GA 226

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Menschenwesen
Menschenschicksal und
Welt-Entwickelung

Sieben Vorträge,
gehalten in Kristiania (Oslo)
vom 16. bis 21. Mai 1923

GA 226

1966

Inhaltsverzeichnis


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ERSTER VORTRAG Kristiania (Oslo), 16. Mai 1923

Die herzlichen Worte von Herrn Jngerö möchte ich damit erwidern, daß ich Ihnen die Versicherung gebe, daß es mir die tiefste Befriedi­gung gewährt, auch wieder in solchen internen Vorträgen zu Ihnen ausführlicher von anthroposophischen Angelegenheiten sprechen zu können. Es ist ja so, daß es mir gerade gegönnt war, hier in Norwegen in Zyklen einschneidende anthroposophische Wahrheiten wiederholt entwickeln zu dürfen. Hier durfte ich auch jenen Zyklus sprechen, der immer wiederum vor meiner Seele steht, über die europäischen Volksseelen, und hier durfte manches andere über anthroposophische Dinge gesprochen werden. Hervorgerufen ist das durch die beson­deren Verhältnisse, die dadurch gegeben sind, daß gerade Norwegen gewissermaßen, wie ich das bei früheren Gelegenheiten immer wieder charakterisieren durfte, an einem bemerkenswerten Punkte der euro­päischen Zivilisationsentwickelung liegt, und daß die Zukunft von Europa gerade von Norwegen wird sehr viel zu erwarten haben.

Nun darf ich aber wohl in diese Worte tiefster Befriedigung auch hier ein anderes Wort hineinstellen. Das ist das, daß, wenn ich jetzt, meine lieben Freunde, zu den alten anthroposophischen Freunden über Anthroposophie spreche, wirklich immer im Hintergrunde steht das traurige Ereignis der Silvesternacht von 1922 auf 1923. Es haben auch viele unserer norwegischen Freunde das Goetheanum gesehen, ja, es haben norwegische Freunde hingebungsvoll während der zehn Jahre - während wir gearbeitet haben - an diesem Goetheanum mitgearbeitet. Und endlich darf ich mit innigster Befriedigung des Umstandes gedenken, daß es gerade norwegische Freunde waren, welche in ausgiebigster Weise ihre materielle Hiffe uns haben ange­deihen lassen gerade in der Zeit, wo wir sie zum Aufbau des uns nun leider genommenen Goetheanum am notwendigsten brauchten. Die opferwillige Betätigung norwegischer Freunde in dieser Beziehung wird tief eingegraben sein in die Geschichte des Goetheanum, denn geistig bleibt doch dasjenige mit der Geschichte der anthroposophischen

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Entwickelung verbunden, was in dieses Goetheanum hinein-gebaut war. Und diejenigen, die so große Opfer gebracht haben, wie einzelne unserer norwegischen Freunde, werden damit auch in geistiger Weise sich etwas - wir dürfen sagen - Bedeutsames ein­getragen haben in die Annalen der spirituellen Entwickelungsge­schichte, welche mit dem Goetheanum verknüpft ist.

Im Hintergrunde, möchte ich sagen, steht die furchtbare Flamme, welche wir in der Silvesternacht haben unser Goetheanum verzehren sehen, in einer Nacht dasjenige, was in langer Arbeit errungen worden ist. Und es kann nur hinwegirösten über dieses furchtbare, schmerz­liche Ereignis die Tatsache, daß in Anthroposophie selber etwas ge­geben ist, was aus unzerstörbarem Quell heraus ist, so daß es sich in der Entwicklung der Menschheit durchringen muß, auch wenn zu-nächst dieses äußere Denkmal und Symbolum vom Erdboden ver­schwunden ist und wohl auch unter günstigsten Verhältnissen nur in notdürftiger Weise wird wiederaufgebaut werden können. Es ist also in gewissem Sinne ein Ton der Wehmut, der jetzt unsere Betrach­tungen durchdringen muß, indem wir unsere Empfindungen nach diesem schmerzlichen Ereignisse hinsenden müssen.

Nun möchte ich im Verlaufe dieses kurzen Zyklus einiges von dem vorbringen, was im intensivsten Sinne mit dem Wesen des Menschen zusammenhängt, mit der Schicksalsbildung des Menschen und mit dem, was man nennen kann: Verhältnis des ganzen Menschen zur Weltentwickelung. Und ich will gleich, ich möchte sagen, in die Mitte der Sache hinein mich begeben und darauf aufmerksam machen, daß mit der ganzen wesenhaften Entwickelung des Menschen auch aus dem Bereiche des Erdenlebens nicht nur dasjenige zusammenhängt, was wir beobachten, indem wir an diesem Erdenleben mit unserem gewöhnlichen wachen Bewußtsein teilnehmen, sondern daß mit dem Wesen des Menschen ganz intensiv und innig dasjenige zusammen­hängt, was sich für diesen Menschen während des Schlafzustandes vom Einschlafen bis zum Aufwachen abspielt.

Für die äußere Erdenkultur und Erdenzivilisation ist gewiß in erster Linie wichtig und bedeutungsvoll dasjenige, was der Mensch aus seinem wachen Wesen heraus zu denken. zu fühlen, zu vollbringen

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in der Lage ist. Aber der Mensch würde gar nichts in äußerer Be­ziehung vermögen, wenn er nicht fortwährend zwischen dem Ein­schiafen und Aufwachen aus der geistigen Welt heraus seine mensch­lichen Kräfte erneuert bekäme. Unser geistig-seelisches Wesen oder, wie wir gewohnt worden sind auf anthroposophischem Boden zu sagen, unser astralischer Leib und unser Ich, gehen immer beim Ein­schlafen aus dem physischen Leibe und dem ätherischen Leibe heraus, sie gehen in die geistige Welt hinein und dringen erst wiederum in den physischen und in den Ätherleib beim Aufwachen ein, so daß wir bei normalen Lebensverhältnissen ein Drittel unseres Erdendaseins in diesem Schlafzustande verbringen.

Wenn wir zurückschauen im Erdendasein, knüpfen wir immer Tag an Tag, lassen in einer solchen bewußten Rückschau dasjenige aus, was wir zwischen dem Einschlafen und Aufwachen durchmachen. Wir überschlagen gewissermaßen dasjenige, was uns, wenn ich mich so ausdrücken darf, in unser Erdenleben herein die Himmel, die gött­lichen Welten geben. Und wir nehmen bei einer solchen Rückschau des gewöhnlichen Bewußtseins nur Rücksicht auf dasjenige, was uns die physischen Erdenerlebnisse geben. Aber wenn man sich wirkliche, richtige Vorstellungen verschaffen will über dasjenige, was wir zwi­schen dem Einschlafen und dem Aufwachen durchleben, dann muß man sich schon herbeilassen, solche Ideen sich zu bilden, die etwas von den Ideen des gewöhnlichen Lebens abweichen. Denn es wäre naiv, wenn man glauben wollte, daß es in den göttlich-geistigen Welten ebenso zugehe wie in den physisch-sinnlichen Welten, in denen wir zwischen dem Aufwachen und dem Einschiafen sind. Wir gehen mit dem Einschlafen in die geistigen Welten zurück, und in den geistigen Welten ist es anders als in der physisch-sinnlichen Welt. Darauf muß man wirklich mit aller Intensität Rücksicht nehmen, wenn man sich Vorstellungen über die übersinnlichen Schicksale des Men­schen bilden will.

In den religiösen Urkunden der Menschheit finden sich gar manche merkwürdige Andeutungen, die man erst versteht, wenn man eigent­lich dieselben Dinge, die in den religiösen Urkunden gemeint sind, wiederum geisteswissenschaftlich durchdringt. So findet sich eine

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merkwürdige Stelle in der Bibel, die Sie ja alle kennen, die aber ge­wöhniich nicht genügend berücksichtigt wird, die Stelle: «So ihr nicht werdet wie die Kindlein, könnet ihr nicht in die Reiche der Himmel eintreten.» Man legt solche Stellen oftmals recht trivial aus, sie sind aber eigentlich immer außerordentlich tief gemeint. Dann möchte ich Sie noch auf etwas aufmerksam machen, was Ihnen vielleicht schon auf­gefallen ist im Laufe Ihrer, sagen wir anthroposophischen Laufbahn.

Diejenige Wissenschaft, aus der heraus geschöpft wird die Er­kenntnis über das Geistig-Übersinnliche, habe ich öfter auch wie andere Initiationswissenschaft genannt. Von Initiationswissenschaft redet man, wenn man den Blick zurückwendet in dasjenige, was in den alten Mysterien der Menschheit getrieben worden ist. Von Initiations­wissenschaft, von moderner Initiationswissenschaft redet man aber auch wiederum, wenn man von Anthroposophie in einem tieferen Sinn reden will. Initiationswissenschaft deutet gewissermaßen hin auf die Erkenntnis von Anfangszuständen, von Ursprungszuständen. Man will eine Erkenntnis gewinnen über dasjenige, was im Anfange Ist, was die Ausgangspunkte gebildet hat. Auch das deutet auf etwas Tieferes hin, was uns heute einmal vor die Seele treten soll.

Wir denken uns, wenn wir, sagen wir, am 16. Mai 1923 abends einschlafen, wir hätten im Schlafzustande bis zum 17. Mai 1923 die Zeit durchgemacht, die jemand auch durchmacht, der, sagen wir, wach bleibt und auf dem Pflaster der Stadt die ganze Nacht spazieren-geht. Wir stellen uns ungefähr so vor, daß unser Geistig-Seelisches, unser Ich und unser astralischer Leib, die Nacht durchmacht, nur in einem etwas andern Zustande, wie ein Nachtschwärmer, der in den Straßen von Kristiania herumgeht, diese Nacht durchmacht.

Das ist aber nicht so, sondern wenn wir abends einschlafen, oder auch bei Tag einschlafen - das macht keinen Unterschied, aber ich will nur vom nächtlichen Schlaf zunächst sprechen, den der anstän­dige Mensch durchmacht -, so gehen wir jedesmal in der Zeit bis in denjenigen Abschnitt unseres Lebens zurück, der ganz im Anfange unseres Erdendaseins liegt, ja wir gehen sogar noch jenseits unseres Erdendaseins zurück bis in das vorirdische Leben. In dieselbe Welt gehen wir zurück, aus der wir heruntergestiegen sind, als wir durch

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die Konzeption, durch die Empfängnis einen Erdenleib bekommen haben. Wir bleiben gar nicht in demselben Zeitpunkte, in dem wir wachend sind, sondern wir machen den ganzen Gang durch die Zeit zurück. Wir sind im Momente des Einschlafens in demselben Zeit­punkte, in dem wir waren, als wir, wenn ich mich so ausdrücken darf, von den Himmeln auf die Erde heruntergestiegen sind. Also wir sind gar nicht, nachdem wir eingeschlafen sind, am 16. Mai 1923, sondern wir sind in dem Zeitpunkte, in dem wir waren, bevor wir herunter­gestiegen sind, und noch in der Zeit, an die wir uns nicht mehr er­innern, weil wir uns nut bis zu einem gewissen Punkte unserer Kind­heit zurückerinnern. Wir werden jede Nacht geistig-seelisch wiederum Kinder, wenn wir in den richtigen Schlaf hineinkommen. Und so, wie man hier in der physischen Welt einen Weg im Raume macht, der zwei, drei Meilen lang ist, so machen Sie, wenn Sie zwanzig Jahre alt ge­worden sind, einen Weg durch die Zeit, der zwanzig Jahre dauert, und gehen zurück in Ihren Zustand eigentlich noch, bevor Sie Kind waren, also, sagen wir, wie Sie angefangen haben, Mensch zu sein. Sie gehen zum Ausgangspunkte Ihres Erdenlebens in der Zeit zurück. Also während der physische Leib im Bette liegt und der Ätherleib, sind gar nicht das Ich und der astralische Leib in demselben Zeitpunkte, sondern sind zurückgegangen in der Zeit, sind in einem früheren Zeit­punkte. Nun entsteht die Frage: Wenn wir so jede Nacht zurück­gehen bis zu diesem früheren Zeitpunkte, wie ist es denn dann, wäh­rend wir wachen mit unserem Ich und mit unserem astralischen Leib?

Diese Frage entsteht erst, wenn wir wissen, daß wir in der Nacht zurückgehen. Aber dieses Zurückgehen ist eigentlich auch nur etwas Scheinbares, denn in Wirklichkeit sind wir mit dem Ich und dem astralischen Leibe auch während des Tagwachens nicht herausge­kommen aus dem Zustande, in dem wir im vorirdischen Dasein waren.

Sie sehen, wir müssen uns Jdeen aneignen, wenn wir die Wahrheit über diese Dinge erkennen wollen, die nicht gewöhnliche Ideen sind. Wir müssen uns die Idee aneignen, daß Ich und astralischer Leib überhaupt unsere Erdenentwickelung zunächst gar nicht mitmachen. Sie bleiben im Grunde zurück, bleiben stehen, wo wir sind, wenn wit uns anschicken, einen physischen und einen Ätherleib zu bekommen.

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Also auch im Wachen ist unser Ich und unser astralischer Leib im Momente des Anfanges unseres Erdenlebens. Wir durchleben das Erdenleben eigentlich nur mit dem physischen Leib und auf eine eigentümliche Weise mit dem Ätherleib. Richtig durchleben wir das Erdenleben im Raume und in der gewöhnlichen Zeit nur mit unserem physischen Leibe. Alt wird nur unser physischer Leib, und der Äther-leib verbindet den Anfang mit demjenigen Punkte, in dem wir gerade in irgendeiner Lebensperiode stehen.

Nehmen wir also an, irgend jemand ist geboren worden 1900. Er ist heute dreiundzwanzig Jahre alt. Sein Jch und sein astralischer Leib sind im Grunde genommen in dem Zeitpunkte von 1900 stehenge­blieben. Der physische Leib ist dreiundzwanzig Jahre alt geworden, und der Ätherleib verbindet den Zeitpunkt des Eintrittes ins Erden-leben mit dem Zeitpunkte, in dem der Betreffende gegenwärtig ist, so daß wir, wenn wir den Ätherleib nicht hätten, jeden Morgen wiederum aufwachen würden als ganz kleines Kind, das eben zur Welt kommt. Nur dadurch, daß wir in den Ätherleib hineingehen, bevor wir in den physischen Leib hineingehen, passen wir uns an das Alter des physi­schen Leibes an. Wir müssen uns jeden Morgen erst an das Alter des physischen Leibes anpassen. Der Ätherleib ist der Vermittler zwischen dem Geistig-Seelischen und dem physischen Leibe, und zwar so, daß er das Band über die Jahre hin bildet. Wenn einer schon sechzig Jahre alt geworden ist oder noch älter, so bildet der ätherische Leib das Band zwischen seinem allerersten Auftreten auf der Erde, bei dem er stehengeblieben ist als Ich und als astralischer Leib, und zwischen dem Alter seines physischen Leibes.

Nun werden Sie sagen: Aber wir haben doch unser Ich. Unser Ich ist mit uns alt geworden. Unser astralischer Leib, unser Denken, Fühlen und Wollen sind auch mit uns alt geworden. Wenn einer sechzig Jahre alt geworden ist, so ist doch sein Ich auch sechzig Jahre alt geworden. - Wenn wir in dem Ich, von dem wir täglich reden, unser wahres, unser wirkliches Ich vor uns hätten, dann wäre der Einwand berechtigt. Aber wir haben in dem Ich, von dem wir täglich reden, gar nicht unser wirkliches Ich vor uns, sondern unser wirkliches Ich steht am Ausgangspunkte unseres Erdenlebens. Unser physischer Leib wird,

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sagen wir sechzig Jahre alt. Er spiegelt zurück, indem durch den Ätherleib die Spiegelung vermittelt wird, immer von dem betreffenden Zeitpunkt, in dem der physische Leib lebt, den Spiegelpunkt des wahren Ichs. Dieses Spiegelbild des wahren Ichs, das wir in jedem Augenblicke von unserem physischen Leibe zurückbekommen, das in Wahrheit von etwas herrührt, das gar nicht ins Erdendasein mitge­gangen ist, sehen wir. Und dieses Spiegelbild nennen wir unser Ich. Dieses Spiegelbild wird natürlich älter, denn es wird dadurch älter, daß der Spiegelapparat, der physische Leib, allmählich nicht mehr so frisch ist, wie er im frühen Kindesalter war, dann zuletzt klapperig wird und so weiter. Aber daß das Ich, das eigentlich nur das Spiegel­bild des wahren Ichs ist, sich auch als alt zeigt, kommt nur davon, daß der Spiegelungsapparat nicht mehr so gut ist, wenn wir mit dem physischen Leibe alt geworden sind. Und der Ätherleib ist das, was sich nun von der Gegenwart immer so hindehnt, wie perspektivisch, nach unserem wahten Ich und nach unserem astralischen Leib. die gar nicht in die physische Welt heruntergehen.

Deshalb sehen wir, wie ich das in den öffentlichen Vorträgen jetzt schilderte, dieses ganze Tableau des Ätherleibes oder Zeitleibes. Das ist dasjenige, was sich da ätherisch ausbreitet zwischen unserem gegen­wärtigen Augenblick, den nur der physische Leib mitmacht, und unserem Ich, das eigentlich niemals der physischen Erdenwelt voll­ständig angehört, sondern immer zurückbleibt, wenn wir uns so aus­drücken dürfen, in den Himmelswelten. Es vetffießt im Grunde ge­nommen unser Erdenleben so, daß wir mit unserem wahren Ich und mit unserem astralischen Leib bei unserem Erdenanfange stehenblei­ben, daß wir eigentlich durch diese beiden Glieder unseres Menschen-wesens das Erdenleben initiieren, den Anfang dadurch machen, und daß wir dann durch den Ätherleib immer die Kräftereihe sehen bis zum physischen Leibe, der in der richtigen Weise älter wird. Das ist die richtige, die wahre Vorstellung, welche man haben muß, wenn man in diese Dinge eindringen will.

Nun können Sie sich denken, daß, indem während des Lebens diese Tatsachen vorliegen, die Verhältnisse im Momente des menschlichen Sterbens ganz besondere sein müssen. Den physischen Leib legen wir

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zunächst mit dem Tode ab. Der physische Leib ist aber de4enige, der uns eigentlich unser Erdenalter gegeben hat. Indem wir diesen physi­schen Leib ablegen, was bleibt uns denn zunächst? Es bleibt uns zu-nächst dasjenige, was wir nicht in das Erdenleben hereingetragen haben. Aber erfüllt mit allen Erfahrungen des Erdenlebens haben sich das Ich und der astralische Leib, sie sind gewissermaßen am Ausgangs­punkte stehengeblieben. Aber sie haben immer hingesehen auf das­jenige, was ihnen der physische Leib mit Hilfe des Ätherleibes zurück-gespiegelt hat. Und so stehen wir, wenn wir durch die Pforte des Todes gehen, am Ausgangspunkte unseres Lebens, aber erfüllt nicht mit demjenigen, was wir in uns getragen haben, als wir hinuntergestiegen sind aus der geistigen Welt, sondern erfüllt mit demjenigen, was uns immer als Spiegel des Erdenlebens während des Erdenlebens zurück­gekommen ist. Mit dem sind wir ganz erfüllt. Das gibt einen beson­deren Bewußtseinszustand am Ende des Erdenlebens.

Diesen besonderen Bewußtseinszustand am Ende des Erdenlebens, den versteht man dann, wenn man nun das Augenmerk richtet auf dasjenige, was man als Mensch jede Nacht durchmacht zwischen dem Einschlafen und Aufwachen im Schlafzustande. Kürzer wird es auch durchgemacht, sagen wir bei kleinen Nachmittagsschläfchen und der­gleichen, doch die will ich jetzt nicht berücksichtigen.

Wenn man mit imaginativer, inspirierter und intuitiver Erkenntnis ausgerüstet auf dasjenige hinschauen kann, was sonst unbewußt bleibt, was sich mit dem Menschen zwischen dem Einschiafen und Aufwachen vollzieht, dann sieht man, wie jede Nacht der Mensch sein tagwachen­des Leben zurücklegt. Ja, es ist so, der Mensch lebt jede Nacht sein tagwachendes Leben zurück, der eine schneller, der andere langsamer, man kann es in fünf Minuten, man kann es in einer Minute zurück-leben. Bei diesen Dingen spielen ganz andere Zeitverhältnisse eine Rolle als im gewöhnlichen äußeren Leben des Erdendaseins. Aber nehmen wir die gewöhnliche Nacht, so kann man auf dasjenige mit imaginativer Erkenntnis, mit inspirierter Erkenntnis blicken, was da Ich und astralischer Leib durchleben. Da durchleben sie in der Tat rückwärtslaufend dasjenige, was seit dem letzten Aufwachen in der physischen Welt durchgemacht worden ist. Jede Nacht durchleben

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wir den Tag, aber in rückwärtiger Ordnung. Jede Nacht durchleben wir dasjenige, was wir zuerst am Abend gemacht und erfahren haben, dann das etwas Frühere, dann das noch etwas Frühere, dann das weiter etwas früher Zurückliegende. In rückwärtiger Folge machen wir in der Nacht die Tageserlebnisse durch, und in der Regel wachen wir dann auf, wenn wir beim Morgen angekommen sind.

Sie können einwenden: Ja, mancher wird doch aufgeweckt durch dieses oder jenes Geräusch. - Da sind eben die Zeitverhältnisse anders. Denken Sie sich, man legt sich als anständiger Mensch, sagen wir um elf Uhr ins Bett, schläft jetzt ruhig bis um drei Uhr, hat da dasjenige durchlebt, was man während des Tagwachens bis um zehn Uhr morgens erlebte, in rückwärtiger Folge zurückerlebt, dann wird man durch irgendeinen Tumult aufgeweckt. Den Rest lebt man noch schnell durch, das kann in wenigen Augenblicken sein während des Aufwachens. Der Rest wird immer schnell ausgelebt in solchen Fällen, sonst dehnt er sich über Stunden aus. Aber die Zeitverhältnisse sind während des Schlafens anders. Die Zeit kann ganz zusammengescho­ben werden, so daß man doch sagen kann: Während jeder Schlafens­periode durchlebt der Mensch rückwärtslaufend dasjenige, was er während der letzten Wachensperiode durchgemacht hat. Er erlebt es in einer Art von nicht bloßer Anschauung, sondern er erlebt es so, daß sich nun in dieses Erleben eine vollständig moralische Beurteilung desjenigen hineinmischt, was man da durchlebt hat. Man wird sozu­sagen sein eigener moralischer Richter bei diesem rückwärtigen Durch­leben. Und wenn man fertig ist beim Aufwachen mit diesem Durch-leben, dann hat man gewissermaßen über sich als Mensch ein Wert­urteil gefällt. Man taxiert sich als einen so und so wertigen Menschen jeden Morgen beim Aufwachen, nachdem man dasjenige durchlebt hat, rückwärtslaufend, was man bei Tag vollbracht hat. Damit schildere ich Ihnen zugleich dasjenige, was unbewußt das Geistig-Seelische des Menschen jede Nacht - das heißt aber in einem Drittel des Erden-lebens, wenn es normal verläuft - durchmacht, nur unbewußt eben. Die Seele durchlebt das Leben in umgekehrter Folge noch einmal, nur etwas schneller, weil wir etwa ein Drittel unseres gesamten Erden-lebens nur verschlafen.

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Wenn nun der Moment kommt, wo der Mensch durch die Pforte des Todes tritt, trennt sich nach und nach - es dauert ja einige Tage -, nachdem der physische Leib abgelegt ist, das, was ich Ätherleib oder Bildekräfteleib in meinen Schriften genannt habe, von dem Ich und von dem astralischen Leibe. Diese Trennung ist so, daß der Mensch fühlt, indem er durch die Pforte des Todes geschritten ist, wie seine Gedanken, die er bisher nur als etwas angesehen hat, was in ihm selber ist, Realitäten sind, Wirklichkeiten, die sich immer mehr ausbreiten. Der Mensch hat das Gefühl zwei, drei, vier Tage nach dem Tode: Du bestehst eigentlich aus Gedanken, aber diese Gedanken gehen aus­einander. - Der Mensch wird als Gedankenwesen immer größer und größer, und endlich löst sich das ganze Gedankenwesen des Menschen in den Kosmos auf. Aber in demselben Maße, in dem sich das Ge­dankenwesen, das heißt der Ätherleib, in den Kosmos auflöst, kon­zentriert sich jetzt dasjenige, was auf andere Weise erlebt worden ist als durch das gewöhnliche Bewußtsein.

Eigentlich ist alles das, was wir im Wachzustande gedacht haben, was wir im wachen Zustande vorgestellt haben, drei Tage nach dem Tode verflogen. Das ist schon so. Vor dieser Tatsache muß man die Augen nicht zudrücken. Dasjenige, was der Inhalt des bewußten Erdenlebens ist, ist drei Tage nach dem Tode verflogen. Aber gerade, indem sich dasjenige, was uns so wichtig ist, so wesentlich während des Erdenlebens ist, in drei Tagen verflüchtigt, steigt aus dem Inneren eine Erinnerung an etwas auf, was vorher gar nicht da war, nämlich die Erinnerung an all dasjenige, was wir immer in den Nächten schla­fend zwischen Einschlafen und Aufwachen rückläufig durchgemacht haben. Das tagwache Leben verfliegt, und in demselben Maße steigt aus unserem Inneren heraus die Summe der Erlebnisse, die wir wäh­rend der Nacht durchgemacht haben. Es sind ja auch die Tageserleb­nisse, aber in umgekehrter Folge und mit dem moralischen Gefühl in jedem einzelnen Detail verwoben.

Nun erinnern Sie sich, wir stehen noch immer mit dem wirklichen Ich, mit dem wirklichen astralischen Leibe im Anfange des Lebens, aber dasjenige, was wir als Spiegelbilder mit dem physischen Leibe bekommen haben, wenn wir noch so alt geworden sind, das fliegt mit

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dem Ätherleib fort. Dasjenige, was wir während des Erdenlebens gar nicht angeschaut haben, die nächtlichen Erfahrungen, treten jetzt als ein neuer Inhalt auf. Daher fühlen wir uns nach den drei Tagen, nach­dem der Ätherleib fortgegangen ist, erst recht wie am Ende unseres Erdenlebens. Wenn wir also sterben, sagen wir am 16. Mai 1923, so fühlen wir dadurch, daß jetzt wie aus nächtlichem Dunkel all die nächt­lichen Erlebnisse aufleben, uns an das Ende unseres Erdenlebens hin-getragen, aber zugleich mit der Tendenz zurückzugehen. Und nun durchleben wir die Zeit, die wir immer durchschlafen haben, Nacht für Nacht zurück. Das macht ungefähr ein Drittel des Erdenlebens aus.

Die verschiedenen Religionen schildern es als Fegefeuer oder Kama­loka und so weiter. Wir durchleben unser Erdenleben so, wie wir es unbewußt immer in den Nachtzuständen durchlebt haben, bis wir richtig mit unserem Erleben im Ausgangspunkte des Erdenlebens angekommen sind. Wir müssen wiederum zurückkommen zum An­fange unseres Erdenlebens. Das Rad des Lebens muß sich drehen und muß wiederum zu seinem Ausgangspunkte zurückkommen. So sind die Vorgänge. Drei Tage nach dem Tode haben wir verfliegend die Tageserlebnisse. Ein Drittel unserer irdischen Lebenszeit haben wir rückwärts durchlaufend, eine Zeit, wo wir uns nun eigentlich über unseren Wert als Mensch ganz bewußt klarwerden. Denn dasjenige, was wir unbewußt jede Nacht durchgemacht haben, tritt jetzt bei vollem Bewußtsein auf, nachdem wir den Ätherleib abgelegt haben.

Im gewöhnlichen Leben kann man sich nur vorstellen, daß man Wege macht, die im Raume liegen. Aber der Raum hat keine Bedeu­tung für das Geistig-Seelische, der Raum hat nur eine Bedeutung für das Physisch-Sinnliche. Und wir müssen uns vorstellen, daß wir, wenn wir im geistig-seelischen Zustande sind, auch in der Zeit Wege ma­chen, daß wir also dasjenige, was wir, ich möchte sagen, als Davon-läufer aus den Himmeln mit dem physischen Leibe abgegangen sind, nach dem Tode wiederum zurückgehen müssen. Allerdings, wir gehen es dreimal so schnell zurück, weil es sich durch die Erlebnisse aus-gleicht, die wir während der nächtlichen Schlafzustände gehabt haben. So sind wir - Jahrzehnte vielleicht nach unserem Tode - wiederum zum Ausgangspunkte zurückgekommen, aber bereichert jetzt in

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unserer Seele mit alledem, was wir als Erdenmenschen durchgemacht haben, nicht nur bereichert mit dem, was uns da als eine Erinnerung bleibt. Trotzdem es mit dem Ätherleib fortgegangen ist, bleibt es uns als eine Erinnerung, nicht nur mit dem bereichert, was wir im Erden-bewußtsein durchgemacht haben, sondern auch mit dem bereichert, was wir aus der vollmenschlichen Wesenheit heraus unbewußt wäh­rend der Schlafzustände über unseren Menschenwert selber urteilen. So ziehen wir, je nachdem wir gelebt haben, nach längerer oder kür­zerer Zeit, nach Jahrzehnten etwa in die Geistwelt ein, aus der wir herausgeschritten sind, aber nur mit dem Bewußtsein herausgeschrit­ten sind. Eigentlich sind wir am Ausgangspunkte stehengeblieben und haben gewartet, bis sich uns die Erdenlaufbahn des physischen Leibes als erfüllt erweist und wir wiederum zurückkehren können zu demjenigen, was wir vor der Geburt beziehungsweise vor der Emp­fängnis waren.

Man muß, wenn man diese Dinge schildert, zuerst, namentlich vor der Öffentlichkeit, sie so schildern, daß man nicht gleich die Leute mit diesen ganz anders gearteten Begriffen schockiert. Man kann, ich möchte sagen, bildlich die Sache so schildern, als wenn es eigentlich fortginge nach dem Tode. Aber in Wahrheit ist es ein Zurückgehen, ein Zurückleben nach dem Tode. Es dreht sich in der Tat die Zeit, kommt wiederum zu ihrem Ausgangspunkte zurück. Man könnte sagen: Die göttliche Welt bleibt eigentlich an dem Orte stehen, an dem sie vom Anfange an stand. - Der Mensch macht nur seine Aus­läufe, seine Ausgänge aus der Götterwelt. Dann kehrt er wiederum in sie zurück und bringt sich dasjenige, was er sich außerhalb dieser Götterwelt erobert hat, in diese Götterwelt wiederum zurück.

Nun kommt das Leben, das sich dann anschließt. Wenn wir sozu­sagen wiederum, aber bereichert jetzt um das Erdenleben - nicht nur um das bewußte, sondern auch um das unbewußte Erdenleben -zurückgekommen sind, Kindlein geworden sind, um nun als Kindlein wiederum drinnenzustehen in den Reichen der Himmel, schließt sich dann dasjenige Leben an, das man etwa so schildern könnte, daß man sagt: Der Mensch nimmt jetzt wahr, wie er ist. Geradeso wie er hier zwischen Pflanzen, Steinen, Tieren auf der Erde mit seinem gewöhnlichen

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Erdenbewußtsein ist, so nimmt der Mensch dann in der Zeit, bei der wir jetzt angekommen sind, wahr. - Ich schildere das nach­todliche Leben. Dann nimmt der Mensch wahr, wie er erstens unter den Menschenseelen ist, die nun nicht auf Erden erleben, sondern in den Himmel erleben, die also gestorben oder noch nicht geboren sind, aber er nimmt auch wahr zwischen den höheren Hierarchien Angeloi, Archangeloi, Exusiai und so weiter. Sie kennen die Namen und die Bedeutung der Namen aus meiner «Geheimwissenschaft im Umriß». Der Mensch bekommt Erfahrungen in dieser rein geistigen Welt. Wenn ich diese Erfahrungen charakterisieren soll, so muß ich das so tun: Es ist, als ob der Mensch sein eigenes Wesen in den Kosmos nun hineintrüge. Das, was er während des Tagwachens, während des nächtlichen unbewußten Erdenlebens durchgemacht hat, trägt er in den Kosmos hinein, das braucht der Kosmos.

Wir stehen hier als Menschen im Erdenleben, beurteilend dasjenige, was uns als Kosmos umgibt, Sonne und Mond und Sterne, nur vom irdischen Gesichtspunkte aus. Wir rechnen da als Astronomen aus, wie sich die Sterne bewegen, wie sich die Planeten bewegen, wie sie an den Fixsternen vorübergehen und dergleichen. Aber, sehen Sie, mit diesem ganzen astronomisch-wissenschaftlichen Verhalten ist es eigentlich so, wie wenn hier ein Mensch stünde und ein ganz kleines, winziges Wesen diesen Menschen beobachten würde, diesen physi­schen Menschen meine ich. Ein kleines, winziges Wesen, sagen wir, ein Marienkäferchen würde eine Wissenschaft gründen und würde einen gegenüber dem Marienkäferchen riesigen Menschen beobach­ten, würde beobachten, wie der zum Leben kommt. Ich nehme an, daß das Marienkäferchen auch eine gewisse Lebenszeit hat. Es würde also beobachten, was da mit diesem Menschen geschieht, würde dann seine Untersuchungen machen nach vorne und nach hinten, aber es würde nicht beachten, daß der Mensch ißt und trinkt, also immer wieder und wieder sein Wesen, sein physisches Wesen erneuern muß, würde glauben, daß dieser Mensch geboren werden kann, von selbst wächst und wiederum von selbst stirbt. Es würde gar nicht beachten, wie da von Tag zu Tag immer die Erneuerung des Stoffwechsels vor sich gehen muß.

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So ungefähr benimmt sich der Mensch als Astronom gegenüber der Welt. Er achtet gar nicht darauf, daß diese Welt ein gewaltiger Geist-Organismus ist, der Nahrung braucht, sonst wären die Sterne längst im Weltenraum nach allen Richtungen zerstreut worden. Die Planeten wären ihre Bahn gegangen. Dieser Riesenorganismus braucht Nah­rung, dasjenige, was er immer wiederum und wiederum aufnehmen muß, damit er richtig fortbestehen kann. Und woher kommt diese Nahrung?

Hier ergeben sich die großen Fragen des Zusammenhanges zwischen dem Menschen und zwischen dem Weltenall. Die irdische Wissen­schaft ist so furchtbar richtig, so daß sie alles beweisen kann. Nur sagen eigentlich die Beweise nicht viel. Es glauben die Menschen, wenn sie Anthroposophie hören und diese der gewöhnlichen Wissen­schaft in vielen Dingen widerspricht, daß diese gewöhnliche Wissen­schaft alles beweisen kann. Das kann sie auch. Das leugnet auch die Anthroposophie nicht. Sie kann alles beweisen. Die Dinge sind näm­lich so, daß Beweise für die Wirklichkeit in gewissen Fällen gar nichts besagen können.

Denken Sie sich einmal, ich berechne, wie sich das Herz des Men­schen von einem Jahre zum andern in seiner physischen Struktur ändert. Nehmen wir an, das könnte beobachtet werden und wir sagen: Ein Mensch, der im dreiunddreißigsten Lebensjahre angekommen ist, bei dem ist die physische Struktur des Herzens so, im vierunddreißig­sten Jahre so, im fünfunddreißigsten Jahre so und so weiter. Ich beobachte durch fünf Jahre und rechne jetzt aus, wie diese physische Struktur des Herzens, sagen wir, dreißig Jahre früher war. Das kann ich ausrechnen. Da ergibt sich mir eine physische Struktur des Her­zens. Ich kann auch ausrechnen, wie sie dreihundert Jahre später oder dreihundert Jahre früher ist. Es liegt nur die Kleinigkeit vor, daß vor dreihundert Jahren das Herz noch nicht da war, daß also der ausge­rechnete Zustand nicht existiert hat. Richtig errechnet ist er. Beweisen kann man, daß vor dreihundert Jahren das Herz so und so beschaffen war, nur war es noch nicht da. Beweisen kann man, daß nach drei­hundert Jahren das Herz so und so beschaffen sein wird, nur wird es nicht mehr da sein. Die Beweise sind unumgänglich richtig.

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So kann man es aber heute mit der Geologie machen. Man kann berechnen, wie durch eine gewisse Schichte der Erde sich das und das ergeben hat. Dann kann man ausrechnen, wie das vor zwanzig Mil­lionen Jahren war oder nach zwanzig Millionen Jahren sein wird. Der Beweis klappt furchtbar gut, nur war die Erde noch nicht da vor zwanzig Millionen Jahren. Die Veränderung konnte sich ebenso nicht vollziehen wie mit dem Herzen. Und ebenso wird die Erde nicht mehr da sein nach zwanzig Millionen Jahren. Die Beweise sind absolut tadellos, aber die Wirklichkeit hat gar nichts mit diesen Beweisen zu tun. Sie sehen, wie die Dinge liegen. Die Dinge liegen so, daß die Täuschungsmöglichkeit aus dem physischen Leben die denkbar größte ist. Man muß schon etwas in das geistige Leben eindringen können, wenn man einen Standpunkt gewinnen will, um die physische Welt beurteilen zu können.

Nun gehen wir zu demjenigen zurück, was ich nur durch diese Ausführung von den Beweisen erläutern wollte, welche die Wirklich­keit gar nicht treffen, zu dem zurück, wie der Mensch sich nun, nach­dem er in dem Zeitpunkte nach dem Tode angekommen ist, den ich charakterisiert habe, in die Welt der geistigen Tatsachen, geistigen Wesenheiten hineinlebt. Er bringt dasjenige in diese geistige Welt hinein, was er hier auf Erden im Wach- und im Schlafzustande durch­gemacht hat.

Das ist die Nahrung des Kosmos, das ist dasjenige, was der Kosmos fortwährend braucht, damit er fortbestehen kann. Was wir Menschen auf Erden in leichten und in harten Schicksalen erleben, das tragen wir einige Zeit nach dem Tode in den Kosmos hinein, und wir fühlen daher als die Ernährung unser menschliches Wesen in den Kosmos aufgehen. Das sind Erfahrungen, die der Mensch zwischen dem Tode und einer neuen Geburt von gewaltiger Größe, von ungeheurer Er­habenheit macht...

Dann tritt derjenige Zeitpunkt ein, wo der Mensch sich nicht mehr als eine Einheit erscheint, sondern wo gewissermaßen der Mensch sich als eine Vielheit erscheint, wo der Mensch sich so erscheint, daß die eine Tugend, die eine Eigenschaft gewissermaßen nach dem einen Stern hin sich bewegt, die andere nach dem andern Stern. wo der

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Mensch sein Wesen in die ganze Welt verteilt wahrnimmt, und wo er zugleich wahrnimmt, wie die Teile seines Wesens miteinander streiten, miteinander harmonisieren oder disharmonisieren. Der Mensch fühlt, wie dasjenige, was er auf der Erde erlebt hat täglich oder nächtlich, sich in den ganzen Kosmos verteilt. Und geradeso wie während der drei Tage nach dem Tode, wo die Gedanken fortgeflogen sind, also alles dasjenige, was unser Tagesleben war, fortgeflogen ist, und wir uns auf dasjenige konzentrieren, was die nächtlichen Erlebnisse waren, und da bis zum Ausgangspunkte unseres Erdenlebens zurückleben, wie wir uns da festhalten mit den nächtlichen Erlebnissen, so halten wir uns, wenn nun die gesamte Menschheitserfahrung in den Kosmos hinausfliegt, fest in demselben, was wir überhaupt als Menschen einer übersinnlichen Weltenordnung sind.

Jetzt taucht unser wahres Ich aus unserem zerspaltenen, ich möchte sagen aus unserem dionysisch-zerspaltenen Menschen auf. Da taucht nach und nach das Bewußtsein auf: Du bist ja Geist. Du hast nur in einem physischen Leib gewohnt, hast nur dasjenige durchgemacht, was der physische Leib über dich gebracht hat, auch in den nächtlichen Erlebnissen. Du bist ja Geist unter Geistern.

Man tritt jetzt ein in ein geistiges Dasein unter geistigen Wesen­heiten, während man dasjenige, was man als Erdenmensch war, zer­spalten und zerteilt sieht in den ganzen Kosmos. Was wir auf Erden hier durchmachen, wird in den Kosmos hinaus zerteilt, daß es dem Kosmos Nahrung werden kann, daß der Kosmos weiterbestehen kann, daß der Kosmos neue Antriebe zu seinen Sternenbewegungen und Sternenbeständen erhalten kann. Wie wir unserem Leben die Erdennahrung zuführen müssen, damit wir als physische Menschen zwischen der Geburt und dem Tode leben können, so muß der Kos­mos von Menschenerfahrungen leben, diese in sich aufnehmen. Und wir gelangen auf diese Weise dazu, uns immer mehr und mehr als kosmischer Mensch zu fühlen, gewissermaßen unser ganzes Menschen-wesen in den Kosmos übergehend zu finden, aber in den geistigen Kosmos übergehend zu finden. Und der Zeitpunkt ist angelangt, wo wir den Übergang zwischen dem Tod und einer neuen Geburt suchen müssen, von dem Kosmoswerden des Menschen zum Menschwerden

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des Kosmos. Wir sind aufgestiegen, indem wir uns immer kosmischer und kosmischer fühlen. Ein Zeitpunkt kommt - ich habe ihn in meinen Mysterien genannt die große Mitternachtsstunde des Da­seins -, wo wir fühlen: Wir müssen wieder Mensch werden. Das­jenige, was wir in den Kosmos hinaustragen, muß uns in anderer Ge­stalt der Kosmos wieder zurückgeben, damit wir wiederum zur Erde zurückkehren können. Von dieser Rückkehr darf ich Ihnen dann morgen sagen.

Ich wollte Ihnen heute zunächst nur das Menschenwesen schil­dern, wie es hinausgetragen wird aus dem Erdenleben in die kosmi­schen Weiten. Wir stehen also jetzt sozusagen zunächst mit einer skizzenhaften Schilderung - sie soll in den nächsten Tagen ausführ­licher gegeben werden - mitten drinnen in dem Leben zwischen dem Tode und einer neuen Menschengeburt.

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ZWEITER VORTRAG Kristiania (Oslo), 17. Mai 1923

Gestern habe ich versucht, ein Bild von den Zuständen zu geben, die der Mensch durchlebt, indem er durch die Pforte des Todes durchgeht und in der geistigen Welt ankommt. Wir wollen uns noch einmal kurz die wesentlichsten Etappen vor die Seele rufen. Zunächst erlebt der Mensch, nachdem er unmittelbar durch die Pforte des Todes hindurch­gegangen ist, das Fortgehen seiner Vorstellungswelt. Die Vorstel­lungen, die Denkkräfte, werden gegenständlich, werden wie wirksame Kräfte, die in die Welt hinaus sich verbreiten, so daß der Mensch von sich fortgehen fühlt zunächst alles dasjenige, was er an Erlebnissen bewußt durchgemacht hat im Erdenleben zwischen Geburt und Tod. Aber während - und das ist etwas, was in wenigen Tagen verläuft - das gedankenmäßig erlebte Erdenleben sich vom Menschen in den weiten Kosmos hinaus entfernt, erhebt sich aus dem Inneren heraus ein Bewußtsein von alledem, was der Mensch in den Schlafzuständen während des Erdenlebens unbewußt durchgemacht hat. Und das ge­staltet sich so, daß der Mensch nunmehr zurückgehend in einem Drittel der Zeit sein Erdenleben erlebt.

Während dieser Zeit ist der Mensch eigentlich sehr stark mit sich selbst beschäftigt. Man könnte sagen: Der Mensch hängt während dieser Zeit durchaus noch intensiv mit seinen eigenen Angelegenhei­ten des Erdenlebens zusammen. Er ist ganz verwoben mit demjenigen, was er, sagen wir während der verschiedenen Nächte, also in seinen Schlafzuständen durchgemacht hat.

Sie können ermessen, wie da der Mensch, da er eigentlich immer seine nächtlichen Erlebnisse durchmacht, auf sich selbst zurückge­wiesen ist. Beachten Sie nur das einzige, was während des Erden­lebens aus den Schlafzuständen heraufspielt, die Träume. Diese Träume sind das allerwenigste von dem, was der Mensch im Schlafe erlebt. Aber das andere bleibt eben unbewußt. Die Träume nur spielen be­wußt herauf. Aber diese Träume, so interessant, so mannigfaltig, von so buntem Farbenreichtum sie auch sind, man muß doch sagen, sie

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stellen etwas dar, womit der Mensch ganz allein auf sich angewiesen ist. Denken Sie nur einmal, wenn eine Anzahl von Menschen in dem­selben Raume schläft, so kann doch jeder seine eigenen Träume haben. Und wenn die Menschen dann sich ihre Träume erzählen, Menschen, die in demselben Raume geschlafen haben, so werden sie sich etwas erzählen, wie wenn sie in ganz verschiedenen Welten gewesen wären. Der Mensch ist während des Schlafes ganz mit sich allein; er hat seine eigene Welt im Schlafe. Und erst dadurch, daß wir unseren Willen in unseren Organismus einschalten, haben wir dieselbe Welt in dem­selben Raum mit den andern Menschen zusammen. Würden wir immer schlafen, so hätten wir jeder unsere eigene Welt.

Aber diese eigene Welt, die wir jede Nacht zwischen dem Ein­schlafen und Aufwachen durchleben, ist die Welt, die wir in einer Zeit, die ein Drittel unseres Lebenslaufes umfaßt, rückwärts in den Jahren nach dem Tode durchleben. Allerdings, wenn wir nichts weiter hätten als diese Welt, so wären wir durch zwei oder drei Jahrzehnte, wenn wir alte Leute geworden sind, nach dem Tode ganz allein mit uns selbst beschäftigt. Das ist aber nicht der Fall. Wir hängen durch das­jenige, was wir da als unsere eigenen Angelegenheiten durchmachen, doch mit der ganzen Welt zusammen, weil in diese Welt, die wir jeder für sich durchmachen, die Verhältnisse zu ja zahlreichen andern Men­schen hereinspielen, zu all denjenigen Menschen, mit denen wir im Leben irgendwie zusammengekommen sind.

Und so kommt es, weil wir von diesem Zustande in der Seelenwelt nach dem Tode herunterschauen auch auf alles dasjenige, was Men­schen hier auf Erden durchleben, mit denen wir irgendwie in Bezieh­ung gestanden haben, daß wir mit ihnen durchleben dasjenige, was sich auf der Erdenwelt abspielt. Man kann daher, wenn man versucht, mit den Mitteln, welche die Geisteswissenschaft nach dieser Richtung zur Verfügung stellt, an Verstorbene heranzukommen - das kann man -, schon durchaus wahrnehmen, wie diese Verstorbenen gleich vom Anfange ihres Todeserlehnisses an intensiv durch die andern Menschen, mit denen sie hier auf Erden gelebt haben und die noch auf Erden da sind, alle Erdenereignisse doch miterleben können. Und so kann man finden, daß Menschen, je nachdem sie diese oder jene

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Interessen gehabt haben, die sie mit Menschen gemeinsam besprochen haben, die sie mit Menschen gemeinsam in einem Schlcksal durchlebt haben, mit all diesen Erdeninteressen verbunden bleiben, sich interes­sieren für diese Erdeninteressen, ja sogar, weil der physische Leib kein Hindernis mehr bildet, über diese Erdenerlehnisse ein viel lichtvolleres Urteil haben als die Erdenmenschen. Und man kann schon dadurch, daß man ein Verhältnis gewinnt, ein bewußtes Verhältnis zu den Toten, aus dem Urteile der Toten auch über Erdenverhältnisse außer­ordentlich viel Lichtvolles gewinnen.

Aber noch etwas anderes kommt dabei in Betracht. Man kann sehen, wie innerhalb der Erdenverhältnisse doch wieder gewisse Dinge da sind, die sich in die geistige Welt hinein erhalten, wie also in unsere irdischen Erlebnisse gewissermaßen ein Ewiges hineinge-mischt ist. Es klingt fast, ich möchte sagen absonderlich, wenn man Schilderungen von dieser Welt gibt. Allein, ich denke, hier spreche ich zumeist zu langjährigen Anthroposophen, und ich darf daher über diese Dinge unbefangen sprechen. Heute noch diese Dinge etwa in der Öffentlichkeit zu besprechen, wäre natürlich ganz deplaciert. Man kann, wenn man die Wege aufsucht, um sich mit Toten zu verständi­gen, sogar die Möglichkeit finden, in Erdenworten sich mit den Toten zu verständigen, Fragen an sie zu stellen, Antworten zu bekommen. Da zeigt sich das Eigentümliche, daß die Toten zuerst die Fähigkeit verlieren, Substantive in ihrer Sprache zu gebrauchen, während die Verben noch lange im Gebrauche der Toten sind. Und insbesondere sprechen sich die Toten gern durch Empfindungsworte aus, durch all dasjenige, was mit dem Gefühl und dem Gemüte zusammenhängt. Ein Ach!, ein Oh! als Ausdruck der Verwunderung, als Ausdruck des Überraschtseins und dergleichen, ist dasjenige, was vielfach von den Toten in ihrer Sprache geübt wird. Man muß gewissermaßen auch die Sprache der Toten erst erlernen.

Wie sich die Spiritisten das vorstellen, ist das nicht, denn die stellen sich vor, daß sie durch das Medium in der ganz gewöhnlichen irdi­schen Sprache von den Toten Mitteilungen bekommen können. Man kann es schon der Art ansehen, wie diese Mitteilungen sind, daß es sich da um unterbewußte Zustände der Lebenden handelt, nicht um

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wirkliche direkte Mitteilungen der Toten bei den Medien. Denn aus der gewöhnlichen Menschensprache wachsen die Toten immer mehr und mehr heraus, und nach Jahren kann man sich mit den Toten überhaupt nurmehr verständigen, wenn man gewissermaßen ihre Sprache sich angeeignet hat, die zumeist darinnen liegt, daß man in einfachen symbolischen Zeichnungen dasjenige andeutet, was man ausdrücken will, und dann auch wiederum in solchen symbolischen Formen, die man natürlich schattenhaft erhält, die Antwort bekommt.

Ich schildere Ihnen dies aus dem Grunde, weil ich Ihnen dadurch andeuten will, daß der Tote, trotzdem er eigentlich in dem Elemente lebt, welches dasjenige des Schlafes ist, trotzdem weite Interessen hat und die Welt schon überschaut. Aber wir können ihm dabei außer­ordentlich zu Hilfe kommen. Und es ist zum Beispiel ein wesentliches Zuhilfekommen den Toten gegenüber, wenn wir in aller Lebendig­keit an sie denken, wenn wir namentlich solche Gedanken den Toten schicken, welche in einer recht anschaulichen Form dasjenige dar­stellen, was wir mit den Toten erlebt haben. Abstrakte Vorstellungen verstehen die Toten nicht. Wenn ich aber den Gedanken fasse: Da war die Straße zwischen Kristiania und einem Nachbarort; da gingen wir. Der andere Mensch, der jetzt gestorben ist, der ging neben mir. Ich höre noch heute, wie er dazumal sprach. Den Klang seiner Stimme höre ich. Ich versuche mir zu vergegenwärtigen, was er für Bewegun­gen mit den Armen machte, was er für Bewegungen mit dem Kopfe machte. - Wenn man sich das so ganz gegenständlich lebhaft vor­stellt, was man mit dem Toten zusammen erlebt hat, und dann diese Gedanken zu dem Toten hinschickt, den man sich in einem geläufigen Bilde vor die Seele rückt, dann schwebt oder strömt gewissermaßen ein solcher Gedanke zu dem Toten hin. Und der Tote empfindet das wie ein Fenster, durch das er in die Welt hereinblickt. Dem Toten geht nicht nur das, was wir an ihn als Gedanken richten, dabei auf, sondern eine ganze Welt geht ihm dabei auf. Es ist wie ein Fenster, durch das er in unsere Welt hereinblickt.

Dagegen dasjenige, was in seiner geistigen Umgebung nunmehr liegt, das kann der Tote nur in dem Maße erleben, als er sich schon hier die dem Menschen auf Erden möglichen Gedanken über die geistige

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Welt gemacht hat. Es gibt so viele Menschen heute, die sagen: Ach, was brauchen wir uns um das Leben nach dem Tode zu küm­mern. Wir können es ja abwarten. Wenn wir gestorben sind, werden wir schon sehen, was es da gibt nach dem Tode. - Aber das ist ein ganz unmöglicher Gedanke. Man sieht einfach nichts nach dem Tode, wenn man sich gar keine Gedanken über die geistige Welt im Leben gemacht hat, wenn man bloß materialistisch dahingelebt hat.

Damit habe ich Ihnen angedeutet, wie der Tote in der Zeit lebt, in der er rückwärts sein Leben nach Maßnahme dessen durchlebt, was er immer in den Schlafzuständen durchgemacht hat. In dieser Zeit fühlt sich der Mensch, der also jetzt seinen physischen, seinen Äther-leib verlassen hat, im Bereiche der geistigen Mondenkräfte. Wir müs­sen uns klar sein, daß alles dasjenige, was Weltenkörper sind, Mond, Sonne, andere Sterne, insofern sie den physischen Augen erscheinen, wirklich nur die physische Ausgestaltung von Geistigem sind.

Wie der einzelne Mensch, der jetzt hier auf dem Stuhle sitzt, nicht bloß das Fleisch und das Blut ist, das wir als Stoff ansehen können, sondern Seele und Geist ist, so lebt im ganzen Weltenall, im ganzen Kosmos überall Seele und Geist, und zwar nicht etwa bloß ein einheit­liches seelisch-geistiges Wesen, sondern viele, unendlich viele geistige Wesenheiten. Und so sind mit dem Monde verknüpft, den wir nur äußerlich mit dem physischen Auge als die silberne Scheibe sehen, zahlreiche geistige Wesenheiten. In deren Bereich sind wir, solange wir in der geschilderten Weise unser Erdenleben zurückleben, bis wir wiederum an seinen Ausgangspunkt zurückgekommen sind. Man kann daher sagen, so lange sind wir im Mondenbereiche.

Während wir also in diesem Rückwärtsleben sind, mischt sich aller­dings in unser ganzes Leben etwas, was dann einen gewissen Ab­schluß erlangt, wenn wir aus dem Mondenbereich nach dem Tode hinauskommen. Sogleich, nachdem wir den Ätherleib wenige Tage nach dem Tode in der geschilderten Weise abgestreift haben, macht sich aus diesen nächtlichen Erlebnissen heraus die moralische Beurteilung unseres Menschenwertes geltend. Wir können dann gar nicht anders, als dasjenige, was wir da wiederum zurückleben, moralisch zu beurtei­len. Und das ist sehr eigentümlich, wie sich die Dinge nun gestalten.

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Hier auf Erden tragen wir einen Leib aus Knochen, aus Muskeln, aus Blutgefäßen und so weiter. Dann, nach dem Tode, bildet sich ein geistiger Leib, der aus unseren moralischen Werten gebildet ist. Ein guter Mensch bekommt einen schönleuchtenden moralischen Leib, ein schlechter einen übelleuchtenden moralischen Leib. Das bildet sich während dieses Rückganges. Und das ist eigentlich nur ein Teil desjenigen, was sich uns angliedert, was jetzt unser - wenn ich mich so ausdrücken darf - Geistleib wird, denn ein Teil dessen, was wir jetzt in der geistigen Welt als einen Geistleib erhalten, bildet sich aus unseren moralischen Werten, ein anderer wird uns einfach aus den Substanzen der geistigen Welt, wenn ich so sagen darf, angekleidet.

Nun müssen wir, wenn wir den Rücklauf vollendet haben, wenn wir also wiederum an dem Ausgangspunkte angekommen sind, jenen Übergang finden, den ich in meiner «Theosophie» mit dem Übergange von der Seelenwelt in das Geisterland angedeutet habe. Aber das ist damit verknüpft, daß wir den Mondenbereich verlassen und innerhalb des Kosmos in den Sonnenbereich einziehen. Wir werden nach und nach mit der allumfassenden Wesenheit alles desjenigen bekannt, was geistig-seelisch im Sonnenbereiche lebt. Da müssen wir aufgenommen werden. Ja, da können wir jetzt nicht hinein mit unserem moralischen Leib. Ich werde in den nächsten Tagen davon zu sprechen haben, in­wiefern gerade bei diesem Übergange aus dem Mondenbereich in den Sonnenbereich die Christus-Wesenheit für den Menschen eine führende Rolle spielt, die verschieden ist vor dem Mysterium von Golgatha und nach dem Mysterium von Golgatha. Heute wollen wir einmal den Durchgang durch diese Welt mehr objektiv schildern. Wir müssen nämlich dasjenige, was wir uns da angegliedert haben gewissermaßen aus unseren moralischen Werten, im Mondenbereich noch ablegen. Das stellt etwas dar, was wir gewissermaßen als ein Päckchen zurück­lassen, damit wir als rein geistige Wesen in den Sonnenbereich nun­mehr eintreten können, wo wir die Sonne wirklich sehen, jetzt nicht von der Seite, die sie der Erde zuwendet, sondern von der rückwärti-gen Seite, wo wir sie ganz und gar von geistigen Wesenheiten erfüllt sehen, wo wir sie ganz und gar als ein geistiges Reich sehen.

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Da ist es nun, wo wir alles dasjenige, was jetzt nicht zu unseren moralischen Werten gehört, sondern zu demjenigen, was die Götter uns auf Erden haben erfahren lassen und was brauchbar ist für das Weltenall, wo wir das dem Weltenall wie eine Nahrung übergeben, so daß der Weltenlauf weitergehen kann. Ja, es ist wirklich so, wenn wir den Weltenlauf - Sie wissen, ich gebrauche das nur als einen Ver­gleich, ich definiere den Weltenlauf wirklich nicht als Maschine -vergleichsweise wie eine Maschine ansehen würden, so wäre dasjenige, was wir da mitbringen, nachdem wir unser Päckchen im Monden­bereiche abgelegt haben, das würde im Sonnenbereiche wie ein Heiz­material sein, das wir dem Laufe des Kosmos reichen, wie das Heiz­material einer Maschine gereicht wird.

Und so treten wir ein in den Bereich der geistigen Welt. Denn es ist einerlei, ob wir sagen: Wir treten ein in den Sonnenbereich, geistig, oder ob wir sagen: Wir treten ein in die geistige Welt. - Da leben wir nun als Geist unter Geistern, so wie wir hier auf Erden als physi­scher Mensch unter physischen Wesenheiten der verschiedenen Natur-reiche leben. Da leben wir unter denjenigen Wesenheiten, welche ich beschrieben und benannt habe in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß». Da leben wir auch unter denjenigen Seelen, die vor uns ge­storben sind oder die in der Erwartung sind ihres kommenden Erden­lebens. Wir leben da als Geist unter geistigen Wesenheiten. Diese geistigen Wesenheiten können Wesenheiten der höheren Hierarchien sein, sie können auch entkörperte, in der geistigen Welt lebende Menschen sein. Und die Frage taucht auf: Was tun wir nun? - Wir wachsen jetzt immer mehr und mehr in eine Weltanschauung hinein, die sehr verschieden von der irdischen Weltanschauung ist. Wenn man diese Welt schildert, in die wir hineinwachsen, so klingt es wieder paradox. Allein, was kann man denn anderes erwarten, als daß diese Dinge, die in einer ganz andern Welt leben, paradox für das irdische Anschauen klingen.

Indem wir da wirklich drinnenleben, Geist unter Geistern, haben wir, so wie wir hier auf Erden vor uns und um uns alles Natürliche haben, so haben wir, wenn wir als Geist unter Geistern zwischen dem Tode und einer neuen Geburt leben, gerade nach und nach alles

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Menschliche vor uns. Hier stehen wir auf Erden an einem bestimmten Punkte des irdischen Weltenalls. Wir richten den Blick nach allen Seiten hinaus und erblicken das, was außer dem Menschen ist. Das­jenige, was im Menschen ist, erblicken wir gar nicht.

Nun werden Sie sagen: Das ist töricht, was du uns sagst. Nicht gerade jeder Mensch, aber die gelehrten Anatomen, die in den anato­mischen Kliniken den Menschen, wenn er gestorben ist, zerschneiden, die Anatomie treiben, kennen ganz gut das Innere des Menschen. -Nichts kennen sie davon! Denn dasjenige, was man auf diese Weise vom Menschen kennenlernt, ist auch nur ein Äußeres. Ob sie schließ­lich den Menschen von dem Äußeren der Haut aus äußerlich an­schauen, oder ob sie ihn von innen äußerlich anschauen, das ist alles dasselbe. Im Inneren der Haut des Menschen ist nicht das­jenige, was die Anatomen auf äußerliche Weise herausbekommen, sondern da sind ganze Welten drinnen. In der menschlichen Lun­ge, in jedem menschlichen Organ sind ganze Welten im Kleinen zusammengerollt.

Es ist ja wunderbar dasjenige, was wir sehen, wenn wir, sagen wir, eine schöne Landschaft bewundern können. Es ist wunderbar das­jenige, was wir sehen, wenn wir nächtlich den Sternenhimmel in all seiner Pracht bewundern. Aber dasjenige, was im Menschen drinnen ist, wenn wir den Menschen nicht mit dem physischen Auge des Ana­tomen anschauen, sondern mit geistigem Auge anschauen, wenn wir eine menschliche Lunge, eine menschliche Leber - verzeihen Sie, daß ich alle diese Organe nenne -, wenn wir diese Organe mit geistigem Auge anschauen, so sind das ja Welten, zusammengerollt. Gegenüber aller Pracht und Herrlichkeit der äußeren Flüsse und Berge, der Erdenwelt, gegenüber all dieser äußeren Pracht ist eine viel größere, eine erhabenere Pracht alles dasjenige, was innerhalb der Haut des Menschen auch nur als physische Organisation liegt. Daß das kleiner ist als die scheinbar so große Raumeswelt, das macht es nicht aus. Wenn Sie dasjenige überschauen, was in einem einzigen Lungenbläschen liegt, so ist das großartiger als dasjenige, was in den mächtigen Alpenmassiven liegt. Dasjenige, was innerhalb des Men­schen ist, ist nämlich zusammenverdichtet der ganze geistige Kosmos.

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In der menschlichen Innenorganisation haben wir ein Bild des ganzen Kosmos.

Wir können uns das auch noch etwas anders vorstellen. Stellen Sie sich einmal vor, Sie seien meinetwillen dreißig Jahre alt geworden, blicken in sich hinein, rein seelisch. In der Erinnerung erinnern Sie sich an irgend etwas, was Sie zwischen dem zehnten und zwanzigsten Jahre erlebt haben. Da ist das äußere Erlebnis zum inneren Bilde der Seele geworden. Sie überblicken vielleicht in einem Momente weit ausgebreitete Erlebnisse, die Sie durch Jahre durchgemacht haben. Eine Welt ist in dem Bilde einer Vorstellung zusammengewoben. Denken Sie nur, was Sie manchmal haben, wenn Sie die kleinen Erinnerungsvorstellungen an weit ausgebreitete Ereignisse, die Sie durchgemacht haben, in Ihrem Seelenleben haben. Das ist das Seeli­sche, das Sie da erleben, von dem, was Sie irdisch durchgemacht haben. Wenn Sie ebenso, wie Sie Ihre Erinnerungsvorstellung anschauen, Ihr Gehirn, das Innere Ihres Auges anschauen - das Innere des Auges allein ist ja eine ganze Welt -, wenn Sie ebenso anschauen Ihre Lunge, Ihre andern Organe, so sind diese nicht jetzt Bilder von Erlebnissen, die Sie durchgemacht haben, sondern sie sind Bilder des ganzen geistigen Kosmos, sie erscheinen nur auf materielle Art.

Wenn der Mensch enträtseln kann, ebenso wie er seine Erinnerungen im Seelenleben enträtseln kann, weil er sie durchlebt hat im irdischen Leben, wenn er ebenso enträtseln kann: Was ist in meinem Gehirn, in meinem Augeninneren, in meinem Lungeninneren enthalten? -dann geht ihm der ganze geistige Kosmos auf, geradeso wie bei den einzelnen Erinnerungsvorstellungen einem irgendeine Erlebnisreihe aufgeht, die man durchgemacht hat. Man ist das verkörperte Weltge­dächtnis als Mensch. Das muß man nur ordentlich in Erwägung ziehen, dann wird man verstehen, was es heißt, der Mensch tritt ein, nachdem er nach dem Tode die Zustände durchgemacht hat, die ich bisher geschildert habe, in das Schauen des Menschen selber. Der Mensch ist Geist unter Geistern. Aber dasjenige, was er als seine Welt jetzt erblickt, ist das Wunder der menschlichen Organisation selber als Kosmos, als ganze Welt. Wie hier Berge, Flüsse, Sterne, Wolken unsere Umgebung sind, so ist dann, wenn wir als Geist unter

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Geistern leben, der Mensch in seiner wunderbaren Organisation unsere Umgebung, unsere Welt. Wir blicken hinaus, wir blicken - wenn ich mich bildhaft ausdrücken darf - in der geistigen Welt links und blicken rechts: wie hier überall Felsen, Flüsse, Berge sind, so ist dort überall Mensch. Der Mensch ist die Welt. Und an dieser Welt, die eigentlich der Mensch ist, sind wir beschäftigt. So wie wir Maschinen bauen, Buchhaltungen anlegen, Röcke machen, Schuhe machen, wie wir hier irgend etwas schreiben auf der Erde, wie wir also dasjenige zusammenweben, was man den Inhalt der Zivilisation, der Kultur nennt, so weben wir dort, aber zusammen mit den Geistern der höhe­ren Hierarchien und mit den entkörperten Menschen, an der Mensch­heit. Wir weben die Menschheit aus dem Kosmos heraus. Hier auf Erden sind wir fertiger Mensch. Dort legen wir den Geistkeim des Erdenmenschen.

Das ist das große Geheimnis, daß die Himmelsbeschäftigung des Menschen darinnen besteht, den großen Geistkeim für den späteren Erdenmenschen selber zu weben mit den Geistern der höheren Hier­archien zusammen. Und jeder weben wir - aber in riesiger Geist­größe in dem Geistkosmos darinnen - das Gewebe unseres eigenen Erdenmenschen, der wir dann sind, wenn wir wiederum zum Erden-leben heruntersteigen. Unsere Arbeit ist eine mit den Göttern gemein­sam geleistete Arbeit an dem Erdenmenschen.

Wenn wir hier auf Erden von Keim sprechen, so stellen wir uns etwas Kleines vor, das dann groß wird. Wenn wir aber davon spre­chen, wie in der geistigen Welt der Keim des physischen Erden-menschen vorhanden ist, denn der physische Keim, der im Leibe der Mutter gedeiht, ist nur das Abbild dieses Geistkeimes, wenn wir von dem Geistkeim sprechen, so ist der riesig groß, ist der ein Weltenall, und alle andern Menschen sind in dieses Weltenall verflochten. Man könnte sagen: Alle sind an demselben Orte und doch der Zahl nach voneinander verschieden. - Und dann verkleinert er sich immer mehr. Und wir machen das durch in der Zeit, die wir zwischen dem Tode und einer neuen Geburt durchmachen, daß wir zuerst als Welten-all groß den Geistkeim des Menschen bilden, der wir werden. Dann wird dieser Geistkeim immer kleiner und kleiner, er involviert seine

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Wesenheit immer mehr und mehr, und er ist es, der dann im Leibe der Mutter sein Abbild schafft.

Es ist ganz falsch, was in dieser Beziehung die materialistische Physiologie glaubt. Die materialistische Physiologie glaubt, der Mensch mit seiner wunderbaren Gestalt, die ich Ihnen eben versuchte skizzenhaft zu schildern, entstünde aus dem bloßen physischen Menschenkeim. Das ist der reine Unsinn. Denn man glaubt gewöhn­lich in dieser materialistischen Physiologie, daß der Eikeim die aller­komplizierteste Materie sei. Und die Chemiker, die physiologischen Chemiker denken darüber nach, wie das Molekül oder das Atom immer komplizierter und komplizierter wird, und der Keim endlich ganz etwas Kompliziertes ist. Das ist ja gar nicht wahr. Der Eikeim ist nämlich chaotische Materie. Wenn Materie Keim wird, so löst sie sich gerade als Materie auf, ist vollständig pulverisiert. Darinnen be­steht das Wesen des Keimes - und des Menschenkeimes am aller­meisten, des physischen Menschenkeimes -, daß er vollständig pul­verisierte Materie ist, die gar nichts mehr für sich will. Dadurch, daß er vollständig pulverisierte Materie ist, die gar nichts mehr für sich will, kann der Geistkeim, der lange vorbereitet ist, in diese Materie seinen Einzug halten. Dazu, zu dieser Pulverisierung, wird gerade die physische Keimmaterie durch die Konzeption fähig gemacht. Die physische Materie wird ganz zerstört, damit der geistige Keim sich in sie senken kann, und die physische Materie das Abbild des geistigen Keimes, der aus dem Kosmos heraus gewoben wird, werden kann.

Man kann gewiß große Loblieder singen auf all dasjenige, was Menschen auf Erden für die Zivilisation, für die Kultur tun können. Ich werde gewiß nicht gegen diese Loblieder sprechen, sondern er­kläre mich von vorneherein, insofern diese Loblieder vernünftig sind, mit allem einverstanden. Aber dasjenige, was geleistet wird, ich möchte sagen an Himmelszivilisation zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, indem der Menschenleib im Geiste vorbereitet wird, zuerst im Geist gewoben wird, das ist eine viel umfassendere, eine viel erhabenere, eine viel großartigere Arbeit als alle Kulturarbeit auf Erden. Denn es gibt nichts Erhabeneres in der Weltenordnung, als

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eben gerade aus allen Ingredienzien der Welt den Menschen zu weben. Mit Göttern zusammen wird der Mensch gewoben in der wichtigsten Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt.

Und wenn ich gestern sagen mußte: In einem gewissen Sinne ist das­jenige, was wir hier auf Erden an Erfahrungen, an Erlebnissen uns aneignen, eine Nahrung für den Kosmos -, so müssen wir nun sagen: Nachdem wir das, was wir hier in einem Erdenleben als für den Kosmos brauchbar - als Nahrung oder als Heizmaterial - bewahrt haben, an den Kosmos hingegeben haben, da bekommen wir aus der Fülle des Kosmos heraus all diejenigen Substanzen, aus denen wir den neuen Menschen, den wir später beziehen werden, wiederum weben. Da lebt der Mensch, indem er wirklich ganz hingegeben ist an eine geistige Welt, als Geist. Sein ganzes Weben und Wesen ist ein geistiges Arbeiten und ein geistiges Sein. Das dauert eine lange Zeit. Denn wirklich - man muß es immer wieder betonen -, dasjenige zu weben, was der Mensch ist, ist etwas ganz Gewaltiges und Großartiges. Und in alten Mysterien hat man nicht mit Unrecht den menschlichen physischen Leib einen «Tempel der Götter» genannt. Dieses Wort hat schon eine tiefe Bedeutung. Man lernt die ganze tiefe Bedeutung dieses Wortes immer mehr und mehr fühlen, je mehr man Einblick in die ganze Initiationswissenschaft gewinnt, in dasjenige, was als das Leben des Menschen selber zwischen dem Tode und einer neuen Geburt vor sich geht. Da lebt man aber auch so, daß man, ich möchte sagen, unmittelbar ansichtig wird der Geistwesen als Geistwesen. Das dauert längere Zeit. Dann tritt ein anderer Zustand ein.

Dasjenige, was vorher war, war so, daß man die einzelnen Geist-wesen als Individualitäten wirklich geschaut hat. Man lernte sozu­sagen von Angesicht zu Angesicht, indem man mit ihnen arbeitete, die Geistwesen kennen. Dann tritt einmal ein Zustand ein, wo - ich möchte sagen, es ist nur bildlich gesprochen, aber man kann für diese Dinge ja nur Bilder anwenden - diese Geistwesen immer undeut­licher und undeutlicher werden und mehr ein allgemeines Geistge­bilde auftritt. Man kann das so aussprechen, daß man sagt: Eine ge­wisse Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt erlebt man so, daß man unmittelbar mit den Geistwesen lebt. Dann kommt eine Zeit,

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wo man nur in der Offenbarung der Geistwesen lebt, wo sie sich einem offenbaren. Ich will ein recht triviales Gleichnis gebrauchen. Wenn Sie in der Ferne so eine kleine graue Wolke sehen, so können Sie sie für eine kleine graue Wolke halten, gehen Sie näher hinzu, so entpuppt sie sich Ihnen als ein Mückenschwarm. Sie sehen jetzt jede einzelne Mücke. Hier ist es umgekehrt. Sie nehmen wahr - zuerst als einzelne Individualltäten - die göttlich-geistigen Wesenheiten, mit denen Sie arbeiten. Dann leben Sie sich hinein, so daß Sie die allge­meine Geistigkeit wahrnehmen wie den Mückenschwarm als Wolke, wo die einzelnen Individualitäten mehr verschwinden, und Sie leben dann, ich möchte sagen mehr auf pantheistische Weise in einer allge­meinen geistigen Welt.

Indem Sie jetzt in einer allgemeinen geistigen Welt leben, taucht aber aus Ihrem Inneren ein stärkeres Selbstgefühl auf, als Sie vorher hatten. Vorher waren Sie in Ihrem Selbst so, daß Sie gewissermaßen eins waren mit der geistigen Welt, die Sie in ihren Individualitäten erleb­ten. Jetzt fühlen Sie die geistige Welt gewissermaßen nur wie eine allgemeine Geistigkeit. Aber Sie fühlen sich stärker. Es erwacht die Intensität des eigenen Selbstgefühles. Und damit tritt langsam und allmählich im Menschen wiederum das Bedürfnis auf nach einem neuen Erdendasein. Mit diesem Erwachen des Selbstgefühles tritt das Bedürfnis auf nach einem neuen Erdendasein. Dieses Bedürfnis muß ich Ihnen so schildern. Durch die ganze Zeit, die ich Ihnen jetzt ge­schildert habe und die durch Jahrhunderte geht, hat der Mensch eigentlich, nachdem er die erste Zeit durchgemacht hat, wo er noch immer mit der Erde zusammenhängt, von da ab, wo er an seinen Aus­gangspunkt wieder zurückgekommen ist, im Grunde genommen hauptsächlich nur die Interessen für die geistige Welt. Er webt in der Weise, wie ich es Ihnen geschildert habe, an dem Menschen im Gro­ßen. Er hat Interesse hauptsächlich für die geistige Welt.

In dem Momente, wo die geistige Welt gewissermaßen in ihren Individualitäten ineinander verschwimmt und der Mensch die geistige Welt im allgemeinen wahrnimmt, erwacht in ihm das Interesse für die Erdenwelt wiederum. Dieses Interesse für die Erdenwelt tritt in einer ganz besonderen Weise ein. Es tritt nämlich in bestimmter Weise, in

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konkreter Weise auf. Man fängt an, ein Interesse zu bekommen an ganz bestimmten Menschen, die da unten auf der Erde sind, und wiederum an deren Kindern und an deren Kindern wiederum. Wäh­rend man früher nur ein Himmelsinteresse hat, bekommt man jetzt ein merkwürdiges Interesse, wenn die geistige Welt zur Offenbarung wird, an gewissen Generationenfolgen. Das sind die Generationen-folgen, an deren Ende dann die eigenen Eltern stehen, die einen ge­bären werden, wenn man wiederum herabsteigt zur Erde. Aber man bekommt schon lange vorher für die Voreltern Interesse. Man ver­folgt die Generationenreihe bis zu den Eltern hinunter, und zwar verfolgt man sie nicht bloß im Zeitenverlaufe, sondern wenn dieser Zustand der Offenbarung zuerst eintritt, da sieht man schon wie prophetisch die ganze Generationenreihe vor sich. Da sieht man durch die Generationen, durch die Menschenfolge Urururgroßvater, Urur­großvater, Urgroßvater, Großvater und so weiter, man sieht den Weg, den man auf die Erde hinunter machen wird, in Menschen-generationen vor sich. Nachdem man zuerst in den Kosmos hinein-gewachsen ist, wächst man später in die reale, in die konkrete Men­schengeschichte hinein. Und dann kommt der Zeitpunkt, wo man wiederum aus dem Sonnenbereiche allmählich herauskommt. Man bleibt natürlich immer im Sonnenbereiche drinnen, aber das deutliche, klare, bewußte Verhältnis verdunkelt sich, und man zieht wieder in den Mondenbereich ein. Und jetzt findet man im Mondenbereich das Päckchen, das man abgelegt hat - ich kann es nicht anders als mit diesem Bilde bezeichnen -, dasjenige, was die moralische Wertigkeit darstellt. Die muß man jetzt aufnehmen.

Wir werden in den nächsten Tagen sehen, wie da wiederum der Christus-Impuls eine sehr bedeutsame Rolle spielt. Man muß das Schicksalspäckchen sich einverleiben. Aber indem man sich dieses Schicksalspäckchen einverleibt, indem man den Mondenbereich be­tritt, geht einem, während das Selbstgefühl immer stärker und stärker geworden ist, während man immer mehr und mehr innerlich Seele geworden ist, das Gewebe, das man zu seinem physischen Leibe ge­woben hat, allmählich verloren. Der Geistkeim, den man selbst ge­woben hat, geht einem verloren, geht einem in dem Momente verloren,

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wo auf der Erde die Konzeption für den körperlichen Keim eintritt, den man auf Erden anzunehmen hat.

Nun ist man aber noch selber in der geistigen Welt. Der Geistkeim des physischen Leibes ist schon hinuntergegangen, man ist selber in der geistigen Welt. Da tritt eine starke Entbehrung ein, ein starkes Entbehrungsgefühl. Man hat seinen Geistkeim des physischen Leibes verloren. Der ist schon unten. Der ist am Ende der Generationenreihe angekommen, die man gesehen hat. Man ist noch oben. Gewaltig macht sich da die Entbehrung geltend. Und diese Entbehrung, die zieht jetzt aus aller Welt die geeigneten Ingredienzien des Welten-äthers zusammen. Nachdem man schon den Geistkeim des physischen Leibes auf die Erde hinuntergeschickt hat und als Seele, als Ich und als astralischer Leib, zurückgeblieben ist, zieht man aus dem Welten-äther Äthersubstanz zusammen und bildet den eigenen Ätherleib. Und mit diesem eigenen Ätherleib, den man gebildet hat, vereinigt man sich dann etwa in der dritten Woche, nachdem die Befruchtung auf Erden eingetreten ist, und vereinigt sich mit dem leiblichen Keim, der sich nach dem Geistkeim in der geschilderten Weise gebildet hat.

Aber ehe man sich mit seinem eigenen Leibeskeim vereinigt, bildet man sich noch seinen Ätherleib in der Weise, wie ich es geschildert habe. Und in diesen Ätherleib hinein ist verwoben das Päckchen, von dem ich gesprochen habe, das die moralische Wertigkeit enthält. Das verwebt man jetzt in sein Ich, in seinen astralischen Leib, aber auch noch in den ätherischen Leib hinein. Das bringt man dann mit dem physischen Leibe zusammen. Und so ist es, daß man sein Karma mit auf die Erde trägt. Das hat man zuerst im Mondenbereich zurückge­lassen, denn man würde einen schlechten, einen verdorbenen physi­schen Leib ausgebildet haben, wenn man das in den Sonnenbereich mitgenommen hätte. Der physische Leib des Menschen wird indivi­duell erst dadurch, daß der Ätherleib ihn durchzieht. Der physische Leib eines jeden Menschen würde gleich dem physischen Leib eines andern Menschen sein, denn in der geistigen Welt weben sich die Menschen schlechthin gleiche Geistkeime für ihren physischen Leib. Individuell werden wir eben nach unserem Karma, nach dem, wie wir unser Päckchen in den Ätherleib hineinverweben müssen, der

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dann schon, während wir noch im embryonalen Zustande sind, indi­viduell unseren physischen Leib gestaltet, konstituiert, durchdringt.

Ich werde in den nächsten Tagen natürlich noch manches hinzu­fügen müssen zu dem, was ich Ihnen skizzenhaft über den Durchgang des Menschen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt geschil­dert habe. Aber Sie haben gesehen, daß der Mensch da reiche Erleb­nisse durchmacht, daß da die große Erfahrung eintritt, wie wir zuerst aufgehen in den Kosmos, wie wir aus dem Kosmos heraus wiederum die Menschlichkeit bilden, um zu einem neuen Erdenleben zu kommen.

Es sind im wesentlichen drei Dinge, die wir da durchmachen. Er­stens leben wir als Geistseele unter Geistseelen. Es ist ein wirkliches Miterleben der geistigen Welt. Zweitens leben wir in der Offenbarung der geistigen Welt. Die Individualitäten der einzelnen geistigen Wesenheiten sind gewissermaßen verschwommen, die geistige Welt offenbart sich uns als ein Ganzes. Wir nähern uns wiederum dem Mondenbereich, da aber erwacht unser Selbstgefühl, das schon die Vorbereitung für das irdische Selbstgefühl ist. Während wir in der geistigen Welt als ein geistiges Selbst bewußt werden, nicht nach der Erde begehren, fangen wir jetzt während der Offenbarungszeit an, nach der Erde zu begehren, ein starkes, schon nach der Erde geneigtes Selbstgefühl zu entwickeln. Und das dritte ist dann, wenn wir in den Mondenbereich eingetreten sind, wenn wir unseren Geistkeim abge­geben haben an die physische Welt, daß wir die Äthermaterie aus allen Himmeln zusammenziehen zum eigenen Ätherleib. Drei aufeinander­folgende Stadien: wirkliches Leben mit der geistigen Welt; Leben, indem man sich selber schon als ein egoistisches Ich fühlt, in den Offenbarungen der geistigen Welt; Leben im Zusammenziehen des Weltenäthers.

Davon kommen dann, wenn der Mensch in seinen physischen Leib eingezogen ist, die Abbilder zustande. Diese Abbilder stellen sich als etwas höchst Überraschendes heraus. Wir sehen das Kind. Wir sehen es in seinem physischen Leibe vor uns. Es entwickelt sich. Es ist ja das Wunderbarste, was wir sehen können in der physischen Welt, diese Entwickelung des Kindes. Wir sehen, wie es zuerst kriecht, wie es sich in die Gleichgewichtslage gegenüber der Welt versetzt. Wir

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nehmen das Gehenlernen wahr. Es ist ungeheuer viel mit diesem Gehenlernen verknüpft. Es ist ein ganzes Sich-Hineinbegeben in die Gleichgewichtslage der Welt. Es ist ein wirkliches Sich-Hineinver­setzen des ganzen Kosmos in die drei Raumesrichtungen der Welt. Wie da das Kind eben erst die richtige menschliche Gleichgewichts­lage innerhalb der Welt findet, das ist das erste Wunderbare.

Das ist ein irdisches anspruchsloses Abbild desjenigen, was der Mensch in langen Jahrhunderten durchgemacht hat, indem er als Geist unter Geistern lebte. Da bekommt man eine große Ehrfurcht vor der Welt, wenn man die Welt so betrachtet, daß man das Kind sieht, wie es zuerst ungeschickt mit den Gliedern in aller Welt herumfuchtelt, wie das nach und nach verständig wird. Ja, das ist die Nachwirkung der Bewegungen, die wir als Geistwesen unter Geistwesen durch Jahrhunderte ausgeführt haben. Es ist wirklich etwas Wunderbares, in den einzelnen Bewegungen des Kindes, in dem Aufsuchen der Gleichgewichtslage die irdischen Nachwirkungen der himmlischen Bewegungen, die rein geistig ausgeführt werden als Geist unter Geistern, wieder zu sehen. So geschieht es ja regelmäßig beim Kinde. Wenn es anders geschieht, ist es etwas abnorm. Es kann auch ein­treten, aber eigentlich sollte das Kind zuerst gehen lernen, zuerst sich ins Gleichgewicht bringen lernen und dann sprechen.

Und nun lebt sich das Kind mit der Sprache nachahmend ein in die Umgebung. Aber mit jedem Laute, mit jeder Wortbildung, die sich in dem Kinde ausbildet, haben wir einen anspruchslosen irdischen Anklang jenes Erlebnisses, das wir haben, wenn das Erleben des Geistigen Offenbarung wird, gewissermaßen sich zu einem einheit­lichen Nebel zusammenbildet. Da wird aus den einzelnen Wesen der Welt, die wir vorher individuell erlebt haben, der Weltenlogos. Dieser Nebel ist ja der Weltenlogos. Und wenn aus dem Kinde heraus Wort für Wort kommt, so ist das das ausgesprochene irdische Nachbild jenes wunderbaren Weltentableaus, das der Mensch in der Offenbarungs­zeit durchmacht, bevor er wiederum in den Mondenbereich eintritt.

Und dann, wenn das Kind, nachdem es gehen und sprechen gelernt hat, die Gedanken allmählich entwickelt - denn das dritte sollte erst das Denkenlernen bei der regelmäßigen menschlichen Entwickelung

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sein -, da ist das ein Nachbild jener Verrichtungen, die der Mensch vollzogen hat, indem er den Weltenäther aus allen Weltengebieten zum eigenen Ätherleib zusammengeformt hat.

So schauen wir das Kind an, wie es in die Welt hereingetreten ist. Und in dieser Stufenfolge der drei anspruchslosen Verrichtungen, die es sich aneignet, in ein dynamisch-statisches Verhältnis zur Welt zu kommen, Gleichgewicht zu erhalten, was wir Gehenlernen nennen, Sprechenlernen, Denkenlernen, sehen wir die ganz zusammengefalte­ten, irdisch anspruchslosen Nachbilder desjenigen, was ins gewaltige Kosmische auseinandergerollt die Zustände darstellt, die zwischen dem Tode und einer neuen Geburt durchgemacht werden.

Erst dadurch, daß wir dieses geistige Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt kennenlernen, lernen wir auch kennen jenes Geheimnisvolle, das sich herausarbeitet aus dem tiefsten Inneren des Menschen, wenn das Kind zuerst ganz undifferenziert zur Welt kommt und immer differenzierter und differenzierter wird. So lernen wir die Welt begreifen als eine Offenbarung des Göttlichen, wenn wir in jedem einzelnen hindeuten können, wie es eine Offenbarung des Göttlichen ist.

Von diesen Dingen und dann im Zusammenhange mit der Erden­entwickelung und mit der Bedeutung des Christus-Impulses in der Erdenentwickelung wollen wir in den nächsten Vorträgen sprechen.

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DRITTER VORTRAG Kristiania (Oslo), 18. Mai 1923

Wir haben gestern den Weg zu besprechen gehabt, den der Mensch zwischen dem Tode und einer neuen Geburt durchmacht, und aus dem ganzen Zusammenhange, den ich bereits dargestellt habe, werden Sie entnehmen können, daß wir eigentlich jede Nacht, wenn wir in den Schlaf kommen, den Weg zurückfinden müssen zu dem Ausgangs­punkte unseres Erdenlebens. Das ist in der Tat eine wichtige Ein­sicht, die wir gewinnen können, daß wir, auch wenn wir in den Schlaf versinken, eben - wie ich es schon im Laufe dieser Vorträge aus­geführt habe - nicht stehenbleiben, ich möchte sagen, bei dem Da­tum, bei dem wir angekommen sind in unserem irdischen Lebenslaufe, sondern daß wir einschlafend richtig zurückversetzt werden an den Ausgangspunkt unseres Erdenlebens. Wir sind jedesmal, wenn wir eingeschlafen sind, wiederum in unsere Kindheit zurückversetzt, ja sogar in den Zustand, bevor wir zur Kindheit gekommen sind, bevor wir angekommen sind im Erdenleben, so daß wir schlafend immer versetzt sind mit unserem Ich und mit unserem astralischen Leib in die übersinnliche Welt, aus der heraus wir stammen, die wir verlassen haben, indem wir Erdenmenschen geworden sind.

Das macht notwendig, daß wir in diesem Augenblicke unserer Be­trachtungen noch einmal genauer dasjenige vor unserer Seele vorüberziehen lassen, was der Mensch schlafend unbewußt, aber deshalb nicht minder lebensvoll durchmacht. Dabei kommt die Länge des Schlafes eigentlich nicht so sehr in Betracht. Zwar ist es schwierig für das gewöhnliche Bewußtsein, sich richtig vorzustellen, daß die Zeit- und Raumverhältnisse ganz andere werden, wenn wir in der geistigen Welt sind, aber diese Vorstellungen muß man sich bilden, denn diese Verhältnisse werden ganz anders.

Ich habe schon gesagt: Wenn wir meinetwillen im Schlaf versunken sind, also in die Bewußtlosigkeit hinübergetreten sind, dann plötzlich aufwachen, so machen wir im Augenblicke des Aufwachens das alles durch, was wir durchgemacht hätten, wenn wir noch einen langen

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Schlaf vollzogen hätten. Die Länge des Schlafes an physischem Zeit-maß gemessen, hat nur für unseren physischen Leib und auch noch für den Ätherleib eine Bedeutung. Für dasjenige, was wir als Ich und astralischer Leib durchmachen, bestehen ganz andere Zeitverhältnisse, so daß also dasjenige, was ich Ihnen jetzt werde darzulegen haben, für einen kurzen und für einen langen Schlaf durchaus gilt.

Wenn sich der Mensch mit seiner Seele in den Schlaf hinein begibt, ist der erste Zustand, den er durchmacht - das alles verläuft im Un­bewußten, aber es ist durchaus lebensvoll da -, der, daß er sich wie in einem allgemeinen Weltenäther lebend fühlt. Ich sage, fühlt, es ist ein unbewußtes Fühlen, aber man kann die Dinge nicht anders aus­drücken als dadurch, daß man Ausdrücke aus dem gewöhnlichen Bewußtsein gebraucht. Er fühlt sich gewissermaßen ausgedehnt in den ganzen Kosmos. Und die bestimmte Anschauung, die man gehabt hat, die ein Verbundensein mit den Dingen bedeutet, die in der Erden-umgebung um uns herum sind, diese bestimmten Wahrnehmungen hören au£ Ein allgemeines Miterleben mit dem Weben und Treiben des Kosmos tritt da zunächst ein. Das ist damit verbunden, daß man sich gewissermaßen als Seele im Bodenlosen erlebt. Bei diesem Erle­ben im Bodenlosen tritt ein starker Trieb der Seele ein, göttlich ge­stützt zu sein, so daß wir eigentlich jeden Tag beim Einschlafen das religiöse Bedürfnis gerade während des Schlafzustandes erleben, die ganze Welt durchsetzt und durchwellt zu haben mit einem Göttlich-Geistigen, das überall ausgebreitet ist. Das erleben wir eigentlich im Einschlafen. Und wir bringen uns durch unsere ganze Menschheits­konstitution in den Wachzustand dieses Bedürfnis nach dem Gött­lichen mit. Wir verdanken dem Schlaferlebnisse jeden Tag aufs neue die Auffrischung unseres religiösen Bedürfnisses.

So führt uns die Betrachtung des ganzen Wesens des Menschen eigentlich erst in die Erkenntnis der Lebenszustände, die wir durch­machen. Wir leben im Grunde genommen recht gedankenlos, indem wir nur das Leben durchführen, das vom Morgen bis zum Abend bewußt verläuft, denn vieles spielt aus dem nächtlichen Erleben herein. Der Mensch ist sich nicht immer klar, woraus sein lebendiges religiöses Bedürfnis kommt. Es kommt von diesem allgemeinen

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Erleben, das wir im ersten Zustand des Schlafes allnächtlich haben, auch haben, wenn auch vielleicht mit geringerer Intensität, wenn wir ein Nachmittagsschläfchen machen.

Dann aber tritt etwas ein während jedes Schlafes - wie gesagt, es bleibt unbewußt zunächst, aber es wird deshalb nicht minder lebendig durchgemacht -, wie wenn der Mensch nun nicht mehr in seiner Seele so allgemein ausgebreitet wäre im Kosmos, sondern wie wenn er sich mit den einzelnen Teilen seines Wesens verteilte. Wie zer­splittert fühlt man sich, das heißt, man würde sich wie zersplittert fühlen, wenn man das, was man erlebt, fühlen würde, wenn es bewußt würde. Und auf dem Grunde der Seele macht sich eine unbewußte Ängstlichkeit geltend. Diese Ängstlichkeit, aufgeteilt zu werden in das ganze Weltenall, machen wir jede Nacht im Schlafe durch.

Sie werden sagen: Was kümmert uns das, da wir das doch nicht wissen? - Aber es kümmert uns trotzdem sehr viel. Ich möchte durch einen Vergleich deutlich machen, was es uns kümmert. Nehmen Sie an, wir werden im gewöhnlichen Tagesleben ängstlich. Da werden wir blaß. Daß wir ängstlich werden, ist ein bewußter Vorgang der Seele; daß wir blaß werden, ist eine bestimmte Änderung in unserem Organismus. Das Blut zieht sich zurück in das Innere des Leibes. Das ist ein objektiver Vorgang. Wir können die Ängstlichkeit auch beim objektiven Vorgang beschreiben, der im physischen Leib während des Tagwachens geschieht. Das, was wir seelisch erleben, ist gewisser­maßen die Seelenspiegelung dieses Zurücktretens des Blutes von der Oberfläche des Leibes in die inneren Partien. Also es gibt einen objek­tiven Vorgang, der während des Wachens der Angst entspricht. So gibt es auch einen objektiven Vorgang im Astralleibe, den wir durch­machen, wenn der Mensch schläft, der ganz unabhängig ist vom Bewußtsein.

Derjenige, der imaginativ und inspiriert vorstellen kann, erlebt dann diesen objektiven Vorgang im astralischen Leibe als Angstzu­stand, aber dieses, was von der Angst objektiv ist, macht der Mensch jede Nacht wirklich durch, weil er in seiner Seele aufgeteilt wird. Und wie wird er aufgeteilt? Er wird tatsächlich jede Nacht aufgeteilt an die Sternenwelt. Ein Teil unseres Wesens strebt hin nach dem Merkur,

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ein anderer Teil des Wesens nach dem Jupiter und so weiter. Nur muß ich, um den Vorgang, der sich hier abspielt, ganz richtig zu charak­terisieren, sagen, das ist beim gewöhnlichen Schlaf nicht so wie auf dem Wege zwischen Tod und neuer Geburt, wo wir tatsächlich zu den Sternenwelten hinaufdringen, sondern während der Nacht machen wir dieses Aufgeteiltsein durch, indem wir nicht wirklich an die Sterne aufgeteilt werden, sondern an die Nachbilder der Sterne, die wir während unseres Lebens fortwährend in uns tragen. An Nach-bilder des Merkur, der Venus, des Mondes, der Sonne und so weiter werden wir während des nächtlichen Schlafes aufgeteilt. Also da handelt es sich um Nachbilder, nicht um die ursprünglichen Sterne selbst.

Und diese Ängstlichkeit, die wir da durchmachen, die verhältnis­mäßig bald nach dem Einschlafen auftritt, kann bei dem Menschen nur behoben werden, wenn seine Zugehörigkeit zum Christus wirk­lich vorhanden ist. Da lernt man an dieser Stelle die notwendige Zu­gehörigkeit des Menschen zum Christus kennen. Nur muß man, wenn man von dieser Zugehörigkeit spricht, die Entwickelung des Men­schengeschlechtes auf Erden ins Auge fassen. Diese Entwickelung des Menschengeschlechtes auf Erden kann man nur verstehen, wenn man den bedeutsamen Einschnitt in diese Entwickelung, der durch das Mysterium von Golgatha geschehen ist, richtig zu durchschauen ver­mag. Die Menschen waren seelisch-geistig etwas durchaus anderes, bevor auf der Erde das Mysterium von Golgatha sich abgespielt hat. Und man muß, wenn man richtig seelisch den Menschen betrachtet, immer das berücksichtigen, daß die Menschen vor dem Mysterium von Gogatha anders waren als nachher.

Wenn die Menschen vor dem Mysterium von Golgatha - wir waren alle in dieser Lage in früheren Erdenleben, diese Menschen sind wir ja selber, von denen wir da reden, denn wir waren da in früheren Erdenleben -, wenn die Menschen in früheren Erdenleben in Schlaf versunken sind und die Ängstlichkeit erlebt haben, die ich beschrieben habe, so war immer der Christus in einem Nachbilde aus der Sternenwelt ebenso vorhanden, wie die Nachbilder der andern Sterne vorhanden waren. Und der Christus trat so helfend, angstver­scheuchend,

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die Angst also hinwegtreibend, in jedem Schlafzustand an den Menschen heran. In älteren Zeiten hatten die Menschen auch noch im instinktiven Helisehen durchaus beim Aufwachen eine Art Erinnerung dabei, wie eine traumhafte Erinnerung, daß der Christus während des Schlafes bei ihnen war. Nur nannten sie ihn nicht den Christus. Sie nannten ihn den Sonnengeist. Aber es war das tiefe Be­kenntnis dieser Menschen, die da gelebt haben vor dem Mysterium von Golgatha, daß der große Sonnengeist auch der große führende Helfer der Menschheit ist und daß er jede Nacht im Schlafe an den Menschen herantritt, um ihm die Angst zu nehmen, in die Welt zer­splittert zu werden. Der Christus erschien als der den Menschen festi­gende, innerlich konsolidierende Geist.

Wer hält die Kräfte des Menschen im Leben zusammen? - So fragten sich die Angehörigen der alten Religionen. Der große Sonnen-geist ist es, der die einzelnen Elemente des Menschen zu der Persön­lichkeit festigend zusammenhält. Und dieses Bekenntnis hatten die Angehörigen der alten Religionen aus ihrem erinnernden Bewußtsein heraus, daß jede Nacht der Christus an die Menschen herantrat. Wir brauchen uns nicht weiter zu wundern, daß das so war, denn in jenen alten Zeiten, in denen noch vielfach ein instinktives Hellsehen dem Menschen eigen war, sahen die Menschen in besonderen Augenblicken ihres Lebens immer hinauf in die Zeit, die sie zugebracht haben, bevor sie als geistig-seelisches Wesen zur Erde heruntergestiegen waren und sich mit einem physischen Leib umkleidet hatten. Es war damals den Menschen ganz natürlich, hinaufzuschauen in das vorirdische Dasein.

Aber ist es denn nicht so, wie wir gerade auseinandergesetzt haben, daß uns jeder Schlaf in das vorirdische Dasein zurückgeführt, in das Dasein, bevor wir so recht bewußtes Kind geworden sind? Ja, so ist es. Und so wie die Menschen wußten, daß sie im vorirdischen Dasein mit dem hohen Sonnengeiste beisammen waren, der ihnen die Kraft gegeben hat, wiederum durch den Tod als unsterbliches Wesen zu gehen, so hatten die Menschen auch ein erinnerndes Bewußtsein nach jedem Schlafe, daß dieser hohe Sonnengeist helfend an ihrer Seite gestanden ist, um sie so recht als Menschen in sich zusammenhaltende Persönlichkeiten sein zu lassen.

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Diesen Zustand durchlebt des Menschen Seele während des Schla­fens, während sie mit der Planetenwelt Bekanntschaft macht. Es ist wie ein Aufgeteiltsein und durch Christus Zusammengehaltenwerden innerhalb der Nachbilder der Planeten.

Dieses ganze Erlebnis der Seele während des Schlafes ist anders geworden für die Menschen nach dem Mysterium von Golgatha. Das Mysterium von Golgatha hat für die Erdenmenschen die Entfaltung des starken Ich-Bewußtseins eingeleitet. Die Menschen hatten in alten Zeiten vor dem Mysterium von Golgatha ein starkes Zusammenge­hörigkeitsgefühl mit dem vorirdischen Dasein, aber sie hatten kein starkes Ich-Bewußtsein. Dieses Ich-Bewußtsein kam erst nach und nach seit dem Mysterium von Golgatha, insbesondere aber eigentlich erst über die Kulturmenschheit seit dem ersten Drittel des 15. Jahr­hunderts. Und dieses starke Ich-Bewußtsein macht, daß der Mensch als ein freies, voll selbstbewußtes Wesen sich in die Sinneswelt hinein­stellt, daß auf der andern Seite wie durch einen Ausgleich sein Zu­rückschauen in das vorirdische Dasein verdunkelt wird, auch sein Bewußtsein, sein erinnerndes Bewußtsein davon, daß während des Schlafes der Christus helfend an seine Seite tritt.

Das ist ja das Merkwürdige, was sich mit dem Verlauf des Myste­riums von Golgatha für die Entwickelung der Menschheit abgespielt hat, daß die Menschen im Ich-Bewußtsein während des Tagwachens stark geworden sind, daß aber vollständige Finsternis sich nach und nach über dasjenige ausgebreitet hat, was früher aus dem Schlafbe­wußtsein herausgeleuchtet hat. Daher müssen die Menschen seit dem Mysterium von Golgatha bewußt während des Tagwachens ihr Ver­hältnis zu dem Christus Jesus herstellen, indem sie sich bewußt ein Verständnis erwerben, was durch das Mysterium von Golgatha eigent­lich geschehen ist, wie durch das Mysterium von Golgatha auf die Erde der hohe Sonnengeist Christus heruntergestiegen ist, Mensch gewor­den ist in dem Leibe des Jesus von Nazareth, durch das Erdenleben und durch den Tod gegangen ist und den Jüngern, die ihn im äthe­rischen Leibe nach dem Tode schauen konnten, ein Lehrer noch war nach dem Tode.

Indem die Menschen in der Zeit nach dem Mysterium von Golgatha

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sich im Tagwachen ein Bewußtsein von ihrer Zusammengehörigkeit mit Christus erwerben, indem sie sich lebendige Vorstellungen er­werben von dem, was durch das Mysterium von Golgatha geschehen ist, tritt für die Menschen wiederum die Möglichkeit ein, daß der Christus-Impuls ihnen nun in seiner Nachwirkung aus dem Tag-wachen während der Nacht hilft. Das ist der große Unterschied des Schlafzustandes der Menschen vor dem Mysterium von Golgatha und nach dem Mysterium von Golgatha. Vor dem Mysterium von Gol­gatha war es sozusagen immer während des Schlafens von selbst ge­kommen, daß die Christus-Hilfe da war, und der Mensch konnte sich sogar noch im Wachzustande erinnern, daß der Christus während des Nachtschlafes bei ihm war. Ganz Christus-verlassen würde der Mensch nach dem Mysterium von Golgatha sein, wenn er nicht während des Tagwachens sein bewußtes Verhältnis zum Christus herstellte und dadurch den Nachklang, die Nachwirkung in den Schlaf hinübertrüge, so daß er während des Schlafes nun wiederum durch die Christus-Hilfe zusammengehalten werden kann zur Persönlichkeit.

Das ist als eine innere seelische Verpflichtung für den Menschen aufgetaucht nach dem Mysterium von Golgatha, das dasjenige, was die Menschen vor dem Mysterium von Golgatha aus den Himmels-weiten herein unbewußt gehabt haben, die Hilfe des Christus, daß sie sich diese Hilfe des Christus nach und nach erwerben müssen durch Herstellung eines bewußten Verhältnisses zu dem Mysterium von Golgatha. Und schon können wir das Wesen des menschlichen Schlafes nicht richtig studieren, wenn wir nicht diesen großen, gewaltigen Unterschied des menschlichen Schlafes vor dem Mysterium von Gol­gatha und nach dem Mysterium von Golgatha ins Auge fassen.

Aber es ist, wenn wir in den Schlafzustand hinübergehen, auch unsere ganze Welt eine andere, als sie während des Wachzustandes ist. Wie leben wir als Menschen während des Wachzustandes auf der Erde? Wir sind eingespannt durch unseren physischen Leib in die Naturgesetze. Die Gesetze, die draußen wirken in der Natur, wirken ja auch in uns. Dasjenige, was wir als moralische Verpflichtungen, als moralische Impulse, als die ganze moralische Weltenordnung aner­kennen, das steht gewissermaßen wie eine abstrakte Welt in den

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Naturgesetzen. Und weil die heutige Naturforschung nur die Welt des Wachens berücksichtigt, so entfällt dieser Naturforschung die mora­lische Welt vollständig.

Da erzählt uns die Naturforschung davon, allerdings hypothetisch, aber es ist ganz im Sinne dieser Naturforschung, daß einmal der Kant­Laplacesche Urnebel - heute ist er modifiziert, aber er gilt im wesent­lichen noch immer für die naturwissenschaftlichen Vorstellungen -am Anfangspunkte unserer Weltenentwickelung war, daß am Ende dieser Weltenentwickelung der Wärmetod eintreten wird, wo alles wie in einem großen Friedhof von Lebendigem auf Erden begraben sein wird. Von physischem Zustand zu physischem Zustand schildert uns die Naturwissenschaft die Entwickelung des Kosmos. Dadrinnen ist ein Fremdling die moralische Weltenordnung. Der Mensch würde seine Würde nicht empfinden, der Mensch würde sich überhaupt nicht als Mensch erleben können, wenn er sich nicht als moralisches Wesen erlebte. Aber waren denn die moralischen Impulse schon im Kant-Laplace schen Urnebel? Nein, da waren nur mechanische Gesetze, physikalische Gesetze. Werden sie sein, wenn die Erde am Wärmetod angekommen ist? Nein, da werden wiederum nur physikalische Ge­setze herrschen, so sagt die Naturwissenschaft, und aus dem natur-gesetzlichen Geschehen sprießt auf alles Lebendige, aus dem Leben­digen das Menschlich-Seelische. Der Mensch macht sich Vorstellungen: Das sollst du tun, das sollst du nicht tun. - Er erlebt eine moralische Weltenordnung. Sie hat aber keine Pflanzstätte in der Naturgesetz­lichkeit selber. Wie eine bloße abstrakte Welt über der festen, massiven naturgesetzlichen Welt erscheint dem wachenden Menschen die mo­ralische Weltenordnung.

Wenn das imaginative, inspirierte und intuitive Bewußtsein das­jenige durchmacht, was der Mensch vom Einschlafen bis zum Auf­wachen im Ich und im astralischen Leibe erlebt, so ist das ganz anders. Da ist fest und real die moralische Weltenordnung, und die Natur-ordnung drunten erscheint wie etwas Erträumtes, wie etwas nur Ab­straktes. Es ist schwer vorzustellen, aber es ist so. Es ist die ganze Welt umgekehrt. Als das Reale, als das Sichere erschiene dem Schla­fenden, wenn er hellseherisch würde im Schlafe, die moralische Weltenotdnung,

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und als dasjenige, was eben darunter, jetzt nicht darüber schwebt, die physische naturgesetzliche Weltenordnung. Und wenn der Schlafende bewußt wäre, würde er nicht am Ausgangspunkte der Weltenordnung die Kant-Laplacesche Theorie und an das Ende den Wärmetod setzen, sondern er würde an den Ausgangspunkt setzen die Welt der geistigen Hierarchien, lauter geistig-seelische Wesen, die den Menschen ins Dasein führen, und an das Ende der Weltenordnung nicht den Wärmetod, sondern wiederum geistig-seelische Wesen, die den durch eine Entwickelungsreihe hindurchgegangenen Menschen in ihre Gemeinschaft aufnehmen. Und darunter würde wie eine Illusion wellig schweben und strömen die abstrakte physische Weltenordnung.

Wenn Sie zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen, gerade mitten so darinnen, hellseherisch begabt würden, würden Sie alles das, was Sie bei Tag als die Naturgesetze gelernt haben, wie von der Erde geträumte Träume sehen. Und dasjenige, was Ihnen einen sicheren Boden gibt, würde die moralische Weltenordnung sein. Diese mora­lische Weltenordnung erlebt man, indem man sich durcharbeitet, nachdem einem Christus die geschilderte Hilfe gewährt hat, in die Ruhe des Fixsternhimmels, allerdings jetzt wiederum während des Nachtschlafes in den Abbildern. Man schaut von den Fixsternen aus, von den Abbildern das Irdische, das Naturgesetzliche an.

Das ist die ganz andersartige Form von den Erlebnissen, die der Mensch zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen hat und die jede Nacht seine Seele in das Bild des Kosmos hineinbringt. So wie der Mensch zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, wie ich gestern ausführte, in einem gewissen Zeitpunkte durch die Mondenkräfte zum Erdendasein heruntergeführt wird, indem er eine Art Bedürfnis nach dem Erdendasein bekommt, so bekommt er, nachdem er in der geschilderten Weise, sagen wir schlafend das Himmelsdasein durch-lebt hat, das Bedürfnis, wiederum in seinen physischen Leib und in seinen Ätherleib unterzutauchen.

Nun sind wir, indem wir als Menschen von unserer Geburt an uns einleben in das Erdendasein, auch in einer Art Schlaf- und Traumes-zustand. So Sie des Morgens, wenn wir von den Träumen absehen, sagen wir, wenn Sie eine Stunde schon wach sind, zum Aufwachen

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zurücksehen, da reißt das Bewußtsein ab, da geht es in die Finsternis des Schlafes hinein, so ähnlich ist es, wenn Sie in die Zeit Ihrer Kind­heit zurückschauen. Bei manchem früher, bei manchem später, bei manchem im fünften, bei manchem im vierten Jahre reißt das Be­wußtsein ab. Da liegt etwas jenseits dieses Erinnerungspunktes, bis zu dem man sich zurückerinnert, jenseits liegt etwas, das ebenso in die Finsternis des Schlafes- und Traumeslebens der ersten Kindheit ge­taucht ist, wie allnächtlich das Leben der menschlichen Seele in die Finsternis des Schlaflebens getaucht ist. Aber es ist nicht ein völliges Schlafen, es ist schon eine Art wachen Träumens, das das Kind voll-bringt. Aber während dieses wachen Träumens geschehen jetzt drei wichtige Etappen des menschlichen Lebens, von denen ich schon gestern andeutend gesprochen habe in der Reihenfolge, wie ich es charakterisiert habe, und in denen wir Nachklänge und Nachwir­kungen des Lebens zwischen dem Tode und einer neuen Geburt sehen können. Zuerst lernt das Kind dasjenige aus seinem Traumes­schlafesleben heraus, was wir so einfach als Gehenlernen bezeichnen. Ja, es fällt uns das Gehenlernen am meisten auf. Aber dasjenige, was da mit dem Kinde geschieht, ist etwas Umfassendes, was für den, der eigentlich überall hineinschauen kann, wie die feinsten Partien des Menschenwesens da verändert werden, etwas ungeheuer Großartiges, Gewaltiges darstellt. Das Kind lernt sich in die ganzen Schwerever­hältnisse durch Gleichgewichtslage hineinstellen in die Welt. Das Kind hört auf, umzufallen. Es fügt sich, indem es innere Kräfte ent­faltet, in die Raumesrichtungen hinein.

Wenn wir das bewußt tun müßten, unseren Organismus aus dem völligen fall- und gleichgewichtslosen Zustand hineinfügen in einen festen Gleichgewichtszustand zu den drei Raumesrichtungen, wobei wir sogar als Kind lernen, diesen Gleichgewichtszustand festzuhalten, indem wir gehenlernend diese Art Pendelbewegungen ausführen mit unseren Beinen, ist das eine so gewaltige mechanische Aufgabe, die da unbewußt das Kind vollführt, weil es sie als Nachklang vollführt dessen, was es durchlebt hat unter Geistern zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, ist das etwas so Umfassendes, so Großartiges, daß keine menschliche Wissenschaft des allergrößten Ingenieurs imstande

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wäre, es auszurechnen. Wie da die Menschenkräfte sich hinein­fügen in den Raumzusammenhang der Welt, was da der Mensch un­bewußt vollbringt als Kind, das ist das denkbar Großartigste an der Entwickelung mathematisch-mechanisch-physikalischer Kräfte. Wir bezeichnen das mit dem einfachen Ausdruck des Gehenlernens. Allein in diesem Gehenlernen liegt eben etwas ganz Großartiges.

Und mit dem Gehenlernen entwickelt sich auch der richtige Ge­brauch der Arme, der Hände. Dieses ganze Sich-Hineinstellen als physisches Wesen in die drei Raumesrichtungen ist wiederum die Grundlage für alles dasjenige, was Sprechenlernen ist. Die Physiologie weiß kaum mehr von diesem Zusammenhang der Geh- und Steh­dynamik des Menschen mit dem Sprechenlernen, als daß sie weiß, daß die Sprachwindung bei rechtshändigen Menschen links im Gehirn ist, weil die Gebärden der rechten Hand, die kräftig ausgeführt werden von dem Willen des Menschen, innerlich geheimnisvoll sich fortsetzen in das Gehirn und im Gehirn diejenige Verrichtung vollbringen, die den Menschen dann zum Sprechen bringt. Aber es ist nicht nur dieser Zusammenhang der rechten Hand mit der linken dritten Stirnwin-dung, der sogenannten Brocaschen Windung im Gehirn, es ist die ganze Bewegungsfähigkeit der Beine und der Arme und der Finger, die ganze Beweglichkeit und Gleichgewichtslage des Menschen, die heraufschießt in das Gehirn, Gehirnbildung wird, von der Gehirn-bildung in den Kehlkopf hineinschießt. Und die Sprache entwickelt sich aus dem Boden des Gehens, des Greifens, der Gebärde der Be­wegungsorgane heraus.

Wer sich für diese Dinge ein richtiges Anschauungsvermögen ent­wickelt hat, der weiß, daß ein Kind, das die Tendenz hat, mehr mit den Zehen aufzutreten, auch anders spricht, anders seine Laute nuan­ciert als ein Kind, das die Tendenz hat, mit den Fersen aufzutreten. Aus dem Geh- und Bewegungsorganismus entwickelt sich der Sprach-Organismus, entwickelt sich das Sprechen. Und dieses Sprechen ist wiederum die Nachbildung desjenigen, was ich Ihnen gestern als das Durchgehen durch die Offenbarung zwischen dem Tod und der neuen Geburt gezeigt habe. Indem das Kind sprechen lernt - es versteht noch gar nicht in Gedanken etwa die Worte, es versteht sie

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nur gefühlsmäßig -, lebt das Kind in der Sprache als in Gefühlen und lernt erst nach dem Sprechen, wenn es sich ganz normal ent­wickelt, das Vorstellen, das Denken. Die Gedanken entwickeln sich bei dem Kinde aus den Worten in Wirklichkeit. Geradeso wie das Gehen und Greifen, die Geste der Beine und der Hände herauf-schießen in den Sprachorganismus, so schießt wiederum dasjenige, was im Sprachorganismus lebt und was gewonnen wird in Anpassung an die Sprache der Umgebung, in die Denkorgane herauf, und das Kind entwickelt auf der dritten Etappe das Denken.

In diesem Traumesschlafeszustand macht das Kind diese drei Ent­wickelungsstufen durch: Gehen, Sprechen, Denken. Das sind die drei irdischen Abbilder desjenigen, was wir zwischen dem Tod und einer neuen Geburt erleben im lebendigen Durchgang durch die Geistwelt, durch die Offenbarung der Geistwelt und durch das Heranholen des Weltenäthers, um unseren Ätherleib auszubilden. Richtig beurteilen kann man dasjenige, was da das Kind ausbildet in diesen drei Etappen, nur, wenn man den erwachsenen Menschen dann beobachtet in seinem Schlafzustande. Da kann man beobachten, wie der Mensch, indem er einschlafend aufhört zu denken - die Gedanken verstummen ja im Einschlafen -, wie der Mensch dann dadurch, daß er aufhört zu denken, die Kraft seiner Gedanken weiter pflegen läßt zwischen dem Einschlafen und Aufwachen von denjenigen Wesen, die wir als Engel-wesen, Angeloiwesen kennen. Die treten an den schlafenden Menschen heran und pflegen seine Gedankenkräfte, während er sie selbst nicht pflegt.

Und der Mensch hört ja auch auf zu sprechen. Nur bei abnormen Zuständen, die schon auch verstanden werden können, spricht der Mensch aus dem Schlafe. Aber darüber brauchen wir uns jetzt nicht zu unterhalten. Beim normalen Menschen hört das Sprechen auf, wenn er einschläft. Es wäre auch schrecklich, wenn manche Menschen auch noch während des Schlafes fortwährend uns erzählen würden. Also es hört das Sprechen auf während des Schlafes. Da sind es die Wesenheiten aus der Hierarchie der Archangeloi, welche nun das­jenige am Menschen während des Schlafes pflegen, was in ihm zum Sprechen führt. Und außer den Nachtwandlern, die wiederum in

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einem abnormen Zustande sind, sind die Menschen auch im Schlafe ruhig, sie gehen nicht, greifen nicht, die Bewegungen hören auf. Das­jenige, was da in dem Menschen als Kräfte im Tagwachen vorhanden ist und was die Bewegungen aus dem Willen herausholt, das pflegen vom Einschlafen bis zum Aufwachen die Wesenheiten, die wir zur Hierarchie der Archaj rechnen.

Lernen wir diesen Zusammenhang verstehen, sehen wir wiederum, wie zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen an das Ich und den astralischen Leib, überhaupt an den ganzen Menschen herantreten die Wesen der nächsten Hierarchie, die über dem Menschen steht, Angeloi, Archangeloi, Archal, dann verstehen wir auch, wie es im kleinen Kinde ist, wenn das kleine Kind die drei Betätigungen des Gehens, des Sprechens, des Denkens sich aneignet. Wir lernen schauen, wie, indem das kleine Kind in die Lebensdynamik, in das Gehen und Greifen hineinkommt, es die Archai sind, die dasjenige, was der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt im Umgange mit geist-seelischen Wesen erlebt hat, herübertragen und zum Abbild in dem Gehen des Kindes machen. Die Archai, die Urkräfte vermitteln das ganz geistige Sich-Bewegen unter geist-seelischen Wesen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt in seinem Abbild hier in der physi­schen Welt, wenn das Kind gehen lernt.

Und die Archangeloi bringen dasjenige herüber, was der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt in der Offenbarung erlebt, und sie wirken, indem das Kind sich das Sprechen aneignet. Und die Angeloi, die Engelwesen, tragen dasjenige herüber, was der Mensch an Kräften entwickelt hat, indem er sich seinen Ätherleib zusammengesammelt hat aus der gesamten Weltäthersubstanz. Sie tragen diese Kräfte her­über, bilden sie aus im Abbilde in den Denkorganen, die plastisch geformt werden, so daß das Kind aus der Sprache heraus das Denken lernt.

Durch Anthroposophie lernen wir nicht bloß hinzuschauen auf die physische Welt und immer nur zu sagen: Da liegt Geistiges zugrunde. -Das ist ja billig. Dadurch eignen wir uns keine rechte Vorstellung über die geistige Welt an. Derjenige, der nur philosophisch immer sagen wollte: Nun ja, allem Physischen liegt ein Geistiges zugrunde -,

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der gliche doch dem, der über eine Wiese gehen will, und ein anderer sagt ihm: Sieh einmal, da sind Löwenzahn, da sind Gänseblümchen und so weiter -, aber er sagt: Das will ich alles nicht wissen. Da ist Blume, Blume, Abstraktion Blume! - So steht derjenige da, der nur als Philosoph überall das Pantheistische, Geistige anerkennen will, nicht eingehen will auf die konkreten, besonderen Ausgestaltungen des Geistigen.

Das, was uns Anthroposophie gibt, zeigt uns, wie in den einzelnen Gestaltungen des Lebens überall das Göttlich-Geistige lebt. Wir sehen hin auf die Art und Weise, wie das Kind aus dem kriechenden, aus dem ungeschickten Zustande zum gehenden Zustande übergeht. Wir geben uns in Bewunderung und Verehrung hin diesen großartigen Weltenphänomenen und sehen darinnen ein Werk der Archai, die da tätig sind, indem das, was zwischen Tod und neuer Geburt erlebt wird, herübergetragen wird in seine irdische Gestalt. Und wir verfolgen, wie das Kind die Sprache aus sich herausbringt, verfolgen die Tätigkeit der Archangeloi und wiederum beim Denken des Kindes die Tätigkeit der Angloi. Das hat aber auch seine tiefe Bedeutung und seine prak­tische Seite. Das kann man insbesondere in unserem stark materia­listisch gearteten Zeitalter schauen. In unserem stark materialistisch gearteten Zeitalter bedeuten für viele Menschen die Worte nicht mehr etwas stark Geistiges. Die Menschen haben nach und nach die Worte eigentlich nurmehr, um physische Dinge der Außenwelt zu bezeichnen. Man merkt ja das. Denken Sie, wie viele Menschen sind da vorhanden in der Welt, die überhaupt sich nichts mehr vorstellen können, wenn man ihnen von etwas Geistigem spricht, weil die Worte für sie nicht mehr geistige Bedeutung haben, weil die Worte nur anwendbar sind auf physische Dinge. Die Sprache hat selbst schon für viele Menschen einen materialistischen Charakter bekommen. Sie ist nur anwendbar auf physische Dinge. Und wir sind nun schon einmal in einer Zivilisa­tion darinnen, wo die Sprache selbst immer materialistischer und materialistischer wird. Und wozu führt das?

Das zeigt sich dann, wenn man in der richtigen Weise den Zu­sammenhang des Wachzustandes mit dem Schlafzustande in bezug auf die Sprache schaut. Bei Tag, im wachen Zustande sprechen wir zu

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den andern Menschen. Wir bringen die Luft in Schwingungen. Die Art und Weise, wie die Luft schwingt, vermittelt dasjenige, was wir seelisch mitteilen wollen. Aber im Inneren des Menschen leben die Antriebe, die seelischen Antriebe zu diesen Worten. Jedem Worte entspricht ein seelischer Antrieb, und der seelische Antrieb ist um so stärker, je idealistischer ein Mensch spricht, je mehr er sich bewußt ist, daß in den Worten auch geistige Bedeutungen enthalten sind. Da kann man dann, wenn man das weiß, genau sehen, was da vorliegt. Nehmen Sie einen Menschen, der eigentlich nur noch Materialistisches in seinen Worten versteht. Bei Tag nimmt er sich ungefähr so wie ein anderer Mensch aus, der auch Idealistisches in seinen Worten hat, Spirituelles in seinen Worten hat, der sich bewußt ist überhaupt, daß die Worte beflügelt sind vom Geiste. Aber in der Nacht, da nimmt der Mensch mit seinem Ich und mit seinem astralischen Leibe die geistig-seelische Seite der Sprache hinaus mit in die geistige Welt. Er geht wieder zurück zum geistigen Ursprung. Derjenige, der nur eine materialistische Sprache hat, findet seinen Archangelos nicht. Er findet nicht den Anschluß an die Welt der Archangeloi. Derjenige, der noch idealistische Sprache hat, findet den Anschluß an die Welt der Archan­geloi.

Das ist das Tragische, welches eine schon in der Sprache sich aus­drückende materialistische Zivilisation hat, daß die Menschen durch das Materialistischwerden der Sprache in der Nacht den Anschluß an die Welt der Archangeloi verlieren können. Das ist in der Tat etwas, was für den wirklichen Geistesforscher innerhalb der Zivilisation der Gegenwart etwas Herzzerreißendes hat, wie die Menschen, indem sie immer mehr und mehr vergessen, ihren Worten einen geistigen Inhalt zu geben, den Anschluß an die geistige Welt - nämlich an der rich­tigen Stelle bei den Erzengeln - verlieren. Das ist das Furchtbare unserer materialistisch werdenden Zivilisation. Und dieses Furchtbare lernt man erst erkennen, wenn man die wahre Wesenheit des Schlaf-zustandes ins Auge faßt.

Richtig Anthroposoph kann man nicht werden, wenn man ein bloßer Theoretiker bleiben will. Über Maikäfer und Regenwürmer und über Zellen können Sie gleichgültige Theorien aufstellen, Theorien,

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bei denen einem das Herz nicht zu zerbrechen braucht. Denn schließlich, wie Maikäfer und Regenwürmer aus einer Zelle aufgebaut sind, das kann zu nichts Herzzerbrechendem führen. Wenn Sie aber die anthroposophischen Erkenntnisse sich aneignen in ihrer Fülle, dann sehen Sie hinein in Tiefen des Menschenwesens, der Menschenent­wickelung, der Menschenschicksale, und Ihr Herz ist immer beteiligt an den Erkenntnissen. Da lädt sich die Summe der Erkenntnisse im Gefühls-, im Empfindungsleben ab. Da wird man mit der ganzen Welt mitfühlend und dann wohl auch mitwollend. Das ist das Wesen-hafte der Anthroposophie, daß sie nicht bloß den menschlichen Kopf ergreift, sondern daß sie den ganzen Menschen ergreift und daß sie dadurch auch hineinleuchtend wird, aber gemüts- und gefühlskräftig hineinleuchtend wird in die Kultur- und Zivilisationsschicksale wie in die Schicksale des einzelnen Menschen.

Man lernt erst in der richtigen Weise das Menschenleben auf Erden miterleben, wenn man auch diese andere Seite, die geistige Seite so anschaut, wie sie einem sich doch erst enthüllen kann, wenn man auch die Schlafzustände, durch die der Mensch immer wieder zur geistigen Welt zurückkehrt, in diese Erkenntnis herein begreift. Dann aber wird Geisteswissenschaft wirkliches seelisches, geistiges und zuletzt auch soziales, religiöses, ethisches Menschenleben. Das soll ja wirkliche Wissenschaft, die zur Weisheit wird, werden. Solche lebenskräftige Wissenschaft braucht die Menschheit gar sehr, damit sie nicht tiefer hinuntersinkt in den Untergang, sondern wiederum zu einem Auf-gange kommen kann.

Wollen wir daher in den nächsten Vorträgen, die ich noch halten kann, tiefer noch hineindringen in den Zusammenhang des Menschen mit der Welt und dadurch auch in das Begreifen des Schicksals des einzelnen Menschen, wie es sich gestaltet durch die wiederholten Erdenleben hindurch. Davon also morgen weiter.

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VIERTER VORTRAG Kristiania (Oslo), 19. Mai 1923

Wenn wir die Seele des Menschen betrachten, finden wir innerhalb des Seelischen Denken, Vorstellen, Fühlen und Wollen. Nun habe ich gewiß schon auch hier öfters über diese drei Seelentätigkeiten ge­sprochen. Allein ich möchte heute wiederum in einem besonderen Zusammenhange, der sich in unseren Zyklus einfügt, gerade über diese dreigliedrige menschliche Seele einige Worte vorbringen.

Im wachen Zustande leben wir eigentlich nur in unseren Vorstel­lungen. Dasjenige, was wir denken, ist uns im wachen Zustande voll bewußt. Wenn Sie sich fragen: Sind die Gefühle, die wir durchmachen im Wachzustande, ebenso bewußt wie die Vorstellungen? - so müssen Sie sich dieses mit Nein beantworten. Die Gefühle bleiben für das wache Bewußtsein in einem gewissen Sinne dunkel und unbe­stimmt. Und wenn Sie dasjenige vergleichen, was Sie in Ihrer Gefühls­welt erleben, mit demjenigen, was Sie erleben, wenn Sie sich gegen­übergestellt finden der mannigfaltigen Bilderwelt Ihrer Träume, so werden Sie in der Gefühlswelt und in der Traumeswelt denselben Grad von Bewußtsein finden. Es wird in der Gefühlswelt nur auf eine andere Weise geträumt, aber es wird auch in der Gefühlswelt nur ge­träumt. Man täuscht sich über diesen Charakter der Gefühlswelt da­durch leicht, daß man dasjenige, was gefühlt wird, in Vorstellungen übersetzt. Man stellt sich seine Gefühle vor. Dadurch hebt man die Gefühle in das Wachbewußtsein herau£ Aber die Gefühle als solche sind nicht mehr bewußt als der Traum.

Und insbesondere unbewußt bleiben, vollständig unbewußt können wir sagen, die Willensimpulse des Menschen. Stellen Sie sich nur ein­mal vor, wieviel Sie von etwas wissen, was Sie ein Wollen nennen. Nehmen Sie nur an, Sie strecken die Hand aus, um irgend etwas zu ergreifen. Sie haben zuerst die Vorstellung davon, daß Sie die Hand ausstrecken werden. Darinnen liegt Ihre Absicht. Wie aber diese Ab­sicht nun hinunterströmt in Ihren ganzen Organismus, wie diese Ab­sicht sich den Muskeln, den Knochen mitteilt, damit die Hand den

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Gegenstand ergreifen kann, davon wissen Sie ebensowenig, wie Sie von dem wissen im gewöhnlichen Bewußtsein, was während des Schlafes mit Ihrem Ich vorgeht. Erst wenn Sie den Gegenstand er­griffen haben, dann nehmen Sie wiederum wahr die Bewegung des Ergreifens, also wiederum eine Vorstellung. Was zwischen dieser Vorstellung, welche die Absicht bildet, und der Vorstellung liegt, die Sie dann haben, wenn Sie die Absicht in der äußeren Ausführung sehen, was dazwischen liegt, was da in Ihrem Organismus vor sich geht, das verschlafen Sie auch bei wachendem Bewußtsein. Das Wollen ist ein Schlafen, das Fühlen ist ein Träumen, und nur das Vorstellen, das Denken ist ein wirkliches Wachen.

Da haben wir auch während des Wachzustandes die dreigliedrige menschliche Seele: die wache Seele, die vorstellt, die träumende Seele, die fühlt, und die wollende Seele, die schläft, so daß der Mensch im gewöhnlichen Bewußtsein niemals sagen kann, was eigentlich da un­ten in den Zuständen vor sich geht, in denen der Wille webt und lebt.

Wenn man dann aber mit den Methoden der anthroposophischen Forschung in diejenige Region hinunterleuchtet, wo der Wille pul­siert, da findet man zunächst das Folgende. Wenn wir die Absicht haben, irgendeinen Willensentschluß auszuführen, dann ist das zu­nächst ein Gedanke, eine Vorstellung. In dem Momente, wo diese Absicht in den Organismus hineinströmt, entsteht im Organismus dasjenige, was man einen inneren Verbrennungsprozeß nennen kann. Jedesmal wird im Organismus ein Verbrennungsprozeß entstehen längs des ganzen Weges, den der Willensentschluß macht. Durch das Verbrennen von Stoffwechselprodukten, die Sie in sich haben, wird alles das bewirkt, was den Arm bewegt, um einen Willensentschluß auszuführen, so daß eigentlich ein wollender Mensch im physischen Sinne in einem verbrennungsartigen Verzehren seiner Stoffwechsel­produkte sich befindet. Eigentlich müssen wir immer deshalb die Stoffwechselprodukte erneuern, weil durch den Willen diese Stoff­wechselprodukte fortwährend verzehrt, verbrannt werden.

Das ist anders beim Vorstellen. Beim Vorstellen findet ein fort­währendes Ablagern von salzartigen Bestandteilen statt. Erdige, salz­artige, aschenartige Bestandteile sondern sich aus dem Organismus

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ab, so daß, physisch gesprochen, das Denken, das Vorstellen ein Salzablagern ist. Das Wollen ist ein Verbrennen. Und dem Anschauen, dem geistigen Anschauen stellt sich das menschliche Leben als ein fortwährendes Salzablagern von oben und als ein Verbrennen von unten herauf dar. Dieses Verbrennen, das macht, daß wir, wenn ich mich so ausdrücken darf, im Feuer des eigenen Leibes mit dem ge­wöhnlichen Bewußtsein nicht wahrnehmen können, was der Wille eigentlich ist. Dieses Verbrennen bewirkt, daß wir den Willen, alles Wollen fortwährend verschlafen.

Aber was wird uns denn da, unsichtbar für das gewöhnliche Be­wußtsein, wenn wir den Willen verschlafen? Wenn man nun in dieses organische Feuer, das fortwährend durch den Willen entsteht, mit den Mitteln der Geistesanschauung hineinleuchtet, dann nimmt man wahr, daß in diesem Feuer die Wirkungen unseres moralischen Verhaltens in dem vorhergehenden Erdenleben leben. Da drinnen lebt dasjenige, was man menschliches Schicksal, menschliches Karma nennen kann. Es ist wirklich so, daß, wenn man richtig anschaut, wenn ein Mensch zum Beispiel in einem bestimmten Jahre seines Lebens die Bekannt­schaft eines andern Menschen macht, daß sich dann ganz anders diese Tatsache ausnimmt, wenn man sie geistig richtig anschaut, als wenn man sie nur äußerlich mit dem sinniich4ntellektualistischen Bewußt­sein anschaut.

Nehmen wir an, ein Mensch hat eben in irgendeinem Jahre seines Lebens einen andern Menschen kennengelernt. Man spricht da sehr häufig von Zufall. Und es nimmt sich das ja auch so aus, als wenn der andere Mensch durch die verschiedenen Zufallswege des Lebens einem zugeführt worden wäre, und man hätte dann im Augenblicke mit ihm Bekanntschaft geschlossen. Aber so ist es ja nicht. Wenn man hineinschaut mit den Mitteln der Geisteswissenschaft in den ganzen Zusammenhang des menschlichen Lebens, in all das, was unsichtbar durch den angedeuteten Verbrennungsprozeß wird, dann sieht man, daß eine Bekanntschaft, die man zum Beispiel im fünfunddreißigsten Lebensjahre gemacht hat, ganz planmäßig das ganze Leben hindurch ersehnt und erstrebt worden ist. Wenn Sie den Menschen von seinem fünfunddreißigsten Lebensjahre bis zu seiner ersten Kindheit verfolgen

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und Sie legen bloß, Sie machen die Wege offenbar, die er durchgemacht hat, um zuletzt da anzukommen, wo ihm der andere Mensch begegnet ist, so ist das ein ganz planmäßiges Erstreben im Unterbewußtsein. Und manchmal ist es, wenn man in dieser Weise das Schicksal des Menschen betrachtet, ganz wunderbar, welche Winkel-züge ein Mensch macht, um an einer bestimmten Stelle in einem be­stimmten Jahre anzukommen und da den andern Menschen zu treffen. Wer wirklich in das menschliche Leben hineinsieht, der kann gar nicht anders sagen als: Derjenige, der etwas erlebt, hat dieses Erlebnis sein ganzes Erdenleben hindurch so gesucht, wie man nur irgend etwas suchen kann. - Und warum suchen wir ein bestimmtes Erleb­nis? Weil uns dieses Suchen aus früheren Erdenleben in die Seele hinein ergossen ist. Aber diese früheren Erdenleben erscheinen in ihren Wirkungen nicht im Gedankenbewußtsein, in dem wir wachen, sondern sie erscheinen in ihren Wirkungen in dem Bewußtsein, wo ein Verbrennungsprozeß uns fortwährend in einen Schlaf einlullt. Wir streben unbewußt, aber wir streben nach den Erlebnissen unseres Erdendaseins hin.

Nun können sich verschiedene Einwände erheben, Gedanken er­heben, wenn so etwas ausgesprochen wird. Zuerst kann der Mensch sagen: Ja, dann ist unser ganzes Leben schlcksalsbestimmt und wir haben keine Freiheit. - Aber verlieren wir dadurch an Freiheit, daß wir blonde Haare haben und nicht schwarze? Das ist ja auch vorbestimmt. Wir sind dennoch frei, trotzdem wir blonde Haare haben und nicht schwarze, wenn wir uns vielleicht auch schwarze wünschen; wir sind dennoch frei, wenn wir auch nicht, was wir vielleicht als Kind wollen, den Mond herunterlangen können. Wir sind dennoch frei, wenn auch von dem Beginn unseres Erdenlebens an von uns gewisse Erlebnisse gesucht werden, denn nicht das ganze menschliche Leben setzt sich aus solchen schicksalsmäßigen Erlebnissen zusammen, sondern es fügen sich immer den schicksalsmäßigen Erlebnissen die freien Erleb­nisse ein. Und diese freien Erlebnisse, die sich einfügen, findet die Geisteswissenschaft wiederum an einer andern Stelle.

Ich spreche ja oftmals von den drei Stufen der Geisteserkenntnis:

von der Imagination, wo wir zuerst eine Bilderwelt schauen, von der

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Inspiration, wo in diese Bilderwelt die geistige Wirklichkeit und Wesenhaftigkeit hereinkommt, und dann von der Intuition, wo wir in der geistigen Wirklichkeit und Wesenhaftigkeit darinnenstehen.

Wenn nun der Mensch als Geistesforscher zur Imagination kommt und dadurch, wie ich schon im öffentlichen Vortrage angedeutet habe, sein Lebenstableau vor sich hat, dann wird zu gleicher Zeit auch immer etwas anderes anschaubar. Man kann nicht das eine ohne das andere haben. Man kann nicht die Imagination haben, die wirkliche Geist-Erkenntnis des bisherigen Erdenlebens, ohne daß in einer merk­würdigen Weise wie eine Erinnerung diejenigen Erlebnisse auf­tauchen, die wir während des Schlafes immer gehabt haben vom Ein­schlafen bis zum Aufwachen. Ich habe Ihnen erzählt, wie diese Erlebnisse sind. Wenn man auf der einen Seite die Imagination erhält, erhält man auf der andern Seite insbesondere stark, wenn dann auch das innere Schweigen der Seele eintritt, eine Anschauung desjenigen, was der Mensch im Schlafzustande erlebt.

Nun habe ich Ihnen schon manches von dem geschildert, was der Mensch im Schlafzustande erlebt. Aber dasjenige, was einem vor allen Dingen vor das Seelenauge an Erlebnissen während des Schlafes tritt, das ist das neu sich bildende Schicksal. Wenn wir in das Schlafen hinunterleuchten, das im Wollen liegt während des Wachens, dann kommen wir auf das Karma, welches aus früheren Erdenleben herein-wirkt. Wenn wir anfangen, die Erlebnisse zwischen dem Einschlafen und Aufwachen zu durchschauen, dann schauen wir hin, wie sich aus unseren freien Handlungen, die wir gegenwärtig verrichten, zusam­menwebt das Karma, das sich erst wiederum im nächsten Erdenleben verwirklicht.

Glauben Sie nicht, daß nun, wenn man in dieses Schlafesleben hineinschaut, dasjenige das besonders Beunruhigende ist, daß man sich jetzt sagen muß: Du hast dir durch dein moralisches Verhalten im jetzigen Erdenleben dieses Karma zubereitet. - Das beunruhigt nicht mehr, als wenn man weiß, heute ist die Sonne aufgegangen, bis zur Mittagshöhe gestiegen, ist wieder hinuntergegangen und wird am nächsten Tag denselben Weg durchmachen. Diese Gesetzmäßigkeit, die einem da aus der Tiefe des Schlafes herausdringt, die beunruhigt

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einen nicht, weil auf die mannigfaltigste Weise wiederum durch Frei­heit in dem nächsten Erdenleben dasjenige zur Wirkung kommen kann, was man veranlagt findet in den Schlafeszuständen des gegen­wärtigen Erdenlebens. Aber man überschaut durchaus das Karma, das sich in den unterbewußten Zuständen des Wollens auswirkt, und man überschaut das sich wieder anspinnende Karma, wenn man in das­jenige hineinschaut, was sich für das gewöhnliche Bewußtsein auch unbewußt im Schlafe beginnt zu weben als ein anfängliches Karma. Und das sieht man auch, wie die Vergangenheit sich immer wieder zusammenwebt im Menschen mit der Zukunft, wie dasjenige, was der Mensch bei Tag verschläft als die inneren Geheimnisse seines Willens, sich zusammenspinnt mit demjenigen, was er bei Nacht verschläft als die inneren Geheimnisse seines Ichs und seines astralischen Leibes, wenn sie sich von dem physischen Leibe und Ätherleibe getrennt haben und an dem Zukunftskarma weiterweben.

Wenn wir im gewöhnlichen Wachsein denken, dann denken wir zumeist über äußere Dinge. Diese äußeren Dinge, die wir da denken, die bleiben dann in unserer Erinnerung durch den gewöhnlichen Inhalt unseres Seelenlebens. Aber das ist nur die Oberfläche des Seelenlebens. Hinter diesem Niveau des Denkens liegt ein viel tieferes Seelenleben. Dieses, was wir beim Tagwachen als unser Denken er­leben, das erleben wir im ätherischen Leibe, im Bildekräfteleibe. Das­jenige, was dahinter vorgeht im astralischen Leibe und im Ich, das kann man nur erleben, wenn man bewußt in die Geschehnisse ein­dringt, die das Ich und der astralische Leib durchmachen, wenn sie vom physischen Leibe und vom Ätherleibe getrennt sind im Schlafe. Da spinnt sich das Zukunftskarma an. Das wird durch die äußeren Gedanken, die im Ätherleib sind, bei Tag für uns verhüllt. Aber in den Tiefen der Seele, da webt es auch bei Tag sich zusammen mit demjenigen, was im unbewußten schlafenden Willen ist als das Karma, das aus der Vergangenheit herüberkommt. Und so kann man sehr genau in dieses Karma des Menschen hineinweisen.

Aber da liegt nun folgendes Eigentümliche vor. Ganz besonders interessant ist für die Karmabeobachtung die Zeit der allerersten Kind­heit des Menschen. Die Entschlüsse des Kindes erscheinen uns ganz

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willkürlich, dennoch sind sie nicht willkürlich. Oh, es ist schon so, daß diese Willensentschlüsse des Kindes dasjenige nachahmen, was in der Umgebung des Kindes vor sich geht. Und ich habe im öffentlichen Vortrag das angedeutet, wie das Kind ganz Sinnesorgan ist, wie es innerlich jede Geste erlebt, jede Bewegung der Menschen seiner Um­gebung. Aber es erlebt jede Geste, jede Bewegung mit der moralischen Bedeutung, so daß das Kind an einem jähzornigen Vater das Unmora­lische erlebt, das mit dem Jähzorn verknüpft sein kann. Und das Kind erlebt in den feinsten Bewegungen, die der Mensch in seiner Umge­bung macht, die Gedanken, die der Mensch hat. Wir sollten uns daher nie gestatten, unreine, unmoralische Gedanken etwa in der Umgebung eines Kindes zu haben und zu sagen: In Gedanken können wir uns das gestatten, das Kind weiß doch nichts davon. - Das ist nicht wahr. Wenn wir denken, bewegen sich immer in irgendeiner Weise wenig­stens unsere inneren Nervenstränge. Diese nimmt auch das Kind wahr, besonders in den allerersten Jahren. Das Kind ist ein feiner Beobachter und Nachahmer seiner Umgebung. Aber was das Merkwürdige, das, ich möchte sagen, im erhabenen Sinne Interessante ist, ist, daß das Kind nicht alles nachahmt, sondern daß es eine Wahl trifft. Und diese Wahl geschieht eigentlich auf eine sehr komplizierte Weise.

Denken Sie sich also einmal, in der Umgebung des Kindes wirkt meinetwillen ein unüberlegter jähzorniger Vater, der allerlei Dinge macht, welche eigentlich nicht richtig sind. Weil das Kind ganz Sinnes­organ ist, muß es alle diese Dinge aufnehmen, wie das Auge sich nicht wehren kann, es muß das sehen, was in seiner Umgebung ist. Aber das Kind nimmt dasjenige, was es da aufnimmt, eben nur im Wach-zustande auf. Nun beginnt das Kind zu schlafen. Kinder schlafen viel. Und während des Schlafrs trifft nun das Kind die Wahl. Dasjenige, was es aufnehmen will, sendet es aus seiner Seele in seinen Leib, in seinen Körper hinunter. Dasjenige, was es nicht aufnehmen will, stößt es während des Schlafes in die ätherische Welt hinaus, so daß das Kind nur dasjenige in seine Körperlichkeit aufnimmt, wozu es schicksals-mäßig vorbestimmt ist durch sein Karma, durch sein Schicksal. Das Walten des Schicksals sieht man insbesondere lebendig in den aller-ersten Kindesjahren.

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Wenn man ein intellektualistischer Mensch ist, dann hat man oft­mals das Bewußtsein, man ist furchtbar gescheit und das Kind ist furchtbar dumm. Wenn man allmählich in die Welt hineinsehen lernt, dann hat man dieses Urteil nicht, dann hat man das andere Urteil, wie dumm man eigentlich seit der Kindheit geworden ist. Nur ist die Gescheitheit, die man sich angeeignet hat, gegenüber der Kindheit eine bewußte Gescheitheit. Die Weisheit aber, mit der das Kind auf die beschriebene Art die Wahl trifft zwischen dem, was es sich einver­leiben will, nach seinem Schicksal von den vorhergehenden Erden-leben sich einverleiben muß, und demjenigen, was es in die allgemeine Ätherwelt abstößt, ist eine viel, viel größere als die Weisheit, die wir im späteren Leben haben. Und dasjenige, was der Mensch aus seinem früheren Erdenleben in das gegenwärtige Erdenleben hereinträgt, trägt er gerade in den ersten Kindheitsjahren am allerersten herein, wo die Frage der Freiheit überhaupt noch gar nicht in Betracht kommt. In derjenigen Lebenszeit, in der das Freiheitsbewußtsein auftaucht, haben wir eigentlich das allermeiste, das weitaus meiste von dem, was wir aus früheren Erdenleben in dieses Erdenleben hereintragen sollen, schon hereingetragen. Und wenn einer im fünfunddreißigsten Lebens­jahre ein ganz bestimmtes Erlebnis hat, so hat er sich die Wege zu diesem Erlebnis durchaus schon in den allerersten Kindesjahren ge­ebnet. Die ersten Schritte des Lebens sind für das schicksalsmäßig Bestimmte die allerwichtigsten und wesentlichsten.

Ich habe einmal versucht, das anzudeuten, wie das Kind weise ist, und wie man eigentlich im Verlaufe des Lebens immer weniger weise wird. Man wird bewußter, und man schätzt dann die bewußte Rationa­lität, und man schätzt nicht die unbewußte Weisheit des Kindes. Die schätzt man eigentlich erst durch die Initiationswissenschaft. Ich habe einmal darauf aufmerksam gemacht. Das ist aber von offiziell philo­sophischer Seite furchtbar getadelt worden. Ich habe darauf in meinem Büchelchen aufmerksam gemacht «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit», gleich im ersten Kapitel. Es ist also schon wich­tig, daß wir auf diese allererste Kindheit in dieser Weise hinzuschauen vermögen. Wenn die Menschen das einmal durchschauen, dann wer­den sie auch wiederum ein gesünderes Urteil bekommen über etwas,

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was heute immer und immer wiederum erwähnt wird, aber gar nicht durchschaut wird, die vererbten Eigenschaften. In Dichtung und Wissenschaft möchte man heute alles auf die vererbten Eigenschaften, auf die von den Eltern ererbten Eigenschaften zurückführen. Wird man einmal einsehen, wie das Kind karmisch aus den früheren Erden-leben sich dasjenige hereinträgt, was es sogar in sehr weiser Art aus­wählt, dann wird man das rechte Verhältnis zwischen dem finden, was in der Schicksalsbestimmung liegt, und dem, was die äußere Verer­bung und Kleidung ist. Denn diese Vererbung ist nur eine Umklei­dung. Und daß sie da ist, wundert den nicht, der in der richtigen Weise dasjenige versteht, was ich hier in diesen Vorträgen auch ge­sagt habe, daß wir uns an einem gewissen Zeitpunkte zwischen dem Tod und einer neuen Geburt der Generationenfolge zuwenden. Wir wenden ja den Blick vom Jenseits herunter in das Diesseits, um lange vorauszusehen, was wir für Eltern haben werden. Wir bestimmen mit vom Jenseits die Eigenschaften, welche die Eltern haben werden; kein Wunder, daß wir sie dann erben. Aber in dem Vererbten treffen wir dann wiederum auf die geschilderte Weise die Auswahl.

Überhaupt ist die Beobachtung des Menschen in den ersten kind­lichen Lebensjahren etwas ganz besonders erhaben Interessantes. Ich muß diesen Ausdruck immer wieder gebrauchen. Ich habe Sie auf dasjenige aufmerksam gemacht, was in den ersten Lebensjahren von dem Kinde gelernt wird: gehen, worunter wir so vieles erfassen, wie wir gestern angeführt haben, sprechen, denken. Das eignet sich das Kind an. Derjenige, der nun richtig beobachten kann, wie das Kind die ersten Schritte macht, wie es fest das Beinchen aufsetzt, oder leise das Beinchen aufsetzt, wie es wacker vorschreitet, oder ängstlich vor-schreitet, wie es stärker oder weniger stark das Knie beugt, wie es den Zeigefinger mehr braucht als den kleinen Finger, wer all das, was mit dem Gehen, überhaupt mit der Lebensbalance, in die der Mensch in den drei Raumesrichtungen sich hineinfindet, wer in all das, was damit zusammenhängt, richtig hineinschaut, der sieht gerade darinnen, wie in diesem Gehenlernen das Karma bildhaft zum Ausdrucke kommt. Man sieht, wie ein Kind von vornherein, wenn es gehen lernt, die Füßchen stark aufsetzt. Man schaut zurück, wie das mit einem vorhergehenden

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Erdenleben zusammenhängt. Man findet, daß das Kind in irgendwelchen Lebenslagen sich in vorhergehenden Erdenleben wacker und tapfer verhalten hat. Das Wackere und Tapfere der vor­hergehenden Erdenleben drückt sich bildhaft sinnlich im Abbilde in der Art und Weise aus, wie es die Füßchen stellt. Und man kann ge­rade im Gehenlernen ein wunderbares Abbild des Menschenkarmas am Kinde beobachten. Das individuelle Karma, dieses persönliche Karma, das man als einzelner Mensch hat, drückt sich insbesondere in diesem Gehenlernen aus.

Als zweites lernen wir die Sprache. Da ahmen wir dasjenige nach, was in unserer Umgebung gesprochen wird. Jedes Kind tut das auf seine besondere Art, aber es ahmen alle Menschen, die innerhalb eines Sprachgebietes ihre Muttersprache lernen, eine Sprache nach. In der Art und Weise, wie das Kind sich in das Nachahmen der Laute hineinfindet, sieht man, wie sich im Menschen das Volksschicksal aus lebt. Im Gehenlernen eines Menschen: einzelnes individuelles Schicksal; im Sprechenlernen: Volksschicksal; und im Denkenlernen: das Schicksal der ganzen Menschheit in einem gewissen Zeitpunkte über das Erdenrund hin. Dreierlei Schicksale verwehen sich eigentlich im Menschen.

Unsere Gedanken kleiden wir zwar in verschiedene Sprachen, aber wenn man durch die Sprache zu den Gedanken vordringt, machen wir den Anspruch darauf, daß die Gedanken in aller Welt von jedem Menschen begriffen werden können. Es gibt eine chinesische und eine norwegische Sprache, aber es gibt keinen Unterschied zwischen chine­sischen Gedanken und norwegischen Gedanken als den, der indivi­duell ist. Aber die Gedanken als solche, ihre Wahrheit oder Unwahr­heit, sind nicht anders. Daß das Denken eine andere Färbung annimmt, rührt von dem her, daß der Mensch in der Sprache im Individuellen lebt, aber was den Gehalt der Gedanken betrifft, nicht die Form der Gedanken, so ist er für alle Menschen gleich.

Indem das Kind sich hineinfügt in der dritten Stufe in das Gedan­kenleben, fügt es sich ein in einen bestimmten Zeitpunkt für die ge­samte Menschheit; durch die Sprache in das Volksschicksal, durch das Hineinstellen in drei Raumesvorstellungen, durch das Gehenlernen,

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Greifenlernen und so weiter in das persönliche, individuelle Schicksal. Solche Dinge müssen, wenn man den Menschen in seinem ganzen

Wesen richtig verstehen will, allseitig durchschaut werden. Wie das nun mit dem ganzen Menschenleben ist, möchte ich Ihnen noch an einer andern Tatsache klarlegen. Gehen wir noch einmal zu dem Schlafzustande zurück, zu den Erlebnissen, die der Mensch vom Ein­schlafen bis zum Aufwachen durchmacht. Da geht der Mensch mit seinem Ich und seinem astralischen Leibe in die geistige Welt hinein, eigentlich zum Ausgangspunkte des Lebens zurück. Aber das Ich und der astralische Leib weben das Zukunftsschicksal. Wenn nun das Ich und der astralische Leib wiederum zurückkehren in den physischen Leib, dann ist jede Nacht ein neues Stück Schicksal gewoben. Aber der Mensch versteht noch nichts von diesem Schicksal im gewöhn­lichen Bewußtsein. Er dringt wiederum zurück in seinen Ätherleib und in seinen physischen Leib. Im Ätherleib sind die Gedanken zu­rückgeblieben. Die Gedanken sind nicht in dem nachtschlafenden Zustande mitgegangen. Der Mensch glaubt nur, daß, wenn er im Bette ist, er nicht denkt. Er denkt fortwährend, nur weiß er nichts davon, weil er mit seinem Ich und mit seinem astralischen Leibe außer dem Denken ist. Denn das Denken besteht in einer Tätigkeit des Ätherleibes. Sie können bei demjenigen, was stärkeren Eindruck auf Sie macht, das eigentlich sehr leicht im gewöhnlichen Leben auch beobachten. Denken Sie nur einmal, Sie waren etwa zum ersten Male bei einer Sie besonders anregenden Symphonie. Sie werden in der Nacht, wenn Sie dazu die besondere Veranlagung haben, oftmals aufwachen können und Sie wachen immer in die Töne dieser Sym­phonie hinein auf, weil Ihr Ätherleib die ganze Nacht in dieser Sym­phonie fortvibriert. Die hört nicht auf in Ihnen. Es ist gar nicht not­wendig, daß Sie dabei sind, damit die Symphonie in Ihnen sich ab­spielt. Wenn Sie dabei sind, dann nehmen Sie nur in den Vibrationen in Ihrem Ätherleibe wahr. Und so ist es mit allen Gedanken auch. Sie denken die ganze Nacht im Bette, nur sind Sie mit Ihrem Ich nicht dabei, daher wissen Sie nicht, wie Sie da denken.

Ich kann Ihnen verraten: durch das Ich verderben wir sogar sehr häufig unsere Gedanken. Wir denken nämlich meistens viel gescheiter,

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wenn wir nicht dabei sind in der Nacht. Sie mögen mir das glauben oder nicht, aber es ist so. Die meisten Menschen haben ein viel ge­sünderes Urteil über die Dinge des Lebens in der Nacht als bei Tag. Wenn der Ätherleib, der mit den Gesetzen des Kosmos in Harmonie steht, allein denken kann, wenn der Mensch nicht die Gedanken ver­dirbt, dann denkt der Mensch meist gesünder, als wenn er mit seinem Ich die Gedanken durcheinanderpuddelt. Das tut er bei Tag nämlich sehr häufig.

Wenn wir nun mit dem Ich und mit dem astralischen Leibe draußen sind aus dem physischen Leibe und dem Ätherleibe, da weben wir aber unser Zukunftskarma. Das, was da als Ich und als astralischer Leib draußen webt und lebt vom Einschlafen bis zum Aufwachen, muß durch die Pforte des Todes gehen, in die übersinnliche Welt ein­gehen. Wenn auch das Astralische sich später dann in das Ich einfügt und das Ich dann mit anderer Substanz das allein durchmacht, aber dennoch: dasjenige, was da draußen außer dem physischen und dem Ätherleibe im Schlafzustande webt, das muß durch die Pforte des Todes gehen und den Weg durchmachen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt durch alle die Zustände, die ich Ihnen in diesen Tagen beschrieben habe. Und Sie wissen aus dieser Beschreibung, daß da das Ich durchgeht durch die Arbeit, die es mit den andern Wesen der höheren Hierarchien macht, um in der Zukunft wiederum einen physischen Menschenleib, jetzt im Geistkeim, vorzubereiten. Das erfordert das Sich-Einleben in eine tiefe Weisheit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, einer Weisheit, in der man nur leben kann, wenn man in einer geistigen Tätigkeit zusammeniebt mit den Wesen der höheren Hierarchien.

Da muß noch vieles hinein in dasjenige, was man da webt an Karma zwischen dem Einschlafen und Aufwachen, damit das sich in der tichtigen Weise verbindet in der Zukunft mit einem physischen Leibe. Denn denken Sie, was da für ein Weg durchgemacht werden muß. Das ist ja im Ich und im astralischen Leibe, was sich da webt als Karma, das muß hinunter in diejenige Region, die wir dann im nächsten Erdenleben als unbewußte Willensregion haben. Das muß hinunter. Das muß sich gründlich mit aller Leiblichkeit des Menschen

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vereinigen. Davon haben das Ich und der astralische Leib, wenn sie im gewöhnlichen Schlafzustande sind, noch wenig, was sie sich da aneig­nen müssen im Durchgang zwischen dem Tod und einer neuen Geburt.

Und da müssen dann das Ich und der astralische Leib wiederum zurück in den physischen Leib, und sie verstehen nicht recht beim Aufwachen, wie es ist mit diesem physischen Leibe. Den haben sie aber aus dem vorhergehenden Leben. Ich und astralischer Leib wissen sich nicht richtig zu benehmen bei diesem Untertauchen. Daher kommt es, daß, weil erst im nächsten Erdenieben von Kindheit auf dieser astralische Leib und das Ich formen können den physischen Leib und den Ätherleib durch die ersten sieben Jahre, durch die zweiten sieben Jahre, weil da erst alles das darinnen ist im Ich und astralischen Leib, was in der richtigen Weise wiederum arbeiten kann an einem physi­schen Leib, daher kommt es, daß jetzt im Einschlafen, wo das Ich erst das moralische Verhalten des Menschen aufgenommen hat, erst an­fängt das Karma zu weben, daß es beim Aufwachen eigentlich nicht richtig versteht: was ist da alles in diesem physischen Leibe.

Nun, in den physischen Leib kann es überhaupt nur ganz unbewußt untertauchen. Da muß es schon wiederum ins Unbewußte hinein­kommen. Aber wenn es bewußt wird, wenn es durch die Vorstellungs-region durchgeht, dann tauchen die verworrenen Bilder des Traumes auf. Was bedeuten diese? Warum sind diese so wenig mit dem Leben oftmals zusammenstimmend? Weil das Ich und der astralische Leib erst probieren, in den physischen und Ätherleib unterzutauchen, sie können es nicht recht. Dieses Nichtzusammenstimmen dessen, was das Ich noch nicht kann und was es können sollte nach den weisen Einrichtungen des physischen Leibes und des Ätherleibes, drückt sich in der Verworrenheit der Aufwacheträume aus. In dem Aufwach­traum haben wir ein Bild, wie das Ich probiert, das, was es noch nicht ist, in einen gewissen Einklang mit dem physischen Leibe und dem Ätherleibe zu bringen. Und erst wenn es unterdrückt für das Wollen das Bewußtsein und untertaucht in die unterbewußte Region, wenn es also sich verläßt nicht auf seine eigene Weisheit, dann geht es wiederum hinein in den physischen Leib, ohne daß verworrene Vor­stellungen zustande kommen.

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Würde das Ich beim Aufwachen voll untertauchen in den physischen Leib bewußt, oder halbbewußt wie im Traume, dann würden aus dem ganzen physischen Leibe des Menschen die furchtbarsten Träume aufsteigen. Nur der Umstand, daß wir im rechten Augenblicke ins unbewußte Wollen untertauchen, dämpft die leise hinhuschenden bildhaften Träume ab, und läßt uns wiederum als ordentliche Iche und ordentliche astralische Leiber in die Region des unbewußten Wollens untertauchen. Das ist so klar für den, der unbefangen diese Dinge anschaut, daß jeder Traum dem Menschen zeigen kann, welche Disharmonie besteht im gegenwärtigen Leben zwischen dem Ich und dem astralischen Leibe in bezug auf dasjenige, was sich diese im gegen­wärtigen Leben angeeignet haben und dem vollentwickelten physi­schen und ätherischen Leibe. Da muß sich erst dasjenige, was mora­lisch sich gewoben hat, vereinigen bei dem Durchgang zwischen dem Tode und einer neuen Geburt mit dem Geistkeim des physischen Leibes. Dann wird dasjenige, was wir im jetzigen Leben zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen weben, so mächtig, daß es im nächsten Kindheitsleben, in diesem träumerischen, halb schlafenden Kindheitsleben wirklich durch die Jahre der Kindheit untertauchen kann in den physischen und in den ätherischen Leib und den dann als Werkzeug für das Erdenleben benutzen kann.

So wird man eigentlich immer mehr gewahr, wenn man den ganzen Menschen betrachtet, wie in diesem Menschen darinnensteckt das­jenige, was man in nächtlicher Ruhe und nächtlicher Finsternis in den vorigen Erdenleben gewoben hat, und wie zwischen dem Tode und einer neuen Geburt das wunderbare Gewebe des physischen Leibes hinzugefügt worden ist und dann, man möchte sagen, im letzten Augenblicke des Lebens zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, des ätherischen Leibes. Aber wir tragen in uns das Ergebnis der vor­hergehenden Erdenleben. Nur wird dasjenige, was wir da als die Kräfte des vorigen Erdenlebens unten im Organismus, im Willens-Organismus in uns tragen, fortwährend, weil die physischen Stoffe und Produkte verbrannt werden und dieses innere Feuer in uns ist, das wird immerfort von diesem Feuer zugedeckt, verbrannt. Und in­dem es verbrannt wird, wirkt es doch. Wir gehen durch unser Karma

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unseren Weg durch die Welt. Es ist ein bestimmter Weg für die ein­zelnen Erlebnisse. Während wir also von der Kindheit auf uns das­jenige auswählen, was wir aus der Umgebung nachahmen, dadurch die ersten Schritte schon zu einem Ereignis machen, das wir erst im fünfzigsten Lebensjahre vielleicht erreichen, während wir die Willens-anstrengungen machen, direkt auf dem Wege nach diesem Erlebnisse hin, wird immerfort verbrannt in uns dasjenige, was körperliche Stoffe sind.

Weil das Feuer uns unbewußt in bezug auf diesen Lebensweg macht, dadurch wird immer für unsere Innenwahrnehmung dasjenige, was ein fortlaufender Schicksalsweg ist, umgesetzt, so daß es uns vor­kommt als die augenblicklichen Begierden, Instinkte, Triebe, Tempe­ramente und so weiter. Da unten geht der schicksalsgemäße Lebens­weg. Immer sprießen die Feuer auf. Wir sehen nur die Oberfläche der Feuer. Und auf den Oberflächen des Feuers, auf den lodernden Flammen gewissermaßen, da lebt sich dasjenige aus, was wir in unseren Seelen tragen als unsere Leidenschaften, Triebe, Instinkte. Das ist nur der äußere Schein, die äußere Offenbarung für dasjenige, was in den Tiefen als das menschliche Schicksal sizt. Die Menschen beobachten die einzelnen Leidenschaften, die einzelnen Instinktäußerungen, die ein­zelnen Triebe, dasjenige, was einer im Augenblicke mag, nicht mag, was einer im Augenblicke aus Sympathie oder Antipathie ausführt oder unterläßt. Aber das ist gerade so, wie wenn wir vor uns haben etwas, und ich sage: d-e-r-g-o-t-t-l-e-n-k-t-d-i-e-w-e-l-t. Ich kann nur buchstabieren. Ein anderer kommt und sagt: Was du da gesagt hast, das sind Buchstaben, das heißt: Der Gott lenkt die Welt. -So ist es mit dem Unterschiede der gewöhnlichen Seelenwissenschaft und der Geisteswissenschaft. Die gewöhnliche Seelenwissenschaft kann buchstabieren. Sie schaut das Leben des Menschen an, findet in der Kindheit diese und jene kindlichen Instinkte, Triebe, registriert diese, wie der, der nur buchstabieren kann, die Buchstaben buchsta­biert, und so geht es durch das ganze Leben hindurch. Derjenige, der Geisteswissenschaft versteht, der liest, er sieht durch die Oberfläche der Flammen durch auf das, was unten ist, und schaut die schicksals-gemäßen Lebenswege des Menschen.

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Zwischen der gewöhnlichen Psychologie, die heute noch offiziell gang und gäbe ist, und zwischen der wirklichen Erkenntnis des menschlichen Seelenlebens ist ein solcher Unterschied wie zwischen Buchstabieren und Lesen. Aber deshalb wird man so schwer verstan­den, weil man zu dem andern nicht sagen kann, das, was er sagt, sei falsch. Demjenigen, der bloß buchstabiert: d - e - r - g -o - t - t - dem kann man doch nicht sagen: Was Du da liest, ist falsch. - Es ist ja ganz richtig. Nur weil er das noch nicht weiß, daß man das auch lesen kann, sagt er: Du bist ein verrückter Kerl, ich sehe ja nur d-e-r und so weiter. Das Zusammenfassen ist eine Narrheit. - Er kann das nicht verstehen, daß man da auch noch liest.

So muß man immer demjenigen, der die heute anerkannte Psycho­logie geltend macht, sagen: Du hast ja ganz recht. - Man sagt als Anthroposoph zum Naturforscher, zum Psychologen: Ihr habt ja ganz recht. - Man widerlegt sie nicht, man gibt ihnen recht. Er aber sagt: Wenn du von den Instinkten, von den Trieben, Leidenschaften so redest wie von Buchstaben, die du lesen kannst, dann bist du eben ein verrückter Kerl. - Das ist die Schwierigkeit. Der Anthroposoph kann sich mit den andern ganz gut verstehen, er braucht sie auch nicht zu widerlegen. Er polemisiert auch gar nicht gegen die äußere Wissen-schaft. Nur dann, wenn diese Wissenschaft anfängt, ihn einen ver-rückten Kerl zu nennen, dann muß er natürlich das geltend machen, daß das nicht stimmt, und namentlich, daß er auch das geltend läßt, was die andern gelten lassen wollen. Nur kann er nicht den Grundsatz gelten lassen, daß es alles dasjenige nicht gibt, was irgendeiner nicht sieht. Denn das ist gar kein Kriterium der Wahrheit, daß es das nicht gibt, was einer nicht sieht. Da muß er sich erst überzeugen davon, daß der andere das sieht.

Es ist schon so, daß derjenige, der auf anthroposophlschem Boden steht, auch dieses schwierige Verhältnis der Anthroposophie zu den andern Weltanschauungen durchschauen muß. Höchstens kann man manchmal das Urteil fällen, so wie man zu demjenigen, der nur gelten lassen will: d - e - r - g - 0 - t - t - wie man zu dem sagt: Du bist ein halber Analphabet -, so kann man unter Umständen zu dem, der sich gar nicht losreißen kann von dem bloßen Buchstabieren in Instinkten,

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Trieben und Leidenschaften, Temperamenten und so weiter, sagen: Du bist ein halber Banause, du bist ein halber Philister, du kannst dich eben nicht aufschwingen. - Aber man wird nicht sagen, er habe Unrecht.

Also es liegt die Sache zwischen Anthroposophie und der äußeren Weltanschauung so, daß die Verständigung erst dann möglich ist, wenn von seiten des Buchstabierenden der gute Wille entgegenge­bracht wird, lesen zu lernen. Sonst ist eine Verständigung zunächst gar nicht möglich. Daher verlaufen die gewöhnlichen Debatten so ergebnislos, und die Gegner können auch nichts einsehen. Das ver­spüren die wenigsten, die Gegner der Anthroposophie sind. Und ich muß schon, weil ich das für richtig halte, von dieser Tatsache auch hier zu Ihnen sprechen.

Die Gegner der Anthroposophie werden jetzt, ich möchte sagen, mit jedem Monat mehr. Aber weil sie eigentlich nirgends einsetzen können, weil die Anthroposophie ihnen immer recht gibt, aber sie nicht der Anthroposophie recht geben wollen, so können sie eigent­lich auch nicht das angreifen, was der Anthroposoph sagt. Daher greifen sie die Persönlichkeit an, verleumden, lügen über die Persön­lichkeit. Das ist ja die Gestalt, welche die Polemik immer mehr und mehr annimmt, leider. Das ist etwas, was man durchschauen muß, wenn man auf anthroposophischem Boden steht. Das ist so außer­ordenlich wichtig, daß man das durchschaut.

Es gibt heute schon ganz merkwürdige gegnerische Bücher. Viele von Ihnen werden die anthroposophische Literatur gelesen haben, werden finden, daß ich immer an den entsprechenden Stellen selber in meinen Büchern das sage, was man gegen irgend etwas einwenden kann. Ich polemisiere immer selber, um dann zu zeigen, wie man das, was ich geltend mache, aus der Welt schaffen kann, so daß man die Gegengründe gegen Anthroposophie bei mir in meinen eigenen Bü­chern schon finden kann. Nun gibt es heute Gegner, die beschäftigen sich damit, die Gründe, die ich selber in meinen Büchern gegen Anthroposophie angeführt habe, abzuschreiben, und das als gegne­rische Schrift gegen die Anthroposophie zu verbreiten. Sie können also heute gegnerische Schriften finden, die Plagiate sind aus meinen

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Büchern, wo einfach dasjenige abgeschrieben wird, was ich sage. Es ist dem Gegner gerade durch diesen Umstand, daß der Anthroposoph selber dasjenige geltend machen muß, was man gegen ihn einwenden kann, heute die Arbeit eigentlich furchtbar leicht gemacht.

Nun, ich sagte das alles aber nicht, um jetzt den Gegnern etwas am Zeuge zu flicken, sondern nur, um zu charakterisieren, wie man auf­steigen muß, um vom Buchstabieren des Lebens, in bezug auf die Willensimpulse, zum Lesen des Lebens zu kommen. Das Buchstabie­ren gibt dasjenige, was als Trieb, als, man möchte sagen animalisches Leben in Wünschen, Begierden, Leidenschaften heraufquillt und für den Augenblick gilt. Weiß man das alles wie Buchstaben zu behandeln und zusammenzulesen, dann dringt man bis zu dem menschlichen Schicksal vor, bis zu dem einzelnen menschlichen Schicksal. Dieses menschliche Schicksal waltet auf dem Grunde des Lebens, und mit diesem Schicksal fügt sich der Mensch in den fortlaufenden Gang der ganzen Menschheitsentwickelung ein. Und nur wenn man in dieser Weise das ganze Leben des einzelnen begreifen kann, kann man auch die menschliche Geschichte begreifen, die wir nun in den nächsten Tagen noch betrachten wollen, als das Leben der Erdenmenschheit in ihrem Schicksale vor und nach dem Mysterium von Golgatha und das Eingreifen des Mysteriums von Golgatha in die Menschheitsent­wickelung der Erde. Ich mußte aber einen Unterbau gewinnen und Ihnen zeigen, was im Menschen waltet, damit in der richtigen Weise gezeigt werden kann, wie die Götter und wie das Mysterium von Golgatha in dem Menschen, in dem Gesamtmenschenschicksal walten.

Davon sprechen wir dann morgen weiter.

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FÜNFTER VORTRAG Kristiania (Oslo), 20. Mai 1923

Man kann das Menschenwesen in der Gegenwart nicht voll beurteilen, wenn man nicht einen größeren Abschnitt ins Auge faßt, durch den hindurch sich die Menschen entwickelt haben. Denn wir müssen doch bedenken - das geht aus den übrigen Darstellungen der An­throposophie hervor, geht auch aus den Darstellungen hervor, die ich in diesen Tagen hier schon gegeben habe -, unsere Seelen machen wiederholte Erdenleben durch, zwischen denen immer das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt liegt, so daß wir durch die verschiedensten Entwickelungsepochen der Menschheit mit unse­rer Seele da durchgegangen sind. Bedenkt man dieses, so muß man sich klar darüber sein, daß man das Menschenwesen ganz nur effassen kann, wenn man einen größeren Zeitabschnitt berücksichtigt, in dem unsere Seelen wiederholt durch das Erdenleben durchgegangen sind.

Ich habe auch schon hier in Vorträgen in Kristiania über die auf­einanderfolgenden Entwickelungsperioden, wie sie im Mysterium von Golgatha vorangegangen sind, wie sie auf dieses Mysterium von Gol­gatha folgen, gesprochen. Ich muß das heute wiederum von einem gewissen Gesichtspunkte her tun. Die Menschheit hat im Laufe ihrer Entwickelung große Veränderungen durchgemacht. Das berücksich­tigt man gewöhnlich viel zu wenig. Man denkt so leicht: Nun, der Mensch ist eben so und so, und wenn man in die Vergangenheit zu­rückschaut, so ist der Mensch im wesentlichen immer so gewesen. - Man weiß, es hat eine Griechenzeit gegeben, eine ägyptische Zeit, es hat vorher andere Zeiten gegeben. Für die Zeiten, von denen man in dieser Weise spricht, denkt man, das Menschenwesen wäre eben immer ungefähr so gewesen wie heute. Man sieht hin auf Kulturentwicke­lungsimpulse, aber was die Hauptsache des Seelenlebens betrifft, so denkt man sich, wenigstens für die historischen Zeiten, die Menschen seien immer so gewesen wie heute. Allerdings, dann macht man eine große lange Pause in der rückwärtigen Betrachtung und kommt ge­wöhnlich zu dem Stadium, das man heute mit einer gewissen Vorliebe

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beschreibt, zu dem Stadium, wo der Mensch affenartig gewesen sein soll.

So wie man sich da die Menschenentwickelung vorstellt, war sie durchaus nicht. Um zu begreifen, wie sie sich verändert hat, wollen wir uns einmal vergegenwärtigen, daß in unserem Zeitalter für die ersten Lebensalter des Menschen eine verhältnismäßig große Ab­hängigkeit zwischen dem Seelisch-Geistigen, das sich in uns ent­wickelt, und dem Physisch-Leiblichen besteht.

Bedenken Sie nur einmal das erste Kindesalter bis zum Zahnwechsel hin und die große Veränderung, die jedem unbefangenen Beobach­tenden auffallen muß, die ich auch hier öfters charakterisiert habe, die mit dem Menschen vorgeht, wenn er den Zahnwechsel durchmacht. Der Leib macht den Zahnwechsel durch, die ganze Seelenverfassung des Kindes wird eine andere. Dann wiederum ist eine Lebensepoche bis zur Geschlechtsreife. Wir wissen alle, daß mit der körperlichen Entwickelung in diesem Zeitalter auch die geistig-seelische in Ab­hängigkeit einhergeht. Und wir bemerken auch für das spätere Le­bensalter bis in die Zwanzigerjahre hinein, wenn wir nur unbefangen genug dazu sind, die Abhängigkeit des seelisch-geistigen Wesens von dem Körperlichen, wenn auch heute in der Zeit der Jugendbewe­gung - wir sagen es ohne einen abträglichen Ton - gerade bei der Jugend von dieser Abhängigkeit nicht mehr stark und gern gespro­chen wird. Man denkt natürlich, man ist, wenn man so das sechzehnte, siebzehnte Lebensjahr erreicht hat, eben eine junge Dame, ein junger Mann, vollentwickelt, und wenn man dann besondere geistige Fähig­keiten sich zuschreibt, schreibt man mit einundzwanzig Jahren Feuille-tons. Aber jedenfalls, man möchte gern verwischen, daß für diese Lebensalter doch noch eine sehr starke Abhängigkeit des Seelisch-Geistigen vom Körperlichen vorhanden ist. Auf jeden Fall aber hört für den heutigen Menschen in einem gewissen Lebensalter diese Ab­hängigkeit doch mehr oder weniger auf. Der Mensch wird in den Zwanzigerjahren eben ein Erwachsener. Und dann fühlt er sich nicht mehr in der Weise von dem Körperlichen abhängig, wie sich abhängig fühlen müßte, wenn es diese Zustände mit vollem Bewußtsein durch-machte, das Kind vom Zahnwechsel, vom Heranreifen des Zahnwechsels,

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wiederum vom Heranreifen zur Geschlechtsreife und so weiter. Es war noch ein Gefühl in verhältnismäßig nicht weit zurück­liegenden Zeitaltern von diesem Heranreifen des Menschen vorhanden, indem man deutlich unterschieden hat, daß der Mensch anders be­handelt werden müsse, wenn er die sogenannte Lehrzeit durchmacht, die Gesellenzeit, und die Meisterzeit kam ja verhältnismäßig erst ziemlich spät.

Aber für den heutigen Menschen, wie gesagt, stimmt das durchaus, daß er von einem gewissen Lebensalter ab in seinem Seelisch-Geistigen sich nicht mehr stark abhängig fühlt von dem Körperlichen. Gewiß, man merkt, wenn man ein gewisses stattliches Alter schon erreicht hat, daß man dann wiederum abhängig wird von dem Körperlichen. Man merkt ja, wenn die Beine nicht mehr recht wollen, wenn Runzeln auf­treten im Gesicht, wenn die Haare sich bleichen, daß da auch eine gewisse Abhängigkeit vom Körperlichen eintritt. Aber diesem schreibt man nicht einen wirklichen Parallelismus des Körperlichen und des Seelischen zu. Man fühlt halt, daß der Körper in seinen Kräften nach­läßt, aber man fühlt, daß man im Geistig-Seelischen eigentlich doch mehr oder weniger unabhängig bleibt und bleiben müsse auch in unserem Zeitalter von diesem Körperlich-Physischen. Das war aber nicht immer so, sondern wenn wir in frühere Zeitepochen der Mensch­heitsentwickelung zurückgehen, dann finden wir, daß die Menschen bis in hohe Lebensalter hinauf so lebendig abhängig blieben von ihrem Körperlichen, wie heute das Kind vom Zahnwechsel, von der Ge­schlechtsreife abhängig ist in seinem Seelischen vom Körperlichen. Und wenn wir zuruckgehen bis in die erste Epoche, die wir nicht äußerlich historisch, aber geisteswissenschaftlich verfolgen können als die Epoche der Menschheitsentwickelung nach der großen, gewaltigen atlantischen Katastrophe, durch die sich die Kontinente auf der Erde umgelagert haben, wenn wir in diese erste Epoche zurückgehen, die ich in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» die urindische genannt habe, da fühlte sich der Mensch, so wie das Kind vom Zahnwechsel, der Jüngling und die Jungfrau von der Geschlechtsreife abhängig vom Physisch-Leiblichen bis hinauf in das Lebensalter der Fünfzigerjahre. Das heißt, wie man die aufsteigende Wachstumsentwickelung heute

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in der Kindheit miterlebt, so erlebte man die absteigende Entwicke­lung im Seelisch-Geistigen mit. Und geradeso in den Fünfzigerjahren, da war es so, daß die Menschen, wenn sie in diesem Lebensalter an­kamen, innerlich zu etwas heranreiften dadurch, daß sie einfach älter geworden sind, wie man zu etwas heranreift heute, wenn man die Geschlechtsreife erlangt hat. Und es war dies das Zeitalter, sieben-, achttausend Jahre vor dem Mysterium von Golgatha, wo der Mensch erwartungsvoll sein ganzes Leben hindurch auf dieses Älterwerden hinblickte, weil er sich sagte: Da offenbart sich mir einfach aus meiner körperlichen Beschaffenheit heraus etwas, was ich im früheren Lebens­alter, bevor ich neunundvierzig, fünfzig Jahre alt werde, einfach nicht erfahren kann. - Es ist das, was in jener Zivilisation vorhanden war, etwas, was für den heutigen Menschen natürlich furchtbar schockant ist. Man stelle sich nur heute einmal einen Menschen vor, der da doch ganz sicher glaubt, wenn er die Zwanzigerjahre erreicht hat, ist er einfach ein gemachter Mensch. Man stelle sich vor, der soll nun war­ten, daß sich ihm einfach durch das Alter später etwas enthüllt, was man vorher nicht wissen kann, was man vorher nicht fühlen und emp­finden kann!

Durch die körperliche Beschaffenheit kam man nämlich dahin, in den Fünfzigerjahren schon etwas von dem zu fühlen, was man eine Loslösung des physischen Leibes von dem Seelisch-Geistigen nennen könnte. Man fühlte gewissermaßen immer mehr und mehr, wie sich das Leibliche näherte dem Leichnammäßigen. Man fühlte in diesem Fremdwerden des physischen Leibes, in diesem Entgegengehen des physischen Leibes den Erdenelementen gegenüber, man fühlte das Freiwerden des Seelisch-Geistigen. Und gerade indem man den Leib dann wie ein Kleid fühlte, empfand man das Verwandte des Leibes mit dem Erdigen, mit demjenigen, was einmal im Tode der Erde ange­hören wird. Man war gewissermaßen weniger erstaunt als heute, daß man den Leib einmal ablegen und den Erdenmächten übergeben muß, weil man diesen Prozeß des Ablegens des Leibes langsam und all­mählich durchmachte. Das klingt paradox, weil man sich vorstellt, daß es schrecklich ist, seinen physischen Leib wie einen werdenden Leichnam an sich zu tragen. Aber so war das eben nicht, daß man ihn

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nur fühlte wie etwas, was unbequem ist, was gewissermaßen in eine Art von Fäulnis übergeht. Nein, man fühlte ihn als eine selbständige Hülle und Schale, die man aber durchaus trotz ihres Erdigwerdens lebenskräftig fühlte, aber schalenhaft, hüllenhaft wurde für diese Fünfzigerjahre der menschliche physische Leib. Dadurch aber erfuhr man etwas, einfach wegen dieser Beschaffenheit des Leibes, durch dieses Ähnlichwerden des Leibes mit dem Irdischen, was man heute nur durch abstrakte Wissenschaft erfahren kann. Man erfuhr zum Beispiel etwas über die innere Beschaffenheit der Metalle. Ein Mensch, der fünfzig Jahre alt war, hatte einen Instinkt für die Unterscheidung von Kupfer, Silber, Gold. Da fühlte er dann das Ähnliche dieser Me­talle gegenüber seinem erdigwerdenden Organismus. Er fühlte anders gegenüber einem Bergkristall als gegenüber der Ackererde. Ein Mensch wurde weise in bezug auf die irdischen Verhältnisse dadurch, daß er alt wurde. Das beeinflußte die ganze Zivilisation. War man ein Kind, so sah man zu dem altgewordenen Menschen auf und sagte sich: Wenn ich so alt sein werde wie der, so werde ich weise sein; der ist weise. - Das begründete eine tiefe Verehrung und eine ungeheure Achtung vor dem Alter.

Jene Altersverehrung und Altersachtung war in diesen alten Zeiten der Menschheitsentwickelung bei einem gewissen Teile der Erde vor­handen, allerdings nicht auf dem Teil der Erde, wo dazumal die Menschen mit der zurücklaufenden Stirne gelebt haben, die heute von den Anthropologen ausgegraben werden, wo aber die Menschen ge­lebt haben, die schon eine hohe Zivilisation gehabt haben. In diesen Gegenden der Erde war die ganze Zivilisation mit einer wunderbaren Altersverehrung und Altersachtung verbunden. Und wir müssen uns fragen: Woher kam denn das, daß der Mensch so etwas an sich durch-machte? - Ja, das kam davon, daß der Mensch gerade weniger in seinem physischen Leibe dazumal lebte, als er heute lebt. Heute kriecht der Mensch, wenn er zwanzig Jahre alt ist, in seinen physischen Leib hinein, oder ist schon ganz in seinen physischen Leib hineingekrochen, macht alle Erlebnisse dieses physischen Leibes mit. Daher fühlt er sich identisch, eins mit seinem physischen Leibe. Womit man sich aber eins fühlt, dessen Schicksal erlebt man mit. Weil in jenen alten Zeiten die

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Menschen sich viel selbständiger in ihrem physischen Leibe fühlten, ihr Denken viel bildhafter war, ihr Fühlen wie ein innerliches Weben und Leben in Realität war, deshalb war ihnen von vornherein der physische Leib etwas, in dem sie wie in einer Hülle steckten. Und diese Hülle verhärtete sich gegen das Ende des Lebens zu in den Fünfzigerjahren, und der Mensch fühlte, indem dieser Leib mehr der Außenwelt ge­mäß sich entwickelte, wie dieser Leib nun ein Vermittler von Weis­heitsinhalten über die Außenwelt wurde.

Das war anders geworden, als die Menschheit dann, die zivilisierte Menschheit der damaligen Zeit, übertrat in das nächste Kulturzeit-alter, das ich in meiner «Geheimwissenschaft» das urpersische ge­nannt habe. Da konnten die Menschen diese Abhängigkeit ihres physi­schen Leibes von dem Irdischen in den Fünfzigerjahren nicht mehr empfinden. Aber dafür empfanden sie noch in den Vierzigerjahren, vom etwa zweiundvierzigsten, dreiundvierzigsten Jahre bis zum neun­undvierzigsten, fünfzigsten Lebensjahre eine andere Beeinflussung durch das Älterwerden ihres physischen Leibes. Sie machten nämlich in dieser Zeit in einer intensiven Weise den Jahreslauf mit. Sie fühlten an ihrem Leibe Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Ihr Leib be­kam ein sprießendes, sprossendes Wesen im Frühling, Sommer, be­kam wiederum ein Wesen des Niederganges im Herbst und im Winter. Der Mensch lebte den Jahreslauf mit, die Luftänderungen. Und mit diesem Wahrnehmen der Luftänderungen, des Jahreslaufes war etwas anderes verbunden. Der Mensch fühlte dadurch, wie sein Sprechen etwas wurde, was eigentlich nicht mehr ihm gehörte. So wie man in den Fünfzigerjahren früher gefühlt hat, daß einem eigentlich der ganze physische Leib nicht mehr gehört, daß er mehr oder weniger der Erde gehört, so fühlte man in der urpersischen Zivilisations-epoche, wie der Leib eigentlich auch mit dem, daß er die Sprache her­vorbringt, dem umliegenden Volke angehört, der Umgebung ange­hört. Der Angehörige der urindischen Kultur, wenn er fünfzig Jahre alt geworden war, sagte gar nicht mehr: Ich gehe -, wenn er seine eigene Empfindung aussprach, sondern er sagte: Mein Leib geht. -Er sagte nicht: Ich gehe zur Türe herein -, sondern er sagte: Mein Leib trägt mich zur Türe herein. - Denn er empfand seinen Leib als

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etwas der Außenwelt Verwandtes, der Erde Verwandtes. Und der Angehörige dieser persischen späteren Zivilisation im fünften, sechs­ten Jahrtausend vor dem Mysterium von Golgatha, fühlte, daß die Sprache sich selber spricht, daß sie etwas ist, was er mit seiner ganzen Umgebung gemein hat. Man lebte dazumal nicht so international, sondern viel mehr im Volksgefüge darinnen, über die ganze Erde hinüber. Man fühlte, wie einem die Sprache fremd wurde, wie ge­wissermaßen: Es spricht in einem - gesagt werden konnte, wenn man seine wirklichen Empfindungen ausdrückte.

Und wirklich war es so, wenn die Leute die Vierzigerjahre erreicht hatten, dann drückten sie in einem gewissen Sinne aus, ich möchte sagen, sehr respektvoll: Göttlich-geistige Mächte sprechen durch mich. - Der Mensch fühlt auch so, als ob ihm sein Atem selber nicht mehr angehört, als ob er ganz der Umgebung hingegeben wäre. Und in den letzten Dreißigerjahren fühlte man in einer solchen ähn­lichen Weise in der ägyptisch-chaldäischen Kultur, die vom 3., 4. Jahr­tausend bis in das 8., 9. vorchristliche Jahrhundert reichte -, so ge­genüber seinen Gedanken, gegenüber seinen Vorstellungen. Nur fühlte man diese Vorstellungen, wenn das fünfunddreißigste Jahr herankam, wie wenn sie mit den Himmelsmächten, mit den Sternen-gängen verbunden wären.

Wie der Urinder seinen Leib am Ende seines Lebens verbunden fühlte mit der Erde, der Urperser seine Sprache, seinen Atem verbun­den fühlte mit dem Jahreslauf, mit der Umgebung, so fühlte der Angehörige der älteren ägyptischen, der Angehörige der alten chal­däischen Kultur, wie sein Denken von dem Sternenlauf dirigiert wurde. Und in die Gedanken herein fühlte er göttliche Sternen-mächte spielen.

Nun war es aber so, daß in der ägyptisch-chaldäischen Kultur der Mensch bis so zu seinem zweiundvierzigsten, dreiundvierzigsten Jahre diese Abhängigkeit seiner Gedanken von den Himmelsmächten fühlte. Dann trat für ihn nicht mehr etwas ein, was ihm neu war im menschlichen Lebenslauf. Das aber hatte auch schon der Urperser, daß er sein Denken wie von den Sternen ihm eingegeben fühlte; dazu bekam er in den Vierzigerjahren dann dieses Verhältnis zur Sprache,

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das ich geschildert habe. Und ebenso hatte der Urinder vom fünfund­dreißigsten Jahre an das Verhältnis zu den Sternenmächten. Daher war ihm die Astrologie etwas Selbstverständliches. Er bekam nur dazu in den Vierzigerjahren die Abhängigkeit der Sprache von der Umgebung. Und er bekam dazu in den Fünfzigerjahren das ganze Objektivwerden des physischen Leibes, das Schattenhaftwerden des physischen Leibes. Er gewöhnte sich gewissermaßen an das Sterben, weil das Sterben schon in den Fünfzigerjahren an ihn herantrat. Die Seele war nicht so verknüpft mit dem Leibe. Daher traten durch die äußeren Verhältnisse diese Veränderungen mit dem Leibe ein. Und das wurde wieder die Seele gewahr, das nahm die Seele wahr, erlebte die Seele mit. Dadurch lebte sich der Mensch, indem er älter und älter wurde, immer mehr und mehr in die Welt hinein.

Nun kam die griechisch-lateinische Zeit heran, die ja dauerte vom 8. vorchristlichen Jahrhundert bis in das 15. nachchristliche Jahr­hundert hinein, denn da waren noch immer - in den Jahrhunderten vor dem 15. nachchristlichen Jahrhundert - die Nachklänge der griechisch-lateinischen Kultur in den zivilisierten Gegenden. Da war das Zeitalter herangerückt, wo der Mensch sich noch fühlte - wir machen uns heute nach der landläufigen Historie, die wir als eine voll­ständig unzulängliche Historie in der Schule aufnehmen, von diesen Veränderungen in der Menschheitsentwickelung gar keinen Begriff -bis in die Dreißigerjahre hinauf abhängig von seinem physischen Leibe. Aber er fühlte sich jetzt, wenn wir zum Beispiel zum ealten Griechen zurückschauen, nicht mehr abbängig von den Sternen, von dem Jahreslauf, nicht mehr abhängig von der Erde, aber er fühlte sich ganz in seinem physischen Leibe noch darinnenstecken. Der Grieche fühlte einen Einklang, eine Harmonie zwischen dem Seelisch-Geisti­gen und dem Physisch-Leiblichen, nur sonderte sich das Physisch-Leibliche nicht mehr von ihm ab. Da kam die Zeit heran, wo der Mensch so mit seinem physischen Leibe verbunden wurde, daß er mcht mehr dem physischen Leibe es überließ, den Weltenlauf in seiner geistigen Gesetzmäßigkeit mitzumachen, wo der Mensch ganz und gar mit seinem physischen Leibe verbunden war. Diese Zeit trat für die Menschheit erst mit dem 8. vorchristlichen Jahrhundert ein.

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Das aber bewirkte einen großen Umschwung in der ganzen Mensch­heitsentwickelung, insofern die zivilisierte Menschheit in Betracht kommt. Der Mensch fühlte sich, wenn so die Dreißigerjahre heran­kamen, zwar eins mit seinem physischen Leibe, aber der physische Leib sonderte sich nicht mehr ab. Er fühlte sich verbunden mit ihm. Der physische Leib verriet ihm keine Weltengeheimnisse mehr. Das hatte zur Folge, daß das Menschengeschlecht gerade in diesem Zeit­alter ein ganz neues Verhältnis zum Tode gewann. In der Zeit, wo der Mensch gewissermaßen durch die Absonderung seines physischen Leibes sich auf das Sterben vorbereitete, war dieses Sterben für ihn bloß eine Verwandlung im Leben, denn er lernte in den Fünfziger­jahren das allmähliche Sterben kennen. Er empfand es als etwas, was gerade weisheitsvoll in das Weltenall sich hineinlebte. Er empfand den Tod als etwas, was ihn in die Welt hineinführte, in die er sich schon hineingelebt hatte während des Erdenlebens. Der Tod war etwas ganz anderes, als er es später geworden ist. Man möchte sagen: Immer mehr und mehr trat an den Menschen das heran, daß das Seelisch-Geistige das Sterben mitmachte.

Vergleichen Sie nur einmal die Griechenzeit mit der urindischen Zeit. Mit der urindischen Zeit machte sich der Leib selbständig. Der Mensch wußte: Ich bin noch etwas außer meinem selbständig schalen-haft gewordenen Leibe. - Er konnte gar nicht auf den Gedanken kommen, daß der Tod irgend etwas wie ein Ende sei im Leben. Diesen Gedanken gab es während der urindischen Zeit gar nicht im Menschenleben der Erde. Nach und nach erst, und am stärksten im 8. vorchristlichen Jahrhundert, sagte sich der Mensch, er sagte es sich unbewußt in der Empfindung, rationalistisch denken konnte er allerdings über diese Dinge nicht, aber im Empfindungsleben, da war es vorhanden, daß er sich sagte: Mein Körper stirbt, aber ich bin ja mit meinem Seelisch-Geistigen eins mit meinem Leibe. - Er merkte keinen Unterschied mehr des Leiblichen vom Seelisch-Geistigen.

Es kam über die Menschen der Gedanke, der in der ersten Zeit, als er auftrat, ich möchte sagen, aus dunklen Geistestiefen in der Mensch­heit im 9., im 8. Jahrhundert vor dem Mysterium von Golgatha etwas Furchtbares hatte. Es kam der Gedanke an die Menschen heran:

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Könnte denn nicht meine Seele denselben Weg machen, nämlich sterben, wie mein Leib stirbt?

Dieser für die urindische Epoche ganz unmögliche Gedanke, der kam immer mehr und mehr herauf, je mehr sich das letzte Jahr­tausend der Menschheitsentwickelung dem Mysterium von Golgatha näherte. Und aus dieser Stimmung ist so etwas hervorgegangen wie das berühmte griechische Wort, das Wort der griechischen Helden:

Lieber ein Bettler in der Oberwelt, als ein König im Reiche der Schatten. - Denn der Grieche fühlte wenigstens, daß das Leben er­starkt, auch das seelische Leben erstarkt mit dem körperlichen Leben. Das war die Zeit, in der jene Menschheitsstimmung heranreifte, die in der richtigen Weise dem Mysterium von Golgatha entgegenwuchs. Denn woher rührte denn jene Kraft in der Frischhaltung des Seelen-wesens, die den alten Menschen den Gedanken unmöglich machte, daß die Seele denselben Todesweg gehen könnte, den der Leib geht? Es machte diese Seelenfrische, diese Seelenunabhängigkeit in der Empfindung für den Menschen das aus, daß der Mensch in jenen alten Zeiten wußte, ich habe ein Leben gehabt, denn er schaute in dieses Leben hinein, das ein vorirdisches Leben war, das ich seelisch-geistig durchgemacht habe, bevor ich heruntergestiegen bin in die physische Erdenwelt. In dieser Welt, in der ich da oben war, war ich verbunden mit dem hohen Sonnenwesen.

Und die alten Mysterien bildeten ihre Lehre dahingehend aus, daß der Mensch im vorirdischen Dasein mit dem Geiste der Sonne ver­bunden ist, wie im irdischen Leben der Leib des Menschen mit dem physischen Lichte der Sonne verbunden ist. Und die Mysterienlehrer sagten ihren Schülern, und diese sagten es wieder der übrigen Mensch­heit - sie nannten das hohe Sonnenwesen noch nicht den Christus, aber es war der Christus, wir können daher heute dieses Wort ge­brauchen: Der Christus ist ein Wesen, das niemals zur Erde herunter-steigt. Aber ihr wart, bevor ihr auf die Erde heruntergestiegen seid, in der Gemeinschaft des Christus oben in den geistigen Welten im vorirdischen Dasein. Und die Kraft dieses Christus hat euch die Fähigkeit gegeben, unabhängig zu halten eure Seele von dem Leib­lichen.

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Diese instinktive Erinnerung an ein vorirdisches Dasein ging ver­loren, indem der Mensch sich immer mehr und mehr identisch mit seinem Leibe fühlte. Und im Griechenzeitalter war für den Erden-menschen eigentlich nur noch der Anblick des irdischen Lebens für seine instinktiven Bewußtseinsmächte da. Der Grieche lebte gerade dadurch dieses harmonische Erdendasein, daß ihm der Ausblick in die Himmelswelten des Geistes entschwunden war. Der Grieche er­langte so viel in der Bezwingung des Sinnlich-Physischen, daß ihm das Geistige mehr oder weniger aus dem Lebenshorizonte verschwun­den war. Nicht mehr war da das Bewußtsein für die Menschen der zivilisierten Gegenden: Wir waren, bevor wir heruntergestiegen sind, in Gegenwart des hohen Sonnenwesens, das man später den Christus nannte. - Dunkel war es, wenn man auf den vorgeburtlichen, auf den vorirdischen Zustand hinschaute. Und das Rätsel des Todes trat auf.

Dasjenige, was nun geschah, müssen wir nicht bloß als eine Mensch­heitsangelegenheit betrachten, sondern wir müssen es als eine Götter­angelegenheit betrachten. Die göttlich-geistigen Mächte, die den Menschen auf die Erde herabgesendet haben, haben ihm die Impulse dieser Entwickelung gegeben, die ich eben geschildert habe. Denn da­durch, daß der Mensch immer mehr und mehr in bezug auf sein Geistig-Seelisches mit dem physischen Leibe zusammenwuchs, sozu­sagen sein Geistig-Seelisches identifizierte mit dem physischen Leibe, so daß das Rätsel des Todes auch für das Geistig-Seelische herantrat, dadurch drohte für die göttlich-geistigen Mächte, die den Menschen auf die Erde heruntergeschickt haben, daß diesen Göttern der Mensch verlorengehen könne, daß er nach und nach auch seelisch mit seinem Leibe sterben könne.

Aber der Mensch wäre niemals ein freies Wesen geworden, ein un­abhängiges Wesen, wenn er nicht in seinen Körper hineingewachsen wäre in diesen Zeiten. Frei konnte der Mensch in der Entwickelung nur dadurch werden, daß sich ihm der Blick nach dem Vorirdischen verdunkelte, daß er gewissermaßen ganz verlassen in dem Hause seines physischen Leibes einmal auf der Erde stehen konnte. Dadurch glänzte und leuchtete sein selbständiges Ich auf. Denn das Aufleuchten dieses selbständigen Ichs kann gerade dadurch kommen, daß man

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ganz und gar in seinen physischen Leib hineinwächst. Wenn man in geistig-seelische Welten hinaufwächst, dann tritt das Ich zurück, dann geht man in das objektiv Geistig-Seelische auf. Ein freies Ich-Wesen konnte der Mensch nur werden, wenn ihm die Impulse der Götter gegeben waren, zusammenzuwachsen immer mehr und mehr mit seinem physischen Leibe. Dann aber mußte das Rätsel des Todes ein­mal auftreten, weil der physische Leib dem Tode verfallen mußte. Wenn die Menschen nicht auf eine andere Weise den Ausblick er­halten hätten, dann wäre über die Menschen auf der Erde die Über­zeugung immer mehr und mehr gekommen: Wir sterben hin mit unserem physischen Leibe auch als Seelen. - Und wir wären heute allerdings schon angekommen, wenn nun nichts anderes eingetreten wäre, wenn der geradlinige Fortlauf der Geschichte sich nur voll­zogen hätte, bei der allmenschiichen Überzeugung, daß mit dem Leibe sich auch die Seele ins Grab legt.

Da beschlossen die göttlich-geistigen Mächte, das hohe Sonnen-wesen, den Christus, auf die Erde herunterzuschicken, damit die Menschen, die nicht mehr ein Wissen von ihrer Gemeinschaft mit dem Christus im vorirdischen Dasein hatten, ein Bewußtsein von ihrer Gemeinschaft mit dem Christus haben können, der nun auf die Erde zu ihnen heruntergestiegen ist und ihr Menschenschicksal in dem Leibe des Jesus von Narzareth auf Golgatha und in Palästina über­haupt mitgemacht hat. Der Gott stieg herunter auf die Erdenwelt in dem Augenblicke der weltgeschichtlichen Entwickelung der Mensch­heit, wo die Menschen ihr Zusammengehörigkeitsgefühl für das Sonnenwesen jenseits der Erdenwelt verloren hatten.

Warum kam der Christus auf die Erde herunter? Weil die Menschen ihn jetzt auf Erden brauchten, wo sie ihr Bewußtsein zum völligen [ch-Bewußtsein durchgerungen hatten, wo sie auf der Erde erfahren mußten, daß es den Sieger über den Tod gibt, daß es den Sieger gibt, der sterben kann und wieder auferstehen. Dieses Mysterium mußte in der Geschichte vor die Menschen in dem Zeitalter hingestellt werden, in dem die Menschen nicht mehr in das vorirdische Dasein hinauf­schauen konnten, um da zu erschauen ihre Gemeinschaft mit dem Unsterblichkeitsgeber für die Menschen, mit dem Christus.

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Es ist eine Götterangelegenheit, daß der Christus von den jenseiti­gen Welten auf die Erde heruntergeschickt worden ist, nicht eine bloße Menschheitsangelegenheit. Denn den Göttern wäre das Men­schengeschlecht entsunken, wenn die Götter nicht einen ihrer Höch­sten auf die Erde heruntergeschickt hätten, um mit den Menschen, mit dem Menschenschicksal und -sein in die ganze Menschen-Welten­entwickelung ein göttliches Ereignis mitten unter die irdisch-mensch­lichen Ereignisse einzuweben. Man begreift das Ereignis von Golga­tha nicht, wenn man es bloß als ein menschliches Ereignis anschaut. Man begreift das Ereignis von Golgatha erst, wenn man es als eine Götterangelegenheit mitbetrachten kann, wenn man sieht, wie da etwas, was vorher nur in den göttlichen Welten geschaut worden ist, nun in der irdischen Welt geschaut werden konnte.

Sie werden vielleicht jetzt den Einwand erheben: Ja, aber es sind doch nicht alle Menschen Bekenner Christi geworden, und viele glau­ben nicht an den Christus. Sind die nun in der Lage, zu meinen, ihre Seele lege sich mit dem Leibe sterbend ins Grab? - So dürfen wir das Ereignis von Golgatha nicht auffassen. Für alle die Jahrhunderte, die dem unsrigen vorangegangen sind, gilt es, daß der Christus in unendli­cher gnadenvoller Barmherzigkeit nicht nur für diejenigen gestorben ist, die sich zu ihm bekennen, sondern für alle Menschen der Erde. Die Erlösung von dem Rätsel des Todes ist durch Christus für alle Erden-menschen vollzogen worden. Das ist eine Angelegenheit, die zunächst mit dem menschlichen Bewußtsein nichts zu tun hatte. Es war nur natürlich, daß sich Menschen fanden, die allmählich die Größe und Bedeutung des Mysteriums von Golgatha auch in ihr Bewußtsein aufnahmen. Aber der Christus ist für die Chinesen, Japaner, Hindus ebenso gestorben und auferstanden wie für die Christen.

Erst weil die Menschheitsentwickelung seit dem 15. Jahrhundert und jetzt immer mehr und mehr den Intellektualismus als ihre höchste Seelenkraft betrachten muß, weil der intellektualistische Impuls immer mächtiger und mächtiger gegen die Zukunft hin werden wird, sind wir jetzt in dem Zeitalter, in der Zeitepoche angekommen, wo es sich darum handeln wird, daß die Menschheit, weil es immer mehr und mehr auf ihr Bewußtsein ankommt, daß die Menschen über die ganze

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Erde hin immer mehr und mehr begreifrn lernen dasjenige, was mit dem Mysterium von Golgatha geschehen ist. Dazu allerdings wird es notwendig sein, daß eine Art und Weise der Erkenntnis des Myste­riums von Golgatha auftrete, die nun wirklich für alle Menschen auch begreiflich sein kann.

Die Art und Weise, wie das Christentum durch die bisherigen Jahr­hunderte sich entwickelt hat, hatte noch viel von der Eigentümlichkeit der alten Völkerreligionen, der alten ethnischen Religionen. Sie hatte noch nicht das Universalistische, diese christliche Entwickelung. Und die Missionare, wenn sie ausgezogen sind zu andern Bekennern, wurden wenig verstanden oder gar nicht verstanden, weil sie von dem Christus sprachen wie von einem singulären Gotte, der Eigenschaften in ihrer Darstellung, in ihrer Charakteristik hatte, wie die alten Volks­götter sie hatten. So hatte sich schließlich das Christentum auch aus­gebreitet. Sehen Sie hin, warum Konstantin, warum Chlodwig das Christentum angenommen haben? Weil sie glaubten, daß ihnen der Christengott mehr helfen kann, als ihnen ihre bisherigen Götter ge­holfen haben. Sie tauschten gewissermaßen ihre bisherigen Götter gegen den Christengott aus. Dadurch bekam der Christus viele Eigen­schaften der alten Volksgötter. Diese Eigenschaften haften dem Chri­stus durch die Jahrhunderte hindurch an.

Aber auf diese Weise konnte das Christentum auch noch nicht die universalistische Religion werden, sondern es mußte das Christentum gerade immer mehr und mehr dazu kommen, ich möchte sagen, vor dem Intellektualismus zurückzutreten. Und wir sehen manche theolo­gische Entwickelung gerade im 19. Jahrhundert, die gar nichts mehr von der übersinnlichen Art des Christus-Ereignisses verstehen konnte, wo man nur noch sprechen wollte von dem Menschen Jesus, dem man allerdings zuschrieb, daß er als Mensch über die übrigen Men­schen hinausrage. Aber man wollte nunmehr von dem Menschen Jesus sprechen, nicht von dem Gotte Christus. Von dem Gotte Christus muß wiederum gesprochen werden können, weil dieser Christus in seinem Schicksale durch das Mysterium von Golgatha auf Erden für die Menschen dasjenige dargelebt hat, was er früher für sie in Himmelshöhen war, bevor sie auf die Erde herabgestiegen waren.

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Und so müssen wir sagen: Die alter Volksreligionen waren zu­nächst örtliche Rellgionen. - Sagen wir, es wurde gebetet zu dem Gott von Theben, es wurde gebetet zu dem Gott, der auf dem Olymp war. Es waren lokale Götter da, man mußte in der Nähe des betreffen­den Ortes wohnen. Damit waren die alten Bekenntnisse von vorn­herein auf einen beschränkten Erdenkreis gebannt. Später wurden an die Stelle der lokalen Götter, die ihren Wohnsitz an einem bestimmten Orte hatten, diejenigen Götter gesetzt, die mehr an die Persönlichkeit der einzelnen Menschen, der führenden Heroen der Völker gebunden waren. Aber immerhin war noch der Gott eines Volkes entweder der noch lebende Heros des Volkes oder die nachgebliebene Seele, die Ahnenseele des Volkes. Das religiöse Bekenntnis hatte etwas Einge­schränktes.

Mit dem Christentum war eine Erdenreligion entwickelt, welche als geistiges Element so für die Erde ist, wie die Sonne als physisches Element für die Erde ist. Das Klima von der Gegend in der Nähe von Olympia ist verschieden von dem Klima in der Nähe von Theben, das Klima in der Nähe von Theben ist verschieden von dem Klima in der Nähe von Bombay. Wenn sich das religiöse Bekenntnis an die Lokali­tät anschmiegt, dann reicht es auch nicht über die Lokalität hinaus. Aber die Sonne verbreitet ihr Licht über alle Lokalitäten der Erde, scheint allen Menschen als die gleiche Sonne.

So war, als derjenige Gott Menschengestalt angenommen hatte, der seinen physischen Abglanz in der Sonne hat, dem Menschengeschlechte doch ein Gott gegeben, der für alle Menschen der ganzen Erde als Gott gelten kann. Man muß nur die Möglichkeit finden, in das Wesen dieses Christus-Gottes einzudringen, dann wird man ihn dar­stellen können als den Gott, der für die ganze Erdenmenschheit gilt. Wir sind in der anthroposophischen Lehre erst im Anfange. Wir stammeln gewissermaßen heute erst Anthroposophie. Aber Anthro­posophie wird sich immer weiter und weiter entwickeln, und ein Teil ihrer Entwickelung wird darinnen bestehen, daß sie Worte über die Darstellung des Mysteriums von Golgatha finden wird, mit denen sie zu den Hindus, zu den Chinesen, in alle Gebiete der Erde gehen kann, und das Mysterium von Golgatha so verständiich machen können wird, daß

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der Hindu, der Chinese, der Japaner nicht mehr dasjenige zurückweisen werden, was ihnen über das Mysterium von Golgatha gesagt wird.

Dazu ist aber allerdings notwendig, daß dasjenige, was christliche Tradition ist, in vollem Sinne ernst genommen werde. Durch die Jahr­hunderte hindurch band man sich mehr oder weniger an das Evan­geliumwort. Man studierte die alten Bücher und man studierte auch so, wie man sie verstand. Hier soll gewiß nichts gegen die Gültigkeit der Evangelien gesagt werden. Wir haben in unseren Zyklen über jedes der Evangelien eine besondere anthroposophische Interpreta­tion, wo versucht wird, in den Sinn, in den tieferen Sinn der Evange­lien einzudringen. Aber dennoch muß gesagt werden: Warum wird denn gewöhnlich das Wort am Ende des einen Evangeliums so wenig ernst genommen, das da heißt: «Ich hätte euch noch viel zu sagen, allein ihr könnet es jetzt noch nicht verstehen»? Und warum wird denn das andere Wort des Evangeliums so wenig ernst genommen:

«Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Erdenzeiten»? Denn der Christus hat wahr gesprochen. Er hatte den Menschen nicht nur das­jenige zu sagen, was in den Evangelien aufgezeichnet ist. In den Evan­gelien ist vom Christus-Wort dasjenige aufgezeichnet, wofür die Men­schen der damaligen Zeit, einzelne Menschen wenigstens reif waren. Aber reifer und immer reifer mußte die Menschheit in der Erdenent­wickelung werden. Der Christus blieb vom Mysterium von Golgatha an als der lebendige Christus, nicht als der tote Christus unter den Menschen. Und er ist da. Lernen wir seine Sprache kennen, dann werden wir auch wissen können, daß er da ist, daß sein Wort wahr ist: «Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Erdenzeiten.» Und seine Sprache, seine Geistsprache möchte sprechen gerade anthroposophi­sche Weltanschauung. Anthroposophische Weltanschauung möchte über die Natur, möchte über ein jegliches Wesen der Erde, möchte über den Sternenhimmel und die Sonne so sprechen, daß in dieser Sprache auch das Mysterium von Golgatha verständlich und der Christus als der immerwährend Daseiende empfunden werden kann.

Wir dürfen auch dasjenige, was wir aus der geistigen Welt mit Hilfe derjenigen Macht, die durch das Mysterium von Golgatha vom Him­mel auf die Erde herabgestiegen ist, gewinnen, nach dem Mysterium

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von Golgatha als das Wort Christi ansehen. Wir dürfen das Wort des Paulus wahrmachen: «Nicht ich, sondern der Christus in mir.» Ja, der Christus in mir als Mensch, wenn wir als Menschen sprechen von den geistigen Welten. Denn heute sind wir bereits in ein Zeitalter einge­treten, wo wir nicht einmal mehr wie die Griechen uns noch mit unserem physischen Leibe eins fühlen, aber diesen physischen Leib deutlich als einen harmonisch selbständigen fühlen. Heute dringen wir noch früher als im Griechenzeitalter in die Untergründe unseres physischen Leibes hinein, trennen uns dadurch von dem Spirituellen unserer Umgebung, können uns nur vertiefen, wenn wir die Verbin­dung mit dem Gotte suchen, der aus den Himmeln zu den Menschen herabgestiegen ist, können uns nur mit dem Gotte, der den Erdenort betreten hat verbunden fühlen, weil die Menschen nicht mehr in ihrem physischen Dasein mit ihrem gewöhnlichen Bewußtsein den Himmelsort unmittelbar betreten können. Wenn wir den Christus finden, das heißt, wenn wir uns eröffnen die geistige Welt, dann finden wir auch wiederum den Zugang zu der übersinnlichen Welt, aber jetzt nicht durch den physischen Leib, wie das in alten Zeiten der Fall war, sondern durch die erhöhte Kraft der Seele. Und diese be­kommen wir jetzt, wo der Parallelismus zwischen der leiblichen und seelischen Entwickelung in die Zwanzigerjahre nur hinaufgeht -später wird er noch weniger weit hinaufgehen -, dadurch, daß wir uns mit der Erkenntnis eines übersinnlichen Ereignisses durchdringen, nämlich des Mysteriums von Golgatha mitten unter sinnlichen Ereig­nissen der Erdenentwickelung. Alles ging auf Erden sinnlich zu. Nur im Mysterium von Golgatha mischte sich unter die Erdenereignisse ein Übersinnliches. Das kann nur durch eine übersinnliche Erkenntnis auch begriffen werden. So bekommen wir als Menschen in der Seele durch unsere Verbindung mit dem Christus die starke Kraft, ein Ver­hältnis zu der übersinnlichen Welt zu gewinnen, was die Menschen früher dadurch gewannen, daß sie noch mit ihrem physischen Leibe so verbunden waren, daß der Leib ihnen schalenartig werden konnte, daß sie noch vor dem physischen Tode das Herannahen dieses Todes verspürten und dadurch zusammenwuchsen mit dem Geiste, der in der Umgebung enthalten ist.

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Wir müssen seelisch das erreichen, was auf eine mehr durch den Leib vermittelte Art in den älteren Zeiten erreicht worden ist. Wenn wir auch noch so sehr bewundern dasjenige, was übrigens nicht aus der urindischen Zeit auf uns gekommen ist, sondern was später ge­blieben ist aus dieser urindischen Zeit in der Herrlichkeit der Veden, der Großartigkeit der Vedantaphilosophie, in dem Glanzvollen der Bhagavad Gita, so müssen wir wissen, das konnte in jenen alten Zei­ten nur dadurch errungen werden, daß der Mensch in dieser Weise, indem er ins Alter hineinwuchs, von seinem Leibe etwas Spirituelles in sich zurückgestrahlt bekam.

Der Mensch wurde sozusagen in jenen älteren Zeiten, in denen vom fünfunddreißigsten Jahre das Leben abwärts geht, entschädigt für dieses Abwärtsgehen des Leibes dadurch, daß gewissermaßen aus dem härter werdenden Leib, aus dem vertrocknet werdenden, runzelig werdenden Leib der Geist sich herauspreßte, den der Mensch wahr-nahm. Man dichtete die großen philosophischen Dichtungen der alten Zeiten nicht als Jüngling, man dichtete als weise gewordener alter Patriarch. Aber es war dieses das Ergebnis desjenigen, was man vom Leibe hatte. Wir müssen in diesem anders gewordenen Zeitalter der Menschheitsentwickelung dasjenige, was in alten Zeiten die Menschen von dem Leibe hatten, von der stärker gewordenen Seele haben. Unser Leib wird alt. Wir bleiben mit ihm verbunden. Wir lassen den Geist nicht aus ihm herauskommen, weil wir diesen Leib frühzeitig in An­spruch nehmen.

Würden wir das nicht tun, würden wir nicht freie Menschen ge­worden sein. Wir müssen das als unser rechtmäßiges Erdenschicksal hinnehmen. Aber wir müssen uns auch klar sein, unsere Seele muß darum um so stärker werden. Dasjenige, was uns gewissermaßen an geistiger Stärke, die dem schwachgewordenen Leibe in alten Zeiten entsprochen hat, nicht mehr zufließt, das müssen wir durch die eigene Verstärkung unserer Seele erwerben. Und diese Verstärkung unserer Seele ergibt sich, wenn wir wirklich in lebendigem Anschauen auf das große, gewaltige, auf das Himmelsereignis hinblicken, das mitten im Irdischen mit dem Mysterium von Golgatha geschehen ist. Im An­blicke des Mysteriums von Golgatha und im Bewußtsein, daß die

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Nachwirkung des Mysteriums von Golgatha auch unter uns lebt, im Geistig-Übersinnlichen da ist, im Anblicke dieses Ereignisses stärkt sich unser Seelisch-Geistiges, und wir kommen wiederum an die geistige Welt heran.

Ja, der Christus ist auf die Erde heruntergestiegen, damit die Men­schen ihn auf der Erde schauen konnten, als sie ihn im Himmel nicht mehr erinnernd schauen konnten. Das ist es, was eigentlich uns das Mysterium von Golgatha von dem heutigen Gesichtspunkte aus erst recht vor das geistige Auge rückt.

Die Jünger haben noch einen Rest des alten Heilsehens gehabt, konnten daher den Christus als ihren Lehrer auch nach der Aufer­stehung, wo er im Geistleib unter ihnen lebte, haben. Aber diese Kraft schwand ihnen allmählich dahin. Und das völlige Dahinschwin­den dieser Kraft wird symbolisch in dem Feste der Himmelfahrt dar­gestellt. Die Jünger verfielen in eine tiefe Trauer, weil sie meinen mußten, der Christus sei nun nicht mehr da. Das Ereignis von Gol­gatha hatten sie mitgemacht. Aber als ihnen der Christus aus dem Bewußtsein hinweggegangen war - sie sahen die Christus-Gestalt in den Wolken entschwinden, das heißt, aus ihrem Bewußtsein hin-weggehen -, mußte es ihnen vorkommen, als wenn der Christus doch jetzt nicht mehr auf Erden wäre. Da verfielen sie in eine tiefe Trauer. Und alle wirkliche Erkenntnis ist aus der Trauer, aus dem Schmerz, aus dem Leid heraus geboren. Aus der Lust wird wahre, tiefe Erkenntnis nicht geboren. Wahre, tiefe Erkenntnis wird aus dem Leid geboren. Und aus dem Leid, das aus dem Himmelfahrtsfeste für die Jünger Christi sich ergeben hat, aus diesem tiefen Seelenleide ist das Pfingstmysterium herausgewachsen. Für das äußere instinktive Hellsehen der Jünger schwand der Anblick Christi dahin. Im Inneren ging ihnen die Kraft des Christus auf. Der Christus hatte ihnen den Geist gesandt, der ihrer Seele möglich machte, sein Christus-Dasein in ihrem Inneren zu erfühlen. Das gab dem ersten Pfingstfeste in der Menschheitsentwickelung seinen Inhalt. Es folgte auf das Himmel­fahrtsfest das Pfingstfest. Der Christus, der für den äußeren hell­seherischen Anblick, wie er als Erbschaft den Jüngern aus alten Zeiten der Menschheitsentwickelung geblieben ist, trat am Pfingstfeste in

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dem innerlichen Erleben der Jünger auf. Die feurigen Zungen sind nichts anderes als das Aufleben des inneren Christus in den Seelen seiner Schüler, in den Seelen seiner Jünger. Das Pfingstfest mußte sich mit innerer Notwendigkeit an das Himmelfahrtsfest anschließen.

So sehen wir, wie das Mysterium von Golgatha in seiner Totalität sich in die Menschheitsentwickelung hineinstellt. Und so stellte es sich hinein, so wirkte es durch die Zeiten hindurch bis auf unsere Zeit. Und wie wir in würdiger Weise heute uns nähern dem, was für uns in der unmittelbaren Gegenwart, ich möchte sagen, am heutigen Tage der historischen Menschheitsentwickelung das Mysterium von Golgatha sein kann, das wollen wir aus dem, was wir in diesen Tagen betrachtet haben, herausentwickeln in dem morgigen letzten Vortrage, den ich vor Ihnen halten darf. Da wollen wir das eigentliche Pfingstmyste­rium, aber in seiner Bedeutung für die unmittelbare Gegenwart, vor unsere Seele hinstellen und damit unseren Vortragszyklus dann be­schließen.

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SECHSTER VORTRAG Kristiania (Oslo), 21. Mai 1923

Wenn wir auf die Betrachtungen zurückblicken, die wir in diesen Tagen angestellt haben, so werden sie uns die Verhältnisse vor die Seele rufen, die bestehen zwischen dem Menschen auf der einen Seite und dem Weltenall auf der andern Seite, aber auch die Verhältnisse, die bestehen zwischen dem einzelnen menschlichen Leben in einem gewissen Zeitalter und der ganzen menschlichen Entwickelung auf Erden.

Nun möchte ich heute noch einiges zu diesen Betrachtungen hinzufügen, das sie gewissermaßen abrunden wird. Sie werden entnommen haben aus dem, was ich mir erlaubte zu sagen, daß der Mensch in alten Zeiten, vor dem Mysterium von Golgatha, eigentlich viel näher der äußeren Natur und der äußeren Welt gestanden hat, als er heute steht. Heute bildet sich der Mensch nämlich ein, er stünde mit seiner Wissenschaft der Natur sehr nahe. Das tut er aber gar nicht. Der Mensch macht sich intellektuelle Gedanken über die Natur, aber die macht er sich aus äußeren Beobachtungen. Er erlebt die Natur nicht mehr mit. Denn wenn man die Natur miterlebt, wie wir es alle in früheren Erdenleben auf die Art getan haben, wie ich es gestern geschildert habe, dann lernt man in der Natur nämlich nicht jene toten Vorgänge und Wesenheiten kennen, von denen uns die heutige Naturwissenschaft ihrerseits mit Recht spricht, sondern man lernt die ganze Natur als beseelte und lebendige kennen. Für alte Zeiten war das eine Selbstverständlichkeit, überall in der Natur Wesenheiten und Vorgänge zwischen Wesenheiten zu erblicken, weil man durch solche Erlebnisse, wie ich sie gestern geschildert habe, wie man sie hatte mit dem physi­schen Leibe im hohen Alter, einen Zusammenhang hatte mit dem, was geistig-seelisch draußen in der Natur lebt. Wenn der Mensch in dieser Weise, wenn ich so sagen darf, von dem Naturgeistigen ab­hängig geblieben wäre, dann wäre er niemals das freie Wesen gewor­den, das er in der neueren Zeit der geschichtlichen Entwickelung ge­worden ist. Er wäre nicht zu seinem vollen Ich-Bewußtsein gekommen.

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Denn wenn wir heute - ganz mit Recht geschieht das - in uns selbst hineinblicken, wenn wir auch auf dasjenige blicken, was wir als Erinnerungsvorstellung haben, wenn wir auf das blicken, was wir erlebt haben, was finden wir in uns? Wir finden unser Ich, unser Ich mit seinen Erlebnissen. Wenn der alte Mensch, namentlich Tausende von Jahren vor dem Mysterium von Golgatha, in sich hineingeblickt hat, dann hat er nicht sein Ich gefunden. Er hat nicht gesagt: Ich habe vor zehn Jahren, vor zwanzig Jahren dies oder jenes erlebt -, sondern gerade in der Erinnerung wurde ihm klar, daß er sagen mußte: Die Götter haben mich dieses oder jenes erleben lassen. - Und der Mensch hat nicht gesagt: Ich in mir -, sondern er hat gesagt: Der Gott in mir. - Gerade dadurch, daß er mit seinem physischen Leibe, mit seinem Ätherleibe, mit seinem astralischen Leibe draußen die Natur­vorgänge spirituell miterlebt hat, gerade dadurch, daß er verwandter, daß er vertrauter war mit der Natur, sagte er: Der Gott in mir erlebt die Welt.

Heute ist der Mensch nicht mehr vertraut mit der Natur. Er ver­schafft sich Kenntnisse von der Natur durch seinen Intellekt. Dadurch bekommt er aber nur Kenntnis von der toten Natur. Er erlebt die Natur nicht mehr mit. Dadurch ist er fähig geworden, so recht innig zu sich Ich zu sagen, ein freies Ich-Wesen zu sein.

Das hat besonders stark Paulus empfunden, als er das Ereignis von Damaskus durchgemacht hatte. Denn Paulus war, bevor er das Er­eignis von Damaskus durchgemacht hatte, ein Eingeweihter, ein Initiierter im Sinne der alten Initiation. Er hat in den damaligen semi-tischen Einweihungsschulen dasjenige erfahren, was man in solchen Einweihungsschulen in der damaligen Zeit erfuhr. Da hatte er er­fahren, daß man den Gott, den man berechtigt ist den Christus zu nennen, nur schauen konnte im vorirdischen Dasein. Das wußte er aus seinen Einweihungsschulen.

Die Jünger und Schüler Christi, die er kennenlernte, behaupteten aber: Ja, der Christus hat unter uns in dem Menschen Jesus von Nazareth gelebt. Er war da auf der Erde. Während wir seine Zeit­genossen waren, haben wir ihn nicht nur in der Rückerinnerung im vorirdischen Dasein, sondern hier auf Erden erlebt. - Da sagte der

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Paulus aus seiner Initiation heraus: Das kann nicht sein, denn der Christus kann nur im vorirdischen Dasein geschaut werden. - Und er war so lange ein Ungläubiger und hat das Christentum verfolgt, bis er durch die Anschauung, die Imagination von Damaskus selber er­fahren hatte: der Christus lebt mit der Erde im Zusammenhange. Da hat er, Paulus, das Wort geprägt, das seither für das Christentum, für das innerliche Christentum so wichtig geworden ist, er hat das Wort geprägt: «Nicht ich, sondern der Christus in mir.»

Ja, zum Ich kommt der Mensch auf natürliche Weise von selbst. Wenn er einfach in sich hineinschaut, kommt der Mensch in der neueren Zeit zum Ich von selbst. Um wiederum zu Gott zu gelangen, muß er aus vollem Bewußtsein heraus sich mit dem Mysterium von Golgatha verbinden und sich selber sagen: Der Christus in mir. - Die alten Menschen haben gesagt: Wir waren mit dem Christus und damit mit dem Vatergotte zusammen, bevor wir auf die Erde herunterge­stiegen sind. - Der Mensch mußte nun lernen zu sagen: Der Christus ist auf der Erde. Physisch war er während des Mysteriums von Gol­gatha auf der Erde. Geistig ist er seit dem Mysterium von Golgatha immerdar mit den Menschen vereinigt geblieben auf der Erde. - Das ist auch im Christentume enthalten, wenn davon geredet wird, daß der Christus den Menschen geoffenbart habe, das Himmelreich sei nahe herangekommen. Gerade an der Auffassung dieses Spruches zeigte es sich so recht, wie die Menschen eigentlich, auch wenn sie äußerlich gläubig sind, innerlich ungläubig sind. Denn denken Sie nur, was viele moderne Theologen über dieses nahe herangekommene Himmelreich sagen. Sie sagen: Nun ja, da war der Christus eben ab­hängig von dem Urteil seiner Zeit. Man hat geglaubt, daß in einem bestimmten Zeitpunkte die Erde viel geistiger werden wird, das ist ein Irrtum des Christus. - Aber es ist ein Irrtum nicht des Christus, es ist ein Irrtum der Menschen. Die Menschen haben sich das so aus­gelegt, als ob nunmehr, nachdem das Himmelreich heruntergekommen sein sollte, die Trauben zehnmal größer wachsen, die Früchte alle zehnmal mehr wachsen, und alles auf der Erde von Milch und Honig fließt. Das hat nur der Christus nicht gemeint, sondern der Christus hat vom geistigen Reiche gesprochen, und das ist gerade durch ihn

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nahe herbeigekommen. Man darf nicht sagen: Das ist ein Irrtum, was der Christus gesagt hat, und man muß heute anders denken -, sondern man muß sagen: Wie verstehe ich das, was der Christus gesagt hat?

Es ist in der Tat für die Menschen seit dem Mysterium von Golga­tha immer notwendiger und notwendiger geworden, innerhalb des Irdischen auch das Geistige zu finden und wahrzunehmen die Richtig­keit des Ausspruches: Die geistigen Welten sind auf die Erde herab-gekommen. - Sie sind auf die Erde herabgekommen. Der Mensch muß nur den Weg finden, sie zu suchen. Um etwas zu finden von dem, was auf diesen Weg führt, möchte ich noch einmal heute eine kleine Betrachtung anstellen, welche zur Verständigung in diesen Sachen führen soll.

In jenen alten Zeiten, wo der Mensch das Ablähmen seines physi­schen Leibes in den fünfziger Lebensjahren gefühlt hat, da war auch die Zeit, in der man aus den Sternen erschaut hat das menschliche einzelne Schicksal. Seither ist alle Astrologie eine dilettantische Be­rechnung geworden. Aber in jenen alten Zeiten haben die Menschen, wenn sie fünfzig Jahre alt geworden sind, durch das Wesen ihres physischen Leibes über das Schicksal aus den Sternen etwas gewußt. Sie haben sich verwandt gefühlt mit dem Irdischwerden des physi­schen Leibes. Aber dieses Irdischwerden des physischen Leibes, dieses Erkennen der Erde durch den physischen Leib hat sie dazu geführt, das Geistige im Schicksal wiederum aus dem Lauf der Sterne zu er­kennen, so daß man auf die Sternenweisheit Jahrtausende vor dem Mysterium von Golgatha sehr, sehr viel gegeben hat.

Dann kam die Zeit, von der ich Ihnen gestern gesagt habe, daß der Mensch mehr seine Umgebung gefühlt hat, daß er auch die Sprache so gefühlt hat, daß er, wenn er in die Vierzige4ahre gekommen ist, gesagt hat: Es spricht in mir der Volksgeist, der Volksgenius spricht in mir. - Der Mensch hat die Sprache wie etwas Objektives gefühlt. Aber damit war noch etwas anderes verknüpft. Damit war verknüpft, daß der Mensch dasjenige, was gewissermaßen im Kreislaufe um ihn vorging, erlebte. Später erlebte der Mensch noch den täglichen Son­nenaufgang, den täglichen Sonnenuntergang. Er richtete sich sein Leben etwas ein nach dem täglichen Sonnenaufgang, nach dem täglichen

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Sonnenuntergange. Aber für den Jahreslauf hatten die Men­schen später nicht viel Verständnis.

Es gab nun eine Zeit um das 6., 5., 4. Jahrtausend vor dem Myste­rium von Golgatha, da lebten die Menschen nicht nur mit Tag und Nacht, da lebten die Menschen auch mit dem Jahre. Von diesem Mit-erleben mit dem Jahre ist noch manches zurückgeblieben für spätere Zeiten. Aber in voller Blüte war dieses Miterleben mit dem Jahres-lauf in der Zeit, die ich Ihnen angedeutet habe, im Orient. Gerade hier im Norden ist für viel spätere Zeiten davon etwas zurückgeblieben. Und dieses Zurückgebliebene, das fühlen Sie noch zum Beispiel in dem Olaf-Gesang, wo Olaf den Jahreslauf soweit erlebt, daß er um die Weihnachtszeit, nach der Weihnachtszeit miterlebt die geistige Welt. Denn das Olafs-Lied enthielt in Wirklichkeit das Miterleben der geistigen Welt nach der Weihnachtszeit im Jahreslaufe. Das ist, ich möchte sagen, noch eine Erinnerung an jene Blütezeit des Mit­erlebens des Jahreslaufes, wie es in sehr alten Zeiten gerade dort war, wo die höchste Zivilisation der Menschheit geblüht hat, im alten Orient. Und da hat man etwas verstanden, was später nur mehr aus der Tradi­tion heraus verstanden wurde, man hat verstanden, Feste zu machen im Laufe des Jahres. Man hat den Jahreslauf miterlebt. Wie zum Beispiel?

Man weiß heute auch nicht durch unmittelbares Erleben, sondern durch die Wissenschaft: der Mensch atmet ein, der Mensch atmet aus. Da ist die Luft dann draußen, dann drinnen in uns, da ist die Luft, die jetzt drinnen ist, dann draußen, wenn wir ausgeatmet haben. Das weiß heute der Mensch kaum mehr durch etwas anderes als durch die Wissenschaft. Er erlebt nicht mehr so Ein- und Ausatmen, wie das auch in alten Zeiten der Fall war, wo der Mensch lebendig sein Ein-und Ausatmen erlebt hat.

Aber es atmet ja nicht bloß der Mensch, es atmet, wenn auch in anderer Art, unsere Erde. Geradeso wie der Mensch ein Seelisches hat, so hat die Erde ein Seelisches. Aber die Erde atmet im Laufe eines Jahres ihr Seelisches ein und ihr Seelisches aus. Und wenn jene Winterszeit herankommt, in der das Weihnachtsfest liegt, dann ist das die Zeit, wo die Erde am meisten eingeatmet hat, wo die Erdenseele ganz in der Erde ist. Da hat die Erde in sich selber am meisten seelisches

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Leben. Und daher wird auch in der Erde das Geistig-Seelische in dieser Zeit sichtbar.

Und der Mensch erlebt dieses Eingeatmet-Haben der Erde mit, wo die Erde ihre ganze Seele in sich hat, und wo alle Elementarwesen aus dem Irdischen herauskommen können und leben mit den Bäumen, die allerdings dann von Schnee bedeckt sind, leben mit der Oberfläche der Erde, auf der das Wasser gefriert; gerade, wenn die Erde sich mit der kalten Hülle bedeckt, dann werden rege die geistigen Wesen in der Erde. Der bloße Naturalist sagt: Der Landmann sät in die Erde den Samen, der überwintert und blüht im Frühiing wieder. - Das würde alles nicht sein, wenn nicht die Elementargeister die geistige Kraft der Aussaat über den Winter hinübertrügen. Die geistigen Wesenheiten, die Naturgeister wachen am meisten dann, wenn die Erde ihre ganze Seele eingeatmet hat während der Winterszeit, wäh­rend der Weihnachtszeit. Daher wurde die Geburt des Jesus am besten verstanden dadurch, daß sie zur Weihnachtszeit, wenn die Erde ihre ganze Seele hat, sich zugetragen hat. Aber da war gewissermaßen auch schon während des Mysteriums von Golgatha nur bei wenigen Men­schen noch ein Verständnis für dieses Geistig-Seelische in der Erde während der Winterszeit.

Und ebenso wußte man in jener Zeit, daß der entgegengesetzte Zu­stand in der Hochsommerszeit vorhanden ist, in der Johannizeit, Ende Juni. Da hat die Erde am meisten ausgeatmet. Da hat die Erde an den außerirdischen Kosmos ihre Seele hingegeben. Von der Weihnachts­zeit bis zur Johannizeit nimmt man immer wahr das Hinausatmen des Seelischen in den weiten Weltenraum. Die Seele der Erde strebt den Sternen zu. Die Seele der Erde will das Leben der Sterne kennenlernen. Und die Seele der Erde ist in ihrer Art am meisten verbunden durch das Licht der Sommersonne mit den Sternbewegungen der Johanni­zeit. Das hat man in gewissen Gegenden in alten Zeiten, Tausende von Jahren vor dem Mysterium von Golgatha wahrgenommen. Das konn­te man erkennen. Und aus diesem Erkennen ging die Pflege der Som­mermysterien hervor.

In den Sommermysterien, in den Johannesmysterien, die insbeson­dere im Norden gepflegt worden sind, in den Hochsommermysterien

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suchten die Schüler der Eingeweihten unter dem Rate der Einge­weihten, ihrer Initüerten, der Erdenseele in die Sternenweiten zu fol­gen, um von den Sternen zu lesen, welche geistigen Geschehnisse, welche geistigen Tatsachen mit der Erde verbunden sind. Und wäh­rend der Zeit von Weihnachten bis Johanni verfolgt man dieses Hin­ausgehen der Erdenseele in die Sternenwelten, dieses Streben der Erdenseele nach den Sternen. Und ein Nachklang, aber ein traditionel­ler Nachklang von diesem Streben der Erdenseele nach den Sternen ist noch vorhanden in der Festsetzung des Osterfestes. Das Osterfest wird am ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmonde, also nach einem Maßstab, der den Sternen entnommen ist, festgelegt, weil man in alten Zeiten sagte: Die Seele des Menschen will der Erdenseele auf ihrem Wege zu den Sternen folgen und die Sternenweisheit als das­jenige betrachten, wonach man sich richten soll. - Daher sollte dieses Frühiingsfest, das Osterfest, zunächst festgesetzt werden nicht nach einer irdischen Angabe, nach einer irdischen Rechnung, sondern nach einer Himmelsrechnung, nach einer Sternenrechnung. Die Dinge stimmen alle zusammen, wenn man sie in der richtigen Weise zu be­trachten vermag.

So war es für das menschliche Gefühl gekommen, daß jedesmal mit jeder Frühlingszeit, als nicht mehr eine Welterkenntnis wie in den alten Zeiten da war, aber eine Sehnsucht nach dem, was die Men­schenseele von dieser Erkenntnis hatte, daß die Menschen ganz be­sonders im Frühling traurig werden konnten. Das war in den Jahr­hunderten vom 8. vorchristlichen Jahrhundert bis in das 4. nach-christliche Jahrhundert so stark gerade in den Volksgemütern der zivilisierten Gegenden vorhanden, daß die Menschen im Frühling traurig wurden über das Schicksal der Menschheit, über das kosmi­sche Schicksal der Menschheit, denn die Sehnsucht war noch vor­handen, mitzufolgen der Erdenseele, wenn diese im Frühling nach den Sternen gehen will. Nun konnte das die Menschenseele nicht mehr, die an den Körper gebunden war. Es war aus der Natur keine Mög­lichkeit zu gewinnen, jenen Aufschwung zu der Sternenwelt zu haben, der in alten Zeiten vorhanden war. Deshalb war es dem Menschen auf der andern Seite so verständlich, daß das Osterfest, das Fest, an dem

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Tod und Auferstehung Christi gefeiert werden sollten, durch das Fallen dieses Ereignisses in die Frülllingszeit, gerade eben in der Frühiingszeit stattfinden, daß dieses Fest im Jahreslaufe im Frühling sein sollte.

Und die Gottheit kam ihnen entgegen, indem tatsächlich der Tod des Christus Jesus in dem Frühling erfolgte. Aber daß man da nicht irdisch rechnen darf, das drückte sich sogar in dieser Feststellung des Osterfestes aus. Mit dem Weihnachtsfeste mußte man irdisch rechnen, denn da war die Seele der Erde ganz bei der Erde. Das Weihnachtsfest mußte man an einem bestimmten Tag festsetzen. Dem Osterfest lag etwas anderes zugrunde, das Osterfest sollte nicht nach irdischen Rechnungen festgestellt werden, sondern nach himmlischen Rech­nungen. Da konnte man nicht ein bestimmtes Datum festsetzen, son­dern man mußte jedes Jahr rechnen, wie die Sternkonstellation ist. Denn wenn wir etwas auf der Erde feststellen, wenn wir mit noch so genauen Präzisionsinstrumenten rechnen, von dem Himmel aus an­gesehen ist es immer um ein paar Tage falsch, weil die Himmelszeit anders als die Erdenzeit verläuft. Die Erdenzeit suchen wir möglichst gleichmäßig verlaufen zu lassen. Das ist gar nicht der Fall mit der Himmelszeit, die schneller und langsamer verläuft, weil sie in sich lebendig ist. Wir Menschen selber machen die Erdenzeit tot, daher verläuft sie ganz gleichmäßig. Die Himmelszeit ist lebendig, verläuft nicht gleichmäßig in sich. Und es ist eine Sehnsucht vorhanden, sich nach der Himmelszeit, nach der Sternkonstellation in der Feststellung des Osterfestes zu richten, trotzdem natürlich für irdische Verhältnisse doch der Todestag Christi auf einen bestimmten Tag gefallen sein mußte und jedes Jahr an einem bestimmten Tage gefeiert werden müßte.

Wir tun das nicht, weil wir uns im Frühling nach der Himmelszeit, nicht nach der Erdenzeit richten wollen. Eine tiefe Weisheit ist gerade in dieser Feststellung des Osterfestes. Aber die moderne Zeit denkt anders. Sehen Sie, ich saß vielleicht vor vierundzwanzig Jahren öfters mit einem sehr bekannten Astronomen jede Woche einmal zusammen. Wir hatten einen kleinen Verein. Dieser Astronom konnte nur ver­stehen, es kommt Unordnung in alle Rechnungsbücher der Erde

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hinein, wenn wir das Osterfest jedes Jahr an einem andern Tage haben. Das Osterfest muß mindestens festgelegt werden, meinte er, am ersten Sonntag des April oder muß so irgendwie abstrakt festgelegt werden. Sie wissen ja, daß es auch eine Bewegung gibt nach dieser Verab­strahierung des Osterfestes. Die Menschen wollen in ihrem Soll und Haben, auf das sie heute zu allermeist etwas geben, Ordnung haben. Da bringt jedes Jahr das Osterfest, das immerhin ein paar Tage Fest­lichkeit in Anspruch nimmt, diese Unordnung hinein. Es wäre mehr Ordnung, wenn es abstrakt auf einen Tag festgesetzt würde. Das ist aber ein äußeres Symbolum dafür, daß man das Richten nach Geistigem vollständig aus der Welt verbannen will. In diesen Dingen zeigt sich am besten, wie wir Materialisten geworden sind, wie wir das Geistige immer mehr und mehr verbannen wollen.

Aber vor allen Dingen erlebte der Mensch den Jahreslauf so mit, daß er dann, wenn er der Erdenseele gegen die Frühlingszeit hin folgte und gegen die Johannizeit in den Kosmos hinaus, daß er jedes Jahr durch dieses Folgen auch den geistigen Wesenheiten der höheren Hierarchien nachfolgen lernte und namentlich den toten Seelen nach­folgen lernte, die schon in der Welt gestorben sind. In alten Zeiten war es so, daß die Menschen sich bewußt waren, daß, wenn sie den Jahres-lauf miterleben, sie dann lernen, den toten Seelen nachzufolgen, ge­wissermaßen nachzuschauen lernten, wie es ihren Verstorbenen geht. Und die Menschen fühiten: der Frühling bringt ihnen nicht nur die ersten Blüten, der Frühiing bringt ihnen auch die Möglichkeit, nach-zuschauen bei ihren Toten, wie es diesen Toten geht. - Es war etwas Geistiges mit dem Erleben des Jahreslaufes ganz konkret verbunden. Das ist durch die Entwickelung der Menschheit auf Erden anders geworden. Die Menschen können jetzt nicht mehr mit dem Jahreslauf gehen. Warum ist dieses? Eine sehr einfache Betrachtung wird Ihnen das zeigen.

In alten Zeiten haben die Menschen wirklich sehr viel auf das ge­geben, was mit dem Irdischen, insofern das Irdische von den Sternen abhängt, zusammenhängt. Daraus sind die Menschen herausgewach-sen. Denken Sie doch nur einmal, wenn wir hier Johanni haben, wenn es sich hier also darum handelt, daß unsere Seelen folgen können

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der Erdenseele, die herausgeht, sich mit den Sternen verbindet, so haben die Antipoden, die Gegenfüßler, ihr Weihnachten. Da zieht sich die Erdenseele auf der andern Seite in die Erde hinein zurück. Sie müssen nur bedenken, in den alten spirituellen Zeiten wußte man so wenig von den Gegenfüßlern, daß man die Erde als eine Scheibe vorgestellt hat, daß man gar nicht dazu gekommen war, die Erde überhaupt rund vorzustellen, also dieses ganze Verhältnis zu den Gegenfüßlern zu haben. Die Menschheit rückt wirklich weiter in ihrem Bewußtsein. Das ganze Verhältnis zur Erde hat sich eben da­durch geändert, daß für die Erdenmenschheit die Erde rund geworden ist. Jetzt fühlt auch die Menschenseele, während im Norden die Erden-seele zu den Sternen hinausgeht, gewissermaßen sich zeigt für die geistige Anschauung wie ein Kometenschwanz, der nach dem Himmel hinaus sich zieht, zieht sich auf der andern Seite die Erdenseele zurück in die Erde, und es ist Weihnacht. Und wiederum umgekehrt, wenn hier die Erdenseele sich zurückzieht, streckt sich auf der andern Seite der Kometenschweif in den Kosmos hinaus. Das ist gleichzeitig.

Indem der Mensch dazu gekommen ist, die Rundung der Erde zu fühlen, wurde er zugleich von dem Jahreslauf unabhängig. Solange er innerhalb seiner Gegend, seiner Lokalität gelebt hat, war für ihn der Jahreslauf etwas Absolutes. Heute, wo der Mensch sich nichts mehr daraus macht, über die Erde zu reisen, fortwährend dadurch, daß er in andere Lokalitäten kommt, die Erlebnisse des Jahreslaufes zu beeinträchtigen, kann der Mensch durch dasjenige, was er äußer­lich hat, nicht mehr den Jahreslauf miterleben. Er hat auch nicht mehr jenes intensive Verständnis für die Feste. Denken Sie nur, wie wenig Konkretheit, wieviel Abstraktes heute in den Festen enthalten ist. Man weiß aus der Tradition, zu Weihnachten beschenkt man sich, und freut sich auch, daß da ein paar Tage schulfrei sind. Man sieht vielleicht zu Ostern allerlei Zeremonien, die mit dem traditionell zusammen­hängen, was ich auseinandergesetzt habe. Aber wo fühien die Men­schen heute konkret die geistige Welt mit im Jahreslauf?

Wir können heute nicht Feste aus vollem Verständnis des Jahres­laufes heraus haben. Wir müßten, so wie wir Hunger und Durst in unserem physischen Leibe miterleben, das Ein- und Ausatmen der

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Erdenseele auf der einen Seite der Erde immer miterleben; auf der andern Seite ist es eben entgegengesetzt. Der Mensch ist nicht nur persöniich für sich ein Ich-Wesen, ein freies Wesen geworden, sondern die Erde selber hat sich emanzipiert aus dem Weltenraume. Die Erde selber steht in der neuesten Zeit nicht mehr in so inniger Beziehung zu dem Weltenraume, wenigstens für die Menschheitsentwickelung, wie das in alten Zeiten der Fall war. Und so ist der Mensch immer mehr und mehr darauf angewiesen worden, in seinem Inneren das­jenige zu suchen, was er außen nicht finden kann. Dazu wird auch die Wissenschaft helfen. Und nun will ich ein ganz klein wenig etwas von der Wissenschaft sagen, was vielleicht manchen nicht interessieren wird, was aber in den ganzen Rahmen zu der Sache gehört.

Wir haben nach und nach im Laufe des Intellektuellwerdens der Menschheit eine Naturwissenschaft bekommen, die sich mit alldem beschäftigt, was außerhalb des Menschen ist. Ich will jetzt gar nicht von der Physik, von der Chemie reden, die sich ganz äußerlich nur mit dem beschäftigt, was außerhalb des Menschen liegt, ich will von der Lebenswissenschaft, von der Biologie reden. Sie beschäftigt sich in intensiver Weise mit den niederen Tieren, mit den etwas höheren Tieren bis hinauf zu den höchsten Tieren. Und wir haben eine groß­artige, bewunderungswürdige Wissenschaft über die Form der Tiere bekommen, so daß wir uns heute Vorstellungen machen können dar­über, wie sich die einzelnen Tierformen auseinander entwickelt haben. Dadurch hat sich die Darwinistisch-Haeckelsche Vorstellung ergeben, daß sich die Menschenform aus der Tierform entwickelt habe. Auf diese Weise erfährt aber der Mensch außerordentlich wenig über sich selbst. Er wird nur der Schlußpunkt der Tierreihe. Da sind die Tiere von den niedersten bis zu den höchsten, dann Schlußpunkt, der Mensch. Der Mensch lernt sich nicht als Mensch, sondern als höchstes Tier kennen. Das ist eine große Errungenschaft der Wissenschaften, nur muß man es richtig auffassen. Man muß wirklich zugeben, daß die Wissenschaft uns nichts anderes lehren kann, als was der Mensch nicht ist. Wenn das einmal Erkenntnis wird, daß die Wissenschaft sich mit dem beschäftigen muß, nicht was der Mensch ist, sondern was der Mensch nicht ist, dann wird Licht über die Wissenschaft

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kommen, dann werden wir alle die Formen studieren, welche im Tier-reiche zum Beispiel leben, auch im Pflanzenreiche leben. Und was werden wir dann sagen? Wir werden sagen: Da draußen haben wir all die tierischen Formen. Die haben wir in der Welt zurücklassen müssen, denn hätten wir sie in uns, so wären wir keine Menschen. Die Naturwissenschaft belehrt uns über das, was wir in uns haben über­winden müssen. Wir haben uns dadurch entwickelt, daß wir die Naturformen immer mehr abgestreift haben, aus uns hinausgeworfen haben und dasjenige zurückbehalten haben, was nicht Natur ist, was aus dem Seelisch-Geistigen kommt.

Wird man einmal dahin kommen, zu der Wissenschaft zu sagen:

Du bist großartig, denn du lehrst mich alles dasjenige, was der Mensch nicht ist. Ich muß also den Menschen ganz woanders suchen als bei der äußeren Wissenschaft. Ich muß gerade dadurch wissenschaftlich werden, daß ich den Menschen nicht an der Spitze der Tierreihe suche, sondern daß ich die Tiere dadurch zu erkennen suche, daß ihre For­men von dem Menschen abgestreift werden mußten, zurückgelassen werden mußten. Dann stehe ich im richtigen Verhältnis zur Wissen­schaft. - Dadurch aber ist der Mensch in die Notwendigkeit versetzt, wiederum etwas nicht durch äußere Beobachtung erkennen zu kön­nen, sondern aus dem Inneren heraus, aus dem Seelisch-Geistigen heraus. Und in dem Augenblick, wo sich der Mensch sagen wird:

Wissenschaft im heutigen Sinne gibt uns keine Auskunft über den Menschen, sondern gibt uns nur eine Auskunft über das, was der Mensch nicht ist -, in diesem Augenblick wird man auch erkennen, wie notwendig man eine Geisteswissenschaft hat. Denn die nur gibt die Möglichkeit, den Menschen zu erkennen. Sonst lernt man nur die äußere Hülle des Menschen als Schlußpunkt des Tier-reiches kennen.

Gerade das richtige Verstehen der Naturwissenschaft, gerade das richtige Stehen auf dem Boden der Naturwissenschaft macht es uns möglich, die Naturwissenschaft voll anzuerkennen als das Außer-menschliche und die Erkenntnis des Menschen auf einem andern Wege, auch in bezug auf seine physischen Eigentümlichkeiten zu schauen. Da wird man sich für den Menschen überhaupt schon eine

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geistige Beobachtung auch in der Erdenwelt aneignen müssen. Nach dieser geistigen Beobachtung muß Anthroposophie zustreben. Das kann ich Ihnen in einzelnen konkreten Fällen zeigen.

Unter dem Einflusse des materialistischen Zeitgeistes hat immer mehr und mehr die Tendenz um sich gegriffen, auch dasjenige, was man mit den Kindern in der Schule tun müsse, nach dem Körper zu richten. Man macht heute Experimente über das Gedächtnis selbst, ja sogar über den Willen und über das Denken. Ich streite nicht da­gegen, denn für die Wissenschaft ist das ganz interessant, nur pädago­gisch sich darnach richten zu wollen, ist etwas Schreckliches, denn es beweist ja, daß wir dem Menschen in seiner eigenen Wesenheit ganz fremd geworden sind, wenn wir äußerlich Experimente machen müssen, um an das Kind zum Beispiel heranzukommen. Wenn wir innerlich mit dem Kinde verbunden sind, brauchen wir doch nicht äußerlich Experimente zu machen. Aber noch einmal möchte ich be­tonen, ich richte mich nicht gegen die Experimentalpsychologie, deren Bedeutung ich ganz anerkennen will als interessant für die Wissen­schaft. Aber als Grundlage für die Pädagogik beweist Experimental­psychologie dadurch nur, wie fremd wir dem Menschen geworden sind, wenn wir äußerlich an ihm herumexperimentieren, um nun innerlich etwas von ihm zu wissen, wenn wir gar keinen innerlichen Zugang mehr zu ihm haben.

Wir müssen uns die Möglichkeit verschaffen, innerlich geistig­seelisch den Zugang zu der Menschenwesenheit zu gewinnen. Da erfährt man zum Beispiel, daß man bei dem Kinde, sagen wir so um das neunte, zehnte Lebensjahr herum, zu viel an das Gedächtnis, an das Erinnerungsvermögen appellieren kann oder auch zu wenig. Alles Agitieren, man soll das Gedächtnis nicht überlasten, kann auch dazu führen, zu wenig das Gedächtnis zu beschäftigen. Man muß überall den richtigen Mittelweg finden, nicht zu viel, nicht zu wenig das Ge­dächtnis zu beschäftigen. Denken Sie, wir beschäftigen so um das neunte, zehnte kindliche Lebensjahr das Gedächtnis zu viel, wir muten dem Gedächtnis zu viel in der Erziehung, im Unterricht zu. Die richtigen Folgen zeigen sich dann erst, wenn der Mensch dreißig, vierzig Jahre alt geworden ist oder vielleicht noch später. Da wird der

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Mensch entweder Rheumatiker oder Diabetiker. Gerade wenn wir das Gedächtnis zur Unzeit, sagen wir, zwischen dem neunten und zehnten Jahre überlastet haben, zeigt sich diese Überlastung des Ge­dächtnisses im kindlichen Lebensalter später in einer übertriebenen Ablagerung an unrichtigen Stoffwechselprodukten. Diesen Zusam­menhang durch das ganze Erdenleben sehen gewöhnlich die Menschen nicht. Dagegen, wenn wir das Gedächtnis zu wenig beschäftigen, wenn wir also nicht genügend der Erinnerung des Kindes anheim geben, rufen wir wiederum für das spätere Lebensalter die Neigung zu sehr leicht entzündlichen Zuständen aller möglichen Art hervor. Einzusehen, wie in einem Lebensalter die körperlichen Zustände Fol­gen sind der seelisch-geistigen Zustände eines andern Lebensalters, ist dasjenige, was wichtig ist, was wir wissen müssen.

Oder ich will etwas anderes sagen. Wir machen Experimente, sagen wir im volksschulpflichtigen Alter, im achten, neunten, zehnten Jahre, wie schnell die Kinder beim Lesen ermüden. Nun kann man zum Beispiel Tabellen machen: beim Rechnenlernen ermüden sie so und so schnell, beim Turnen so und so schnell, und dann richtet man den Unterricht ein nach diesen Tabellen. Diese Tabellen sind natürlich sehr interessant für die rein objektive Wissenschaft, vor der ich allen schuldigen Respekt habe. Ich bekämpfe sie nicht, aber für die Päda­gogik taugt eine solche Betrachtung gar nichts. Denn zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife, also gerade im volksschul­pflichtigen Alter, erziehen und unterrichten wir nur richtig, wenn wir uns weder zu stark an den Kopf, noch zu stark an die Bewegungs­glieder, sondern mehr an das Atmungs- und Zirkulationssystem, an das rhythmische System wenden. Wir sollen auch in das Turnen Rhyth­mus, Takt, Künstlerisches vorzugsweise hereinbringen.

Daher ist die Eurythmie ein so gutes Erziehungsmittel, weil da Künstlerisches auch in die Bewegungsverrichtungen des Kindes hin­einkommt. Ebenso sollen wir den Kopf dadurch entlasten, daß wir nicht in diesem Lebensalter schon das Kind zu viel denken lassen, sondern daß wir den Unterricht bildlich gestalten, alles bildlich an das Kind heranbringen. Dann wenden wir uns nicht an sein Nerven­Sinnessystem, auch nicht an sein Bewegungssystem, sondern hauptsächlich

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an das rhythmische System. Das ermüdet aber nicht. Denken Sie nur, unser Herz muß die ganze Nacht klopfen, auch wenn wir sonst ermüdet sind und uns ausruhen. Unser Atmen muß unermüdlich zwischen Geburt und Tod vor sich gehen. Von Ermüdung kann nur die Rede beim Bewegungssystem sein. Von Ermüdung ist allein beim Nerven-Sinnessystem zu reden. Das rhythmische System ermüdet nie. Daher muß man in der Zeit, wo das Kind gerade die wichtigsten Dinge für die Seele aufnehmen muß, den Unterricht so einrichten, daß man überhaupt sich an diejenigen Kräfte des Kindes wendet, die nicht ermüden. Allein, wenn man ausrechnet, das Kind ermüdet bei dem und dem so und so viel, so beweist man nur wissenschaftlich, wie man es falsch gemacht hat. Wenn man sich nach der Skala richtet, so richtet man die Unterrichtsmethoden nach dem Falschen ein, nicht nach dem Richtigen. Man muß wissen, das Nichtmenschliche wird einem eigent­lich klar durch Experimentalpsychologie, das Menschliche muß man innerlich erkennen.

Auf diese Weise wird eine seelisch-geistige Betrachtung auch wie­derum in die Medizin eindringen. Da war sie auch in alten Zeiten darinnen. Da war sie in den alten Zeiten so darinnen, daß überhaupt Heilen und Erziehen im Grunde genommen dasselbe Wort bedeutete. Man nahm den Menschen, wenn er in die Welt hereinkam, so, daß man ihn heilen mußte. Erziehung war Heilung. Das wird erst wieder­um möglich sein, wenn die geistig-seelische Erkenntnis so weit ist, daß sie solche Dinge auch im Tieferen überschaut. Wie ich gesagt habe, zu geringe Belastung des Gedächtnisses ruft später entzündliche Zustände hervor, zu starke Belastung auf der andern Seite Stoff-wechselablagerungen.

Schaut man so hinein, was das Geistig-Seelische im Physischen tut, so findet man es auch noch tätig in der einzelnen Krankheit. Und dann lernt man umgekehrt den Kosmos kennen, wie sich die Stoffe im Kosmos geistig verhalten. Dann findet man die Therapie zu der Pathologie. Da ist man ganz erfüllt von dem Gedanken: wir sind seit dem Mysterium von Golgatha darauf angewiesen, an das Innere der Seele zu appellieren. Wir können nicht mehr aus unserer Umgebung das Geistig-Seelische schöpfen. Rechnen wir auf die Umgebung,

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gehen wir in den anatomischen Hörsaal, dann kommt dasjenige zu­stande, was wie ein Notschrei auf einer der letzten Medizinerver­sammlungen der Welt zutage getreten ist. Aus der Not der Zeit heraus erhob ein Mediziner den Ruf: Gebt uns Leichen, dann werden wir weiterkommen in der Medizin. Gebt uns Leichen. - Gewiß, das ist für die heutige Zeit ganz berechtigt, und ich streite wieder nicht gegen diesen Ruf nach Leichen. Aber der wird nur in der richtigen Weise eine Folge haben, wenn auf der andern Seite der Ruf ertönt: Gebt uns die Möglichkeit, hineinzuschauen in das Seelisch-Geistige, wie das den Leib immerfort aufbaut und immerfort zerstört.

Das hängt aber mit dem richtigen Verständnis des Mysteriums von Golgatha zusammen. Denn der Christus hat schon gewollt, daß wir wiederum verstehen, von innen heraus zum Heilen zu kommen. Des­halb hat er den heilenden Geist geschickt. Dasjenige, was er ver­pflanzen wollte in die Menschheit, war zugleich dasjenige, was auch physische Wissenschaft, aber physische Wissenschaft vom Geist aus bringt. Verstehen wir daher den Christus recht, indem wir auch das in der richtigen Weise auffassen als ein Wort des Evangeliums: Wer immerfort auf der Zunge den Ruf führt «Herr, Herr» oder «Christus, Christus», der braucht noch nicht ein richtiger Christ zu sein. - Der Anthroposophie wirft man oftmals vor, daß sie weniger als die äuße­ren Religionsbekenntnisse von Christus spricht. Ich sage dann oftmals zu denjenigen, die der Anthroposophie vorwerfen, daß sie weniger von dem Christus spricht: Aber es gibt ein altes Gebot, das auch von den Christen anerkannt wird, aber beim ewigen Reden von dem Christus nicht berücksichtigt wird: «Du sollst den Namen deines Gottes nicht eitel aussprechen.» Das ist eines der Zehn Gebote.

Wer immerfort von dem Christus nur spricht, ihn immerfort im Munde führt, sündigt wider die Heiligkeit des Christus-Namens. Anthroposophie möchte in alledem, was sie tut und ist, christlich sein. Daher kann man ihr den Vorwurf nicht machen, daß sie zu wenig von dem Christus spricht, denn das Bewußtsein, daß der Christus lebt, ist in allem, was sie bringt. Und sie will nicht immer «Herr, Herr» auf den Lippen führen, sie will um so mehr christlich sein, je weniger sie fortwährend von Christus reden will.

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Wir müssen uns gerade in echt christlichem Sinne wiederum ein Verständnis dafür erwerben, in das ganze soziale Leben etwas herein-zunehmen, was geistig ist. Wir müssen von innen heraus zu etwas Geistigem, was, ich möchte sagen, auch unter uns lebt, kommen kön­nen. Und dazu wird die Menschheit Gelegenheit haben, wenn sie dar­auf hinarbeitet - das kann nicht an einem Tage geschehen, gerade solche intimen geistigen Dinge können nicht an einem Tag ge­schehen -, nun rein aus dem inneren Geistigen heraus etwas auch in bezug auf das Zusammenleben der Menschen wiederum zu entwickeln.

Betrachten wir einmal das Osterfest. Durch das Osterfest stellte sich der Christus Jesus gnadenvoll in die Menschheitsentwickelung hinein, indem er der Menschheit in der Zeit, wo das Rätsel des Todes besonders stark an sie herangetreten ist, sich als den Unsterblichen enthüllt hat, der gewissermaßen das Vorbild des Menschen ist, des unsterblichen Menschen, der durch den Tod geht und die Aufersteh­ung finden mußte. Das versteht man noch aus alten Zeiten. Das vor­geburtliche Leben verstand man. Den Tod sah man auf der Erde, die Auferstehung sollte man sehen an dem Christus Jesus. Aber der Christus Jesus hat auch das Pfingstgeheimnis folgen lassen. Er hat dem Menschen den Geist, den heilenden Geist geschickt, er hat damit angedeutet, daß der Mensch aus sich heraus das Christus-Erlebnis haben soll. Das kann er nun nur haben, wenn er auf dem umgekehrten Wege gehen kann, zuerst die Auferstehung zu erleben und dann nach der erlebten Auferstehung in der richtigen Weise den physischen Tod durchzumachen, das heißt, innerlich die Seele auferstehen zu lassen. Zwischen der Geburt und dem Tode durch die volle Belebung des Verhältnisses zum Mysterium von Golgatha die Seele zu einer höhe­ren Lebendigkeit zu erheben, damit diese Seele aus der geistigen Auf­erstehung in sich erfühlt: Ich gehe als ein Auferstandener durch den irdischen Tod. - Daß die Götter für den Menschen gesorgt haben, da­mit er seine Unsterblichkeit nicht verliere, das wird durch die Reihenfol­ge Tod und Auferstehung am Osterfrst vor die Menschheit hingestellt.

Aber jetzt stellen wir uns einmal vor: Wenn der Mensch geistig ebenso regsam empfindet, wie er im Frühling das Sprießen und Spros­sen der jungen Pflanzen empfindet, das Hervorkommen der Blüten,

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das Grünwerden der Bäume, das Regsam- und Lebendigwerden der ganzen Natur, wie er da durch sein Physisches mit der ganzen Natur lebendig werden kann, wenn er nun ebenso, nachdem er durch die Hochsommerzeit durchgegangen ist und der Herbst wiederum kommt, empfinden kann, wie die Natur abstirbt, wie das äußere Physische in den braunwerdenden Blättern, in den welkenden Pflanzensprossen, in dem Trockenwerden der Früchte, die aufbewahrt werden müssen -wenn der Mensch das ebenso durchlebt, aber jetzt durchlebt, wie in diesem Zugrabetragen der Natur gerade das Geistige aufsprießt, das am meisten dann verbunden sein wird mit dem Irdischen zur Hoch-winters- oder Tiefwinterszeit, zur Weihnachtszeit, wenn der Mensch das Herannahen des Herbstes ebenso festlich wird begehen können einmal, wie er den Frühling im Osterfeste begehen kann, wenn er ebenso festlich empfinden wird wie zu Ostern Grablegung, Tod und Auferstehung, so Auferstehung der Seele bei der Grablegung der Natur, um dann recht entgegenzutreten der irdischen Grablegung, dem irdischen Tode, wenn er im Herbst an der Natur die umgekehrte Folge fühlen lernt: Auferstehung, Tod, wenn aus seiner Seele heraus er das Fest schafft, das ebenso sich verhält zum Osterfeste, wie die Herbstessonne zur Frühlingssonne, dann wird der Mensch auch aus dem heutigen Geiste die Kraft gewonnen haben, ein Fest sich zu geben.

Wir müssen nicht nur trachten, das Bewußtsein vom Inhalte der Feste nicht immer mehr und mehr zu verlieren, so daß wir gar nicht mehr wissen, warum wir Ostern am ersten Sonntag nach dem Früh­lingsvollmond ansetzen sollen. Wir dürfen nicht sagen: Wir haben eben Ostern; das war immer so. Machen wir es am bequemsten, am ersten Sonntag nach dem ersten April, ganz abstrakt! - Wir müssen wiederum fühlen lernen: Wir brauchen einen Zusammenhang des Menschen mit dem Kosmos. - Wie wir die aufgehende und die untergehende Sonne haben, so brauchen wir, wenn wir zu Ostern feiern Tod - Aufrrstehung, im Herbste Auferstehung - Tod: Auf­erstehung des Menschen innerhalb der totwerdenden Natur.

Das werden wir gegenüber dem Jahresablaufe aus geistig-seelischen Untergründen heraus nur in der richtigen Weise fühlen lernen, wenn wir eine Tatsache der geistigen Welt uns vor die Seele führen, die ich

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in früheren Jahren auch hier öfters besprochen habe. Wir wissen, daß im Alten Testamente, wenn von Jahve oder Jehova gesprochen wurde, gerade diejenigen, die um die Geheimnisse der geistigen Welt wußten, sagten: Jahve steht im Hintergrunde, aber de4enige, der seine Taten auf Erden ausführt, das ist der Archangelos Michael. -Nun ist die Menschheitsentwickelung so, daß tatsächlich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts diese geistige Wesenheit, die traditionell mit dem Namen des Erzengels Michael bezeichnet wird, eine besondere Belebung ihrer Betätigung, ihrer Aktivität erfahren hat. Sozusagen ist dieser Erzengel Michael seit den siebziger Jahren des vorigen Jahr­hunderts in der Erdensphäre tätig. Die Menschenseele bemüht sich im Frühling, der ausgeatmeten Erdenseele zu folgen, die den Kosmos aufsucht, aber sie gelangt nicht dahin. Die Menschenseele ist unter der Einwirkung des Freiheitsgefühls, des Ich-Bewußtseins gegenüber den Himmelshöhen ohnmächtig geworden. Wenn aber der Herbst heran­kommt, dann kann die Menschenseele fühlen, wenn sie richtig fühlt, wie Michael herunterkommt und Michael besonders in Vertretung des Christus im Herbste der Mitarbeiter des Menschen wird.

Wenn die Blätter welk werden, braun werden, wenn sie herunter-fallen von den Bäumen, wenn die Natur hinstirbt, dann fühlt man an dieser Herbstesnatur, wie Michael aus den Höhen, die man nicht mehr mit der Menschenseele erreichen kann, herunterkommt, um in Stell­vertretung des Christus, den er zu Weihnachten bringen wird, Helfer der Menschen durch die Herbstesnöte zu werden. Dann fühlt man die Möglichkeit, in den Jahreslauf ein Fest hineinzubringen, das die Men­schen eint aus ihrem Willen heraus, das die Menschen wiederum aus dem geistigen Bewußtsein heraus sich festsetzen. Im Kalender steht es aber wie eine Prophetie, wie eine Andeutung: Ende September das Michael-Fest. Richtig verstanden heißt das: Menschen, verstehet auch noch Feste zu machen! Verstehet, dem Osterfest, als dem Fest des Aufganges, das Michael-Fest Ende September als das Fest des Unter­ganges entgegenzusetzen! - Wahrhaftig, wenn die Menschen zu einem solchen geistigen Entschlusse kämen, etwas festzusetzen, was aus geistigen Welten in das soziale Leben hereingesetzt wird, würde es für dieses soziale Leben ein Ungeheures bedeuten.

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Ich weiß, das materielle Bewußtsein wird das als etwas Phantasti­sches ansehen, wenn irgendwelche sektiererische Menschen, wie man sagen wird, ein Herbstesfest, ein Michael-Fest anstreben. Derjenige aber, der in die Tatsachen der Welt wirklich hineinsieht, weiß, daß stärker auf den sozialen Ausgleich, für den sozialen Fortschritt, als alle soziale Agitation, die heute durch die Welt geht, die Tatsache wirken wird, dieser Willensentschluß, daß die Menschen als eine rein geistige Angelegenheit eine Herbstesfeier ansetzen zum Zeichen dafür, daß sie zwischen Geburt und Tod eine Erweckung der Seele anstreben wollen, eine Auferstehung der Seele, auf die dann ein physischer Tod in der richtigen Weise folgen kann. Geistiges wiederum zu wollen in der physischen Welt, darauf würde es ankommen. Und dieses ist wahr­haftig am leichtesten gerade hier in diesen Gegenden zu verstehen.

Ich darf vielleicht heute daran erinnern, womit ich bei meiner letz­ten Anwesenheit hier in Norwegen gerade geschlossen habe. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, wie die ganzen Naturverhältnisse, wie all das Verhältnis, in dem der Mensch hier zu der Natur steht, die Menschenseele veranlaßt, wenn sie durch den Tod hinausgeht, Natur-lehrer der Menschenseelen zu werden nach dem Tode. Die Norweger werden, sagte ich, die Naturlehrer der Menschen in der geistigen Welt nach dem Tode. Diejenigen, die damals bei diesem Vortrage waren, werden sich erinnern, wie ich diese spirituelle naturwissenschaftliche Mission den Menschenherzen hier im Norden nahegelegt habe. Nahe­gelegt habe, daran zu denken, daß der Norweger durch sein Ver­hältnis zu Felsen und Meer, zu der ganz besonderen etwas spärlichen Natur im Geiste ein so inniges Verhältnis zur Natur hat, daß er allen andern Menschen der Erde nach dem Tode gerade über die Natur ein Wesentliches sagen kann. Das durfte ich dazumal sagen.

Dem geht aber parallel ein anderes. Dem geht parallel hier etwas, woran wir uns vor vielen Jahren zusammen hier erinnert haben, als wir allerdings noch ein kleineres Häuflein waren, wo wir uns erinner­ten daran, daß aus dem vollen Bewußtsein der Menschen heraus nach dem Mysterium von Golgatha immer mehr und mehr entstehen muß wiederum ein geistiger Zusammenhang der Menschen mit dem Wel­tenall, wie er in jenen alten Zeiten vorhanden war, wo die Menschen

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hinter den Naturerscheinungen und Naturgestalten überall die geisti­gen Wesenheiten, von den Elementarwesen bis hinauf zu den höch­sten geistigen Weseniieiten verspürt haben, wo die Menschen noch gewußt haben, was sie zu empfinden haben, wenn sie zu dem Blitz aufschauten. Wissen wir denn das heute?

Ja, wir wissen es so genau aus der Physik. Wir wissen aus der Phy­sik, da entlädt sich in der Luft Elektrizität und sendet den Blitzfunken durch die Luft. Wir wissen das sehr genau aus der Physik, wenn wir die einfachen physikalischen Instrumente in den Laboratorien haben. Die reiben wir mit dem Lappen und lassen dann den kleinen Blitz-funken überspringen. Und jetzt legen wir uns das so aus: Da oben springt der große Blitzfunke über. - Nur schade, daß unter Um­ständen einmal ein kleiner Junge kommen könnte und könnte denken:

Der Lehrer wischt ja alles so sorgfältig ab an den Elementen, wenn er den kleinen Blitzfunken da überspringen lassen will. Wenn die Glas-stange naß ist und der Konduktor naß ist, geht das nicht mit dem Blitzfunken. Aber da oben, da sind die Wolken alle ganz naß. Da soll das so gut gehen, was im Laboratorium so schlecht geht! Ich kann eigentlich nicht glauben, daß da oben der große Funke bloß beim Nassen springt, während hier unten nicht einmal der kleine Funke beim Nassen springt. Es muß doch etwas anderes sein, und vielleicht wissen wir die Sache doch nicht so genau nach dem, was wir in der Physik erleben.

In der Tat, als man die geistige Wissenschaft, wenn auch auf in­stinktive Art noch hatte, drückte man das noch anders aus. Da drückte man das so aus, daß man sagte: So wie der Mensch spricht, so wird im Weltenall draußen gesprochen, und das Wort gliedert sich zusammen zu der Wortsynthese. Das Viele, das als Logos draußen ertönt, klingt durch die Welt zuweilen zusammengezogen als Tao. Dann hat Thor mit seinem Hammer geschlagen. Dann hat das Weltenwort sich syn­thetisch zusammengezogen. Dann zeigt sich das, indem wir den Don­ner hören. Dann aber hilft auch der andere Gott, welcher der Licht-gott ist.

Eben anders ausgedrückt, geistig ausgedrückt war das in der Art, wie wir es nicht mehr ausdrücken können. Wir müssen anthroposophisch

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sprechen, aber wir sprechen wiederum geistig. Dazumal wußte man: Wenn wir den Blitz sehen und den Donner hören, dürfen wir es nicht erklären bloß von der Erde aus, sondern dann zeigt sich uns etwas, was jenseits des Irdischen in das Irdische hereinwirkt und sich offenbaren will, was also gerade auf die entgegengesetzte Art sich offenbart, wie hier die Dinge auf Erden entstehen. - Da ge­statten Sie mir noch einmal eine naturwissenschaftliche Bemerkung. Jeder Mensch weiß aus der Physik, wenn man ein Licht anzündet, da nimmt die Stärke des Lichtes nach allen Seiten ab. Man hat eine Formel: Mit dem Quadrat der Entfernung nimmt die Lichtstärke ab. -Man weiß auch, daß die Schwerkraft mit der Lichtstärke abnimmt. Aber eines weiß man nicht, daß die Richtigkeit der Naturgesetze mit der Entfernung abnimmt, daß unsere Erdennaturgesetze nicht mehr gelten, wenn wir in den Weltenraum hinauskommen. Man hat nicht den Mut, das Gesetz des Lichtes, das Gesetz der Schwere auch auf das Gesetz des Intellektes anzuwenden. Die Richtigkeit unserer Natur­gesetze, die wir hier auf Erden erforschen, nimmt ab mit dem Qua­drate der Entfernung, mit dem wir uns in den Weltenraum hinaus-versetzen. Ich weiß, was für eine ungeheure Ketzerei das ist. Es ist heute keine Ketzerei, zu sagen: Das Licht nimmt so ab, die Schwere nimmt so ab. - Aber es ist eine Ketzerei, demjenigen, der im Labo­ratorium forscht und dort seine chemischen, seine physischen Ge­setze aufsucht, zu sagen: Dasjenige, was du da erforschst, nimmt ebenso in die Entfernung hinaus ab, wie das Licht in seiner Stärke, indem es sich ausbreitet, immer schwächer wird. - Draußen gelten dann in einer gewissen Entfernung die hiesigen Naturgesetze gar nicht mehr. Was du da in deiner Leidener Flasche hast, dieses Über­springen des Funkens, das magst du auf Erden ganz gut in Naturge­setze hineinzwingen, da draußen gilt es nicht mehr, so wie das Licht mit der Stärke abnimmt.

Wir müssen nach dem Mysterium von Golgatha aus dem Inneren heraus wiederum die Möglichkeit finden, zum Geistigen zu kommen. Das deuten die alten Initiierten zuweilen an, indem sie die Menschen aufmerksam darauf machten: Ja, jetzt hat noch die Menschheit ein instinktives Heils ehen. Sie sieht in den Geist hinein. Aber die Menschheit

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wird sich ein freies Bewußtsein erringen, wird nicht mehr in den Geist hineinsehen. Dann muß durch innere Schulung des Geistes, durch Erkraftung des Geistes, durch Geisteserkenntnis und Geistes­wissenschaft die Menschheit wiederum zum Geiste kommen. Dann wird der Gott wieder erscheinen.

Götter von der Art werden wieder erscheinen im Gefolge des Chri­stus, wie sie anfangs vor dem Mysterium von Golgatha ohne den Christus da waren. Vor dem Mysterium von Golgatha hat die Mensch­heit die beseelte, durchgeistigte Natur geschaut. Nach dem Mysterium von Golgatha muß die Menschheit darnach streben, daß die beseelte, durchgeistigte Natur die Gefolgschaft des Christus bildet, daß die Naturgeister alle gesehen werden in der Gefolgschaft des Christus, denn ohne ihn können sie nicht gesehen werden. Das aber ist ange­deutet gerade hier, indem hingewiesen wird das Volk hier darauf, daß aus der Schar der alten Geistwesen Widar wieder erscheinen werde in neuer Gestalt, Widar, nachdem er sich selber zum Christentum be­kehrt hat, wieder erscheinen wird aus der Schar der alten Gotteswesen. Daran haben wir uns vor vielen Jahren erinnert. Und darnach haben dann unsere nordischen Freunde hier ihren Zweig genannt.

An eine Erinnerung, an eine gemeinsame Erinnerung knüpfte an dasjenige, was hier der Zweig geworden ist. Mögen solche gemein­samen Erinnerungen, meine lieben Freunde, immer rege sein bei uns, möge so, wie dasjenige, was zum Zweignamen geführt hat, aus einer gemeinsamen Erinnerung gekommen ist, möge so auch dasjenige, was wir immer bei solchen Zyklen durchleben, zur gemeinsamen Er­innerung, das heißt, zum gemeinsamen Leben werden. Mögen wir so zusammenleben in der Pflege des anthroposophischen Lebens. Das möchte ich in den Abschiedsgruß gießen, den ich Ihnen nunmehr sagen muß, in den Abschiedsgruß das gießen, daß ein lebendiges Er­innern immer mehr auferstehen möge in unseren Seelen und dadurch auch ein rechtes Pfingstbewußtsein immer da sein möge. Und mögen wir so im Geiste beisammen bleiben im gemeinsamen Wirken an dem spirituellen Fortschritt, an der spirituellen Entwickelung der Mensch­heit. Durch solche Gemeinsamkeit wird die Menschheit nach und nach stark werden, um dem Geiste wieder eine Heimat auf Erden zu

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bereiten. Möge auch dasjenige, was wir gemeinsam denken konnten in diesen Tagen, ein wenig dazu beitragen, keimhaft nur dazu bei­tragen, Kraft zu sammeln als einen Teil jener großen Kraft, die not­wendig sein wird, um dem Geiste wiederum auf Erden eine Heimat zu bereiten. Das möchte ich Ihnen heute am Schlusse unseres Vor­tragszyklus ins Herz schreiben und Sie versichern, daß im Hinblicke darauf, daß Sie wiederum gerne aufnehmen wollten dasjenige, was ich Ihnen in diesen Tagen zu sagen hatte, es mir eine tiefe Befriedigung gewährt, daß ich wiederum einige Tage unter Ihnen, meine lieben norwegischen Freunde, habe weilen dürfen, und daß auch bei mir dies wiederum der Ausgangspunkt sein wird, recht, recht viel an dasjenige zu denken, was wir hier gemeinsam haben besprechen können und was wir weiterhin zusammen gemeinsam erleben werden. So können wir im Geiste zusammenbleiben, wenn auch durch die irdischen Ver­hältnisse der Raum uns immer wieder und wieder trennen wird.

In diesem Sinne möchte ich mit innigster Befriedigung gegenüber der Aufmerksamkeit, die Sie den Vorträgen zugewendet haben, und in der Hoffnung, daß Erinnerung daran bleibe, Ihnen in diesem Augen­blicke meinen herzlichsten Gruß sagen.

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SIEBENTER VORTRAG Kristiania (Oslo), 17. Mai 1923 Welten-Pfingsten, die Botschaft der Anthroposophie

Wenn man in der Entwickelungsgeschichte der Menschheit zurücksieht, so fallen einem größere und geringere Ereignisse auf, die in das Leben der ganzen Menschheit eingegriffen haben. Das größte von allen diesen Ereignissen ist dasjenige, welches wir bezeichnen als das Mysterium von Golgatha, durch welches das Christentum in die Menschheitsentwickelung eingegriffen hat. Dieses Mysterium von Golgatha ist in der Zeit, in der es geschehen ist, ganz anders verstan­den worden als in späteren Zeiten, und in unserer Zeit muß es wieder­um neu verstanden und begriffen werden. Dieses Mysterium von Gol­gatha richtig im Sinne unserer Zeit zu verstehen, ist die Aufgabe der Anthroposophie.

Wir müssen uns in ältere Zeiten zurückversetzen, in denen die Men­schen ein ganz anderes Bewußtsein hatten als heute. Wenn wir uns drei, vier Jahrtausende zurückversetzen, hatten die Menschen ein in­stinktives Bewußtsein davon, daß sie, bevor sie heruntergestiegen sind auf die Erde in einen physischen Körper hinein, in der geistigen Welt gelebt haben. Jeder Mensch wußte dazumal, daß ein seelisch-geistiges Wesen in seinem Inneren ist, das von den göttlichen Mäch­ten in das Erdendasein heruntergeschickt worden ist.

Die Menschen hatten dazumal auch ein anderes Bewußtsein von dem Tode, denn, indem sie zurückschauen konnten in der Erinnerung auf ihr geistig-seelisches Dasein vor dem Erdenleben, wußten sie, daß das, was vor dem Erdenleben von ihnen gelebt hat, auch über den Tod hinaus lebt.

Es gab dazumal Lehrschulen, die zu gleicher Zeit religiöse Anstal­ten waren; Mysterien nennt man sie. In diesen Lehrschulen und reli­giösen Anstalten wurden die Menschen über dasjenige belehrt, was sie über das Leben wissen konnten, bevor sie heruntergestiegen sind zur Erde. Und die Menschen lernten dadurch kennen, daß sie vor dem Erdendasein so gelebt haben unter Sternen und geistigen Wesen, wie sie auf der Erde unter Pflanzen und Tieren und Bergen und Flüssen leben

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Der Mensch sagte sich: Ich bin aus der Sternenwelt herunterge­stiegen zum irdischen Dasein. - Aber er wußte, daß der Stern nicht bloß physisch ist, sondern daß jeder Stern von geistigen Mächten be­wohnt ist, mit denen er in der geistigen Welt im Zusammenhang war, bevor er zur Erde heruntergestiegen ist. Der Mensch wußte, daß wenn er seinen physischen Körper im Tode ablegen mußte, er wiederum in die Sternenwelt, das heißt, in die geistige Welt zurückzukehren habe. Und als den wichtigsten der Sterne sah man die Sonne an, die Sonne mit ihren Wesenheiten, unter denen die höchste diejenige war, die man das Hohe Sonnenwesen nannte.

Aus den Mysterien kam den Menschen die Lehre, daß das Hohe Sonnenwesen den Menschen, bevor sie zur Erde kommen, die Kraft gibt, nach dem Tode wiederum in die geistigen und Sternenwelten in der richtigen Weise hineinzugehen. Und die Lehrer der Mysterien sagten zu ihren Schülern, und diese Schüler sagten wiederum zu den übrigen Menschen: Es ist die geistige Kraft der Sonne das geistige Licht, welches euch über den Tod hinausträgt, und das ihr mitge­bracht habt, als ihr durch die Geburt ins Erdendasein herunterge­stiegen seid.

Es gab viele Gebete, es gab viele erhabene Lehren, welche von den Mysterienlehrern kamen, und die alle zum Lob, zum Preise und zur Beschreibung des Hohen Sonnenwesens waren. Und diese Mysterien-lehrer sagten zu ihren Schülern und diese wiederum zu der ganzen Menschheit, daß der Mensch, wenn er durch die Pforte des Todes durchgegangen ist, eindringen muß zuerst in die Sphäre der niederen Sterne und niederen Sternenwesen, dann aber hinaufdringen muß über die Sonne. Er kann aber nicht über die Sonne hinaufdringen, wenn nicht die Kraft des Sonnenwesens ihm gegeben ist. Daher kam es, daß bei Menschen, welche dieses verstanden, das Herz besonders warm wurde, wenn sie zu dem Geiste der Sonne beten konnten, der ihnen die Unsterblichkeit gibt.

Die Dichtungen und die religiösen Andachtsübungen, die zur Sonne gerichtet waren, hatten einen ganz besonders das Gefühl und die ganze Empfindung der Menschen durchdringenden Wert. Der Mensch fühlte sich mit dem Gotte des Weltenalis verbunden. wenn er

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den Sonnendienst verrichten konnte. Und es fanden bei denjenigen Völkern, bei denen ein solcher Sonnendienst üblich war, Kultushand­lungen statt, Zeremonien, welche für diesen Sonnenandachtsdienst besonders eingerichtet waren. Dieser Sonnendienst bestand in der Regel darinnen, daß das Bild des Gottes in das Grab gelegt wurde und nach einigen Tagen wiederum aus dem Grab genommen wurde, zum Zeichen dafür, daß es einen Gott, den Sonnengott, im Weltenall gibt, der die Menschen immer wieder aufweckt, wenn sie dem Tode ver­fallen sollten. Und bei der Verrichtung dieses Kultus sagte dann der Opferpriester seinen Schülern, und diese sagten es wieder der übrigen Menschheit: Dies ist das Zeichen dafür, daß ihr, bevor ihr auf die Erde heruntergestiegen seid, in einem geistigen Reiche waret, worinnen der Sonnengott ist.

Man sagte zu den Bekennern dieses Sonnendienstes: Schauet hin­auf, die Sonne leuchtet, aber das ist nur die äußere Offenbarung des Sonnenwesens, hinter diesem Leuchten ist der ewige Sonnengott, der euch die Unsterblichkeit sichert.

So wußten die Menschen, die solches lernten, daß sie aus geistigen Welten in die irdische Welt heruntergestiegen sind und daß sie die Welt vergessen hatten, in welcher der Sonnengott ist.

Ihr habt das Reich des Sonnengottes verlassen durch eure Geburt. Ihr sollt es wiederfinden durch die Kraft, die er in eure Herzen gelegt hat, wenn ihr durch den Tod tretet -, so sagten die Opferpriester zu den Bekennern.

Die eingeweihten Priester dieser Mysterien wußten, daß das Hohe Sonnenwesen, von dem sie zu den Bekennern sprachen, dasselbe ist, wovon man später sprechen wird als dem Christus. Aber vor dem Mysterium von Golgatha war das so, daß diese Opferpriester den Bekennern sagen mußten: Wenn ihr etwas von Christus wissen wollt, dann könnt ihr nicht auf der Erde suchen, dann müßt ihr euch zu den Geheimnissen der Sonne erheben. Nur außerhalb der Erde findet ihr die Geheimnisse des Christus.

Es war verhältnismäßig nicht schwierig für die Menschen, zu einer solchen Lehre sich zu bekennen, weil sie eine instinktive Rückerin­nerung hatten an das Reich des Christus, aus dem sie heruntergestiegen

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waren auf die Erde. Aber die Menschheit unterliegt einer Entwicke­lung, und die instinktive Erinnerung an das vorirdische geistige Leben ging der Menschheit allmählich verloren. Achthundert Jahre vor dem Mysterium von Golgatha hatten nur noch die wenigsten Menschen eine instinktive Rückerinnerung an das vorirdische geistige Leben.

Denken Sie sich einmal, der Mensch geht durch den Tod, er geht hinaus in die Sternenweiten. Er kommt nach und nach an Orte, wo er die Sterne von der andern Seite sieht, also auch die Sonne von der andern Seite sieht. Wir sehen von der Erde die Sonne so, wie wir es jetzt gewohnt sind. Nach dem Tode gehen wir hinaus in den Welten-raum und sehen die Sonne von der andern Seite. Wenn man aber die Sonne von der andern Seite sieht, sieht man sie nicht als physische Scheibe, sondern als ein Reich von geistigen Wesenheiten. Und vor dem Mysterium von Golgatha sah man nach dem Tode und vor der Geburt von der andern Seite in der Sonne den Christus. An diesen Anblick des Christus konnten die Mysterienlehrer ihre Schüler er­innern, denn es konnte wachgerufen werden die Vorstellung: Bevor ich auf Erden war, sah ich die Sonne von der andern Seite. - Das war in alten Zeiten, vor dem Mysterium von Golgatha.

Nun kam aber die Zeit, in der diese Erinnerung in den Menschen nicht mehr wachgerufen werden konnte. Ungefähr achthundert Jahre vor dem Mysterium von Golgatha konnten die Menschen diese Erin­nerung immer weniger und weniger wachrufen: Wir haben, bevor wir auf die Erde heruntergekommen sind, den Christus von jenseits der Sonne gesehen. - Und jetzt hätten Mysterienlehrer nimmer kommen können, zu den Menschen sprechend: Seht hinauf zur Sonne, das ist die Offenbarung Christi. - Die Menschen hätten es nicht mehr ver­standen. Und es war dann für die Menschen auf Erden so, als ob sie von der Christus-Kraft ganz verlassen worden wären, als ob sie nichts mehr von der Erinnerung an die geistigen Welten in sich beleben könnten.

Jetzt kam erst über die Menschen dasjenige, was man die Furcht vor dem Tode nennen kann. Denn früher sahen sie den physi­schen Leib sterben, sie wußten aber, sie sind als Seelen aus dem Reiche des Christus und sterben nicht. Und die Menschen bekamen eine große Sorge über das Schicksal ihrer unstreblichen, ihrer ewigen

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Wesenheit in sich. Es war so, wie wenn die Verbindung zwischen den Menschen und dem Christus abgeschnitten wäre. Das war, weil die Menschen nicht mehr in die geistigen Welten hinaufschauen konnten, und weil auf der Erdenwelt der Christus nirgends zu finden war. Jetzt in der Zeit, wo die Menschen den Christus nicht mehr jenseits der Sonne im Überirdischen finden konnten, kam der Christus aus unend­licher Gnade und aus unendlichem Erbarmen auf die Erde herunter, damit die Menschen ihn auf Erden finden konnten.

Da ist etwas geschehen in der Weltenentwickelung, was sonst nir­gends seinesgleichen hat in alledem, was Menschen kennen können. Denn all diejenigen Wesen, die über dem Menschen stehen - Angeloi, Archangeloi, Archai und so weiter bis zu den höchsten göttlichen Wesen -, machten in der geistigen Welt nur Verwandlungen durch, Metamorphosen. Sie wurden nicht geboren und starben nicht. Man sagte dazumal in den Mysterien: Nur die Menschen kennen Geburt und Tod. Die Götter kennen nur Metamorphosen, kennen nicht Ge­burt und Tod.

Da die Menschen also nicht mehr zu dem Christus gelangen konnten, kam der Christus zu den Menschen auf Erden. Dazu war not­wendig, daß er als Gott dasjenige durchmachte, was Götter niemals früher durchgemacht haben: Geburt und Tod. Christus wurde Seele eines Menschen, des Jesus von Nazareth, machte durch Geburt und Tod, das heißt, zum ersten Male machte ein Gott den Weg durch den Menschentod. Das ist das Wesentliche an dem Mysterium von Gol­gatha, daß es nicht nur eine Menschenangelegenheit ist, daß es eine Götterangelegenheit ist. Die Götter haben beschlossen: Einer von uns, das Hohe Sonnenwesen selber, soll sein Schicksal mit der Mensch­heit so weit vereinigen, daß es gehe durch Geburt und Tod. Seit dieser Zeit können die Menschen immer hinschauen auf das, was sich auf Golgatha zugetragen hat, und können auf Erden finden, was sie, weil ihr Bewußtsein nicht mehr in die Himmel hinaufreichte, sonst ver­loren hätten: den Christus.

Diejenigen, welche diese Geheimnisse von Golgatha zuerst mit­machten, hatten noch eine letzte Erbschaft von einem instinktiven Bewußtsein dessen, was da geschehen ist. Das waren die Jünger und

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Apostel Christi. Und sie wußten: Dasselbe Wesen, das man früher nur gefunden hat, wenn man geistig zur Sonne hat hinschauen können, findet man jetzt, wenn man in der richtigen Weise versteht Geburt, Leben, Leiden des Christus Jesus.

Wenige Menschen gab es doch noch zur Zeit des Mysteriums von Golgatha, die wußten: Derjenige, der in Jesus von Nazareth als der Christus war, ist das Hohe Sonnenwesen, das heruntergestiegen ist auf die Erde. - Bis zum 4. Jahrhundert nach dem Mysterium von Golga­tha wußten Menschen noch immer, daß der Christus, der das Sonnen-wesen ist, und der Christus, der in Jesus von Nazareth gelebt hat, das­selbe Wesen war. Und besonders tief empfinden kann man, wenn man durch Geisteswissenschaft hört, wie Menschen in den ersten christ­lichen Jahrhunderten inbrünstig gebetet haben: Dank dem Christus-Wesen, von dem wir sonst getrennt worden wären auf Erden, daß es von geistigen Welten zu uns auf die Erde heruntergestiegen ist!

Nachdem das 4. Jahrhundert nach dem Mysterium von Golgatha dahingegangen war, konnte man nicht mehr fassen, daß das Hohe Sonnenwesen und der Christus diejenige Gottheit sei, die einem die Unsterblichkeit sichert als Mensch. Man hatte dann vom 4. Jahrhun­dert bis in unsere Zeiten hinein nur das äußere Evangelienwort, wel­ches historisch erzählt, daß es ein Mysterium von Golgatha gegeben hat. Aber das Evangelienwort wirkte durch die Jahrhunderte doch so stark, daß die Menschen durch dieses Evangelienwort ihr Herz zu dem Mysterium von Golgatha hinlenken konnten.

Heute aber stehen wir vor einer Zeit, wo die Menschen, nachdem sie so viel über die Geheimnisse der Natur gelernt haben, ganz den Evangelienworten entfremdet werden würden, wenn nicht ein neuer Weg zu dem Christus gebahnt würde. Diesen Weg möchte die Anthro­posophie dadurch bahnen, daß sie den Menschen wiederum zu der Erkenntnis der geistigen Welt hinführt. Denn das Christus-Ereignis ist nur zu verstehen als Geistiges, als geistige Tatsache. Wer das Christus-Ereignis nicht als geistige Tatsache verstehen kann, kann es überhaupt nicht verstehen.

Durch die anthroposophische Erkenntnis können wir uns wieder zurückversetzen in diejenige Zeit, in welcher der Christus Jesus in

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Palästina gewandelt und sein Erdenschicksal durchgemacht hat. Wir können hineinschauen in das Gemüt der Jünger und Apostel, die in Gemäßheit ihrer instinktiven Erkenntnis gewußt haben: Das Wesen, das früher nur die Sonne bewohnt hat, ist heruntergestiegen auf die Erde und hat unter uns gewandelt. Das Wesen, das unter uns gewan­delt hat als der Christus Jesus, das die Erde damit betreten hat, war früher nur auf der Sonne zu finden. - Diese Jünger sagten sich also:

Aus dem Auge des Jesus von Nazareth leuchtet uns das Sonnenlicht, aus den Worten des Jesus von Nazareth spricht uns die Kraft der wärmenden Sonne. Wenn der Jesus von Nazareth unter uns wandelt, so ist es so, wie wenn die Sonne selber ihr Licht und ihre Kraft in der Welt aussendet.

Diejenigen, die das verstehen konnten, sagten sich: So wandelt in einem Menschen das Sonnenwesen unter uns, das früher nur er­reicht werden konnte, wenn die Blicke von der Erde hinauf zu der geistigen Welt selbst hin gerichtet waren. - Und weil sich die Jünger und Apostel dieses sagen konnten, standen sie auch in dem richtigen Verhältnisse und Verständnisse zu dem Tod des Christus. Deshalb konnten sie Schüler des Christus Jesus bleiben, auch als der Christus Jesus schon durch den Tod auf Erden gegangen war.

Wir wissen durch die geisteswissenschaftliche Erkenntnis, daß der Christus, als er den Leib des Jesus von Nazareth verlassen hatte, geistig unter seinen Schülern wandelte und sie weiter belehrte. Die Kraft, welche die Jünger und Apostel empfangen hatten, um, auch als der Christus ihnen nur noch im Geistleib erschien, sich von ihm be­lehren zu lassen, diese Kraft ging ihnen allerdings nach einiger Zeit verloren. Es gibt einen Zeitpunkt im Leben der Schüler des Christus Jesus, wo sie sich sagten: Wir haben ihn geschaut, wir schauen ihn nicht mehr. Er ist vom Himmel zu uns auf die Erde niedergestiegen. Wohin ist er gegangen?

Dieser Zeitpunkt, in dem die Jünger wiederum die Gegenwart des Christus verloren zu haben glaubten, ist festgehalten in dem christ­lichen Himmelfahrtsfeste. Es wurde festgehalten die Bewußtseinstat­sache, daß vor den Jüngern wiederum verschwunden war der Hohe Sonnengeist, der in dem Menschen Jesus von Nazareth auf der Erde

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gewandelt hat. Und jetzt kam, nachdem die Jünger Christi diese Er­fahrung gemacht hatten, über sie eine Trauer, die sich mit nichts ver­gleichen läßt, was an Trauer auf der Erde vorhanden sein kann. In den alten Mysterien kam, wenn man den Sonnenkultus gefeiert, das Bild des Gottes in die Erde gelegt hatte, um es erst nach Tagen wiederum herauszuheben, über die Seelen etwas von großer Trauer über den Tod des Gottes. Aber diese Trauer ließ sich nicht vergleichen an Größe mit derjenigen Trauer, die jetzt in die Herzen der Jünger Christi kam.

Alle wirkliche, große Erkenntnis ist aus dem Schmerz und aus der Sorge herausgeboren. Wenn man durch diejenigen Erkenntnismittel, die in der anthroposophischen Geisteswissenschaft beschrieben wer­den, den Weg in die höheren Welten zu gehen versucht, so kann man auch nur zu einem Ziele gelangen, wenn man durch den Schmerz hin­durchgeht. Ohne daß man gelitten hat, vieles gelitten hat und dadurch frei geworden ist von dem Niederdrückenden des Schmerzes, kann man die geistige Welt nicht erkennen.

Die Schüler Christi haben nun in derjenigen Zeit, die uns durch die zehn Tage nach der Himmelfahrt angedeutet ist, ungeheuer viel ge­litten, weil ihnen der Anblick des Christus entschwunden war. Und aus diesem Schmerz, aus dieser unendiichen Trauer ist dann dasjenige entsprungen, was wir das Pfingstgeheimnis nennen. Die Schüler Christi haben, nachdem sie für das äußere instinktive Hellsehen den Anblick Christi verloren hatten, ihn im Inneren, in der Empfindung, in dem Erlebnis durch die Trauer, durch den Schmerz wiederum gefunden.

Schauen wir jetzt noch einmal zurück in frühere Zeiten. Die Men­schen vor dem Mysterium von Golgatha hatten eine Erinnerung an das vorirdische Dasein. Sie wußten, daß sie in diesem vorirdischen Dasein die Kraft von dem Christus erlangt hatten, um die Unsterb­lichkeit zu erringen. Jetzt wußte man, daß man durch die eigene menschliche Kraft nicht zurückschauen kann in die geistige Welt, in das vorirdische Dasein. Und die Jünger wandten sich nun an alles das­jenige, was ihnen im Gedächtnis war über das Ereignis von Golgatha. Und aus dieser Erinnerung und aus diesem Schmerze heraus ging ihnen

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in der Seele wiederum die Anschauung desjenigen auf, was der Mensch verloren hatte, weil er das instinktive Hellsehen nicht mehr hatte.

Die alten Menschen hatten also gesagt: Wir waren, bevor wir auf Erden geboren waren, bei Christus. Von ihm haben wir die Kraft der Unsterblichkeit. - Und die Jünger Christi sagten jetzt, zehn Tage nachdem sie den äußeren Anblick des Christus verloren hatten: Wir haben das Mysterium von Golgatha gesehen. Das gibt uns die Kraft, wiederum unser unsterbliches Wesen zu fühlen. - Das wird symbo­lisch ausgedrückt durch die feurigen Zungen. Daher können wir auch geisteswissenschaftlich in dem Pfingstgeheimnis dieses sehen, daß das Mysterium von Golgatha an die Stelle des alten Mysterien-Sonnen­mythus getreten ist.

Daß man es zu tun hat mit dem Sonnenwesen in dem Christus, das wurde ganz besonders klar dem Paulus, als er die Offenbarung von Damaskus hatte. Paulus war ein Schüler der alten Eingeweihten in den Mysterien. Ihm war klargeworden, den Christus findet man nur, wenn man in Hellsehnis in die geistige Welt gelangt. Nun sagte er: Da gibt es Jünger, die behaupten, das Sonnenwesen sei in einem Menschen lebendig gewesen, sei durch den Tod gegangen. Das kann nicht rich­tig sein, denn das Sonnenwesen kann nur außer der Erde gesehen werden. - Solange Paulus aus seinem Mysterienwissen dieses glaubte, bekämpfte er das Christentum.

Durch seine Offenbarung bei Damaskus ist dem Paulus klargewor­den: Auch wenn man nicht in die geistigen Welten entrückt ist, kann man den Christus schauen. Er ist also wirklich auf die Erde herunter-gestiegen. - Von diesem Augenblick an wußte er: Die Schüler des Christus Jesus sagen richtig, denn das Hohe Sonnenwesen ist jetzt vom Himmel auf die Erde heruntergestiegen.

Wenn der Christus nicht erschienen wäre auf Erden, wenn er nur Gott der Sonne geblieben wäre, so wäre die Menschheit in Verfall ge­raten auf Erden. Die Menschen würden immer mehr und mehr nur geglaubt haben: Die materiellen Dinge bestehen, die Sonne ist ein materielles Ding, die Sterne sind materielle Dinge. - Denn die Men­schen hatten ganz und gar vergessen, daß sie selber aus dem vor-irdischen Dasein, aus der Sternen-Geisteswelt heruntergestiegen sind.

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Aber eine solche Summe von Gedanken, daß alles materiell ist, kann man nur eine gewisse Zeit hindurch haben. Wenn alle Menschen zum Beispiel ein Jahrhundert hindurch nur glaubten, alles sei mate­riell, so würden sie die innere Kraft des Geistes in sich verlieren und wie gelähmt werden, wie krank werden. So wäre es in der Tat mit der Menschheit geworden, wenn der Christus nicht in unendlichem Er­barmen von der geistigen Welt zur Erde heruntergestiegen wäre.

Sie werden sagen: Ja, aber viele Menschen wollen ja noch nichts von Christus wissen, haben kein Bekenntnis zu dem Christus. Wie ist es mit diesen? Warum sind sie nicht gelähmt und schwach und krank­haft geworden? - Aber sehen Sie, der Christus ist auf Erden erschie­nen, als das Mysterium von Golgatha sich zugetragen hat, nicht, um den Menschen eine Lehre bloß zu geben, sondern um die Tatsache seines Erscheinens auf Erden durchzumachen. Er ist für alle Menschen gestorben. Die physische Konstitution aller Menschen, auch derjeni­gen, die nicht an den Christus glaubten, ist durch das Ereignis von Golgatha verbessert und gerettet worden. Man konnte bis jetzt ein Chinese, ein Japaner, ein Hindu sein, und nichts von Christus wissen wollen. Dennoch: der Christus ist für alle Menschen gestorben.

Das wird in der Zukunft nicht in gleicher Weise möglich sein, denn in der Zukunft wird viel maßgebender für die Menschheit werden, als es bisher der Fall war, dasjenige, was Erkenntnis ist. Es wird immer mehr und mehr die Notwendigkeit in der Entwickelung der Mensch­heit heraufziehen, daß alle Menschen zu einer gewissen Erkenntnis des geistigen Wesens und geistigen Lebens kommen.

Eine solche Erkenntnis, die alle Menschen in die geistige Welt hineinführt, strebt die anthroposophische Geistesforschung an. Und mit dieser Erkenntnis kann man auch wiederum den Christus erkenen, aber so erkennen, daß, wenn man richtige Anthroposophie hat, man den Christus so darstellen kann, daß die Darstellung für alle Menschen verständlich werden kann. Mit dem, was bisher als Christentum ver­kündet worden ist, konnte man nach Afrika, nach Asien gehen: ein­zelne Menschen vielleicht bekannten sich zu dem Christus, die große Masse der Völker wies das zurück, denn sie konnte nicht verstehen, was die Missionare sagten.

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Was für Religionen hatten die Völker? Die Völker hatten Religio­nen, welche innerhalb des Volkes entstanden sind und nur von dem einzelnen Volke begriffen worden sind, weil irgendein heiliger Ort oder eine heilige Persönlichkeit innerhalb dieses Volkes verehrt wurde. Solange die alten Ägypter ihren Gott in Theben verehrt haben, so lange mußte man nach Theben gehen, um dort das Heiligtum dieses Gottes verehren zu können. Solange man den Zeus in Olympia ver­ehrt hat, mußte man nach Olympia gehen, um in Olympia den Zeus zu verehren. Ebenso muß der Mohammedaner nach Mekka gehen.

Etwas davon ist noch selbst im Christentum erhalten. Versteht man das Christentum recht, so weiß man: die Sonne scheint über alle Men­schen, sie scheint über Theben, sie scheint über Olympia, sie scheint über Mekka. Die Sonne kann man überall in gleicher Weise physisch sehen, daher auch das Hohe Sonnenwesen, den Christus, geistig ver­ehren. Und so wird die Anthroposophie den Menschen zeigen, daß dasjenige Wesen, das vor dem Mysterium von Golgatha nur mit in­stinktiven überirdischen Fähigkeiten zu erreichen war, von den Men­schen seit dem Mysterium von Golgatha durch die auf der Erde selbst zu erwerbende Erkenntniskraft zu erreichen ist. Man wird wiederum das Wort verstehen: Die Himmelreiche sind herniedergekommen auf die Erde -, und wird nicht in einer unbestimmten mystischen Weise von dem Tausendjährigen Reich sprechen, sondern man wird ver­stehen: Was früher auf der Sonne zu finden war, ist seither auf der Erde zu finden. - Und man wird sich sagen: Wir haben den Christus seit dem Mysterium von Golgatha, weil er heruntergestiegen ist auf die Erde, auch auf dieser Erde unter Menschen wohnhaft.

Man wird dasjenige, was die Jünger als das Pfingstgeheimnis ge­fühlt haben, immer wieder von neuem fühlen können: Der Christus ist selbst herniedergestiegen auf die Erde. In unserem Herzen geht seine Kraft auf als die Kraft, die den Menschen die Unsterblichkeit sichert. - Aber man muß dann auch die Worte des Christus ganz ernst und in ihrer tiefen Wahrheit nehmen können, zum Beispiel ein solches Wort: «Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Erden-zeiten.» Und wenn man ein solches Wort in seiner geistigen Tiefe ganz ernst nehmen kann, dann wird man auch sich durchringen zu der

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Erkenntnis: Nicht nur im Beginne unserer Zeitrechnung war der Christus da. Er ist immer da, er spricht zu uns, wenn wir ihn nur hören wollen. - Aber dazu müssen wir durch Geisteswissenschaft wiederum lernen, in jedem stofflichen Wesen ein Geistiges zu sehen, Geistiges hinter dem Stein, Geistiges hinter der Pflanze, Geistiges hinter den Tieren, Geistiges hinter den Menschen, Geistiges hinter den Wolken, Geistiges hinter den Sternen, Geistiges hinter der Sonne. Wenn wir durch die Materie den Geist wiederum in seiner Wirklich­keit finden, dann öffnen wir unsere Menschenseele auch für die Stimme des Christus, der zu uns sprechen will, wenn wir ihn nur hören wollen.

Und Anthroposophie kann sprechen davon, daß Geist hinter aller Natur ist. Deshalb darf sie auch davon sprechen, daß Geist in aller Erdengeschichte der Menschheit ist, darf davon sprechen, daß die Erde erst wiederum ihren Sinn bekommen hat durch das Mysterium von Golgatha.

Der Erdensinn war vor dem Mysterium von Golgatha auf der Sonne. Seit dem Mysterium von Golgatha ist der Erdensinn mit der Erde selbst vereinigt. Das möchte wie ein immerwährendes Pfingst­geheimnis die Anthroposophie an die Menschheit heranbringen. Und wenn die Menschen dazu bereit sind, mit der Anthroposophie die geistige Welt wiederum aufzusuchen, dann werden sie in einer solchen Weise, wie es für den Menschen der heutigen Zeit notwendig ist, auch den Christus als einen immer Gegenwärtigen wiederum richtig finden.

Wenn die Menschen in dieser Zeit sich nicht zur geistigen Erkenntnis wenden, dann geht der Christus verloren. Bisher war das Christentum nicht auf die Erkenntnis angewiesen. Der Christus ist für alle Men­schen gestorben. Er hat die Menschen nicht verleugnet. Weisen ihn heute die Menschen in der Erkenntnis zurück, so verleugnen die Menschen den Christus.

In dieser Weise wollte ich Ihnen, da wir diesmal gerade um die Zeit des Pfingstfestes zusammensein durften, von dem Christus-Myste­rium sprechen in Anknüpfung an das Pfingstgeheimnis.

Man redet oftmals von der Anthroposophie, als ob sie eine Feindin des Christentums sei. Wenn Sie den Geist der Anthroposophie wirk­lich aufnehmen, so wer den Sie finden, daß die Anthroposophie gerade

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das Menschenohr und das Menschenherz und die ganze Menschen-seele wiederum für das Geheimnis Christi öffnen wird.

Meine lieben Freunde, das Schicksal der Anthroposophie möchte dasjenige des Christentums zugleich sein. Dazu ist aber notwendig, daß die Menschen heute nicht bloß zu dem toten Worte hinblicken, das ihnen von dem Christus spricht, sondern daß die Menschen sich einer Erkenntnis zuwenden, die sie zu jenem Lichte selbst hinführt, in dem der lebendige Christus, nicht der historische, der vor Jahrhun­derten auf Erden gelebt hat, enthalten ist, der jetzt und in jedem Augenblicke der Zukunft auf der Erde unter den Menschen lebt, weil er aus ihrem Gotte ihr göttlicher Bruder geworden ist.

So wollen wir denn unter unsere Pfingstgedanken dieses aufnehmen, daß wir suchen wollen durch Anthroposophie den Weg zu dem leben­digen Christus, und fühlen, daß dadurch in jedem Anthroposophen erneuert werden kann das erste Pfingstgeheimnis, daß ihm die Er­kenntnis Christi selber in seinem Herzen aufgehe und er sich fühlt erwärmt und erleuchtet durch die feurige Zunge der christlichen Welterkenntnis.

Lassen Sie unsern Weg zum Geistigen durch Anthroposophie zu­gleich sein den Weg zu Christus durch den Geist! Und wenn eine kleinere Anzahl von Menschen im Ernste sich zu diesem bekennt, dann wird dieses Pfingstgeheimnis auch immer mehr und mehr Wurzel fassen bei vielen Menschen der Gegenwart und namentlich der Zu­kunft. Und dann wird dasjenige kommen, was die Menschheit so sehr zu einer Gesundung, zu einer Heilung braucht. Dann wird zu einem neuen Menschenverständnis der heilende Geist sprechen, der die Krankheit der Seelen der Menschen heilende Geist, den Christus ge­sandt hat. Dann wird das kommen, was die Menschheit braucht:

Welten-Pfingsten!

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HINWEISE

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9 Ingerö: Karl Ingerö, Generalsekretär der in den Maitagen 1923 begründeten Nor­wegischen Landesgesellschaft

jenen Zyklus: «Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhange mit der germa­nisch-nordischen Mythologie», Kristiania (Oslo) 7. his 17. Juni 1910, Gesamtsusgabe Dornach 1962

15 in den öffentlichen Vorträgen: am 14. und 15. Mai 1923, «Seelenewigkeit des Menschen vom Gesichtspunkt der Anthroposophie» und «Entwickelung und Erziehung des Menschen vom Gesichtspunkt der Anthroposophie», erscheint in der Gesamtausgabe Bibliographie Nr.304

23 Erhabenheit macht...: Die Nachsehrift weist hier eine Lücke auf, so daß ein Psssus fortfallen mußte

25 in meinen Mysterien: «Vier Mysteriendramen», Gesamtausgabe Dornach 1962; Der Seelen Erwachen, sechstes Bild

54 Brocaschen Windung: der linke Gyrus frontalis inferior, gefunden durch Pierre Paul Broea, 1804-1880, ftanzösischer Chirurg und Anthropologe

58 findet nicht den Anschluß: Vgl. «Wahrspruchworte», Gesamtausgabe Dornach 1961, Seite 147. Ferner die in Dornach im März und April 1923 gehaltenen Vorträge

64 im öffentlichen Vortrag: s. Hinweis zu S.15

66 im öffentlichen Vortrag: s. Hinweis zu S.15

67 von offiziell philosophischer Seite: Max Dessoir, «Vom Jenseits der Seele», Stuttgart 1917, S. 260. - Vgl. «Von Seelenrätseln», erschienen 1917, Gessmtausgabe Dornach 1960

78 in Kristiania: s. Hinweis zu S. 9

91 Konstantin: Konstantin I, der Große, 286 od. 287-337, röm. Kaiser Chlodwig: 466511, fränk. Merowingerkönig

102 Olaf-Gesang: Vgl. Welten-Neujahr - Das Traumlied vom Olaf Asteson, Dornach 1958

105 mit einem sehr bekannten Astronomen: Wilhelm Feerster, 1832-1921

117 bei meiner letzten Anwesenheit: im November Dezember 1921 vor vielen Jahren: 1908

120 Widur: in der nordischen Mythologie ein Sohn des Odin

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.