GA 309

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE ÜBER ERZIEHUNG

Anthroposophische Pädagogik
und ihre Voraussetzungen

Fünf Vorträge
gehalten in Bern vom 13. bis 17. April 1924
Mit drei Fragenbeantwortungen
und einer Ansprache
vor einer Vorführung pädagogischer Eurythmie

GA 309

1981

Inhaltsverzeichnis


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ERSTER VORTRAG Bern, 13. April 1924

Sehr verehrte Anwesende, vor allen Dingen möchte ich für die freund­liche und liebevolle Begrüßung meinen herzlichen Dank aussprechen. Ich durfte ja gerade aus dem Gebiet anthroposophischer Weltanschau­ung heraus von diesem Ort hier in Bern seit vielen Jahren reden. Und es ist ja auch hier eine Gruppe anthroposophischer Freunde, welche für die Pflege anthroposophischer Weltanschauung ihre Opfer bringen und ihre Persönlichkeit einsetzen. Das alles scheint mir in die Empfin­dungen aufgenommen werden zu müssen, wenn ich für die liebevollen Worte, die hier gesprochen worden sind, herzlichen Dank sage. Denn es gewährt mir schon eine ganz besondere Befriedigung, nachdem ich so oftmals hier in Bern über Anthroposophie im allgemeinen gespro­chen habe, über das pädagogische Gebiet aus dem Geiste der Anthro­posophie heraus nunmehr sprechen zu können, jenes Gebiet, das ja vor allen Dingen den Menschen auf dem Herzen liegen muß. Denn wieviel hängt ab davon, daß tatsächlich gewonnen werden könne eine solche Kunst der Erziehung und des Unterrichts, daß die Menschen erstens über manches hinauskommen, was ja in deutlicher Weise zeigt, wie sehr wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten in eine Art sozialen Chaos hineingekommen sind. Und aus diesem sozialen Chaos wird ja kaum etwas anderes herausführen können, ja man möchte sagen, ganz gewiß nicht etwas anderes herausführen können, als lediglich, wenn es uns gelingt, in die Seelen der Menschen Geistigkeit hinein zu erziehen, so daß die Menschen aus dem Geiste heraus den Weg finden zum Fort­schritt, zur Fortentwickelung der Zivilisation aus dem Geiste heraus; was uns so vertrauensvoll aus dem Grunde ansprechen muß, weil ja schließlich die Welt im Geiste und aus dem Geiste heraus geschaffen ist, und so auch menschliches Schaffen nur aus dem Urquell des Geistes heraus fruchtbar geschehen kann. Will aber der Mensch zu solchem fruchtbaren Schaffen aus dem Geiste heraus kommen, so muß er im Geiste erzogen und unterrichtet werden. Weil ich nun glaube, daß An­throposophie in der Tat manches zu sagen hat über Erziehungs- und

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Unterrichtswesen, gereicht es mir zur tiefen Befriedigung, hier diesen Kursus halten zu können, und aus dieser Befriedigung heraus ist mein Dank für die freundlichen, liebevollen Begrüßungsworte ausgesprochen.

Nun, es fühlen heute zahlreiche Menschen überall in der Welt, daß das Erziehungs-, das Unterrichtswesen in einem gewissen Sinne einen neuen Einschlag erhalten muß. Nicht, als ob nicht außerordentlich viel geschehen wäre im Laufe des an Fortschritten so fruchtbaren 19. Jahr­hunderts gerade für das Unterrichts- und Erziehungswesen, sondern vielmehr aus dem Grunde, weil die neuere Zivilisation eine Richtung genommen hat, welche eigentlich den Menschen wenig an den Men­schen herankommen läßt. Wir haben seit Jahrhunderten die großartigsten Fortschritte zu verzeichnen auf dem Gebiet der Naturwissenschaft und auf den Gebieten der Technik, die aus den Naturwissenschaften heraus erblühten. Wir haben auch gesehen, wie eine Art Weltanschauung aus diesen naturwissenschaftlichen Fortschritten heraus sich allmählich in der Zivilisation niedergeschlagen hat. Wir haben auch ge­sehen, wie eine Art Weltanschauung aus diesen naturwissenschaftlichen Fortschritten heraus sich allmählich in der Zivilisation niedergeschla­gen hat. Wir haben gesehen, wie das Weltgebäude einschließlich des Menschen gedacht wird im Sinne desjenigen, was die Sinne über die Naturerscheinungen und Naturwesen lehren, und was der an das Gehirn gebundene Verstand über die Sinneswelt auszusagen vermag. Allein, was noch nicht eine klare, deutliche Erkenntnis heute ist, un­zählige Menschen fühlen es, wollen es sich oftmals nur nicht gestehen, daß man mit all denjenigen Erkenntnissen, die die neuere Zeit gewonnen hat über den großen Umkreis der Natur, eigentlich nicht an den Menschen herankommen kann.

Und dieses Nicht-herankommen-Können, es muß ja ganz besonders gefühlt werden, wenn herangekommen werden soll an den werdenden Menschen, an das Kind. Daß etwas Fremdes sich gerade hineinschiebt zwischen den Lehrenden, Unterrichtenden und das Kind, das wird empfunden. Anthroposophie möchte auf der Grundlage wahrer und umfassender Menschenerkenntnis diesem Herzensruf, der von so vielen Seiten kommt, Rechnung tragen; Rechnung tragen in der Art, daß sie nicht irgendwie Theorien aufstellt über Pädagogik und Didaktik, sondern

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Rechnung tragen in dem Sinne, daß sie unmittelbar den Menschen dahin bringt, in die Schulpraxis einzugreifen. Anthroposophische Päd­agogik ist eigentliche Schulpraxis. Daher müßte man im Grunde ge­nommen, wenn man über anthroposophische Pädagogik reden will, die einzelnen praktischen Handhabungen im Unterricht vielleicht bei­spielsweise besprechen, allein da würde zunächst der Geist, aus dem das alles herausgeboren ist, sich nicht offenbaren können. Daher müs­sen Sie es mir schon gestatten, daß ich heute wenigstens einleitungs­weise spreche über diesen Geist anthroposophischer Pädagogik aus um­fassender Menschenerkenntnis heraus, aber auch aus eindringlicher Menschenerkenntnis aus dem anthroposophisch-pädagogischen Wirken.

Eindringliche Menschenerkenntnis! Was hat man sich darunter vor­zustellen? Wenn man dem Menschen, namentlich dem werdenden Men­schen, dern Kinde, wie ich schon sagte, gegenübertritt, kann man nicht auskommen damit, daß man gewisse Regeln hat darüber, wie es gut ist, zu erziehen und zu unterrichten, und dann sich etwa nach diesen Re­geln richten will, wie man die Sache in der Technik tun kann. Das führt niemals zu einer wirklichen Schulpraxis. Zur Schulpraxis braucht man im Handhaben des Unterrichts, im Handhaben der Erziehung inneres Feuer, inneren Enthusiasmus; man braucht Impulse, die nicht verstandesmäßig nach Regeln von dem Lehrenden und Erziehenden auf das Kind übergehen, sondern die in intimer Weise hinüberwirken von dem Erziehenden oder Lehrenden auf das Kind. Der ganze Mensch muß als Erzieher wirken, nicht bloß der denkende Mensch; der füh­lende Mensch muß es, der wollende Mensch muß es.

Die naturwissenschaftliche Gesinnung und Weltanschauung ist viel mehr der neueren Menschheit in die Glieder gefahren, als man denkt. Auch derjenige, der keine besondere Bildung in Naturwissenschaft hat, denkt, fühlt und will eigentlich, man möchte sagen, auf naturwissen­schaftliche Art. Das kann man in der Schule eben nicht; denn mit dieser naturwissenschaftlichen Art, mit dieser naturwissenschaftlichen Ge­sinnung erreicht man nur ein Glied der menschlichen Wesenheit: den physisch-sinnlichen Leib. Aber das ist eben nur ein Glied dieser mensch­lichen Wesenheit. Und gerade Anthroposophie zeigt, daß der ganze Mensch von einer wahren Menschenerkenntnis angeschaut werden

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kann nach drei deutlich voneinander unterschiedenen Gliedern: nach dem körperlichen, physischen Glied, nach dem seelischen Gliede, nach dem geistigen Gliede. Und nur dann sehen wir auf den ganzen Menschen hin, wenn wir ebensoviel Sinn und Erkenntnisfähigkeit haben, die Seele zu erkennen in ihrer ursprünglichen Eigenart wie den physischen Leib; und wenn wir weiter ebensoviel Sinn und Erkenntnisfähigkeit haben, den Geist im Menschen als selbständige Wesenheit zu erkennen. Aber im Kinde sind eben auf andere Art Leib, Seele und Geist miteinander verbunden als später beim erwachsenen Menschen. Und gerade dieses Heraustreten aus der Verbindung mit dem physischen Leibe läßt die Beobachtung von Seele und Geist am Kinde, ich möchte sagen, als das größte Erkenntnis- und lebenspraktische Wunder im menschlichen Da­sein erkennen.

Sehen wir einmal auf das kleine Kind hin, wie es in die Welt her­eingeboren wird. Zauberhaft ist es, wie in die unbestimmten Gesichts­züge, in die chaotischen Bewegungen, in all dasjenige, was von dem Kinde ausgeht und noch nicht zusammenzugehören scheint, wie in all das, hervorquellend aus dem tiefsten Inneren, Geist getragen wird; wie Ordnung hineinkommt in den Blick, in die Bewegung der Gesichts-glieder und die anderen Glieder des menschlichen Leibes, wie immer ausdrucksvoller und ausdrucksvoller die Gesichtszüge werden; wie im­mer mehr in Auge und Gesichtszügen der aus dem Inneren an die Ober­fläche arbeitende Geist sich zeigt, die das ganze Leibliche durchdrin­gende Seele sich offenbart. Wie das alles geschieht, das kann derjenige, der unbefangen und ernsten Sinnes solches zu betrachten vermag, nicht anders ansehen, als indem er gerade durch das, was das werdende Kind ihm sagt, mit scheuer Ehrfurcht hineinblickt in die Wunder und Rätsel des Welten- und des menschlichen Daseins.

Und wenn wir sehen, wie dieses Kind sich entwickelt, so zeigt sich uns wiederum, wie das Leben dieses Kindes gegliedert ist in einzelne Lebensepochen, die deutlich voneinander unterschieden sind, die nur gewöhnlich nicht unterschieden werden, weil sie in intimer Erkennt­nis unterschieden werden müssen, und weil man heute aus den groben naturwissenschaftlichen Begriffen heraus sich nicht gern zu solch in­timer Erkenntnis bequemt.

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Ein erster bedeutsamer Umwandlungsprozeß geht mit dem Kinde vor sich ungefähr um das 7. Jahr herum, wenn das Kind die zweiten Zähne bekommt. Schon der äußere physische Prozeß dieses Zweite­Zähne-Bekommens ist ja interessant genug: wie sie da sind, die er­sten Zähne, die anderen sich nachschieben, wie die ersten ausgesto­ßen werden. Solange man nur oberflächlich diesen Vorgang ansieht, kann man beim Zahnwechsel stehenbleiben. Wenn man aber tiefer hin­einschaut mit den Mitteln, die gerade in diesem Kursus besprochen werden sollen, wird man gewahr, wie da, wenn auch in feinerer Weise als beim Zahnwechsel selber, in dieser Umwandlungsphase durch den ganzen Körper des Kindes etwas vorgeht. Dasjenige, was nur in gröb­ster, radikalster Weise im Zahnwechsel sich zeigt, das geht eigentlich im ganzen Körper vor sich. Denn, was geschieht da eigentlich? Sie kön­nen ja alle sehen, wie eigentlich der menschliche Organismus sich ent­wickelt: Sie schneiden sich die Nägel, Sie schneiden die Haare, Sie fin­den, daß die Haut abschuppt. Das alles zeigt, daß an der Oberfläche physische Substanz abgestoßen wird, und daß sie von innen heraus nachgeschoben wird. Dieses Nachschieben, das wir beim Zahnwechsel sehen, ist beim ganzen Menschenleib vorhanden. Eine genauere Er­kenntnis zeigt uns, daß in der Tat das Kind den Leib, den es durch Vererbung mitbekommen hat, jetzt nach und nach ausgetrieben hat, ausgestoßen hat. So wie die ersten Zähne abgestoßen sind, so ist der ganze erste Leib abgestoßen. Und in der Epoche des Zahnwechsels steht das Kind vor uns mit einem gegenüber dem Geburtsleib völlig neuge­bildeten Leib. Der Geburtsleib ist wie die ersten Zähne abgestoßen, ein neuer Leib ist gebildet.

Was ist da im Intimeren geschehen? Den ersten Leib, den das Kind erhalten hat, hat es aus der Vererbung erhalten. Er ist sozusagen das Produkt desjenigen, was durch das Zusammenwirken von Vater und Mutter geschehen ist. Er bildet sich aus den physischen Erdenverhält-nissen heraus. Aber was ist er, dieser physische Leib? Er ist das Modell, das die Erde dem Menschen gibt für seine eigentliche menschliche Ent­wickelung. Denn das Seelisch-Geistige des Menschen, es steigt ja her­unter aus einer seelisch-geistigen Welt, in der es war, bevor die Emp­fängnis und die Geburt eingetreten sind. Wir alle waren, bevor wir

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Erdenmenschen geworden sind im physischen Leib, geistig-seelische Wesenheiten in einer geistig-seelischen Welt. Und dasjenige, was uns an physischer Vererbungssubstanz Vater und Mutter geben, das ver­einigt sich im Embryonalleben mit demjenigen, was rein geistig-seelisch aus einer höheren Welt heruntersteigt. Der geistig-seelische Mensch er­greift den physischen Leib, der aus der Vererbungsströmung herrührt. Der wird sein Modell, und nach diesem Modell wird jetzt ein völlig neuer menschlicher Organismus mit Abstoßung des vererbten Orga­nismus gebildet. So daß, wenn wir auf das Kind hinschauen zwischen der Geburt und dem Zahnwechsel, wir sagen müssen: Da arbeitet sich hinein in den physischen Leib, der lediglich der physischen Vererbung sein Dasein verdankt, das Ergebnis des Zusammenwirkens dessen, was der Mensch mitbringt auf die Erde, mit demjenigen, was er an Stoffen und Substanzen von der Erde aufnimmt. Mit dem Zahnwechsel hat der Mensch nach dem Modell des vererbten Leibes einen zweiten Leib sich gebildet; und dieser zweite Leib ist das Produkt des seelisch-geistigen Wesens des Menschen.

Selbstverständlich kennt derjenige, der aus einer intimeren Men­schenbeobachtung heraus zu solchen Ergebnissen kommt, wie ich sie jetzt ausgesprochen habe, die Einwendungen, die dagegen gemacht werden können. Diese Einwendungen sind auf der Hand liegend. Man wird selbstverständlich sagen: Zeigt sich nicht in der Ahnlichkeit mit den Eltern, die oftmals nach dem Zahnwechsel auftritt, zeigt sich da nicht, wie der Mensch auch später, nach dem Zahnwechsel, den Ge­setzen der Vererbung auch weiter unterliegt? - So könnte man vieles einwenden. Aber nehmen Sie nur das Folgende: Wir haben ein Modell, das aus der Vererbungsströmung herrührt. Nach diesem Modell arbei­ten jetzt Geist und Seele den zweiten Menschen aus. Da ja auch sonst nicht die Tendenz besteht, dasjenige, was nach einem Modell ausgearbei­tet wird, just ganz unähnlich dem Modell auszugestalten, so ist es auch klar, daß das Geistig-Seelische die Anwesenheit des Modelles dazu be­nützt, den zweiten menschlichen Organismus ähnlich zu gestalten. Aber immerhin, wenn man Sinn und Erkenntnisfähigkeit hat für das, was da eigentlich vorgeht, wird man auf das Folgende kommen: Es gibt Kinder, die zeigen in ihrem 9., 10., ii. Lebensjahr, wie fast ganz ähnlich ihr zweiter

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Organismus - denn ein zweiter Organismus ist eben da - dem ersten, vererbten, ist. Andere Kinder zeigen, wie unähnlich dieser zweite Or­ganismus diesem ersten wird, wie etwas ganz anderes aus dem Zentrum des Menschenwesens heraus arbeitet, als vorerst vererbt war. Alle Va­rianten zwischen diesen beiden Extremen treten auf im menschlichen Leben. Denn indem das Geistig-Seelische den zweiten Organismus aus-arbeitet, will es vor allen Dingen der Wesenheit gehorchen, welche es mitbringt aus der geistig-seelischen Welt, wenn es heruntersteigt. Es entsteht ein Kampf zwischen dem, was den zweiten Organismus her-ausarbeiten soll, und dem, was der erste Organismus aus der Vererbung bekommen hat. Je nachdem der Mensch stärker oder schwächer ist -wir werden in den folgenden Vorträgen sehen, warum das so ist - aus dem geistig-seelischen Dasein, desto mehr kann er seinem zweiten Orga­nismus eine besonders durchseelte, individuelle Gestalt geben, oder aber, wenn er schwächer herabkommt, wird er sich möglichst genau an das Modell halten.

Aber bedenken Sie, womit wir es da zu tun haben, wenn wir das Kind erziehen sollen in seinem ersten Lebensalter von der Geburt bis zum Zahnwechsel hin! Wir müssen gestehen, wir schauen ehrfurchts­voll hin, wie die göttlich-geistigen Mächte herunterarbeiten aus über­sinnlichen Welten. Wir sehen sie von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr in den ersten Lebensepochen herausarbeiten, so weit herausarbeiten, daß sie einen besonderen zwei­ten Leib bilden. Und indem wir erziehen, nehmen wir teil an dieser Arbeit des Geistig-Seelischen; wir setzen fort für das physische Men­schendasein dasjenige, was die göttlich-geistigen Mächte eingeleitet haben. Wir nehmen an göttlicher Arbeit teil.

Solche Dinge dürfen nicht bloß mit dem Verstande erfaßt werden. Solche Dinge müssen mit dem ganzen Menschen erfaßt werden. Dann bekommt man vor allen Dingen ein Gefühl von der ganzen Größe der Aufgabe gegenüber den schaffenden Mächten der Welt, welche die Er­ziehung insbesondere im ersten kindlichen Lebensalter hat. Aber ich möchte sagen, dieser erste Anhub, den das Geistig-Seelische unter­nimmt, um einen zweiten menschlichen Organismus zu schaffen, der zeigt uns wirklich, wie beim Kinde körperliches Gestalten, seelisches

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Wirken, geistiges Schaffen eine Einheit sind. Alles das, was da geschieht im Bilden des neuen Organismus, im Abstoßen des alten, ist beim Kinde Einheit von Geist, Seele und Leib.

Daher zeigt sich das Kind in einer ganz anderen Art als später der Erwachsene. Das kann an einzelnen Erscheinungen durchaus beob­achtet werden. Im erwachsenen Zustand bekommen wir irgend etwas Süßes in den Mund, unsere Zunge, unser Gaumen nimmt das Süße wahr. Allein diese Geschmackswahrnehmung hört auf, wenn die süße Sub­stanz in einer gewissen Weise an eine gewisse Stelle des Organismus hin­gekommen ist. Den weiteren Verlauf verfolgen wir als erwachsene Menschen nicht mehr mit dem Geschmack. Im Kinde geht das anders. Beim Kinde geht der Geschmack durch den ganzen Organismus; es schmeckt nicht nur mit Zunge und Gaumen, es schmeckt mit dem gan­zen Organismus; es zieht die Süßigkeit durch den ganzen Organismus. Das Kind ist eben ganz Sinnesorgan.

Worin besteht das Wesen eines Sinnesorganes? Nehmen wir das menschliche Auge. Farbeneindrücke werden auf das menschliche Auge gemacht. Wer dasjenige, was der Mensch beim Sehen vollbringt, richtig ansieht, der sagt: Wille und Wahrnehmung ist im Auge eines; das bleibt an der Oberfläche, an der Peripherie des Menschen. Im ersten Kindes­alter, von der Geburt bis zum Zahnwechsel, geht das - allerdings in feiner Weise - durch den ganzen Organismus. Der ganze Organismus des Kindes schaut sich an wie ein umfassendes Sinnesorgan. Und daher machen alle Eindrücke, die aus der Umgebung auf das Kind wirken, ganz andere Wirkungen im kindlichen Menschen als im erwachsenen Menschen. Dasjenige, was in der Umgebung vor sich geht, was mit dem Auge geschaut werden kann, ist im Menschen der Ausdruck des mensch­lich Seelenhaften, der menschlichen Moralität. Das Kind hat ganz un­terbewußt oder unbewußt, allerdings nicht im Bewußtsein, ein feines, intimes Wahrnehmungsvermögen für dasjenige, was sich ausspricht in jeder Bewegung, jeder Regung bei den Menschen der Umgebung. Wenn ein Jähzorniger in der Umgebung des Kindes aus dem Jähzorn heraus seine Regungen durchmacht, und in der äußeren Sinneswalirnehmung das Kind in solcher unbewußten Art schauen läßt, was er tut: oh, man täuscht sich sehr, wenn man glauben würde, daß das Kind nur diese

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Bewegungen sieht. Das Kind hat einen deutlichen Eindruck von dem, was in den moralischen Regungen drinnen liegt, wenn auch nicht be­wußt. Das Auge hat auch keinen bewußten Sinneseindruck, sondern einen unbewußten. Alles, was sich moralisch-seelisch in unsinnlicher Weise offenbart, strömt in das Kind ein wie die Farben in das Auge, weil der ganze kindliche Organismus Sinnesorgan ist.

Aber dieser Organismus ist fein organisiert. Deshalb setzt sich jeder Eindruck fort in dem ganzen kindlichen Organismus. Zunächst ist der Eindruck, den das Kind empfindet von dem, was sich moralisch offen­bart, ein seelischer Eindruck. Aber bei dem Kinde geht alles Seelische in das Leibliche hinunter. Wenn das Kind einen Schreck erfährt an den Eindrücken der Umgebung, aber ebenso alles, was an Freude und Erhebung lebt, geht über, wenn auch nicht in so grober Art, sondern in feiner Weise, in die Wachstums-, Zirkulations- und Verdauungspro­zesse. Ein Kind, das jede Stunde zu fürchten hat die Eindrücke, die von einem Jähzornigen ausgehen, der jeden Augenblick einen Zorn be­kommt, erlebt etwas Seelisches, das sogleich eindringt in Atmung und Blutzirkulation und auch in seine Verdauungstätigkeit. Das ist das Be­deutsame, daß wir für das kindliche Alter gar nicht sprechen können bloß von körperlicher Erziehung, weil die Seelenerziehung eine körper­liche ist, weil alles Seelische sich metamorphosiert in das Körperliche, ein Körperliches wird.

Und was das für eine Bedeutung hat, wird einem erst klar, wenn man aus wirklicher Menschenerkenntnis heraus nicht bloß auf das Kind hinschaut und Erziehungs- und Unterrichtsgrundsätze prägt, sondern wenn man hinschaut auf das ganze menschliche Erdenleben. Das ist nicht so bequem wie ein bloße Beobachtung des Kindes. Eine Beobach­tung des Kindes: nun, man registriert, wie das Gedächtnis ist, das Denk­vermögen, die Sinneswahrnehmungen des Auges, des Ohres und so weiter; man registriert für den Augenblick oder doch für eine kurze Zeit. Aber damit hat man gar nichts getan für die Erkenntnis des Men­schen. Denn geradeso wie bei der Pflanze in dem Samen, der zur Wur­zel wird, schon darin liegt, was nach langer Zeit in Blüte und Frucht zum Vorschein kommt, so liegt in dem Kinde bis zum Zahnwechsel hin, weil es für alles Seelische körperlich empfänglich ist, der Keim für

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Glück und Unglück, für Gesundheit und Krankheit für das ganze Er­denleben bis zum Tode hin. Und dasjenige, was wir als Lehrer oder Erzieher in das Kind einströmen lassen in der ersten Lebensepoche, die hinunterwirkt in Blut und Atmung und Verdauung, das ist wie ein Keim, der manchmal erst aufgeht in Form von Gesundheit und Krank­heit des Menschen im 40., 50. Lebensjahr. Ja, so ist es: Wie der Erzie­hende sich benimmt gegenüber dem kleinen Kinde, damit veranlagt er es zum innerlichen Glück oder Unglück, zu Gesundheit oder Krankheit.

Das zeigt sich ja insbesondere, wenn wir im einzelnen diese Wir­kungen des Erziehenden auf das Kind aus den Tatsachen des Lebens heraus beobachten. Diese Tatsachen lassen sich ebenso beobachten wie die physikalischen Tatsachen im Laboratorium oder wie die Pflanzen-tatsachen im botanischen Kabinett; aber man tut es gewöhnlich nicht. Nehmen wir einzelne Fälle heraus. Sagen wir einmal, wir wollen rein betrachten zunächst, wie der Lehrer neben dem Kinde in der Schule steht. Betrachten wir zunächst den Lehrer, und betrachten wir ihn nach seinem Temperament. Wir wissen, nach dem Temperament kann der Mensch sein ein energischer, aber auch zornmutiger, jähzorniger Mensch, ein Choleriker, oder ein innerlich sich in sich zusammenzie­hender und mehr auf sich hinschauender, nur in sich empfindender, die Welt meidender Melancholiker; oder ein für äußere Eindrücke rasch Empfänglicher, der von Eindruck zu Eindruck eilt, ein Sangui­niker; oder einer, der alles gehen läßt, dem alles gleichgültig ist, der nicht gedrückt ist von äußeren Eindrücken, der alles vorübergehen läßt, ein Phlegmatiker.

Nehmen wir zunächst an, die Lehrerbildungsstätte hätte nicht dafür gesorgt, solche Temperamente abzuschleifen und in richtiger Weise in die Schule hineinzustellen, sondern solche Temperamente wirkten sich aus, sie schössen in die Zügel mit einem gewissen Radikalismus. Neh­men wir das cholerische Temperament: ein Kind im Lebensalter bis zum Zahnwechsel ist ausgesetzt dein cholerischen Temperament. Wenn der Lehrende, der Erziehende sich ganz gehen läßt in diesem seinem cholerischen Temperament, dann wird fortdauernd auf das Kind ein seelischer Eindruck ausgeübt, welcher dahin geht, daß dieses Kind in bezug auf sein Zirkulationssystem, in bezug auf alles das, was innerlicher

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Rhythmus ist, starke Eindrücke erhält. Diese Eindrücke, die gehen zunächst nicht sehr tief, aber sie sind eben auch erst ein Keim; und dieser Keim wächst und wächst, wie alle Keime wachsen. Es kann zuweilen so im 40., 50. Lebensjahr in Zirkulationsstörungen des rhyth­mischen Systems die Wirkung ungezügelten cholerischen Temperamen­tes beim Erziehenden auftreten. Wir erziehen eben das Kind nicht bloß für das kindliche Alter; wir erziehen es für das ganze Erdendasein und, wie wir später sehen werden, auch noch für die Zeit darüber hinaus.

Oder nehmen wir an, der Melancholiker läßt seinem Temperament die Zügel schießen; er habe nicht mit der Seminarbildung aufgenommen den Impuls, es zu harmonisieren, es in der richtigen Weise an das Kind herantreten zu lassen; er gibt sich seiner Melancholie hin in dem Ver­kehr mit dem Kinde. Dadurch, daß er eine solche Melancholie in sich lebt, fühlt und denkt, dadurch entzieht er fortwährend dem Kinde dasjenige, was eigentlich vom Lehrer auf das Kind überströmen sollte:

Wärme. Der Erziehung fehlt häufig jene Wärme, die zunächst als See-lenwärme wirkt, die aber beim Kinde heruntergeht vorzugsweise in das Verdauungssystem und Keimanlagen darin hervorruft, die in spä­terem Lebensalter auftreten in allerlei Störungen, krankhaften Störun­gen des Blutes oder wenigstens in krankhaften Anlagen des Blutes und so weiter.

Nehmen wir den Phlegmatiker, dem alles gleichgültig ist, was er mit dem Kinde tut. Ein ganz besonderes Verhältnis spinnt sich an zwi­schen ihm und dem Kinde. Es ist etwas nicht Kaltes, aber furchtbar Wässeriges im seelischen Sinne zwischen einem solchen Erzieher und dern Kinde. Es wird nichts so stark entwickelt, daß ein richtiges Hin­und-Herströmen des Seelischen zwischen dern Erziehenden und dem Kinde da ist; das Kind wird nicht genügend innerlich regsam gemacht. Verfolgt man ein Menschenkind, das unter dem Einfluß des Phlegmas, eines phlegmatischen Temperamentes sich entwickeln mußte bis in ein höheres Lebensalter, so merkt man oftmals, wie Anlage zur Gehirn­schwäche, Blutleere im Gehirn, Stumpfheit der Gehirntätigkeit im spä­teren Lebensalter auftritt.

Sehen wir, wie ein Sanguiniker, der seinem Sanguinismus die Zügel schießen läßt, auf das Kind wirkt. Er ist jedem Eindrucke hingegeben,

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aber die Eindrücke gehen schnell vorüber. Er lebt auf besondere Art auch in sich, aber mit sich in den äußeren Dingen. Das Kind kann nicht mitgehen; die Reize, die gerade dadurch, daß der Lehrer von Eindruck zu Eindruck eilt, auf das Kind ausgeübt werden, sie greifen nicht an, denn das Kind braucht liebevolles Gehaltenwerden bei einem Eindruck, wenn es wirklich innerlich regsam genug gemacht werden soll. Verfol­gen wir ein Kind, das unter übertrieben sich gehenlassendem Sangui­nismus aufwächst, so zeigt es sich im späteren Alter, daß der erwach­sene Mensch, der sich aus dern Kinde entwickelt hat, Mangel an Vital-kraft hat, zu wenig Lebenskraft zeigt, wenig Gehalt zeigt und derglei­chen. So daß man eigentlich, wenn man dafür den Blick hat - und Er­ziehen beruht auf Intimität des seelischen Blickes -, an dern Typus, den ein Mensch angenommen hat, noch im 40., 50. Lebensjahr sagen kann:

auf diesen Menschen hat ein melancholisches, phlegmatisches, chole­risches oder sanguinisches Lehrertemperament eingewirkt.

Ich sage das in der Einleitung nicht, um etwa Angaben zu machen, wie diese Dinge für die Lehrerausbildung fruchtbar zu machen sind; ich möchte zunächst hinweisen, wie dasjenige, was wir mit dern Kinde vornehmen, nicht etwa bloß, wenn es ein Seelisches ist, Seelisches bleibt, sondern daß es durchaus in das Körperliche übergeht. Seelisch das Kind erziehen, heißt, es für das ganze Erdenleben auch körperlich erziehen.

Der Anthroposophie sagt man sehr oft nach, daß sie zu dern See­lischen den Geist suche. Mancher Mensch wird heute schon sehr kri­tisch und ablehnend, wenn ihm überhaupt vom Geist gesprochen wird; und daher glaubt man leicht, nun ja, Anthroposophie ist so eine Phan­tasterei. Da wird aus dern Wirklichen, das für die Sinne erscheint, ein Dunst und Nebel heraus abstrahiert; der im Geiste Vernünftige braucht sich nicht einzulassen auf diesen Dunst und Nebel. - Aber gerade An­throposophie in ihren pädagogischen Auswirkungen möchte, daß im richtigen Sinne die Grundsätze für körperliche Erziehung Anwendung finden, weil sie weiß, daß gerade beim Kinde in der ersten Lebensepoche das Körperliche überall von den seelischen Impulsen beeinflußt wird. Ich möchte sagen: Man suche einmal die Grundlage bewußt, daß ein Seelisch-Geistiges überall zugrunde liegt dern körperlichen Wirken; dann kann man für die Entwickelung des Kindes von der Geburt bis

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zum Zahnwechsel ganz gut Materialist sein und bloß auf das Stoff­liche wirken, denn so wie das Stoffliche im Kinde wirkt, ist es eine Einheit von Seele und Geist. Niemand versteht das Stoffliche im Kinde, der nicht so Seele und Geist ästimiert. Aber es offenbaren sich Seele und Geist durchaus in dem, was äußerlich stofflich zutage tritt.

Zum Erziehen gehört Verantwortlichkeitsgefühl. Dieses Verant­wortlichkeitsgefühl, es tritt einem aus einer solchen Betrachtung wirk­lich recht stark vor das Seelenauge und ergreift das menschliche Herz. Denn geht man an die Erziehung heran, indem man weiß, dasjenige, was man an dem Kinde bewirkt, lebt fort als Glück, Unglück, Gesund­heit, Krankheit im ganzen Erdenleben: es lastet zunächst auf der Seele, aber es spornt auch an, diejenigen Kräfte und Fähigkeiten und vor allen Dingen diejenige Seelenverfassung als Erzieher in sich auszubilden, die stark genug sein wird, jene Seelenkeime im kindlichen Alter zu pflan­zen, die erst im späteren, manchmal im sehr späten Alter aufgehen.

So ist diejenige Menschenerkenntnis, die Anthroposophie zur Grund­lage der pädagogischen Kunst macht. Sie ist nicht bloß die Erkenntnis dessen, was gerade in einem bestimmten Lebensstadium, zum Beispiel im kindlichen, vor uns steht, sondern sie ist hervorgegangen aus der Anschauung des ganzen menschlichen Erdenlebens. Denn der Mensch, was ist er denn seinem Erdenleben nach? Sehen Sie, wenn wir den Men­schen anschauen, wie er vor uns steht in jedem Augenblick, so sagen wir, er sei ein Organismus. Warum ist er das? Weil alles, alles einzelne an ihm in Harmonie mit der ganzen Bildung des Organismus steht. Wer sich einen Blick aneignet für die inneren Beziehungen in Gestalt, Größe und so weiter der einzelnen Glieder des menschlichen Organis­mus, wie sie zusammenpassen, sich aneinander harmonisieren, eine Einheit bilden, eine Mannigfaltigkeit in der Einheit bilden, wer sich dafür den Blick aneignet, schaut sich den kleinen Finger des Menschen an. Wenn er das Ohrläppchen auch nicht sieht, weiß er ungefähr, wie das Ohrläppchen gestaltet ist; denn bei einer gewissen Gestaltung des kleinen Fingers wird das Ohrläppchen in einer gewissen Weise gestal­tet sein und so weiter. Es ist so, daß das kleinste und das größte Glied des menschlichen Organismus nach dem Ganzen gebildet ist, aber daß es auch nach jedem anderen Glied gebildet ist, so daß wir ein Organ

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im Kopfe nicht verstehen, wenn wir es nicht in Einklang, in Beziehung zu schauen vermögen mit einem Organ am Bein oder Fuße. Das ist der Fall für den Raumesorganismus, den Organismus, der im Raume aus­gebreitet ist. Aber der Mensch hat nicht nur den Raumesorganismus, er hat auch den Zeitorganismus. Und ebenso wie das Ohrläppchen gebil­det ist nach der Bildung des Ganzen und auch nach der Bildung, sagen wir des kleinen Fingers oder des Knies und so weiter, so steht dasjenige, was der Mensch im 50. Lebensjahr erlebt an physischer Gesundheit, an Krankheit, an seelischem Aufgeräumtsein oder Niedergeschlagensein, an geistiger Klarheit oder Dumpfheit, diese seelische Konfiguration des Menschen im 50. Lebensjahr steht im innigsten Verhältnis mit dem, was der Mensch im 10., 7. oder 4. Lebensjahr in dieser Beziehung in sich trug. So wie die Glieder im Raumesorganismus, so stehen die zeitlich voneinander getrennten Glieder im Zeitenorganismus in Beziehung zueinander. In gewisser Beziehung können wir sagen: Wenn wir 5 Jahre geworden sind - natürlich, der triviale Einwand gilt nicht, daß wir eher sterben können, da liegen andere Verhältnisse vor -, wenn wir 5 Jahre alt geworden sind, ist das, was in uns ist, schon im Einklang mit dem, was wir sein werden, wenn wir 40 Jahre alt sein werden. Der Mensch ist außerdem, daß er ein Raumesorganismus ist, ein Zeitenor­ganismus. Und wenn jemand einen Finger findet, so müßte schon dieser Finger eben erst abgeschnitten sein, damit er überhaupt einem Finger ähnlich sein kann: er wird sehr bald nicht mehr ein Finger sein; wenn er lange vom Organismus getrennt ist, verschrumpft er, wird er etwas anderes als ein menschliches Glied. Ein vom menschlichen Organismus getrennter Finger ist kein Finger; er könnte niemals leben, abgetrennt von seinem Leibe, und das ist nichts, ist kein in sich Beständiges, ist gar keine Wirklichkeit; er ist nur eine Wirklichkeit mit dern ganzen Erden-leib zwischen Geburt und Tod zusammen.

Wenn wir dies betrachten, werden wir uns auch klar sein darüber, daß wir in alldem, was wir an das Kind heranbringen, den Zeitenorga­nismus berücksichtigen müssen. Denken Sie sich nur einmal, wenn der Mensch ebenso beeinflussen könnte den Raumesorganismus, wie er den Zeitenorganismus oftmals beeinflußt, was dann aus diesem Raumes-organismus würde! Nehmen wir an, wir führten in den Menschenmagen

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eine Substanz ein, die den Kopf zerstört. Wir schauten nur auf den Magen, wir schauten nicht auf das, was aus dieser Substanz wird, wenn sie sich im Organismus verteilt und bis zum Kopfe kommt. Der­jenige, der den menschlichen Organismus verstehen will, muß sagen können aus dem, was vorgeht mit einer Substanz im menschlichen Ma­gen, was dieser Vorgang für eine Bedeutung für den Kopf hat. Die Substanz muß vom Magen bis zum Kopf fortwährend Veränderungen, Metamorphosen durchmachen, muß beweglich sein. Beim Zeitenorga­nismus versündigen wir uns dem Kinde gegenüber häufig. Wir sehen darauf, daß das Kind uns schon entgegenbringe so klare, scharfe Be­griffe, Begriffe mit scharfen Konturen; wir werden unwillig, wenn das Kind elastische Begriffe hat, die nicht recht scharf sind. Wir arbei­ten dahin, dem Kinde etwas beizubringen, das es dann so in der Seele behält, daß es uns das wieder vorschwatzen kann. Wir sind oftmals besonders glücklich, wenn wir einem ganz jungen Kinde etwas bei­bringen, das es nach Jahren in derselben Gestalt wieder vorschwatzt. Aber das ist gerade so, wie wenn wir einem Kinde mit 3 Jahren Stiefel machen lassen und verlangen, daß es mit 10 Jahren diese Stiefel an-ziehe und sie ihm noch passen. In Wahrheit handelt es sich darum, daß wir dem Kinde beibringen lebendige, biegsame, elastische Begriffe, die, wie die äußeren physischen Glieder wachsen, so seelisch mit dern Men­schen heranwachsen. Das ist unbequemer, als dern Kinde Definitionen zu geben von dern und jenem, die es sich merken muß, die bleiben sollen, wie wenn man verlangen würde, daß Stiefel eines Kindes von 3 Jahren passen sollen für Füße eines Kindes von 10 Jahren. Man muß mit den Regungen des Kindes mitleben, muß eine Freude haben, dern Kinde etwas zu geben, was innerlich biegsam und elastisch ist, damit das Kind, so wie es mit den physischen Gliedern wächst, mit diesen Begriffen, Empfindungen, Gefühlsregungen heranwächst, so daß es in kurzer Zeit etwas anderes macht aus dem, was wir ihm gegeben haben. Da braucht man innige Freude am Werden und Wachsen; man kann nicht Pedantis­mus brauchen, nicht das Leben in zu scharf konturierten Begriffen brauchen. Man kann nur gebrauchen dasjenige, was regsames, sich ge­staltendes, wachsendes, gedeihendes Leben ist. Und derjenige, der für solches wachsende, gedeihende Leben etwas an Sinn hat, der ist schon

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verwandt als Erzieher mit dem Kinde, weil Leben in ihm ist und das Leben von ihm auf das Leben verlangende Kind übergeht. Und das brauchen wir vor allen Dingen, daß vieles Totes, das in unserer Didak­tik und Pädagogik ist, in Leben umgewandelt werde. Daher brauchen wir eine Menschenerkenntnis, die nicht sagt: so und so und so ist der Mensch bloß, das und das ist der Mensch; wir brauchen eine Menschen-erkenntnis, die auf den ganzen Menschen wirkt, wie die physische Nahrung auf das Blut wirkt. Das Blut zirkuliert im Menschen. Wir brauchen eine Menschenerkenntnis, die uns seelisches Blut gibt, die uns nicht nur gescheit und verständig und vernünftig machen kann, son­dern die uns enthusiastisch machen kann, innerlich beweglich machen kann, die Liebe entzünden kann. Denn liebegetragen muß dasjenige an Pädagogik sein, was aus wahrer Menschenerkenntnis hervorquillt.

Damit wollte ich zunächst nur einleitende Andeutungen geben über die Voraussetzungen, welche der Pädagogik aus der Anthroposophie heraus gegeben werden sollen. Es wird sich im weiteren darum han­deln, wie nun in der Schulpraxis im einzelnen dieser Geist anthropo­sophischer Pädagogik verwirklicht werden kann. Davon darf ich dann morgen und die folgenden Tage weiter sprechen.

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ZWEITER VORTRAG Bern, 14. April 1924

Sie werden gesehen haben, daß es sich bei der Grundlegung einer pädago­gischen Kunst um eine Menschenerkenntnis handelt, die intimer an den Menschen herandringen kann als diejenige Menschenerkenntnis, die heute anerkannt wird dadurch, daß man jegliches Erkennen naturwis­senschaftlich begründen will. Da aber, wie wir gesehen haben, Natur­wissenschaft überhaupt nicht in Wirklichkeit an den Menschen und sein Wesen herandringen kann, so kann eben aus einer naturwissen­schaftlichen Gesinnung keine wirkliche Menschenerkenntnis kommen. Anthroposophie will wirkliche Menschenerkenntnis neben einer sol­chen Welterkenntnis liefern, die geistdurchdrungen ist, weil die Welt selbst geistdurchdrungen ist. Dadurch möchte Anthroposophie auch begründen können eine wirkliche Pädagogik. Man soll aber nun ja nicht glauben - dieser Irrtum kann leicht entstehen -, daß irgend bei denjenigen Persönlichkeiten, die sich zu Anthroposophie bekennen, der Drang besteht, anthroposophische Schulen zu begründen, Schulen, in denen Anthroposophie als Weltanschauung, wie es nun heute ein­mal ist, an die Stelle anderer, verstandesmäßiger, herzmäßiger Welt­anschauungen gesetzt werden soll. Das ist zunächst gar nicht die Ab­sicht, und es ist wichtig, daß man berücksichtige, daß das gar nicht die Absicht ist. Die Pädagogik, von der hier gesprochen wird, will in sich aufnehmen aus Anthroposophie lediglich die methodischen und didak­tischen Elemente im Erziehen und Unterrichten. Und nur weil die be­rechtigte Ansicht bestehen kann bei denjenigen, die in Anthroposophie wirklich eindringen, daß diese imstande ist, aus ihrer Menschenerkennt­nis heraus auch die entsprechenden wirklich praktischen Regeln zur Menschenbehandlung zu finden, deshalb darf auch angenommen wer­den, daß in die Handhabung, in die Methode, in das Wie des Lehrens und Erziehens durch die Anthroposophie dasjenige hineinkommt, was überhaupt notwendig ist.

Ich möchte nun wie als eine Anmerkung erwähnen, daß wir ja in Stuttgart, wo wir in der Lage sind, seit Jahren im Sinne der anthroposophischen

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Pädagogik in der Waldorfschule zu wirken, auch nach außen hin ganz klar erkennen ließen, daß es nicht darauf ankommt, Anthroposophie als solche in die Schule hineinzutragen. Wir haben einfach den Religionsunterricht als solchen übergeben für katholische Kinder dem katholischen Priester, für evangelische Kinder dern evan­gelischen Pfarrer, und nur für diejenigen Kinder, deren Eltern wün­schen, daß sie eine freie Religionslehre bekommen, für die werden freie Religionslehren aus der Anthroposophie heraus gegeben; so daß das Weltanschauungsmäßige in der Waldorfschule eigentlich nicht be­rührt wird.

Ferner ist das noch zu beachten, daß zunächst auch nicht gedacht werden soll, daß irgend die Begründung von Schulen im weitesten Umfange ein Ziel und Ideal sein muß desjenigen, was mit anthroposo­phischer Pädagogik erzielt wird. Gewiß, will man rein in anthroposo­phischer Methodik unterrichten, braucht man Musterschulen. Solche Musterschulen sind schon dringend notwendig. Aber da die anthro­posophische pädagogische Kunst zunächst ein Methodisch-Didaktisches sein soll, also das Wie des Unterrichts betont, so handelt es sich darum, daß sie überallhin, in jede Art von Schule, in jede Art des Unterrichts durch den einzelnen Lehrer gebracht werden kann. Es handelt sich nicht darum, durch anthroposophische Pädagogik an den Anstalten Revolutionen oder dergleichen hervorzurufen, auch nicht im leise­sten Sinne, sondern darum, aus anthroposophischer Pädagogik und Menschenerkenntnis zunächst Richtlinien zu finden, wie unterrichtet und erzogen werden soll.

Nun haben Sie gesehen, daß es sich dabei handelt um ein intimeres Betrachten und Beobachten des Menschen, als es nun schon einmal heute üblich ist. Man lernt heute auf gewissen Gebieten recht exakt beobach­ten, und was nach dieser Richtung geleistet wird in sogenannter Nähe­rungsbeobachtung, sagen wir zum Beispiel bei Beobachtung der Sterne durch das Teleskop, oder sagen wir auf dem Felde der Meßkunst - es könnte für viele Dinge angeführt werden -, das ist etwas, was hervor­geht aus dern Gefühl, intim im mathematischen Sinne zu beobachten. Aber intim zu beobachten in dern Sinne, daß sich dadurch enthüllen feine Übergänge im Seelischen des Menschen oder auch feine Übergänge

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der menschlichen Organisation, das haben wir gerade aus jener naturwissenschaftlichen Gesinnung, die sich in den letzten drei bis vier Jahrhunderten herausgebildet hat, heute im allgemeinen Zivili­sationsleben doch nicht. Und deshalb werden auch die für das Erzie­hen so wichtigen Übergänge, wie sie vorliegen beim Zahnwechsel, bei der Geschlechtsreife und selbst noch nach dem 20. Jahr, nicht beob­achtet.

Gewiß, man redet von diesen Übergängen, aber man redet nur von dem, was sich in grobem Sinne im physischen Leib abspielt, und was im Seelischen zum Ausdruck kommt durch eine grobe Abhängigkeit der Seele vorn physischen Leib. Aber man weiß wenig zu sagen, wie das Kind vor dern Zahnwechsel in seiner ganzen leiblich-körperlichen Or­ganisation verschieden ist von dem, wie es sich darlebt in der zweiten Epoche, zwischen dern Zahnwechsel und der Geschlechtsreife. Zu die­sen Dingen gehört eben eine feinere Beobachtungsmethode. Und da Anthroposophie ausgeht auf Beobachtung des Geistigen in der Welt, wie es sich überall ausspricht in der Welt, und wie es die meisten Men­schen nicht anerkennen wollen, so hat sie die Kraft in sich, daß auch solche Persönlichkeiten, bei denen es durch ihr Schicksal noch nicht dahin kommen kann, daß sie nun gleich den Blick in die geistige Welt hinein bekommen, nun doch, wenn sie beginnen, jene inneren Seelen-übungen zu machen, welche nach und nach darauf hinauslaufen, einen wirklichen Einblick in die geistige Welt zu haben, eben durch den An­fang dieser Seelenübungen dazu kommen, eine feinere Menschenbeob­achtung zu entwickeln. Denn bedenken Sie, alles Forschen in der gei­stigen Welt beruht darauf, daß man in dern Geistig-Seelischen des Men­schen, in dem Übersinnlichen, in demjenigen, von dern ich gestern ge­sagt habe, daß es aus vorirdischem Dasein heruntersteigt und sich mit dern vererbten physischen Körper verbindet, daß man in diesem Über­sinnlichen übersinnliche Organformen, Augen und Ohren der Seele ent­wickelt hat, wie der Körper Augen und Ohren hat, so daß man unab­hängig vom Körper wahrnehmen kann.

Der Mensch ist jede Nacht im Schlaf unbewußt in dern Zustand, in dern man sein muß, wenn man geistig forscht. In dern Augenblicke, wo man einschläft, geht man mit seinem Geistig-Seelischen aus dem

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physischen Leibe heraus. In dern Augenblicke, wo wir aufwachen, gehen wir mit dem Geistig-Seelischen in den physischen Leib wieder­um hinein. Wir sehen beim wachenden Menschen, wie er sich seiner Augen und Ohren bedient, wie er seine Glieder in Regsamkeit versetzt. Sowohl das Sich-Bedienen der Sinnesorgane wie das In-Regsamkeit-Versetzen der Glieder geht aus von dem Geistig-Seelischen. Auch eine wahre Naturerkenntnis, wie wir sie heute noch nicht haben, lehrt, daß die physischen Außerungen während des Wachens gehandhabt werden von dern Geistig-Seelischen, und daß nur eine Unterbrechung dieser Tä­tigkeit des Geistig-Seelischen vorliegt vom Einschlafen bis zum Auf­wachen. Auch dieser Unterschied zwischen dem Schlafen und dem Wa­chen ist noch zu fein für das an den naturwissenschaftlichen Methoden heranerzogene heutige Denken, das wir heute schon mit der kindlichen Erziehung aufnehmen. Denn im Schlaf ist der Mensch ganz und gar denjenigen Tätigkeiten seiner Organisation hingegeben, denen Mineral und Pflanze hingegeben sind.

Man darf aber nicht sagen - gerade in der Geisteswissenschaft, in der Anthroposophie muß exakt und genau gesprochen werden -, der Mensch sei schlafend eine Pflanze; das ist er natürlich nicht. Er ist es seiner Organisation nach nicht. Er ist in seiner Organisation so, daß die mineralischen und pflanzlichen Substanzen herauforganisiert sind bis zum Tierisch-Menschlichen. Die Pflanze hat keine Muskeln, hat keine Nerven. Nerven und Muskeln sind natürlich auch während des Schlafes im Menschen. Und das Bedeutsame für den Menschen - in gewisser Beziehung auch für die Tiere, aber darum kann es sich jetzt nicht handeln - ist, daß die rein vegetative Tätigkeit, die sonst in der Pflanze nichts mit Muskeln und Nerven zu tun hat, daß die jetzt mit Muskeln und Nerven über das Substantielle kommt, so daß auch die Schlaftätigkeit des Menschen nicht eine bloße Pflanzentätigkeit ist. Aber der Impuls ist derselbe wie der, der in der Pflanze ist.

Daher geschieht auch während des Schlafes im Menschen etwas an­deres als in der Pflanze. Aber um sich eine Vorstellung von dern zu machen, was da eigentlich vorgeht, muß man das Folgende sagen: Wäh­rend des Wachens ist dern menschlichen Organismus das Geistig-See­lische eingegliedert. Dieses Geistig-Seelische zeigt, wenn man es beobachtet,

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zwar eine gewisse Ahnlichkeit mit dem ganzen Universum, dern ganzen Kosmos, aber eben nur eine Ahnlichkeit, so daß, wenn wir das Pflanzenwachstum beobachten, sich das Folgende herausstellt: Wir se­hen im Frühling, wenn der Schnee zurückgegangen ist, von der Erde heraussprießen und sprossen die Pflanzen, sehen sie ihr Wesen entfal­ten. Wir sehen gewissermaßen das Pflanzenwachstum, das angewiesen war bis dahin auf die Kräfte, die sich seit dern vorjährigen Sonnendasein als Sonnenschein in der Erde angesammelt haben. Aus diesen in der Erde angesammelten Sonnenkräften - man kann es so sagen - werden die Pflanzenwesen im Frühjahr entlassen und vom äußeren Sonnen­schein in Empfang genommen, durchgeführt durch die Sommerzeit, bis der Same herangereift ist. Dann geht im wesentlichen das Wachs­tum wieder über auf die Erde. Während des Sommers kommt dasjenige, was sonst Kraft der Sonne ist, in die Erde hinein, sammelt sich dort. In der Erde hat man fortwährend die angesammelte Sonnenkraft. Man braucht nur daran zu erinnern, daß man eigentlich jetzt die Kraft der Sonne, die einmal vor Jahrmillionen die zu Steinkohlen gewordenen Pflanzen beschienen hat, in den heutigen Öfen heizt. Kürzere Zeit be­wahrt wird die Sonnenkraft in jedem Jahr in der Erde. So saugt die Pflanze während der Zeit bis zum Frühling hin noch Sonnenkraft von der Erde, wo sie bewahrt worden ist. Während des Sommers be­kommt sie die Sonnenkraft direkt aus dem Kosmos. Dadurch tritt Rhythmus ein. Man kann sagen, der Rhythmus verläuft so für das

Pflanzenleben: Erden-Sonnenkraft, kosmische Sonnenkraft; Erden­Sonnenkraft, kosmische Sonnenkraft und so weiter. Wie der Pendel-schlag der Uhr wechselt die Pflanze mit kosmischen und irdischen Son­nenkräften.

Und wenn wir nun den Menschen anschauen: er schläft ein; er läßt zunächst dasjenige, was nur mineralisch und dasjenige, was pflanz­lich ist, in seinem Körper, der aber im Gegensatz zur Pflanze für das Geistig-Seelische organisiert ist. Wenn der Mensch einschläft, dann sprießt und sproßt das vegetative Leben, sich selber überlassen, auf; und es wird tatsächlich im Beginne des Schlafens im Menschen Frühling. Aber diese vegetative Kraft wird wiederum zurückgetrieben im Er­wachen. Es wird im Erwachen im Menschen Herbst innerlich in der

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vegetativen Tätigkeit. Gerade beim Aufgehen des Geistig-Seelischen im Erwachen wird es Herbst. In diesen Dingen sieht man die Ähnlich­keit oftmals - natürlich wenn man in äußeren Analogien denkt - so, daß man meint, daß es mit dem Erwachen Frühling wird, beim Ein­schlafen Herbst. So ist es nicht. Für wirkliche geistige Einsicht in den Menschen sieht man gerade sprießendes, sprossendes Frühlingsleben im ersten Schlaf aufkommen. Ganz Herbst, untergehendes Leben, wie untergehende Sonne nimmt sich aus dasjenige, was während des Wa­chens über ihn kommt. Während der Mensch wacht, während jede sei­ner Seelentätigkeiten in ihm wirkt, ist es für die vegetative Tätigkeit in seinem Inneren Winter. Da sehen wir wiederum einen Rhythmus wie im Pflanzenwachstum auftreten. Im Pflanzenwachstum unter­scheiden wir Erdentätigkeit, Sonnentätigkeit. Im Menschen dieselbe Tätigkeit im Grunde genommen, der Pflanzentätigkeit nachgebildet:

Einschlafen = Sommertätigkeit; Aufwachen = Wintertätigkeit; wie­derum Sommertätigkeit, Wintertätigkeit und so weiter, aber im Kreis­lauf von 24 Stunden. Dasjenige, was draußen im Kosmos im Jahr ab­läuft, hat der Mensch zusammengezogen in den Kreislauf von 24 Stun­den. Das ist eine Ähnlichkeit, aber es ist keine Gleichheit. Und das wird im Menschen dadurch bewirkt, daß an ihm noch tätig ist sein Geistig­Seelisches, das anders ist im Naturdasein draußen, wo es ganz andere Lebensdauer hat. Da ist ein Jahr gleich einem Tag in der Lebensdauer jener Geistwesen, die den Kosmos durchdringen und den Jahreskreis­lauf durchdringen, so, wie die Geistseele im Menschen den Tageskreis­lauf bewirkt.

Wenn wir das bedenken, so werden wir auch einsehen, was ich jetzt als rein hypothetisch annehmen möchte. Ich sage das vorher, weil ich Sie davor bewahren möchte, zu erschrecken, weil es phantastisch er­scheint, aber das doch verständlich machen kann, was eigentlich ge­meint ist. Nehmen wir an, ein Mensch schläft ein; da tritt das ein, was als Sommertätigkeit charakterisiert worden ist. Er setzt den Schlaf fort, er schläft ein und wacht nicht auf, er schläft immerfort. Dann würde dasjenige, was im Menschen das Vegetative ist, was nicht das Geistig-Seelische ist, wenn es so fortgehen würde, wie es jetzt im Schlafe ist, das würde den wirklichen Kreislauf nehmen, den das Pflanzenleben

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nimmt: den Jahreskreislauf. Der ist natürlich nicht da, ist nicht veranlagt im Menschen. Daher würde der Mensch, wenn er so im Ein­schlafen herausgeht aus dern physischen Leib und wenn dieser physische Leib so fortschlafen würde, ihn nicht erhalten können: es träte der Tod ein; der Leib würde in anderer Weise von der Natur in Anspruch genommen werden, wenn nur vegetative Tätigkeit in ihm wäre. Wäre nur vegetative Tätigkeit in ihm, so müßte der Menschenkörper abfallen von Geist und Seele, er würde einfach den Jahreskreislauf annehmen und vegetativ werden. Man schaut hin auf den physischen Tod, der zur Zerstörung des Organismus führt, und man sagt: Das, was beim Men­schen geschehen ist beim Herausgeborenwerden aus dem Weltenall, das ist ein Übergang vom großen Kreislauf in den kleinen Kreislauf. Wenn er sich selbst überlassen ist, wenn er nicht das Geistig-Seelische in sich regsam machen kann, muß er, da er sich nicht unmittelbar in den kosmischen Kreislauf eingliedern kann, der Zerstörung anheim fallen.

Und so sieht man, wie der Mensch dadurch, daß er zu einer inti­meren Beobachtung kommt, in das eigentlich Wesenhafte des Daseins, namentlich des menschlichen Daseins hineinschauen kann.

Ich sagte deshalb jenen Persönlichkeiten, die auch noch nicht so weit sind, daß sie unmittelbar das Geistige sehen: Wenn sie den Weg ange­treten haben, um das geistige Schauen zu erreichen, kann sich schon innerlich ein feineres Impulsieren der Kräfte zeigen, die sie dann dazu bringen, das Geistige jener Kräfte zu schauen, die uns Leiter und Ver­mittler sind aller im Weltenall wirkender Geister. Da ist Geist vorhan­den, da sind die Wesenheiten, die den Jahreskreislauf lenken und da­her ein anderes Lebensalter haben als der Mensch. Da müssen wir in eine ganz andere Welt eintreten. Wir treten aber in eine uns ganz be­kannte Welt ein, wenn wir den Menschen beobachten, und im Men­schenleben beobachten, wie da auch durchaus Geistig-Seelisches vor­handen ist. Daher kommen wir früher dazu, jene intime Tätigkeit aus­zuüben, die notwendig ist, um den Menschen zu beobachten seinen gei­stig-seelischen Qualitäten nach, als dazu, das geistige Wirken in der Welt selber zu beobachten.

Wenn wir im gewöhnlichen Leben denken - man möchte sagen, dieses Denken, dieses Vorstellen entflieht einem ja fortwährend. Man

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spürt, wenn man irgendwie an etwas anstößt, man spürt, wenn man den Finger über Samt oder Seide führt, die Konfiguration des Gegen­standes an der Oberfläche. Man weiß, daß man da in menschliche Be­rührung gekommen ist mit der Umgebung. Aber wenn der Mensch denkt, spürt er nicht, wie er durch das Denken in Berührung kommt mit den umliegenden Gegenständen. Aber er sagt, wenn er an etwas ge­dacht hat und es sein geistiges Eigentum geworden ist, in der deutschen Sprache, er habe es «begriffen». Was ist das? Wenn ich so fremd bleibe den Dingen, wie man es gewöhnlich beim Denken hat, sagt man nicht:

Ich habe es begriffen. - Wenn die Kreide hier liegt und ich bleibe hier stehen und bewege so meine Hand, wie das sonst beim Reden geschieht, da sagt man nicht: Ich habe die Kreide begriffen. - Aber wenn man so die Kreide wirklich mit der Hand anfaßt, kann man sagen: Ich habe die Kreide begriffen. - Weil in früheren Zeiten die Menschen noch ge­wußt haben, um was es sich handelt beim Denken, deshalb ist in die Sprache eingeflossen, was die Sache mehr ausdrückt, als heute in un­serem Geistesleben die Abstraktlinge gewahr werden. Wir sagen, wenn wir eine Vorstellung aufgenommen haben, wir haben eine Sache be­griffen. Damit ist gemeint, daß man in Berührung gekommen ist mit der Sache, daß man die Sache erfaßt hat. Sogar «erfaßt» sagt man. Heute weiß das der Mensch nicht mehr, daß der Mensch in innige Be­rührung kQmmen kann - auch wenn er nur in geistiger Äußerung lebt -mit den Dingen, die in seiner Umgebung liegen. So haben wir zum Bei­spiel heute ein Wort, welches ganz merkwürdig heuchlerisch sich aus­nimmt in unserer Sprache. Es ist, wie wenn geheuchelt würde; man sagt «Begriff»; ich habe einen «Begriff». Da liegt das Wort «greifen» drin! Ich habe etwas, was ich angegriffen habe. Nur das Wort haben wir, aber das Leben nicht mehr in demjenigen, was uns das Wort andeutet.

Das sind solche Dinge, die aus dern äußeren Leben schon darauf hin­deuten können, wozu solche Übungen führen, wie Sie sie geschildert finden als anthroposophische Forschungsmethoden in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» oder im zweiten Teil der «Geheimwissenschaft im Umriß» und anderen Büchern. Wir werden da hingewiesen auf solche Übungen, die man macht, zum Bei­spiel Vorstellungsübungen. Man läßt Vorstellungen in ganz bestimmter

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Art in die Seele hinein, damit das Seelenleben erstarkt in der Konzen­tration der Vorstellungen. Dadurch, daß die Seele solche Übungen macht, kommt der Mensch, ganz ohne Aberglaube, ohne Phantasterei, bei einer exakten Besonnenheit, wie man sie sonst nur in der Mathe­matik anwendet, dazu, seine Denkfähigkeit so auszubilden, daß sie eine viel regere Fähigkeit ist, als es unter den heutigen Abstraktlingen der Fall ist. Wenn die heutigen Abstraktlinge viel mit Händen und Beinen gearbeitet haben am Tage, wollen sie sich ausschlafen, weil das ja als nötig von ihnen empfunden wird; da weiß man, daß er sich regt, daß es der eigene Mensch ist, der die Arme und Beine so regt. Wenn man denkt, weiß man nicht, daß es der eigene Mensch ist, der sich regt. Man sieht nicht, was sich ausstreckt, was die Dinge angreift. Warum nicht? Weil man schon das erste übersinnliche Glied der menschlichen Natur nicht sieht: den Ätherleib, der in unserem physischen Leib so drinnen ist, wie der physische Leib in der äußeren Welt drinnen ist. In dern Augenblicke, wo man anfängt, dadurch, daß man solche Übungen macht, ein seelisches Auge, ein geistiges Ohr zu erhalten, in demselben Augenblick fängt man an, dieses erste Glied des Menschen, den Äther-leib, wirklich zu sehen. In diesem Augenblicke weiß man, daß das Denken, das vorzugsweise ausgeführt wird von diesem ätherischen Leibe, ein Begreifen ist, ein Befühlen, aber ein geistiges Begreifen, ein geistiges Befühlen der Dinge. Aber das Geistige fühlt man so an, wenn man die Gedanken gewissermaßen verdichtet hat durch solche Übun­gen, daß man nicht jenes abstrakte Gefühl hat des Fernstehens der Dinge, wie es im gewöhnlichen Leben der Fall ist, sondern ein wirk­liches Gefühl, das sich herausbildet durch das geübte, verdichtete Den­ken. Dann wird man aber schon auch vom Denken müde. Dann will man sich dem Denken gegenüber erst recht ausschlafen.

Die heutige materialistische Zeit zieht nicht bloß materialistische Gesinnung als Folge des Materialismus heran: das wäre im Grunde genommen nicht das allerschlimmste. Die Erziehung soll auf das an­dere hinschauen. Dem Erzieher kann es nicht ganz, aber doch bis zu einem gewissen Grade gleichgültig sein, ob eine Mensch müde oder nicht müde wird bei seiner Tätigkeit. Das gleicht sich schon wieder aus, wenn die Menschen wieder etwas vernünftig werden. Das schlimmste ist,

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wenn wir es sehen bei einem Menschen, der von Kindheit auf durch das Volksschulzeitalter nur diejenige geistig-seelische Nahrung aufgenom­men hat, die geprägt worden ist von der Naturwissenschaft, das heißt von materiellen Dingen. Und das geht natürlich nicht bloß diejenigen Menschen an, die irgend etwas von Naturwissenschaft lernen, sondern das Naturwissenschaftliche steckt heute drin vom ersten Volksschuljahr an durch die ganze Erziehung. Es steckt überall drinnen, und da wird es aufgenommen von dern Kinde, wächst heran mit dern Kinde, wirkt in seiner physischen Organisation so, daß wir später diejenigen Krank­heitszustände kennenlernen, wo die Menschen nicht schlafen können. Die gewisse Schlaflosigkeit in unserem materialistischen Zeitalter, wo­her rührt sie? Sie rührt daher, daß die Gedankentätigkeit, diese Gedan­kengriffe, dieses Gedankenfühlen der Umgebung, wenn wir bloß mate­rialistisch denken, nicht müde werden läßt die entsprechenden Organe des Ätherleibes. Nur unser physischer Leib allein wird müde; so schla­fen wir ein, nachdem wir nur materialistisch gedacht haben während des Wachens: der physische Leib kann einschlafen, der Ätherleib kann nicht einschlafen, der fängt an zu zappeln, innerlich unruhig zu wer­den, schlaflos zu werden. Er zieht das Geistig-Seelische herein, und es tritt jener Zustand ein, der nach und nach eine Epidemie werden muß. Er ist es heute schon fast im materialistischen Zeitalter. Erst wenn wir auf dieses hinschauen, kommen wir auf die Bedeutung des mate­rialistischen Zeitalters. Daß die Menschen theoretisch materialistisch denken, das ist schlimm, aber nicht gar so arg; daß die Menschen im moralisch-wirtschaftlichen Handeln zu den Konsequenzen des Mate­rialismus kommen, ist schon schlimmer; daß die Menschen aber durch den Materialismus ihre ganze Kindheit zuschanden richten und dann überhaupt nicht mehr herankommen können an moralisch-geistige Im­pulse, das ist das Schlimmste.

Und das ist dasjenige, was gewußt werden muß von dem, der heute hineinschauen will in die Notwendigkeit einer Umwandlung des Er­ziehens und Lehrens. Denn solche Übergänge, wie sie stattfinden beim Zahnwechsel, bei der Geschlechtsreife, können nur durchschaut wer­den, wenn wir intim die Menschen beobachten: wie da der Mensch innerlich regsam wird, so daß der Mensch sich fühlt - wie sonst im

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physischen Körper - im Ätherleibe; und weiß, daß, wenn er über einen Gegenstand nachdenkt, er eigentlich im ätherischen Leibe dasjenige immerfort ausführt, was sonst im physischen Leibe vom Menschen aus­geführt wird, wenn er eine Sache befühlt. Wenn ich wissen will, wie eine Sache ist, befühle ich sie, setze ich mich mit ihr in Verbindung, be­komme dadurch eine Kenntnis von ihrer Oberfläche. Wenn ich dann darüber nachdenke, mache ich dasselbe im Ätherleibe. Dasjenige, was ich begreifen will, wovon ich mir einen Begriff machen will, befühle ich ätherisch-übersinnlich. Der Ätherleib ist in so regsamer Tätigkeit wie sonst der physische Leib. Und aus diesem Wissen, diesem Bewußt­sein von der Tätigkeit des Ätherleibes gehen die richtigen Erkenntnisse über den Menschen und namentlich über die menschliche Entwickelung erst aus.

Wenn man mit einem so innerlich regsam gemachten Denken das ganz kleine Kind verfolgt, dann schaut man, wie wirklich jede Re­gung in der Umgebung in das Kind hinein fortströmt, wie jeder irgend­ein Moralisches ausdrückende Blick - denn in dem Moralischen, in dem Moralisiertsein des Blickes liegt dasjenige, was auf das Kind als im­ponderable Kraft übergeht - in dem Kinde weiterwirkt bis in die At­mung und die Blutzirkulation hinein. Man schaut ein ganz Bewußtes, ein ungeheuer Konkretes, wenn man übergehen kann zu dern Aus­spruch: Das Kind ist durch und durch ein nachahmendes Wesen für seine Umgebung. - Wie das Kind atmet im feineren Verlauf, wie das Kind verdaut im feineren Verlauf, ist ein Reflex desjenigen, wie sich die Menschen seiner Umgebung verhalten. Das Kind ist ganz hinge­geben an seine Umgebung. Während das Kind ganz hingegeben ist an seine Umgebung, so können wir sagen, daß wir im späteren, erwach­senen Zustand dieses Hingegebensein des Menschen an die Umgebung nur kennen in seiner geistig-seelischen Offenbarung im religiösen Le­ben. Da sind wir geistig an die Umgebung hingegeben. Das religiöse Leben entwickelt sich richtig, wenn wir mit dem Geistigen aus uns her­ausgehen und uns an eine geistige Weltordnung hingeben können, ge­wissermaßen überfließen können in eine göttliche Weltordnung. Für den erwachsenen Menschen ist dieses religiöse Gefühl dadurch vorhan­den, daß sein Geistig-Seelisches emanzipiert ist vom Leiblichen, daß

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also das Geistig-Seelische sich hingibt an das Geistig-Göttliche der Welt. Beim Kind ist der ganze Mensch hingegeben. Blutkreislauf, Verdau­ung, Atmungstätigkeit, die beim erwachsenen Menschen innerlich le­ben, von der äußeren Welt abgeschnürt, sind hingegeben an die Um­gebung. Und so lebt in den Naturäußerungen des Kindes ein natur­haftes Religiöses. Das ist das Wesentliche, was man einsehen muß für alle Erziehung bis zum Zahnwechsel, daß eigentlich ein naturhaft Re­ligiöses in dern Kinde lebt, daß der Körper selber in religiöser Stirn­mung ist.

Aber weil in der Umgebung des Kindes nicht nur Gutes lebt, an das der Mensch sich hingeben kann, wenn er erwachsen ist und nun die eigene Seele an das Göttliche hingibt, weil in der Umgebung nicht nur gutes, sondern auch böses Geistiges ist, böses Geistiges, das von Menschen ausgeht und das von anderen geistigen Gewalten in der Welt ausgeht, so kann dieses naturhaft Religiöse im kindlichen Körper auch an das Böse hingegeben sein. Böses kann heraufstoßen. Wenn ich ge­sagt habe, daß im Kinde schon körperlich eine Stimmung von natur­haft Religiösem ist, brauchen wir das nicht als Widerspruch aufzufas­sen, daß manche Kinder furchtbar dämonisch sind. Sie sind es deshalb, weil sie an das böse Geistige hingegeben sind, das wir heraustreiben müssen, das wir besiegen müssen dadurch, daß wir die geeigneten Me­thoden anwenden müssen, solange sie angewendet werden können. So­lange das Kind ein nachahmend religiöses Wesen ist, hilft es durchaus nicht, wenn ich das Kind ermahne. Zum Achtgeben auf Worte gehört schon, daß die Seele in gewisser Weise emanzipiert ist. Da muß schon das Seelische auf sie aufpassen. Beim Kinde helfen Worte nicht. Es hilft aber alles das, was wir dem Kinde so vormachen, daß das Kind es sieht, daß es in ihm als eine Wahrnehmung fortfließt. Nur muß auch das Moralische in dern drinnen liegen, was wir dem Kinde vormachen. Man wird es schon bemerken: geradeso wie, sagen wir, der Farben­blinde sich irgendwo eine Farbenfläche anschaut und alles so grau in grau sieht, nicht die Farben sieht, so schaut der Erwachsene die Gesten der Menschen, ihre Blicke, ihre Mienen, die Schnelligkeit oder Lang­samkeit ihrer Bewegungen, das Eckige ihrer Bewegungen. Er schaut das Physische, aber er nimmt nicht mehr das Moralische darin wahr.

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Das Kind schaut das Moralische, wenn auch auf unterbewußte Art. Deshalb müssen wir uns klar sein darüber, daß wir in der Umgebung des Kindes nicht bloß aus dem Sichtbaren heraushalten müssen alles dasjenige, was das Kind nicht nachahmen soll, sondern daß wir aus dem Unsichtbaren heraushalten müssen auch alle Gedanken in der Nähe des Kindes, welche nicht in die kindliche Seele hineinkommen sollen. Und diese Gedankenerziehung, die ist sogar für das kindliche Alter bis zum Zahnwechsel hin das Allerwichtigste: wenn wir uns auch nicht gestatten, unreine, häßliche, zornwütige Gedanken zu haben in der Nähe des Kindes. Denn Sie werden zwar sagen: Ich kann ja hier denken, was ich will, da ändere ich mich äußerlich nicht; da sieht das Kind nichts, es kann also auch nicht beeinflußt werden. - Sehen Sie, in dieser Beziehung, muß ich sagen, liegt eigentlich dasjenige, was man in interessanter Weise wahrnehmen konnte bei den wirklich recht laien­haft dilettantisch angestellten Versuchen mit den denkenden Pferden, den rechnenden Pferden oder mit anderen Intelligenz äußernden Tie­ren. Solche Dinge waren schon interessant, nur nicht nach der Rich­tung, nach der es die Welt genommen hat.

Sehen Sie, die Elberfelder Pferde habe ich selber zum Beispiel nicht gesehen. Ich möchte immer nur über dasjenige reden, was meiner eigenen Beobachtung unterliegt, wie zum Beispiel das Pferd des Herrn von Osten; ich konnte sehen, wie es seinem Herrn Antworten gab. Er stellte ihm Rechnungsaufgaben; es waren nicht besonders komplizierte Aufgaben, aber für ein Pferd doch. Ich konnte sehen, wie es addiert und subtrahiert hat und mit seinem Fuß aufstoßend das richtige Rech­nungsresultat angegeben hat. Über diese Vorgänge konnte ein natur­wissenschaftlich gebildeter Mensch der Gegenwart nachdenken wie etwa jener Privatdozent, der ein dickes Buch geschrieben hat über das Pferd, oder man konnte nachdenken auf anthroposophische Art. Was war der Sinn des Buches, das der Privatdozent geschrieben hat? Alles, was die Laien geglaubt haben, hat er ausgeschaltet. Sie dürfen nicht glauben, daß ich das geringste gegen die Naturwissenschaft sprechen will. Ich weiß sie genau zu schätzen. Der Privatdozent sagt zum Schlusse: Da liegt zugrunde, daß das Pferd feine Bewegungen, ein feines Zwinkern in den Augen oder ein sonstiges feines Vibrieren von Muskeln

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wahrgenommen hat an dern Herrn von Osten und allmählich gelernt hat, wie die vibrierende Bewegung im Augenmuskel ist, wenn das Rechnungsresultat so oder so ist; dann folgte das Aufstoßen mit dern Fuße. Er hat da eine sehr geistreiche, geistvolle Hypothese aufgestellt. Er kommt dann doch zu der Frage, die man stellen muß: Hat man diese Dinge etwa selber gesehen, ist das ein Beobachtungsresultat? - Gewiß, er stellt sich diese Frage; man lernt sehr verantwortungsvoll forschen. Er beantwortet sie dadurch, daß er sagt: Dazu sind unsere Sinne nicht organisiert, um diese feinen äußeren Bewegungen wahrzunehmen; das Pferd aber kann dieses. - Damit wird nur konstatiert, daß ein Pferd am Menschen mehr sehen kann als ein Privatdozent.

Aber mir war etwas anderes wichtig: das Pferd hat seine Rechnungs­resultate nur dann erzielt, wenn Herr von Osten danebenstand und mit dem Pferde sprach. Während er sprach, nahm er so ein kleines Zuckerstückchen, steckte es dern Pferde ins Maul. Das Pferd hatte fortwährend einen süßen Geschmack, der es ganz durchdrang. Das ist das Wesentliche. Es fühlte sich innerlich in der Süßigkeit angeregt; da wird man auch als Pferd fähig, durch diese Verinnerlichung dasjenige zu erleben, was man sonst nicht erlebt. Eigentlich möchte ich sagen: In dern Süßigkeitspferd, das da als ätherisches Pferd durchzogen hat das physische Pferd, da lebte fortwährend Herr von Osten, darinnen leb­ten seine Gedanken wie sonst im eigenen Leibe und breiteten sich aus. Im Pferde lebten sie fort nicht dadurch, daß das Pferd feiner beob­achten kann als ein Privatdozent, sondern weil es noch nicht so hoch organisiert ist und daher den fremden Einfluß aufnimmt, während der Körper fortwährend Süßigkeit aufnimmt.

Es gibt solche Wirkungen von Mensch zu Mensch, die hervorgerufen werden durch Dinge, für die man sonst nur schwer oder unempfäng­lich ist. Sie treten namentlich auf im Verkehr zwischen Mensch und Tier; aber sie können im hohen Grad vorhanden sein, wenn das Geistig-Seelische noch nicht emanzipiert ist vom Körperlichen, wie das beim Kinde der Fall ist, so daß das Kind wirklich in Geste und Blick das Moralische in der Umgebung wahrnimmt, wenn auch der Erwachsene das nicht mehr beobachten kann. Daher dürfen wir uns nicht häßliche Gedanken in der Umgebung des Kindes gestatten; die leben nicht nur

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im Seelischen des Kindes fort, sondern die leben in der physischen Or­ganisation des Kindes fort.

Gewiß, dasjenige, was heute zum Beispiel geleistet wird in mancher medizinischen oder sonstigen Dissertation, wie sie abgeliefert wird nach dem heutigen Stande der wissenschaftlichen Erkenntnis, ist sehr interessant. Aber es wird die Zeit kommen, wo noch ganz anderes kom­men wird, wo zum Beispiel - lassen Sie mich das so anschaulich schil­dern, es wird vielleicht gerade dadurch einleuchtend -, sagen wir, in Doktorschriften, die gemacht werden, um den Doktorgrad zu erlangen, das Thema behandelt wird: Ein Krankheitsfall im 48.Jahr mit diesen oder jenen Symptomen führt zurück auf häßliche Gedanken von einer bestimmten Art, die im 4. oder 5. Lebensjahr an das Kind herangetreten sind. Mit solchen Einsichten wird man in Wirklichkeit an den Men­schen herankommen, und dadurch wird man dann das ganze mensch­liche Leben überschauen.

So handelt es sich darum, daß wir allmählich lernen, nicht nur Dinge an das Kind heranzubringen, die wir nach unserem abstrakten Ver­stande als Stäbchenlegen und allerlei solche Arbeiten ausdenken, daß das Kind es machen könne: das Kind tut es nicht von sich aus. Es muß seine eigene Seelenkraft erregt werden; dann ahmt es die Dinge nach, die es bei den Erwachsenen sieht. Es spielt mit der Puppe, weil es die Mutter das Kind pflegen sieht. Im Kinde lebt ganz und gar das­jenige, was bei den Erwachsenen ist, als Tendenz zur Nachahmung. Dieser Tendenz muß Rechnung getragen werden bei der Erziehung des Kindes bis zum Zahnwechsel. Nur ist all das, was da heranerzogen werden soll, einer Veränderung unterworfen im kindlichen Organis­mus, der alles lebendiger macht, beseelter macht, als es beim erwach­senen Menschen durchgeführt wird, weil das Kind noch eine Einheit ist von Leib, Seele und Geist. Beim erwachsenen Menschen ist der Kör­per emanzipiert vom Seelisch-Geistigen; das Seelisch-Geistige ist eman­zipiert vom Körperlichen. Körper, Seele und Geist stehen vereinzelt da. Nur beim Kinde ist eine strenge Einheit im Körperlich-Seelisch­Geisti gen. Bis in das Denken hinein ist diese Einheit da. Dies kann man leicht bemerken, wenn man dern Kinde zum Beispiel, bevor es den Zahnwechsel durchgemacht hat, eine recht schöne Puppe gibt, die

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wunderbar bemalt ist, menschenähnlich ist, sogar gläserne Augen hat. Es gibt solche Puppen: wenn man sie niederlegt, verdrehen sie die Augen und schlafen; wenn man sie aufhebt, schaut das Ding. Viele andere Vorrichtungen gibt es da, wodurch solch kleine Ungetüme ent­stehen, die man dem Kinde in die Hand gibt als «schöne Puppen». Ja, scheußlich sind diese Dinge schon vom künstlerischen Gesichtspunkt aus, aber darauf möchte ich nicht eingehen. Aber betrachten Sie ein­mal den Unterschied, der mit dem Kinde selber vorgeht, wenn Sie dem Kinde eine schöne Puppe geben, die sogar die Augen verdrehen kann. Zuerst wird es natürlich Freude haben, weil das Ding eine Sensation ist; aber nach und nach vergeht dies. Vergleichen Sie das, was mit dern Kinde vorgeht, wenn Sie einfach ein Wischtuch nehmen, oben einen Kopf daraus formen, indem Sie es zusammenziehen, zwei Punkte ma­chen als Augen, vielleicht auch noch eine große Nase. Da hat das Kind Gelegenheit, in seiner Phantasie, in seinem Seelisch-Geistigen, das mit dem Körperlichen verbunden ist, das andere dazu zu phantasieren. Da lebt das Kind jedesmal, wenn es die Puppe vorstellen soll, innerlich auf, da bleibt es lebendig. Macht man diese Versuche, so wird man sehen, wie es etwas ganz anderes bedeutet, der Phantasie, der Seelen­tätigkeit beim kindlichen Spiel möglichst viel zu überlassen, oder das Spielzeug so zu formen, daß es nichts mehr für die innere Regsamkeit übrig läßt. Daher ist es von allergrößtem Nutzen für das Kind, wenn wir die Kinderhandarbeiten so einrichten, daß sie möglichst nur andeu­tend sind, wenn noch viel der Phantasietätigkeit übrigbleibt. Fertig ge­staltete Tätigkeit, die so bleiben kann, wie sie ist, ist nicht anregend, weil die Phantasie nicht hinausgehen kann über das, was sinnlich vorliegt.

Das wirft Licht auf die Art und Weise, wie wir gerade als Lehrende, als Erziehende sein müssen, wenn wir in richtiger Weise an das Kind herankommen wollen. Wir brauchen da eine Pädagogik, die auf Men­schenerkenntnis, auf Erkenntnis des Kindes beruht. Und wiederum, eine wirkliche Pädagogik, die auf Menschenerkenntnis beruht, wird in demjenigen Zeitalter vorhanden sein, wo man zum Beispiel erleben wird Doktorarbeiten von der Art: Ein Fall von Diabetes bei einem Vierzigjährigen zurückgeführt auf die Schädlichkeit des kindlichen Spieles im 3., 4. Lebensjahr. Dann wird man sehen, was es heißt: der

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ganze Mensch besteht aus Körper, Seele und Geist, und beim Kinde ist Körper, Seele und Geist noch eine Einheit. Geist und Seele werden später vom Körper frei, dann sind sie ein Dreifaches. Dann sind sozu­sagen im erwachsenen Menschen Geist, Seele und Leib auseinanderge-schoben, und nur der Leib behält dasjenige, was in ihm während der Zeit der kindlichen Entwickelung eingezogen ist als Keim für das spä­tere Leben. Nun ist das Eigentümliche: In der Seele erleben wir Fol­gen, die eben in das Unterbewußte hineingezogen sind, bald; physisch im Körper erleben wir es sieben- bis achtmal später. Wenn Sie das Kind seelenhaft erziehen, das Seelenhafte im 4., 5. Lebensjahr so gel­tend machen, daß das Kind es aufgenommen hat und sein Seelenleben unter dem Einflusse steht, so kommt dieses zum Beispiel im 8. Lebens­jahr zum Vorschein. Die Leute sehen noch darauf, daß man im 4., 5. Lebensjahr das nicht beibringt, was es nicht gesund macht im 8., 9. Le­bensjahr. Die Seelenwirkung zeigt sich im 8., im 7. Lebensjahr. Die körperliche Wirkung zeigt sich - weil sich der Körper emanzipiert -langsamer, zeigt sich sieben- bis achtmal später. Für die seelische Ent­wickelung zeigen sich die Früchte eines Einflusses aus dern 5. Lebens-jahr im 8. Lebensjahr; im Körper zeigen sie sich nach 35 Jahren, nach einer Zeit, die siebenmal größer ist. 5 mal 7 ist 35. So daß Krankheits­erscheinungen, die auftreten infolge einer falschen, durch Spielen be­wirkten seelischen Einwirkung im 3., 4. Lebensjahr, im Beginne der Vierziger- oder Ende der Dreißigerjahre auftreten.

Derjenige, der den ganzen Menschen kennenlernen will, muß auch das wissen, daß diese Emanzipation des Seelisch-Geistigen, die beim Erwachsenen eintritt gegenüber dem Vereintsein beim Kinde, nicht et­was Abstraktes ist, sondern sehr konkret ist, indem sich sogar der Zeit-verlauf verschieben kann. Immer mehr und mehr wird die Zeit, die der Körper mehr braucht als die Seele, um etwas auszubilden. Der Körper bleibt zurück, und Schädlichkeiten des Körpers treten viel später ein als Schädlichkeiten der Seele. So ist es wiederum bei manchen Ver­fehlungen im kindlichen Lebensalter, wo man sehen kann, wie in den Flegeljahren im Seelischen gar manches Schlimme ist; aber es gleicht sich aus. Denn man hat da verhältnismäßig leichte Mittel, um selbst Leute noch zurechtzubringen, die in den Flegeljahren, wie man es

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nennt, recht ausgelassen sind; die werden manchmal noch ganz brave Philister. Das ist nicht etwas so Schlimmes. Aber der Körper entwickelt sich allmählich immer langsamer und immer langsamer; und wenn man längst das, was in den Flegeljahren im Seelisch-Geistigen aufge­treten ist, überwunden hat, hat man als Ergebnis der Flegeljahre noch am Ende des Lebens zu kämpfen mit Podagra als physischer Wirkung, die in langsamer Weise sich ergibt.

Konkrete Menschenerkenntnis ist schon etwas, was eine große Be­deutung hat im menschlichen Leben. Diese konkrete Menschenerkennt­nis, die wirklich in den Menschen hineinschauen läßt, ist allein im­stande, Voraussetzungen zu liefern für eine wahre Erziehungskunst, die den Menschen hineinstellt in das Leben so, daß - nach seinem Schick­sal selbstverständlich bei dern einen mehr, bei dem anderen weniger -alles werden kann, was im Menschen veranlagt ist. Nicht darum kann es sich handeln, daß wir mit der pädagogischen Kunst gegen das Schick­sal handeln; aber man muß erreichen, was im Schicksal veranlagt ist. Heute bleibt man vielfach mit der Erziehung hinter dem zurück, was im Schicksal veranlagt ist. Wir müssen der Schicksalsveranlagung so­weit nachkommen, daß der Mensch im Denken die ihm für das Leben höchste mögliche Klarheit, im Fühlen die nach seinem Schicksal für ihn denkbar höchste liebevolle Vertiefung, und im Wollen die nach seinem Schicksal höchste mögliche Energie und Tüchtigkeit erringe.

Das kann nur eine auf wirklicher Menschenerkenntnis aufgebaute Pädagogik und Didaktik. Von ihr wollen wir dann in den nächsten Vorträgen weiter sprechen.

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DRITTER VORTRAG Bern, 15. April 1924

Daß es sich darum handelt für einen Erzieher und Unterrichtenden, die Aufmerksamkeit vor allen Dingen zu lenken auf solche Lebensum­schwünge, Lebensmetamorphosen, wie sie mit dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife eintreten, darauf habe ich schon in den verflosse­nen Vorträgen wiederholt hingewiesen. Die Aufmerksamkeit bei diesen Dingen wird gewöhnlich dadurch nicht voll entfaltet, weil man eben heute gewöhnt ist, die groben äußeren Offenbarungen der mensch­lichen Natur nach sogenannten Naturgesetzen allein ins Auge zu fas­sen, während dasjenige, was für den Erzieher in Betracht kommt, von dem innersten Mittelpunkt, vom innersten Zentrum des Menschen her­aus wirkt, und auch wiederum dasjenige, was der Erzieher tut, in das innerste Zentrum des Menschen hineinwirkt. Und so ist es notwendig, daß man bei diesem Lebensumschwung, der mit dem Zalinwechsel ein­tritt, ganz besonders darauf aufmerksam wird, wie da das Seelische selbst ein ganz anderes wird.

Man braucht nur eine Einzelheit aus diesem Gebiet des Seelischen einmal recht ins Auge zu fassen: die Gedächtnis-, die Erinnerungsfähig­keit. Dieses Gedächtnis, diese Erinnerungsfähigkeit ist im Grunde ge­nommen bei dem Kinde bis zum Zahnwechsel etwas ganz anderes als später. Nur sind beim Menschen die Übergänge natürlich langsam und allmählich, und ein solcher einzelner fixierter Zeitpunkt, der ist sozu­sagen nur der annähernde. Aber das, was vorgeht, das muß doch, weil sich dieser Zeitpunkt sozusagen in die Mitte der Entwickelung hineinstellt, ganz intensiv berücksichtigt werden. Wenn man nämlich das am ganz kleinen Kinde beobachtet, findet man, daß sein Gedächtnis, seine Erinnerungsfähigkeit eigentlich das ist, was man nennen könnte ein gewohnheitsmäßiges Verhalten der Seele. Wenn das Kind sich an etwas erinnert innerhalb der ersten Lebensepoche bis zum Zahnwechsel, so ist dieses Erinnern eine Art Gewohnheit oder Geschicklichkeit; so daß man sagen kann: Wie ich gelernt habe, irgendeine Verrichtung zu erreichen, zum Beispiel zu schreiben, so tue ich sehr vieles aus einer gewissen

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Geschmeidigkeit meiner physischen Organisation heraus, die ich mir allmählich angeeignet habe. - Oder beobachten Sie einen Men­schen, wie er irgend etwas angreift in seinem kindlichen Alter, so wer­den Sie sehen, daß daran der Begriff der Gewohnheit gewonnen wer­den kann. Man kann die Art und Weise sehen, in die sich der Mensch hineingefunden hat, seine Glieder in der einen oder anderen Art zu be­wegen. Das wird Gewohnheit, das wird Geschicklichkeit. Und so wird bis in die feinere Organisation des Kindes hinein Geschicklichkeit das Verhalten der Seele gegenüber dem, was das Kind getan hat aus der Nachahmung heraus. Es hat heute irgend etwas nachahmend getan, macht es morgen, übermorgen wieder, macht es nicht nur in bezug auf die äußeren körperhaften Verrichtungen, sondern macht es bis in das innerste Wesen des Körpers hinein. Da wird Gedächtnis daraus. Es ist nicht wie das, was später, nach dem Zahnwechsel, Gedächtnis ist. Nach dem Zahnwechsel gliedert sich das Geistig-Seelische ab von dem Kör­per, emanzipiert sich, wie ich früher schon gesagt habe. Dadurch kommt erst das zustande, daß ein unkörperlicher Bildinhalt, eine Bild-gestaltung des seelisch Erlebten im Menschen entsteht. Und immer wieder, wenn der Mensch entweder äußerlich herantritt an dasselbe Ding oder denselben Vorgang, oder wenn eine innerliche Veranlassung ist, das Bild als solches hervorzurufen, so wird dieses Bild als solches hervorgerufen. Das Kind hat für sein Gedächtnis kein Bild, es rückt noch nicht ein Bild heraus. Nach dem Zahnwechsel tritt ein erlebter Begriff, eine erlebte Vorstellung als erinnerter Begriff, als erinnerte Vorstellung wieder auf; vor dem Zahnwechsel lebt man in Gewohn­heiten, die nicht innerlich verbildlicht werden. Das hängt zusammen mit dem ganzen Leben des Menschen über dieses Lebensalter des Zahn­wechsels hinaus.

Wenn man mit denjenigen Mitteln des inneren Anschauens, des See­lenauges, des Seelengehörs, von denen gestern gesprochen wurde, den Menschen in seinem Werden beobachtet, dann sieht man, wie der Mensch nicht nur besteht aus diesem physischen Leib, den äußere Augen sehen, den Hände greifen können, wie er besteht aus übersinn­lichen Gliedern. Ich habe schon gestern aufmerksam gemacht auf den ersten übersinnlichen Menschen sozusagen im physisch-sinnlichen Menschen

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drin: das ist der ätherische Mensch. Wir haben aber weiter ein drittes Glied der menschlichen Natur - man braucht sich nicht an Aus­drücken zu stoßen, eine Terminologie muß überall vorhanden sein -, wir haben den astralischen Leib des Menschen, der die Empfindungs-fähigkeit entwickelt. Die Pflanze hat noch einen ätherischen Leib; das Tier hat einen astralischen Leib mit dem Menschen gemein, es hat Empfindungsfähigkeit. Der Mensch hat als Krone der Erdenschöpfung, als Geschöpf, das einzig dasteht, als viertes Glied die Ich-Organisation. Diese vier Glieder der menschlichen Natur sind nun total voneinander unterschieden. Aber sie werden nicht unterschieden in der gewöhn­lichen Beobachtung, weil sie ineinander wirken, und weil eigentlich die gewöhnliche Beobachtung nur bis an irgendeine Offenbarung der menschlichen Natur aus der ätherischen Leibesorganisation, der astra­lischen oder der Ich-Organisation kommt. Ohne daß man diese Dinge wirklich kennt, ist eigentlich ein Unterrichten und Erziehen doch nicht möglich. Man entschließt sich sogar schwer, heute einen solchen Satz auszusprechen, weil er für die weitesten Kreise der heutigen zivilisier­ten Menschen grotesk wirkt, paradox wirkt. Aber es ist eben die Wahr­heit; es läßt sich, wenn wirkliche unbefangene Menschenerkenntnis er­worben wird, nichts gegen eine solche Sache einwenden.

Nun ist gerade das besonders eigentümlich, wie die menschliche Natur wirkt durch die ätherische, astralische und die Ich-Organisa­tion. Das ist für das Erziehen und Unterrichten ins Auge zu fassen. Wie Sie wissen, lernen wir den physischen Leib kennen, wenn wir solche Beobachtungen entfalten, wie wir sie gewohnt sind am leben­den Menschen oder noch am Leichnam, und wenn wir benützen den an die Gehirnorganisation gebundenen Verstand, mit dem wir uns zurechtlegen dasjenige, was wir durch die Sinne wahrnehmen. Aber so lernt man nicht die höheren Glieder der menschlichen Natur ken­nen. Die entziehen sich der bloßen Sinnesbeobachtung wie auch dem Verstande. Mit einem Denken, das in den gewöhnlichen Naturgeset­zen lebt, kann man zum Beispiel dem ätherischen Leibe nicht beikom­men. Daher müßten in die Seminarbildung und in die Universitäts­bildung nicht nur diejenigen Methoden aufgenommen werden, die den Menschen befähigen, lediglich den physischen Leib zu beobachten und

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mit einem Verstande zu beobachten, der an das Gehirn gebunden ist; sondern es müßte, damit eine gewisse Fähigkeit einträte, wirklich hin­zuschauen auf die Art und Weise, wie sich zum Beispiel der Ather­leib im Menschen zeigt, eine ganz andere Art von Seminar- und Uni­versitätsbildung da sein. Die wäre notwendig sowohl für den Lehrer auf allen Gebieten, wie namentlich auch für den Mediziner. Und die würde zunächst darin bestehen, daß man lernt, wirklich von innen heraus, aus der Entfaltung der menschlichen Natur heraus bildhaue­risch zu modellieren, so daß man in die Lage käme, Formen aus ihrer inneren Gesetzmäßigkeit heraus zu schaffen. Sehen Sie, die Form eines Muskels, die Form eines Knochens wird nicht begriffen, wenn man sie so begreifen will, wie man es in der heutigen Anatomie und Physiolo­gie tut. Formen werden erst begriffen, wenn man sie aus dem Formen-sinn heraus begreift. Ja, da tritt aber sogleich etwas ein, was für den Menschen der Gegenwart so ist, daß man es für halben Wahnsinn an­sieht. Aber für den Kopernikanismus war es auch einmal so, daß er für halben Wahnsinn angesehen wurde, und eine gewisse Kirchenge­meinschaft hat bis zum Jahre 1828 die kopernikanische Lehre als etwas Unsinniges angesehen, was verboten werden muß den Gläubigen. --Es handelt sich um das Folgende.

Betrachten wir den physischen Leib: er ist zum Beispiel schwer, er wiegt etwas, er ist der Schwerkraft unterworfen. Der ätherische Leib ist nicht der Schwerkraft unterworfen; im Gegenteil, er will fort­während fort, er will sich in die Weiten des Weltalls zerstreuen. Das tut er auch unmittelbar nach dem Tode. Die erste Erfahrung nach dem Tode ist, die Zerstreuung des Atherleibes zu erfahren. Man erfährt also, daß der Leichnam ganz den Gesetzen der Erde folgt, wenn er dem Grabe übergeben wird; oder wenn er verbrannt wird, verbrennt er so, wie jeder andere Körper verbrennt nach physischen Gesetzen. Beim ätherischen Leib ist das nicht der Fall. Der ätherische Körper strebt ebenso von der Erde weg, wie der physische Körper nach der Erde hin-strebt. Und dieses Wegstreben, das ist nicht ein beliebiges Wegstreben nach allen Seiten hin oder ein gleichförmiges Wegstreben. Aber da kommt das, was grotesk wirkt, was aber wahr ist, was eine wahre Wahrnehmung ist für die Beobachtung, von der ich gesprochen habe.

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Wenn Sie den Umkreis der Erde nehmen: wir finden da draußen eine Sternansaminlung, da wieder eine andere Sternansammlung, da eine, die wieder anders ist, und so sind überall bestimmte Sternansamm­lungen. Diese Sternansammlungen, die sind es, die den Atherleib des Menschen anziehen, die ihn hinausziehen in die Weiten. Nehmen wir an, er wäre da - schematisch gezeichnet -, dann wird der Atherleib von dieser Sternansammlung, die stark wirkt, angezogen; er will stark hinaus. Von dieser Sternansammlung wird er weniger stark angezogen, von anderen Sternansammlungen wird er wieder anders angezogen, so daß der Atherleib nicht nach allen Seiten gleich gezogen wird, son­dern nach den verschiedenen Seiten wird er verschieden gezogen. Es entsteht nicht eine sich ausbreitende Kugel, sondern indem der Ather­leib sich ausbreiten will, entsteht dasjenige, was durch die von den Sternen ausgehenden kosmischen Kräfte an einer bestimmten Form des Menschen gewirkt werden kann, solange wir leben auf Erden und den Atherleib in uns tragen. Wir sehen, wie in einem Oberschenkel dasje­nige, was den Muskel formt, aus den Sternen heraus, ebenso das, was den Knochen formt, aus den Sternen heraus kommt. Man muß nur kennenlernen, wie aus den verschiedensten Richtungen des Weltenraumes

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her Formen entstehen können. Man muß das Plastilin nehmen können und eine Form bilden können, bei der, sagen wir, die kosmische Kraft in die Länge wirkt, aber bei einer bestimmten Kraft so, daß sich eine Form früher abrundet als bei anderen Kräften. Man bekommt bei den Formen, die früher sich abrunden, den runden Knochen, bei den anderen einen Röhrenknochen.

Und so muß man eigentlich als Bildhauer ein Gefühl entwickeln für die Welt. Dieses Gefühl war schon ursprünglich in einem instink­tiven Bewußtsein der Menschheit vorhanden. Und wir können es, wäh­rend es im Orientalismus der vorhistorischen Jahrtausende ganz deut­lich ausgesprochen war, auch noch im Griechentum verfolgen. Denken Sie nur, wie die heutigen naturalistischen Künstler oftmals verzweifelt sind gegenüber den Formen der griechischen Menschen in der Bild­hauerei. Warum sind sie verzweifelt? Weil sie glauben, die Griechen haben nach Modellen gearbeitet. Sie haben den Eindruck, man habe dort bei den Griechen den Menschen nach allen Seiten beobachten kön­nen. Aber die Griechen hatten noch das Gefühl, wie der Mensch aus dem Kosmos heraus kommt, wie der Kosmos selber den Menschen formt. Die Griechen haben, wenn sie eine Venus von Milo gemacht haben, die die heutigen Bildhauer zur Verzweiflung bringt, das, was aus dem Kosmos heraus kommt, was nur etwas gestört wird durch die irdische Bildung, das hatten sie zum Teil wenigstens in die mensch­liche Organisation hineinverlegt. So handelt es sich darum, daß man einsehen muß: Will man den Menschen der Natur nachschaffen, so kann man gar nicht sich sklavisch halten an die Modelle, wie man Mo­delle heute in Ateliers hineinstellt und den Menschen sklavisch danach formt. Man muß sich wenden können an den großen kosmischen Plasti­ker, der die Form aus dem heraus erschafft, was dem Menschen werden kann als Raumgefühl. Das muß erst entwickelt werden: Raumgefühl!

Da glaubt man eigentlich gewöhnlich, man kann eine Linie durch den Menschen durchziehen, eine Linie durch die ausgebreiteten Arme so und eine Linie so ziehen (es wird gezeichnet). Das sind die drei Raumes-dimensionen. Man zeichnet ganz sklavisch den Menschen in die drei Raumesdimensionen. Das ist alles Abstraktion. Wenn ich durch den Menschen eine richtige Linie ziehe, habe ich ganz andere Zugkräfte so,

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ganz andere so und so, überall in den Raum hinein. Dieser geometrische Raum, der der Kantische Raum geworden ist, über den Kant so un­glückliche Definitionen und Theorien gegeben hat, ein rein ausgedach­tes Hirngespinst, ist in Wirklichkeit ein Organismus, der nach allen Seiten andere Kräfte hat. Weil der Mensch nur die groben Sinne ent­wickelt, deshalb entwickelt er nicht dieses feine Raumgefühl. Das kann man nach allen Seiten haben. Läßt man es walten, dann kommt wirk­lich der Mensch zustande. Aus dem innerlichen Erfühlen heraus kommt der Mensch zustande bildhauerisch. Und hat man ein Gefühl für dieses tastende Behandeln der weichen plastischen Masse, dann liegt in die­sem Behandeln der weichen plastischen Masse die Bedingung für das Verstehen des Atherleibes, so wie in dem Verstande, der an das Gehirn gebunden ist, und den Sinnesorganen die Bedingungen für das Ver­stehen des physischen Leibes liegen.

Es handelt sich darum, daß man erst die Erkenntnismethode schaf­fen muß: nämlich plastische Anschauung, die immer etwas verbunden ist mit plastischer innerer Tätigkeit. Sonst hört die Menschenerkennt­nis beim physischen Leibe auf, denn der Atherleib ist nicht in Begriffen, sondern in Bildern zu erfassen, die man doch nur begreift, wenn man sie in gewisser Weise nachformen kann, wie sie aus dem Kosmos her­aus sind.

Dann kommen wir zu dem, was das nächste Glied der menschlichen Wesenheit ist. Wie gehen die Dinge heute? Da sind auf der einen Seite die herrschenden naturwissenschaftlichen Anschauungen und ihre Trä­ger, die der heutigen Menschheit autoritativ das Richtige beibringen. Da stehen vereinsamt in der Welt ihrer Seelen verdrehte Anthropo­sophen, die auch davon sprechen, daß ein Atherleib, ein Astralleib vorhanden ist. Sie erzählen die Dinge, die über den Atherleib und den Astralleib zu erzählen sind. Da wollen die Leute, die gewöhnt sind an naturwissenschaftliches Denken, den Astralleib mit demselben Den­ken und denselben Methoden ergreifen wie den physischen Leib. Das geht nicht. Der Astralleib äußert sich im physischen Leibe; seine Auße­rung im physischen Leibe kann nach Naturgesetzen begriffen werden. Aber ihn selber nach seiner inneren Wesenheit und Wirksamkeit kann man nicht nach Naturgesetzen begreifen. Man kann den Astralleib begreifen,

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wenn man nicht nur äußeres, sondern inneres Musikverständ­nis hat, wie es auch vorhanden war im Orient, abgedämpft in der grie­chischen Zeit, in neuerer Zeit gar nicht mehr vorhanden ist. Geradeso wie der ätherische Leib aus der kosmischen Plastik heraus wirkt, so wirkt der astralische Leib aus der kosmischen Musik, aus kosmischen Melodien heraus. Im astralischen Leib ist irdisch nur der Takt; Rhyth­mus und Melodie wirken ganz aus dem Kosmos heraus. Und der astra­lische Leib besteht in Rhythmus und Melodie. Man kann nur nicht mit dem an den astralischen Leib herankommen, was man aus Naturgesetzen gewonnen hat, sondern man muß mit dem an den astralischen Leib her­ankommen, was man sich aneignet, wenn man ein inneres Musikver­ständnis hat. Dann wird man zum Beispiel finden, wenn eine Terz an­geschlagen wird: Da ist etwas vorhanden, was vom Menschen erlebt, empfunden wird wie in seinem Inneren. Daher kann es da noch geben eine große und eine kleine Terz. So kann im menschlichen Gefühls­leben durch diese Gliederung der Skala ein beträchtlicher Unterschied hervorgerufen werden. Das ist noch etwas Inneres. Wenn wir zur Quint kommen, wird diese erlebt an der Oberfläche; das ist gerade eine Grenze des Menschen; da fühlt sich der Mensch, wie wenn er gerade noch darinnensteckte. Kommt er zur Sext oder zur Septime, dann fühlt er, wie wenn die Sext oder Septime außer ihm verlaufen will. Er geht in der Quint aus sich heraus, und er kommt, indem er in die Sext und Septime hineinkommt, dahin, daß er das, was da vorgeht in Sext oder Septime, als etwas Außeres empfindet, während er die Terz als etwas eminent Jnneres empfindet. Das ist der wirkende Astralleib, der ein Musiker in jedem Menschen ist, der die Weltenmusik nachahmt. Und alles, was im Menschen ist, ist im Menschen wiederum tätig und bildet sich aus in der menschlichen Form. Das ist etwas, was dann, wenn man einmal überhaupt herankommt an eine solche Betrachtung, geradezu erschütternd wirken kann im Begreifen der Welt.

Sehen Sie, das, was aus dem astralischen Leib in die Form übergeht, was aber nicht schon in der kosmischen Plastik begründet wird, son­dern dadurch entsteht, daß der Musikimpuis vom Astralleib aus den Nienschen durchzieht, das kann man auch direkt studieren, nur muß man mit Musikverständnis dem Menschen entgegenkommen wie vorher

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mit plastischem Verständnis, wenn man die Wirkungen des Ather­leibes studieren will. Wenn Sie den Teil des menschlichen Organismus nehmen, der von den Schulterblättern an beginnt und bis zu den Armen hin geht, so ist das eine Wirkung der im Menschen lebendigen Prim, des Grundtones; und kommen Sie zur Sekund, so ist diese im Oberarin gelegen. Die Dinge kommen durch Eurythmie zum Vorschein. Gehen wir zum Unterarm, so haben wir die Terz, haben wir in der Musik die große und die kleine Terz. Indem wir vorrücken bis zum Terz-intervall, bekommen wir zwei Knochen im Unterarm; das geht so weiter selbst bis hinein in die Finger. Das sieht phrasenhaft aus; es ist aber durch eine wirkliche geisteswissenschaftliche Beobachtung des Menschen so fest zu durchschauen, wie für den Mathematiker das ma­thematische Problem zu durchschauen ist. Es ist nicht etwas, was durch schlechte Mystik herbeigeführt wird, sondern es ist exakt zu durch­schauen. So daß, um diese Dinge zu begreifen, die Seminar- und Me­dizinbildung eigentlich von einem inneren Musikverständnis ausge­hen müßte, von jenem inneren Musikverständnis, das in voller Beson­nenheit wieder zu dem kommen muß, was selbst vor dem Griechentum das orientalische Musikverständnis war. Orientalische Baukunst be­greifen wir nur, wenn wir begreifen, wie die religiöse Wahrnehmung in die Form hineingeschossen ist. Wie die musikalische Kunst nur in zeitlichen Erfahrungen sich ausdrückt, so die Baukunst in räumlichen. Den Menschen muß man seinem Atherleib und seinem Astralleib nach ebenso begreifen. Und das Empfindungsleben, das Leben in Leiden­schaft kann nicht begriffen werden, wenn man nach den Naturgesetzen, wie man sagt «psychologisch» begreifen will, sondern nur, wenn man mit denselben Seelenformen an den Menschen herangeht, die man im Musikalischen gewahrt. Es wird eine Zeit kommen, wo man nicht so sprechen wird, wie die heutigen Psychologen oder Seelenlehrer über irgendeine krankhafte Empfindung sprechen, sondern, wenn eine krankhafte Empfindung vorliegt, wird man so sprechen wie gegen­über einem verstimmten Klavier: in musikalischer Ausdrucksweise.

Glauben Sie nicht, daß die Anthroposophie nicht selber einsehen kann, wo die Schwierigkeit ihres Erfassens in der Gegenwart liegt; ich kann durchaus begreifen, daß es viele Menschen gibt, die so etwas, wie

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ich es da dargestellt habe, zunächst für phantastisch, ja für halb wahn­sinnig halten. Aber mit dem, was heute vernünftig ist, ist eben leider der Mensch nicht zu begreifen, sondern man muß schon hinausgehen zu einem weiteren Vernünftigsein.

In dieser Beziehung sind die Menschen heute ganz merkwürdig, wie sie entgegenkommen der Anthroposophie. Sie können sich gar nicht vorstellen, daß etwas über ihr Fassungsvermögen vorläufig hinausgeht, und daß ihr Fassungsvermögen in Realität daran nicht herankommen kann. Jüngst habe ich da ein sehr interessantes Buch gesehen. Maeter­/inck hat ein Buch geschrieben, es ist auch deutsch erschienen, und da ist auch ein Kapitel über mich, und das schließt in merkwürdiger Weise und auch furchtbar humoristisch. Er sagt: Wenn man die Steinerschen Bücher liest, so sind die ersten Kapitel logisch korrekt, durchaus ver­ständig abgewogen und wissenschaftlich gestaltet. Dann aber kommt man, wenn man über die ersten Kapitel hinausliest, in etwas hinein, wo man sich denken muß, daß der Verfasser wahnsinnig geworden ist. -Das ist das gute Recht Maeterlincks. Warum soll er nicht den Ein­druck haben können: Der ist ein Gescheiter, während er die ersten Kapitel geschrieben hat, er ist verrückt geworden, während er die fol­genden Kapitel geschrieben hat. - Aber nun nehmen Sie die Realität dazu. Nun, Maeterlinck findet, daß in den Büchern die ersten Kapitel gescheit sind, in den folgenden Kapiteln wird der Verfasser wahnsinnig. Nun muß die merkwürdige Tatsache da sein: Er schreibt hintereinander Bücher, und bei den ersten Kapiteln macht er sich gescheit, bei den fol­genden macht er sich wahnsinnig, dann wieder gescheit, dann wieder wahnsinnig und so weiter. Denken Sie, wie grotesk, wenn man so ab­sieht von der Realität. Die Leute merken es gar nicht, wenn es solche mit Recht berühmte Schriftsteller schreiben, was für Wahnsinn darin steckt. Gerade an so erleuchteten Geistern wie Maeterlinck kann man studieren, wie schwer es ist, heute an die Wirklichkeit heranzukommen. Man muß auf dem Boden der Anthroposophie reden von einer Wirk­lichkeit, die heute als unwirklich angesehen wird.

Nun kommen wir auf die Ich-Organisation. Es handelt sich darum:

Diese Ich-Organisation kann zunächst in ihrer Wesenhaftigkeit studiert werden - so wie der Astralleib in der Musik - in der Sprache. Also wird

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man sagen, alle, auch die Mediziner und Lehrer - bei den Lehrern wird dies schon zugegeben -, müssen bei der heutigen Sprachformung ste­henbleiben. Können sie dann auch die innere Konfiguration der Spra­che verstehen? Nein, das kann nur derjenige, der die Sprache nicht als das ansieht, was unser Mechanismus daraus gebildet hat, sondern als etwas, in dem der Sprachgenius als etwas Lebendiges geistig wirkt. Der kann es, der sich übt, die Art und Weise zu verstehen, wie ein Wort konfiguriert wird. In den Worten liegt außerordentlich und ungeheuer viel von Weisheit. Der Mensch kommt dieser Weisheit gar nicht nach. Die ganze Eigentümlichkeit der Menschen kommt heraus in der Art und Weise, wie sie ein Wort bilden. Man kann die Eigenart der Völker aus der Sprache erkennen. Nehmen Sie zum Beispiel das Wort «Kopf». Das ist ursprünglich zusammenhängend mit dem Runden, das man auch am Kohl, den man auch Kohlkopf nennt, findet. Es wird aus der Gestalt heraus das Wort für den Kopf empfunden. Das ist eine ganz andere Verfassung des Ich, als zum Beispiel bei dem romanischen Worte «Testa», das von dem Zeugnisablegen, Testieren herkommt. Also aus ganz anderer Quelle heraus ist der Anlaß genommen worden, emp­findungsgemäß das Wort zu bilden.

Wenn man in dieser inneren Weise die Sprache versteht, dann schaut man hinein, wie die Ich-Organisation wirkt. Es gibt Gegenden, in de­nen der Blitz nicht «Blitz» genannt wird, sondern «Himlizzer». Das sind Menschen, die Himlizzer sagen, die nicht das einfache schnelle Hinschießen des Blitzes, sonder das schlangenhaft Gegliederte sehen. Wer «Blitz» sagt, sieht das Hinschießen; wer «Himlizzer» sagt, sieht den Blitz in dieser Zickzackweise geformt. So lebt der Mensch seinem Ich nach eigentlich in der Sprache. Nur ist er als heutiger zivilisierter Mensch aus der Sprache herausgekommen; die Sprache ist abstrakt ge­worden. Ich sage nicht, daß derjenige, der so die Sprache versteht, schon inneres hellseherisches Bewußtsein hat, durch das er in Wesenheiten hineinschaut, die gleich sind der menschlichen Ich-Organisation; aber man kommt auf den Weg, in diese Wesenheiten hineinzuschauen, wenn man mit dem inneren Verstehen das Sprechen begleitet.

So soll sowohl an der medizinischen Schule wie an den Lehrersemi­narien in der Richtung Bildung gepflegt werden, wie man sie haben

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muß, wenn man innerlich bestrebt ist, plastisch zu wirken, wenn Plastik aus dem Raumgefühl, inneres musikalisches Verständnis und inneres Sprachverständnis getrieben werden kann. Nun werden Sie sagen: Die Hörsäle sind ohnehin so leer, man machte am Ende die Seminarien schon auch noch so leer, wenn alles das hineinkäme.Wohin käme man da? - Man will das medizinische Studium fortwährend verlängern. Wenn das mit der Methode, wie es heute geschieht, fortgesetzt wird, wird es noch dazu führen, daß man im 60. Jahr fertig wird mit dem Medizinstudium! Das rührt nicht her von inneren Bedingungen, son­dern davon, daß diese inneren Bedingungen nicht erfüllt sind. Geht man über von abstrakten Begriffen zum plastischen Begreifen, zum musikalischen Begreifen, zum Weltenworte-Verstehen, dann wird, wenn man nicht stehenbleibt beim abstrakten Begreifen, der Horizont ein unendlicher; man kann immer weiter gehen, weil man an keine Grenze kommt, von der aus man die Sache übersehen kann. Durch das innere Verständnis, das auftritt, wenn Plastik- und Musikbegreifen hinzukommt, wird der Mensch, weil er innerlich rationeller wird, in seinem Bildungsgang wahrhaftig nicht verzögert, sondern innerlich beschleunigt werden. So werden wir aus dem inneren Gang eine metho­dische Bildung der Pädagogen haben, wo die Lehrer und diejenigen gebildet werden, die in der heutigen Pädagogik ganz besonders mit-zureden haben: die Ärzte.

Nachdem wir in den einleitenden Vorträgen gesehen haben, wie zusammenhängt mit dem ganzen Gesundheitszustand des Menschen die Art, wie erzogen und unterrichtet wird, ist es ohne weiteres klar, daß eine wirkliche Pädagogik gar nicht ohne eine Berücksichtigung einer wirklichen Medizin sich entwickeln kann. Es ist ganz unmög­lich; der Mensch muß eben nach seinen gesunden und kranken Ver­hältnissen beurteilt werden können von demjenigen, der ihn erzieht und unterrichtet; sonst kommt dasjenige heraus, was man auch schon fühlt: Man fühlt schon, daß der Arzt notwendig iSt in der Schule. Man fühlt es stark und schickt den Arzt von außen hinein. Aber das ist die schlechteste Methode, die man wählen kann. - Wie steht der Arzt zu den Kindern? Er kennt sie nicht; er kennt auch nicht die Fehler, die zum Beispiel vom Lehrer gemacht werden und so weiter. Die einzige

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Möglichkeit ist diese, daß man eine solche pädagogische Kunst betreibt, wo so viel Medizinisches drin ist, daß der Lehrer konstant die gesunden­den oder kränkenden Wirkungen seiner Maßnahmen am Kinde einsehen kann. Aber wenn man von außen den Arzt in die Schule hineinschickt, dadurch ist noch keine Reform durchgeführt, auch wenn man sagt, der Arzt ist notwendig. Wenn die Bildung der Ärzte so ist wie heute, wis­sen die Ärzte nicht, was sie zu tun haben, wenn sie in die Schule hinein­geschickt werden. In dieser Beziehung muß man einfach die Bildung kennenlernen, wenn man auf eine pädagogische Kunst hinstrebt, die auf der Grundlage der Menschheitserkenntnis steht. - Man scheut sich, indem man die Dinge ausspricht, aus dem Grunde, weil man weiß, wie schwer sie erfaßt und begriffen werden können. Aber gerade dieses zu glauben, daß man mit einigen aus der naturwissenschaftlichen Welt­anschauung gewonnenen Begriffen den Menschen verstehen kann, ist ein Irrtum, und dieses einzusehen, ist eine der Lebensbedingungen in der Entwickelung der pädagogischen Kunst.

Erst wenn man solche Anschauungen hat, wird man einsehen kön­nen, wie radikal in die Menschennatur das eingreift, was zum Beispiel zur Zeit des Zahnwechsels geschieht, wenn eigentlich das Gedächtnis bildhaft wird, nicht mehr am physischen Leibe hängt, sondern nun­mehr am ätherischen Leibe hängt. Denn welche Tatsache bringt eigent­lich die zweiten Zähne hervor? Die Tatsache, daß bis zum Zahnwech­sel der ätherische Leib dicht, ganz dicht mit dem physischen Leibe ver­bunden ist. Dann sondert er sich etwas ab; würde er sich nicht ab­sondern, so würden wir alle 7 Jahre Zähne bekommen. Es wäre ja für den heutigen Menschen, der seine Zähne so rasch aufbraucht, ja schon notwendig; ich denke, die Zahnärzte würden schon eine andere Be­schäftigung bekommen. Wenn der Ätherleib sich abgesondert hat, wirkt das, was früher im physischen Leib gewirkt hat, auf seelische Art. Für denjenigen, der solche Dinge betrachten kann, ist das der Fall, wenn er einem Kinde in den Mund schauen kann, ohne daß es das bemerkt. Es ist immer am besten, wenn es vom Kinde nicht bemerkt wird. Des­halb hat die Experimentalpsychologie so wenig Erfolg, weil sie vom Kinde so bemerkt wird. Man sieht die zweiten Zähne des Kindes: sie sind aus dem Ätherleib heraus gebildet und werden dann zum plastischen

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Bild des Gedächtnisses. An der Zahnkonfiguration kann man beobachten, was für ein Gedächtnis der Ätherleib veranlagt hat. Die Zähne kann man nicht anders machen; man kann da oder dort etwas abfeilen, aber man kann sie nicht anders machen. Etwas könnte man sie auch ändern, wenn die Medizin so gestaltet würde, wie sie Professor Römer gerade auf Grundlage anthroposophischer Einblicke, die er sich zu eigen gemacht hat, in seiner Schrift über Zahnheilkunde ausgespro­chen hat - etwas könnte schon getan werden, wenn auch die zweiten Zähne gebildet sind. Aber sehen wir davon ab. Dasjenige, was im See­lischen hauptsächlich bleibt, die Gedächtnisbildung, das kann, abge­sondert von dem, was physische Organisation ist, wenn der Äther-leib für sich ist, gerade den Erzieher und Unterrichtenden auf die rich­tige Fährte bringen. Nicht wahr, bis zum Zahnwechsel ist eine Einheit des Seelisch-Geistigen und des Physisch-Ätherischen da. Dasjenige, was physisch war und zusammengewirkt hat mit dem Psychischen, das kommt in der Zahnform zum Ausdruck. Was früher mitgebildet hat bei der Bildung der Zahnform, das sondert sich ab in idealer Steige­rung der Kraft, wird Gedächtnisbil dung, Gedächtnistreue und so weiter.

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Wenn man so hineinsieht in die menschliche Natur, kann man vie­les schauen und aufnehmen in das Erziehen und Unterrichten. Man wird vor allen Dingen, wenn man ganz lebendig durchdrungen ist von einer solchen Menschenerkenntnis, wenn man den Menschen anschaut, dasjenige bekommen als Didaktik und Pädagogik, was einen wirklich innerlich enthusiasmiert, was einen als Lehrer innerlich begeistert, was übergeht in die Handhabung. Das, was sich richtet nach Regeln, die in

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den pädagogischen Anleitungsbüchern stehen, ist eine abstrakte innere Tätigkeit der Seele; dasjenige, was man bekommt aus wirklicher an­throposophischer Menschenerkenntnis, das geht über in das Wirken, in das Wollen; das wird Impuls des Tatsächlichen, das der Lehrer voll­bringt in der Klasse. Man wird seelisch organisiert als Lehrer durch eine lebendige Menschenerkenntnis, während man durch dasjenige, was aus bloßer naturwissenschaftlicher Weltanschauung hervorgeht, eben zwar sehr gescheit wissen kann, was man mit dem Kinde tun soll, aber es nicht kann, weil es nicht in die Geschicklichkeit und lebendige Hand­habung des lebendigen Geistes seitens des physischen Lehrers hinein-geht. Und kann man das in sich durch eine wirkliche Menschenerkennt­nis beleben, dann merkt man, wie dieser Ätherleib wirklich frei wird nach dem Zahnwechsel, wie aus dem Inneren des Kindes heraus das Bedürfnis da ist, alles in Bildern zu empfangen, denn innerlich will es Bild werden. In der ersten Lebensepoche bis zum Zahnwechsel wollen die Eindrücke nicht Bild werden, sondern Gewohnheit, Geschicklich­keit; das Gedächtnis selber war Gewohnheit, Geschicklichkeit. Das Kind will mit seinen Bewegungen nachmachen, was es gesehen hat; es will nicht ein Bild entstehen lassen. Dann kann man beobachten, wie das Erkennen anders wird; dann will das Kind in sich etwas empfin­den, was wirkliche seelische Bilder sind; daher muß man jetzt im Un­terricht alles in die Bildhaftigkeit hineinbringen. Der Lehrer muß sel­ber dieses Bildlichmachen von allem verstehen.

Da stoßen wir aber sogleich, wenn wir anfangen, die Tatsachen zu betrachten, auf Widersprüche. Dem Kinde soll das Lesen und Schrei­ben beigebracht werden; wenn es an die Schule herankommt, denkt man selbstverständlich, daß man mit dem Lesen beginnen muß und das Schreiben damit in Verbindung haben muß. Aber sehen Sie, was sind heute unsere Schriftzeichen, die wir mit der Hand auf das Pa­pier machen, wenn wir schreiben, um den Sinn von etwas, was in un­serer Seele lebt, auszudrücken? Und was sind unsere Lettern erst, die in Büchern stehen, zu einem ursprünglichen Bildempfinden? Wie wur­den diese Dinge uns beigebracht? Was hat denn in aller Welt dieses Zeichen «A», das dem Kinde beigebracht werden soll, oder gar dieses Zeichen «a», was hat das in aller Welt zu tun mit deni Laut A? Zunächst

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gar nichts. Es ist kein Zusammenhang zwischen diesem Zeichen und dem Laute A. Das war in jenen Zeiten, in denen das Schriftwesen entstanden ist, etwas ganz anderes. Da waren in gewissen Gegenden die Zeichen bildhaft. Da wurde eine Art - wenn sie auch später kon­ventionell geworden ist - bildhafter Malerei gemacht, Zeichnungen, die die Empfindung, den Vorgang in gewisser Weise nachahmten, so daß man wirklich auf dem Papier etwas hatte, was wiedergab das­jenige, was in der Seele lebte. Daher ist es ja gekommen, daß, als dann primitivere Menschen diese sonderbaren Zeichen - für die Kinder sind sie ja natürlich sonderbar -, die wir heute als Schriftzeichen haben, zu Gesicht bekamen, sie ganz eigentümlich auf sie gewirkt haben. Als die europäischen Zivilisierten bei den Indianern in Amerika ankamen, wa­ren die Indianer ganz besonders betroffen über diese Zeichen, die da die Menschen auf das Papier machten, wodurch sie sich etwas vergegen­ständlichten. Die Indianer konnten das nicht begreifen; sie sahen das als Teufelswerk an, als kleine Dämonen. Wie Dämonen fürchteten sie diese kleinen Zeichen; sie hielten die Europäer für schwarze Magier. Immer, wenn man jemand nicht versteht, hält man ihn für einen schwarzen Magier.

Nun nehmen Sie die Sache so: Ich weiß, eine Verwunderung wird ausgedrückt, indem man ausbricht in den Laut A. Es ist nun etwas ganz Naturgemäßes, wenn der Mensch mit seiner vollen Körperlich­keit nachzumachen sucht dieses A und es so auszudrücken sucht mit dieser Geste der beiden Arme. Nun machen Sie das einmal nach. (Die beiden Arme schräg nach oben gehoben.) Da wird schon ein A daraus! Und wenn Sie ausgehen beim Kinde von der Verwunderung und an­fangen den Unterricht zu geben in malendem Zeichnen, dann können Sie inneres Erlebnis und äußeres Erlebnis in malendes Zeichnen und zeichnendes Malen hineinbringen.

Denken Sie das Folgende: Ich erinnere das Kind an einen Fisch und veranlasse es, wenn das auch unbequem ist, den Fisch zu malen. Man muß da mehr Sorgfalt anwenden, als man sonst in bequemer Weise gern getan hätte. Man veranlaßt es, den Fisch so zu malen, daß es da den Kopf vor sich hat und da den übrigen Teil. Das Kind malt den Fisch; jetzt hat es ein Zeichen durch malendes Zeichnen, durch

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zeichnendes Malen herausgebracht. Nun lassen Sie es aussprechen das Wort «Fisch». Sie sprechen F-isch. Jetzt lassen Sie weg das isch. Sie haben von «Fisch» übergeleitet zu seinem ersten Laute «F». Jetzt ver­steht das Kind, wie zustande kommt so eine Bilderschrift, wie sie zu­stande gekommen ist und übergegangen ist in späterer Zeit in die Schrift.

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Das ist nachgeahmt worden, das andere ist weggelassen worden. Da­durch entsteht das Zeichen des Lautes. Man braucht nicht Studien zu machen, um diese Dinge herauszufischen aus der Art und Weise, wie die Dinge sich entwickelt haben. Das ist nicht unbedingt notwendig für den Lehrer. Er kann es bloß, wenn er durch Intuition, ja mit Phan­tasie die Dinge entwickelt.

Er sieht zum Beispiel den Mund; versucht, daß die Kinder die Ober­lippe malen, daß es zum Malen der Oberlippe kommt. Jetzt bringt man es dahin, das Wort «Mund» auszusprechen. Wenn man jetzt das «und» wegläßt, hat man das «M». So kann man aus der Wirklichkeit

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heraus die ganzen Schriftzeichen erhalten. Und das Kind bleibt in fortwährender Lebendigkeit. Da lehrt man das Kind zuerst schreiben, indem sich die abstrakten Zeichen der heutigen Zivilisation aus dem Konkreten heraus entwickeln. Wenn man das Kind so an das Schrei­ben heranbringt, ist es als ganzer Mensch dabei beschäftigt. Läßt man es gleich lesen, so wird die Kopforganisation auch nur abstrakt be­schäftigt; man beschäftigt nur einen Teil des Menschen. Geht man zuerst an das Schreiben, so nimmt man die Hand mit; der ganze Mensch

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muß in Regsamkeit kommen. Das macht, daß der Unterricht, wenn er aus dem Schreiben hervorgeht - nämlich einem Schreiben, das aus zeichnendem Bilden, aus bildendem Zeichnen entwickelt wird -, an den ganzen Menschen herankommt. Dann geht man über zum Lesen-lernen, so daß dann auch wirklich mit dem Kopfe verstanden werden kann, was aus dem ganzen Menschen heraus im zeichnenden Malen, im malenden Zeichnen entwickelt worden ist. Da wird man etwas länger brauchen zum Schreiben- und Lesenlernen; allein es ist dabei auch die viel gesundere Entwickelung für das ganze Erdenleben von der Geburt bis zum Tode berücksichtigt.

Das ist so, wenn die Handhabung des Unterrichtes fließt aus wirk­licher Menschenerkenntnis. Die wird durch ihre eigene Kraft zur Me­thode in der Schule. Das ist es, was gerade heute in den Wünschen drinnen lebt, die sich nach einer anderen Erziehungskunst sehnen, was aber in seiner Wesenhaftigkeit nur gefunden werden kann, wenn man sich nicht scheut, auf eine volle Menschenerkenntnis nach Leib, Seele und Geist wirklich einzugehen.

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VIERTER VORTRAG Bern, 16. April 1924

Wie sich gegenüber der Anforderung der Menschenwesenheit verhal­ten muß der Unterricht im Schreiben und Lesen, davon habe ich be­gonnen zu sprechen. Man wird ohne weiteres nicht nur dasjenige, was da gesagt worden ist, einsehen, sondern man wird auch dazu kommen, eine Art Praxis in der Sache zu entwickeln, wenn man völlig durchdrun­gen ist davon, was das Seelisch-Geistige im Verhältnisse zu dem Phy­sisch-Leiblichen des Kindes wird beim Überschreiten des Zahnwechsels. Ein Sinnesorganismus im ganzen ist eigentlich die menschliche Wesen­heit bis zum Zahnwechsel. Und sie ist naturhaft hingegeben an die Um­gebung in der Art, daß man sagen kann: Es liegt eine naturhafte Re­ligiosität, hingegeben an die Umgebung, beim kleinen Kinde vor.

Das alles ändert sich ganz bedeutsam, wenn der Zahnwechsel über­schritten wird. Man möchte sagen: Das Sinnenhafte, dasjenige, was die ganze Kindeswesenheit durchdringt, das zieht an die Oberfläche. Die Sinne sondern sich ab von dem übrigen Organismus, gehen ihre eigenen Wege, und der Mensch verinnerlicht sich gerade dadurch, daß er sich geistig-seelisch emanzipiert von dem Leiblich-Physischen. Das Geistig-Seelische wird dadurch selbständig. Aber was man durchaus festhalten muß, das ist, daß das Geistig-Seelische vor der Geschlechts-reife nicht eigentlich intellektuell wird, daß das Intellektuelle sich erst mit der Geschlechtsreife als ein Naturhaftes herausbildet. Daher kommt man keiner Kraft, die im Kinde lebt, entgegen, wenn man an den Intellekt appelliert. Das Auffassungsvermögen, ja die ganze Seelenverfassung des Kindes vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife sind nun einmal auf das Bildhafte, auf dasjenige orientiert, was man nennen kann ästhetische Auffassung, eine Auffassung, die man etwa in der folgenden Weise charakterisieren kann: Bis zum Zahnwechsel lebt das Kind so, daß es dasjenige, was in der Umgebung tatsächlich vorgeht, was also dem Kinde sozusagen vorgemacht wird, nachahmen will, daß das Kind sein ganzes motorisches System einsetzt, um sich im allge­meinen und auch im speziellen Falle so zu verhalten zu dem, was ihm

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gegenübersteht, daß es zu dem Betreffenden einen innerlichen Hang, eine Liebe hat.

Das ändert sich mit dem Zahnwechsel so, daß das Kind sich nicht mehr richtet nach dem, was es sieht, sondern nach dem, was sich um­setzt in die Seelenoffenbarungen des betreffenden Erziehers oder Un­terrichtenden. Was wir so seinem Seeleninhalt nach haben für das Kind bis zum Zahnwechsel, das ist nicht etwas unbedingt Autorita­tives. Das Kind geht eigentlich bis zum Zahnwechsel - natürlich sind nicht schroffe, sondern allmähliche Übergänge vorhanden - gar nicht stark auf Sinn und Inhalt des Gesagten ein, sondern es lebt eigentlich viel mehr in dem Klang der Sprache, in der Art und Weise, wie die Sprache gehandhabt wird. Und wer eine intimere Anschauung von diesen Dingen hat, der wird wissen, daß, wenn ich zu dem Kinde sage:

Das sollst du nicht tun -, dieses Gebot keinen starken Eindruck auf das Kind macht. Sagt dagegen der Mensch nach seiner Überzeugung: Das sollst du nicht tun - oder: Tue das -, so liegt etwas ganz Entschei­dendens in der Art und Weise, wie man spricht. Das Kind merkt da, wenn man sagt: Du sollst das nicht tun -, daß man das in anderer Be­tonung ausspricht, als wenn man sagt: Das ist recht, das sollst du tun -, und nach dieser Betonung, die eine Offenbarung ist für die Art der Tätigkeit des Sprechens, danach richtet sich das ganz kleine Kind. In den Sinn der Worte und überhaupt in den Sinn der Offenbarungen der Umwelt geht das Kind erst ein, wenn es den Zahnwechsel voll­zieht und nach dem Zahnwechsel. Aber da geht es auch noch nicht so ein, daß es eingeht auf das Intellektuelle der Sache, sondern es geht ein auf das Gemüthafte, auf das Gefühlhafte der Sache. Es geht ein darauf, wie man gegenüber einer Art Autorität eingeht auf eine Sache deshalb, weil diese Autorität das sagt.

Das Kind bis zur Geschlechtsreife kann noch nicht innerlich in­tellektualistisch Überzeugungen entwickeln davon, daß etwas gut oder böse sei. Man mag über diese Dinge noch so viele Spekulationen anstel­len, die unmittelbare Beobachtung ergibt das, was ich gesagt habe. Da­her soll man, wenn man moralische Begriffe vor dem Kinde entwickelt, sie so entwickeln, daß man vor das Kind wiederum Bildhaftes hinstellt. Man kann da den eigentlichen Unterrichtsstoff und das Moralische

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durchaus ineinander verweben. Man stellt, sagen wir, Beispiele aus der Geschichte hin, und man läßt merken - nicht indem man philiströs­pedantisch mit allerlei Moralregeln an die Sache herantritt, sondern lediglich mit dem Gefühl auch des Gefallens und des Mißfallens an die Dinge herangeht -, daß einem das Moralische gefällt, das Unmoralische mißfällt, so daß das Kind in der Zeit vom Zahnwechsel bis zur Ge­schlechtsreife aufnimmt eine Sympathie für das, was gut ist, eine An­tipathie gegen das, was böse ist. Wir orientieren die Sache nicht darauf­hin, daß wir dem Kinde Gebote geben; diese Gebote wirken nicht. Wir können das Kind zwar versklaven mit diesen Geboten; allein ein mora­lisches Leben bringen wir nicht hervor, ein moralisches Leben, das aus dem Urgrund der Seelen hervorsprießen und -sprossen soll, wenn wir abseits von Gebot und Verbot ein feines Gefühl in dem Kinde hervor­rufen für das Gute und Böse, für das Schöne und Häßliche, für das Wahre und Falsche. Und eigentlich ist es richtig, wenn die verehrte Autorität so neben dem Kinde steht, daß sie ihm die Personifikation von Güte, Wahrheit und Schönheit ist. Das Kind wird kein Vollmensch, der aus seiner ganzen inneren Wesenheit heraus sich gestaltet, leiblich und seelisch, wenn es an Geboten heranerzogen wird. Da rechnen wir einzig auf seine Kopfentwickelung. Wir fördern die Herzensentwicke­lung und die Entwickelung des ganzen Menschen, wenn wir in diesem Lebensalter die Empfindung hervorrufen: Etwas ist wahr, etwas ist schön, etwas ist gut, weil die verehrte Autorität des Lehrenden, des Un­terrichtenden zeigt, daß sie dieses für wahr, für schön, für gut hält. Im Menschen, im konkreten, realen Menschen sucht das Kind die Verkör­perung von Wahrheit, Schönheit und Güte. Das wirkt auf das Kind, wenn das, was Wahrheit, Schönheit, Güte darstellt, ausgeht von der konkreten Erzieherindividualität. Das wirkt mit einer ungeheuren Le­bendigkeit. Das Kind strengt seinen ganzen Menschen an, um inner­lich ein Echo hervorzurufen von dem, was der Lehrer sagt oder sonst wahrnehmbar macht. Und darauf kommt es an vor allen Dingen in der Methodik gerade desjenigen Erziehungsunterrichts, der im Volks­schulalter eintreten muß.

Die Einwände gegen eine solche Darstellung sind natürlich, wie ge­sagt, auf der Hand liegend; denn man mißversteht heute den Anschauungsunterricht

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vielfach so, daß man meint, man müsse nur dasjenige an das Kind heranbringen, was das Kind versteht. Und weil unser Zeitalter ein intellektualistisches ist, so spielt in dieses Verstehen im­mer hinein das intellektualistische Verstehen. Man weiß heute über­haupt noch gar nicht, daß man noch mit anderen Seelenkräften ver­stehen kann als mit intellektualistischen; aber es ist manchmal zum Verzweifeln, was an sogenanntem Anschauungsunterricht eigentlich an­empfohlen wird. Es ist zuweilen ein Niveau, das fürchterlich ist, wenn man glaubt, man müsse sich auf das Verständnis des Kindes herunter-schrauben. Derjenige, der nur radikal den Grundsatz aufstellt: dem Kinde müsse nur dasjenige beigebracht werden, was es versteht, der weiß nicht, was es bedeutet, wenn ein Kind, sagen wir im 7., 8. Lebens­jahr etwa, etwas aufgenommen hat rein auf die selbstverständliche Autorität des Unterrichtenden hin. Weil der etwas als schön, als wahr ansieht, nimmt es die Sache auf, und das trägt dann das Kind mit sich weiter. Das wächst mit dem Kinde heran; vielleicht im 30., 40. Le­bensjahr durch eine gereifte Erfahrung, durch mancherlei Erfahrungen, die man durchgemacht hat, kommt man zu etwas, was man vielleicht im 7., 8. Lebensjahr nur auf Autorität des geliebten Erziehers aufge­nommen hat; das stößt wieder herauf. Jetzt versteht man es aus an­deren gereiften Erfahrungen heraus. Das hat etwas ungeheuer Beleben­des, wenn schon in der Seele des Menschen sitzende Inhalte heraus­kommen und mit Inhalten leben, die jetzt gewonnen werden. Erinne­rungen, die nur auf den Verstand rechnen, entziehen dein Menschen im späteren Leben diese belebenden Kräfte, die von dem Heraufkom­men eines rein auf Autorität hin aufgenommenen Inhaltes nach ge­reifter Erfahrung herrühren. Man muß durchaus in diesen Dingen viel intimer in die menschliche Wesenheit hineinschauen, als man heute vielfach hineinschaut.

Und so hat man nötig, überall darauf zu sehen, daß das Kind nicht in vereinseitigt gewordenen Intellekt hineingetrieben werde. Das tut man aber, wenn man die Vorgänge des Lebens so an das Kind heran-bringt, daß sie eben durchintellektualisiert sind. Das, was ich eben jetzt sage, kann sich auf alles beziehen, was dem Kinde beigebracht werden soll zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife. Vor allen

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Dingen handelt es sich zum Beispiel darum, daß wir auch im Rechnen darauf ausgehen, nicht zu intellektualisieren, sondern daß wir auch im Rechnen ausgehen von dem, was eben zunächst die Wirklichkeit ist. Sehen Sie, wenn vor mir liegen 10 Bohnen: die liegen vor mir; die sind die Wirklichkeit, die ich daher in mir sichtbare Gruppen teilen kann.

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Wenn ich sage: 3 + 3 + 4 Bohnen sind 10 Bohnen, dann setze ich von vorneherein das Gedachte an die Stelle der Wirklichkeit. Gehe ich aber davon aus, daß ich sage: In Wirklichkeit liegen vor mir 10 Bohnen; die kann ich bei ihrer Lage so einteilen, daß ich hier 3 habe, hier wieder­um 3, daß ich dann 4 dazufügen muß - gehe ich aus von der Summe, die wirklich daliegt, und zu den einzelnen Addenden hin, dann stehe ich in der Wirklichkeit, dann gehe ich von dem aus, was in Wirklichkeit immer da ist, von dem Ganzen, und ich gehe zu den Teilen über. Bringe ich dein Kinde das Addieren so bei, daß ich von der Summe ausgehe und in der verschiedensten Weise die Summe einteile - ich kann auch anders verteilen; ich kann die Bohnen auseinanderwerfen und anders gruppieren, ich kann herausbekommen: 10 = 2 + 2 + 3 + 3-, so habe ich dasjenige, was als Wirklichkeit konstant bleibt, in der ver­schiedensten Weise zerteilt. Man sieht daraus, daß man es in der ver­schiedensten Weise zerteilen kann, daß das Realere die unveränderliche Summe ist. Sie sehen, daß auch das, was durch wirkliche Menschen-erkenntnis einem klar wird: daß das Kind nicht eingehen will in die­sem Lebensalter auf ein Abstraktes - und die Addenden sind etwas Abstraktes - sondern auf das Konkrete, daß das bedingt, daß man das Rechnen umgekehrt lehrt, als es gewöhnlich gelehrt wird; daß man von der Summe ausgeht beim Addieren und davon dann zu den Adden-den übergeht, und sogar bemerklich macht, wie eine Summe in verschiedener

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Art verteilt werden kann. Dadurch, daß man dies tut, be­kommt man eine viel mehr der Wirklichkeit angepaßte Anschauung des Kindes als bei der gewöhnlich üblichen Methode.

Und so ist es eigentlich auch bei den anderen Rechnungsarten. Es wird ungemein Regsameres in dem Kinde hervorgerufen, wenn man sagt: Wieviel mußt du von 5 wegnehmen, damit du noch 2 hast? - als wenn man ihm sagt: Nimm 3 von 5 weg. - Und dieses: Wieviel mußt du von 5 wegnehmen, damit du noch 2 hast? - paßt sich auch viel mehr dem Leben an. Im Leben wird man es gerade damit zu tun haben. Und so handelt es sich wirklich darum, daß man schon in der Didaktik für diese Lebensepoche Wirklichkeitssinn entfaltet.

Sehen Sie, unserem Zeitalter könnte der Wirklichkeitssinn nicht so stark fehlen, wenn man nicht - obzwar man es nicht immer zugibt -heute eigentlich auf dem Standpunkt stünde, eine Sache ist wahr, wenn sie beobachtet und logisch ist. Aber das Logische allein macht nicht die Wahrheit, sondern die Wahrheit wird erst erzeugt dadurch, daß etwas logisch und wirklichkeitsgemäß ist. In dieser Beziehung erlebt man heute Ungeheuerliches. So zum Beispiel finden sich in der sehr geist­reichen und auch für gewisse Dinge absolut beachtenswerten Einstein­schen Relativitätstheorie Veranschaulichungen, die eigentlich so sind, daß man sich im Grunde genommen fortwährend zerspalten, zerhackt fühlt, wenn man einen rechten Wirklichkeitssinn hat. Denken Sie doch nur, daß bei Einstein so eine Uhr mit Lichtgeschwindigkeit in den Wel­tenraum hinausfliegt und dann unverändert sein soll. Solche Dinge gibt es; da brauchte man nur zu fragen, wie sie wäre, wenn sie wieder zurückkehrte: sie wäre nicht nur pulverisiert, sondern sie wäre noch viel mehr. Es wird etwas hingestellt, was man gut ausdenken kann, was logisch ist. Die Relativitätstheorie ist so logisch wie möglich, aber sie ist nicht wirklichkeitsgemäß in vielen ihrer Anwendungen. Daß solche Dinge überhaupt auf die Zeitgenossen einen so tiefen Eindruck machen können, rührt davon her, daß wir den Wirklichkeitssinn in gewisser Weise verloren haben.

So muß man schon, gerade wenn man dieses zweite Lebensalter des Kindes berücksichtigt, auch die Forderung gerade im höchsten Maße berücksichtigen, überall auf die Wirklichkeit loszugehen, nicht auf das

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Abstrakte. Tut man das, ja, dann wird man das Kind sowohl in bezug auf sein Erkennen, wie namentlich auch in bezug auf seine Gemüts-und Willenskräfte in der richtigen Weise für den späteren irdischen Lebenslauf vorbereiten. Denn man muß wirklich erst wissen, was das Kind ist, um in der richtigen Weise in Schule und Haus dasjenige hand­haben zu können, was für das Kind erzieherisch oder unterrichtend zu geschehen hat.

Der Mensch ist ja, bevor er ein Erdenwesen wird, ein seelisch-geisti­ges Wesen, das in seelisch-geistigen Welten lebt. Ich habe darauf schon hingedeutet. Er steigt herunter, verbindet sich als seelisch-geistiges We­sen mit dem physisch-ätherischen Menschenkeim, der zustande kommt teils durch die Tätigkeit des Seelisch-Geistigen selbst, teils aber durch die Vererbungsströmung, die durch die Generationen durchgeht und die durch Vater und Mutter an den Menschen, der sich im physischen Leib verkörpern will, herankommt. Wenn man dieses Seelisch-Geistige vor sich hat, das da an den Menschen zunächst herankommt, wird man es mit scheuer Ehrfurcht betrachten. Man wird gewissermaßen dem Werden des Kindes mit einem religiösen Gefühl auch als Lehrer gegen­überstehen; ich möchte sagen, mit einem priesterlichen Gefühl, weil die Art, wie sich Seelisch-Geistiges im Kinde enthüllt, wirklich zu einer Offenbarung des Seelisch-Geistigen im Physisch-Ätherischen wird. Hat man die Stimmung, daß sich ein von Göttern Gesandter herunterbegibt auf Erden und sich im Leibe verkörpert, dann bekommt man die rich­tige Gesinnung, die man in der Schule zu entfalten hat. Aber man lernt auch nur dadurch, daß man anzuschauen fähig ist, wie sich das Kind allmählich entwickelt. Dasjenige, was sich im Kinde vor dem Zahn-wechsel in dem Aufbau seines Leibes, in der Gestaltung der chaotischen Bewegung, in der Durchseelung des Mienenspieles und so weiter zeigt:

in alidem haben wir ja das zu sehen, was noch, insofern es aus dem Mittelpunkt des Kindes heraus wirkt, im wesentlichen eine Nachwir­kung desjenigen ist, was der Mensch durchgemacht hat vor seinem irdi­schen Leben in der göttlich-geistigen Welt.

Nur derjenige sieht in richtiger Weise hin auf Lebensäußerungen und Lebensregungen eines Kindes, der gewissermaßen das Vorleben in der göttlich-geistigen Welt in demjenigen sieht, was an dem Leibe des

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Kindes bis zum Zahnwechsel des Kindes vorgeht. Und deshalb ist es so, daß jene Gewohnheit beim Kinde weiterlebt, die das wesentlichste Seelenelement im vorirdischen Leben war. Da ist man ganz hingegeben an die geistige Umgebung, da lebt man ja außer einem selbst, um so individueller, aber außer einem selbst. Das will man fortsetzen. Man will gewissermaßen - und deshalb wird in dem kindlichen Leben ein naturhaft Religiöses entstehen - im Leibe fortsetzen, was man in gei­stigen Welten gepflogen hat im vorirdischen Dasein.

Anders ist es, wenn man im Zahnwechsel dahin gekommen ist, nach dem ersten Modell, das durch die Vererbung gegeben ist, nun den eige­nen Körper herauszugestalten. Man bekommt in diesem Lebensalter den ersten aus der eigenen Individualität heraus gestalteten Körper. Man kommt mit dem auf die Erde, was sich aus dein gewohnheitsmäßi­gen Gedächtnis in ein Gedächtnis, das mehr bildhaft-plastisch ist, hin­ein entwickelt, so daß man mit der Nachwirkung der Impulse früherer Erdenleben das Erdenleben in dem Lebensalter zwischen Zahnwechsel und Geschlechtsreife empfindet wie einen guten Bekannten. Das ist sehr wichtig, daß man sich sagt, wenn man das Kind in diesem Lebensalter aufzuerziehen hat: Was in dem Kinde vorgeht, ist ähnlich, wie wenn ich auf der Straße einen Bekannten treffe, an den ich mich erinnere. Das Ge­fühl, das auftritt dadurch, daß ich an eine Persönlichkeit herankomme, die mir früher bekannt war, das vollzieht sich um eine Stufe ins Unter­bewußtsein hereingesenkt, wenn der Mensch X im Erdendasein, jetzt in seinem Physisch-Moralischen, jenem Eindruck gegenübersteht. Das Kind hat viel mehr das Gefühl, wenn man ihm etwas beibringt: Das ist Altbekanntes. Je mehr Sie an dieses Gefühl appellieren, daß Sie eigentlich dem Kinde Altbekanntes überliefern wollten, je mehr Sie eigentlich dem Kinde den Unterricht bildhaft gestalten, weil es vorher bildhaft vor seinem Eigenleben gestanden hat, so daß es das Gefühl hat: Im Bilde liegt mein eigenes Wesen; ich verstehe das, weil es mir ein Altbekanntes ist -, je mehr Sie dieses Gefühl hervorrufen, desto be­stimmter erziehen Sie. Das Kind hat noch nicht sehr ausgesprochene spezielle Sympathien und Antipathien; aber es hat Sympathien und Antipathien im allgemeinen für alles, was im Irdischen an es heran­tritt. Rechnet man damit, daß dem Kinde das eine so sympathisch ist,

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wie mir ein lieber Freund ist, den ich wieder treffe, oder das andere so antipathisch ist, wie mir derjenige antipathisch ist, der mir eine Ohr­feige gegeben hat, rechnet man damit, daß solche Sympathien oder Antipathien da sind, nimmt man das auch nur hypothetisch an und be­nimmt sich so, dann hat man die richtige Didaktik.

Dann wird das Kind geschlechtsreif; da geht wiederum eine be­deutsame Veränderung in dem Kinde vor sich. Da gestalten sich die mehr allgemein gehaltenen Sympathien und Antipathien ins Spezielle hinein; da wird einem das einzelne besonders wertvoll oder unwertvoll, aber in einer anderen Weise als vorher. Das ist deshalb, weil mit der Geschlechtsreife das eigentliche Schicksal des Menschen beginnt. Vor­her steht der Mensch mehr im allgemeinen drinnen, er empfindet das Erdenleben mehr als einen guten Bekannten. Jetzt aber, wenn der Mensch geschlechtsreif geworden ist, treten die einzelnen Ereignisse so an ihn heran, daß er sie schicksalsgemäß empfindet. Indem der Mensch schicksalsgemäß das Leben auffaßt, wird es für ihn erst das richtige individuelle Leben. Daher muß, wenn es schicksalsmäßig auf­treten soll, auch das Frühere im Menschen wiederum heraufgetragen werden. Alles, was ich dem Kinde beibringe im schulmäßigen Alter, soll zunächst auf Autorität hin sitzen; soll es sich in das Schicksal ein­fügen, so muß es noch einmal heraufkommen, muß es individuell er­fahren werden. Das ist etwas, womit man wieder rechnen muß. - Und in bezug auf die moralischen Begriffe steht die Sache so, daß wir den Menschen dahin bringen müssen, daß er so viel Gefallen an dem Guten, so viel Mißfallen an dem Bösen vor der Geschlechtsreife entwickelt, daß nachher, wenn dasjenige, was er da in Sympathie und Antipathie entwickelt hat, wieder auftaucht in seiner Seele, er dieses Sympathische selber zu seinen Geboten macht und das Antipathische zu demjenigen, was er unterlassen soll. Da erlebt der Mensch die Freiheit in sich. Man erlebt nicht die Freiheit in sich, wenn man nicht, bevor man das: Das sollst du tun -, Das sollst du nicht tun - erlebt, rein gefühlsmäßig das Gefallen am Guten, das Mißfallen am Bösen erlebt. Moralität soll durch das Gefühl heranerzogen werden.

In bezug auf das Religiöse soll man sich klar darüber sein, daß der Mensch bis zum Zahnwechsel im Naturhaft-Religiösen lebt. Das Naturhafte

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geht dann zurück, weil das Seelisch-Geistige sich emanzipiert von dem Körperlichen; daher soll man ins Seelenhafte dasjenige wie­derum heraufheben, was der Mensch an naturhafter Religiosität ge­habt hat. Ist der Mensch durch die Geschlechtsreife durchgegangen, kann erst das religiöse Verständnis beginnen. Aber es muß dasjenige, was zunächst in der Nachahmung des Vaters oder der Mutter sich ab­gespielt hat, das muß später, wenn der Geist sich emanzipiert hat, den un­sichtbaren, übersinnlichen Mächten übertragen werden. So entwickelt sich eigentlich allmählich konkret, nicht abstrakt, das im Kinde Veran­lagte aus diesem selbst heraus. Man pfropft nichts in das Kind hinein.

Sehen Sie, da liegt ja eine merkwürdige Tatsache vor. Man kann die Probe darauf machen. Bei allen halbwegs vernünftigen Menschen -heute sind ja fast alle Menschen vernünftig, das meine ich in allem Ernste - ist weiter nichts als vernünftig zu sein, kopfmäßig vernünftig zu sein, ausgebildet. Aber den ganzen Menschen auszubilden, das ist schon schwerer. Man braucht nur ein wenig nachschlagen bei Men­schen, die als vernünftige Menschen über Erziehung schreiben; man wird immer auf den Satz stoßen: Man soll einem Menschenkinde nicht etwas von außen heranbringen, sondern man soll das, was schon in ihm liegt, zur Entwickelung bringen. - Wirklich, man liest das überall; aber wie macht man das? Darauf kommt es an; es kommt nicht darauf an, daß man einen allgemeinen Grundsatz hat. Programinprinzipien sind heute billig, aber das Leben in der Realität ist das Wesentliche. Dahin müssen wir kommen, zum Leben in der Realität. Wahrhaftig, für den, der in der Realität zu leben vermag, ist es manchmal zum Ver­zweifeln, wenn die ganze Schwierigkeit in so bedrohlicher, gefährlicher Weise an ihn herankommt. Es können sich heute 30, 40, 100 Menschen zusammensetzen und in einzelnen Paragraphen aufschreiben, welches die beste Erziehungs- und Unterrichtsmethode ist, und andere Forde­rungen aufstellen. Ich bin überzeugt, daß in den meisten Fällen, wenn sich solche Menschen zusammentun, sie etwas ganz Gescheites aufstel­len. Ich meine das ganz ohne Ironie, weil unsere materialistische Bil­dung den Kulminationspunkt erlangt hat. Vereine gründen, Pro­gramme aufstellen, die ganz ausgezeichnet sind, das ist etwas, was man heute überall trifft. Nur ist damit gar nichts getan. Daher ist die Waldorfschule

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einmal so in die Erscheinung getreten, daß kein Programm da war, keine Forderung, sondern Kinder und Lehrer; daß man rech­nete mit der Individualität jedes einzelnen Kindes, aber auch mit der Individualität jedes einzelnen Lehrers. Man muß die Lehrer kennen. Daß die Lehrer dieses oder jenes tun sollen, kann man in gescheiter Weise in Paragraphen aussprechen. Was aber der Lehrer vermag, dar­um handelt es sich. Und um ihn zur Entwickelung von alldem zu brin­gen, was er vermag, dazu ist nicht notwendig eine Anzahl von Erzie­hungsgrundsätzen, sondern Menschenkenntnis, die auf das Leben selber mit eingeht, die belebend auf des Menschen ganzes Wesen eingeht. Es handelt sich schon darum, daß wir überall darauf ausgehen, wirklich zu entwickeln. Aber da müssen wir ja wissen, wo wir das, was wir ent­wickeln wollen, zu suchen haben: wir müssen anknüpfen das religiöse Gefühl und das religiöse Denken später an das Nachahmen des ersten Kindesalters, das moralische Urteil an das zweite Kindesalter.

Aber wir müssen auch sonst durchaus ins Auge fassen, wie das Kind zwischen Zahnwechsel und Geschlechtsreife auf das Bildliche hinorien­tiert ist; wir müssen im künstlerischen Element etwas Wesentliches im Erziehen und Unterrichten suchen. Das Malen, vielleicht auch das pla­stische Gestalten, das Musikalische muß wirklich in richtiger Weise eingegliedert werden, so daß wir es überall herausentwickeln aus den Forderungen der kindlichen Menschennatur selber.

Aber auch sonst müssen wir die Dinge vor dem Kinde so gestalten, wie es die kindliche Natur fordert, nicht wie unser materialistisches Zeitalter es gibt. Unser materialistisches Zeitalter gibt uns zum Bei­spiel recht schöne Kenntnisse davon, wie die einzelnen Pflanzen unter­schieden werden sollen. Aber, man möchte sagen, eine Grundforderung für den Lehrer, der die Kinder zu erziehen hat zwischen Zahnwechsel und Geschlechtsreife, ist, daß man weiß: was man über die Pflanzen heute in der Wissenschaft denkt, wie man sie gliedert, einteilt, be­schreibt, das alles muß man unberücksichtigt lassen, wenn man dem Kinde in dem genannten Lebensalter gegenübersteht. Man muß da die Frage aufwerfen: Ist eine Pflanze überhaupt eine Wirklichkeit? Kann man eine Pflanze aus sich selber verstehen? - Das kann man nämlich nicht. Wenn Sie irgendwo ein Haar finden, so werden Sie nicht darüber

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nachstudieren, wie dieses Haar für sich gebildet sein kann. Es muß einem Menschen ausgerissen oder ausgefallen sein. Es ist seiner Wirklichkeit nach nur denkbar im Zusammenhang mit dem ganzen Organismus. Das Haar ist nichts für sich, kann nicht verstanden wer­den für sich. Es ist Sünde wider den Wirklichkeitssinn, wenn man ein Haar für sich beschreiben will. So ist es auch eine Sünde wider den Wirklichkeitssinn, wenn man eine Pflanze für sich beschreiben will. Wenn es zunächst auch paradox klingt: die Pflanzen sind die Haare der lebendigen Erde. Wie Sie die Organisation des Haares nur ver­stehen, wenn Sie die menschliche Kopforganisation, überhaupt die menschliche Organisation ins Auge fassen und verstehen, wie aus dieser Gesamtorganisation so etwas wie die Haare hervorgeht; so müssen Sie, wenn Sie dem Kinde Pflanzenkunde beibringen wollen, die Erde im innigsten Zusammenhang mit der Pflanzenwelt betrachten. Man muß mit dem Kinde vom Boden ausgehen und eine Vorstellung davon her­vorrufen, daß die Erde ein Lebewesen ist; wie der Mensch die Haare trägt, so trägt die Erde als Lebewesen die Pflanzen. Niemals die Pflanze abgesondert vom Boden betrachten; niemals eine abgerissene Pflanze dem Kinde als etwas zeigen, was Realität haben soll, denn es hat keine Realität. Die Pflanze kann ebensowenig ohne den Boden existieren wie das Haar ohne den Organismus. Daß in dem Kinde im Unterricht als Empfindung hervorgerufen wird, daß das so ist, das ist das Wesent­liche. Wenn das Kind das Gefühl hat: Da ist eine so und so gestaltete Erde, und von dieser so und so gestalteten Erde hat die Pflanze diese oder jene Blüte -, wenn das Kind überhaupt das Gefühl bekommt: Die Erde ist ein lebendiger Organismus -, dann versetzt sich das Kind in die wirklichkeitsgemäße, in die richtige Art zu der Erde, zu dem gan­zen irdischen Schauplatz der Erde, während das niemals der Fall sein kann, wenn man die Pflanze abgesondert von der Erde betrachtet. Dann wird das Kind - das können wir durch eine intime Beobachtung desjenigen, was in dem Kinde heranwächst, sehen - etwa gegen das 10. Lebensjahr fähig, überhaupt so etwas zu begreifen, wie ich es jetzt ab­strakt charakterisierte. Es muß ganz ins Bildhafte umgestaltet werden. Wir müssen bis zu diesem Lebensjahr alles, was auf die Pflanzen, die aus dem lebendigen Organismus der Erde hervorwachsen, Bezug hat, in

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Märchen, in Bilder, ins Legendarische kleiden. Dann erst müssen wir übergehen zu der Betrachtung dessen, wozu notwendig ist, daß der Mensch sich von seiner Umgebung unterscheidet. Das Kind unterschei­det sich bis zum 9. Lebensjahr nicht von seiner Umgebung. Es trennt das Ich nicht vollständig von der Umgebung. Daher müssen wir über die Pflanzen so sprechen, wie wenn die Pflanzen so kleine Menschen oder Engelchen wären, menschlich handeln und fühlen, müssen auch über die Tiere so sprechen; über das abgesonderte Objektive erst im späteren Lebensalter.

Aber man darf nicht so schroff von dem einen zu dem anderen über­gehen. Sondern die wahre Realität, die lebendige Erde, aus der die Pflanzen herauswachsen, die hat ein anderes Gegenbild: die Tierwelt. Nicht wahr, man betrachtet sie so, daß man das eine Tier neben das andere stellt; die ähnlich sind, gehören in eine Klasse, in eine Ordnung, und so gliedert man sie nebeneinander. Man sagt höchstens noch, daß die vollkommeneren aus den unvollkommeneren hervorgegangen sind und so weiter. Aber dadurch versäumt man, den Menschen in irgendein Verhältnis zu seiner Umgebung hineinzustellen. Schaut man unbefan­gen die Tierformen an, dann ergibt sich sehr bald, daß ein Unterschied ist zwischen einem Löwen und einer Kuh. Wenn man eine Kuh an­schaut, bekommt man sehr bald heraus: da ist in der Kuh dasjenige einseitig ausgebildet, was wir Menschen namentlich im Verdauungs­apparat haben; die Kuh ist ganz und gar ein Verdauungsapparat, und die anderen Organe sind mehr oder weniger Ansätze. Daher ist es interessant - verzeihen Sie, wenn ich das erwähne -, der Kuh beim Verdauen zuzuschauen. Sie verdaut, wenn sie da auf der Weide liegt, mit einem solchen Enthusiasmus, einem körperhaften Enthusiasmus, sie ist ganz Verdauung. Sehen Sie sie nur einmal an; Sie sehen förmlich, wie die Stoffe übergehen aus dem Magen in die anderen Körperteile. Sie sehen es an dem Behagen, an dem Seelischen der Kuh, wie sich das alles vollzieht. Sehen Sie dagegen den Löwen an. Haben Sie nicht das Gefühl: wenn das Herz nicht durch den Verstand daran gehindert würde, zu schwer in die Glieder zu wirken, Ihr Herz würde so warm, wie der Löwe es ist? Es ist der Löwe so organisiert, daß er einseitig die Brustorganisation des Menschen ausbildet; das andere ist wieder nur

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Anhangsorgane. Und die Vögel: der Vogel ist eigentlich ganz und gar ein Kopf, wenn wir ihn anschauen. Das andere ist alles verkümmert an ihm, er ist wirklich ein Kopf. Und so können wir - ich führe diese etwas anschaulichen Beispiele vor, weil sie anschaulich sind - bei allen möglichen Tieren sehen, daß sie in einer einseitigen Weise ein Stück Mensch verkörpern. Irgend etwas, was in der menschlichen Natur ganz harmonisiert ist, wo immer eines so ausgebildet ist, daß es durch das andere gemildert und harmonisiert ist, bildet sich bei dem einen oder anderen Tier für sich aus. Was würde die menschliche Nase, wenn sie nicht im Zaume gehalten würde durch die andere Organisation! Sie finden Tiere, welche die Nasenorganisation besonders ausgebildet ha­ben. Was würde der menschliche Mund, wenn er für sich allein wirken würde, wenn er nicht gemildert würde durch die anderen Organe! So finden Sie immer an Tierformen die einseitige Ausbildung eines Stückes des Menschen.

Das hat man sogar in alter instinktiver Erkenntnis gut gewußt, nur ist es vergessen worden in unserer materialistischen Zeit. Im Anfange des 19. Jahrhunderts waren noch Anklänge an dieses Wissen vorhan­den; heute müssen wir neu an es herankommen. Ja, da hat zum Beispiel Oken, der aus alter Tradition ein Gefühl dafür hatte, daß in jedem menschlichen Organ eine Tierform lebe, den etwas grotesken Satz aus­gesprochen: Was ist die menschliche Zunge? Die menschliche Zunge ist ein Tintenfisch. Der Tintenfisch, den wir im Meer finden, ist eine ein­seitig ausgebildete Zunge. - Aber darin lebt etwas von demjenigen, was wirklich Wissen werden kann von dem Verhältnis des Menschen zu der ausgebreiteten Tierwelt. Das ist durchaus so, daß, wenn man es aus der Abstraktheit löst, in der ich es vorgebracht habe, wenn man es innerlich begreift und ausgestaltet zum Bilde, es sich dann in wunderbarer Weise an die Fabeln und Erzählungen von Tiererlebnissen anschließt. Haben wir in früheren Jahren an die Kinder Erzählungen herangebracht, wo Tiere so handeln wie die Menschen, so können wir jetzt den Menschen aufteilen in das ganze Tierreich. Es gibt das einen wunderbar schönen Übergang.

Wir bekommen jetzt zweierlei Gefühle und Empfindungen in dem Kinde. Das eine, das wir hervorrufen durch die Pflanzenwelt. Das

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Kind geht über Wiesen, Felder und Äcker, schaut die Pflanzen an und sagt sich: Da ist unter mir die lebendige Erde, die sich auslebt in der Pflanzenwelt, die mich entzückt. Ich sehe zu einem außer mir Befind­lichen, das zu der Erde gehört. Wie das Kind tief innerlich empfindet die Zugehörigkeit der Pflanzenwelt zu der Erde, wie es dem Leben der Wirklichkeit entspricht, so empfindet das Kind weiter tief inner­lich des Menschen wahre Verwandtschaft zur Tierheit, des Menschen, der aufgebaut ist wie die Harmonisierung des ganzen über die Erde ausgebreiteten Tierreiches.

So nimmt das Kind Naturgeschichte auf als ein Verhältnis seiner selbst zur Welt, als ein Verhältnis der lebendigen Erde zu demjenigen, was aus der Erde heraussproßt. Es werden aufgerufen poetische Phan­tasiegefühle, welche in dem Kinde schlummern; da wird das Kind wahr hineingefügt seiner Empfindung nach in das Weltall; da wird Natur­geschichte für dieses kindliche Alter auch zu etwas, was zu moralischen Erlebnissen hinführt.

Sie sehen, es ist schon so, daß Pädagogik und Didaktik nicht in äußeren technischen Regeln bestehen kann, sondern hervorgehen muß aus wirklicher Menschenerkenntnis, die dann übergeht in ein Sich-Füh­len in der Welt, daß man dieses Sich-Fühlen in der Welt als Lehrender und Erziehender an das Kind heranbringt.

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FÜNFTER VORTRAG Bern, 17. April 1924

Wenn man dieses eben für die Erziehung maßgebendste Lebensalter vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife verfolgt, gliedert es sich wiederum in einzelne, ich möchte sagen, Unterepochen, und zwar so, daß das Kind so bis gegen das 9. Jahr gar nicht in der Lage ist, sich von der Umwelt so streng zu unterscheiden, daß in ihm auch nur gefühls­mäßig Weltgefühl und Ich-Gefühl deutlich auseinanderfallen. In dieser Beziehung sieht unsere heutige Zeit nicht immer richtig. Der heutige Menschenbeobachter sieht hin auf ein Kind, das sich an einer Ecke stößt und anfängt, diese Ecke zu schlagen. Da sagt der heutigen Menschenbe­obachter: Das Kind denkt sich den Tisch, an dem es sich gestoßen hat, belebt - man redet kulturhistorisch von Animismus-, und weil das Kind voraussetzt, daß der Tisch belebt ist, schlägt es den Tisch. - Das ist nicht der Fall in Wirklichkeit. Wenn man in die Seele hineinschaut, findet man, daß das Kind nicht den Tisch belebt, auch das Lebendige nicht so belebt, wie man es in einem späteren Lebensalter beleben muß; sondern so wie das Kind in dem Arm und der Hand einfach Glieder seines Wesens sieht, so sieht es eine Fortsetzung seines eigenen Wesens in dem, was draußen geschieht. Das Kind unterscheidet noch nicht Welt und sich. Und so kommt es dann, daß man für, ich möchte sagen, das erste Drittel des Lebensalters zwischen Zahnwechsel und Geschlechts­reife durchaus im Unterrichten und Erziehen darauf bedacht sein muß, alles so an das Kind heranzubringen, märchenhaft, legendenhaft, daß das Kind in allem etwas sieht, was sich gar nicht unterscheidet von dem Eigensein, was durchaus nur eine Fortsetzung des eigenen Seins ist.

Dagegen ist gerade so zwischen dem 9. und 10. Lebensjahr ein wichtiger Entwickelungspunkt im Leben des Kindes. Dieser Entwickelungs­punkt kommt für das eine Kind etwas früher, für das andere Kind et­was später; er ist von eminenter Wichtigkeit. Man wird bemerken, daß das Kind etwas unruhig wird, daß das Kind mit fragenden Augen - es kommt wirklich auf Dinge an, die man erfühlen muß - an die Er­zieherautorität herankommt; daß das Kind Fragen stellt, die einen

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frappieren gegenüber demjenigen, was es früher gefragt oder nicht gefragt hat. Das Kind kommt in eine eigentümliche innerliche Lage. Da handelt es sich vor allen Dingen darum, daß man nicht nur, ich möchte sagen, nach pedantisch-philiströser Art allerlei Ermahnungen an das Kind richtet, sondern daß man vor allen Dingen gefühlsmäßig wirklich sich in das Kind hineinversetzen kann. Es ist etwas im Unter­bewußten - selbstverständlich im Unterbewußten, nicht so, daß das Kind deutlich sich vor sich selber aussprechen würde - in diesem Le­bensalter beim Kinde eingetreten, das man so charakterisieren kann: Durch und durch war bisher Wahrheit, Güte, Schönheit für das Kind dasjenige, was die verehrte Erzieherautorität als wahr, gut und schön hinstellte. Das Kind ist selbstverständlich der Autorität hingegeben. In diesem Lebensaugenblick, so zwischen dem 9. und 10. Lebensjahr, kommt etwas über das Kind, wodurch es - nicht in Gedanken, es in­tellektualisiert noch nicht, aber in seinem Gefühl - die ganz unbe­stimmte, wie im Traum verlaufende Frage aufwirft: Ja, woher hat der Lehrer das, woher kommt ihm das; ist der Erzieher wirklich die Welt? -Bis dahin war er es; jetzt tritt das auf: Geht nicht die Welt noch über den Erzieher hinaus? - Während er früher seelisch durchsichtig war, und das Kind durch ihn in die Welt sah, wird er jetzt immer mehr und mehr undurchsichtig; das Kind fragt wie gefuhlsmaßig, warum etwas be­rechtigt ist. Da muß man durch die Art, wie man sich verhält, taktvoll das Richtige für das Kind finden. Es kommt nicht darauf an, daß man ein eingelerntes Wort zu sagen weiß, sondern daß man sich der Situa­tion aus einem inneren Takt anzupassen weiß. Wenn man so durch ein inneres imponderables Mitfühlen mit dem Kinde gerade in dieser Lebenszeit das Richtige findet, bedeutet das ein Ungeheures für die ganze Lebenszeit bis zum Tode hin, kann man sagen. In dieser inneren Lebenssituation im Lehrenden, im Erziehenden einen Menschen ge­funden zu haben, von dem man das Gefühl hat: Der redet aus den Weltgeheimnissen heraus -, das wird immer wertvoller und wertvoller. Das gehört unbedingt zu dem Didaktischen und Methodischen.

Auf diesen Zeitpunkt tritt für das Kind der Unterschied ein zwi­schen Welt und Ich. Daher kann man jetzt übergehen von der Pflan­zenkunde, so wie ich sie gestern auseinandergesetzt habe, zu der Tierkunde.

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Betreibt man sie so, wie ich es dargestellt habe, kommt man dem Weltgefühl des Kindes entgegen.

Dann kommt in einer dritten Epoche, gegen das 12. Jahr hin, nach Erreichung der Mitte des ii. Lebensjahres, erst ein Verständnis für das, was man das Kausalitätsgefühl nennt. Sie können zu dem Kinde noch so gescheit reden vor diesem 12. Lebensjahr, wie die Dinge ihre Ur­sachen und ihre Wirkungen haben, das Kind ist in diesem Lebensalter kausalitätsblind. Wie man von Farbe das Wort Farbenblindheit prä­gen kann, so kann man das Wort prägen: Kausalitätsblindheit. Das, was Zusammenhang hat zwischen Ursache und Wirkung, formt sich im Menschenwesen erst nach dem 12. Lebensjahre. Daher kann man das­jenige, was man dem Kinde beibringen soll aus dem Physisch-Minera­lischen, insofern es über das Bildhafte hinausgeht und zu dem Physika­lisch-Chemischen geht, erst beginnen zwischen dein ii. und 12. Lebens­jahr. Da kann es erst als Physikalisch-Chemisches in den Unterricht ein­geführt werden. Es ist durchaus von Schaden, nicht von Nutzen, wenn vor diesem Lebensalter mit dem Kinde allerlei verhandelt wird über Ursache und Wirkung in der Natur.

Damit aber ist, ich möchte sagen, auch dem geschichtlichen Unter­richt sein Methodisches zugeteilt; denn Geschichte läßt sich betrachten auf zweierlei Arten: entweder so, daß man die einzelnen Gestalten der Geschichte seelisch malend, möchte ich sagen, hinstellt, Persönlichkei­ten in Bildern hinstellt. So allein ist Geschichte bis zum 12. Jahre zu er­teilen. Alles übrige verhärtet den Menschen, macht ihn sozusagen see­lisch skl erotisch. Reden Sie vor dem ii. Lebensjahr in der Geschichte davon, daß die frühere die spätere Epoche vorbereitet durch irgend­welche Impulse, so erzeugen Sie in dem Kinde eine seelische Sklerose. Die Menschen, die solches beobachten können, werden gar vielfach bei den nun alt gewordenen Menschen sagen können: dem ist in der Geschichte viel zu früh von Kausalität geredet worden. Und das über­trägt sich sogar auch in diesem Lebensalter noch oft nach denselben Gesetzen, die ich erörtert habe, ins Körperlich-Physische. Und auch physische Sklerose, die im hohen Alter auftritt, ist unter anderen Ur­sachen auch auf diese zurückzuführen, daß im kindlichen Lebensalter zuviel Kausalität an das Kind herangekommen ist.

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Diese Zusammenhänge müssen einmal berücksichtigt werden. Und gerade für solche Zusammenhänge muß sich unbedingt Verständnis er-geben. Sie sind eine Kulturforderung, die unsere Zivilisation wieder zurückführt zu demjenigen, was einmal aus einer instinktiven Men­schenerkenntnis heraus, die wir nicht mehr brauchen können, weil wir im Zeitalter der Besonnenheit leben, da war. Sehen Sie, wenn wir zu­rückgehen in frühere Geschichtsepochen, noch in das ältere Griechen­tum, so waren da «Erzieher» und «Heiler» Worte, die ungemein nahe aneinander lagen, da man wußte: der Mensch ist eigentlich ein Wesen, das bei seinem Eintritt in das irdisch-physische Leben nicht auf seiner vollen Höhe steht; er ist ein Wesen, das erst zu seiner vollen Höhe ge­bracht werden muß. Es ist das das Gesunde an der Vorstellung des Sündenfalles, daß der Mensch eigentlich untermenschlich in das phy­sische Erdendasein eintritt. Träte er nicht untermenschlich ein, so brauchten wir ihn ebensowenig zu erziehen wie die Spinne, die auch nicht erzogen zu werden braucht, um später Netze zu weben. Beim Menschen muß man erst alles heranerziehen, weil er erst zum vollen Menschen gebracht werden muß. Und wenn das richtig so beurteilt wird, daß man den Menschen eigentlich physisch, seelisch und geistig erst zum Menschen hinführen muß, dann sieht man auch ein, daß das nach denselben Gesetzen geschehen muß, nach denen man eine abnorm wirkende Menschennatur wiederum in das richtige Gleis bringen muß. Heilen den Menschen, der nicht die volle Menschlichkeit, sondern die geschädigte Menschlichkeit an sich trägt, ist eine ähnliche Tätigkeit wie das Erziehen. Erst wenn man die Verwandtschaft, die naturhafte und die spirituelle Verwandtschaft zwischen beiden wiederum einsieht, wird man die Pädagogik in der richtigen Weise durch eine ethische Physiologie befruchten können.

Es ist merkwürdig, wie spät erst, aber auch wie gründlich solche Vorstellungen verlorengegangen sind; so daß Sie zum Beispiel bei Her­der noch nachlesen können: in Herders, also im 18. Jahrhundert ge­schriebenen «Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit» finden Sie mit einer wahren inneren Hingabe geschildert, was man alles für die Betrachtung der inneren Menschenwesenheit an der Krankheit lernen kann. Wenn der Mensch krank wird, so ist das ein Eingriff in

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den normalen Fortgang seines Wesens, und die Art, wie er krank wird, wie er wiederum aus der Krankheit herauskommt, führt einen hinein in die Gesetze der Menschennatur. Und Herder ist eigentlich ganz ent­zückt, nicht nur von physischen, sondern sogar von Geisteskrankheits­fällen zu lernen für das innere Gewebe der menschlichen Wesenheit. Da ist noch ein deutliches Bewußtsein vorhanden von dieser Zusam­mengehörigkeit von Medizin und Pädagogik. So nahe liegen uns die Zeiten noch, wo die alten Prinzipien: Du mußt den Menschen, der eigentlich krank, weil sündhaft, in die Welt tritt, heilen, das heißt, er­ziehen -, wo dieses Prinzip noch da ist. Gewiß, es ist da radikal, extrem ausgedrückt, aber es liegt dem etwas Gesundes zugrunde. Das muß wie­derum als eine Kulturforderung erkannt werden, damit dieses gründ­liche Verabstrahieren, das auch über die Pädagogik gekommen ist, auf-höre, und daß man tatsächlich über solche Dinge hinwegkomme, wie ich sie in der Praxis erfahren habe.

Ich mußte da kürzlich in der Waldorfschule einen Mann herum-führen, der sogar eine leitende Stellung auf dem Gebiete der Pädago­gik hat. Wir besprachen auch manche Individualitäten einzelner Schü­ler; und da faßte dieser Mann das, was er beobachtet hat, in merk­würdiger Weise zusammen. Er sagte: Wenn das aber so werden soll, dann müßten die Lehrer Medizin studieren. - Ich sagte, man kann doch so gar nicht urteilen. Wenn es notwendig ist, eine gewisse Summe von medizinischer Kenntnis der Pädagogik einzufügen, dann muß es eben geschehen. Man kann doch unmöglich aus irgendwelchen tradi­tionellen Gründen heraus sagen, das müßte sein. Es muß geschehen, es muß eine Kulturforderung werden, daß in der Tat Kulturmedizin und Kulturpädagogik einander in die Nähe gebracht werden, sich gegen­seitig befruchten. All die Dinge, die gerade heute gefordert werden müssen, sind in vieler Beziehung recht unbequem, aber schließlich ist auch das Leben nach und nach recht unbequem geworden, und es zu heilen, wird auch schon eine recht unbequeme Sache werden.

So handelt es sich darum, daß man die eigentliche mineralisierende Betrachtung erst zwischen dem ii. und 12. Lebensjahr aufnimmt, auch das Geschichtliche so unterrichtet, daß man Bildhaftes gibt bis in dieses Lebensalter, und daß man dann erst anfängt, auf das Ursächliche und

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das Wirkende in der Geschichte einzugehen durch die zusammenfas­sende geschichtliche Betrachtung, und Überblicke erst zwischen dem 11. und 12. Lebensjahr gewinnen läßt. Man wird überall die Richtigkeit dieser Methodik daran ablesen können, daß, sobald man die Vorgänge in kausaler Betrachtung zu früh an die Kinder heranbringt, sie einem gar nicht zuhören; wenn man es aber im richtigen Momente tut, dann kommt einem die innerliche Freude, das innerliche Dabeisein des Kin­des entgegen.

Eigentlich kann man ohne dieses innerliche Dabeisein gar nicht er­ziehen und unterrichten. Überall wird es sich aber darum handeln, daß bedacht wird, wie der Mensch so erzogen werden muß, daß man sich bewußt wird, wie man ihn mit der Geschlechtsreife eigentlich ins Le­ben entläßt. Denn auch bei denjenigen Kindern, die dann junge Damen und junge Herren werden und auf höhere Schulen übergeführt wer­den - auf der Waldorfschule haben wir die Einrichtung, daß wir über die Volksschulklassen hinaus die Kinder bis zu der Hochschulreife füh­ren, wir unterrichten in 12 Klassen bis zum 18., 19. Lebensjahr und darüber -, muß man sich durchaüs bewußt sein, daß man nach der Ge­schlechtsreife Menschen vor sich hat, die eben ins Leben entlassen sind, denen man gegenübersteht in ganz anderer Weise als in der vorher­gehenden Lebensepoche. Denn der Mensch muß möglichst so erzogen werden, daß das Intellektuelle, das mit der Geschlechtsreife erwacht, in der eigenen Menschenwesenheit seine Nahrung finden kann. Hat der Mensch vorher durch Nachahmung, auf Autorität hin, in der Bild­haftigkeit einen innerlichen Reichtum aufgenommen, dann wird das, was er so aufgenommen hat, sich intellektualistisch umwandeln lassen, wenn er die Geschlechtsreife erlangt hat. Er wird immer davor stehen, dasjenige jetzt zu denken, was er vorher gewollt und gefühlt hat. Und daß dieses intellektualistische Denken ja nicht zu früh eintritt, dafür ist eigentlich im Unterricht und in der Erziehung auf das gründlichste zu sorgen. Denn der Mensch kommt nicht zu einem Freiheitserlebnis, wenn man es ihm eintrichtern will, sondern nur dadurch, daß es in ihm selber erwacht. Aber es darf nicht in seelischer Armut erwachen. Wenn der Mensch nichts vorher durch Nachahmung und Nachbil­dung in sich aufgenommen hat, so daß es heraufgenommen werden

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kann aus den Seelentiefen in das Denken, dann will der Mensch im geschlechtsreifen Alter im Denken sich entfalten, und die Folge davon ist, daß er, wenn er nichts aufgenommen hat in Nachahmung und Bild, auch nichts findet, woran er sich entfalten kann, gewissermaßen ins Leere greift mit dem Denken. Das gibt ihm Haltlosigkeit, das bringt ihn dazu, in jenem Lebensalter, wo er eigentlich schon in sich bis zu einem gewissen Grade gefestigt sein müßte, sich in allerlei Allotria ein­zulassen, dies und jenes nachzumachen, sich zu gefallen, nachzuahmen in den Rüpel- und Flegeljahren dasjenige, was ihm gerade gefällt -meist ist es etwas, was den anderen, die eben auf die Nützlichkeit des Lebens ausgehen, nicht gefällt -, das nachzuahmen, weil er als Kind nicht im richtigen Nachahmen lebendig gehalten worden ist. So sehen wir viele nach der Geschlechtsreife herumlaufen, da oder dorthin sich anlehnend und damit das innere Freiheitserlebnis betäubend.

In jedem Lebensalter muß eben durchaus darauf gesehen werden, daß man nicht bloß für dieses Lebensalter erzieht, sondern für das ganze irdische Menschenleben, ja noch darüber hinaus. Denn die schön­ste Art, zunächst an die unsterbliche Menschenwesenheit heranzukom­men, ist die, nun selber zu erfahren nach der Geschlechtsreife, wie das­jenige, was durch Nachahmung in Bildern sich in die Seele ergossen hat, jetzt der Seele selber sich emanzipiert in den Geist herauf, und zu fühlen, wie es übergeht aus dem zeitlichen Wirken in das ewige Wir­ken, das dann durch Geburt und Tod geht. An diesem Heraufkom­men desjenigen, was in richtiger Weise durch die Erziehung in die Men­schenseele sich ergossen hat, erlebt man die Unsterblichkeit, denn man erlebt vor allen Dingen deutlich durch Erfahrung, daß man etwas war, bevor man in die physische Welt heruntergestiegen ist. Und mit dem, was man war, bevor man in die physische Welt heruntergestiegen ist, verbindet sich das, was auftritt aus dem religiös Nachgeahmten und bildhaft Aufgenommenen; so kommt man heran im Erleben an den Unsterblichkeitskern. Kern der Unsterblichkeit sage ich aus der heu­tigen Sprachgewohnheit heraus, weil wir auch da, wo noch an der Unsterblichkeit festgehalten wird, nur die Hälfte der Sache haben. Wir reden heute nur aus gewissen egoistischen Gefühlen heraus von der ja richtig vorhandenen Unsterblichkeit, das heißt von der Tatsache, daß

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wir durch den Tod nicht zugrunde gehen, sondern weitergehen; aber wir reden nicht von der anderen Seite, von der Ungeborenheit. Die alten, instinktiv Erleuchteten hatten noch diese beiden Seiten der Ewig­keit: die Unsterblichkeit und die Ungeborenheit. Erst wer beides ver­steht, versteht die Ewigkeit. Diese Ewigkeit wird erlebt, wenn in rich­tiger Weise erzogen wird. Und da steht man wiederum vor einer Tat­sache, wo der Materialismus nicht seiner theoretischen Seite nach be­trachtet werden sollte.

Ich habe schon angedeutet: Daß allerlei Monisten herumschwirren und allerlei materialistische Theorien verbreiten, kann schlimm sein. Aber das ist nicht das Schlimmste. Das am wenigsten Schlimme ist das, was die Leute bloß denken; das Schlimmste ist das, was sich ins Leben selber hineinergießt, was Leben wird. Und da das materialistische Den­ken auch die pädagogische Kunst ergriffen hat, so wird eigentlich doch so erzogen, daß dieses Heraufholen des zeitlich durch die Erziehung Erworbenen ins Ewige von den Menschen nicht erlebt werden kann. Dadurch verlieren sie den Zusammenhang mit ihrem ewigen Teil. Men­schen, die richtig erzogen werden, denen können Sie auf materialistische Art noch soviel Materialismus predigen, sie werden dadurch nicht sehr stark berührt werden, denn sie werden sagen: Ja, ich spüre ja, daß ich unsterblich bin; du hast leider das übersehen mit deinen Beweisen. -Es kommt überall darauf an, daß nicht bloß das Denken, sondern daß das Leben erfaßt wird. Und daß man heute so viel gibt auf Theorien, auf Weltanschauungen, die mit Begriffen und Ideen verbreitet werden, das ist, so paradox es klingt, ein Anzeichen, ein Symptom für den Ma­terialismus unseres Zeitalters. Denn eine wirkliche Geistanschauung kommt nicht vom Materiellen ab. Sehen sie nur einmal an, wenn Sie sich genauer einlassen auf Anthroposophie, wie eingreift die Anthro­posophie in die Psychologie, in die Physiologie, wie sie da von den materiellen Dingen und Vorgängen redet bis ins einzelne hinein. In ganz anderer Weise redet anthroposophische Physiologie von der Tä­tigkeit der Leber, der Milz, von der Tätigkeit der Lunge, als die heu­tige abstrakte Physiologie, die glaubt, die Tatsachen zu beobachten, aber eben diese Tatsachen so berücksichtigt, wie etwa irgendein Mensch die Tatsache berücksichtigt, der einen Magnet findet. Er findet diesen

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Magnet zusammen mit einem anderen, der weiß, was ein Magnet ist; er weiß es nicht, weiß nicht, daß da Kräfte drinnen sind, die verborgen sind. Er sagt sich: Das nehme ich mit, das ist das richtige Hufeisen für ein Pferd. - Der andere sagt: Das kann man nicht als Hufeisen ver­wenden, das ist ein Magnet. - Da lacht er darüber. So lachen die Men­schen heute, die aus der Naturwissenschaft heraus kommen, wenn man ihnen aus geistigen Untergründen von Leber, Milz, Herz und so weiter redet; wenn man ihnen sagt, daß da drin Spirituelles lebt. Aber wer darüber lacht, hat auch nicht die Möglichkeit, sich in die stoffliche, in die materielle Wirklichkeit hinein zu vertiefen. Und das Schlimme in dem Materialismus ist gar nicht, daß er den Geist nicht versteht; das wird sich später ausgleichen. Das Schlimme ist, daß er nichts weiß von der Materie und ihrer Wirkungsweise, weil er den Geist in der Materie nicht findet. Niemals war ein Zeitalter unwissender über die Materie im Menschen als unser Zeitalter, weil man dieses Materielle im Menschen nicht finden kann, ohne auf das Geistige einzugehen. Und so möchte man sagen: Im Leben zeigt sich gerade das falsche Ma­terialistische der Erziehung dann, wenn der Mensch nicht kann in sich sein ewiges Teil spüren, einfach innerlich erfahren. Er wird es erfah­ren, wie der Tod ein Ereignis ist im Leben, nicht ein Ende des Lebens, wenn er nur methodisch richtig erzogen wird, das heißt, wenn die Grundsätze der Erziehung abgelesen werden aus der Menschennatur selber. Dann aber kommt man dazu, das ganze Verhältnis des Erzie­hers zum Kinde, zum späteren jungen Menschen so aufzufassen, daß man weiß: da wirkt nicht bloß die Äußerlichkeit, da wirken eben - für das ganz kleine Kind habe ich das schon erörtert - Imponderabilien, da wirkt Unwägbares und Unanschaubares.

Das muß man berücksichtigen, wenn es sich um so etwas handelt, wie da auch bei einer Frage gesagt worden ist, um die Strafe als Erzie­hungsmittel. Nicht wahr, da kann es sich nicht wiederum darum han­deln: soll man strafen oder soll man nicht strafen. Wie will man ge­wissen Dingen, die die Kinder ausfressen, beikommen, wenn man etwa die Strafen ganz abstellt? Das ist eine, ich möchte sagen, ganz indivi­duelle Frage, ob man strafen soll oder nicht. Es gibt Kinder, denen kommt man mit ganz etwas anderem bei als mit Strafe, und es gibt

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Kinder, denen kommt man überhaupt nicht bei ohne Strafe. Nur wird immer die Art des Strafens schon ein wenig abhängen davon, ob der Lehrer dieses oder jenes Temperament hat. Man muß sich klar darüber sein, daß man es mit Menschen zu tun hat, nicht mit Schnitzereien eines Bildhauers; man muß ihre Wesenheit berücksichtigen. Aber auch die Kinder müssen da berücksichtigt werden. Und man braucht eigentlich gar nicht so viel zu reden, ob manchmal ein Klaps mehr oder weniger verabreicht werden soll. Da kommt das Wie viel mehr in Betracht als das Was. Alles handelt sich darum, daß nur eine Strafe, die ver­hängt wird in voller Besonnenheit, in voller innerer Ruhe des Lehrers, eigentlich wirkt, während, wenn sie erteilt wird aus der Zorninütig­keit des Lehrers heraus, sie gar nicht wirken kann. Da kann der Lehrer durch Selbsterziehung natürlich ungeheuer viel machen. Sonst kann es so kommen, daß, wenn ein Kind einen Klecks gemacht hat, der Leh­rer wütend wird und das Nachbarkind anfängt auszuzanken, das auch über dieses Kind wütend geworden ist: Du sollst nicht gleich wütend werden! - Da sagt das Kind: Es werden ja auch erwachsene Menschen wütend, wenn ihnen Unannehmlichkeiten begegnen. - Sagt der Leh­rer: Wütend darfst du nicht werden, sonst schmeiße ich dir das Tinten­faß an den Kopf. - Wenn in dieser Weise gestraft wird aus der Zorn­mütigkeit heraus, dann kommt endlich auch das zustande, was einmal in einer Erziehung da war: Eine Erzieherin kam unter ihre zu erzie­henden Kinder, die ein mäßiges Alter noch hatten. Die Kinder spielten. Die Erzieherin sagte: Aber was macht ihr da für einen Krakeel, was treibt ihr da, warum seid ihr denn so laut, warum schreit ihr denn so viel? - Bis dann ein Kind sich aufraffte und sagte: Sie sind ja die ein­zige, die schreit. - Es kommt durchaus darauf an, daß die Seelenverfas­sung des Strafenden, des Ermahnenden im Strafen und im Ermahnen die allergrößte Rolle spielt. Daher kann sogar die Vorsicht angewen­det werden, wenn das Kind etwas ausgefressen hat: zunächst es igno­rieren vor dem Kinde, eine Nacht darüber schlafen. Am nächsten Tage wird die Sache vorgenommen. Dann ist bei dem Erzieher mindestens die nötige innere Ruhe eingetreten. Da wird - ob eine Ermahnung oder eine Strafe eintreten soll - unter allen Umständen eine richtigere Wir­kung erzielt werden, als wenn die Sache in Zornmütigkeit erledigt worden

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wäre. Gewiß, auch das hat seine Schattenseiten, aber man muß bei den Dingen abwägen und nicht in Einseitigkeit verfallen.

Nun sieht man, daß bei einer solchen Erziehungs- und Unterrichts-methode, wie diejenige ist, die auf anthroposophischen Voraussetzun­gen beruht, das Lebensalter sozusagen gelesen werden muß. Man muß im Menschen mehr sehen, als man heute im naturwissenschaftlichen Denken sehen will. Gewiß, dieses naturwissenschaftliche Denken hat wunderbare Fortschritte gemacht, aber gegenüber der Menschennatur ist es so, als ob man eine Schrift vor sich hätte und nun die Buchstaben beschreibt. Es ist auch nützlich, die Buchstaben zu beschreiben, ist auch schön, aber darauf kommt es nicht an; man muß lesen. Es handelt sich darum, daß man nicht nach heutiger Methode die einzelnen Organe und ihre seelischen Verrichtungen beschreibt, sondern daß man im Menschen lesen kann. Aber dieses Lesen verhält sich bei dem Lehrenden und Unterrichtenden so: Ja, sehen Sie, wenn jemand ein noch so inter­essantes Buch in die Hand nimmt und kann nicht lesen, sondern nur die Buchstaben betrachtet, wird er nicht sehr stark zu innerer Regsam­keit aufgerüttelt werden. Denken Sie, wenn einer irgendeinen ganz interessanten Roman in die Hand nimmt und bloß die Buchstaben be­schreiben kann: es wird nichts in ihm vorgehen. So geht nichts für die pädagogische Kunst in dem Menschen vor, wenn er nur die einzelnen Organe, die Seelenglieder beschreiben kann. Wenn er lesen kann, wird jedes Kind zu einer seelischen Lektüre für den Erzieher. Und dieses zu einer seelischen Lektürewerden kann auch bei ganz großen Klassen durchaus noch eintreten. Und wenn das so ist, findet man einfach durch den inneren Takt heraus: Vor dem 9. oder 10. Lebensjahr wird das Kind noch nicht Welt und Ich unterscheiden können, wird es auch nicht von sich aus Aufsatzartiges schreiben können. Es wird eigentlich nur das höchstens wiedergeben können, was ihm in märchen- oder legen­denhafter Art vorgebracht wird. Erst nach diesem Lebensalter kann man langsam anfangen, an das Kind heranzukommen in Bildern und Gedanken, über die man es dann frei Erdachtes, Erfühltes aufschrei­ben läßt. Aber jene innere Gedankenstruktur, welche notwendig ist, um zum Aufsatz überzugehen, die liegt eigentlich wiederum erst gegen das 12. Jahr hin. So daß es sich erst da darum handeln kann, zu Aufsatzartigem

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überzugehen. Beginnt man dieses zu früh - ich bespreche das, weil eine diesbezügliche Frage vorliegt -, ist das wiederum so, daß man das Kind jetzt nicht zu seelischer Sklerose, wohl aber zu seelischer Rachitis bringt, zu einer innerlichen Untüchtigkeit und Schwächlich­keit im späteren irdischen Lebensalter.

Eben nur, wenn man wirklich auf den Menschen eingehen kann so, daß man eine individuelle Menschenerkenntnis in jedem einzelnen Falle hat, nur dann kann man so erziehen und unterrichten, daß der Mensch sich in der entsprechenden richtigen Weise auch sozial einzu­fügen weiß in die Welt, der er doch angehört, in die er sich immer mehr und mehr, immer tiefer und tiefer einleben muß, so lange er auf Erden weilt; dann wird das Hineinleben auch nach dem Tode in der richtigen Weise geschehen können, denn dort ist es Lebensbedingung in der geistigen Welt, die jenseits des Todes liegt. Der Mensch ver­härtet sich, wenn er nicht die Möglichkeit aufnimmt, Menschen mensch-lich zu begegnen, verhärtet sich für dasjenige Leben, das ihn nach dem Tode treffen wird. Das ist wiederum eine der Schattenseiten unseres Zeitalters, daß eigentlich die Menschen die Möglichkeit verloren ha­ben, den Menschen menschlich richtig zu begegnen. Dieses liebevolle Sich-Einfühlen in den anderen Menschen, das ist heute nicht vorhan­den. Man kann es schon daran sehen, daß so viel geredet wird von so­zialen Forderungen. Warum wird von sozialen Forderungen so viel geredet? Weil die sozialen Selbstverständlichkeiten, das miterlebende Fühlen mit den Menschen so stark verloren worden ist. Wenn starke Forderungen in einem Zeitalter auftreten, so sollte man an diesen star­ken Forderungen immer sehen, was den Menschen fehlt in diesem Zeit­alter, was sie nicht haben; denn das fordern sie. Soziales Leben fehlt, deshalb tritt die soziale Ideee in einer so vehementen Weise in diesem Zeitalter auf. Aber dieses Erziehen auf das Soziale ist dasjenige, was vielfach unberührt geblieben ist, trotzdem es vielfach zur Sprache ge­bracht worden ist von sehr erleuchteten Geistern. Das ist dasjenige, was doch immer mehr und mehr in den Hintergrund getreten ist. In vieler Beziehung gehen heute die Menschen als Erwachsene verständ­nislos aneinander vorbei. Es ist jammerschade, ist jammervoll, wie die Menschen heute verständnislos aneinander vorbeigehen. Man kann

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heute Gemeinschaften finden, die das oder jenes miteinander zu leisten, zu tun haben, die jahrelang schon miteinander arbeiten - die Menschen kennen sich in Wirklichkeit gar nicht, wissen gar nicht, wie der andere in seinem Inneren beschaffen ist, weil nicht herangewachsen ist das le­bendige Interesse, die lebendige Hingabe, das lebendige Mitfühlen mit dem anderen Menschen. Das aber tritt auf, wenn man im rechten Lebens­alter das Nachahmungs- und entsprechend das Autoritätsprinzip hin­einergossen hat in alle Zweige des Unterrichts und des Erziehens. Und dieses soziale Fühlen, dieses Verständnis für den anderen Menschen, es ist innig davon abhängig, ob man einen Sinn hat für das Geistige in der Welt.

Es gab ein Zeitalter, in dem hat der Mensch wenig gewußt von der Erde; die Werkzeuge, deren er sich bedient hat, waren einfach und primitiv. Die Art und Weise, wie er künstlerisch die Dinge nachgebildet hat, war manchmal geistreich, aber außerordentlich primitiv. Wir le­ben in einem Zeitalter, wo der Mensch komplizierte Werkzeuge zur Beherrschung der Natur hat, wo der Mensch die geringsten, minuziö­sesten Kleinigkeiten minuziösest nachahmt in Kunstwerken und so wei­ter. Aber dasjenige, was heute fehlt, ist das Hineinleben in den Geist der Natur, in den Geist des Kosmos, in das Ganze des Weltenalls. Das muß wieder errungen werden.

Vor allen Dingen schauen wir im Astronomischen nicht mehr hin-ein in die Menschenzusammenhänge mit dem Weltenall. Wenn man eine Pflanze ansieht: sie wurzelt in dem Boden, kommt aus dem Keim heraus, entfaltet wieder die ersten Blätter, wiederum den Stengel, ent­faltet die weiteren Blätter, die Blüte, zieht sich wiederum in dem Sa­men zusammen. Goethe hat das beschrieben, indem er sagt: An der Pflanze findet statt Ausdehnung in die Weite, Entfaltung, Dehnung und wieder Zusammenziehung. - Goethe konnte noch nicht weit ge­nug gehen. Er beschrieb dieses Ausdehnen und Zusammenziehen der Pflanze. Er konnte nicht bis zu dem Punkte kommen, wo ihm aufge­gangen wäre, warum das so ist: das Pflanzenwachstum ist ausgesetzt den Mondenkräften und den Sonnenkräften. Immer wenn Sonnen-kräfte wirken, dehnt sich die Pflanze aus, entfaltet in die Weiten die Blätter; immer wenn Mondenkräfte wirken, zieht sich das Pflanzenleben

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zusammen, entfaltet den Stengel oder auch den Samen, in dem das ganze Pflanzenleben wie in einem Punkte zusammengezogen ist. Und so können wir, wenn wir im Goetheschen Sinne sehen Ausdehnung und Zusammenziehung, darin den Wechsel von Sonnen- und Monden­kräften sehen, und wir werden hinausgeführt in die Weltenweiten, in das Kosmische. Und sehen wir in der Pflanze, wie die Sterne wirken, so lösen wir uns los von dem Haftenbleiben an dem Äußerlichen.

Indem so Sonnen- und Mondenkräfte auf die Pflanzen wirken, wir­ken sie in noch komplizierterer Weise auf das Menschenwesen ein. Man bekommt wiederum eine Vorstellung davon, wie der Mensch nicht nur ein Erdenbürger, sondern ein Bürger des Kosmos ist. Heute weiß der Mensch, daß er Kohl ißt, Wildbret ißt, daß er dieses oder jenes trinkt, daß er mit den irdischen Dingen in Zusammenhang lebt, daß diese weiter ihr Wesen in ihm treiben. Er weiß das noch, da er die Dinge wahrnimmt. Aber er weiß nicht, wie er zusammenhängt mit Sternen­welten auf geistig-seelische Art, wie im Mondenhaften zusammenzie­hende Kräfte sind, im Sonnenhaften Ausdehnungskräfte, wie sich diese mehr oder weniger richtig im Menschen die Waage halten, wie im Mon­denhaften die melancholischen Seelenanlagen wurzeln, im Sonnenhaf­ten die sanguinischen Seelenanlagen, wie ein harmonischer Ausgleich stattfindet durch kosmische Wirkungen.

Das im einzelnen zu verfolgen, beeinträchtigt ebensowenig die An­schauung der Freiheit, wie es auf der anderen Seite irgendwie zur Phantastik führt. Denn das alles kann so exakt angeschaut werden wie das Mathematische; nur bleibt das Mathematische abstrakt, aber wahr; dieses aber führt den Menschen dahin, daß er seine geistige Nahrung nimmt von dem, was das Heer der Sterne erstrahlt. Das wird im Men­schen zur Kraft, zur Impulsivität. Indem der Mensch sich so mit dem Geiste des Weltenalls verbindet, wird er ein ganzer Mensch und be­kommt Impulse, an den Menschen nicht mehr bloß verständnislos vor­beizugehen, sondern als Mensch den Menschen zu finden. Je mehr man bloß den Stoff beschreibt und die Stoffbeschreibung auf den Menschen anwendet, desto mehr vereist man das seelische Leben; je mehr man mit dem Geiste sich verbündet, desto mehr geht einem auch das Herz für die Menschen auf. So begründet sich durch eine Erziehung, die

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das Geistige im Menschen finden läßt, Menschenliebe, Menschenmit-gefühl, Menschendienst im rechten Sinne des Wortes.

Aber wie alles zugleich Anfang und zugleich Ende ist im Organis­mus, so auch im ganzen Geisteswesen. Man kann die Welt nicht er­kennen, ohne daß man Menschenkenntnis übt, in den Menschen sel­ber hineinschaut. Denn der Mensch ist ein Spiegel der Welt; im Men­schen sind alle Geheimnisse des Weltalls enthalten. Im Menschen wir­ken die ruhenden Fixsterne, im Menschen wirken die sich bewegenden Planeten, wirken die Elemente der Natur. Menschenerkenntnis, im Menschen das Wesentliche schauen, heißt zugleich, sich in richtiger Weise in die Welt hineinfinden. Daher soll, ich möchte sagen, wie eine goldene Regel durch alles Erziehen und Unterrichten durchgehen, wie belebend alles, was der Erziehende und Unterrichtende gegenüber den zu Erziehenden und zu Unterrichtenden vornimmt - ein dieses Bele­bendes, etwas ähnlich Belebendes, wie das Blut im physischen Sinne den physischen Organismus belebt: so soll aus einer durchgeistigten Weltanschauung heraus seelisches Lebensblut in die Seele des Erziehers übergehen. Dann wird er im Leben dieses seelische Lebensblut in Me­thodik und Didaktik ganz einprägen, und diese werden dann nicht in abstrakten Prinzipien vorzubringen sein. Dann wird etwas leben in dem Erzieher, das ich umschreiben möchte mit den Worten, die ich am Schlusse aussprechen möchte wie eine Art Lebenserziehung:

Dem Stoff sich verschreiben,
Heißt Seelen zerreiben.

Im Geiste sich finden,
Heißt Menschen verbinden.

Im Menschen sich schauen,
Heißt Welten erbauen.

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FRAGENBEANTWORTUNG nach dem Vortrag vom 15. April 1924

Frage: Sind krankmachende Wirkungen von Erziehungsfehlern im Erwachsenenalter zu überwinden?

Gewiß kann der Erwachsene Krankheitskeime, die ihm in der Kind­heit anerzogen worden sind, überwinden; aber es handelt sich doch eigentlich darum, daß diese Arbeit dem Erwachsenen erspart werden kann, wenn man eben richtig erzieht. Natürlich ist es etwas anderes, wenn man, sagen wir, in der Kindheit so erzogen wird, daß auf dem Umweg durch das Seelische zum Beispiel Gichtkeime in den Menschen gelegt werden. Wenn man nicht gichtig wird, kann man etwas anderes tun, als sich der Gicht widmen in den Vierzigerjahren. Das ist gewiß angenehmer! Man betrachte nur diejenigen Menschen, die an solchen Dingen leiden, was alles sie damit zu tun haben! Natürlich muß dann alles dasjenige getan werden, was diese Dinge beseitigen kann - aber die eigentliche pädagogische Frage berührt das ja nicht. Es scheint mir, daß es von vornherein unbedingt einleuchten muß, daß, wenn man seelisch und geistig die Zusammenhänge erkennt, man so erziehen muß, daß der Körper durch die Erziehung zu solchen Anlagen nicht kommt. Dasjenige, was so keimhaft veranlagt ist, muß, wenn es ausbricht in einem späteren Lebensalter, dann natürlich physisch-therapeutisch ge­heilt werden, und man sollte nicht allzuviel halten von seelisch-geisti­gen Kuren, die im hohen Alter angewandt werden. Es gehört viel dazu; insbesondere solche Keime, die so gründlich im Organismus sitzen, wie die durch die Erziehung aufgenommenen, sind außerordentlich schwer auszumerzen, obwohl sie wie alles Krankhafte bekämpft werden sollen.

Frage: Hat das Kind keine Kräfte des Ausgleiches in sich gegen die Schäden der Erziehung?

Die hat es schon in sich. Gerade in einer sachgemäßen Schule wer­den solche Kräfte des Ausgleiches wirklich entwickelt. Die Keime kön­nen aufgehen, müssen es aber nicht. Diese Kräfte müssen aber in Wirk­lichkeit aus den Anlagen des Kindes hervorgerufen werden.

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Frage: Wie sind Linkshänder in das Schreiben einzuführen?

Bei einem Linkshänder ist es schon notwendig, daß man versucht, möglichst viel dazu zu tun, ihn in einen Rechtshänder umzuwandeln. Nur wenn man sieht in der Praxis, daß es gar nicht gelingt, muß man natürlich mit der Linkshändigkeit fortarbeiten. Aber das einzig wün­schenswerte ist, solche Linkshänder in Rechtshänder umzuwandeln; und das wird im wesentlichen ganz besonders mit Bezug auf das Schrei­ben, das zeichnende Schreiben meistens gelingen. Es ist im allgemeinen natürlich notwendig, daß man ein solches Kind, das man versucht, vom Linkshändigen zum Rechtshändigen überzuführen, sehr stark beob­achtet; beobachtet namentlich, wie sehr leicht in einem gewissen Sta­dium, wenn man eine Zeitlang Anstrengungen gemacht hat, um die Linkshändigkeit in Rechtshändigkeit überzuführen, da gewisse Ideen-flüchtigkeiten eintreten; daß das Kind auch unter Umständen wegen zu schnellen Denkens sich fortwährend im Denken ins Stolpern bringt, und dergleichen. Das muß man sorgfältig beachten und dann gerade die Kinder aufmerksam machen auf solche Dinge, weil es viel wesent­licher ist für die Entwickelung des ganzen Menschen, wie dieser Zu­sammenhang ist zwischen Arm- und Handentwickelung und Sprach­zentrumentwickelung, als man gewöhnlich denkt; und vieles andere hat darauf einen Einfluß, ob ein Kind links- oder rechtshändig ist.

Frage: Ist es empfehlenswert, Kinder von 10 bis 12 Lebensjahren in der Spiegel­schrift sich üben zu lassen?

Warum es eigentlich irgend empfehlenswert sein soll, einem Kinde von 10 bis 12 Jahren in Spiegelschrift Schreiben und Lesen beizubrin­gen, ist mir nicht verständlich. Ich kann nicht annehmen, daß das aus irgendeiner Ecke des Lebens heraus irgend wünschenswert sein sollte. Die Sache ist so, daß wenn man zum geistigen Schauen aufsteigt, so bekommt man in der Regel für alles dasjenige, was noch wie eine Nach-wirkung aus dem physischen Leben da ist, ein Spiegelbild. Es ist durch­aus so, daß wenn man hinaufträgt in die geistige Welt ein Geschrie­benes, so hat man oben ein Spiegelbild. Nehmen wir ein Beispiel: Je­mand versuchte - ich will über diese Dinge ganz frank und frei sprechen

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- sich an eine Menschenwesenheit, die durch den Tod gegangen ist, an eine Post mortem lebende Persönlichkeit zu wenden, und zu dem, was man da erlebt mit dieser Persönlichkeit, hätte man nötig irgendein Geschriebenes aus dem physischen Leben zum Vergleichen. Dann erscheint diese Schrift, die man sonst kennt, so wie sie geschrie­ben ist, so, wie wenn man sie in Spiegelschrift durchlesen würde. Es übersetzt sich das physisch in normaler Weise Geschriebene, wenn man ins Geistige hinüberschaut, in das Spiegelbild seiner selbst. Würde man einem Kinde künstlich Spiegelschrift beibringen, so würde man sehr viel tun, um das Kind erdenfremd zu machen, vor allen Dingen, um es fremd des Gebrauches seines Kopfes zu machen. Das sollte man nicht tun; es könnte das unter Umständen enden mit bedeutsamen seelischen und geistigen Störungen. Gerade die anthroposophische Erziehungs­kunst ist darauf bedacht, die Menschen nicht hinaufzuführen in Wol­kenkuckucksheime, sondern sie auf das physische Leben vorzubereiten. Herausreißen könnte das Kind aus dem physischen Leben eine solche Maßnahme, es Spiegelschrift schreiben und lesen zu lehren.

Frage: Warum ist die Schreibrichtung in den europäischen Sprachen von links nach rechts, im Hebräischen von rechts nach links, im Chinesischen von oben nach unten?

Was die Anordnung der Schrift betrifft, Schreiben von links nach rechts und so weiter, so führt das in sehr starke Tiefen der Kulturge­schichte hinein. Es kann höchstens eine kleine Andeutung gegeben wer­den. Es handelt sich darum, daß in früheren Zeiten der menschlichen Entwickelung ein instinktives Schauen bei den Menschen vorhanden war, daß die Menschen die physischen Erscheinungen tatsächlich nicht so intensiv gesehen haben, wie sie das heute tun, dafür aber das in den physischen Erscheinungen lebende Geistige. Man stellt sich gewöhnlich nicht klar genug vor, wie anders der Mensch in alten Zeiten in die Welt geschaut hat als heute. Die Menschen denken so leicht, ein alter Grieche habe etwa zum Himmel hinaufgeschaut und habe die Bläue, weil das südliche Blau noch intensiver ist als das nördliche, in derselben Schön­heit gesehen, wie es der heutige Grieche sieht. Das ist nicht der Fall. Das griechische Auge hat noch nicht so einen lebendigen Eindruck von

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dem Blau haben können. Das läßt sich nachweisen durch das Wort, das den Griechen fehlt. Die Griechen haben alles in mehr nach dem Rot und Gelb hinneigenden Nuancen gesehen, haben den Himmel mehr grünlich als bläulich gesehen. Das ganze Seelenleben der Menschen, in­sofern es auch von den Sinnen abhängig ist, hat sich im Laufe der Zei­ten geändert. - Weil das Hebräische mit Recht genannt werden kann eine derjenigen Sprachen, die den lebendigen Zusammenhang haben mit der menschlichen Urschrift, so haben sie gerade dieses noch erhalten, den Zug von rechts nach links, der sich bei uns nur noch erhalten hat in dem Rechnen, das wir zwar auch als eine alte Erbschaft in unserer Zivilisationsära haben - eine viel ältere Erbschaft als unsere Hand­schrift -, von dem wir es aber nur nicht bemerken. Wenn Sie addieren oder subtrahieren, also rechnen - was aus morgenländischer Anschau­ung stammt-, so schreiben Sie zwar zunächst die Zahlen von links nach rechts, aber die Natur der Zahlen selbst erfordert von Ihnen, daß sie von rechts nach links die Rechnung machen. Daraus können Sie noch gut ablesen, wie unser Zahlensystem viel älteren Ursprungs ist als un­ser Schriftsystem. Das ist dasjenige, was darüber etwa zu sagen ist. Wenn Sie dann die Schrift nehmen im Chinesischen: Nun, da brauchen Sie nur den ganzen Habitus der chinesischen Kultur ins Auge zu fas­sen, die darauf angelegt ist, statt desjenigen, was wir ganz lebendig ha­ben im Kosmos oder aus dem Kosmos - das Umkreisen um die Erde, die Richtung von links nach recht oder von rechts nach links -, das hat der Chinese in seinem Gefühl nicht so. Er hat in der Richtung von unten nach oben oder von oben nach unten die zunächst älteste Rich­tung, in die sich das menschliche Fühlen hineinsetzen konnte.

Frage: Zur Frage des Religionsunterrichts.

Ich habe schon erwähnt, daß wir in der Waldorfschule das so einge­richtet haben, daß wir den Religionsunterricht der katholischen Kin­der durch den katholischen Priester, den der evangelischen Kinder durch den Pastor besorgen lassen, daß wir nur diejenigen Kinder frei-religiös erziehen, deren Eltern dies wünschen. Für diese Kinder ist zu-nächst eine Art von Pädagogik-Didaktik für den Religionsunterricht

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auszuarbeiten gewesen. Für die Pflege des katholischen und evange­lischen Unterrichtes sind die betreffenden Lehrer maßgebend. Das­jenige, was in unserem freien Religionsunterricht gepflegt wird, unter­liegt ganz denselben Gesetzen wie der übrige Unterricht, insofern sie auf geistiger Menschenerkenntnis überhaupt beruhen. Man richtet den Religionsunterricht so ein, daß man vor allen Dingen davon ausgeht, das im Kinde seelisch-geistig entwickeln zu lassen in der zweiten Le­bensepoche, was in der ersten Lebensepoche naturhaft vorhanden ist. Ich habe auseinandergesetzt, wie in der ersten Lebensepoche der Leib des Kindes sich naturhaft-religiös zu der Umgebung verhält. Das tritt dann zurück ins Seelische, indem der Leib sich emanzipiert, und man muß nun im Seelisch-Geistigen wiedererwecken diese Hingabe an die Umgebung. Das erreicht man am besten, wenn man versucht, ein Ge­fühl vor allen Dingen in dem Kinde zu entwickeln für das, was man ihm märchenhaft, legendenhaft übermittelt. Darum handelt es sich vor allen Dingen, daß man versucht, in ihm die Empfindung der Dank­barkeit für das Dasein, für die Schönheiten, die die Welt bietet, zu er­wecken. Ist man in der Lage, die Dankbarkeit zu erwecken, dann geht dieses schon allmählich über in das Gefühl der Liebe. Daraus läßt sich das Moralische entwickeln.

Frage: Zur pädagogisch-didaktischen Behandlung der Temperamente.

Das sanguinische Kind hat seine Eigentümlichkeit darin, daß es aus einer inneren Anlage heraus von einem Eindruck zum anderen überspringt, bei einem Eindruck nicht lange festgehalten werden kann, aber diesen Eindruck doch lebendig aufnimmt. Das Kind kann tatsäch­lich am besten dadurch behandelt werden, daß man zunächst als Leh­rer und Erzieher versucht, dieser Eigentümlichkeit des Kindes nach-zugeben. Man versucht, dasselbe Tempo einzuhalten im Überspringen von einem Eindruck zu dem anderen; und versucht dann die Sache noch zu erhöhen, so daß man schneller, als das Kind eigentlich aus sei­nem sanguinischen Temperament heraus nach neuen Eindrücken ver­langt, ihm solche neuen Eindrücke bringt, Eindrücke, die es ganz gut interessieren, bis zu einem Momente, wo sich etwas in dem Kinde regt. Man wird es immer bemerken, daß sich so etwas in dem Kinde regt,

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so daß es zu der Empfindung kommt: man soll nicht so schnell vor­wärtsgehen, soll etwas länger verweilen bei dem einen Eindruck. Hat man es so weit gebracht, daß das sanguinische Kind gewissermaßen übersanguinisiert worden ist, daß es das empfunden hat, wird man sehr leicht finden, wie in der Tat dieses sanguinische Kind, wenn man das bemerklich macht: eigentlich wollte man schneller vorwärtsgehen, als es mitkann, wird man also allmählich bemerken - natürlich müssen solche Dinge mit großer Konsequenz durchgeführt werden -, wie ge­sundend man so allmählich auf das sanguinische Kind wirken kann. Wie man überhaupt gegenüber den Temperamenten des Kindes beach­ten muß, daß man als Lehrer, als Erzieher die Dinge so zu behandeln hat, daß man Gleiches durch Gleiches korrigiert; daß man einen rich­tigen Eindruck hat von der besonderen Art des Kindes, und daß man dann Gleiches durch Gleiches korrigiert, indem man die Dinge stei­gert. Alles kommt darauf an, daß man als Lehrer und Erzieher sich wirklich in die Kinder hinüberversetzen kann, in ihnen aufgehen kann: mit dem sanguinischen Kinde sanguinisch, mit dem cholerischen Kinde cholerisch, mit dem melancholischen Kinde melancholisch, mit dem phlegmatischen Kinde phlegmatisch sein kann. Das phlegmatische Kind wird am besten dadurch kuriert, daß man mit ihm phlegmatisch wird, und es dadurch in einer phlegmatischen Selbsterkenntnis auf sein Temperament aufmerksam wird. Man wird finden, daß Regeln nicht viel nützen; daß es sich in dieser Schulpraxis vielmehr darum handelt, mit dem Kinde cholerisch, phlegmatisch und so weiter werden zu kön­nen. - Es ist notwendig, daß man über ein ausgesprochenes Tempera­ment, das man als Lehrer selber hat, hinauskommen kann. Ein Lehrer, der immer dasselbe zornmütige Gesicht hat und die Kinder immer an-fährt, oder der sanguinisch ist und das in der Schule auslebt, wird nicht imstande sein, in das Temperament des Kindes überzugehen. Das zu können, ist aber wichtiger als alle Regeln, die man sonst geben kann.

Frage: Wie stellt sich anthroposophische Pädagogik zur Anwendung des Dia­lektes in der Volksschule für die unteren oder die oberen Klassen?

Es ist im allgemeinen da, wo ein Dialekt lebt, von außerordentlich großer Wichtigkeit, ihn in der Schule zu pflegen; sonst ist es so, daß

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das Kind zu einer Sprache, die ihm fremd ist, ein abstraktes Verhält­nis gewinnt, während es das konkrete Verhältnis zum Dialekt hat. Man sollte erst einmal aus dem Dialekt heraus dasjenige entwickeln, was sich in der allgemeinen Sprache, wie man sie nennen kann, findet; aus dem Dialekt, der auch gewöhnlich innerlich lebendiger, reicher ist. Wenn ein Kind im Dialekt lebt, nimmt man ihm etwas von dem leben­digen Verbundensein mit dem inneren Sprachgenius, wenn man seinen Dialekt nicht respektiert und das Kind in eine andere Sprache einführt.

Frage: Ist es bedeutsam, ob man mehrere Sprachen vor oder nach dem Zahn-wechsel an das Kind heranbringt?

Wir haben es in der Waldorfschule so, daß wir mit den Kindern, die in die Schule kommen, sogleich nicht nur die deutsche, sondern auch die englische und die französische Sprache pflegen; so daß das Kind, vom Zahnwechsel angefangen, sich sogleich in die anderen Spra­chen hineinfindet. Es findet sich das Kind, weil in diesem Lebensalter die innere plastische Tätigkeit am größten ist, dann am leichtesten hin­ein. Fraglich ist es, ob es für das Kind gut ist, wenn es etwas vor dem Zahnwechsel die verschiedenen Sprachen nebeneinander lernt, aus dem Grunde, weil das innere Verbundensein mit der Sprache etwas außer­ordentlich Gutes ist. Es wird der ganze Mensch mit Leib, Seele und Geist mit der Sprache verbunden. Das Kind will ja sich an der Sprache erziehen. Wenn das Kind sogleich alle möglichen Sprachen lernt, kann diese Erziehung zu sehr auseinanderfallen.

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FRAGENBEANTWORTUNG nach dem Vortrag vom 16. April 1924

Nun bin ich noch gefragt worden um einiges, das sich anschließt an die Ausführungen:

Frage: Ein Zuhörer wäre sehr dankbar, wenn er hören könnte, ob Psychoanalyse als Hilfsmittel in der Schule verwendet werden kann.

Nun, diese Psychoanalyse kenne ich ungefähr, seit sie geboren ist. Sie ist begründet in ihren ersten Anfängen unter dem Einflusse eines sehr geistvollen Arztes, mit dem ich in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts befreundet war, von Breuer; wenn er auch, nachdem die Psychoanalyse auf Abwege geraten war, sich von ihr zurückgezogen hat: die ersten Anfänge rühren her von Breuer, der ein sehr bedeut­samer Arzt war. Sie ist nicht das geworden, was sie unter Breuer ge­worden wäre, diese Psychoanalyse; und so ist sie eigentlich geworden -ich muß mich kurz ausdrücken - dasjenige, was sie werden mußte im materialistischen Zeitalter. Sehen Sie, von dem wirklichen Zusammen­hang von Geist, Seele und Leib, den man so verfolgen muß, wie ich es wenigstens für die eine oder andere Art skizzenhaft in diesen Vor­trägen dargestellt habe, für den hat das heutige Zeitalter, die heutige Zivilisation nicht viel Sinn; und so kam es, daß diejenigen, die sehen, wie aber doch das Seelische mit dem Körperlichen in Beziehung steht, daß diese zu ganz merkwürdigen Interpretationen kamen.

Wie es schwer ist, das Richtige hier zu sagen, mag das folgende Beispiel Ihnen zeigen, das Sie nachlesen können mn emnem Buche des geistreichen Schleich. Ich hatte das schon erzählen hören, bevor das Buch erschienen ist und mit Schleich darüber geredet. Schleich wurde einmal besucht am späten Nachmittag von einem Herrn, der sich kurz vorher in seinem Büro die mit Tinte bedeckte Feder in seine Hand ge­stoßen hatte, so daß er einen kleinen Schmerz in der Hand hatte. Der Mann, als er sah, daß er da einen schwarzen Stich hat, rennt sogleich zum Arzt, sagt, er müsse heute an Blutvergiftung sterben; der Arzt müsse sogleich die Hand amputieren. Der Arzt sagt: Sie werden nicht

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an der Wunde sterben; ich werde die Wunde aussaugen, das ist nichts Schlimmes. - Der Arzt hat die Wunde ausgesaugt; der Herr ging ganz trostlos fort, lief zu zwei angesehenen Chirurgen, sie sollen ihm die Hand amputieren, sonst müsse er sterben. Die wollten es auch nicht tun. So ging er noch zu mehreren; keiner wollte es tun. Schleich bekam doch ein eigentümliches Gefühl, beunruhigte sich doch und ging am Abend doch noch einmal vorbei. Der Herr behauptete immer wieder, die Hand müsse amputiert werden, sonst sterbe er an Blutvergiftung. Nun sah die Hand auch sehr gut aus, die Wunde war ausgesaugt, er kann nichts machen, er kann nicht amputieren. Am nächsten Morgen wird Schleich unruhig, klingelt an: der Betreffende war wirklich in der Nacht gestorben. Nun, Schleich diagnostiziert: Tod durch Auto­suggestion. Er zog den Schluß: Der Mensch kann durch Autosuggestion sterben, wenn er sich dies so stark einbildet.

Schleich war nicht in der Lage, die Wahrheit einzusehen. Es war der ganze Vorgang nicht so, wie er ihn darstellte, sondern der Vorgang war so: Ich möchte noch hinzufügen, daß der Leichnam seziert worden ist, um festzustellen, ob Blutvergiftung vorlag. Es konnte keine Rede von Blutvergiftung sein. Der Mann bekam am Nachmittag irgendeinen Zu­stand, einen innerlichen Zustand, der in so etwas ähnliches wie eine Apoplexie ausartete. Es war ein Schlagfluß, der sich vorbereitete. Da wurde er ängstlich, so daß er die Dinge, die er zu verrichten pflegte, in diesem Zustand verrichtete. Er stieß sich schon die Feder unter dem Eindruck des Herannahenden in die Hand. Nun gibt es einmal eine gewisse unbewußte Prophetie. Der Mann wußte, daß er in der Nacht sterben werde; im Unterbewußtsein wußte er es. Er hat sein Unterbewußtes selber falsch interpretiert. Er hat die äußere Tatsache des Stiches als Ursache genommen. Das ist aber nur die Wirkung der schon in ihm vorhandenen Todesursache. Und so lag hier vor: nicht Tod durch Autosuggestion, sondern ein sehr natürlicher Tod, der nur pro­phetisch vorempfunden worden ist, und dessen prophetisches Vorempfinden falsch interpretiert worden ist.

Ich führe das als Beispiel an, um zu zeigen, daß bei Interpretation des Seelischen sehr häufig die Verwechslung von Ursache und Wir­kung passiert. Ich habe einmal zum Beispiel den Fall erlebt, daß ein

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Mann, um Kirschen oder Pflaumen zu pflücken, auf einen Baum ge­klettert ist. Er fiel herunter und war tot. Nun kann man in diesem Falle meinen, der Tod sei die Folge des Herunterfallens. Das war aber nicht so. Er ist vom Baume heruntergefallen, weil er auf dem Baume emnen tödlichen Schlaganfall erlitten hat. Jeder Laie hätte ge­urteilt, er sei heruntergefallen und hätte sich dabei tödlich verletzt. Das passiert fortwährend, wenn Seelisches beurteilt wird, weil in der Gegenwart keine Beobachtung des Seelisch-Geistigen vorhanden ist. So kann man gar nicht unterscheiden, wo das Seelisch-Geistige anfängt, das Physisch-Leibliche aufhört. Statt daß man wmssen sollte, wie das Seelisch-Geistige auf das Physisch-Leibliche weiter wirkt - es ent­steht etwas wie ein zu starker und umgewandelter Gedächtniseindruck, der im physischen Leibe auftritt -, redet man in der Psychoanalyse von allerlei psychischem Zeug, von Geschlechtsleben, von unausgegorenen Lebensinhalten und so weiter. So ist eigentlich die Psychoanalyse, ich möchte sagen, ein zweifacher Dilettantismus. Dilettantisch ist sie, weil nmcht eine wirkliche Psychologie vorliegt, und dilettantisch, weil nicht eine Physiologie vorliegt. Weil in der Psychoanalyse nicht mehr in be­zug auf das Psychologische und nicht mehr in bezug auf das Physio­logische die richtigen Schlüsse gezogen werden können, deshalb ist für den, der die Dinge versteht, Psychoanalyse - ist das nicht so: da wen­det man überall Psycho- und Physiodilettantismus an - Dilettantis­mus, der sich mit sich selber multipliziert, also Dilettantismus im Qua­drat. Sie sehen, die Beobachtungen auf dem Gebiete der Psychoanalyse können unter Umständen sehr wertvoll werden, wenn sie richtig inter­pretiert werden, so wie ich an einem Beispiel, das ich selber gehört habe, die Rektifikation angegeben habe.

Eine weitere Frage betrifft die Lehren des Coué.

Nun, es ist schon das das Bedeutsame, daß solche Dinge wie der Couéismus auf unsere Zeitgenossen doch einen so starken Einfluß ha­ben. Die Sache ist so, daß man natürlich manches erreichen kann da­durch, daß man solche Prozeduren ausübt, wie diejenigen von Coué und anderen sind. Aber erstens nimmt man doch meistens den Men­schen

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ihre Freiheit, wenn man solche Prozeduren ausübt, und dann müßte man sich klar darüber sein, wie lange es dauert, daß man den Menschen in solcher Weise über seine Krankheit täuscht. So oberfläch­lich liegt das Kranksein nicht, daß man so oberflächlich Heilung brin­gen kann.

Frage wegen der Darmstädter Bewegung des Grafen Keyserling, die «Schule der

Weisheit».

Nachdem ich einmal, als Graf Keyserling Unwahrheiten über mich dargestellt hat, selbst gezwungen war, diese zurückzuweisen, ist das schon so weisheitsvoll aufgenommen worden, daß ich auch ihm gegen­über so tun möchte, wie ich allen anderen Bewegungen gegenüber im­mer tue: mch habe die Gepflogenheit, über andere Bewegungen eigent­lich nicht zu sprechen. Das werden die der Anthroposophie Naheste­henden immer bemerkt haben, daß, so lange diese anderen Bewegun­gen nicht in irgendeiner Weise zurückgewiesen werden müssen, weil sie sich selbst über die Anthroposophie hermachen, ich nicht darüber spreche. Dasjenige, was in der Welt leben soll als Wahrheit, muß sich selbst durch seine eigenen Kräfte, nicht durch dasjenige durchringen, was es hat an Verhältnissen zu anderen Bewegungen. Und Anthropo­sophie, die nirgends einseitig, sondern stets allseitig sein will, muß sich auch durch das durchsetzen, was in ihr selbst liegt. Ich möchte es jedem selbst überlassen, wie er über die Weisheitsschule des Grafen Keyser­ling denken will.

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FRAGENBEANTWORTUNG nach einem Vortrag «Pädagogik und Medizin» von Dr. Kolisko am 17. April 1924

Frage: Welche Schädigung bewirkt die Forderung des beständigen Stillsitzens?

Die schädlichen Folgen werden in dem auftreten, was man als eine Art von Nervosität des Kindes bezeichnen kann; denn der ätherische Leib bleibt nicht ruhig. Wenn auch der physische Leib beständig still-sitzt, so tritt fortwährend eine Disharmonie auch zwischen dem astra­lischen Leib und dem physischen Leib ein, und es wird die Folge sein, daß in späterer Zeit in allem Stoffwechsel Störungen, sogar Zirkula­tionsstörungen auftreten und dergleichen. Es wird sich einfach für den Lehrer und Erzieher, der Menschenkenntnis hat, von selbst ergeben, wie weit er zu gehen hat mit der Forderung des Stillsitzens, oder wie weit er liberal sein kann.

Frage: Die erzieherische Behandlung moralischer Defekte des Übergangsalters, zum Beispiel Lügenhaftigkeit.

Gerade bei solchen moralischen Defekten wird man in die Lage kommen, dieses Ihnen eben geschilderte Zusammenwirken von medi­zinischem Denken und pädagogischem Denken anwenden zu müssen. Dasjenige, was als moralischer Defekt zutage tritt - was man zunächst in der verschiedensten Art beschreiben kann -, das wird oftmals zu­rückgehen auf ganz bestimmte Pathologien, auf ganz bestimmte De­fekte, krankhafte Bildungsprozesse im Organismus. Es müßte eigent­lich - das kann nicht des weiteren ausgeführt werden - einleuchtend sein, daß der Mensch in seinem Zentrum, in demjenigen, was sein ewi­ger Wesenskern ist, nicht zu solchen Defekten neigen kann; daß solche Defekte zusammenhängen einerseits mit dem, was als physische Orga­nisation da ist, und auch mit demjenigen, was da ist dadurch, daß der Mensch in wiederholten Erdenleben auftritt und aus früheren Erden-leben die Bedingungen hat in die folgenden Erdenleben hinein. Bei der Beurteilung von moralischen Defekten, sagen wir bei Lügenhaftigkeit, wird es sich darum handeln, erstlich darauf zu kommen, ob irgendeine

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physische Schwächung des Organismus durch ein krankhaftes Organ oder dergleichen vorliegt. Dann wird man sich sagen müssen: Durch dieses Werkzeug - wenn ich mich so ausdrücken darf -, das mangelhaft ist, ist einfach das Kind nicht in der Lage, so viel Kraft zu entwickeln, als, sagen wir, aufgebracht werden muß, wenn die Wahr­haftigkeit zum Vorschein kommen soll. Lügenhaftigkeit besteht sehr häufig in einer Schwäche; man muß darauf kommen, wo diese Schwä­che ihren Grund hat.

So wird man zunächst einmal medizinisches Denken anzuwenden haben. Man wird dann, wenn man in dieser Beziehung nichts Beson­deres findet, eigentlich erst eingehen darauf, zu sagen: Da liegen drin in der seelischen Umhüllung, meinetwillen könnte man sagen, irgend­welche Defekte vor. In diesem Falle wird es sich darum handeln, auch das, was durch physische Defekte herauskommt, durch eine seelische Behandlung zu beeinflussen. Da wird es sich darum handeln, daß man gewisse Impulse in dem Kinde erzeugt, die nach der Wahrhaftigkeit hin arbeiten. Zum Beispiel haben wir sehr gute Erfolge erzielt bei lü­genhaften Kindern, wenn man ausarbeitete Erzählungen, in denen sich die Lügenhaftigkeit selber ad absurdum führt, wo die in der Erzählung offenbaren Lügner durch Scheinschicksale zu Schaden kommen. Wenn das Kind in der mannigfaltigsten Variation solche Erzählungen be­kommt, recht anschauliche Abbilder, möglichst so, daß man die Affekte, ich möchte sagen, spüren kann, daß sich irgend jemand zum Beispiel den Schädel einschlägt dadurch, daß er lügenhaft ist, oder in irgendeiner anderen Weise recht lebendig das Auftreten der Lüge ad absurdum geführt wird - dadurch kann man schon Erfolge erzielen. Ganz allgemein werden auch Erfolge erzielt, wenn man immer wie­derum das Sympathische der Wahrhaftigkeit in solchen Zusammen­hängen hinstellt wie die, welche für die moralische Erziehung ganz allgemein in diesen Vorträgen ausgeführt worden sind.

Frage: Wie verhalten sich die Lehrer der Waldorfschule, wenn das Kind die

Frage stellt: Ist das eine wahre Geschichte?

Solche Dinge werden vorkommen; aber in der Mehrzahl der Fälle wird man das Richtige dadurch machen, daß man sich frägt: Habe ich

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denn nun auch so erzählt, daß das Kind gefühlt hat, ich glaube an die Wahrheit der Legende selber? - Da wirken wirklich Imponderabilien. Wenn man das Märchen erzählt mit der Gesinnung: Ich bin furchtbar gescheit; ein gescheiter Mensch glaubt nicht an die Märchen; das Kind ist furchtbar dumm, daher kann ich ihm Märchen erzählen - man braucht sich das nicht immer ausdrücklich vorzusagen, aber indem man das eigentlich im Gefühl hat, wird man gar nicht auf das Kind wirken. Wenn man aber den Bildinhalt des Märchens selber als eine Wahrheit fühlt - und das kann man -, dann wird man schon so erzäh­len, daß man gerade durch dieses Wahrheitsgefühl in der Erzählung auch solche Dinge besiegen kann.

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ANSPRACHE vor einer Vorführung pädagogischer Eurythmie Bern, 14. April 1924

Meine sehr verehrten Anwesenden, vor kurzer Zeit durften wir hier in Bern im Theater aufführen Proben der eurythmischen Kunst, welche vom Goetheanum aus gepflegt wird. Damals handelte es sich vorzugs­weise darum, Eurythmie als Kunst vorzuführen. Die Eurythmie ist eine Kunst, die mit heute noch ungewohnten Kunstmitteln arbeitet, in heute noch ungewohnten künstlerischen Formen spricht, und über die vielleicht daher ein paar Worte der Verständigung im voraus not­wendig sind.

Der Mensch offenbart dasjenige, was in seiner Seele lebt, durch das Gesanglich-Musikalische und durch die Sprache. Beides, sowohl das Gesanglich-Musikalische wie die Sprache, sie gehen hervor aus dem­jenigen, was der Mensch in sich erlebt; aber sie sind gewissermaßen konzentriert auf ein gewisses Organ, ein organisches System: auf die Sprach- und Gesangsorgane. Nun sehen wir schon im gewöhnlichen Leben, wenn wir sprechen, wie wir so häufig das Bedürfnis haben, das­jenige, was wir durch die Sprache zum Ausdruck bringen, möglichst zu unterstützen durch allerlei Gebärden, und wir vermeinen, wenn wir das auch nicht immer uns klarmachen, daß die Gebärde geeignet ist, den Anteil des Seelischen an dem, was wir da aussprechen, größer zu gestalten, als wenn wir die Sache bloß aussprechen. Das ist das eine, was als eine Beobachtung aus dem gewöhnlichen Leben hergenommen wer­den kann, und woraus wir dann sehen werden, wie es sich zum Euryth­mischen verhält.

Ein anderes ist ein kleines Stück von einer Erkenntnis, die die heu­tige Wissenschaft schon hat, während eine ganze Erkenntnis daraus werden kann. Die heutige Wissenschaft weiß, daß das Sprachzentrum, das gewöhnliche Sprachzentrum des Menschen, in der linken Hirn-hälfte liegt, daß da ein ganz bestimmtes Organ ist, aus Hirnwindungen bestehend, ohne das der Mensch unfähig ist zu sprechen - nicht des­halb, weil seine Sprachorgane in irgendeiner Weise unfähig wären, die können ganz intakt sein; der Mensch kann doch nicht, wenn dieses

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Gehirnorgan nicht in Ordnung ist, sprechen und singen, weil er Sinn nicht in diese Sprachlaute hineinlegen könnte. Nun ist das Merkwür­dige dieses, daß die meisten Menschen dieses Sprachzentrum in der linken Hirnhälfte haben. Die rechte Hirnhälfte in ihren Windungen zeigt dieses Sprachzentrum gewöhnlich bei den Menschen nicht. Da ist das Gehirn nicht in den Formen, in denen es geformt ist in der lin­ken Seite des Gehirnes. Nur die wenigen linkshändigen Menschen haben die Sache umgekehrt; sie haben auf der linken Seite einen ungeformten Teil und auf der rechten Seite das geformte Sprachzentrum des Ge­hirns. Daraus kann man sehen, daß die Bewegung des Armes und der Hand etwas zu tun hat mit dem Sprechen. Das Kind führt zunächst das, was aus seiner Seele heraus leben will, in den Handbewegungen aus, und wir haben die Handbewegungen dazu veranlagt, ausdrucks-volle Gesten zu bilden, ausdrucksvolle Gebärden zu formen. Bei dem­jenigen Menschen, dessen rechte Hand und rechter Arm dazu veran­lagt sind, ausdrucksvoll zu werden, Sprache zu werden, bei ihm geht durch eine geheimnisvolle innere Organisation dieser Impuls aus Arm und Hand über auf die linke Seite des Kopfes, und man kann durchaus davon sprechen, daß es bei den Linkshändern auf die rechte Seite des Kopfes übergeht. Als muß die Sprache mit der Veranlagung von Arm und Hand etwas zu tun haben.

Anthroposophische Geisteswissenschaft, wie wir sie in Dornach trei­ben, ist nun imstande, diese Sache, die nur ein kleines Stück Weg be­kannt ist, weiter auszubilden; und da sieht man zuletzt, daß alles, was im Menschen organisch veranlagt ist, etwas zu tun hat mit der Fähig­keit zu sprechen. Wer das durchschauen kann, der braucht nur zu sehen, wie ein Mensch auftritt, wie er ein Bein vor das andere setzt im Gehen. Er kann aus diesem heraus sehen, ob dieser Mensch eine Sprache hat - auch wenn er ihn nie sprechen gehört hat - in scharfer Abgren­zung, ob er einzelne Laute betont oder alles gleich sagt. Wenn man einen Menschen anschaut, wie er Arme und Beine bewegt, bekommt man eine Anschauung vom Rhythmus seiner Sprache; das Mienenspiel des Gesichtes deutet das Melos der Sprache, ihre Melodie an. Der Mensch bildet das im Verlaufe seines Lebens nicht aus, sonst würden wir alle merkwürdige Betrachtungen fortwährend machen, wenn wir

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die Seele im Ausdruck der Sprache zur Offenbarung kommen lassen. Wir unterdrücken die Begleiterscheinungen, die unser Organismus da ausführen will für die Sprache. Sie können sogar sehen, wie es die An­gehörigen der einen Nation mehr tun als die Angehörigen der anderen Nation. Die Engländer stecken die Hände in die Hosentaschen, wenn sie reden; die Italiener bekräftigen das, was sie sagen wollen, was sie auf der Seele haben, mit allerlei Gebärden. Man kann wirklich, wenn man ein exaktes Anschauen von diesen Dingen hat, jeden Sprachlaut zurückführen auf eine Bewegung des menschlichen Organismus. So wie sich die Bewegung, die sich aber im Leben unterdrückt, in die Sprache verwandelt, so kann man die Sprache zurückverwandeln in Bewegung. Dieses gibt dann Eurythmie. Diese Eurythmie gibt das, was wir in meistens nicht sehr ausdrucksvollen Bewegungen, mit denen wir unsere Sprache begleiten, zeigen. Wie sich das unartikulierte Lallen des Kindes verhält zur ausgebildeten Sprache der Menschen, so verhält sich die Gebärde der gewöhnlichen Sprache zur Eurythmie. Das, was der Mensch hat als Unterstützung seiner Sprache, ist ein Lallen seiner Gebärden; hier in der Eurythmie sehen Sie die ausgebildete Bewe­gungssprache, eine sichtbare Sprache, die aber ausdrucksvoller ist, die kunstvoll ist, weil sie nicht der Konvention unterliegt wie die gewöhn­liche Sprache.

Was den Gesang betrifft, so kommt ja in ihm zum Ausdruck das­jenige, was im Menschen - man kann schon sagen - als Musikalisches lebt. Da ist die Sache noch viel interessanter. Wenn der Mensch nämlich dasjenige in sich erlebt, was ihn über das Tier hinaushebt, dann wird das im Menschen unterbewußt als das Musikalische erlebt. Daher ha­ben wir für die anderen Künste überall Vorbilder in der Natur, weil in den Reichen der Natur das da ist, was in den anderen Künsten ge­pflegt wird. Für die Musik haben wir kein Vorbild der Natur. Wenn jemand musikalisch komponieren will, kann er nicht die Natur nach­ahmen. Derjenige, der den Menschen, ich möchte sagen, mit musika­lischer Anschauung betrachten kann, der findet in dem, was der Mensch innerlich durch Atmung, durch Blutzirkulation betätigt und wiederum durch dasjenige, was mit Atmung und Blutzirkulation in seiner Ge­staltung zusammenhängt, er findet im Menschen ein lebendes, ein fortwährend

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bewegliches musikalisches Instrument. Ach, es ist so trost­los pedantisch und philiströs, wenn wir nur mit der gewöhnlichen Ana­tomie und Physiologie den Menschen beschreiben; dieses wunderbare Gefüge von Nerven, das im Menschen verläuft und aufgefädelt ist, möchte ich sagen, auf dem Rückenmark, das da ausläuft in das Ge­hirn. Dieses ganze Nervensystem, angeschaut, ist eigentlich eine wun­derbare Abstufung von musikalischen Wirkungen, die von der Atmung übergehen durch die Blutzirkulation in das Nervensystem, die im Ner­vensystem sich absetzt als die wunderbarste, im Menschen lebendige Musik. Was musikalisch erlebt wird, überträgt sich wieder in die Ge­stalt des menschlichen Organismus. Geradeso wie die Handbewegung, die Beinbewegung, die Fußaufstellung, wie das lebt in der Sprache, so lebt das, wie der Mensch innerlich rhythmisch veranlagt ist, in dem Musikalischen, in dem, was er gesanglich hervorbringt. So wie das Ge­hirn nach den Bewegungen sich zum Mittelpunkt der Sprache macht, des sinnvollen Sprechens, so macht sich ein anderer Teil des Gehirnes zum Mittelpunkt dessen, was nicht äußerlich erscheint in Bewegung, sondern was innerlich in Blutzirkulation erscheint. Wir lernen das In­nere des Menschen kennen, wenn wir diejenige Bewegung, die eigent­lich im Inneren des Menschen verläuft als musikalische Bewegung des Gesanges, in die äußere Gebärde übersetzt, kennenlernen. Dadurch ent­steht die Toneurythmie. Sie ist eine Darstellung dessen, was aus dem rhythmischen Menschen heraus ist. So entsteht sichtbare Sprache und sichtbarer Gesang, die ebenso ausdrucksvoll sind wie die Lautsprache und der Tongesang selber. Nun, das alles kann künstlerisch ausgestal­tet werden, ist künstlerisch ausgestaltet und tritt als Kunst zu den an­deren Künsten hinzu.

Nun stellt sich noch ein anderes heraus. Wir haben in der Waldorf­schule in Stuttgart durch die ganze Volksschule hindurch und weiter die Eurythmie eingeführt als obligatorischen Lehrgegenstand neben dem Turnen. Sie ist ein geistig-seelisches Turnen. Wenn man das Tur­nen, das eigentlich heute etwas überschätzt wird, ansieht, dann ent­steht es so in der Zeit des Materialismus als ein Bewegen des Menschen auf Grundlage der Anschauung seiner Körperlichkeit. Ein sehr be­rühmter Physiologe der Gegenwart, der einmal einer Eurythmievorstellung

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beigewohnt hat und diese Worte von mir gehört hat, als ich sagte: Das Turnen ist etwas Einseitiges und sollte durch solche geistig­seelische Eurythmie ergänzt werden -, dieser gar wohlbekannte Herr sagte von seinem Physiologen-Standpunkt aus, also nicht ich, sondern er sagte das, und wenn ich seinen Namen nennen würde, würden Sie einen Schreck bekommen, er sagte: Ich nenne das Turnen eine Barbarei; es ist gar kein Erziehungsmittel. - Jedenfalls möchte ich nicht so weit gehen, aber in der Waldorfschule führen wir das, was nun ebenso na­turgemäß aus dem menschlichen Organismus heraus entfalten läßt eine Sprache und einen Gesang, wir führen es im Unterricht als ein geistiges Bewegungsspiel ein, und als solches werden Sie es hier sehen, so aus­geführt durch die Schülerinnen von unserer Fortbildungsschule am Goetheanum in Dornach. Man kann dabei sagen, daß sich vom 6., 7. Lebensjahr ab durch alle Schulklassen durch Eurythmie zieht. Man kann sie in allen Lebensaltern treiben. Ich werde oftmals gefragt, wann man abfhören soll damit. Ich sage dann gewöhnlich: Jedenfalls nicht vor dem 80. Lebensjahr. Aber eigentlich sollte man sie bis zum Tode treiben. Es ist immer etwas, was in so harmonischer Weise aus dem Organismus herauskommt. Die Kinder finden sich mit demselben inne­ren Wohlgefallen, mit derselben inneren Behaglichkeit in die Eurythmie hinein, wie sie sich hineinfanden als viel kleinere Kinder in Sprache und Gesang. Daraus sieht man schon, daß sie mit Notwendigkeit her­auskommt aus der ganzen menschlichen Organisation.

Und als drittes haben wir die Eurythmie entwickelt als Heileuryth­mie, wo sie, weil sie hervorgeht aus der gesunden Bewegung des mensch­lichen Organismus, in der therapeutischen Entwickelung wesentlichen Krankheitsprozessen entgegenarbeiten kann und anderen therapeuti­schen Methoden als Hilfsmittel dienen kann. Wohlgemerkt, im Anthro­posophischen wird man nicht einseitig. Die Dinge werden genommen so, wie sie sich allseitig im Leben darbieten. Es fiele dem niemals ein, der Anthroposophie kennt, ein Allheilmittel in eurythmischer Therapie zu sehen. Aber sie wird manchen Heilprozeß wesentlich unterstützen, und die Heileurythmie ist deshalb eingeführt als ein wesentlicher Teil der Therapie. Nur so, wie ich es gesagt habe, ist am Klinisch-Therapeuti­schen Institut, das Frau Dr. Wegman in Arlesheim in Verbindung mit

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dem Goetheanum leitet, Heileurythmie eingeführt. Da zeigt sich auch die ganze Bedeutung der Heileurythmie.

Schon daraus sieht man, wie Eurythmie hervorgeht aus dem, was der gesunde Organismus will. Für das Therapeutische mußte sie etwas abgeändert werden. Nicht das, was Sie hier sehen, und was Sie im Theater als eurythmische Kunst gesehen haben, ist Heileurythmie. Eu­rythmie muß für das Therapeutische abgeändert werden, so daß ihre Wirkung so gestaltet wird, daß sie auf den kranken Organismus wirkt.

Heute werden wir uns bemühen, das vorzuführen, was ich an zwei­ter Stelle genannt habe: den pädagogischen Teil der Eurythmie, der sich dadurch bewährt, daß er den Menschen so ausbildet, daß dabei Geist, Seele und Leib gleichermaßen zur Geltung kommen. Aber es zeigt sich dabei allerlei. Nur eines möchte ich erwähnen. Die Dinge, die man beim Erziehen und Unterrichten als Waldorflehrer findet, sind manch­mal sehr im Verborgenen der menschlichen Entwickelung gelegen. Es zeigt sich, daß pädagogische Eurythmie entgegenwirkt der Lügen­haftigkeit der Kinder. Es ist auch eine Erfahrung, daß nicht ganz wahr­haftige Kinder die einzigen sind, die Eurythmie nicht lieben. Die an­deren Kinder treiben sie als etwas Selbstverständliches. Die Menschen haben nur gelernt, etwas unwahrhaftig zu nennen, was durch die Spra­che ausgedrückt wird. Wenn man aber Lügenhaftigkeit auch durch die Bewegung offenbaren kann, kann man die Lüge wieder aus der Seele zurückdrängen, so daß für die Erziehung zur Wahrhaftigkeit die Eu­rythmie ein ganz ausgezeichnetes Heilmittel ist.

Wir wissen es alle, denn wir sind die strengsten Kritiker unserer selbst, daß die Eurythmie erst im Anfange der Entwickelung steht. Sie wird sich weiter auf den drei genannten Gebieten nach und nach ein­führen. In jeder Aufführung kommt dieses Einführen zum Ausdruck. Immerhin darf ich sagen, daß wir uns bewußt sind, einen Anfang zu haben, und ich glaube, daß es reizvoll ist, etwas, was eine bedeutsame Zukunft hat, im Anfang zu sehen. Nach und nach wird sich Eurythmie schon hineinstellen in die ganze menschliche Zivilisation, in alles, was künstlerisch, pädagogisch und auch therapeutisch angestrebt wird für die ganze menschliche Entwickelung, sowohl in der Erziehung wie auch in der Kultur.

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HINWEISE

Die in den Vorträgen genannten geschriebenen Werke von Rudolf Steiner sind alle innerhalb der Gesamtausgabe erschienen. Siehe die Ubersicht am Schluß des Bandes.

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24 Waldorfschule: Einheitliche Volks- und höhere Schule, 1919 durch Kommer­zienrat Dr. h. c. Emil Molt in Stuttgart begründet im Zusammenhang mit der Bewegung für die Dreigliederung des sozialen Organismus. Die Leitung der Schule hatte Rudolf Steiner bis zu seinem Tode (1925).

30 und anderen Büchern: Siehe «Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung» (1904), Gesamtausgabe Dornach 1961, Bibl.-Nr. 9.

30 Maurice Maeterlinck, 1862 - 1949, belgischer Dichter. Die erwähnte Äußerung konnte bis jetzt nicht aufgefunden werden.

54 Prolessor Römer, 1866-1952, Professor der Zahnheilkunde in Straßburg und Leipzig. «Über die Zahnkaries mit Beziehung auf die Ergebnisse der Geistes-forschung Rudolf Steiners», Stuttgart 1921.

64 Albert Einstein, 1879-1955, Physiker.

72 Lorenz Oken, 1779-1851. «Lehrbuch der Naturgeschichte», 3 Bände, 1813-27. Der erwähnte Ausspruch konnte bisher in seinem Werk nicht aufgefunden werden.

77 Johann Gottlried Herder, 1744-1803. «Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit», 1784-1791.

86 Goethe hat das beschrieben: in »Die Metamorphose der Pflanze».

96 Dr. Josel Breuer, Wien 1842-1925. Siehe Rudolf Steiner »Mein Lebensgang», Gesamtausgabe Dornach 1962, Bibl.-Nr. 28, Kap. XIII; sowie »Individuelle Geistwesen und ihr Wirken in der Seele des Menschen», Gesamtausgabe Dorn-ach 1966, Bibl.-Nr. 178, Vorträge vom 10. und 11. November 1917.

Carl Ludwig Schleich, 1859-1922. »Besonnte Vergangenheit», 1922.

98 Emile Coué, 1857-1926, Apotheker in Nancy. Er entwickelte eine Heilmethode auf Grund der bewußten Autosuggestion.

99 Graf Hermann Keyserling, 1880-1946.

100 Dr. med. Eugen Kolisko, 1893-1939, Lehrer und Schularzt an der Waldorf­schule in Stuttgart.

dieses Ihnen eben geschilderte: Dr. Steiner nimmt Bezug auf das von Dr. Ko­Iisko in seinem Vortrag Behandelte.

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103 Vor kurzer Zeit: am 26. Januar 1924 hatte im Stadttheater Bern eine öffent­liche Eurythmie-Aufführung stattgefunden, in der u. a. die Ariel-Szene aus «Faust» II eurythmisch dargebracht worden war.

106 Ein sehr berühmter Physiologe der Gegenwart: bezieht sich auf Prof. Emil Abderhalden, 1877-1950.

107 Frau Dr. med. Ita Wagman, 1876-1943.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.