieb versagt der Seele;
Doch wie ein Lebenssaft
Ergoss das Wort ins Herz sich mir
Und wirkte Zauberwelten,
Dass mir des Sinnes Klarheit schwand.
Gespenstig Wesen sah ich um mich gaukeln.
Bedeutsam dunkle Worte konnte ich
Aus krankhaft irrer Seele tönen hören.
Ich weiss, dass ihr nicht alles,
Was ihr für Menschenseelen hütet,
Der Schrift wollt anvertrauen ,
Und dass ihr manches Rätsels Lösung
Je nach Bedürfnis an die Menschen wendet.
So gönnt auch mir, wes ich bedarf;
Denn wissen muss ich,
Was mir Vernunft und Sinne raubte
Und mich mit luftig Zauberwerk umgab.

161

BENEDICTUS:
Es wollen meine Worte nicht das allein nur sagen,
Was als Begriffeshüllen sie verraten;
Sie lenken Seelenwesenskräfte
Zu Geisteswirklichkeiten;
Ihr Sinn ist erst erreicht,
Wenn sie das Schauen lösen in den Seelen,
Die sich ergeben ihrer Kraft.
Sie stammen nicht aus meinem Forschen,
Sie sind von Geistern mir vertraut,
Die kundig sind der Zeichen,
In welchen sich das Weltenkarma offenbart.
Zu führen an Erkenntnisquellen,
Ist dieser Worte Eigenheit.
Doch muss dem Menschen es verbleiben,
Der sie vernimmt im wahren Wesen,
Zu trinken Geistessäfte aus den Quellen.
Und gegen meiner Worte Absicht ist es nicht,
Dass sie in Welten euch entrückt,
Die euch gespenstig scheinen.
Ihr habt ein Reich betreten,
Das Wahn euch bleiben muss,
Wenn ihr in ihm euch selbst verliert;
Das sicher aber aller Weisheit erste Pforte
Für eure Seele öffnen wird,
Wenn ihr in ihm euch selbst bewahrt.

CAPESIUS:
Und wie kann ich mich selbst bewahren?

BENEDICTUS:
Die Lösung wird euch dieser Rätselfrage,
Wenn ihr mit wachem Seelenauge
Euch stellt vor manche Wunderdinge,
Die bald in eure Wege treten sollen.

162

Zur Prüfung seh' ich euch gefordert
Von Schicksalsmächten und von Geistgewalten.
(Geht ab.)

CAPESIUS:
Zwar kann ich seiner Worte Sinn nicht deuten,
Doch fühl' ich sie in meinem Wesen wirken.
Er hat ein Ziel mir angewiesen - -:
Ich will dem Wink gehorchen.
Er fordert nicht Gedankenstreben;
Er will, dass ich in Geisteswirklichkeiten
Die Schritte forschend lenke.
Ich kenne seiner Sendung Wesen nicht;
Vertrauen doch erzwingt sein Tun;
Er hat mich wieder zu mir selbst gebracht.
So mag für diese Stunde
Mir ungewiss auch bleiben
Das Zauberwesen, das mich schreckte.
Ich will mich frei entgegenstellen
Den Dingen, die er mir prophetisch kündet.
(Vorhang, während Capesius noch stehenbleibt.)

163

ZWEITES BILD

Ein Meditationszimmer in violettem Grundton. Ernste, doch nicht düstere Stimmung. Benedictus, Maria, dann Geistgestalten, die Seelenkräfte darstellen.

MARIA:
Es drängen schwere Seelenkämpfe mich,
In dieser Stunde meines Führers weisen Rat zu hören.
Es steiget finstre Ahnung mir im Herzen auf,
Und unvermögend hin ich,
Zu widersetzen mich Gedanken,
Die inuner wieder mich bestürmen.
Sie treffen mich in meines Wesens tiefstem Kern;
Sie wollen ein Gebot mir auferlegen,
Das zu befolgen mir wie Frevel scheint.
Es müssen Truggewalten mich berücken - -;
Ich fleh' euch - helft - -,
Dass ich sie bannen kann.

BENEDICTUS:
Es soll in keiner Zeit euch fehlen,
Was ihr von mir erwünscht.

MARIA:
Ich weiss, wie eng verbunden meiner Seele
Johannes' Lebenswege sind.
Ein schwerer Schicksalspfad hat uns geeint;
Und in den hohen Geisteswelten
Hat Götterwille unsern Bund geweiht.
Das alles steht so klar vor mir
Wie nur der Wahrheit Bild allein.
Und doch - mich fasst ein Grausen schon,

164

Wenn ich die Lippen öffnen soll
Zu diesem frevelhaften Wort -,
Und doch - ich hör's aus Seelentiefen
Ganz deutlich zu mir sagen
Und stets von neuem wiederholen,
Wenn ich es überwunden glaube,
«Du musst Johannes von dir trennen;
Du darfst ihn halten nicht an deiner Seite,
Willst Unheil an seiner Seele du vermeiden.
Er muss allein die Bahnen wandeln,
Die ihn zu seinen Zielen führen.»
Ich weiss, wenn ihr ein Wort nur sprecht,
So flieht das Wahneswerk aus meiner Seele.

BENEDICTUS:
Maria, dir lässt ein edler Schmerz
Die Wahrheit jetzt als Truggehild erscheinen.

MARIA:
Es wäre - Wahrheit - - - -
Doch nein! - auch zwischen meines Führers Rede
Und mein Gehör schleicht sich das Wahneswesen.
O sprecht zum zweiten Male.

BENEDICTUS:
Du hast mich recht verstanden -.
Deine Liebe ist von edler Art,
Und eng verbunden war Johannes dir.
Doch darf die Liebe nicht vergessen,
Dass sie der Weisheit Schwester ist.
Zu Johannes' Heil ward er
Durch lange Zeiten dir vereint;
Doch fordert seiner Seele weitre Bahn,
Dass er in Freiheit sich die eignen Ziele suche.
Es spricht der Schicksalswille
Von äussrer Freundschaftstrennung nicht;

165

Doch fordert er mit aller Strenge
Johannes' freie Tat im Geistgebiet.

MARIA:
Noch immer hör' ich Wahn!
So lasset mich nur weitersprechen;
Ihr müsset mich verstehn;
Denn wagen wird kein Truggehild,
Vor eurem Ohr das Wort zu wandeln.
Es wären alle Zweifel leicht zu bannen,
Wenn nur des Erdenlebens wirrer Lauf allein
Johannes' Seele an der meinen halten wollte.
Doch ward die Weihe unserm Bund verliehn.
Die ewig Seel' an Seele bindet.
Und Geistgewalten sprachen segnend
Das Wort, das alle Zweifel bannt:
«Er hat die Wahrheit sich errungen
Im Reich der Ewigkeiten,
Weil er in Sinneswelten schon
Dir war im tiefsten Sein verbunden.»
Wie kann ich fassen jene Offenbarung,
Wenn jetzt das Gegenteil als Wahrheit gelten soll?

BENEDICTUS:
Du musst erfahren, wie noch vieles
Auch dem zur vollen Reife fehlen kann,
Der manche Offenbarung schon erleben durfte.
Der höhern Wahrheit Wege sind verworren; -
Nur der vermag zurechtzufinden sich,
Der in Geduld durch Labyrinthe wandeln kann.
Du hast erst einen Teil der Wirklichkeit
Im Reich des Höhenlichtes schauen können,
Als dir vor deine Seelenaugen trat
Ein Bild des Geisterlandes.
Noch ist das Bild nicht volle Wirklichkeit.

166

Johannes' Seele und die deine
Verbinden Erdenbande solcher Art,
Dass einer jeden kann beschieden sein,
Den Weg ins Geistgebiet zu finden
Durch Kräfte, welche sie der andern dankt.
Jedoch hat nichts bis jetzt geoffenbart,
Ob ihr genügt habt jeder Forderung.
Ihr habt im Bilde schauen dürfen,
Was in der Zukunft euch beschieden ist,
Wenn ihr die volle Prüfung könnt bestehen.
Dass euch des Strebens Früchte sind gezeigt,
Beweist euch nicht, dass ihr
Des Strebens Ende habt erreicht.
Ihr habt ein Bild erblickt - -,
Doch euer Wille kann allein
Das Bild in Wirklichkeit verwandeln.

MARIA:
Zwar treffen deine Worte mich
Wie schwerster Schmerz nach langem Glückempfinden;
Doch hab' ich wohl gelernt,
Dem Licht der Weisheit mich zu heugen,
Wenn sie durch innre Kraft sich wirksam zeigt.
Und schon beginnt in Klarheit sich zu wandeln,
Was dunkel meinem Herzen war bis jetzt.
Doch wenn des Irrtums Schein in höchstem Glückerlebnis
Gewaltsam sich als Wahrheit gibt dem Menschensinn,
Ist Seelenfinsternis nur schwer zu bannen.
Ich brauche mehr noch, als ihr schon gegeben,
Soll eurer Rede ich auch wirklich folgen können.
Ihr habt mein Selbst geführt in jene Seelengründe,
In welchen Licht mir ward gewährt,
Dass ich durchschauen durfte Erdenleben,
Die mir in lang vergangner Zeit beschieden waren.

167

Erfahren durfte ich, wie sich gefunden
Des Freundes Seele und die meine.
Dass ich in jenen alten Zeiten
Johannes' Seele zum echten Geistesworte führte,
Das durft' ich als den Keim betrachten,
Der wachsend uns gebracht der Freundschaft Frucht,
Die reif befunden ward für Ewigkeiten.

BENEDICTUS:
Für würdig wurdest du erkannt,
In Erdenpfade einzudringen,
Die dir beschieden waren ,
In langvergangnen Tagen.
Doch sollst du nicht vergessen
Zu forschen, ob du auch Gewissheit hast,
Dass keiner deiner Lebenspfade sich verbirgt,
Wenn du das Geistesauge rückwärts wendest.

MARIA (nach einer Pause, die auf tiefe Selbstbesinnung weist):
O wie nur konnt' ich so verblendet sein!
Die Seligkeit, die ich empfand,
Als einen Teil der Vorzeit ich erblicken durfte,
Sie hat in eitlem Wahn vergessen mich schon lassen,
Wie vieles mir noch fehlt.
Und jetzt erst kann ich ahnen,
Dass ich in Finsternisse blicken muss,
Wenn ich den Weg ergründen will,
Der von des Lebens Gegenwart mich führt in jene Zeiten,
Da meines Freundes Seele
Sich zugewandt der meinen.
Geloben will ich euch, mein Führer,
Zu zähmen meiner Seele Übermut - -!
Erst jetzt erkenne ich, wie Wissenseitelkeit
Die Seele kann verführen;

168

Dass sie, statt Kraft zu saugen
Aus ihr gereichtem Geistesgut,
Die Gabe nur gebrauchen will
Zu frevler Selbstbespiegelung.
Ich weiss in diesem Augenblicke
Durch meines Herzens Warnungstuf,
Dem eure Worte Kraft verleihn,
Wie weit vom nächsten Ziele
Entfernt ich mich noch fühlen muss.
Nicht vorschnell will ich ferner deuten
Das Wissen aus dem Geistesland.
Ich will als Kraft es schätzen,
Die meine Seele bilden soll -,
Und nicht als Weisung,
Die mir ersparen kann die Mühe,
Im Leben selbst des Handelns Ziele zu erkennen.
Hätt' ich befolgt schon früher dieses Wort
Das mir Bescheidenheit gebietet:
Es wär' mir dunkel nicht geblieben,
Dass frei sich nur entfalten kann
Des Freundes reichbegabte Seele,
Wenn sie sich Wege sucht,
Die nicht von mir ihr vorgezeichnet werden.
Und da ich dies erkannt,
So werde ich die Kraft gewinnen,
Zu tun, was Pflicht und Liebe fordern.
Doch fühle ich in dieser Stunde mehr
Als ich vorher es jemals fühlte ,
Dass ich vor schwerer Seelenprüfung stehe.
Wenn sonst die Menschen aus den Herzen reissen
Was von dem einen in dem andern lebt,
So hat die Liebe sich ins Gegenbild verändert.
Sie wandeln selbst die Bande, welche sie verknüpfen,

169

Doch geben ihnen Trieb und Leidenschaft die Kraft;
Ich aber soll durch freien Willen tilgen
Die Wirkung, welche ich von meinem Seelenleben
In meines Freundes Taten sich vollziehen sah.
Und doch muss meine Liebe unverändert bleiben.

BENEDICTUS:
Du wirst den Weg im rechten Sinne gehn,
Wenn du erkennen willst,
Was dir am meisten wertvoll war an dieser Liebe:
Denn weisst du, welche Kraft
In deiner Seele unbewusst dich lenkt,
So findest du die Macht,
Zu tun, was dir die Pflicht gebieten muss.

MARIA:
Dies sprechend, gebt ihr schon die Hilfe,
Die meine Seele jetzt so nötig hat.
Ich muss an meine Wesenstiefen
Die ernste Frage stellen:
Was treibt mit starker Kraft in dieser Liebe mich?
Ich sehe meiner Seele Eigenleben wirkend
In meines Freundes Wesen und in seinem Schaffen.
So such' ich nach Befriedigung,
Die ich empfinde an dem eignen Selbst;
Und lebe in dem Wahne, dass ich selbstlos sei.
Verborgen ist mir doch geblieben,
Dass ich im Freunde nur mich selbst bespiegle.
Es war der Selbstsucht Drache,
Der täuschend mir verhüllte,
Was mich in Wahrheit trieb.
Es wandelt sich die Selbstsucht hundertfach
Das muss ich jetzt erkennen.
Und hält man sie besiegt,
Ersteht sie nur mit grössrer Kraft
Aus ihrer Herrschaft Trümmern.

170

Und auch an jener Kraft gewinnt sie dann,
Die Wahn als Wahrheit täuschend offenbart.
(Maria verfällt in tiefes Sinnen. Benedictus geht ab.)

(Die drei Gestalten der Seelenkräfte erscheinen.)
MARIA:
Ihr, meine Schwestern, die ich
In Wesenstiefen finde,
Wenn meine Seele sich erweitet
Und in die Weltenfernen
Sich selbst geleitet,
Entbindet mir die Seherkräfte
Aus Ätherhöhen
Und führet sie auf Erdenpfade;
Dass ich im Zeitensein
Mich selbst ergründe
Und die Richtung mir geben kann
Aus alten Lebensweisen
Zu neuen Willenskreisen.

PHILIA:
Ich will erfüllen mich
Mit strebendem Seelenlicht
Aus Herzenstiefen;
Ich will eratmen mir
Belebende Willensmacht
Aus Geistestrieben;
Dass du, geliebte Schwester,
In alten Lebenskreisen
Das Licht erfühlen kannst.

ASTRID:
Ich will verweben Sich fühlende Eigenheit

171

Mit ergebenem Liebewillen;
Ich will entbinden
Die keimenden Willensmächte
Aus Wunschesfesseln
Und dir das lähmende Sehnen
Verwandeln in findendes Geistesfühlen:
Dass du, geliebte Schwester,
In fernen Erdenpfaden
Dich selbst ergründen kannst.

LUNA:
Ich will berufen entsagende Herzensmächte
Und will erfestigen tragende Seelenruhe.
Sie sollen sich vermählen
Und kraftendes Geistesleuchten
Aus Seelengründen heben;
Sie sollen sich durchdringen
Und lauschendem Geistgehör
Die Erdenfernen zwingen;
Dass du, geliebte Schwester,
In weitem Zeitensein
Die Lebensspuren finden kannst.

MARIA (nach einer Pause):
Wenn ich mich entreissen kann
Verwirrendem Selbstgefühl
Und mich euch geben darf:
Dass ihr mein Seelensein
Mir spiegelt aus Weltenfernen:
Vermag ich zu lösen mich
Aus diesem Lebenskreise
Und kann ergründen mich

172

In andrer Daseinsweise.

(Längere Pause, dann das Folgende.)

MARIA:
In euch, ihr Schwestern, schau' ich Geisteswesen,
Die Seelen aus dem Weltenall beleben.
Ihr könnt die Kräfte, die in Ewigkeiten keimen,
Im Menschen selbst zur Reife bringen.
Durch meiner Seele Tore durft' ich oft
Den Weg in eure Reiche finden
Und Erdendaseins Urgestalten
Mit Seelenaugen schauen.
Bedürftig bin ich eurer Hilfe jetzt,
Da mir obliegt, den Weg zu finden
Von meiner gegenwärtigen Erdenfahrt
In langvergangne Menschheitstage.
Entbindet mir das Seelensein vom Selbstgefühl
In seinem Zeitenleben.
Erschliesset mir den Pflichtenkreis
Aus meiner Vorzeit Lebensbahnen.

GEISTESSTIMME, DAS GEISTIGE GEWISSEN:
Es suchen ihre Gedanken
In Zeitenspuren.
Was als Schuld ihr geblieben,
Was als Pflicht ihr gegeben,
Entsteige ihrem Seelengrunde,
Aus dessen Tiefe
Die Menschen träumend
Ihr Leben führen;
In dessen Tiefe
Die Menschen irrend
Sich selbst verlieren.

(Vorhang fällt, während noch alles auf der Bühne steht.)

173

DRITTES BILD


Zimmer in rosenrotem Grundton, freundliche Stimmung. Johannes vor einer Staffelei; Maria später eintretend; dann Geistgestalten als Seelenkräfte.

JOHANNES:
Maria schwieg vor meinem Bilde,
Als sie zuletzt es sah. - Sie schenkte mir vorher doch stets
Aus ihrer Weisheit reichem Schatze,
Was meines Werkes Fortgang fördern kann.
So wenig ich mir selbst getraue,
Ein Urteil mir zu bilden,
Ob ich mit meiner Kunst erfülle,
Was unsre Geistesströmung fordert,
So sehr vertrau' ich ihr -
Und immer wieder höre ich das Wort im Geiste,
Das kraftverleihend mich beglückte,
Als ich an dieses Bild mich wagte.
«Du kannst auf diesem Wege», sprach sie,
«Das Wagnis unternehmen,
Was geistig nur die Seele schaut,
Dem Sinnenschein zu offenbaren.
Es wird dir nicht verborgen bleiben,
Wie Formen, Gedanken gleichend,
Den Stoff bezwingen;
Und Farben, gefühlsverwandt,
Die Lebenskraft durchwärmen.
So darfst du auch die höhern Reiche

174

Mit deinem Können bilden.»
Empfindend dieser Worte Kraft,
Ergeb' ich zaghaft mich dem Glauben,
Dass ich dem Ziele näherkomme,
Das Benedictus mir gewiesen hat.
Ich sass oft mutlos vor dem Bilde;
Vermessen schien es mir so manche Stunde,
Unmöglich dünkt es mir zu andern Zeiten ,
In Farben und in Formen nachaubilden,
Was meine Seele schauen darf.
Wie kann man webend Geistessein,
Das allem Sinnesschein entrückt,
Sich nur dem Seheraug' erschliesst,
Mit Mitteln offenbaren,
Die doch dem Sinnenreich gehören,
So fragt' ich mich recht oft.
Wenn ich jedoch verbanne Eigenwesen
Und nach der Geisteslehre Sinn
Zu schaffenden Weltenmächten
In Seligkeit entrückt mich fühlen darf,
Erwacht in mir der Glaube
An solche Kunst, die mystisch wahr
Wie unsre Geistesforschung ist.
Ich lernte mit dem Lichte leben
Und in der Farbe des Lichtes Tat erkennen,
Wie echter Mystik wahre Schüler
Im Reich des form- und farbenlosen Lebens
Die Geistestaten und das Seelensein erschauen.
Vertrauend solchem Geisteslicht,
Erwarb ich mir die Fähigkeit,
Zu fühlen mit dem flutenden Lichtesmeere
Zu leben mit den strömenden Farbengluten;
Erahnend waltende Geistesmächte

175

Im stoffentrückten Lichtesweben,
Im geisterfüllten Farbenleben.
(Maria tritt ein, ohne von Johannes bemerkt zu werdiecn.)
Und wenn mich dann der Mut verlassen will,
So denk' ich deiner, edle Freundin. -
In deinem Seelenfeuer
Erwarmet meine Schaffenslust;
In deinem Geisteslicht
Erwachen mir die Glaubenskräfte.
(Er sieht Maria)
O - du bist hier,
Ich harrte deiner ungeduldig
Und konnte doch dein Nahen übersehn!

MARIA:
Erfüllen muss es mich mit Freude,
Den Freund in seine Arbeit so vertieft zu sehn,
Dass er der Freundin selbst vergisst.

JOHANNES:
O sprich nicht solches Wort -,
Du weisst, wie nichts ich schaffen kann,
Das nicht von dir gesegnet ist.
Es gibt kein Werk von mir,
Das dir nicht seinen Ursprung dankt.
Du hast im Liebefeuer mich geläutert;
Dass ich vermag, durch meine Kunst zu bilden,
Was dir sich offenbart im Schönheitsglanz,
Der wesenswärmend, seinverklärend strahlt
Und strahlend offenbart das Geistesland.
Empfinden muss ich meines Schaffens Strom
Aus deiner Seele Quell' in meine fliessen;
Dann fühle ich die Schwingen, die mich heben
Zu erdenfernen, geisterfüllten Höhen. -

176

Ich liebe, was in deiner Seele lebt,
Und kann ihm liebend Bildgestalt verleihn.
Nur Liebe kann dem Künstler Kräfte zeugen,
Die in den Werken fruchtbar weiterleben.
Und soll ich Bilder aus den Geistesweiten
Als Künstler in die Sinnenwelten tragen,
So muss der Weltengeist durch mich erscheinen,
Und Werkzeug nur mein Eigenwesen sein.
Der Selbstsucht Fesseln muss ich sprengen können;
Dass ich nicht eigner Willkür Wahngestalten
Statt Geisterwelten kunstvoll bilden möchte

MARIA:
Und wenn du, statt durch meine Seelenschau,
Aus dir des Werkes Urbild holen müsstest,
Es könnte dann aus Einem Seelengrunde
Der Schönheit Wesen einheitvoller wirken.

JOHANNES:
Ich müsste nur nach eitlen Denkgespinsten jagen,
Wenn ich ergrübeln wollte, was mir besser ist:
Ob deine Geistesschau verkörpernd schaffen,
Ob in mir selbst der Bilder Ursprung suchen.
Ich weiss, dass ich ihn so nicht finden könnte.
Versenken kann ich mich in Seelengründe
Und selig mich in Geisteswelten finden;
Ich kann am Sinnenreiche mich verlieren
Und mit dem Auge folgen Farbenwundern
Die Schöpfungstaten mich erschauen lassen.
Bin ich mit meiner Seele nur allein,
So führt, was ich erleben kann in mir,
Ein Dasein nur, das nicht zum Schaffen drängt.

177

Doch darf ich dir in Weltenhöhen folgen
Und warm in Seligkeit dir nacherleben,
Was du schon dort im Geist erblicken konntest,
Empfind' ich Feuer in der Geistesschau,
Das in mir selbst dann weiterflammt und flammend
In mir entzündet Kräfte, die zum Schaffen zwingen.
Wenn ich in Worten wollte Menschen künden,
Was ich in Höhenwelten kann erkennen,
So dürft' ich mich mit eigner Seele heben
In Sphären, wo der Geist zum Geiste spricht.
Als Künstler muss ich jenes Feuer finden,
Das aus dem Werk in Herzen strahlend wirkt;
Und meine Seele kann dem Bild nur geben,
Was magisch Geistesglut in Herzen strömt,
Wenn sie erst selbst aus deinen Herzenstiefen
Die Geistesoffenbarung trinken kann.
Wie Ursprungskräfte sich in Sehnsucht dichten,
Und Schöpfungsmächte geistend sprühen,
Und schon, den Menschen fühlend, seinbedurftig,
Als Götter sich im Zeitbeginn erschaffen,
Dies hat der Freundin Seele oft mit edler Rede
In unsichtbarer Art mich greifen lassen.
Im zarten Ätherrot der Geisteswelt
Versucht' ich, Unsichtbares zu verdichten;
Empfindend, wie die Farben Sehnsucht hegen,
Sich geiseverklirt in Seelen selbst zu schauen.
So spricht der Freundin Seelenwesen wie mein eignes
Aus meinen Bildern zu den Menschenherzen.

MARIA:
Bedenk', Johannes, dass die Eine Seele,
Getrennt von andern, als ein Eigenwesen

178

Seit Weltbeginn sich selbst entfalten muss.
Die Liebe soll getrennte Wesen binden,
Doch nicht die Eigenheiten töten wollen.
Es ist der Augenblick für uns gekommen,
In welchem wir die Seelen prüfen müssen
Wie sie des Geistespfades weitre Schritte
Zu einer jeden Heil zu lenken haben.

(Geht ab.)
JOHANNES:
Was sprach die Freundin?
So unverständlich klangen ihre Worte!
Ich muss dir folgen, Maria! - - -

(Die drei Gestalten der Seelenkräfte erscheinen.)

LUNA:
Du kannst dich selbst nicht finden
Im Spiegel einer andern Seele.
Die Kraft des eignen Wesens,
Sie muss im Weltengrunde Wurzeln schlagen.
Wenn sie aus Geisteshöhn
Die Schönheit in die Erdentiefen
Mit echtem Sinn verpflanzen will.
Erkühne dich zum Eigensein,
Dass du als starke Seelenform
Dich Weltenmächten opfern kannst.

ASTRID:
Du sollst auf deinen Weltenwegen
Dich nicht verlieren wollen;
Zu Sonnenfernen dringen Menschen nicht,
Die sich des Eigenseins berauben wollen.
So mache dich bereit,
Durch Erdenliebe vorzudringen
In tiefe Herzensgründe,

179

Die Weltenliebe reifen lassen.

DIE ANDRE PHILIA:
O höre nicht die Schwestern;
Sie führen dich in Weltenweiten
Und rauben dir die Erdennähe; -
Sie sehen nicht, wie Erdenliebe
Der Weltenliebe Züge trägt
In Kälte walten ihre Wesenheiten;
Die Wärme fliehen ihre Kräfte,
Und Menschen wollen sie entführen
Aus ihren Seelentiefen
In kalte Höhenwelten.
(Vorhang, während Johannes, Philia, Astrid, Luna noch stehenbleiben.)

180

VIERTES BILD

Dasselbe Zimmer wie im ersten Bild. Capesius und Strader.

CAPESIUS (zu dem eintretenden Strader):
Mit Freuden grüsse ich den Freund,
Der mir in mancher heissen Redeschlacht
Recht wacker standgehalten.
Ihr habt euch lange nicht
In meinem Hause sehen lassen. -
Ihr habt es früher doch so gern besucht.

STRADER:
Es fehlte mir an Zeit.
Mein Leben hat sich stark verändert.
Ich martre mein Gehirn nicht mehr
Mit hoffnungslosen Denkgespinsten.
Ich hab' das Wissen, das ich mir erwarb,
Der echten Arbeit Dienst gewidmet,
Die Nutzen stiften kann im Leben.

CAPESIUS:
So habt ihr denn verlassen euren Forscherweg?

STRADER:
Man könnt' auch sagen,
Ich sei von ihm verlassen worden.

CAPESIUS:
Und welchem Ziele habt ihr euch denn zugewandt?

181

STRADER:
Das Leben ist geeignet nicht,
Dem Menschen Ziele anzuweisen,
Die lichtvoll er durchschauen kann.
Ein Triebwerk ist es nur,
Das uns in seine Räderläufe zieht - -
Und müde uns in Finsternis verwirft,
Wenn unsrer Kräfte Mass erschöpft sich hat.

CAPESIUS:
Ich habe euch gekannt, als ihr mit hohem Mut
Euch kühn an Daseinsrätsel wagtet.
Erfahren hab' ich auch,
Wie ihr errungne Wissensschätze
Ins Bodenlose sinken saht,
Und tief erschüttert eure Seele
Den bittern Kelch enttäuschter
Forscherträume trank.
Doch lag mir stets die Meinung ferne,
Dass ihr aus eurem Herzen reissen könntet
Den Trieb, der euch so ganz erfüllte.

STRADER:
Gedenkt ihr noch des Tages,
Da eine Seherin durch ihrer Worte Wahrheit
Mir klar des eignen Weges Irrtum wies?
Nicht konnt' ich anders, als mir selbst gestehn,
Dass alles Denkens Werk
Des Lebens echte Quellen nirgends finden kann.
Es muss ja alles Denken irren,
Wenn sich der höchsten Weisheit Licht
Erschliessen kann der Seelenkraft,
Die jene Frau ihr eigen nannte.
Gewiss doch strebt vergebens strenge Wissenschaft
Zu solcher Offenbarung.
Und wär' es noch geblieben
Bei dieser einen Niederlage meines Forscherwahns:

182

Ich glaube, dass vermocht ich hätte,
Von vorne wieder anzufangen
Und meine eignen Wege
Mit jenen andern Wegen zu verbinden.
Doch als ich sehen musste,
Wie eine sonderbare Geistesart,
Die mir als Wahnwitz nur erscheint,
In Schaffenskraft die Ohnmacht wandelt: -
Da schwand mir alle Hoffnung.
Gedenkt des jungen Malers ihr,
Den wir zusammen trafen
Auf zweifelhaften Geisteswegen? - -
Nach solchen Schicksalsschlägen
Verlebt' ich viele Wochen
Mit dumpfem Sinn, dem Wahnsinn nah.
Und als Natur mich wieder zur Besinnung brachte.
Da stand es mir auch felsenfest,
Zu meiden alles weitre Suchen.
Um ganz gesund zu werden,
Bedurft' ich langer Zeit.
Ich habe sie recht freudelos verlebt.
Ich übte mich in solchen Dingen,
Die mich zur Lebenspraxis führten.
So steh' ich heute einer Werkstatt vor,
In der man Schrauben walzt.
Doch dank' ich dieser Arbeit,
Dass ich vergessen kann durch viele Stunden,
Wie qualvoll war mein wesenloses Ringen.

CAPESIUS:
Bekennen muss ich, dass ich kaum
Den frühern Freund kann wiederfinden
In dem, der sich mir heute zeigt. - -

  1. SE014-183

Erlebt ihr ausser jenen Stunden,
Von denen ihr mir spracht,
Nicht solche auch,
In welchen alte Stürme sich erneuern,
Die euch aus diesem dumpfen Leben drängen?

STRADER:
Es sind mir nicht erspart die Stunden,
In welchen Ohnmacht nur mit Ohnmacht
In meiner Seele kämpfen will.
Doch hat mein Schicksal nicht gewollt,
Dass neue Hoffnungsstrahlen
Für dieses ganz verlorne Leben
Ins Herz mir dringen können.
Entsagung will ich mir erringen.
Die Kraft, die jetzt sie fordert,
Sie möge mir Begabung bringen,
Den Forschungsweg in andrer Art zu wandeln,
Wenn dieser Erdenlauf sich wiederholen sollt'.

CAPESIUS:
Ihr spracht -, O hab' ich recht gehört,
Von Wiederholung eures Erdenlaufs.
So habt ihr doch gewonnen
Die schicksalsschwere Wahrheit
Auf jenen Geistesbahnen,
Die ihr auch heute noch
Als zweifelhaft nur gelten lassen wollt?

STRADER:
Ihr selbst habt so das Dritte aufgefunden,
Das mich bestärkt noch hat,
Ein neues Leben zu beginnen.
Auf meinem Krankenlager suchte ich
Zum letzten Male noch zu überblicken

184

Des Wissens Umkreis, den ich mir erworben harte.
Ich tat's, bevor zu andrem Ziele ich mich wandte.
Und hundertmal wohl fragt' ich mich:
Was kann Naturerkenntnis lehren,
Wie wir sie jetzt schon überschauen können?
- - - Es gibt da kein Entweichen - - -:
Des Erdenlebens Wiederholung,
Sie kann und darf kein Denken leugnen,
Das nicht mit allem brechen will,
Was Forscherfleiss erkannt in langer Zeiten Lauf.

CAPESIUS:
Es wäre mir durch solch Erlebnis
Gar vieles Leid erspatt geblieben.
Ersehnt hab' ich in mancher Nacht,
Die schlaflos ich vollbracht,
Dass mir Gedanken dieser Art
Erlösung bringen möchten.

STRADER:
Doch mir hat dieser Geistesblitz
Die letzten Kräfte noch geraubt.
Ich fühlte stets als meiner Seele stärksten Trieb,
Am Leben nachzuprüfen,
Was mir das Denken als die Wahrheit gibt.
Es wollt' ein Zufall nun in jenen schweren Tagen
Am eignen Dasein mir erweisen,
Wie grausam diese folgenschwere Wahrheit ist.
Sie lässt die Lebensfreuden und das Lebensleid
Als Folgen unsres eignen Wesens uns erscheinen.
Und dies ist oft recht schwer zu tragen.

CAPESIUS:
Unmöglich scheint mir dies Erlebnis. -
Was könnte eine Wahrheit überstrahlen
Die wir doch unablässig suchen
Und die dem Geist Gewissheit gibt.

185

STRADER:
Es mag für euch so sein.
Doch ich muss anders fühlen.
Bekannt ist euch mein sonderbarer Lebensweg -,
Ein Zufall schien's zu sein,
Der meiner Eltern Absicht kreuzte. -
Sie hatten mich zum Mönche machen wollen.
Sie haben mir es oft gesagt,
Dass sie als ihres Lebens grössten Schmerz
Des Sohnes Ketzerei betrachten müssten.
Ich nahm dies alles hin - -Und vieles noch dazu,
Wie man das Leben eben nimmt,
Wenn man Geburt und Tod
Zu Grenzen macht der Erdenpilgerschaft.
Und auch mein spätres Leben
Mit allen zerrretnen Hoffnungen,
Es stellte sich mir als Gebilde dar,
Das sich durch sich nur selbst erklären lässt.
O wäre nie der Tag gekommen,
Der mich zu andrer Meinung hat gebracht.
Denn wisst, ich habe euch nicht alles anvertraut,
Was mir das Schicksal auferlegt.
Ich bin nicht jener Leute Kind,
Die mich zum Mönche haben machen wollen.
Sie haben, als ich wenig Tage alt erst war,
An Kindes Statt mich angenommen.
Meine wahre Herkunft ist mir unbekannt.
So war ich Fremdling schon im Elternhaus.
Und fremd bin ich geblieben allem,
Was ich um mich erlebt in spätrer Zeit.
Und jetzt verpflichtet mich mein Denken,
Den Blick in alte Zeiten hinzuwenden,
In welchen ich mich selbst der Welt beraubt.

186

Es fügt sich ja Gedanke an Gedanke:
Wer so zum Weltenfremdling ist bestimmt
Noch ehe sein Bewusstsein dämmert,
Der bat dies Schicksal schon gewollt,
Bevor er denkend wollen konnte.
Und da ich ferner so geblieben bin,
Wie ich im Anfang war,
So muss mir jeder Zweifel schwinden,
Dass ich in Dumpfheit Mächten unterliege,
Die mir die Schicksaisfäden spinnen
Und die sich mir nicht offenbaren wollen.
Was fehlt da noch, mir grausam zu beweisen.
Wie dicht die Schleier sind,
Die mir das eigne Sein verhüllen!
Und jetzt, O, urteilt ohne falsche Wissenssucht,
Ob meine neue Wahrheit mir das Licht gebracht?
Gewissheit hat sie mir jedoch gegeben,
Dass ich im Ungewissen bleiben muss.
Sie hat mir so mein Schicksal vorgestellt,
Dass ich ihm, halb von Schmerz erfüllt:
Und halb wie seiner spottend,
Mit gleicher Münze zahlte.
Es kam ganz furchtbar über mich:
Mit bitterm Hohngefühl durchpeinigt,
Musst' ich dem Leben mich entgegenstellen;
Und alles Schicksalsgaukelspiel verlachend,
Ergab ich mich der Finsternis.
Ich konnte nur noch eines denken:
Nimm ganz mich hin, du Lebensräderwerk:
Ich will nicht wissen, wie du's treibst.

CAPESIUS:
Der Mann, den ich erkannt in euch,
Er kann in solcher Wissensöde

187

Nicht lange bleiben, auch wenn er wollte.
Mir stehn die Tage schon vor Augen,
In denen wir uns anders finden werden.

(Vorhang fällt, während die beiden noch sich gegenüberstehen.)

188

FÜNFTES BILD


Eine Landschaft, in welcher sich das einsame Haus Baldes befindet. Abendstimmung. Frau Balde, Capesius dann Felix Balde; später Johannes und dessen Doppelgänger, hernach Lucifer und Ahriman.

CAPESIUS (ankommend und sich einer Bank nähernd vor Baldes
Haus, auf welcher Frau Balde sitzt):
Erlaubt ihr wohl, dass euer alter Freund
Ein wenig weilen darf bei euch?
Er braucht jetzt mehr als je vorher,
Was er so oft in eurem Hause fand.

FRAU BALDE:
Schon als ich euch von ferne kommen sah,
Erzählten eure müden Schritte mir
Und, da ihr näher tratet, euer Auge auch,
Dass Leid in eurer Seele heute wohnt.

CAPESIUS (der sich gesetzt hat):
Viel Heiterkeit in euer Heim zu bringen,
Es war auch sonst mir nicht gegeben;
Doch heute bitt' ich um besondre Nachsicht,
Wenn ich mit meinem friedelosen Herzen
Das Heim des Friedens überfalle.

FRAU BALDE:
Ihr waret damals schon so gerne hier gesehen,
Als kaum ein andrer Mensch
In dieses Hauses Nähe kam. -

189

Trotz manchem, was sich zwischen uns gestellt,
Seid ihr uns Freund geblieben,
Auch jetzt, da unsre weltenferne Stätte
Gar mancher gerne sucht.

CAPESIUS:
So ist denn wahr, was ich gehört,
Dass euer lieber Felix,
Der vordem so verschlossen war,
In diesen Tagen ist geworden
Ein vielgesuchter Mann?

FRAU BALDE:
Ach ja, der gute Felix
Verschloss uns einst vor aller Welt - -.
Und jetzt muss er so vielen Leuten Rede stehn.
Als seine Pflicht erscheint dies neue Leben ihm.
In frühern Tagen wollte er
Dem eignen Innern nur vertraun,
Was Wald und Fels ihm offenbarten
Von Geistestaten und Naturgewalten.
Auch schien es früher keinem Menschen wissenswert.
Wie hat die Zeit sich doch verändert!
Es hören jetzt recht viele Menschen
Gar gierig auf die Wissenschaft,
Die Felix ihnen offenbaren kann
Und die sie vorher doch nur töricht fanden.
Und wenn mein lieber guter Mann
(Felix Balde kommt aus dem Haus.)
Oft stundenlang erzählen muss,
Dann sehn' ich mich nach alten Zeiten,
In denen Felix mir so ernst bedeutet hat,
Wie nur im stillen Herzen tragen soll
Die Seele ihre Geistesgaben,

190

Die ihr aus Götterreichen
In Gnade sind verliehn -,
Und dass Verräter wird am hohen Geistesworte,
Wer solchem Ohr es offenbart,
Das nur der Sinnenwelt erschlossen ist.

FELIX BALDE:
Felicia kann nur recht schwer sich finden
In unser ganz verändert Leben;
Sie hat die alte Einsamkeit beklagt
Und klagt nicht minder jetzt,
Da wir so manchen Tag nur wenig Stunden
Noch für uns selber haben.

CAPESIUS:
Und was hat euch bewogen,
Das früher so verschlossne Haus
Den Menschen gastlich zu eröffnen?

FELIX BALDE:
Gehorsam folgte ich der Geistesführung.
Die mir im Herzen spricht,
Als sie zu schweigen mir gebot.
Und jetzt, da sie mich reden heisst,
Will ich ihr gleich ergeben sein.
Der Menschheit Wesen ändert sich
Im Werdegang des Erdenseins.
An einem Zeitenwendepunkte stehen wir.
Es muss ein Teil der Geist.Erkenntnis
Erschlossen werden allen Menschen,
Die ihr Gemüt ihr öffnen wollen.--
Ich weiss, wie wenig meine Art entspricht
Den Formen, die man heute gelten lässt.
Um auszusprechen, was im Geiste lebt,
Verordnet man die strengste Logik und Gedankenfügung.
Sie werden meinen Reden abgesprochen.
Man sagt, dass wahrer Wissenschaft,

191

Die nur auf festen Stützen ruhen soll,
Mein Wesen bloss als Beispiel gelten kann,
Wie Menschenseelen träumen,
Wenn sie, der Wissenschaft und Bildung fremd,
Auf eignen Wegen Weisheit suchen;
Doch sei es wertvoll, meinen manche,
Wie durch die Wirrnis meiner Worte
Zuweilen etwas zu entdecken ist,
Das mit Vernunft sich fassen lässt.
Ich bin ein Mann, dem ohne Kunst
Ins Herz muss strömen,
Was sich ihm offenbaren mag.
Ich kenne nicht ein Wissen ohne Worte. -
Wenn ich in Herzenstiefen Einkehr halte
Und auch, wenn ich Natur belausche,
So lebt in mir das Wissen,
Das Worte nicht erst suchen muss - - -:
Die Sprache ist ihm so verbunden
Wie seine Leibesform dem Erdenmenschen. -
Ein Wissen, das in dieser Art
Aus Geisteswelten sich uns offenbart,
Ist nützlich auch den Menschen, die es nicht verstehn.
Es soll deshalb ein jeder zu mir kommen dürfen,
Der hören will, was ich zu sagen habe.
Ich weiss recht gtat, wie nur die Neugierd'
Und andre wenig gute Gründe viele leiten.
Auch wenn die Seelen solcher Menschen
In dieser Erdenzeit noch nicht ergriffen werden:
Es wird das Gute in sie eingepflanzt
Und wird in ihnen weiterwirken.

CAPESIUS:
Ich möchte offen mit euch sprechen.---
Seit vielen Jahren muss ich euch bewundern.

192

Doch war auch mir bis jetzt der Sinn verschlossen
Der euren sonderbaren Worten eigen ist.

FELIX BALDE:
Er wird sich euch gewiss erschliessen.
Ihr strebt mit gutem Geist und edlem Herzen;
Da müs sen auch die Zeiten kommen,
Wo ihr der Wahrheit Stimme hört.
Ihr achtet nicht» wie inhaltreich
Der Mensch als Bild der Weltenreiche ist.
Sein Haupt, es ist des Himmels Spiegelbild;
Durch seine Glieder wirken Sphärengeister;
In seiner Brust bewegen Erdenwesen sich;
Und allen stehn entgegen, machtvoll ringend,
Dämonen aus dem Mondbereich,
Die jener Wesen Ziele kreuzen müssen.
Was als ein Menschenwesen vor uns steht,
Was als die Seele wir erleben,
Was als der Geist uns leuchtet:
Es schwebte vielen Gottern vor seit Ewigkeiten,
Und ihre Absicht war,
Aus allen Welten Kräfte zu verbinden,
Die im Verein den Menschen bilden.

CAPESIUS:
Fast ängstlich werde ich bei diesem Wort,
Das kühn als aller Götter Leistung
Des Menschen Wesenheit betrachten will.

FELIX BALDE:
Darum ist höchste Demut jenem nötig,
Der Geisteswissenschaft erlangen will.
Und wer in Hochmut und in Eitelkeit
Sich selbst erkennen will,
Dem öffnen sich die Wissenspforten nicht.
(Felix Balde geht ins Haus.)

193

CAPESIUS:
Wie schon so oft wird mir auch dieses Mal
Die liebe Frau Felicia wohl helfen,
Dass meine Seele sich zum Bilde wende
Und, an dem Bild erwarmend, eure Worte
In rechter Art zu fassen fähig wird.

FRAU BALDE:
Es hat der liebe Felix
Mir öfter schon die Worte wiederholt,
Die er soeben sprach.
Sie lösten aus dem Herzen mir
Ein Bild, von dem ich mir schon immer sagte,
Ich müsst' es euch erzählen.

CAPESIUS:
O tut es, liebe Frau - -,
Mich dürstet nach Erquickung
Aus eurem Bilderschatze.

FRAU BALDE:
Es sei ----
Es war einmal ein Knabe,
Der wuchs als armer Förstersleute einaig Kind
In Waldeseinsamkeit heran. -
Er lernte ausser seinen Eltern
Nur wenig Menschen kennen.
Er war von schwachem Gliederbau:
Durchscheinend fast war seine Haut
Man konnte lang ins Aug' ihm schaun;
Es barg die tiefsten Geisteswunder.
Und wenn auch wenig Menschen nur
Des Knaben Lebenskreis betraten,
Es fehlte ihm an Freunden nicht.
Wenn in den nahen Bergen
Erglühte golden Sonnenhelle,
Dann sog des Knaben sinnend Auge

194

Das Geistesgold in seine Seele ein:
Und seines Herzens Wesen,
Es ward so morgensonnengleich. -
Doch wenn durch finstre Wolken
Der Morgensonne Strahl nicht drang
Und düstre Stimmung alle Berge überzog,
Da ward des Knaben Auge trüb
Und wehmutvoll sein Herz - -.
So war er hingegeben ganz
Dem Geistesweben seiner engen Welt,
Die er nicht fremder fühlte seinem Wesen
Als seines Leibes Glieder.
Es waren ihm ja Freunde auch
Des Waldes Bäume und die Blumen;
Es sprachen Geisteswesen aus den Kronen
Den Kelchen und den Wipfeln -,
Verstehen konnte er ihr Raunen - -.
Geheimer Welten Wunderdinge
Erschlossen sich dem Knaben,
Wenn seine Seele sich besprach
Mit dem, was leblos nur
Den meisten Menschen gilt.
Und sorgend oft vermissten abendlich
Die Eltern den geliehten Sprossen. -
An einem nahen Orte war er dann,
Wo aus den Felsen eine Quelle drang
Und tausendfach zerstäubend
Die Wassertropfen über Steine sprengte.
Wenn Mondeslichtes Silberglanz
In Farbenfunkelspielen zauberhaft
Sich spiegelt' in des Wassers Tropfenstrom,
Da konnt' der Knabe stundenlang
Am Felsenquell verharren.

195

Und Formen, geisterhaft gebildet,
Erstanden vor dem Knabenseherblick
Im Wassertreiben und im Mondenlichtgeflimmer.
Zu dreien Frauenbildern wurden sie,
Die ihm von jenen Dingen sprachen,
Nach denen seiner Seele Trieb gerichtet. -
Und als in einer milden Sommernacht
Der Knabe wieder an der Quelle sass,
Ergriff der Frauen eine viele tausend Stäubchen
Des bunten Wassertropfenwesens
Und reichte sie der zweiten Frau.
Die formte aus den Tropfenstäubchen
Ein silberglänzend Kelchgefäss
Und reichte es der dritten Frau.
Die füllte es mit Mondessilberlicht
Und gab es so dem Knaben.
Der hatte alles dies geschaut
Mit seinem Knabenseherblick. -
Ihm träumte in der Nacht,
Die dem Erlebnis folgte,
Wie er beraubt des Kelches
Durch einen wilden Drachen ward. -
Nach dieser Nacht erlebte jener Knabe
Nur dreimal noch das Quellenwunder.
Dann blieben ihm die Frauen fort,
Auch wenn der Knabe sinnend sass
Am Felsenquell im Mondensilberlicht. -
Und als dreihundertsechzig Wochen
Zum drittenmal verstrichen waren,
War längst der Knabe Mann geworden
Und von dem Elternhause und dem Waldesgrund
In eine fremde Stadt gezogen.
Da sann er eines Abends,

196

Von harter Arbeit müde,
Was ihm das Leben wohl noch bringen möge.
Es fühlte sich det Knabe plötzlich
Nach seinem Felsenquell entrückt;
Und wieder konnte er die Wasserfrauen schauen
Und dieses Mal sie sprechen hören.
Es sagte ihm die erste:
Gedenke meiner jeder Zeit,
Wenn einsarn du dich fühlst im Leben.
Ich lock' des Menschen Seelenblick
In Ätherfernen und in Sternenweiten.
Und wer mich fühlen will,
Dem reiche ich den Lebenshoffnungstrank
Aus meinem Wunderbecher. -
Und auch die zweite sprach:
Vergiss mich nicht in Augenblicken,
Die deinem Lebensmute drohen.
Ich lenk' des Menschen Herzenstriebe
In Seelengründe und auf Geisteshöhn.
Und wer die Kräfte sucht bei mir,
Dem schmiede ich die Lebensglaubensstärke
Mit meinem Wunderhammer. -
Die dritte liess sich so vernehmen:
Zu mir erheb' dein Geistesauge,
Wenn Lebensrätsel dich bestürmen.
Ich spinne die Gedankenfäden
In Lebenslabyrinthen und in Seelentiefen.
Und wer zu mir Vertrauen hegt,
Dem wirke ich die Lebensliebesstrahlen
Auf meinem Wunderwebestuhl. ---
Es träumt' in jener Nacht,
Die dem Erlebnis folgte,
Dem Manne, dass ein wilder Drache

197

In Kreisen um ihn her sich schlich -
Und nicht ihm nahen konnte:
Es schützten ihn vor jenem Drachen
Die Wesen, die er einst am Felsenquell geschaut
Und die aus seiner Heimat
Mit ihm zum fremden Ort gezogen waren.

CAPESIUS:
Habt Dank, ihr liebe Frau,
Ich gehe reichbeschenkt von euch.
(Steht auf und geht. Frau Balde geht ins Haus.)

(Capesius allein in einiger Entfernung, das Folgende sprechend.)

CAPESIUS:
Ich fühle, wie gesundend solch ein Bild
In meiner Seele wirkt, und allem Denken
Verlorne Kräfte wiedergeben kann.
Es war so einfach, was die Frau erzählte,
Und doch erregt es mir Gedankenkräfte,
Die mich in unbekannte Welten tragen.--
Ich will in dieser schönen Einsamkeit
Dem Träumen mich ergeben, das so oft
Gedanken meiner Seele schenken wollte,
Die wohl weit besser sich erwiesen haben
Als manche Früchte wochenlangen Grübelns.
---------------------
(Er verschwindet hinter einem dichten Gesträuch.)

JOHANNES (erscheint in tiefes Nachdenken verloren in derselben Waldgegend):
War's Traum, war's Wirklichkeit - - -?
Ich kann es nicht ertragen, was die Freundin
In milder Ruhe, doch so ernst,

198

Von unsrer Trennung sprach.
O könnte ich nur denken, dass Vernunft,
Dem Geistestriebe widersetzlich,
Sich zwischen sie und mich
Als Trugbild stellen wollte. -
Ich kann nicht - ich will sie nicht befolgen,
Die Mahnung, die Maria fand,
Zu übertönen meiner Seele Stimme,
Die unaufhörlich spricht «Ich liebe sie», -
Und meine Liebe ist mir Quelle
Des Wirkens, das allein ich kennen will.
Was ist mir aller Schaffenstrieb,
Was Ausblick zu den hohen Geisteszielen,
Wenn sie das Licht mir rauben wollen,
Das mir das Sein beleuchten kann? -
In diesem Lichte muss ich leben dürfen;
Und wird es mir genommen,
So will ich nur den Tod für Ewigkeiten.
Ich fühle, wie die Kraft mir schwindet,
Wenn ich versuchen will zu denken:
Ich müsst' auf Wegen wandeln,
Die nicht von ihrem Licht beleuchtet sind.

Es webt sich mir vor Augen
Ein Nebel, der die Wunder,
Die herrlich diese Wälder, diese Felsen
Mir sonst vor Augen malten,
In Wirrnis mir verwandelt---
Ein wilder Traum entsteigt dem Abgrund---
O wie er schaurig mich durchrüttelt - -
O weiche von mir - -!

199

Ich lechze nach der Einsankeit,
Die mir die eignen Träume lassen will;
In ihnen darf ich noch erstreben,
Was mir verloren scheint - -
- - Er will nicht weichen - -!
So will ich ihm entfliehen -
(Fühlt sich wie am Boden festgehalten.)
O welche Fesseln halten mich
An diesen Ort geschmiedet!
(Der Doppelgänger des Johannes Thomasius erscheint.)
 Ach -----,
Wer du auch bist,
Ob menschlich Blut in deiner Form sich birgt,
Ob geistig nur dein Sein -
Verlasse mich ---
Wer ist es - - -?
Ein Dämon stellt mich vor mich selber hin. ---
Er wiil nicht weichen ;
Es ist das Bild des eignen Wesens -,
Es scheint selbst stärker noch
Als dieses Wesen selbst zu sein.

DER DOPPELGÄNGER:
Ich liebe dich, Maria . . .
Mit pochendem Herzen,
Mit fieberndem Blute
Nur kann ich vor dir stehn. -
Und wenn dein Blick mich trifft,
Durchrieseln heisse Schauer mich;
Und wenn du deine liebe Hand
In meine Hand willst legen,

200

Erfüllt mich Seligkeit
In allen Gliedern.

JOHANNES:
Du Spukgestalt, aus Nebeldunst gewoben,
Du wagst es, hier zu lästern
Des Herzens reinstes Fühlen .
0 welche Schuld hab' ich auf mich geladen,
Dass ich erblicken muss
Ein lüstern Zerrbild meiner Liebe,
Die mir so heilig ist - - - -

DER DOPPELGÄNGER:
Ich habe deinen Worten oft gelauscht -;
Ich schien in meine Seele sie zu saugen
Als Kunde aus dem Geisterland. -
Doch mehr als alle Offenbarung
Empfand ich liebend deine Nähe.
Und wenn du sprachst von Seelenwegen,
Erfüllte mich die Seligkeit,
Die stürmisch wogt im Blute ---

DIE STIMME DES GEWISSENS:
So spricht verschwiegene,
Doch nicht vertriebene,
Vom Schein gemiedene
Im Blut gebliebene
Geheime Kraft
Der Leidenschaft.

DER DOPPELGÄNGER (mit etwas andrer Stimme) :
Ich darf dich nicht verlassen;
Du wirst mich oft an deiner Seite finden ;
Ich weiche nicht von dir,

201

Bis du die Kraft gefunden,
Die mich zum Gleichnis macht
Des Wesens, das du werden sollst.
Noch bist du's nicht in dieser Zeit.
Nur in dem Wahne deiner Eigenheit
Erblickst du es in dir.
(Es erscheinen Lucifer und Ahriman.)

LUCIFER:
O Mensch, besiege dich,
O Mensch, erlöse mich.
Du hast mich überwunden
In deinen Seelenhöhen;
Ich bleibe dir verbunden
In deinen Wesenstiefen.
Du wirst mich immer finden
Auf deinen Lebenswegen,
Willst du dich unterwinden,
Dich ganz vor mir zu schützen.
O Mensch, besiege dich,
O Mensch, erlöse mich.

AHRIMAN:
O Mensch, erkühne dich,
O Mensch, erlebe mich.
Du konntest dir erwerben
Das Geistersehen;
Ich musste dir verderben
Das Herzensleben;
Du sollst noch oft erleiden
Die stärkste Seelenpein,
Willst du dich nicht bescheiden
An meine Kräfte halten.
O Mensch, erkühne dich,
O Mensch, erlebe mich.

202

(Lucifer und Ahriman verschwinden, desgleichen der Doppelgänger. - Johannes geht in tiefem Sinnen in das Dunkel des Waldes.)
(Capesius erscheint wieder. Er hat hinter dem Gesträuch die Szene zwischen Johannes und dem Doppelgänger wie in einer Vision mitgemacht.)

CAPESIUS:
Wie war mir eben? Wie ein schwerer Alp
Belastet's mich. Thomasius kam des Weges;
Er schien in tiefes Sinnen mir versunken.
Er blieb dann stehen, wie mit jemand sprechend,
Und doch war niemand ausser ihm am Orte.
Ich fühlte, wie wenn schwere Angst mich drückte;
Ich sah nicht mehr, was dann um mich geschah.
Wie schlafend, unbewusst muss ich doch wohl
In jene Bilderwelt versunken sein,
Auf die ich mich ganz gut besinnen kann.
Es muss nur kurze Zeit gewesen sein,
Dass ich so träumend selbstverloren sass.
Und doch, wie reich war jene Traumeswelt,
Und wie befremdend scheint sie mir zu sein.
Ich konnte Menschen aus vergangnen Tagen
Ganz deutlich sehen und auch sprechen hören.
Von einem Geistesbunde träumte ich,
Der nach der Menschheit Höhen zielvoll strebte.
Mich selbst erkannt' ich klar in ihrer Mitte.
Und fühlen musst' ich mich vertraut mit allem.
Ein Traum nur -, doch erschütternd war der Traum.
Ich weiss, dass ich gewiss in diesem Leben
Dergleichen niemals kann erfahren haben.
Und was mir als Empfindung ist geblieben,
Erfüllt die Seele wie das volle Leben.
Mich zieht es urgewaltig nach den Bildern - -:
O, könnte ich den Traum doch wieder schauen.
(Vorhang, während Capesius stehenbleibt.)

203

Das Folgende stellt Bilder von Vorgängen aus dem ersten Drittel des vierzehnten Jahrhunderts dar. Der Fortgang wird zeigen» dass in ihnen die Rückschau von Capesius, Thomasius und Maria in ihr früheres Erdenleben zu sehen ist.

SECHSTES BILD


Eine Waldwiese. Im Hintergrunde hohe Felsen, auf denen eine Burg steht. Sommerabendstimmung. Bauern, der Jude Simon, der Bergwerksmeister Thomas; ein Mönch.
(Bauern über die Wiese gehend und, während sie stehenbleiben, sprechend.)

1. BAUER:
Seht dort den bösen Juden;
Er wird nicht wagen,
Denselben Weg zu gehn wie wir;
Er könnte Dinge hören,
Die lange seine Ohren jucken.

2. BAUER:
Wir müssen seiner Dreistigkeit
Einmal recht deutlich fühlen lassen,
Dass wir sie nicht mehr länger dulden
In unsrem biedern Heimatland,
In das er sich hereingeschlichen hat.

1. BÄUERIN:
Er steht im Schutz der hohen Herren,
Die oben in dem Schlosse wohnen;
Von uns darf niemand dort hinein,

204

Den Juden nimmt man gerne auf.
Er tut auch, was die Ritter wollen.

3. BAUER:
Es ist recht schwer, zu wissen,
Wer Gott und wer der Hölle dient.
Wir müssen unsern Rittern dankbar sein .
Sie geben uns das Brot und auch die Arbert.
Was wären wir denn ohne sie?

2. BÄUERIN:
Ich muss den Juden loben.
Er hat von meiner schweren Krankbeit
Durch seine Mittel mich befreit
Und war so lieb und gut dabei.
Das gleiche hat er vielen schon getan.

3. BÄUERIN:
Mir aber hat ein Mönch verraten ,
Dass teuflisch ist, womit der Jude heilt.
Man muss vor seinem Gift sich hüten
Es soll im Leibe sich verwandeln
Und allen Sünden Einlass geben.

4. BAUER:
Die Menschen, die den Rittern dienen,
Bekämpfen unsre alten Sitten.
Sie sagen, dass der Jude vieles weiss,
Was Heil und Segen bringt
Und was man künftig erst noch schätzen wird.

5. BAUER:
Es kommen neue, bessre Zeiten;
Ich schau' sie schon voraus im Geiste,
Wenn mir die Seelenbilder zeigen,
Was Leibesaugen nicht erblicken können.
Die Ritter wollen uns das alles schaffen.

4. BÄUERIN:
Wir sind der Kirche Treue schuldig,
Die unsre Seele vor den Teufelsbildern,

205

Vor Tod und Höllenqualen retten.
Die Mönche warnen vor den Rittern
Und vor dem Zauberer auch, dem Juden.

5. BÄUERIN:
Wir sollen nur noch kurze Zeit
Geduldig unser Joch ertragen,
Das uns die Ritter auferlegen.
Die Burg wird bald in Trümmern liegen;
Das hat ein Traumgesicht mir offenbart.

6. BÄUERIN:
Mich quält die Angst vor schwerer Sünde,
Wenn ich oft hören muss,
Die Ritter wollten uns verderben. -
Ich seh' nur Gutes stets von ihnen kommen;
Ich muss sie auch als Christen gelten lassen.

6. BAUER:
Wie künftig Menschen denken wollen,
Das soll man denen überlassen,
Die nach uns leben werden.
Den Rittern sind wir nur
Das Werkzeug für die Teufelskünste,
Mit denen sie bekämpfen,
Was wahrhaft christlich ist.
Wenn sie vertrieben werden,
Sind wir der Führung ledig
Und können dann nach eignern Sinn
In unsrer Heimat leben.
Wir wollen jetzt zur Abendandacht gehn;
Da finden wir, was unsre Seelen brauchen
Und was der Väter Sitten angemessen ist
Die neuen Lehren taugen nicht für uns.

(Bauern gehen ab. Simon, der Jude, kommt aus dem Walde.)

206

SIMON:
So sind's nur stets der alte Hass und Sport,
Die ich von allen Seiten hören muss.
Und doch erfüllt mich immer wieder Schmerz,
Wenn ich mich ihnen blossgestellt muss sehn.
Es scheint kein Grund vorhanden für die Art.
Wie ich behandelt werde von den Leuten.
Und doch verfolgt mich Ein Gedanke oft ,
Der mir die Wahrheit vor die Seele rückt,
Dass Sinn in allem liegt, was wir erleben.
So muss gewiss auch dies begründet sein,
Dass Menschen meines Stammes leiden müssen.
Und blick' ich auf die Herren jener Burg,
So find' ich ihr Geschick dem meinen ähnlich.
Sie haben sich nur zielvoll selbst gewählt,
Wozu Naturgewalten mich verhalten.
Sie sondern sich von allen Menschen ab,
Um einsam strebend Kräfte auszubilden,
Durch die sie ihre Ziele finden können.
Ich fühle so, was ich dem Schicksal schulde,
Das mich mir Einsamkeit gesegnet hat.
Nur auf die eigne Seele hingewiesen ,
Ergab ich mich dem Reich der Wissenschaft
Erkennen konnte ich aus ihren Lehren,
Dass unsre Zeit sich neuen Zielen neigt.
Es müssen sich dem Menschen offenbaren
Naturgesetze, die bisher ihm fremd;
Er wird sich so die Sinnenwelt erobern
Und aus ihr Kräfte sich entfalten lassen,
Die er in seine Dienste stellen wird.
Ich habe nun getan, was ich vermocht,
In solcher Art die Heilkunst fortzubilden.
Dies Streben machte mich dem Bunde wert.
Die Brüder liessen mich auf ihren Gütern

207

Die Kräfte, welche in den Pflanzen ruhn
Und die im Erdengrunde aufzufinden,
Zu neuen Heilverfahren untersuchen.
So handle ich nach ihrem Sinn und Ziel
Und darf bekennen, dass ich manche Frucht
Auf meinem Wege freudig pflücken konnte.
(Geht weiter in den Wald hinein.)

(Der Bergwerksmeister Thomas kommt aus dem Walde.
Ihm begegnet der Mönch.)

THOMAS:
Ich will mich hier ein wenig niederlassen.
Es braucht die Seele Ruhe, sich zu finden
Nach solchen Stürmen, wie sie mich getroffen.

(Der Mönch kommt hinzu.)

MÖNCH:
Ich grüße dich recht herzlich, wackrer Sohn.
Du hast die Einsamkeit hier aufgesucht;
Nach vieler Arbeit willst du stillen Frieden,
Zu lenken deinen Sinn nach Geisteswelten.
So seh' ich meinen lieben Schüler gerne.
Es blickt dein Auge aber wehmutvoll?
Es scheint, dass Sorgen deine Seele quälen.

THOMAS:
Der Schmerz ist nahe oft dem höchsten Glücke;
Das zeigt mein Leben mir in diesen Tagen.

MÖNCH:
So hast du Glück und Schmerz zugleich erfahren?

THOMAS:
Mein hoher Herr, ich hab' euch anvertraut,
Dass ich des Bergaufsehers Tochter liebe,
Und dass auch sie mir herzlich zugeran.
Sie wird als Weib mir mir das Leben teilen.

208

MÖNCH : Sie wird dir treu im Glück und Leide folgen;
Sie ist der Kirche fromm ergehne Tochter.

THOMAS:
Nur solch ein Weib kann mir zur Seite stehn;
Da ich von euch, mein vielgeliebter Führer,
Die wahre Gorrergebenheit gelernt.

MÖNCH:
Und bist du auch der eignen Seele sicher,
Dass sie den Weg auch ferner wandeln wird,
Den ich ihr als den rechten zeigen durfte?

THOMAS:
So wahr mein Herz in meinem Leibe schlägt,
So wahr soll euer Sohn für alle Zeiten
Den hohen Lehren treu ergeben sein,
Die er aus eurem Munde hören durfte.

MÖNCH:
Und habt ihr mir von eurem Glück gesprochen
So lasst mich euer Leid nun auch erfahren.

THOMAS:
Ich hab' euch oft erzählt, wie ich gelebt. -
Als ich der Kindheit kaum entwachsen war,
Begann ich in der Welt umherzureisen.
Ich habe oft den Arbeitsort verändert.
Es lebte mir im Herzen stets der Wunsch ,
Dem Vater zu begegnen, den ich liebte,
Obgleich ich Gutes nicht von ihm erfahren.
Verlassen hat er meine gute Mutter,
Weil er, von Weib und Kindern ungehindert,
Ein neues Leben sich gewinnen wollte.
Der Trieb nach Abenteuern lag in ihm.
Ich war ein Kind noch, als er von uns ging;
Und meine Schwester eben erst gehoren.
Die Mutter starb aus Gram nach kurzer Zeit.

209

Die Schwester kam in guter Leute Pflege,
Die später meinen Heimatsort verlassen haben.
Ich konnte nichts mehr von dem Mädchen hören.
Ich lernte, von Verwandten unterstützt,
Das Bergfach, und ich kam so weit darin,
Dass ich stets Arbeit fand, wo ich sie suchte.
Mir hat die Hoffnung niemals schwinden können,
Dass ich den Vater wiederfinden müsste.
Und jetzt, da meine Hoffnung sich erfüllt,
Ist sie zugleich für immer mir genommen. -
Ich hatte gestern wegen Dienstessachen
Bei meinem Vorgesetzten mich zu melden.
Ihr wisst, wie wenig ich den Ritter liebe,
Der meiner Arbeit Oberleiter ist,
Seit mir bekannt, dass ihr sein Gegner seid.
Seit dieser Zeit hab' ich mir vorgenommen,
Im Dienste dieses Schlosses nicht zu bleiben.
Der Ritter brachte unsre Unterredung
Aus Gründen, die mir unbekannt geblieben,
Zu solcher Wendung, die ihm möglich machte,
Sich als - mein Vater mir zu offenbaren ...
Was folgte .... o ich möchte es verschweigen ...
Ich hätte alles Leid vergessen können,
Das er der Mutter und mir selbst bereitet,
Als ich dem Vater gegenüberstand,
Der schmerzgebeugt von alten Zeiten sprach.
Doch euer Gegner stand in ihm vor mir.
Ich konnte nur das eine klar mir machen,
Welch tiefe Kluft mich trennen muss für immer
Von ihm, den ich so gerne lieben würde,
Den ich so lange sehnsuchrsvoll gesucht. -
Ich habe ihn zum zweitenmal verloren.
So fühle ich, was ich erleben musste.

210

MÖNCH:
Ich werde niemals dich entfremden wollen
Den Banden, die das Blut dir auferlegt.
Doch was ich deiner Seele geben kann,
Soll dir in Liebe stets beschieden sein.

(Vorhang, während beide abgehen.)

211

SIEBENTES BILD

Ein Zimmer jener Burg, die im vorigen Bild von aussen zu sehen. Alles geschmückt mit Symbolen einer mystischen Brüderschaft. Die geistigen Ritter während einer Versammlung; dann der Mönch mit einem der Ritter; später die Erscheinung des Geistes Benedictus', der etwa fünfzig Jahre vorher verstorben. Lucifer und Ahriman. Der Grossmeister mit vier Brüdern an einem langen Versammlungstisch.

GROSSMEISTER:
Die ihr Gefährten mir geworden
Im Suchen nach der Menschheit Zukunftzielen,
Die aus dem Geistgehiet zu tragen
Ins Reich des Erdenwirkens
Als Bundessatzung uns gegeben:
Ihr sollt mir treu zur Seit' auch stehn
In dieser Zeit der schweren Sorgen.
Seit unser teures Haupt gefallen
Als Opfer jener dunklen Mächte,
Die aus dem Bösen ihre Kräfte holen,
Um durch des Widerstandes Kraft
In ihrer Art der Weisheit Plan zu dienen,
Die Gutes auch aus Bösem wirkt -
Seit dieser Zeit ist hoffnungslos all unser Erdenstreben.
Schon haben unsre Feinde überwältigt
Gar manche unsrer Bundesburgen, - -
Und viele unsrer teuren Brüder
Sind kämpfend ihm gefolgt, dem grossen Meister,
Ins lichte Reich der Ewigkeiten.
Auch uns muss bald die Stunde schlagen.

212

In der auch diese Mauern fallen,
Die schützend uns umgeben.
Schon spähen unsre Feinde allerorten,
Wie sie der Güter uns berauben können,
Die wir zum eignen Nutzen nicht erworhen,
Die nur als Mittel wir gebrauchten,
Um uns zu scharen solche Menschen,
In deren Seelen wir
Die Keime für die Zukunft pflanzen können.
Sie sollen reifen dann; wenn jene Menschen
Die Rückkehr finden aus dem Geisterland
Zu einem spätern Erdenleben.

1. ZEREMONIENMEISTER:
Dass unser Bund sich beugen muss
Dem dunklen Sinn des Schicksalsplanes:
Begreiflich muss es scheinen.
Doch dass im Fallen die Gemeinschaft mit sich reisst
So vieler Brüder Einzelleben:
Ein Unrecht scheint es vor dem Weltgesetz.
Nicht klagen soll mein Mund;
Denn willig starben unsre Brüder.
Doch sucht Verständnis meine Seele
Des Opfers, das vom Menschen wird gefordert,
Der an ein Ganzes sich gebunden hat,
Wenn Schicksalsmächte diesem Ganzen
Den Untergang bereiten müssen.

GROSSMEISTER:
Es ist des Menschen Sonderleben
Gar weise mit dem Weltenplan verknüpft.
In unsrer Brüder Reihen
Ist mancher wohl, der fähig sich erweist,
Mit seinen Geisteskräfren unserm Bund zu dienen,

213

Und der doch Flecken hat in seinem Dasein.
Es müssen seines Herzens irre Wege
Die Sühne finden durch die Leiden,
Die er im Dienst des Ganzen tragen muss.
Und wer nicht schuldig durch die eignen Taten
Die Dornenwege wandeln muss,
Die aus dem Bundeskarma stammen,
Dem wird der Schtnerz die Kraft verleihn,
Zum höhern Leben aufzusteigen.

1. ZEREMONIENMEISTER:
So darf der Bund auch Menschen
In seiner Mitte dulden,
Die nicht mit reinster Seele nur
Sich weihen können seinen hohen Zielen?

GROSSMEISTER:
Es wägt allein das Gute in den Seelen,
Wer hohem Werke sich gewidmet,
Und lässt das Schlirnme seine Sühne finden
Im Lauf der Weltgerechtigkeit.
Ich habe euch, ihr Brüder, jetzt zu mir gerufen,
Um euch in unsern Trauettagen
Mit ernstem Worte zu erinnern:
Dass freudig uns geziemt zu sterben -
Für unsre Ziele, denen lebend uns zu weihn
Wir treu gelobet haben.
Ihr seid im rechten Sinne meine Brüder,
Wenn mutig widerklingt in euren Seelen
Des Bruderbundes Weihespruch:
«Es muss sein Sondersein und Leben opfern,
Wer Geistesziele schauen will
Durch Sinnesoffenbarung;
Wer sich erkühnen will,

214

In seinen Eigenwillen
Den Geisteswillen zu ergiessen.»

1. PRÄZEPTOR:
Erhabner Meister, wenn du prüfen wolltest
Die Herzen aller unsrer Brüder:
Erklingen müsste dir der hellste Widerhall
Der Worte unsres Weihespruches.
Doch möchten wir aus deinem Munde hören,
Wie wir zu deuten haben,
Dass unsre Feinde mit unsern Gütern, unserm Leben
Uns rauben auch die Seelen,
Die wir in Liebe pflegten.
Schon zeigt es sich mit jedem Tage klarer,
Wie unsre Leute nicht allein
Den Siegern sich durch Zwang ergeben;
Wie sie auch hassen lernen
Den Geistesweg, den wir gewiesen.

GROSSMEISTER:
Was wir gepflanzt in Seelen haben,
Es mag für diese Zeiten sterben;
Doch werden wiederkehren solche Menschen,
Die unsres Geistes Licht geatmet,
Und unsre Werke dann der Welt verleihn.
So spricht zu meinem Geiste oft
Der grosse Führer aus dem Totenreich,
Wenn ich in meinen stillen Stunden
In meine Seelengründe rauche
Und Kräfte mir erwachen,
Zu weilen in dem Geisterlande
Ich fühle dann des Meisters Gegenwart
Und höre seine Worte,
Wie ich im Sinnesleben
Sie oftmals hören durfte.

215

Er spricht von unsres Werkes Ende nicht;
Nur von Erfüllung unsrer Ziele
In spätren Erdensagen.

(Es gehen der Grossmeister und zwei Brüder ab,
während zwei zurückbleiben.)

1. PRÄZEPTOR:
Er spricht von Geisteswelten in der gleichen Art
Wie andre Menschen über Dörfer oder Städte---
Bedrückend find ich diese Art,
Wie unsre höchstgeweihten Brüder
Von andern Daseinsreichen sprechen.
Und doch bin ich ganz streng verbunden
Mit allen unsern Erdenzielen.

2. ZEREMONIENMEISTER:
Ich halte mich an unsrer Meister Worte:
Wer nicht mit vollem Glauben
Die Kunde kann vernehmen
Von Geist und Geisteswelten, -
Ihm fehlt es nicht an Fähigkeit,
Zu fassen solche Offenbarung.
Es fehlt ganz andres ihm.
Dass er nicht wert sich fühlen darf
Der höhern Welten Glied zu sein,
Er ahnt es wohl, doch möcht' er sich's verbergen.
Die Seele muss geheime Flecken haben
Und sich darüber täuschen wollen,
Wenn sie sich nicht dem Geisteswissen beugen will.
(Die beiden gehen ab.)

(Der Mönch erscheint in demselben Zimmer; zu ihm tritt der zweite Präzeptor.)

2. PRÄZEPTOR:
Was führt euch her in dieses Haus,
Das euch als Feindesstätte gilt?

216

MÖNCH:
Ich muss zu meinen Freunden zählen,
Was Menschenantlitz trägt;
So will es unsre strenge Regel.
Doch feindlich könnt' euch wohl erscheinen,
Was pflichtgetreu zu fordern mir obliegt.
In meiner Obern Auftrag bin ich hier.
Sie wollen auf dem Friedenswege
Der Kirche Gut zurückerstattet haben,
Das ihr durch alter Briefe Inhalt zugehört.
Das Grundstück, das ihr zum Bergwerk umgestaltet,
Ist unsrer Kirche rechtlich Eigentum.
Es kann die Art als Recht nicht gelten,
Wie ihr das Gut erworben habt.

2. PRÄZEPTOR:
Ob wir durch Recht es unser nennen oder nicht,
Darüber könnten Richter lange streiten.
Doch sicher ist es unser Eigentum
Im Sinne eines höhern Rechtes.
Das Grundstück war ein ungenützter Boden
Als unser Bund es angekauft.
Es war euch gänzlich unbekannt,
Dass dieses Bodens Tiefen reiche Schätze bergen.
Wir haben sie dem Menscheufleiss erobert.
Es wandern heute diese Schätze
In fernste Länder, Menschenwohl zu fördern.
Und viele wackre Leute schaffen
In jenes Bodens &hachten,
Den ihr als Wüstenei besessen habt.

MÖNCH:
So haltet ihr es nicht für recht,
In eurem Bunde durchzusetzen,
Dass er im Frieden sich mit uns verständigt,
Wie wir zu unserm Rechte kommen sollen?

217

2. PRÄZEPTOR:
Da wir uns keiner Schuld bewusst,
Vielmehr des vollen Rechtes sicher sind,
So können wir in Ruhe warten,
Ob auch in dieser Sache euch belieben wird,
Das Unrecht doch auf eure Seite hinzuwenden.

MÖNCH:
Ihr habt es eurem starren Willen zuzuschreiben,
Wenn wir zu andern Mitteln so gezwungen sind.

2. PRÄZEPTOR:
Die Ehre unsres Bundes heischt,
Dass er nur kämpfend
Sich seines Rechts berauben lässt.

MÖNCH:
So ist mein Auftrag denn erfüllt;
Ich kann nun euch und mir die weitern Worte sparen.
Ist's möglich wohl, zu sprechen
Das Haupt, das hier gebietet?

2. PRÄZEPTOR:
Der Meister wird euch wohl zu Diensten stehn;
Doch bitt' ich euch, verweilet kurze Zeit,
Er wird sogleich nicht kommen können.
(Er geht ab.)

MÖNCH:
O dass mein Amt mich zwingt,
Die Räume des verhassten Bundes zu betreten.
Es trifft mein Blick nach allen Seiten
Auf Teufelszeichen und auf Sündenbilder.
Ein Grauen will mich fast ergreifen...
Es knistert - oh, es poltert durch den Raum;
Ich fühle wie von bösen Mächten mich umgeben.
 
Da ich bewusst mir keiner Sünde bin,
Will ich den Widersachern trotzen -

218

Es wird ganz furchtbar .
Oh -
(Es erscheint der Geist des Benedictus.)
Ihr guten Geister, steht mir bei!

BENEDICTUS:
Besinne dich, mein Sohn!
Ich durfte oft mich zu dir wenden,
Wenn deines Betens Inbrunst
Dich in die Geisteswelt entrückte.
So höre mutvoll auch in dieser Stunde,
Was du erkennen musst,
Wenn Geisteshelle statt der Finsternis
In deiner Seele walten soll.

MÖNCH:
Wenn ich um Klarheit flehte
In solch bedeutungsvollen Dingen,
Und mein ergehnes Beten
Erhörung fand im Geistesland,
Erschienst du mir, mein grosser Meister,
Der unsres Ordens Zierde war,
Als er im Erdenleibe lebte.
Du sprachst zu mir aus höhern Reichen,
Erleuchtend mir den Sinn
Und stärkend mir die Kraft.
Es schaute dich mein Seelenblick,
Es hörte dich mein Geistgehör.
Ergeben will ich auch in dieser Stunde
Der Offenbarung lauschen,
Die du in meine Seele fliessen lässt.

BENEDICTUS:
Du bist im Hause eines Bruderbundes,
Den deine Seele böser Ketzerei beschuldigt.

219

Er scheint zu hassen, was wir lieben;
Und zu verehren, was uns Sünde dünkt.
Es halten unsre Brüder sich verpflichtet,
Den Untergang der Geistessünde zu befördern.
Sie können sich dabei auf jene Worte stützen,
Die ich im Erdensein gesprochen.
Sie ahnen nicht, dass diese Worte
Sich lebend nur erzeugen können,
Wenn sie im rechten Sinne fortgebildet werden
Von jenen, welche meiner Arbeit Folger sind.
So lasse du in deiner Seele
Im Sinne einer neuen Zeit erstehen,
Was ich auf Erden habe denken dürfen.
Den Orden, welcher aus der Mystik Reich
Sich seine Ziele weisen lässt,
Erblicke ihn in jenem Lichte,
In dem ich selbst ihn heute sehen würde,
Wenn mir beschieden wäre,
Im Erdenleibe wirksam unter euch zu wandeln.
Der Bund ist hohen Zielen zugewandt.
Die Menschen, die sich ihm gewidmet,
Empfinden ahnend spätre Erdenzeiten;
Und ihre Führer schauen schon im Vorgesicht
Die Früchte, die in Zukunft reifen sollen.
Es werden Wissenschaft und Lebensführung
Die Formen und die Ziele wandeln.
Und was der Bund, den du verfolgen hilfst,
In dieser Zeit zu leisten sich getrieben fühlt,
Sind Taten, welche dieser Wandlung dienen.
Nur wenn zum Friedenswerk sich einen will
Das Ziel, dem unsre Brüder dienen,
Mit jenem, dem die Ketzer folgen,
Kann Heil dem Erdenwerden blühn.

220

MÖNCH:
Die Mahnung, der ich würdig bin befunden,
Wie kann ich ihr nur folgen - - -?
Sie weicht gewaltig ab von allem,
Was mir bisher als richtig wollte scheinen.
(Es erscheinen Ahriman und Lucifer.)
Doch nahen mir noch andre Wesen!
Was wollen sie an deiner Seite?

AHRIMAN:
Die weitre Weisung kommt von andern Orten.
Es kann dir leicht nicht scheinen,
Des Vorfahrs Winken zu gehorchen.
Bedenk', dass er im Reich der Seligkeiten lebt.
Was dort Gebot und Pflicht ersehnt,
Es kann in eurer Gegenwart
Auf Erden nur Verwirrung stiften.
Erheb den Blick zu seinen Höhen,
Wenn du Erbauung suchen willst
Im Glück, das fernsten Erdentagen
Von Weltengeistern wird beschieden sein.
Doch willst du jetzt schon richtig wirken,
So lass von dem allein dich führen,
Was dir Vernunft und Sinne lehren.
Es ist dir gut gelungen,
Die Sünden jener Bundesbrüder zu ergründen
Die sie vor aller Welt verbergen müssen.
Sie zeigen dir, wie ihre Zukunftssatzung
Gar wohl in Sünderseelen leben kann.
Wie könntest du bei solcher Wissenschaft
In Frieden mit dem Bunde leben wollen!
Der Irrtum ist ein schlechter Boden;
Er lässt nicht gute Früchte reifen.

221

LUCIFER:
Es hat dein frommer Sinn
Die rechten Wege dir gewiesen.
Wohl wandeln sich die Zeitenziele;
Doch dürfen Ketzer nicht
Der Menschen Pfade vorbestimmen.
An diesem Geisteshunde ist gefährlich,
Dass er in Worten Wahrheit spricht
Und doch der Wahrheit jene Wendung gibt,
Durch die sie an Gefährlichkeit
Den Irrtum übertreffen muss.
Wer offen wollt' der Lüge dienen,
Der müsste sinnbetört wohl sein,
Wenn er im Glauben leben könnte,
Die Menschen folgten seiner Führung.
Die Geistesritter sind so unklug nicht; -
Sie sprechen wohl von Christi Wesenheit,
Weil dieser Name alle Tore öffnet,
Die zu den Menschenseelen führen.
Man kann für Christi Gegenbild
Am besten Menschenherzen fangen,
Wenn Christi Namen man dem Bilde gibt.

MÖNCH:
Verwirrend klingen mir aus Seelenwelten
Die Stimmen, die ich oft gehört
Und die doch stets bekämpfen wollten,
Was frommer Sinn befiehlt.
Wie soll ich denn die guten Wege finden,
Wenn böse Mächte sie mir loben.
Bedünken will es mich doch fast - - -;
Doch nein, das Wort, es bleibe ungedacht -.
Mein weiser Führer wird mich leiten,
Dass seiner Worte Sinn sich mir enthüllen kann,
Der mir so dunkel scheint.

222

BENEDICTUS:
Ich kann den rechten Weg dir weisen,
Wenn du in tiefster Seele dich durchdringst
Mit Worten, die ich einst auf Erden sprach.
Und willst du dieser Worte Leben
In jenen Welten dann erstreben,
In welchen du mich jetzt erschauen kannst,
Wird dir der rechte Weg gewiesen sein.

(Vorhang fällt, während noch der Mönch, der Geist des Benedictus, Lucifer und Ahriman im Saale sind.)

223

ACHTES BILD


Derselbe Saal wie im vorigen Bilde. Der erste Präzeptor, Joseph Kühne, dann der Grossmcister mit Simon, später der erste und der zweite Zeremonienmeister. Joseph Kühne ist zuerst da; der Präzeptor tritt zu ihm.

1. PRÄZEPTOR:
Ihr wünschtet mich zu sprechen.
Was habt ihr mir zu sagen?

JOSEPH KÜHNE:
Bedeutsam ist für euch und mich,
Was mich hieher getrieben hat.
Ihr kennt den Bergwerkmeister Thomas?
Er steht bei euch in Diensten.

1. PRÄZEPTOR:
Wohl kenne ich den wackern Mann,
Wir schätzen seine kluge Leistung;
Und alle Menschen lieben ihn,
Die seiner Führung unterstellt.

JOSEPH KÜHNE:
Und wohl auch Cilli, meine Tochter, kennt ihr?

1. PRÄZEPTOR (bewegt):
Ich habe sie gesehn,
Wenn ich mit euren Leuten euch begegnet.

JOSEPH KÜHNE:
Es traf sich, dass wir Thomas
Recht oft in unserm Hause sahn,

224

Schon bald, nachdem er zugereist.
Er kam dann immer öfter.
Wir sahen, dass er bald zu unsrer Cilli
Die tiefste Neigung fasste.
Das war uns nicht gerade sonderbar.
Doch wollten wir bei Cillis Wesen
An Gegenliebe lange Zeit nicht denken.
Sie lebte stets nur im Gebet
Und floh fast aller Menschen Umgang.
Doch zeigt es sich stets klarer,
Dass sie aus vollem Herzen
Dem fremden Mann ergeben ist.
Und wie die Dinge stehn,
Sind wir gezwungen, unsres Kindes Wunsch
Uns nicht zu widersetzen,
Das Thomas in die Ehe folgen will.

1. PRÄZEPTOR (mit unsichern Gebärden):
Warum ist diese Ehe wider euren Willen?

JOSEPH KÜHNE:
Mein hoher Herr, ihr wisst,
Wie treu ergeben ich dem Geist des Bundes bin.
Nur schweren Herzens konnte ich ertragen,
Dass meine Tochter ihre ganze Liebe
Nach jener Seite hat gewandt,
Die euch und mich der Ketzerei beschuldigt.
Der Mönch, der unsres Nachbarklosters Haupt jetzt is
Und der des Bundes Ziele stets bekämpft,
Er hat die Seele unsrer Tochter ganz erobert.
So lange sie in meinem Hause ist,
Wird mir die Hoffnung niemals schwinden,
Dass sie den Weg zurück muss finden
Aus Geistesfinsternis zum Licht.

225

Doch muss ich sie verloren geben,
Ist sie des Mannes Frau geworden,
Der gleich ihr selbst das Menschenheil
Im Sinne jenes Mönches sucht.
Es ist dem Pater ganz gelungen,
Die Meinung, die er selber hat,
Dem Thomas auch als Glauben aufzudrängen.
Nur schaudernd konnt' ich immer hören
Die Flüche, die aus Thomas' Munde flossen,
Wenn auf den Bund die Rede kam.

1. PRÄZEPTOR:
Wir haben viele Feinde,
Und wenig kann es nur bedeuten,
Dass ihre Zahl um einen sich vermehrt.
Mir leuchtet nicht aus euren Worten ein,
Was ich mit diesem Ehebund zu tun kann haben.

JOSEPH KÜHNE:
Mein hoher Herr, ihr seht dies Bündel - -,
Sein Inhalt birgt mir sichre Zeugnisse.
Nur ich und meine Frau, wir lasen ihn bisher,
Sonst war er hierzulande allen unbekannt.
Er muss in diesem Augenblicke
Auch euch vertraut nun werden.
Das Mädchen, das als unsre Tochter gilt,
Ist mein und meines Weibes Sprosse nicht.
Wir haben dieses Kind in Pflege übernommen,
Als seine Mutter ihm gestorben war.
Ich glaube, dass, was ihr noch weiter hören sollt,
Es nötig nicht erscheinen lassen wird,
Zu sagen, wie dies alles so gekommen ist.
Wir kannten unsres Pfleglings Vater lange nicht.
Und Cilli kennt noch heute ihren Ursprung nicht.

226

Sie sieht in uns die wahren Eltern.
Es hätte immer so auch bleiben können;
Denn lieb ist uns das Kind wie unser eignes.
Es wurden viele Jahre nach der Mutter Tod
Uns diese Schriften zugebracht, die Klarheit geben,
Wer unsres Pflegekindes Vater ist.
(Der Präzeptor wird vollends unsicher.)
Ich weiss nicht, ob er euch bekannt;
Doch mir ist nun gewiss - -,
---- Dass ihres selber seid.
Ich brauche euch wohl mehr zu sagen nicht.
Doch da es sich um euer Blut hier handelt,
So bitt' ich euch um euren Beistand.
Vielleicht gelingt es uns zusammen,
Das Mädchen vor der Finsternis zu retten.

1. PRÄZEPTOR:
Mein lieber Kühne, ihr erwieset euch stets treu.
Ich möcht' auf euch auch weiter zählen können.
Es wird doch in und ausser diesen Mauern
In dieser Gegend niemand hören,
Wie ich zu diesem Mädchen stehe?

JOSEPH KÜHNE:
Dafür verbürg' ich euch mein Wort.
Ich werde euch nicht schaden.
Ich bitte nur um eure Hilfe.

1. PRÄZEPTOR:
Begreift, dass ich euch dieses Mal
Nicht länger Rede stehen kann.
Ich bitte euch, mich morgen anzuhören.

JOSEPH KÜHNE:
Ich werde kommen - - - -. (Kühne geht ab.)

227

1. PRÄZEPTOR (allein):
Wie grausam sich mein Schicksal doch erfüllt!
Im Elend liess ich Weib und Kind,
Weil ich als Fesseln sie empfand.
Die Wege, welche mir die Eitelkeit gezeigt,
Sie führten mich in diesen Geistesbund.
Ich habe mit den Worten, die erhaben klingen,
Dem Werk der Menschenliebe mich verpflichtet.
Ich konnte dies, mit jener Schuld beladen,
Die aus der Liebe Gegenteil entsprungen.
Des Bundes weise Menschenführung,
Sie hat an mir sich klar gezeigt.
Er hat in seine Mitte mich genommen
Und seine strengen Regeln mir gegeben.
Ich sah zur Selbsterkenntnis mich gezwungen,
Die wohl auf andern Lebenspfaden
Mir ferne hätte bleiben müssen.
Als dann durch Schicksalsfügung
Der Sohn in meine Nähe kam,
Vermeinte ich, dass hohe Mächte mitleidvoll
Den Weg zur Sühne mich erkennen ließen.
Ich wusste längst, dass Kühnes Pflegekind
Die Tochter ist, die ich verlassen habe.
Dem Bunde steht der Untergang bevor;
Die Brüder werden sich dem Tode weihn,
Bewusst sich, dass die Ziele leben werden,
Für welche sie das Leben opfern.
Ich fühle nun seit lange schon,
Dass ich nicht würdig eines solchen Todes bin.
So reifte mir der Vorsatz immer mehr,
Dem Meister meine Lage zu enthüllen,
Ihn bittend, mir den Austritt zu gewähren.

228

Ich wollte dann mich meinen Kindern widmen,
Um so in diesem Erdenleben noch
Zu bringen jene Sühne, die mir möglich ist.
Ich seh' es klar, den Sohn hat nicht
Die Sehnsucht nach dem Vater hergeführt;
Das hat sein gutes Herz geglaubt.
Ihn führten seines Blutes Kräfte,
Die mit der Schwester ihn verbinden.
Gelockert durch des Vaters Unrecht
Erwiesen sich die andren Blutesbande.
Sonst hätte jener Mönch es nicht vermocht,
Ihn mir so ganz zu rauben.
Es ist der Raub so gut gelungen,
Dass mit dem Bruder nun die Schwester auch
Dem Vater sich entfremden wird.
So bleibt mir weiter nichts zu tun,
Als jetzt zu sorgen, dass die Kinder
Den wahren Sachverhalt erfahren,
Und dann die Sühne in Ergebenheit
Von jenen Mächten zu erwarten,
Die unsres Lebens Schuldbuch führen. -
(Präzeptor geht ab.)

(Es treten nach einer Pause in den Saal der Grossmeister und Simon.)

GROSSMEISTER:
Ihr müsst fortan im Schlosse bleiben, Simon.
Seit man das Märchen von der Zauberei
Verbreitet hat, wär' jeder Schritt gefährlich,
Den ihr in dieser Gegend machen wolltet.

DER JUDE:
Es macht mir wahrlich grossen Schmerz, zu wissen,
Dass Menschen sich durch ihren Unverstand
Der Hilfeleistung feindlich zeigen können,
Die ihrem eignen Wohle dienen soll.

229

GROSSMEISTER:
Wer durch die Gnade hoher Geistesmächte
Die Blicke werfen darf in Menschenseelen,
Der schaut die Feinde, die, in ihnen selbst,
Sich ihrem eignen Wesen widersetzen.
Der Kampf, den unsre Gegner uns bereiten,
Ist nur ein Bild des grossen Krieges,
Den eine Macht im Herzen unaufhörlich
Aus Feindschaft gegen andre führen muss.

DER JUDE:
Mein hoher Herr, ihr sprechet jetzt ein Wort,
Das mich in tiefster Seele treffen muss.
Ich bin zum Träumer wahrlich nicht geboren;
Doch wenn ich einsam Feld und Wald durchwandle,
Da tritt vor meine Seele oft ein Bild,
Das ich so wenig mit dem Willen meistre
Wie jene Dinge, welche Augen schauen.
Es stellt sich vor mich hin ein Menschenwesen,
Das seine Hand mir liebend reichen will.
In seinen Zügen drückt ein Schmerz sich aus,
Den ich in keinem Antlitz noch gesehn.
Die Grösse und die Schönheit dieses Menschen
Ergreifen alle meine Seelenkräfte;
Ich möchte niedersinken und in Demut
Ergeben mich dem Boten andrer Welten. - -
Da flammt im nächsten Augenblicke schon
Ein wilder Zorn in meinem Herzen auf.
Ich kann dem Trieb in mir nicht widerstehn,
Der meiner Seele Widerstand entfacht - -,
Und von mir stossen muss ich jene Hand,
Die sich so liebend mir entgegenhält.
Sobald Besonnenheit mir wiederkehrt,
Ist schon die Lichtgestalt von mir gewichen.
Wenn ich mir dann im Denken wiederhole,

230

Was sich mir oft im Geiste vorgestellt,
Dann tritt mir der Gedanke vor die Seele,
Der mich im tiefsten Herzen kann erschüttern.
Zu euren Lehren fühl' ich mich gezogen,
Die von dem Geisteswesen offenbaren,
Das aus dem Sonnenreiche niederstieg
Und, durch des Menschen Sinnenform erscheinend,
Begreiflich wollte Menschenherzen werden;
Verschliessen kann ich mich der Schönheit nicht,
Die eurer edlen Lehre eigen ist -
Und kann ihr doch die Seele nicht ergeben.
Ich muss des Menschenwesens Urgestalt
In eurem Geisteswesen wohl erkennen;
Doch hält mich trotzig ab mein Eigenwesen,
Wenn ich mich gläubig an sie wenden will.
So muss ich in mir selbst den Krieg erleben,
Der aller äussern Kämpfe Urbild ist.
Mich ängstigt oft die schwere Rätselfrage,
Die meines ganzen Lebens Schicksal trifft:
Wie soll ich fassen, dass ich euch verstehn,
Doch nicht im Glauben mich ergeben kann
Dem Inhalt eurer edlen Offenbarung?
Ich folge treu dem Vorbild, das ihr gebt,
Und bin im Widerspruch mit allem doch,
Was Ziel und Ursprung meines Vorbilds ist.
Und wenn ich so mich selbst erkennen muss,
So übertönt der Zweifel jeden Glauben,
In diesem Erdensein mich selbst zu finden.
Und oft sogar erfüllt mich Furcht und Sorge,
Es könnte dieses Zweifels wirrer Rest
Durch meine künft'gen Erdenleben ziehn.

231

GROSSMEISTER:
Das Bild, das du geschaut, mein lieber Simon,
Es stand vor meinem Geist in vollem Licht,
Als du es mir in Worten lebhaft maltest.
Und während du dann weiter zu mir sprachst,
Erweitert' sich das Bild vor meinem Blick;
Und ich vermochte Dinge zu erschauen,
Die Weltenziel und Menschenschicksal binden.
(Der Grossmeister und Simon gehen ab.)

(Es treten nach einer Pause die beiden Zeremonienmeister in den Saal.)

1. ZEREMONIENMEISTER:
Ich muss dir frei gestehen, lieber Bruder,
Dass unverständlich unsres Hauptes Milde
Mir oft erscheint, wenn ich erblicken muss,
Wie stark das Unrecht unsrer Gegner ist.
Sie wollen unsre Lehren nicht erfahren,
Die sie als Ketzerei und Teufelswerk
Den Menschen grausig vor die Seele malen.

2. ZEREMONIENMEISTER:
Des Meisters Milde fliesst aus unsern Lehren.
Wir dürfen nicht als höchstes Lebensziel
Verständnis aller Menschenseelen künden
Und unsre Gegner selbst doch missverstehn.
Es sind in ihrer Mitte viele Menschen,
Die wahrhaft nach dem Vorbild Christi leben.
Verschlossen bleiben müsste ihren Seelen
Auch dann noch unsrer Lehre tiefster Sinn,
Wenn sie mit äussrem Ohr ihn hören wollten.
Bedenke, lieber Bruder, wie du selbst
Mit inntem Widerstreben, zaghaft nur,

232

Dem Geistgehör dich hast erschliessen wollen.
Wir wissen aus der Meister Offenbarung,
Wie künftig Menschen durch das Geisteslicht
Das hohe Sonnenwesen schauen werden,
Das einmal nur im Erdenleibe wohnte.
Wir glauben freudig an die Offenbarung,
Weil wir vertrauensvoll den Führern folgen.
Doch sprach vor kurzer Zeit bedeutungsvoll
Der Mann, in dem wir unser Haupt erkennen:
«Es müssen langsam eure Seelen reifen,
Wenn ihr schon jetzt prophetisch schauen wollt,
Was sich den Menschen künftig zeigen wird. -
Ihr sollt nicht glauben>, - sprach der Meister ferner,
«Dass schon nach eurer ersten Seelenprüfung
Dies Vorgesicht der Zukunft euch erscheint.
Auch wenn euch Sicherheit bereits gewährt,
Dass alles Menschenleben wiederkehrt,
So tritt die zweite Prüfung erst an euch heran,
Die eurem Eigenwahn die Fesseln löst,
So dass er euch das Geisteslicht verdirbt.»
Und auch die ernste Mahnung gab der Meister:
«Erforscht in stillsten Andachtstunden oft,
Wie dieser Wahn, als Seelenungeheuer,
Gefährlich wird dem Pfad des Geistessuchers.
Wer ihm verfällt, der möchte Menschensein
Auch dort erblicken, wo der Geist allein
Dem Geisteslicht sich offenbaren will.
Wenn ihr euch würdig wollet vorbereiten,
Das Weisheitslicht von Christi Wesenheit
In euer Seelenauge aufzunehmen,
So müsset ihr euch sorgsam selbst bewachen,
Dass Eigenwahn euch nicht befallen mag,
Wenn eure Seele ihn am fernsten glaubt.»

233

Wenn wir dies Wort uns klar vor Augen stellen,
Wird uns die falsche Meinung bald verlassen,
Dass wir in unsrer Zeit in leichter Art
Die hohen Lehren überliefern können,
Zu denen unsre Seelen sich bekennen.
Beglückend müssen wir schon dies empfinden,
Dass wir so manche Seele treffen können,
Die schon in diesen Tagen unbewusst
Den Keim empfängt für künft'ge Erdenleben.
Und dieser Keim, er kann im Menschen erst
Als Gegner jener Mächte sich erweisen,
Zu denen er sich später wenden will.
Ich kann in vielem Hass, der uns verfolgt,
Den Samen spätrer Liebe nur entdecken.

1. ZEREMONIENMEISTER:
Es ist gewiss, dass höchster Wahrheit Ziel
Sich nur in solchen Worteh kann erschliessen;
Doch schwer erscheint es, schon in diesen Tagen,
Das Dasein ganz in ihrem Sinn zu lenken.

2. ZEREMONIENMEISTER:
Auch darin folg' ich meines Meisters Worten.
Es ist der ganzen Menschheit nicht verliehn,
Der Erden Zukunftsein voraus zu leben.
Doch müssen solche Menschen stets sich finden,
Die spätrer Tage Wesen schauen können
Und die ihr Fühlen jenen Kräften weihn,
Die alles Sein der Gegenwart entreissen
Und für die Ewigkeit bewahren wollen.

(Vorhang fällt, während die beiden Zeremonienmeister noch im Saale sind.)

234

NEUNTES BILD

Die Waldwiese wie im sechsten Bild. Joseph Kühne, Frau Kühne, deren Tochter Berta; dann Bauern; später der Mönch; zuletzt Cäcilia, genannt Cilli, Kühnes Pflegetochter, und Thomas.

BERTA:
Ich möchte gar zu gerne, liebe Mutter,
Aus deinem Munde die Geschichte hören,
Von welcher Cilli früher öfter sprach.
Du weisst ja alle Märchen zu erzählen,
Die unser lieber Vater von den Rittern
Nach Hause bringt und welche viele Leute
Mit grösster Freude immer gern vernehmen.

JOSEPH KÜHNE:
Die Märchen sind ein wahrer Seelenschatz.
Was sie dem Geiste geben, bleibt erhalten
Noch über unsern Tod hinaus und wird
In spätern Erdenleben Früchte bringen.
Sie lassen uns das Wahre dunkel ahnen;
Und aus der Ahnung machen unsre Seelen
Erkenntnis, die uns nötig ist im Leben.
Ja, wenn die Leute nur verstehen könnten,
Was unsre Ritter ihnen alles schenken.
Cäcilia und Thomas haben leider
Für diese Dinge jetzt nur taube Ohren,
Weil sie die Weisheit anderswo empfangen.

235

BERTA:
Ich möchte heute die Geschichte hören,
Die von dem Guten und dem Bösen handelt.

FRAU KÜHNE:
Ich will sie dir recht gern erzählen; höre.
Es lebt' einmal ein Mann,
Der sann viel über Weltendinge nach.
Es quälte sein Gehirn atn meisten,
Wenn er des Bösen Ursprung kennen wollte.
Da konnte er sich keine Antwort geben.
«Es ist die Welt von Gott», - so sagt' er sich,
«Und Gott kann nur das Gute in sich haben.
Wie kommen böse Menschen aus dem Guten?»
Und immer wieder sann er ganz vergebens;
Die Antwort wollte sich nicht finden lassen.
Da traf es sich einmal, dass jener Grübler
Auf seinem Wege einen Baum erblickte,
Der im Gespräche war mit einer Axt.
Es sagte zu dem Baume jene Axt:
«Was dir zu tun nicht möglich ist, ich kann es tun,
Ich kann dich fällen; du mich aber nicht.»
Da sagte zu der eitlen Axt der Baum:
«Vor einem Jahre nahm ein Mann das Holz,
Woraus er deinen Stiel verfertigt hat,
Durch eine andre Axt aus meinem Leib.»
Und als der Mann die Rede hatt' gehört,
Erstand in seiner Seele ein Gedanke,
Den er nicht klar in Worte bringen konnte,
Der aber volle Antwort gab der Frage:
Wie Böses aus dem Guten stammen kann.

JOSEPH KÜHNE:
Bedenke die Geschichte, meine Tochter;
Und sehen wirst du, wie Naturbetrachtung

236

Erkenntnis schaffen kann im Menschenkopfe.
Ich weiss, wieviel ich mir erklären kann,
Wenn ich die Märchen denkend weiterspinne,
Durch welche unsre Ritter uns belehren.

BERTA':
Ich bin fürwahr ein recht einfältig Ding
Und würde sicher nichts von dem verstehn,
Was kluge Leute mit gelehrten Worten
Von ihrer Wissenschaft erzählen können.
Mir fehlt auch jeder Sinn für solche Dinge.
Ich werde ganz verschlafen, wenn der Thomas
Von seinen Sachen uns berichten will.
Doch wenn mein lieber Vater seine Märchen
Von unsrer Burg nach Hause bringt und oft
Durch viele Stunden seine eignen Worte
Mit dem verbindet, was er uns erzählt,
So hör' ich gerne ohne Ende zu.
Die Cilli spricht gar oft vom frommen Sinn
Der mir nach ihrer Meinung fehlen soll.
Ich fühle aber rechte Frömmigkeit,
Wenn ich die Märchen mir vor Augen stelle
Und mich an ihnen herzlich freuen kann.
(Joseph Kühne, Frau Kühne und Berta gehen ab.)

(Es betreten nach einer Pause Bauern die Wiese.)
1. BAUER:
Es ist mein Oheim gestern heimgekommen.
Er hat sich lange Zeit in Böhmen
Als Bergmann redlich durchgeschlagen.
Er weiss gar vieles zu erzählen,
Das er auf seiner Reise hat gehört.
Die Aufregung ist überall vorhanden.

237

Man rückt den Geistes-Rittern jetzt zu Leibe.
Auch gegen unsre Bundesbrüder
Ist nun schon alles vorbereitet.
Die Burg wird bald belagert werden.

2. BAUER:
Sie sollen nur nicht lange warten lassen.
Es wird bei uns gewiss so mancher
Sich ihnen gern als Kämpfer zugesellen.
Ich werde sicher zu den ersten zählen.

1. BÄUERIN:
Du wirst in dein Verderben rennen.
Wer kann so unverständig sein
Und nicht bedenken wollen,
Wie stark die Burg befestigt ist.
Der Kampf wird furchtbar sein.

2. BÄUERIN:
Die Bauern sollten sich nicht mischen
In Dinge, die sie nicht verstehn.
Statt dessen zieht so mancher jetzt
Von Ort zu Ort in unsrer Gegend
Und schürt recht fleissig zur Empörung.
Man hat es schon so weit gebracht,
Dass Kranke hilflos jammern müssen.
Der gute Mann, der früher
So vielen Menschen hilfreich war,
Er kann nicht mehr die Burg verlassen:
Man hat ihn furchtbar zugerichtet.

3. BÄUERIN:
Verbittert waren eben viele Menschen,
Als sie gehört, woher die Krarskheit kommt,
Die unter unsern Kühen ausgebrochen - -.
Der Jude hat sie ihnen angezaubert.
Er heilt die Menschen nur zum Schein,

238

Damit er mit den Höllenkräften
Den Zwecken böser Mächte dienen kann.

3. BAUER:
Mit allem Schwätzen von der Ketzerei
War wenig auszurichten;
Die Leute hatten, was sie brauchten,
Und kamen so zu weiter nichts,
Als dass sie sich mit üblen Reden
Die freie Zeit vertrieben.
Da hat geschickt ein Menschenkenner
Den Unsinn ausgesonnen,
Der Jude hätte unser Vieh verzaubert.
Da brach der Sturm erst los.

4. BAUER:
Ich denk', ihr könntet alle wissen,
Was Krieg und Kriegsnot heisst.
Die Väter haben uns erzählt,
Was sie erleben mussten
In jenen Zeiten, als das Land
Von Truppen überall besetzt gewesen.

5. BÄUERIN:
Ich hab' es immer schon gesagt:
Es muss die Herrlichkeit verschwinden.
Mir hat ein Traum schon vorgestellt,
Wie wir den Truppen dienen können,
Die zur Belagerung erscheinen,
Und sie recht gut versorgen.

6. BAUER:
Ob Träume uns noch glaubhaft sind,
Das wollen wir nicht fragen.
Die Ritter wollten uns gescheiter machen,
Als unsre Väter waren.
Sie sollen jetzt erfahren,

239

Wieviel wir klüger sind geworden.
Die Väter haben sie hereingelassen;
Wir werden sie verjagen.
Ich kenne die geheimen Schliche,
Durch die man in die Burg gelangt.
Ich war darin in Arbeit,
Bis mich der Zorn herausgetrieben hat.
Ich will den Rittern zeigen,
Dass Wissenschaft uns nützen kann.

4. BÄUERIN:
Der denkt gewiss an gute Dinge nicht,
 Mir wurde angst bei seiner Rede.

5. BAUER:
Mir hat sich schon im Geistesbild gezeigt,
Wie ein Verräter auf geheimen Wegen
Die Feinde in die Burg geleitet.

6. BÄUERIN:
Ich finde solche Bilder ganz verderblich.
Wer christlich jetzt noch denken kann,
Der weiß, dass Ehrlichkeit
Und nicht Verrätetei
Vom Bösen uns befreien wird.

6. BAUER:
Ich lass' die Leute reden
Und tu', was nützen kann.
Gar mancher schilt als Unrecht,
Was er nicht selbst verrichten kann,
Weil er den Mut nicht hat.
Doch lasst uns weitergehn;
Es kommt des Weges schon der Pater.
Wir wollen ihn nicht stören. -
Ich konnte ihm doch sonst
So leicht in allem folgen;

240

Doch heute war in seiner Predigt
Mir manches Wort recht unverständlich
(Die Bauern geben nach dem Walde zu ab.)

(Es kommt nach einer Pause der Mönch über den Wiesenweg.)

MÖNCH:
Der Seele Wege müssen sich verwirren,
Wenn sie dem eignen Wesen folgen will.
Es konnte nur die Schwäche meines Herzens
Die Wahngestalten mir vor Augen stellen,
Als ich in jenem Hause mich befand.
Dass sie im Streit sich vor mich stellen mussten,
Es zeigt doch nur, wie wenig noch in mir
Die Seelenkräfte sich vereinen können.
Ich will deshalb von neuem mich bestreben
Im Innern mir die Worte zu entzünden,
Die mir das Licht aus Geisteshöhen senden.
Nach andren Wegen kann nur der begehren,
Dem Eigenwahn den Sinn verblendet hält.
Es kann die Seele nur den Trug besiegen,
Wenn sie der Gnade würdig sich erweist,
Die ihr das Geisteslicht aus Liebequellen
Im Weisheitsworte offenbaren will.
Ich weiss, ich finde dich, du edle Kraft,
Die mir beleuchten kann der Väter Lehren,
Wenn ich des Eigendünkeis Finsternissen
Mit fromm ergehnem Herzen kann entfliehn.
(Der Mönch geht ab.)

(Es kommen nach einer Pause auf die Wiese Cäcilia genannt Cilli, und Thomas.)
CÄCILIA:
Mein lieber Bruder, wenn ich oft inbrünstig
Im stillen Beten mich dem Quell der Weit

241

Mit ganzer Seele neigte, und die Sehnsucht,
Vereint mit ihm zu sein, mein Herz erfüllte,
Da trat vor meinen Geist ein Lichtesschein -.
Er strömte eine milde Wärme aus;
Es formte sich der Schein zum Menschenbilde;
Das schaute mich mit sanftem Auge an,
Und Worte tönten mir aus diesem Bilde.
Sie klangen so:
«Du wardst verlassen einst durch Menschenwahn,
Du wirst getragen jetzt von Menschenliebe,
So warte, bis die Sehnsucht finden wird
Den Weg, der sie zu dir geleiten kann.>
So sprach das Menschenbild gar oft zu mir.
Ich konnte seine Worte mir nicht deuten;
Die dunkle Ahnung doch erquickte mich,
Dass sie sich mir dereinst erfüllen werden.
Und dann, als du, geliebter Bruder, kamst
Und ich zum erstenmal dich sehen konnte,
Da fühlte ich der Sinne Kraft entschwinden, -
Du glichest jenem Menschenantlitz ganz.

THOMAS:
Es hat dich Traum und Ahnung nicht getäuscht;
Es hat die Sehnsucht mich zu dir geleitet.

CÄCILIA:
Und als du zur Gefährtin mich begehrtest,
Da glaubt' ich, dich vom Geiste mir bestimmt.

THOMAS:
Dass uns der Geist zusammenführen wollte,
Fürwahr, es zeigt sich uns mit voller Klarheit,
Obgleich wir ihn erst missverstanden haben.
Als ob er mir das Weib bescheren wollte,
So schien es mir, als ich dich kennenlernte.
Ich fand die früh verlorne Schwester wieder.

242

CÄCILIA : Und nun soll nichts uns ferner trennen können.

THOMAS:
Und doch, wie vieles stellt sich zwischen uns!
Die Pflegeeltern sind so eng verbunden
Der Brüderschaft, die ich verwerfen muss.

CÄCILIA:
Sie sind von Lieb' und Güte ganz erfüllt;
Du wirst an ihnen gute Freunde haben.

THOMAS:
Es wird mein Glaube mich von ihnen trennen.

CÄCILIA:
Du wirst durch mich den Weg zu ihnen finden.

THOMAS:
Es hat der liebe Kühne starren Sinn;
Es wird ihm stets als Finsternis nur gelten,
Was mir doch alles Lichtes Quelle ist.
Ich habe mich in reifen Jahren erst
Zu diesem Wahrheitslichte wenden dürfen.
Was ich als Kind von ihm vernommen habe,
Ist meinem Geiste kaum bewusst geworden,
Und später war ich nur darauf bedacht,
Die Wissenschaft mir richtig anzueignen,
Die mir das Leben unterhalten sollte.
Und hier erst konnte ich den Führer finden,
Der mir die Seele hat befreien können.
Die Worte, welche er mich hören liess,
Sie tragen aller Wahrheit echte Zeichen.
Er spricht in solcher Art, dass Herz und Kopf
Zugleich der Lehre sich ergeben müssen,
Die er voll Milde und voll Güte gibt.
Vorher verwandte ich die grösste Mühe,
Die andre Geistesart mir klarzumachen.
Ich fand, dass sie in Irrtum führen muss.

243

Sie hält sich nur an jene Geisteskräfte,
Die wohl im Erdentreiben sicher führen,
Doch nicht zu höhern Welten führen können.
Und wie soll ich den Weg nun finden können
Zum Herzen solcher Menschen, die alles Heil
Von diesem Irrtum nur erwarten wollen.

CÄCILIA:
Ich höre deine Worte, lieber Bruder;
Sie scheinen nicht vom Frieden eingegeben.
Mir aber liessen sie ein Friedensbild
Aus frühern Tagen vor die Seele treten.
Am Karfreitag war's, vor vielen Jahren,
Da sah ich auch das Bild, von dem ich sprach.
Es sagte mir zu jener Zeit der Mann,
Der meines lieben Bruders Züge trug:
«Aus Gottessein erstand die Menschenseele;
Sie kann in Wesensgründe sterbend tauchen;
Sie wird dem Tod dereinst den Geist entbinden.»
Erst später ist mir klar bewusst geworden,
Dass dieses unsrer Ritter Wahlspruch ist.

THOMAS:
O Schwester, so muss mir aus deinem Munde
Der böse Spruch ertönen, der den Gegnern
Als höchster Geisteswahrheit Inhalt gilt.

CÄCILIA:
Ich bin im Herzen gänzlich abgeneigt
Den äussern Taten dieser Ritterschaft
Und bin dem Glauben treu, der dich erbaut.
Doch niemals konnte ich mich überzeugen,
Dass nicht in Christi Spuren wandeln sollten
Die Menschen, die als ihrer Lehre Ziel
Sich so die Seelenpfade vorgezeichnet.
Ich bin des Gelstes treu ergebne Schülerin
Und muss bekennen, dass ich glauben will,

244

Es habe meines Bruders Geist an jenem Tage
Von Seelenfriederszielen sprechen wollen.

THOMAS:
Durch Schicksaismächte scheinen unsrem Leben
Die Seelenfriedensziele nicht bestimmt;
Sie haben unsren Vater uns genommen
In jener Stunde, die ihn uns gegeben.

CÄCILIA:
Es raubt der Schmerz mir alle Sinneskiarheit
Wenn ich dich so vom Vater sprechen höre.
Dein Herz, es zieht dich liebend hin zu ihm
Und doch erhebst du, wenn du denken willst,
Im Leben noch mit ihm vereint zu sein.
Du folgst in Treue unserm weisen Führer
Und kannst nicht hören, wenn der Liebe Botschaft
So herzlich strömt durch seiner Worte Kraft.
Vor einem dunklen Rätsel fühl' ich mich:
Ich seh' dein gutes Herz und deinen Glauben
Und kann nur schaudernd vor dem Abgrund stehn,
Der zwischen beiden furchtbar sich vertieft.
Und lebte tröstend mir die Hoffnung nicht,
Dass Liebe siegend sich stets zeigen muss,
So fehlte mir der Mut, dies Leid zu tragen.

THOMAS:
Es ist dir noch verborgen, liebe Schwester,
Wie zwingend sich Gedankenkraft erweist,
Wenn sie des Menschen Seele ganz ergreift.
Nicht steht der Sohn dem Vater hier entgegen;
Gedanke wendet von Gedanken sich.--
Ich fühle seine Macht in meiner Seele;
Sich ihr zu widersetzen, wäre mir
Des eignen Wesens wahrer Geistestod.

(Der Vorhang fällt, während noch Thomas und Cäcilia auf der Wiese sind.)

245

Das Folgende ist die Fortsetzung der Ereignisse, die in den ersten fünf Bildern dargestellt sind.

ZEHNTES BILD


Dieselbe Landschaft wie im fünften Bilde; Capesius erwacht aus der Vision, welche ihm seine vorige Inkarnation vor die Seele gestellt hat.

CAPESIUS:
O diese fremde Gegend! Eine Bank,
Ein Häuschen und ein Waldesgrund vor mir ...
Ob ich sie kenne? Sie verlangen dringlich,
Dass ich sie kenne. Sie bedrücken mich.
Sie legen sich auf mich wie schwere Lasten.
Sie scheinen Wirklichkeit. Doch nein, dies alles -
Ist nichts als Bild, aus Seelenstoff gewoben.
Ich weiss, wie diese Bilder sich aus Sehnsucht
Und aus dem Seelendurst gestaltet haben.
Ich tauchte, wie erwachend, aus der Sehnsucht -
Und aus dem weiten Geistesmeere auf.
Erschauernd schreckhaft steigt Erinnerung
An diese Sehnsucht mir aus Seelengründen.
Wie brannte doch ihr Durst nach Daseinswelten. -
Die Wahneslust, die aus Entbehrung kam,
Verbrannte meine ganze Wesenheit.
Ich musste stürmisch nach dem Sein begehren,
Und alles Dasein wollte mich nur fliehen.
Ein Augenblick, der Ewigkeit mir dünkt,
Ergoß in meine Seele Leidensstürme,

246

Die nur ein volles Leben bringen kann.
Und vor dem Sehnsuchtsschrecken stand vor mir,
Was diesen Schrecken mir erschaffen hatte.
Ich fühlte mich zum Weltenall erweitert
Und aller eignen Wesenheit beraubt - -.
Doch nein, der war nicht ich, der so empfand,
Ein andres Wesen, das aus mir entsprang.
Erwachsen sah ich Mensch und Menschenwerk
Aus Weltgedanken, die den kaum durcheilten
Und wesend sich zur Offenbarung drängten.
Sie stellten eine ganze Lebenswelt
Mir vor die Augen bildhaft greiflich hin.
Sie nahmen mir aus meinem Seelenstoff
Die Kraft, um aus Gedanke Sein zu schaffen.
Je mehr die Welt vor mir sich dichten konnte,
Verlor ich selbst an meinem Eigenfühlen.
Und Worte tönten aus der Bilderwelt,
Sie drangen auf mich ein, sich selber denkend.
Sie schufen aus den Lebensmängeln Wesen
Und gaben ihnen Kraft aus guten Taten.
Sie klangen aus den Raumesweiten mahnend:
«O Mensch, erkenne dich in deiner Welt.»
Ich sah ein Wesen, das, vor mich gestellt,
Mir meine Seele als die seine zeigte.
Und jene Weltenworte sprachen weiter:
«So lang du nicht in deine Lebenskreise
Dies Wesen ganz verwoben denken kannst,
Bist du ein Traum, dich selber träumend nur. »
Ich konnte nicht in klaren Formen denken,
Nur Kräfte wirksam schauen, die verworren
Vom Nichts ins Sein, vom Sein ins Nichts sich drängten.
Doch strebe ich im Geiste weiter rückwärts,
Erinnernd mich, was ich vor diesem schaute,

247

So steht ein Lebensbild vor meiner Seele,
Das nicht verworren ist, wie alles war,
Was ich in spätren Augenblicken fühlte;
Das klar vielmehr mir Mensch und Menschenwerk
In allen Einzelheiten deutlich zeigt.
Es ist in diesem Bilde mir vertraut,
Wer jene Menschen sind und was sie tun :
Ich kenne alle Seelen, die ich schaue,
Doch sind die Leibesformen umgestaltet.
Ich blick' auf alles dies, wie wenn ich selbst
Als Wesen dieser Welt mich fühlen müsste;
Und trotzdem lässt mich kalt und ohne Fühlen,
Was gleich dem vollen Leben vor mir steht.
Es scheint, als ob die Wirkung auf die Seele
Sich für den spätern Augenblick bewahrte,
Der mir jetzt früher vor dem Geiste stand.
In eines Geistesbundes Mitte konnt' ich
Mich selbst und andre Menschen wohl erkennen,
Doch so, wie man ein Bild aus alter Zeit
Gedächtnisquellen sich entringen fühlt.
Ich schaue Thomas, meinen Sohn, als Bergmann
Und muss der Menschenseele mich entsinnen,
Die als Thomasius mir sonst sich zeigte.
Das Weib, das mir als Seherin bekannt,
Es tritt als leiblich Kind vor meine Augen.
Maria, die Thomasius befreundet,
Sie offenbart sich in des Mönches Kleid,
Der unsre Geistesbrüderschaft verdatumt,
Und Strader trägt des Juden Simon Antlitz.
In Joseph Kühne und in seinem Weibe
Erblick' ich Felix' und Felicias Seele.
Ich kann der andren Menschen Leben
Und auch mein eignes deutlich überschauen,

248

Doch da ich mich noch ganz ihm hingegeben,
Entschwindet alles meinem Geiste wieder.
Empfinden kann ich, wie die Seelenstoffe,
Aus welchen jenes Bild gewoben war,
In meine eigne Seele sich ergiessen.
Mich aber fühle ich von Seligkeit
In meiner ganzen Wesenheit ergriffen.
Befreit erschein' ich mir von Sinnenschranken,
Mein Sein, es ist zum Weltenall erweitert. -
So fühle ich den langen Augenblick,
Den ich durchleben konnte, ehe ich
Vor jenem Lebensbilde mich befunden.
Und weiter noch zutuck kann ich jetzt schaun - -:
Verdichtend sich, aus Weltgedankenkraft,
Erscheint vor meinen Blicken dann der Wald,
Das Haus, in welchem mir Felicia und Felix
So oft in Lebenssorgen Trost gewährten.
Und jetzt - ich finde in der Welt mich wieder,
Aus der ich mich entfernt noch eben fühlte
Durch Erdenzeiten und durch Weltenfernen.
Und was ich jüngst noch fühllos schauen konnte
Das Bild, das mich mir selber hat gezeigt,
Es legt sich Seelennebelformen gleich
Vor alles hin, was jetzt die Sinne fühlen.
Zum Alp wird mir das Bild, der mich bedrückt.
Er wühlt in meinen Seelentiefen,
Er öffnet Weltentore, Raumesweiten -
Was stürmt in meinen Wesensgründen,
Was dringt in mich aus Weltenfernen?

249


EINE STIMME ALS GEISTGEWISSEN:
Erfühle, was du geschaut,
Erlebe, was du getan.
Du bist dem Sein nun neu erstanden. -
Du hast geträumt dein Leben.
Erwirk' es dir
Aus edlem Geisteslicht;
Erkenne Daseinswerk
Mit Seelenblickeskraft.
Vermagst du dieses nicht,
Bist wesenlosem Nichts
In Ewigkeit verbunden.

(Vorhang fällt, während Capesius noch anwesend ist.)

250

ELFTES BILD


Dasselbe Meditationszimmer wie im zweiten Bilde. Maria, Ahriman:

AHRIMAN:
Benedictus hat die Gedankenfäden
Mit List gesponnen, denen du gefolgt.
Sie haben dich in Irrtum wohl verstrickt.
Thomasius und auch Capesius,
Sie sind desselben Walangesichtes Opfer
Zugleich mit deinem fielen ihre Blicke
Auf langvergangner Erdentage Leben.
Ihr sucht seither in jener Zeit das Dasein,
Das eurer Gegenwart vorangegangen.
Ihr werdet Irrtum nur aus Irrtum zeugen,
Wenn ihr euch wollt dadurch bestimmen lassen,
Dem Erdenpfade Pflichten vorzuzeichnen,
Die eures Wahneswissens Folge sind.
Dass Benedictus nur aus deinem Hirn
Die Bilder nahm und sie in frühe Zeiten setzte:
Dies kannst du klar aus eignem Wissen finden.
Du sahst die Menschen deiner eignen Tage
Verschieden kaum von jenen alter Zeit.
Du sahest Mann als Mann und Frau als Frau,
Und auch die Eigenschaften waren ähnlich.
Es kann dir so kein Zweifel mehr bestehn,
Dass du nicht Wahrheit, sondern nur den Wahn
Der eignen Seele mit dem Geistesauge
In graue Vorzeit dir zurückverlegtest.

251

MARIA:
Ich schaue dich als aller Täuschung Vater,
Doch weiss ich auch, dass du oft Wahrheit sprichst.
Und wer verwerfen wollte jeden Rat,
Den er durch deine Worte kann erhalten,
Der müsste schwersten Irrtums Opfer werden.
Wie Wahn der Wahrheit Maske sich bedient,
Um Menschenseelen sicher einzufangen,
So kann der Mensch sich leicht dem Trug ergeben,
Wenn er nur stets an allen Irrtumsquellen
In feiger Furcht vorbei sich schleichen wollte.
Nicht Wahn allein verdanket dir die Seele:
Auch jene Macht entstammt dem Geist des Truges,
Die Menschen sichre Urteilskraft verleiht.
Drum will ich mich dir frei entgegenstellen.
Ergriffen hast du mich an jenem Seelenteil,
Der wachsam stets sich selbst bewahren muss.
Erwäg' ich alle Gründe, welche du
Mir eben klug berechnend vorgehalten,
So scheint nur eignen Hirnes Bildgestalt
In frühe Erdentage hinversetzt.
Doch frag' ich dich, ob deiner Weisheit sich
Für alle Erdenzeiten Pforten öffnen?

AHRIMAN:
In keinem Geistesreiche leben Wesen,
Die sich mir feindlich dann entgegenstellen,
Wenn ich in Erdenzeiten Einlass brauche.

MARIA:
Die hohen Schicksalsmächte haben weise
In dir den Widersacher sich bestellt;
Du förderst alles, das du hemmen willst.
Du bringst den Menschenseelen Freiheitsmacht,
Wenn du in ihre Seelengründe dringst.
Von dir entspringen die Gedankenkräfte,

252

Die Ursprung zwar der Wissens-Truggebilde,
Doch auch des Wahrheitssinnes Führer sind.
Es gibt nur Ein Gebiet im Geisterland,
In dem das Schwert geschmiedet werden kann,
Vor dessen Anblick du verschwinden musst.
Es ist das Reich, in dem die Menschenseelen
Sich aus Verstandeskräften Wissen bilden
Und dann zur Geistesweisheit umgestalten.
Und kann ich mir in diesem Augenblicke richtig
Das Wahrheittwort zum Schwerte schmieden,
So wirst du diesen Ort verlassen müssen.
So höre du, der Vater ist der Täuschung,
Ob ich vor dir die Siegeswahrheit spreche.
Es gibt im Erdenwerden solche Zeiten,
In welchen alte Kräfte langsam sterben
Und sterbend schon die neuen wachsen sehn.
In solcher Zeitenwende fanden ich
Und meine Freunde uns im Geist vereint.
Als sie die frühern Erdenleben suchten.
Es wirkten damals wahre Geistesmenschen,
Die sich zur Seelenbrüderschaft verbanden
Und aus der Mystik Reich sich Ziele holten.
In solchen Erdentagen werden Keime
In Menschenseelen sorgsam eingepflanzt,
Die lange Zeit zur vollen Reife brauchen.
Die Menschen müssen dann im nächsten Leben
Noch Eigenschaften aus dem frühern zeigen.
Es werden viele Männer solcher Zeiten
In einem nächsten Leben wieder Männer;
Und viele Frauen werden Frauen wieder.
Es ist dann auch die Zeitenlänge kürzer
Als jene, die sonst zwischen Leben liegt.
Es fehlet dir für solche Zeitenwenden

253

Der sichre Blick. Deshalb vermagst du nicht
Ihr Werden irrtumlos zu überschauen.
Gedenke, wie wir uns begegnet sind
Im Hause jener Geistesbrüderschaft:
Und du mit Worten sprachst, die mir den Selbstsinn
In tiefster Seele schmeichelnd lösen sollten.
Erinnerung für diese Zeit verleiht
Mir jetzt die Kraft, mich dir zu widersetzen.

(Ahriman entfernt sich mit einer unwilligen Gebärde. Donner.)

MARIA:
Er hat die Stätte so verlassen müssen,
Die Benedictus' Segen oft empfangen.
Mir aber hat sich herrlich offenbart,
Wie leicht der Irrtum Seelen kann befallen,
Die ohne Wachsamkeit dem Geistgehör
Sich öffnen und die sichren Wege meiden.
Es hat der Widersacher starke Kräfte,
Des Lebens Widersprüche zu betonen
Und so den Seelen Sicherheit zu rauben.
Er muss verstummen, wenn das Licht erscheint,
Das aus den Weisheitsquellen selber leuchtet
Und Geistesblicken Helligkeit verleiht.

(Vorhang fällt, während Maria noch im Zimmer ist.)

254

ZWÖLFTES BILD

Dasselbe Zimmer wie im vorigen Bild. Johannes und Lucifer.

LUCIFER:
Erkenne an Capesius die Früchte,
Die reifen müssen, wenn die Seelen sich
Dem Geistgebiet zu früh erschliessen wollen
Er kennt die Worte seines Lebensbuches
Und weiss, was ihm obliegt für viele Leben.
Doch Leid, das nicht im Schicksalsplane liegt,
Ersteht aus Wissen, dem die Kräfte fehlen
Zu Taten sich im Leben umzubilden.
Ob dieses oder jenes kann gelingen,
Das liegt an eines Menschen Willensreife.
Bei jedem Schritt, den er ins Leben macht,
Wird jetzt Capesius sich fragen müssen:
Erfülle ich auch jedes Pflichtgebot,
Das aus dem frühern Leben mir erwachsen?
So breitet sich ein Licht ihm über alles,
Das ihm das Auge schmerzlich blenden muss
Und das doch nimmermehr ihm helfen kann.
Es tötet Kräfte, die im Unbewussten
Der Menschenseele sichre Führer sind,
Und kann Besonnenheit doch nicht erhöhn.
So lähmt es nur des Leibes starke Macht,
Bevor die Seele sie bemeistern kann.

255

JOHANNES:
Ich kann den Irrtum meines Lebens schauen.
Ich raubte meinem Leib die Seelenkraft
Und trug sie stolz in hohe Geisterreiche.
Doch nicht ein ganzes Menschenwesen ward
Auf diesem Weg dem Lichte zugeführt.
Ein leichter Seelenschatten war es nur.
Er konnte schwärmen für die Geistesweiten
Und eins sich fühlen mit den Schöpfermächten.
Er wollte mit dem Lichte selig leben
Und in der Farbe Lichtes-Taten schauen.
Als Künstler meinte er das Geistessein
In Sinneswelten schaffend nachzubilden.
Das Wesen, das von mir die Züge lieh,
Es hat mir furchtbar wahr mich selbst gezeigt.
Ich träumte nur von reinster Seelenliebe,
Im Blute aber wühlte Leidenschaft. -
Ich durfte jetzt den Erdenweg erblicken,
Der dieses Lebens echter Schöpfer ist.
Er zeigt mir, wie ich wahrhaft streben muss.
Die Geisteswege, welche ich gewandelt,
Wie soll die Seele sie verfolgen können,
Die vor dem gegenwärt'gen Erdenpfad
In Thomas' Leibe ihre Hülle fand?
Wie er das Leben sich gestaltet hat,
Das muss mir jetzt das Ziel vor Augen stellen.
Erreichen wollte ich in diesem Dasein,
Was mir erst später wahrhaft fruchten kann.

LUCIFER:
Es muss mein Licht dich sicher weiterfuhren,
Wie du bis jetzt von ihm dich führen liessest.
Der Geistesweg, den du betreten hast:
Er kann den Geist der Höhenwelt vermählen,
Doch deiner Seele bringt er Finsternis.

256

JOHANNES:
Was hat ein Mensch erreicht, der seelenlos
Dem Geisterland sich überliefern muss!
Er ist am Ende seiner Erdenzeiten
Nur jenes Wesen wieder, das er war,
Als seine Menschenform im Urbeginn
Sich aus dem Weltenschosse lösen durfte.
Wenn ich den Trieben mich ergeben werde,
Die aus den unbewussten Seelentiefen
Nach Lebensinhalt machtvoll drängen,
Dann wirkt in mir das ganze Weltenall.
Ich weiss dann nicht, was mich zum Handeln treibt,
Doch ist's gewiss der Weltenwille selbst,
Der mich nach seinen Zielen vorwärtslenkt:
Und er muss wissen, was das Leben soll,
Auch wenn Erkenntnis ihn nicht fassen kann.
Was er im vollen Menschenwesen schafft,
Ist Lebensreichtum, der die Seele bildet.
Ich will mich ihm ergeben und nicht weiter
Durch eitles Geistesstreben ihn ertöten.

LUCIFER:
In diesem Weltenwillen wirke ich,
Wenn er durch Menschenseelen kraftvoll strömt.
Sie sind ein Glied an höhern Wesenheiten,
So lang sie mich nicht voll erleben konnten.
Ich mache sie zum wahren Menschen erst,
Der sich als Selbst ins Weltall fügen kann.

JOHANNES:
Seit lange glaubt' ich dich schon ganz zu kennen,
Doch lebte mir im Innern nur ein Schemen,
Den Geistesschau von dir mir vorgebildet.
Ich muss dich fühlen, muss dich wollend leben,
Dann kann ich künftig dich auch überwinden,
Wenn so mein Schicksalsplan es fügen will.

257

Das Geisteswissen, das ich früh erlangt,
Es ruhe mir fortan im Seelengrunde,
Bis meine Lebenstriebe selbst es wecken.
Vertrauensvoll ergeb' ich mich dem Willen.
Der weiser als die Menschenseele ist.

(Johannes geht mit Lucifet ab.)

258

DREIZEHNTES BILD


Der Sonnentempel; die verborgene Mysterienstätte der Hierophanten, Lucifer, Ahriman, die drei Seelengestalten. Strader, Benedictus, Theodosius, Romanus, Maria.

(Es treten zuerst Lucifer und Ahriman ein.)

LUCIFER:
Als Sieger steht vor dir der Wursschgebieter, -
Er hat die Seele sich erobern können,
Die auch im Licht der Geistessonne
Noch unserm Reich verwandt sich fühlen musste.
Ich konnte noch im rechten Augenblicke
Den Blick ihr blenden für den Lichtesschein,
Dem sie nur träumend sich ergeben hatte.
Doch alle Hoffnung muss mir wieder schwinden,
Dass uns der Sieg im Geistgebiet gelingen kann,
Da jetzt ich mich zum Kampfgenossen wende.
Du konntest dir die Seele nicht erobern,
Die unser Werk zum Ziele führen müsste. -
So kann ich nur für kurze Erdenzeiten
Die Menschenseele, die sich mir ergeben,
In unsren Reichen zwecklos mir erhalten
Und muss sie dann den Gegnern wiedergeben.
Zum vollen Siege ist die zweite nötig,
Die deinem Wirken sich entzogen hat.

AHRIMAN:
Ungünstig meinem Wirken ist die Zeit,
Ich finde keinen Zugang zu den Seelen.

259

Schon nahet Eine, die ich stark durchwühlte.
Noch ohne Geisteswissen ist sie hier,
Doch führt Verstandeszwang sie kräftig weiter.
So muss ich ihr an diesem Orte weichen,
Den sie bewusstlos nur betreten kann.
 
(Die drei Seelengestalten mit Strader.)

PHILIA:
Ich will erfüllen mich
Mit Glaubenslichtgewalt,
Ich will eratmen mir
Vertrauenslebekraft
Aus Seelenstrebenslust:
Dass den Geistesschläfer
Das Licht erwecken kann.

ASTRID:
Ich will verweben
Erhaltnes Offenbarungswort
Mit ergehner Seelenfreude.
Ich will verdichten
Die Hoffnungsstrahlen.
Es soll im Finstern leuchten,
Es soll im Lichte dämmern:
Dass den Geistesschläfer
Die Kräfte tragen können.

LUNA:
Ich will erwärmen Seelenlicht
Und will erhärten Liebekraft.
Sie sollen sich erkühnen,
Sie sollen sich erlösen
Und sich erhebend
Gewicht sich geben wollen:
Dass den Geistesschläfer
Verlassen Weltenlasten

260

Und ihn befreien kann
Der Seele Lichteslust.

(Es treten ein: Benedictus, Theodosius und Romanus.)

BENEDICTUS:
Berufen hab' ich euch, die ihr Gefährten
Mir seid im Suchen nach dem Geisteslicht,
Das zu den Menschenseelen strömen soll.
Ihr kennt der Seelensonne Wesenheit:
Sie leuchtet oft in vollster Mittagshelle
Und dringt in andern Zeiten dämmernd nur
In Seelentraumesnebel kraftlos ein.
Und oft muss sie den Finsternissen weichen.
Des Tempeldieners Geistesblick muss dringen
In Seelentiefen, welchen kraftvoll strahlet
Das Geisteslicht aus Weltenhöhenorten.
Er muss jedoch auch dunkle Ziele finden,
Die unbewusst in Seelenfinsternissen
Des Menschen Werdekräfte lenken wollen.
Die Geisteswesen, die der Menschenseele
Aus Weltenmächten Geistesnahrung spenden,
Sie sind im Weihetempel jetzt erschienen,
Zu lenken eines Mannes Seelenziel
Aus Geistesnacht ins Reich des Höhenlichts.
Er ist vom Wissensschlafe noch umfangen;
Doch schon erklangen ihm die Geistesrufe
In unbewussten Wesensuntergründen.
Was sie in seiner Seele Tiefen sprachen,
Wird bald zum Geistgehör auch dringen können.

THEODOSIUS:
Es konnte diese Seele sich bisher
Im Geisteslichte noch nicht wiederfinden,
Das durch die Sinnesoffenbarung strahlet
Und alles Erdenwerdens Sinn enthüllt.

261

Sie sah den Gottesgeist naturentbiösst
Und gottentfremdet, was natürlich ist.
So musste sie durch viele Erdenleben
Sich fremd dem Sinn des Daseins gegenüberstellcn
Und konnte stets nur solche Leibeshüllen
Zum Werkzeug ihres Eigenwesens finden,
Die sie von Welt und Menschenwesen trennten.
Sie wird im Tempel sich die Kraft erwerben,
Das fremde Sein als eignes zu empfinden,
Und so sich auch die Macht gewinnen können.
Die aus Gedankenlahyrinthen führt
Und nach den Lebensquellen Wege weist.

BENEDICTUS:
Ein andrer Mann erstrebt des Tempels Licht;
Er wird erst künftig unsren Pforten nahen
Und diesen Weiheort betreten wollen.
Er hat gepflanzt in ernstem Forscherleben
Des Denkens Keime in die Seelengründe.
So musste sie das Geisteslicht erreichen
Und ausserhalb des Tempels reifen lassen.
Er konnte schauen, wie sein Erdendasein
Als Folge eines andern sich erweist,
Das er in langvergangner Zeit erlebt.
Er ist sich nun der Fehler jenes Lebens
Und ihrer Wirkung vollbewusst geworden.
Ihm fehlt die Kraft, die Pflichten zu erfüllen,
Die er durch Selbsterkenntnis fühlen kann.

ROMANUS:
Capesius soll durch des Tempels Kraft
Erkennen, wie in Einem Erdenleben
Der Mensch mit Pflichten sich beladen muss,
Die erst durch viele Lebenspilgerfahrten
In vollem Masse sich erfüllen lassen.

262

So wird er furchtlos sich gestehen können,
Dass seine Seele alter Fehler Wirkung
Noch durch die Todespforte tragen muss.
Er wird als Sieger sich bewähren können
Im Kampfe, der die Geistespforten öffnet,
Wenn er dem Wächter kühn ins Auge schaut,
Der vor des Geisterlandes Schwelle steht.
Es wird ihm dieser Hüter offenbaren,
Dass niemand zu den Lebenshöhen kommt
Den furchtsam macht des Daseins Schicksalsbuch.
Er wird sich mutvoll zu der Einsicht wenden
Dass Selbsterkenntnis Schmerzen zeugen muss,
Für die sie selbst nicht Trostesworte kennt.
Es wird der Wille ihm Genosse werden,
Der mutig sich der Zukunft übergibt
Und, durch der Hoffnung Kräftequell gestärkt,
Erkenntnisschmerzen sich entgegenstellt.

BENEDICTUS:
Ihr, meine Brüder, habt in dieser Stunde,
Als unsres Tempels treu ergebne Diener,
Die Wege euch in Weisheit vorgezeichnet,
Auf welchen ihr die beiden Geistessucher
Zu ihrer Seelen Zielen führen könnt.
Noch andres Werk verlangr des Tempels Dienst.
Ihr seht den Wunschgebieter uns zur Seite;
Er durfte diese Weihestatt betreten,
Weil ihm Johannes' Seele öffnen konnte
Die Pforten, die ihm sonst verschlossen sind.
Der Bruder, dem wir unsre Weihe gaben,
Ihm fehlt in diesen Zeiten noch die Kraft,
Den Worten mutig Widerstand zu leisten,
Die aus den Finsternissen sich erschaffen.
Ihm werden gute Kräfte erst erstarken,

263

Wenn sie am Gegensatz sich recht empfinden.
So wird er bald in unstem Tempel wieder
Von Bruderliebe warm umfangen sein.
Doch muss sein Geistesschatz behütet werden,
Da er in Finsternisse tauchen will.
(Zu Lucifer sich wendend.)
An dich muss ich mich wenden, der nicht lange
Den Ort beherrschen darf, an dem er steht.
Es kann in dieser Zeit des Tempels Macht
Johannes' Seele dir noch nicht entreissen;
Doch wird sie künftig wieder unser sein,
Wenn unsrer Schwester Früchte reifen werden,
Die wir als Blüten schon erkennen können.
(Maria erscheint.)
Sie durfte im vergangnen Erdenleben
Erblicken, wie Johannes ihr verbunden.
Er folgte ihren Spuren schon in Tagen,
Da sie noch selbst sich widersetzen wollte
Dem Licht, dem sie nun voll ergeben ist.
Wenn Seelenbande sich so stark erweisen,
Dass sie des Geistes Wandlung überdauern,
Dann wird des Wunschgebieters Macht gewiss
An ihrer Festigkeit zerbrechen müssen.

LUCIFER:
Es musste Benedictus' eigner Wille
Johannes' und Marias Seelen trennen.
Und wo sich Menschen voneinander sondern,
Da ist für meine Macht das Feld bereitet.
Ich forsche stets nach Seelensondersein,
Um freies Erdensein für Ewigkeiten
Von aller Weltenknechtschaft zu erlösen.
Marias Wesen hat im Mönchgewande
Die Seele von dem Vater abgewandt,

264

Die jetzt Johannes' Leibesform belebt.
Auch dies hat mir die Keime zubereitet,
Die ich zur Reife sicher bringen kann.

MARIA (an Lucifer gewendet):
Es gibt im Menschenwesen Liebequellen,
Zu denen deine Macht nicht dringen kann.
Sie öffnen sich, wenn alte Lebensfehler,
Die unbewusst der Mensch auf sich geladen,
In spätern Erdenleben mit dem Geist
Geschaut und durch den freien Opferwillen
In Lebenstaten umgewandelt werden,
Die wahrem Menschenheile Früchte bringen.
Mir haben Schicksalsmächte schenken wollen
Den Blick, dem Vorzeittage sichtbar sind;
Und auch die Zeichen sind mir schon gegeben,
Die mich den Opferwillen lenken lehren,
Dass Heil erwachse jenen Menschenseelen,
Mit deren Lebensfäden sich die meinen
Im Erdenwerden stets verbinden müssen.
Ich sah in ihrem frühern Erdenleibe
Johannes' Seele sich vom Vater wenden
Und sah die Mächte, die mich selbst getrieben,
Den Sohn dem Vaterherzen zu entfremden.
So steht mir jetzt der Vater gegenüber,
Mich mahnend an die alte Lebensschuld.
Er spricht in jenen Weltenworten deutlich
Die sich in Lebenstaten Zeichen schaffen.
Was zwischen Sohn und Vater ich gestellt,
Erscheinen musst' es, nur in andrer Form
In diesem Leben, das Johannes' Seele
Der meinen wieder eng verbunden hat.
In jenen Schmerzen, die ich tragen musste,

265

Als ich Johannes von mir trennen sollte,
Erkenn' ich eigner Taten Schicksalsfolgen. -
Wenn meine Seele Treue halten kann
Dem Licht, das ihr die Geistesmächte spenden,
Wird sie sich Kräfte schaffen durch die Dienste,
Die sie Capesius vermag zu leisten
Auf seiner schweren Lebenspilgerfahrt.
Sie wird mit Kräften, die sie so erwirbt,
Gewiss Johannes' Stern auch dann erschauen,
Wenn er, von Wunschesfesseln abgelenkt,
Den Weg nicht wandelt, den das Licht bestrahlt.
Erkennen wird sie aus der Geistesschau,
Die sie geführt in ferne Erdentage,
Wie sie gestalten soll die Seelenbande
In dieser Zeit, so dass die Lebenskräfte,
Die aus der Dumpfheit sich bereitet haben,
Im Sinn des Menschenheiles weiter wirken.

BENEDICTUS:
Es formte sich in alten Erdentagen
Ein Knoten aus den Fäden,
Die Karma spinnt im Weltenwerden.
Ihm sind verwoben dreier Menschen Leben.
Es strahlet jetzt auf diesen Schicksalsknoten
Der Weihestätte hohes Geisteslicht.
An dich, Maria, muss ich mich jetzt wenden:
Von jenen Seelen bist nur du allein
In dieser Stunde an dem Opferorte.
Es möge dieses Licht in deinem Selbst
Die Kräfte heilerschaffend weiter wirken,
Die deine Lebensfäden einst den andern
Zum Lebensknoten fest verbunden haben.
Der Vater konnte in dem frühern Sein
Des Sohnes Herz nicht finden; doch jetzt wird

266

Der Geistessucher deines Freundes Selbst
Auf dessen Weg ins Geistesland begleiten.
Und dir erwächst die Pflicht, Johannes' Seele
Durch deine Kraft dem Lichte zu erhalten.
Wie du sie einst an dich gekettet hast,
So konnte sie dir nur in Dumpfheit folgen.
Du hast sie ihrer Freiheit überliefert,
Als sie im Wahn dir noch ergeben war.
Du sollst sie wiederfinden, da sie selbst
Sich ihre Eigenheit gewinnen will.
Wenn deine Seele Treue hält dem Licht,
Das dir des Geisteslandes Mächte spenden,
Dann wird Johannes' Seele nach der deinen
Auch in des Wunschgebieters Reichen dürsten
Und durch die Liebe, die sie dir verbindet,
Den Weg zum Höhenlichte wiederfinden.
Denn lebend dringt durch Licht und Finsternis
Ein Wesen, welches Geisteshöhen durfte
Aus eignen Seelentiefen wissend schauen.
Es hat geatmet aus den Weltenfernen
Die Luft, die für die Ewigkeit belebt - -
Und lebend alles Menschensein erhebt
Aus Seelengtünden zu den Sonnenhöhen. --

(Vorhang fällt.)

273

DER HÜTER DER SCHWELLE

SEELENVORGÄNGE
IN SZENISCHEN BILDERN
VON
RUDOLF STEINER


271

Personen, Gestalten und Vorgänge

Die geistigen und seelischen Vorgänge der Menschen, welche in dieser szenischen Bilderfolge «Der Hüter der Schwelle» gezeichnet sind, stellen eine Fortsetzung derjenigen dar, welche in den früher von mir erschienenen Lebensbildern «Die Pforte der Einweihung» und «Die Prüfung der Seele» erschienen sind. Sie bilden mit diesen ein Ganzes.

Im «Hüter der Schwelle» treten folgende Personen und Wesen auf:

I. Die Träger des geistigen Elements:
1. Benedictus Führer des Sonnentempels und Lehrer einer Anzahl von Personen, die im «Hüter der Schwelle' vorkommen. (Der Sonnentempel wird nur in der «Pforte der Einweihung» und in der «Prüfung der Seele' erwähnt.)
2. Hilarius Gottgetreu Großmeister eines Mystenbundes. (War in früherer Inkarnation in der «Prüfung der Seele» als Großmeister einer Geistesbruderschaft dargestellt.)
3. Johannes Thomasius Schüler des Benedictus
II. Die Träger des Elements der Hingabe:
4. Magnus Bellicosus genannt German («Pforte der Einweihung»), der Präzeptor des Mystenbundes.
5. Albert Torquatus genannt Theodosius (in der «Pforte der Einweihung»), Zeremonienmeister des Mystenbundes.
6. Professor Capesius
III. Die Träger des Willens-Elementes:
7. Friedrich Trautmann genannt Romanus (in der «Pforte der Einweihung»), Zeremonienmeister des Mystenbundes. (Wiederverkörperung des zweiten Zeremonienmeisters der Geistesbruderschaft in der «Prüfung der Seele».)
8. Theodora eine Seherin. (Bei ihr ist das Willens Element in naives Sehertum umgewandelt.)
9. Doktor Strader
IV. Die Träger des seelischen Elementes:
10. Maria Schülerin des Benedictus
11. Felix Balde
12. Frau Balde
V. Wesen aus der Geisteswelt:
Lucifer
Ahriman
VI. Wesen des Menschlichen Geisteselementes:
Der Doppelgänger des Thomasius
Die Seele der Theodora
Der Hüter der Schwelle
Philia Die geistigen Wesenheiten, welche die Verbindung der menschlichen Seelenkräfte mit dem Kosmos vermitteln
Astrid
Luna
Die andre Philia die geistige Wesenheit, welche die Verbindung der Seelenkräfte mit dem Kosmos hemmt; in "Der Seelen Erwachen" erweist sie sich als die Trägerin des Elementes der Liebe in der Welt, welcher die geistige Persönlichkeit angehört.
Die Stimme des Gewissens
Diese Geisteswesen sind nicht allegorisch oder symbolisch gemeint, sondern als Realitäten, die für Geisteserkenntnis vollkommen gleichgestellt sind physischen Personen.
1. Ferdinand Reinecke (6. Bauer)
2. Michael Edelmann (3. Bauer)
3. Bernhard Redlich (2. Bauer)
4. Franziska Demut (2. Bäuerin)
5. Maria Treufels (3. Bäuerin); tritt in "Der Seelen Erwachen" als Pflegerin des Doktor Strader auf.
6. Luise Fürchtegott (4. Bäuerin)
7. Friedrich Geist (4. Bauer); tritt in "Der Seelen Erwachen" als Sekretär des Hilarius Gottgetreu auf
8. Caspar Stürmer (1. Bauer)
9. Georg Wahrmund (5. Bauer)
10. Marie Kühne (1. Bäuerin)
11. Hermine Hauser (5. Bäuerin)
12. Katharina Ratsam (6. Bäuerin)
(Dies sind Wiederverkörperungen der 12 Bauern und Bäuerinnen der «Prüfung der Seele».)

Die Vorgänge des »Hüters der Schwelle» spielen sich etwa dreizehn Jahre nach denjenigen der «Pforte der Einweihung» ab. Die Art der Lebenswiederholung gegenüber dem «Hüter der Schwelle» darf nicht als allgemein gültiges Gesetz aufgefasst werden, sondern als etwas, das an einem Zeitenwendepunkt geschehen kann. Daher sind auch zum Beispiel die Vorgänge des achten Bildes zwischen Strader und den zwölf Personen nur für einen solchen Zeitpunkt möglich. Die geistigen Wesenheiten, welche im «Hüter der Schwelle» spielen, sind durchaus nicht allegorisch oder symbolisch gedacht; derjenige, welcher eine geistige Welt als wirklich erkennt, darf wohl dse Wesen, die ihm dort so gelten wie die physischen Menschen in der Sinnenwelt, ebenso wie diese darstellen. Wer diese Wesen für Allegorien oder Symbole hält, der verkennt die ganze Art der im «Hüter der Schwelle» gegebenen Vorgänge. Dass Geistwesen nicht menschliche Gestalt haben, wie sie in der Bühnendarstellung haben müssen, ist ja selbstverständlich. Hielte der Schreiber dieser »Seelenvorgänge in szenischen Bildern» diese Wesen für Allegorien, so würde er sie nicht so darstellen, wie er es tut. Die Gliederung der Personen in Gruppen (3 X 4) ist nicht gesucht oder der Darstellung zugrunde gelegt; sie ergibt sich - für das Denken nachträglich - aus den Vorgängen, die ganz für sich konzipiert sind und welche eine solche Gliederung von selbst gestalten. Sie ursprünglich zugrunde zu legen, wäre dem Verfasser nie eingefallen. Sie hier als Ergebnis anzuführen, kann erlaubt sein.

275

ERSTES BILD

Ein Saal in indigoblauem Grundton. Er ist als Vorsaal gedacht zu den Räumen, in denen ein Mystenbund seinen Arbeiten obliegt. In freier Unterredung sind zwölf Personen anwesend, welche in der einen oder andern Art an den Bestrebungen des Mystenbundes Interesse nehmen. Ausserdem: Felix Balde und Doktor Strader. Die Bilder stellen Ereignisse dar, welche etwa dreizehn Jahre nach der Zeit liegen, in welcher die «Pforte der Einweihung» spielt.

FERDINAND REINECKE:
Es ist ein sonderbarer Ruf fürwahr,
Der uns in dieser Stunde hier vereint.
Er geht von Menschen aus, die, stets getrennt
Von allen andern Erdenkindern, sich
Besondrer Geistesziele würdig glauben.
Doch jetzt soll deutlich sich im Weltenplane
Für ihre Geistesaugen schauen lassen,
Dass sie mit Menschen sich verbinden müssen,
Die ohne Weihe ihres Geistestempels
Den Lebenskampf durch eigne Kräfte führen.
Mich zog es nie zu solcher Geistesart,
Die zum Geheimnis ihre Zuflucht nimmt.
Ich möchte an gesundes Denken nur
Und an gemeinen Menschensinn mich halten.
Es wird der Geistesbund, der jetzt uns ruft,
Zu Eingeweihten seiner höchsten Ziele
Durch diesen Ruf uns nicht erheben wollen.
Er wird in mystisch dunklen Wortgebilden

276

In seines Tempels Aussenraum uns halten
Und unsre Kräfte nur als Volkesstimme
Zur Stärkung seines Wollens klug gebrauchen.
So sollen wir bloss blinde Helfer werden
Den Menschen, die herab von Geisteshöhen
Auf uns mit Führermiene blicken wollen.
Sie würden uns als reif nicht gelten lassen,
Um einen Schritt auch nur zu tun, der uns
Zu ihres Weihetempels wahren Schätzen
Und ihrem Geisteslichte führen könnte.
Betrachte ich des Bundes wahres Wesen,
Erscheint mir Hochmut nur und Geistestrug
Im Demutkleid und im Prophetenmantel.
Am besten wär' es wohl, zu meiden alles,
Was hier als Weisheit sich ns gehen will.
Auf dass jedoch der Schein vermieden werde,
Als ob wir ohne Prüfung widerstrebten
Dem Werk, das man so hoch zu preisen weiss.
So möchte ich euch raten, erst zu hören,
Was dieser Weisheitsträger Absicht ist,
Und dann zu folgen rechtem Menschensinn.
Wer solchen Sinn in sich zum Führer wählt,
Er wird der Lockung nicht verfallen können,
Die aus dem Mystagogentempel kommt.

MICHAEL EDELMANN:
Welch Geistesschatz den Menschen anvertraut,
Die jetzt die Brücke zu uns finden wollen,
Ich weiss es nicht, ich ahn' es nicht einmal.
Doch kenne ich gar manchen edlen Mann,
Der sich zu diesem Geistesbunde zählt.
Sie halten streng geheim den Wissensquell,
Der ihren Seelen offenbar soll sein;

277

Doch ihre Taten und ihr Leben künden,
Dass gut der Quell muss sein, aus dem sie schöpfen.
Und alles, was aus ihren Kreisen stammt,
Es trägt der wahren Liebe Wesenszüge.
So wird auch gut wohl sein, was sie bewog,
Zu ganz besondrem Werke sich zu schliessen
An Menschen, welchen Mystenwege fremd,
Vertraut jedoch der Seele Wahrheitstriebe
Und echten Geisteslebens Ziele sind.

BERNHARD REDLICH:
Es scheint mir Vorsicht hier die nächste Pflicht.
Die Mysten finden wohl die Zeiten nahe,
Die ihrer Herrschaft Ende bringen müssen.
Es wird Vernunft in Zukunft wenig fragen,
Wie Weihetempel über Wahrheit schwärmen.
Wenn Ziele solcher Art der Bund uns nennt,
Die klug erscheinen allgemeinem Denken,
So ist's vernünftig, sich an ihn zu schliessen.
Doch ist's an ihm, der Mystik Kleid zu meiden,
Wenn er die Pforte überschreiten will,
Die seine Stätte von der andern Welt
Wie ein erhabnes Lichtgebiet verschliesst.
Denn dieser Welt wird wenig nur bedeuten,
Was seine Diener vor sich selber gelten.
Sie werden höher nicht geachtet werden,
Als allgemeinem Urteil sie erscheinen.

FRANZISKA DEMUT:
So manches, was ich hier vernehmen muss,
Es klingt wie jener Menschen Worte mir,
Die blind sind für das wahre Geisteslicht,
Das lange schon die edlen Weisheitsstrahlen

278

Aus Weiheorten in die Aussenwelt
Zum Trost und Heil der Seelen strömen liess.
Nur wer von diesem Licht sein Herz erleuchten
Und seine Seele warm durchdringen liess,
Nur der erkennt der Stunde rechten Wert.
Sie soll eröffnen ernster Mystik Reich
Auch solchen Menschen, die zu schwach sich fühlen,
Das Geisteslicht nach schwerer Seelenprüfung
In hohen Weiheorten zu empfangen.

MARIA TREUFELS:
Dass jetzt so manches sich wird wandeln müssen
In Seelen, die zu folgen sind bestrebt
Der Führung in des Menschen Erdenlauf,
Das offenbaren viele sichre Zeichen.
Doch wenig spricht dafür, dass Mystenwege
Zu jenen Zielen führen können,
Die Menschenseelen starke Kräfte bringen.
Mich dünkt, dass unsre Zeiten Führer heischen,
Die im Gebrauch naturgemässer Kräfte
Genie mit Fertigkeit vereinen können
Und die also am Erdenwerke schaffend
Sich selbst im Weltenwesen zweckvoll fühlen.
Dass sie im Mutterboden echter Wirklichkeit
Die Wurzeln suchen auch für Geisteswerke,
Wird solche Menschen fern von Schwärmerei
Den Weg des Menschenheiles wandeln lassen.
Von solcher Meinung mich durchdrungen fühlend,
Erkenne ich in Doktor Straders Wesen
Die Kräfte, die zur Seelenführerschaft
Sich besser wahrlich als die Mysten eignen.
Wie lange hat man schmerzlich fühlen müssen,
Dass durch der Technik wunderbares Schaffen

279

Dem freien Geistestrieb der Menschenseele
So manche Fessel aufgezwungen wurde.
Doch jetzt eröffnet eine Hoffnung sich,
Von der vor kurzem niemand träumen konnte.
In Straders Arbeitsstätte finden sich
Im Kleinen schon die Wunderwerke wirksam,
Die bald im Grossen alle Technik umgestalten
Und sie von jener Schwere lösen werden,
Die heute noch auf viele Seelen drückt.

STRADER:
Es ward soeben hoffnungsvoll gesprochen
Von jenem Werk, das mir gelungen scheint.
Zwar muss es noch die Brücke überschreiten,
Die vom Versuch zur Lebenspraxis führt,
Doch kann des Kenners Blick bis jetzt nur finden,
Dass alles technisch möglich sich erweist.
Es möge hier dem Finder dieses Werkes
Gestattet sein, die Meinung frei zu sagen,
Die er von seiner Leistung hegt.
Verziehen mögen ihm die Worte sein,
Die unbescheiden manchem scheinen werden,
Und die doch nur Gefühle schildern wollen,
Aus welchen Kräfte ihm zum Werke flossen.
Es zeigt sich in des Menschen Erdenlauf,
Dass alles Wirken von Gefühl und Seele
Sich löst und seelenlosem Sein verfällt,
Je mehr der Geist die Kräfte meistern lernt,
Die er im Sinnenreiche finden kann.
Mechanisch fliesst mit jedem Tage mehr
Die Arbeit hin, die Lebenswerte schafft,
Und mit der Arbeit auch das Leben selbst.
Man hat gar vieles sorgsam wohl erdacht,
Was wahrhaft wirksam sich erweisen könnte,

280

Dass kalter Technik Art und Arbeitsform
Nicht lähmend für des Menschen Seelenleben
Und für die wahren Geistesziele werden.
Nur wenig ward erreicht durch dieses Streben,
Dem nur die eine Frage wichtig schien,
Wie Menschen sich zu Menschen stellen sollen.
Auch ich verbrachte manche ernste Stunde
Mit Sinnen über dieses LebensrätseL
Doch fand ich stets, dass meines Sinnens Frucht
Von wahren Lebenswerten nichts enthielt.
Schon nahe fühlt' ich mich der bittern Meinung,
Es sei im Weltenschicksal vorbestimmt,
Dass sich der Siegeszug im Stoffgebiet
Der Geistentfaltung feindlich zeigen müsse.
Es brachte, was ein Zufall scheinen könnte,
Mir aus des Denkens Wirrnis die Erlösung.
Als ich Versuche anzustellen hatte,
Die solchen Fragen wahrlich ferne lagen,
Entrangen sich ganz plötzlich meiner Seele
Gedanken, die den rechten Weg mir wiesen.
Es reihte dann Versuch sich an Versuch,
Bis endlich der Zusammenklang von Kräften
Auf meinem Arheitstische sich ergab,
Der einst in seiner vollen Ausgestaltung
Rein technisch jene Freiheit bringen wird,
In welcher Seelen sich entfalten können.
Nicht weiter wird man Menschen zwingen müssen,
In enger Arbeitsstätte würdelos
Ihr Dasein pflanzenähnlich zu verträumen.
Man wird der Technik Kräfte so verteilen,
Dass jeder Mensch behaglich nutzen kann,
Was er zu seiner Arbeit nötig hat
Im eignen Heim, das er nach sich gestaltet.

281

Ich musste erst von dieser Hoffnung reden,
Um nicht ganz unbegründet vorzubringen,
Was ich zu jenem Ruf zu sagen habe,
Den jetzt des Rosenkreuzes Bruderschaft
An Menschen ausser ihrem Kreise richtet.
Wenn Menschenseelen sich erst voll entfaken
Und in dem eignen Wesen finden können,
Dann werden jene Triebe herrlich wirken,
Die Geist zum Geiste ewig streben lassen.
Drum zeigt nur der ein rechtes Denken jetzt,
Der anerkennen will, wie jener Ruf
Den Zeichen wohl entspricht, die wir vernehmen.
Die Geistesbrüder wollen hohe Schätze
In Zukunft allen Menschen frei gewähren,
Weil alle Menschen sie verlangen müssen.

FELIX BALDE:
Die Worte, welche eben hier gesprochen,
Sie haben einer Seele sich entrungen,
Die unsre Zeit mit wahren Lebenswerten
Im Reich des Sinnenseins beschenken durfte.
Es kann auf diesem Felde sich wohl niemand
Mit Doktor Strader heute messen wollen.
Nun hab' ich selbst auf völlig andren Wegen
Gefunden, was der Seele nötig ist.
Drum wolle man auch mir ein Wort verstatten.
Mich hat das &hicksal deutlich hingewiesen,
Die Schätze aufzusuchen, die dem Menschen
Im Innern seiner Seele sich erschliessen.
Und dort schien mir das Weisheitslicht zu finden,
Das Lebenswerte recht beleuchten kann.
Der Mystik Schülerschaft ward mir geschenkt
In Einsamkeit und durch Beschaulichkeit.
Und lernen konnte ich auf solchem Wege,

282

Wie alles, was den Menschen jetzt zum Herrscher
Im Kräftereich der Sinne machen will,
Doch nur zum blinden Wesen ihn gestaltet,
Das seine Bahn durch Finsternisse nimmt.
Und auch die Wissensschätze, die dem Stoffe
Durch Sinnes- und Vernunftgebrauch entbunden,
Sie sind ein Tasten nur in dunklen Reichen.
Ich weiss, wie Mystenpfade nur allein
Zum wahren Lebenslichte führen können.
Ich selber stand auf solchen Wahrheitswegen
Als Mensch, der ohne fremde Hilfe strebte;
Doch ist dies nicht der ganzen Menschheit möglich.
Das Sinneswissen und Verstandesdenken.
Sie gleichen einenri Leibe wahrlich nur,
Der ohne Seeleninhalt bleiben muss,
Wenn er sich trotzend widersetzen will
Dem Licht, das seit dem Erdenurbeginn
In Weihestätten wahrer Mystik strahlet.
Drum sollte liebevoll ergriffen werden
Die Hand, die jetzt sich aus dem Tempel bietet,
An dessen Schwelle helle Lichtesrosen
Bedeutungsvoll des Todes Sinnbild zieren.

LUISE FÜRCHTEGOTT:
Ein Mensch, der seiner Seele Würde fühlt.
Der kann das eigne Urteil nur berufen,
Wenn er von Geist und Geisteswelten wissen
Und sich in ihnen wahrhaft finden will.
Sich selbst verlieren muss, wer äussrer Führung
In blindem Glauben sich ergeben kann.
Ja selbst das Licht, das man im eignen Innern
Als Kraft der höhern Weisheit fühlen möchte,
Verdient des Geistes Anerkennung nur,

283

Wenn seine Wahrheit sich beweisen lässt.
Gefährlich kann das Licht dem Menschen werden
Wenn er beweislos ihm sich neigen will.
Denn allzuoft erscheint auf diesem Wege
Der Seele nur als Bild des Weltengrundes,
Was ihrem unbewussten Wunsch entspringt.

FRIEDRICH GEIST:
Es sollte jeder Mensch den Trieb verspüren,
Der Mysten Wege wirklich zu verstehn.
Mir scheint, dass Wahn statt Wahrheit finden muss,
Wer schon, bevor er strebt, des Strebens Ziel
In seiner Seele vorgebildet hat.
Vom Mysten aber wird gesagt, dass er
Zu seinem Wahrheitsziele sich verhält
Wie Menschen, welche eines Fernblicks Schönheit
Von eines Berges Gipfel schauen wollen.
Sie warten, bis sie oben angelangt,
Und malen sich nicht vorher schon das Bild,
Zu dem sie ihre Wandrung führen soll.

FERDINAND REINECKE:
In dieser Stunde wollen wir nicht fragen,
Wie sich der Mensch zur Wahrheit stellen soll.
Die Bundesbrüder werden ganz gewiss
Von uns nicht solche Dinge hören wollen.
Es ist ja schon zu meinem Ohr gedrungen,
Dass ein Ereignis ganz besondrer Art
Den Bund gezwungen hat, an uns zu denken.
Thomasius, der schon vor vielen Jahren
In einer Geistesströmung sich befand,
Die Mystenzielen sich ergeben hatte,
Er hat verstanden, solche Wissensformen,

284

Zu welchen unsre Zeit Vertrauen hat,
Als Mantel umzuhängen jener Weisheit,
Die Eingeweihten sich erschliessen soll.
Durch diesen Vorgang ist es ihm gelungen,
In weiten Kreisen Beifall zu erzwingen
Für Schriften, die den Schein der Logik borgen
Und doch nur Mystenschwärmerei enthalten.
Selbst Forscher, die als ernst uns gelten müssen,
Begeistern für des Mannes Botschaft sich
Und tragen so zu seinem Ruhme bei,
Den man gefährlich wachsen sehen muss.
Die Eingeweihten fürchten diese Wirkung,
Da sie die Meinung doch zerstören muss,
Nur ihnen sei die Weisheit übergeben.
Deshalb erstreben sie, in Schutz zu nehmen,
Was durch Thomasius verbreitet wird.
Erwecken wollen sie den Schein, als ob
Seit langen Zeiten sie vorher gewusst,
Dass diese Botschaft jetzt der Welt erscheinen
Und ihrem Werke planvoll dienen müsse.
Gelingt es ihnen, uns in dieser Stunde
Jn ihre Kreise listig einzufangen,
So werden sie der Welt wohl offenbaren,
Es sei Thomasius mit seiner Botschaft
Von Schicksalsmächten weise ausgesandt,
Dass auch gemeinem Menschensinn der Glaube
An ihre Weltbedeutung kommen müsse.

CASPAR STÜRMER:
Dass diese Mystenschule immer noch
So kühn die Menschenführung fordern will,
Es zeigt, wie wenig Achtung sie empfindet
Vor allem, was gesunder Menschensinn

285

Dem wahren Menschenheil erobern konnte,
Seit als bewiesen gelten kann, dass rein mechanisch
Natur und Seele zu erklären sind.
Und recht bedrückend ist es freiem Denken,
Dass ein so heller Kopf wie Doktor Strader
Dem Mystenwahn geneigt sich zeigen kann.
Wer so den Kräftemechanismus meistert,
Der sollte doch der Einsicht nicht ermangeln,
Wie nötig auch der Seelenwissenschaft
Vernichtung aller Mystik sich erweist.
Er sollte an der falschen Wissenschaft,
Die jetzt Thomasius der Welt verkündet,
Ersehen, wie der grösste Scharfsinn selbst
Der wilden Phantasie sich fügen kann,
Sobald er jenem Wahn zum Opfer fällt.
Wenn statt durch Mystenkunst Thomasius
Durch strenge Zucht naturgemässen Denkens
Sich für sein Schaffen vorbereitet hätte,
Es wäre ihm gewiss durch seine Gaben
Manch edle Wissensfrucht herangereift.
Auf seinem Wege aber konnte nur
Verhängnisvoller Irrtum sich entfalten.
Dem Geistesbunde kann ein solcher Irrtum
Für seine Ziele wohl recht nützlich dünken.
Er findet Anerkennung durch den Schein,
Als habe Wissenschaft nun streng bewiesen,
Was Menschenseelen als Erkenntnis träumen.

GEORG WAHRMUND:
Wenn jemand solche Worte sprechen kann,
Wie man sie eben schmerzlich hören musste,
So zeigt sich deutlich, wie gering entwickelt
In unsrer Zeit noch jene Einsicht ist,

286

Die aus dem Gang des Geisteslebens fliesst.
Man wende doch den Blick zur Vorzeit hin
Und prüfe, was in Menschenseelen lebte,
Bevor die Wissenschaft, die jetzt erblüht,
Auch nur als Keim sich offenbaren konnte.
Man wird dann finden, dass der Mystenbund
In dieser Stunde eine Tat vollbringt,
Die vorgezeichnet ist im Weltenplane.
Erwarten musste man das grosse Werk,
Das jetzt Thomasius gelungen ist.
Der Weg ist neu, auf dem das Geisteslicht
In ihm der Menschenseele leuchten soll.
Doch wirkte dieses Licht in allem schon,
Was Menschen je auf Erden schaffen durften.
Wo aber war die Quelle dieses Lichtes,
Das unbewusst den Seelen leuchten konnte?
Es weisen alle Zeichen auf die Mystik,
Die in den Weiheorten heimisch war,
Bevor Vernunft die Menschen lenken durfte.
Der Geistesbund, der üns berufen hat,
Er will der Mystik Licht erstrahlen lassen
Auf jenes Werk, das aus dem Menschendenken
Die Geist-Erkenntnis kühn erstreben will.
Und wir, die jetzt an diesem Weiheorte
In schicksalsschwerer Stunde weilen dürfen,
Wir sollen als die ersten Ungeweihten
Den Gottesfunken überspringen sehen
Von Geisteshöhen zu den Seelentiefen.

MARIE KÜHNE:
Thomasius bedarf des Schutzes nicht,
Der ihm vom Rosenkreuze zugedacht,
Wenn er in wissenschaftlich ernster Art

287

Den Seelenweg durch viele Erdenleben
Und durch die Geistgebiete zeichnen kann.
Durch diese Tat ist jenes Höhenlicht,
Zu dem die Mystentempel führen sollen,
Auch jenen Menschen offenbar geworden,
Die solcher Orte Schwelle meiden müssen.
Thomasius gebührt die Anerkennung,
Die er so reichlich schon gefunden hat,
Weil er dem Denken jene Freiheit gab,
Die Mystenschulen ihm verwehren wollen.

HERMINE HAUSER:
Die Rosenkreuzer werden künftig nur
Im Menschenangedenken leben können.
Was sie in diesem Augenblicke rufen,
Das wird des Tempels Gründe untergraben,
Wenn es der eignen Kraft bewusst sich wird.
Sie wollen mit Vernunft und Wissenschaft
Die Weihestätten künftig kühn vereinen.
Drum wird Thomasius, dem sie so willig
In dieser Stunde ihren Tempel öffnen,
Der Nachwelt als ihr Überwinder gelten.

STRADER:
Ich bin getadelt worden, weil ich meine,
Der handle gut, der sich bereit erklärt,
Gemeinsam mit dem Mystenbund das Werk,
Das durch Thomasius vollbracht, zu fördern.
Bedrückend fand ein Redner meine Ansicht,
Da ich doch wissen müsse, wie gefährlich
Die Mystik wahrer Seelenforschung ist.
Ich fühlte aber diese Geistesart
Verständlich oft am besten, wenn ich ganz
Dem Wesen mich ergab, das mich verband

288

Mit Mechanismen, die ich selber schuf.
Die Art, wie ich zu meinen Werken stand,
Sie zeigte mir der Weiheorte Wesen.
Und während meiner Arbeit dacht' ich oft:
Was kann ich einem Menschen sein, der nur
Versucht zu wissen, wie die Kräfte wirken,
Die ich dem Mechanismus eingepflanzt?
Und was dageßen bin ich einer Seele,
Der ich mein Innres liebend öffnen darf?
Gedanken solcher Art verdanke ich,
Dass mir die Lehren, die von Mysten stammen,
Ihr wahres Wesen offenbaren konnten;
So weiss ich, ohne eingeweiht zu sein,
Dass in den Weiheorten Götterseelen
Den Menschenseelen liebend sich erschliessen.

KATHARINA RATSAM:
Die edlen Worte, welche Doktor Strader
Soeben über Weiheorte sprach,
Sie müssen Beifall auch bei Seelen finden,
Die zwar der Pforte ferne bleiben mussten,
Durch welche Eingeweihte schreiten dürfen,
Die aber doch vertraut geworden sind
Mit dem, was diese Eingeweihten lehren.
Dass unsre Väter sich dem Glauben neigten,
Die Mysten seien wahren Lichtes Feinde,
Ist zu verstehn. Es war ja ihrer Seele
Verwehrt, auch nur zu ahnen, was die Tempel
Geheimnisvoll in ihrem Innern bargen.
So ist es heute nicht. Die Mysten halten
Ihr Licht nicht ganz verschlossen: sie verkünden
Der Welt, was Ungeweihte wissen dürfen.
Und viele Seelen, welche dieses Licht

289

Empfangen und in sich belebt schon haben,
Sie fühlten dies Erlebnis als Erwachen
Der Seelenkräfte, die vorher von Schlaf
Umfangen unbewusst im Innern wirkten.
(Man hört dreimal klopfen.)

FELIX BALDE:
Schon nahen uns die Herren dieses Ortes;
Ihr werdet ihre Worte hören dürfen.
Nur jene Seelen werden sie jedoch
Verstehen und in sich als Licht empfinden,
Die nicht vom Vorurteil sich blenden lassen.
Die Kraft der Eingeweihten wird gewaltig
Sich jetzt bezeugen, wü sie guten Willen
Und Herzen findet, die bereit sich zeigen,
Den Wahn zu opfern, wenn die Wahrheit strahlt;
Doch wird sie wirkungslos sich dort erweisen,
Wo sich der Wille schon im Wahn verhärtet
Und so den Wahrheitssinn ertötet hat.

FERDINAND REINECKE:
Es mag der Mensch, wenn er durch Selbstbesinnung
In seinem Innern sich erkennen will,
Ein solches Wort sich vor die Seele stellen.
Doch beim Erscheinen dieses Mystenbundes
Ist's besser wohl, man hält sich an Berichte,
Die über solche Geistesbruderschaften
Geschichtlich glaubhaft überliefert sind.
Und diese zeigen, wie gar viele Menschen
Sich in die Weihetempel locken liessen,
Wenn ihnen mit geheimnisvollen Worten
Verkündet wurde, dass in diesen Tempeln
Die Seele von den niedern Weisheitsgraden
Zu höhern stufenweise sich erhebe

290

Und so zuletzt die Geistesschau erhalte.
Wer solcher Leckung folgte, der erfuhr,
Dass er in niedern Graden Zeichen sehen
Und über deren Inhalt denken dürfe.
Er konnte hoffen, dass die höhern Grade
Der Zeichen Deutung und damit die Weisheit
Enthüllen würden. Doch erkannte er
In diesen höhern Graden, dass die Meister
Gar wenig über diese Zeichen wussten,
Und dass sie über Welt und Leben nur
Bedeutungslose Worte offenbarten.
Wenn er durch diese Worte nicht betäubt
Und nicht der Eitelkeit verfallen war,
So wandte er sich von dem Treiben ab.
In dieser Stunde ist's vielleicht doch gut,
Nicht nur Erbauungsworte, sondern auch
Geschichtsberichte willig anzuhören.
(Man hört nochmals dreimal klopfen.)

(Es tritt der Grossmeister des Mystenbundes, Hilarius Gottgetreu, ein. Ihm folgen: Magnus Bellicosus, der zweite Präzeptor, Albert Torquat'ss, der erste Zeremonienmeister, und Friedrich Trautmann, der zweite Zeremonienmeister. Die vorher versammelten Personen treten auseinander und gruppieren sich zu beiden Seiten des Saales.)

FRIEDRICH TRAUTMANN, der 2. Zeremonienmeister:
Ihr lieben Freunde, dieser Augenblick,
Der euch zum erstenmal mit uns vereint
An unsres Tempels uralt heil'ger Pforte:
Er ist bedeutungsvoll für euch und uns.
Und dass wir unsern Ruf an euch gerichtet,
Ward durch die Zeichen streng uns auferlegt,
Die unser hoher Meister schauen konnte
Im weisheitsvollen Plan des Erdgeschehens.

291

Es ist in diesem deutlich vorgezeichnet,
Dass sich in dieser Zeit verbinden müsse
Der Weihetempel heil'ger Weisheitsdienst
Mit allgemeinem Menschensinn, der fern
Von Mystenpfaden nach der Wahrheit sucht.
Doch sagten auch des Weltenpianes Zeichen,
Dass, ehe dieses sich vollziehen könne,
Ein Mensch erst kommen müsse, der das Wissen,
Das auf Vernunft und Sinn allein gegründet,
In solche Formen bringet, die vermögend sind,
Die Geisteswelten wirklich zu begreifen.
Dies ist geschehen. Thomasius vermochte
Der Wissenschaft, die unsre Zeit verlangt,
Ein Werk zu liefern, das in ihrer Sprache
Beweise für die Geisteswerte bringt,
Die man bisher auf Mystenpfaden nur
Und in den Weihetempeln finden konnte.
Dies Werk, es soll das feste Band nun werden,
Das euch mit uns im Geistesleben bindet.
Ihr werdet durch dies Werk erfahren können,
Wie gut begründet unsre Lehren sind.
Und dies wird euch die Kraft verleihn, von uns
Auch jenes Wissen willig hinzunehmen,
Das sich auf Mystenpfaden nur erschliesst.
So kann lebendig fruchtbar sich entfalten
Das Leben, das den allgemeinen Sinn
Mit Weihesitten schön zusammenschliesst.

MAGNUS BELLICOSUS, der 2. Präzeptor:
Des Bruders Worte durften euch verkünden,
Dass ernste Weltenzeichen uns bewogen,
An unsres Tempels Schwelle euch zu rufen.
Der Meister wird sogleich durch seine Worte

292

Des Rufes Sinn noch tiefer euch begründen.
Doch mir obliegt, soviel als nötig scheint,
Von jenem grossen Manne noch zu reden,
Durch dessen Werk wir hier vereint uns finden.
Es war Thomasius der Malerei
Ergeben, ehe er zur Wissenschaft
Durch inmen Geistesruf gedrängt sich fühlte.
Er konnte im Gebiete seiner Kunst
Die grossen Gaben, die ihm eigen waren,
Entfalten erst, als er in Kreise trat,
Die wahrer Mystik sich ergeben hatten,
Und die ihn zu dem hohen Meister führten,
Der ihrn des Geistesschauens erste Schritte
Im Sinne wahrer Weisheit zeigen konnte.
Er malte dann, in Geisteshöhn getragen
Und in den Schöpfermächten sich erlebend,
Die Bilder, die wie Wesen wirken konnten.
Was jeden andern Künstler wohl getrieben hätte,
Auf dem betretnen Felde höchste Ziele,
Sich klug begrenzend, kräftig anzustreben,
Ihrn war es Anlass nur, erworbnes Können
In solcher Art zu nutzen, die am besten
Dem Menschenheile sich erweisen würde.
Es ward ihm klar, dass Geisteswissenschaft
Nur wahrhaft gut begründet werden könne,
Wenn Sinn für Wissenschaft und strenges Denken
Durch Künstlergeist von steifer Formensucht
Befreit und innerlich erkraftet werde
Zum wahren weltverwandten Sein-Erleben.
So hat Thomasius das Künstlerschaffen,
Das seinem Wesen hätte dienen können,
Dem Geist der Menschheit willig hingeopfert.
Erkennt, o Freunde, dieses Mannes Wesen,

293

Und ihr versteht den Ruf des Mystenbundes
Und werdet nicht mehr zögern, ihm zu folgen.

HILARIUS GOTTGETREU, der Grossmeister:
In jenes Geistes Namen, der den Seelen
In unserm Weiheorte sich verkündet,
Erscheinen wir in diesem Augenblicke
Vor Menschen, die bis jetzt nicht hören durften
Das Wort, das hier geheimnisvoll erklingt.
Nicht allen Menschen konnten jene Mächte,
Die unsres Erdenwerdens Ziele lenken,
Im Urbeginn sich lichtvoll offenbaren.
Denn wie im Kinderleibe erst allmählich
Die Kräfte reifen müssen und erstarken,
Die zu des Wissens Trägern sind bestimmt,
So musste sich als Ganzes auch entfalten
Das Menschentum in seinem Erdenlauf.
In Dumpfheit lebten erst die Seelentriebe,
Die später würdig sich erweisen sollten,
Aus hohen Welten Geisteslicht zu schauen.
Doch wurden als der Menschen weise Führer
Im Erdbeginn erhabne Geisteswesen
Aus höhren Daseinsreichen abgesandt.
Sie pflegten in der Mystik Weihestätten
Die Geisteskräfte, die geheimnisvoll
In Seelen sich ergossen, welche nichts
Von ihren hohen Führern wissen konnten.
Und später konnten aus der Menschen Reihen
Die weisen Meister sich die Schüler holen,
Die durch entsagungsvolles Prüfungsleben
Sich reif erwiesen, eingeweiht zu werden
In Mystenziele und in Weisheitslehren.
Und als der ersten Meister Schüler später

294

Das edle Gut in Würde pflegen konnten,
Da wandten die erhabnen Lehrer sich
Zurück zu ihren eignen Lebenswelten.
Die Götterschüler wählten sich dann Menschen,
Die ihnen folgen durften in der Pflege
Des Geistesschatzes; und so ging es weiter
Von einem Menschheitsalter hin zum andern.
Es sind bis jetzt ja alle Mystenschulen,
Die dies in Wahrheit sind, gerecht entsprungen
Der ersten, die von höhern Geistern stammt.
In Demut pflegen wir an diesem Orte,
Was uns von unsern Vätern übertragen.
Wir werden niemals von Verdiensten sprechen,
Die unsre Amtet uns erwerben liessen;
Allein von Gnade hoher Geistesmächte,
Die schwache Menschen sich zu Mittlern wählen
Und ihnen jene Schätze anvertrauen,
Die in der Seele Geisteslicht entbinden.
Zu diesen Schätzen euch, geliebte Freunde,
Den Zugang zu eröffnen, ist an uns
In dieser Zeit; die Zeichen sind fürwahr
Verheissungsvoll, die sich im Weltenplane
Dem Geistesauge deutlich offenbaren.

FERDINAND REINECKE:
Ihr holt aus fernen Welten eure Gründe,
Die uns beweisen sollen, dass wir uns
Mit euch verbinden und dadurch dem Werke,
Das von Thomasius der Welt geschenkt,
Die rechte Wirkung erst verleihen sollen.
Wie schön auch klingen mag, was ihr gesprochen,
Es kann in schlichten Menschenherzen nicht
Die Meinung übertönen, dass dies Werk

295

Durch eigne Kraft sich wirksam zeigen werde,
Wenn es enthält, was Menschenseelen brauchen.
Bedeutsam soll es sein, weil Wissenschaft
Und nicht, was Mystik vorzubringen weiss,
In diesem Werk das Geisteswissen stützt.
Wie kann, wenn dies sich wirklich so verhält,
Dem Werke nützen, wenn der Mysten Beifall
Und nicht sein eigner Wert den Weg ihm bahnt?

ALBERT TORQUATUS, der 1. Zeremonienmeister:
Die Wissenschaft, die durch Thomasius
So gut begründet sich der Welt erschliesst,
Sie selbst wird nicht gewinnen, noch verlieren
Durch unsre und durch eure Anerkennung.
Doch kann durch sie der Weg gefunden werden,
Auf dem die Menschen sich zur Mystik wenden.
Sie wird ihr Werk nur halb verrichtet haben,
Wenn sie ein Ziel und nicht ein Weg will sein.
Es wird an euch nun liegen, zu verstehen,
Dass jetzt der Augenblick gekommen ist,
Vernunft mit Mystenpfaden zu vereinen,
Und so dem Geistesleben unsrer Welt
Die Kraft zu geben, die nur wirken kann,
Wenn sie zur rechten Zeit sich offenbart.

(Der Vorhang fällt.)

296

ZWEITES BILD

Derselbe Raum wie im vorigen Bilde Er ist von den Personen, die zu Anfang in ihm versasnmelt waren, verlassen. Anwesend sind: Hilarius Gottgetreu, der Grossmeister, Magnus Bellicosus, der zweite Präzeptor, Albert Torquatus, der erste Zeremonienmeister, Friedrich Trautmann, der zweite Zeremonienmeister, Maria, Johannes Thomasius; von den zu Anfang versammelten Personen sind nur geblieben: Felix Balde, Doktor Strader.

HILARIUS GOTTGETREU:
Mein Sohn, was du vollbracht, ihm muss das Siegel
Der uralt heil'gen Wissenschaft geschenkt
Und auch des Rosenkreuzes Segenskraft
An diesem Weiheort verliehen werden.
Was du der Welt gebracht, es soll durch uns
Dem Geist geopfert undso fruchtbar werden
In allen Welten, die des Menschen Kraft
Dem Weltenwerden dienstbar machen können.

MAGNUS BELLICOSUS:
Du musstest, um das Werk der Welt zu geben,
Durch viele Jahre fern von manchem sein,
Was deiner Seele einst das Liebste war.
Es war ein Geisteslehrer dir zur Seite;
Er ging von dir, auf dass die Menschenseele
In dir die eignen Kräfte voll entfalte.
Dir war die teure Freundin zugesellt;
Auch sie verliess dich, denn du solltest finden,

297

Was Menschen finden können, wenn sie nur
Den Seelenmächten in sich selber folgen.
Du hast mit Mut die Prüfung überwunden.
Was dir genommen ward zu deinem Heile,
Es wird dir jetzt zu deinem Heile neu verliehn.
Die Freundin siehst du vor dir stehn; im Tempel
Empfängt sie dich, um unsrem Wunsch zu folgen;
Und bald wirst du den Lehrer auch begrüssen.
Mit uns vereint begehren auch die Freunde,
Die hier an unsres Tempels Schwelle stehen,
Dich als Erkenntnisbringer zu begrüssen.

FELIX BALDE (zu Thomasius):
Es wird die Mystik, die bisher im Innern
Beschaulich nach dem Geisteslichte strebte,
Durch deine Tat dem Wissen jetzt vertraut,
Das sich dem Sinnensein nur neigen will.

STRADER (zu Thomasius):
Den Seelen, die nach Geist-Erkenntnis suchen,
Obgleich das Leben sie am Stoffe hält,
Du konntest auch für sie die Wege finden,
Die Sie zum Licht auf ihre Weise führen.

THOMASIUS:
Erhabner Meister und ihr, hohe Herren;
Ihr glaubt in mir den Mann vor euch zu sehn,
Den ernstes Ringen und des Geistes Kraft
Ein Werk vollbringen liessen, das ihr loben
Und dem ihr euren Schutz gewähren dürft
Ihr denkt, es werde ihm gewiss gelingen,
Die Wissenschaft, wie man sie heute schätzt,
Mit uralt heil'ger Mystik zu versöhnen.
Und wahrlich, könnte etwas andres mir

298

Verleihn den Glauben an das Werk als nur
Der eignen Seele Stimme, euer Wort
Vermöchte dies gewiss.

FRIEDRICH TRAUTMANN:
Des Meisters Wort,
Es drückt doch zweifellos nur aus, was ihr
In eurer Seele fühlt. Und so bedarf
Die innte Stimme ja der Stärkung nicht.

THOMASIUS:
O wär' es so, ich stünde jetzt in Demut
Vor euch und flehte um die hohe Gnade,
Der Tempel möge meine Arbeit segnen.
Ich konnte dies noch glauben, als das Wort
Mich traf, durch welches mir verkündet ward,
Dass ihr mein Werk in eure Obhut nehmen
Und mir die Pforte öffnen wollt, die sonst
Nur Eingeweihten sich erschliessen darf.
Doch auf dem Wege, der zu euch mich führte,
Erschloss sich meiner Seele eine Welt,
Zu welcher ihr in dieser Stunde mich
Gewiss nicht führen wolltet. Ahriman
In seiner vollen Grösse stand vor mir.
Und wissen konnte ich, dass er der Kenner
Der echten Weltgesetze wahrhaft ist.
Was Menschen über ihn zu wissen meinen,
Hat keinen Wert. Verstehen kann ihn nur,
Wer seine Wesenheit im Geist geschaut.
Die volle Wahrheit über meine Schöpfung,
Sie konnte ich von ihm allein erfahren.
Er zeigte mir, wie über deren Wirkung
Im Weltenwerden nicht entscheiden kann
Der Eindruck, welchen Menschen von ihr haben,

299

Die nach Vernunft und Wissenscnaft sie werten.
Dies Urteil würde nur entscheidend sein,
Wenn sich die Schöpfung von dem Schöpfer lösen
Und, losgelöst von ihm, ein eignes Dasein
Im Lauf des Geisteslebens führen könnte.
Doch bleibt ja stets das Werk mit mir verbunden,
Und möglich ist, dass ich vom Geistgebiet
Zum Schlechten wandle, was von mir geleistet,
Obgleich es selber gut ist und auch Gutes
Durch eigne Wesenheit bewirken könnte.
Ich werde ja vom Geisteslande aus
In alles stets hineinzuwirken haben,
Was sich im Erdgebiet als Folge zeigt
Der Tat, die ich im Sinnessein vollbracht.
Und wenn ich Schlechtes aus dem Geistgebiet
In diese Folgen sich ergiessen lasse,
So wird viel mehr die Wahrheit als der Irrtum
Verderblich sein, denn jener müssen Menschen
Nach ihrer Einsicht folgen, diesem nicht.
Ich werde ganz gewiss in künft'gen Zeiten
Die Folgen meiner Tat zum Schlechten wenden,
Denn Ahriman hat mir recht klar gezeigt,
Dass diese Folgen sein Besitz sein müssen.
Als ich an meiner Arbeit war, beseligt
Und voll Entzücken, weil sie mich so sicher
Von Glied zu Glied im Wahrheitsbau geleitete,
Beachtet' ich den Teil nur meiner Seele,
Der meinem Forschen zugewandt sich hielt;
Und ohne Pflege blieb der andre Teil.
Entwickeln konnten sich die wilden Triebe,
Die früher nur im Keim vorhanden waren
Und jetzt im stillen kraftvoll Früchte reiften.
Ich glaubte mich im höchsten Geistgebiet

300

Und war in tiefsten Seelenfinsternissen.
Und dieser Triebe Macht, sie zeigte mir
In seinem Reiche Ahriman recht deutlich.
So weiss ich, wie ich später wirken werde;
Denn diese Triebe müssen in der Zukunft
Zu meiner eignen Wesenheit sich bilden.
Ich hatte, ehe ich mein Werk begann,
Mich Lucifer gewidmet, dessen Reich
Ich kennen und verstehen lernen wollte.
Erst jetzt erkenne ich, was ich nicht wusste
Als ich im Schaffen ganz verloren war,
Dass er mein Denken mit den schönsten Bildern
Umgab, dabei jedoch in meiner Seele
Die wilden Triebe schuf, die jetzt noch schweigen,
Doch künftig mich gewiss beherrschen werden.

FRIEDRICH TRAUTMANN:
Wie kann ein Mensch auf deiner Geisteshöhe
Dies alles sicher wissen und doch glauben,
Dass er dem Schlechten nicht entrinnen werde?
Du schaust ja doch, was dir verderblich ist...
So musst du es vernichten und mit dir
Auch deines Werkes Folgen mutig retten.
Der Geistesschüler hat die strenge Pflicht,
In sich zu tilgen, was den Aufstieg hindert.

THOMASIUS:
Ich seh', ihr urteilt nicht nach Weltgesetzen.
Was ihr verlangt, ich könnt' es jetzt erfüllen.
Und sagen könnte ich in dieser Stunde
Dies alles selber mir, was ihr mir sagt.
Doch was mir Karma jetzt zu tun gestattet,
Das wird es mir in Zukunft nicht erlauben.
Es müssen Dinge kommen, die in mir

301

Den Geist verfinstern und mich lenken werden.
Wie ich in dieser Stunde euch verkünde.
Ich werde gierig dann im Weltenwerden
Nach allem greifen, was aus meinem Werke
Als schädlich sich ergeben kann, und dies
Dem Geistesleben einverleiben wollen.
Ich werde Ahriman dann lieben müssen
Und freudevoll als Eigentum ihm geben,
Was mir entstammt im Reich des Erdenlebens. -
(Pause, während welcher Thomasius tief nachdenkt.)
Beträfe dieses alles nur mich selbst,
Ich trüg' es auch allein in meiner Seele.
Erwarten würde ich in voller Ruhe,
Was mir vorherbestimmt auf meinem Wege.
Doch trifft es euren Bund so stark wie mich.
Was Schlimmes wird erfolgen durch mein Werk
Für mich und auch für andre Menschenseelen,
Es wird durch Karma seinen Ausgleich finden.
Dass ihr dem Irrtum so verfallen konntet,
Dies wiegt weit schwerer für das Erdenleben.
Da ihr die Führer dieses Lebens seid
Und in den Geisteswelten lesen solltet,
So hätte euch doch nicht entgehen dürfen,
Dass dieses Werk von einem andern Menschen
Und nicht von mir verrichtet werden musste.
Ihr hättet wissen sollen, dass es jetzt
Vergessen werden müsste und dann später
Von neuem durch jemand zustand gebracht,
Der seine Folgen anders lenken würde.
So habt mit eurem Urteil ihr dem Bunde
Das Recht genommen, das er haben muss,
Wenn er die Weihedienste leiten soll.
Weil dies für euch aus meinem Schauen folgt,

302

Deshalb erschien ich hier an eurer Schwelle.
Sonst hätte mich Erkenntnis ferngehalten,
Die wahrlich nicht den Segen nehmen kann
Für dieses Werk, das gut und schädlich ist.

HILARIUS:
Ihr lieben Brüder, was begonnen ist,
Es wird sich jetzt nicht weiterführen lassen.
Wir müssen uns zum Orte hinbegeben,
An dem der Geist uns seinen Willen kündet.

(Hilarius Gottgetreu mit Bellicosus, Torquams und Trautmann verlassen den SaaL Ebenso Doktor Strader und Felix Balde. Es bleiben nur Maria und Thomasius an ihren Plätzen. Es verdunkelt sich der SaaL Nach einer kurzen Pause treten die drei Geistgestalten Philia, Astrid und Luna in einer Lichtwolke auf und gtuppieren sich so, dass sie zunächst Maria verdecken. Das folgende ist Geisterlebnis des Thomasius.)

PHILIA:
Es dürstet die Seele
Zu trinken das Licht,
Das Welten entquillt,
Die sorgender Wille
Den Menschen verhüllt.
Begierig zu lauschen,
Versuchet der Geist
Den Göttergesprächen,
Die gütige Weisheit
Den Herzen verbirgt.
Gefährliches drohet
Gedanken, die forschen
In Seelenbereichen,
Wo ferne den Sinnen
Verborgenes waltet.

ASTRID:
Es weiten sich Seelen,
Die folgen dem Licht

303

Und Welten durchdringen,
Die mutiges Schauen
Den Menschen eröffnet.
Beseeligt zu leben,
Erstrebet der Geist
In Götterbereichen,
Die strahlende Weisheit
Den Sehern verkündet.
Verborgenes winket
Dem kühnen Verlangen
Nach Weltengefilden,
Die ferne dem Denken
Geheimnisse bergen.

LUNA:
Es fruchtet der Seele,
Zu bilden das Schauen,
Das Kräften entsprosset,
Die furchtloser Wille
Im Menschen entzündet.
Aus Urgründen holen
Erlösende Kräfte
Sich Zaubergewalten,
Die Sinnen verborgen
Durch irdische Schranken.
Und Spuren verfolgen
Die suchenden Seelen,
Zu finden die Tore,
Die Götter verschliessen
Dem irrenden Wollen.

STIMME DES GEwISSENS (unsichtbar):
Es schwanken deine Gedanken
Am Abgrund des Seins;

304

Und was als Stätze ihnen verliehn,
Du hast es verloren.
Und was als Sonne ihnen geleuchtet,
Es ist dir erloschen.
Du irrest in den Weltentiefen,
Die Menschen sehnsuchttrunken
Erobern wollen.
Du bebest in den Werdegründen,
Wo Menschen Seelentröstung
Entbehren müssen.

(Die letzten Worte gehen unmittelbar in die folgenden der Maria über, welche noch in"tner durch die Geist-gestalten verdeckt und unsichtbar ist. Sie spricht erst mit geisterhafter, doch innerlicher Stimme.)

MARIA:
So neige deine Seele
Sich Liebemächten,
Die einst die Hoffnung ihr durchdringen konnten
Mit Lebenswärme,
Die einst den Willen ihr erhellen durften
Mit Geisteslicht.
Entreisse der Einsankeit
Die suchenden Herzenskräfte,
Empfinde die Freundesnähe
In Strebensfinsternissen.

(Die Geistgestalten mit der Lichtwolke verschwinden. Maria wird an ihrem alten Platz sichtbar. Es stehen sich Maria und Thomasius allein gegenüber. Das Erleben geht von jetzt an wieder ins Physische über.)

THOMASIUS (aus tiefem Nachdenken):
- Wo war ich eben? Meiner Seele Kräfte
Enthüllten mir die Wirrnis meines Innern;

305

Das Weitgewissen offenbarte mir,
Was ich verloren; segnend tönte dann
Der Liebe Stimme in dem finstern Reich.

MARIA:
Johannes, die Gefährtin deiner Seele,
Sie darf an deiner Seite wieder stehn,
Und folgen darf sie dir in Weltengründe,
In denen Seelen sich das Götterfühlen
Erkämpfen durch die Siege, die vernichten
Und von Vernichtung kühn das Sein ertrotzen.
Und in die ewig leeren Eisgefilde
Darf sie den Freund geleiten, wo sich ihm
Das Licht entringt, das Geister schaffen müssen,
Wenn Finsternisse Lebenskräfte lähmen.
Mein Freund, du stehst an jener Lebensschwelle,
Wo man verlieren muss, was man erworben.
Du hast so manchen Blick ins Geistgebiet
Getan und dir aus ihm die Kraft geholt,
Die dich zu deiner Schöpfung fähig machte.
Es scheint dir diese Schöpfung jetzt verloren.
Verlange nicht, dass dieses anders sei.
Denn solch Verlangen müsste alle Kraft
Zum weitern We8 ins Geistgebiet dir rauben.
Ob du in Wahrheit oder Irrtum wandelst,
Du kannst die Aussicht dir stets offenhalten,
Die deine Seele weiterdringen lässt,
Wenn du Notwendigkeiten mutig trägst,
Die aus des Geistesreiches Wesen stammen.
Dies ist Gesetz der Geistesschülerschaft.
So lange du den Wunsch noch hegen kannst,
Was dir geschehn, das möchte anders sein,
Ermangelst du der Kraft, die nötig ist,
Wenn du im Geisterland dich halten willst.

306

Dass du verloren, was dir schon gewonnen,
Es lasse dich erkennen, wie du weiter
Die Geisteswege richtig wandeln sollst.
Du kannst Verständnis, das du ehemals
Zum Richter deines Handelns wohl gebrauchtest,
Von dieser Stunde an nicht mehr berufen,
Wenn du es ernstlich für verloren hältst.
Drum muss dein Wesen völlig schweigsam werden
Und schweigsam harren, was der Geist ihm bringt;
Und dann erst wieder sich mit dir beraten,
Wenn du dich selbst dir neu gewonnen hast.
Dem ernsten Hüter bist du oft begegnet,
Der strenge Wache an der Schwelle hält,
Die Geistessein von Sinneswelten trennt;
Doch bist du nicht an ihm vorbeigekommen.
Stets wandtest du beim Anblick dich zurück
Und sahest dir von aussen alles an.-
Doch nicht im Innern, welches ausser dir
Sich weitet als die Geisteswirklichkeit,
Bist du gewesen; so erwarte noch,
Was dir sich offenbaren wird, wenn du
An meiner Seite nicht betreten nur,
Wenn überschreiten du auch kannst die Schwelle.

(Der Vorhang fällt.)

307

DRITTES BILD

Im Reiche des Lucifer. Ein Raum, der nicht durch künstliche Wände begrenzt ist, sondern durch pflanzen- und tierähnliche und sonstige Phantasieformen. Links der Thron des Lucifer. Zuerst sind anwesend: Die Seele des Capesius und Maria. Nach einiger Zeit erscheint Lucifer. Später treten auf Benedictus, Thomasius mit seinem ätherischen Ebenbilde (Doppelgänger), dann Theodora.

MARIA:
Du, welcher mir im Reich des Sinnenseins
Bekannt ist als Capesius, weshalb
Begegne dir ich als dem ersten Wesen
In Lucifers Bereich? Gefährlich ist's,
Umweht zu sein vom Geiste dieses Ortes.

CAPESIUS:
O rede mir nicht von Capesius!
Der hat im Reich des Erdenseins dereinst
Ein Leben durchgekämpft, das er als Traum
Nun längst erkannt. Er lenkte dort den Sinn
Auf solche Dinge, die im Zeitenstrom
Geschehen sind. Die Kräfte so zu finden,
Vermeinte er, durch welche sich vollzieht
Der Menschheit Geistesleben und ihr Wirken.
Was er von diesen Kräften wissen konnte,
Versuchte seine Seele festzuhalten.
Man kann von diesem Reiche aus
Das Wissen schauen, das er damals pflegte.
Er glaubte, wahre Bilder zu besitzen,
Die Wirklichkeiten offenbaren können;
Erblickt man sie von hier, erweist sich klar,

308

Dass sie nur leichte Träume sind, durch Geister
In schwache Erdenmenschen eingewoben
Die können Wirklichkeiten nicht ertragen.
In Furcht und in Betäubung fielen sie,
Wenn sie erfahren könnten, wie die Geister
Den Lauf des Seins nach ihrem Sinne lenken.

MARIA:
Du sprichst, wie ich nur Wesen sprechen hörte,
Die nie im Erdenreich verkörpert waren.
Sie sagen, dieses Reich sei nicht bedeutend
Und seine Wirkung nur gering im All.
Doch wer dem Erdenreiche zugehört
Und seine besten Kräfte ihm verdankt,
Der muss fürwahr ganz andrer Meinung sein.
Er findet wichtig viele Schicksalsfäden,
Die Erdensein mit Weltensein verbinden.
Auch Lucifer, der hier gewaltig wirkt,
Er hält den Blick zur Erde hin gerichtet
Und sucht der Menschen Taten so zu lenken
Dass deren Früchte seinem Geiste reifen.
Er weiss, dass er der Finsternis verfiele,
Wenn er auf Erden keine Beute fände.
So hängt sein Schicksal auch von dieser ab.
Und so ist's auch für andre Weltenwesen.
Und wenn die Menschenseele Weltenzieic
Im Bilde schaut, die Lucifer erstrebt,
Und sie vergleicht mit dem, was Mächte wollen,
Die ihn zum Gegner ihrer Ziele haben,
So kann sie wissen, dass sie ihn verdirbt
Durch Siege, die sie über sich erringt.

CAPESIUS:
Der Mensch, der hier mit dir sich unterredet,
Ihm sind die Zeiten schrecklich, die ihn zwingen,

309

Den Leib um sich zu schliessen, der noch lebt
Und seine Erdenform bewahrt sich hat,
Obgleich der Geist ihn nicht mehr meistern kann.
In solchen Zeiten fühlt dann dieser Geist
Zusammenstürzen Welten, die er schätzt.
Ihm scheint, als ob ein enger Kerker nur,
Begrenzt vom Nichts, ihn grauenvoll umschliesse.
Erinnerung an alles, was er lebt,
Ist diesem Geiste dann wie ausgelöscht.
Und oft auch kann er Menschenwesen fühlen,
Doch was sie sprechen, kann er nicht verstehn.
Besondre Worte nur sind ihm begreiflich,
Die aus den Reden dann heraus sich heben.
Und sie erinnern ihn an alles Schöne,
Das er in Geistgebieten schauen darf.
Er ist im Leibe dann, und ist es nicht.
Er lebt in ihm ein Leben, das er fürchtet,
Wenn er von diesem Orte es erblickt.
Und lechzen muss er nach dem Augenblick,
Der ihn von diesem Leibe ganz befreit.

MARIA:
Der Leib, der Erdenseelen eigen ist,
Er trägt in sich die Mittel, göttlich Schönes
In hehren Bildern wirksam nachzuschaffen.
Und diese sind, wenn auch ihr Dasein nur
Sich schattenhaft in Menschenseelen zeigt,
Die Keime doch, die einst im Weltenwerden
Zu Blüten und zu Früchten werden müssen.
So dient durch seinen Leib der Mensch den Göttern.
Und seines Seelenlebens wahrer Sinn
Erscheint ihm nur, wenn sich in seinem Leibe
Die Kraft zum wesenhaften «Ich» erfühlt.

310

CAPESIUS:
O sprich dies Wort doch nicht vor jenem Wesen,
Das dir im Geistgebiete jetzt erschienen
Und als Capesius auf Erden lebt.
Es möchte fliehen, wenn das Wort erklingt,
Das hier es furchtbar brennt.

MARIA:
So hassest du,
Was Menschen erst zu wahren Wesen macht?
Wie kannst du hier in diesem Reiche leben,
Wenn dir dies Wort so furchtbar kann erscheinen?
Denn niemand kann ja doch hierher gelangen.
Der dieses Wortes Wesen nicht erlebt.

CAPESIUS:
Der jetzt vor dir sich zeigt, er stand recht oft
Vor Lucifer, der dieses Reich beherrscht.
Und dieser hat ihm offenbaren können,
Dass dem Gebiet, das seinem Willen folgt,
Nur Schaden jene Menschenseelen bringen,
Die sich bewusst der Kraft bedienen können,
Die ihnen aus dem Erdenleibe kommt.
Doch jene Seelen, die in Ohnmacht nur
In diesem Leibe noch ihr Dasein leben
Und doch die Seherkräfte schon besitzen.
Die lernen nur in Lucifers Gebieten
Und können diesen keinen Schaden bringen.

MARIA:
Ich weiss, dass man in diesen Geistesreichen
Durch Worte nicht, dass man durch Schauen lernt.
Was ich in diesem Augenblick erschaut
Dadurch, dass du vor mir erschienen bist,
Es wird in meiner Seele sich erweisen
Als Fortschritt meiner Geistesschülerschaft.

  1. SE014-311


CAPESIUS:
Doch Lehren nicht allein empfängt man hier;
Auch Pflichten zeigen sich an diesem Ort.
Du hast das Seelen-Wesen hier gesprochen,
Das sich Capesius im Leibe nennt.
Die Geistesblicke in vergangnes Leben,
Die dir geworden sind, sie zeigen dir,
Dass du ihm durch dein Karma vieles schuldest;
Deshalb sollst du von Lucifer erbitten,
Dass er, der hohe Lichtesträger, dich
Capesius auf Erden schützen lasse.
Du wirst durch deine Weisheit gut erkennen,
Was du ihm leisten kannst, dass er dir auch
Im spätern Erdenleben zugeführt,
Und dann die Schuld durch dich getilgt kann werden.

MARIA:
So soll ich diese Pflicht, die mir so heilig,
Durch Lucifers Gewalt erfüllen lassen?

CAPESIUS:
Die Pflicht, du wirst sie ja erfüllen wollen.
Das kannst du nur, wenn Lucifer dir hilft.
Doch schon erscheint er selbst, der Geist des Lichts.

(Capesius geht ab. Es tritt Lucifer auf und im Verlauf seiner Rede Benedictus.)

LUCIFER:
Maria, du begehrst vor meinem Throne
Die Selbsterkenntnis für die Menschenseele,
Der du im Erdenleben nahe stehst.
Sie soll durch Schauen meines Wesens sich
In ihrer Wahrheit erst erkennen lernen!
Sie wird dazu auch ohne dich gelangen.
Wie kannst du glauben, dass ich dir gewähre,
Was du für deinen Freund erreichen willst?
Du nennst doch Benedictus deinen Lehrer.

312

Er ist im Erdgebiet mein starker Gegner,
Der meinen Feinden seine Kräfte weiht.
Er hat mir vieles schon entreissen können.
Johannes hat von ihm sich losgesagt.
Er hat sich meiner Führung anvertraut,
Er kann noch nicht mein wahres Wesen schauen,
Weil ihm die volle Seherkraft noch fehlt;
Er wird sie später durch mich selbst erlangen,
Dann wird er völlig mir zu eigen sein.
Doch dir gebiete ich, kein Wort zu sprechen,
Das auf Johannes sich beziehen könnte.
Solange du vor meinem Throne stehst.
Ein solches Wort, es müsste hier mich brennen.
An diesem Orte sind die Worte Taten,
Und weitre Taten müssen ihnen folgen.
Doch was aus deinem Worte folgen soll,
Es darf nicht sein.

BENEDICTUS:
Du musst sie hören.
Denn wo das Wort die Kraft der Tat besitzt,
Ergibt es auch aus frühern Taten sich.
Getan ist schon, was Lucifer bezwingt.
Maria ist mein wahrer Geistesschüler;
Ich konnte sie zu jener Stufe führen,
Auf der sie höchste Geistespfiicht erkannte
Und sie auch sicher wird erfüllen können.
Erfüllung dieser Pflicht, sie wird gewiss
Die Heileskräfte in Johannes bilden,
Die ihn aus deinem Reiche lösen werden.
Ein heilig ernst Gelöbnis trägt Maria
In ihrer Seele, das im Weltenwerden
Erreger solcher Heileskräfte ist.
Du wirst es bald wohl auch in Worten hören;

313

Doch wenn du deine Lichtes-Strahlenhülle,
Die dir die Zaubermacht zum Widerstreben
Und zum Erobern aller Selbstheit gibt,
Gedankenkräftig dämpfen willst, so wird
Dir wohl vernehmlich sein die Heil-Erstrahlung.
Sie wird in Zukunft sich so kräftig geben,
Dass ihre Liebekraft Johannes mächtig
In ihr Bereich hin ziehen wird.

MARIA:
Johannes
Wird hier erscheinen; doch zu der Gestalt,
Die Erdenseelen als die ihre wissen,
Wird noch das Wesen treten, das der Mensch
Als stärk'res Ebenbild verborgen trägt.
Wenn dich Johannes nur erkennen würde,
Wie du vor seiner Erdgestalt dich zeigst,
Es würde ihm nicht alles geben können,
Was er zu seinem Seelenfortschritt braucht.
Dem Ebenbild gewähren sollst du jetzt,
Was er gebraucht auf jenen Geisteswegen,
Auf welchen künftig ich ihn führen soll.

LUCIFER:
So muss Johannes denn vor mir erscheinen.
Ich fühle wohl die Kraft, die ihr erzeugt;
Sie ist mir feindlich seit dem Erdbeginn.

(Es erscheinen von verschiedenen Seiten kommend, doch gleichzeitig, Johannes Thomasius und sein ätherisches Ebenbild.)

THOMASIUS:
O du mein Ebenbild, du zeigtest dich
Bisher mir nur, dass ich erschrecken sollte
Vor meinem eignen Wesen. Ich verstehe
Von dir noch wenig, doch erkenne ich,

314

Dass du es bist, der meine Seele lenkt.
So bist du meines freien Daseins Hemmnis;
Bist auch der Grund, warum ich nicht begreife,
Wie ich in Wahrheit bin. Vor Lucifer
Muss ich dich sprechen hören, dass ich sehe,
Was ich in Zukunft noch vollbringen werde.

DER DOPPELGÄNGER DES THOMASIUS:
Ich konnte zwar Johannes öfter schon
Erscheinen und ihm Selbsterkenntnis bringen.
Doch wirkt' ich nur in seinen Seelengründen.
Die seinem Wissen noch verborgen sind.
Es hat mein Leben sich in seinem Innern
Bedeutsam schon seit lange umgewandelt.
Vor Jahren stand Maria ihm zur Seite,
Er glaubte ihr im Geiste sich verbunden;
Ich zeigte ihm, dass Leidenschaft und Trieb
Die wahren Lenker seiner Seele waren.
Er konnte dies als Vorwurf nur verstehn.
Doch du, erhabner Lichtesträger, wiesest
Der Sinnlichkeit den Weg, auf dem sie dienstbar
Dem Geiste wurde. Von Maria musste
Johannes sich getrennt im Leben halten.
Seither ergab er sich dem strengen Denken;
Und dies hat Kräfte, welche Seelen läutern.
Was aus der Reinheit seines Denkens strömte,
Ergoss sich auch in mich. Ich ward verwandelt;
Ich fühle seine Reinheit auch in mir.
Er hat mich nicht zu fürchten, wenn er jetzt
Sich zu Maria hingezogen fühlt.
Doch noch gehört er deinen Reichen an.
Ich fordre ihn zurück in dieser Stunde.
Er wird mein Wesen jetzt erleben können,

315

Wenn du auch nicht den Sinn davon bestimmst.
Er braucht mich jetzt, dass ihm zu seinem Denken
Auch Seelenwärme und die Herzenskräfte
Aus meinem Wesen kräftig sich erzeugen.
Er soll sich wieder selbst als Mensch gewinnen.

LUCIFER:
Es ist dein Streben gut. Doch kann ich nicht,
Wie du es wünschest, dich gewähren lassen.
Denn gäbe ich dich an Johannes wieder
In gleichem Wesen, wie vor Jahren schon
Du dich gezeigt vor seinem Seelensinn,
Er würde gegenwärtig seine Liebe
Dem Denken nur und kaltem Wissen schenken :
Und alles warme Eigensein in ihm
Unfühlend, wesensleer, wie tot erscheinen.
Ich kann ihn so durch meine Kraft nicht bilden.
Persönlichkeit und eignes Wesen soll
In ihm durch mich erlebend sich erfinden.
Ich muss dich jetzt verwandeln, soll das Rechte
Zu seinem Heil und seinem Fortschritt werden.
Ich habe schon seit lange vorbereitet,
Was jetzt in dir sich deutlich weisen soll.
Du wirst als andrer dich in Zukunft zeigen.
Johannes wird Maria nicht mehr lieben,
Wie er in alten Zeiten sie geliebt.
Doch lieben wird er, mit der Leidenschaft,
Mir all der Kraft, mit der er sie einst liebte.

BENEDICTUS:
Das schöne Werk, das uns gelungen ist,
Du willst es dir zum Nutzen jetzt verwandeln.
Du hast Johannes durch die Herzensmacht
Dereinst an dich gebunden; doch du siehst,
Dass du die Fesseln bald verstärken musst,

316

Soll seine Wesenheit sich dir erhalten.
Es will das Herz in ihm dem Geist sich fügen.
Gelingt ihm dies, so wird die Wissenstat,
Die er auf Erden leisten konnte, künftig
Den Mächten sich zu eigen geben müssen,
Die du schon seit dem Erdbeginn bekämpfst.
Gelingt es dir, die Liebe, die Johannes
Bis jetzt Maria zugewendet hat,
Durch List in jene Leidenschaft zu wandeln,
Die du für deine Ziele jetzt gebrauchst,
So wird er Gutes, das er leisten konnte,
Von Geisteswelten aus in Böses wenden.

MARIA:
So ist noch Rettung möglich? Und Johannes
Ist nicht bestimmt, den Mächten zu verfallen,
Die seine Tat sich jetzt erobern wollen?

BENEDICTUS:
Es müsste so geschehn, wenn alle Kräfte blieben,
Wie sie bis jetzt sich haben bilden können;
Wenn du in rechter Stunde dein Gelöbnis
In deiner Seele aber wirken lässt,
So müssen sie die Richtung künftig ändern.

LUCIFER:
So wirket Zwangsgewalten,
Erfühlet Elementengeister,
Die Kräfte eures Meisters,
Und ebnet den Weg,
Dass aus dem Erdgebiet
Sich wenden kann
In Lucifers Bereich,
Was mein Wunsch ersehnt,
Was meinem Willen folgt.

317

THEODORA (erscheint):
Wer ruft in Reiche mich, die mir so fremd?
Ich liebe nur, wenn Götterwelten liebend
Sich meiner Seele offenbaren wollen,
Und Wärme, mir im Herzen selig webend,
Die Geistesworte aus dem Innern lockt.

DER DOPPELGÄNGER DES THOMASIUS:
O wie verwandelst du mein ganzes Sein.
Du bist erschienen, und ich bin ein Wesen,
Das nur von dir erfüllt jetzt wirken kann.
Johannes soll durch mich nun dir gehören;
Er wird an dich die Liebe ferner wenden,
Die seinem Herzen für Maria einst
So furchtsam und so glühend sich entrang.
Er sah vor Jahren dich, doch fühlt' er nicht,
Was damals schon in seinen Seelengründen
An Liebeswärme sich geheim belebte.
Es wird empor jetzt steigen und ihn ganz
In seinem Wesen mit der Kraft erfüllen,
Die all sein Denken nur nach dir muss lenken.

BENEDICTUS:
Es nahet uns der rechte Augenblick.
Die stärkste Kraft hat Lucifer entfaltet;
Maria, deine Seelenschülerschaft,
Sie muss sich machtvoll ihm entgegenstellen.

MARIA:
Du Träger jenes Lichtes, welches Liebe
Im Dienst der Eigenheit nur halten will,
Du hast im Erdbeginn den schwachen Menschen
Erkenntnis schon verliehn, als sie von Göttern
Bestimmt erst waren, ohne Eigenwille,
Dem Geisteswillen unbewusst zu folgen.

318

Seit jener Zeit sind alle Menschenseelen
Der Ort, auf welchem du mit Göttern kämpfst.
Doch nahen schon die Zeiten, welche dir
Und deinem Reich Verderben bringen müssen.
Ein kühner Denker konnte deinen Gaben
Die Wissenschaft in solcher Art entbinden,
Dass sie den Menschengöttern sich ergibt.
Doch du versuchest noch einmal, die Kräfte,
Die Göttern vorbestimmt, für dich zu holen.
Weil jene Wissensfrucht, durch welche du
Die Menschen einst verführtest, Johannes
Durch seine Tat von dir nun losgelöst,
So möchtest du durch Liebe ihn verführen,
Die er nach seinem Schicksalsplatie doch
Für Theodora niemals fühlen sollte.
Durch Liebe willst du Weisheit jetzt bekämpfen,
Wie du durch Weisheit gegen Liebe kämpftest.
Doch wisse, in dem Herzen, das Maria
In dieser Stunde dir entgegenstellt,
Hat Geistesschülerschaft die Kraft belebt,
Von allem Wissen stets die Eigenliebe
Entfernt zu halten. Niemals will ich künftig
Von jener Seligkeit mich finden lassen,
Die Menschen fühlen, wenn Gedanken reifen.
Zum Opferdienst will ich das Herz mir rüsten,
Dass stets mein Geist nur denken kann, um denkend
Des Wissens Früchte Göttern hinzuopfern.
Erkenntnis wird mir dann zum Weihedienst.
Und was ich so in meinem Innern wirke,
Es strömt dann auf Johannes kraftvoll über.
Und wenn in seinem Herzen künftig oft
Die Worte tönen, die von dir ihm kommen:
«Sein Menschenwesen soll in Liebe finden,

319

Was seiner Eigenart die Stärke gibt>,
So wird dies Herz dir machtvoll Antwort geben:
Du wurdest einst im Erdenurbeglnn
Erhört, als du der Weisheit Früchte zeigtest,
Der Liebe Früchte sollen Menschen nur
Aus Götterreichen sich gewähren lassen.

LUCIFER:
Ich werde kämpfen.

(Kurze Finsternis.)

BENEDICTUS:
Und kämpfend Göttern dienen.

(Donner. - Vorhang fällt.)

320

VIERTES BILD

Ein Zimmer in rosenrotem Grundton. Es gehört zum Heim Straders und Theodoras, die Straders Gattin ist. Man sieht der Einrichtung an, dass Theodora und Strader hier im gemeinsamen Raume verschiedenartige Arbeiten verrichten. Auf seinem Tische finden sich Modelle von Mechanismen, auf dem ihren mancherlei auf Mystik Bezügliches. Die beiden sind in einem Gespräch, das eine Art gemeinsame Versenkung am siebenten Jahrestage ihrer Ehe darstellt.

STRADER:
An diesem Tage sind es sieben Jahre,
Seit du Gefährtin meines Lebens mir
Und auch der Quell geworden bist des Lichtes,
Das auf ein Dasein leuchtet, dem sich früher
Nur Finsternis bedrohlich nähern wollte.
Ich war ein geistig armer Mann, als du
An meine Seite tratest und mir gabst,
Was mir vorher die Welt stets vorenthielt.
Ich hatte viele Jahre ernst gestrebt,
Im Sinne strenger Wissenschaft zu forschen
Nach Lebenswerten und nach Daseinszielen.
Ich musste eines Tages klar erkennen,
Dass dieses Streben ganz vergeblich war.
Durch dich ward mir gezeigt, wie sich der Geist
In einem Menschen über solche Dinge
Zu offenbaren sucht, die meinem Wissen
Und meinem Denkerstreben sich entzogen.
Ich sah dich damals in dem Kreis von Menschen,
In welchem Benedictus Führer war;
Ich durfte deiner Offenbarung lauschen.

321

Ich konnte an Thomasius dann später
Erkennen, wie die Geistesschülerschaft
In einer Menschenseele machtvoll wirkt.
Was ich dadurch erlebte, raubte mir
Den Glauben an Vernunft und Wissenschaft
Und zeigte doch in jener Zeit mir nichts,
Das mir verständlich hätte scheinen können.
Ich wandte mich von allem Denken ab
Und wollte dumpf das Leben weiterführen,
Das mir nun nicht mehr lebenswert erschien.
Die Technik, der ich mich ergab, sie sollte
Vergessen und Betäubung mir verschaffen.
Und ich erlebte ein zerquältes Dasein,
Bis ich zum zweiten Male dir begegnete
Und wir dann bald auch gute Freunde wurden.

THEODORA:
Begreiflich ist's, dass dir an diesem Tage
Erinnerung die alten Zeiten wieder
So lebhaft vor die Seele stellen kann.
Auch meinem Herzen ist's Bedürfnis heute,
Den Blick zurück zu jener Zeit zu wenden,
In welcher wir zum Lebensbund uns fanden.
Ich fühlte damals stetig sich verstärken
Die Kraft, die meine Seele fähig machte,
Aus Geisteswelten Wissen zu empfangen.
Und unter Felix Baldes edler Führung
Erwuchs dann diese Kraft zu jener Höhe,
Auf welcher sie vor sieben Jahren war.
Ich traf in dieser Zeit Capesius
Einmal in Felix' Waldeseinsamkeit.
Er hatte sich nach langem Forscherleben
Zur Geistesschülerschaft hindurchgekämpft.
Er fand es wichtig, sich bekannt zu machen

322

Mit meiner Art, die Geisteswelt zu schauen.
Ich war dann später oft mit ihm zusammen.
In seinem Hause durft' ich dir begegnen
Und deinen Wissensschmerzen Heilung bringen.

STRADER:
Und wahres Licht empfing so meine Seele,
Die lange nur in Finsternis geblickt.
Ich sah nun, was der Geist in Wahrheit ist.
Du liessest mich in solcher Art erkennen,
Was dir aus höhern Welten sich erschloss,
Dass alle Zweifel schnell verschwinden konnten.
Dies alles wirkte damals so auf mich,
Dass ich fürwahr zuerst in dir nichts andres
Als nur den Mittler für den Geist erblickte.
Es brauchte lange Zeit, bis ich erkannte,
Dass nicht allein mein Geist den Worten lauschte,
Die seine wahre Heimat ihm enthüllten;
Dass auch mein Herz dem Sprecher sich ergab
Und seine Nähe nicht entbehren konnte.

THEODORA:
Und dann vertrautest du mir, was du fühltest.
So sonderbar war, wie du alles sagtest.
Es war, als ob nicht Ein Gedanke dir
Sich hätte bilden können an Erfüllung
Der Sehnsucht, die in deinem Herzen lebte.
So waren deine Worte, die nur Rat
Sich suchen wollten bei der Seelenfreundin.
Du sprachst von Hilfe, die dir nötig sei,
Und auch von Stärkung deiner Seelenkräfte,
Die dich in schwerer Lage halten müssten.

STRADER:
Dass mir der Geistesbote als Gefährtin
Vom Schicksal wirklich vorbestimmt sein könnte,

323

Dies lag recht ferne allem, was ich dachte,
Als ich mich hilfesuchend dir eröffnet.

THEODORA:
Und wie ergaben doch die Worte dann,
Die Herz vom Herzen loszulösen wusste,
Gar bald, dass dies nicht anders könnte sein.
Die Herzen müssen oft das Schicksal deuten.

STRADER:
Und als dein Herz das Schicksalswort gesprochen,
Durchzogen meine Seele Lebenswellen,
Die ich nicht fühlen konnte, als sie waren,
Die erst viel später als Erinnerung
Aus Seelen-Untergründen sich erhoben
Und dann wie Licht-Erstrahlen sich erfühlten.
Und wissen konnte ich, an was ich mich
Erinnern, doch es nicht erleben konnte,
Weil vieles mich noch trennt' vom Geist-Erleben.
Es war das erste Mal, dass ich den Geist
Unmittelbar in meiner Seele wusste.
Es hat sich mir nicht wiederholt; und doch,
Es konnte wahrlich mir Gewissheit geben,
Die auf ein ganzes Leben lichtvoll strahlt.
Und dann verfiossen sieben schöne Jahre.
Ich durfte fühlen, wie Mechanik selbst,
Der ich jetzt diene, sich befruchten lässt
Von Seelen, die zur Geisteswelt sich recht
Zu stellen wissen. Nur die Geistgewalt,
Die lebenfördernd du mir geben konntest,
Liess mich das Kräftestreben so durchschauen,
Daß mir, wie eingegeben, jene Schöpfung
Ganz plötzlich vor den Geist sich stellen konnte,
Von welcher man wohl vieles hoffen darf.
In deinem Lichte fühlte meine Seele

324

Die Kräfte voll erwachsen, die in ihr
Verfallen wären, wenn sie nur allein gelebt.
Die Lebenssicherheit, die mir geworden,
Sie liess mich aufrecht stehen damals selbst,
Als vor den Rosenkreuzern so erschütternd
Thomasius die eigne Wissenstat
Verdammte und mit hartem Urteil sich
Verwarf in jener Stunde, welche ihn
Zu seiner Lebenshöhe bringen wollte.
Es konnte innre Sicherheit mich halten,
Als mir die Aussenwelt ein Übermass
An Widerspruch zu offenbaren schien
Und alles dies hast du allein gegeben.
Erst brachte mir die Geistesoffenbarung,
Die ich durch dich empfing, erstrebtes Wissen.
Und als die Offenbarung nicht mehr kam,
Verbliebst du doch als stärkend Seelenlicht.

THEODORA (wie tiefsinnend als abgebrochener Satz):
Als dann die Offenbarung nicht mehr kam ...

STRADER:
Das ist's, was mir oft schwere Sorgen machte.
Ich fragte mich, ob dir nicht tiefer Schmerz
Erwachse durch Verlust des Sehertums
Und du, um mich zu schonen, schweigend leidest;
Doch deines Wesens Gleichmass zeigte mir,
Dass du die Schicksalsfügung ruhig trägst.
Nur in den letzten Zeiten bist du anders;
Der Frohsinn strahlt um dich nicht mehr wie früher,
Und deines Auges glimmend Licht verfällt.

THEODORA:
Dass mir die Geistesoffenbarung schwand,
Es konnte mir fürwahr nicht schmerzlich sein.

325

Es hat das Schicksal meinen Weg geändert;
Das musste ich gelassen auf mich nehrnen.
Doch ist sie mir recht schmerzvoll neu geworden.

STRADER:
Zum erstenmal in diesen sieben Jahren
Ist Theodora unverständlich mir.
Es war dir jedes Geisterlebnis doch
Zugleich ein Quell der innern Seligkeit.

THEODORA:
Ganz anders ist die Offenbarung jetzt.
Zuerst empfinde ich, wie früher, mich
Genötigt, eignes Denken auszuschalten;
Doch während ehemals nach kurzer Zeit,
Wenn Leerheit meines Innern mir gelungen,
Ein sanftes Licht die Seele mir umwob
Und sich der Geist zu Bildern formen wollte,
Erzeugt sich jetzt unsichtbar widrig Fühlen;
Doch so, dass ich genau erkennen kann,
Die Kraft, die ich empfinde, kommt von aussen.
Und Furcht ergiesst sich dann in mein Erleben,
Die ich nicht bannen kann, die mkh beherrscht.
Und fliehen möchte ich vor jenem Wesen,
Das mir unsichtbar, doch abscheulich ist.
Es will zu mir sich wunscherfüllt bewegen;
Und hassen muss ich, was sich offenbart.

STRADER:
Unmöglich scheint doch dies bei Theodora.
Man hält, was so erlebt wird, sonst für Wirkung
Der eignen Seelenkräfte, die sich spiegeln.
Doch deine Seele kann sich so nicht zeigen.
THEODORA (schmerzvoll, langsam, nachdenklich) :
Es ist mir diese Meinung wohl bekannt.

326

Deshalb versenkt' ich mich mit aller Kraft
Die meiner Seele jetzt noch übrig ist,
Inbrünstig in die Geisterwelt und bat,
Es möchten mir die Wesen, die vorher
Sich oft mir neigten, gnädig offenbaren,
Wie ich die Grüade meines Leides finde.
(Nun folgen abgerissene Worte.)
Und da.. erschien der... Lichtesschein... wie früher
Er... formte... sich zum Bilde eines... Menschen ...
Es war... Thomasius.

STRADER (schmerzlich, von rasch sich einstellenden Empfindungen beherrscht):
... Thomasius...
Der Mensch, an den ich immer glauben möchte.
(Pause, dann schmerzlich nachdenkend.)
Wenn ich mir vor die Seele rufen wollte,
Wie er dem Mystenbunde gegenüber ...
Wie er von Ahriman und sich gesprochen
(Theodora versinkt in Nachdenken
und starrt wie geistabwesend in das Leere.)

STRADER:
O Theodora... was erblickst du... jetzt
(Vorhang fällt.)

327

FÜNFTES BILD


Ein Zimmer in jenem Waldhäuschen, das in der «Prüfung der Seele» als Baldes Heim angegeben ist. Frau Balde, Felix Balde, Capesius, Strader, später die Seele Theodoras.

FRAU BALDE:
So sollen wir ihr strahlend schönes Wesen
Erst wieder fühlen dürfen, wenn wir selbst
Die Welt betreten werden, welche sie
So früh von uns hinweggenommen hat.
Vor wenig Wochen konnten wir die Milde,
Die jedes ihrer Worte warm durchwehte,
In unsrem Häuschen dankend noch erleben.

FELIX BALDE:
Wir beide, Felicia, meine Gattin,
Und ich, wir liebten sie aus tiefster Seele.
Und so ist euer Leid auch uns verständlich.

STRADER:
Die liebe Theodora, ja sie sprach
Von Frau Felicia und Vater Felix
In ihren letzten Lebensstunden noch.
Es war ihr auch so ganz vertraut, was euch
Das Leben hier von Tag zu Tag gewährt.
----------------------
So muss ich denn allein mich weiter tasten.
Sie war mir meines Daseins Wert und Inhalt.
Was sie gegeben, ist unsterblich mir,
Und doch - - sie ist nicht hier.

328

FELIX BALDE:
Wir werden
Mit euch auch unser Denken liebend ihr
In Geisteswelten senden und vereint
Mit ihre,m Wesen noch in Zukunft sein.
Doch sagen muss ich: überraschend war,
Als wir von ihrem Erdenende hörten.
Es hat bei mir im Laufe vieler Jahre
Ein Blick sich ausgebildet, welcher mir
In manchen Augenblicken ungesucht
Die innre Lebenskraft der Menschen zeigt;
Und dieser Blick hat mich bei ihr getäuscht.
Ich konnte wahrlich niemals anders glauben,
Als Theodora werde noch recht lange
Auf Erden jene Liebe spenden dürfen,
Durch welche sie bisher gar vielen Menschen
In Glück und Leid so hilfreich sich erwiesen.

STRADER:
Es ist recht sonderbar, wie alles kam.
Gesunde Lebensstimmung war ihr eigen
In gleicher Art, solange ich sie kannte.
Seit jenen Zeiten erst, als sie gewahrte,
Wie ihren Geist ein unbekanntes
Etwas Bedrängte und sich nahen wollte,
Ergriff sie düstres Sinnen immer mehr,
Und Leid ergoss sich dann in all ihr Wesen,
Man konnte sehen, wie die Leibeskräfte
Verzehrt vom innern Seelenkampfe wurden.
Sie sagte mir, wenn ich in meiner Sorge
Mit mancher Frage sie gar oft bedrängte,
Sie fühle sich Gedanken ausgesetzt,
Die furchterregend und wie Feuer wirken.
Und was sie weiter sagte, das ist schrecklich...
Als sie gedankenkräftig sich bemühte,

329

Den Grund zu schauen ihres Leid-Erlebens,
Da stellte sich ihr stets vors Geistesauge...
Thomasius..., den wir doch beide schätzten.
Und doch verblieb von diesem Eindruck stets
Zurück ein starkes Fühlen, das ihr sagte:
Sie müsse vor Thomasius sich fürchten ...

CAPESIUS:
Thomasius und Theodora sollen
Nach strenger Schicksalsmächte Fügung nie
Im Leben sich in Leidenschaft begegnen.
Sie widersetzen Weitgesetzen sich,
Wenn einer von dem andern fühlen wollte,
Was nicht im Geiste ganz allein gegründet.
Thomasius verletzt in seinem Herzen
Die ernste Fügung hoher Schicksalskräfte:
Er soll an Theodora nicht Gedanken
In seiner Seele richten, die sie kränken.
Er aber fühlt, was er nicht fühlen darf.
Er formt durch seine Widersetzlichkeit
Schon jetzt die Kräfte, die sein Leben künftig
Den dunklen Mächten überliefern können.
Zu Lucifer gewaltsam hingedrängt,
Erlebte Theodora unbewusst,
Dass dieser Lichtesgeist Thomasius
Mit Sinnesleidenschaft für sie erfüllte.
Es fanden Maria, der Thomasius
Durch Schicksalsmacht im Geiste anvertraut,
Und Theodora sich zu gleicher Zeit
In jenem Reich, das Göttern feindlich ist.
Maria sollte von Thomasius
Getrennt und er an Lucifer in Zukunft
Durch falsche Liebesmacht gebunden werden.
Was Theodora seelisch so erlebte,

330

Das ward in ihrer Seele zehrend Feuer,
Das weiterwirkend ihr die Schmerzen brachte.

STRADER:
Sagt, Vater Felix, doch, was dies bedeutet.
Es spricht Capesius so sonderbar
Von Dingen, die ganz unverständlich zwar
Doch furchtbar, grausam meiner Seele sind.

FELIX BALDE:
Capesius ist durch die Seelenwege,
Die er zu gehen sich genötigt fand,
In seine ganz besondre Geistesstimmung
Von Zeit zu Zeit stets mehr getrieben worden.
Es lebt sein Geist in höhern Welten nur
Und lässt ganz unbeachtet jene Dinge,
Die durch die Sinne zu der Seele sprechen.
Wie durch Gewohnheit nur vollführt er alles,
Was er im Leben sonst zu tun gepflegt.
Die alten Freunde sucht er stets zu sehn
Und auch mit ihnen Stunden zu verleben,
Obgleich er doch an ihrer Seite nur
Dem eignen Wesen zugekehrt erscheint.
Doch was er geistig schaut, war immer richtig,
Soweit es meine eigne Seelenforschung
Der Wahrheirsprüfung unterwerfen konnte.
Drum kann ich auch in diesem Falle nur
Zum Glauben mich bekennen, dass es ihm
Durch seine Geisteswege möglich war,
Die Wahrheit über Theodoras Schicksal
In seine Seelengründe aufzunehmen.

FRAU BALDE:
Es ist so sonderbar, er lässt Gespräche
Ganz unbeachtet, die um ihn herum
Die Menschen führen; seine Seele scheint,

331

Gelöst vom Leibe, nur nach Geisteswelten
Zu blicken; manches Wort jedoch bewirkt,
Dass er aus seiner Abgeschlossenheit
Heraus sich wendet und aus Geisterreichen
Erzählt von Dingen, die an dieses Wort
Doch irgendwie sich anzuschliessen scheinen.
Man kann sonst jedes Ding vor ihm besprechen;
Es geht wie nichts an seinem Geist vorüber.

STRADER:
O schrecklich, wenn er Wahrheit sagte, grausam -

THEODORAS SEELE (erscheint):
Es hat Capesius empfangen dürfen
Erkenntnis meines Seins im Geisterland;
Und Wahrheit ist, was er vor euch verkündet.
Es darf Thomasius nicht fallen;
Maria hat der Liebesmacht das Opfer
In ihrem starken Herzen schon entzündet;
Und Theodora will von Geisteshöhn
Aus Liebemächten Segenstrahlen senden.
(Sie macht eine segnende Gebärde.)

FELIX BALDE:
Ihr müsst jetzt ruhig bleiben, lieber Strader
Sie will mit euch nun sprechen; ich verstehe
Die Zeichen, welche sie uns gibt; so höret.

THEODORA (die eine Handbewegung gegen Strader zu gemacht hat):
Thomasius besitzt die Seherkräfte:
Er wird mich auch in Geisterreichen finden.
Er darf es früher nicht, als bis er frei
Von seiner Leidenschaft mich suchen will.
Auch deine Hilfe wird er künftig brauchen,
Und ich erbitte diese jetzt von dir.

332

STRADER:
Du, meine Theodora, die auch jetzt
Sich noch zu mir in Liebe wenden will!
So sage, was du wünschest, dass geschehe.
(Theodora macht ein Zeichen gegen Capesius.)

FELIX BALDE:
Sie zeigt, dass sie nicht weiter sprechen kann.
Sie will, dass wir Capesius jetzt hören.
(Theodora verschwindet.)

CAPESIUS:
Thomasius kann Theodora schauen,
Wenn er das Geistesauge nützen will.
Deshalb wird auch ihr Tod die Leidenschaft
Ihm nicht ertöten, die ihm schädlich ist.
Er wird sich anders nur verhalten müssen,
Als er getan, wenn Theodora noch
Im Erdenleibe sich verkörpert hielte;
Er wird mit Leidenschaft das Licht erstreben.
Das ihr aus Geisteshöhn sich offenbart,
Obgleich sie Erdenwissen nicht besitzt
Es soll Thomasius dies Licht erbeuten,
Auf dass durch ihn es Lucifer empfange.
Dann könnte dieser durch das Götterlicht
Die Wissenschaft, die sich Thomasius
Durch Erdenkräfte hat erwerben können,
In seinem Reich für Ewigkeiten halten.
Es hat ja Lucifer seit Erdbeginn
Nach Menschen stets gesucht, die Götterweisheit
Durch falsche Triebe sich erworben haben.
Er will jetzt reinste Geistesschau vereinen
Mit Menschenwissen, das auf diesem Wege
Aus Gutem sich in Schlechtes wandeln würde.
Es wird Thomasius jedoch gewiss
Von seinem bösen Wege abgewendet,

333

Wenn Strader sich zu solchen Zielen lenkt,
Die künftig Menschenwissen geistig wandeln
Und so dem Götterwissen nähern können.
Er muss, dass diese Ziele sich ihm zeigen,
Als Schüler sich an Benedictus wenden. (Pause.)

STRADER (zu Felix Balde):
O Vater Felix, gebt mir euren Rat.
Ist dies in Wirklichkeit von Theodora
Capesius vertraut, es mir zu sagen?

FELIX BALDE:
Ich habe mich in letzten Zeiten oft
Mit meinem Innern ernstlich ausgesprochen,
Um über diesen Mann mich aufzuklären.
Ich will euch gern vertrauen, was ich weiss.
Capesius erlebt in wahrer Form
Die Geistesschülerschaft, obgleich es jetzt
Durch sein Verhalten anders scheinen kann.
Er ist von seinem Schicksal vorbestimmt,
Dereinst im Geistesleben viel zu schaffen.
Er kann die hohen Pflichten nur erfüllen,
Zu welchen seine Seele auserwählt,
Wenn sich sein Geist schon jetzt dazu bereitet.
Doch lag es seinem Wesen auch recht nahe,
Statt auf dem Geisteswege Licht zu suchen,
Der falschen Wissenschaft sich hinzugeben,
Die jetzt so viele Seelen blenden kann.
Der strenge Hüter an der ernsten Schwelle,
Die Sinnenwelt von Geisteswelten trennt,
Er hatte ganz besonders strenge Pflichten,
Als sich Capesius am Tore fand.
Dem ernsten Forscher musste dies geöffnet,

334

Doch hinter ihm sogleich verschlossen werden.
Er hätte durch die Art, wie er vorher
Im Sinnensein die Kräfte sich erworben,
Im Geistgebiet nicht weiter dringen können.
Er kann sich für die hohen Menschheitsdienste,
Die er in Zukunft wird zu leisten haben,
Am besten vorbereiten, wenn er achtlos
An unsrer Gegenwart vorühergeht.

FRAU BALDE:
Es gibt nur eines noch, das er beachtet.
Es sind die Märchen, die ich früher ihm
Gar oft erzählte, und durch welche er
Zu neuem Denken sich befruchtet glaubte,
Wenn seine Seele sich wie leer erfand.

CAPESIUS:
Es wandern Märchen auch ins Geistesland,
Wenn ihr sie auch im Geiste nur erzählt.

FRAU BALDE:
So will ich denn, wenn ich mich sammeln kann
Und meine Märchen mir im Innern spreche,
An euch in Liebe denken, dass sie euch
Dann auch im Geisteslande hörbar werden.

(Vorhang fällt.)

335

SECHSTES BILD


Ein Raum, der nicht von künstlichen Wänden begrenzt, sondern von baumartig geformten sich verschlingenden Gewächsen und Gebilden eingeschlossen ist, die sich ausweiten und Ausläufer ins Innere senden. Das Ganze durch Naturvorgänge wild bewegt und zuweilen stürmisch erfüllt. Capesius und Maria sind auf der Szene, wenn der Vorhang aufgeht. Dann kommen Benedictus, Philia, Astrid, Luna, die andre Philia, Lucifer, Ahriman und die tanzartig sich bewegenden Wesen, welche Gedanken darstellen, zuletzt Frau Baldes Seele.

BENEDICTUS (noch unsichtbar, nur hörbar):
In deinem Denken leben Weltgedanken.

CAPESIUS:
Das ist des Benedictus edle Stimme,
Und seine Worte tönen geistig hier.
Es sind die gleichen, die im Lebensbuche
Für seine Schüler eingeschrieben sind,
Und die für Erdenseelen schwer begreiflich
Und noch viel schwerer zu erleben sind.
An welchem Ort des Geisterlandes tönen
Die Worte, die auf Erden Seelen prüfen?

MARIA:
Du weilst so lange schon im Geisterland
In einer Art, die vieles offenbart,
Und unbekannt ist dir noch dies Gebiet?

CAPESIUS:
Was hier in eigner Wesenheit sich lebt,
Ist leicht verständlich geistgewöhnten Seelen;

336

Es klärt das eine sich durch andres auf.
Das Ganze ist voll Licht, wenn auch der Teil,
Für sich allein gesehn, oft dunkel ist.
Doch wenn sich geistig Sein mit Erdenwesen
Zu Einem Schaffen bilden will, beginnt
Die Seele ihr Verständnis zu verlieren.
Und nicht der Teil allein, das Ganze hüllt
Sich ihr dann oft in tiefe Finsternis.
Warum an diesem Orte widerhallen
Die Worte, die in Benedictus' Buch
Für Erdenseelen sich geschrieben finden,
Dies macht zum Rätsel, was sich hier begibt.

BENEDICTUS (noch immer unsichtbar):
In deinem Fühlen weben Weltenkräfte.

CAPESIUS:
Schon wieder solch ein Wort, das drüben
Von Benedictus Schülern anvertraut
Und hier in seiner Stimme sich erschafft!
Es strömet, Dunkelkraft durch sich erregend,
Durch dieses Reiches grenzenlose Weiten.

MARIA:
Schon fühle ich, was ich erfahren soll
In dieses Reiches fernelosen Weiten;
Und Benedictus Nähe winket mir.
Er will an diesem Ort mich schauen lassen,
Was unverständlich ist der Erdenseele,
Solang sie sinnbegabt im Leibe weset,
Auch wenn die Geistesschülerschaft errungen.
Sie muss dem Lehrer folgen zu den Orten,
Wo er die Worte nicht in Menschensprache
Zu Zeichen nur der Wesen prägen kann;
Wo er im Weltgeschehn die Schrift erreget,

337

Die weltbedeutend sich der Seele gibt.
Ich will das Innre mir vom Erdensein,
Verdichtend meine Seelenlträfte, lösen
Und so erwarten, was, sich offenbarend,
Mir durch die Geistesweiten zeigen will.
Es wird, wenn ich zum Erdensein mich wende,
Gedanke sein, der mir im Nach-Erdenken
Im Seelen-Innern als Erkenntnis leuchtet.

BENEDICTUS (erscheint aus dem Hintergrunde):
Gewinne dich in Weltgedankenkraft,
Verliere dich durch Weltenkräfteleben;
Du findest Erdenziele, spiegelnd sich
Durch deine Wesenheit im Weltenlicht.

CAPESIUS:
Auch Benedictus selber hier im Geiste!
Und seine Worte klingen nicht allein?
So trägt der Geisteslehrer Erdenwissen
Zu Geistesorten wirksam lebend hin?
Und was bedeuten diese Worte hier,
Die er im Erdenleben anders wendet?

BENEDICTUS:
Capesius, du bist in meine Kreise
In deinen Erdenzeiten eingetreten,
Obgleich du wissend nie mein Schüler warst.

CAPESIUS:
Capesius ist nicht an diesem Orte;
Und seine Seele will von ihm nicht hören.

BENEDICTUS:
Du willst nicht in Capesius dich fühlen,
Doch sollst du ihn erinnernd geistig schauen.
Dir hat des Denkens starke Wirkenskraft
Im Seelenleib das Geistessein erschlossen.

338

Es löste dann dein Seelenleben sich
Von Denkenstraumesspiel im Erdenleibe.
Zu schwach erfühlt' es sich, mit ihm zu wandeln
Aus Weltenfernen in die Seelentiefen;
Zu stark, mit ihm das Geisteshöhenlicht
Durch Erdenfinsternisse nur zu schauen.
Ich muss begleiten jeden, der von mir
Im Erdensein das Geisteslicht empfangen,
Ob er sich wissend, ob nur unbewusst
Sich mir als Geistesschüler hat ergeben,
Und muss die Wege weiter ihn geleiten,
Die er durch mich im Geist betreten hat.
Du hast gelernt durch Seelenschau dem Geiste
In Weltenweiten dich erkennend nahen,
Weil du vom Leib gelöst ihm folgen kannst.
Doch du erschaust noch nicht gedankenfrei
Im Geistgebiet die wahre Wesenheit.
Den Sinnesleib vermagst du abzulegen.
Doch nicht des Denkens feines Leibgewebe.
Du kannst die Welt erst wahrhaft wirklich schauen
Wenn nichts, das dir von Eigenheit geblieben,
Des Schauens Klarheit wirksam trüben kann.
Nur wer das eigne Denken ausser sich
Zu schauen hat gelernt, wie Seherkräfte
Den Erdenleib von sich gelöst erschauen,
Der dringt in Geisteswirklichkeiten ein.
So schau im Bilde, dass das Bild sich dir
Zum Wissen durch die Seherkräfte wandle,
Gedanken, die sich räumlich wesenhaft
Zu Formen bilden, Menschendenken spiegelnd.

(Eine freundlich gedämpfte Beleuchtung tritt ein, es erscheinen Philia, Astrid, Luna in glimmender Wolke. Benedictus, Capesius, Maria gehen ab.)

339

STIMME (zusammenklingend von Philia, Astrid, Luna gesprochen:
Es schweben Gedanken
Wie webendes Träumen
Sich wesenhaft bildend
An Seelen heran;
Sich schaffender Wille,
Sich regendes Fühlen,
Sich wirkendes Denken
Erstehe dem Träumer.

(Während dies erklingt, kommt Lucifer von der einen Ahriman von der anderen Seite. Sie suchen ihre Orte zu beiden Seiten des Raumes auf.)

LUCIFER (mit breitem Tone jedes Wort hervorhebend) :
In deinem Willen wirken Weltenwesen.

(Von der Seite des Lucifer bewegen sieh Wesen heran, welche Gedanken darstellen. In tanzartiger Weise führen diese Bewegungen aus, welche Gedankenfotmen, den Worten Lucifers entsprechend, darstellen.)

AHRIMAN (auch breit sprechend, doch rauh):
Die Weltenwesen, sie verwirren dich.

(Nach diesen Worten bewegen sich von Ahtimans Seite die Gedankenwesen und führen Tanzbewegungen, seinen Worten als Formen entsprechend, aus. Nach diesen werden die Bewegungen von beiden Gruppen zusammen ausgeführt.)

LUCIFER:
In deinem Fühlen weben Weltenkräfte.

(Es wiederholen nun die Gedankenwesen auf Lucifers Seite ihre Bewegungen.)

AHRIMAN:
Die Weltenkräfte, sie verführen dich.
(Es wiederholen die Gedankenwesen auf Ahrimans Seite ihre Bewegungen, dann wieder beide zusammen.)

340

LUCIFER:
In deinem Denken leben Weitgedanken.

(Wiederholung der Bewegungen durch Lucifers Gruppe.)

AHRIMAN:
Die Weltgedanken, sie beirren dich.

(Wiederholung der Bewegung durch Ahrimans Gruppe Dann viermalige Wiederholung der Bewegungen jeder Gruppe einzeln und dreimalige des Zusammenwirkens.)

(Die Gedankenwesen verschwinden links und rechts, Lucifer und Ahriman bleiben; es treten Philia, Luna, Astrid wieder aus dem Hintergrunde vor und sprechen die Worte, die sie vorher gesprochen, mir folgender Abänderung.)

STIMME (zusammenklingend, von Phiiia, Astrid und Luna gesprochen):
Es schwebten Gedanken
Wie webendes Träumen
Sich wesenhaft bildend
An Seelen heran;
Sich schaffender Wille,
Sich regendes Fühlen,
Sich wirkendes Denken
Erstanden dem Träumen.

(Philia, Astrid, Luna verschwinden; es kommt Capesius, und, nachdem er einige Worte gesprochen, tritt Maria hinzu, die ihm zuerst unsichtbar ist.)

CAPESIUS:
Die Seele, sie erlebt sich innerlich;
Sie glaubt zu denken, weil sie nicht Gedanken
Im Raume vor sich hingesteilt erschaut.
Zu fühlen glaubt sie, weil Gefühle nicht
Wie Blitze aus den Wolken zuckend leuchten;
Sie sieht des Raumes Reiche und erblickt
Die Wolken über sich . . . Und wenn dies nicht
Sich so verhielte: wenn die Blitze zuckten,
Und nicht ein Auge sich nach oben lenkte . . .
Sie müsste glauben, dass in ihr der Blitz.

341

Sie sieht nicht Lucifer, aus dem Gedanken
Entspriessen und Gefühle sich ergiessen -
So kann sie sich allein mit ihnen glauben.
Weshalb ergibt sie solchem Wahne sich?
O Seele, gib dir Antwort... doch . . . woher?
Aus dir? O tu es nicht . . . vielleicht ist auch
Die Antwort . . . nicht von dir . . . von Lucifer . . .

MARIA:
Und wenn sie's wäre: deshalb suchst du nicht?
So steige in die Tiefen, sie zu finden . . .

CAPESIUS:
Ein Wesen hier, das Seelen hören kann?

MARIA:
Es sind die Seelen hier doch nicht getrennt.
Das sind sie nur, wenn sie den Leib gebrauchen.
Hier hört sich jede selbst im Wort der andern.
Drum sagst du dir nur selbst, wenn ich dir sage:
Dass du in Tiefen Antwort suchen sollst.

CAPESIUS:
O in den Tiefen . . . droht die finstre... Furcht.

MARIA:
Ja, wahrlich, sie ist da; doch frage dich,
Da du hinab dich zwangest in ihr Reich,
Ob sie nicht deutlich sich dir offenbart.
Von Lucifer, vor dem du stehst, erfrage,
Ob er dir Furcht in deine Schwäche giesst.

LUCIFER:
Die Wesen, die mich fliehen, lieben mich.
Es liebten mich die Erdenkinder stets,
Nur glauben sie, dass sie mich hassen sollen.
Doch suchen sie in meinen Taten mich.
In kalter Wahrheit Formen müssten sie
Hinschmachten durch das lange Erdenwerden,
Wenn ich in ihre Seelen ihnen nicht

342

Die Schönheit senkte als des Daseins Zierde.
In Künstlerseelen flöße ich die Kräfte.
Was jemals Menschen als ein Schönes schauen,
In seinem Urbild ist's in meinem Reich.
Nun frage dich, oh du mich fürchten sollst.

MARIA:
In Lucifers Gebieten wäre Furcht
An ihrer rechten Stelle wahrlich nicht.
Er muss als Gaben Wünsche vor sich her,
Und nicht die Furcht, in Menschenseelen senden.
Sie stammt fürwahr aus andrem Machtbereich.

AHRIMAN:
Ich war den Göttern ebenbürtig einst.
Sie mussten mir die alten Rechte kürzen.
Ich wollte meinem Bruder Lucifer
Für seine Reiche so die Menschen bilden,
Dass jeder seine Welt in sich nur trüge.
Da Lucifer als Gleicher unter Gleichen
Im Geistesreiche nur sich geben wollte
Und Vorbild nur für andre, niemals aber
Ein Herrscher über Wesen konnte sein,
So wollte ich dem Menschen Stärke geben,
Dass er dem Lucifer sich gleich bezeuge.
Und wär' ich in dem Götterreich geblieben,
Es wär' dies auch im Urbeginn geschehn.
Doch wollten Götter Herrscher sein auf Erden,
So mussten sie aus ihrem Reiche einst
In Abgrundtiefen meine Kraft verbannen,
Dass ich die Menschen nicht zu stark erkrafte
Und so vermag ich nur von diesem Orte
Zur Erde hin die starke Kraft zu senden.
Sie wird auf diesem Wege aber - Furcht.

(Bei Ahrimans letzten Worten erscheint Benedictus.)

243

CAPESIUS:
Wer das gehört, was hier die beiden Mächte
Von ihren Orten durch die Welten sprachen,
Der weiss dadurch die Furcht und auch den Hass
In ihren eignen Reichen aufzusuchen.

BENEDICTUS:
In Weltenworten sollst du dich erkennen,
Erfühlen dich in Weltgedankenkraft.
Und da du ausser dir jetzt schauen konntest,
Was du als deine Eigenheit dir träumtest,
So finde dich und schaudre künftig nicht
Beim Worte, welches dir gerecht erklingt
Und dir das eigne Sein bezeugen soll.

CAPESIUS:
So darf ich künftig wieder mir gehören.
Ich werde mich jetzt suchen, weil ich mich
Im Weltendenken schauend leben darf.

BENEDICTUS:
Und binde dir, was du gewonnen jetzt,
An alt Erworbenes auch, zum Weltbesitz.

(Im Hintergrunde an Benedictus' Seite erscheint Frau Balde in ihrer gewöhnlichen Kleidung.)

FRAU BALDE (im sinnigen Märchenton):
Es war einmal ein helles Götterkind.
Das war den Wesen wahlverwandt, die Weisheit
Im Geistesreiche sinnvoll weben dürfen.
Das Wesen wuchs, gepflegt vom Wahrheitvater,
In seiner Welt zur Urgewalt heran.
Und als es fühlte den gereiften Willen
In seinem Lichtesleib sich schaffend regen,
Da blickt es oft voll Mitgefühl zur Erde,
Wo Menschenseelen sich nach Wahrheit sehnten.

344

Es sagt' das Wesen dann zum Wahrheitvater:
«Es dürsten Menschen nach dem Trank, den du
Aus deinen Quellen ihnen reichen kannst.»
Mit ernster Würde sprach der Wahrheitvater:
«Die Quellen, welche ich behüten muss,
Sie lassen Licht aus Geistessonnen strömen;
Und trinken dürfen Licht nur solche Wesen,
Die nicht nach Luft zum Atmen dürsten müssen.
Drum hab' ich mir am Licht das Kind erzogen,
Das Mitleid mit den Erdenseelen fühlen
Und Licht in Atemwesen zeugen kann.
So wandle du zu Menschen hin und bringe
Das Licht aus ihren Seelen meinem Licht
Vertrauensvoll und geistbelebt entgegen. »
Da wandte sich das helle Lichteswesen
Zu Seelen hin, die atmend sich erleben.
Es fand auf Erden viele gute Menschen,
Die freudig ihm die Seelenwohnung gaben.
Es lenkte dieser Seelen Blick zum Vater
Am Lichtesquell in treuer Liebe hin.
Und wenn das Wesen aus dem Menschenmund
Und frohem Menschensinne Phantasie
Als Zauberwort vernahm, dann wusst' es sich
In guten Menschenherzen froh erlebt.
Doch eines Tages trat zu diesem Wesen
Ein Mann, der ihm gar fremde Blicke warf.
«Ich lenk' auf Erden Menschenseelen hin
Zum Wahrheitvater an dem Lichtesquell.»
So sprach das Wesen zu dem fremden Manne.
Da sprach der Mann: «Du webst in Menschengeistern
Nur wilde Träume und betrügst die Seelen.»
Und seit dem Tage, welcher dieses sah,

345

Verleumden viele Menschen dieses Wesen,
Das Licht in Atemseelen bringen kann.

(Es erscheinen in einer Lichtwolke: Philia, Astrid, Luna und die andre Philia.)

PHILIA:
Es findet die Seele,
Die trinket das Licht,
In Weltengefilden
Sich kräftig erwacht.

ASTRID:
Es fühlet der Geist,
Der furchtlos sich weiss,
Im Welten-Erleben
Sich kraftvoll erstehen.

LUNA:
Es wolle der Mensch,
Der Höhen erstrebt,
In Gründen des Seins
Sich machtvoll erhalten.

DIE ANDRE PHILIA:
Es strebet der Mensch
Zum Träger des Lichts,
Der Welten erschliesst,
Die fröhliche Sinne
Im Menschen erquicken.
Begeistert Bewundern
Entführer den Geist
In Götrergefilde,
Die leuchtende Schönheit
In Seelen erweckt.
Errungenes tröstet
Gefühle, die wagen

346

An Schwellen zu treten,
Die strenge behütet
Vor fürchtenden Seelen.
Und Stärke, sie findet
Das reifende Wollen,
Das furchtlos sich trägt
Zu Schöpfergewalten,
Die Welten erhalten.

(Vorhang fällt, während noch Benedictus, Capesius, Maria, Frau Balde, Lucifer, Ahriman und die vier Seelengestalten an ihren Orten sind.)

347

SIEBENTES BILD

Eine Landschaft aus Phantasieformen. Majestätisch in ihrer Zusarnmen setzung aus wirhelnden Wassermassen, die sich zu Gestalten formen auf der einen Seite, aus lodernden Feuerwirbeln auf der andern Seite. In der Mitte ein Erdschlund, aus dem Feuer sprüht, das sich wie zu einem Tore auftürmt, welches sich vor einem aus Feuer und Wasser sich gestaltenden gebirgsartigen Gebilde befindet. Der Hüter, Thomasius, Maria, später Lucifer, dann die andre Philia.

DER HÜTER:
Welch ungestümes Wünschen tönt hierher;
So stürmen Menschenseelen, die mir nahen,
Bevor sie noch Gelassenheit sich voll errungen.
Es treibt jedoch Begierde solche Wesen
Und nicht die Kraft, die schaffend sprechen darf,
Weil sie sich schweigend selber schaffen konnte.
Die Seelen, welche hier sich so bezeugen,
Ich muss zur Erde sie zurück verweisen.
Sie können doch in Geistesreichen nur
Verwirrung stiften und die Taten stören,
Die Weltenmächte weise vorbereiten.
Und auch dem eignen Wesen schaden sie.
Sich selbst erzeugen sie Zerstörungstriebe,
Die sie für Schöpferkräfte halten können,
Weil sie den Wahn für Wahrheit nehmen müssen,
Wenn Erdenfinsternis sie nicht mehr schützt.

(Es erscheinen Thomasius und Maria.)

THOMASIUS:
Du siehst vor deiner Schwelle nicht die Seele,
Die aus Thomasius, dem Geistesschüler

348

Des Benedictus, sich dir öfter nahte,
Obgleich sie doch Thomasius Gestalt
Auf Erden noch die ihre nennen muss.
Der kam zu dir mit Wissensdurst erfüllt.
Er konnte deine Nähe nicht ertragen.
Er hüllte sich in seine Eigenheit,
Wenn er dich fühlte; und so sah er oft
In Welten, die ihsh alles Daseins Ursprung
Und alles Seins Bedeutung scheinbar zeigten.
Er fand in ihnen Wissensseligkeit
Und fand auch Kräfte, die dem Künstler gaben,
Was ihm Gemüt und Hand in Schöpfungsspuren
So lenkte, dass er wahrhaft glauben konnte,
In ihm erlebten Weltenkräfte sich
Und hielten ihre Wirkung bildhaft fest.
Er wusste nicht, dass nichts vor ihm erstand
In allem, was er schaffend denken konnte,
Als nur der eignen Seele Wesensinhalt.
Der Spinne gleich, die sich ins Netz verspinnt,
So formte er sich selbst, als Welt sich fühlend.
Er glaubte einst Maria geistig wirklich
Sich gegenüberstehend; doch er schaute
Das Bild, das sie in seine Seele erst
Geprägt, und das als Geist sich offenbarte.
Und als er dann für wenig Augenblicke
Das eigne Wesen wirklich sehen durfte,
Da hätte er sich selbst entfliehen mögen;
Er glaubte sich im Geist und fand sich nur
Als Wesenheit im eignen Blute vor.
Er lernte kennen dieses Blutes Macht;
Es war in Wahrheit, und nur Bild das andre.
Und echtes Schauen gab ihm nur sein Blut.
Es ward ihm wahrer Lehrer; es zeigte,

349

Wer Vater ihm und wer ihm teure Schwester
In lang vergangnen Erdenzeiten war.
Zu Blutsverwandten führte ihn sein Blut.
Da wusste er, wie stark die Menschenseele
Sich täuschen muss, wenn sie vom Stoff zum Geiste
In Eitelkeit empor sich heben will.
Solch Streben kann die Seele wahrlich fester
Dem Stoff verbinden als das Tagessein,
Das menschlich dumpf den Daseinstraum erlebt.
Und als Thomasius als seine Lage
Dies vor die Seele sich so stellen konnte:
Da warf er jener Macht sich kräftig hin,
Die ihn nicht trügen konnte, wenn sie auch
Im Scheine nur sich zeigte; wusst' er doch,
Dass Lucifer selbst dann noch wirklich ist,
Wenn er sich nur im Bilde zeigen kann.
Die Götter wollen in der Wahrheit nur
Dem Menschen nahn; doch Lucifer - der bleibt
Er selbst, oh wahr, ob falsch der Mensch ihn schaut
Deshalb erkenn' ich auch, dass ich fürwahr
Die Wirklichkeit erfühle, wenn ich glaube,
Dass ich die Seele finden muss, die er
In seinem eignen Reiche mir verband.
Mit all der Kraft, die Lucifer verleiht,
Gerüstet, will ich mich an dir vorbei
Zu Theodora drängen, welche ich
Im Lande jenseits dieser Schwelle weiss.

DER HÜTER:
Thomasius, bedenke, was du weißt.
Was jenseits dieser Schwelle sich erlebt,
Ist dir wohl unbekannt: vertraut jedoch
Bist du mit allem, was ich fordern muss,
Bevor du dieses Reich betreten kannst.

350

Du musst dich trennen erst von vielen Kräften.
Die du im Erdenleibe dir erworben.
Behalten kannst du doch von ihnen nur,
Was sich in geistig reinem Streben dir
Erschlossen und auch rein verblieben ist.
Doch dieses hast du selbst von dir geworfen
Und Ahriman als Eigentum gegeben.
Was dir jetzt noch erhalten, das hat dir
Für Geisteswelten Lucifer verdorben.
Ich muss es an der Schwelle dir benehmen,
Wenn du gerecht sie überschreiten willst.
So bleibt dir nichts; - ein wesenloses Wesen
Das wirst du sein, wenn du dich geistig findest.

THOMASIUS:
Doch werd' ich sein und Theodora finden.
Sie muss mir Quelle vollen Lichtes sein,
Das ihrer Seele ohne Erdenwissen
So reichlich stets sich offenbaren kann.
Das ist genug. Und du wirst dich vergebens
Mir widersetzen, auch dann, wenn die Kraft,
Die ich auf Erden mir erworben habe,
Der Meinung nicht entspricht, die sich in dir
Vom guten Geiste einst gebildet hat.

MARIA:
Bekannt ist dir, der dieses Reiches Schwelle
Behüten muss seit Erdenurbeginn,
Was, um es zu betreten, Wesen brauchen,
Die deiner Art und deiner Zeit gehören;
Und auch die Menschen, welche dir begegnen,
Sie müssen, wenn sie nur sich selber bringen
Und rechtes Geistesgut nicht zeigen können,
Von hier zurück ins Erdenleben gehen.
Doch dieser hat die andre Seele dir
Mit sich an deine Schwelle bringen dürfen,

351

Die ihm das Schicksal eng verbunden hat.
Du bist bestellt von hohen Geistesmächten,
Um viele Menschen hier zurückzuhalten,
Die sich der Pforte dieses Reiches nahen,
Und die Zerstörung nur sich selber brächten,
Wenn sie die Schwelle überschreiten würden.
Doch du vermagst sie jenen doch zu öffnen,
Die sich durch ihres Wesens Eigenart
Im Geistesreiche solcher Liebe neigen
Und sich mit ihr auch ganz durchdringen können,
Die deine Götter ihnen vorbestimmt,
Bevor noch Lucifer zum Kampfe schritt.
Vor seinem Throne stehend hat mein Herz
Sich streng geloben dürfen, dieser Liebe
In künft'gen Erdenzeiten so zu dienen,
Dass ihr Erkenntnis, die von Lucifer
In Menschenseelen strömt, nicht schaden kann.
Und Menschen werden stets sich finden müssen,
Die auf der Götter Liebeoffenbarung
Mit starkem Sinne hören, wie sie einst
Auf Lucifers Erkenntnisworte hörten.
Johannes hat im Erdenleibe jetzt
Gehör für meine Stimme nicht wie früher,
Als ich in langvergangnen Erdenleben
Ihm offenbaren durfte, was mir selbst
Vertraut Hybernias Weihestätten hatten,
Von jenem Gotte, der im Menschen wohnt,
Und der einst über Todesmächte siegte,
Weil er der Liebe Wesen leben konnte.
Der Freund, er wird im Geistesreiche wieder
Das Wort aus meiner Seele hören können,
Für welches Lucifer sein Erdgehör
Ihm trüben konnte durch die Wahneskraft.

352

THOMASIUS: (wie ein Wesen geistig schauend):
Maria, siehst du dort im langen Kleid
Den würdevollen Greis, das Antlitz ernst,
Die Stirne edel, leuchtend seine Blicke.
Er schreitet durch die Gassen, die von Menschen
Gefüllt; doch alle weichen ehrerbietig
Zur Seite, dass in Ruhe jener Greis
Des Weges gehen könne und ihm nicht
Des Denkens Lauf unsanft zerrissen werde.
Denn sehen kann man, wie er ganz in sich
Gedankenkräftig Wesenhaftes sinnt.
Maria, siehst du ihn?

MARIA:
Ich sehe ihn,
Wenn ich mit deinem Seelenauge blicke.
Nur dir allein will er in dieser Zeit
Bedeutungsvoll im Bild sich offenbaren.

THOMASIUS:
Ich kann ihm jetzt in seine Seele sehn;
Bedeutungsvolles lebt in ihren Tiefen,
Erinnerung an kurz vorher Gehörtes.
Es steht ein weiser Lehrer ihm vor Augen.
Er lässt durch seine Seele Worte ziehn,
Die er von ihm gehört; er kommt von ihm.
An alles Daseins Quellen rührt sein Denken;
Wie einst die Menschen alter Erdenzeit
Der Geistesschau noch nahestehen durften,
Doch traumhaft nur das Seelenleben war.
Des Greises Seele folgt Gedankengängen,
Die vom erhahnen Lehrer er vernommen.
Und jetzt verliert er sich dem Seelenauge;
O könnt' ich doch noch weiter ihn erblicken!

353

Ich sehe aus der Volkesmasse Männer
Besprechend sich; ich höre ihre Worte.
Von jenem Greise sprechen sie mit Achtung.
Er war in jungen Jahren tapfrer Krieger,
Es brannte Ruhmbegierde und der Ehrgeiz
In seiner Seele; als der erste Kämpfer
In seinen Reihen gelten, seine Lust.
Er hat im Waffendienste Grausamkeiten
Verrichtet ohne Zahl; er wollte glänzen.
Es gab in seinem Leben solche Zeiten,
In welchen er viel Blut vergossen hat.
Es kam dann auch die Zeit, in welcher schnell
Das Glück des Krieges sich von ihm gewandt.
Er zog vom Kampfe schimpflich, schmachbeladen
In seine Heimat; Hohn und Spott erfuhr
Der Mann, und wilder Hass erfüllte ihm
Seit dieser Zeit die Seele, die an Stolz,
An Ehrbegierde nicht verloren hatte.
Er sah in seinen Volksgenossen jetzt
Nur Feinde, welche er vernichten wollte,
Sobald Gelegenheit sich ihm ergebe.
Doch weil des Mannes stolze Seele sich
Gar bald gestehen musste, dass ihm Rache
An seinen Feinden während seines Lebens
Nicht möglich sei, bezwang er sich nun selbst.
Er kämpfte nieder Stolz und Ruhmbegierde.
Im Greisenalter noch entschloss er sich,
Dem kleinen Schülerkreise beizutreten,
Der damals sich in seiner Stadt gebildet.
Der Mann, der Lehrer dieses Kreises war,
Besass in seiner Seele alle Weisheit,
Die von den Meistern alter Menschheitszeiten

354

Den Eingeweihten überliefert ward.
Das höre ich von Männern aus dem Volke.
Ich fühle warme Liebe, wenn ich so
Das Seelenauge wende zu dem Greise,
Der nach den Siegen, die ihm Ruhmbegierde
Errungen, den grössten noch erkämpfen durfte,
Der Menschen möglich, jenen über sich. -
Weshalb erblicke ich an diesem Orte
Den Menschen, welchem ich mich ganz ergebe,
Auch wenn er nur im Bilde vor mir steht?
Gefühle, wie sie sich aus mir erzwingen,
Sie bildet nicht der Augenblick; verbunden
Durch langvergangne Leben muss ich sein
Der Seele, die ich lieben muss wie diese.
Ich habe nicht in diesem Augenblicke
In mir erregt, was so gewaltig ist,
Wie solche Liebe, die ich jetzt erfühle.
Erinnerung an alte Zeiten ist's;
Gedanken fassen sie noch nicht, doch ruft
Gedächtnis mir Gefühle jetzt herbei.
Ich war wohl dieses Mannes Schüler einst
Und blickte voll Bewundrung auf zu ihm.
O wie ersehne ich, der Erdenseele,
Die vormals diesen Leib den ihren nannte,
In dieser Stunde wieder zu begegnen,
Ob sie auf Erden, ob sie anderswo.
Ihr soll mein starkes Lieben sich bezeugen!
Sie kann nur gute Kräfte mir erneuern,
Die würdig ernste Menschheitsbande schufen.

MARIA:
Und bist du auch gewiss, Johannes,
Dass diese Seele, wenn sie jetzt dir naht,

355

Sich auf der gleichen lichten Höhe zeigt,
Auf der sie stand in jener alten Zeit,
Die eben sich vor deine Seele malte?
Vielleicht ist sie gefesselt von Gefühlen,
Nicht würdig dessen, was sie einst gewesen.
Es wandelt wahrlich mancher Mensch auf Erden .
Der nur mit Schamgefühl erblicken würde,
Wie wenig er in seiner Gegenwart
Entspricht dem Leben, das er einst geführt.
Vielleicht ist dieser Mann von Leidenschaft,
Von Trieben aufgewühlt, und du erblicktest
Ihn jetzt mit tiefer Trauer und Bestürzung.

THOMASIUS:
Maria, warum sprichst du diese Worte?
Ich kann nicht sehen, was dazu dich führt;
Bewegen hier Gedanken anders sich
Als an den Orten, die der Mensch gewohnt?

DER HÜTER:
Johannes, was sich hier an diesem Orte
Jetzt offenbart, ist Prüfung deiner Seele.
In deines Wesens Untergründen schaue,
Was du nicht wissend willst und doch vermagst.
Was dir in deinen Tiefen sich verbarg,
So lange du mit blinder Seele lebtest:
(Lucifer erscheint.)
Es wird vor dich nun treten und dir rauben
Die Finsternis, in deren Schutz du warst.
Erkenne, wer die Menschenseele ist,
Zu der du dich in heisser Liebe neigst,
Und die den Leib bewohnte, den du schaust.
Erkenne, wem du stärkste Liebe geben kannst.

LUCIFER:
Versenke dich in deines Wesens Gründe;
Erkenne deiner Seele starke Kräfte.

356

Und lerne wissen, wie dich starke Liebe
Im Weltenwerden aufrecht halten kann.

THOMASIUS:
Ja, jetzt erfühle ich das Seelenwesen,
Das sich mir zeigen wollte - - Theodora -
Sie selbst, sie wollte sich mir offenbaren.
Sie stand vor mir, weil ich sie sehen werde,
Wenn diese Pforte sich mir öffnen wird.
Ich darf sie lieben, ihre Seele stand
Vor mir in jener andren Leibesform,
Die mir gezeigt, dass ich sie lieben muss.
In dir nur will ich jetzt mich wieder finden
In deiner Kraft die Zukunft mir erkämpfen.

DER HÜTER:
Ich kann dir nicht verwehren, was du musst.
Im Bilde sahst du schon das Seelenwesen,
Das du am meisten liebst; du sollst es schauen,
Wenn du die Schwelle überschritten hast.
Erkenn' es und erlebe, ob es dir
So heilsam bleiben darf, wie du erträumst.

DIE ANDRE PHILIA (erscheinend):
O höre nicht den strengen Hüter,
Er führer dich in Lebensöden
Und raubet dir die Seelenwärme:
Er kann nur Geisteswesen schauen
Und kennt nicht Menschenleiden
Die Seelen nur ertragen,
Wenn Erdenliebe sie bewahrt
Vor kalten Weltenweiten.
Die Strenge eignet ihm,
Die Milde fliehet ihn,
Und Wunscheskräfte,
Die hasset er
Seit Erdenurbeginn (Vorhang fällt.)

357

ACHTES BILD


Das Reich Ahrimans. Dunkler schluchtartiger Raum, begrenzt von Gebirgen, die aus schwarzen Gesteinsmassen in phantastischen Formen aufgetürmt sind und überall Gerippe zeigen, die wie aus der Gebirgsmasse, aber weiss, herauskristallisieren. Ahriman an einem Abhang. Hilarius, Friedrich Trautmann; dann die zwölf im ersten Vorgang versammelten Personen, dann Strader, später Thomasius und Maria; der Hüter und zuletzt der Doppelgänger des Thomasius.

FRIEDRICH TRAUTMANN:
Wie oft schon hab' ich dieses Reich betreten. -
Und doch, wie grauenvoll erscheint es mir,
Dass wir auch hier so oft uns Weisung holen
Für manche Leistung, die als Bund uns wichtig
Und die bedeutend ist für unsre Ziele.

HILARIUS:
Es muss das Samenkorn dem Tode erst verfallen,
Ehe Leben wiederkehrt.
An diesem Orte soll sich alles finden,
Was sich im Erdenleben abgebraucht;
Es wird zu neuem Sein hier umgewandelt. -
Wenn unser Bund die Keime pflanzen will
Für Menschentaten, die in Zukunft reifen,
So muss er Samen aus dem Toten holen.

FRIEDRICH TRAUTMANN:
Unheimlich ist der Herr, der hier gebietet;
Und wahrlich, ständ' es nicht in unsren Schriften.
Die doch des Tempels beste Schätze sind,

358

Dass gut das Wesen, dem wir hier begegnen,
Man könnt' es oft für böse wahrlich halten.

HILARIUS:
Nicht Schriften nur, auch meine Geistesschau.
Sie sagt mir, dass es Gutes offenbart.

AHRIMAN (mit verstellter Stimme):
Ich weiss, warum ihr hier nun wieder seid.
Ihr wollt die rechte Art bei mir ergründen,
Wie ihr die Menschenseele führen sollt,
Die öfter schon an eurer Schwelle stand.
Da ihr Thomasius verloren glaubt,
So scheint euch Strader nun der rechte Mensch,
Der für den Mystenbund euch dienen soll.
Was er aus Kräften, die natürlich wirken,
Dem Menschenfortschritt hat erobern dürfen,
Er dankt es mir; denn ich gebiete da,
Wo Kräfte, die mechanisch brauchbar sind,
Aus Schöpferquellen Stärke sich erwerben.
So muss sich auch zu meinem Reiche wenden
Was er der Menschheit wird noch schaffen können.
Doch will ich dieses Mal mir selbst besorgen,
Was künftig für den Mann geschehen soll,
Da ihr mir bei Thomasius Verlust
Aus eurem Wirken doch nur bringen könnt. -
Wenn ihr den Geistesmächten dienen wollt.
So werdet ihr erst noch erwerben müssen,
Was ihr in diesem Falle missen liesset.
(Ahriman wird unsichtbar.)

FRIEDRICH TRAUTMANN:
(nach einer Pause, in welcher er sich in sich versenkt) :
Mein hoher Meister, mich bedrückt ein Kummer,
Seit lange schon versuch' ich, ihn zu bannen,

359

Weil dies die strengen Regeln mir gebieten,
Die unser Bund uns vorgezeichnet hat.
Doch vieles, was das Bundesleben zeigt,
Es macht den Seelenkampf mir wahrlich schwierig.
Ich wollte meine Finsternis doch stets
Dem Geisteslichte dankbar unterordnen,
Das ihr durch eure Kräfte geben könnt.
Doch wenn ich deutlich oft erleben musste,
Wie ihr der Täuschung unterworfen seid,
Und eure Worte durch den Lauf der Dinge
Sich als ein schwerer Irrtum zeigen können,
Dann fühlte ich, als ob sich mir ein Alp
Recht schmerzlich auf die Seele legen wollte.
Auch dieses Mal ist euer Wort ein Irrtum.
Ihr konntet glauben, dass wir hier gewiss
Von diesem Geiste Gutes hören würden.

HILARIUS:
Der Welten Wege sind nur schwer ergründlich;
Mein lieber Bruder, uns geziemt zu warten,
Bis uns der Geist die Richtung zeigen will,
Die unstem &haffen angemessen ist.
(Hilarius und Trautmann gehen ab.)

AHRIMAN (der wieder erschienen ist):
Sie sehen mich und kennen mich doch nicht;
Denn wüssten sie, wer hier Gebieter ist,
Sie wären, Weisung suchend, wahrlich nicht
Hierher gekommen; und die Menschenseele,
Von der sie hörten, sie besuche mich,
Verdammten sie zur langen Höllenpein.

(Es treten auf: die Personen, welche zu Anfang des ganzen Vorganges im Vorsaal des Mystenbundes versammelt waren, doch wird angedeutet, dass sie das Reich des Ahriman

360

nur blind betreten. Was sie sprechen, sind Wotte, die zwar in ihrer Seele leben, von denen sie aber doch nichts wissen. Sie erleben unbewusste Träume im Schlafe, die in Ahrimans Reich hörbar werden. Sttader jedoch, der ebenfalls kommt, ist halbbewusst in bezug auf alles, was er erlebt, so dass er sich später wird daran erinnern können.)

STRADER:
Die Winke, welche Benedictus gab,
Dass ich gedankenkräftig mich erlebe,
Sie führen mich in dieses Totenreich?
Ich hoffte doch, zum Geist erhoben,
Wahrheit in lichten Weisheitshöhen zu empfangen!

AHRIMAN:
Es wird für lange Zeit dir reichen können,
Was du an Weisheit dir an diesem Ort
Erwerben kannst, wenn du dich recht verhältst.

STRADER:
Vor welchem Geiste steht denn meine Seele?

AHRIMAN:
Erkenne ihn, wenn dir Erinnerung später
Zurück kann rufen, was du hier erlebst.

STRADER:
Und diese Menschen, warum find' ich sie
In deinem finstern Reich?

AHRIMAN:
Sie sind als Seelen
An diesem Orte nur und wissen nichts
Von sich in dieser Zeit, da sie zu Hause,
In tiefen Schlaf versenkt, zu finden sind.
Doch hier wird sich ganz deutlich offenbaren.
Was in den Seelen lebt und was sie selber
Sich wachend kaum zum eignen Wissen bringen.
Sie können auch nicht hören, was wir sprechen.

361

LUISE FÜRCHTEGOTT:
Die Seele soll nicht, blind ergeben, glauben,
Dass sie in stolzer Kraft zum Licht sich heben
Und eignes Wesen voll entfalten könne.
Ich will nur anerkennen, was ich weiss.

AHRIMAN (nur Strader hörbar):
Und weisst doch nicht, wie blind du selber dich
Mit deiner stolzen Kraft ins Dunkel führst.
Sie wird dir dienen, Strader, an dem Werk,
Das du aus meinen Kräften kühn errungen.
Sie braucht dazu nicht Glauben an den Geist,
Der ihrem Hochmut nicht geziemend scheint.

FRIEDRICH GEIST:
Die Mystenwege sind fürwahr verlockend;
Es soll mir künftig nicht am Fleiße fehlen,
Mich gründlich aller Weisheit hinzugeben,
Die mir aus Tempelworten werden kann.

MICHAEL EDELMANN:
Der Seele Wahrheitstriebe lenken mich
Zum Geisteslicht; es wird die edle Lehre,
Die jetzt so hell ins Menschenleben leuchtet,
An mir gewiss den besten Schüler finden.

GEORG WAHRMUND:
Ich war von allem tief ergriffen stets,
Was mir von edler Mystik Geistesschätzen
Aus mancher Quelle sich erschlossen hat;
Aus vollem Herzen will ich weiter streben.

AHRIMAN (nur Strader hörbar):
Sie meinen's gut; doch sitzt ihr Streben nur
In obern Schichten ihres Seelenlebens.

362

So werde ich, was sie in Geistesgründen
An grossen Schätzen unbewusst noch bergen,
Für lange Zeiten kräftig nutzen können.
Auch sie erscheinen brauchbar meinem Ziel,
Das Straders Werk im Menschen-Erdenleben
In glänzend stolzer Art entfalten will.

MARIA TREUFELS:
Gesunder Lebenssinn wird aus sich selbst
Der Seele auch die Geistesfrüchte bringen,
Wenn Menschen Ehrfurcht vor dem Weltenall
Mit klarem Blick in Wirklichkeiten einen.

AHRIMAN (nur Strader hörbar):
Die spricht im Traume von der Wirklichkeit;
Sie träumt wohl um so besser, wenn sie wacht.
So wird sie mir jetzt schlechte Dienste leisten
Vielleicht in ihrem nächsten Leben bess're;
Doch wird sie dann als Okkultist erscheinen
Und nach Bedarf den Menschen ihre Leben
Bis zu den Erdenurbeginnen sagen.
Doch wird sie kaum die Treue richtig schätzen;
Im frühern Leben schalt sie Strader böse
Und jetzt belobt sie ihn; das ändert sich.
An ihr wird Lucifer sich mehr erfreuen.

FRANZISKA DEMUT:
Der Mystik ernstes Reich, es wird dereinst
Des Menschen Wesen als ein Ganzes bilden,
Wenn sich Gedanken durch Gefühle pflegen,
Gefühle von Gedanken führen lassen.

KATHARINA RATSAM:
Die Menschen streben doch, das Licht zu sehen.
Sie tun es oft in ganz besondrer Art;

363

Erst löschen sie es aus und wundern sich,
Dass sie es dann im Finstern nirgends finden.

AHRIMAN (nur Strader hörbar):
So sind die Seelen, die wohl gut zu reden
Als rechtes Wohlgefühl empfinden mögen;
Doch fehlt's an Festigkeit im Untergrunde.
Sie selber bleiben mir wohl unzugänglich,
Doch werden sie noch manches künftig leisten,
Was mir recht gute Früchte bringen kann.
Sie sind noch lange nicht, was sie sich gelten.

BERNHARD REDLICH:
Wenn Vorsicht fehlt im Streben nach Erkenntnis,
Wird Phantasie wohl nichts als Luftgebäude
Zur Lösung aller Weltenrätsel bringen,
Die doch nur strenges Denken meistern kann.

HERMINE HAUSER:
Die Weltendinge müssen sich stets wandeln,
Wenn alles Sein sich ganz entfalten soll;
Wer wünschen kann, dass alles sich erhalte,
Dem fehlt die Kraft, das Leben zu verstehn.

CASPAR STÜRMER:
In Phantasien leben, heisst doch nur,
Der Menschenseele jene Kräfte rauben,
Durch die sie stark sich macht, im Dasein sich
Und andern Menschen rechten Dienst zu tun.

MARIE KÜHNE:
Die Seele, die sich selbst verkümmern will,
Sie mag nach äussern Kräften sich gestalten;

364

Der rechte Mensch wird nur Persönlichkeit
Entwickeln wollen, die sein Wesen birgt.

AHRIMAN (nur Strader hörbar):
Was deren Seelen bergen, ist nur menschlich.
Man kann nicht wissen, was sie noch erreichen.
An ihnen mag sich Lucifer versuchen;
Er kann sie glauben machen, dass sie stark
Die eigne Kraft der Seele nur entfalten,
So sind sie ihm vielleicht noch unverloren.

FERDINAND REINECKE:
Wer Weltenrätsel recht begreifen will,
Der warte, bis Verstand und rechter Sinn
Sich seinem Leben durch sich selbst erschliessen.
Und wer im Dasein sich zurecht will finden,
Ergreife, was ihm nützt und Freude macht.
Erst über alles Weisheitslehren suchen
Und hohe Ziele schwachen Menschen geben,
Das führt auf dieser Erde doch zu nichts.

AHRIMAN (nur Strader hörbar):
Der ist zum Philosophen auserkoren,
Er wird es auch im nächsten Leben sein -,
Mit diesem gleich' ich nur die Rechnung aus.
Von zwölfen brauch' ich sieben stets für mich
Und gebe fünf dem Bruder Lucifer.
Von Zeit zu Zeit betrachte ich die Menschen
Und forsche, wie sie sind und was sie können.
Und hab' ich mir erst zwölfe ausgewählt,
Dann brauche ich nicht länger noch zu suchen.
Denn komme ich im Zählen an den dreizehnten,
So gleicht er doch dem ersten ganz ersichtlich.

365

Wenn ich die zwölfe dann in mein Gebiet
Durch ihre Seelenart mir holen kann,
So müssen ihnen doch auch andre folgen.
(Für sich; dass Strader es nicht hört, hält er ihm die Ohren zu.)
Bis jetzt ist mir ja nichts davon gelungen,
Die Erde wollte sich mir nicht ergeben.
Doch will ich streben durch die Ewigkeiten,
Bis mir der Sieg - vielleicht gelingen wird.
Was nicht verloren ist, das soll man nutzen.
(Das Folgende wieder, dass es Strader hörbar ist.)
Du siehst, ich mache schöne Worte nicht,
Gefallen will ich Menschen wahrlich nicht.
Wer sich durch wohlgesetzte Reden will
Begeisterung für seine Ziele holen,
Der muss zu andren Welten sich begeben.
Wer aber mit Vernunft und Wahrheitssinn
Die Dinge sieht, die hier durch mich geschehn,
Der kann erkennen, dass bei mir sich finden
Die Kräfte, ohne welche Menschenkinder
Sich doch im Erdensein verlieren müssen.
Es brauchen selbst die Götterwelten mich;
Denn sie entführen mir die Seelen erst,
Wenn ich in deren Gründen mich betätigt.
Gelingt es meinen Gegnern dann, die Menschen
Zum Glauben zu verführen, dass mein Sein
Im Weltenall entbehrlich sich erweise,
Dann träumen Seelen wohl von hohen Welten,
Doch starke Kraft versiegt im Erdenwerden.

STRADER:
Du siehst in mir die Seele, die dir folgen
Und ihre Kräfte dir gewähren könnte.
Und was ich hier gesehn, es scheint zu zeigen,

366

Dass Mangel an Vernunft und starkem Sinn
Allein die Menschen dir zu Gegnern macht.
Du brauchtest wahrlich schöne Worte nicht;
Fast spottend über diese armen Menschen
Gefiel es dir, ihr Schicksal vorzuzeichnen.
-----------------------------
Gestehen muss ich mir, dass gut mich dünkt,
Was du den Menschenseelen geben willst.
Sie können ja durch dich an Stärke nur
Im Guten sich bereichern und an Schlechtem
Gewinnen nur, wenn sie schon früher schlecht.
Es müssten deinen Spott die Menschen selber
Aus tiefstem Herzen über sich verhängen,
Wenn sie nur besser sich erkennen könnten.
Doch was entringt sich meiner Seele hier;
Ich spreche Worte, welche mich vernichten
Sobald ich sie auf Erden richtig finde.
-----------------------------
Du musst so denken, ich vermag nicht anders
Als wahr zu finden, was du eben sprachst;
Doch Wahrheit ist es nur an diesem Ort;
Und Irrtum wird es für die Erdenwelt,
Bezeugt es dort sich, wie es hier erscheint.
Ich darf mit meinem Menschendenken hier
Nicht weiter . . . das ist jetzt an seinem Ende -.
In deinen rauhen Worten klinget Schmerz
Aus dir; und Schmerz sind sie in mir auch selber.
Ich kann, - betracht' ich dich - nur - klagen, weinen.
(Geht schnell ab.)

367

(Es treten Maria und Thomasius auf, beide vollbewusst, so dass sie alles, was vorgeht, hören und bewusst sprechen können.)

THOMASIUS:
Maria, Schrecken sprüht von allen Seiten,
Er dichtet sich und presst sich in mein Wesen; -
Wo find' ich Kraft zu innerm Widerstand.

MARIA:
Mein heilig ernst Gelöbnis strahlet Kraft;
Und deine Seele kann den Druck ertragen,
Wenn du die Heileswirkung fühlen willst.

AHRIMAN (für sich):
Sie sind von Benedictus mir gesandt;
Er führte sie, so dass sie mich erkennen,
Wenn sie in meinem Reiche mich erfühlen.
(Das Weitere so sprechend, dass es Thomasius und Maria hören können.)
Thomasius, der Hüter musste dir
In mein Bereich die ersten Schritte lenken,
Die du zu jenem Lichte machen sollst,
Das du in deinen Wesensgründen suchst.
Ich kann dir Wahrheit geben, doch in Schmerzen,
Die ich seit manchen tausend Jahren leide,
Weil mich die Wahrheit hier wohl finden kann,
Sich aber erst von Freude trennen muss,
Bevor sie sich durch meine Tore wagt.

THOMASIUS:
So soll ich freudelos die Seele schauen,
Die ich zu schauen heiß begehren muss.

AHRIMAN:
Der Wunsch beglückt nur, wenn die Seelenwärme
Ihn pflegen kann; doch hier erfrieren Wünsche
Und müssen so sich noch in Kälte leben.

368

MARIA:
Und in die ewig leeren Eisgefilde
Darf ich den Freund geleiten, wo sich ihm
Das Licht entringt, das Geister schaffen müssen,
Wenn Finsternisse Lebenskräfte lähmen.
Thomasius, erfühle deine Seelenmacht.

(Es erscheint der Hüter an der Schwelle.)

AHRIMAN:
Der Hüter selbst, er muss das Licht dir bringen,
Das du in dieser Zeit dir heiß ersehnst.

THOMASIUS:
Ich werde Theodora schauen können!

DER HÜTER:
Die Seele, die an meiner Schwelle dir
In jener Hülle sich vor dich gestellt,
Die sie vor vielen Jahren irdisch trug,
Sie hat in deines Lebens ernster Stunde
Entflammt in deinen tiefsten Seelengründen
Die stärkste Liebe, die in dir verborgen. -
Da du noch ausser diesem Reiche standest
Und mich erst um den Einlass bitten wolltest,
Erschien sie bildhaft dir, und Wahn ist nur
Im Bilde möglich, das der Wunsch gebiert;
Doch jetzt sollst du in Wahrheit schauen können
Die Seele, die in langvergangnem Leben
In jenem Greise wohnte, den du sahst.

THOMASIUS:
Ich seh' ihn wieder, in dem langen Kleide,
Den würdevollen Greis mit ernstem Antlitz.
O Seele, die in dieser Hülle lebte,
Warum verbirgst du dich so lange mir.
Es muss, es darf nur Theodora sein.
O schon erschaffet sich die Wirklichkeit
Aus erst verhülltem Bildesleben - Theo . . . ich selbst.
(Bei den Silben Theo erscheint der Doppelgänger.)

369

DER DOPPELGÄNGER (tritt ganz nahe an Thomasius heran):
Erkenne mich - und schaue dich in mir.

MARIA:
Und folgen darf ich dir in Weltengründe,
In denen Seelen sich das Götterfühlen
Erkämpfen, durch die Siege, die vernichten
Und von Vernichtung kühn das Sein ertrotzen.

(Donnerrollen und eintretende Finsternis.)
(Vorhang.)

370

NEUNTES BILD

Eine freundlich-sonnige Morgenlandschaft, im Hintergrunde eine Stadt mit vielen Fabrikgebäuden. Es besprechen sich, in freier Art auf und ab gehend: Benedictus, Capesius, Strader, Maria, Thomasius.

CAPESIUS:
Hier ist der Ort, an welchem Benedictus
In mildem Morgensonnenlicht sich oft
Den Schülern widmet, die in Weihestimmung
Den Worten seiner Weisheit lauschen dürfen.
Da drüben liegt, was Seelen mitleidlos
Von allem herrlich Schönen trennen muss,
Das Gottnatur hier segensvoll gewährt.
Im öden Häusermeere dieser Stadt
Ist Benedictus gütig stets bemüht,
Durch Liebestaten Menschenleid zu lindern.
Doch wenn er seinen Schülern weisheitvoll
Die Geisteswelt im Menschenworte kündet,
Da will er Herzen finden, sonnenhaft
Erschlossen durch die freien Schöpfermächte,
Die hier sich seelenweckend offenbaren.
Auch mir wird jetzt das Glück sich zeigen dürfen,
Das seine Worte Menschen bringen können.
Er hat die Bürde liebend übernommen,
Mich geistig in die Geisteswelt zu führen.
So bin ich denn, wenn ich in seiner Nähe
Mich fühlen darf, mir wieder selbst gegeben.

371

BENEDICTUS (hinzutretend):
Es soll im Kreise meiner Schüler sich
Durch deine und der andern freie Tat
Ein Knoten künftig lösen aus den Fäden,
Die Karma spinnt im Menschen-Erdenwerden.
Was du erlebt, muss dieser Lösung dienen.
In Menschenherzen, welche treu ergeben
Der Weisung folgen, der ich selber diene,
Kann deine Kraft die Helfer alle finden,
Mit denen du vereint das Werk vollendest,
Zu welchem du im Geiste vorbereitet.

CAPESIUS:
Ich habe euch erkannt und will euch folgen.
Als ich in meiner Seele Einkehr hielt,
Nachdem ich eure Worte wesenhaft
In Geisteswelten habe hören können
Und ihr mich wieder zu mir selbst gebracht:
Da durfte ich im Geisteslichte schauen
Die Ziele, welchen meine spätern Leben
Im Lauf des Erdendaseins dienen sollen.
Und wissen kann ich jetzt, dass ihr erwählt,
Die rechten Wege mir zu offenbaren.

BENEDICTUS:
Thomasius und Strader, sie vermögen,
Vereint mit dir, in Zukunft viel zu schaffen,
Was Menschenheil im rechten Sinne fördert.
Die Seelenkräfte, welche sie besitzen,
Sie haben seit dem Erdenurbeginn
In solcher Art sich wirksam vorbereitet,
Dass sie im Weltenlauf mit deinem Geiste
Sich kraftvoll jetzt zur Dreiheit schliessen können.

CAPESIUS: So hab' ich denn den strengen Schicksalsmächten,
Die mir erst unverständlich bleiben mussten,

372

Zu danken, dass im rechten Augenblicke
Mir meine Lebensziele sich erschließen durften.
(Er macht eine Pause, sich besinnend.)
Wie wunderbar habt ihr mich doch geführt;
Erst schien es mir, als strebte ich vergebens,
Mit meinem Geiste wirklich einzutreten
In jene Welten, welche eure Worte
Gedankenmäßig vor die Seele stellen.
Ich konnte lange nur Gedanken finden,
Wenn ich in eure Schriften mich vertiefte.
Und dann, wie plötzlich, hatte ich um mich
Die Geisteswelt in ihrer Wesenheit;
Ich wusste kaum, mich noch zurechtzufinden
In meiner frühern, mir gewohnten Welt.

BENEDICTUS:
Sie hätte dir nur stets das Geistesleben
Durch ihre starke Wirkungskraft verborgen,
Wenn dieses nicht durch stärkres Wesen sie
Zum leichten Schattensein herabgedämpft.
Du wirst deshalb mit voller Geistesschau
An jener Schwelle dich erkennen müssen,
Die andern erst das Seelenauge öffnet.

(Es kommt Strader bei den letzten Worten des Capesius hinzu; die drei gehen hinweg, und nach kurzer Zeit kommt Benedictus mit Strader wieder zurück.)

STRADER:
Es war ein tiefer Schmerz, im Innern mir
Sich wie zum schweren Seelendrucke bildend,
Was ich empfand, als ich zu mir erwachte
Und wieder in dem Leibe mich erkannte,
Aus welchem eure Worte mich geführt.
Vom dumpfen Seelenleben blieb die Qual
Mir erst zurück, doch war sie nicht nur Leid;

373

Denn sie gebar Erinrarung mir an alles,
Was ich erlebt, bevor ich furchtbar sah,
Wie ich vor Ahriman erfahren korsnte,
Dass alles Denken dort zum Stillstand kommt.
Und fragen musst' ich mich, warum versetzte
Mich Benedictus Wort in dieses Reich,
Wo mit den Seelen nur gerechnet wird
Und jede nur gewertet, wie sie sich
Den Zielen fügen soll, welche jene Macht
Aus meiner Leistung sich gestalten will.
Sie wollte aus der Menschen Zahl sich zwölf
Zu ihrem Werke weisheitvoll erwählen.

BENEDICTUS:
Bekannt ist dir doch wohl, warum die Seelen,
Die Ahriman dir zeigte, sich dir nahten,
Als er in ihr Geschick sich drängen wollte.

STRADER:
Auch dieses offenbarte mir der Schmerz.
Er zeigte mir, was mich der Brüderschaft,
Die jetzt sich in dem Mystenbund gefunden,
Im langvergangnen Erdensein verband,
Und wie die Menschen sich zu mir gestellt,
Die sich in ihrem Wesen offenbarten.
Und fühlen konnte ich, dass Ahriman
Das Band benutzen will, das sie an mich
Für weitre Leben sicher binden muss.

BENEDICTUS:
Die Weltenmächte lenken ihre Taten,
Dass sie, nach Mass und Zahl gerecht, sich stets
Dem Weltenwerden weisheitvoll vereinen.
Das Zeichen, wie die Ordnung sich vollzieht,
Es weist den äussern Sinnen sich mit Klarheit,
Wenn sie der Sonne folgen in dem Lauf,

374

Den sie durch zwölf Gestirngestalten nimmt.
Wie sie zu diesen Formen sich verhält,
Das zeigt, wie auf der Erde sich die Dinge
In langer Zeiten Folgelauf ereignen.
So wollte Ahriman die Menschenseelen,
Die dir verbunden, zu den Kräften formen,
Aus welchen deine Arbeit leuchten kann.
Er wollte nach dem Masse und der Zahl
An ihre Seelenart die deine binden.

STRADER:
Da ich den Sinn von Zahl und Mass erkannt,
So wird mir auch gelingen, meine Leistung
Aus Ahrimans Bereich herauszuführen
Und Erdengöttern wirksam darzubringen.

BENEDICTUS:
Du hast der Zahlen Sinn im Weltenall
Durch Ahrimans Gewalt erkennen müssen;
So war es deiner Seelenrichtung nötig
Die Geistesschülerschaft, sie führte dich
In dieses Reich, das du erkennen musstest,
Soll deine Schaffenskraft dir recht erblühn.

(Die beiden gehen hinweg; es kommen von der andern Seite Maria und Thomasius.)

MARIA:
Johannes, deine Seele hat Erkenntnis
Aus kalten Wahrheitsreichen sich errungen.
Und weben wirst du weiter bildhaft nicht,
Was Seelen nur im Leibe traumhaft leben.
Denn fern vom Weltenwerden sind Gedanken,
Die aus sich selber nur sich zeugen wollen.

THOMASIUS:
Und dass sie's tun, geschieht aus Eigenliebe,
Die sich als Wissensdurst gebärden will.

375

MARIA:
Wer sich dem Menschenwerden wirksam widmen
Und Werke leisten will, die wesenhaft
Als Kräfte sich im Zeitverlauf verhalten,
Der muss den Mächten sich erst anvertrauen,
Die tief in Wirklichkeiten Mass und Zahl
In Ordnung und in Wirrnis kämpfend bringen.
In Wahrheit ist Erkenntnis Leben nur,
Das in den Seelen offenbar kann werden,
Wenn sie Erlebtes aus den Geistbereichen
In Erdenleibern zur Erinnerung bringen.

THOMASIUS:
So ist mein Lebenslauf mir vorgezeichnet.
Als Zweiheit muss ich fühlen, was ich bin.
Durch Benedictus und durch deine Hilfe
Bin ich ein Wesen, das für sich besteht
Und dessen Kräfte meinem eignen Menschen,
Der noch in mir sich regt, nicht angehören.
Was ihr mir gabet, ist ein Mensch für sich,
Der andern Menschen willig reichen muss,
Was ihm gewährt durch Geistesschülerschaft.
Er soll der Welt sich widmen, wie er kann;
Doch darf in diesem Menschen nichts vom andern
Sich störend mischen, der am Anfang erst
Der wahren Selbsterkenntnis sich erahnt.
Der wird als Welt für sich sich weiter führen,
Wenn ihm die eigne Kraft und eure Hilfe
In Zukunft schicksalformend sich erzeugen.

MARIA:
Ob du in Wahrheit oder Irrtum wandelst,
Du kannst die Aussicht dir stets offen halten,
Die deine Seele weiter dringen lässt,
Wenn du Notwendigkeiten mutig trägst,
Die aus des Geistesreiches Wesen stammen.

(Vorhang fällt.)

376

ZEHNTES BILD


Der Tempel des im ersten und zweiten Bilde aufgetretenen Mystenbundes. Es stehen zuerst im Osten Benedictus und Hilarius, im Süden Bellicosus und Torquatus, im Westen Trautmann; dann treten ein Thomasius, Capesius, Strader, dann Maria, Felix Balde, Frau Balde, ferner die Seele Theodoras und zuletzt die vier Seelenkräfte.

BENEDICTUS:
Es haben meine Schüler ihren Seelen
Das Geisteslicht in jener Art erschlossen,
Die ihrem Schicksal angemessen ist.
Sie sollen, was sie sich errungen haben,
Ein jeder für den andern fruchtbar machen.
Es kann dies nur geschehn, wenn ihre Kräfte
Aln Weiheort, nach Mass und Zahl geordnet,
Sich zu der höhern Einheit binden wollen,
Die erst zum wahren Leben wecken kann,
Was einzeln nur im Sein verbleiben muss.
Sie stehen an des Weihetempels Schwelle.
Es sollen ihre Seelen sich vereinen
Und nach den Regeln, die verzeichnet sind
Im Weltenschicksalsbuch, zusanimenklingen, -
Dass Harmonie der Geister wirken könne,
Was sie für sich zu leisten unvermögend.
Sie werden Neues zu dem Alten bringen,
Das hier seit Vorzeit-Tagen würdig waltet.
Zu euch, ihr Brüder, führe ich die Schüler,
Die ihren Weg hierher durch Geisteswelten

377

Und durch die Seelenprüfung nehmen mussten.
Sie werden ehrerbietig Weihesitten
Und uralt heil'ge Mystenbräuche schätzen,
Die hier als Geisteslichtgewalt sich geben.
Euch selbst, die ihr die hohen Geistesdienste
Seit vielen Jahren treu verwalten durftet,
Wird andres Werk in Zukunft anvertraut.
Das Weltenschicksal ruft die Menschensöhne
Für Zeiten nur in seine Weihetempel
Und fordert sie für andres Wirken dann,
Wenn ihre Kräfte sich erschöpft im Dienste.
Der Tempel selbst, er stand vor seiner Prüfung,
Und Eines Menschen Irrtum musste ihn,
Den Lichteshüter, vor der Finsternis
In schicksalschwerer Weltenstunde schützen.
Thomasius erkannte mit dem Wissen,
Das unbewusst in Menschenseelen waltet,
Daß ihn der Weg zum Mysten-Weihetempel
Nicht über dessen Schwelle führen darf,
Bevor er jene andre überschritten,
Von welcher diese nur das Zeichen ist.
So schloss er selbst die Türe wieder zu,
Die ihr in Liebe ihm eröffnen wolltet.
Als andrer wird er jetzt euch wiederkommen
Und würdig eure Weihe nun empfangen.

HILARIUS:
In Demut opfern unsre Seelen hier
Dem Geiste, was im Menschen-Innern fruchtet.
Und streben wollen sie, dass eigner Wille
Des Geisteswillens Offenbarung werde.
Der Tempel wird geführt von Weltenweisheit,
Die unbeirrt in Zukunftzeiten trägt.
Ihr weiset uns die Richtung, die ihr selbst

378

Im Weltenschicksalsbuche lesen durftet,
Als eure Schüler durch die Prüfung gingen. -
So führet sie in unsre Weihestätte,
Dass sie ihr Werk an unsres binden können.

(Nun treten Thomasius, Capesios, Maria, Felix Balde, Frau Balde und Strader auf ein Klopfen des Hilarius in den Tempel; es führen Trautmann und Torquatus die Eintretenden so, dass Thomasius vor Benedictus und Hilarius, Capesius vor Bellicosus und Torquatus. Strader vor Trautmann, Maria mit Felix und Frau Balde in der Tempelmitte zu stehen kommen.)

HILARIUS:
Mein Sohn, die Worte, die an dieser Stelle
Gesprochen werden, sie erschaffen Schuld,
Die geistig zu den Geisteswelten schreit,
Wenn Wahrheit nicht allein den Sprecher lenkt.
So gross die Schuld, so stark sind auch die Kräfte,
Die ihr entfallen und vernichtend treffen
Den Sprecher, der nicht würdig seines Amtes.
Bewusst der Wirkung seiner Tempelworte,
Versuchte, seiner Kräfte Mass entsprechend,
Der vor dir steht, dem Geiste Dienst zu leisten
An diesem heil'gen Sinnbild jenes Lichtes,
Das aus dem Osten unsrer Erde leuchtet.
Es ist des Schicksals Wille, dass du künftig
An diesem Orte dienend stehen sollst.
Der dich zu deiner Würde weihen darf
Und dir den Schlüssel seines Amtes reichen
Er gibt dir auch den Segen mit, so wirksam,
Als er vermag, der Würdigkeit gemäss,
Mit welcher er den heil'gen Sitten diente.

THOMASIUS:
Erhabner Meister, nur Vermessenheit
Vermöchte wahrlich in dem schwachen Menschen,

379

Der leiblich jetzt vor euch sich zeigen darf,
Den Wunsch zu bilden, dass er euer Folget
Am uralt heil'gen Weiheorte sei.
Der ist nicht wert, des Mystentempeis Schwelle
Auch nur mit einem Schritte zu betreten;
Was er jedoch sich nicht erwünschen dürfte,
In Demut muss es hingenommen werden,
Da Schicksaismächte aus Notwendigkeiten
Den Ruf an seine Seele senden wollten.
Nicht ich, wie ich im Leben bin und geistig
Vor kurzer Zeit mich völlig wertlos sah,
Erlaubte mir, an diesen Ort zu treten.
Doch diesem Menschen, der hier sichtbar steht,
Ihm haben Benedictus und die Freundin
Den zweiten eingebildet, dem als Träger
Der erste nur in Zukunft dienen soll.
Die Geistesschülerschaft hat mir verliehn
Ein Selbst, das kraftvoll sich auch dann erweisen
Und eignes Schaffen voll entfalten kann,
Wenn sich der Träger noch in weiter Ferne
Vom höchsten Seelenziele wissen muss.
Erwächst in solcher Lage ihm die Pflicht,
Den zweiten Menschen, der in ihm erwacht,
Dem Erdenwerden dienstbar hinzugeben,
So muss er stets als strengste Lebensregel
Vor seinem Geistesauge leuchten lassen,
Dass nichts vom eignen Selbst sich störend dränge
In jene Arbeit, die' nicht er verrichtet,
Die durch sein zweites Selbst zu leisten ist.
Er wird verborgen in sich selber wirken,
Dass er einst werden mag, was er als Ziel
Des eignen Wesens fern in Zukunft weiss.
Er wird die eignen Sorgen fest verschlossen

380

Im Seeleninnern mit durchs Leben tragen.
Dass ich mit meinem eignen Menschenwesen
Den Tempel zu betreten nicht vermag,
Ich sagt' es euch, als ihr zuerst mich riefet.
Der jetzt als andrer sich ihm anvertraut,
Der sieht vom Schicksal sich nun auferlegt,
Von diesem Orte aus den Wächterdienst
Bei seiner Arbeit Folgen pflichtgemäss
Zu tun, so lang der Geist es ihm befiehlt.

TORQUATUS (zu Capesius) :
Capesius, du wirst fortan am Orte,
An dem durch Weisheit Liebe strömen soll,
Wie warm der Sonne Kraft am Mittag strömt,
Des hohen Weihetempels Dienst verrichten.
Gefahren sehen muss, wer hier dem Geist
Im Sinn des Mystenwerkes opfern will.
Denn Lucifer vermag an dieser Stelle
Sich stets dem Pfleger guter Geistesdienste
Geheimnisvoll zu nahn und jedem Worte
Des Göttergegners Siegel einzuwirken.
Du standest vor des Widersachers Thron
Und schautest, was aus seiner Leistung folgt;
So bist du wohl bereitet deinem Amte.

CAPESIUS:
Wer so des Widersachers Reich geschaut,
Wie Schicksalsmächte mir gewähren wollten
Der weiss, dass gut und bes nur Worte sind,
Die von den Menschen kaum verstanden werden.
Wer Lucifer nur böse nennen will,
Der sage auch, es sei das Feuer böse,
Weil seine Macht das Leben töten kann,
Und böse sei das Wasser, weil der Mensch
In ihm doch auch ertrinken kann.

381

TORQUATUS:
Als böse
Erscheint dir Lucifer durch andres so,
Und nicht durch das, was er durch sich bedeutet.

CAPESIUS:
Der Weltengeist, der einst am Erdbeginn das
Licht den Menschenseelen bringen konnte,
Er muss im Weltenall die Dienste tun,
Die für sich selbst nicht gut und auch nicht böse
Den Geistern sich erweisen, die gelernt,
Was als Notwendigkeit sich offenbart.
Es wird das Gute schlecht, wenn böser Sinn
Verderbnisbringend seiner sich bedient;
Und scheinbar Böses wandelt sich in Gutes,
Wenn gute Wesen ihm die Richtung weisen.

TORQUATUS:
So weisst du, was dir stets wird nötig sein,
Wenn du an diesem Orte stehen wirst. -
Die Liebe wertet nicht nach Urteilsgründen
Die Kräfte, die im All sich offenbaren.
Sie schätzt sie, wie sie sich erzeugen wollen,
Und frägt, wie sie gebrauchen darf, was sich
Zum Sein aus Weltengründen schaffen kann.

BENEDICTUS:
Doch spricht die Liebe oft mit leisem Worte
Und braucht der Stütze in den Seelengründen.
Sie soll an diesem Orte sich vereinen
Mit allem, was nach Weltgesetzen hier
In edler Dreiheit sich dem Geiste weiher.
Maria wird ihr Werk dem euren einen.
Was sie in Lucifers Bereich gelobt,
Es soll die Kräfte hier erstrahlen lassen.

MARIA:
Es sprach Capesius die tiefen Worte,
Die Wahrheit offenbaren, wenn sie recht

382

Dem Geiste sich entbinden, welcher Menschen
Im Erdenwerden Liebe weisen kann;
Die aber Irrtum nur auf Irrtum häufen,
Wenn sie von schlimmer Meinung ausgebildet
Und in den Seelen sich zum Bösen wandeln.
Es ist gewiss, dass Lucifer sich zeigt
Als Lichtesträger vor dem Seelenauge,
Wenn dieses sich den Geistesweiten neigt.
Doch will des Menschen Seelenwesen stets
Im eignen Innern auch in sich erwecken,
Was es bewundernd nur erblicken darf.
Es soll die Schönheit Lucifers erschauen,
Doch darf es niemals seiner Macht verfallen,
So dass er ihrn im Innern wirken kann.
Wenn er, der Lichtesbringer, Weisheit strahlt
Und Welten mit dem stolzen Selbstsinn füllet
Und glanzvoll allen Wesen Eigenheit
In seinem kühnen Sein zum Vorbild leuchtet,
Da darf der Seelen Innenheit an ihm
Sich zur Erscheinung bilden, sinnerfreuend,
Und weisheitfroh um sich erstrahlend,
Was sich erlebt und sich am Leben liebt
Doch Menschen sind vor allen andern Geistern
Bedürftig jenes Gottes, der nicht nur
Bewunderung heischt, wenn er im Aussensein
Der Seele sich im Glanze offenbart, -
Der seine höchste Macht erst dann erstrahlt
Wenn er im Seelen-Innern selber wohnt,
Und der im Tode liebend Leben kündet.
Es darf der Mensch zu Lucifer sich wenden,
Begeistert Glanz und Schönheit zu erfühlen:
Er soll dann so sich selbst erleben können
Und ihn doch nie als eignes Wesen wollen;

83

Doch zu dem andern Geiste ruft der Mensch,
Wenn er sich selber recht begreifen kann:
Es ist der Erdenseele Liebeziel:
Nicht ich, der Christus lebt in meinem Sein.

BENEDICTUS (zu Maria gewendet):
Wenn ihre Seele sich dem Geiste neigt,
Wie sie vor Lucifer zu tun gelobt,
So wird aus ihrer Kraft dem Tempel strahlen,
Was ihm des Erdenheiles Wege weist,
Und Christus wird am Weiheort der Weisheit
Mit Geistesliebesinn erwärmend leuchten.
Und was sie so der Welt erbringen kann,
Es ist durch einen jener Schicksalsknoten,
Die Karma formt aus Erden-Menschen-Leben,
An ihren eignen Daseinslauf gebunden.
Sie hat im langvergangnen Sein den Sohn
Dem Vater abgewendet; und zurück
Zum Vater lenkt sie wieder jetzt den Sohn.
Die Seele, die Thomasius belebt,
Sie war im frühern Leben jener andern,
Die in Capesius sich jetzt erfühlt,
Als Sohn dem Vater durch das Blut verbunden.
Der Vater wird Marias Schuld nun nicht
Durch Lucifers Gewalt von ihr noch fordern,
Da sie durch Christi Macht die Schuld vertilgt.

BELLICOSUS (zu Hilarius und Benedictus sprechend
und öfter zu Felix Balde und Frau Balde gewendet):
Es leuchtet in die Weihestätten Licht,
Das aus den Geisteshöhen kraftvoll fliesst,
Wenn Seelen würdig es empfangen können.
Doch haben jene hohen Weisheitsmächte,

384

Die Mystentempeln so sich offenbaren,
Auch andre Wege sich erwählt zu Seelen. -
Die Zeichen dieser Zeit verkünden deutlich,
Dass alle Wege sich vereinen sollen.
Der Tempel muss mit Seelen sich verbinden,
Die nicht auf seine Art zum Licht gelangt,
Und die erleuchtet doch auch wirklich sind.
In Frau Felicia und Vater Felix
Betreten Menschen diese Weihestatt,
Die Licht ihr reichlich bringen können.

FRAU BALDE:
Ich kann die Märchenbilder, die in mir
Durch sich allein sich formen, nur erzählen -
Und weiss von ihren Geistesquellen nur,
Was mir Capesius gar oft gesagt.
In Demut muss ich glauben, was ich hörte,
Als er von meiner Seelenart mir sprach;
Und so auch nehme ich, wenn ihr bedeutet,
Warum der Tempel mich gerufen hat.

FELIX BALDE:
Nicht nur dem äussern Ruf bin ich gefolgt,
Den dieses Tempels Hüter mir gesandt;
Dem Ziele meines Geistespfades treu,
Hab' ich der Kraft mich zugewandt, die mir
Im Innern als mein Führer stets befohlen,
Wohin ich meine Schritte lenken soll,
Auf dass am besten sich vollenden könne,
Was meinem Leben vorbestimmt im Geiste.
Verwiesen fand ich diesmal mich ganz deutlich
Auf jenen Weg, der Benedictus' Schülern
Im Geistesleben jetzt gewiesen ist.
Im Vorgesicht erschienen mir die Zeichen,
Die ich nun wiederfinde hier im Tempel.

385

Wenn meine Seele oft in Tiefen stieg
Und alles Eigensein zerstoben war
Und wenn Geduld und Kraft sich halten konnten
In banger Einsamkeit, die mir stets naht,
Bevor ich Geisteslicht empfinden darf,
Dann fühlte ich das All mit mir verwandt;
Und ich befand mich bald in jener Welt,
Die mir des Daseins Gründe offenbarte.
Auf solcher Geisteswanderschaft war ich
In Tempeln oft, mit denen so verwandt
Jetzt der mir scheint, der hier zu Sinnen spricht,
Wie sich verwandt den Lauten, die gesprochen,
Die Schrift als Bild der Rede zeigen muss.

TRAUTMANN (zu Strader):
Mein lieber Strader, dir ist zugedacht,
Im Tempel künftig jenes Wort zu sprechen,
Das allem, was Thomasius zu künden,
Sich so vergleicht, wie Sonnenuntergang
Dem hoffnungsvollen Lichtesschein am Morgen.
Und dieses Wort, es nimmt in seinen Sinn
Das Wirken jener Macht begierig auf,
Die sich in deiner Prüfung dir gezeigt.
Du musstest an dem Geistesorte stehen,
Der allem Denken Stillstand streng befiehlt.
Wie deine Hand den Hammer stets ins Leere
Nur führen müsste, und die eigne Kraft
Sich ihrer selbst bewusst nicht werden könnte,
Wenn sie an keinen Amboss schlagen würde,
So könnte Denken nie sich selbst ergründen,
Wenn Ahriman ihm nicht entgegenstünde.
In deinem Leben führte alles Denken
Zu Widerständen dich, die Schmerzen dir

386

Und schwere Zweifel in die Seele trugen.
Du lerntest dich in ihnen denkend kennen,
Wie Licht doch nur durch Widerschein sich selbst
In seiner Strahlenkraft erschauen kann.
Des Lebens Widerschein im Bilde zeigt
Des Tempeldienets Wort an dieser Stelle.

STRADER:
Fürwahr, Gedankenlicht, es strahlte lange
Durch Widerschein in meinem Dasein nur;
Doch zeigte auch durch volle sieben Jahre
Der Geist sich mir in seinem hellen Glanze
Und offenbarte Welten meiner Seele,
Vor welchen mein Gedanke früher stets
In Qualen und in Zweifeln stille stand.
In meiner Seele wird dies Licht, verinnert,
Für Ewigkeiten nicht ersterben dürfen,
Wenn ich den Weg zum Geistesziele finden
Und Heil aus meinem Schaffen werden soll.

THEODORA (als Geisteswesen an Straders Seite sichtbar werdend):
Ich habe dir das Licht erringen dürfen,
Weil deine Kraft zu meinem Lichte strebte,
Als deine Zeit erfüllt sich zeigen wollte.

STRADER:
So wird dein Licht, du Geistesbote, strahlen
Auf alle Worte, die an diesem Orte
Sich aus der Seele mir entringen werden.
Mit mir ist jetzt auch Theodoras Wesen
Des Weiheortes heil'gem Dienst geweiht.

(Es erscheinen Philia, Astrid, Luna und die andre Philia in glimmender Lichtwolke.)

387

DIE ANDRE PHILIA:
Es steigen Gedanken
Aus Weiheorten opfernd
In Urweltgründe;
Was in Seelen lebt,
Was in Geistern leuchtet,
Entschwebet der Gestaltenwelt; -
Und Weltenmächte neigen sich
Den Menschen gnadevoll,
An Seelenkräften
Das Geisteslicht
Zu zünden.

PHILIA:
Ich will erbitten von Weltengeistern,
Dass ihres Wesens Licht
Erhalte Seelensinn,
Und ihrer Worte Klang
Entbinde Geistgehör,
Dass nicht erlöschen kann,
Was erwecket ward
Auf Seelenwegen
In Menschenleben.

ASTRID:
Ich will die Liebesströme,
Die Welt erwarmenden,
Zum Geiste lenken
Den Geweihten;
Auf dass die Weihestimmung
In Menschenherzen
Sich halten kann.

LUNA:
Ich will von Urgewalten
Erflehen Mut und Kraft

388

Und sie dem Opferwillen
Zu Helfern machen;
Auf dass er wandeln kann,
Was Zeiten schauen,
In Geistessaaten
Für Ewigkeiten.

(Vorhang fällt, während alle Personen und auch Theodora, Philia, Astrid, Luna und die andre Philia noch im Tempel sind.)

389


390


391

DER SEELEN ERWACHEN

SEELISCHE UND GEISTIGE VORGÄNGE
IN SZENISCHEN BILDERN
VON
RUDOLF STEINER


392


393

Personen, Gestalten und Vorgänge

Die geistigen und seelischen Vorgänge, welche in „Der Seelen Erwachen“ dargestellt sind, sollen so gedacht werden, daß sie etwa ein Jahr nach denjenigen erfolgen, welche in dem früher erschienenen „Hüter der Schwelle“ gezeichnet sind.

In „Der Seelen Erwachen“ kommen die für Vorgänge die folgenden Personen und Wesen in Betracht:

I. Die Träger des geistigen Elements
1. Benedictus, die Persönlichkeit, in welcher eine Anzahl seiner Schüler den Kenner tiefer geistiger Zusammenhänge sieht. (Er ist in den vorhergehenden Seelengemälden „Die Pforte der Einweihung“ und „Die Prüfung der Seele“ als Führer des „Sonnentempels“ dargestellt. Im „Hüter der Schwelle“ bringt sich in ihm die Geistesströmung zum Ausdruck, welche lebendig-gegenwärtiges Geistesleben an die Stelle des bloß traditionellen setzen will, wie es von dem dort vorkommenden „Mystenbund“ behütet wird.) In „Der Seelen Erwachen“ ist Benedictus nicht mehr bloß über seinen Schülern stehend zu denken, sondern mit seinem eigenen Seelenschicksale in die Seelenerlebnisse seiner Schüler verwoben. In den ägyptischen Szenen erscheint Benedictus als der höchste Opferweise.
2. Hilarius Gottgetreu: Der Kenner traditionellen Geisteslebens, das sich bei ihm mit eigenen Geist-Erlebnissen verbindet. Dieselbe Individualität, welche in dem vorher erschienenen Seelengemälde „Prüfung der Seele“ als Großmeister eines Mystenbundes dargestellt ist. In den ägyptischen Szenen tritt er als der Wortebewahrer auf.
3. Der Bürochef des Hilarius Gottgetreu
4. Der Sekretär des Hilarius Gottgetreu. (Dieselbe Persönlichkeit, die im „Hüter der Schwelle“ als Friedrich Geist vorkommt.)
II. Die Träger des Elements der Hingabe
1. Magnus Bellicosus. (In der „Pforte der Einweihung“ German genannt. In der „Prüfung der Seele“ und dem „Hüter der Schwelle“ Präzeptor eines Mystenbundes.) In den ägyptischen Szenen erscheint er als Vertreter des Luftelements.
2. Albertus Torquatus. (In der „Pforte der Einweihung“ Theodosius genannt. In der „Prüfung der Seele“ kommt dieselbe Individualität als erster Zeremonienmeister des dort gezeichneten Mystenbundes vor.) In den ägyptischen Szenen ist er der Vertreter des Wasserelements.
3. Professor Capesius. (In der “Prüfung der Seele“ kommt seine Individualität als erster Präzeptor vor.) In den ägyptischen Szenen ist er der Opferweise, der die Initiation des Neophyten (Maria) scheitern lässt.
4. Felix Balde. (In der „Pforte der Einweihung“ als Träger einer gewissen Naturmystik, hier im „Erwachen“ Träger der subjektiven Mystik. Die Individualität Felix Baldes kommt als Joseph Kühne in der „Prüfung der Seele“ vor.) In den ägyptischen Szenen tritt er als der Schwellenhüter auf.
III. Die Träger des Willenselementes
1. Romanus (wird hier wieder mit diesem in der „Pforte der Einweihung“ für ihn gebrauchten Namen eingeführt, weil dieser seiner inneren Wesenheit entspricht, zu der er sich in den Jahren durchgearbeitet hat, welche zwischen der „Pforte der Einweihung“ und dem „Erwachen“ liegen. Im „Hüter der Schwelle“ wird für ihn der Name gebraucht, welcher als sein Name in der äußerlichen Welt gedacht ist [Friedrich Trautman]. Er wird da mit diesem Namen eingeführt, weil er innerhalb der vorkommenden Vorgänge mit seinem Innenleben nur eine geringe Bedeutung hat. Seine Individualität kommt in der „Prüfung der Seele“ als der zweite Zeremonienmeister des mittelalterlichen Mystenbundes vor.) In den ägyptischen Szenen ist er der Vertreter des Erdelements.
2. Doktor Strader. (Seine Individualität kommt in der „Prüfung der Seele“ als Jude Simon vor.) In den ägyptischen Szenen erscheint er als Vertreter des Feuerelements.
3. Die Pflegerin des Doktor Strader. (Sie ist dieselbe Persönlichkeit, welche im „Hüter der Schwelle“  Maria Treufels genannt wird. In der „Pforte der Einweihung“ heißt sie die andere Maria, weil die imaginative Erkenntnis des Johannes Thomasius die Imagination gewisser Naturgewalten in ihrem Bilde gestaltet. Ihre Individualität kommt in der „Prüfung der Seele“ als Berta, die Tochter Kühnes vor.)
4. Frau Balde. (Ihre Individualität kommt in der „Prüfung der Seele“ als Frau Kühne vor.) In den ägyptischen Szenen erscheint sie als der Myste.
IV. Die Träger des seelischen Elementes
1. Maria. (Ihre Individualität kommt in der „Prüfung der Seele“ als Mönch vor.) Als junger Neophyt soll sie in den ägyptischen Szenen zur Initiation geführt werden.
2. Johannes Thomasius. (Seine Individualität kommt in der „Prüfung der Seele“ als Thomas vor.)
3. Die Frau des Hilarius Gottgetreu.
V. Wesen aus der Geisteswelt
1. Lucifer
2. Ahriman
3. Gnomen
4. Sylphen
VI. Wesen des menschlichen Geisteselementes
1. Philia die geistigen Wesenheiten, welche die Verbindung der menschlichen Seelenkräfte mit dem Kosmos vermitteln.
2. Astrid
3. Luna
4. Die andre Philia, die Trägerin des Elementes der Liebe in der Welt, welcher die geistige Persönlichkeit angehört.
5. Die Seele der Theodora: (Ihre Individualität kommt in der „Prüfung der Seele“ als Cäcilia, Kühnes Pflegetochter und Schwester des Thomas vor, der die Individualität des Johannes Thomasius darstellt.) In den ägyptischen Szenen ist sie der Siegelbewahrer.
6. Der Hüter der Schwelle
7. Der Doppelgänger des Johannes Thomasius
8. Der Geist von Johannes Thomasius’ Jugend
9. Die Seele des Ferdinand Reinecke bei Ahriman. (12. Bild), (kommt als Ferdinand Reinecke nur im „Hüter der Schwelle“ vor.)
VII.
Die Persönlichkeiten des Benedictus und der Maria werden auch als Gedankenerlebnisse eingeführt, und zwar im zweiten und vierten Bilde als solche des Johannes Thomasius, im dritten Bilde als solche Straders. Im zehnten Bilde ist Maria als Gedankenerlebnis des Johannes Thomasius eingeführt.
VIII.
Die Individualitäten von Benedictus, Hilarius Gottgetreu, Magnus Bellicosus, Albert Torquatus, Strader, Capesius, Felix Balde, Frau Balde, Romanus, Maria, Johannes Thomasius und Theodora erscheinen im Geistgebiet (des fünften und selchsten Bildes des „Erwachens“) als Seelen, und im Tempel (des siebten und achten Bildes des „Erwachens“) als Persönlichkeiten einer weit zurückliegenden Vergangenheit.

Auch gegenüber „Der Seelen Erwachen“ sei eine Bemerkung gemacht, welche ähnlich schon für die vorangegangenen Seelengemälde vorgebracht worden ist. Es sind weder die geistigen noch die seelischen Wesenheiten bloß symbolisch oder allegorisch gemeint. Wer sie so auffassen wollte, dem bliebe die reale Wesenheit der geistigen Welten ferne. Auch in dem Erscheinen der Gedankenerlebnisse (des zweiten, dritten und zehnten Bildes) ist nichts bloß Symbolisches dargestellt, sondern reale Seelenerlebnisse, welche für denjenigen, der an der geistigen Welt Anteil hat, so wirklich sind wie Personen oder Vorgänge der Sinnenwelt. Für einen solchen stellt dies „Erwachen“  durchaus ein realistisches Seelengemälde dar. Käme es auf Symbolik oder Allegorie an, so unterließe ich ganz gewiß diese Darstellung. Auf mancherlei Fragen hin habe ich auch diesmal wieder den Versuch begonnen, für „nachträgliche Bemerkungen“  einiges Erklärende zu diesem „Seelengemälde“ hinzuzufügen. Wie früher, so unterdrücke ich auch diesmal wieder den Versuch. Es widerstrebt mir, dem Gemälde, das durch sich selbst sprechen soll, derartiges hinzuzufügen. Bei der Konzeption und der Ausarbeitung des Gemäldes können dergleichen Abstraktionen gar keine Rolle spielen. Sie würden da nur störend wirken. Die geistige Wirklichkeit, die nachgebildet ist, stellt sich mit derselben Notwendigkeit vor die Seele hin, wie die Dinge der physischen Wahrnehmung. Naturgemäß ist dabei, daß die Bilder der Geist-Wahrnehmung von der gesunden Geistesschau anders auf ihre Wesenheiten und Vorgänge bezogen werden, als die Wahrnehmungen der physischen Welt auf die entsprechenden Wesenheiten und Vorgänge. Andrerseits muß gesagt werden, daß die Art, wie die geistigen Vorgänge sich vor die wahrnehmende Seele hinstellen, zugleich die Disposition und Konposition eines solchen Gemäldes mitenthalten.

Besonders erwähnt soll werden, daß die musikalischen Beigaben für die Aufführung des Dramas von Adolf Arenson herrühren.

München, August 1913. R. St.

397

ERSTES BILD

Das Comptoir Gottgetreus. In nicht allzu neuem Stile eingerichtet. Man kann sich denken, dass Gottgetreu Besitzer eines Werkes ist, in dem Holzsägearbeit gemacht wird. Bürochef und Sekretär im Gespräch; Hilarius; später Strader.

SEKRETÄR:
Und auch die Freunde im Georgenheim
Erklären, dass sie unzufrieden sind.

BÜROCHEF:
Auch diese schon; es ist doch jammervoll.
Und stets die gleichen Gründe; man ersieht,
Wie schmerzlich diese Freunde es empfinden,
Dass sie von Gottgetreu sich lösen müssen.

SEKRETÄR:
Dass wir an Pünktlichkeit es fehlen lassen,
Dass unsere Arbeit nicht die Waage hält
Der Leistung andrer Werke dieser Art,
So schreibt man uns; ein gleiches muss ich jetzt
Auf meinen Reisen immer wieder hören.
Der gute Ruf des Hauses schwindet hin,
Der noch von Gottgetreus Altvordern sich
Auf uns vererbt und den wir mehren durften.
Die Meinung bildet sich, dass Gottgetreu
Betört von Träumern und Phantasten ist,
Und dass die Schwärmerei, die ihn ergriffen,
Der Sorgfalt ihn beraube, die vorher
So deutlich jeder Leistung seines Hauses
Die weltberühmte Eigenart verlieh.

398

So reich an Zahl die Lober einstens waren,
Sind jetzt gewiss die Tadler unsrer Arbeit.

BÜROCHEF:
Man hat es längst bemerkt, wie Gottgetreu
Von Leuten sich in Irrtutn jagen lässt,
Die nach besondren Geistesgaben streben.
Er neigte stets zu solchen Seelentrieben;
Doch wusste er vorher sie fernzuhalten
Von jener Arbeit, die dem Tage dient.

(Hilarius Gottgetreu betritt den Raum.)

BÜROCHEF (zum Sekretär):
Es scheint mir nötig, eine kurze Weile
Allein mit unsrem Arbeitsherrn zu sprechen.

(Der Sekretär geht aus dem Zimmer.)

BÜROCHEF:
Die Sorge ist's, die mich Gelegenheit
Zu ernster Unterhaltung suchen lässt.

HILARIUS:
Was ist's, das meinem Rater Sorge macht?

BÜROCHEF:
Es zeigt mir mancher Vorfall jetzt ganz deutlich,
Dass unsre Arbeit mehr und mehr verfällt,
Und dass wir nicht mehr leisten, was wir sollen.
Es mehren sich die Stimmen, die beklagen,
Wie unsre Leistung sich an Wert vermindert
Und andre Häuser uns den Rang bestreiten.
Auch unsre altbekannte Pünktlichkeit,
Sie wird von vielen schon mit Recht vermisst.
Es werden sich recht bald die besten Freunde
Durch Gottgetreu nicht mehr befriedigt finden.

HILARIUS:
Gar wohl bewusst seit lange ist mir dies;
Doch lässt es mich, fürwahr, ganz unbesorgt.

399

Jedoch mit euch die Lage zu beraten,
Ist mir Bedürfnis; denn ihr halfet mir
Als Diener meines Hauses nicht allein,
Ihr standet mir als treuer Freund stets nahe.
Deshalb sollt ihr jetzt deutlich von mir hören,
Worauf ich euch schon öfter hingewiesen.
Wer Neues schaffen will, der muss gelassen
Des Alten Untergang erleben können.
Ich will in Zukunft so das Werk nicht führen,
Wie es bisher den Weg genommen hat.
Erwerb, der nur im engsten Kreise lebt
Und bloss gedankenlos die Arbeitsleistung
Dem Markt des Erdenlebens überliefert,
Ganz ohne Sorge, was aus ihr dann wird,
Erscheint mir würdelos, seit mir bekannt,
Welch edle Form die Arbeit finden kann,
Wenn Geistesmenschen ihr die Prägung geben.
Es soll fortan Thomasius als Künstler
Die Arbeitsstätte leiten, die ich ihm
In unsrer Nachbarschaft erbauen will.
So wird, was wir mechanisch leisten können,
Von seinem Geiste künstlerisch gestaltet
Und zu der Menschen Taggebrauch dann liefern,
Was nützlich ist und edle Schönheit trägt.
Gewerbe soll mit Kunst zur Einheit werden,
Alltäglich Leben mit Geschmack durchdringen.
Ich füge so zum toten Sinnesleib,
Als welche unsre Arbeit mir erscheint,
Die Seele, die ihr erst den Sinn verleiht.

BÜROCHEF (nach einer längeren Besinnung):
Der Plan zu solcher Wunderschöpfung ist
Dem Geiste unsrer Zeit nicht angemessen.

400

Es muss doch heute jede Leistung streng
Im engsten Kreise nach Vollendung streben.
Die Mächte, die im Leben unpersönlich
Den Teil ins Ganze wirksam strömen lassen,
Sie geben jedem Glied gedankenlos
Den Wert, den Weisheit ihm nicht schenken kann.
Und stünde euch auch dieses nicht im Wege,
So wäre dennoch eure Absicht eiteL
Dass ihr den Menschen finden könnt, der euch
Den Plan verwirklicht, den ihr schön erdacht,
Daran zu glauben - das vermag ich nicht.

HILARIUS:
Mein Freund, ihr wisst, dass ich nicht Träumen folge.
Wie sollt' ich mir so hohe Ziele setzen,
Hätt' nicht ein gut Geschick mir zugeführt
Den Mann, der leisten wird, was ich erstrebe.
Und wundern muss ich mich, dass euer Blick
In Strader diesen Mann nicht schauen kann.
Wer dieses Geistes wahres Wesen kennt
Und Sinn für höchste Menschenpflichten hat,
Den sollte man selbst dann nicht Träumer nennen,
Wenn er als solche Pflicht empfinden muss,
Ein Feld der Arbeit diesem Mann zu schaffen.

BÜROCHEF (nachdem er einiges Erstaunen gezeigt hat):
In Strader soll ich diesen Geist erblicken!
Hat sich an ihm denn nicht so klar gezeigt,
Wie Menschengeist zu blenden sich vermag,
Wenn ihm der Sinn für Wirklichkeiten fehlt.
Dem Geisteslichte dankt sein Mechanismus
Den Ursprung -: das kann nicht bezweifelt werden.
Und wenn er einst verwirklicht werden kann,
Wird alles Heil aus ihm gewiss erfliessen,

401

Das Strader schon so nahe glauben konnte.
Doch wird er lange noch Modell verbleiben,
Weil jetzt die Kräfte noch verborgen sind,
Die ihm die Wirklichkeit erst schaffen können.
Es macht mich traurig, dass ihr denken könnt,
Es wirke Gutes, wenn ihr euer Werk
Dem Manne anvertraut, der Schiffbruch litt
Mit seiner eignen kühn erdachten Schöpfung.
Sie führte seinen Geist auf Höhen zwar,
Die stets die Menschenseele locken werden,
Die sie jedoch erst dann erklimmen soll,
Wenn ihr die rechten Kräfte eigen sind.

HILARIUS:
Wie ihr den Geist des Mannes preisen müsst,
Da ihr nach Gsünden sucht, ihn zu verwerfen,.
Bezeugt doch ganz besonders seinen Wert.
Es lag, nach euren Worten, nicht an ihm,
Dass seinem Schaffen nicht Erfolg beschieden.
So ist er sicher doch in unsrem Kreise
Am rechten Ort; es wird sich seinem Geiste
Nichts Äussres jetzt entgegenwenden können.

BÜROCHEF:
Und wenn ich auch für alles schon Gesprochne
Mir innrem Widerstreben jetzt versuchte,
In eure Denkungsart mich zu versetzen.
Es zwingt noch andres mich zum Widerspruch.
Wer soll in Zukunft eure Leistung schätzen
Und wer Verständnis euch so weit bezeugen,
Dass er Gebrauch von eurer Arbeit macht?
Was ihr besitzt, es wird verschlungen sein,
Wenn euer Werk den Anfang erst genommen.
Es wird sich dann nicht weiterführen lassen.

402

HILARIUS :
Es leuchtet mir wohl ein, dass meine Pläne
Als unvollkommen sich erweisen müssten,
Wenn nicht Verständnis erst geschaffen würde
Für diese neue Art und Arbeitsweise.
Was Strader, was Thomasius vollbringen,
Es muss vollendet werden in der Stätte,
Die ich dem Geisteswissen will begründen.
Was Benedictus, was Capesius
Und was Maria dort verkünden werden,
Es soll dem Menschengeist die Wege weisen,
Dass ihm Bedürfnis werde, Sinnensein
Mit Geistesoffenbarung zu durchdringen.

BÜROCHEF:
So werdet ihr den kleinen Kreis beglücken,
Der fern vom Weltensein für sich nur lebt.
Ihr schliesst euch ab vom wahren Menschenleben.
In diesem wollt ihr zwar den Selbstsinn tilgen,
Doch werdet ihr an eurem Ort ihn pflegen.

HILARIUS:
Ihr scheint von mir zu denken, dass ich träumend
Erfahrung, die das Leben mir gewährt,
Gedankenlos verleugne. So verhielt
Ich mich, wenn ich für einen Augenblick
Erfolg in eurem Sinne wollt' verstehen.
Es mag misslingen, was mir wertvoll scheint;
Doch selbst, wenn alle Welt es nur verachtet
Und es deshalb in sich zerfallen muss,
So war es doch einmal von Menschenseelen
Als Vorbild auf der Erde hingestellt.
Es wird im Leben geistig weiter wirken,
Selbst wenn es sich im Sinnessein nicht hält.
Es wird ein Teil der Kraft in ihm geschaffen,
Die endlich zur Vermählung führen muss

403

Von Geisteszielen und von Sinnestaten.
So kündet es die Geisteswissenschaft.

BÜROCHEF:
Als Diener eures Werkes, pflichtgemäss,
Wollt' ich besprechen, was mir nötig schien.
Doch gibt mir eure Haltung auch das Recht,
Als Freund dem Freunde mich zu offenbaren.
An eurer Seite wirkend, fühlt' ich mich
Seit Jahren schon gedrängt, Erkenntnis
Zu suchen jener Dinge, welchen ihr
Ergeben seid und viele Kräfte opfert.
Ich konnt' in Schriften nur Belehrung finden
Die Geisteswissen offenbaren wollen. -
Obgleich die Welten mir verschlossen sind,
Auf die ich da verwiesen mich gesehn,
Vermag ich ahnend doch mir vorzustellen,
Wie Menschen sich gestimmt wohl fühlen müssen,
Die solcher Geistesart sich gläubig widmen.
Berechtigt fand ich durch mein eignes Grübeln,
Was mancher Kenner dieser Forschungsrichtung
Als Eigenart der Seelen deutlich schildert,
Die sich im Geistgebiete heimisch finden.
Bedeutsam scheint vor allem mir zu sein,
Dass solche Seelen Wahn und Wirklichkeit
Trotz aller Vorsicht nicht zu trennen wissen,
Wenn sie aus Geisteshöhn ins Erdensein
Naturgemäss zurück sich finden sollen.--
Der Geisteswelt, in der sie sich erleben,
Entsteigen dann Gebilde, die der Seele
Den rechten Blick ins Sinnensein verwehren
Und ihr mit Trug die Urteilskraft verwirren.
Die Menschen für das Erdenleben brauchen.

404

HILARIUS:
Was ihr als Einwand mir erwidern wollt,
Bestärkt mich nur, bezeugt es mir doch klar
Dass ich in euch mir einen Menschen mehl
Für meine Forschung künftig nahe weiss.
Wie sollte ich bisher auch nur vermuten
Dass euch die Art der Seelen wohlbekannt,
Die sich mit mir zum Werke einen wollen.
Ihr kennt Gefahren, welche sie bedrohen:
So werden ihre Taten euch auch zeigen,
Dass sie die Wege wissen, die sie schützen.
Die Lage wird euch bald vertraut wohl sein,
Und finden werde ich in euch auch künftig
Den Rater, den ich nicht entbehren kann.

BÜROCHEF:
Ich kann nicht meine Kraft an Taten wenden.
Die ich in ihrer Wirkensart nicht kenne.
Es scheinen mir die Menschen, welchen ihr
Euch anvertraut, führwahr dem Wahn verfallen,
Von dem ich sprach. Und solcher Wahn verführt
Die andern auch, die auf sie hören wollen.
Er übertönt das zielbewusste Denken.
Ihr könnt für alle Zeiten euch beratend
An eurer Seit' mich finden, wenn der Sinn
Euch steht nach solchem Wirken, das sich baut
Auf Gründen, die im Erdenleben stützen.
Doch eure neue Art ist nichts für mich.

HILARIUS:
Durch eure Weigerung gefährdet ihr
Das Werk, das Geisteszielen dienen soll.
Denn ohne euren Rat bin ich gelähmt.
Bedenket doch, dass ernste Pflicht erwächst,
Wenn uns das Schicksal solche Winke gibt,
Wie sie durch dieser Menschen Gegenwart
Ganz deutlich sich für mich erkennen lassen.

405

BÜROCHEF:
Je weiter ihr in dieser Art mir sprecht,
Bezeugt sich mir nur klarer, wie ihr schon
Dem Irrtum unbewusst verfallen seid.
Ihr denkt, der Menschheit Dienste zu erweisen:
In Wahrheit dient ihr nur dem Kreise jetzt,
Der seinem Geistestraum, durch euch gestützt,
Für kurze Zeit sich weiter widmen kann.
Ein Treiben wird sich hier recht bald entfalten,
Das diesen Seelen wohl der Geist gebietet;
Sich uns jedoch als Luftgebilde zeigen
Und unsre Arbeitsfrucht verzehren muss.

HILARIUS:
Wenn ihr mir jetzt die Hand nicht bieten wollt,
Steht trübe mir die Zukunft vor der Seele.
(Von der rechten Seite tritt Doktor Strader ein.)
Ich hab' euch schon erwartet, lieber Strader;
Ergeben hat sich eben, dass es gut,
Wenn wir Bedeutungsvolles jetzt beraten
Und erst zu spätrer Zeit den Ausgang machen.
Mein alter Freund hat eben mir vertraut,
Dass ihm nicht heilsam dünkt, was wir beginnen.
Es sei dem Manne jetzt das Wort gegeben,
Der unsrer Arbeit seinen Geist verspricht.
Es hängt nun viel daran, wie Menschen sich
In diesem Augenblicke seelisch finden,
Die wie verschiedne Welten sich begegnen
Und die doch, einig, Grosses schaffen sollen.

STRADER:
So will der treue Helfer Gortgetreus
Sich nicht dem hoffnungsvollen Werke widmen,
Das uns des Freundes Weisheit möglich macht?
Es kann der Plan uns doch nur dann gelingen,
Wenn altbewährte Lebenskunst den Bund
Mit Zukunftszielen weise schliessen mag.

406

BÜROCHEF:
Nicht mich nur fernzuhalten ist mein Wille;
Auch meinem lieben Freunde möchte ich
Die Aussichtslosigkeit der Tat beweisen.

STRADER:
Es überrascht mich nicht, dass euch verfehlt
Ein Plan erscheint, mit dem sich Strader trägt.
Ein grössres Werk musst' ich verfallen sehen,
Weil unsrer Zeit die Kräfte noch verborgen,
Die gut Erdachtes stofflich wirksam machen.
Man weiss, dass ich der Geist-Erleuchtung danke,
Was sich bewährte zwar, doch nicht belebte.
Es zeugt dies gegen meine Urteilskraft
Und tötet auch den Glauben, dass der Geist
Die Ouellen wahrer Erdenschöpfung birgt.
Und schwer nur wird es sich erweisen lassen
Dass solch Erlebnis mir die Kräfte gibt,
Im zweiten Fall dem Irrtum zu entfliehn.
Dort musst' ich irren, dass der Wahrheit Klippen
Diesmal mit Sicherheit vermieden seien...
Doch ist begreiflich, dass man dies bezweifelt.
Besonders eure Geistesart muss finden,
Dass unsre Weise wenig nur verheisst.
Man rühmt an euch besonders, wie feinsinnig
An allem Geistesleben ihr beteiligt
Und ihm auch fördernd Zeit und Kräfte widmet.
Doch sagt man auch, dass ihr die Lebensarbeit
Im strengsten Sinn geschieden wissen wollt
Vom Geistesstreben, das aus eignen Kräften
Im Seelenleben schaffend wirken will.
Ihr möchtet dies als Inhalt nur beachten

407

Der Zeiten, die von Arbeit unerfüllt.
Zu binden, was der Geist dem Geiste wirkt,
An Werke, die im Sinnensein erstehn,
Ist jener Geistesströmung Ziel, die mir
Des Lebens Werdegang recht klar gewiesen.

BÜROCHEF:
Solang der Geist allein dem Geiste opfert,
Was er im freien Schaffen leisten kann,
Erhebt er Seelen zu der Menschenwürde,
Die ihnen Sinn im Erdendasein gibt.
Doch wenn er auch das Sein in sich erleben
Und gar noch andres Sein beherrschen will,
So nähert er Gebieten sich, wo Wahn
Der Wahrheit oft gefährlich werden kann.
Dass solche Kenntnis mir, durch mein Bemühn
In Geistesdingen, sich eröffnet hat,
Bestimmt zu meiner Haltung heute mich;
Und nicht, was ihr als meine Herzensneigung,
Durch meinen Ruf geleitet, angesehn.

STRADER:
So stellt in euch ein Geisteswissens-Irrtum
Sich gegen meine Ansicht feindlich hin.
Dann werden sich die Schwierigkeiten mehren.
Es wird wohl leicht dem Geistesforscher glücken,
Mit Menschen sich zur Arbeit zu verbinden,
Die aus Natur und Leben sich vorher
Vom Sinn des Daseins unterweisen liessen.
Doch wenn Gedanken, die aus Geistesquellen
Geschöpft sein wollen, sich mit Widerstreben
Mit andern gleichen Ursprungs einen sollen,
Ist Harmonie nur selten zu erhoffen.

408

(Nach einigem stillen Sinnen.)
Doch wird geschehen, was geschehen muss.
Es wird erneute Prüfung meiner Pläne ---
Vielleicht die Ansicht wandeln, die ihr euch
Beim ersten Überdenken bilden musstet.

(Es fällt der Vorhang, während alle drei Personen in Nachdenken verharren.)

409

ZWEITES BILD

Gebirgslandschaft; im Hintergrund das Haus Hilarius', das in der Nähe des Werkes gedacht ist. Doch wird das Werk nicht gesehen. Ein Wasserfall auf der rechten Seite. Zunächst Johannes; für ihn nicht sichtbar Capesius.

JOHANNES:
Der hingetürmten Formen schweigsam Sein,
Es füllt den Raum, gestaltend weite Rätsel;
Es tötet nicht mit Fragepein die Seele,
Die nicht erkennen, die nur lebend selig
Des Daseins Offenbarung schauen will.
Um diese Felsen dieses Lichtesweben,
Der kahlen Flächen stummes Dasein dort,
Die Wälder, grün in Blau verdämmernd hier;
Dies ist die Welt, in der Johannes' Seele,
Sich Zukunftsbilder webend, weilen will.
--------------------------
--------------------------
Johannes' Seele soll in sich erfühlen
Die Tiefen und die Weiten dieser Welt.
Und Schöpfermächte sollen dieser Seele
Die Kraft entbinden, die den Weltenzauber
Als kunstverklärten Schein den Herzen kündet.
--------------------------
Doch nie vermöcht' Johannes dies, wenn nicht
Maria seiner Seele Kräfte liebend
Durch ihre milde Seelenwärme weckte.
Des Schicksals weise Führung muss ich preisen,

410

Das diesem Menschen mich so nah gebracht
Wie kurz ist doch die Zeit erst, seit ich sie
An meiner Seite weiss, wie innig banden
Die wenig Wochen meine Seele
Mit ihrer Seele schon zur Lebenseinheit.
Sie lebt als Geist in mir, auch wenn sie fern;
Sie denkt in meinem Denken, wenn ich mir
Des Wollens Ziele vor die Seele rufe.
(Maria erscheint wie ein Gedanke des Johannes.)

JOHANNES (fortfahrend):
Maria hier vor mir? doch wie ist sie -?
Sie darf nicht so vor mir sich offenbaren;
Dies geistig strenge Antlitz - diese Würde,
Die irdisch Fühlen frösteln macht - es will -
Es kann - Johannes so Maria nicht
In seiner Nähe schauen - dies kann nicht
Maria sein, die weise Mächte mir
In milder Schicksalsfügung zugeführt.
(Maria verschwindet aus Johannes' Schauen.)
Wo ist Maria, die Johannes liebte,
Als sie noch nicht die Seele ihm verwandelt
Und sie in kalte Geisteshöhn geführt?
----------------------
Doch auch Johannes, der Maria liebte,
Wo ist er jetzt -? er war noch eben hier -
Ich schau' nicht mehr Johannes, der mich mir
So selig wiedergab - es kann, es soll
Mir nicht Vergangenheit ihn grausam rauben!
(Maria wird für Johannes' Schauen wieder sichchar.)

MARIA:
Maria, so wie du sie schauen willst,
Ist sie in Welten nicht, wo Wahrheit leuchtet.

411

In Truges Reichen webt Johannes' Geist,
Vom Seelenwahn verführt; - befreie dich
Von Wunschesmächten> welche dich verlocken.
Ich fühle deinen Seelensturm in mir;
Er raubt die Ruhe mir, der ich bedarf.
Es ist Johannes nicht, der solchen Sturm
In meine Seele lenkt; ein Wesen ist's,
Das er in sich vor Zeiten schon besiegt.
Als Wahn durcheilt es jetzt die Geistesweiten -;
Erkenn' es und es wird als Nichts verstieben.

JOHANNES:
Das ist Maria, wie sie wahrhaft ist,
Und von Johannes redet sie, wie er
In dieser Zeit auch wirklich sich erscheint.
Der hat sich längst zu andrem Sein erhoben,
Als mir des Traumes Gaukelspiel jetzt malt,
Weil ich in träger Ruhe meine Seele
In sich behaglich dämmern lassen will.
Doch noch besitzt dies Sein mein Wesen nicht.
Ich kann ihm noch entfliehn - und will es jetzt -
Es ruft mich oft zu sich; es will mich dann
Mit seinen Kräften ganz für sich gewinnen - -;
Doch treibt es mich, von ihm mich zu befreien.
Es hat seit Jahren schon mit Geistessein
In meiner Seele Tiefen mich erfüllt;
Und doch - ich will in mir es jetzt nicht wissen.
--------------------
Du fremdes Wesen in Johannes' Seele
Verlass mich gib mich mir wie ich einst war,
Als du noch nicht in mir dich wirksam wiesest.
Ich will Johannes schauen ohne dich.--

(Benedictus erscheint an Marias Seite; ebenfalls als Gedanke des Johannes.)

412

BENEDICTUS:
Johannes, höre deiner Seele Mahnung;
Der Mensch, der geistig dich erfüllend, dir
Als deines Wesens Urgewalt erstanden,
Er muss an deiner Seite treulich walten
Und von dir fordern, seines Wesens Kräfte
In deinem Wollen menschlich zu erschaffen.
Er muss verborgen in dir selber wirken,
Dass du einst werden magst, was du als Ziel
Des eignen Wesens fern in Zukunft weisst.
Du sollst die eignen Sorgen fest verschlossen
Im Seeleninnern mit durchs Leben tragen.
Du selbst gewinnst dich nur, wenn du von ihm
Dich mutig willst stets mehr besitzen lassen.

MARIA (als Gedanke von Johannes geschaut):
Mein heilig ernst Gelöbnis strahlet Kraft,
Die dir erhalten soll, was du errungen.
Du findest mich in kalten Eisgefilden,
Wo Geister sich das Licht erschaffen müssen
Wenn Finsternisse Lebenskräfte lähmen. ---
In Weltengründen suche mich, wo Seelen
Das Götterfühlen sich erkämpfen müssen
Durch Siege, die vom Nichts das Sein ertrotzen.
Doch nimmer suche mich im Schattenreich.
Wo abgelebtes Seelenleben sich
Aus Wahneswesen flüchtig Sein erlistet,
Und Traumesgaukelspiel den Geist umspinnt,
Weil er geniessend sich vergessen will,
Und Ernst ihm unbehaglich scheinen kann.
(Benedictus und Maria verschwinden.)

JOHANNES:
Sie spricht von Wahn -----
----- Doch schön ist dieser Wahn.

413

Er lebt; Johannes fühlt in ihm sich selbst,
Er fühlt Marias Nähe auch in ihm.--
Johannes will nicht wissen, wie der Geist
In dunklen Seelentiefen Rätsel löst
Doch schaffen will er, will als Künstler wirken.
So bleibe ihm verborgen, was in ihm
Bewusst nur Weltenhöhen schauen möchte.
-------------------------------
(Er versinkt in weiteres Sinnen.)

(Capesius erhebt sich von seinem Sitze; rüttelt sich wie aus tiefem Sinnen auf.)

CAPESIUS:
Erlebt' ich nicht in eigner Seele klar,
Was in Johannes, der so träumend sinnt,
Als Bilder seiner Sehnsucht sich erschafft?
Gedanken flammten mir im Innern auf,
Die nicht aus mir; - - die er nur wirken konnte.
Es lebte seiner Seele Sein in meiner - -
Verjüngt erblickt' ich ihn, wie er sich selbst
Durch Geisteswahn erschaut und frevelhaft
Die reifen Früchte seines Geistes schalt - -
Doch wie! - warum erlebe ich dies jetzt?
Nur selten darf der Geistesforscher doch
Der andern Seelen Sein in sich erschauen! -
Ich konnte oft von Benedictus hören,
Dass dies nur der vermag - für kurze Zeit -,
Der gnädig ausersehn vom Schicksal ist,
Um eine Stufe auf dem Geistespfad
Erhöht zu werden - - Darf ich so mir deuten,
Was mich in diesem Augenblicke trifft?
Was selten - wahrlich nur geschehen darf;

414

Denn furchtbar wär's, könnt' jederzeit der Seher
Belauschen andrer Seelen Innensein.
----------------------
----------------------
Ob ich die Wahrheit schaute - - ob ein Wabn
Von andrem Seelensein mich träumen liess?
Ich muss es von Johannes selbst erfahren.

(Capesius nähert sich Johannes und wird erst jetzt von diesem bemerkt.)

JOHANNES:
Capesius - ich dacht' euch fern von hier!

CAPESIUS:
Doch meine Seele fühlte sich euch nahe.

JOHANNES:
Mir nah - in diesem Augenblick - doch nicht!

CAPESIUS:
Warum doch schaudert euch bei diesem Wort?

JOHANNES : O nein, mir schaudert nicht ---

(In diesem Augenblicke tritt Maria hinzu; dies macht möglich, dass sowohl Johannes seine näehsten Worte wie auch Capesius die seinigen für sich sprechen können.)

JOHANNES (für sich):
- - - Sein Blick, er trifft
In meiner Seele Tiefen wahrhaft mich.

CAPESIUS (für sich):
Sein Schaudern zeigt mir, dass ich wahr geschaut.
(Capesius wendet sich nun an Maria.)
Maria, ihr erscheint zur rechten Zeit.
Es bringt vielleicht mir euer Wort die Lösung
Des ernsten Rätsels, das mich schwer bedrückt!

415

MARIA:
Nicht euch - ich dacht' Johannes hier zu finden.
Die Ahnung ließ des Rätsels Last bei ihm
Mich suchen, - euch jedoch wähnt' ich, befriedigt,
Dem schönen Wirkensziele hingegeben,
Das uns Hilarius erschliessen will.

CAPESIUS:
Dies Ziel - was soll es mir - es stört mich jetzt. -

MARIA:
Es stört euch? - Zeigtet ihr euch nicht beglückt,
Seit eurem Hoffen solcher Inhalt war?

CAPESIUS:
Was ich erlebt in dieser Schicksalsstunde,
Es ändert meiner Seele Richtung ganz,
Es müsste jede Erdenwirksamkeit
Erwachter Seherkräfte mich berauben.

MARIA:
Wer Geistespfade hat beschreiten dürfen,
Erlebt so mancher Schicksalszeichen Winke. -
Er wird auf Seelenwegen ihnen folgen,
Doch könnten sie nicht recht gedeutet sein,
Wenn sie die wahren Erdenpflichten stören.

(Capesius setzt sich: verfällt in kurzes Sinnen,
währenddessen Maria die Erscheinung Lucifers hat.)

LUCIFER:
Dein Mühen wird dir wenig Früchte bringen.
In seinem Herzen regen Kräfte sich,
Die mir die Tore seiner Seele öffnen.
Maria, - richte deine Seherkraft
In seiner Seele Tiefen; - schaue dort,
Wie er mit Geistesschwingen sich erlöst
Von eurem liebewarmen Erdenwerke.

(Lucifer bleibt in der Landschaft.)
(Maria wendet sich etwas deutlicher zu Capesius, ihn aus seinem Sinnen zu erwecken, aus dem er aber zugleich auch wie von selbst sich rüttelt.)

416

MARIA:
Wenn sich Johannes auf dem Geistespfade
Gestört durch seiner Pflichten Art erfühlte,
Berechtigt wär' es nicht, - doch schien's begreiflich.
Er wird im äussern Dienste schaffen müssen.
Doch ihr sollt Geisteswissen andern künden,
Und tretet so aus eurem Seelenkreise nicht.

CAPESIUS:
Weit mehr, als wenn sie äußre Werke schafft,
Verliert die Geisteskraft im Worte sich.
Es zwingt das Wort Geschautes zu begreifen;
Doch sind Begriffe Seherkräften feindlich.
Ein solches Geisterlehnis durft' ich schauen,
Das meinem Blicke sich nur zeigen konnte,
Weil jene Seele, die sich mir erschloss,
Zwar meinem Erdenrnenschen nahesteht,
Doch nie von diesem ganz begriffen ward. -
Ist mein Erlebnis wahr, so wird mich nichts
An dieses Erdenwerk jetzt binden können.
Denn fühlen muss ich dann, wie hohe Mächte
Jetzt andre Ziele meiner Seele weisen,
Als sie Hilarius ihr vorgezeichnet. -
(Er stellt sich vor Johannes hin.)

CAPESIUS:
Johannes, sagt mir frei, erfühltet ihr
Vorhin nicht abgelebte Seelenwünsche
Wie euer gegenwärtig Selbst in euch,
Als ihr im Sinnen ganz verloren wart?

JOHANNES:
So kann sich meines Geistes Wirrnis wirksam
In fremder Seele als Erlebnis schaffen?
Und Schauen macht den Irrtum stark, dass er
Den Weg ins Weltenwerden finden kann?
(Johannes verfällt wieder in ein Sinnen.)

(Maria wendet den Blick zu Lucifer und hört ihn sprechen.)

417

LUCIFER:
Auch hier find ich die Seelentore offen.
Nicht säumen will ich und die Lage nutzen,
Wenn auch in dieser Seele - Geisteswunsch
Sich schafft, so muss das Liebeswerk verfallen,
Das mir durch Gottgetreu gefährlich winkt.
Ich kann in ihm Marias Macht zerstören;
Dann fällt, was sie vermag, an meine Kraft.

(Lucifer verschwindet. Capesius richtet sich in diesem Augenblicke selbstbewusst auf und gewinnt innerhalb der folgenden Worte eine immer sicherere Stimmung.)

CAPESIUS:
Der Zweifel flieht - ich habe wahr geschaut -;
Johannes lebte, was ich sehen durfte.
So ist auch klar, dass seine Welt sich mir
Nur öffnen konnte, weil die meine sich
Begreifend nie der seinen nahen wollte.
Der Geistesweg verlangt nach Einsamkeit; -
Zusammenwirken können Menschen nur,
Die sich begreifend gegenüberstehen.
Von Menschenwesen fern erreicht die Seele
Der Lichteswelten weite Daseinskreise.
Als Vorbild zeigt sich Vater Felix mir,
Er sucht auf Wegen, die den andern fremd,
In stolzer Einsamkeit das Geisteslicht.
Und seinem Suchen ward Erfolg, - weil er
Begreiflich Wesen sich stets ferne hielt.
Ihm streb' ich ferner nach: und euer Werk,
Das Seherkraft mit Erdensein. belastet,
Es wird Capesius nicht mehr verführen.
(Er geht fort.)

MARIA:
So ist's mit Menschen, wenn das bessre Selbst
In Geistesschlaf versinkt, und Wunschesmächte

418

Sein Wesen nähren, bis Erwachen wieder
Mit Licht erhellt die wahre Geistnatur.
So ist der Schlaf, den alle Menschen schlafen;
Bevor die Seherkräfte sie geweckt.
Sie wissen nichts von diesem wachend Schlafen;
Sie scheinen wachend - weil sie immer schlafen.
Der Seher schläft, wenn er zu diesem Wachen
Aus seinem wahren Sein heraus sich drängt.
Capesius wird uns sich jetzt entziehn.
Es zieht nicht flüchtig Wollen nur, es zieht
Sein Zustand ihn von unsern Zielen ab.
Nicht er bewirkt, dass er von uns sich wendet.
Man sieht der Schicksalsrnächte strenge Zeichen.
So müssen wohl wir andren unsre Kräfte
In höhrem Masse unsrem Werke widmen.

JOHANNES:
Maria, fordre von Johannes nicht,
Dass er in dieser Zeit zu neuen Zielen
Die Seele rüste, welche gleich der andern
Des Geistesschlafs bedarf, dass sie die Kräfte,
Die keimenden, zur Reife pflegen kann.
Ich weiss, ich werde einst für Geisteswelten
Zu wirken mich erkühnen, - doch nicht jetzt
Verlange, dass ich tätig sei - nicht jetzt -.
Bedenk', dass ich Capesius vertrieb---.
Wär' ich zum Werke reif - er wär' es auch.

MARIA:
Capesius vertrieben? - Du - du träumst.

JOHANNES:
Ich träumte wissend... ja, ich wachte träumend.
Was Schein vor Weltenmächten, - hat vor mir
Als Sinnbild meiner Reife sich bezeugt.
Ich weiss recht gut, mein Wünschen war ich selbst;

419

Und nur das Denken war ein andres Selbst.
So stand Johannes vor der Seele mir,
Wie er einst war, bevor der Geist ihn fasste
Und ihn erfüllte mit dem zweiten Selbst.
Er ist nicht tot; Johannes'-- Wunschesleben,
Es schafft ihn zum Genossen meiner Seele.
Ich hab' ihn wohl betäubt, doch nicht besiegt.
Des eignen Daseins Rechte fordert er,
Wenn jenes Selbst - - - in Schlaf versinken muss.
Und immer wachen - - - das vermag es nicht.
So schlief es auch zu jener Zeit, in der
Capesius in sich erleben konnte,
Wie mich der andre aus mir selbst gerissen.
Es ward mein Träumen ihm zum Schicksalswink.
So wirkt in mir und nicht in ihm die Kraft,
Die ihn vertrieben hat, - die uns verbietet,
Den Geist zum Erdenwirken hin zu lenken.

MARIA:
Die Geisteskräfte kommen - rufe sie. -
In Geistesweltengründe lenk' den Blick
Und warte, bis die Kräfte in den Tiefen
Empfinden, was in deinem eignen Selbst
Mit ihrem Wesen wahlverwandt sich regt.
Sie zaubern dir vor deine Seheraugen,
Was sie und dich zur Einheit werden lässt.
Verbanne eignen Sinnes störend Sprechen,
So spricht der Geist in dir mit Geisteswesen;
Und diesem Geistersprechen höre zu.
Es trägt dich zu den Lichtessphären hin
Und bindet dich an Geisteswesenheit.
Was dir aus abgelebten Zeiten dämmert,
Erscheint dir dann im Weltenlichte deutlich;
Und zwingt dich nicht, weil du es lenken kannst.

420

Vergleich es mit der Elemente Wesen,
Mit Schatten und mit Schemen aller Art,
Auch stell es neben mancherlei Dämonen,
Und so erfahre, was es wirklich gilt.
Doch dich ergründe in der Geister Reich,
Die Urbeginn verbinden andrem Urbeginn,
Die Weltenkeimeskräften nah sich wissen
Und Sphärenzielgedanken Richtung weisen.
Es wird dich solche Weltenschau erkraften
Dass du im Geistgewoge dir das Sein
Im Seelenkerne wesenhaft vereinst.
------------------------
So heisst der Geist mich selber dir zu künden,
Nur höre jetzt, was dir bewusst, doch nicht
Vermählt bisher in Seelentiefen ist.

JOHANNES (deutlich zeigend, dass er zu starkem Entschluss sich aufrafft):
Ich will es hören, - will mir selber trotzen.

(Von beiden Seiten kommen Elementargeister. Von links gnomenartige Wesen. Sie haben stahlgraue, den Menschen gegenüber kleine Gestalten; sie sind fast ganz Kopf; doch ist dieser vornübergebeugt. Sie haben lange, bewegliche, zu Gebärden geeignete, zum Gehen ungeschickte Gliedmassen. Von rechts kommen sylphenartige, schlanke, fast kopflose Gestalten, ihre Füsse und Hände sind ein Mittelding zwischen Flosse und Flügel; ein Teil von ihnen ist blaugrün, der andere Teil gelbrötlich. Bei den gelbrötlichen ist die Gestalt mit schärferen Konturen begabt; bei den blaugtünen unbestimmter. Die Worte, welche diese Gestalten sprechen, werden mit ausdrucksvollen, bis zum Tanze sich gestaltenden Gebärden vorgebracht.)

GNOMENGEISTERCHOR:
Wir härten, wir kraften
Das Stoffesstaubgeflimmer,

421

Wir lockern, wir pulvern
Erstarrtes Krustengeschiebe,
Wir stäuben flink das Feste
Und festen langsam Lockres
Mit unsren Leibesgeistern,
Gewoben aus Verstandesstoff,
Der klug schon vollends war.
Als Menschenseelen schlafend
In Erdenurbeginnen träumten.

SYLPHENGEISTERCHOR:
Wir weben, wir fasern
Das Wasserluftgewoge,
Wir trennen, wir sprengen
Belebte Sonnensamenkräfte;
Wir dichten sorglich Lichtesmächte,
Wir nichten weise Früchtekräfte
Mit unsren Seelenleibern,
Erfliessend aus Empfindungsstrahlen,
Die ewig lebend glimmern,
Dass Menschenwesen lebend
Des Erdenwerdens Sinn geniessen.

GNOMENGEISTERCHOR:
Wir lachen, wir kichern,
Wir spotten, wir grinsen,
Wenn Menschensinne holpernd
Und Menschengeister stolpernd
Von uns Erzeugtes schauen
Und weise zu verstehen glauben,
Was Geister unsrer Weltenzeiten
Vor ihre dummen Augen zaubern.

422

SYLPHENGEISTERCHOR:
Wir sorgen, wir pflegen,
Wir fruchten, wir geistern,
Wenn Menschenkinder lebendämmernd
Und Menschengreise irrtumwebend
An unsrem Werke zehren
Und kindlich oder greisenhaft
Im Zeitenstrome dumpf geniessen,
Was wir in Ewigkeiten sinnen.

(Diese Geisteswesen bewegen sich, wie in zwei Knäueln sich zusammenfindend, gegen den Hintergrund und bleiben dort sichtbar. Von links erscheinen die drei Seelenkräfte: Philia, Astrid, Luna mit der «andren Philia».)

PHILIA:
Sie strahlen die Helle
Als liebende Lichte
In seliges Reifen,
Sie wärmen gelinde
Und hitzen gewaltig,
Wie Werdendes will
Zu wirkendem Sein;
Dass wirkendes Sein
Entzücke die Seelen,
Die liebend sich geben
Dem strahlenden Licht.

ASTRID:
Sie weben das Leben
Als schaffende Helfer
In quellende Wesen.
Sie sprengen die Erden
Und dichten die Lüfte,
Dass Wandel sich zeige
Im strebenden Schaffen.
Dass strebendes Schaffen

423

Beglücke die Geister,
Die webend sich fühlen
Im schaffenden Leben.

LUNA:
Sie drücken bedächtig
Als tätige Schöpfer
Die bildsamen Stoffe;
Sie schärfen die Kanten
Und glätten die Flächen,
Dass sinnvoll sich hauen
Die ragenden Formen;
Dass ragende Formen
Begeistern den Willen
Zu sinnvollem Bauen
Als tätiger Schöpfer.

DIE ANDRE PHILIA:
Sie pflücken die Blüten
Als sorglose Nutzet
In zauberndem Wirken;
Sie träumen das Wahre,
Sie wahren den Wahn;
Dass schlafendes Keimen
Sich wecke zum Leben;
Und wachendes Träumen
Enthüllet den Seeien
Verzaubertes Weben
Des eigenen Wesens.

(Diese vier Seelenkräfte und die Geistwesen verschwinden nach der rechten Seite; Johannes, der während der vorhergehenden Vorgänge in tiefem Sinnen war, erhebt sich daraus.)

JOHANNEs:
«Und wachendes Träumen
Enthüllet den Seelen

424

Verzaubertes Weben
Des eigenen Wesens.»
Das sind die Worte, die noch deutlich klingen
In meiner Seele -, was ich vorher schaute,
In Wirrnis zog es aus der Seele fort.--
-------------------------
Doch welche Kraft erregt sich mir, wenn ich bedenke:
Verzaubertes Weben
Des eigenen Wesens - - -
(Er verfällt wieder in Sinnen; es erscheint vor ihm als seine Gedankenform eine Gruppe bestehend aus: dem Geist von Johannes' Jugend, Lucifer links von diesem, Theodoras Seele rechts.)

DER GEIST VON JOHANNES' JUGEND:
Es nähret deiner Wünsche Sein mein Leben
Mein Atem schlürfet deiner Jugend Träume;
Ich bin im Sein, wenn du nicht dringen willst
In Welten, welche ich nicht finden kann.
Verlierst du mich in dir, muss ich in Schmerzen
Den grausen Schatten schlimme Dienste leisten - -;
Du Pfleger meines Seins, - - - verlass mich nicht. -

LUCIFER:
Er wird dich nicht verlassen, - ich erschaue
In seines Wesens Tiefen Lichtbegierden,
Die nicht Marias Spuren folgen können.--
Wenn diese mit dem Glanz, den sie erzeugen,
Johannes' Schöpferseele voll erleuchten:
Wird er die Früchte, die sie zeugen müssen,
In jenem Reiche nicht vergeuden können,
Wo Liebe ohne Schönheit herrschen will.
Ihm wird das Selbst dann nicht mehr wertvoll scheinen,
Das seine besten Kräfte zu den Schatten
Durch Wissensüberschätzung werfen will.

425

Wenn Weisheit leuchten wird in seinen Wünschen,
Wird ihm ihr Wert sich herrlich offenbaren;
Er kann gering so lange nur sie schätzen,
Als sie im Seelendunkel noch sich halten.
Bis sie das Weisheitslicht erreichen können,
Will ich dich treulich pflegen - durch das Licht,
Das ich in Menschenseelengründen finde.
Noch fehlt Erbarmen ihm für deine Leiden,
Er lässt dich stets ins Schemenreich versinken,
Wenn er in seine Lichteshöhen strebt.
Vergessen kann er dann, dass du, sein Kind, -
Ein schmerzlich Zauberdasein führen musst.
Doch künftig wirst du mich zur Seite haben,
Wenn du als Schatten frierst durch seine Schuld.
Ich will mit jenem Recht, das Lucifer
(Bei dem Worte «Lucifer' zuckt der Geist von Johannes' Jugend zusammen.)
Aus alter Welten Satzung sich bewahrt,
In seiner Seele Tiefen mir erbeuten,
Was er im Geistesfluge unbehütet lässt.
Ich bring dir dann den Schatz, der dir erleichtert
Des Schattenreiches finstre Einsamkeit.
Doch wirst du völlig erst entzaubert sein,
Wenn er mit dir sich wieder einen kann.
Verschieben kann er dies, - - verhindern nicht.
Denn Lucifer will seine Rechte wahren.

THEODORA:
Du Geisteskind, du lebst Johannes' Jugend
In finstern Schattenreichen. - Liebend neigt
Sich dir die Seele, die Johannes schützt,
Aus lichterfüllten, liebewarmen Reichen.
Erlösen will sie dich aus Zauberkreisen,

426

Wenn du von ihrem Fühlen nehmen willst,
Was dir ein Sein in Seligkeit erwirbt.
Ich will den Elementen dich verbünden,
Die unbewusst in Weltenweiten wirken
Und stets dem Seelenwachen sich entziehen.
Du kannst mit Erdengeistern Formen bilden
Und mit den Feuerseelen Kräfte strahlen,
Wenn du dein wissend Sein dem Willen opferst,
Der ohne Menschenweisheit lichtvoll kraftet.
Du wirst das Wissen, das nur halb dein eigen,
Vor Lucifer bewahren und Johannes
Die Dienste leisten, die ihm wertvoll sind.
Ich will aus seinem Seelensein dir holen,
Was ihn nach deinem Sein bedürftig macht
Und ihm den Geistesschlaf erfrischend reicht.

LUCIFER:
Sie wird dir Schönheit niemals schenken können,
Weil ich sie ihr zu nehmen mich erkühne.

THEODORA:
Ich will aus edlem Fühlen Schönheit keimen -
Und an dem Opferdienste reifen lassen.

LUCIFER:
Sie wird dem freien Wollen dich entreissen
Und Geistern schenken, die im Finstern walten.

THEODORA:
Ich werde geisterfülltes Schauen wecken,
Das frei auch noch von Lucifer sich weiss.

(Es verschwinden Lucifer, Theodora und der Geist von Johannes' Jugend. Johannes, aus seinem Sinnen erwachend, sieht die «andre Philia, an sich herankommen.)

DIE ANDRE PHILIA:
Und wachendes Träumen
Enthüllet den Seelen

427

Verzaubertes Weben
Des eigenen Wesens.

JOHANNES:
Du rätselvoller Geist, - durch deine Worte
Betrat ich diese Welt! - - Von ihren Wundern
Ist nur das Eine - - meiner Seele wichtig:
Ob lebend wesenhaft in Geistesreichen
Der Schatten weilt, der mir mit Theodora
Und Lucifer sich offenbaren wollte?

DIE ANDRE PHILIA:
Er lebt; - er ist zum Sein durch dich erweckt.
Wie alles sich im Spiegel bildhaft zeigt,
Was Licht auf seine Flächen strahlen lässt,
So muss, was du in Geistesreichen schaust,
Bevor die volle Reife dir das Recht
Zu solchem Schauen gibt, - sich lebend spiegeln
Im Reich der halberwachten Schatrengeister.

JOHANNES:
Es ist nur Bild, was so durch mich sich spiegelt?

DIE ANDRE PHILIA:
Doch Bild, das lebt und sich im Leben hält,
Solang du noch ein abgelebtes Sein
In dir bewahrst, das du betäuben zwar,
Doch jetzt fürwahr noch nicht besiegen kannst. -
Johannes, dein Erwachen bleibt ein Wahn,
Bis du den Schatten selbst erlösen wirst,
Dem deine Schuld verzaubert Leben schafft.

JOHANNES:
Wie dank ich diesem Geist, der wahren Rat
In meine Seele bringt - - ich muss ibm folgen.

(Der Vorhang fällt langsam, während die «andre Philia und Johannes in ruhiger Gebärde stehenbleiben.)

428

DRITTES BILD

Die Landschaftsszenerie wie im zweiten Bilde.
Magnus Bellicosus, Romanus, Torquatus und Hilarius so kommend von der rechten Seite, dass das Folgende, das sie im Stehen sprechen, sich denken lässt wie die Fortsetzung eines Gespräches, das sie schon vorher auf ihrem Spaziergange geführt haben. Es nimmt für die Teilnehmer einen so gewichtigen Inhalt an, dass sie stehenbleiben.)

BELLICOSUS:
Und wenn der starre Kopf unbeugsam ist,
Wie soll das Werk gedeihn, das Gottgetreu
Dem Menschendienste liebend widmen will!

ROMANUS:
Was unsres Freundes treuer Werkgenosse
An Gründen für den Einwand vorgebracht:
Es hat Gewicht für Menschen nicht allein,
Die, äussrer Lebensford'rung eingedenk,
Sich ihre Meinung bilden. - - Ist es nicht
Im Einklang auch mit wahrer Mystenmeinung?

BELLICOSUS:
Es liegt jedoch im Geisteskreise nicht,
Der unsre Ziele fest umschlossen hält.
Es folgten uns in unsrem Mystenwerke
Des Benedictus' Schüler; - ihnen will
Hilarius die Wirkensstätte schaffen.
Die ihre Geistesfrüchte reifen lässt.
Die weisen Schicksalsmächte haben sie
Im Tempel uns vereint; und unser Freund

429

Entspricht der Weisung nur, die uns im Tempel
Als Geistespflichtgebet sich offenbarte.

ROMANUS:
Ist's euch gewiss, dass ihr dies Geistgebot
Auch recht versteht? Denn näher liegt die Meinung,
Dass Benedictus selbst und auch die Schüler,
Die er in seiner Art zum Geist geführt,
Im Tempel-Innern noch sich halten sollen
Und nicht den rauhen Pfad schon jetzt betreten,
Zu dem Hilarius sie führen will. -
Es wandelt sich auch ihm nur allzu leicht
Die Geistesschau in Seelentraumesschlaf.

BELLICOSUS:
Dies Wort von euch zu hören, hofft' ich nicht.
Es mag dem Werkgenossen Gottgetreus
Erlaubt wohl sein, der sich aus Büchern nur
Ein Wissen holen kann, gering an Wert.
Doch euch obliegt, die Zeichen zu erkennen,
Die auf dem Mystenwege sich erzeugen.
Es spricht die Art, wie Benedictus' Schüler
Uns zugeführt, zu unsern Seelen deutlich.
Sie sind mit uns vereint, dass wir befolgen,
Was ihrer Seherschaft sich offenbart.

TORQUATUS:
Es offenbart jedoch ein andres Zeichen,
Dass nicht der Geistesmächte Segensfülle
Dem Werke zugeflossen, das im Tempel
Sich unsren Seelen dargeboten hat.
Es hat Capesius von Benedictus
Und seinem Schülerkreise sich getrennt.
Dass er die volle Seelenwachsamkeit
In sich noch nicht erfühlt, die Benedictus
In ihm schon sucht, es wirft doch trübe Schatten
Auch auf des Lehrers eigne Sicherheit.

430

BELLICOSUS:
Des Sehers Gaben liegen mir noch fern:
Doch fühl' ich oft, wie manch Geschehnis mir
Ein ahnend Wissen in der Seele löst.
Als ich Capesius am Weiheort
Zum erstenirnal in unsrem Kreise sah,
Bedrängte der Gedanke mich, es stelle
Das Schicksal ihn uns nah und fern zugleich.

ROMANUS:
In dieser Ahnung kann ich euch verstehn.
Doch ahnte ich in jenem Augenblicke
Mir keinen unsrer neuen Mystenfreunde
Durch Schicksalsmacht so eng vereint wie Strader.
Für mich ist solche Ahnung nur ein Zeichen,
Das meine Seele in die Richtung weist,
In der ich dann verständig suchen kann.
Und wend' ich mich zur Tat, so tilg' ich erst
Die Ahnung, die mein Denken mir durchkraftet. -,
Dies weisen mir der Mystik strenge Regeln.
Ich fühle mich im Geistgebiet gewiss
Mit Benedictus' &hülern eng verbunden,
Soll ich jedoch aus innrem Mystenkreise
Den Weg zurück zum Erdenleben suchen,
So wag' ich dies allein an Straders Seite.

(Es erscheint Ahriman rechts im Hintergrund der Land schaft und verschwindet, ohne wahrgenommen zu werden, nach links.)

TORQUATUS:
Der treue Werkgenosse Gottgetreus
Erkennt in Strader nicht den sichern Geist,
Der äußres Leben wirksam fördern kann.
Und lass' ich selbst die innre Stimme sprechen,
So offenbart sich mir, dass ihm zur Mystik
Die rechte Seelenstimmung gänzlich fehlt.
Was äußre Zeichen ihm bezeugen können,

431

Was sein Verstand vom Geistessein begreift,
Erregt in ihm den starken Forschertrieb;
Dem innern Geist-Erleben steht er fern.
Was soll des Mannes Geistesschaffen andres
Als mystisch dunkles Traumgespinste sein?

ROMANUS:
Er ist auf seiner Freunde Geistesweg
Bis jetzt nicht weit genug noch vorgeschritten,
Um sich mit Seelenfeinden zu verbinden,
Die sehr gefährlich sind für manchen Mysten,
Wenn sie ihm folgen in das Sinnensein.

BELLICOSUS:
Wenn ihr ihn frei von diesen Feinden glaubt,
So hindert euch doch nichts, für ihn zu wirken,
So dass das grosse Werk gelingen kann,
Das Gottgetreu durch ihn verrichten will.
Wenn dieses Freundes Werkgenosse hört,
Wie ihr den Mann verehrt, den er gering
Zu achten sich vermisst, es wird gewiss
An seinem Urteil rütteln. Ihr allein
Vermögt es, ihn der Sache zu gewinnen.
Bekannt ist ihm, dass euch im äussren I,eben
Erfolge stets aus allem sich erzeugten,
Was ihr nach klugem Vorbedacht getan.

ROMANUS:
Mein lieber Gottgetreu, wenn ihr euch Strader
An eure Seite stellt und ohne Wahn
Des Benedictus' andre Geistesschüler
Von eurem Werke ferne halten wollt,
So bleibt ihr nicht allein; - dann biet' ich euch
Nicht nur, was Bellicosus jetzt verlangt,
Als meine Hilfe an, ich will dann auch
Mit allem, was an äußrem Gut mein Eigen,
Dem schönen Plane Straders wirksam dienen.

432

HILARIUS:
Wie könnt ihr denken, dass sich Strader jetzt
Von Benedictus' Schülern trennen werde -
Und ohne sie nur eignen Geisteszielen folgen.
Ihm stehn die andern nah', wie er sich selbst.

ROMANUS:
Dass sie ihm menschlich nahe stehn, mag gelten.
Sich ihnen geistig auch vereinigt wähnen,
Kann jener Teil in seiner Seele nur,
Der tief im Geistes-Schlafe noch sich hält.
Doch dünkt mich, dass recht bald sich zeigen muss,
Wie der zu wachem Leben reifen kann.
(Die vier gehen nach der linken Seite ab.)

(Es kommen von der rechten Seite Capesius, Strader, Felix Balde und Frau Balde, wie im Gespräch stehenbleibend, weil der folgende Inhalt für sie wichtig ist.)

CAPESIUS:
Dem Geist auf innern Seelenpfaden folgen:
Dies Eine kann ich nur in dieser Zeit.
Wollt' ich mit äussrem Wirken mich belasten,
Um Geist im Sinnenteich zum Sein zu bringen, -
Vermessen müsst' ich mich, den Grund des Seins
In Welten zu erfassen, deren Wesen
In mir bis jetzt noch nicht verwirklicht ist.
Ich kann vom Welten sein soviel nur schauen,
Als sich von ihm in mir gebildet hat.
Wie soll ich schaffen, was den andern frommt,
Wenn ich im Schaffen nur mich selbst geniesse?

STRADER:
Versteh' ich euch, so meint ihr, allem Schaffen
Des eignen Wesens Prägung nur zu geben;
Und so im Werke nur das Eigensein
Dem äußren Weltenwesen mitzuteilen?

CAPESIUS:
Bis ich mit meiner eignen Innenwelt
An fremdes Wesen stosse, ist es so.

433

Wie weit ich in das andre jetzt schon dringe,
Ich musst' es schmerzlich mir gestehn, als ich
Für kurze Zeit in Klarheit wachend war.

FELIX BALDE:
Ihr sprecht, was ich von euch noch nie gehört. -
Doch niemals konnt' ich euch - - so gut verstehn
Wie jetzt, da nichts als ihr nur selber sprecht.
In eurer Rede tönt der Mystik Stimmung,
Die ich durch viele Jahre streng gesucht,
Und die allein das Licht vernehmen kann,
In dem der Menschengeist im Weltengeiste
Durch helles Schauen wissend sich erlebt.

CAPESIUS:
Weil ich geahnt, wie nah ich euch gekommen,
Bin ich zu euch entflohn aus einem Treiben,
Das meine Innenwelt ertöten wollte.

STRADER:
Begreiflich fand ich oft, - was ihr jetzt sprecht -;
Ich hielt es dann für Weisheit, - - doch kein Wort
In euren Reden ist mir jetzt verständlich.
Capesius und Vater Felix, beide...
Verbergen dunklen Sinn in klaren Worten...
- - - - - - - - - - - - - - - - - -
Erleb' ich nicht, wie eure Worte nur
Das Kleid von Kräften sind, - - von Seelenkräften,
Die mich von euch verbannen in die Welten,
Die eurer Geistesart recht ferne liegen?
Die ich nicht suchen will, - weil ich die eure
In meiner tiefsten Seele lieben muss.
Ertragen kann ich leicht den Widerstand,
Der meinem Werke jetzt von aussen droht.
Ja selbst, wenn all mein Wollen jetzt zerschellte
An diesem Widerstand -. ich konnt mich halten.
Doch eure Welten kann ich nicht entbehren.

434

FELIX BALDE:
Es kann der Mensch die Geisteswelt nicht finden,
Wenn er sie suchend sich erschließen will.
Ich ward durch euch beglückt, als ihr vor mir
Dereinst von eurem Mechanismus spracht; -
Als euch Erleuchtung schenkte, was ihr nicht
Verständig suchend euch erringen wolltet.
Da wart ihr nah der wahren Mystenstimmung.
Erstreben nichts, - - nur friedsam ruhig sein,
Der Seele Innenwesen ganz Erwartung - -:
Das ist die Mystenstimmung - Wer sie weckt,
Der führt sein Innres hin zum Lichtesreich.
Das äussre Werk verträgt nicht solche Stimmung.
Wenn ihr durch Mystik dieses suchen wollt,
Errötet ihr mit Mystenwahn das Leben.

STRADER:
Ich hab' euch nötig; - - doch ich find' euch nicht -
Das Sein, das uns vereint, - - ihr schätzt es nicht.
Wie finden Menschen sich zum Weltenwerk,
Wenn Mysten nie das Eigensein verlassen?

FELIX BALDE:
Die Welt, in die ihr tätig euch begebt,
In die könnt ihr des Schauens zartes Sein
Nicht tragen, ohne dass es euch zerschmilzt,
Wenn sie an ihrer Grenze euch empfängt.
In Frömmigkeit, verehrend geistig Walten,
Die Geistesschau im Herzen ruhen lassend: - -
So nahen Mysten sich der Welt der Tat.

CAPESIUS:
Und wenn sie anders sie betreten wollen,
So zeigt sie ihnen wohl des Irrtums Wirken
Doch nicht der Weisheit lichte Wesenheit.
In eines Menschen Seele konnt' ich schauen. -

435

Ich wusste, dass mein Schauen mich nicht trog.
Doch sah ich jener Seele Irrtum nur.
Es ward mir dies, weil ich die Geistesschau
Durch Wunsch nach äussrer Tat verdorben hatte.

STRADER:
So spricht Capesius, der mir
Aus Seelenwegen weit vorangeschritten; - -
Und mir ersteht die Geistesschau doch nur,
Wenn sich die Seele Tatgedanken widmen
Und lebend sich im Hoffen finden darf,
Dass sie dem Geiste Stätten bauen kann,
In welchen er das Licht entzünden will,
Das wärmend durch die Geisteswelten strahlt
Und durch der Menschen Sinnenwirksamkeit
Im Erdensein die neue Heimat sucht. -
Bin ich des Irrtums Sohn - - nicht euer Sohn,
Ihr weisheitvollen weiten Geisteswelten - - !

(Es wendet sich Strader wie nur für einen Augenblick von seinen Unterrednern ab; er hat nun die folgende Geistesschau - Benedictus, Maria, Ahriman erscheinen - - als seine Gedankenformen zwar, doch im wirklichen Geistverkehr; zuerst Benedictus mit Ahriman, dann Maria.)

BENEDICTUS:
In weisheitvollen weiten Geisteswelten
Erahnst du Hilfe jener Fragepein,
Die deines Seelenlebens Urgeheimnis
Auf deinem Erdendenken lasten lässt.
Die Antwort sollst du hören, wie sie dir
Die Geistesweiten aus den Seelentiefen
Durch meine Stimme offenbaren wollen.
Doch lern verstehen, was du wissend wähnst,
Was du zu sprechen dich recht oft erkühnst
Und doch im eignen Seelensein nur träumst.

436

Gib deinem Traume Leben, das ich dir
(Ahriman erscheint.)
Zu reichen aus dem Geist verbunden bin;
Zum Traumessein doch wandie, was du dir
Durch Denken aus den Sinnen ziehen kannst.
Capesius und Vater Felix bannen
Dich aus dem Geisteslicht, das sie erschauen;
Sie legen zwischen sich und dich den Abgrund.
Beklage nicht, dass sie ihn dir bereitet,
Doch blick in deinen Abgrund.

AHRIMAN:
Tu es nur !
Du wirst erschauen, was dir würdig scheint
Des Menschengeists im weiten Weltenlauf.
Es wär' wohl gut für dich, wenn andre Geister
Es dir im dumpfen Seelenschlafe wiesen;
Doch weist es Benedictus dir im Wachen,
So tötest du die Antwort dir im Schauen:
Ja, tu es nur.

STRADER:
Ich will es tun. Doch wie? -
Gestalten wirr? Sie wandeln sich, - sie zerren, -
Die eine an der andern zerrt,-ein Kampf - -,
Es stürzen wild die Schemen aufeinander -,
Zerstörung waltet, Finsternis erzeugend; -
Aus Finsternis jetzt andre Schattenwesen.
Um sie die Atherhelle, - rötlich webend;
Ganz deutlich löst sich eine der Gestalten;
Sie kommt zu mir, - der Abgrund schickt sie mir.

(Maria tritt aus dem Abgrund hervor.)

MARIA:
Du schaust Dämonen; - bilde deine Kraft,
So sind sie's nicht, - vor dir erscheinen sie,

437

Was sie nicht sind. Wenn du sie halten kannst,
Bis sie vor deinem Seelensein zum Leuchten
Ihr Schemenwesen bringen, sind sie dir,
Was sie im Weltenwerden gelten können.
Doch dir erlischt das Schauen, ehe sie
Die Kraft zu scheinen erst entfaltet haben.
Bestrahle sie mit deinem eignen Licht.
Wo ist dein Licht? - Du strahlest Finsternis. -
Erkenne deine Finsternis - um dich -,
Du schaffst ins Licht die wirre Finsternis.
Du fühlest sie, wenn du sie schaffst durch dich;
Doch fühlest du dein Schaffen niemals dann.
Vergessen willst du deine Schaffensgier.
Unwissend waltet sie in deinem Wesen,
Weil du zu feige bist, dein Licht zu strahlen.
Geniessen willst du dieses Eigenlicht.
Du willst dich selber nur in ihm geniessen.
Du suchest dich - und suchest im Vergessen.
Du lässt dich träumend selbst in dir versinken.

AHRIMAN:
Ja, höre sie, - sie kann dir Rätsel lösen,
Doch wirst du ihre Lösung - nicht dir lösen.
Die Weisheit gibt sie dir, - dass du mit ihr
Zur Torheit deine Schritte lenken kannst.
Sie wär' wohl gut für dich - zu andren Zeiten,
Wenn dir der helle Geistestag erschienen;
Doch spricht Maria so in deinem Träumen,
So tötet sie die Lösung dir im Raten.
Ja, höre sie.

STRADER:
Was wollen diese Worte,
Maria, sind sie aus dem Licht geboren?
Aus meinem Licht? - Ist's meine Finsternis,

438

Aus der sie tönen? Benedictus, sprich,
Wer stieg mir aus dem Abgrund ratend auf?

BENEDICTUS:
An deinem Abgrund hat sie dich gesucht.
So suchen Geister Menschen, sie zu schützen
Vor Wesen, die den Seelen Schemen bilden
Und ihnen so des Weltengeistes Walten
Mit Finsternis verwirren, dass sie nur
Im Netz des eignen Seins sich wirklich wissen.
In deinen Abgrund blicke weiter noch.

STRADER:
Was lebt mir jetzt in meines Abgrunds Tiefen?

BENEDICTUS:
Die Schatten schaue, rechts die bläulichroten,
Sie locken Felix, - und die andern sieh' -
Zur linken, - rot in gelb sich heilend milde,
Sie drängen zu Capesius sich hin.
Die beiden fühlen dieser Schatten Macht - -;
Sie schaffen sich in Einsamkeit das Licht,
Das Schatten lähmt, die Menschenseelen trügen.

AHRIMAN:
Er täte besser, wenn er deine Schatten
Dir zeigen wollte, - doch vermag er's kaum; -
An gutem Willen fehlt's ihm wahrlich nicht.
Nur merkt er nicht, wo er sie suchen soll
Sie stehen hinter dir, bedenklich nah, -
Doch deckst du sie zunächst ihm selber zu.

STRADER:
So hör' ich jetzt am Abgrund hier das Wort,
Das ich für eines Toren Spruch gehalten,
Als Gottgetreus Berater mir es sagte! ---

MARIA:
Es härtet Vater Felix sich die Waffen,
Die ihm Gefahren tilgen; - andre braucht,

439

Wer deiner Seele Wege wandeln muss.
Und was Capesius als Schwert sich formt,
Den Kampf mit Seelenfeinden mutig führend,
Für Strader wandelt' sich's zum Schattenschwert,
Wollt' er mit ihm den Geisteskrieg beginnen,
Den Schicksalsmacht den Seelen vorbestimmt,
Die tatenreifes Geisteswesen kraftvoll
In Erdenwirken umzuschaffen haben.
Du kannst für dich nicht ihre Waffen nutzen;
Doch kennen musst du sie, dass du die deinen
Dir sinnvoll aus dem Seelenstoffe schmiedest.

(Die Gestalten des Benedictus, Ahriman und der Maria verschwinden; das heißt äusserlich gesehen, Strader kommt von seiner Geistesschau zurück; er sieht sich nach Capesius, Felix Balde und Frau Balde um; diese treten wieder zu ihm; er hat sich auf einem Felsensitz niedergelassen.)

FELIX BALDE:
Mein lieber Strader, trieb euch nicht der Geist
Soeben weit von uns? - Es schien mir so.
(Er macht eine Pause, erwartend, dass Strader etwas sagen sollte, doch da dieser schweigt, fährt er fort.)
Nicht lieblos wollt' ich euch aus unsrem Kreise
Auf andre Lebensbahnen jetzt verweisen.
Verhindern will ich nur, dass ihr dem Wahn
Noch weiter euch ergebt, der euch verwirrt.
Was Geist im Geiste schaut, soll auch nur geistig
Empfangen und erlebt von Seelen werden.
Wie töricht wär' es, wenn Felicia
Die Märchenwesen, die sie seelisch lebt
Und die auch seelisch nur erlebt sein wollen,
Auf Puppenbühnen möchte tanzen lassen.
Es wäre aller Zauber dann hinweg.

440

FRAU BALDE:
Ich habe wahrlich lang genug geschwiegen.
Doch rede ich, wenn ihr mit Mystenstimmung
Noch gar die Märchengeister wollt' beglücken.
Die dankten schön, wenn ihnen ihre Kraft
Erst ausgesogen und sie dann mit Mystik
Aufs neue aufgepäppelt werden sollten.
Der Mystik alle Ehre; doch sie bleibe
Von meinen Märchenreichen mir nur fern.

CAPESIUS:
Felicia: sind's eure Märchen nicht,
Die mir den Geistesweg zuerst gewiesen?
Was ihr an Luft- und Wassergeistern mir
So oft vor meine durst'ge Seele riefet,
Es waren mir die Boten jener Welt,
In die ich mystisch jetzt den Eingang suche.

FRAU BALDE:
Doch seit ihr mit der neuen Mystenart
In unser Haus gekommen, fragt ihr wenig,
Was meine schönen Zauberwesen wollen.
Ihr lasst mir öfter noch die einen gelten,
Die würdevoll und ernst das Antlitz zeigen;
Die aber voller Freude lustig tanzen,
Die findet ihr recht mystisch unbehaglich.

CAPESIUS:
Ich zweifle nicht, Felicia, dass mir
Der tiefe Sinn auch jener Wunderwesen
Sich später noch erschliessen wird, die Ernst
In heitrer Maske offenbaren wollen.
Doch jetzt ist meine Kraft so weit noch nicht.

FELIX BALDE:
Felicia, du weisst, wie ich sie liebe,
Die Märchenwesen, die sich dir enthüllen;
Doch sie mechanisch puppenhaft verkörpert
Mir vorzustellen, - ist mir widerlich.

441

FRAU BALDE:
Ich hab' sie dir noch nicht so vorgeführt;
Dazu stehst du - zu hoch; doch freut' ich mich,
Als ich von Straders Plan vernahm und hörte,
Dass auch Thomasius den Geist, versinnlicht,
Im Stoffe darzustellen sich bestrebt.
Ich sah im Geiste meine Märchenprinzen
Und meine Feuerseelen lustig tanzen
In tausend Puppenspielen, kunstvoll schön;
So liess ich sie schon, hochbeglückt im Denken,
Den Weg in Kinderstuben eifrig suchen.

(Vorhang.)

442

VIERTES BILD

Die Landschaft des zweiten und dritten Bildes. Der Bürochef mit Romanus sprechen im Spaziergang stehenbleibend das Folgende. Später: Johannes, der Doppelgänger des Johannes Thomasius; der Geist von Johannes' Jugend; der Hüter der Schwelle, Ahriman; Benedictus, Maria; Strader, die Seele der Theodora.

BÜROCHEF:
Ihr kennt die Mystenfreunde Gottgetreus,
Und ich erkenn' in euch den klugen Mann,
Der stets die Kraft zu sichrem Urteil hütet,
Ob Lebenswerk, ob Mystenkunst es fordert.
Drum schätze ich die Meinung, die ihr hegt.
Doch wie soll ich verstehn, was ihr gesagt? - -
Dass Straders Freunde noch im Geistgebiet
Sich halten und die Seherkräfte nicht
Schon jetzt zum Sinnenschaffen wenden sollen,
Erscheint euch richtig. Sollte sich für Strader
Der gleiche Weg nicht gleich gefährlich zeigen?
Mir scheint durch seine Geistesart hewiesen,
Dass ihn Naturdämonen stets verblenden,
Wenn er mit starkem Wunsch - zu seinen Taten
Den Weg im äussren Lebenswerke sucht.--
Der kluge Myste weiss, dass er im Innern
Sich erst die Kräfte tüchtig machen muss,
Um diesen Feinden Widerstand zu bieten;
Doch Strader scheint der Blick für solche Feinde
Auf seinem Geistesweg noch nicht gereift.

443

ROMANUS:
Doch haben ihn die guten Geisteswesen
Noch nicht verlassen, welche Menschen führen,
Die noch ganz ausserhalb des Geistes stehen.
Von Mysten streben diese Geister fort,
Wenn diese ihren Bund mit Wesen schliessen,
Die ihrer Geistesstimmung dienstbar sind.
Ich kann in Straders Art ganz deutlich fühlen,
Wie seinem Selbst Naturdämonen noch
Die Früchte ihrer guten Kräfte schenken.

BÜROCHEF:
Und nichts als nur Gefühle drängen euch,
In Strader gute Geister zu vermuten?
Ihr bietet wenig und verlangt recht viel.
Ich soll in Zukunft diese Geister fragen,
Wenn ich an diesem Otte wirken will,
An dem ich lange Zeit dem Arbeitssinn
Und jenem wahren Geiste dienen durfte,
Mit dem der Vater Gottgetreus verbunden; -
Und den ich noch aus seinem Grabe höre, - -
Wenn auch der Sohn für ihn das Ohr nicht hat!
Was sagt wohl dieser Geist des wackren Mannes,
Wenn er die wirren Geister jetzt erschaut,
Die ihm der Sohn ins Haus zu schaffen strebt?
Ich keun' ihn, diesen Geist, der neunzig Jahre
Im Leibe sich gehalten. Er hat mir
Der Arbeit echt' Geheimnis beigebracht
In Zeiten noch, da er im Werke stand,
Wenn sich der Sohn in Mystentempel schlich.

ROMANUS:
Mein Freund, ist euch an mir denn unbekannt,
Wie hoch ich diesen Geist zu schätzen weiss?
Ihm diente sicher jener alte Mann,

444

Den ihr zum Vorbild euch mit Recht erwählt.
Und ihm zu dienen, war auch ich bestrebt
Von meiner Kindheit bis zu diesem Tag.
Doch schlich auch ich in Mystentempel mich.
Ich pflanzte, was sie mir gewähren wollten,
In meine Seelentiefen treulich ein.
Doch legte mein Verstand die Tempelstimmung
Am Tore ab, wenn er ins Leben trat.
Ich wusste, dass ich dieser Stimmung Kraft
Am besten so ins Erdenleben trug.
Ich brachte doch die Seele aus dem Tempel
In dieses Wirken mit. - Für sie ist gut,
Wenn sie der Erdverstand nicht stören will.

BÜROCHEF:
Und findet ihr, dass Straders Geistesart
Auch nur von fern der euren ähnlich sieht?
An eurer Seite wüsst' ich mich stets frei
Von Geisteswesen, die mir Strader bringt.
Ich fühl' es wohl, wenn er auch irrend spricht,
Wie Elementengeister lebend regsam
Bei ihm durch Wort und Wesen sich ergiessen
Und sinnlich Unfassbares offenbaren.
Doch stösst mich eben dies von ihm zurück.

ROMANUS:
Dies Wort, mein Freund, es trifft mich tief im Herzen.
Ich musste, seit ich Strader näher trat,
Gedanken, welche ich von ihm erfahre,
Begabt mit ganz besondrer Kraft empfinden.
Wie meine eignen drangen sie in mich.
Und eines Tages sagt' ich mir: wenn du
Nicht dir, wenn deine Seele ihm verdankte
Die Kraft, die dich zum Manne reifen liess!
Und dies Gefühl ward bald gefolgt vom zweiten:

445

Wenn ich für alles, was mich brauchbar macht
In Lebenswerken und im Menschheitsdienst:
Vom frühern Erdensein verschuldet wäre?

BÜROCHEF:
Das ist's, was ich bei ihm erfühlen muss. -
Wenn man ihm naher tritt, so zieht der Geist,
Der durch ihn wirkt, die Seele mächtig hin.
Konnt' eure starke Seele ihm verfallen,
Wie soll ich denn die meine mir beschützen,
Wenn ich mit ihm zur Arbeit mich vereine?

ROMANUS:
An euch nur wird es liegen, ob ihr findet,
Wie ihr zu ihm euch richtig halten sollt.
Ich glaube, mir wird Straders Macht nicht schaden,
Seit ich Gedanken mir gebildet habe,
Wie er die Macht errungen haben mag.

BÜROCHEF:
Errungen, - er selbst, - - Macht, - und über euch -
Der Träumer - über euch, den Lebenskünstler!

ROMANUS:
Wenn man es wagen dürfte, vorzustellen,
In Strader lebte jetzt ein Geist sich aus,
Der sich in einem frühern Erdenleben
Zu seltner Seelenhöhe bringen konnte; ---
Der vieles wusste, was die andern Menschen
In seiner Zeit noch nicht erahnen konnten; - -
Dann wär' es möglich, dass von seinem Geiste
Gedanken ihren Ursprung einst genommen
Und dann den Weg ins allgemeine Leben
Der Erdenmenschen haben finden können,
Durch welche jetzt die Menschen meiner Art
Die Tüchtigkeit sich anerzogen haben. -
Was ich in meiner Jugend an Gedanken

446

Aus meinem Umkreis mir zu eigen machte,
Es könnte doch von diesem Geiste stammen.

BÜROCHEF:
Und scheint es euch denn auch erlaubt, Gedanken,
Die wohl als Lebenslehre wertvoll sind,
Auf Strader im besondren hinzulenken?

ROMANUS:
Ich wär' ein Träumer, tät' ich, was ihr meint.
Ich Spinne nicht den Traum der Lebenslehre
Mit festverschlossnen Augen. In Gedanken,
Die sich enthüllen, nur so hinzudämmern,
Ist meine Lebensart doch nie gewesen. -
Ich seh' mit offnen Augen Strader an;
Wie dieser Mann sich wesenhaft bezeugt
Mit allem, was an ihm, und wie er ist;
Was fruchtlos selbst in ihm; - und mir ist klar,
Dass ich mein Urteil über seine Gaben
Zu bilden hatte, wie ich's eben gab.
Wie wenn vor vielen hundert Jahren schon
Vor meinen Augen dieser Mann gestanden,
So fühle ich ihn jetzt vor mir im Geiste.
Und dass ich wachend bin, - ich weiss es wohl. -
Ich werde Gottgetreu zur Seite stehn;
Es wird geschehen, was geschehen muss.
Bedenkt doch weiter seine Lebenspläne.

BÜROCHEF:
Für mich ist jetzt von grössrem Wert fürwahr,
Bedenken, was ihr selbst mir anvertraut.

(Bürochef und Romanus geben in der Landschaft weiter. Es kommt Johannes a'as einer andern Richtung, in Ge-danken versunken, setzt sich auf einen Felsen. Johannes zunächst allein, dann der Doppelgänger, der Geist von Johannes' Jugend, zuletzt der Hüter der Schwelle.)

447

JOHANNES (allein):
Erstaunt war ich, als mir Capesius
Verriet, wie meiner Seele Innensein
In seiner Geistesschau sich offenbarte.
So konnte sich verfinstern, was mir lichtvoll
Vor vielen Jahren sich doch schon gezeigt.--
Dass alles, was in Menschenseelen lebt,
In Geistes-Außenreichen weiterwirkt:
Ich weiß es lange schon, - ich konnt's vergessen.
Als Benedictus mir die Wege wies
Zur ersten Seherschaft, - da schaute ich
Capesius und Strader durch den Geist
In andrem Lebensalter bildhaft deutlich.
Ich sah, wie ihres Denkens Kraftgebilde
Im Weltensein die Wellenkreise wirkten.
Dies alles weiss ich gut> - und wusst' es nicht,
Als ich es schaute durch Capesius
Es schlief das Sein in mir, das wissend ist.
Wie ich im langvergangnen Erdenleben
Capesius eng verbunden war:
Auch dieses wusste ich vor langer Zeit - -,
In jenem Augenblicke wusst' ich's nicht.
Wie kann ich nur mein Wissen mir behüten?
(Eine Stimme aus der Ferne, diejenige von Johannes' Doppelgänger.)
Verzaubertes Weben
Des eigenen Wesens.

JOHANNES:
Und wachendes Träumen
Enthüllet den Seelen
Verzaubertes Weben
Des eigenen Wesens.

448

(Während Johannes diese Sätze spricht, kommt sein Doppelgänger an ihn heran. Johannes erkennt ihn nicht, sondern glaubt, die «andre Philia» komme zu ihm.)

JOHANNES:
Du bist es wieder, rätselvoller Geist,
Du brachtest wahren Rat in meine Seele.

DER DOPPELGÄNGER:
Johannes, dein Erwachen bleibt ein Wahn,
Bis du den Schatten selbst erlösen wirst,
Dem deine Schuld verzaubert Leben schafft.

JOHANNES:
Zum zweiten Male sprichst du dieses Wort.
Ich will ihm folgen - Weise mir den Weg.

DER DOPPELGÄNGER:
Johannes, lass im Schattenreiche leben,
Was dir in deinem Selbst verloren ist.
Doch gib ihm Licht von deinem Geisteslicht
So wird es Schmerzen nicht erleiden müssen.

JOHANNES:
Ich hab' das Schattenwesen wohl betäubt,
Doch nicht besiegt; so wird es unter Schatten
Verzaubert Schattenwesen bleiben müssen,
Bis ich mit ihm mich wieder einen kann.

DER DOPPELGÄNGER:
So gib jetzt mir, was du dem Wesen schuldest;
Die Kraft der Liebe, die zu ihm dich treibt,
Des Herzens Hoffnung, die von ihm erzeugt,
Das frische Leben, das in ihm verborgen,
Die Früchte langvergangner Erdenleben,
Die dir mit seinem Sein verloren sind;
O gib sie mir; ich bring' sie treulich ihm.

449

JOHANNES:
Du kennst den Weg zu ihm? - O zeig ihn mir.

DER DOPPELGÄNGER:
Ich konnt' im Schattenreiche zu ihm dringen,
Wenn du in Geistessphären dich erhobest;
Doch seit die Wunschesmächte dich verlockt,
Und du den Sinn zu diesem Wesen wandtest,
Erlischt mir stets die Kraft, wenn ich es suche.
Doch, wenn du meinem Rate folgen willst,
So wird die Kraft sich wieder schaffen dürfen.

JOHANNES:
Gelobet hab' ich's dir, zu folgen dir. -
Ich will es dir, o Rätselgeist, aufs neue
Mit meiner vollen Seelenkraft geloben.
Doch, wenn du so den Weg zu ihm kannst finden,
So zeig ihn mir in dieser Schicksalsstunde.

DER DOPPELGÄNGER:
Ich find' ihn jetzt, doch kann ich dich nicht führen,
Ich kann nur deinem Seelenauge zeigen
Das Wesen, welches deine Sehnsucht sucht.
(Es erscheint der Geist von Johannes' Jugend.)

DER GEIST VON JOHANNES' JUGEND:
Ich will dem Geiste stets verbunden sein,
Der dir das Seelenauge öffnen durfte,
Dass du mich schauend wirst in Zukunft finden,
Wenn ich mich dir nach Geistgeboten zeige.
Doch musst du diesen Geist in Wahrheit kennen,
An dessen Seite du mich jetzt erschaust.
(Der Geist von Johannes' Jugend verschwindet; für Johannes wird erst jetzt der Doppelgänger erkennbar.)

450

JOHANNES:
Nicht jener Rätselgeist; - mein andres Selbst?

DER DOPPELGÄNGER:
Jetzt folge mir; - du hast es mir gelobt -;
Zu meinem Herrscher muss ich dich jetzt führen.

(Der Hüter der Schwelle erscheint und stellt sich neben den Doppelgänger.)

DER HÜTER:
Johannes, wenn du diesen Geistesschatten
Entreissen willst den Seelenzauberwelten,
So töte Wünsche, welche dich verführen.
Die Spur, auf der du suchst, entschwindet dir,
So lang du ihr mit Wünschen folgen willst.
Sie führt an meiner Schwelle dich vorbei.
Doch hier verwirre ich die Seelenschau,
Gehorchend hoher Wesen Willensmacht,
Wenn Wünsche leben in den Geistesblicken
Die mich hier treffen müssen, ehesie
Ins reine Licht der Wahrheit dringen dürfen.
(Ahriman tritt auf.)
Ich halt' in deinem Blick dich selber fest,
So lange du dich mir mit Wünschen nahst.
Auch mich erblickst du nur als Wahngebilde,
Wenn Wunscheswahn dem Schauen sich verbündet
Und Geistesfriedsamkeit als Seelenleib
Sich deines Wesens nicht bemächtigt hat.
Erstarke Kraftesworte, die du kennst,
Dass ihre Geistesmacht den Wahn besiegt.
Erkenne dann mich ohne deinen Wunsch;
So siehst du meines Wesens Wahrgestalt.
Und frei ins Geistgebiet den Blick zu wenden,
Ich werde dir es nicht mehr wehren müssen.

451

JOHANNES:
Auch du enthüllst dich meinem Wahne nur...?
Auch du..., den ich vor andern Wesenheiten
Im Geistesland doch wahrhaft schauen muss.
Wie soll ich Wahrheit wissen, find' ich doch
Im Weiterschreiten Eine Wahrheit nur:
Dass ich den Wahn stets dichter mir gestalte.

AHRIMAN:
So lass von ihm dich nicht noch ganz verwirren.
Er hütet treulich ja die Schwelle doch,
Wenn er sich auch der Kleider jetzt bedient,
Die du erst selbst aus alten Schauerstücken
In deinem Geist zusammen dir geflickt.
Als Künstler solltest du ihn allerdings
Im schlechten Dramenstile nicht gestalten.
Das wirst du aber später besser machen.
Doch dient der Seele selbst das Zerrbild noch.
Es braucht auch nicht zu viel an Kräftedruck,
Um dir zu weisen, was es jetzt noch ist.
Du solltest merken, wie der Hüter spricht:
Elegisch ist sein Ton, zuviel an Pathos. -
Erlaub ihm dieses nicht, dann zeigt er dir,
Von wem er heute noch zuviel entlehnt.

JOHANNES:
Auch seiner Worte Inhalt könnte trügen?

DER DOPPELGÄNGER:
Dies frag nicht Ahriman, der sich nur stets
An allen Widersprüchen freuen muss.

JOHANNES:
Wen soll ich fragen?

DER DOPPELGÄNGER:
Frag dich selber nur.
Ich will mit meiner Kraft dich tüchtig rüsten,

452

Dass du in dir die Stelle wachend findest,
Die schauen darf, wonach kein Wunsch dich brennt.
Erkrafte dich.

JOHANNES:
Verzaubertes Weben
Des eigenen Wesens.
Verzaubert Weben meines eignen Wesens,
Verkünde mir, wonach kein Wunsch mich brennt.
 
(Der Hüter verschwindet; an seiner Stelle erscheinen Benedictus und Maria. Ahriman verschwindet.)

MARIA:
Auch mich erblickst du nur als Wahngebilde,
Weil Wunscheswahn dem Schauen sich verbündet.

BENEDICTUS:
Und Geistesfriedsamkeit als Seelenleib
Sich deines Wesens nicht bemächtigt hat.
 
(Doppelgänger, Benedictus und Maria verschwinden.)

JOHANNES (allein):
Benedictus, Maria, sie - der Hüter!
Wie können sie als Hüter mir erscheinen?
-------------------------
Ich bin zwar viele Jahre lang bei euch, - -
Doch euch zu suchen, streng gebietet's mir
Verzaubert Wehen meines eignen Wesens. -
(Er geht nach der linken Seite der Landschaft ab.)

(Es kommen Strader, Benedictus und Maria von der rechten Seite der Landschaft.)

STRADER:
Ihr gabt, in Geistgemeinsamkeit mit euch
An meines eignen Wesens tiefem Abgrund
Die weisen Winke meiner Seelenschau,
Die unverständlich mir zu dieser Zeit,

453

Doch weiter wirkend mir im Seelensein
Die Lebensrätsel sicher lösen werden,
Die mich in meinem Streben hindern wollen.
Ich fühl' in mir die Kraft, die euer Wirken
Dem Schüler auf dem Geistespfade gibt.
So werd' ich euch die Dienste, die ihr braucht,
Zu leisten wohl vermögen an dern Werk,
Das Gottgetreu der Menschheit widmen will.
Capesius zwar werden wir entbehren. -
Es wird der andern Rüstigkeit wohl nie
Sein Teil an Wirksamkeit ersetzen können;
Doch wird geschehen, was geschehen soll.

BENEDICTUS:
Es wird geschehen, was geschehen soll.
Dies Wort entspricht der Stufe eurer Reife.
Doch findet sich von ihm kein Widerklang
Im Seelensein der andern Geistesfreunde.
Es ist Thomasius noch nicht gerüstet,
Die Geisteskraft ins Sinnensein zu tragen.
So will auch er dem Werke sich entziehn.
Es zeigt an ihm sich uns ein Schicksalszeichen;
Wir alle müssen andres jetzt noch suchen.

STRADER:
Und ist Maria, seid denn ihr nicht da?

BENEDICTUS:
Maria muss Johannes mit sich nehmen,
Wenn sie vom Geistessein ins Sinnenreich
Zurück den Weg in Wahrheit finden soll.
So will es jener ernste Hüter jetzt,
Der beider Reiche Grenze streng bewacht.
Sie kann euch jetzt noch nicht zur Seite stehn.
Für euch soll dies als sichres Zeichen gelten,
Dass ihr noch nicht den Weg ins Stoffgebiet
In dieser Zeit schon wirklich finden könnt.

454

STRADER:
So bleib' ich denn allein mit meinen Zielen!
O Einsamkeit, warst du es, die mich suchte,
Als ich an Felix Baldes Seite stand?

BENEDICTUS:
Was jetzt in unsrem Kreise sich gezeigt,
Es lehrte mich an eures Schicksals Lauf
Zu lesen jetzt ein Wort im Geisteslicht,
Das sich vorher mir stets entzogen hat.
Verbunden sah ich euch mit Wesensarten
Die Böses wirken müssten, griffen sie
Schon jetzt ins Menschenwalten schaffend ein;
Doch leben sie ein keimhaft Sein in Seelen,
Um künftig für die Erde reif zu sein.
In eurer Seele sah ich solche Keime.
Dass ihr sie nicht erkennt, ist euch zum Heil
Sie werden sich durch euch erst selbst erkennen.
Doch jetzt ist ihnen noch der Weg verschlossen,
Der sie ins Stoffgebiet hinüberführt.

STRADER:
Was eure Worte sonst auch sagen mögen;
Mir zeigen sie, dass Einsamkeit mich sucht.
Das Schwert wird sie mir wahrlich schmieden müssen. -
Maria sagt' es mir an meinem Abgrund.

(Benedictus und Maria ziehen sich etwas zurück; Strader bleibt allein, es erscheint die Seele der Theodora.)

THEODORAS SEELE:
Und Theodora wird in Lichteswelten
Dir Wärme schaffen, dass dein Geistesschwert
Die Seelenfeinde kräftig treffen kann.

(Sie verschwindet. Strader geht hinweg. Benedictus und Maria kommen allein in den Vordergrund.)

455

MARIA:
Mein weiser Lehrer, nie noch hört' ich euch
Zu Schülern, die auf Straders Stufe stehn,
In solcher Art die Schicksalsworte sprechen.
Wird seiner Seele Lauf so schnell geschehn,
Dass dieser Worte Kraft ihm heilsam ist?

BENEDICTUS:
Das Schicksal wies es mir; so ist's geschehn.

MARIA:
Und wenn die Kraft nicht heilsam sich erweist,
Wird nicht auch euch die böse Wirkung treffen?

BENEDICTUS:
Sie wird nicht böse sein; doch weiss ich nicht,
Wie sie in ihm sich offenbaren wird.
Es dringt mein Schauen jetzt zu Reichen wohl,
Wo solcher Rat in meine Seele leuchtet;
Doch seiner Wirkung Bild erblick' ich nicht.
Versuch' ich dies, erstirbt der Blick im Schauen.

MARIA:
Erstirbt der Blick im Schauen? - Euch, mein Führer?
 Wer tötet euch den sichern Seherblick?

BENEDICTUS:
Johannes flieht mit ihm in Weltenfernen;
Wir müssen folgen; - rufen hör' ich ihn.

MARIA:
Er ruft, - - - aus Geistesweiten tönt sein Ruf;
Es strahlt in diesem Tönen ferne Furcht.

BENEDICTUS:
So tönt aus ewig leeren Eisgefilden
Des Mystenfreundes Ruf in Weltenfernen.

MARIA:
Des Eises Kälte brennt in meinem Selbst.
Es zündet Flammen mir in Seelentiefen;
Die Flammen zehren mir das Denken auf.

456

BENEDICTUS:
In deinen Seelentiefen flammt das Feuer,
Das sich im Weltenfrost Johannes zündet.

MARIA:
Die Flammen fliehn, - - sie fliehn mit meinem Denken;
Und dort am fernen Welten-Seelen-Ufer
Ein wilder Kampf, - es kämpft mein eignes Denken -
Am Strom des Nichts - mit kaltem Geisteslicht. -
Es wankt mein Denken; - kaltes Licht, - es schlägt
Aus meinem Denken heiße Finsternis.--
Was taucht jetzt aus der finstren Hitze auf? - -
In roten Flammen stürmt mein Selbst - ins Licht; -
Ins kalte Licht - - der Welten-Eis-Gefilde.--

(Vorhang.)

457

FÜNFTES BILD

Das Geistgebiet. In sinnvollen Farbenfluten erscheinendes Bild; nach oben rötlich in feurig Rot verlaufend, nach unten blau in Dunkelblau und Violett übergehend. Unten eine symbolisch wirkende Erdensphäre. Die auftretenden Gestalten wie mit dem Farbenbild ein Ganzes bildend. Rechts die Gnomengruppe des Zweiten Bildes, vor ihr Hilarius, ganz vorne die Seelenkräfte. Hinter Hilarius etwas erhöht Ahriman. Links erhöht Luzifer, im Vordergrund Felix Baldes Seele; Straders und Capesius' Seele, Benedictus, Maria, Felicia Balde, der Hüter der Schwelle.

FELIX BALDES SEELE (ganz links stehend, die Gestalt eines Büssers, Gewand jedoch hellviolett mir Goldgürtel):
Hab' Dank, du Geist, der Welten weise lenkt,
Erlöser mir aus finstern Einsamkeiten;
Zur Arbeit und zum Leben weckt dein Wort.
Ich will mir nutzen, was du Welten schenkst,
Von denen ich dann sinnen darf, wenn du
Die meine in die Dumpfheit sinken lässt.
Zu ihnen trägst du dann auf deinen Strahlen,
Was mir im Bilden Kräfte schaffen kann.

LUCIFER (bläulich-grün strahlendes Untergewand; hellstrahlendes rötliches mantelförmiges Obergewand, das in flügelartige Gebilde ausläuft; nach oben nicht Aura, sondern Mitra-artige, dunkelrötliche mit Flügeln besetzte Kopfbedeckung; blaues schwertantiges Gebilde am rechten Flügel; gelbes planeten-kugelartiges Gebilde, wie vom linken Flügel getragen Er steht etwas nach hinten und links erhöht über Felix Baldes Seele):
Mein Diener, Wirken deiner Art bedarf
Der Sonnenzeit, in die wir eingetreten.

458

Der Erdenstern empfängt jetzt dumpfes Licht;
Es ist die Zeit, wo Seelen deiner Art
Am besten an sich selber schaffen können.
Ich lasse dir aus meinem Lichtesquell
Des Selbstsinns Keimestriebe hell erstrahlen.
Versammle sie zur starken Kraft des Ich.
Sie werden dir im Erdensein erblühn.
Dort wird die Blüten deine Seele suchen;
Sie wird am eignen Wesen sich ergötzen,
Wenn sie Ersehntes lustvoll sinnen kann.

FELIX BALDES SEELE (mit dem Blick nach der Gnomengruppe):
In Fernen dort entschwindet leuchtend Sein;
In Nebelbildern schwebt es nach den Tiefen;
Es wünscht im Schweben sich Gewicht zu geben.

HILARIUS' SEELE (ins Menschenähnliche umgesetzte Gestalt der stahlblaugrauen Elementargeister; Kopf weniger geneigt, Gliedmassen menschenähnlicher):
Der Wünsche-Nebel ist des Erdensterns
Ins Geistgebiet geworfner Widerschein;
Des Sterns, für den du dir in dieser Welt
Ein denkend Sein aus Seelenstoffen wirkst.
Für dich ist's nur ein flüchtig Nebelweben;
Für sich sind's Wesen, seelendicht sich fühlend.
Auf Erden schaffen sie mit Weltverstand
Im alten formendurst'gen Feuergrunde.

FELIX BALDES SEELE:
Ich will, dass ihr Gewicht mich nicht belaste.
Es schafft dem Schwebetrieb den Widerstand.

AHRIMAN:
Dein Wort ist gut. Ich will es schnell erfassen.
Dass ich es unverdorben mir erhalte;

459

Du selber kannst es dir nicht weiter pflegen.
Auf Erden aber würdest du es hassen.

STRADERS SEELE (Gestalt, von welcher nur der Kopf sichtbar ist, gelbgrüne Aura mit roten und orangenen Sternen, rechts, entfernt von Felix Baldes Seele):
Ein Wort im Hall und Widerhall vernehmlich.
Es gibt sich sinnvoll, doch der Hall entschwindet;
Den Widerhall ergreift die Daseinslust.
Wohin wird er die Richtung nehmen wollen?

DIE ANDRE PHILIA (wie eine Kopie des Lucifer; doch fehlt das Strahlende des Unter- und Obergewandes. Statt des Schwertes eine Art Dolch und statt des Planeten eine rote Kugel, wie eine Frucht):
Er ziehet sich, Gewicht begehrend, fort
Zum Orte hin, wo leuchtend Sein entschwindet
Und nebelbilderhaft in Tiefen dringt.
Bewahrst du seinen Sinn in deinem Reich,
So trag' ich dir die Kraft zum Nebel hin;
Du wirst sie dann auf Erden wiederfinden.

PHILIA (engelartige Gestalt, gelb ins Weissliche übergehend, mit hellvioletten Flügeln, hellere Nüance, als sie später Maria hat - alle drei Seelengestalten in der Nähe von Straders Seele):
Die Nebelwesen pflege ich für dich,
Dass sie den Willen dir nicht wissend lenken;
Vertrauen will ich ihn dem Weltenlicht,
In dem sie deinem Wesen Wärme schaffen.

ASTRID (engelartige Gestalt, hellviolette Gewandung mit blauen Flügeln):
Ich strahle wonnig helles Sternenleben
Den Wesen hin, dass sie's zu Formen dichten;
Sie werden deinen Erdenleib erkraften,
Dem Wissen fern, doch nah' dem Herzenstriebe.

460

LUNA (schlanke, engelartige Gestalt, blaurote Gewandung mit orangenen Flügeln):
Gewichtig' Wesen, das Sie lastend Schaffen,
Verberg' ich dir im Sinnenleibe künftig;
Dass du es denkend nicht zum Bösen bildest
Und so im Erdensein den Sturm erwühlest.

STRADERS SEELE:
Die drei, Sie Sprachen Worte sonnenhaft; -
Die wirken mir in meinem Blickekreis.
Gestalten viel an Zahl erschaffen sie;
Es keimt in mir der Trieb, zur Einheit sie
Mir seelenkräftig sinnvoll umzubilden.
Erwache mir, du Sonneokönigskraft,
Dass ich dich dämpfen kann am Widerstand;
Ihn trägt mein Wunsch vom Mondeskreise her.
Schon regt sich Goldesleuchten, fühlend warm
Und Silberglanz, gedanken-sprühend, kalt;
Erglimme noch, Merkurs Begierdetrieb,
Vermähle mir getrenntes Weltensein.
------------------------
So fühl' ich wohl, dass wieder mir ein Teil
Des Bildes sich erschaffen, das ich hier
Aus Welten-Geistes-Kräften wirken muss.

(Ahriman ab.)

CAPESIUS' SEELE (ist bei den ersten Sätzen Straders erschienen, nur der Kopf zu sehen, der eine blaue mit roten und gelben Sternen besetzte Aura hat) :
Es taucht am fernen Seelenufer mir
Ein Bild empor, das nie mein Sein berührt,
Seit ich dem Erdenleben mich entrungen
Es strahlet Gnade, wirket gütig mild.

461

Der warme Glanz der Weisheit strömt von ihm;
Und klärend Licht gewährt es meinem Sein.--
Könnt' ich dies Bild mit mir zur Einheit weben,
Erwürb' ich mir, wonach ich dursten muss.
Doch kenn' ich nicht die Kraft, die mir das Bild
In meiner Sphäre wirksam machen könnte.

LUNA:
Was dir zwei Erdenleben gaben, fühle -.
Im ernsten Wandel floss in alter Zeit
Das eine dir dahin; von Ehrsueht trübe
Durchlebtest du ein spätres; nähte dieses
Mit Gnadeokraft aus jenem andern kräftig,
So werden Jovis Feuerseelen dir
In deinem Blickekreis sich offenbaren;
Du wirst dich weisheitvoll erkraftet wissen.
Dann wird das Bild, das du noch fern
Am Ufer deiner Seelensphäre schaust,
In deine Nähe sich bewegen können.

CAPESIUS SEELE:
Ich bin der Seele wohl verschuldet, die sich
Zum Sein bereitet, dass sie sich im Bilde
In meinem Seelenkreise mahnend spiegelt?

ASTRID:
Du bist es wohl; doch ruft sie dich noch nicht
Fürs nächste Erdensein zum Ausgleich auf. -
Gedankenkräfte will das Bild dir geben,
Dass du als Mensch den Menschen finden kannst,
Der seiner Erdenzukunft Bild dir zeigt.

DIE ANDRE PHILIA:
Es darf das Bild dir näher wohl noch kommen,
Doch kann es nicht ins eigne Sein dir dringen. -

462

Drum hemme seinen Wunsch nach deinem Sein.
Dass du die Erde wieder finden kannst,
Bevor es dir ins eigne Wesen fliesst.

CAPESIUS' SEELE:
Ich fühle vor, was ich ihm danken werde,
Wenn ich es mir wohl näher bringen will,
Doch frei von ihm mich selbst behaupten kann.
Aus Philias Bereich erschaue ich
Gedankenbilderhaft die Kräfte jetzt,
Die ich aus seiner Nähe ziehen soll.

PHILIA:
Wenn bald Saturn der vielen Farben Licht
Dir strahlen wird, so nutz die Zeitengunst.
Es wird in deine Seelenhülle dann
Des Geistverwandten Bild durch seine Kraft
Des Denkens Wurzeln pflanzen, welche dir
Des Erdenlaufes Sinn enthüllen sollen,
Wenn dieser Stern dich wieder tragen wird.

CAPESIUS SEELE:
Es soll die Weisung, welche du mir gibst,
Mich führen, wenn Saturn mir leuchten wird.

LUCIFER:
Ich will in diesen Seelen noch erwecken
Den Blick in Welten, deren Licht sie schmerzt,
Bevor sie diese Sonnenzeit mit Kräften
Für spätres Erdensein verlassen können.
Es muss das Leid mit Zweifel sie befruchten.
Ich will berufen jene Seelensphären,
Die sie, zu schauen, nicht erkraftet sind.

(Es erscheinen Benedictus' und Marias Seelen in der Mitte des Gebietes. Benedictus als Gestalt, die wie im Kleinen nachbildet die Konfiguration der ganzen Szenerie. Nach

463

unten geht das Gewand - sich weitend - über in das Blaugrüne; um das Haupt ist eine rot-gelb-blaue Aura zu sehen; das Blau verschwimmt in das Blaugrüne des ganzen Gewandes. Maria als engelartige Gestalt; gelb in Gold übergehend, fusslos mit hellvioletten Flügeln.)

BENEDICTUS' SEELE:
Ihr drückt gewaltig meinen Weltenkreis
Mit euren dichten erdbeladnen Sphären.
Wenn ihr den Selbstsinn weiter kraften lässt,
So findet ihr in diesem Geistessein
Mein Sonnenwesen nicht in euch erstrahlen.

MARIAS SEELE:
Er war euch fremd, als ihr zum letzten Male
Das Kleid aus Erdenstoffen tragen musstet;
Doch fruchtet noch in eurer Seelenhülle
Des Sonnen-Wortes-Kraft, mit dem er euch
In alten Erdenzeiten gütig pflegte.
Erfühlet eures Wesens tiefsten Trieb,
So werdet ihr sein Nahen kräftig fühlen.

FELIX BALDES SEELE:
Es tönen Worte aus mir fremden Kreisen,
Doch leuchtend Sein erzeugt ihr Tönen nicht;
So sind sie mir nicht völlig wesenhaft.

STRADERS SEELE:
Ein leuchtend Wesen wirkt am Geistesstrand;
Doch schweigt es mir, so viel ich mich auch mühe,
Den Sinn der Leuchte-Kräfte zu erlauschen.

FRAU BALDES SEELE (Gestalt einer Büßserin, Gewand gelborange, Gürtel silbern, sie erscheint ganz nah der Maria):
Ihr Seelen, die jetzt Lucifer berief,
Es hört der Büßer eurer Worte Ton,

464

Doch leuchtet ihm allein das Sonnenwort;
Sein Überglanz ertötet eure Stimmen.
Es schaut der andre euer Sternenlicht,
Doch ist die Sternenschrift ihm unbekannt.

CAPESIUS SEELE:
Die Sternenschrift! - dies Wort, - es weckt Gedanken;
Es trägt sie mir auf Seelenwogen zu.
Gedanken, die im fernen Erdensein
Sich herrlich meinem Wesen offenbarten.
Sie leuchten, doch - sie schwinden schon im Werden;
Vergessen breitet düstre Schatten aus.

DER HÜTER (in symbolischer Kleidung, engelartig, an Benedictus' und Marias Seele herantretend):
Ihr Seelen, die auf Lucifers Gebot
Dem Kreis der andern Seelen euch genaht,
Ihr seid in meiner Macht an diesem Orte.
Die Seelen, die ihr sucht, - sie suchen euch. -
Sie sollen euch in dieser Weltenzeit
In ihren Sphären nicht gedankenhaft
Mit ihrem Sein berühren; - hütet euch,
In ihre Kreise euch hineinzudrängen.
Doch wagtet ihr's, es schadet' euch und ihnen. -
Ich müsst' des Sternenlichtes euch entkraften
Und euch von ihnen weltenzeitenlang
In andre Sphärenreiche hin verbannen.

(Vorhang fällt langsam.)

465

SECHSTES BILD

Geistgebiet in der gleichen Art wie im vorigen Bilde. Die Beleuchtung warm und nüanciert, doch nicht zu hell. Links stehen die Sylphen. Vorne Philia, Astrid, Luna, Capesius' Seele, Romanus' Seele, Felix Baldes Seele; dann Torquatus' und Bellicosus' Seele; die andre Philia mit Thendoras und Frau Baldes Seele; später: Benedicsus und Marias Seele; der Hüter der Schwelle; Lucifer mit Johannes' Seele; zulezt der Geist von Johannes' Jugend.

CAPESIUS' SEELE (steht rechts gegen die Mitte zu):
Das Bild, das sich zur Sonnenzeit mir zeigte,
Das Gnade strahlte, Güte milde wirkte, -
Es waltet mir im Wesen auch noch jetzt,
Da andres Weisheitslicht dies Geistgebiet
Mit vieler Farben Strahlung übergiesst.
Doch kraftet aus dem Bilde jetzt noch mehr;
Es will, dass ich für künft'ge Erdenzeiten
Aus ihm mir ziehe, was im Sinnensein
Die Seele einst mir gab, die sich im Bilde
Bedeutsam meiner Sphäre offenbart.
Doch führt mich wirksam kein Gefühlestrom
Zu dieser Seele hin.

ROMANUS' SEELE (in einer Gestalt, so dass der ganze Oberkörper bis zu den Hüften zu sehen ist, mächtige rote Flügel, die sich so fortsetzen, dass sie um den Kopf zu einer roten, in das Blaue nach aussen verlaufenden Aura sich umbilden; steht in der Nähe von Capesius' Seele; Bellicosus' und Torquatus' Seelen sind in der Nähe):
In dir errege

466

Des Juden Bild, der Hass und Spott nur stets
Von allen Seiten hörte; der jedoch
Dem Mystenbunde treue Dienste tat,
Zu dem du einst auf Erden dich gefunden.

CAPESIUS SEELE:
Es dämmern jetzt Gedankenbilder auf.
Die mich mit starker Kraft erfassen wollen.
Es taucht mir Simons Bild aus Seelenfluten. -
Doch tritt zu ihm noch andres - Seelensein.
Ein Bürser, - könnt' ich den mir ferne halten.
(Felix Baldes Seele erscheint.)

ROMANUS' SEELE:
Er kann hier nur zur Weltensonnenzeit
Sein Werk verrichten; einsam wandelt er,
Von Finsternis umzogen, wenn Saturn
Erleuchter dieses Geistesreiches ist.

CAPESIUS' SEELE:
O, wie mich dieser Büsser jetzt beirrt. -
Es bohren seine Seelenstrahlen brennend
In meine eigne Seelenhülle sich.--
So wirken Seelen, welche andren Seelen
In tiefste Wesensgründe schauen können.

FELIX BALDES SEELE (mit dumpfer, wie umflorter Stimme):
«Mein lieber Kühne, ihr erwieset euch Stets treu... »

CAPESIUS' SEELE:
Ich selbst, - mein eignes Wort, - von ihm, - -
Als Widerhall - im Geistgebiet - ertönend!!

467

Ich werde diese Seele suchen müssen
Sie kennt mich gut, - durch sie muss ich mich finden.

(Capesius' Seele verschwindet; von links erscheinen die «andre Philia» mit Theodoras Seele, hinter ihr Frau Baldes Seele.)

ROMANUS SEELE:
Zwei Seelen nähern sich dem Büsser dort,
Der Geist, den sich die Seelen durch die Liebe
Zum Führer stets erwerben, schreitet vor.
Der Sanftmut Licht entströmt der Einen Seele;
Es fliesst zur andern hin, die selbst sich uns
Als Büsserin erbildet. Das Bild erstrahlet
Der Schönheit Glanz, der hier als Weisheit lebt.

TORQUATUS SEELE (Gestalt bis zur Brust zu sehen, blaue Aura, grüne Flügel):
Du schaust der Sehnsucht Widerschein, die ich
Aus meinen Seelenhüllen - deiner Sphäre
Im treuen Geistesbunde strahlen lasse.
Des Schicksals Urgewalten haben mich
Zum Wirker deiner Milde dir gegeben.
So dienen geistig Seelen andern Seelen.
Allein erwürbest du zum harten Sinn
Des Mitgefühles Lebensgabe nie.

BELLICOSUS' SEELE (Gestalt wie Torquatus' Seele, doch blauviolette Aura blaugrüne Flügel):
Erkraftet euch zum Geistgehör; - es spricht
Die Seele, die im Licht der Sanftmut strahlt.
Am Glanz Saturns entlockt sich hier den Seelen
Dies Scheinen holder Geistesseligkeit.

THEODORAS SEELE (engelartige Gestalt, weiss mit gelben Flügeln und blaugelber Aura) :
Du meine treue Geistgefährtin, ströme
Die Liebe deiner Seelenhülle ihm

468

In sanftem Glanze zu; sie mildert ihm
Der Einsamkeit verzehrend Feuerkraft - -,
Und lenke ihm Gedankenstrahlen her
Von jenen Schattenseelen dort, die jetzt
In Geisteswelten sich die Kräfte sammeln,
Dass ihre Seelenleiber lebend glimmern
Und so aus ihrem Glimmerglanzesschaffen
Den Menschenseelen Wachstums-Werdesinn
Im Erdenleben sich erkraften möge.

FRAU BALDES SEELE:
Du Geist im Schein des Büssers, fühle mich;
Empfange Sternenkraft, du Sonnenseele. -
Bis deine Geisteshülle sich entringt
Dem Banne Lucifers, - geleit' ich dich
Durch deine Einsamkeit und trage dir
Die Kräfte zu, die ich von Stern zu Stern
Im Weltall wandelnd für dich sammeln will.

THEODORA:
Vergangnes Erdendenken regt sich glimmend
Am Seelenufer dort ... Ein menschlich Bild ...
So sah ich's erdenhaft; es folgt hieher;
Es widerhallet einst Gehörtes hier:
«Aus Gottessein erstand die Menschenseele;
Sie kann in Wesensgründe sterbend tauchen;
Sie wird dem Tod dereinst den Geist entbinden.»

(Während der letzten Sätze erscheinen Luci£er und Thomasius' Seele.)

DIE ANDRE PHILIA:
Dies tönend Wesensbild, es trägt hieher
Aus edler Bruderliebe Wirkenskraft,
Die du auf Erden treu entfaltet hast.

469

Ich will es dir in Seelenkraft verwandeln
Der Schattenwesen Glimmerlicht empfängt
Das Wort, das ich in deine Seele lenke.
Sie werden dir im Erdensein erregen,
Was sie in Ewigkeiten sinnen dürfen. -
Und du, des Geisterlandes Büsserin:
Die Seelenschritte lenk zu Sternen hin;
Dämonen sehnen sich nach deinem Werk,
Aus dem sie Phantasie in Seelen strahlen
Und so dem Erdenleben Flügel schaffen.

FRAU BALDES SEELE:
Ich folge dir, du meine Seelenschwester,
Du meine Philia, die Liebe schafft,
Von Stern zu Stern, von einem Geist zum andern.
Ich folge dir zu Sternenwelten hin,
Ich trag' dein Wort zu manchen Weltensphären.
Im Geisteswirken mich auch selber bildend
Für meine künft'ge Erdenwanderschaft.

(Felix Baldes Seele, geführt von Frau Baldes Seele, verschwindet langsam; Theodora bleibt starr eine Weile stehen, sieht Johannes' Seele an, dann verschwindet auch sie, ebenso Thomasius' Seele mit Lucifer.)

ROMANUS' SEELE:
Dass wir an diesem Geistesorte jetzt
Das Wort der Liebe mit dem Wort des Schaffens
Zum Bund sich einen sahen, dies erkraftet
In unserm Wesen Keime, deren wir
Im spätern Erdensein bedürftig werden.

(Romanus', Torquatus', Bellicosus' Seelen verschwinden - es erscheinen Benedictus' Seele und Marias Seele an der Seite des Hüters der Schwelle.)

470

DER HÜTER:
Erkennet eure Weltenmitternacht!
Ich halte euch im Bann gereiften Lichts,
Das jetzt Saturn euch strahlt, bis eure Hüllen
In stärkrem Wachen, durch des Lichtes Macht
Euch selbst erleuchtend, ihre Farben leben.

MARIAS SEELE:
Die Weltenmitternacht im Seelenwachen? - -
Es war zur Mondeszeit, da sprach die Sonne
Das ernste Schicksalswort: Die Menschenseelen,
Die Weltenmitternacht im Wachen leben,
Sie schauen Blitze, die im schnellsten Zucken
Notwendigkeiten blendend überleuchten,
Dass Geistesblicke im Erkennen sterben - -
Und sterbend sich zu Schicksalszeichen formen,
Die ewig wirksam sich in Seelen prägen.
Es hören solche Seelen Donnerworte,
Die in den Weltengründen dumpf verrollen
Und rollend jeden Seelenwahn bedrohen.

(Lucifer und Thomasius' Seele erscheinen wieder.)

BENEDICTUS' SEELE:
Es dringt aus ewig leeren Eisgefilden
Des Mystenfreundes Schicksalsruf zu uns.
Wenn wir die Weltenmitternacht erkennen,
Erreichen wir der Seele Geisteskreis.

MARIAS SEELE:
Die Flammen nahn, - sie nahn mit meinem Denken -
Von meinem Welten-Seelen-Ufer dort;
Es naht ein heisser Kampf; - mein eignes Denken, -
Es kämpft mit Lucifers Gedanken;
In andrer Seele kämpft mein eignes Denken -
Es zieht das heisse Licht - aus finstrer Kälte, -
Wie Blitze flammt - das heiße Seelenlicht, - -
Das Seelenlicht - im Welten-Eis-Gefilde

471

LUCIFER:
Erkenn das Licht, - mein heißes Weltenlicht, -
Und schau die Blitze, die dir eignes Denken -
Aus Lucifers Gewaltenkreisen schlägt.
Die Seele, der du langverbunden warst,
Ich bring' sie dir in deinen Blickekreis,
Da du die Weltenmitternacht erlebst.
Du musst des Suchens Richtung künftig ändetn,
Wenn du dich dieser Seele nahen willst.
Du Seele, die du mir hieher gefolgt,
Gebrauch die Lichteskräfte, die Saturn
In ihre Weltenmitternacht erstrahlt. --

JOHANNES' SEELE (engelartige Gestalt, rosarot, fussios mit blauroten Flügeln):
Ich fühle Seelen, doch noch brauch' ich Kraft,
Ihr Licht in mir zur Wesenheit zu stärken.
Sind sie mir auch ganz nah, so zeugen sie
Doch Denken, das mir nur im Fernen leuchtet.
Wie heb' ich sie zu meiner Geistesschau?

PHILIA:
Du wirst sie schauen, wenn du schnell ergreifst,
Was sie im Weltenlichte selbst erleuchten;
Doch wenn du schaust, so nütz den Augenblick;
Es schwindet dieses Leuchten bald dahin.

JOHANNES' SEELE:
Was jenes Führers Seele spricht zum Schüler,
Zur mir so nahen, lieben Schülerseele,
Soll mir beleuchten meinen Seelenkreis.

BENEDICTUS' SEELE:
In dieser Geistesmitternacht erzeug
Den Willen, den du wieder fühlen willst,

472

Wenn deiner Form die Erdenkraft ersteht.
Dein Wort, es wird det Freundesseele leuchten.

MARIAS SEELE:
So sei im Weltenlicht das Wort erkraftet,
Das ich zur Weltenmitternacht vertrau
Der Seele, die mir Lucifer gebracht.
Was mir in Seelentiefen teuer ist,
Ich will es schauen, will es schauend sprechen,
Dass dieser Seele sich's zum Tone bilde,
Den sie im Erdensein in ihrem Wesen
Erfühlen und ihn liebend leben mag.
Was schaue ich in Seelentiefen jetzt?
Es leuchtet mir erhab'ne Flammenschrift.
Die Liebe zu der Führerseele flammt,
Die mich im Erdensein, die mich im Geist
Durch langer Zeiten Folge hat geleitet;
Die mich stets fand, wenn meines Betens Inbrunst
In Erdgefahr sie sucht', auch wenn sie selbst
In Geisteshöhen weilte; leuchtend hell
Erscheint mir diese Liebe, töne mir
Du Wort der Liebe hin zur andern Seele.--
Doch welche Flammen weckt das Wort der Liebe?
Sie leuchten milde; und die Milde strahlet
Erhab'nen Ernst; es zucken gnadevoll
Der Weisheit Blitze durch den Weltenäther - -
Und Seligkeit ergiesst sich freudewebend
Durch alle Weiten meines Seelenkreises.
O Zeitendauer, ich erflehe mir:
Ergiesse dich in diese Seligkeit,
Und lass den Führer, lass die andre Seele
Mit mir in dir jetzt friedevoll verweilen.

473

DER HÜTER:
So mögen Blitze jetzt in nichts zerrinnen,
Die grell Notwendigkeiten überleuchten,
Wenn Seelen wach erleben Welten-Norden.
Es soll der Donner seinen Schall verlieren,
Der mahnend rollt zur Weltenmitternacht. -
Dir, Astrid, sei ein ernst Gebot erteilt.
Bewahre dieses Seelen-Ungewitter,
Bis ihre nächste Weltenmitternacht
Im Strom der Zeit die Seele wachend findet.
Sie soll dann anders vor sich selber stehn, - -
In ältrer Zeiten Bild ihr Selbst erschauen.
Erkennen, wie zum Geisteshöhenflug
Die Schwingen auch im Seelensturz erstarken.
Es darf die Seele niemals stürzen wollen;
Doch muss sie Weisheit aus dem Sturze holen.

ASTRID:
Ich will die Blitz- und Donnerkraft bewahren,
Dass sie im Weltensein erhalten bleiben,
Bis sich Saturn der Seele wieder neigt.

MARIAS SEELE:
Verweilend fühl' ich Sternenseligkeit,
Betreten darf ich sie im Strom der Zeit.
Ich will im Gnadewalten schaffend leben
Mit diesem langverbundnen Seelenwesen.

LUNA:
Ich hüte dir dein Schaffen hier im Geiste,
Dass dir im Erdensein die Früchte reifen.

JOHANNES SEELE:
In meinem Seelenkreise - dieser Stern!
Er leuchtet Seligkeiten, - strahlet Gnade -,
Ein Seelenstern - im Weltenäther - schwebend; -

474

Doch dort, - im matten Licht, - ein andrer Stern,
Er tönt mit leise; doch ich will ihn hören.

(Bei den letzten Worten erscheint der Geist von Johannes' Jugend. Engelartig, silberlicht.)

DER GEIST VON JOHANNES' JUGEND:
Ich nähre deiner Wünsche Sein mit Leben;
Mein Atem wird in deinen Jugendzielen
Erleuchtend kraften, wenn dich Welten locken,
In welche ich dich freudig führen kann.
Verlierst du mich in dir, muss ich den Schatten
Mit wesenlosem Sein mich lebend opfern.
Du Blüte meines Seins, - verlass mich nicht!

LUCIFER:
Er wird dich nicht verlassen, - ich erschaue
In seines Wesens Tiefen Lichtbegierden,
Die nicht der andern Seele Spuren folgen. -
Wenn diese mit dem Glanz, den sie erzeugen,
Im Seelengrunde sich zum Sein erkraften,
Wird er die Früchte, die sie zeugen müssen,
In jenem Reiche nicht vergeuden wollen,
Wo Liebe ohne Schönheit herrschen will.

(Langsam Vorhang.)

475

SIEBENTES BILD

Ein Tempel etwa nach ägyptischer Art. Die Stätte einer weit in der Zeit zurückliegenden Initiation. Drittes Kulturzeitalter der Erde. Zunächst nur ein Gespräch zwischen dem Opferweisen, dem Schwellenhüter und dem Mysten.

DER OPFERWEISE:
Ist alles würderichtig vorbereitet,
Mein Schwellenhüter, dass die Weihetat
Den Göttern und den Menschen heilsam werde?

DER SCHWELLENHÜTER:
Soweit der Mensch es vorzusehn vermag,
Ist alles wohl bereitet; - Weiheluft
Erfüllt den Raum seit vielen Tagen schon.

DER OPFERWEISE:
Mein Myste: zu des Königs Rater ist
Der Priester ausersehn, der heut empfängt
Geheimer Weisheit Weiheoffenbarung.
Habt ihr die Prüfung denn auch so gestaltet.
Dass jener Myste nicht allein der Weisheit
Ergeben ist, die irdisch sorgenlos
Nur aufmerksam auf Geisteslehren ist?
Uns müsst' ein solcher Rater schädlich sein.

DER MYSTE:
Die Prüfung ward Gebotgemäss vollzogen,
Die Meister fanden sie gerecht mich dünkt

476

Daß unser Myste nur geringen Sinn
Für irdisch Sorgen hat; er hat die Seele
Dem Geistesstreben nur, der Selbstentfaltung
Ergeben; geistentrückt kann man ihn sehn.
Zuviel ist's nicht, zu sagen, dass er schwelgt,
Wenn seine Seele geistgeeint sich fühlt.

DER OPFERWEISE:
Ihr habt ihn so wohl öfter schon gesehn?

DER MYSTE:
Er zeigt sich wahrhaft oft in solcher Art.
Er würde wohl zum innern Tempeldienst
Sich besser als zu eurem Rater eignen.

DER OPFERWEISE:
Es ist genug. Ihr geht an euer Amt
Und sorgt, dass unsre Weihetat geling'. -
(Der Myste geht ab.)
Doch du, mein Hüter, höre weiter mich.
Du weisst, ich schätze deinen Mystensinn;
Du stehst als Weisheitträger mir viel höher
Als deinem Tempelgrad entspricht; und oft
Hab' ich an deinem Seherblick die Probe
Gesucht für meine eigne Geistesschau.
Ich frage dich, wie groß ist dein Vertrauen
In dieses neuen Mysten Geistesreife?

DER SCHWELLENHÜTER:
Wer frägt nach meiner Meinung; meine Stimme
Wird nicht gezählt. -

DER OPFERWEISE:
Ich zähl' sie stets für mich.
Auch heute sollst du mir zur Seite stehn;

477

Wir müssen diese Weihetat verfolgen
Mit strengem Seelenblick; und wenn der Myste
Auch nur gering dem Geist-Erleben nach
Dem hohen Sinn der Handlung nicht entspricht,
So hindre ich, dass er zum Rater werde.

DER SCHWELLENHÜTER:
Was könnte sich bei diesem Weihefeste
An diesem neuen Mysten offenbaren?

DER OPFERWEISE:
Ich weiss, dass er nicht würdig ist der Ehre,
Die ihm die Tempeldiener zugedacht.
Sein menschlich Wesen ist mir wohlbekannt.
Ihm ist die Mystik nicht der Herzenstrieb,
Der sich im Menschen regt, wenn geistig Licht
Von oben Seelen gnädig zu sich zieht.
Die Leidenschaft durchwühlt sein Innres stark;
Die Sinnestriebe schweigen ihm noch nicht.
Ich will fürwahr nicht Götterwille tadeln,
Der auch in Trieb und Leidenschaft sein Licht
Noch weisheitvoll im Werdestrom erstrahlt.
Doch wenn der Trieb sich vor sich selbst verbirgt
Und in der Andacht Maske mystisch schwelgt,
Belügt er nur das Denken, fälscht das Wollen.
Es dringt in solche Seelen nicht das Licht,
Das in den Geisteswelten Wesen webt;
Es dampft die Leidenschaft als Mystennebel.

DER SCHWELLENHÜTER:
Mein Opferweiser, strenge ist das Urteil,
Das ihr dem Manne zuerteilt, der jung
Und unerfahren sich nicht selbst erkennen,

478

Der nur sich so verhalten kann, wie ihm
Die Opferlenker und die Mystenführer
Das Ziel des rechten Seelenpfades schildern.

DER OPFERWEISE:
Ich will mit meinem Urteil nicht den Mann.
Ich will die Tat nur treffen, welche hier
An heilig ernster Stätte sich vollzieht.
Was wir als mystisch Weihewerk vollbringen,
Bedeutung hat es doch nicht hier allein.
Es geht des Weltgeschehens Schicksalsstrom
Durch Wort und Tat des ernsten Opferdienstes.
Was hier im Bilde sich vollzieht, es schafft
In Geisteswelten ewig wirksam Sein.
Doch jetzt, mein Hüter, geht an euer Werk;
Ihr werdet selber finden, wie ihr mir
Am besten bei der Handlung helfen könnt.

(Es geht der Schwellenhüter links ab.)

DER OPFERWEISE (allein):
An diesem jungen Mysten liegt es nicht,
Der heute sich der Weisheit opfern will,
Wenn in den nächsten Stunden unrecht Fühlen,
Das seinem Herzen leicht entströmen kann,
In unsre Opfertat erstrahlt und mystisch
Im Tatensinnbild Geistessphären naht,
Aus welchen später unheilvoll die Wirkung
Zurück ins Menschenleben fliessen muss.
Die Führer und die Lenker werden schuldig.
Erkennen die denn noch die Mystenkraft,
Die jedes Wort und jedes Zeichen hier
Geheimnisvoll durchgeistigt, - die auch wirkt,
Wenn Seeleninhalt sich in sie ergiesst,

479

Der unheilvoll dem Weltenwerden ist?
Statt dass der junge Myste sich dem Geiste
Bewusst hier opfert, schleppen seine Lehrer
Als Opfer ihn zur Weihestatt, und unbewusst
Ergibt er hier sein Seelensein dem Geiste,
Das er in andre Wege wahrlich lenkte,
Wenn er bewusst es in sich leben könnte.
Im Kreise unsrer Mystenschaft erkennt allein der
Höchste Opferkenner wirklich,
Was mystisch in den Opferformen lebt.
Doch der ist schweigsam wie die Einsamkeit;
Denn so ist seiner Würde streng Gebot.
Die andern blicken völlig unverständig,
Wenn ich vom Ernst des Opfers ihnen spreche.
So bin ich ganz allein mit meiner Sorge,
Die mich im Innern oft erdrücken will,
Wenn ich den Sinn des Opferortes fühle.
Ich lerne sie fürwahr hier tief erkennen:
Die Einsamkeit am ernsten Geistesort.
Warum bin ich an diesem Ort allein?
Die Seele muss es fragen; - doch der Geist -
Wann wird er dieser Seele Antwort geben?

(Vorhang fällt langsam.)

480

ACHTES BILD

Dieselbe Tempelszenerie wie im siebenten Bild; sie ist anfangs durch einen Zwischenvorbang gedeckt, vor dem eine Ägypterin das Folgende spricht. Die Ägypterin ist als eine der vorhergehenden Inkarnationen des Thomasius zu denken.

DIE ÄGYPTERIN:
Dies ist die Zeit, in welcher er sein Sein
Dem uralt heiligen Weisheitsdienste weiht, -
Und mir für immer sich entreissen muss.
Aus jenen Lichteshöhn, in die er sich
Mit seiner Seele wendet, muss der meinen
Der Todesstrahl erscheinen; - ohne ihn -
Ist Trauer nur für mich, Entsagung, Leid
Im Erdenfeld zu finden, - und der Tod - -.
------------------------
Verlässt mich er in dieser Stunde auch,
Will ich mich doch ganz nah dem Orte halten,
In dem er sich dem Geiste anvertraut.
Darf ich mit meinen Augen auch nicht schauen,
Wie er der Erde sich entringen wird - -;
Vielleicht lässt Traumes Offenbarung mich
Im Ahnen geistig jetzt hei ihm verweilen.

Der Zwischenvorhang geht auf. Man erblickt alles vorbereitet zur Initiation des Neophyten, der als eine frühere Inkarnation der Maria gedacht ist; an der einen Seite des Opferaltara steht der höchste Opferweise, der als

481

eine frühere Inkarnation des Benedictus gedacht ist; an der andern Seite des Altars der Wortebewabrer, eine frühere Inkarnation des Hilarius Gottgerreu; etwas vor dem Altar der Siegelbewahrer, eine frühere Inkarnation der Theodora; dann auf der einen Altarseite nach vorn: der Vertreter des Erdelementes, eine frühere Inkarnation des Romanus; der Vertreter des Lufteiementes, eine frühere Inkarnation des Magnus Bellicosus; ganz nahe dem höchsten Opferweisen der Opferweise, eine frühere Inkarnation des Capesius; auf der anderen Seite der Vertreter des Feuerelementes, eine frühere Inkarnation des Doktor Strader; der Vertreter des Wasserelementes, eine frühere Inkarnation des Torquatus. Vorne Phiiia, Astrid, Luna und die «andre Philia». Ganz vorn in Sphinxgestait Lucifer und Ahriman, Lucifer so, dass der Cherub mehr betont ist, Ahriman so, dass der Stier mehr betont ist. Vier andre Priester stehen vorne. Nachdem der Tempelraum mit den Mysten sichtbar geworden ist, eine Weile lautlose Stille; dann führen der Schwellenhüter, eine frühere Inkarnation des Felix Balde, und der Myste, eine frühere Inkarnation der Frau Balde, den Neophyten durch die Pforte links ein. Sie stellen ihn in den inneren Kreis in die Nähe des Altars. Die beiden Einführer bleiben in seiner Nähe stehen.

DER SCHWELLENHÜTER:
Aus jenem Scheingewebe, das du Welt
In deines Irrtums Finsternis genannt,
Hat dich der Myste uns hieher gebracht. -
Es war die Welt aus Sein und Nichts gewoben,
Die dir im Weben sich zum Schein gebildet.
Der Schein ist gut, wenn er vom Sein erschaut;
Doch du erträumtest ihn im Scheinesleben;
Und Schein vom Schein erkannt, entsinkt dem All. -
Du, Schein des Scheines. lerne dich erkennen.

DER MYSTE:
So spricht, der dieses Tempels Schwelle hütet,
Erleb in dir des Wortes Schwergewicht.

482

DER VERTRETER DES ERDELEMENTES:
Im Schwergewicht des Erdeseins ergreif
Den Schein des eignen Wesens schreckenlos,
Dass du versinken kannst in Weltentiefen
In Weltentiefen such das Sein im Finstern;
Verbinde, was du findest, deinem Schein;
Im Lasten wird es dir das Sein gewähren.

DER WORTEBEWAHRER:
Verstehn, wohin wir dich im Sinken führen,
Du wirst es erst, wenn du sein Wort befolgst.
Wir schmieden deines eignen Wesens Form;
Erkenne unser Werk, du müsstest dich
Im Weltennichts als Schein sonst völlig lösen.

DER MYSTE:
So spricht, der dieses Tempels Worte hütet,
Erleb in dir der Worte Schwergewicht.

DER VERTRETER DES LUFTELEMENTES:
Dem Schwergewicht des Erdeseins entflieh';
Es tötet deines Selbstes Sein im Sinken.
Enteile ihm mit Lüfteleichtigkeit. -
In Weltenweiten such das Sein im Leuchten:
Verbinde, was du findest, deinem Schein;
Im Fluge wird es dir das Sein gewähren.

DER WORTEBEWAHRER:
Verstehn, wohin wir dich im Fluge führen,
Du wirst es erst , wenn du sein Wort befolgst.
Wir leuchten dir in deines Wesens Leben;
Erkenne unser Werk; du müsstest dich
Im Weltgewicht als Schein sonst völlig lösen.

483

DER MYSTE:
So spricht, der dieses Tempels Worte hütet,
Erleb in dir der Worte Schwingekraft.

DER HÖCHSTE OPFERWEISE:
Mein Sohn, du wirst auf edlem Weisheitspfade
Der Mysten Worte sinngerecht befolgen. -
In dir kannst du die Antwort nicht erschau'n.
Denn finstrer Irrtum lastet noch in dir;
Und Torheit strebt in dir nach Weltenfernen.
Drum schau - in diese Flamme, die dir näher
(Es entzündet sich die helleuchtende, züngelnde Opferflamme, die sich auf dem Altar, der in der Mitte steht befindet.)
Als deines eignen Wesens Leben ist.
Und lies die Antwort aus dem Feuer dir.

DER MYSTE:
So spricht, der dieses Tempels Opfer leitet,
Erleb in dir des Opfers Weihekraft.

DER VERTRETER DES FEUERELEMENTES:
Den Irrtum deines Selbstsinns lass verbrennen
Im Feuer, das im Opfer dir entzündet.
Verbrenne selbst mit deines Irrtums Stoff. -
Im Weltenfeuer such dein Sein als Flamme;
Verbinde, was du findest, deinem Schein.
Im Brennen wird es dir das Sein gewähren.

DER SIEGELBEWAHRER:
Verstehn, warum wir dich zur Flamme bilden,
Du wirst es erst, wenn du sein Wort befolgst.
Wir läutern deines eignen Wesens Form. -
Erkenne unser Werk, du müsstest dich
Im Weltenwasser formlos sonst verlieren.

484

DER MYSTE:
So spricht, der dieses Tempels Siegel hütet,
Erleb' in dir der Weisheit Lichteskraft.

DER VERTRETER DES WASSERELEMENTES:
Der Flammenrnacht der Feuetwelt verwehre ,
Des Eigenseins Gewalt dir aufzuzehren.
Der Schein ersteht zum Sein dir anders nicht,
Als wenn des Weltenwassers Wellenschlag
Dich mit dem Sphärenton durchdringen kann.
Im Weltenwasser such das Sein als Welle;
Verbinde, was du findest, deinem Schein.
Im Wogen wird es dir das Sein gewähren.

DER SIEGELBEWAHRER:
Verstehn, warum wir dich als Welle bilden
Du wirst es erst, wenn du sein Wort befolgst.
Wir bilden deines eignen Wesens Form;
Erkenne unser Werk, du müsstest dich
Im Weltenfeuer formlos sonst verlieren.

DER HÖCHSTE OPFERWEISE:
Mein Sohn, du wirst mit starker Willenskraft
Auch dieser Mysten Worte recht befolgen.
In dir kannst du die Antwort nicht erschauen.
In feiger Furcht erfriert noch deine Macht;
Die Schwäche kannst du nicht zur Welle bilden,
Die dich im Sphärenreich erklingen lässt.
Drum höre deine Seelenkräfte sprechen;
Erkenn in ihrem Wort die eigne Stimme.

PHILIA:
Im Feuer läut're dich; - - als Weltenwelle
Verliere dich im Ton der Geistessphären.

485

ASTRID:
Erbilde dich im Ton der Geistessphären
In Weltenfernen fliege lüfteleicht.

LUNA:
In Weltentiefen sinke erdeschwer;
Erkühne dich als Selbst im Schwergewicht.

DIE ANDRE PHILIA:
Entferne dich aus deinem Eigensein;
Vereine dich der Elemente Macht.

DER MYSTE:
So spricht im Tempel deine eigne Seele,
Erleb in ihm der Kräfte Lenkemacht.

DER HÖCHSTE OPFERWEISE:
Gefährte Opferweiser, diese Seele,
Die wir zum Weisheitspfade führen sollen,
Ergründ in ihren Tiefen, - künde uns,
Was du erschaust als ihre Gegenwart.

DER OPFERWEISE:
Es ist geschehn, was unsrem Opfer frommt.
Die Seele hat vergessen, was sie war.
Der Elemente Widersprüche haben
Des Irrtums Scheingewebe ihr getilgt;
Der lebt im Streit der Elemente fort.
Gerettet hat die Seele nur ihr Wesen.
Und was im Wesen lebt, sie soll es lesen
Im Weltenwort, das aus der Flamme spricht.

DER HÖCHSTE OPFERWEISE:
So lies, du Menschenseele, was die Flamme
Als Weltenwort im Innren dir verkündet.
-------------------------

486

(Es tritt eine längere Pause ein, während welcher es ganz dunkel wird, - nur die Flamme und die unbestimmten Umrisse der Personen sind zu sehen; der höchste Opferweise fährt nach der Pause fort:)

Und nun erwache aus der Weltenschau!
Verkünde, was im Wort zu lesen ist.
(Der Neophyt schweigt. Der höchste Opfetweise fährt bestürzt fort.)
Er Schweigt! - Entschwindet dir Geschautes? - Sprich!

DER NEOPHYT:
Gehorchend eurem strengen Opferworte,
Versenkt' ich mich in dieses Flammenwesen,
Erwartend hoher Weltenworte Tönen.
(Die anwesenden Mysten, mit Ausnahme des Opferweisen, zeigen bei der Rede des Neophyten einen immer grössern Schrecken.)
Ich fühlte, wie ich mich vom Erdgewicht
Mit Lüfteleichtigkeit befreien konnte.--
Vom Weltenfeuer liebend hingenommen,
Erfühit' ich mich in Geisteswellenströmen.
Ich sah, wie meine Erdenlebensform
Sich ausser mir als andres Wesen hielt. -
Von Seligkeit umhüllt, im Geisteslicht
Mich fühlend, konnt' ich doch die Erdenhülle
Mit Anteil nur betrachten, wunscherfüllt. --
Ihr strahlten Geister hoher Welten Licht - -;
Es nahten ihr wie Falter, glitzernd hell,
Die Wesen, die ihr Leben regsam pflegten.
Von dieser Wesen Lichtgeflimmer strahlte
Erfunkelnd Farbenspiel der Leib zurück,
Das glänzend nah, erglimmend fern sich zeigt';
Zuletzt im Raum zerstiebend sich verlor.

487

Es keimte mir im Geistesseelensein
Der Wunsch, das Erdgewicht versenke mich
In meine Hülle, dass ich Freudesinn
In Lebenswärme fühlend pflegen könne.--
In meine Hülle fröhlich untertauchend,
Empfand ich euren strengen Weckeruf.

DER HÖCHSTE OPPERWEISE (selbst bestürzt zu den bestürzten Mysten):
Das ist nicht Geist-Erschautes; - irdisch Fühlen -
Entwand dem Mysten sich und stieg als Opfer
In lichte Geisteshöhn, - O Frevel, Frevel - -!

DER WORTEBEWAHRER (im Zorne zu dem Opferweisen):
Es wär' nicht möglich, hättet ihr das Amt,
Das euch als Opferweiser anvertraut,
Im Sinne uralt heil'ger Pflicht verwaltet.

DER OPFERWEISE:
Ich tat, was mir als Pflicht aus höhern Reichen
In dieser Feierstunde auferlegt.
Enthalten hab' ich mich, das Wort zu denken,
Das nach der Sitte mir geboten ist
Und das, von meinem Denken aus, hinüber
Zum Neophyten geistig wirken sollte.
So hat der junge Mann nicht fremdes Denken,
Er hat sein eignes Wesen hier verkündet.
Die Wahrheit hat gesiegt. - Ihr mögt mich strafen;
Ich musste tun, was ihr in Furcht erlebt.
Ich fühle schon die Zeiten nahe kommen,
Die aus dem Gruppengeist das Ich befreien
Und ihm das eigne Denken lösen werden.
Es mag der Jüngling eurem Mystenweg
Sich jetzt entringen -. Spätres Erdesein

488

Wird ihm die Mystenweise sicher zeigen,
Die ihm von Schicksahmächten vorgedacht.

DIE MYSTEN:
O Frevel, - der nach Sühne ruft, - nach Strafe -,
(Die Sphinxe beginnen nacheinander zu sprechen als Ahriman und Lucifer, sie waren bisher reglos wie Bildsäulen; ihr Sprechen wird nur von dem Opferweisen, dem höchsten Opferweisen und dem Neophyten gehört; - die andern bleiben in Aufregung durch das Vorhergehende.)

AHRIMAN ALS SPHINX:
Ich muss für meine Stätte mir erbeuten,
Was hier nur ungerecht zum Lichte will.
Ich muss es weiter dann im Finstern pflegen;
Es soll sich so die Eignung geistig schaffen,
In Zukunft sich mit rechtem Werdesinn
Dem Menschenleben günstig einzuweben.
Doch bis es diese Eignung sich erwirkt,
Wird meinem Werke dienen, was sich hier
Dem Weihedienst als Erdenlast erwiesen.

LUCIFER ALS SPHINX:
Ich will für meine Stätte mir entführen,
Was hier als Geisteswunsch am Schein sich freut.
Er soll als Schein im Lichte fröhlich glänzen
Und so im Geiste sich der Schönheit weihn,
Die ihm das Erdgewicht in dieser Zeit
Durch seine Last noch ferne halten will.
Im Schönen wandelt Schein zum Sein sich um:
Er wird dann künftig Licht der Erde sein;
Als Licht sich senkend, welches hier entflieht.

489

DER HÖCHSTE OPFERWEISE:
Die Sphinxe sprechen, - sie, die Bild nur waren,
Seit Weise hier den Dienst verrichtet haben.
Der Geist, er hat die tote Form ergriffen - -;
O Schicksal, du ertönst als Weltenwort - -!

(Die andern Mysten, ausser dem Opferweisen und dem
Neophyten, sind erstaunt über die Worte des höchsten
Opferweisen.)

DER OPFERWEISE (zum höchsten Opferweisen):
Was wir als mystisch Weihewerk vollbringen,
Bedeutung hat es doch nicht hier allein.
Es geht des Weltgeschehens Schicksalsstrom
Durch Wort und Tat des ernsten Opferdienstes.

(Über die durch das Vorhergehende bewirkte Stimmung fällt der Vorhang.)

490

NEUNTES BILD

Ein kleines, ernst stimmungsvolles Zimmer - wie ein Studierzimmer - im Hause des Hilarius - Zunächst Maria allein in Meditation; dann erscheint Astrid, später Luna, der Hüter der Schwelle und Benedictus.

MARIA:
Ein Seelenstern, am Geistesufer dort, -
Er nahet, - nahet mir in Geisteshelle,
Mit meinem Selbste nahet er, - im Nahen -
Gewinnt sein Licht an Kraft, - an Ruhe auch.
Du Stern in meinem Geisteskreise, was -
Erstrahlt dein Nahen meiner Seelenschau?

(Es erscheint Astrid.)

ASTRID:
Erkenne, was ich dir verleihen darf;
Dem Weltenkampf des Lichts mit Finsternissen
Entwand ich deines Denkens Kraft; ich bring'
Sie dir aus Weltenmitternachterwachen
In deine Erdenform getreu zurück.

MARIA:
Du, meine Astrid, warst bisher mir stets
Als leuchtend' Seelenschatten nur erschienen;
Was schafft dich mir zum hellen Geistesstern?

ASTRID:
Die Blitz- und Donnerkraft erhielt ich dir,
Dass sie im Seelensein bewahrt dir blieb -
Und du sie wissend jetzt erschauen kannst, -
Erinnernd dir die Weltenmitternacht.

491

MARIA:
Die Weltenmitternacht! - bevor die Hülle
Zu diesem Erdeleben mir das Selbst
Umschloss; - im Farbenlicht Saturns durchwacht!
Das Erdendenken hüllte mir bisher
Dies Geisteriebnis in die Seelentrübrüs; - -
Es steigt empor zur Seelenhelle jetzt.--

ASTRID:
Du sprachst im Weltenlichte selbst das Wort:
«O Zeitendauer, ich erflehe mir:
Ergiesse dich in diese Seligkeit,
Und lass den Führer, lass die andre Seele
Mit mir in dir jetzt friedevoll verweilen.»

MARIA:
Verweile du auch mir, O Augenblick,
Der mir dies Geistgeschehn als Kraft des Selbst
Erschaffen durfte. Rüste meine Seele,
Dass du mir nicht, dem Traume gleich, entschwindest.
Im Licht, das Weltenmitternacht erleuchtet,
Das Astrid mir aus Seelentrübnis schafft,
Vereint mein Ich sich jenem Selbst, das mich
Im Weltenwesen sich zum Dienst erschuf.
Doch wie erhalt' ich dich, du Augenblick,
Dass ich dich nicht verliere, wenn die Sinne
Um mich die Erdenhelle wieder fühlen?
Denn groß ist ihre Kraft; ertöten sie
Das Geistgeschaute, - ist es oft auch tot,
Wenn sich das Selbst im Geiste wiederfindet.

(Auf die letzten Worte hin erscheint, wie durch diese gerufen, Luna.)

LUNA:
Bewahre dir, bevor das Sinnensein
Dich wieder träumend macht, die Willenskraft,
Die dieser Augenblick dir schaffen durfte.

492

Gedenk der Worte, die ich selber sprach,
Als du zur Weltenmitternacht mich sahst.

MARIA:
Du, meine Luna, hast die Willenskraft
Mir aus der Weltenmitternacht hieher
Als Stütze in das Erdesein gebracht.

LUNA:
Es folgte meinem Wort des Hüters Mahnung:
«Du wirst jetzt anders vor dir selber stehn;
In ältrer Zeiten Bild dein Selbst erschauen
Erkennen, wie zum Geisteshöhenflug
Die Schwingen auch im Seelensturz erstarken
Es darf die Seele niemals stürzen wollen;
Doch muss sie Weisheit aus dem Sturze holen.»
---------------------------

MARIA:
Wohin entführt mich deines Wortes Kraft?
Ein Geistesstern am Seelenufer dort! -
Er leuchtet, - nahet sich - als Geistgestalt;
Mit meinem Selbste - naher er, - im Nahen
Gewinnt das Licht an Dichte. - Formen, die
Im Licht sich dunklen, wesenhaft sich gebend -!
Ein junger Myste, eine Opferflamme,
Des höchsten Opferweisen streng' Gebot,
Der Flamme Inhalt sinngemäss zu künden!
-------------------------
Der Mystenkreis, von Schrecken ganz verwirrt.
Ob jenes jungen Mysten Selbstbekenntnis!

(Der Hüter der Schwelle erscheint während der letzten Sätze.)

DER HÜTER:
Im Geistgehör ergründe dir auch noch
Des höchsten Opferweisen streng' Gebot.

493

MARIA:
«So lies, du Menschenseele, was die Flamme
Im Weltenwort als Innres dir verkündet.»
Wer sprach das Wort, das mir mein eignes Denken
Erinnernd aus den Seelenfluten trägt?

(Benedictus erscheint nach den ersten Sätzen.)

BENEDICTUS:
Mit meinem Worte riefst du mich zu dir. -
Als ich dies Wort vor Zeiten dir gebot:
Es fand dich nicht zum Folger mir bereit.
Es ruhte dann im Schoss des Weitgeschehens;
Der Zeiten Länge hat ihm Kraft verliehn,
Die ihr aus deiner Seele Leben floss;
So wirkte dir's in spätern Erdeleben
In deinen Seelentiefen unbewusst.
Es liess dich mich als Führer wiederfinden.
Es schafft sich jetzt bewusst gedankenhaft
In dir zum starken Lebensinhalt um.
«Was wir als mystisch Weihewerk vollbringen,
Bedeutung hat es doch nicht hier allein;
Es geht des Weitgeschehens Schicksalsstrom
Durch Wort und Tat des ernsten Opferdienstes.»

MARIA:
Nicht du sprachst dieses Wort an jenem Orte;
Der Opferweise sprach's, der dir Gefährte
In jenem alten Mystenbunde war.
Dass dieses Bundes Ende Schicksalsmacht
In jener Zeit schon vorgesehn, war ihm
Bekannt. - Des schönen Scheines Morgenröte
Erschaut' der Opferweise unbewusst,
Die über Hellas eine neue Sonne
Dem Geistesstrom der Erde vorverkündet'.
So unterdrückte er Gedankenmacht,
Die er in meine Seele lenken sollte.

494

Er diente als des Weltengeistes Werkzeug
Bei jenem Weihewerk, durch welches er
Des Weltgeschehens Strömung raunen hörte.
Er sprach ein Wort aus tiefstem Seelengrunde:
«Ich lerne sie fürwahr hier tief erkennen:
Die Einsamkeit am ernsten Geistesort.
Warum bin ich an diesem Ort allein?»

BENEDICTUS:
In seiner Seele keimte so der Trieb
Nach Einsamkeit; es reifte dieser Keim
Im Zeitenschoss zur Seelenfrucht sich aus.
Capesius erlebt die Frucht als Myste;
Sie trieb ihn, Felix' Vorbild nachzufolgen.

MARIA:
Doch jene Frau, die in des Tempels Näh
Sich hielt; ich schaue sie in alter Zeit,
Doch dringt mein Blick in ihre Gegenwart
Noch nicht; wie find' ich sie, wenn Sinnensein
Mich wieder träumend macht?

DER HÜTER:
Du wirst sie finden
Wenn du im Seelenreich das Wesen schaust
Das sie als Schatten unter Schatten ahnt,
Sie strebt nach ihm mit starker Seelenkraft.
Sie wird es aus dem Schattenreich erst lösen,
Wenn sie durch dich in ihrer Gegenwart
Ihr langvergangnes Erdensein erschaut.

(Der Hüter der Schwelle und Benedictus verschwinden.)

MARIA:
Es schwebt als Seelenstern der ernste Hüter
Nach meinem Seelenufer leuchtend hin -;
Sein Leuchten breitet Ruhe weit im Weiten - -,

495

Erhabenheit entstrahlet ihm; - sein Ernst
Durchkraftet mich im tiefsten Wesensgrunde;
Ich will in diese Ruhe untertauchen - -;
Ich fühl' es vor, ich werde mich durch sie
Zum vollen Geisteswachen führen können.
Ich werde euch, ihr meine Seelenboten ---
Als Leuchtesterne mir im Sein erhalten - -.
Dich, Astrid, will ich rufen, wenn Gedanken
Der Seelenhelle sich entwinden wollen. -
Und dich, O Luna, mög' mein Wort mir finden,
Wenn Willensmacht in Seelentiefen schläft. -

(Der Vorhang fällt, während Maria, Astrid und Luna noch im Zimmer sind.)

496

ZEHNTES BILD

Dasselbe Zimmer wie im neunten Bilde. Zuerst Johannes allein, meditierend. Später erscheinen die «andre Philia», Maria, der Geist von Johannes' Jugend, Lucifer, Benedictus.

JOHANNES:
«Dies ist die Zeit, in welcher er sein Sein
Dem uralt heiligen Weisheitsdienste weiht -;
Vielleicht lässt Traumes Offenbarung mich
Im Ahnen geistig jetzt bei ihm verweilen.»
So sprach in alter Zeit in Tempelnähe
Die Frau, die ich im Geistesbilde schaue,
Und ihrer denkend, fühl' ich mich erkraftet.
Was wirkt mir dieses Bild? Was hält an ihm
Im Schauen mich wie festgebannt? Fürwahr,
Nicht Anteil ist's, der aus dem Bilde selbst
Sich mir erzwingt; denn trät' es mir als Bild
Im Sinnensein vors Auge, schien' es mir
Nicht inhaltvoll. Was spricht aus ihm zu mir?

(Wie von ferne die Stimme der «andren Philia».)

DIE ANDRE PHILIA:
Verzaubertes Weben
Des eigenen Wesens.

JOHANNES:
Und wachendes Träumen
Enthüllet den Seelen

497

Verzaubertes Weben
Des eigenen Wesens.

(Während Johannes diese Zeilen spricht, kommt die «andre Philia» an ihn heran.)

JOHANNES:
Wer bist du, rätselvoller Zaubergeist?
Du brachtest wahren Rat in meine Seele -
Und täuschtest' mich zugleich doch über dich.

DIE ANDRE PHILIA:
Johannes, deines Wesens Zwiegestalt,
Du schufest sie aus dir. Als Schatten dich
Umwandeln, muss auch ich so lange noch,
Bis du den Schatten selbst erlösen wirst,
Dem deine Schuld verzaubert' Leben schafft.

JOHANNES:
Zum dritten Male - sprichst du dieses Wort;
Ich will ihm folgen. - Weise mir den Weg.

DIE ANDRE PHILIA:
Johannes, such im Geisteslichte lebend,
Was dir in deinem Selbst erhalten ist.
Es wird dir Licht von seinem Lichte geben.
Du wirst in dir dann selbst erschauen können,
Wie du die Schuld im fernern Leben tilgst.

JOHANNES:
Wie such' ich denn im Geisteslichte lebend,
Was mir in meinem Selbst erhalten ist?

DIE ANDRE PHILIA:
Gib mir, was du dir denkend selber bist;
Verliere dich nur kurze Zeit in mir;
Doch so, dass du dir nicht ein andrer wirst.

498

JOHANNES:
Wie soll ich dir mich geben, ohne dich
In deinem wahren Wesen erst zu schauen?

DIE ANDRE PHILIA:
Ich bin in dir, bin deiner Seele Glied;
Die Kraft der Liebe bin ich selbst in dir;
Des Herzens Hoffnung, die in dir sich regt,
Die Früchte langvergangner Erdenleben,
Die dir in deinem Sein erhalten sind;
O schaue sie durch mich, - erfühle mich
Und schau' dich selbst durch meine Kraft in dir.
Ergründe dir des Bildes Wesen, das
Dein Schauen ohne Anteil dir erschuf.
(Die «andre Philia» verschwindet.)

JOHANNES:
O rätselvoller Geist, erfühlen kann
Ich dich in mir; doch schau' ich dich nicht mehr.
Wo lebst du mir?

(Wie von ferne der Ruf der «andren Philia».)

DIE ANDRE PHILIA:
Verzaubertes Weben
Des eigenen Wesens.

JOHANNES:
Verzaubertes Weben
Des eigenen Wesens.
Verzaubert Weben meines eignen Wesens,
Ergründe mir des Bildes Wesen, das
Mein Schauen ohne Anteil mir erschuf.
-----------------------
Wohin entführt mich dieses Wortes Kraft?
Ein Geistesstern am Seelenufer dort -
Er leuchtet, nähert sich - als Geistgestalt,

499

Wird nahend heller; - Formen bilden sich; -
Sie sind wie Wesenheiten lebend wirksam; -
Ein junger Myste, - eine Opferflamme,
Des höchsten Opferweisen streng Gebot,
Der Flamme Inhalt sinngemäss zu künden. -
Den jungen Mysten sucht die Frau, die sich
Mein Schauen bildhaft ohne Anteil schuf.

(Maria erscheint als Gedankengestalt des Johannes.)

MARIA:
Wer dachte deiner vor der Opferflamme?
Wer fühlte dich in Weiheortes Nähe?
Johannes, wenn du deinen Geistesschatten
Entreissen willst den Seelenzauberwelten,
So lebe Ziele, die aus ihm dir leuchten;
Die Spur, auf der du suchst, sie leitet dich;
Doch musst du sie erst richtig wiederfinden.
Es weist sie dir die Frau in Tempelnähe,
Wenn sie in dir gedankenkräftig lebt.
Sie strebt, verzaubert unter Schattengeistern,
Dem andern Schatten zu, der jetzt durch dich
Den grausen Schatten schlimme Dienste leistet.
(Es erscheint der Geist von Johannes' Jugend.)

DER GEIST VON JOHANNES' JUGEND:
Ich will dir künftig stets verbunden sein,
Wenn du die Kräfte liebend pflegen willst,
Die mir im Zeitenschosse treu bewahrt
Der junge Myste jener alten Zeit,
Den deine Seele einst am Tempel suchte.
Doch musst du auch den Geist in Wahrheit schauen,
An dessen Seite ich dir jetzt erschienen.

500

MARIA:
Maria, so wie du sie schauen wolltest,
Ist sie in Welten nicht, wo Wahrheit leuchtet.
Mein heilig ernst Gelöbnis strahlet Kraft,
Die dir erhalten soll, was du errungen.
Du findest mich in hellen Lichtgefilden,
Wo Schönheit strahlend Lebenskräfte schafft;
In Weltengründen suche mich, wo Seelen
Das Götterfühlen sich erkämpfen wollen
Durch Liebe, die im All das Selbst erschaut.

(Während Maria das letzte spricht, erscheint Lucifer.)

LUCIFER:
So wirket Zwangsgewalten,
Erfühlet Elementengeister
Die Kräfte eures Meisters,
Und ebnet den Weg,
Dass aus dem Erdgebiet
Sich wenden kann
In Lucifers Bereich,
Was mein Wunsch ersehnt,
Was meinem Willen folgt.

(Benedictus erscheint.)

BENEDICTUS:
Marias heilig ernst Gelöbnis wirket
In seiner Seele jetzt die Heil-Erstrahlung.
Er wird dich schätzen, doch dir nicht verfallen.

LUCIFER:
Ich werde kämpfen.

BENEDICTUS:
Und kämpfend Göttern dienen.

(Vorhang fällt.)

501

ELFTES BILD

Dasselbe Zimmer wie in den beiden vorigen Bildern. Benedietus und Stradet treten in das Zimmer.

STRADER:
Ihr sprachet ernste und Maria auch
Sehr harte Worte, als ihr beide mir
Am Abgrund meines Lebens euch gezeigt.

BENEDICTUS:
Ihr wisst, die Bilder sind nicht wesenhaft;
Der Inhalt ist's, der zu der Seele dringen
Und sich im Bilde offenbaren will.

STRADER:
Doch hart war, was aus diesen Bildern sprach:
«Wo ist dein Licht? - Du strahlest Finsternis. -
Du schaifst ins Licht die wirre Finsternis.»
So sprach, als Bild Marias, doch der Geist.

BENEDICTUS:
Da ihr euch auf der Bahn des Geistes
Um eine Stufe höher hobt, deshalb bezeugte
Der Geist, der euch zu sich empor geführt,
Was ihr vorher erreicht, als Finsternis.
Marias Bild hat dieser Geist gewählt,
Weil eure Seele ihn euch so gestaltet.
Mein lieber Strader, mächtig waltet jetzt
Der Geist in euch, er führt in raschem Fluge
Zu hohen Seelenstufen euch hinan.

502

STRADER:
Und doch, es klingt ganz furchtbar meiner Seele:
«Weil du zu feige bist, dein Licht zu strahlen.»
Auch dieses sprach der Geist in jenem Bilde.

BENEDICTUS:
Es musste euch der Geist doch feige nennen.
Weil eurer Seele wahrlich feige ist,
Was für gering're Seelen Tapferkeit.
Im Fortschritt wird, was früher mutig war,
Zur Feigheit, die zu überwinden ist.

STRADER:
O, wie berühren diese Worte mich!
Romanus sprach mir jüngst von seinem Plane.
Ich sollte nicht mit euch vereint das Werk
Vollführen, sondern ohne eure Hilfe.
Er wäre dann bereit, Hilarius
Mit allem, was er habe, beizustehn. -
Auf meinen Einwand hin, dass ich das Werk
Von eurem Kreise niemals trennen werde,
Erklärte er, dass dann das weitre Mühen
Vergeblich sei. Romanus unterstützt
Den Widerstand, den Gottgetreus Gefährte
Dem Plane bietet, ohne den mein Leben
Mir wahrhaft völlig wertlos scheinen muss.
Ich sehe, da die beiden Männer mir
Das Tatenfeld entreissen, nichts vor mir
Als Leben, dem die Luft zum Leben fehlt.
Dass jetzt mein Geist nicht flügeliahm sich zeige,
Bedarf ich jener Tapferkeit, von der
Ihr eben spracht. - Ob ich jedoch dazu
Mich stark genug auch zeigen werde, dies
Vermag ich nicht zu sagen, denn ich fühle,
Wie sich die Kraft, die ich entfesseln will,
Zugleich auch gegen mich verderblich wendet.

503

BENEDICTUS:
Maria und Johannes sind im Schauen
Seit kurzem fortgeschritten; was sie noch
Vorher gehindert, von dem Mystenleben
Den Schritt ins Sinnensein zu tun, es ist
Nicht mehr vorhanden; Ziele werden sich
Im weitern Zeitverlauf für euch und sie
Gemeinsam finden. - Nicht als Führer, doch
Als Kräfteschöpfer gilt das Wort des Mysten:
Es wird geschehen, was geschehen muss.
Deshalb erwarten wir in Wachsamkeit,
In welcher Art der Geist die Zeichen weist.

STRADER:
Zum Bilde schuf sich mir vor kurzer Zeit,
Was mir als Schicksalswink erscheinen muss.
Ich war in einem Schiff; am Steuer ihr;
Besorgen musste ich das Ruderwerk;
Maria und Johannes fuhren wir
An ihre Wirkensstätte; da erschien
Ganz nah' an uns ein andres Schiff; in ihm
Romanus mit dem Freunde Gottgetreus.
Sie stellten sich uns feindlich gegenüber.
Ich kämpfe gegen sie; - im Kampfe trat
Dann Ahriman an ihrer Seite auf.
Noch schaut' ich mich im harten Kampf mit ihm,
Zur Seite trat mir helfend Theodora.
Dann schwand das Bild aus meinem Geisteskreis. -
Ich wagte vor Capesius und Felix
Einmal das Wort: Ertragen würd' ich leicht
Den Widerstand, der meinem Werke jetzt
Von aussen droht; wenn auch an ihm mein Wollen
Zerschellte, - ich vermöchte mich zu halten. -
Ob jenes Bild mir jetzt bedeuten will,
Dass äußrer Widerstand der Ausdruck ist

504

Für innren Kampf - für Kampf mit Ahriman?
Bin ich für diesen Kampf denn auch gerüstet?

BENEDICTUS:
Mein Freund, ich kann in eurer Seele schauen,
Dass dieses Bild noch nicht euch voll gereift.
Ich fühle, ihr vermögt die Kraft zu stärken,
Die euch dies Bild vor Geistesaugen stellte. -
Empfinden kann ich jetzt, dass ihr für euch
Und auch für eure Freunde Kräfte schafft,
Wenn ihr die Stärkung recht erstreben wollt.
Erfühlen kann ich dies; doch wie es sich
Vollziehen wird, verbirgt sich meinem Schauen.

(Vorhang fällt.)

505

ZWÖLFTES BILD

Das Innre der Erde. Mächtige Kristallgebilde, durchbrochen von lavaartigen Durchflüssen; das Ganze matt leuchtend, zum Teil durchsichtig, zum Teil durchscheinend. Nach oben rote Flammen, die wie von der Decke nach unten zusammengepresst werden.

AHRIMAN (zuerst allein):
Es fällt jetzt Wesenszeug von oben her,
Das ich mir nutzen muss. Dämonenstoff
Verrinnt im Formbezirk. - Ein Mensch erstrebt
Die Geistsubstanz, die er von mir erhalten,
Aus seinem Wesen gänzlich auszutilgen.
Ich konnt' bisher ihn leidlich inspirieren;
Doch jetzt ist er dem Mystenschwarm zu nah',
Der durch das Weisheitslicht des Benedictus
Das Wachen in der Weltenmitternacht
Ertrotzen konnte. Den hat Lucifer
Verwirkt; so dass Maria und Johannes
Aus seinem Lichtbezirk entrinnen konnten.
Ich muss mich jetzt an Strader kräftig halten.-
Hab' ich erst ihn, so hol' ich auch die andern.
Johannes hat an meinem Schatten schon
Sich greulich abgestumpft; - der kennt mich gut.
Ich kann an ihn nicht ohne Strader kommen.
Und mit Maria ist es ebenso.
Doch Strader wird das Geistgewirr, das als
Natur den Menschen gilt, vielleicht noch nicht

506

Als meinen Geistestross durchschauen können;
Und blindes Kraft- und Stoffgespinst vermuten,
Wo ich mir Geistverleugnung geistig schaffe.-
Zwar haben ihm die andern viel geschwatzt
Von meiner Wesenheit und meinem Reich;
Doch halt' ich ihn noch nicht für ganz verloren.
Er wird vergessen, dass ihn Benedictus
Halbwissend her zu mir geschickt, um ihm
Den Glauben auszutreiben, dass ich nur
Ein Hirngespinst in Menschenköpfen sei.
Nur brauch' ich Erdenhilfe, soll ich ihn
In mein Gebiet zur rechten Zeit entführen.-
Ich will mir eine Seele jetzt berufen,
Die so gescheit sich dünkt, dass ich für sie
Nichts weiter bin als dummer Narrentrug.
Die dient mir zeitenweis', wenn ich sie nutz'. -

(Ahriman geht ab, kommt mit Ferdinand Reineckes Seele zurück; diese ist der Gestalt nach eine Art Kopie von ihm; beim Eintritt nimmt er der Person, welche die Seele darstellt, eine Binde von den Augen.-)

AHRIMAN:
Den Erdverstand muss er am Tore lassen.
Er darf ja nicht verstehn, was er bei mir
Erfahren soll; denn redlich ist er noch;
Und nichts erstrebt' er mir, wenn er verstünd'
Wozu ich jetzt ihn inspirieren wilL
Er muss es später auch vergessen können.
Kennst du den Doktor Strader, der mir dient?

FERDINAND REINECKES SEELE:
Der treibt sich auf dem Erdenstern herum;
Er will gelehrten Schnack ins Leben bau'n;
Den bläst doch jeder Lebenswind stets um.-

507

Den Mystenprotzen hört er gierig zu;
In ihrem Dunst ist er schon halb erstickt.
Und jetzt will er den Gottgetreu umnebeln;
Der wird von seinem Freund im Zaum gehalten,
Weil ihm die Flunkertruppe sonst das Haus
Mit ihrem Geistgemunkel ganz verdirbt.

AHRIMAN:
Mit solchem Schwätzen ist mir nicht gedient.
Ich brauch' den Strader jetzt. - Solang der Mann
An sich den vollen Glauben haben kann,
Wird's Benedictus viel zu leicht gelingen,
Den Menschen seine Weisheit beizubringen.
Der Freund des Gottgetreu könnt' Lucifer
Wohl dienen; ich jedoch muss anders streben.- -
In Strader muss ich Benedictus schaden.
Hat der den Strader nicht, so wird er weiter
Mit seinen andern Schülern nichts vollbringen.
Zwar haben meine Gegner noch die Macht;
Nach Straders Tode werden sie ihn haben.
Kann ich jedoch die Seele jetzt auf Erden
An sich noch irre machen, so bewirkt
Mir dies, dass Benedictus ferner nicht
Den Mann als Vorspann für sich nutzen kann.
Nun hab' ich schon im Schicksalsbuch gelesen,
Dass Straders Lebenslauf bald abgelaufen.
Dies kann ja Benedictus nicht erschau'n. - -
Mein treuer Knecht, du bist fast überschlau,
Du glaubst, dass ich ein dummes Narrenbild.
Du räsonierst so gut, dass man dich hört.
So geh zu Strader schon in nächster Zeit,
Erklär ihm, dass sein Mechanismus schlecht;
Dass er nicht nur aus Zeit-Ungunst nicht hält,
Was er versprochen; dass er schlecht erdacht.-

508

FERDINAND REINECKES SEELE:
Ich bin dazu wohl präpariert. Gar lang'
Ist all mein Sinnen nur darauf gerichtet,
Wie ich dem Strader recht beweisen kann,
Dass er auf Irrtumswegen sich ergeht.
Wenn man solch' Zeug zunächst gedankenhaft
In vielen Nächten klug ersonnen hat,
Dann glaubt man leicht, der Misserfolg läg' nicht
Am Denken selbst; er käm' von aussen nur.
Mit Strader steht's doch jammervoll fürwahr:
Hätt' der sich ohne Mystennebel halten
Und klug Verstand und Sinn gebrauchen können,
Der Menschheit wär' aus seinen hohen Gaben
Der grösste Nutzen sicherlich erwachsen.

AHRIMAN:
Du sollst dich jetzt mit Klugheit wohl bewaffnen.
Dein Werk soll sein, dass Strader an sich selbst
Nicht mehr den rechten Glauben finden mög'.
Dann wird er auch an Benedictus künftig
Nicht mehr sich halten wollen; der ist dann
Auf sich und seine Gründe angewiesen.
Die aber sind den Menschen nicht genehm.
Sie werden auf der Erde um so mehr
Gehasst, je wahrer sie sich zeigen können.

FERDINAND REINECKES SEELE:
Mir geht der Sinn schon auf, wie ich dem Strader
Die Fehler seines Denkens demonstrier'.
Es hat sein Mechanismus einen Fehler,
Den kann er selber nicht bewusst sich machen.-
Die Mystenfinsternis verhindert's ihm.
Ich werde ihm mit meiner Nüchternheit
Viel bess're Dienste wahrlich leisten können.

509

Ich wollte dies seit langen Zeiten schon;
Doch wusst' ich nicht, wie ich es machen soll.
Ich fühle mich erst jetzt dazu erleuchtet.
Ich muss jetzt alles recht ins Auge fassen,
Was Strader von der Wahrheit überzeugt.

(Ahrimin führt Reinerkes Seele hinaus und legt der Person, welche die Seele darstellt, bevor sie sein Gebiet verlässt, wieder die Binde um die Augen.)

AHRIMAN (allein):
Der wird mir gute Dienste leisten können.
Das Mystenlicht auf Erden brennt mich sehr;
Ich muss dort weiterwirken, ohne dass
Die Mysten meine Werke offenbaren.

(Theodotas Seele erscheint)

THEODORAS SEELE:
Du magst an Strader dringen, doch bin ich
An seiner Seite; da er mich gefunden
Auf lichtem Seelenpfade, ist er mir
Vereint, ob er im Geistgebiet, ob er
Im Erdbereich das Leben führen muss.

AHRIMAN:
Wenn sie ihn wirklich nicht verlässt, so lang
Er noch auf Erden weilt, wird mir der Kampf
Verloren sein; doch kann ich wohl noch hoffen,
Dass er zuletzt sie doch vergessen könnte.

(Vorhang fällt.)

510

DREIZEHNTES BILD

Grösseres Empfangszimmer im Hause des Hilarius. Beim Aufgehen des Vorhangs Hilarius und Romanus miteinander im Gespräch; später Capesius, Felix Balde, der Sekretär; Philia.

HILARIUS:
Ich muss euch schmerzvoll sagen, lieber Freund,
Dass mich der Schicksalsknoten, der sich hier
In unserm Kreise formt, beinah' zerdrückt.
Worauf noch soll man bau'n, wenn alles wankt?
Des Benedictus Freunde sind durch euch
Von unsrem Ziele ferngehalten; Strader
Beschwert sich nun mit bittren Zweifelqualen. -
Ein Mann, der oft mit Klugheit und mit - Hass
Dem Mystenstreben sich entgegenstellte,
Hat ihm beweisen können, dass er sich
Mit seinem Mechanismus stark verirrt:
Dass dieser an sich selbst nicht möglich ist,
Nicht nur durch äußern Widerstand gehemmt. -
Mir hat das Leben keine Frucht gebracht;
Nach Taten sehnt' ich mich. - Gedanken, die
Sie reifen konnten, fehlten mir doch immer.
Die Seelenöde quälte mich recht herbe.
Nur meine Geistesschau erhielt mich stets.
Und doch, - sie konnte mich bei Strader täuschen.

ROMANUS:
Oft fühlte ich, als ob sich mir ein Alp
Recht schmerzlich auf die Seele legen wollte,

511

Wenn eure Worte durch den Lauf der Dinge
Sich als ein schwerer Irrtum zeigen konnten,
Und so die Geistesschau als Trug erschien.
Der Alp ward mir zum innern Mystenmeister;
Er hat in mir ein Fühlen losgelöst,
Das mir das Urteil jetzt erleuchten kann.--
Ihr habt der Geistesschau zu blind vertraut;
So kann sie euch als Irrtum da erscheinen,
Wo sie euch doch gewiss zum Wahren führte.
Bei Strader habt ihr recht geschaut, trotz allem,
Was jener überkluge Mann erwiesen.

HILARIUS:
So wankt jetzt euer Glaube nicht; ihr hält
Die Meinung fest, die ihr von Strader hattet?

ROMANUS:
Ich hab' sie mir aus Gründen doch gebildet,
Die nichts zu tun mit Straders Freunden haben,
Und sie bestehn, ob sich sein Mechanismus
Als richtig oder fehlerhaft erweist,
Hat er mit ihm sich auch getäuscht, nun wohl,
Es muss der Mensch durch Irrtum Wahrheit finden.

HILARIUS:
Der Misserfolg beirrt euch nicht, - euch, dem
Erfolge nur das Leben stets gebracht?

ROMANUS:
Erfolge hat, wer Misserfolg nicht fürchtet.
Man soll die Mystik doch nur sinngemäss
Für unsern Fall verstehn; und sie bezeugt
Recht klar, was man von Strader denken muss.
Der wird als Sieger sich bewähren können
Im Kampfe, der die Geistespforten öffnet;
Er wird am Wächter kühn vorüber schreiten,
Der vor des Geisterlandes Schwelle steht.

512

Ich hab' in meiner Seele wohl durchfühlt
Das Wort vom strengen Hüter an der Schwelle. -
Ich ahne ihn an Straders Seite jetzt.
Ob er ihn schaut, ob er ihm unbewusst
Sich naht, ich kann es wahrlich nicht ergründen;
Doch Strader glaub' ich gut genug zu kennen.
Der wird sich murvoll zu der Einsicht wenden,
Dass Selbsterkenntnis Schmerzen zeugen muss.
Es wird der Wille ihm Genosse werden,
Der mutig sich der Zukunft übergibt;
Und durch der Hoffnung Kräftequell gestärkt,
Erkenntnisschmerzen sich entgegenstellt.

HILARIUS:
Habt Dank, mein Freund, für diese Mystenworte.
Ich habe sie schon oft gehört; jetzt erst
Erfühle ich, was sie geheim enthalten.
Der Welten Wege sind nur schwer ergründlich.
Und mir, mein lieber Freund, geziemt zu warten,
Bis mir der Geist die Richtung zeigen will,
Die meinem Schauen angemessen ist.

(Hilarius und Romanus gehen nach der rechten Seite ab. Es treten von links ein Capesius und Felix Balde; der Sekretär führt sie in das Zimmer.)

SEKRETÄR:
Ich meinte, Benedictus werde heute
Von seiner Reise wiederkommen, doch
Jetzt ist er noch nicht hier; ihr werdet ihn
Wohl treffen, wenn ihr morgen euch bemüht.

FELIX BALDE:
So können wir Freund Gottgetreu wohl sprechen?

SEKRETÄR:
Ich will ihm sagen, dass er kommen möge.
(Sekretär geht ab.)

513

FELIX BALDE:
Was ihr erlebt, ist wahrlich tief bedeutsam.
Könnt ihr mir nicht Erzähltes wiederholen?
Man wertet diese Dinge doch nur richtig,
Wenn man sie ganz genau im Geist erfasst.

CAPESIUS:
Es war an diesem Morgen, als ich mich
Der Mystenstimmung nahe glauben konnte;
Die Sinne schwiegen; auch Erinn'rung schwieg.
Erwartend lebt' ich nur dem Geistgeschehn.
Es kam zuerst, was mir schon gut bekannt.
Dann aber stand ganz deutlich Straders Seele
In meiner Geistesschau. Erst sprach er nicht;
Ich hatte Zeit, mein Wachen zu besinnen.
Doch bald vernahm ich auch sein Wort ganz klar.
«Entfernt euch nicht von wahrer Mystenstimmung»,
So klang es wie aus seinen Seelentiefen.
Dann sagte er, die Worte scharf betonend:
«Erstreben nichts; - nur friedsam ruhig sein,
Der Seele Innenwesen ganz Erwartung - -:
Das ist die Mystenstimmung. - Sie erweckt
Sich selbst - ganz ungesucht im Lebensstrom,
Wenn sich die Menschenseele recht erkraftet, -
Wenn sie gedankenkräftig geistig sucht.
Die Stimmung kommt in stillen Stunden oft,
Doch auch im Tatensturm; sie will dann nur,
Dass nicht gedankenlos die Seele sich
Dem zarten Schau'n des Geistgeschehns entzieht.»

FELIX BALDE:
Wie meiner eignen Worte Widerhall
Erklingt dies fast, - doch nicht im vollen Sinne.

CAPESIUS:
Wenn man es recht bedenkt, so könnte man
Den Gegensinn auch eurer Worte finden. -

514

Und vollends ist man dieser Deutung nah',
Wenn man erwägt, was er noch weiter sprach.
«Wer Mystenstimmung aber künstlich weckt,
Der führt sein Innres nur in sich hinein;
Er webt sich vor das Lichtesreich fürwahr
Des eignen Seelenwirkens Finsternis.
Wer durch die Mystik dieses suchen will,
Errötet sich mit Mystenwahn das Schauen.»

FELIX BALDE:
Nichts andres kann dies sein, als meine Worte
Durch Straders Geistesart verkehrt, in euch
Als schlimmer Mystenirrtum widerklingend.

CAPESIUS:
Auch waren Straders letzte Worte diese:
«Es kann der Mensch die Geisteswelt nicht finden,
Wenn er sie suchend sich erschliessen will.
In jener Seele tönt die Wahrheit nicht,
Die nur durch viele Jahre Stimmung sucht.»

(Philia erscheint, nur für Capesius wahrnehmbar; Felix Balde zeigt durch seine Haltung, dass er das Folgende nicht erfasst.)

PHILIA:
Capesius, wenn bald du achten wirst,
Was ungesucht im Suchen sich dir weist,
Wird dich der vielen Farben Licht erkraften;
Es wird dich bilderwesenhaft durchdringen,
Weil dir's die Seelenkräfte offenbaren.
Was deines Selbstes Sonnenwesen strahlt,
Wird dir Saturns gereifte Weisheit dämpfen.
Es wird sich deinem Schauen dann enthüllen,
Was du als Erdenmensch begreifen kannst.
Ich werde dich dann selbst zum Hüter führen
Der an des Geistes Schwelle Wache hält. -

515

FELIX BALDE:
Es tönen Worte aus mir fremden Kreisen.
Ein leuchtend Sein erzeugt ihr Tönen nicht,
So sind sie mir nicht völlig wesenhaft.

CAPESIUS:
Die Weisung, welche Philia mir gibt,
Sie soll mich führen, dass in Zukunft mir
Im Geiste auch sich offenbaren mag,
Was ich begreiflich schon als Erdenmensch
In meinem Lebenskreise finden kann.

(Vorhang fällt.)

516

VIERZEHNTES BILD

Dasselbe Zimmer wie im vorigen Bilde. Im Beginne der Szene die Frau des Hilarius im Gespräch mit dem Bürochef.

FRAU HILARIUS:
Als ob das Schicksal selbst die Tat nicht wünschte,
Die meinem Gatten doch notwendig dünkt,
So scheint es fast, - bedenkt man, wie verworren
Die Fäden sind, die diese Macht zum Knoten
Des Lebens spann, der uns hier fest umschließt.

BÜROCHEF:
Zum Schicksalsknoten, der dem Menschensinn
Zunächst unlösbar wahrlich scheinen kann.--
So wird er wohl zerschnitten werden müssen. -
Ich sehe keine andre Möglichkeit,
Als dass der Schnitt sich zwischen ihres Gatten
Und meinem Lebenskreise jetzt ergibt.--

FRAU HILARIUS:
Von euch sich trennen, - niemals wird's mein Gatte, -
Dem Geist des Hauses widerspräche dies,
Der noch vom teuren Vater sich bewahrt,
Und dem der Sohn die Treue halten will.

BÜROCHEF:
Ist diese Treue denn nicht schon gebrochen?
Die Ziele, die Hilarius sich setzt,

517

Sie liegen in der Richtung sicher nicht,
Die jener Geist für sich stets nehmen wollte.

FRAU HILARIUS:
Es hängt jetzt meines Gatten Lebensglück
Von dieses Ziels Gelingen völlig ab.
Ich sah, wie seine Seele sich verwandelt',
Nachdem gedankenblitzeshaft es sich
In ihm erzeugt. - Das Leben brachte ihm
Nur trübe Seelenöde, die er sorgsam
Dem nächsten Freundeskreise selbst verbarg,
Die um so stärker ihm am Innern zehrte.
Er fand vorher sich nichtig, weil Gedanken
In seiner Seele nicht erkeimen wollten,
Die ihm des Lebens wert erscheinen konnten.
Als dann der Plan der Mystentätigkeit
Vor dieser Seele stand, ward er verjüngt;
Ein andrer Mensch, stets froh; - er fühlte sich
Mit diesem Ziele erst des Lebens würdig.--
Dass ihr euch ihm entgegenstellen könntet:
Es lag ihm fern, zu denken, bis er's sah.
Dann traf es ihn, wie kaum vorher ein Schlag
In seinem Leben ihn getroffen hat.
O wüsstet ihr, was er durch euch erleidet,
Ihr würdet sicher eure Härte mildern.

BÜROCHEF:
Mich meiner Überzeugung widersetzen,
Mir schien's, als ob die Menschenwürde mir
Verloren ginge. - Strader an die Seite
Gestellt mich sehn, wird mir bedrückend sein;
Doch ich entschloss mich, diese Last zu tragen,
Weil sie Romanus stützt, den ich versteh',
Seit er von Strader mir gesprochen hat.

518

Was er mir sagen konnte, ist für mich
Der Anfang meiner eignen Geistesschulung.
Aus seinen Worten flammte eine Kraft;
Die ging in meine Seele wirksam über;
Ich hatte sie vorher noch nie gefühlt.
Gewichtig muss sein Rat mir sein, auch wenn
Ich ihm noch nicht verstehend folgen kann.
Romanus tritt allein für Strader ein;
Der andern Mysten Anteil an dem Werk
Erscheint ihm nicht nur diesem hinderlich;
Er hält ihn für die Mysten selbst gefährlich.
So viel ist mir Romanus Meinung wert,
Dass ich jetzt glauben muss, wenn Strader nicht
Zur Tat sich findet ohne seine Freunde,
Dies ihm ein Schicksaiszeichen werden müsse.
Es zeigt, dass er an dieser Freunde Seite
Verbleiben und aus seinem Mystenstreben
Erst später Triebe für die äussre Tat
Sich schaffen solle. Dass er diesen Freunden
In letzter Zeit viel näher steht als je,
Nachdem sie kurze Zeit ihm fremder waren,
Erzeugt in mir den Glauben, dass er sich
In seine Lage finden werde, selbst
Wenn er sein Ziel für jetzt verloren sähe.

FRAU HILARIUS:
Ihr seht den Mann mit jenem Blicke nur,
Den euch Romanus hat erschließen können.
Ihr solltet unbefangen ihn betrachten.
Er kann dem Geistesleben sich ergeben,
Dass er der Erde ganz entrückt erscheint.
Dann ist der Geist ihm volle Gegenwart.
Ihm ist dann Theodora noch im Leben.

519

Man spricht mit ihm, als hätte man auch sie
Sich gegenüber. Viele Mysten können
Die Geistesbotschaft wohl in Worte prägen,
Die nachbedacht die Überzeugung schaffen;
Was Strader spricht, es wirkt im Sprechen selbst.
Man sieht, dass er bloss innres Geist-Erleben,
Das sich im Fühlen schon befriedigt weiss,
Gering nur schätzt, dass er dem Forschertrieb
Als Myste stets die Führung übergibt.
Deshalb verwirrt er auch durch Mystik nicht
Den Sinn für Wissenschaft, die praktisch sich
Dem Leben dienstbar zeigt. - Versucht doch dies
An ihm zu sehn und lernt durch ihn dann auch,
Dass man sein Urteil über seine Freunde
Wird höher als das andre schätzen müssen,
Das sich Romanus hat erwerben können.

BÜROCHEF:
Mir ist in dieser Lage, die ganz fern
Dem Kreise mir gewohnten Denkens liegt,
Romanus' Urteil wie der feste Boden,
Auf dem ich stehen kann. - Begeb' ich mich
In ein Bereich, das mich der Mystik nähert,
So brauch' ich wahrlich solcher Führung, die
Doch nur ein Mensch mir bieten kann, der mir
Vertrauen abgewinnt durch das, was ich
Von seinem Wesen voll verstehen kann.

(Der Sekretär tritt ein.)

BÜROCHEF:
Ihr kommt verstört, mein Freund, was ist geschehn?

SEKRETÄR (zögernd):
Es starb vor wenig Stunden Doktor Strader.

520

BÜROCHEF:
Gestorben Strader?

FRAU HILARIUS:
Strader tot! - - Wo ist
Hilarius?

SEKRETÄR:
Er ist auf seinem Zimmer...
Wie wenn die Botschaft ihn gelähmt, die man
Ihm eben aus der Wohnung Straders brachte.
 
(Die Frau des Hilarius geht ab, der Sekretär folgt ihr.)

BÜROCHEF (allein):
Gestorben Strader! - Ist dies Wirklichkeit?
Berührt der Geistesschlaf mich schon, von dem
Ich viel gehört? - Ein ernstes Antlitz zeigt
Die Schicksalsmacht, die hier die Fäden lenkt.
O, meine kleine Seele, welche Kraft
Ergriff wohl deinen Schicksalsfaden jetzt,
Dass er an diesem Knoten Anteil hat?
Es wird geschehen, was geschehen muss!
Warum verliessen diese Worte mich
Seit jener Stunde nicht, in der sie Strader
Vor Gottgetreu und mir gesprochen hat?
Wie wenn sie ihm aus andrer Welt gekommen,
So klangen sie; - wie geistentrückt gesprochen! -
Was sollte denn geschehn? - Ich fühle wohl,
Die Geisteswelt hat damals mich ergriffen.
In jenem Worte - klingt mir ihre Sprache -;
Sie klingt mir ernst; - wie lern' ich sie verstehn?

(Der Vorhang fällt.)

521

FÜNFZEHNTES BILD

Dasselbe Zimmer wie im vorigen Bild. Es sitzt da wartend die Pflegerin des Doktor Strader. Nachdem der Vorhang aufgegangen ist, tritt der Sekretär in das Zimmer; später Benedictus. Ahriman

SEKRETÄR:
Es wird wohl Benedictus bald erscheinen,
Um eure Botschaft selbst euch abzunehmen.
Er war verreist, soeben kam er an. -
Er war ein grosser Mann, der Doktor Strader.
Ich hatte anfangs keinen rechten Glauben
An Gottgetreus gewalt'gen Arbeitsplan;
Doch da ich oft zugegen war, wenn Strader
Ihm zeigte, was dem Werke nötig ist,
Verlor mir jeder Einwand schnell an Kraft.
Stets geistvoll und mit stärkstem Sinn für alles,
Was möglich und auch zielessicher ist.
Dabei bestrebt, das letzte Ziel doch stets
Sich aus der Sache sinngemäss zu holen;
Nichts schon gedankenhaft vorauszusetzen.
Der Mann verhielt sich ganz nach Mystenart.
Wie Menschen, welche eines Fernblicks Schönheit
Von eines Berges Gipfel schauen wollen,
Die warten, bis sie oben angelangt,
Und sich nicht vorher schon ein Bild ersinnen.

PFLEGERIN:
Ihr habt im Strom des Lebens einen Mann
Von grossen Gaben und von starkem Geiste

522

Erkannt; ich habe in der kurzen Zeit,
In der ich ihm die letzten Erdendienste
Erweisen durfte, seine hohe Seele
Bewundern können. Diese liebe Seele,
Die ausser sieben Jahren seltnen Glücks
Stets einsam durch das Erdenleben ging.
Die Mysten boten ihm die Weisheit. Er
Bedurft' der Liebe -; seine Lust nach Taten,
Sie war doch Liebe, - die sich viele Formen
Im Leben schafft, um sich zu offenbaren.
Was diese Seele mystisch suchte, war
Dem edlen Feuer ihres Wesens nötig,
Wie Schlafesruh' dem Leib nach Schaffenszeiten.

SEKRETÄR:
Ihm war die Mystenweisheit auch der Quell
Des Schaffens; - alles war bei ihm von ihr
Im schönsten Sinne doch stets ganz erfüllt.

PFLEGERIN:
Weil er naturgemäss stets lieben musste
Und mit der Seele allem sich vereinen,
Was ihm zum Lebensinhalt werden wollte.
Sein letztes Denken galt dem Werke noch,
Dem er in Liebe sich gewidmet hatte.--
Wie Menschen sich von Wesen trennen, die
Sie lieben, so verliess die Seele Straders
Das Erdenwerk, dem ihre Liebe galt.

SEKRETÄR:
Er lebte doch im Geiste wesenhaft,
Und Theodora stand wie lebend stets
Vor ihm -; so fühlen wahre Mystenseelen.

PELEGERIN:
Weil sie die Einsamkeit mit ihm verband.
Sie stand im Tode noch vor ihm. - Von ihr

523

Zu seines Werks Vollendung abberufen
Nach Geisteswelten, so erschien er sich.
Für Benedictus schrieb er wenig Stunden,
Bevor er starb, die Worte, die ich jetzt
Dem Mystenführer überbringen will.
So muss das Leben unsrer Erdenzeit
Sich weiterführen, rätselvoll; - erhellt
Jedoch durch Sonnenmenschen seiner Art,
Von welchen andre nach Planetenweise
Das Licht empfangen, welches Leben weckt.

(Benedictus betritt das Zimmer; der Sekretär geht aus demselben.)

PFLEGERIN:
Es schrieb die wenig Zeilen Strader noch,
Bevor die Kräfte ihm gering geworden.
Ich überbringe sie dem Mystenfreunde.

BENEDICTUS:
Und als er diese Worte hingeschrieben,
Wo weilte seine Seele noch zuletzt?

PFLEGERIN:
Erst lebte noch der letzte Lebensplan
In seinem Denken; dann war Theodora
Im Geist mit ihm vereint; erfühlend dies,
Entrang sich seine Seele sanft der Hülle.

BENEDICTUS:
Hab Dank, du treues Wesen, für den Dienst,
Den du ihm hast auf Erden noch geleistet.

(Die Pflegerin geht ab. Benedictus liest die letzten Worte Straders.)

«Mein Freund, da ich zerschmettert fast mich sah,
Erkennend, dass der Widerstand nicht nur
Von außen meinem Schaffen sich erzeugt',

524

Dass innre Mängel sich im Grundgedanken
Der Arbeit hemmend in den Weg gestellt,
Da schaut' ich wieder jenes Bild, von dem
Ich euch vor kurzem sprach. Doch anders war
Des Bildes Ende dann. Nicht Ahriman
Erstand als Kämpfer mir; ein Geistesbote
Erschien an seiner Stelle, dess' Gestalt
Sich als mein eignes irrtumvolles Denken
Mir deutlich fühlbar gab. Da musst' ich mich
Erinnern jener Worte, die ihr spracht
Von Stärkung meiner Seelenkräftemacht.
Doch dann verschwand sogleich der Geistesbote. -»
Noch wenig Worte folgen, - sie zu lesen
Vermag ich nicht - ein Chaos deckt sie mir,
Gedankenschleier wirksam webend, zu.
(Ahriman erscheint; Benedictus erblickt ihn.)
Wer bist du, der du dich aus meinem Chaos
Im Seelenkreise schattenhaft belebst?

AHRIMAN (für sich):
Er schaut mich wohl, doch kennt er mich jetzt nicht.
So bringt er mir noch nicht den Schreckensschmerz,
Wenn ich an seiner Seite wirken will.
(Zu Benedictus.)
Ich kann dir weiter künden, was dir Strader
Vertrauen will zu deinem eignen Heil
Und auch für deiner Schüler Mystenweg.

BENEDICTUS:
Verbunden wird sich stets mein Mystenkreis
Der Seele Straders wissen, wenn auch ferner
Das Sinnensein die Brücke nicht mehr bildet.
Doch will ein Geistesbote sich uns nahn,
Der sich aus seinen Welten offenbart,

525

So muss er erst Vertrauen sich erwerben.
Er kann es nur, wenn er sich voll erkennbar
In unsrer Geistesschau bezeugen will.

AHRIMAN:
Ihr strebt doch nur die Selbsterkenntnis an;
Dann müsste fremdes Geistessein, das euch
Sich dienstbar will erweisen, eurem Selbst
Als Teil sich erst ergeben, sollt' es nur
Erkennbar euch zur Seite stehen dürfen.

BENEDICTUS:
Wer du auch seist, dem Guten dienst du nur,
Wenn du in dir nicht selber streben willst,
Wenn du im Menschendenken dich verlierst
Und so im Weltenwerden neu erstehst.

AHRIMAN:
Es ist jetzt Zeit, dass ich aus seinem Kreise
Mich schnellstens wende; denn sobald sein
Schauen Mich auch in meiner Wahrheit denken kann,
Erschafft sich mir in seinem Denken bald
Ein Teil der Kraft, die langsam mich vernichtet.
 
(Ahriman verschwindet.)

BENEDICTUS:
Jetzt erst erkenn' ich Ahriman, der selbst
Von hier entflieht, doch seines Wesens Kunde
Gedankenhaft in meinem Selbst erschafft.
Er strebt das Menschendenken zu verwirren,
Weil er in ihm die Quellen seiner Leiden
Durch einen altvererbten Irrtum sucht.
Er weiss noch nicht, dass ihm Erlösung nur
In Zukunft werden kann, wenn er sein Wesen
Im Spiegel dieses Denkens wiederfindet.
So zeigt er sich den Menschen wohl; doch nicht
Wie er in Wahrheit wesenhaft sich fühlt.

526

Sich offenbarend, doch sich auch verbergend,
Versuchte er des Augenblickes Gunst
Bei Strader jetzt in seiner Art zu nutzen.
Er wollt' in ihm auch dessen Freunde treffen;
Doch wird er Schülern meines Mystenwerkes
Sein Wesen künftig nicht verhüllen können. -
Sie sollen ihn in Wachsamkeit auch denken,
Wenn er in ihrem Schauen walten wird.--
Sie sollen seine vielen Formen deuten,
Die ihn verbergen wollen, wenn er sich
Den Menschenseelen offenbaren muss.
Du aber, Straders sonnenreife Seele,
Die du durch Stärkung deiner Geisteskräfte
Den Irrtumsboten zum Verschwinden zwangst,
Du wirst als Geistesstern den Freunden leuchten,
Du wirst Marias und Johannes' Sein
Mit deinem Licht in Zukunft stets durchdringen;
So werden sie durch dich noch stärker sich
Zu ihrem Geisteswerke rüsten können
Und sich als Seelenlichtes Offenbarer
Gedankenkräftig auch noch dann bezeugen,
Wenn über vollerwachtes Geistesschauen
Der finstre Ahriman, die Weisheit dämpfend,
Des Chaos Dunkelheit verbreiten will.

(Vorhang fällt.)

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