GA 6 und GA 230: Unterschied zwischen den Seiten

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<center><h3>RUDOLF STEINER</h3></center>
<div class="center" >
<center><h3>SCHRIFTEN</h3></center>
<h3>RUDOLF STEINER</h3>
<h3>VORTRÄGE</h3>
<h4>VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN<br>
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT</h4>


<h3>Der Mensch als Zusammenklang<br>
des schaffenden, bildenden und gestaltenden<br>
Weltenwortes</h3>


<h5>Zwölf Vorträge, gehalten in Dornach<br>
vom 19. Oktober bis 11. November 1923</h5>


<h3>GA 230</h3>
<h3>1985</h3>
</div>


<center><h3>GOETHES WELTANSCHAUUNG</h3></center>
= Inhaltsverzeichnis =
<div style="font-family: 'Baar Zeitgeist'; font-size: 100%;">
* [[GA 230#I Der Zusammenhang der Weltenverhältnisse, der Erdenverhältnisse und der Tierwelt mit dem Menschen|I Der Zusammenhang der Weltenverhältnisse, der Erdenverhältnisse und der Tierwelt mit dem Menschen]]
** [[GA 230#ERSTER VORTRAG Dornach, 19. Oktober 1923|ERSTER VORTRAG Dornach, 19. Oktober 1923]]
** [[GA 230#ZWEITER VORTRAG Dornach, 20. Oktober 1923|ZWEITER VORTRAG Dornach, 20. Oktober 1923]]
** [[GA 230#DRITTER VORTRAG Dornach, 21. Oktober 1923|DRITTER VORTRAG Dornach, 21. Oktober 1923]]
* [[GA 230#II Der innere Zusammenhang der Welterscheinungen und Weltwesen|II Der innere Zusammenhang der Welterscheinungen und Weltwesen]]
** [[GA 230#VIERTER VORTRAG Dornach, 26. Oktober 1923|VIERTER VORTRAG Dornach, 26. Oktober 1923]]
** [[GA 230#FÜNFTER VORTRAG Dornach, 27. Oktober 1923|FÜNFTER VORTRAG Dornach, 27. Oktober 1923]]
** [[GA 230#SECHSTER VORTRAG Dornach, 28. Oktober 1923|SECHSTER VORTRAG Dornach, 28. Oktober 1923]]
* [[GA 230#III Die Pflanzenwelt und die Naturelementargeister|III Die Pflanzenwelt und die Naturelementargeister]]
** [[GA 230#SIEBENTER VORTRAG Dornach, 2. November 1923|SIEBENTER VORTRAG Dornach, 2. November 1923]]
** [[GA 230#ACHTER VORTRAG Dornach, 3. November 1923|ACHTER VORTRAG Dornach, 3. November 1923]]
** [[GA 230#NEUNTER VORTRAG Dornach, 4. November 1923|NEUNTER VORTRAG Dornach, 4. November 1923]]
* [[GA 230#IV Die Geheimnisse der menschlichen Organisation|IV Die Geheimnisse der menschlichen Organisation]]
** [[GA 230#ZEHNTER VORTRAG Dornach, 9. November 1923|ZEHNTER VORTRAG Dornach, 9. November 1923]]
** [[GA 230#ELFTER VORTRAG Dornach, 10. November 1923|ELFTER VORTRAG Dornach, 10. November 1923]]
** [[GA 230#ZWÖLFTER VORTRAG Dornach, 11. November 1923|ZWÖLFTER VORTRAG Dornach, 11. November 1923]]
* [[GA 230#HINWEISE|HINWEISE]]
* [[GA 230#Literatur|Literatur]]
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= I Der Zusammenhang der Weltenverhältnisse, der Erdenverhältnisse und der Tierwelt mit dem Menschen =


<center><h3>GA 6</h3></center>
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<center><h3>1990</h3></center>




= Inhaltsverzeichnis =
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* [[GA 6#VORREDE ZUR NEUEN AUSGABE|VORREDE ZUR NEUEN AUSGABE]]
= ERSTER VORTRAG Dornach, 19. Oktober 1923 =
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* [[GA 6#DIE METAMORPHOSE DER WELTERSCHEINUNGEN|DIE METAMORPHOSE DER WELTERSCHEINUNGEN]]
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** [[GA 6#Originalausgaben|Originalausgaben]]


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Es ist in unseren Betrachtungen öfter gesagt worden und spielte auch in den letzten Vorträgen über den Jahreslauf und das Michael-Problem eine gewisse Rolle, daß der Mensch in seinem ganzen Bau, in seinen Lebensverhältnissen, eigentlich in allem, was er ist, eine kleine Welt darstellt, einen Mikrokosmos gegenüber dem Makrokosmos, daß er wirklich in sich enthält alle Gesetzmäßigkeit der Welt, alle Geheimnisse der Welt. Nur müssen Sie sich nicht vorstellen, daß das vollständige Verstehen dieses ja ganz abstrakten Satzes ein einfaches ist. Man muß schon sozusagen in die Mannigfaltigkeit der Weltengeheimnisse eindringen, um dann diese Geheimnisse im Menschen wiederzufinden.


= VORREDE ZUR NEUEN AUSGABE =
Nun wollen wir heute einmal diese Sache so betrachten, daß wir auf der einen Seite von gewissen Ausgangspunkten aus uns die Welt anschauen und dann den Menschen anschauen, um zu finden, wie der Mensch als eine kleine Welt in der großen Welt darinnen ist. Natürlich ist dasjenige, was man von der großen Welt sagen kann, ja immer ein kleiner Ausschnitt. Es kann nie ein Vollständiges darstellen, sonst müßte man in der Betrachtung wenigstens die ganze Welt durchwandeln.


Die in dieser Schrift versuchte Schilderung der Goethe­schen Weltanschauung habe ich im Jahre 1897 unternom­men als zusammenfassende Darstellung dessen, was mit die Betrachtung des Goetheschen Geisteslebens im Laufe vieler Jahre gegeben hatte. Wie ich damals mein Ziel empfunden habe, davon gibt die «Vorrede zur ersten Auflage» ein Bild. Diese Vorrede würde ich, schriebe ich sie heute, keineswegs dem Inhalte, sondern nur dem Stile nach anders verfassen. Da aber kein mir ersichtlicher Grund vorliegt, ein Wesent­liches an diesem Buche sonst zu ändern, so erschiene es mir als eine Unaufrichtigkeit, von den Empfindungen, mit de­nen ich vor zwanzig Jahren das Buch in die Welt sandte, heute in einer anderen Tonart zu reden. Weder hat, was ich seit seiner Veröffentlichung in der Literatur über Goethe habe verfolgen können, noch was an Ergebnissen die neue­ste Naturforschung erbracht hat, meine in dem Buche aus­gesprochenen Gedanken geändert. Ich glaube nicht ohne Verständnis zu sein für die großen Fortschritte dieser For­schung in den letzten zwanzig Jahren. Daß durch sie ein Grund gegeben ist, über Goethes Weltanschauung gegen­wärtig anders zu sprechen, als ich es 1897 getan habe, glaube ich nicht. Was ich über das Verhältnis der Goetheschen Weltanschauung zu dem damaligen Stand der allgemein an­erkannten Natur-Ideen gesagt habe, scheint mir auch zu gelten mit Bezug auf die Naturwissenschaft unserer Tage. Die Haltung meines Buches wäre keine andere, wenn ich es in der Gegenwart erst geschrieben hätte. Nur mir wichtig erscheinende Erweiterungen und Ergänzungen an manchen Stellen unterscheiden die neue Ausgabe von der alten.
Sehen wir zuerst einmal hin auf dasjenige, was sich uns am allernächsten Oberen, wenn ich so sagen darf, darstellt. Sehen wir auf diejenige menschliche Umgebung, die in der Tierreihe das Leben sozusagen in den Lüften hat, und zwar diejenige Klasse, welche in der auffallendsten Art das Leben in den Lüften hat: das ist das Vogelgeschlecht.


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Es kann einem nicht entgehen, daß der Vogel, der in den Lüften wohnt, der aus den Lüften seine Daseinsbedingungen schöpft, als Tier wesentlich anders gebaut ist als die Tiere, die unmittelbar über dem Erdboden wohnen, oder die etwa gar unter dem Erdboden wohnen. Und wenn wir hinschauen auf das Vogelgeschlecht, so finden wir uns natürlich nach allgemeinen, menschlich üblichen Ansichten genötigt, beim Vogel auch von Kopf und Gliedmaßen und dergleichen zu sprechen. Aber das ist eigentlich im Grunde eine recht unkünstlerische Betrachtungsweise. Und darauf habe ich schon öfter aufmerksam gemacht,


Daß mich auch zu keiner wesentlichen Änderung des In­halts drängen kann, was ich seit sechzehn Jahren über Geisteswissenschaft veröffentlicht habe, darüber habe ich mich in dem dieser Neuausgabe angefügten «Nachwort» ausgesprochen.
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Rudolf Steiner
daß, wenn man die Welt eigentlich wirklich kennenlernen will, man bei dem intellektualistischen Begreifen nicht stehenbleiben kann, daß das Intellektualistische allmählich hinübergleiten muß in das künstlerische Auffassen der Welt.


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Nun, da werden Sie doch nicht den wirklich im Verhältnis zum Haupte, zum Kopfe der anderen Tiere doch außerordentlich verkrüppelten sogenannten Vogelkopf als einen wirklichen Kopf auffassen. Gewiß, äußerlich intellektualistisch betrachtet, kann man sagen: Der Vogel hat einen Kopf, einen Rumpf, der Vogel hat Gliedmaßen. Aber bedenken Sie, wie verkümmert, sagen wir zum Beispiel in bezug auf die Beine eines Kamels oder eines Elefanten die Vogelbeine sind, und wie verkümmert gegenüber meinetwillen dem Haupte eines Löwen, eines Hundes, der Vogelkopf ist. Es ist fast gar nichts Ordentliches darinnen in einem solchen Vogelkopf; es ist eigentlich im Grunde genommen kaum mehr darinnen als das, was beim Hund oder meinetwillen beim Elefanten oder bei der Katze die vordere Maulpartie ist. Ich möchte sagen, ein wenig komplizierter die Mundpartie eines Säugetieres, das ist der Vogelkopf. Und was die Gliedmaßen eines Säugetieres sind, das ist ja vollständig verkümmert beim Vogel. Gewiß, eine unkünstlerische Betrachtungsweise spricht einfach davon, die vorderen Gliedmaßen seien zu Flügeln umgestaltet. Aber das alles ist eben durchaus unkünstlerische Anschauung, unimaginative Anschauung. Will man die Natur wirklich verstehen, will man in den Kosmos wirklich eindringen, so muß man die Dinge schon tiefer, vor allen Dingen in ihren Gestaltungsund Bildungskräften betrachten.


= VORREDE ZUR ERSTEN AUFLAGE =
Die Anschauung, daß einfach der Vogel auch einen Kopf und Rumpf und Gliedmaßen habe, führt niemals dazu, zum Beispiel die Anschauung des Ätherleibes eines Vogels wirklich begreifen zu können. Denn geht man über durch imaginative Anschauung von dem Sehen dessen, was am Vogel physisch ist, zu dem, was am Vogel ätherisch ist, so hat man eben im ätherischen Vogel nur einen Kopf. Vom ätherischen Vogel aus ist der Vogel nur Kopf; vom ätherischen Vogel aus begreift man sogleich, daß der Vogel sich nicht vergleichen läßt mit Kopf, Rumpf und Gliedmaßen anderer Tiere, sondern daß er aufzufassen ist als ein bloßer Kopf, der eben umgestaltet ist, der als Kopf umgestaltet ist. So daß der


Die Gedanken, die ich in diesem Buche ausspreche, sollen die Grundlage festhalten, die ich in der Weltanschauung Goethes beobachtet habe. Im Lauf vieler Jahre habe ich im­mer wieder und wieder das Bild dieser Weltanschauung be­trachtet. Besonderen Reiz hatte es für mich, nach den Offen­barungen zu sehen, welche die Natur über ihr Wesen und ihre Gesetze den feinen Sinnes- und Geistesorganen Goe­thes gemacht hat. Ich lernte begreifen, warum Goethe diese Offenbarungen als so hohes Glück empfand, daß er sie zu­weilen höher schätzte als seine Dichtungsgabe. Ich lebte mich in die Empfindungen ein, die durch Goethes Seele zo­gen, wenn er sagte, daß «wir durch nichts so sehr veranlaßt werden über uns selbst zu denken, als wenn wir höchst bedeutende Gegenstände, besonders entschiedene charak­teristische Naturszenen, nach langen Zwischenräumen end­lich wiedersehen und den zurückgebliebenen Eindruck mit der gegenwärtigen Einwirkung vergleichen. Da werden wir denn im ganzen bemerken, daß das Objekt immer mehr hervortritt, daß, wenn wir uns früher an den Gegenständen emp­fanden, Freud und Leid, Heiterkeit und Verwirrung auf sie übertrugen, wir nunmehr bei gebändigter Selbstigkeit ihnen das gebührende Recht widerfahren lassen, ihre Eigenhei­ten zu erkennen und ihre Eigenschaften sofern wir sie durch­dringen, in einem höhern Grade zu schätzen wissen. Jene Art des Anschauens gewährt der künstlerische Blick, diese eignet sich dem Naturforscher, und ich mußte mich, zwar an­fangs nicht ohne Schmerzen, zuletzt doch glücklich preisen, daß, indem jener Sinn mich nach und nach zu verlassen droh­te, dieser sich in Aug' und Geist desto kräftiger entwickelte.»
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eigentliche Vogelkopf nur Gaumen und die vorderen Partien, die Mundpartien darstellt, und dasjenige, was weiter nach rückwärts geht, alle die rippenähnlich und rückgratähnlich aussehenden Teile des Skeletts, das ist anzusehen als zwar metamorphosierter, umgestalteter, aber doch als Kopf. Der ganze Vogel ist eigentlich Kopf. Das rührt davon her, daß in der Tat, wenn wir einen Vogel verstehen wollen, wir sehr> sehr weit zurückgehen müssen in der Erden-, in der planetarischen Erdenentwickelung.


Die Eindrücke, welche Goethe von den Erscheinungen der Natur empfangen hat, muß man kennen, wenn man den vollen Gehalt seiner Dichtungen verstehen will. Die Ge­heimnisse, die er dem Wesen und Werden der Schöpfung abgelauscht hat, leben in seinen künstlerischen Erzeugnis­sen und werden nur demjenigen offenbar, der hinhorcht auf die Mitteilungen, die der Dichter über die Natur macht. Der kann nicht in die Tiefen der Goetheschen Kunst hinuntertau­chen, dem Goethes Naturbeobachtungen unbekannt sind.
Der Vogel hat eine lange planetarische Geschichte hinter sich. Der Vogel hat eine viel längere planetarische Geschichte hinter sich als zum Beispiel, sagen wir das Kamel. Das Kamel ist ein viel später entstandenes Tier als jeglicher Vogel. Diejenigen Vögel, die zur Erde niedergezwungen sind wie der Strauß, das sind die spätest entstandenen Vögel. Diejenigen Vögel, die frei in den Lüften wohnen, Adler, Geier, sind sehr alte Erdentiere. Während sie in früheren Erdperioden, Mondperioden, Sonnenperioden eben durchaus noch alles das an sich hatten, was dann in sie übergegangen ist von Innen nach auswärts bis zur Haut, hat sich später im Vogelgeschlecht im wesentlichen das ausgebildet, was Sie heute in den Federn sehen, was Sie im hornigen Schnabel sehen. Das Äußere des Vogels ist späteren Ursprungs, ist dadurch gekommen, daß der Vogel seine Kopfnatur verhältnismäßig früh ausgebildet hat, und unter den Bedingungen, in die er dann in späteren Zeiten der Erdenentwickelung hineingekommen ist, konnte er nur noch außen dasjenige hinzufügen, was in seinem Gefieder liegt. Dieses Gefieder ist dem Vogel zum Beispiel vom Mond und der Erde gegeben worden, während er seine übrige Natur aus viel früheren Zeiten hat.


Solche Empfindungen drängten mich zu der Beschäfti­gung mit Goethes Naturstudien. Sie ließen zunächst die Ideen reifen, die ich vor mehr als zehn Jahren in Kürschners «Deutscher Nationallitteratur» mitteilte. Was ich damals in dem ersten anfing, habe ich ausgebaut in den drei folgenden Bänden der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes, von denen der letzte in diesen Tagen vor die Öffentlichkeit tritt. Dieselben Empfindungen leiteten mich, als ich vor mehre­ren Jahren die schöne Aufgabe übernahm, einen Teil der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes für die große Weimarische Goethe-Ausgabe zu besorgen. Was ich an Ge­danken zu dieser Arbeit mitgebracht und was ich während derselben ersonnen habe, bildet den Inhalt des vorliegenden Buches. Ich darf diesen Inhalt als erlebt im vollsten Sinne des Wortes bezeichnen. Von vielen Ausgangspunkten aus habe ich mich den Ideen Goethes zu nähern gesucht. Allen Wi­derspruch, der in mir gegen Goethes Anschauungsweise schlummerte, habe ich aufgerufen, um gegenüber der Macht dieser einzigen Persönlichkeit die eigene Individualität zu wahren. Und je mehr ich meine eigene, selbst erkämpfte Weltanschauung ausbildete, desto mehr glaubte ich Goethe zu verstehen. Ich versuchte ein Licht zu finden, das auch die
Aber die Sache hat noch eine viel tiefere Seite. Schauen wIr uns einmal den Vogel in den Lüften, sagen wir, den majestätisch dahinfliegenden Adler an, dem gewissermaßen wie ein äußeres Gnadengeschenk die Sonnenstrahlen mit ihrer Wirkung sein Gefieder gegeben haben - ich werde die anderen Wirkungen noch nennen -, seinen hornigen Schnabel gegeben haben; schauen wir uns diesen Adler an, wie er in den Lüften fliegt. Da wirken auf ihn gewisse Kräfte. Die Sonne hat nicht nur jene physischen Licht- und Wärmekräfte, von denen wir gewöhnlich sprechen. Ich habe Sie aufmerksam gemacht damals, als ich über


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Räume in Goethes Seele durchleuchtet, die ihm selbst dun­kel geblieben sind. Zwischen den Zeilen seiner Werke woll­te ich lesen, was mir ihn ganz verständlich machen sollte. Die Kräfte seines Geistes, die ihn beherrschten, deren er sich aber nicht selbst bewußt wurde, suchte ich zu entdec­ken. Die wesentlichen Charakterzüge seiner Seele wollte ich durchschauen.
die Druidenmysterien sprach, daß von der Sonne auch geistige Kräfte ausgehen. Auf diese geistigen Kräfte müssen wir hinschauen. Sie sind es, welche den verschiedenen Vogelgeschlechtern ihre Vielfarbigkeit, die besondere Gestaltung ihres Gefieders geben. Wir begreifen, wenn wir dasjenige, was die Sonnenwirkungen sind, geistig durchschauen, warum der Adler gerade sein Gefieder hat.


Unsere Zeit liebt es, die Ideen da, wo von psychologi­scher Betrachtung einer Persönlichkeit die Rede ist, in einem mystischen Halbdunkel zu lassen. Die gedankliche Klarheit in solchen Dingen wird gegenwärtig als nüchterne Verstan­desweisheit verachtet. Man glaubt tiefer zu dringen, wenn man von einseitig mystischen Abgründen des Seelenlebens, von dämonischen Gewalten innerhalb der Persönlichkeit spricht. Ich muß gestehen, daß mir diese Schwärmerei für verfehlte mystische Psychologie als Oberflächlichkeit er­scheint. Sie ist bei Menschen vorhanden, in denen der Inhalt der Ideenwelt keine Empfindungen erzeugt. Sie können in die Tiefen dieses Inhaltes nicht hinabsteigen, sie fühlen die Wärme nicht, die von ihm ausströmt. Deshalb suchen sie diese Wärme in der Unklarheit. Wer imstande ist, sich ein­zuleben in die hellen Sphären der reinen Gedankenwelt, der empfindet in ihnen das, was er sonst nirgends empfinden kann. Persönlichkeiten wie die Goethes kann man nur er­kennen, wenn man die Ideen, von denen sie beherrscht sind, in ihrer lichten Klarheit in sich aufzunehmen vermag. Wer eine falsche Mystik in der Psychologie liebt, wird vielleicht meine Betrachtungsweise kalt finden. Ob es aber meine Schuld ist, daß ich das Dunkle und Unbestimmte nicht mit dem Tiefsinnigen für ein und dasselbe halten kann? So rein und klar, wie mir die Ideen erschienen sind, die in Goethe als
Dann, wenn wir uns so richtig versenken in diese Adlernatur, wenn wIr verstehen, inneres künstlerisches Naturverständnis zu entwickeln, welches das Geistige mitenthält, wenn wir hinschauen können, wie künstlerisch herausgebildet wird aus den Sonnenimpulsen, die verstärkt sind durch andere Impulse, die ich nachher nennen werde, wenn wIr das sehen, wie gleichsam diese Sonnenimpulse hinfluten über den Adler, schon bevor er aus dem Ei gekrochen ist, wie sie das Gefieder herauszaubern oder eigentlich, besser gesagt, hineinzaubern In seine Fleischesgestalt, und uns dann fragen: Was bedeutet denn das für den Menschen? - Ja, das bedeutet für den Menschen dasjenige, was sein Gehirn zum Träger der Gedanken macht. Und Sie sehen richtig hin in den Makrokosmos, in die große Natur, wenn Sie den Adler so ansehen, daß Sie sagen: Der Adler hat sein Gefieder, seine vielfarbigen, bunten Federn; in denen lebt dieselbe Kraft, die in dir lebt, indem sie dein Gehirn zum Gedankenträger macht. Dasjenige, was dein Gehirn faltet, was dein Gehirn fähig macht, jene innere Salzkraft aufzunehmen, die die Grundlage des Denkens ist, was dein Gehirn überhaupt dazu macht, dich zu einem Denker zu bilden, das ist dieselbe Kraft, die dem Adler in den Lüften sein Gefieder gibt. - So fühlen wir uns verwandt, indem wir denken, gewissermaßen den menschlichen Ersatz in uns fühlend für das Adlergefieder; unsere Gedanken strömen von dem Gehirn so aus, wIe ausfluten von dem Adler die Federn.


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Wenn wir von dem physischen Niveau heraufgehen in das astralische Niveau, dann müssen wir den paradoxen Satz aussprechen: Auf dem physischen Plan bewirken dieselben Kräfte die Federnbildung, die auf dem astralischen Plan die Gedankenbildung bewirken. Die Federnbildung geben sie dem Adler; das ist der physische Aspekt der Gedankenbildung. Dem Menschen geben sie die Gedanken; das ist der astralische Aspekt der Federnbildung. Solche Dinge liegen manchmal in


wirksame Kräfte gewaltet haben, versuche ich sie darzustel­len. Vielleicht findet auch mancher die Linien, die ich gezo­gen habe, die Farben, die ich aufgetragen habe, zu einfach. Ich meine aber, daß man das Große am besten charakteri­siert, wenn man es in seiner monumentalen Einfachheit dar­zustellen versucht. Die kleinen Schnörkel und Anhängsel verwirren nur die Betrachtung. Nicht auf nebensächliche Gedanken, zu denen er durch dieses oder jenes Erlebnis von untergeordneter Bedeutung veranlaßt worden ist, kommt es mir bei Goethe an, sondern auf die Grundrichtung seines Geistes. Mag dieser Geist auch da und dort Seitenwege ein schlagen: eine Haupttendenz ist immer zu erkennen. Und sie habe ich zu verfolgen gesucht. Wer da meint, daß die Regio­nen, durch die ich gegangen bin, eisig sind, von dem meine ich, er habe sein Herz zu Hause gelassen.
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Will man mir den Vorwurf machen, daß ich nur diejeni­gen Seiten der Goetheschen Weltanschauung schildere, auf die mich mein eigenes Denken und Empfinden weist, so kann ich nichts erwidern, als daß ich eine fremde Persön­lichkeit nur so ansehen will, wie sie mir nach meiner eigenen Wesenheit erscheinen muß. Die Objektivität derjenigen Darsteller, die sich selbst verleugnen wollen, wenn sie fremde Ideen schildern, schätze ich nicht hoch. Ich glaube, sie kann nur matte und farbenblasse Bilder malen. Ein Kampf liegt jeder wahren Darstellung einer fremden Weltanschauung zu Grunde. Und der völlig besiegte wird nicht der beste Darsteller sein. Die fremde Macht muß Achtung erzwingen; aber die eigenen Waffen müssen ihren Dienst tun. Ich habe deshalb rückhaltlos ausgesprochen, daß nach meiner An­sicht die Goethesche Denkweise Grenzen hat. Daß es Er­kenntnisgebiete gibt, die ihr verschlossen geblieben sind.
einer wunderbaren Weise im Genius der Volkssprache ausgedrückt.


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Wenn man eine Feder oben abschneidet und herausnimmt das, was da drinnen ist, so nennt das Volk das die Seele. Gewiß werden, manche eine äußerliche Bezeichnung in diesem Namen Seele sehen. Es ist keine äußere Bezeichnung, sondern eine Feder enthält für denjenigen, der die Sache durchschaut, etwas Ungeheures: sie enthält das Geheimnis der Gedankenbildung.


Ich habe gezeigt, welche Richtung die Beobachtung der Welterscheinungen nehmen muß, wenn sie in die Gebiete dringen will, die Goethe nicht betreten hat, oder auf denen er, wenn er sich in sie begeben hat, unsicher herumgeirrt ist. So interessant es ist, einem großen Geiste auf seinen Wegen zu folgen; ich möchte jedem nur so weit folgen, als er mich selbst fördert. Denn nicht die Betrachtung, die Er­kenntnis, sondern das Leben, die eigene Tätigkeit ist das Wertvolle. Der reine Historiker ist ein schwacher, ein un­kräftiger Mensch. Die historische Erkenntnis raubt die Energie und Spannkraft des eigenen Wirkens. Wer alles verstehen will, wird selbst wenig sein. Was fruchtbar ist, allein ist wahr, hat Goethe gesagt. Soweit Goethe für unsere Zeit fruchtbar ist, soweit soll man sich in seine Gedanken- und Empfindungswelt einleben. Und ich glaube, aus der folgenden Darstellung wird hervorgehen, daß unzählige noch ungehobene Schätze in dieser Gedanken- und Emp­findungswelt verborgen liegen. Ich habe auf die Stellen hingedeutet, an denen die moderne Wissenschaft hinter Goethe zurückgeblieben ist. Ich habe von der Armut der gegenwärtigen Ideenwelt gesprochen und ihr den Reich­tum und die Fülle der Goetheschen entgegengehalten. In Goethes Denken sind Keime, welche die moderne Natur­wissenschaft zur Reife bringen sollte. Für sie könnte dieses Denken vorbildlich sein. Sie hat einen größeren Beobach­tungsstoff als Goethe. Aber sie hat diesen Stoff nur mit spär­lichem und unzureichendem Ideengehalt durchsetzt. Ich hoffe, daß aus meinen Ausführungen hervorgeht, wie we­nig Eignung die moderne naturwissenschaftliche Denk­weise dazu besitzt, Goethe zu kritisieren, und wie viel sie von ihm lernen könnte.  
Sehen wir jetzt weg von dem Adler, der in den Lüften wohnt, sehen wir, um wieder einen Repräsentanten zu haben, ein solches Säugetier wie den Löwen an. Man kann eigentlich den Löwen nur verstehen, wenn man ein Gefühl dafür entwickelt, welche Freude> welche innere Befriedigung der Löwe hat, mit seiner Umgebung zu leben. Es gibt eigentlich kein Tier, welches nicht löwenverwandt ist, das eine so wundervolle, geheimnisvolle Atmung hat. Es müssen überall beim tierischen Wesen die Atmungsrhythmen zusammenstimmen mit den Zirkulationsrhythmen, nur daß die Zirkulationsrhythmen schwer werden durch den an ihnen hängenden Verdauungsapparat, die Atmungsrhythmen leicht werden dadurch, daß sie anstreben, hinauf in die Leichtigkeit der Gehirnbildungen zu kommen. Es ist beim Vogel so, daß dasjenige, was in seinem Atmen lebt, eigentlich zugleich in seinem Kopfe lebt. Der Vogel ist ganz Kopf, und er trägt sozusagen den Kopf äußerlich für die Welt hin. Seine Gedanken sind die Formen seines Gefieders. Es gibt eigentlich für ein richtiges Naturgefühl, das in Schönheit leben kann, nichts Rührenderes, als die innige Verwandtschaft dessen zu fühlen, was Menschengedanke ist, wenn er so ganz konkret wird, wenn er so ganz innerlich lebendig wird, mit einem Vogelgefieder. Derjenige, der in solchen Dingen eine innere Praxis hat, der weiß ganz genau, wann er pfauenmäßig denkt und wann er adlermäßig denkt und wann er spatzenhaft denkt. Die Dinge sind durchaus so, daß mit Ausnahme davon, daß das eine astralisch, das andere physisch ist, sich die Dinge in einer wunderbaren Art entsprechen. Es ist so. So daß man sagen kann: Der Vogel hat ein so überwiegendes Leben in der Atmung, daß das andere, Blutzirkulation und so weiter, fast verschwindet. Alle Schwere der Verdauung, ja selbst die Schwere der Blutzirkulation ist eigentlich von dem In-sich-Fühlen beim Vogel weggefegt, ist nicht da.


Rudolf Steiner
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Beim Löwen ist das so, daß eine Art von Gleichgewicht besteht zwischen dem Atmen und der Blutzirkulation. Allerdings, die Blutzirkulation wird auch beim Löwen schwer gemacht, aber nicht so schwer wie, sagen wir bei dem Kamel oder bei dem Rind. Da ist die Verdauung etwas, was die Blutzirkulation ungemein belastet. Beim Löwen, der einen verhältnismäßig sehr kurzen Verdauungsapparat hat und der ganz so gebaut ist, daß die Verdauung auch möglichst schnell sich vollzieht, ist das so, daß die Verdauung keine starke Belastung ist für die Zirkulation. Dagegen ist es wiederum so, daß nach der anderen Seite im Löwenkopf eine solche Entfaltung des Kopfmäßigen ist, daß die Atmung im Gleichgewichte mit dem Zirkulationsrhythmus gehalten ist. Der Löwe ist dasjenige Tier, das am allermeisten einen inneren Rhythmus des Atmens und einen Rhythmus des Herzschlages hat, die sich innerlich die Waage halten, die sich innerlich harmonisieren. Der Löwe hat deshalb auch, wenn wir, ich möchte sagen, auf sein subjektives Leben eingehen, diese eigentümliche Art, mit einer schier unbegrenzten Gier seine Nahrung zu verschlingen, weil er eigentlich froh ist, wenn er sie drunten hat. Er ist gierig auf die Nahrung, weil ihm natürlich der Hunger viel mehr Pein macht als einem anderen 'Tiere; er ist gierig auf die Nahrung, aber er ist nicht versessen darauf, ein besonderer Gourmand zu sein. Er ist gar nicht darauf versessen, viel zu schmecken, weil er ein Tier ist, das seine innere Befriedigung aus dem Gleichmaß von Atmung und Blutzirkulation hat. Erst wenn der Fraß beim Löwen übergegangen ist in das Blut, das den Herzschlag reguliert, und dieser Herzschlag in ein Wechselverhältnis kommt mit der Atmung, an der der Löwe wieder seine Freude hat, indem er den Atmungsstrom mit einer tiefen inneren Befriedigung in sich hereinnimmt, erst dann, wenn er in sich fühlt die Folge des Fraßes, dieses innere Gleichgewicht zwischen Atmung und Blutzirkulation, dann lebt der Löwe in seinem Elemente. Er lebt eigentlich ganz als Löwe, wenn er die tiefe innere Befriedigung hat, daß ihm sein Blut heraufschlägt, daß ihm seine Atmung hinunterpulsiert. Und in diesem gegenseitigen Berühren zweier Wellenschläge lebt der Löwe.


= EINLEITUNG =
Sehen Sie sich ihn an, diesen Löwen, wie er läuft, wie er springt, wie er seinen Kopf hält, selbst wie er blickt, so werden Sie sehen, daß


Will man Goethes Weltanschauung verstehen, so darf man sich nicht damit begnügen, hinzuhorchen, was er selbst in einzelnen Aussprüchen über sie sagt. In kristallklaren, scharf geprägten Sätzen den Kern seines Wesens auszusprechen, lag nicht in seiner Natur. Solche Sätze schienen ihm die Wirklichkeit eher zu verzerren als richtig abzubilden. Er hatte eine gewisse Scheu davor, das Lebendige, die Wirk­lichkeit in einem durchsichtigen Gedanken festzuhalten. Sein Innenleben, seine Beziehung zur Außenwelt, seine Be­obachtungen über die Dinge und Ereignisse waren zu reich, zu erfüllt von zarten Bestandteilen, von intimen Elementen, um von ihm selbst in einfache Formeln gebracht zu werden. Er spricht sich aus, wenn ihn dieses oder jenes Erlebnis da­zu drängt. Aber er sagt immer zu viel oder zu wenig. Die lebhafte Anteilnahme an allem, was an ihn herankommt, be­stimmt ihn oft, schärfere Ausdrücke zu gebrauchen, als es seine Gesamtnatur verlangt. Sie verführt ihn ebenso oft, sich unbestimmt zu äußern, wo ihn sein Wesen zu einer be­stimmten Meinung nötigen könnte. Er ist immer ängstlich, wenn es sich darum handelt, zwischen zwei Ansichten zu entscheiden. Er will sich die Unbefangenheit nicht dadurch rauben, daß er seinen Gedanken eine scharfe Richtung gibt. Er beruhigt sich bei dem Gedanken: «Der Mensch ist nicht geboren, die Probleme der Welt zu lösen, wohl aber zu su­chen, wo das Problem angeht, und sich sodann in der Gren­ze des Begreiflichen zu halten. »Ein Problem, das der Mensch gelöst zu haben glaubt, entzieht ihm die Möglichkeit, tau­send Dinge klar zu sehen, die in den Bereich dieses Problems fallen. Er achtet auf sie nicht mehr, weil er über das Gebiet
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das alles zurückführt auf ein fortwährendes rhythmisches Wechselspiel von etwas Aus-dem-Gleichgewicht-Kommen und wieder Ins-Gleichgewicht-Kommen. Es gibt vielleicht kaum etwas, was so geheimnisvoll einen anmuten kann als dieser merkwürdige Löwenblick, der so viel aus sich herausschaut, der herausschaut aus sich etwas von innerlicher Bewältigung, von Bewältigung von entgegengesetzt Wirksamem. Das ist dasjenige, was der Löwenblick nach außen schaut: diese Bewältigung des Herzschlages durch den Atmungsrhythmus in einer schier ganz vollkommenen Weise.


aufgeklärt zu sein glaubt, in das sie fallen. Goethe möchte lieber zwei Meinungen über eine Sache haben, die einander entgegengesetzt sind, als eine bestimmte. Denn jedes Ding scheint ihm eine Unendlichkeit einzuschließen, der man sich von verschiedenen Seiten nähern muß, um von ihrer ganzen Fülle etwas wahrzunehmen. «Man sagt, zwischen zwei entgegengesetzten Meinungen liegt die Wahrheit mit­ten inne. Keineswegs! Das Problem liegt dazwischen, das Unschaubare, das ewig tätige Leben, in Ruhe gedacht.» Goethe will seine Gedanken lebendig erhalten, damit er in jedem Augenblicke sie umwandeln könne, wenn die Wirk­lichkeit ihn dazu veranlaßt. Er will nicht recht haben; er will stets nur aufs «Rechte losgehen». In zwei verschiedenen Zeitpunkten spricht er sich über dieselbe Sache verschieden aus. Eine feste Theorie, die ein für allemal die Gesetzmäßig­keit einer Reihe von Erscheinungen zum Ausdruck bringen will, ist ihm bedenklich, weil eine solche der Erkenntniskraft das unbefangene Verhältnis zur beweglichen Wirk­lichkeit raubt.
Und wiederum, wer Sinn für künstlerische Auffassung von Gestaltungen hat, der schaue sich das Maul des Löwen an, diesen Bau im Maul des Löwen, der so zeigt: der Herzschlag pulsiert herauf bis zu diesem Maul, aber die Atmung hält ihn zurück. Wenn Sie sich dieses Gegenseitig-sich-Berühren von Herzschlag und Atmung ausmalen, so kommen Sie auf das Löwenmaul.


Wenn man dennoch die Einheit seiner Anschauungen überschauen will, so muß man weniger auf seine Worte hö­ren, als auf seine Lebensführung sehen. Man muß sein Ver­hältnis zu den Dingen belauschen, wenn er ihrem Wesen nachforscht und dabei das ergänzen, was er selbst nicht sagt. Man muß auf das Innerste seiner Persönlichkeit eingehen, das sich zum größten Teile hinter seinen Äußerungen ver­birgt. Was er sagt, mag sich oft widersprechen; was er lebt, gehört immer einem sich selber tragenden Ganzen an. Hat er seine Weltanschauung auch nicht in einem geschlossenen System aufgezeichnet; er hat sie in einer geschlossenen Per­sönlichkeit dargelebt. Wenn wir auf sein Leben sehen, so
Der Löwe ist eben ganz Brustorgan. Er ist wirklich das Tier, welches in seiner äußeren Gestalt, in seiner Lebensweise das rhythmische System ganz zum Ausdrucke bringt. Der Löwe ist so organisiert, daß sich dieses Wechselspiel von Herzschlag und Atmen auch in dem gegenseitigen Verbältnis von seinem Herzen und seiner Lunge zum Ausdrucke bringt.


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So daß wir wirklich sagen müssen: Wenn wir am Menschen etwas suchen, was dem Vogel am ähnlichsten ist, was nur metamorphosiert ist, so ist es der Menschenkopf; wenn wir am Menschen etwas suchen, was dem Löwen am ähnlichsten ist, so ist es die menschliche Brustgegend, da, wo die Rhythmen sich begegnen, die Rhythmen der Zirkulation und der Atmung.


lösen sich alle Widersprüche in seinem Reden. Sie sind in seinem Denken über die Welt nur in dem Sinne vorhanden wie in der Welt selbst. Er hat über die Natur dies und jenes gesagt. In einem festgefügten Gedankengebäude hat er seine Naturanschauung niemals niedergelegt. Aber wenn wir seine einzelnen Gedanken auf diesem Gebiete überblicken, so schließen sie sich von selbst zu einem Ganzen zusammen. Man kann sich eine Vorstellung davon machen, welches Gedankengebäude entstanden wäre, wenn er seine Ansich­ten im Zusammenhang vollständig dargestellt hätte. Ich habe mir vorgesetzt, in dieser Schrift zu schildern, wie Goethes Persönlichkeit in ihrem innersten Wesen geartet gewesen sein muß, um über die Erscheinungen der Natur solche Gedanken äußern zu können, wie er sie in seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten niedergelegt hat. Daß manchem von dem, was ich sagen werde, Goethesche Sätze entgegengehalten werden können, die ihm widersprechen, weiß ich. Es handelt sich mir aber in dieser Schrift nicht darum, eine Entwicklungsgeschichte seiner Aussprüche zu geben, sondern darum, die Grundlagen seiner Persönlich­keit darzustellen, die ihn zu seinen tiefen Einsichten in das Schaffen und Wirken der Natur führten. Nicht aus den zahlreichen Sätzen, in denen er an andere Denkweisen sich anlehnt, um dadurch verständlich zu werden; oder in denen er sich der Formeln bedient, welche der eine oder der andere Philosoph gebraucht hat, lassen sich diese Grundlagen er­kennen. Aus den Äußerungen zu Eckermann könnte man sich einen Goethe konstruieren, der nie die Metamorphose der Pflanzen hätte schreiben können. An Zelter hatte Goe­the manches Wort gerichtet, das verführen könnte, auf eine wissenschaftliche Gesinnung zu schließen, die seinen gro­ßen
Und jetzt lenken wir den Blick ab von alledem, was sich uns darbietet oben in den Lüften als das Vogelgeschlecht; was eigentlich, weil es in der Luft, die in der unmittelbaren Umgebung der Erde ist, mit dem Luftkreislauf lebt wie im Löwen; sehen wir uns das Rind an. Ich habe schon öfter in anderen Zusammenhängen darauf hingewiesen, wie reizvoll es ist, eine gesättigte Herde, hingelagert auf der Weide, zu betrachten, dieses Geschäft des Verdauens zu beobachten, das sich in der Lage wiederum, in dem Augenausdruck, in jeder Bewegung ausdrückt.  


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Gedanken über die Bildung der Tiere widerspricht. Ich gebe zu, daß in Goethes Persönlichkeit auch Kräfte gewirkt haben, die ich nicht berücksichtigt habe. Aber diese Kräfte treten zurück hinter den eigentlich bestimmenden, die seiner Weltanschauung das Gepräge geben. Diese bestimmenden Kräfte so scharf zu charakterisieren, als mir möglich ist, habe ich mir zur Aufgabe gestellt. Man wird beim Lesen dieses Buches deshalb beachten müssen, daß ich nirgends die Absicht gehabt habe, etwa Bestandteile einer eigenen Weltanschauung durch die Darstellung der Goetheschen Vorstellungsart hindurchschimmern zu lassen. Ich glaube, daß man bei einem Buche dieser Art kein Recht hat, die eige­ne Weltanschauung inhaltlich zu vertreten, sondern daß man die Pflicht hat, dasjenige, was einem die eigene Weltanschau­ung gibt, zum Verstehen der geschilderten zu verwenden. Ich habe z. B. Goethes Verhältnis zur abendländischen Ge­dankenentwickelung so schildern wollen, wie sich dieses Verhältnis vom Gesichtspunkte der Goetheschen Weltan­schauung aus darstellt. Für die Betrachtung der Weltan­schauungen einzelner Persönlichkeiten scheint mir diese Art einzig die historische Objektivität zu verbürgen. Eine ande­re Art hat erst einzutreten, wenn eine solche Weltanschau­ung im Zusammenhange mit anderen betrachtet wird.
Versuchen Sie es einmal, eine Kuh, die auf der Weide liegt, anzuschauen, wenn meinetwillen etwas da oder dort irgendein Geräusch gab. Es ist ja so wunderbar, zu sehen, wie die Kuh den Kopf hebt, wie in diesem Heben das Gefühl liegt, daß das alles schwer ist, daß man den Kopf nicht leicht heben kann, wie ein ganz Besonderes noch da drinnen liegt. Man kann, wenn man eine Kuh so in einer Störung auf der Weide den Kopf hochheben sieht, auf nichts anderes kommen, als sich sagen: Diese Kuh ist erstaunt darüber, daß sie den Kopf zu etwas anderem als zum Abgrasen heben soll. Warum hebe ich denn jetzt eigentlich den Kopf? Ich grase ja nicht, und es hat keinen Zweck, den Kopf zu heben, wenn ich nicht grase. - Sehen Sie nur, wie das ist! Das ist im Kopfheben des Tieres drinnen. Aber es ist nicht nur im Kopfheben des Tieres drinnen. Sie können sich ni`cht vorstellen, daß der Löwe den Kopf so hebt, wie die Kuh ihn hebt. Das ist in der Form des Kopfes drinnen. Und geht man weiter, geht man auf die ganze Form des Tieres ein - es ist ja das ganze Tier der, ich möchte sagen ausgewachsene Verdauungsapparat! Die Schwere der Verdauung lastet so auf der Blutzirkulation, daß das alles Kopf und Atmung überwältigt. Es ist ganz Verdauung, das Tier. Es ist wirklich, wenn man das nun geistig anschaut, unendlich wunderbar, wenn man den Blick hinaufwendet zum Vogel, und dann herunterschaut auf die Kuh.


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Natürlich, wenn man die Kuh physisch noch so hoch hebt, sie wird kein Vogel. Aber wenn man zu gleicher Zeit das Physische an der Kuh übergehen lassen könnte - zunächst indem man sie in die Lüfte bringt, die der Erde unmittelbar nahe sind, in das Luft-Feuchtige, und wenn man das zugleich überführen könnte in eine Verwandlung ihrer Äthergestalt, die nun angemessen wäre dem Feuchtigen, und sie dann weiterheben würde und würde sie bis zum Astralischen bringen können, dann würde hoch oben die Kuh ein Vogel. Astralisch würde sie ein Vogel.


Sehen Sie, da drängt sich einem eben das Wunderbare auf, daß man sich sagt, wenn man das nun durchschaut: Was der Vogel da oben astralisch hat aus seinem Astralleib, was da arbeitet, wie ich gesagt habe, an der Gestaltung seines Gefieders, das hat die Kuh ins Fleisch, in die Muskeln, in die Knochen hineingebracht. Physisch geworden ist an


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= GOETHES STELLUNG INNERHALB DER ABENDLÄNDISCHEN GEDANKENENTWICKLUNG =
der Kuh dasjenige, was astralisch ist am Vogel. Es sieht natürlich in der Astralität anders aus, aber es ist so.
 
Wiederum, wenn ich umgekehrt dasjenige, was der Astralität eines Vogels angehört, herunterfallen ließe, dabei die Umwandelung ins Ätherische und Physische vornehmen würde, dann würde der Adler eine Kuh werden, weil das, was astralisch am Adler ist, verfleischt, verkörperlicht ist in der Kuh, die am Boden liegt, wenn sie verdaut; denn es gehört zu diesem Verdauen bei der Kuh, eine wunderbare Astralität zu entwickeln. Die Kuh wird schön im Verdauen. Es liegt, astralisch angesehen, etwas ungeheuer Schönes darinnen in diesem Verdauen. Und wenn man so aus den gewöhnlichen Philisterbegriffen heraus eben in Philisteridealismus sich sagt: Das Verdauungsgeschäft ist das niedrigste -, dann wird man Lügen gestraft, wenn man von einer höheren Warte aus In geistiger Anschauung dieses Verdauungsgeschäft bei der Kuh anschaut. Das ist schön, das ist großartig, das ist etwas ungeheuer Geistiges.
 
Zu dieser Geistigkeit bringt es der Löwe nicht; der Vogel erst recht nicht. Beim Vogel ist das Verdauungsgeschäft fast etwas ganz Physisches. Man findet natürlich den Ätherleib im Verdauungsapparat des Vogels, aber man findet sehr wenig, fast gar nichts von Astralität in den Verdauungsvorgängen des Vogels. Dagegen bei der Kuh ist in den Verdauungsvorgängen etwas, was, astralisch angesehen, ganz großartig ist, eine ganze Welt ist. Und da hat man, wenn man jetzt das Ähnliche beim Menschen ansehen will, wiederum diese Korrespondenz zwischen dem, was die Kuh einseitig ausbildet, die physische Verfleischung eines gewissen Astralischen, da hat man das beim Menschen harmonisch zu dem anderen hinzuverwebt in seinen Verdauungsorganen und in ihrer Fortsetzung, in den Gliedmaßen. So daß wirklich das, was ich schaue hoch oben in den Lüften im Adler, was ich schaue da, wo das Tier sich unmittelbar an der Luft erfreut wie beim Löwen, was ich schaue dann, wenn das Tier verbunden ist mit den unterirdischen Erdenkräften, die weiterwirken in seinen Verdauungsorganen, wenn ich also statt in die Höhe, hinunter in die Tiefe schaue und verständnisvoll von da aus das Wesen der Kuh durchdringe, dann habe ich die drei Gestalten, die im Menschen zu einer Harmonie vereinigt sind und sich dadurch ausglei-


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chen: die Metamorphose des Vogels im Menschenhaupt, die Metamorphose des Löwen in der Menschenbrust, die Metamorphose der Kuh in dem Verdauungs- und Gliedmaßenapparat des Menschen, natürlich im Gliedmaßenapparat wieder kolossal metamorphosiert, kolossal umgestaltet.
Wenn man so heute hinschaut auf diese Dinge und wiederum darauf kommt, wie der Mensch eigentlich aus der ganzen Natur heraus geboren ist und in sich die ganze Natur wiederum trägt, so wie ich es dargestellt habe, wie er das Vogelreich, das Löwen reich, das Kuhwesen in sich trägt, dann bekommt man die einzelnen Bestandteile dessen, was der abstrakte Satz sagt: Der Mensch ist eine kleine Welt. - Er ist schon eine kleine Welt, und die große Welt ist in ihm, und all das Getier, welches in den Lüften wohnt, und das Getier, welches um die Erde herum in der kreisenden Luft sein hauptsächlichstes Element hat, und das Getier, welches unter dem Erdboden in den Kräften der Schwere sein hauptsächlichstes Element hat, sie wirken im Menschen zu einer harmonischen Ganzheit zusammen. Und der Mensch ist dann die Zusammenfassung von Adler, Löwe, Stier oder Kuh.
Wenn man das wiederum aus neuerer Geisteswissenschaft heraus erforscht, durchschaut, dann bekommt man diesen großen Respekt, von dem ich öfter gesprochen habe, vor den alten instinktiven hellseherischen Einsichten in den Kosmos; dann bekommt man den großen Respekt zum Beispiel vor so etwas, wie das gewaltige Bild ist von dem Bestehen des Menschen aus Adler, Löwe, Kuh oder Stier, die zusammen, entsprechend sich harmonisierend, den Menschen als eine Ganzheit bilden.
Aber bevor ich übergehe dazu - das kann auch morgen sein -, die einzelnen Impulse zu besprechen, die zum Beispiel in den Kräften, die den Adler umschweben, sind, die in den Kräften sind, die den Löwen umschweben, welche die Kuh umschweben, möchte ich noch eine andere Korrespondenz des Innerlich-Menschlichen mit dem, was draußen im Kosmos ist, besprechen.
Wir bekommen ja jetzt nach dem, was wir schon wissen, die Vorstellung davon. Das menschliche Haupt sucht das seiner Natur Entsprechende: es muß den Blick hinaufrichten zu dem Vogelgeschlecht.


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= GOETHE UND SCHILLER =
Die menschliche Brust, der Herzschlag, die Atmung muß, wenn es s1ch begreifen will als Geheimnis in den Naturgeheimnissen, hinwenden den Blick zu so etwas, was der Löwe ist. Der Mensch muß 5einen Stoffwechselapparat versuchen zu verstehen aus der Konstitution, aus der Organisation des Rindes. Aber der Mensch hat in seinem Haupte die Träger seiner Gedanken, in seiner Brust die Träger seiner Gefühle, in seinem Stoffwechselapparat die Träger seines Willens. So daß also auch seelisch der Mensch ein Abbild ist der mit dem Vogelgeschlecht die Welt durchwebenden Vorstellungen, die sich im Gefieder der Vögel ausdrücken; der die Erde umkreisenden Gefühlswelt, die sich im inneren Ausgleichsleben zwischen Herzschlag und Atmung beim Löwen findet, die gemildert ist beim Menschen, die aber beim Menschen eben das innerliche Mutvolle - die griechische Sprache hatte das Wort mutvoll für die Herzenseigenschaften, für die Brusteigenschaften gebildet - darstellt. Und wenn er seine Willensimpulse finden will, die vorzugsweise in seinem Stoffwechsel sitzen, wenn er diese äußerlich gestaltet, schaut er hin auf dasjenige, was fleischlich in der Kuh gestaltet ist.


Goethe erzählt von einem Gespräch, das sich einstmals zwischen ihm und Schillern entspann, nachdem beide einer Sitzung der naturforschenden Gesellschaft in Jena beige­wohnt hatten. Schiller zeigte sich wenig befriedigt von dem, was in der Sitzung vorgebracht worden war. Eine zer­stückelte Art, die Natur zu betrachten, war ihm entgegen getreten. Und er bemerkte, daß eine solche den Laien keines­wegs anmuten könne. Goethe erwiderte, daß sie den Ein­geweihten selbst vielleicht unheimlich bliebe, und daß es noch eine andere Weise geben könne, die Natur nicht ge­sondert und vereinzelt, sondern sie wirkend und lebendig, aus dem Ganzen in die Teile strebend darzustellen. Und nun entwickelte Goethe die großen Ideen, die ihm über die Pflan­zennatur aufgegangen waren. Er zeichnete «mit manchen charakteristischen Federstrichen eine symbolische Pflanze» vor Schillers Augen. Diese symbolische Pflanze sollte die Wesenheit ausdrücken, die in jeder einzelnen Pflanze lebt, was für besondere Formen eine solche auch annimmt. Sie sollte das sukzessive Werden der einzelnen Pflanzenteile, ihr Hervorgehen auseinander und ihre Verwandtschaft un­tereinander zeigen. Über diese symbolische Pflanzengestalt schrieb Goethe am 17. April 1787 in Palermo die Worte nie­der «Eine solche muß es denn doch geben! Woran würde ich sonst erkennen, daß dieses oder jenes Gebilde eine Pflan­ze sei, wenn sie nicht alle nach einem Muster gebildet wä­ren.» Die Vorstellung einer plastisch-ideellen Form, die dem Geiste sich offenbart, wenn er die Mannigfaltigkeit der Pflanzengestalten überschaut und ihr Gemeinsames be­achtet, hatte Goethe in sich ausgebildet. Schiller betrachtete
Das, was heute grotesk, paradox klingt, was vielleicht wahnsinnig erscheint für eine Zeit, die so gar keinVerständnis mehr hat für die geistigen Zusammenhänge der Welt, enthält aber doch eine Wahrheit, auf die alte Gebräuche hindeuten. Sehen Sie, es ist doch eine auffallende Erscheinung, daß jener Mahatma Gandhi, den jetzt mehr schlecht als recht Romain Rolland in einer wenig erfreulichen Schrift der Welt beschrieben hat, daß jener Mahatma Gandhi, der seine Tätigkeit zwar ganz nach außen gewendet hat, aber dabei, innerhalb des indischen Volkes, ich möchte sagen, wie ein nach Indien hinüber versetzter Aufklärer des 18. Jahrhunderts gegenüber der alten Hindureligion dasteht, daß der in seinem aufklärerischen Hinduismus aber eines bewahrt hat: die Verehrung der Kuh. Von der könne man nicht abkommen, sagt der Mahatma Gandhi, der, wie Sie wissen, von den Engländern sechs Jahre schweren Kerkers bekommen hat für seine politische Tätigkeit in Indien. Die Verehrung der Kuh behält er bei.
 
Solche Dinge, die mit einer Zähigkeit in geistigeren Kulturen sich erhalten haben, begreift man nur, wenn man diese Zusammenhänge kennt, wenn man wirklich weiß, welche ungeheuren Geheimnisse in  


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dieses Gebilde, das nicht in einer einzelnen, sondern in allen Pflanzen leben sollte, und sagte kopfschüttelnd: «Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee.» Wie aus einer fremden Welt kommend, erschienen Goethe diese Worte. Er war sich bewußt, daß er zu seiner symbolischen Gestalt durch dieselbe Art naiver Wahrnehmung gelangt war wie zu der Vorstellung eines Dinges, das man mit Augen sehen und mit Händen greifen kann. Wie die einzelne Pflanze, so war für ihn die symbolische oder Urpflanze ein objektives We­sen. Nicht einer willkürlichen Spekulation, sondern unbe­fangener Beobachtung glaubte er sie zu verdanken. Er konn­te nichts entgegnen als: «Das kann mir sehr lieb sein, wenn ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe.» Und er war ganz unglücklich, als Schiller daran die Worte knüpfte: «Wie kann jemals eine Erfahrung gegeben werden, die einer Idee angemessen sein sollte. Denn darin besteht das Eigentümliche der letzteren, daß ihr niemals eine Erfahrung kongruieren könne.»
dem Verdauungstier, der Kuh, leben, und wie man verehren kann, ich möchte sagen, ein irdisch gewordenes und deshalb nur niedrig gewordenes, ein irdisch gewordenes hoch Astralisches in der Kuh. Aus solchen Dingen heraus begreift man auch die religiöse Verehrung, die im Hinduismus der Kuh zukommt, während sie aus all dem rationalistischen und intellektualistischen Begriffsgestrüppe, das man daran hängt, niemals begriffen werden kann.


Zwei entgegengesetzte Weltanschauungen stehen in die­sem Gespräche einander gegenüber. Goethe sieht in der Idee eines Dinges ein Element, das in demselben unmittel­bar gegenwärtig ist, in ihm wirkt und schafft. Ein einzelnes Ding nimmt, nach seiner Ansicht, bestimmte Formen aus dem Grunde an, weil die Idee sich in dem gegebenen Falle in einer besonderen Weise ausleben muß. Es hat für Goethe keinen Sinn zu sagen, ein Ding entspreche der Idee nicht. Denn das Ding kann nichts anderes sein, als das, wozu es die Idee gemacht hat. Anders denkt Schiller. Ihm sind Ideenwelt und Erfahrungswelt zwei getrennte Reiche. Der Erfahrung gehören die mannigfaltigen Dinge und Ereig­nisse an, die den Raum und die Zeit erfüllen. Ihr steht das
Und so sehen wir eben, wie Wille, Gefühl, Gedanke gesucht werden können draußen im Kosmos, gesucht werden können im Mikrokosmos in ihrer Korrespondenz.
 
Aber sehen Sie, wir haben auch noch mancherlei andere Kräfte im Menschen, und wir haben mancherlei anderes in der Natur draußen. Da bitte ich Sie, einmal folgendes zu beachten. Beachten Sie einmal jene Metamorphose, die durchgemacht wird von dem Tiere, das dann ein Schmetterling wird.
 
Sie wissen, der Schmetterling legt sein Ei. Aus dem Ei kommt die Raupe heraus. Die Raupe also ist aus dem Ei herausgekommen; das Ei enthält ringsum geschlossen alles dasjenige, was Anlage des späteren Tieres ist. Nun kommt die Raupe aus dem Ei. Sie kommt an die lichtdurchflossene Luft. Das ist die Umgebung, in die sie hineinkommt, die Raupe. Da müssen Sie eben ins Auge fassen, wie eigentlich diese Raupe nun in der sonnendurchleuchteten Luft lebt. Das müssen Sie dann studieren, wenn Sie, sagen wir, des Nachts im Bette liegen, die Lampe angezündet haben und eine Motte nach der Lampe fliegt, dem Lichte zufliegt und den Tod findet im Lichte. Dieses Licht wirkt auf die Motte so, daß sie sich unterwirft dem Tod-Suchen. Damit haben wir schon die Wirkung des Lichtes auf das Lebendige.
 
Nun, die Raupe - ich deute diese Dinge nur aphoristisch an, wir werden sie morgen und übermorgen etwas genauer betrachten - kann nicht zur Lichtquelle hinauf, um sich hineinzustürzen, zur Sonne nämlich, aber sie möchte es; sie möchte es ebenso stark, wie es die Motte will, die sich in die Flamme neben Ihrem Bette wirft und darinnen umkommt. Die Motte wirft sich in die Flamme und findet den Tod im physischen Feuer. Die Raupe sucht ebenso die Flamme, jene Flamme, die ihr entgegenkommt von der Sonne. Aber sie kann sich nicht in die  


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Reich der Ideen gegenüber, als eine anders geartete Wirk­lichkeit, dessen sich die Vernunft bemächtigt. Weil von zwei Seiten dem Menschen seine Erkenntnisse zufließen, von außen durch Beobachtung und von innen durch das Denken, unterscheidet Schiller zwei Quellen der Erkennt­nis. Für Goethe gibt es nur eine Quelle der Erkenntnis, die Erfahrungswelt, in welcher die Ideenwelt eingeschossen ist. Für ihn ist es unmöglich, zu sagen: Erfahrung und Idee, weil ihm die Idee durch die geistige Erfahrung so vor dem geisti­gen Auge liegt, wie die sinnliche Welt vor dem physischen.
Sonne werfen; der Übergang ins Licht und in die Wärme bleibt bei ihr etwas Geistiges. Die ganze Sonnenwirkung geht auf sie über als eine geistige. Sie verfolgt jeden Sonnenstrahl, diese Raupe, sie geht bei Tag mit dem Sonnenstrahl mit. Geradeso wie sich die Motte einmal ins Licht stürzt und ihre ganze Mottenmaterie hingibt dem Lichte, so webt die Raupe ihre Raupenmaterie langsam in das Licht hinein, setzt bei Nacht ab, webt bei Tag weiter, und spinnt und webt um sich herum den ganzen Kokon. Und im Kokon, in den Kokonfäden haben wir darinnen dasjenige, was aus ihrer eigenen Materie die Raupe, indem sie fortspinnt im strömenden Sonnenlicht, aus sich heraus webt. Jetzt hat die Raupe, die zur Puppe geworden ist, sich die Sonnenstrahlen, die sie nur verkörperlicht hat, aus ihrer eigenen Raupensubstanz um sich herumgewoben. Die Motte verbrennt schnell im physischen Feuer. Die Raupe stürzt sich hinein, sich opfernd, in das Sonnenlicht, und webt um sich in der Richtung des jeweiligen Sonnenlichts, das sie verfolgt, die


Schillers Anschauung ist hervorgegangen aus der Philo­sophie seiner Zeit. Die grundlegenden Vorstellungen, wel­che dieser Philosophie das Gepräge gegeben haben, und welche treibende Kräfte der ganzen abendländischen Gei­stesbildung geworden sind, muß man im griechischen Altertume suchen. Man kann von der besonderen Wesen­heit der Goetheschen Weltanschauung ein Bild gewinnen, wenn man sie ganz aus sich selbst heraus, gewissermaßen mit Ideen, die man bloß aus ihr entlehnt, zu kennzeichnen versucht. Das soll in den späteren Teilen dieser Schrift angestrebt werden. Einer solchen Kennzeichnung kann aber zu Hilfe kommen ein vorangehendes Betrachten der Tat­sache, daß sich Goethe über gewisse Dinge in der einen oder andern Art ausgesprochen hat, weil er sich in Überein Stimmung oder in Gegensatz fühlte mit dem, was andere über ein Gebiet des Natur- und Geisteslebens dachten. Mancher Ausspruch Goethes wird nur verständlich, wenn man die Vorstellungsarten betrachtet, denen er sich gegen­über gestellt fand, und mit denen er sich auseinandersetzte, um einen eigenen Gesichtspunkt zu gewinnen. Wie er über dies oder jenes dachte und empfand, gibt zugleich eine Aufklärung
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Fäden des Sonnenlichts. Wenn Sie den Kokon des Seidenspinners nehmen und sehen ihn an: das ist gewobenes Sonnenlicht, nur daß das Sonnenlicht verkörpert ist durch die Substanz der seidenspinnenden Raupe selber. Damit aber ist der Raum innerlich abgeschlossen. Das äußere Sonnenlicht ist überwunden gewissermaßen. Aber dasjenige, was vom Sonnenlichte, wie ich Ihnen gesagt habe, in die Kromlechs hineingeht - ich habe es Ihnen bei den Auseinandersetzungen über die Drui
 
denmysterien gesagt -, das ist jetzt da innerlich. Und jetzt hat die Sonne, während sie früher die physische Gewalt ausübte und die Raupe


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über das Wesen seiner eigenen Weltanschauung. Man muß, wenn man über dieses Gebiet Goetheschen We­sens sprechen will, manches zum Ausdruck bringen, was bei ihm nur unbewußte Empfindung geblieben ist. In dem hier angeführten Gespräch mit Schiller stand vor Goethes geistigem Auge eine der seinigen gegensätzliche Weltan­schauung. Und diese Gegensätzlichkeit zeigt, wie er emp­fand über diejenige Vorstellungsart, die, von einer Seite des Griechentums herkommend, einen Abgrund sieht zwischen der sinnlichen und der geistigen Erfahrung und wie er, ohne solchen Abgrund, die Erfahrung der Sinne und die Erfahrung des Geistes sich zusammenschließen sah in einem Weltbild, das ihm die Wirklichkeit vermittelte. Will man bewußt als Gedanken in sich beleben, was Goethe mehr oder weniger unbewußt als Anschauung über die Gestalt der abendländischen Weltanschauungen in sich trug, so werden diese Gedanken die folgenden sein. In einem ver­hängnisvollen Augenblicke bemächtigte sich eines griechi­schen Denkers ein Mißtrauen in die menschlichen Sinnes­organe. Er fing an zu glauben, daß diese Organe dem Men­schen nicht die Wahrheit überliefern, sondern daß sie ihn täuschen. Er verlor das Vertrauen zu dem, was die naive, unbefangene Beobachtung darbietet. Er fand, daß das Den­ken über die wahre Wesenheit der Dinge andere Aussagen mache als die Erfahrung. Es wird schwer sein zu sagen, in welchem Kopfe sich dieses Mißtrauen zuerst festsetzte. Man begegnet ihm in der eleatischen Philosophenschule, deren erster Vertreter der um 570 v.Chr. zu Kolophon geborene Xenophanes ist. Als die wichtigste Persönlichkeit dieser Schule erscheint Parmenides. Denn er hat mit einer Schärfe wie niemand vor ihm behauptet, es gäbe zwei Quellen der
zum Spinnen ihres eigenen Kokons veranlaßte, Gewalt über das Innerliche, schafft aus dem Innerlichen heraus den Schmetterling, der nun auskriecht. Und der Kreislauf beginnt von neuem. Sie haben auseinandergelegt vor sich dasjenige, was im Vogelei zusammengeschoben ist.
 
Vergleichen Sie mit diesem ganzen Vorgang den Vorgang beim eierlegenden Vogel. Da wird innerhalb des Vogels selber noch durch einen Vorgang, der metamorphosiert ist, die Kalkschale herum gebildet. Da wird die Substanz des Kalkes von den Kräften des Sonnenlichtes verwendet, um eben den ganzen Prozeß desjenigen zusammenzuschieben, was hier auseinandergelegt ist in Ei, Raupe, Kokon. Das alles ist zusammengeschoben da, wo sich, wie zum Beispiel im Vogelei, direkt die harte Schale ringsherum bildet. Da, durch dieses Zusammen schieben eines auseinandergelegten Prozesses, ist der ganze Embryonalvorgang beim Vogel eben ein anderer. Beim Schmetterling haben Sie auseinandergelegt, was beim Vogel sich vollzieht bis hierher, bis zum dritten Stadium; das haben Sie auseinandergelegt beim Schmetterling in die Eibildung, Raupenbildung, Puppenbildung, Kokonbildung. Da können Sie es äußerlich anschauen. Und dann schlüpft der Schmetterling aus.
 
Wenn man jetzt den ganzen Vorgang astralisch verfolgt, was sieht man dann? Ja, dann stellt der Vogel in seiner ganzen Bildung einen menschlichen Kopf dar. Das Organ der Gedankenbildung stellt er dar. Was stellt der Schmetterling dar, der auch in den Lüften wohnt, aber in seiner Embryonalbildung etwas ungeheuer Komplizierteres ist? Man kommt darauf, daß der Schmetterling dasjenige darstellt, was sozusagen die Kopffunktion in ihrer Fortsetzung zeigt, die Kräfte des Kopfes gewissermaßen ausgedehnt auf den ganzen Menschen. Da geschieht dann etwas im ganzen Menschen, was einem anderen Vorgang in der Natur als der Vogelbildung entspricht.
 
Im menschlichen Haupte haben wir, wenn wir das Ätherische und Astralische dazunehmen, etwas sehr Ähnliches wie in der Eibildung, nur metamorphosiert. Aber wenn wir bloß die Funktion des Kopfes hätten, würden wir nur augenblickliche Gedanken bilden. Es würden sich nicht die Gedanken mehr in uns hinuntersetzen, den ganzen Menschen in Anspruch nehmen und dann als Erinnerungen wieder auftauchen. Schaue ich meine augenblicklichen Gedanken an, die ich mir


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menschlichen Erkenntnis. Er hat erklärt, daß die Eindrücke der Sinne Trug und Täuschung seien, und daß der Mensch zu der Erkenntnis des Wahren nur durch das reine Denken, das auf die Erfahrung keine Rücksicht nimmt, gelangen kön­ne. Durch die Art, wie diese Auffassung über das Denken und die Sinnes-Erfahrung bei Parmenides auftritt, war vielen folgenden Philosophien eine Entwicklungskrankheit ein­geimpft, an der die wissenschaftliche Bildung noch heute leidet. Welchen Ursprung diese Vorstellungsart in orien­talischen Anschauungen hat, dies zu besprechen, ist inner­halb des Zusammenhanges der Goetheschen Weltanschau­ung nicht der Ort.
an der Außenwelt bilde, und schaue zum Adler auf, dann sage ich: In dem Gefieder des Adlers sehe ich außer mir die verkörperten Gedanken; in mir werden es Gedanken, aber es werden die augenblicklichen Gedanken. Sehe ich auf dasjenige, was ich in mir trage als meine Erinnerungen, so geht ein komplizierterer Prozeß vor sich. Unten im physischen Leib geschieht, auf eine allerdings geistige Art, eine Art Eibildung, die allerdings etwas ganz anderes ist im Ätherischen, etwas, was äußerlich physisch der Raupenbildung ähnlich ist, im astralischen Leib, was innerlich ähnlich ist der Puppenbildung, der Kokonbildung; und dasjenige, was, wenn ich eine Wahrnehmung habe, in mir einen Gedanken auslöst, hinunterschiebt, das ist so, wie wenn der Schmetterling ein Ei legt. Die Umwandlung ist etwas Ähnliches wie das, was mit der Raupe vor sich geht: das Leben im Ätherleib opfert sich hin dem geistigen Lichte, umwebt gewissermaßen den Gedanken mit innerem, astralem Kokongewebe, und da schlüpfen die Erinnerungen aus. Wenn wir das Vogelgefieder sehen in den augenblicklichen Gedanken, so müssen wir den Schmetterlingsflügel, den in Farben schillernden Schmetterlingsflügel, auf geistige Art zustande gekommen sehen in unseren Erinnerungsgedanken.
 
So blicken wir hinaus und fühlen die Natur ungeheuer verwandt mit uns. So denken wir und sehen die Welt des Gedankens in den fliegenden Vögeln. Und so erinnern wir uns, so haben wir ein Gedächtnis, und sehen die Welt der in uns lebenden Erinnerungsbilder in den im Sonnenlichte schimmernd flatternden Schmetterlingen. Ja, der Mensch ist ein Mikrokosmos und enthält die Geheimnisse der großen Welt draußen. Und es ist so, daß wir gewissermaßen dasjenige, was wir von innen anschauen, unsere Gedanken, unsere Gefühle, unseren Willen, unsere Erinnerungsvorstellungen, daß wir das, wenn wir es von der anderen Seite, von außen, makrokosmisch ansehen, in dem Reiche der Natur wiedererkennen.
 
Das heißt hinschauen auf die Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit läßt sich mit bloßen Gedanken nicht begreifen, denn dem bloßen Gedanken ist die Wirklichkeit gleichgültig; er hält nur auf die Logik. Aber mit derselben Logik kann man das Verschiedenste in der Wirklichkeit belegen. Um das zu veranschaulichen, lassen Sie mich mit einem Bilde


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= DIE PLATONISCHE WELTANSCHAUUNG =
schließen, das dann den Übergang zu den morgigen Auseinandersetzungen bilden soll.


Mit der ihm eigenen bewunderungswerten Kühnheit spricht Plato dieses Mißtrauen in die Erfahrung aus: Die Dinge die­ser Welt, welche unsere Sinne wahrnehmen, haben gar kein wahres Sein: sie werden immer, sind aber nie. Sie haben nur ein relatives Sein, sind insgesamt nur in und durch ihr Verhält­nis zueinander; man kann daher ihr ganzes Dasein ebensowohl ein Nichtsein nennen. Sie sind folglich auch nicht Objekte einer eigentlichen Erkenntnis. Denn nur von dem, was an und für sich und immer auf gleiche Weise ist, kann es eine solche geben; sie hingegen sind nur das Objekt eines durch Emp­findung veranlaßten Dafürhaltens. So lange wir nur auf ihre Wahrnehmung beschränkt sind, gleichen wir Menschen, die in einer finsteren Höhle so fest gebunden saßen, daß sie auch den Kopf nicht drehen könnten und nichts sehen, als beim Lichte eines hinter ihnen brennenden Feuers, an der Wand ihnen gegenüber die Schattenbilder wirklicher Dinge, welche zwischen ihnen und dem Feuer vorübergeführt wür­den, und auch sogar von einander, ja jeder von sich selbst, eben nur die Schatten an jener Wand. Ihre Weisheit aber wäre, die ans Erfahrung erlernte Reihenfolge jener Schatten vorherzusagen.
Es gibt bei einem afrikanischen Negerstamme, den Fellatas, ein sehr schönes Bild, welches vieles darstellt. Es begaben sich einmal ein Löwe, ein Wolf und eine Hyäne auf die Wanderung. Sie trafen eine Antilope. Die Antilope wurde von einem der Tiere zerrissen. Sie waren gut miteinander befreundet, die drei Tiere, und nun handelte es sich darum, diese zerrissene Antilope zu teilen unter dem Löwen, dem Wolf und der Hyäne. Da sagte der Löwe zunächst zur Hyäne: Teile du. - Die Hyäne hatte ihre Logik. Sie ist dasjenige Tier, welches sich nicht an das Lebende hält, welches sich an das Tote hält. Ihre Logik wird wohl durch diese Art ihres Mutes, eher ihrer Feigheit, bestimmt sein. Je nachdem dieser Mut so oder so ist, geht er so oder so auf das Wirkliche. Die Hyäne sagte: Wir teilen die Antilope in drei gleiche Teile. Einen Teil bekommt der Löwe, einen Teil bekommt der Wolf, einen Teil bekommt die Hyäne, ich selber. - Da zerriß der Löwe die Hyäne, machte sie tot. Jetzt war sie weg. Und nun sollte geteilt werden. Da sagte der Löwe zum Wolf: Sieh einmal, mein lieber Wolf, jetzt müssen wir ja anders teilen. Teile du jetzt. Wie würdest du teilen? - Da sagte der Wolf: Ja, w1r müssen jetzt anders teilen, es kann nicht mehr jeder dasselbe bekommen wie früher, und da du uns von der Hyäne befreit hast, mußt du selbstverständlich als Löwe bekommen das erste Drittel. Das zweite Drittel hättest du ja sowieso bekommen, wie die Hyäne sagte, und das dritte Drittel mußt du bekommen, weil du das weiseste und tapferste unter allen Tieren bist. - So teilte der Wolf nun. Da sagte der Löwe: Wer hat dich so teilen gelehrt? - Da sagte der Wolf: die Hyäne hat mich so teilen gelehrt! - Und der Löwe fraß den Wolf nicht auf und nahm die drei Teile nach der Logik des Wolfes.


In zwei Teile reißt die platonische Anschauung die Vor­stellung des Weltganzen auseinander, in die Vorstellung einer Scheinwelt und in eine andere der Ideenwelt, der allein wahre, ewige Wirklichkeit entsprechen soll. «Was allein wahrhaft seiend genannt werden kann, weil es immer ist, aber nie wird, noch vergeht: das sind die idealen Urbilder jener Schattenbilder, es sind die ewigen Ideen, die Urfor­men aller Dinge. Ihnen kommt keine Vielheit zu; denn je­des ist seinem Wesen nach nur eines, indem es das Urbild
Ja, die Mathematik, das Intellektualistische war gleich bei der Hyäne und beim Wolf. Sie machten eine Dreiteilung, sie dividierten. Aber sie wendeten diesen Intellekt, die Mathematik, in verschiedener Weise auf die Wirklichkeit an. Dadurch änderte sich auch das Schicksal wesentlich. Die Hyäne wurde gefressen, weil sie in der Beziehung ihres Teilungsprinzipes zur Wirklichkeit eben etwas anderes gab als der Wolf, der nicht gefressen wurde, weil er in dem Verhältnis seiner Hyänenlogiker


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selbst ist, dessen Nachbilder oder Schatten alle ihm gleich­namige, einzelne, vergängliche Dinge derselben Art sind. Ihnen kommt auch kein Entstehen und Vergehen zu; denn sie sind wahrhaft seiend, nie aber werdend, noch unterge­hend wie ihre hinschwindenden Nachbilder. Von ihnen allein daher gibt es eine eigentliche Erkenntnis, da das Ob­jekt einer solchen nur das sein kann, was immer und in je­dem Betracht ist, nicht das, was ist, aber auch wieder nicht ist, je nachdem man es ansieht.»
sagt ja selbst, die Hyäne habe es ihn gelehrt - diese Logik auf eine ganz andere Wirklichkeit bezog. Er bezog sie eben so auf die Wirklichkeit, daß der Löwe nicht mehr nötig hatte, auch ihn zu fressen.


Die Unterscheidung von Idee und Wahrnehmung hat nur eine Berechtigung, wenn von der Art gesprochen wird, wie die menschliche Erkenntnis zustande kommt. Der Mensch muß die Dinge auf zweifache Art zu sich sprechen lassen. Einen Teil ihrer Wesenheit sagen sie ihm freiwillig. Er braucht nur hinzuhorchen. Dies ist der ideenfreie Teil der Wirklichkeit. Den andern aber muß er ihnen entlocken. Er muß sein Denken in Bewegung setzen, dann erfüllt sich sein Inneres mit den Ideen der Dinge. Im Innern der Persön­lichkeit ist der Schauplatz, auf dem auch die Dinge ihr ide­elles Innere enthüllen. Da sprechen sie aus, was der äußeren Anschauung ewig verborgen bleibt. Das Wesen der Natur kommt hier zu Worte. Aber es liegt nur an der menschlichen Organisation, daß durch den Zusammenklang von zwei Tönen die Dinge erkannt werden müssen. In der Natur ist ein Erreger da, der beide Töne hervorbringt. Der unbe­fangene Mensch horcht auf den Zusammenklang. Er er­kennt in der ideellen Sprache seines Innern die Aussagen, die ihm die Dinge zukommen lassen. Nur wer die Unbefan­genheit verloren hat, der deutet die Sache anders. Er glaubt, die Sprache seines Inneren komme aus einem andern Reich als die Sprache der äußeren Anschauung. Plato ist es zum
Sie sehen: Hyänenlogik da, Hyänenlogik auch beim Wolf; aber in der Anwendung auf die Wirklichkeit wird das Intellektualistische, das Logische ein ganz Verschiedenes.
 
So ist es mit allen Abstraktionen. Sie können mit Abstraktionen alles in der Welt machen, je nachdem Sie sie in dieser oder jener Weise auf die Wirklichkeit anwenden. Daher muß man schon auf so etwas hinschauen können wie die Realität im Entsprechen des Menschen als Mikrokosmos mit dem Makrokosmos. Nicht nur logisch muß man den Menschen betrachten können, sondern In e1nem Sinne, der niemals ohne das Überführen des Intellektualismus in das Künstlerische der Welt zu erreichen ist. Dann aber, wenn Sie vom Intellektualistischen gewissermaßen die Metamorphose vollziehen können ins künstlerische Erfassen und das Künstlerische als Erkenntnisprinzip ausbilden können, dann finden Sie das, was im Menschen auf eine menschliche Art, nicht auf eine naturhafte Art lebt, im Makrokosmos draußen, in der großen Welt. Dann finden Sie die Verwandtschaft des Menschen mit der großen Welt in einem wahrhaften Sinne.


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Bewußtsein gekommen, welches Gewicht für die mensch­liche Weltanschauung die Tatsache hat, daß die Welt sich dem Menschen von zwei Seiten her offenbart. Aus der ein­sichtsvollen Wertung dieser Tatsache erkannte er, daß der Sinneswelt, allein für sich betrachtet, nicht Wirklichkeit zugesprochen werden darf. Erst wenn aus dem Seelenleben heraus die Ideenwelt aufleuchtet und im Anschauen der Welt der Mensch Idee und Sinnesbeobachtung als einheit­liches Erkenntniserlebnis vor seinen Geist stellen kann, hat er wahre Wirklichkeit vor sich. Was die Sinnesbeob­achtung vor sich hat, ohne daß es von dem Lichte der Ideen durchstrahlt wird, ist eine Scheinwelt. So betrachtet fällt von Platos Einsicht aus auch Licht auf die Ansicht des Par­menides von dem Trugcharakter der Sinnendinge. Und man kann sagen, die Philosophie Platos ist eines der erhabensten Gedankengebäude, die je aus dem Geiste der Menschheit entsprungen sind. Platonismus ist die Überzeugung, daß das Ziel alles Erkenntnisstrebens die Aneignung der die Welt tragenden und deren Grund bildenden Ideen sein müs­se. Wer diese Überzeugung in sich nicht erwecken kann, der versteht die platonische Weltanschauung nicht. - Insofern aber der Platonismus in die abendländische Ge­dankenentwickelung eingegriffen hat, zeigt er noch eine andere Seite. Plato ist nicht dabei stehen geblieben, die Er­kenntnis zu betonen, daß im menschlichen Anschauen die Sin­neswelt zu einem Schein wird, wenn das Licht der Ideenwelt nicht auf sie geworfen wird, sondern er hat durch seine Dar­stellung dieser Tatsache der Meinung Vorschub geleistet, als ob die Sinneswelt für sich, abgesehen von dem Menschen, eine Scheinwelt sei und nur in den Ideen wahre Wirklich­keit zu finden. Aus dieser Meinung heraus entsteht die
= ZWEITER VORTRAG Dornach, 20. Oktober 1923 =
 
Nachdem wir gestern das Verhältnis der Tiere der Höhe, die im Adler repräsentiert sind, der Tiere der Mitte, die im Löwen repräsentiert sind, und der Tiere der Erdentiefe, die im Rind, in der Kuh repräsentiert sind, kennengelernt haben, können wir ja gerade heute des Menschen Beziehung zum Weltenall ins Auge fassen von dem Gesichtspunkte aus, der sich eben aus der inneren gestaltmäßigen Beziehung des Menschen zu diesen Repräsentanten der Tierwelt ergibt.
 
Richten wir einmal den Blick hinauf in diejenigen Regionen, von denen wir gestern sagen mußten: wenn sie die Regionen sind, aus denen heraus das Tier seine besonderen Kräfte zieht, daß sie dann eigentlich das ganze Tier zur Kopfesorganisation machen. Richten wir den Blick hinauf in diese Regionen. Wir sehen da, wie das Tier das, was es ist, der sonnendurchglänzten Atmosphäre verdankt. Die sonnendurchglänzte Atmosphäre muß es sein, alles das, was gewissermaßen von dem Tiere dadurch bezogen werden kann, daß es die Hauptsache seines Daseins der Atmosphäre, die sonnendurchströmt ist, verdankt. Ich habe Ihnen gestern gesagt: Davon rührt ja die eigentliche Gestaltung des Gefieders her. Das Tier hat gewissermaßen sein Wesen im Äußeren. Was die Außenwelt aus ihm macht, verkörpert sich in seinem Gefieder. Und wenn dasjenige, was aus dieser sonnendurchglänzten Luft gemacht werden kann, nicht von außen an das Wesen herangetragen wird wie beim Adler, sondern im Inneren erregt wird, wie aus dem menschlichen Nervensystem heraus, dann entstehen, sagte ich Ihnen, die Gedanken, die Gedanken des Augenblicks, die Gedanken der unmittelbaren Gegenwart.
 
Nun, wenn wir unseren Blick in dieser Weise, ich möchte sagen, beschwert mit alledem, was sich durch eine solche Betrachtung ergibt, in die Höhe wenden, werden wir eben verwiesen auf die ruhende Atmosphäre und auf das durchströmende Sonnenlicht. Aber wir können in einem solchen Falle nicht die Sonne so für sich betrachten. Die Sonne erhält ja ihre Kraft dadurch, daß sie in Beziehung tritt zu den verschie-


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Frage: wie kommen Idee und Sinnenwelt (Natur) außer­halb des Menschen zu einander? Wer außerhalb des Men­schen keine ideenlose Sinneswelt anerkennen kann, für den ist die Frage nach dem Verhältnis von Idee und Sinneswelt eine solche, die innerhalb der menschlichen Wesenheit ge­sucht und gelöst werden muß. Und so steht die Sache vor der Goetheschen Weltanschauung. Für diese ist die Frage:
denen Gegenden des Universums. Ausgedrückt wird diese Beziehung dadurch, daß der Mensch mit seinen Erkenntnissen die Sonnenwirkungen bezieht auf den sogenannten Tierkreis, so daß, wenn der Sonnenschein zur Erde fällt aus dem Löwen, aus der Waage, aus dem Skorpion, er immer etwas anderes für die Erde bedeutet. Aber er bedeutet auch etwas anderes für die Erde, je nachdem er verstärkt oder entkräftet wIrd durch die anderen Planeten unseres Planetensystems. Und da bestehen verschiedene Beziehungen zu den verschiedenen Planeten unseres Planetensystems. Es bestehen andere Beziehungen zu den sogenannten äußeren Planeten Mars, Jupiter, Saturn, und andere Beziehungen zu den sogenannten inneren Planeten Merkur, Venus und dem Mond.
 
Wenn wir nun die Organisation des Adlers ins Auge fassen, dann haben wir vor allen Dingen darauf zu sehen, inwiefern die Sonnenkräfte modifiziert werden, verstärkt oder geschwächt werden durch das Zusammenwirken der Sonne mit Saturn, Jupiter, Mars. Nicht umsonst spricht die Legende davon, daß der Adler eigentlich Jupiters Vogel ist.


«welches Verhältnis besteht außerhalb des Menschen zwischen Idee und Sinneswelt?» eine ungesunde, weil es für sie keine Sinneswelt (Natur) ohne Idee außerhalb des Menschen gibt. Nur der Mensch kann für sich die Idee von der Sinneswelt lösen und so die Natur ideenlos vorstellen. Deshalb kann man sagen: für die Goethesche Weltanschauung ist die Frage: «wie kommen Idee und Sinnendinge zu einander?» welche die abendländische Gedankenentwickelung durch Jahrhunderte beschäftigt hat, eine vollkommen überflüs­sige Frage. Und der Niederschlag dieser durch die abend­ländische Gedankenentwickelung laufenden Strömung des Platonismus, der Goethe z. B. in dem angeführten Ge­spräche mit Schiller, aber auch in anderen Fällen entgegentrat, wirkte auf seine Empfindung wie ein ungesundes Element des menschlichen Vorstellens. Was er nicht deut­lich mit Worten aussprach, was aber in seiner Empfindung lebte und ein mitgestaltender Impuls seiner eigenen Welt­anschauung wurde, das ist die Ansicht: was das gesunde menschliche Empfinden in jedem Augenblicke lehrt: wie die Sprache der Anschauung und des Denkens sich verbin­den, um die volle Wirklichkeit zu offenbaren, das wurde von den grübelnden Denkern nicht beachtet. Statt hinzu­sehen, wie die Natur zu dem Menschen spricht, bildeten sie künstliche Begriffe über das Verhältnis von Ideenwelt
Der Jupiter steht überhaupt da als Repräsentant für die äußeren Planeten. Wenn wir uns schematisch das hinzeichnen, um was es sich dabei handelt, dann müssen wir uns hinzeichnen die Sphäre, die im Weltenraum, im Kosmos der Saturn hat, die Sphäre, die der Jupiter hat, die Sphäre, die der Mars hat (Tafel I / Zeichnung S. 30).
 
Stellen wir das einmal vor unser Auge hin: die Saturnsphäre, die Jupitersphäre, die Marssphäre; dann finden wir den Übergang zur Sonnensphäre, und wir haben sozusagen im Äußersten unseres Planetensystems ein Zusammenwirken vOn Sonne, Mars, Jupiter, Saturn. Und wenn wir den Adler in den Lüften kreisen sehen, dann sprechen w1r durchaus eine Realität aus, wenn wir sagen: Diejenigen Kräfte, die von der Sonne aus die Luft durchströmen, so daß sie zusammengesetzt sind aus dem Zusammenwirken von Sonne mit Mars, Jupiter und Saturn, die sind es, die in der ganzen Gestalt, in der Wesenheit des Adlers leben. Sie leben aber zugleich in dem Gebilde des menschlichen Hauptes. Und wenn wir den Menschen hineinstellen in bezug auf sein wirkliches Dasein - man möchte sagen, auf Erden ist er ja nur in seinem Miniaturbilde - in das Weltenall, dann müssen wir ihn hineinstellen in die Adlersphäre seinem Haupte nach. Wir müssen uns also den


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und Erfahrung aus. Um vollends zu überschauen, welch tiefe Bedeutung diese von Goethe als ungesund empfundene Denkrichtung in den Weltanschauungen hatte, die ihm ent­gegentraten und an denen er sich orientieren wollte, muß man bedenken, wie die angedeutete Strömung des Platonis­mus, welche die Sinnenwelt in Schein verflüchtigt, und die Ideenwelt dadurch in ein schiefes Verhältnis zu ihr bringt, durch eine einseitige philosophische Erfassung der christ­lichen Wahrheit im Laufe der abendländischen Gedankenentwicklung eine Verstärkung erfahren hat. Weil Goethe die christliche Anschauung, mit der von ihm als ungesund empfundenen Strömung des Platonismus verbunden, ent­gegentrat, konnte er nur unter Schwierigkeiten sein Ver­hältnis zu dem Christentum ausbilden. Goethe hat das Fortwirken der von ihm abgelehnten Strömung des Platonis­mus in der christlichen Gedankenentwicklung nicht im einzelnen verfolgt, aber er hat den Niederschlag dieses Fortwirkens in den Denkungsarten empfunden, die ihm ent­gegentraten. Daher wirft auf die Gestaltung seiner Vorstel­lungsart Licht eine Betrachtung, welche das Zustandekom­men dieses Niederschlages in den Gedankenrichtungen ver­folgt, welche sich durch die Jahrhunderte vor dem Auftre­ten Goethes ausgebildet haben. Die christliche Gedankenentwicklung war in vielen ihrer Vertreter bestrebt, sich aus­einanderzusetzen mit dem Jenseitsglauben und mit dem Werte, den das Sinnesdasein hat gegenüber der geistigen Welt. Gab man sich der Anschauung hin, daß das Verhält­nis der Sinneswelt zur Ideenwelt eine von dem Menschen abgesonderte Bedeutung hat, so kam man mit der daraus entstehenden Frage in die Anschauung der göttlichen Welt­ordnung hinein. Und Kirchenväter, an welche diese Frage
<nowiki>#</nowiki>Bild S. 30
 
Menschen seinem Haupte nach hineingestellt vorstellen in die Adlersphäre, und haben damit dasjenige im Menschen gegeben, was mit den Kräften nach oben zusammenhängt.
 
Der Löwe ist der Repräsentant desjenigen Getiers, das im eigentlichen Sinne Sonnengetier ist, wo die Sonne gewissermaßen ihre eigene Kraft entfaltet. Der Löwe gedeiht am besten, wenn die Gestirne über der Sonne, die Gestirne unter der Sonne so in Konstellation vorhanden sind, daß sie am wenigsten Einfluß auf die Sonne selber ausüben. Dann entsteht jenes Eigentümliche, was ich Ihnen gestern beschrieben habe, daß die Kräfte der Sonne selber, die die Luft durchdringen, gerade ein solches Atmungssystem in dem Löwen anregen, daß dieses Atmungssystem in seinem Rhythmus in vollständigem Gleichgewichte ist mit dem Blutzirkulationsrhythmus, nicht der Zahl nach, aber der Dynamik nach. Das gleicht sich beim Löwen wunderschön aus. Der Löwe setzt der Blutzirkulation die Atmungshemmung entgegen, und die Blutzirkulation regt fortwährend die Atmungsströmung an. Ich sagte Ihnen, daß man das der Form nach sogar in der Gestaltung des Löwenmauls


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herantrat, mußten sich Gedanken darüber machen, welche Rolle die platonische Ideenwelt innerhalb dieser göttlichen Weltordnung spielt. Damit stand man vor der Gefahr, das­jenige, was im menschlichen Erkennen durch unmittelbares Anschauen sich verbindet: Idee und Sinneswelt nicht nur für sich außer dem Menschen gesondert zu denken, sondern sie auseinander zu sondern, daß die Ideen außerhalb dessen, was dem Menschen als Natur gegeben ist, auch noch in einer von der Natur abgesonderten Geistigkeit für sich ein Dasein führen. Verband man diese Vorstellung, die auf einer unwahren Anschauung von Ideenwelt und Sinnenwelt beruhte mit der berechtigten Ansicht, daß das Gött­liche nie in der Menschenseele vollbewußt anwesend sein kann, so er gab sich ein völliges Auseinanderreißen von Ideenwelt und Natur. Dann wird, was immer im mensch­lichen Geiste gesucht werden sollte, außerhalb desselben in der Schöpfung gesucht. In dem göttlichen Geist werden die Urbilder aller Dinge enthalten gedacht. Die Welt wird der unvollkommene Abglanz der in Gott ruhenden vollkom­menen Ideenwelt. Es wird dann in Folge einer einseitigen Auffassung des Platonismus die Menschenseele von dem Verhältnis zwischen Idee und «Wirklichkeit» getrennt. Sie dehnt ihr berechtigt gedachtes Verhältnis zur göttlichen Weltordnung aus auf das Verhältnis, das in ihr lebt zwischen Ideenwelt und Sinnes-Scheinwelt. Augustinus kommt durch solche Vorstellungsart zu Ansichten wie diese: «Ohne jedes Schwanken wollen wir glauben, daß die denkende Seele nicht wesensgleich sei mit Gott, denn dieser gestattet keine Gemeinschaft, daß aber die Seele erleuchtet werden könne durch Teilnahme an der Gottesnatur.» Auf diese Art wird der Menschenseele dann, wenn diese Vorstellungsart einseitig
sehen kann. Da drückt sich diese wunderbare Beziehung des Blutrhythmus und des Atmungsrhythmus der Form nach schon aus. Man kann es sehen aus dem eigentümlichen, in sich ruhenden und doch wiederum kühn nach auswärts gewendeten Blick des Löwen. Aber dasjenige, was da im Löwen im Blick lebt, lebt wiederum angeschlossen an die anderen Elemente der Menschennatur, an die Hauptesorganisation, an die Stoffwechselorganisation, in der Brust- oder Herzorganisation, in der rhythm1schen Organisation des Menschen.
 
Stellen wir daher vor uns hin die eigentliche Sonnenwirkung, so müssen wir der Sonnensphäre entsprechend den Menschen uns so eInzeIchnen, daß wir sein Herz, die dazugehörige Lunge in die Region der Sonnenwirksamkeit stellen, und wir haben in diesem Gebiete die Löwen- natur des Menschen.
 
Wenn wir übergehen zu den inneren Planeten, zu den erdennahen Planeten, dann haben wir zunächst die Merkursphäre, welche es nun schon zu tun hat namentlich mit den feineren Partien des Stoffwechselsystems, des Stoffwechselorganismus des Menschen, da wo die Nahrungsstoffe umgewandelt werden in den lymphartigen Stoff, wo sie dann übertragen werden in die Blutzirkulation hinein.
 
Wenn wir dann weitergehen, kommen wir In die Region des Venuswirkens. Wir kommen zu den etwas gröberen Partien des Stoffwechselsystems des Menschen, wir kommen zu dem, was im menschlichen Organismus die aufgenommenen Nahrungsmittel zunächst verarbeitet vom Magen aus. Wir kommen dann in die Sphäre des Mondes. Ich zeichne diese Folge so, wie sie heute in der Astronomie üblich ist; ich könnte sie auch anders zeichnen. Wir kommen also nun in die Sphäre des Mondes und kommen da in diejenige Region, wo auf den Menschen wirkt und gewirkt wird in jenen Stoffwechselvorgängen, die mit dem Monde zusammenhängen.
 
Wir haben den Menschen auf diese Weise hineingestellt in das gesamte Weltenall. Indem wir uns an diejenigen kosmischen Wirkungen wenden, die die Sonne im Verein mit Merkur, Venus, Mond vollführt, kommen wir dann hinein in das Gebiet, das die Kräfte enthält, die jenes Getier aufnimmt, das uns repräsentiert wird durch die Kuh in dem Sinne, wie ich das gestern auseinandergesetzt habe. Da haben wir das,  


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übertrieben wird, die Möglichkeit entzogen, in der Naturbetrachtung die Ideenwelt als Wesen der Wirklich­keit mitzuerleben. Und es wird solches Miterleben als un­christlich gedeutet. Über das Christentum selbst wird die einseitige Anschauung des Platonismus gebreitet. Der Pla­tonismus als philosophische Weltanschauung hält sich mehr im Elemente des Denkens; das religiöse Empfinden taucht das Denken in das Gefühlsleben und befestigt es auf diese Art in der Menschennatur. So im Menschenseelenleben verankert konnte das Ungesunde des einseitigen Plato­nismus in der abendländischen Gedankenentwicklung tie­fere Bedeutung gewinnen, als wenn es bloß Philosophie geblieben wäre. Durch Jahrhunderte stand diese Gedankenentwicklung vor Fragen wie diese: wie steht, was der Mensch als Idee ausbildet, zu den Dingen der Wirklichkeit? Sind die in der Menschenseele durch die Ideenwelt lebenden Be­griffe nur Vorstellungen, Namen, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben? Sind sie selbst etwas Wirkliches, das der Mensch empfängt, indem er die Wirklichkeit wahr­nimmt und durch seinen Verstand begreift? Solche Fragen sind für die Goethesche Weltanschauung keine Verstandesfragen über irgend etwas, das außerhalb der menschlichen Wesenheit liegt. Im menschlichen Anschauen der Wirk­lichkeit lösen sich diese Fragen in immerwährender Leben­digkeit durch das wahre menschliche Erkennen. Und diese Goethesche Weltanschauung muß nicht nur finden, daß in den christlichen Gedanken der Niederschlag eines einsei­tigen Platonismus lebt, sondern sie empfindet sich selbst dem echten Christentum entfremdet, wenn dieses von sol­chem Platonismus getränkt, ihr entgegentritt. - Was in vie­len Gedanken lebt, die Goethe in sich ausgebildet hat, um
was die Sonne nicht durch sich selbst machen kann, sondern was die Sonne machen kann, wenn sie durch die erdennahen Planeten in ihren Kräften gerade an die Erde herangeführt wird. Wenn diese Kräfte alle dann wirken, wenn sie nicht nur die Luft durchströmen, sondern die Oberfläche der Erde in verschiedener Art durchsetzen, dann wirken diese Kräfte herauf aus den Erdentiefen. Und das, was da heraufwirkt aus den Erdentiefen, das gehört der Region an, die wir äußerlich verkörpert sehen eben in der Organisation der Kuh.
 
Die Kuh ist das Verdauungstier. Aber die Kuh ist zugleich dasjenige Tier, welches die Verdauung in einer solchen Weise ausführt, daß in diesem Verdauungsvorgange die irdische Abbildung eines wirklich Überirdischen liegt, daß dieser ganze Verdauungsvorgang der Kuh durchsetzt ist von einer Astralität, hell und wunderbar abbildend den ganzen Kosmos. Es ist - wie ich schon gestern sagte - eine ganze Welt in diesem astralischen Organismus der Kuh, aber alles getragen von Schwere, alles so eingerichtet, daß die Schwere der Erde sich auswirken kann. Sie brauchen nur zu bedenken, daß die Kuh genötigt ist, jeden Tag etwa ein Achtel ihres Körpergewichtes an Nahrungsstoffen aufzunehmen. Der Mensch kann sich mit einem Vierzigstel begnügen und gesund bleiben dabei. Die Kuh braucht also, damit sie ihre Organisation voll ausfüllen kann, Erdenschwere. Ihre Organisation ist daraufhin orientiert, daß die Stoffe Schwere haben. Ein Achtel muß jeden Tag an Schwere ausgewechselt werden bei der Kuh. Das bindet die Kuh mit ihren Materien an die Erde, während sie durch ihre Astralität zu gleicher Zeit eben ein Abbild der Höhen, des Kosmos ist.
 
Deshalb ist die Kuh für den Bekenner der Hindureligion - wie ich gestern sagte - ein so verehrungswürdiges Objekt, weil er sich sagen kann: Die Kuh lebt hier auf der Erde; allein indem sie hier auf der Erde lebt, bildet sie in der physischen Schwere-Materie ab, man kann schon sagen, ein Überirdisches, wenn man im Sinne des Bekenners der Hindureligion redet. Und es ist durchaus so, daß die menschliche Natur dann ihre Normalorganisation hat, wenn der Mensch diese drei in Adler, Löwe und Kuh vereinseitigten kosmischen Wirkungen in Harmonie bringen kann, wenn er also wirklich der Zusammenfluß der Adler-, Löwen- und Kuh- oder Stierwirkungen ist.


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sich die Welt verständlich zu machen, das war Ablehnung der von ihm als ungesund empfundenen Strömung des Platonismus. Daß er daneben einen freien Sinn hatte für die platonische Erhebung der Menschenseele zur Ideenwelt, das wird durch manchen Ausspruch bezeugt, den er in die­ser Richtung getan hat. Er fühlte in sich die Wirksamkeit der Ideenwirklichkeit, indem er in seiner Art der Natur be­trachtend und forschend gegenübertrat; er fühlte, daß die Natur selbst in der Sprache der Ideen redet, wenn sich die Seele solcher Sprache erschließt. Aber er konnte nicht zu­geben, daß man die Ideenwelt als Abgesondertes betrachtet, und sich dadurch die Möglichkeit schuf gegenüber einer Idee von dem Pflanzenwesen zu sagen: Das ist keine Er­fahrung, das ist eine Idee. Da empfand er, daß sein geistiges Auge die Idee als Wirklichkeit schaute, wie das sinnliche Auge den physischen Teil des Pflanzenwesens sieht. So stellte sich in Goethes Weltanschauung die auf die Ideen­welt gehende Richtung des Platonismus in ihrer Reinheit her, und es wird in ihr die von der Wirklichkeit ablenkende Strömung desselben überwunden. Wegen dieser Gestal­tung seiner Weltanschauung mußte Goethe auch ablehnen, was ihm sich als christliche Vorstellungen so gab, daß es ihm nur als umgewandelter einseitiger Platonismus erschei­nen konnte. Und er mußte empfinden, daß in den Formen mancher Weltanschauung, die ihm entgegentraten und mit denen er sich auseinandersetzen wollte, es nicht gelungen sei, die christlich-platonische, nicht natur- und ideengemäße Ansicht über die Wirklichkeit innerhalb der abendländi­schen Bildung zu überwinden.
Aber nach dem allgemeinen Weltengang leben wir in einer Zeit, in welcher der Entwickelung der Welt eine gewisse - wenn ich mich so ausdrücken darf - Gefahr droht: die Gefahr, daß die einseitigen Wirkungen auch wirklich im Menschen einseitig zum Ausdrucke kommen. Seit dem 14., 15. Jahrhundert, bis in unsere Tage sich immer mehr und mehr verstärkend, ist die Sache so in der irdischen Menschheitsentwikkelung, daß die Adlerwirkungen das menschliche Haupt einseitig in Anspruch nehmen wollen, die Löwenwirkungen den menschlichen Rhythmus einseitig in Anspruch nehmen wollen, die Kuhwirkungen den menschlichen Stoffwechsel und das ganze menschliche Wirken auf Erden einseitig in Anspruch nehmen wollen.
 
Das ist die Signatur unserer Zeit, daß der Mensch sozusagen durch die kosmischen Mächte dreigeteilt werden soll, und daß immer die eine Form der kosmischen Mächte das Bestreben hat, die anderen Elemente zu unterdrücken. Der Adler hat das Bestreben, Löwe und Kuh in die Geltungslosigkeit hinunterzuwerfen; ebenso haben die anderen das Bestreben, jeweilig die beiden anderen Elemente in die Bedeutungslosigkeit versinken zu lassen. Und auf dasjenige, was menschliches Unterbewußtsein ist, wirkt eigentlich fortwährend gerade in der heutigen Zeit außerordentlich Verlockendes; verlockend schon aus dem Grunde, weil es auch in gewisser Beziehung schön ist. Im Oberbewußtsein nimmt es der Mensch heute nicht wahr, aber für sein Unterbewußtsein durchwellt und durchtönt die Welt eine Dreiheit der Rufe, die den Menschen locken wollen. Und ich möchte sagen, es ist das Geheimnis der heutigen Zeit, daß aus der Adlerregion herunter dasjenige tönt, was den Adler eigentlich zum Adler macht, was dem Adler sein Gefieder gibt, was den Adler astralisch umschwebt. Die Adlerwesenheit selber ist es, die hörbar wird für das Unterbewußtsein des Menschen. Das ist der verlockende Ruf:
 
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Lerne mein Wesen erkennen!
Ich gebe dir die Kraft,
Im eignen Haupte
Ein Weltenall zu schaffen.
</poem>
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So spricht der Adler. Das ist der Ruf von oben, der heute die Menschen vereinseitigen will.


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= DIE FOLGEN DER PLATONISCHEN WELTANSCHAUUNG =
Und es gibt einen zweiten Lockruf. Das ist derjenige, der aus der mittleren Region kommt, da, wo die Kräfte des Kosmos die Löwennatur formen, da, wo die Kräfte des Kosmos aus dem Zusammenflusse von Sonne und Luft jenes Gleichmaß der Rhythmen, der Atmung und der Blutzirkulation bewirken, wie es die Löwennatur konstituiert. Was da die Luft durchzittert, ich möchte sagen, im Löwensinne, was des Menschen eigenes rhythmisches System vereinseitigen will, das spricht zum Unterbewußtsein des Menschen heute verlockend also:


Vergeblich hat sich Aristoteles gegen die platonische Spal­tung der Weltvorstellung aufgelehnt. Er sah in der Natur ein einheitliches Wesen, das die Ideen ebenso enthält, wie die durch die Sinne wahrnehmbaren Dinge und Erschei­nungen. Nur im menschlichen Geiste können die Ideen ein selbständiges Dasein haben. Aber in dieser Selbständigkeit kommt ihnen keine Wirklichkeit zu. Bloß die Seele kann sie abtrennen von den wahrnehmbaren Dingen, mit denen zu­sammen sie die Wirklichkeit ausmachen. Hätte die abend­ländische Philosophie an die richtig verstandene Anschau­ung des Aristoteles angeknüpft, so wäre sie bewahrt ge­blieben vor manchem, was der Goetheschen Weltanschau­ung als Verirrung erscheinen muß.
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<poem>
Lerne mein Wesen erkennen!
Ich gebe dir die Kraft,
Im Schein des Luftkreises
Das Weltenall zu verkörpern.
So spricht der Löwe.
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Aber dieser richtig verstandene Aristoteles war zunächst manchem unbequem, der eine Gedankengrundlage für die christlichen Vorstellungen gewinnen wollte. Mit einer Na­turauffassung, welche das höchste wirksame Prinzip in die Erfahrungswelt verlegt, wußte mancher, der sich für einen echt «christlichen» Denker hielt, nichts anzufangen. Man­che christliche Philosophen und Theologen deuteten des­halb den Aristoteles um. Sie legten seinen Ansichten einen Sinn unter, der nach ihrer Meinung geeignet war, dem christlichen Dogma zur logischen Stütze zu dienen. Nicht suchen sollte der Geist in den Dingen die schaffenden Ideen. Die Wahrheit ist ja den Menschen von Gott in Form der Offenbarung mitgeteilt. Nur bestätigen sollte die Vernunft, was Gott geoffenbart hat. Die aristotelischen Sätze wurden von den christlichen Denkern des Mittelalters so gedeutet,
Und mehr als man glaubt, haben diese Stimmen, die zum Unterbewußtsein des Menschen sprechen, Wirkung. Ja, meine lieben Freunde, es sind verschiedene Menschenorganisationen auf Erden besonders dazu organisiert, diese Wirkungen aufzunehmen. So zum Beispiel ist besonders organisiert, verlockt zu werden, verführt zu werden durch die Stimme des Adlers alles, was den Westen bewohnt. Namentlich die amerikanische Kultur ist durch die besondere Organisation ihrer Menschheit ausgesetzt der Verführung dessen, was der Adler spricht. Die europäische Mitte, die vieles von dem in sich enthält, was antike Kultur ist, die vieles von dem in sich enthält, was Goethe zum Beispiel veranlaßt hat, zur Befreiung seines Lebens den Zug nach Italien zu machen, die ist besonders ausgesetzt dem, was da spricht der Löwe.
 
Die orientalische Zivilisation ist vor allen Dingen ausgesetzt dem, was da spricht die Kuh. Und ebenso, wie die beiden anderen Tiere in ihrer kosmischen Repräsentanz ertönen, ertönt, man möchte sagen, unten aus Erdentiefen heraus wie grollend, gröhlend der Ruf dessen, was in der Schwere der Kuh lebt. Es ist wirklich so, wie ich es Ihnen gestern schon beschrieben habe: daß man die Herde, die gesättigt weidet, in ihrer eigentümlichen, sich der Erdenschwere hingebenden Art lagern sieht in einer Gestalt, welche ausdrückt dieses der Erdenschwere Unterliegen, dieses dem Umstande Unterliegen, daß es jeden Tag ein


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daß die religiöse Heilswahrheit durch sie ihre philosophi­sche Bekräftigung erhielt. Erst die Auffassung Thomas' von Aquino, des bedeutendsten christlichen Denkers, sucht die aristotelischen Gedanken in einer tiefgehenden Art in die christliche Ideenentwicklung so weit einzuweben, als es in der Zeit dieses Denkers möglich war. Nach dieser Auf­fassung enthält die Offenbarung die höchsten Wahrheiten, die Heilslehre der heiligen Schrift; aber es ist der Vernunft möglich, in aristotelischer Weise in die Dinge sich zu ver­tiefen und deren Ideengehalt aus ihnen herauszuholen. Die Offenbarung steigt so tief herab und die Vernunft kann sich so weit erheben, daß die Heilslehre und die menschliche Erkenntnis an einer Grenze in einander übergehen. Die Art des Aristoteles, in die Dinge einzudringen, dient also für Thomas dazu, bis zu dem Gebiete der Offenbarung zu kommen.
Achtel seines eigenen Körpergewichtes zu seiner Beschwerung in sich auswechseln muß. Zu dem kommt hinzu, daß die Tiefen der Erde, die unter dem Einfluß von Sonne, Merkur, Venus und Mond all das in der Ernährungsorganisation der Kuh bewirken, daß diese Tiefen der Erde wie mit dämonisch grollender Kraft eine solche Herde durchtönen mit den Worten:


<nowiki>*</nowiki>
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Lerne mein Wesen erkennen!
Ich gebe dir die Kraft,
Waage, Meßlatte und Zahl
Dem Weltenall zu entreißen.
So spricht die Kuh.
</poem>
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Als mit Bacon von Verulam und Descartes eine Zeit anhob, in welcher der Wille sich geltend machte, die Wahrheit durch die eigene Kraft der menschlichen Persönlichkeit zu suchen, waren die Denkgewohnheiten in solche Richtungen ge­bracht, daß alles Streben zu nichts anderem führte als zur Aufstellung von Ansichten, die trotz ihrer scheinbaren Un­abhängigkeit von der vorangehenden abendländischen Vor­stellungswelt, doch nichts waren als neue Formen derselben. Auch Bacon und Descartes haben den bösen Blick für das Verhältnis von Erfahrung und Idee als Erbstück einer ent­arteten Gedankenwelt mitbekommen. Bacon hatte nur Sinn und Verständnis für die Einzelheiten der Natur. Durch Sammeln desjenigen, was durch die räumliche und zeit­liche Mannigfaltigkeit als Gleiches oder Ähnliches sich
Und ausgesetzt ist dem Lockruf besonders der Orient. Nur ist die Sache` so gemeint, daß der Orient zwar zunächst ausgesetzt ist diesem Lockruf der Kuh, weil er die alte Kuhverehrung hat in dem Hinduismus, daß aber, wenn dieser Lockruf wirklich die Menschheit so ergreifen würde, daß dasjenige, was aus diesem Lockruf entsteht, siegen würde, dann würde gerade dasjenige, was aus dem Orient wirkt, über die Mitte und den Westen sich als eine den Fortschritt hemmende, Niedergang bewirkende Zivilisation kundgeben. Einseitig würden die erdendämonischen Kräfte auf die Erdenzivilisation wirken. Denn, was würde dann eigentlich geschehen?
 
Was dann geschehen würde, das ist das Folgende: Wir haben auf der Erde im Laufe der letzten Jahrhunderte eine unter dem Einfluß der äußeren Wissenschaft stehende Technik bekommen, e1n äußeres technisches Leben. Wunderbar ist ja unsere Technik auf allen Gebieten. Die Naturkräfte wirken in der Technik in ihrer leblosen Gestaltung. Und was da gilt, um diese Naturkräfte ins Spiel zu bringen, sozusagen ganz und gar zu einer Zivilisationsschichtung über der Erde zu machen, das ist Waage, Meßlatte und Zahl.
 
Waage, der Maßstab, Wägen, Zählen, Messen, das ist das Ideal des heutigen Wissenschafters, des heutigen Technikers, der von der äußeren Wissenschaft eigentlich seinen ganzen Beruf heute hat. Wir haben es so weit gebracht, daß ein bedeutender Mathematiker der Gegenwart auf die Frage: Was verbürgt das Sein? - die folgende Antwort gibt. Nun, die Philosophen aller Zeiten haben versucht, die Frage: Was ist denn


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hindurchzieht, glaubte er zu allgemeinen Regeln über das Naturgeschehen zu kommen. Goethe spricht über ihn das treffende Wort: «Denn ob er schon selbst immer darauf hindeutet, man solle die Partikularien nur deswegen sam­meln, damit man aus ihnen wählen, sie ordnen und endlich zu Universalien gelangen könne, so behalten doch bei ihm die ein­zelnen Fälle zu viele Rechte, und ehe man durch Induktion, selbst diejenige, die er anpreist, zur Vereinfachung und zum Abschluß gelangen kann, geht das Leben weg, und die Kräfte verzehren sich.» Für Bacon sind diese allgemeinen Regeln Mittel, durch welche es der Vernunft möglich ist, das Ge­biet der Einzelheiten bequem zu überschauen. Aber er glaubt nicht, daß diese Regeln in dem Ideengehalte der Dinge be­gründet und wirklich schaffende Kräfte der Natur sind. Deshalb sucht er auch nicht unmittelbar in der Einzelheit die Idee auf, sondern abstrahiert sie aus einer Vielheit von Einzelheiten. Wer nicht daran glaubt, daß in dem einzelnen Dinge die Idee lebt, kann auch keine Neigung haben, sie in demselben zu suchen. Er nimmt das Ding so hin, wie es sich der bloßen äußeren Anschauung darbietet. Bacons Be­deutung ist darin zu suchen, daß er auf die durch den ge­kennzeichneten einseitigen Platonismus herabgewürdigte äußere Anschauungsweise hinwies. Daß er betonte, in ihr sei eine Quelle der Wahrheit. Er war aber nicht im Stande, der Ideenwelt in gleicher Weise zu ihrem Rechte gegenüber der Anschauungswelt zu verhelfen. Er erklärte das Ideelle für ein subjektives Element im menschlichen Geiste. Seine Denkweise ist umgekehrter Platonismus. Plato sieht nur in der Ideenwelt, Bacon nur in der ideenlosen Wahrneh­mungswelt die Wirklichkeit. In Bacons Auffassung liegt der Ausgangspunkt jener Denkergesinnung, von welcher
eigentlich wirklich? - zu beantworten. Dieser bedeutende Physiker sagt:
 
Dasjenige ist wirklich, was man messen kann; was man nicht messen kann, ist nicht wirklich. - Es ist das Ideal sozusagen, alles Sein so anzusehen, daß man es in das Laboratorium hereinbringen und wiegen, messen und zählen kann, und aus dem, was gewogen und gemessen und gezählt ist, wird dann eigentlich das zusammengestellt, was man als Wissenschaft, die dann in die Technik ausströmt, noch gelten läßt. Zahl, Maß und Gewicht ist dasjenige geworden, was sozusagen orientierend für die ganze Zivilisation wirken soll.
 
Nun, solange die Menschen nur allein mit ihrem Verstande das Messen, Zählen und Wiegen anwenden, so lange ist es nicht besonders schlimm. Die Menschen sind zwar sehr gescheit, aber so gescheit wie das Weltenall eben` noch lange nicht. Daher kann es nicht besonders schlimm werden, solange nur sozusagen dem Weltenall gegenüber herumdilettiert wird in bezug auf Messen, Wiegen und Zählen. Aber wenn sich gerade die heutige Zivilisation in Einweihung verwandeln würde, dann würde es schlimm, wenn sie bei ihrer Gesinnung bliebe. Und das kann entstehen, wenn die Zivilisation des Westens, die ganz im Zeichen von Waage, Maßstab und Zählen steht, überflutet würde von dem, was immerhin im Orient passieren könnte: daß durch Initiationswissenschaft ergründet werden könnte, was eigentlich geistig in der Organisation der Kuh lebt. Denn dringen Sie in die Organisation der Kuh ein, lernen Sie erkennen, wie da dieses Achtel an Nahrungsstoffen, belastet mit irdischer Schwere, mit alledem, was man wägen, messen und zählen kann, lernen Sie das, was geistig dieses Erdenschwere in der Kuh organisiert, lernen Sie diesen ganzen Organismus der Kuh erkennen, wie er auf der Weide liegt und verdaut und In seiner Verdauung Wunderbares aus dem Weltenall astralisch zur Offenbarung bringt: dann lernen Sie erkennen, einzuspannen das Gewogene, Gemessene, Gezählte in ein System, mit dem Sie überwinden können alles andere an Zivilisation, und dem ganzen Erdball einzig und allein eine Zivilisation geben, die nur mehr wiegt, zählt und mißt und alles andere aus der Zivilisation verschwinden macht. Denn, was würde die Initiation der Kuhorganisation ergeben? Das ist eine tief eingreifende Frage, eine ungeheuer bedeutungsvolle Frage. Was würde die ergeben?


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die Naturforscher bis in die Gegenwart beherrscht sind. Sie leidet an einer falschen Ansicht über das ideelle Element der Erfahrungswelt. Sie konnte nicht zurechtkommen mit der durch eine einseitige Fragestellung erzeugten Ansicht des Mittelalters, die dahin ging, daß die Ideen nur Namen, keine in den Dingen liegenden Wirklichkeiten seien.
Ja, die Art und Weise, wie man zum Beispiel Maschinen konstruiert, die ist sehr verschieden, je nach den einzelnen Maschinen; aber alles tendiert darauf hin, daß die noch unvollkommenen, primitiven Maschinen allmählich solche werden, die auf Schwingungen beruhen: wo irgend etwas schwingt, und wo durch Schwingungen, durch Oszillation, durch periodisch verlaufende Bewegungen der Effekt der Maschine erzielt wird. Auf solche Maschinen läuft alles hinaus. Wenn man aber einmal diese Maschinen in ihrem Zusammenwirken wird so konstruieren können, wie man es lernen kann an der Verteilung der Nahrungsmittel in der Organisation der Kuh, dann werden die Schwingungen, die auf dem Erdball durch die Maschinen erzeugt werden, diese kleinen Erdenschwingungen werden so verlaufen, daß mittönt, mitschwingt mit dem, was auf der Erde geschieht, dasjenige, was über der Erde ist; daß unser Planetensystem 1n seinen Bewegungen mitschwingen wird müssen mit unserem Erdensystem, wie mitklingt eine entsprechend gestimmte Saite, wenn eine andere in demselben Raum angeschlagen wird.


<nowiki>*</nowiki>
Das ist das furchtbare Gesetz des Zusammenklingens der Schwingungen, welches sich erfüllen würde, wenn der Lockruf der Kuh den Orient verführen würde, so daß er dann in überzeugender Weise durchdringen könnte die geistlose, rein mechanistische Zivilisation des Westens und der Mitte, und dadurch auf der Erde ein mechanistisches System erzeugt werden könnte, das genau eingepaßt ist in das mechanistische System des Weltenalls. Damit würde alles, was Luftwirkung ist, Umkreiswirkung ist, und alles, was Sternenwirkung ist, in der Menschheitszivilisation ausgerottet werden. Das, was der Mensch zum Beispiel erlebt durch den Jahreslauf, das, was er erlebt, indem er mitmacht das sprießende, sprossende Leben des Frühlings, das sich ertötende, erlähmende Leben des Herbstes, das alles würde seine Bedeutung für den Menschen verlieren. Es würde die menschliche Zivilisation durchtönen das Geklimmgeklapper der schwingenden Maschinen und das Echo dieses Geklimmgeklappers, das aus dem Kosmos herein auf die Erde als eine Reaktion des Erdenmechanismus strömen würde.


Von anderen Gesichtspunkten aus, aber nicht minder be­einflußt durch einseitig platonisierende Denkungsarten, stellte drei Jahrzehnte nach Bacon Descartes seine Betrach­tungen an. Auch er krankt an der Erbsünde des abendlän­dischen Denkens, an dem Mißtrauen gegenüber der unbe­fangenen Beobachtung der Natur. Der Zweifel an der Existenz und Erkennbarkeit der Dinge ist der Anfang seines Forschens. Nicht auf die Dinge richtet er den Blick, um Zu­gang zur Gewißheit zu erlangen, sondern eine ganz kleine Pforte, einen Schleichweg, im vollsten Sinne des Wortes sucht er auf. In das intimste Gebiet des Denkens zieht er sich zurück. Alles, was ich bisher als Wahrheit geglaubt habe, kann falsch sein, sagt er sich. Was ich gedacht habe, kann auf Täuschung beruhen. Aber die eine Tatsache bleibt doch bestehen, daß ich über die Dinge denke. Auch wenn ich Lug und Trug denke, so denke ich doch. Und wenn ich denke, so existiere ich auch. Ich denke, also bin ich. Damit glaubt Descartes einen festen Ausgangspunkt für alles wei­tere Nachdenken gewonnen zu haben. Er fragt sich weiter: gibt es nicht in dem Inhalte meines Denkens noch anderes, das auf ein wahrhaftes Sein hindeutet? Und da findet er die Idee Gottes, als eines allervollkommensten Wesens. Da der Mensch selbst unvollkommen ist: wie kommt die Idee eines
Wenn Sie einen Teil dessen, was in der Gegenwart wirkt, betrachten, dann werden Sie sich sagen: Ein Teil unserer gegenwärtigen Zivilisation


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allervollkommensten Wesens in seine Gedankenwelt? Ein unvollkommenes Wesen kann eine solche Idee unmöglich aus sich selbst erzeugen. Denn das vollkommenste, das es zu denken vermag, ist eben ein unvollkommenes. Es muß also diese Idee von dem vollkommensten Wesen selbst in den Menschen gelegt sein. Also muß auch Gott existie­ren. Wie aber soll ein vollkommenes Wesen uns eine Täuschung vorspiegeln? Die Außenwelt, die sich uns als wirklich darstellt, muß deshalb auch wirklich sein. Sonst wäre sie ein Trugbild, das uns die Gottheit vormachte. Auf diese Weise sucht Descartes das Vertrauen zur Wirklichkeit zu gewinnen, das ihm wegen ererbter Empfindungen zu­erst fehlte. Auf einem äußerst künstlichen Wege sucht er die Wahrheit. Einseitig vom Denken geht er aus. Nur dem Denken gesteht er die Kraft zu, Überzeugung hervorzu­bringen. Über die Beobachtung kann nur eine Überzeugung gewonnen werden, wenn sie durch das Denken vermittelt wird. Die Folge dieser Ansicht war, daß es das Streben der Nachfolger Descartes wurde, den ganzen Umfang der Wahrheiten, die das Denken aus sich heraus entwickeln und beweisen kann, festzustellen. Die Summe aller Erkennt­nisse aus reiner Vernunft wollte man finden. Von den ein­fachsten unmittelbar klaren Einsichten wollte man ausge­hen, und fortschreitend den ganzen Kreis des reinen Den­kens durchwandern. Nach dem Muster der Euklidischen Geometrie sollte dieses System aufgebaut werden. Denn man war der Ansicht, auch diese gehe von einfachen, wah­ren Sätzen aus und entwickle durch bloße Schlußfolgerung, ohne Zuhilfenahme der Beobachtung, ihren ganzen Inhalt. Ein solches System reiner Vernunftwahrheiten zu liefern, hat Spinoza in seiner «Ethik» versucht. Eine Anzahl von
ist durchaus auf dem Wege, dieses furchtbare Niedergangsmäßige als Ziel zu haben.
 
Nun denken Sie sich einmal, wenn die Mitte verlockt würde durch dasjenige, was der Löwe spricht, dann würde zwar die Gefahr nicht vorhanden sein, die ich eben geschildert habe. Es würden die Mechanismen allmählich wiederum vom Erdboden verschwinden. Die Zivilisation würde keine mechanische werden, aber der Mensch würde in einer einseitigen Stärke hingegeben werden alldem, was in Wind und Wetter, was Im Jahreslauf lebt. Der Mensch würde eingespannt werden in den Jahreslauf, und er würde dadurch insbesondere in der Wechselbeziehung seines Atmungsrhythmus und Zirkulationsrhythmus leben müssen. Er würde dasjenige in sich ausbilden, was sein unwillkürliches Leben ihm geben kann. Er würde gewissermaßen die Brustnatur besonders ausbilden. Dadurch aber würde beim Menschen ein solcher Egoismus über die Erdenzivilisation kommen, daß eigentlich jeder nur sich selbst leben wollte, daß kein Mensch sich auch kümmerte um etwas anderes als um das Wohlsein der Gegenwart. Dem ist ausgesetzt die Zivilisation der Mitte, die durchaus ein solches Leben über die Erdenzivilisation verhängen könnte.
 
Und hinwiederum, wenn der Lockruf des Adlers verlocken würde den Westen, so daß es ihm gelingen würde, seine Denkweise und Gesinnung über die ganze Erde zu verbreiten und sich selber in dieser Denkweise und Gesinnung zu vereinseitigen, dann würde überhaupt in der Menschheit der Drang entstehen, sich in der Weise unmittelbar mit der über- irdischen Welt in Verbindung zu setzen, die einmal da war, die da war am Erdenausgang, am Erdenanfang. Man würde den Drang bekommen, auszulöschen, was der Mensch in seiner Freiheit und Selbständigkeit errungen hat. Man würde dazu kommen, ganz nur in jenem unbewußten Willen zu leben, der die Götter in den menschlichen Muskeln, Nerven leben läßt. Man würde zu primitiven Zuständen, zu ursprünglichem, primitivem Hellsehen zurückkommen. Der Mensch würde suchen, von der Erde dadurch loszukommen, daß er an den Erdenanfang zurückkehrte.
 
Ich möchte sagen, für den exakt clairvoyanten Blick wird das noch erhärtet dadurch, daß ihn eigentlich die weidende Kuh immer fort und


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Vorstellungen: Substanz, Attribut, Modus, Denken, Aus­dehnung usw. nimmt er vor und untersucht rein verstandes­mäßig die Beziehungen und den Inhalt dieser Vorstellun­gen. In dem Gedankengebäude soll das Wesen der Wirk­lichkeit sich aussprechen. Spinoza betrachtet nur die Er­kenntnis, die durch diese wirklichkeitsfremde Tätigkeit zu­stande kommt, als eine solche, die dem wahren Wesen der Welt entspricht, die adäquate Ideen liefert. Die aus der Sin­neswahmehmung entsprungenen Ideen sind ihm inadäquat, verworren und verstümmelt. Es ist leicht einzusehen, daß auch in dieser Vorstellungswelt die einseitig platonische Auffassungsweise von dem Gegensatz der Wahrnehmun­gen und der Ideen nachwirkt. Die Gedanken, die unabhän­gig von der Wahrnehmung gebildet werden, sind allein das Wertvolle für die Erkenntnis. Spinoza geht noch weiter. Er dehnt den Gegensatz auch auf das sittliche Empfinden und Handeln der Menschen aus. Unlustempfindungen können nur aus Ideen entspringen, die von der Wahrnehmung stam­men; solche Ideen erzeugen die Begierden und Leiden­schaften im Menschen, deren Sklave er werden kann, wenn er sich ihnen hingibt. Nur was aus der Vernunft entspringt, erzeugt unbedingte Lustempfindungen. Das höchste Glück des Menschen ist daher sein Leben in den Vernunftideen, die Hingabe an die Erkenntnis der reinen Ideenwelt. Wer überwunden hat, was aus der Wahrnehmungswelt stammt, und nur noch in der reinen Erkenntnis lebt, empfindet die höchste Seligkeit.
fort wiederum mit einer Art von Stimme durchdringt, die da sagt: Schaue nicht nach oben; alle Kraft kommt von der Erde. Mache dich bekannt mit alledem, was in den Erdenwirkungen liegt. Du wirst der Herr der Erde. Du wirst dasjenige zum Dauernden machen, was du dir auf Erden erarbeitest. - Ja, wenn der Mensch unterliegen würde diesem Lockruf, dann würde eben jene Gefahr nicht beseitigt werden können, von der ich gesprochen habe: die Mechanisierung der Erdenzivilisation. Denn das Astralische des Verdauungstieres will das Gegenwärtige dauernd machen, das Gegenwärtige verewigen. Aus der Löwenorganisation geht dasjenige hervor, was nicht das Gegenwärtige dauernd machen will, aber was die Gegenwart so flüchtig als möglich machen will, was alles zu einem Spiel des Jahreslaufes, der sich immer wiederholt, machen will, was aufgehen will in Wind und Wetter, in dem Spiel des Sonnenstrahls, in den Lüften. Diesen Charakter würde auch die Zivilisation annehmen.
 
Der Adler, wenn man ihn wirklich verständnisvoll betrachtet, wie er die Lüfte durchschwebt, erscheint so, wie wenn er auf seinem Gefieder trüge das Gedächtnis von dem, was am Erdenausgangspunkte da war. Er hat bewahrt in seinem Gefieder die Kräfte, die von oben gewirkt haben noch in die Erde herein. Man möchte sagen, jedem Adler sieht man die Erdenjahrtausende an, und er hat die Erde mit seinem Physischen nicht berührt als höchstens zum Erfassen der Beute, jedenfalls nicht zum Befriedigen des Eigenlebens. Er aber kreist in den Lüften, wenn er dieses Eigenleben pflegen will, weil ihm dasjenige, was auf der Erde geworden ist, gleichgültig ist, weil er seine Freude und seine Begeisterung von den Kräften der Lüfte hat, weil er das Erdenleben sogar verachtet und leben will in demjenigen Element, in dem die Erde selber gelebt hat, als sie noch nicht Erde war, sondern als sie im Beginn ihres Erdendaseins noch mit himmlischen Kräften sich selber durchsetzte. Der`Adler ist das stolze Tier, das nicht mitmachen wollte die feste Erdenentwickelung, das sich entzog dem Einflusse dieser festeren Erdenentwickelung, und das nur mit denjenigen Kräften vereint bleiben wollte, die am Erdenausgangspunkte waren.


Nicht ganz ein Jahrhundert nach Spinoza tritt der Schotte David Hume mit einer Denkweise auf, die wieder aus der Wahrnehmung allein die Erkenntnis entspringen läßt. Nur einzelne Dinge in Raum und Zeit sind gegeben. Das Denken
Das sind die Lehren, die uns dieses Dreigetier gibt, wenn wir es betrachten können als eine große, mächtige Schrift, die zur Erklärung


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verknüpft die einzelnen Wahrnehmungen, aber nicht, weil in diesen selbst etwas liegt, was dieser Verknüpfung entspricht, sondern weil sich der Verstand daran gewöhnt hat, die Dinge in einen Zusammenhang zu bringen. Der Mensch ist gewohnt, zu sehen, daß ein Ding auf ein anderes der Zeit nach folgt. Er bildet sich die Vorstellung, daß es fol­gen müsse. Er macht das erste zur Ursache, das zweite zur Wirkung. Der Mensch ist ferner gewohnt zu sehen, daß auf einen Gedanken seines Geistes eine Bewegung seines Leibes folgt. Er erklärt sich dies dadurch, daß er sagt, der Geist habe die Leibesbewegung bewirkt. Denkgewohnheiten, nichts weiter sind die menschlichen Ideen. Wirklichkeit haben nur die Wahrnehmungen.
der Weltenrätsel in das Weltenall hineingeschrieben ist. Denn im Grunde genommen ist jegliches Ding im Weltenall ein Schriftzeichen, wenn wir es lesen können; namentlich, wenn wir den Zusammenhang lesen können, dann verstehen wir die Rätsel des Weltenalls.
 
Wie ist es doch bedeutungsvoll, sich sagen zu müssen: Was wir da tun, wenn wir messen mit dem Zirkel oder Maßstab, wenn wir mit der Waage wiegen, wenn wir zählen -, da stellen wir eigentlich etwas zusammen, was ja alles nur Fragment ist; ein Ganzes wird es, wenn wir die Kuhorganisation begreifen in ihrer inneren Geistigkeit. Das heißt lesen in den Geheimnissen des Weltenalls. Und dieses Lesen in den Geheimnissen des Weltenalls führt hinein in das Verständnis des Welten- und des Menschendaseins. Das ist moderne Initiationsweisheit. Das ist, was heute aus den Tiefen des Geisteslebens heraus gesprochen werden muß.


<nowiki>*</nowiki>
Es ist dem Menschen heute eigentlich schwer, Mensch zu sein. Denn, ich möchte sagen, der Mensch nimmt sich heute gegenüber dem Dreigetier aus wie die Antilope in der gestrigen Fabel, die ich Ihnen erzählt habe. Was sich vereinseitigen will, das nimmt besondere Form an. Der Löwe bleibt als Löwe, aber er will seine Raubtiergenossen als Metamorphosen haben für das andere Getier. Er verwendet für das, was eigentlich Adler ist, einen Raubtiergenossen, die Hyäne, die im Grunde genommen von dem Toten lebt, von jenem Toten, das in unserem Haupte erzeugt wird, das zu unserem Sterben fortwährend atomistische Stücke in jedem Augenblicke liefert. So daß diese Fabel den Adler durch die Hyäne ersetzt, durch die Verwesung verzehrende Hyäne, und an die` Stelle der Kuh setzt der Löwe, dem Niedergange entsprechend - die Legende konnte aus der Negerkultur heraus entstehen -, seinen Raubtiergenossen, den Wolf. Und so haben wir In der Fabel das andere Dreigetier: den Löwen, die Hyäne, den Wolf. Wie heute sich die Lockrufe gegenüberstehen, so eigentlich steht sich gegenüber, ich möchte sagen, der kosmische Symbolismus, indem allmählich, wenn die Lockrufe ertönen, der Adler sich zur Erde senkt und zur Hyäne wird, und das Rind nicht mehr in heiliger geduldiger Art das Weltenall abbilden will, sondern zum reißenden Wolfe wird.


Die Vereinigung der verschiedensten durch die Jahrhun­derte hindurch zum Dasein gelangten Denkrichtungen ist die Kantsche Weltanschauung. Auch Kant fehlt die natür­liche Empfindung für das Verhältnis von Wahrnehmung und Idee. Er lebt in philosophischen Vorurteilen, die er durch Studium seiner Vorgänger in sich aufgenommen hat. Das eine dieser Vorurteile ist, daß es notwendige Wahr­heiten gebe, die durch reines, von aller Erfahrung freies Denken erzeugt werden. Der Beweis davon ist, nach seiner Ansicht, durch die Existenz der Mathematik und der reinen Physik erbracht, die solche Wahrheiten enthalten. Ein an­deres seiner Vorurteile besteht darin, daß er der Erfahrung die Fähigkeit abspricht, zu gleich notwendigen Wahrheiten zu gelangen. Das Mißtrauen gegenüber der Wahrnehmungs­welt ist auch in Kant vorhanden. Zu diesen seinen Denkgewohnheiten tritt bei Kant der Einfluß Humes hinzu. Er
Dann haben wir die Möglichkeit, jene Legende, die ich Ihnen gestern


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gibt Hume recht in Bezug auf die Behauptung, daß die Ide­en, in die das Denken die einzelnen Wahrnehmungen zu­sammenfaßt, nicht aus der Erfahrung stammen. Sondern daß das Denken sie zur Erfahrung hinzufügt. Diese drei Vorurteile sind die Wurzeln des Kantschen Gedankengebäu­des. Der Mensch besitzt notwendige Wahrheiten. Sie kön­nen nicht aus der Erfahrung stammen, weil diese keine sol­chen darbietet. Dennoch wendet sie der Mensch auf die Er­fahrung an. Er verknüpft die einzelnen Wahrnehmungen diesen Wahrheiten gemäß. Sie stammen aus dem Menschen selbst. Es liegt in seiner Natur, daß er die Dinge in einen solchen Zusammenhang bringt, der den durch reines Den­ken gewonnenen Wahrheiten entspricht. Kant geht nun noch weiter. Er spricht auch den Sinnen die Fähigkeit zu, das was ihnen von außen gegeben wird, in eine bestimmte Ordnung zu bringen. Auch diese Ordnung fließt nicht mit den Eindrücken der Dinge von außen ein. Die räumliche und die zeitliche Ordnung erhalten die Eindrücke erst durch die sinnliche Wahrnehmung. Raum und Zeit gehören nicht den Dingen an. Der Mensch ist so organisiert, daß er, wenn die Dinge auf seine Sinne Eindrücke machen, diese in räum­liche oder zeitliche Zusammenhänge bringt. Nur Eindrük­ke, Empfindungen erhält der Mensch von außen. Die Anordnung derselben im Raum und in der Zeit, ihre Zusammen­fassung zu Ideen ist sein eigenes Werk. Aber auch die Emp­findungen sind nichts, was aus den Dingen stammt. Nicht die Dinge nimmt der Mensch wahr, sondern nur die Eindrüc­ke, die sie auf ihn ausüben. Ich weiß nichts von einem Din­ge, wenn ich eine Empfindung habe. Ich kann nur sagen: ich bemerke das Auftreten einer Empfindung bei mir. Durch welche Eigenschaften das Ding befähigt ist, in mir
am Schlusse erzählt habe, zu übersetzen aus der Negersprache in unsere moderne Zivilisationssprache. Gestern mußte ich Ihnen, ich möchte sagen, in der Negergesinnung erzählen: Es gingen auf die Jagd Löwe, Wolf und Hyäne. Sie erlegten eine Antilope. Die Hyäne sollte zunächst teilen; sie teilte nach Hyänenlogik und sagte: Ein Drittel einem jeden; eIn Drittel dem Löwen, ein Drittel dem Wolf, ein Drittel mir. - Da wurde die Hyäne gefressen. Jetzt sagte der Löwe zum Wolf: Nun teile du. - Der Wolf sagte jetzt: Das erste Drittel bekommst du, weil du die Hyäne getötet hast, so gebührt dir auch der Anteil der Hyäne. Das zweite Drittel bekommst du, weil du ja ohnedies ein Drittel bekommen hättest nach dem Ausspruch der Hyäne, jeder hätte ein Drittel zu bekommen, so bekommst du also ein zweites Drittel. Das dritte Drittel bekommst auch du, weil du der Weiseste und Tapferste der Tiere bist. - Und der Löwe Sagte zum Wolf: Wer hat dich so vorzüglich das Teilen gelehrt? - Der Wolf sagte: Das hat mich die Hyäne gelehrt. - Die Logik ist bei beiden gleich, aber es kommt in der Wirklichkeitsanwendung etwas ganz anderes heraus, je nachdem die Hyäne, oder, mit den Erfahrungen der Hyäne, der Wolf die Logik anwendet. In der Anwendung der Logik auf die Wirklichkeit liegt das Wesentliche.
 
Nun, wir können auch, ich möchte sagen, ins modern Zivilisatorische übersetzt, etwas anders die Sache erzählen. Aber ich erzähle immer, beachten Sie das, ich erzähle immer dasjenige, worum es sich im großen Gang der Kultur handelt. Und da möchte ich sagen, modern ausgedrückt ließe sich die Erzählung vielleicht so machen: Die Antilope wird erlegt. Die Hyäne zieht sich zurück und gibt ein stummes Urteil ab; sie wagt es nicht, erst den Groll des Löwen zu erregen: sie zieht sich zurück. Sie gibt ein stummes Urteil ab, wartet im Hintergrunde.
 
Der Löwe und der Wolf fangen nun an zu kämpfen um die Beute der Antilope, und kämpfen und kämpfen, und kämpfen so lange, bis sie sich so stark verwundet haben, daß sie beide an den Wunden sterben. Nun kommt die Hyäne und verzehrt Antilope und Wolf und Löwen, nachdem sie in die Verwesung übergegangen sind. Die Hyäne verbildlicht dasjenige, was im menschlichen Intellekt liegt, was das Ertötende in der Menschennatur ist. Sie ist die Kehrseite, die Karikatur der Adlerzivilisation.


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die Empfindungen hervorzurufen, darüber kann ich nichts erfahren. Der Mensch hat es, nach Kants Meinung, nicht mit den Dingen an sich zu tun, sondern nur mit den Ein­drücken, die sie auf ihn machen und mit den Zusammen­hängen, in die er selbst diese Eindrücke bringt. Nicht ob­jektiv von außen aufgenommen, sondern nur auf äußere Veranlassung hin, subjektiv von innen erzeugt, ist die Er­fahrungswelt. Das Gepräge, das sie trägt, geben ihr nicht die Dinge, sondern die menschliche Organisation. Sie ist folglich als solche unabhängig von dem Menschen gar nicht vorhanden. Von diesem Standpunkte aus ist die Annahme notwendiger, von der Erfahrung unabhängiger Wahrhei­ten möglich. Denn diese Wahrheiten beziehen sich bloß auf die Art, wie der Mensch von sich selbst aus seine Er­fahrungswelt bestimmt. Sie enthalten die Gesetze seiner Organisation. Sie haben keinen Bezug auf die Dinge an sich selbst. Kant hat also einen Ausweg gefunden, der es ihm gestattet, bei seinem Vorurteile stehen zu blei­ben, daß es notwendige Wahrheiten gebe, die für den Inhalt der Erfahrungswelt gelten, ohne doch daraus zu stammen. Allerdings mußte er, um diesen Ausweg zu finden, sich zu der Ansicht entschließen, daß der mensch­liche Geist unfähig sei, irgend etwas über die Dinge an sich zu wissen. Er mußte alles Erkennen auf die Erscheinungs­welt einschränken, welche die menschliche Organisation aus sich herausspinnt infolge der von den Dingen verur­sachten Eindrücke. Aber was kümmerte Kant das Wesen der Dinge an sich, wenn er nur die ewigen, notwendig-gültigen Wahrheiten in dem Sinne retten konnte, wie er sich dieselben vorstellte. Der einseitige Platonismus hat in Kant eine die Erkenntnis lähmende Frucht hervorgebracht.
Wenn Sie fühlen, was ich mit dieser Europäisierung der alten Negerfabel sagen will, dann werden Sie verstehen, daß heute eigentlich diese Dinge richtig verstanden werden sollten. Sie werden nur richtig verstanden, wenn dem dreifachen Lockruf, dem des Adlers, dem des Löwen, dem der Kuh, der Mensch entgegensetzen lernt seinen Spruch, den Spruch, der heute das Schibboleth des menschlichen Kraftens und Denkens und Wirkens sein sollte:
 
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|
<poem>
Ich muß lernen:
O Kuh,
Deine Kraft aus der Sprache,
Die die Sterne in mir offenbaren.
</poem>
|}
 
Nicht Erdenschwere, nicht bloß Wiegen, Zählen und Messen, nicht bloß dasjenige lernen, was in der physischen Organisation der Kuh liegt, sondern dasjenige, was in ihr verkörpert ist, das scheue Abwenden des Blicks von der Kuhorganisation zu dem, was sie verkörpert; hin- aufwenden den Blick in die Höhen: dann, dann wird vergeistigt, was sonst mechanistische Zivilisation der Erde würde.
 
Das Zweite, wovon der Mensch sich sagen muß:
 
{| class="centered"
|
<poem>
Ich muß lernen:
O Löwe,
Deine Kraft aus der Sprache,
Die in Jahr und Tag
Der Umkreis in mir wirket.
</poem>
|}
 
Achten Sie auf das «offenbaren», auf das «wirken»! Und das Dritte, was der Mensch lernen muß, ist:
 
{| class="centered"
|
<poem>
O Adler:
Deine Kraft aus der Sprache,
Die das Erd-Entsprossene in mir erschafft.
</poem>
|}
 
So muß der Mensch seinen Dreispruch entgegensetzen den einseitigen Lockrufen, jenen Dreispruch, dessen Sinn die Einseitigkeiten zum harmonischen Ausgleich bringen kann. Er muß lernen, zur Kuh zu schauen, aber von der Kuh, nachdem er sie gründlich empfunden hat, aufzu


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Plato hat sich von der Wahrnehmung abgewendet und den Blick auf die ewigen Ideen gerichtet, weil ihm jene das We­sen der Dinge nicht auszusprechen schien. Kant aber ver­zichtet darauf, daß die Ideen eine wirkliche Einsicht in das Wesen der Welt eröffnen, wenn ihnen nur die Eigenschaft des Ewigen und Notwendigen verbleibt. Plato hält sich an die Ideenwelt, weil er glaubt, daß das wahre Wesen der Welt ewig, unzerstörbar, unwandelbar sein muß, und er diese Eigenschaften nur den Ideen zusprechen kann. Kant ist zufrieden, wenn er nur diese Eigenschaften von den Ideen behaupten kann. Sie brauchen dann gar nicht mehr das Wesen der Welt auszusprechen.
schauen zu dem, was die Sprache der Sterne offenbart. Er muß lernen, aufzurichten den Blick zum Adler, und, nachdem er die Natur des Adlers gründlich in sich empfunden hat, mit dem Blick, mit dem, was ihm die Natur des Adlers gegeben hat, hinunterzuschauen auf das, was in der Erde sprießt und sproßt und auch im Menschen in seiner Organisation wirkt von unten herauf. Und er muß lernen, den Löwen so anzuschauen, daß ihm vom Löwen geoffenbart wird, was ihn umweht im Winde, anblitzt im Blitze, was um ihn herum grollt im Donner, was Wind und Wetter im Jahreslaufe in dem ganzen Erdenleben, in das der Mensch eingespannt ist, bewirken. Wenn der Mensch also - physischen Blick nach aufwärts mit nach abwärts gerichtetem Geistesblick, physischen Blick nach abwärts mit nach aufwärts gerichtetem Geistesblick, geradeaus nach Osten gerichteten physischen Blick mit geradeaus entgegengesetzt nach Westen gerichtetem Geistesblick -, wenn der Mensch also imstande ist, oben und unten und vorne und rückwärts, Geistesblick und physischen Blick einander durchdringen zu lassen, dann vermag er die wirklichen, die ihn kräftigenden und nicht schwächenden Rufe des Adlers aus den Höhen, des Löwen aus dem Umkreis, der Kuh aus dem Inneren der Erde zu vernehmen.


<nowiki>*</nowiki>
Das ist es, was der Mensch lernen soll über sein Verhältnis zum Weltenall, auf daß er immer geeigneter werde im Wirken für die Erdenzivilisation, und nicht dem Niedergange, sondern dem Aufgange diene.


Die philosophische Vorstellungsart Kants wurde noch be­sonders genährt von seiner religiösen Empfindungsrich­tung. Er ging nicht davon aus, in der menschlichen Wesen­heit den lebendigen Zusammenklang von Ideenwelt und Sinneswahmehmung zu schauen, sondern er legte sich die Frage vor: Kann von dem Menschen durch das Erleben der Ideenwelt etwas erkannt werden, das niemals in den Bereich der Sinneswahrung eintreten kann? Wer im Sinne der Goetheschen Weltanschauung denkt, der sucht den Wirklichkeitscharakter der Ideenwelt dadurch zu erkennen, daß er das Wesen der Idee erfaßt, indem ihm klar wird, wie diese in der sinnlichen Scheinwelt Wirklichkeit anschauen läßt. Dann darf er sich fragen: In wie weit kann ich durch den so erlebten Wirklichkeitscharakter der Ideenwelt in die Gebiete dringen, in denen die übersinnlichen Wahrheiten der Freiheit, der Unsterblichkeit, der göttlichen Weltord­nung ihr Verhältnis zur menschlichen Erkenntnis finden?
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|Lerne mein Wesen erkennen!<br>Ich gebe dir die Kraft, || So spricht der Adler
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|Im eignen Haupte<br>Ein Weltenall zu schaffen. || Westen
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|Lerne mein Wesen erkennen!<br>Ich gebe dir die Kraft, || So spricht der Löwe
|-
|Im Schein des Luftkreises<br>Das Weltenall zu verkörpern. || Mitte
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|Lerne mein Wesen erkennen!<br>Ich gebe dir die Kraft, || So spricht die Kuh
|-
|Waage, Meßlatte und Zahl<br>Dem Weltenall zu entreißen. || Orient
|}


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Kant verneinte die Möglichkeit, über die Wirklichkeit der Ideenwelt aus deren Verhältnis zur Sinneswahmehmung etwas wissen zu können. Aus dieser Voraussetzung heraus ergab sich für ihn als wissenschaftliches Ergebnis dasjenige, was, ihm unbewußt, von seiner religiösen Empfindungsrichtung gefordert wurde: daß das wissenschaftliche Er­kennen Halt machen müsse vor solchen Fragen, welche die Freiheit, die Unsterblichkeit, die göttliche Weltordnung betreffen. Ihm ergab sich, daß das menschliche Erkennen nur bis an die Grenzen gehen könne, die den Sinnesbereich umschließen, und daß für alles, was darüber hinausliegt, nur ein Glaube möglich sei. Er wollte das Wissen eingren­zen, um für den Glauben Platz zu erhalten. Im Sinne der Goetheschen Weltanschauung liegt es, das Wissen erst da­durch mit einer festen Grundlage zu versehen, daß die Ideenwelt in ihrem Wesen an der Natur geschaut wird, um dann in der befestigten Ideenwelt zu einer über die Sinnenwelt hinausliegenden Erfahrung zu schreiten. Auch dann, wenn Gebiete erkannt werden, die nicht im Bereich der Sinneswelt liegen, wird der Blick auf den lebendigen Zu­sammenklang von Idee und Erfahrung gelenkt und dadurch die Sicherheit des Erkennens gesucht. Kant konnte eine solche Sicherheit nicht finden. Deshalb ging er darauf aus, für die Vorstellungen von Freiheit, Unsterblichkeit und Gottesordnung außerhalb des Erkennens eine Grundlage zu finden. Im Sinne der Goetheschen Weltanschauung liegt es, von «Dingen an sich» so viel erkennen zu wollen, als das an der Natur erfaßte Wesen der Ideenwelt gestattet. Im Sinne der Kantschen Weltanschauung liegt es, der Erkennt­nis das Recht abzusprechen, in die Welt der «Dinge an sich» hineinzuleuchten. Goethe will in der Erkenntnis ein Licht
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<poem>
Ich muß lernen
 
O Kuh: deine Kraft
Aus der Sprache,
Die die Sterne in mir offenbaren -
 
O Löwe: deine Kraft
Aus der Sprache,
Die in Jahr und Tag
Der Umkreis in mir wirket -
 
O Adler: deine Kraft
Aus der Sprache,
die das Erd-Entsprossene in mir erschafft.
</poem>
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anzünden, welches das Wesen der Dinge beleuchtet. Ihm ist auch klar, daß im Licht nicht das Wesen der beleuch­teten Dinge liegt; aber er will trotzdem nicht darauf ver­zichten, dieses Wesen durch die Beleuchtung mit dem Lich­te offenbar werden zu lassen. Kant hält daran fest: in dem Lichte liegt nicht das Wesen der beleuchteten Dinge; des­halb kann das Licht nichts offenbaren über dieses Wesen.
= DRITTER VORTRAG Dornach, 21. Oktober 1923 =
 
Wir haben versucht, den Menschen wiederum von einem gewissen Gesichtspunkte aus in das Weltenall hineinzustellen. Wir wollen heute eIne Betrachtung anstellen, die das Ganze, ich möchte sagen, zusammenfassen kann. Wir leben innerhalb unseres physischen Lebens auf der Erde, sind umgeben von denjenigen Ereignissen und Tatsachen, welche da sind durch den physischen Stoff der Erde, der in der verschiedensten Weise geformt, gestaltet wird zu den Wesen der Naturreiche, zu der menschlichen Gestalt selber. In alledem west eben der physische Stoff der Erde. Nennen wir ihn heute einmal, diesen physischen Stoff, weil w1r gleich nachher von seinem Gegensatze werden sprechen müssen, die physische Substanz der Erde, dasjenige also, was den verschiedenen Gestaltungen der Erde stofflich zugrunde liegt, und unterscheiden wir davon das, was als der Gegensatz dieser physischen Substanz im Weltenall vorhanden ist, die geistige Substanz, die zum Beispiel unserer eigenen Seele zugrunde liegt, die aber auch sonst im Weltenall denjenigen Gestaltungen zugrunde liegt, die sich als geistige mit den physischen Gestaltungen verbinden.
 
Man kommt nicht zurecht, wenn man nur von einem physischen Stoff oder einer physischen Substanz spricht. Sie brauchen ja nur daran zu denken, daß wir in das Gesamtbild unserer Welt hineinstellen mußten die Wesenheiten der höheren Hierarchien. Diese Wesenheiten der höheren Hierarchien haben nicht Erdensubstanz, nicht physische Substanz in dem, was wir bei ihnen Leiblichkeit nennen würden. Sie haben eben geistige Substanz. So daß wir sehen können auf das Irdische, und wir werden physische Substanz gewahr; so daß wir sehen können auf das Außerirdische, und wir werden geistige Substanz gewahr.
 
Heute kennt man wenig von geistiger Substanz, und so spricht man auch von demjenigen Erdenwesen, das zugleich der physischen und der geistigen Welt angehört, von dem Menschen, so, als ob er eben nur physische Substanz hätte. Das ist aber nicht der Fall. Der Mensch trägt durchaus in sich geistige und physische Substanz, und er trägt sogar
 
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diese geistige und physische Substanz in einer so eigenartigen Weise in sich, daß es zunächst überraschend sein muß für denjenigen, der auf solche Dinge nicht gewöhnt ist zu achten. Wenn wir nämlich dasjenige am Menschen in Betracht ziehen, was gerade den Menschen überführt in die Bewegung, was also am Menschen Gliedmaßen sind, und was sich dann von den Gliedmaßen aus nach innen fortsetzt als die Stoffwechseltätigkeit, so ist es unrichtig, wenn wir da in der Hauptsache von physischer Substanz reden. Sie werden gleich nachher das noch genauer durchschauen. Wir reden von dem Menschen nur richtig, wenn wir gerade seine sogenannte niedere Natur so sehen, daß ihr eine im Grunde genommen geistige Substanz zugrunde liegt. So daß, wenn wir uns schematisch den Menschen aufzeichnen wollen, wir das in der folgenden Weise tun müssen.
 
Wir müssen sagen: Der untere Mensch stellt uns eigentlich ein Gebilde in geistiger Substanz vor, und je weiter wir gegen das Haupt des Menschen zu kommen, desto mehr ist der Mensch aus physischer Substanz gebildet. Das Haupt ist im wesentlichen aus physischer Substanz ge`bildet. Aber die Beine, von denen müssen wir doch sagen, trotzdem es grotesk klingt: sie sind im wesentlichen aus geistiger Substanz gebildet; wie gesagt, so grotesk es klingt. So daß, wenn wir gegen das Haupt zu gehen, wir den Menschen so zeichnen müssen (es wird gezeichnet), daß wir die geistige Substanz in die physische Substanz übergehen lassen; und insbesondere ist die physische Substanz in dem Haupte des Menschen enthalten. Dagegen ist die geistige Substanz besonders schön ausgebreitet, möchte ich sagen, da, wo der Mensch seine Beine in den Raum hineinstreckt, oder seine Arme in den Raum hineinstreckt. Es ist wirklich so, wie wenn das für Arm und Bein die Hauptsache wäre, daß da diese geistige Substanz sie erfüllt, ihr Wesentliches ist. Es ist wirklich so,daß für Arm und Bein die physische Substanz gewissermaßen da nur in der geistigen Substanz drinnen schwimmt, während das Haupt in der Tat sozusagen ein kompaktes Gebilde aus physischer Substanz ist. - Wir haben aber an einem solchen Gebilde, wie der Mensch es ist, nicht bloß zu unterscheiden die Substanz, sondern wir haben in seiner Gestaltung die Kräfte zu unterscheiden. Auch da müssen wir wiederum unterscheiden zwischen geistigen Kräften und irdisch-physischen Kräften.
 
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Nun ist es bei den Kräften gerade umgekehrt. Während für Glied maßen und Stoffwechsel die Substanz geistig ist, sind die Kräfte da drinnen, zum Beispiel für die Beine die Schwere, physisch. Und während die Substanz des Hauptes physisch ist, sind die Kräfte, die darinnen spielen, geistig. Geistige Kräfte durchspielen das Haupt, physische Kräfte durchspielen die geistige Substanz des Gliedmaßen-Stoffwechselmenschen. Nur dadurch kann der Mensch völlig verstanden werden, daß man in ihm unterscheidet seine oberen Gebiete, sein Haupt und auch die oberen Brustgebiete, welche eigentlich physische Substanz sind, durcharbeitet von geistigen Kräften - ich möchte sagen, die niedersten geistigen Kräfte arbeiten in der Atmung -, und den unteren Menschen müssen wir ansehen als ein Gebilde von geistiger Substanz, in der physische Kräfte drinnen arbeiten. Nur müssen wir natürlich uns klar darüber sein, wie es sich bei diesen Dingen eigentlich beim Menschen verhält. Der Mensch erstreckt nämlich seine Hauptesnatur in seinen ganzen Organismus, so daß der Kopf allerdings auch dasjenige, was er dadurch ist, daß er physische Substanz, durcharbeitet von geistigen Kräften, ist, daß er dies sein ganzes Wesen auch in das Untere des Menschen hinein erstreckt. Das, was der Mensch durch seine Geistessubstanz ist, in der physische Kräfte arbeiten, wird wiederum herauf- gespielt nach dem oberen Menschen. Was da im Menschen wirkt, das durchdringt sich gegenseitig. Aber verstehen kann man den Menschen doch nur, wenn man ihn in dieser Weise als physisch-geistiges Substantielles und Dynamisches, das heißt Kräftewesen, betrachtet.
 
Das hat schon auch seine große Bedeutung. Denn wenn man von den äußeren Erscheinungen absieht und auf das innere Wesen eingeht, so zeigt sich uns zum Beispiel, daß keine Unregelmäßigkeit eintreten darf in dieser Verteilung des Substantiellen und des Kräftemäßigen beim Menschen.
 
Dringt zum Beispiel in dasjenige, was reine Substanz, rein geistige Substanz sein soll beim Menschen, der physische Stoff, die physische Substanz ein, macht sich also zum Beispiel im Stoffwechselsystem die physische Substanz zu stark geltend, die eigentlich nach dem Haupte hin führt, wird gewissermaßen der Stoffwechsel zu stark von der Haupteswesenheit durchdrungen, dann wird der Mensch krank, dann ent
 
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stehen ganz bestimmte Krankheitstypen. Und die Aufgabe der Heilung besteht dann darin, diese im geistig Substantiellen sich breitmachende physische Substanzgestaltung wiederum zu paralysieren, herauszutreiben. Andererseits, wenn das Verdauungssystem des Menschen In seiner eigentümlichen Art, durcharbeitet zu sein von physischen Kräften in geistiger Substanz, wenn dieses hinaufgeschickt wird nach dem Haupte, dann wird das menschliche Haupt zu stark, wenn ich mich so ausdrücken darf, spiritualisiert, dann tritt eine zu starke Spiritualisierung des Hauptes ein. Dann muß man dafür sorgen, weil das einen Krankheitszustand darstellt, genügend physische Ernährungskräfte dem Haupte zuzusenden, so daß diese beim Haupte so ankommen, daß sie nicht spiritualisiert werden.
 
Wer auf den gesunden und kranken Menschen blickt, wird die Nützlichkeit dieser Unterscheidung sehr bald einsehen können, wenn es ihm überhaupt um die Wahrheit, nicht bloß um den äußeren Schein zu tun ist. Aber in dieser Sache spielt noch etwas wesentlich anderes. Das, was da spielt, als was der Mensch sich fühlt dadurch, daß er ein so geartetes Wesen ist, wie ich es dargestellt habe, das bleibt zunächst bei dem gewöhnlichen heutigen Bewußtsein eben im Unterbewußtsein. Da ist es schon vorhanden. Da tritt es als eine Art Stimmung, Lebensstimmung des Menschen auf. Aber zum vollen Bewußtsein bringt es doch nur die geistige Anschauung, und diese geistige Anschauung kann ich Ihnen nur so schildern: Derjenige, der aus der heutigen InitiationswIssenschaft heraus dieses Geheimnis vom Menschen weiß, daß eigentlich das hauptsächlichste, das wesentlichste Organ, welches der physischen Substanz bedarf, das Haupt ist, damit es diese physische Substanz mit den geistigen Kräften durcharbeiten kann, und wer weiter weiß, daß im Gliedmaßen-Stoffwechselmenschen das Wesentliche die geistige Substanz ist, die der physischen Kräfte bedarf, der Schwerkräfte, der Gleichgewichtskräfte und der anderen physischen Kräfte, um zu bestehen, derjenige, der so dieses Geheimnis des Menschen geistig durchschaut und dann zurückblickt auf dieses menschliche irdische Dasein, der kommt eigentlich sich als Mensch selber wie ein ungeheurer Schuldner gegenüber der Erde vor. Denn auf der einen Seite muß er sich sagen, er bedarf, damit er sein Menschenwesen aufrecht erhalten
 
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kann, gewisser Bedingungen; aber durch diese Bedingungen wird er eigentlich der Schuldner der Erde. Er entzieht fortwährend etwas der Erde. Er kommt nämlich darauf, sich sagen zu müssen: 4as, was er an geistiger Substanz in sich trägt während des Erdendaseins, das braucht eigentlich die Erde. Das sollte er eigentlich, wenn er durch den Tod geht, der Erde zurücklassen, denn die Erde bedarf zu ihrer Erneuerung fortwährend geistiger Substanz. Er kann es nicht, denn er würde seinen Menschenweg durch die Zeit nach dem Tode nicht zurücklegen können. Er muß diese geistige Substanz mitnehmen für das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, weil er sie braucht, weil er sozusagen verschwinden würde nach dem Tode, wenn er diese geistige Substanz nicht mitnehmen würde durch den Tod.
 
Nur dadurch kann er jene` Veränderungen durchmachen, die er durchmachen muß, daß er diese geistige Substanz seines Gliedmaßen-Stoffwechselmenschen durch die Pforte des Todes hinüberträgt in die geistige Welt. Und so würde der Mensch nicht künftigen Inkarnationen unterliegen können, wenn er der Erde das, was er ihr eigentlich schuldet, diese geistige Substanz, geben würde. Er kann es nicht. Er bleibt e1n Schuldner. Das ist etwas, was zunächst durch nichts zu verbessern ist, soweit die Erde in ihrem Mittelzustande ist. Am Ende des Erdendaseins wird es anders sein.
 
Es ist einmal so, meine lieben Freunde, daß derjenige, der mit der Geistesschau das Leben ansieht, nicht allein jene Schmerzen und Leiden, meinetwillen auch jenes Glück und jene Freude hat, die so das gewöhnliche Leben gibt, sondern daß mit dem Schauen des Geistigen kosmische Gefühle, kosmische Leiden und Freuden auftreten. Und Initiation ist n1cht trennbar von dem Auftreten solcher kosmischer Leiden, zum Beispiel wie das ist, daß man sich sagt: Einfach dadurch, daß ich mein Menschenwesen aufrecht erhalte, muß ich mich zum, Schuldner der Erde gestalten. Ich kann der Erde das nicht geben, was ich ihr eigentlich, wenn ich kosmisch ganz rechtschaffen wäre, geben müßte.
 
Ein Ähnliches ist mit dem, was in der Kopfsubstanz da ist. Dadurch, daß das ganze Erdenleben hindurch geistige Kräfte in der materiellen Kopfsubstanz arbeiten, dadurch wird diese Kopfsubstanz der Erde entfremdet. Der Mensch muß ja die Substanz für seinen Kopf der Erde
 
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entnehmen. Aber er muß auch, um Mensch zu sein, diese Substanz seines Kopfes fortwährend mit den geistigen Kräften des Außerirdischen durchdringen. Und wenn der Mensch stirbt, ist, es für die Erde etwas außerordentlich Störendes, daß sie jetzt zurücknehmen muß die Kopfmaterie des Menschen, die ihr so fremd geworden ist. Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen ist und er seine Hauptessubstanz der Erde übergibt, dann wirkt diese Hauptessubstanz, die eigentlich durchaus vergeistigt ist, die geistige Ergebnisse in sich trägt, im Grunde genommen im Ganzen des Erdenlebens vergiftend, eigentlich störend dieses Erdenleben. Der Mensch muß sich eigentlich sagen, wenn er diese Dinge durchschaut: rechtschaffen wäre es von ihm, diese Substanz nun mitzunehmen gerade durch die Pforte des Todes, weil sie eigentlich viel besser passen würde in die geistige Region hinein, die der Mensch durchschreitet zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Das kann er nicht. Denn der Mensch würde, wenn er diese vergeistigte Erdensubstanz mitnehmen würde, sich fortwährend einen Feind schaffen für all seine Entwickelung zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Es wäre das Furchtbarste, was dem Menschen passieren könnte, wenn er diese vergeistigte Kopfsubstanz mitnehmen würde. Das würde fortwährend an der Vernichtung seiner geistigen Entwickelung zwischen dem Tod und einer neuen Geburt arbeiten.
 
So muß man sich sagen, wenn man diese Dinge durchschaut: Man wird auch dadurch ein Schuldner an der Erde; denn etwas, was man ihr verdankt, aber unbrauchbar für sie gemacht hat, muß man fortwährend zurücklassen, kann es nicht mitnehmen. Das, was man ihr lassen soll, entzieht man ihr; dasjenige, was man mitnehmen soll, was man unbrauchbar für sie gemacht hat, das übergibt man mit seinem Erdenstaub dieser Erde, die in ihrem Gesamtleben, als Gesamtwesen ungeheuer darunter leidet.
 
Es ist schon so,daß sich zunächst gerade durch die Geistesschau etwas auf die Menschenseelen lagert, was wie eine ungeheure tragische Empfindung ist. Und nur wenn man größere Zeiträume übersieht, die Entwickelung ganzer Systeme überschaut, dann stellt sich einem der Ausblick dar, daß man zum Beispiel, wenn die Erde einmal ihrem Ende entgegengegangen sein wIrd, diese Schuld in den späteren Stufen der
 
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Menschheitsentwickelung, in der Jupiter-, Venus-, Vulkanstufe, sozusagen wird ausgleichen, ablegen können.
 
Also nicht nur dadurch, daß man ein einzelnes Erdenleben durchmacht, schafft man Karma, sondern man schafft Karma, Weltenkarma, kosmisches Karma überhaupt dadurch, daß man Erdenmensch ist, daß man die Erde bewohnt und aus der Erde seine Substanzen zieht.
 
Da ist es dann möglich, von dem Menschen hinwegzuschauen und auf die übrige Natur zu schauen und zu sehen, wie zwar der Mensch, ich möchte sagen, diese Schuld auf sich laden muß, von der ich Ihnen eben jetzt erzählt habe, wie aber dennoch fortwährend durch die kosmischen Wesenheiten ein Ausgleich geschaffen wird. Da dringt man ein in wunderbare Geheimnisse des Daseins, in Geheimnisse, die in der Tat, wenn man sie zusammenfaßt, erst das werden, was man als Vorstellung bekommt von der Weisheit der Welt.
 
Wenden wir den Blick vom Menschen weg auf etwas, worauf wir In den letzten Tagen vielfach diesen Blick gewendet haben, wenden wir den Blick zur Vogelwelt, die uns repräsentiert war in den letzten Tagen durch den Adler. Wir sprachen von dem Adler als dem Repräsentanten der Vogelwelt, als demjenigen Tier, das sozusagen zusammenfaßt die Eigenschaften und Kräfte der Vogelwelt. Und indem wir den Adler betrachten, betrachten wir eigentlich dasjenige, was im kosmischen Zusammenhange der ganzen Vogelwelt obliegt. Ich werde also in Zukunft einfach vom Adler sprechen. - Ich habe Ihnen davon gesprochen, wie eigentlich der Adler dem Kopf des Menschen entspricht, und wie diejenigen Kräfte, die im Menschenkopf die Gedanken auslösen, bei dem Adler das Gefieder auslösen. So daß eigentlich in dem Adlergefieder die sonnendurchströmten Luftkräfte, die lichtdurchströmten Luftkräfte wirken. Das schimmert in dem Adlergefieder: die Luftkraft lichtdurchdrungen.
 
Nun hat der Adler, dem man ja manche schlimmen Eigenschaften zuschreiben kann, eben doch die merkwürdige Eigenschaft in bezug auf sein kosmisches Dasein, daß gewissermaßen außerhalb seiner Haut, in der Gestaltung des Gefieders alles dasjenige bleibt, was diese sonnendurchwirkten Luftkräfte an ihm bilden. Was da geschieht, merkt man nämlich erst, wenn der Adler stirbt.
 
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Wenn der Adler stirbt, wird einem erst klar, was für eine merkwürdige, ich möchte sagen, oberflächliche Verdauung der Adler hat gegenüber der gründlichen Verdauung der Kuh mit ihrem Wiederkäuen. Die Kuh ist wirklich das Verdauungstier - wiederum als Repräsentant für viele aus dem Tiergeschlechte. Da wird gründlich verdaut. Der Adler verdaut wie jeder Vogel oberflächlich. Es wird alles nur angefangen sozusagen, das Verdauungsgeschäft nur angefangen. Und ich möchte sagen, es ist im Adlersein dieses Verdauen, wenn wir auf das Ganze sehen, eigentlich ein Nebengeschäft des Daseins; es wird überall im Adler als ein Nebengeschäft behandelt. Dagegen verläuft gründlich im Adler alles, was auf sein Gefieder verwendet wird. Bei anderen Vögeln ist gerade das noch stärker. Da wird mit ungeheurer Sorgfalt alles in den Federn ausgearbeitet. Und solch eine Vogelfeder ist eigentlich ein wunderbares Gebilde. Da kommt nämlich am stärksten zustande dasjenige, was man irdische Materie nennen möchte, die der Adler der Erde entnimmt, und die von den oberen Kräften durchgeistigt wird, aber so, daß es nicht angeeignet wird von dem Adler; denn der Adler macht keinen Anspruch auf Reinkarnation. Ihn braucht es daher nicht zu genieren, was dann geschieht durch das, was da durch die oberen geistigen Kräfte an der irdischen Materie in seinem Gefieder bewirkt wird; ihn braucht nicht zu genieren, wie das nun weiterwirkt in der geistigen Welt.
 
So sehen wir denn, wenn der Adler stirbt und sein Gefieder nun auch zugrunde geht - wie gesagt, es gilt das für jeden Vogel -, daß da die vergeistigte irdische Materie in das Geisterland hinausgeht, zurückverwandelt wird in geistige Substanz.
 
Sie sehen, wir haben eine merkwürdige verwandtschaftliche Beziehung in bezug auf unser Haupt zum Adler. Was wir nicht können, der Adler kann es: Der Adler schafft fortwährend von der Erde fort dasjenige, was in der Erde durch die geistigen Kräfte an physischer Substanz vergeistigt wird.
 
Das ist es auch, weshalb wir mit unserer Empfindung so merkwürdig den Adler in seinem Flug betrachten. Wir empfinden ihn als etwas Erdenfremdes, als etwas, was mit dem Himmel mehr zu tun hat als mit der Erde, obwohl er ja von der Erde seine Substanz holt. Aber wie holt er
 
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sie? Er holt sie so, daß er für die Erdensubstanz nur ein Räuber ist. Ich möchte sagen, es ist nicht im gewöhnlichen banalen Gesetz des Erdendaseins vorgesehen, daß der Adler auch noch etwas bekommt. Er stiehlt sich, er raubt sich seine Materie, wie überhaupt das Vogelgeschlecht vielfach die Materie raubt. Aber er gleicht aus, der Adler. Er raubt sich seine Materie, aber er läßt sie vergeistigen von den Kräften, die als geistige Kräfte in den oberen Regionen sind, und er entführt nach seinem Tode diese vergeisteten Erdenkräfte, die er geraubt hat, ins Geisterland. Mit den Adlern zieht die vergeistigte Erdenmaterie hinaus ins Geisterland.


Vor der Goetheschen Weltanschauung kann diejenige Kants nur im Sinne der folgenden Vorstellungen stehen: Nicht durch Hinwegräumung alter Irrtümer, nicht durch eine freie, ursprüngliche Vertiefung in die Wirklichkeit ist diese Weltanschauung entstanden, sondern durch logische Verschmelzung anerzogener und ererbter philosophischer und religiöser Vorurteile. Sie konnte nur aus einem Geiste entspringen, in dem der Sinn für das lebendige Schaffen in­nerhalb der Natur unentwickelt geblieben ist. Und sie konn­te nur auf solche Geister wirken, die an dem gleichen Man­gel litten. Aus dem weitgehenden Einflusse, den Kants Denkweise auf seine Zeitgenossen ausübte, ist zu ersehen, wie stark diese in dem Banne des einseitigen Platonismus standen.
Das Leben der Tiere ist auch nicht abgeschlossen, wenn sie sterben. Sie haben ihre Bedeutung im Weltenall. Und fliegt der Adler als physischer Adler, so ist er gewissermaßen nur ein Sinnbild seines Daseins; so fliegt er als physischer Adler. Oh, er fliegt weiter nach seinem Tode! Es fliegt die vergeistigte physische Materie der Adlernatur hinein in die Weiten, um sich zu vereinigen mit der Geistmaterie des Geisterlandes.


= GOETHE UND DIE PLATONISCHE WELTANSICHT =
Sie sehen, man kommt auf wunderbare Geheimnisse im Weltenall, wenn man diese Dinge durchschaut. Dann erst sagt man sich, warum denn eigentlich diese verschiedenen Tier- und anderen Gestaltungen der Erde da sind. Sie haben alle ihre große, ihre ungeheure Bedeutung im ganzen Weltenall.
<nowiki>#</nowiki>G006-1963-SE046 - Goethes Weltanschauung


<nowiki>#</nowiki>TI
Gehen wir jetzt zu dem anderen Extrem, das wir auch in diesen Tagen betrachtet haben, gehen wir zu der von dem Hindu so verehrten Kuh. Da haben wir allerdings das andere Extrem. Wie der Adler dem menschlichen Kopfe sehr ähnlich ist, ist die Kuh sehr ähnlich dem menschlichen Stoffwechselsystem. Sie ist das Verdauungstier. Und, so sonderbar es klingt, dieses Verdauungstier besteht eigentlich wesenhaft aus geistiger Substanz, in die nur eingespannt und eingestreut ist die physische Materie, die aufgezehrt wird. Da ist in der Kuh die geistige Substanz (es wird gezeichnet), und die physische Materie dringt hier überall ein und wird von der geistigen Substanz aufgenommen, verarbeitet. Damit das ganz gründlich geschieht, ist das Verdauungsgeschäft der Kuh ein so ausführliches, gründliches. Es ist das gründlichste Verdauungsgeschäft, das man sich denken kann, und in dieser Beziehung besorgt wirklich die Kuh am gründlichsten das Tiersein. Die Kuh
 
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ist gründlich Tier. Sie bringt tatsächlich das Tiersein, diesen Tieregoismus, diese Tier-Ichheit aus dem Weltenall auf die Erde in den Bereich der Schwerkraft der Erde herunter.
 
Kein anderes Tier hat dasselbe Verhältnis zwischen dem Blutgewichte und dem gesamten Körpergewichte wie die Kuh; entweder hat es weniger oder mehr Blut im Verhältnis zum Körpergewichte als die Kuh; und Gewicht hat mit der Schwere zu tun, und das Blut mit der Egoität. Nicht mit dem Ego, das hat ja nur der Mensch, aber mit der Egoität, mit dem Einzelsein. Das Blut macht auch das Tier zum Tiere, das höhere Tier wenigstens. Man möchte sagen: die Kuh hat das Weltenrätsel gelöst, wie man gerade das richtige Verhältnis hält zwischen der Schwere des Blutes und der Schwere des ganzen Körpers, wenn man so gründlich wie möglich Tier sein will.


GOETHE UND DIE PLATONISCHE WELTANSICHT
Sehen Sie, die Alten haben nicht umsonst den Tierkreis «Tierkreis» genannt. Der ist zwölfgliedrig, verteilt gewissermaßen sein gesamtes Sein auf zwölf einzelne Teile. Diese Kräfte, die aus dem Kosmos, von dem Tierkreis kommen, die gestalten sich eben aus in den Tieren. Aber die anderen Tiere richten sich nicht so genau darnach. Die Kuh hat das Zwölftel ihres Körpergewichtes in ihrem Blutgewicht. Das Gewicht des Blutes bei der Kuh ist das Zwölftel ihres Körpergewichtes, beim Esel nur das Dreiundzwanzigstel, beim Hund das Zehntel. Alle anderen Tiere haben ein anderes Verhältnis. Beim Menschen ist das Blut ein Dreizehntel des Körpergewichtes.


<nowiki>#</nowiki>TX
Sie sehen, die Kuh hat es abgesehen darauf, in der Schwere das ganze Tiersein auszudrücken, so gründlich als möglich Kosmisches auszudrücken. Was ich in diesen Tagen immer gesagt habe, daß man es am astralischen Leib der Kuh sieht, daß sie eigentlich das Obere im Physisch-Materiellen verwirklicht, das drückt sich selbst darin aus, daß sie in ihrem eigenen inneren Gewichtsverhältnisse die Zwölfteilung aufrecht erhält. Da ist sie kosmisch drinnen. Alles an der Kuh ist so, daß in die geistige Substanz hineingearbeitet werden die Kräfte der Erde. Der Erdenschwere wird es aufgedrungen, sich im Tierkreisverhältnis in der Kuh zu verteilen. Die Erdenschwere muß sich fügen, ein Zwölftel auf die Egoität entfallen zu lassen. Alles zwingt die Kuh herein in die irdischen Verhältnisse, was sie an geistiger Substanz hat.


Ich habe die Gedankenentwickelung von Platos bis zu Kants Zeit geschildert, um zeigen zu können, welche Eindrücke Goethe empfangen mußte, wenn er sich an den Nie­derschlag der philosophischen Gedanken wandte, an die er sich halten konnte, um sein so starkes Erkenntnisbedürfnis zu befriedigen. Auf die unzähligen Fragen, zu denen ihn seine Natur drängte, fand er in den Philosophien keine Ant­worten. Ja, es zeigte sich, so oft er sich in die Weltanschau­ung eines Philosophen vertiefte, ein Gegensatz zwischen der Richtung, die seine Fragen einschlugen und der Gedan­kenwelt, bei der er sich Rat holen wollte. Der Grund liegt darin, daß die einseitig platonische Trennung von Idee und Erfahrung seiner Natur zuwider war. Wenn er die Natur beobachtete, so brachte sie ihm die Ideen entgegen. Er konnte sie deshalb nur ideenerfüllt denken. Eine Ideenwelt, welche die Dinge der Natur nicht durchdringt, ihr Entste­hen und Vergehen, ihr Werden und Wachsen nicht hervorbringt, ist ihm ein kraftloses Gedankengespinst. Das logi­sche Fortspinnen von Gedankenreihen, ohne Versenkung in das wirkliche Leben und Schaffen der Natur erscheint ihm unfruchtbar. Denn er fühlt sich mit der Natur innig ver­wachsen. Er betrachtet sich als ein lebendiges Glied der Natur. Was in seinem Geiste entsteht, das hat, nach seiner Ansicht, die Natur in ihm entstehen lassen. Der Mensch soll sich nicht in eine Ecke stellen und glauben, daß er da aus sich heraus ein Gedankengewebe spinnen könne, das über das Wesen der Dinge aufklärt. Er soll den Strom des Weltgeschehens beständig durch sich durchfließen lassen. Dann wird er fühlen, daß die Ideenwelt nichts anderes ist, als die
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So ist die Kuh, die auf der Weide liegt, in der Tat geistige Substanz, welche die Erdenmaterie in sich aufnimmt, absorbiert, sich ähnlich macht.


schaffende und tätige Gewalt der Natur. Er wird nicht über den Dingen stehen wollen, um über sie nachzudenken, son­dern er wird sich in ihre Tiefen eingraben und aus ihnen herausholen, was in ihnen lebt und wirkt.
Wenn die Kuh stirbt, dann ist diese geistige Substanz, die die Kuh in sich trägt, fähig, mit der Erdenmaterie zur Wohltat des Lebens der ganzen Erde von dieser Erde aufgenommen zu werden. Und man tut recht, wenn man der Kuh gegenüber die Empfindung hat: Du bist das wahre Opfertier, denn du gibst im Grunde genommen der Erde fortwährend das, was sie braucht, ohne das sie nicht weiter bestehen könnte, ohne das sie verhärten und vertrocknen würde. Du gibst ihr fortwährend geistige Substanz und erneuerst die innere Regsamkeit, die innere Lebendigkeit der Erde.


Zu solcher Denkweise führte Goethe seine Künstlernatur. Mit derselben Notwendigkeit, mit der eine Blume blüht, fühlte er seine dichterischen Erzeugnisse aus seiner Persönlichkeit herauswachsen. Die Art, wie der Geist in ihm das Kunstwerk hervorbrachte, schien ihm nicht ver­schieden von der zu sein, wie die Natur ihre Geschöpfe er­zeugt. Und wie im Kunstwerke das geistige Element von der geistlosen Materie nicht zu trennen ist, so war es ihm auch unmöglich, bei einem Dinge der Natur die Wahrneh­mung ohne die Idee vorzustellen. Fremd blickte ihn daher eine Anschauung an, die in der Wahrnehmung nur etwas Unklares, Verworrenes sah und die Ideenwelt abgesondert, gereinigt von aller Erfahrung betrachten wollte. Er fühlte in jeder Weltanschauung, in der die Elemente des einseitig verstandenen Platonismus lebten, etwas Naturwidriges. Des­halb konnte er bei den Philosophen nicht finden, was er bei ihnen suchte. Er suchte die Ideen, die in den Dingen leben, und die alle Einzelheiten der Erfahrung als hervorwachsend aus einem lebendigen Ganzen erscheinen lassen, und die Philosophen lieferten ihm Gedankenhülsen, die sie nach logischen Grundsätzen zu Systemen verbunden hatten. Immer wieder fand er sich auf sich selbst zurückgewiesen, wenn er bei andern Aufklärung suchte über die Rätsel, die ihm die Natur aufgab.
Und wenn Sie schauen auf der einen Seite die Weide mit den Kühen, auf der anderen Seite den fliegenden Adler, dann haben Sie da merkwürdige Gegenbilder: der Adler, der die für die Erde unbrauchbar gewordene Erdenmater1e - weil diese Materie vergeistigt ist - hinausträgt in die Weiten des Geisterlandes, wenn er stirbt; die Kuh, wenn sie stirbt, welche die Himmelsmaterie der Erde gibt und so die Erde erneuert. Der Adler entnimmt der Erde das, was sie nicht mehr brauchen kann, was zurück muß ins Geisterland. Die Kuh trägt in die Erde das herein, was die Erde fortwährend an erneuernden Kräften aus dem Geisterland braucht.


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Sie sehen hier etwas wie das Auftauchen von Empfindungen aus der Initiationswissenschaft heraus. Denn man hat so gewöhnlich den Glauben: diese Initiationswissenschaft, nun, die studiert man halt, aber sIe gibt eigentlich nichts als Begriffe, als Ideen. Man füllt sich seinen Kopf mit Ideen über das Übersinnliche an, wie man seinen Kopf sonst anfüllt mit Ideen über das Sinnliche. Aber so ist es nicht. Immer weiterdringend in dieser Initiationswissenschaft kommt man dazu, Empfindungen, von denen man früher keine Ahnung hatte, die aber unbewußt doch in jedem Menschen sind, aus den Tiefen der Seele heraufzuholen; man kommt dazu, alle Wesen anders zu empfinden, als man sie vorher empfunden hat. So kann ich Ihnen eine Empfindung schildern, die eben zum lebendigen Ergreifen der Geisteswissenschaft, der Initiationswissenschaft, dazugehört. Das ist diese, daß man sich sagen


Es gehört zu den Dingen, an denen Goethe vor seiner ita­lienischen Reise gelitten hat, daß sein Erkenntnisbedürfnis keine Befriedigung finden konnte. In Italien konnte er sich eine Ansicht bilden über die Triebkräfte, aus denen die Kunstwerke hervorgehen. Er erkannte, daß in den vollen­deten Kunstwerken das enthalten ist, was die Menschen als Göttliches, als Ewiges verehren. Nach dem Anblicke von künstlerischen Schöpfungen, die ihn besonders interessie­ren, schreibt er die Worte nieder: «Die hohen Kunstwerke sind zugleich als die höchsten Naturwerke von Menschen nach wahren und natürlichen Gesetzen hervorgebracht wor­den. Alles Willkürliche, Eingebildete fällt zusammen; da ist Notwendigkeit, da ist Gott.» Die Kunst der Griechen ent­lockt ihm den Ausspruch: «Ich habe die Vermutung, daß sie (die Griechen) nach eben den Gesetzen verfuhren, nach welchen die Natur selbst verfährt und denen ich auf der Spur bin.» Was Plato in der Ideenwelt zu finden glaubte, was die Philosophen Goethe nie nahe bringen konnten, das blickt ihm aus den Kunstwerken Italiens entgegen. In der Kunst offenbart sich für Goethe zuerst das in vollkomme­ner Gestalt, was er als die Grundlage der Erkenntnis an­sehen kann. Er erblickt in der künstlerischen Produktion eine Art und höhere Stufe des Naturwirkens; künstleri­sches Schaffen ist ihm gesteigertes Naturschaffen. Er hat das in seiner Charakteristik Winckelmanns später ausge­sprochen: «... indem der Mensch auf den Gipfel der Natur gestellt ist, so sieht er sich wieder als eine ganze Natur an, die in sich abermals einen Gipfel hervorzubringen hat. Dazu steigert er sich, indem er sich mit allen Vollkommenheiten und Tugenden durchdringt, Wahl, Ordnung, Harmonie und Bedeutung aufruft und sich endlich zur Produktion des
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muß: Wenn nur der Mensch auf Erden wäre, dann müßte man, wenn man die wahre Natur des Menschen erkennt, eigentlich daran verzweifeIn, daß die Erde überhaupt das bekommt, was, sie braucht, daß ihr in der richtigen Zeit die vergeistete Materie entnommen wird und Geistmaterie gegeben wird. Man müßte eigentlich einen solchen Gegensatz zwIschen dem menschlichen und dem irdischen Dasein empfinden, der sehr, sehr weh tut, der deshalb sehr, sehr weh tut, weil man sich sagt: Soll der Mensch richtig Mensch sein auf Erden, so kann die Erde nicht richtig Erde sein durch den Menschen. Mensch und Erde brauchen einander, Mensch und Erde können sich nicht gegenseitig stützen! Was das eine Wesen braucht, geht dem anderen verloren; was das andere braucht, geht dem einen verloren. Und man hätte keine Sicherheit für den Lebenszusammenhang zwischen Mensch und Erde, wenn nicht auftauchen würde die Umwelt und man sich sagen müßte: Was der Mensch nicht vermag in bezug auf die Hinausführung der vergeistigten Erdensubstanz ins Geisterland, das vollbringt die Vogelwelt. Und was der Mensch nicht vermag der Erde zu geben an geistiger Substanz, vollbringen die wiederkäuenden Tiere, und als ihr Repräsentant: die Kuh.


Kunstwerkes erhebt...». Nicht auf dem Wege logischer Schlußfolgerung, sondern durch Betrachtung des Wesens der Kunst gelangt Goethe zu seiner Weltanschauung. Und was er in der Kunst gefunden hat, das sucht er auch in der Natur.
Sehen Sie, dadurch rundet sich die Welt sozusagen zu einem Ganzen. Schaut man bloß auf den Menschen, bekommt man Unsicherheit in seine Empfindung herein über das Erdendasein; schaut man auf das, was den Menschen umgibt, gewinnt man wieder die Sicherheit.


Die Tätigkeit, durch die sich Goethe in den Besitz einer Naturerkenntnis setzt, ist nicht wesentlich von der künst­lerischen verschieden. Beide gehen ineinander über und greifen übereinander. Der Künstler muß, nach Goethes Ansicht, größer und entschiedener werden, wenn er zu seinem «Talente noch ein unterrichteter Botaniker ist, wenn er, von der Wurzel an, den Einließ der verschiedenen Teile auf das Gedeihen und das Wachstum der Pflanze, ihre Bestimmung und wechselseitige Wirkung erkennt, wenn er die sukzessive Entwicklung der Blumen, Blätter, Befruchtung, Frucht und des neuen Keimes einsieht und überdenkt. Er wird alsdann nicht bloß durch die Wahl aus den Erscheinungen seinen Geschmack zeigen, sondern er wird uns auch durch eine richtige Darstellung der Eigenschaften zugleich in Ver­wunderung setzen und belehren.» Das Kunstwerk ist dem­nach um so vollkommener, je mehr in ihm dieselbe Gesetzmäßigkeit zum Ausdruck kommt, die in dem Naturwerke enthalten ist, dem es entspricht. Es gibt nur ein einheitliches Reich der Wahrheit, und dieses umfaßt Kunst und Natur. Daher kann auch die Fähigkeit des künstlerischen Schaffens von der des Naturerkennens nicht wesentlich verschieden sein. Vom Stil des Künstlers sagt Goethe, daß er «auf den tiefsten Grundfesten der Erkenntnis ruhe, auf dem Wesen der Dinge, insofern uns erlaubt ist, es in sichtbaren und greifbaren Gestalten zu erkennen.» Die aus einseitig erfaß­ten platonischen Vorstellungen hervorgegangene Weltbe­trachtung zieht eine scharfe Grenzlinie zwischen Wissenschaft
Jetzt werden Sie sich noch weniger wundern, daß eine so tief ins Geistige hineingehende religiöse Weltanschauung, wie der Hinduismus, die Kuh verehrt; denn sie ist das Tier, das die Erde fortwährend vergeistigt, fortwährend der Erde jene Geistsubstanz gibt, welche sie selber aus dem Kosmos entnimmt. Und man müßte eigentlich tatsächlich das Bild real werden lassen, wie unter einer weidenden Kuhherde unten die Erde freudig erregt lebt, die Elementargeister drunten jauchzen, weil sie ihre Nahrung aus dem Kosmos versprochen erhalten durch das DaseIn der Wesen, die da weiden. Man müßte eigentlich den tanzendjauchzenden Luftkreis der Elementargeister malen, umschwebend den Adler. Dann hätte man geistige Realitäten wiederum gemalt, und man würde das Physische in den geistigen Realitäten drinnen sehen; man würde den Adler fortgesetzt sehen in seiner Aura, und in die Aura


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und Kunst. Die künstlerische Tätigkeit läßt sie auf der Phantasie, auf dem Gefühle beruhen; die wissenschaft­lichen Ergebnisse sollen das Resultat einer Phantastereien Begriffsentwicklung sein. Goethe stellt sich die Sache anders vor. Für ihn ergibt sich, wenn er das Auge auf die Natur richtet, eine Summe von Ideen; aber er findet, daß in dem einzelnen Erfahrungsgegenstande der ideelle Bestandteil nicht abgeschlossen ist; die Idee weist über das einzelne hin­aus auf verwandte Gegenstände, in denen sie auf ähnliche Weise zur Erscheinung kommt. Der philosophierende Be­obachter hält diesen ideellen Bestandteil fest und bringt ihn in seinen Gedankenwerken unmittelbar zum Ausdrucke. Auch auf den Künstler wirkt dieses Ideelle. Aber es treibt ihn ein Werk zu gestalten, in dem die Idee nicht bloß wie in einem Naturwerke wirkt, sondern zur gegenwärtigen Erscheinung wird. Was in dem Naturwerke bloß ideell ist und sich dem geistigen Auge des Beobachters enthüllt, das wird in dem Kunstwerke real, wird wahrnehmbare Wirklichkeit. Der Künstler verwirklicht die Ideen der Natur. Er braucht sich aber diese nicht in Form der Ideen zum Bewußtsein zu bringen. Wenn er ein Ding oder ein Ereignis betrachtet, so gestaltet sich in seinem Geiste unmittelbar ein anderes, das in realer Erscheinung enthält, was jene nur als Idee. Der Künstler liefert Bilder der Naturwerke, welche deren Ideengehalt in einen Wahrnehmungsgehalt umsetzen. Der Philo­soph zeigt, wie sich die Natur der denkenden Betrachtung darstellt; der Künstler zeigt, wie die Natur aussehen würde, wenn sie ihre wirkenden Kräfte nicht bloß dem Denken, sondern auch der Wahrnehmung offen entgegenbrächte. Es ist eine und dieselbe Wahrheit, die der Philosoph in Form des Gedankens, der Künstler in Form des Bildes darstellt.
hereinspielend das Jauchzen der elementaren Luftgeister und Feuergeister der Luft.


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Man würde diese merkwürdige Aura der Kuh sehen, die so sehr wIderspricht dem irdischen Dasein, weil sie ganz kosmisch ist, und man würde das erregt Heitere der Sinne der irdischen Elementargeister sehen, die hier dessen ansichtig werden, was ihnen dadurch verlorengegangen ist, daß sie in der Finsternis der Erde ihr Dasein fristen müssen. Das ist ja für diese Geister Sonne, was in den Kühen erscheint. Diese in der Erde hausenden Elementargeister können sich nicht über die physIsche Sonne freuen, aber über die Astralleiber der Wiederkäuer.


Beide unterscheiden sich nur durch ihre Ausdrucksmittel. Die Einsicht in das wahre Verhältnis von Idee und Erfah­rung, die sich Goethe in Italien angeeignet hat, ist nur die Frucht aus dem Samen, der in seiner Naturanlage verborgen war. Die italienische Reise brachte ihm jene Sonnenwärme, die geeignet war, den Samen zur Reife zu bringen. In dem Aufsatz «Die Natur», der 1782 im Tiefurter Journal er­schienen ist, und der Goethe zum Urheber hat (vgl. meinen Nachweis von Goethes Urheberschaft im VII. Bande der Schriften der Goethe-Gesellschaft), finden sich schon die Keime der späteren Goetheschen Weltanschauung. Was hier dunkle Empfindung ist, wird später klarer deutlicher Gedanke. «Natur! Wir sind von ihr umgeben und um­schlungen - unvermögend, aus ihr herauszutreten, und un­vermögend, tiefer in sie hineinzukommen. Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen... Gedacht hat sie (die Natur) und sinnt be­ständig; aber nicht als ein Mensch, sondern als Natur... Sie hat keine Sprache noch Rede, aber sie schafft Zungen und Herzen, durch die sie fühlt und spricht... Ich sprach nicht von ihr. Nein, was wahr ist und falsch ist, alles hat sie gesprochen. Alles ist ihre Schuld, alles ist ihr Verdienst! -» Als Goethe diese Sätze niederschrieb, war ihm noch nicht klar, wie die Natur durch den Menschen ihre ideelle Wesenheit aus­spricht; daß es aber die Stimme des Geistes der Natur ist, die im Geiste des Menschen ertönt, das fühlte er.
Ja, meine lieben Freunde, es gibt eben noch eine andere Naturgeschichte als diejenige, die heute in den Büchern steht. Und was ist denn schließlich das Endergebnis der Naturgeschichte, die heute in den Büchern steht?


In Italien fand Goethe die geistige Atmosphäre, in der sich seine Erkenntnisorgane ausbilden konnten, wie sie es ihren
Es ist eben erschienen die Fortsetzung jenes Buches von Albert Schweitzer, das ich einmal besprochen habe. Sie erinnern sich vielleicht an meine Besprechung dieses Büchelchens über die gegenwärtigen Kulturzustände vor einiger Zeit im «Goetheanum». Die Vorrede dieser Fortsetzung ist eigentlich ein ziemlich trauriges Kapitel gegenwärtiger Geistesproduktion; denn, hat das erste Bändchen, das ich damals besprochen habe, wenigstens noch eine gewisse Kraft und eine Einsicht, um das zuzugeben, was unserer Kultur fehlt, so ist diese Vorrede wirklich ein recht trauriges Kapitel. Denn da renommiert Schweitzer damit, daß er der erste sei, der eingesehen habe, daß im Grunde genommen das Wissen gar nichts geben könne, daß man von irgendwo anders Weltanschauung und Ethik gewinnen müsse als von der Erkenntnis.


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Nun, erstens ist ja von Grenzen der Erkenntnis viel gesprochen worden, und es gehört schon ein bißchen, wie soll ich sagen, Kurzsichtigkeit dazu, zu glauben, daß man der erste ist, der von Grenzen der Erkenntnis gesprochen hat. Das haben doch die Naturforscher in allen möglichen Tonarten getan. Also man braucht sich nicht zu rühmen, daß man diesen kolossalen Irrtum zuerst gefunden hat.


Anlagen gemäß mußten, wenn er zur vollen Befriedigung kommen sollte. In Rom hat er «über Kunst und ihre theo­retischen Forderungen mit Moritz viel verhandelt »; auf der Reise hat sich in ihm bei Beobachtung der Pflanzenmeta­morphose eine naturgemäße Methode ausgebildet, die sich später für die Erkenntnis der ganzen organischen Natur fruchtbar erwiesen hat. «Denn als die Vegetation mir Schritt für Schritt ihr Verfahren vorbildete, konnte ich nicht irren, sondern mußte, indem ich sie gewähren ließ, die Wege und Mittel anerkennen, wie sie den eingehülltesten Zustand zur Vollendung nach und nach zu beför­dern weiß.» Wenige Jahre nach seiner Rückkehr aus Italien gelang es ihm, auch für die Betrachtung der unorganischen Natur ein aus seinen geistigen Bedürfnissen geborenes Ver­fahren zu finden. «Bei physischen Untersuchungen drängte sich mir die Überzeugung auf, daß, bei aller Betrachtung der Gegenstände, die höchste Pflicht sei, jede Bedingung, unter welcher ein Phänomen erscheint, genau aufzusuchen und nach möglichster Vollständigkeit der Phänomene zu trachten: weil sie doch zuletzt sich aneinanderzureihen, oder vielmehr übereinanderzugreifen genötigt werden, und vor dem Anschauen des Forschers auch eine Art Organi­sation bilden, ihr inneres Gesamtleben manifestieren müs­sen.»
Aber wenn man davon absieht, so zeigt sich eben gerade dieses, daß eIn so ausgezeichneter Denker wie Schweitzer - denn ein ausgezeichneter Denker ist er ja doch nach diesem ersten Bändchen - dazu kommt,  


Goethe fand nirgends Aufklärung. Er mußte sich selbst aufklären. Er suchte den Grund dafür und glaubte ihn darin zu finden, daß er für Philosophie im eigentlichen Sinne kein Organ hätte. Er ist aber darin zu suchen, daß die einseitig erfaßte platonische Denkweise, die alle ihm zugänglichen Philosophien beherrschte, seiner gesunden Naturanlage widersprach. In seiner Jugend hatte er sich wiederholt an
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zu sagen: Wenn wir Weltanschauung haben wollen, wenn wir Ethik haben wollen, da sehen wir ganz ab von Wissen und Erkenntnis; denn die geben uns doch nichts. Wissen und Erkenntnis, wie sie eben heute in den Büchern stehen und offiziell anerkannt sind, diese Wissenschaften und diese Erkenntnisse führen nicht dazu, einen Sinn - wie Schweitzer sagt - in der Welt zu entdecken. Denn im Grunde, wenn man so hinschaut, wie diese Persönlichkeiten hinschauen auf die Welt, kann einem ja nichts aufgehen, als: es ist sinnlos, daß Adler fliegen, abgesehen davon, daß man Wappentiere aus ihnen machen kann; es ist irdisch nützlich, daß Kühe Milch geben und so weiter. Aber da der Mensch auch nur ein physisches Wesen ist, so hat es nur e1ne physische Nützlichkeit; irgendeinen Sinn für das Weltenganze gibt das ja nicht.


Spinoza gewandt. Er gesteht sogar, daß dieser Philosoph auf ihn immer eine «friedliche Wirkung» hervorgebracht habe. Diese beruht darauf, daß Spinoza das Weltall als eine große Einheit ansieht, und alles Einzelne mit Notwendig­keit aus dem Ganzen hervorgehend sich denkt. Wenn sich Goethe aber auf den Inhalt der Spinozistischen Philosophie einließ, so fühlte er doch, daß dieser ihm fremd blieb. «Den­ke man aber nicht, daß ich seine Schriften hätte unterschrei­ben und mich dazu buchstäblich bekennen mögen. Denn, daß niemand den andern versteht, daß keiner bei denselben Worten dasselbe, was der andere, denkt, daß ein Gespräch, eine Lektüre bei verschiedenen Personen verschiedene Ge­dankenfolgen aufregt, hatte ich schon allzu deutlich einge­sehen, und man wird dem Verfasser von Werther und Faust wohl zutrauen, daß er, von solchen Mißverständnissen tief durchdrungen, nicht selbst den Dünkel gehegt, einen Mann vollkommen zu verstehen, der als Schüler von Descartes, durch mathematische und rabbinische Kultur sich zu dem Gipfel des Denkens hervorgehoben; der bis auf den heu­tigen Tag noch das Ziel aller spekulativen Bemühungen zu sein scheint.» Nicht der Umstand, daß Spinoza durch Descartes geschult worden ist, auch nicht der, daß er durch mathematische und rabbinische Kultur sich zu dem Gipfel des Denkens erhoben hat, machte ihn für Goethe zu einem Element, an das er sich doch nicht ganz hingeben konnte, sondern seine wirklichkeitsfremde, rein logische Art, die Erkenntnis zu behandeln. Goethe konnte sich dem reinen erfahrungsfreien Denken nicht hingeben, weil er es nicht zu trennen vermochte von der Gesamtheit des Wirklichen. Er wollte nicht einen Gedanken bloß logisch an den andern angliedern. Vielmehr erschien ihm eine solche Gedankentätigkeit
Allerdings, wenn man eben nicht weitergehen will, so steht man nicht auf dem Niveau, wo ein Sinn der Welt erscheinen kann. Man muß eben übergehen zu dem, was einem das Geistige, was einem die Initiationswissenschaft über die Welt sagen kann; dann findet man schon diesen Sinn der Welt. Dann findet man diesen Sinn der Welt sogar, indem man wunderbare Geheimnisse in allem Dasein entdeckt, solche Geheimnisse wie jenes, das sich abspielt mit dem sterbenden Adler und der sterbenden Kuh, zwischen denen der sterbende Löwe drinnen- steht, der wiederum so in sich geistige Substanz und physische Substanz im Gleichgewichte hält durch seinen Gleichklang zwischen Atmungsund Blutrhythmus, daß er es nun ist, der durch seine Gruppenseele regelt, wieviel Adler notwendig sind und wieviel Kühe notwendig sind, um den richtigen Prozeß nach oben und nach unten, wie ich Ihnen geschildert habe, vor sich gehen zu lassen.


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Sie sehen, die drei Tiere, Adler, Löwe, Stier oder Kuh, sie sind aus einer wunderbaren instinktiven Erkenntnis heraus eben geschaffen. Ihre Verwandtschaft mit dem Menschen ist gefühlt. Denn der Mensch müßte sich eigentlich sagen, wenn er diese Dinge durchschaut: Der Adler nimmt mir ab die Aufgaben, die ich nicht selber erfüllen kann durch mein Haupt; die Kuh nimmt mir ab die Aufgaben, die ich nicht selber erfüllen kann durch meinen Stoffwechsel, durch mein Gliedmaßensystem; der Löwe nimmt mir ab diejenigen Aufgaben, die ich nicht selber erfüllen kann durch mein rhythmisches System. So wird


von der wahren Wirklichkeit abzulenken. Er mußte den Geist in die Erfahrung versenken, um zu den Ideen zu kommen. Die Wechselwirkung von Idee und Wahrnehmung war ihm ein geistiges Atemholen. «Durch die Pendelschläge wird die Zeit, durch die Wechselbewe­gung von Idee und Erfahrung die sittliche und wissenschaft­liche Welt regiert.» Im Sinne dieses Satzes die Welt und ihre Erscheinungen zu betrachten, schien Goethe naturgemäß. Denn für ihn gab es keinen Zweifel darüber, daß die Natur dasselbe Verfahren beobachtet: daß sie « eine Entwicklung aus einem lebendigen geheimnisvollen Ganzen» zu den mannigfaltigen besonderen Erscheinungen hin ist, die den Raum und die Zeit erfüllen. Das geheimnisvolle Ganze ist die Welt der Idee. «Die Idee ist ewig und einzig; daß wir auch den Plural brauchen, ist nicht wohlgetan. Alles, was wir gewahr werden und wovon wir reden können, sind nur Manifestationen der Idee; Begriffe sprechen wir aus, und insofern ist die Idee selbst ein Begriff.» Das Schaffen der Natur geht aus dem Ganzen, das ideeller Art ist, ins Einzel­ne, das als Reelles der Wahrnehmung gegeben ist. Deshalb soll der Beobachter: «das Ideelle im Reellen anerkennen und sein jeweiliges Mißbehagen mit dem Endlichen durch Erhebung ins Unendliche beschwichtigen». Goethe ist überzeugt davon, daß «die Natur nach Ideen verfahre, ingleichen, daß der Mensch in allem, was er beginnt, eine Idee verfolge». Wenn es dem Menschen wirklich gelingt, sich zu der Idee zu erheben, und von der Idee aus die Einzel­heiten der Wahrnehmung zu begreifen, so vollbringt er dasselbe, was die Natur vollbringt, indem sie ihre Geschöpfe aus dem geheimnisvollen Ganzen hervorgehen läßt. So­lange der Mensch das Wirken und Schaffen der Idee nicht
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aus mir und den drei Tieren ein Ganzes im kosmischen Zusammenhange. So lebt man sich hinein in den kosmischen Zusammenhang. So fühlt man die tiefe Verwandtschaft in der Welt und lernt erkennen, wie weise eigentlich diejenigen Kräfte sind, welche das Dasein durchwalten, in das der Mensch hineinverwoben ist, und von dem der Mensch wiederum umwallt und umwogt ist.


fühlt, bleibt sein Denken von der lebendigen Natur abge­sondert. Er muß das Denken als eine bloß subjektive Tä­tigkeit ansehen, die ein abstraktes Bild von der Natur ent­werfen kann. Sobald er aber fühlt, wie die Idee in seinem Innern lebt und tätig ist, betrachtet er sich und die Natur als ein Ganzes, und was als Subjektives in seinem Innern erscheint, das gilt ihm zugleich als objektiv; er weiß, daß er der Natur nicht mehr als Fremder gegenübersteht, son­dern er fühlt sich verwachsen mit dem Ganzen derselben. Das Subjektive ist objektiv geworden; das Objektive von dem Geiste ganz durchdrungen. Goethe ist der Meinung, der Grundirrtum Kants bestehe darin, daß dieser «das sub­jektive Erkenntnisvermögen nun selbst als Objekt be­trachtet und den Punkt, wo subjektiv und objektiv zusam­mentreffen, zwar scharf aber nicht ganz richtig sondert.» (Sophien-Ausgabe, 2. Abteilung, Bd. XI, S.376.) Das Er­kenntnisvermögen erscheint dem Menschen nur so lange als subjektiv, als er nicht beachtet, daß die Natur selbst es ist, die durch dasselbe spricht. Subjektiv und objektiv tref­fen zusammen, wenn die objektive Ideenwelt im Subjekte auflebt, und in dem Geiste des Menschen dasjenige lebt, was in der Natur selbst tätig ist. Wenn das der Fall ist, dann hört aller Gegensatz von subjektiv und objektiv auf. Dieser Gegensatz hat nur eine Bedeutung, solange der Mensch ihn künstlich aufrecht erhält, solange er die Ideen als seine Ge­danken betrachtet, durch die das Wesen der Natur abge­bildet wird, in denen es aber nicht selbst wirksam ist. Kant und die Kantianer hatten keine Ahnung davon, daß in den Ideen der Vernunft das Wesen, das Ansich der Dinge un­mittelbar erlebt wird. Für sie ist alles Ideelle ein bloß Sub­jektives. Deshalb kamen sie zu der Meinung, das Ideelle
Sie sehen, wir konnten in dieser Weise zusammenfassen, was uns da entgegengetreten ist, indem wir aufgesucht haben die Beziehung des Menschen zu dem Dreigetier, von dem wir in den verflossenen Wochen gesprochen haben.


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könne nur dann notwendig gültig sein, wenn auch dasje­nige, auf das es sich bezieht, die Erfahrungswelt, nur sub­jektiv ist. Mit Goethes Anschauungen steht die Kantsche Denkweise in einem scharfen Gegensatz. Es gibt zwar ein­zelne Äußerungen Goethes, in denen er von Kants An­sichten in einer anerkennenden Art spricht. Er erzählt, daß er manchem Gespräch über diese Ansichten beigewohnt habe. «Mit einiger Aufmerksamkeit konnte ich bemerken, daß die alte Hauptfrage sich erneuere, wieviel unser Selbst und wieviel die Außenwelt zu unserm geistigen Dasein beitrage. Ich hatte beide niemals gesondert, und wenn ich nach mei­ner Weise über Gegenstände philosophierte, so tat ich es mit unbewußter Naivität und glaubte wirklich, ich sähe meine Meinungen vor Augen. Sobald aber jener Streit zur Sprache kam, mochte ich mich gern auf diejenige Seite stel­len, welche dem Menschen am meisten Ehre macht, und gab allen Freunden vollkommen Beifall, die mit Kant behaup­teten: wenn gleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung angehe, so entspringe sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung.» Die Idee stammt auch, nach Goethes An­sicht, nicht aus dem Teile der Erfahrung, welcher der blo­ßen Wahrnehmung durch die Sinne des Menschen sich dar­bietet. Die Vernunft, die Phantasie müssen sich betätigen, müssen in das Innere der Wesen dringen, um sich der ide­ellen Elemente des Daseins zu bemächtigen. Insofern hat der Geist des Menschen Anteil an dem Zustandekommen der Erkenntnis. Goethe meint, es mache dem Menschen Ehre, daß in seinem Geiste die höhere Wirklichkeit, die den Sinnen nicht zugänglich ist, zur Erscheinung komme; Kant dagegen spricht der Erfahrungswelt den Charakter der höheren Wirklichkeit ab, weil sie Bestandteile enthält, die


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aus dem Geiste stammen. Nur wenn er die Kantschen Sätze erst im Sinne seiner Weltanschauung umdeutete, konnte Goethe sich zustimmend zu ihnen verhalten. Die Grund­lagen der Kantschen Denkweise widersprechen Goethes Wesen aufs schärfste. Wenn dieser den Widerspruch nicht scharf genug betonte, so liegt das wohl nur darin, daß er sich auf diese Grundlagen nicht einließ, weil sie ihm zu fremd waren. «Der Eingang (der Kritik der reinen Ver­nunft) war es, der mir gefiel, ins Labyrinth selbst konnte ich mich nicht wagen: bald hinderte mich die Dichtungs­gabe, bald der Menschenverstand, und ich fühlte mich nir­gends gebessert.» Über seine Gespräche mit den Kantianern mußte sich Goethe eingestehen: «Sie hörten mich wohl, konnten mir aber nichts erwidern, noch irgend förder­lich sein. Mehr als einmal begegnete es mir, daß einer oder der andere mit lächelnder Verwunderung zugestand: es sei freilich ein Analogon Kantscher Vorstellungsart, aber ein seltsames.» Es war, wie ich gezeigt, auch kein Analogon, sondern das entschiedenste Gegenteil der Kantschen Vor­stellungsart.
= II Der innere Zusammenhang der Welterscheinungen und Weltwesen =


Es ist interessant zu sehen, wie Schiller sich über den Ge­gensatz der Goetheschen Denkweise und seiner eigenen auf­zuklären sucht. Er empfindet das Ursprüngliche und Freie der Goetheschen Weltanschauung. Aber er kann die ein­seitig erfaßten platonischen Gedankenelemente aus seinem eigenen Geiste nicht entfernen. Er kann sich nicht zu der Einsicht erheben, daß Idee und Wahrnehmung in der Wirklichkeit nicht getrennt vorhanden sind, sondern nur künstlich von dem durch falsch gelenkte Ideenrichtung ver­führten Verstand getrennt gedacht werden. Deshalb stellt er
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<nowiki>#</nowiki>SE006-058 der Goetheschen Geistesart, die er als eine intuitive bezeich­net, die eigene als spekulative gegenüber und behauptet, daß beide, wenn sie nur kraftvoll genug wirken, zu einem gleichen Ziele führen müssen. Von dem intuitiven Geiste nimmt Schiller an, daß er sich an das Empirische, Individu­elle halte und von da aus zu dem Gesetze, zu der Idee aufsteige. Falls ein solcher Geist genialisch ist, wird er in dem Empirischen das Notwendige, in dem Individuellen die Gattung erkennen. Der spekulative Geist dagegen soll den umgekehrten Weg machen. Ihm soll zuerst das Gesetz, die Idee gegeben sein, und von ihr soll er zum Empirischen und Individuellen herabsteigen. Ist ein solcher Geist genialisch, so wird er zwar immer nur Gattungen im Auge haben, aber mit der Möglichkeit des Lebens und mit gegründeter Be­ziehung auf wirkliche Objekte. Die Annahme einer beson­deren Geistesart, der spekulativen gegenüber der intuitiven, beruht auf dem Glauben, daß der Ideenwelt ein abgesonder­tes ,von der Wahrnehmungswelt getrenntes Dasein zukom­me. Wäre dies der Fall, dann könnte es einen Weg geben, auf dem der Inhalt der Ideen über die Dinge der Wahrnehmung in den Geist käme, auch wenn ihn dieser nicht in der Erfah­rung aufsuchte. Ist aber die Ideenwelt mit der Erfahrungs­wirklichkeit untrennbar verbunden, sind beide nur als ein Ganzes vorhanden, so kann es nur eine intuitive Erkenntnis, die in der Erfahrung die Idee aufsucht und mit dem Indivi­duellen zugleich die Gattung erfaßt, geben. In Wahrheit gibt es auch keinen rein spekulativen Geist im Sinne Schil­lers. Denn die Gattungen existieren nur innerhalb der Sphäre, der auch die Individuen angehören; und der Geist kann sie anderswo gar nicht finden. Hat ein sogenannter spekulativer Geist wirklich Gattungsideen, so stammen


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diese aus der Beobachtung der wirklichen Welt. Wenn das lebendige Gefühl für diesen Ursprung, für den notwendi­gen Zusammenhang des Gattungsmäßigen mit dem Indi­viduellen verloren geht, dann entsteht die Meinung, solche Ideen können in der Vernunft auch ohne Erfahrung ent­stehen. Die Bekenner dieser Meinung bezeichnen eine Sum­me von abstrakten Gattungsideen als Inhalt der reinen Ver­nunft, weil sie die Fäden nicht sehen, mit denen diese Ideen an die Erfahrung gebunden sind. Eine solche Täuschung ist am leichtesten bei den allgemeinsten, umfassendsten Ideen möglich. Da solche Ideen weite Gebiete der Wirklichkeit umspannen, so ist in ihnen manches ausgetilgt oder abge­blaßt, was den zu diesem Gebiete gehörigen Individuali­täten zukommt. Man kann eine Anzahl solcher allgemeiner Ideen durch Überlieferung in sich aufnehmen und dann glauben, sie seien dem Menschen angeboren, oder man habe sie aus der reinen Vernunft herausgesponnen. Ein Geist, der einem solchen Glauben verfällt, kann sich als spekulativ ansehen. Er wird aus seiner Ideenwelt aber nie mehr herausholen können, als diejenigen hineingelegt ha­ben, von denen er sie überliefert erhalten hat. Wenn Schiller meint, daß der spekulative Geist, wenn er genialisch ist, «zwar immer nur Gattungen, aber mit der Möglichkeit des Lebens und mit gegründeter Beziehung auf wirkliche Ob­jekte» erzeugt (vgl. Schillers Brief an Goethe vom 23. Au­gust. 1794), so ist er im Irrtum. Ein wirklich spekulativer Geist, der nur in Gattungsbegriffen lebte, könnte in seiner Ideenwelt keine andere gegründete Beziehung zur Wirk­lichkeit finden, als diejenige, die schon in ihr liegt. Ein Geist, der Beziehungen zur Wirklichkeit der Natur hat und sich dennoch als spekulativ bezeichnet, ist in einer Täuschung
= VIERTER VORTRAG Dornach, 26. Oktober 1923 =


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Wir haben den Zusammenhang der Erdenverhältnisse, der Weltenverhältnisse und der Tierwelt mit dem Menschen in einer gewissen Weise betrachtet. Wir werden an kommenden Tagen gerade in diesen Betrachtungen fortfahren; heute möchte ich aber den Übergang finden zu weiteren Bereichen, die uns in der Zukunft werden beschäftigen müssen. Und da möchte ich zunächst hinweisen darauf, wie ja schon In meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» die Entwickelung der Erde im Kosmos so dargestellt worden ist, daß wir den Ausgangspunkt zu nehmen haben, wenn diese Erdenentwickelung in Frage kommt, von der uralten Saturnmetamorphose der Erde. Diese Saturnmetamorphose ist ja so vorzustellen, daß in ihr noch alles das enthalten ist, was überhaupt zu unserem Planetensystem gehört. Die einzelnen Planeten unseres Planetensystems vom Saturn bis herein zum Mond sind damals noch im alten Saturn - der, wie Sie wissen, nur aus Wärmeäther bestand - aufgelöste Weltenkörper. Also der Saturn, der noch nicht einmal die Luftdichtigkeit erlangt hat, sondern eben Wärmeäther ist, der enthält ebenfalls ätherisch aufgelöst alles das, was sich später selbständig gestaltet, individualisiert in den einzelnen Planeten.


über seine eigene Wesenheit befangen. Diese Täuschung kann ihn dazu verführen, seine Beziehungen zur Wirklich­keit, zum unmittelbaren Leben zu vernachlässigen. Er wird glauben, der unmittelbaren Beobachtung entraten zu kön­nen, weil er andere Quellen der Wahrheit zu haben meint. Die Folge davon ist immer, daß die Ideenwelt eines solchen Geistes einen matten abgeblaßten Charakter trägt. Die fri­schen Farben des Lebens werden seinen Gedanken fehlen. Wer im Bunde mit der Wirklichkeit leben will, wird aus einer solchen Gedankenwelt nicht viel gewinnen können. Nicht als eine Geistesart, die neben der intuitiven als gleich­berechtigt anzusehen ist, kann die spekulative gelten, son­dern als eine verkümmerte, an Leben verarmte Denkart. Der intuitive Geist hat es nicht bloß mit Individuen zu tun, er sucht nicht in dem Empirischen den Charakter der Not­wendigkeit auf. Sondern wenn er sich der Natur zuwendet, vereinigen sich bei ihm Wahrnehmung und Idee unmittel­bar zu einer Einheit. Beide werden ineinander geschaut und als Ganzheit empfunden. Er kann zu den allgemeinsten Wahrheiten, zu den höchsten Abstraktionen aufsteigen: das unmittelbar wirkliche Leben wird in seiner Gedanken­welt immer zu erkennen sein. Solcher Art war Goethes Denken. Heinroth hat in seiner Anthropologie ein treff­liches Wort über dieses Denken gesprochen, das Goethe im höchsten Grade gefiel, weil es ihn über seine Natur aufklärte. «Herr Dr. Heinroth ... spricht von meinem Wesen und Wirken günstig, ja er bezeichnet meine Verfahrungsart als eine eigentümliche: daß nämlich mein Denkvermögen gegenständlich tätig sei, womit er aussprechen will, daß mein Denken sich von den Gegenständen nicht sondere; daß die Elemente der Gegenstände, die Anschauungen in dasselbe
Wir unterscheiden dann als die zweite Metamorphose der ErdenentwIckelung, was zusammenfassend von mir genannt wird die alte Sonnenmetamorphose der Erde. Da hat man es damit zu tun, daß allmähIich aus der Feuerkugel des Saturn sich herausgestaltet die Luftkugel, die lichtdurchströmte, lichtdurchglänzte und -durchglitzerte Luftkugel Sonne.


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Dann haben wir eine dritte Metamorphose, wo sich herausbildet, nachdem die alten Zustände wiederholt worden sind, auf der einen Seite das Sonnenhafte, das dazumal noch die Erde und den Mond umspannt, und dasjenige, was äußerlich ist - nun, Sie haben es ja in der «Geheimwissenschaft» beschrieben -, wozu dann eben der Saturn in seiner Abspaltung gehört.


eingehen und von ihm auf das innigste durchdrungen wer­den; daß mein Anschauen selbst ein Denken, mein Denken ein Anschauen sei.» Im Grunde schildert Heinroth nichts als die Art, wie sich jedes gesunde Denken zu den Gegen­ständen verhält. Jede andere Verfahrungsart ist eine Abir­rung von dem naturgemäßen Wege. Wenn in einem Men­schen die Anschauung überwiegt, dann bleibt er an dem Individuellen hängen; er kann nicht in die tieferen Gründe der Wirklichkeit eindringen; wenn das abstrakte Denken in ihm überwiegt, dann erscheinen seine Begriffe unzureichend, um die lebendige Fülle des Wirklichen zu verstehen. Das Extrem der ersten Abirrung stellt den rohen Empiriker dar, der mit den individuellen Tatsachen sich begnügt; das Ex­trem der andern Abirrung ist in dem Philosophen gegeben, der die reine Vernunft anbetet und der nur denkt, ohne ein Gefühl davon zu haben, daß Gedanken ihrem Wesen nach an Anschauung gebunden sind. In einem schönen Bilde schildert Goethe das Gefühl des Denkers, der zu den höch­sten Wahrheiten aufsteigt, ohne die Empfindung für die lebendige Erfahrung zu verlieren. Er schreibt im Anfang des Jahres 1784 einen Aufsatz über den Granit. Er versetzt sich auf einen aus diesem Gestein bestehenden Gipfel, wo er sich sagen kann: «Hier ruhst du unmittelbar auf einem Grunde, der bis zu den tiefsten Orten der Erde hinreicht, keine neuere Schicht, keine aufgehäuften, zusammenge­schwemmten Trümmer haben sich zwischen dich und den festen Boden der Urwelt gelegt, du gehst nicht wie in jenen fruchtbaren Tälern über ein anhaltendes Grab, diese Gipfel haben nichts Lebendiges erzeugt und nichts Lebendiges verschlungen, sie sind vor allem Leben und über alles Le­ben. In diesem Augenblicke, da die innern anziehenden und
Aber wir haben es zu gleicher Zeit damals in dieser Mondenmeta-


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bewegenden Kräfte der Erde gleichsam unmittelbar auf mich wirken, da die Einflüsse des Himmels mich näher umschweben, werde ich zu höheren Betrachtungen der Natur hinaufgestimmt, und wie der Menschengeist alles belebt, so wird auch ein Gleichnis in mir rege, dessen Erhabenheit ich nicht widerstehen kann. So einsam, sage ich zu mir selber, indem ich diesen ganz nackten Gipfel hinabsehe und kaum in der Ferne am Fuße ein gering wachsendes Moos erblickte, so einsam, sage ich, wird es dem Menschen zumute, der nur den ältesten, ersten, tiefsten Gefühlen der Wahrheit seine Seele eröffnen will. Ja, er kann zu sich sagen: Hier, auf dem älte­sten, ewigen Altare, der unmittelbar auf die Tiefe der Schöp­fung gebaut ist, bring ich dem Wesen aller Wesen ein Opfer. Ich fühle die ersten, festesten Anfänge unsers Daseins; ich überschaue die Welt, ihre schrofferen und gelinderen Täler und ihre fernen fruchtbaren Weiden, meine Seele wird über sich selbst und über alles erhaben und sehnt sich nach dem nähern Himmel. Aber bald ruft die brennende Sonne Durst und Hunger, seine menschlichen Bedürfnisse, zurück. Er sieht sich nach jenen Tälern um, über die sich sein Geist schon hinausschwang.» Solchen Enthusiasmus der Erkenntnis, solche Empfindungen für die ältesten, festen Wahrheiten kann nur derjenige in sich entwickeln, der immer und im­mer wieder aus den Regionen der Ideenwelt den Weg zu­rückfindet zu den unmittelbaren Anschauungen.  
morphose damit zu tun, daß die Sonne und dasjenige, was dann ein Zusammenhang ist zwischen Erde und Mond, sich trennen. Und ich habe ja öfters beschrieben, wie die Reiche der Natur, die wir heute kennen, damals nicht vorhanden waren, wie namentlich die Erde nicht eine Mineralmasse einschloß, sondern - wenn ich mich so ausdrücken darf - hornartig war, so daß die festen Bestandteile hornartig sich ablösten, hornige Felsen gewissermaßen herausragten aus der schon wässerig gewordenen Mondmasse. Dann sind die Verhältnisse entstanden in der vierten Metamorphose, die unsere heutigen irdischen Verhältnisse sind.


= PERSÖNLICHKEIT UND WELTANSCHAUUNG =
Nun haben wir, wenn wir diese vier Metamorphosen hintereinander aufzeichnen, zunächst also die Saturnmetamorphose, den Wärmekörper, der noch alles aufgelöst hat, was später in unserem Planetensystem enthalten ist, die Sonnenmetamorphose, die Mondenmetamorphose und die Erdenmetamorphose. Wir können in dieser Vierheit zweierlei voneinander unterscheiden. (Es wird gezeichnet.)
<nowiki>#</nowiki>G006-1963-SE063 - Goethes Weltanschauung


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Bedenken Sie nur, wie wir es bei der Entwickelung des Saturn bis zur Sonne hin zu tun haben mit dem, was erst bis zur luftartigen Substanz vorgerückt ist! Von der Feuerkugel geht die Entwickelung aus; die Feuerkugel metamorphosiert, verdichtet sich bis zur Luftkugel, die aber bereits lichtdurchsetzt, lichterglitzernd ist. Da haben wir den ersten Teil der Entwickelung.


PERSÖNLICHKEIT UND WELTANSCHAUUNG
Dann haben wir diesen Teil der Entwickelung, wo der Mond seine erste Rolle spielt. Denn der Mond spielt eben die Rolle, die es ihm möglich machte, jene hornigen Felsengebilde zu gestalten. Der Mond tritt ja während der Erdenmetamorphose heraus, wird Nebenplanet und läßt der Erde die inneren Erdenkräfte zurück. Zum Beispiel sind die Kräfte der Schwere durchaus etwas, was vom Monde zurückgeblieben ist in physischer Beziehung. Die Erde würde nicht die Kräfte der Schwere entwickeln, wenn nicht zurückgeblieben wären die Reste des alten Mondeneinschlusses; er selber ist fortgegangen. Der Mond ist jene Kolonie im Weltenraum, von der ich Ihnen vom geistigen Aspekte aus in den jüngst verflossenen Tagen gesprochen habe. Er hat eine ganz andere Substantialität als die Erde, aber er hat in der Erde zurückgelassen das, was man 1m weiteren Sinne den Erdenmagnetismus nennen kann; die Kräfte der Erde, namentlich die Schwerkräfte der Erde, die Wirkun-


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Die Außenseite der Natur lernt der Mensch durch die Anschauung kennen; ihre tiefer liegenden Triebkräfte enthül­len sich in seinem eigenen Innern als subjektive Erlebnisse. In der philosophischen Weltbetrachtung und im künstle­rischen Empfinden und Hervorbringen durchdringen die subjektiven Erlebnisse die objektiven Anschauungen. Das wird wieder ein Ganzes, Was sich in zwei Teile spalten muß­te, um in den menschlichen Geist einzudringen. Der Mensch befriedigt seine höchsten geistigen Bedürfnisse, wenn er der objektiv angeschauten Welt einverleibt, was sie in sei­nem Innern ihm als ihre tieferen Geheimnisse offenbart. Erkenntnisse und Kunsterzeugnisse sind nichts anderes, als von menschlichen inneren Erlebnissen erfüllte Anschau­ungen. In dem einfachsten Urteile über ein Ding oder Er­eignis der Außenwelt können ein menschliches Seelener­lebnis und eine äußere Anschauung im innigen Bunde mit­einander gefunden werden. Wenn ich sage: ein Körper stößt den andern, so habe ich bereits ein inneres Erlebnis auf die Außenwelt übertragen. Ich sehe einen Körper in Be­wegung; er trifft auf einen andern; dieser kommt infolge­dessen auch in Bewegung. Mit diesen Worten ist der Inhalt der Wahrnehmung erschöpft. Ich bin aber dabei nicht be­ruhigt. Denn ich fühle: es ist in der ganzen Erscheinung noch mehr vorhanden, als was die bloße Wahrnehmung lie­fert. Ich greife nach einem inneren Erlebnis, das mich über die Wahrnehmung aufklärt. Ich weiß, daß ich selbst durch Anwendung von Kraft, durch Stoßen, einen Körper in Be­wegung versetzen kann. Dieses Erlebnis übertrage ich auf die Erscheinung und sage: der eine Körper stößt den andern.
gen, die man als die Gewichtswirkungen bezeichnet, sind vom Monde zurückgeblieben. So können wir sagen: Wir haben hier (siehe Zeichnung Seite 71) Saturn- und Sonnenzustand, die im wesentlichen warme, lichtdurchglänzte Metamorphose, wenn wir die beiden zu`sammennehmen; wir haben hier, Monden- und Erdzustand, die mondgetragene, wässerige Metamorphose, das Wäßrige, das sich herausbildet während der Mondmetamorphose und dann während der Erdenmetamorphose bleibt; das Feste wird ja gerade durch die Schwerkräfte hervorgerufen.


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Diese beiden Metamorphosen unterscheiden sich eigentlich beträchtlich voneinander, und man muß sich klar darüber sein, daß alles, was e1nmal war, in dem Späteren wiederum drinnensteckt. Dasjenige, was die alte Feuerkugel Saturn war, blieb als Wärmesubstanz in allen folgenden Metamorphosen drinnen, und wenn wir heute innerhalb des Erdengebietes herumgehen und überall noch auf Wärme auftreffen, so ist die Wärme, die wir überall finden, der Rest der alten Saturnentw1ckelung. Überall, wo wir Luft oder nur luftförmige Körper finden, haben wir die Reste der alten Sonnenentwickelung. Wenn wir hinaus- sehen in die sonnendurchglänzte Luft, dann sollten wir eigentlich, indem wir uns mit Empfindungen von dieser Evolution durchdringen> uns sagen: In dieser sonnendurchglänzten Luft haben wir die Überreste der alten Sonnenentwickelung; denn wäre diese alte Sonnenentwickelung nicht gewesen, es wäre nicht die Verwandtschaft unserer Luft mit den Sonnenstrahlen vorhanden, die nun draußen sind. Nur dadurch, daß die Sonne einmal mit der Erde verbunden war, daß das Licht der Sonne in der Erde, die noch luftförmig war, selber erglänzte, so daß die Erde eine Luftkugel war, welche inneres Licht in den Weltenraum hinausstrahlte, nur dadurch konnte die spätere Metamorphose eintreten, die jetzige Erdenmetamorphose, wo die Erde von einer Luftatmosphäre umschlungen wird, in die von außen die Sonnenstrahlen hineinfallen. Aber diese Sonnenstrahlen haben eine tiefe innere Verwandtschaft zur Erdenatmosphäre. Diese Sonnenstrahlen treffen nicht etwa so, wie die heutigen Physiker grobschlächtig sagen, wie Strahlen, so wie kleine Geschoßkugeln etwa durch die gasige Atmosphäre durch, sondern diese Sonnenstrahlen haben eine tiefe innere Verwandtschaft


«Der Mensch begreift niemals, wie anthropomorphisch er ist» (Goethe, Sprüche in Prosa. Kürschner Band 36,2,
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S. 353). Es gibt Menschen, die aus dem Vorhanden­sein dieses subjektiven Bestandteiles in jedem Urteile über die Außenwelt die Folgerung ziehen, daß der ob­jektive Wesenskern der Wirklichkeit dem Menschen un­zugänglich sei. Sie glauben, der Mensch verfälsche den un­mittelbaren, objektiven Tatbestand der Wirklichkeit, wenn er seine subjektiven Erlebnisse in diese hineinlegt. Sie sagen:
mit der Atmosphäre. Und diese Verwandtschaft ist eben die Nachwirkung des einstmaligen Beisammenseins während der Sonnenmetamorphose. So ist alles miteinander dadurch verwandt, daß die früheren Zustände immer wiederum in die späteren Zustände auf eine mannigfaltige Weise hineinspielen. Aber während der Zeit, wo im großen und ganzen die Erdenentwickelung so vor sich gegangen ist, wie Sie es in der «Geheimwissenschaft» finden und wie ich es Ihnen hier kurz skizziert habe, hat sich alles dasjenige entwickelt, was auf der Erde und um die Erde herum ist, was auch innerhalb der Erde ist.


weil der Mensch sich die Welt nur durch die Brille seines subjektiven Lebens vorstellen kann, ist alle seine Erkennt­nis nur eine subjektive, beschränkt-menschliche. Wem es aber zum Bewußtsein kommt, was im Innern des Menschen sich offenbart, der wird nichts mit solchen unfruchtbaren Behauptungen zu tun haben wollen. Er weiß, daß Wahrheit eben dadurch zustande kommt, daß Wahrnehmung und Idee sich im menschlichen Erkentnisprozeß durchdringen. Ihm ist klar, daß in dem Subjektiven das eigentlichste und tiefste Objektive lebt. «Wenn die gesunde Natur des Men­schen als ein Ganzes wirkt, wenn er sich in der Welt als in einem großen, schönen würdigen und werten Ganzen fühlt, wenn das harmonische Behagen ihm ein reines, freies Ent­zücken gewährt, dann würde das Weltal4 wenn es sich selbst empfinden könnte, als an sein Ziel gelangt, aufjauchzen und den Gipfel des eigenen Werdens und Wesens bewundern.» (Kürschner, Band 27, S. 42.) Die der bloßen Anschauung zugängliche Wirklichkeit ist nur die eine Hälfte der ganzen Wirklichkeit; der Inhalt des menschlichen Geistes ist die andere Hälfte. Träte nie ein Mensch der Welt gegenüber, so käme diese zweite Hälfte nie zur lebendigen Erscheinung, zum vollen Dasein. Sie wirkte zwar als verborgene Kräftewelt; aber es
Und nun können wir sagen, wenn wir die heutige Erde anschauen, so haben wir innerhalb der Erde das, was das Feste bewirkt, den inneren Mond, wesentlich verankert im Erdenmagnetismus; den inneren Mond, der ja bewirkt, daß es überhaupt Festes gibt, daß es etwas gibt, was Gewicht hat, und die Gewichtskräfte sind es ja, die aus dem Flüssigen das Feste machen. Wir haben dann das eigentliche Erdengebiet, das Wäßrige, das in der mannigfaltigsten Weise wieder vorkommt, als Grundwasser zum Beispiel, aber auch als dasjenige Wasser, welches in den Dunstmassen ist, die aufsteigen, in den Regenmassen, die herab- fallen und so weiter. Wir haben weiter im Umkreise das, was luftförmig ist, und haben das alles durchdrungen von dem Feurigen, den Resten des alten Saturn. So daß wir auch in der heutigen Erde anzugeben haben etwas, was da oben Sonne-Saturn oder Saturn-Sonne ist. Wir können uns immer sagen, alles, was da in der warmen Luft ist, die von Licht durchglänzt ist, ist Saturn-Sonne. Und wir schauen hinauf und finden eigentlich unsere Luft durchsetzt von dem, was Saturnwirkung ist, was Sonnenwirkung ist, und was dann sich im Laufe der Zeit als der eigentliche Luftkreis entwickelt hat, der aber auch nur eine Nachwirkung der Sonnenmetamorphose ist. Das haben wir gewissermaßen, wenn wir den Blick aufwärts richten. (Es wird gezeichnet.)


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Richten wir den Blick abwärts, dann haben wir mehr die Nachfolge dessen, was während der zwei letzten Metamorphosen eingetreten ist. Wir haben das Schwere, Feste, besser gesagt das Schwere Wirkende, ins Feste Gehende; wir haben das Flüssige, wir haben die Mond-Erde. Diese zwei Partien sozusagen des Erdendaseins können wir streng voneinander unterscheiden. Wenn Sie die «Geheimwissenschaft» noch einmal


wäre ihr die Möglichkeit entzogen, sich in einer eigenen Gestalt zu zeigen. Man möchte sagen, ohne den Menschen würde die Welt ein unwahres Antlitz zeigen. Sie wäre so, wie sie ist, durch ihre tieferen Kräfte, aber diese tieferen Kräfte blieben selbst verhüllt durch das, was sie wirken. Im Menschengeiste werden sie aus ihrer Verzauberung er­löst. Der Mensch ist nicht bloß dazu da, um sich von der fertigen Welt ein Bild zu machen; nein, er wirkt selbst mit an dem Zustandekommen dieser Welt.
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Verschieden gestalten sich die subjektiven Erlebnisse bei verschiedenen Menschen. Für diejenigen, welche nicht an die objektive Natur der Innenwelt glauben, ist das ein Grund mehr, dem Menschen das Vermögen abzusprechen, in das Wesen der Dinge zu dringen. Denn wie kann Wesen der Dinge sein, was dem einen so, dem andern anders er­scheint. Für denjenigen, der die wahre Natur der Innenwelt durchschaut, folgt aus der Verschiedenheit der Innenerleb­nisse nur, daß die Natur ihren reichen Inhalt auf verschie­dene Weise aussprechen kann. Dem einzelnen Menschen er­scheint die Wahrheit in einem individuellen Kleide. Sie paßt sich der Eigenart seiner Persönlichkeit an. Besonders für die höchsten, dem Menschen wichtigsten Wahrheiten gilt dies. Um sie zu gewinnen, überträgt der Mensch seine geistigen, intimsten Erlebnisse auf die angeschaute Welt und mit ihnen zugleich das Eigenartigste seiner Persönlich­keit. Es gibt auch allgemeingültige Wahrheiten, die jeder Mensch aufnimmt, ohne ihnen eine individuelle Färbung zu geben. Dies sind aber die oberflächlichsten, die trivialsten. Sie entsprechen dem allgemeinen Gattungscharakter der
daraufhin durchlesen, so werden Sie sehen, daß dort einfach durch die ganze Stilisierung ein tiefer Einschnitt gemacht ist an der Stelle, wo die Sonnenmetamorphose in die Mondenmetamorphose ükergeht. So ist auch heute noch eine Art scharfer Kontrast zwischen dem, was oben ist, dem Saturnhaften, und dem, was unten ist, dem Irdisch-MondhaftWäßrigen. Wir können also ganz gut unterscheiden zwischen dem Saturn-Sonnenhaften-Luftartigen und dem Mond-Erdigen-Wäßrigen. Das eine ist oben, das andere ist unten.


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Indem sich in der Erdenentwickelung im großen ganzen auch alles


Menschen, der bei allen der gleiche ist. Gewisse Eigen­schaften, die in allen Menschen gleich sind, erzeugen über die Dinge auch gleiche Urteile. Die Art, wie die Menschen die Dinge nach Maß und Zahl ansehen, ist bei allen gleich. Daher finden alle die gleichen mathematischen Wahrheiten. In den Eigenschaften aber, in denen sich die Einzelpersön­lichkeit von dem allgemeinen Gattungscharakter abhebt, liegt auch der Grund zu den individuellen Ausgestaltungen der Wahrheit. Nicht darauf kommt es an, daß in dem einen Menschen die Wahrheit anders erscheint als in dem andern, sondern darauf, daß alle zum Vorschein kommenden indi­viduellen Gestalten einem einzigen Ganzen angehören, der einheitlichen ideellen Welt. Die Wahrheit spricht im Innern der einzelnen Menschen verschiedene Sprachen und Dia­lekte; in jedem großen Menschen spricht sie eine eigene Sprache, die nur dieser einen Persönlichkeit zukommt. Aber es ist immer die eine Wahrheit, die da spricht. «Kenne ich mein Verhältnis zu mir selbst und zur Außenwelt, so heiß' ich's Wahrheit. Und so kann jeder seine eigene Wahr­heit haben, und es ist doch immer dieselbige.» Dies ist Goe­thes Meinung. Nicht ein starres, totes Begriffssystem ist die Wahrheit, das nur einer einzigen Gestalt fähig ist; sie ist ein lebendiges Meer, in welchem der Geist des Menschen lebt, und das Wellen der verschiedensten Gestalt an seiner Oberfläche zeigen kann. «Die Theorie an und für sich ist nichts nütze, als insofern sie uns an den Zusammenhang der Er­scheinungen glauben macht», sagt Goethe. Er schätzt keine Theorie, die ein für allemal abgeschlossen sein will, und in dieser Gestalt eine ewige Wahrheit darstellen soll. Er will lebendige Begriffe, durch die der Geist des einzelnen nach seiner individuellen Eigenart die Anschauungen zusammenfaßt.
das mitentwickelt hat, was zur Erde gehört, fällt der Blick desjenigen, der in diese Dinge mit der Initiationswissenschaft hineinschaut, zunächst auf die Mannigfaltigkeit der Insektenwelt. Man sollte glauben, daß schon das bloße Gefühl diese flatternde, flimmernde Insektenwelt In einen gewissen Zusammenhang bringen müßte mit dem Oberen, mit dem saturn-Sonnenhaft-Luftartigen. Es ist das durchaus der Fall. Wenn w1r uns den Schmetterling ansehen: er flattert in der Luft, in der lichtdurchflossenen, lichtdurchglänzten Luft mit seinen schillernden Farben. Er wird getragen von den Wogen der Luft. Er berührt eigentlich kaum, was mond-erdig-wäßrig ist. Sein Element ist dasjenige, was oben ist.


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Wenn man dann nachforscht, wie eigentlich die Entwickelung ist, so kommt man gerade bei dem kleinen Insekt merkwürdigerweise in sehr frühe Zeiten der Erdenmetamorphose. Was heute in der lichtdurchglänzten Luft als Schmetterlingsflügel schimmert, das hat sich zuerst in der Anlage gebildet während des alten Saturn, hat sich weiter entwickelt während der alten Sonnenzeit. Da ist das entstanden, was heute noch dem Schmetterling möglich macht, eigentlich ein Licht-Luft-Geschöpf zu sein. Die Sonne verdankt die Gabe, daß sie Licht verbreitet, sich selbst. Die Sonne verdankt die Gabe, daß ihr Licht in den Substanzen Feuriges, Schimmerndes hervorruft, der Saturn-Jupiter-Mars-Einwirkung. Und eigentlich versteht derjenige die Schmetterlingsnatur nicht, der sie auf Erden sucht. Die Kräfte, die wirksamen Kräfte in der Schmetterlingsnatur müssen wir oben suchen, müssen wir bei Sonne, Mars, Jupiter, Saturn suchen. Wenn wir genauer eingehen auf diese wunderbare Schmetterlingsentwickelung - ich habe sie im Zusammenhange mit dem Menschen gewissermaßen als die kosmische Verkör-


Die Wahrheit erkennen heißt ihm in der Wahrheit leben. Und in der Wahrheit leben ist nichts anderes, als bei der Be­trachtung jedes einzelnen Dinges hinzusehen, welches in­nere Erlebnis sich einstellt, wenn man diesem Dinge gegen­übersteht. Eine solche Ansicht von dem menschlichen Er­kennen kann nicht von Grenzen des Wissens, nicht von einer Eingeschränktheit desselben durch die Natur des Menschen sprechen. Denn die Fragen, die sich nach dieser Ansicht das Erkennen vorlegt, entspringen nicht aus den Dingen; sie sind dem Menschen auch nicht von irgend einer andern außerhalb seiner Persönlichkeit gelegenen Macht auferlegt. Sie entspringen aus der Natur der Persönlichkeit selbst. Wenn der Mensch den Blick auf ein Ding richtet, dann ent­steht in ihm der Drang, mehr zu sehen, als ihm in der Wahr­nehmung entgegentritt. Und so weit dieser Drang reicht, so weit reicht sein Erkenntnisbedürfnis. Woher stammt dieser Drang? Doch nur davon, daß ein inneres Erlebnis sich in der Seele angeregt fühlt, mit der Wahrnehmung eine Verbindung einzugehen. Sobald die Verbindung vollzo­gen ist, ist auch das Erkenntnisbedürfnis befriedigt. Erken­nen wollen ist eine Forderung der menschlichen Natur und nicht der Dinge. Diese können dem Menschen nicht mehr über ihr Wesen sagen, als er ihnen abfordert. Wer von einer Beschränktheit des Erkenntnisvermögens spricht, der weiß nicht, woher das Erkenntnisbedürfnis stammt. Er glaubt, der Inhalt der Wahrheit liege irgendwo aufbewahrt, und in dem Menschen lebe nur der unbestimmte Wunsch, den Zugang zu dem Aufbewahrungsorte zu finden. Aber es ist das Wesen der Dinge selbst, das sich aus dem Innern des Menschen herausarbeitet und dahin strebt, wohin es gehört: zu der Wahrnehmung. Nicht nach einem Verbor­genen
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perung des Gedächtnisses hier schon einmal geschildert -, aber wenn wir genauer eingehen, so finden wir: der Schmetterling flattert zunächst lichterschimmernd, luftgetragen oben über der Erde. Er legt sein Ei ab. Ja, der grobmaterialistische Mensch sagt: Der Schmetterling legt sein Ei ab -, weil die hauptsächlichsten Dinge überhaupt nicht studiert werden unter dem Einflusse der gegenwärtigen Unwissenschaft. Die Frage ist diese: Wem vertraut der Schmetterling eigentlich sein Ei an, wenn er es ablegt?


strebt der Mensch im Erkenntnisprozeß, sondern nach der Ausgleichung zweier Kräfte, die von zwei Seiten auf ihn wirken. Man kann wohl sagen, ohne den Menschen gäbe es keine Erkenntnis des Innern der Dinge, denn ohne ihn wäre nichts da, wodurch dieses Innere sich aussprechen könnte. Aber man kann nicht sagen, es gibt im Innern der Dinge etwas, das dem Menschen unzugänglich ist. Daß an den Dingen noch etwas anderes vorhanden ist, als was die Wahrnehmung liefert, weiß der Mensch nur, weil dieses andere in seinem eigenen Innern lebt. Von einem weiteren unbekannten Etwas der Dinge sprechen, heißt Worte über etwas machen, was nicht vorhanden ist.
Nun, durchforschen Sie alles, wo Schmetterlingseier abgelegt werden; überall werden Sie finden: das Schmetterlingsei wird so abgelegt, daß es dem Sonneneinfluß nicht entzogen werden kann. Der Sonneneinfluß auf die Erde ist ja nicht nur da, wenn die Sonne unmittelbar auf die Erde scheint. Ich habe schon öfter aufmerksam darauf gemacht, wie die Bauern ihre Kartoffeln im Winter in die Erde hineinlegen, zudecken mit Erde, weil dasjenige, was als Sonnenwärme und Sonnenlichtkraft herankommt während des Sommers, gerade während des Winters im Inneren der Erde drinnen ist. Die Kartoffeln erfrieren auf der Oberfläche der Erde. Die Kartoffeln erfrieren nicht, sondern bleiben richtige gute Kartoffeln, wenn man sie in einer Grube eingräbt und Erde darüber legt, weil die Sonnenwirkung den Winter über in der Erde drinnen ist. Den Winter hindurch müssen wir die Sonnenwirkung des Sommers unter der Erde suchen. Kommen wir zum Beispiel im Dezember in eine gewisse Tiefe der Erde, dann haben wir im Dezember die Juliwirkung der Sonne. Im Juli strahlt die Sonne ihr Licht und ihre Wärme auf die Oberfläche. Die Wärme und das Licht dringen allmählich tiefer ein. Wollen wir im Dezember dasjenige suchen, was wir an Sonnenkräften auf der Erdoberfläche der Erde im Juli erleben, dann müssen wir eine Grube graben, und dann ist in einer gewissen Tiefe das, was Im Juli auf der Oberfläche der Erde war, im Dezember unter der Erde. Da ist die Kartoffel eingebettet in die Julisonne. Also die Sonne ist nicht etwa nur da, wo man sie mit grobmaterialistischem Verstande sucht, sondern die Sonne ist eigentlich in vielen Gebieten da; nur eben ist das nach den Jahreszeiten im Kosmos streng geregelt.


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Aber der Schmetterling legt nirgends sein Ei hin, wo nicht das Ei in irgendeiner Weise im Zusammenhang bleiben kann mit der Sonne. So


Die Naturen, die nicht zu erkennen vermögen, daß es die Sprache der Dinge ist, die im Innern des Menschen gespro­chen wird, sind der Ansicht, alle Wahrheit müsse von außen in den Menschen eindringen. Solche Naturen halten sich entweder an die bloße Wahrnehmung und glauben, allein durch Sehen, Hören, Tasten, durch Auflesung der ge­schichtlichen Vorkommnisse und durch Vergleichen, Zäh­len, Rechnen, Wägen des aus der Tatsachenwelt Aufge­nommenen die Wahrheit erkennen zu können; oder sie sind der Ansicht, daß die Wahrheit nur zu dem Menschen kommen könne, wenn sie ihm auf eine außerhalb des Er­kennens gelegene Art offenbart werde, oder endlich, sie wollen durch Kräfte besonderer Natur, durch Ekstase oder mystisches Schauen in den Besitz der höchsten Einsichten kommen, die ihnen, nach ihrer Ansicht, die dem Denken zu­gängliche Ideenwelt nicht darbieten kann. Den im Kant­schen Sinne Denkenden und den einseitigen Mystikern reihen­
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daß man schlecht sich ausdrückt, wenn man sagt, der Schmetterling legt sein Ei in das Erdengebiet. Das tut er gar nicht. Er legt sein Ei ins Sonnengebiet. Der Schmetterling geht gar nicht bis zur Erde herunter. Überall, wo im Irdischen Sonne ist, da sucht er seine Orte` auf, um seine Eier hinzulegen, so daß dieses Schmetterlingsei durchaus nur unter dem Einfluß der Sonne steht. Es kommt gar nicht unter den Einfluß der Erde.


sich noch besonders geartete Metaphysiker an. Diese suchen zwar durch das Denken sich Begriffe von der Wahr­heit zu bilden. Aber sie suchen den Inhalt für diese Begriffe nicht in der menschlichen Ideenwelt, sondern in einer hinter den Dingen liegenden zweiten Wirklichkeit. Sie meinen, durch reine Begriffe über einen solchen Inhalt entweder etwas Sicheres ausmachen zu können, oder wenigstens durch Hypothesen sich Vorstellungen von ihm bilden zu können. Ich spreche hier zunächst von der zuerst angeführ­ten Art von Menschen, von den Tatsachenfanatikern. Ihnen kommt es zuweilen zum Bewußtsein, daß in dem Zählen und Rechnen bereits eine Verarbeitung des Anschauungs­inhaltes mit Hilfe des Denkens stattfindet. Dann aber sagen sie, die Gedankenarbeit sei bloß das Mittel, durch das der Mensch den Zusammenhang der Tatsachen zu erkennen be­strebt ist. Was aus dem Denken bei Bearbeitung der Außen­welt fließt, gilt ihnen als bloß subjektiv; als objektiven Wahrheitsgehalt, als wertvollen Erkenntnisinhalt sehen sie nur das an, was mit Hilfe des Denkens von außen an sie herankommt. Sie fangen zwar die Tatsachen in ihre Ge­dankennetze ein, lassen aber nur das Eingefangene als ob­jektiv gelten. Sie übersehen, daß dieses Eingefangene durch das Denken eine Auslegung, Zurechtrückung, eine Inter­pretation erfährt, die es in der bloßen Anschauung nicht hat. Die Mathematik ist ein Ergebnis reiner Gedankenpro­zesse, ihr Inhalt ist ein geistiger, subjektiver. Und der Me­chaniker, der die Naturvorgänge in mathematischen Zu­sammenhängen vorstellt, kann dies nur unter der Voraus­setzung, daß diese Zusammenhänge in dem Wesen dieser Vorgänge begründet sind. Das heißt aber nichts anderes als:
Dann wissen Sie, daß aus diesem Schmetterlingsei die Raupe aus- kriecht. Die Raupe kommt also heraus und bleibt unter dem Einfluß der Sonne, aber gerät nun unter einen anderen Einfluß mit. Die Raupe würde nicht kriechen können, wenn sie nicht noch unter einen anderen Einfluß mit käme. Und das ist der Marseinfluß.


in der Anschauung ist eine mathematische Ordnung ver­borgen,
Wenn Sie sich die Erde vorstellen (es wird gezeichnet) und den Mars sie umkreisend, so sind die Marsströmungen oben überall und bleiben auch. Es kommt nicht darauf an, daß der Mars irgendwo ist, sondern wir haben die ganze Marssphäre, und wenn die Raupe dahinkriecht, so kriecht sie im Sinne der Marssphäre dahin. Dann verpuppt sich die Raupe, bildet um sich einen Kokon. Wir bekommen einen Kokon. Ich habe Ihnen beschrieben, wie das eine Hingabe der Raupe an die Sonne ist, wie der Faden, der da gesponnen wird, in der Richtung der Lichtlinie gesponnen wird. Die Raupe ist dem Lichte ausgesetzt, verfolgt die Lichtstrahlen, spinnt, hält an, wenn es dunkel ist, spinnt weiter. Das alles ist eigentlich kosmisches Sonnenlicht, Sonnenlicht, das mit Materie durchdrungen ist. Wenn Sie also zum Beispiel den Kokon der Seidenraupe haben, der zu Ihren Seidenkleidern verwendet wird, dann ist das, was in der Seide liegt, durchaus Sonnenlicht, hineingesponnen die Materie der Seidenraupe. Aus ihrem eigenen Leib heraus spinnt die Seidenraupe ihre Substanz in die Sonnenstrahlenrichtung hinein, und dadurch bildet sie den Kokon um sich. Aber es bedarf, damit das geschieht, der Jupitereinwirkung. Die Sonnenstrahlen müssen modifiziert sein durch die Jupitereinwirkung.


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Dann kriecht, wie Sie wissen, aus dem Kokon, aus der Puppe, der Schmetterling aus, der Falter, der ja lichtgetragen, lichterglänzend ist. Er verläßt die Dunkelkammer, in die nur das Licht so hineingekonnt hat, wie in die Kromlechs, wie ich Ihnen das beschrieben habe bei den


die nur derjenige sieht, der die mathematischen Gesetze in seinem Geiste ausbildet. Zwischen den mathe­matischen und mechanischen Anschauungen und den in­timsten geistigen Erlebnissen ist aber kein Art-, sondern nur ein Gradunterschied. Und mit demselben Rechte wie die Ergebnisse der mathematischen Forschung kann der Mensch andere innere Erlebnisse, andere Gebiete seiner Ideenwelt auf die Anschauungen übertragen. Nur schein­bar stellt der Tatsachenfanatiker rein äußere Vorgänge fest. Er denkt zumeist über die Ideenwelt und ihren Charakter, als subjektives Erlebnis, nicht nach. Auch sind seine inneren Erlebnisse inhaltsame, blutleere Abstraktionen, die von dem kraftvollen Tatsacheninhalt verdunkelt werden. Die Täuschung, der er sich hingibt, kann nur so lange bestehen, als er auf der untersten Stufe der Naturinterpretation stehen bleibt, solange er bloß zählt, wägt, berechnet. Auf den hö­heren Stufen drängt sich die wahre Natur der Erkenntnis bald auf. Man kann es aber an den Tatsachenfanatikern be­obachten, daß sie sich vorzüglich an die unteren Stufen hal­ten. Sie gleichen dadurch einem Ästhetiker, der ein Musikstück bloß danach beurteilen will, was an ihm berechnet und gezählt werden kann. Sie wollen die Erscheinungen der Natur von dem Menschen absondern. Nichts Subjektives soll in die Beobachtung einfließen. Goethe verurteilt dieses Verfahren mit den Worten: «Der Mensch an sich selbst, insofern er sich seiner gesunden Sinne bedient, ist der größte und genaueste physikalische Apparat, den es geben kann, und das ist eben das größte Unheil der neueren Physik, daß man die Experimente gleichsam vom Menschen abgeson­dert hat, und bloß in dem, was künstliche Instrumente zei­gen, die Natur erkennen, ja, was sie leisten kann, dadurch
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Kromlechs der alten Druiden. Da kommt die Sonne unter den Einfluß des Saturn, und nur mit dem Saturn zusammen kann die Sonne das Licht so in die Luft senden, daß der Falter in der Luft erglänzen kann in seinen mancherlei Farben.


beschränken und beweisen will.» Es ist die Angst vor dem Subjektiven, die zu solcher Verfahrungsweise führt, und die aus einer Verkennung der wahrhaften Natur desselben herrührt. «Dafür steht ja aber der Mensch so hoch, daß sich das sonst Undarstellbare in ihm darstellt. Was ist denn eine Saite und alle mechanische Teilung derselben gegen das Ohr des Musikers? Ja man kann sagen, was sind die elemen­tarischen Erscheinungen der Natur selbst gegen den Men­schen, der sie alle erst bändigen und modifizieren muß, um sie sich einigermaßen assimilieren zu können?» (Kürsch­ner, Band 36, 2, S.351) Nach Goethes Ansicht soll der Naturforscher nicht allein darauf aufmerksam sein, wie die Dinge erscheinen, sondern wie sie erscheinen würden, wenn alles, was in ihnen als ideelle Triebkräfte wirkt, auch wirklich zur äußeren Erscheinung käme. Erst wenn sich der leibliche und geistige Organismus des Men­schen den Erscheinungen gegenüberstellt, dann enthül­len sie ihr Inneres.
So sehen Sie, wenn wir uns jenes wunderbare Meer der fliegenden Schmetterlinge in der Atmosphäre anschauen, so haben wir darinnen etwas, wovon wir sagen müssen: Das ist im Grunde genommen gar nicht Erdengebilde. Das wird in die Erde hineingeboren von oben her. Der Schmetterling geht mit seinem Ei gar nicht weiter hinunter als bis zu dem, was von der Sonne zur Erde kommt. Der Kosmos schenkt der Erde das Schmetterlingsmeer. Saturn gibt die Farben der Schmetterlinge. Die Sonne gibt die Kraft des Fliegens, hervorgerufen durch die tragende Kraft des`Lichtes und so weiter.


Wer mit freiem, offenem Beobachtungsgeist und mit einem entwickelten Innenleben, in dem die Ideen der Dinge sich offenbaren, an die Erscheinungen herantritt, dem ent­hüllen diese, nach Goethes Meinung, alles, was an ihnen ist. Goethes Weltanschauung entgegengesetzt ist daher die­jenige, welche das Wesen der Dinge nicht innerhalb der Er­fahrungswirklichkeit, sondern in einer hinter derselben lie­genden zweiten Wirklichkeit sucht. Ein Bekenner einer sol­chen Weltanschauung trat Goethe in Fr. H. Jacobi entge­gen. Goethe macht seinem Unwillen in einer Bemerkung der Tag- und Jahreshefte (zum Jahre 1811) Luft: « Jacobi machte mir nicht wohl; wie konnte mir das Buch eines so herzlich geliebten Freundes
Wir haben also in dem Schmetterling tatsächlich, ich möchte sagen, die kleinen Wesen zu sehen, die wie auf die Erde hereingestreut werden durch dasjenige, was Sonne und über der Sonne in unserem Planetensystem ist. Die Schmetterlinge, die Insekten überhaupt, die Libellen, ebenso die anderen Insekten sind durchaus die Gaben von Saturn, Jupiter, Mars und Sonne. Und die Erde könnte kein einziges Insekt hervorbringen, nicht einmal einen Floh, wenn nicht die über der Sonne befindlichen Planeten mit der Sonne zusammen der Erde diese Gabe des Insektenwesens schenken würden. Tatsächlich, daß Saturn, Jupiter und so weiter so freigebig sein können, daß sie hereinflattern lassen können die Insektenwelt, das ist verdankt den ersten beiden Metamorphosen, welche die Erdenentwickelung erlebt hat. (Siehe Zeichnung.)


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Und schauen wir uns jetzt an, wie mitgewirkt haben die zwei letzten Metamorphosen, die Mondenmetamorphose und die Erdenmetamorphose. Nun, wenn das Schmetterlingsei eben nicht der Erde anvertraut wird, so muß doch darauf hingewiesen werden, daß in der Zeit, als die Mondenmetamorphose, die dritte Metamorphose, in ihrem Anfange war, die Schmetterlinge noch nicht so waren wie heute. Es war auch die Erde nicht so abhängig von der Sonne. Die Sonne war eigentlich im Beginn der dritten Metamorphose noch mit der Erde zusammen, hat sich erst dann getrennt. Daher waren die Schmetterlinge auch noch nicht so spröde, daß sie der Erde gar nicht ihre Keime anvertraut hätten.


willkommen sein, worin ich die These durchgeführt sehen sollte: die Natur verberge Gott. Mußte, bei meiner reinen, tiefen, angebotenen und geübten Anschauungsweise, die mich Gott in der Natur, die Natur in Gott zu sehen unver­brüchlich gelehrt hatte, so daß diese Vorstellungsart den Grund meiner ganzen Existenz machte, mußte nicht ein so seltsamer, einseitig-beschränkter Ausspruch mich dem Geiste nach von dem edelsten Manne, dessen Herz ich verehrend liebte, für ewig entfernen?» Goethes Anschau­ungsweise gibt ihm die Sicherheit, daß er in der ideellen Durchdringung der Natur ein ewig Gesetzmäßiges erlebe, und das ewig Gesetzmäßige ist ihm mit dem Göttlichen identisch. Wenn das Göttliche hinter den Naturdingen sich verbergen würde und doch das schöpferische Element in ihnen bildete, könnte es nicht angeschaut werden; der Mensch müßte an dasselbe glauben. In einem Briefe an Jacobi nimmt Goethe sein Schauen gegenüber dem Glauben in Schutz:
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«Gott hat Dich mit der Metaphysik gestraft und dir einen Pfahl ins Fleisch gesetzt, mich mit der Physik gesegnet. Ich halte mich an die Gottesverehrung des Atheisten (Spinoza) und überlasse Euch alles, was ihr Religion heißt und heißen mögt. Du hältst aufs Glauben an Gott; ich aufs Schauen.» Wo dieses Schauen aufhört, da hat der menschliche Geist nichts zu suchen. In den Sprüchen in Prosa lesen wir: «Der Mensch ist wirklich in die Mitte einer wirklichen Welt gesetzt und mit solchen Organen begabt, daß er das Wirkliche und nebenbei das Mögliche erkennen und hervorbringen kann. Alle gesunden Menschen haben die Überzeugung ihres Da­seins und eines Daseienden um sich her. Indessen gibt es auch einen hohlen Fleck im Gehirn, d.h. eine Stelle, wo sich kein Gegenstand ab spiegelt, wie denn auch im Auge selbst
Sie vertrauten sie ja zugleich der Sonne an, indem sie sie der Erde anvertrauten. So kam da eine Differenzierung zustande. Hier, bei den ersten beiden Metamorphosen, kann nur gesprochen werden von den Urahnen der Insektenwelt. Aber dem Kosmos, den äußeren Planeten und der Sonne anvertrauen, bedeutete damals noch der Erde anvertrauen. Erst als die Erde dicht wurde, Wasser bekam, als sie die magnetischen Kräfte des Mondes bekam, da wurde die Sache anders, und da trat eine Differenzierung ein.


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ein Fleckchen ist, das nicht sieht. Wird der Mensch auf diese Stelle besonders aufmerksam, vertieft er sich darin, so ver­fällt er in eine Geisteskrankheit, ahnet hier Dinge einer andern Welt, die aber eigentlich Undinge sind und weder Gestalt noch Begrenzung haben, sondern als leere Nacht-Räumlichkeit ängstigen und den, der sich nicht losreißt, mehr als gespen­sterhaft verfolgen.» (Kürschner, Band 36, 2, S. 458.) Aus derselben Gesinnung heraus ist der Ausspruch: «Das Höchste wäre, zu begreifen, daß alles Faktische schon Theo­rie ist. Die Bläue des Himmels offenbart uns das Grund­gesetz der Chromatik. Man suche nur nichts hinter den Phöno­menen; sie selbst sind die Lehre.»
Nun, nehmen wir an, das alles gehört dem Oberen an: Wärme-Luft; jetzt nehmen wir das Untere: Wasser-Erde. Nehmen wir diejenigen Keime, die das Schicksal hatten, nun der Erde anvertraut zu werden,  


Kant spricht dem Menschen die Fähigkeit ab, in das Ge­biet der Natur einzudringen, in dem ihre schöpferischen Kräfte unmittelbar anschaulich werden. Nach seiner Mei­nung sind die Begriffe abstrakte Einheiten, in die der menschliche Verstand die mannigfaltigen Einzelheiten der Natur zusammenfaßt, die aber nichts zu tun haben mit der lebendigen Einheit, mit dem schaffenden Ganzen der Natur, aus der diese Einzelheiten wirklich hervorgehen. Der Mensch erlebt in dem Zusammenfassen nur eine subjektive Operation. Er kann seine allgemeinen Begriffe auf die em­pirische Anschauung beziehen; aber diese Begriffe sind nicht in sich lebendig, produktiv, so daß der Mensch das Hervorgehen des Individuellen aus ihnen anschauen könnte. Eine tote, bloß im Menschen vorhandene Einheit sind für Kant die Begriffe. «Unser Verstand ist ein Vermögen der Begriffe, d. i. ein diskursiver Verstand, für den es freilich zufällig sein muß, welcherlei und wie verschieden das Be­sondere sein mag, das ihm in der Natur gegeben werden, und was unter seine Begriffe gebracht werden kann.» Dies
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während eben andere zurückgehalten wurden und nicht der Erde, sondern nur der Sonne innerhalb des Irdischen anvertraut wurden.


ist Kants Charakteristik des Verstandes (§ 77 der «Kritik der Urteilskraft»). Aus ihr ergibt sich folgendes mit Notwendig­keit: «Es liegt der Vernunft unendlich viel daran, den Mechanismus der Natur in ihren Erzeugungen nicht fallen zu lassen und in der Erklärung derselben nicht vorbei zu gehen. weil ohne diesen keine Einsicht in die Natur der Dinge er­langt werden kann. Wenn man uns gleich einräumt: daß ein höchster Architekt die Formen der Natur, so wie sie von je her da sind, unmittelbar geschaffen, oder die, so sich in ihrem Laufe kontinuierlich nach eben demselben Muster bilden, prädeterminiert habe, so ist doch dadurch unsere Erkenntnis der Natur nicht im mindesten gefördert; weil wir jenes Wesens Handlungsart und die Ideen desselben, welche die Prinzipien der Möglichkeit der Naturwesen enthalten sol­len, gar nicht kennen, und von demselben als von oben herab (apriori) die Natur nicht erklären können» (§ 78 der «Kri­tik der Urteilskraft»). Goethe ist der Überzeugung, daß der Mensch in seiner Ideenwelt die Handlungsart des schöpfe­rischen Naturwesens unmittelbar erlebt. «Wenn wir ja im Sittlichen, durch Glauben an Gott, Tugend und Unsterb­lichkeit uns in eine obere Region erheben und an das erste Wesen annähern sollen: so dürfte es wohl im Intellektuellen derselbe Fall sein, daß wir uns durch das Anschauen einer immer schaffenden Natur zur geistigen Teilnahme an ihren Produktionen würdig machten.» Ein wirkliches Hineinleben in das Schaffen und Walten der Natur ist für Goethe die Erkenntnis des Menschen. Ihr ist es gegeben: «zu erforschen, zu erfahren, wie Natur im Schaffen lebt.»
Nehmen wir nun diejenigen Keime, die der Erde anvertraut wurden in der Zeit, als die dritte Metamorphose, die Mondenmetamorphose, entstand. Sehen Sie, diese Keime, die kamen nun ebenso unter den Einfluß der Erdenwirkung, der wäßrigen Erd-Mondwirkung, wie die Insektenkeime nur unter den Einfluß der Sonnenwirkung und dessen, was über der Sonne ist, kamen. Und dadurch, daß diese Keime in den Bereich der Erden-Wasserwirkungen kamen, wurden sie Pflanzenkeime. Und diejenigen Keime, die zurückblieben im Oberen, die blieben Insektenkeime. Und als die dritte Metamorphose dann begann, entstanden so durch das, was dazumal aus dem, was sonnenhaft war, umgewandelt wurde zum Mondig-Irdischen, die Pflanzenkeime innerhalb der dritten Metamorphose der Erdenentwickelung. Was Sie nun hier haben unter dem Einflusse des außerirdischen Kosmos, diese ganze Entwickelung vom Keim durch Raupe, durch Puppe zum Schmetterling, das können Sie nun da verfolgen: Indem der Same irdisch wird, entwickelt sich nicht der Schmetterling, sondern indem der Same irdisch wird, der Erde anvertraut wird - nun nicht der Sonne -, entwickelt sich die Pflanzenwurzel, das erste, was aus dem Keim entsteht. Und statt daß die Raupe kriecht in den Kräften, die vom Mars ausgehen, entsteht das Blatt, das in Spiralstellung heraufkriecht. Das Blatt ist die unter den irdischen Einfluß gekommene Raupe. Sehen Sie sich die kriechende Raupe an, dann haben Sie dasjenige, was im Oberen entspricht dem Unteren, dem Pflanzenblatte, das sich herausmetamorphosiert aus dem, was Wurzel geworden ist durch den Samen, der aus dem Sonnenbereich in den Erdenbereich versetzt worden ist.


Es widerspricht dem Geist der Goetheschen Weltanschau­ung, von Wesenheiten zu sprechen, die außerhalb der dem menschlichen Geiste zugänglichen Erfahrungs- und Ideenwelt
Gehen Sie weiter hinauf, dann haben Sie, zusammengezogen immer mehr bis oben, wo der Kelch ist, dasjenige, was Puppe ist. Und endlich entwickelt sich der Falter in der Blüte, die ebenso farbig ist wie der Falter oben in den Lüften. Der Kreislauf ist geschlossen. Wie der Schmetterling sein Ei legt, so entwickelt sich in der Blüte wiederum der Same zu dem Künftigen. Sie sehen: wir blicken hinauf in die Luft zum Schmetterling, wir verstehen ihn als die in die Luft erhobene Pflanze. Der Schmetterling, vom Ei bis zum Falter, ist dasselbe unter dem Einfluß


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liegen und die doch die Gründe dieser Welt enthalten sollen. Alle Metaphysik wird von dieser Weltanschauung ab­gelehnt. Es gibt keine Fragen der Erkenntnis, die, richtig ge­stellt, nicht auch beantwortet werden können. Wenn die Wis­senschaft zu irgend einer Zeit über ein gewisses Erschei­nungsgebiet nichts ausmachen kann, so liegt das nicht an der Natur des menschlichen Geistes, sondern an dem zufälligen Umstande, daß die Erfahrung über dieses Gebiet zu dieser Zeit noch nicht vollständig vorliegt. Hypothesen können nicht über Dinge aufgestellt werden, die außerhalb des Ge­bietes möglicher Erfahrung liegen, sondern nur über solche, die einmal in dieses Gebiet eintreten können. Eine Hypo­these kann immer nur besagen: es ist wahrscheinlich, daß innerhalb eines Erscheinungsgebietes diese oder jene Er­fahrung gemacht werden wird. Über die Dinge und Vor­gänge, die nicht innerhalb der menschlichen sinnlichen oder geistigen Anschauung liegen, kann innerhalb dieser Den­kungsart gar nicht gesprochen werden. Die Annahme eines «Dinges an sich», das die Wahrnehmungen in dem Men­schen bewirkt, aber nie selbst wahrgenommen werden kann, ist eine unstatthafte Hypothese. «Hypothesen sind Ge­rüste, die man vor dem Gebäude aufführt, und die man abträgt, wenn das Gebäude fertig ist; sie sind dem Arbeiter unentbehrlich; nur muß er das Gerüste nicht für das Ge­bäude ansehen.» Einem Erscheinungsgebiete gegenüber, für das alle Wahrnehmungen vorliegen und das ideell durch­drungen ist, erklärt sich der menschliche Geist befriedigt. Er fühlt, daß sich in ihm ein lebendiges Zusammenklingen von Idee und Wahrnehmung abspielt.
der Sonne mit den oberen Planeten, was unten die Pflanze unter dem Erdeneinfluß ist. Wenn das zum Blatte kommt (siehe Zeichnung), haben wir von der Erde den Mondeinfluß, dann den Venuseinfluß und den Merkureinfluß. Dann geht es wieder zum Erdeneinfluß zurück. Der Same ist wieder der Erdeneinfluß.


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Sie sehen also, wir können zwei Sätze vor uns hinstellen, die ein großes Geheimnis der Natur ausdrücken:


Die befriedigende Grundstimmung, die Goethes Weltan­schauung für ihn hat, ist derjenigen ähnlich, die man bei den Mystikern beobachten kann. Die Mystik geht darauf aus, in der menschlichen Seele den Urgrund der Dinge, die Gottheit zu finden. Der Mystiker ist gerade so wie Goethe davon überzeugt, daß ihm in inneren Erlebnissen das We­sen der Welt offenbar werde. Nur gilt manchem Mystiker die Versenkung in die Ideenwelt nicht als das innere Erleb­nis, auf das es ihm ankommt. Über die klaren Ideen der Ver­nunft hat mancher einseitige Mystiker ungefähr dieselbe Ansicht wie Kant. Sie stehen für ihn außerhalb des schaf­fenden Ganzen der Natur und gehören nur dem mensch­lichen Verstande an. Ein solcher Mystiker sucht deshalb zu den höchsten Erkenntnissen durch Entwicklung unge­wöhnlicher Zustände, z. B. durch Ekstase, zu einem Schau­en höherer Art zu gelangen. Er tötet die sinnliche Beob­achtung und das vernunftgemäße Denken in sich ab, und sucht sein Gefühlsleben zu steigern. Dann meint er in sich die wirkende Geistigkeit sogar als Gottheit unmittelbar zu fühlen. Er glaubt in Augenblicken, in denen ihm das ge­lingt, Gott lebe in ihm. Eine ähnliche Empfindung ruft auch die Goethesche Weltanschauung in dem hervor, der sich zu ihr bekennt. Nur schöpft sie ihre Erkenntnisse nicht aus Erlebnissen, die nach Ertötung von Beobachtung und Denken eintreten, sondern eben aus diesen beiden Tätig­keiten. Sie flüchtet nicht zu abnormen Zuständen des menschlichen Geisteslebens, sondern sie ist der Ansicht, daß die gewöhnlichen naiven Verfahrungsarten des Geistes einer solchen Vervollkommnung fähig sind, daß der Mensch das Schaffen der Natur in sich erleben kann. «Es sind am Ende doch nur, wie mich dünkt, die praktischen
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Schaue die Pflanze!
Sie ist der von der Erde
Gefesselte Schmetterling.


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Schaue den Schmetterling!
Er ist die vom Kosmos
Befreite Pflanze.
</poem>
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und sich selbst rektifizierenden Operationen des gemeinen Menschenverstandes, der sich in einer höheren Sphäre zu üben wagt.» (Vgl. Goethes Werke in der Sophien-Ausgabe. z. Abt., Band II, S. 41) In eine Welt unklarer Empfindun­gen und Gefühle versenkt sich mancher Mystiker; in die klare Ideenwelt versenkt sich Goethe. Die einseitigen My­stiker verachten die Klarheit der Ideen. Sie halten diese Klarheit für oberflächlich. Sie ahnen nicht, was Menschen empfinden, welche die Gabe haben, sich in die belebte Welt der Ideen zu vertiefen. Es friert einen solchen Mystiker, wenn er sich der Ideenwelt hingibt. Er sucht einen Weltinhalt, der Wärme ausströmt. Aber der, welchen er findet, klärt über die Welt nicht auf. Er besteht nur in subjektiven Erregungen, in verworrenen Vorstellungen. Wer von der Kälte der Ideenwelt spricht, der kann Ideen nur denken, nicht erleben. Wer das wahrhafte Leben in der Ideenwelt lebt, der fühlt in sich das Wesen der Welt in einer Wärme wirken, die mit nichts zu vergleichen ist. Er fühlt das Feuer des Weltgeheimnisses in sich auflodern. So hat Goethe empfunden, als ihm die Anschauung der wirkenden Natur in Italien aufging. Damals wußte er, wie jene Sehnsucht zu stillen ist, die er in Frankfurt seinen Faust mit den Worten aussprechen läßt:
Die Pflanze - der durch die Erde gefesselte Falter! Der Falter - die durch den Kosmos von der Erde befreite Pflanze!


Wo faß' ich dich, unendliche Natur?
Schaue man den Schmetterling, das Insekt überhaupt, von dem Keim bis zum flatternden Insekt hin an: es ist die in die Luft hinaufgehobene, vom Kosmos in der Luft gestaltete Pflanze. Schaue man die Pflanze an: es ist der Schmetterling, der unten gefesselt wird. Das Ei wird von der Erde in Anspruch genommen. Die Raupe wird metamorphosiert in die Blattbildungen. In das, was zusammengezogen ist, wird die Puppenbildung metamorphosiert. Dann wird das, was sich im Falter entfaltet, in der Blüte bei der Pflanze entwickelt. Kein Wunder, daß jene innige Beziehung besteht zwischen der Schmetterlings- und Insektenwelt überhaupt und der Pflanzenwelt. Denn eigentlich müssen ja jene geistigen Wesenheiten, welche den Insekten, den Schmetterlingen zugrunde liegen, sich sagen: Hier unten sind unsere Verwandten, mit denen müssen wir es halten, wir müssen uns mit ihnen verbinden, wir müssen, genießend ihre Säfte und so weiter, uns mit ihnen verbinden, denn sie sind unsere Brüder. Sie sind die Brüder, die hinuntergewandelt sind in das Erdenbereich, die von der Erde gefesselt sind, die das andere Dasein gewonnen haben.


Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
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An denen Himmel und Erde hängt,
Und wiederum, es könnten die Geister, welche die Pflanzen beseelen, hinaufschauen zu den Schmetterlingen und könnten sagen: Das sind die Himmelsverwandten der Erdenpflanze.


Dahin die welke Brust sich drängt...  
Sehen Sie, man kann schon sagen: Verständnis der Welt kann nicht entstehen mit Abstraktionen, denn die Abstraktionen reichen nicht zum Verständnisse hin. Denn das, was im Kosmos wirkt, ist schon die größte Künstlerin. Der Kosmos gestaltet alles nach Gesetzen, die im tiefsten Sinne auch den Künstlersinn befriedigen. Niemand kann den in die Erde versenkten Falter verstehen anders, als indem er im Künstlersinne metamorphosiert, was abstrakte Gedanken sind. Niemand kann verstehen den in die Luft vom Lichte und von den kosmischen Kräften hinaufgehobenen Pflanzenblüteninhalt in dem Schmetterling, der nicht wiederum in künstlerische Bewegung bringen kann die abstrakten Gedanken. Es bleibt aber immerhin etwas ungeheuer Erhebendes, wenn wir diese tiefe innere Verwandtschaft der Naturdinge und Naturwesen ins Auge fassen.


= DIE METAMORPHOSE DER WELTERSCHEINUNGEN =
Es ist etwas ganz Eigenes, das Insekt auf der Pflanze sitzen zu sehen, und zu gleicher Zeit dann zu sehen, wie über der Pflanzenblüte das Astralische waltet. Da strebt die Pflanze aus dem Irdischen hinaus. Die Sehnsucht der Pflanze nach dem Himmel waltet über den farbenschimmernden Blütenblättern. Die Pflanze selber kann diese Sehnsucht nicht befriedigen. Da strahlt ihr entgegen aus dem Kosmos dasjenige, was der Schmetterling ist. In dem sieht sie, ihn anschauend, die Befriedigung ihrer eigenen Wünsche. Das ist jene wunderbare Verbindung innerhalb der Erdenumgebung, daß die Sehnsuchten der Pflanzenwelt gestillt werden im Anblicke der Insekten, namentlich der Schmetterlingswelt. Das, was die Blumenblütenfarbe ersehnt, indem sie hinausstrahlt in den Weltenraum ihre Farbe, das wird ihr wie eine Erkenntniserfüllung ihrer Sehnsucht, indem ihr der Falter mit seinem Farbenschimmer entgegenkommt. Ausstrahlende, Wärme ausstrahlende Sehnsucht, vom Himmel hereinstrahlende Befriedigung: das ist der Verkehr der Pflanzenblütenwelt mit der Schmetterlingsfalterwelt. Das ist dasjenige, was wir sehen sollen in der Erdenumgebung.
<nowiki>#</nowiki>G006-1963-SE078 - Goethes Weltanschauung


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Ich werde nun, nachdem der Übergang zur Pflanzenwelt gewonnen ist, in der Lage sein, die Betrachtungen, die vom Menschen bis zu den


DIE METAMORPHOSE DER WELTERSCHEINUNGEN
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Tieren gegangen sind, in der nächsten Zeit zu erweItern. Wir können nun die Pflanzenwelt einbeziehen und werden so allmählich zu dem Verhältnis des Menschen zu der ganzen Erde kommen. Aber dazu war
es notwendig, daß sozusagen die Brücke geschlagen wurde von der flatternden Pflanze der Luft, dem Schmetterling, zu dem in der Erde fest- sitzenden Schmetterling, zu der Pflanze hin. Die Erdenpflanze ist der festsitzende Schmetterling. Der Schmetterling ist die fliegende Pflanze. Haben wir diesen Zusammenhang zwischen der erdgebundenen Pflanze und dem himmelbefreiten Schmetterling erkannt, dann haben wir eben erst die Brücke geschlagen zwischen der Tierwelt und der Pflanzenwelt, und dann können wir ganz gewiß mit einer gewissen Gleichgültigkeit auf all die Trivialitäten herunterschauen, die immerzu wiederum sagen, wIe die Urzeugung und dergleichen war. Mit diesen Prosabegriffen reicht man nicht in die Gebiete des Universums hinein, in die man hineinreichen muß. Da hinein reicht man erst, wenn man die Prosabegriffe überführen kann in künstlerische Begriffe und dann zu der Vorstellung kommen kann, wie von dem himmelentsprungenen Schmetterlingsei, das nur der Sonne anvertraut wird, die Pflanze erst später entsteht, indem dieses Schmetterlingsei metamorphosiert wird dadurch, daß es, während es früher nur sonnenvertraut war, jetzt erdenvertraut wird.


Den höchsten Grad der Reife erlangte Goethes Weltan­schauung, als ihm die Anschauung der zwei großen Triebräder der Natur: die Bedeutung der Begriffe von Polarität und von Steigerung aufging. (Vgl. den Aufsatz: Erläuterung zu dem Aufsatz «Die Natur». Kürschner Band 34, S. 63 f.) Die Polarität ist den Erscheinungen der Natur eigen, inso­fern wir sie materiell denken. Sie besteht darin, daß sich alles Materielle in zwei entgegengesetzten Zuständen äußert, wie der Magnet in einem Nordpol und einem Südpol. Diese Zustände der Materie liegen entweder offen vor Augen, oder sie schlummern in dem Materiellen und können durch ge­eignete Mittel in demselben erweckt werden. Die Steige­rung kommt den Erscheinungen zu, insofern wir sie geistig denken. Sie kann beobachtet werden bei den Naturvorgän­gen, die unter die Idee der Entwicklung fallen. Auf den ver­schiedenen Stufen der Entwicklung zeigen diese Vorgänge die ihnen zu Grunde liegende Idee mehr oder weniger deut­lich in ihrer äußeren Erscheinung. In der Frucht ist die Idee der Pflanze, das vegetabilische Gesetz, nur undeutlich in der Erscheinung ausgeprägt. Die Idee, die der Geist erkennt, und die Wahrnehmung sind einander unähnlich. «In den Blüten tritt das vegetabilische Gesetz in seine höchste Erscheinung, und die Rose wäre nur wieder der Gipfel der Erscheinung.» In der Herausarbeitung des Geistigen aus dem Materiellen durch die schaffende Natur besteht das, was Goethe Steigerung nennt. Die Natur ist «in immerstre­bendem Aufsteigen» begriffen, heißt, sie sucht Gebilde zu schaffen, die, in aufsteigender Ordnung, die Ideen der Dinge auch in der äußeren Erscheinung immer mehr zur Darstel­lung
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= FÜNFTER VORTRAG Dornach, 27. Oktober 1923 =


bringen. Goethe ist der Ansicht, daß «die Natur kein Geheimnis habe, was sie nicht irgendwo dem aufmerksa­men Beobachter nackt vor die Augen stellt». Die Natur kann Erscheinungen hervorbringen, von denen sich die Ideen für ein großes Gebiet verwandter Vorgänge unmittelbar able­sen lassen. Es sind die Erscheinungen, in denen die Steige­rung ihr Ziel erreicht hat, in denen die Idee unmittelbare Wahrheit wird. Der schöpferische Geist der Natur tritt hier an die Oberfläche der Dinge; was an den grob-materiellen Erscheinungen nur dem Denken erfaßbar ist, was nur mit geistigen Augen geschaut werden kann: das wird in den ge­steigerten dem leiblichen Auge sichtbar. Alles Sinnliche ist hier auch geistig und alles Geistige sinnlich. Durchgeistigt denkt sich Goethe die ganze Natur. Ihre Formen sind da­durch verschieden, daß der Geist in ihnen mehr oder weni­ger auch äußerlich sichtbar wird. Eine tote geistlose Ma­terie kennt Goethe nicht. Als solche erscheinen diejenigen Dinge, in denen sich der Geist der Natur eine seinem ideel­len Wesen unähnliche äußere Form gibt. Weil ein Geist in der Natur und im menschlichen Innern wirkt, deshalb kann der Mensch sich zur Teilnahme an den Produktionen der Natur erheben. «... vom Ziegelstein, der dem Dache ent­stürzt, bis zum leuchtenden Geistesblitz, der dir aufgeht und den du mitteilst», gilt für Goethe alles im Weltall als Wirkung, als Manifestation eines schöpferischen Geistes. «Alle Wirkungen, von welcher Art sie seien, die wir in der Erfahrung bemerken, hängen auf die stetigste Weise zusam­men, gehen ineinander über; sie undulieren von der ersten bis zur letzten.» «Ein Ziegelstein löst sich vom Dache los: wir nennen dies im gemeinen Sinne zufällig; er trifft die Schultern eines Vorübergehenden doch wohl mechanisch;
Diese Vorträge handeln von dem inneren Zusammenhang der Welterscheinungen und Weltwesen, und Sie haben schon gesehen, daß sich mancherlei ergibt, von dem derjenige, der nur die äußere Erscheinungswelt ins Auge faßt, zunächst keine Ahnung haben kann. Wir haben gesehen, wie im Grunde genommen e1ne jede Wesensart - wir haben es an ein paar Beispielen gezeigt - ihre Aufgabe hat im ganzen Zusammenhange des kosmischen Daseins. Nun wollen wir heute gewissermaßen rekapitulierend noch einmal hinschauen auf Wesensarten, von denen wIr schon gesprochen haben, wollen ins Auge fassen dasjenige, was ich in den letzten Tagen über die Schmetterlingsnatur gesagt habe. Ich habe gerade im Gegensatz zur Pflanzenwesenheit diese Schmetterlingsnatur entwickelt, und wir haben uns sagen können, wie der Schmetterling eigentlich ein Wesen ist, welches dem Lichte angehört, dem Lichte, insofern es modifiziert wird von der Kraft der äußeren Planeten, des Mars, des Jupiter, des Saturn. So daß wir eigentlich, wenn wir den Schmetterling in seiner Wesenheit verstehen wollen, hinaufschauen müssen in die höheren Regionen des Kosmos und uns sagen müssen: diese höheren Regionen des Kosmos beschenken die Erde, begnaden die Erde mit der Schmetterlingswesenheit.


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Nun geht aber, ich möchte sagen, diese Begnadung der Erde eigentlich noch viel tiefer. Erinnern wIr uns, wie wir sagen mußten, der Schmetterling beteilige sich eigentlich nicht an dem unmittelbar irdischen Dasein, sondern nur mittelbar, insofern die Sonne mit ihrer Wärme und Leuchtekraft eben im irdischen Dasein tätig ist. Der Schmetterling legt sogar seine Eier dahin, wo sie aus der Region der Sonnenwirksamkeit nicht herauskommen, wo sie in der Region der Sonnenwirksamkeit bleiben, so daß der Schmetterling sein Ei nicht der Erde, sondern eigentlich nur der Sonne übergibt. Dann kriecht die Raupe aus, die unter dem Einfluß der Marswirkung steht; natürlich, die Sonnenwirkung bleibt immer vorhanden. Es bildet sich die Puppe, die unter der Jupitereinwirkung steht. Es kriecht aus der Puppe der Schmet-


allein nicht ganz mechanisch, er folgt den Gesetzen der Schwere, und so wirkt er physisch. Die zerrissenen Lebensgefäße geben sogleich ihre Funktion auf; im Augenblicke wirken die Säfte chemisch, die elementaren Eigenschaften treten hervor. Allein das gestörte organische Leben wider­setzt sich ebenso schnell und sucht sich herzustellen; indes­sen ist das menschliche Ganze mehr oder weniger bewußtlos und psychisch zerrüttet. Die sich wiedererkennende Per­son fühlt sich ethisch im tiefsten verletzt; sie beklagt ihre ge­störte Tätigkeit, von welcher Art sie auch sei, aber ungern ergäbe der Mensch sich in Geduld. Religiös hingegen wird ihm leicht, diesen Fall einer höheren Schickung zuzuschrei­ben, ihn als Bewahrung vor größerem Übel, als Einleitung zu höherem Guten anzusehen. Dies reicht hin für den Lei­denden; aber der Genesende erhebt sich genial, vertraut Gott und sich selbst und fühlt sich gerettet, ergreift auch wohl das Zufällige, wendet's zu seinem Vorteil, um einen ewig frischen Lebenskreis zu beginnen.» Als Modifikationen des Geistes erscheinen Goethe alle Weltwirkungen, und der Mensch, der sich in sie vertieft und sie beobachtet von der Stufe des Zufälligen bis zu der des Genialen, durchlebt die Metamorphose des Geistes von der Gestalt, in der sich die­ser in einer ihm unähnlichen äußeren Erscheinung darstellt, bis zu der, wo er in seiner ihm ureigensten Form erscheint. Einheitlich wirkend sind im Sinne der Goetheschen Welt­anschauung alle schöpferischen Kräfte. Ein Ganzes, das sich in einer Stufenfolge von verwandten Mannigfaltigkei­ten offenbart, sind sie. Goethe war aber nie geneigt, die Ein­heit der Welt sich als einförmig vorzustellen. Oft verfallen die Anhänger des Einheitsgedankens in den Fehler, die Ge­setzmäßigkeit, die sich auf einem Erscheinungsgebiete be­obachten
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terling aus, der dann in seinem Farbenschillern das in der Umgebung der Erde wiedergibt, was die mit der Saturnkraft vereinigte Sonnenleuchtekraft der Erde sein kann.


läßt, auf die ganze Natur auszudehnen. In diesem Falle ist z.B. die mechanistische Weltanschauung. Sie hat ein besonderes Auge und Verständnis für das, was sich me­chanisch erklären laßt. Deshalb erscheint ihr das Mechani­sche als das einzig Naturgemäße. Sie sucht auch die Erschei­nungen der organischen Natur auf mechanische Gesetzmä­ßigkeit zurückzuführen. Bin Lebendiges ist ihr nur eine komplizierte Form des Zusammenwirkens mechanischer Vorgänge. In besonders abstoßender Form fand Goethe eine solche Weltanschauung in Holbachs «Systeme de la nature» ausgesprochen, das ihm in Straßburg in die Hände fiel. Eine Materie sollte sein von Ewigkeit, und von Ewig­keit her bewegt, und sollte nun mit dieser Bewegung rechts und links und nach allen Seiten, ohne weiteres, die unend­lichen Phänomene des Daseins hervorbringen. «Dies alles wären wir sogar zufrieden gewesen, wenn der Verfasser wirklich aus seiner bewegten Materie die Welt vor unsern Augen aufgebaut hätte. Aber er mochte von der Natur so wenig wissen als wir: denn indem er einige allgemeine Be­griffe hingepfahlt, verläßt er sie sogleich, um dasjenige, was höher als die Natur, oder als höhere Natur in der Natur er­scheint, zur materiellen, schweren, zwar bewegten, aber doch richtungs- und gestaltlosen Natur zu verwandeln, und glaubt dadurch recht viel gewonnen zu haben. »(Dichtung und Wahrheit, II. Buch.) In ähnlicher Weise hätte sich Goe­the geäußert, wenn er den Satz Du Bois-Reymonds («Gren­zen des Naturerkennens», S.13) hätte hören können: «Na­turerkennen ... ist Zurückführung der Veränderungen in der Körperwelt auf Bewegungen von Atomen, die durch deren von der Zeit unabhängige Zentralkräfte bewirkt wer­den, oder Auflösung der Naturvorgänge in Mechanik der
So sehen wir eigentlich unmittelbar wirksam innerhalb des irdischen Daseins, in der Umgebung des irdischen Daseins, die Saturnwirksamkeit in den mannigfaltigen Farben des Schmetterlingsdaseins. Aber erinnern wir uns daran, daß ja die Substanzen, die in Betracht kommen für das Weltendasein, zweierlei sind. Wir haben es zu tun mit den rein stofflichen Substanzen der Erde, und wir haben es zu tun mit den geistigen Substanzen, und ich habe Ihnen gesagt, daß das Merkwürdige darinnen besteht, daß der Mensch in bezug auf seinen StoffwechselGliedmaßenorganismus die geistige Substanz zugrundeliegend hat, während seinem Haupte, seinem Kopfe die physische Substanz zugrunde liegt. In der unteren Natur des Menschen wird die geistige Substanz durchdrungen mit physischer Kraftwirkung, mit Schwerewirkung, mit den anderen irdischen Kraftwirkungen. Im Haupte wird die irdische Substanz, die durch den ganzen Stoffwechsel, die Zirkulation, die Nerventätigkeit und so weiter hinaufgeschafft wird in das Haupt des Men- schen, durchdrungen von übersinnlichen geistigen Kräften, die sich widerspiegeln in unserem Denken, in unserem Vorstellen. So daß wir also im Haupte des Menschen vergeistigte physische Materie haben, und daß wir im Stoffwechsel-Gliedmaßensystem verirdischte - wenn ich das Wort bilden darf -, verirdischte geistig-spirituelle Substantialität haben.


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Nun, diese vergeistigte Materie haben wir vor allen Dingen beim Schmetterlingswesen. Indem das Schmetterlingswesen überhaupt im Bereich des Sonnendaseins bleibt, bemächtigt es sich der irdischen Materie, ich möchte sagen - es ist natürlich noch bildlich gesprochen - nur wie im feinsten Staub. Der Schmetterling eignet sich die irdische Materie an nur wie im feinsten Staub. Er verschafft sich auch seine Nahrung aus denjenigen Substanzen der Erde, welche sonnendurcharbeitet sind. Er vereinigt mit seiner eigenen Wesenheit nur, was sonnendurcharbeitet ist; er entnimmt schon allem Irdischen das Feinste sozusagen und treibt es bis zur vollständigsten Vergeistigung. In der Tat hat man, wenn man den Schmetterlingsflügel ins Auge faßt, im Grunde die


Atome.» Goethe dachte sich die Arten von Naturwirkungen miteinander verwandt und ineinander übergehend; aber er wollte sie nie auf eine einzige Art zurückführen. Er trach­tete nicht nach einem abstrakten Prinzip, auf das alle Natur­erscheinungen zurückgeführt werden sollen, sondern nach Beobachtung der charakteristischen Art, wie sich die schöp­ferische Natur in jedem einzelnen ihrer Erscheinungsge­biete durch besondere Formen ihrer allgemeinen Gesetz­mäßigkeit offenbart. Nicht eine Gedankenform wollte er sämtlichen Naturerscheinungen aufzwängen, sondern durch Einleben in verschiedene Gedankenformen wollte er sich den Geist so lebendig und biegsam erhalten, wie die Natur selbst ist. Wenn die Empfindung von der großen Einheit alles Naturwirkens in ihm mächtig war, dann war er Pan­theist. «Ich für mich kann, bei den mannigfaltigen Richtun­gen meines Wesens, nicht an einer Denkweise genug haben; als Dichter und Künstler bin ich Polytheist, Pantheist als Naturforscher, und eines so entschieden als das andere. Be­darf ich eines Gottes für meine Persönlichkeit, als sittlicher Mensch, so ist dafür auch schon gesorgt.» (An Jacobi, 6. Jan. 1813.) Als Künstler wandte sich Goethe an jene Na­turerscheinungen, in denen die Idee in unmittelbarer An­schauung gegenwärtig ist. Das Einzelne erschien hier un­mittelbar göttlich; die Welt als eine Vielheit göttlicher In­dividualitäten. Als Naturforscher mußte Goethe auch in den Erscheinungen, deren Idee nicht in ihrem individuellen Dasein sichtbar wird, die Kräfte der Natur verfolgen. Als Dichter konnte er sich bei der Vielheit des Göttlichen be­ruhigen; als Naturforscher mußte er die einheitlich wirken­den Naturideen suchen. «Das Gesetz, das in die Erschei­nung tritt, in der größten Freiheit, nach seinen eigensten
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vergeistigteste Erdenmaterie vor sich. Dadurch, daß die Materie des Schmetterlingsflügels farbdurchdrungen ist, ist sie die vergeistigteste Erdenmaterie.


Bedingungen, bringt das Objektiv-Schöne hervor, welches freilich würdige Subjekte finden muß, von denen es aufge­faßt wird.» Dieses Objektiv-Schöne im einzelnen Geschöpf will Goethe als Künstler anschauen; aber als Naturforscher will er «die Gesetze kennen, nach welchen die allgemeine Natur handeln will». Polytheismus ist die Denkweise, die in dem Einzelnen ein Geistiges sieht und verehrt; Pantheis­mus die andere, die den Geist des Ganzen erfaßt. Beide Denkweisen können nebeneinander bestehen; die eine oder die andere macht sich geltend, je nachdem der Blick auf das Naturganze gerichtet ist, das Leben und Folge ist aus einem Mittelpunkte, oder auf diejenigen Individuen, in denen die Natur in einer Form vereinigt, was sie in der Regel über ein ganzes Reich ausbreitet. Solche Formen entstehen, wenn z.B. die schöpferischen Naturkräfte nach «tausendfältigen Pflanzen», noch eine machen, worin «alle übrigen enthal­ten», oder «nach tausendfältigen Tieren ein Wesen, das sie alle enthält: den Menschen»
Der Schmetterling ist eigentlich diejenige Wesenheit, die ganz in vergeistigter Erdenmaterie lebt. Man kann es sogar geistig sehen, wie der Schmetterling seinen Körper, den er inmitten seiner Farbflügel hat, in e1ner gewissen Weise verachtet, weil seine ganze Aufmerksamkeit, sein ganzes Gruppenseelentum eigentlich im freudigen Genießen seiner Flügelfarben ruht.


<nowiki>*</nowiki>
Ebenso wie man dem Schmetterling folgen kann in der Bewunderung seiner schillernden Farben, kann man ihm folgen in der Bewunderung der flatternden Freude über diese Farben. Das ist etwas, was im Grunde genommen bei den Kindern schon kultiviert werden sollte, diese Freude an der Geistigkeit, die herumflattert in der Luft, und die eigentlich flatternde Freude ist, Freude am Farbenspiel. In dieser Beziehung nuanciert sich das Schmetterlingsmäßige in einer ganz wunderbaren Weise. Und dem allem liegt dann etwas anderes zugrunde.


Goethe macht einmal die Bemerkung: «Wer sie (meine Schriften) und mein Wesen überhaupt verstehen gelernt, wird doch bekennen müssen, daß er eine gewisse innere Freiheit gewonnen.» (Unterhaltungen mit dem Kanzler von Müller, . Jan.1831.) Damit hat er auf die wirkende Kraft hingedeutet, die sich in allem menschlichen Erkenntnis­streben geltend macht. Solange der Mensch dabei stehen bleibt, die Gegensätze um sich her wahrzunehmen und ihre Gesetze als ihnen eingepflanzte Prinzipien zu betrachten, von denen sie beherrscht werden, hat er das Gefühl, daß sie ihm als unbekannte Mächte gegenüberstehen, die auf ihn
Wir konnten vom Vogel, den wir im Adler repräsentiert fanden, sagen, daß er bei seinem Tode die vergeistigte Erdensubstanz in die geistige Welt hineintragen kann, daß er dadurch seine Aufgabe im kosmischen Dasein hat, daß er als Vogel die Erdenmaterie vergeistigt und dasjenige tun kann, was der Mensch nicht tun kann. Der Mensch hat in seinem Kopfe auch die Erdenmaterie bis zu einem gewissen Grade vergeistigt, aber er kann diese Erdenmaterie nicht hineinnehmen in die Welt, die er durchlebt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, denn er würde fortwährend einen unsäglichen, nicht erträglichen, zerstörenden Schmerz aushalten müssen, wenn er diese vergeistigte Erdenmaterie seines Kopfes hineintragen wollte in die geistige Welt.


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Die Vogelwelt, durch den Adler repräsentiert, kann das, so daß in der Tat dadurch ein Zusammenhang geschaffen wird zwischen dem, was irdisch ist, und dem, was außerirdisch ist. Die irdische Materie wird zunächst gewissermaßen langsam in den Geist übergeführt, und das Vogelgeschlecht hat die Aufgabe, diese vergeistigte irdische Materie dem Weltenall zu übergeben. Man wird schon sagen können, wenn einmal die Erde am Ende ihres Daseins angekommen ist: diese Erdenma


wirken und ihm die Gedanken ihrer Gesetze aufdrängen. Er fühlt sich den Dingen gegenüber unfrei; er empfindet die Gesetzmäßigkeit der Natur als starre Notwendigkeit, der er sich zu fügen hat. Erst wenn der Mensch gewahr wird, daß die Naturkräfte nichts anderes sind als Formen desselben Geistes, der auch in ihm selbst wirkt, geht ihm die Einsicht auf, daß er der Freiheit teilhaftig ist. Die Naturge­setzlichkeit wird nur so lange als Zwang empfunden, so lange man sie als fremde Gewalt ansieht. Lebt man sich in ihre Wesenheit ein, so empfindet man sie als Kraft, die man auch selbst in seinem Innern betätigt; man empfindet sich als produktiv mitwirkendes Element beim Werden und We­sen der Dinge. Man ist Du und Du mit aller Werdekraft. Man hat in sein eigenes Tun das aufgenommen, was man sonst nur als äußeren Antrieb empfindet. Dies ist der Be­freiungs-Prozeß, den im Sinne der Goetheschen Weltan­schauung der Erkenntnisakt bewirkt. Klar hat Goethe die Ideen des Naturwirkens angeschaut, als sie ihm aus den italienischen Kunstwerken entgegenblickten. Eine klare Empfindung hatte er auch von der befreienden Wirkung, die das Innehaben dieser Ideen auf den Menschen ausübt. Eine Folge dieser Empfindung ist seine Schilderung derje­nigen Erkenntnisart, die er als die der umfassenden Geister bezeichnet. «Die Umfassenden, die man in einem stolzern Sinne die Erschaffenden nennen könnte, verhalten sich im höchsten Sinne produktiv; indem sie nämlich von Ideen ausgehen, sprechen sie die Einheit des Ganzen schon aus, und es ist gewissermaßen nachher die Sache der Natur, sich in diese Idee zu fügen.» Zu der unmittelbaren Anschauung des Be­freiungsaktes hat es aber Goethe nie gebracht. Diese Anschauung kann nur derjenige haben, der sich selbst in seinem
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terie ist vergeistigt worden, und das Vogelgeschlecht war da innerhalb der ganzen Ökonomie des Erdendaseins, um die vergeistigte Erdenmaterie in das Geisterland zurückzutragen.


Erkennen belauscht. Goethe hat zwar die höchste Er­kenntnisart ausgeübt; aber er hat diese Erkenntnisart nicht an sich beobachtet. Gesteht er doch selbst:
Mit den Schmetterlingen ist es noch etwas anderes. Der Schmetterling vergeistigt noch mehr die irdische Materie als der Vogel. Der Vogel kommt immerhin dazu, viel näher der Erde zu stehen als der Schmetterling. Ich werde das nachher ausführen. Aber der Schmetterling ist imstande, dadurch, daß er eben die Sonnenregion gar nicht verläßt, seine Materie so weit zu vergeistigen, daß er nun nicht erst bei seinem Tode, wie der Vogel, sondern schon während seines Lebens fortwährend vergeistigte Materie an die Erdenumgebung, an die kosmische Erdenumgebung abgibt.


«Wie hast du's denn so weit gebracht?
Denken Sie einmal, wie das eigentlich ein Großartiges ist in der ganzen kosmischen Ökonomie, wenn wir uns vorstellen können: die Erde, durchflattert von der Schmetterlingswelt in der mannigfaltigsten Weise und fortwährend in den Weltenraum hinausströmend vergeistigte Erdenmaterie, die die Schmetterlingswelt an den Kosmos abgibt! So daß wir also diese Region der Schmetterlingswelt um die Erde herum durch eine solche Erkenntnis mit noch ganz anderen Gefühlen betrachten können.


Sie sagen, du habest es gut vollbracht!»
Wir können hineinschauen in diese flatternde Welt und können uns sagen: Ihr Flattertiere, ihr strahlt sogar Besseres als das Sonnenlicht, ihr strahlet Geistlicht in den Kosmos hinaus! - Das Geistige wird ja von unserer materialistischen Wissenschaft wenig berücksichtigt. Und so hat eigentlich diese materialistische Wissenschaft gar keine Handhabe, um auf diese Dinge, die zum Ganzen der Weltökonomie gehören, auch nur irgendwie zu kommen. Aber sie sind ja da, wie die physischen Wirkungen da sind, und sie sind wesentlicher als die physischen Wirkungen. Denn das, was da hinausstrahlt in das Geisterland, das wird fortwirken, wenn die Erde längst zugrunde gegangen ist; das, was heute der Physiker, der Chemiker konstatiert, das wird seinen Abschluß finden mit dem Erdendasein. So daß also, wenn irgendein Beobachter draußen im Kosmos säße und eine lange Zeit zur Beobachtung hätte, er sehen würde, wie etwas wie eine kontinuierliche Ausstrahlung von Geistmaterie in das Geisterland, von geistig gewordener Materie in das Geisterland


Mein Kind! Ich hab' es klug gemacht;
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Ich habe nie über das Denken gedacht.
stattfindet, wie die Erde ihr eigenes Wesen hinaus in den Weltenraum, in den Kosmos ausstrahlt, und wie, sprühenden Funken gleich, immerfort aufleuchtenden Funken, das, was das Vogelgeschlecht, jeder Vogel nach seinem Tode, aufglänzen läßt, in dieses Weltenall nunmehr strahlenförmig hinausgeht: ein Glimmern von Schmetterlingsgeisteslicht und ein Sprühen von Vogelgeisteslicht! (Tafel II)


Aber so wie die schöpferischen Naturkräfte «nach tau­sendfältigen Pflanzen» noch eine machen, worin « alle übri­gen enthalten» sind, so bringen sie auch nach tausendfälti­gen Ideen noch eine hervor, worin die ganze Ideenwelt ent­halten ist. Und diese Idee erfaßt der Mensch, wenn er zu der Anschauung der andern Dinge und Vorgänge auch dieje­nige des Denkens fügt. Eben weil Goethes Denken stets mit den Gegenständen der Anschauung erfüllt war, weil sein Denken ein Anschauen, sein Anschauen ein Denken war: deshalb konnte er nicht dazu kommen, das Denken selbst zum Gegenstande des Denkens zu machen. Die Idee der Freiheit gewinnt man aber nur durch die Anschauung des Denkens. Den Unterschied zwischen Denken über das Denken und Anschauung des Denkens hat Goethe nicht ge­macht. Sonst wäre er zur Einsicht gelangt, daß man gerade im Sinne seiner Weltanschauung es wohl ablehnen könne, über das Denken zu denken, daß man aber doch zu einer Anschauung der Gedankenwelt kommen könne. An dem Zu­standekommen aller übrigen Anschauungen ist der Mensch unbeteiligt. In ihm leben die Ideen dieser Anschauungen auf. Diese Ideen würden aber nicht da sein, wenn in ihm nicht die produktive Kraft vorhanden wäre, sie zur Erschei­nung zu bringen. Wenn auch die Ideen der Inhalt dessen
Das sind die Dinge, die aber zu gleicher Zeit dahin die Aufmerksamkeit lenken könnten, daß, wenn man nun zur anderen Sternenwelt hinausschaut, man auch nicht glauben soll, daß da nur das herunterstrahlt,  


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sind, was in den Dingen wirkt; zum erscheinenden Dasein kommen sie durch die menschliche Tätigkeit. Die eigene Natur der Ideenwelt kann also der Mensch nur erkennen, wenn er seine Tätigkeit anschaut. Bei jeder anderen An­schauung durchdringt er nur die wirkende Idee; das Ding, in dem gewirkt wird, bleibt als Wahrnehmung außerhalb seines Geistes. In der Anschauung der Idee ist Wirkendes und Bewirktes ganz in seinem Innern enthalten. Er hat den ganzen Prozeß restlos in seinem Innern gegenwärtig. Die Anschauung erscheint nicht mehr von der Idee hervorge­bracht; denn die Anschauung ist jetzt selbst Idee. Diese An­schauung des sich selbst Hervorbringenden ist aber die An­schauung der Freiheit. Bei der Beobachtung des Denkens durchschaut der Mensch das Weltgeschehen. Er hat hier nicht nach einer Idee dieses Geschehens zu forschen, denn dieses Geschehen ist die Idee selbst. Die sonst erlebte Ein­heit von Anschauung und Idee ist hier Erleben der anschau­lich gewordenen Geistigkeit der Ideenwelt. Der Mensch, der diese in sich selbst ruhende Tätigkeit anschaut, fühlt die Freiheit. Goethe hat diese Empfindung zwar erlebt, aber nicht in der höchsten Form ausgesprochen. Er übte in seiner Naturbetrachtung eine freie Tätigkeit; aber sie wurde ihm nie gegenständlich. Er hat nie hinter die Kulissen des menschlichen Erkennens geschaut und deshalb die Idee des Weltgeschehens in dessen ureigenster Gestalt, in seiner höchsten Metamorphose nie in sein Bewußtsein aufgenom­men. Sobald der Mensch zur Anschauung dieser Metamor­phose gelangt, bewegt er sich sicher im Reich der Dinge. Er hat in dem Mittelpunkte seiner Persönlichkeit den wahren Ausgangspunkt für alle Weltbetrachtung gewonnen. Er wird nicht mehr nach unbekannten Gründen, nach außer
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was das Spektroskop zeigt, oder vielmehr, was in das Spektroskop der Spektroskopiker hineinphantasiert, sondern das, was von den anderen Sternenwelten zur Erde herunterstrahlt, ist ebenso das Ergebnis von Lebewesen in anderen Welten, wie das, was von der Erde hinausstrahlt in den Weltenraum, das Ergebnis von Lebewesen ist. Wir schauen einen Stern an und stellen uns mit dem heutigen Physiker so etwas vor, wie eine entzündete unorganische Flamme - so ähnlich. Es ist natürlich völliger Unsinn. Denn, was da geschaut wird, das ist durchaus das Ergebnis von Belebtem, Beseeltem, Vergeistigtem.


ihm liegenden Ursachen der Dinge forschen; er weiß, daß das höchste Erlebnis, dessen er fähig ist, in der Selbstbe­trachtung der eigenen Wesenheit besteht. Wer ganz durch­drungen ist von den Gefühlen, die dieses Erlebnis hervor­ruft, der wird die wahrsten Verhältnisse zu den Dingen ge­winnen. Bei wem das nicht der Fall ist, der wird die höchste Form des Daseins anderswo suchen, und, da er sie in der Erfahrung nicht finden kann, in einem unbekannten Gebiet der Wirklichkeit vermuten. Seine Betrachtung der Dinge wird etwas Unsicheres bekommen; er wird sich bei der Be­antwortung der Fragen, die ihm die Natur stellt, fortwäh­rend auf ein Unerforschliches berufen. Weil Goethe durch sein Leben in der Ideenwelt ein Gefühl hatte von dem festen Mittelpunkt, innerhalb der Persönlichkeit, ist es ihm ge­lungen, innerhalb bestimmter Grenzen im Naturbetrachten zu sicheren Begriffen zu kommen. Weil ihm aber die un­mittelbare Anschauung des innersten Erlebnisses abging, tastet er außer halb dieser Grenzen unsicher umher. Er redet aus diesem Grunde davon, daß der Mensch nicht geboren sei, die « Probleme der Welt zu lösen, wohl aber zu suchen, wo das Problem angeht, und sich sodann in der Grenze des Begreiflichen zu halten». Er sagt: «Kant hat unstreitig am meisten genützt, indem er die Grenzen zog, wie weit der menschliche Geist zu dringen fähig sei, und daß er die un­auflöslichen Probleme liegen ließ.» Hätte ihm die Anschau­ung des höchsten Erlebnisses Sicherheit in der Betrachtung der Dinge gegeben, so hätte er auf seinem Wege mehr ge­konnt als «durch geregelte Erfahrung zu einer Art von be­dingter Zuverlässigkeit gelangen». Statt geradewegs durch die Erfahrung durchzuschreiten in dem Bewußtsein, daß das Wahre nur eine Bedeutung hat, insoweit es von der
Gehen wir nun herein von diesem Schmetterlingsgürtel, wenn ich so sagen darf, der die Erde umgürtet, noch einmal zu dem Vogelgeschlechte. Wenn w1r uns das, was wir schon wissen, vorstellen, so haben wir drei aneinandergrenzende Regionen. Über demselben sind andere Regionen, unter demselben wieder andere Regionen. Wir haben den Lichtäther, wir haben den Wärmeäther, der aber eigentlich zwei Teile hat, zwei Schichten; die eine ist die irdische Wärmeschicht, die andere ist die kosmische Wärmeschicht, und die spielen fortwährend ineinander. Wir haben in der Tat nicht einerlei, sondern zweierlei Wärme, diejenige Wärme, die eigentlich irdischen, tellurischen Ursprungs ist, und solche, die kosmischen Ursprungs ist. Die spielen fortwährend ineinander. Dann haben wir angrenzend an den Wärmeäther die Luft. Dann kämen Wasser und Erde, und oben käme chemischer Äther, Lebensäther.


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Wenn wir nun das Schmetterlingsgeschlecht nehmen, so gehört es vorzugsweise dem Lichtäther an, und der Lichtäther selber ist das Mittel, in dem die Leuchtekraft hervorholt aus dem Schmetterlingsei die Raupe; die Leuchtekraft im wesentlichen holt das hervor. Das ist schon nicht so beim Vogelgeschlecht. Die Vögel legen ihre Eier. Die müssen nun von Wärme ausgebrütet werden. Das Schmetterlingsei wird einfach der Sonnennatur überlassen; das Vogelei kommt in die Region der Wärme. In der Region des Wärmeäthers ist der Vogel vorhanden, und er überwindet eigentlich das, was bloße Luft ist.


menschlichen Natur gefordert wird, gelangt er doch zu der Überzeugung, daß « ein höherer Einfluß die Standhaften, die Tätigen, die Verständigen, die Geregelten und Regelnden, die Menschlichen, die Frommen» begünstige, und daß sich «die moralische Weltordnung» am schönsten da zeige, wo sie «dem Guten, dem wacker Leidenden mittelbar zu Hilfe kommt».
Der Schmetterling fliegt auch in der Luft, aber er ist im Grunde genommen ganz ein Lichtgeschöpf. Und indem die Luft durchdrungen wird vom Lichte, wählt der Schmetterling innerhalb dieses Licht-Luftdaseins nicht das Luftdasein, sondern das Lichtdasein; die Luft ist ihm


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Weil Goethe das innerste menschliche Erlebnis nicht kann­te, war es ihm unmöglich, zu den letzten Gedanken über die sittliche Weltordnung zu gelangen, die zu seiner Naturan­schauung notwendig gehören. Die Ideen der Dinge sind der Inhalt des in den Dingen Wirksamen und Schaffenden. Die sittlichen Ideen erlebt der Mensch unmittelbar in der Ideenform. Wer zu erleben imstande ist, wie in der An­schauung der Ideenwelt das Ideelle sich selbst zum Inhalt wird, sich mit sich selbst erfüllt, der ist auch in der Lage, die Produktion des Sittlichen innerhalb der menschlichen Na­tur zu erleben. Wer die Naturideen nur in ihrem Verhältnis zu der Anschauungswelt kennt, der wird auch die sittlichen Begriffe auf etwas ihnen Äußeres beziehen wollen. Er wird eine ähnliche Wirklichkeit für diese Begriffe suchen, wie sie für die aus der Erfahrung gewonnenen Begriffe vorhanden ist. Wer aber Ideen in ihrer eigensten Wesenheit anzu­schauen vermag, der wird bei den sittlichen gewahr, daß nichts Äußeres ihnen entspricht, daß sie unmittelbar im Geist-Erleben als Ideen produziert werden. Ihm ist klar, daß weder ein nur äußerlich wirkender göttlicher Wille, noch eine solche sittliche Weltordnung wirksam sind, um diese Ideen zu erzeugen. Denn es ist in ihnen nichts von einem Bezug auf solche Gewalten zu bemerken. Alles was
nur der Träger. Die Luft sind die Wogen, auf denen er gewissermaßen herumschwimmt, aber sein Element ist das Licht. Der Vogel fliegt in der Luft, aber sein Element ist eigentlich die Wärme, die verschiedenen Wärmedifferenzen in der Luft, und er überwindet in einem gewissen Grade die Luft. Der Vogel ist ja auch innerlich ein Luftwesen. Im hohen Grade ist er ein Luftwesen. Sehen Sie sich einmal die Knochen der Säugetiere, die Knochen des Menschen an: sie sind von Mark erfüllt. Wir werden davon noch sprechen, warum sie von Mark erfüllt sind. Die Vogelknochen sind hohl und nur mit Luft ausgefüllt. Wir bestehen also, insofern das in Betracht kommt, was innerhalb unserer Knochen Ist, aus Markmäßigem, der Vogel besteht aus Luft, und sein Markmäßiges ist reine Luft. Wenn Sie die Vogellungen nehmen, so finden Sie in dieser Vogellunge eine ganze Menge von Säcken, die ausgehen von der Lunge; das sind Luftsäcke. Wenn der Vogel einatmet, dann atmet er nicht nur in die Lunge ein, sondern er atmet in diese Luftsäcke die Luft hinein, und von den Luftsäcken geht es in die hohlen Knochen. So daß, wenn man alles Fleisch und alle Federn von dem Vogel loslösen und die Knochen wegnehmen könnte, so würde man noch ein aus Luft bestehendes Tier bekommen, das die Form hätte der inneren Lungenausfüllung und auch der inneren Ausfüllung aller Knochen. Sie hätten, wenn man es In der Form vorstellt, ganz die Form des Vogels. Im Fleisch- und Beinadler sitzt ein Luftadler drinnen. Das ist nun nicht bloß aus dem Grunde, daß da noch ein Luftadler drinnen ist, sondern nun atmet der Vogel; durch die Atmung erzeugt er Wärme. Diese Wärme, die teilt er- seiner Luft mit, die er nun in alle seine Gliedmaßen preßt. Da entsteht der Wärmeunterschied gegenüber der äußeren Umgebung. Da hat er seine Innenwärme, da hat er die äußere Wärme. In diesem Niveauunterschiede zwischen der äußeren Wärme der Luft und der Wärme, die er seiner eigenen Luft drinnen gibt, in diesem Niveauunterschiede, also in einem Niveauunterschiede innerhalb der Wärme, des Wärmeelementes lebt eigentlich der Vogel. Und wenn Sie den Vogel fragen würden in entsprechender Weise, wie es ihm eigentlich mit seinem Körper ist, dann würde er Ihnen - wenn Sie die Vogelsprache verstünden, würden Sie schon sehen, daß er das tut - so antworten, daß Sie erkennen würden, er redet von den fest substantiellen Knochen und von dem, was  


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sie aussprechen, ist in ihrer geistig erlebten reinen Ideenform auch eingeschlossen. Nur durch ihren eigenen Inhalt wirken sie auf den Menschen als sittliche Mächte. Kein ka­tegorischer Imperativ steht mit der Peitsche hinter ihnen und drängt den Menschen, ihnen zu folgen. Der Mensch empfindet, daß er sie selbst hervorgebracht hat und liebt sie, wie man sein Kind liebt. Die Liebe ist das Motiv des Han­delns. Die geistige Lust am eigenen Erzeugnis ist der Quell des Sittlichen.
er sonst an sich trägt, etwa so, wie wenn Sie bepackt sind links und rechts und auf dem Rücken und auf dem Kopf mit lauter Koffern. Da sagen Sie auch nicht: Das ist mein Leib, der rechte Koffer, der linke Koffer und so we1ter. - Geradesowenig wie Sie von diesen Dingen, mit denen Sie bepackt sind, als von Ihrem Leibe reden, sondern wie Sie das an sich tragen, so redet der Vogel, wenn er von sich redet, bloß von der von ihm erwärmten Luft, und von dem anderen als von dem Gepäck, das er mitträgt im irdischen Dasein. Diese Knochen, die diesen eigentlichen Vogelluftleib umhüllen: das ist sein Gepäck. So daß wir also durchaus sagen müssen: im Grunde genommen lebt der Vogel ganz und gar im Wärmeelemente, und der Schmetterling im Lichtelemente. Für den Schmetterling ist alles, was physische Substanz ist, die er vergeistigt, vor der Vergeistigung eigentlich erst recht, man möchte sagen nicht einmal Gepäck, sondern Hauseinrichtung. Noch ferner steht sie ihm.


Es gibt Menschen, die keine sittlichen Ideen zu produzie­ren vermögen. Sie nehmen diejenigen anderer Menschen durch Überlieferung in sich auf. Und wenn sie kein An­schauungsvermögen für Ideen als solche haben, erkennen sie den im Geiste erlebbaren Ursprung des Sittlichen nicht. Sie suchen ihn in einem übermenschlichen, ihnen äußer­lichen Willen. Oder sie glauben, daß eine außerhalb der menschlich erlebten Geistwelt bestehende objektive sitt­liche Weltordnung bestehe, aus der die moralischen Ideen stammen. In dem Gewissen des Menschen wird oft das Sprachorgan dieser Weltordnung gesucht. Wie über ge­wisse Dinge seiner übrigen Weltanschauung ist Goethe auch in seinen Gedanken über den Ursprung des Sittlichen unsicher. Auch hier treibt sein Gefühl für das Ideengemäße Sätze hervor, die den Forderungen seiner Natur gemäß sind. «Pflicht: wo man liebt, was man sich selbst befiehlt.» Nur wer die Gründe des Sittlichen rein in dem Inhalt der sittlichen Ideen sieht, sollte sagen: «Lessing, der mancher­lei Beschränkung unwillig fühlte, läßt eine seiner Personen sagen: niemand muß müssen. Ein geistreicher, frohgesinnter Mann sagte: Wer will, der muß. Ein dritter, freilich ein Ge­bildeter, fügte hinzu: Wer einsieht, der will auch. Und so glaubte
Also indem wir in diese Region hinaufkommen, zu dem Getier in diesen Regionen, kommen wir zu etwas, was wir gar nicht auf physische Art beurteilen dürfen. Wenn wir es auf physische Art beurteilen, so ist es etwa so, wie wenn wir einen Menschen so zeichnen wollten, daß wir seine Haare hineingewachsen malen würden in das, was er auf dem Kopfe tragen würde, seine Koffer zusammengewachsen mit den Armen, seinen Rücken mit irgend etwas, was er als Rucksack trägt, so daß wir ihn ganz buckelig machen würden, als ob der Rucksack hinten hinausgewachsen wäre. Wenn wir den Menschen so zeichnen würden, so würde das entsprechen der Vorstellung, die man sich als Materialist über den Vogel eigentlich macht. Das ist gar nicht der Vogel, das ist das Gepäck des Vogels. Der Vogel fühlt sich eigentlich auch so, als ob er furchtbar schleppt an diesem seinem Gepäck, denn er möchte am liebsten frank und frei, gar nicht belastet, als ein warmes Luftgetier durch die Welt seine Wanderung vollführen. Das andere ist ihm eine Last. Und er bringt den Tribut dem Weltendasein, indem er ihm diese Last vergeistigt und ins Geisterland hinausschickt, wenn er stirbt; der Schmetterling noch während seiner Lebenszeit.


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Sehen Sie, der Vogel atmet und verwendet die Luft auf die Weise, wie ich es Ihnen gesagt habe. Beim Schmetterling ist es noch anders. Der Schmetterling atmet überhaupt nicht durch solche Vorrichtungen, wie


man den ganzen Kreis des Erkennens, Wollens und Müs­sens abgeschlossen zu haben. Aber im Durchschnitt be­stimmt die Erkenntnis des Menschen, von welcher Art sie auch sei, sein Tun und Lassen; deswegen auch nichts schrecklicher ist, als die Unwissenheit handeln zu sehen.» Daß in Goethe ein Gefühl für die echte Natur des Sittlichen herrscht, welches sich nur nicht zur klaren Anschauung er­hebt, zeigt folgender Ausspruch: «Der Wille muß, um voll­kommen zu werden, sich im Sittlichen dem Gewissen, das nicht irrt ... fügen ... Das Gewissen bedarf keines Ahnherrn, mit ihm ist alles gegeben; es hat nur mit der innern eigenen Welt zu tun.» Das Gewissen bedarf keines Ahnherrn, kann nur heißen: der Mensch findet in sich keinen sittlichen In­halt ursprünglich vor; er gibt sich ihn selbst. Diesen Aus­sprüchen stehen andere gegenüber, die den Ursprung des Sittlichen in ein Gebiet außerhalb des Menschen verlegen:
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«Der Mensch, wie sehr ihn auch die Erde anzieht mit ihren tausend und abertausend Erscheinungen, hebt doch den Blick sehnend zum Himmel auf... weil er es tief und klar in sich fühlt, daß er ein Bürger jenes geistigen Reiches sei, wor­an wir den Glauben nicht abzulehnen, noch aufzugeben ver­mögen.» «Was gar nicht aufzulösen ist, überlassen wir Gott als dem allbedingenden und allbefreienden Wesen.»
sie die sogenannten höheren Tiere haben; es sind ja nur die voluminöseren Tiere, es sind nicht die höheren Tiere in Wirklichkeit. Der Schmetterling atmet eigentlich nur durch Röhren, die von seiner äußeren Umhüllung nach innen hineingehen, und die etwas aufgeblasen sind, so daß er die Luft aufspeichern kann, wenn er fliegt, so daß ihn das nicht stört, daß er da nicht immer zu atmen braucht. Er atmet eigentlich immer nur durch Röhren, die in sein Inneres hineingehen. Dadurch, daß er durch Röhren atmet, die in sein Inneres hineingehen, hat er die Möglichkeit, mit der Luft, die er einatmet, zugleich das Licht, das in der Luft ist, in seinen ganzen Körper aufzunehmen. Da ist auch ein großer Unterschied vorhanden.


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Für die Betrachtung der innersten Menschennatur, für die Selbstbeschauung fehlt Goethe das Organ. «Hierbei be­kenne ich, daß mir von jeher die große und so bedeutend klingende Aufgabe: erkenne dich selbst, immer verdächtig vorkam, als eine List geheim verbündeter Priester, die den Menschen durch unerreichbare Forderungen verwirren
Schematisch dargestellt: Stellen Sie sich ein höheres Tier vor; das hat die Lunge. In die Lunge kommt der Sauerstoff hinein und verbindet sich da mit dem Blute auf dem Umweg durch das Herz. Das Blut muß in Herz und Lunge einfließen, um mit dem Sauerstoff in Berührung zu kommen bei diesen voluminöseren Tieren und auch beim Menschen. Beim Schmetterling muß ich ganz anders zeichnen. Da muß ich so zeichnen: Wenn das der Schmetterling ist, gehen da überall die Röhren


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und von der Tätigkeit gegen die Außenwelt zu einer inneren falschen Beschaulichkeit verleiten wollten. Der Mensch kennt nur sich selbst, insofern er die Welt kennt, die er nur in sich und sich nur in ihr gewahr wird. Jeder neue Gegenstand, wohl beschaut, schließt ein neues Organ in uns auf» Davon ist gerade das Umgekehrte wahr: der Mensch kennt die Welt nur, insofern er sich kennt. Denn in seinem Innern offenbart sich in ureigenster Gestalt, was in den Außendin­gen nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol als Anschauung vorhanden ist. Wovon der Mensch sonst nur als von einem Unergründlichen, Unerforschlichen, Göttlichen sprechen kann: das tritt ihm in der Selbstanschauung in wahrer Ge­stalt vor Augen. Weil er in der Selbstanschauung das Ideelle in unmittelbarer Gestalt sieht, gewinnt er die Kraft und Fä­higkeit, dieses Ideelle auch in aller äußeren Erscheinung, in der ganzen Natur aufzusuchen und anzuerkennen. Wer den Augenblick der Selbstanschauung erlebt hat, denkt nicht mehr daran, hinter den Erscheinungen einen «verborge­nen» Gott zu suchen: er ergreift das Göttliche in seinen verschiedenen Metamorphosen in der Natur. Goethe be­merkte in Beziehung auf Schelling: «Ich würde ihn öfters sehen, wenn ich nicht noch auf poetische Momente hoffte, und die Philosophie zerstört bei mir die Poesie, und das wohl deshalb, weil sie mich ins Objekt treibt, indem ich mich nie rein spekulativ erhalten kann, sondern gleich zu jedem Satze eine Anschauung suchen muß und deshalb gleich in die Natur hinaus fliehe.» Die höchste Anschauung, die Anschauung der Ideenwelt selbst, hat er eben nicht fin­den können. Sie kann die Poesie nicht zerstören, denn sie befreit den Geist nur von allen Vermutungen, daß in der Natur ein Unbekanntes, Unergründliches sein könne. Dafür
herein; diese Röhren verästeln sich weiter. Und der Sauerstoff geht nun da überall hinein, verästelt sich selber mit; die Luft dringt überall in den Körper ein.


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Bei uns und bei den sogenannten höheren Tieren kommt die Luft nur als Luft bis in die Lungen; bei dem Schmetterling breitet sich die äußere Luft mit ihrem Inhalte an Licht im ganzen inneren Leib aus. Der Vogel breitet die Luft bis in seine hohlen Knochen hinein aus; der Schmetterling ist nicht nur nach außen hin das Lichttier, sondern er breitet das Licht, das von der Luft getragen wird, in seinem ganzen Körper überallhin aus, so daß er auch innerlich Licht ist. Wenn ich Ihnen schildern konnte, daß der Vogel eigentlich innerlich erwärmte Luft ist, so ist der Schmetterling eigentlich ganz Licht. Es besteht auch sein Körper aus Licht, und die Wärme ist für den Schmetterling eigentlich Last, Gepäck. Er flattert ganz und gar im Lichte und baut seinen Leib eigentlich ganz aus dem Lichte herein auf. Und wir müßten, wenn wir den Schmetterling in der Luft flattern sehen, eigentlich bloße Lichtwesen flattern sehen, über ihre Farben, ihr Farbenspiel sich freuende Lichtwesen. Das andere ist Bekleidung und Gepäck. Man muß erst darauf kommen, aus was eigentlich die Wesen der Erdenumgebung bestehen, denn der äußere Schein täuscht.


aber macht sie ihn fähig, sich unbefangen ganz den Dingen hinzugeben; denn sie gibt ihm die Überzeugung, daß aus der Natur alles zu entnehmen ist, was der Geist von ihr nur wünschen kann.
Diejenigen, die heute so oberflächlich dies oder jenes gelernt haben, sagen wir aus morgenländischer Weisheit, die sprechen davon, daß die Welt Maja ist. Aber das ist nun wirklich nichts, wenn man sagt: die Welt ist Maja. Man muß in den Einzelheiten sehen, wie sie Maja ist. Maja versteht man, wenn man weiß, der Vogel schaut eigentlich gar nicht in seiner Wesenheit so aus, wie er außen erscheint, sondern er ist eIn warmes Luftwesen. Der Schmetterling schaut gar nicht so aus, wie er da erscheint, sondern er ist ein Lichtwesen, das da herumflattert, und das im wesentlichen eigentlich aus der Freude an dem Farbenspiel besteht, an jenem Farbenspiel, das an dem Schmetterlingsflügel entsteht, indem die irdische Staubmaterie vom Farbigen durchdrungen wird und dadurch auf der ersten Stufe der Vergeistigung hinaus ins geistige Weltenall, in den geistigen Kosmos ist.


Die höchste Anschauung befreit aber den Menschengeist auch von allem einseitigen Abhängigkeitsgefühl. Er fühlt sich durch ihren Besitz souverän im Reiche der sittlichen Weltordnung. Er weiß, daß die Triebkraft, die alles hervorbringt, in seinem Innern als in seinem eigenen Willen wirkt, und daß die höchsten Entscheidungen über Sittliches in ihm selbst liegen. Denn diese höchsten Entscheidungen fließen aus der Welt der sittlichen Ideen, bei deren Produktion die Seele des Menschen anwesend ist. Mag der Mensch im ein­zelnen sich beschränkt fühlen, mag er auch von tausend Dingen abhängig sein; im ganzen gibt er sich sein sittliches Ziel und seine sittliche Richtung. Das Wirksame aller übri­gen Dinge kommt im Menschen als Idee zur Erscheinung; das Wirksame im Menschen ist die Idee, die er selbst hervor­bringt. In jeder einzelnen menschlichen Individualität voll­zieht sich der Prozeß, der im Ganzen der Natur sich ab­spielt: die Schöpfung eines Tatsächlichen aus der Idee her­aus. Und der Mensch selbst ist der Schöpfer. Denn auf dem Grunde seiner Persönlichkeit lebt die Idee, die sich selbst einen Inhalt gibt. Über Goethe hinausgehend, muß man seinen Satz erweitern, die Natur sei «in dem Reichtum der Schöpfung so groß, nach tausendfältigen Pflanzen eine zu machen, worin alle übrigen enthalten sind, und nach tau­sendfältigen Tieren ein Wesen, das sie alle enthält, den Menschen». Die Natur ist in ihrer Schöpfung so groß, daß sie den Prozeß, durch den sie frei aus der Idee heraus alle Geschöpfe hervorbringt, in jedem Menschenindividuum
Sehen Sie, da haben Sie, ich möchte sagen, zwei Stufen: den Schmetterling, den Bewohner des Lichtäthers in unserer Erdenumgebung; den  


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wiederholt, indem die sittlichen Handlungen aus dem ideel­len Grunde der Persönlichkeit entspringen. Was der Mensch auch als objektiven Grund seines Handelns empfindet, es ist alles nur Umschreibung und zugleich Verkennung seiner eigenen Wesenheit. Sich selbst realisiert der Mensch in sei­nem sittlichen Handeln. In lapidaren Sätzen hat Max Stirner diese Erkenntnis in seiner Schrift «Der Einzige und sein Eigentum» ausgesprochen. «Eigner bin ich meiner Ge­walt, und ich bin es dann, wenn ich mich als Einzigen weiß. Im Einzigen kehrt selbst der Eigner in sein schöpferisches Nichts zurück, aus welchem er geboren wird. Jedes höhere Wesen über mir, sei es Gott, sei es der Mensch, schwächt das Gefühl meiner Einzigkeit und erbleicht erst vor der Sonne dieses Bewußtseins. Stell' ich auf mich, den Einzigen, meine Sache, dann steht sie auf dem vergänglichen, dem sterb­lichen Schöpfer seiner, der sich selbst verzehrt, und ich darf sagen: ich hab' mein Sach' auf Nichts gestellt.» Aber zu­gleich darf der Mensch zu diesem Stirnerschen Geist, wie Faust zu Mephistopheles sagen: «In deinem Nichts hoff' ich das All zu finden», denn in meinem Innern wohnt in individueller Bildung die Wirkungskraft, durch welche die Natur das All schafft. So lange der Mensch in sich diese Wir­kungskraft nicht geschaut hat, wird er sich ihr gegenüber erscheinen wie Faust dem Erdgeist gegenüber. Sie wird ihm stets die Worte zurufen: «Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!» Erst die Anschauung des tiefsten Innenlebens zaubert diesen Geist hervor, der von sich sagt:
Vogel, den Bewohner des Wärmeäthers in unserer Erdenumgebung. Und nun die dritte Sorte. Wenn wir herunterkommen in die Luft, da kommen wir dann zu jenen Wesen, welche in einer bestimmten Periode unserer Erdenevolution noch gar nicht da sein konnten, zum Beispiel in der Zeit, in der der Mond noch bei der Erde war, in der der Mond sich noch nicht von der Erde getrennt hatte. Da kommen wir zu Wesen, die zwar auch Luftwesen sind, das heißt, in der Luft leben, aber eigentlich schon durchaus hart berührt sind von dem, was der Erde eigentümlich ist, von der Erdenschwere. Der Schmetterling ist noch gar nicht von der Erdenschwere berührt. Der Schmetterling flattert freudig im Lichtäther und fühlt sich selber als ein Geschöpf, aus dem Lichtäther heraus geboren. Der Vogel überwindet die Schwere, indem er die Luft in seinem Inneren erwärmt, dadurch warme Luft ist, und warme Luft wird von der kalten Luft getragen. Er überwindet noch die Erdenschwere.


In Lebensfluten, im Tatensturm
Diejenigen Tiere, welche zwar ihrer Abstammung gemäß noch in der Luft leben müssen, aber die Erdenschwere nicht überwinden können, weil sie nicht hohle Knochen haben, sondern markerfüllte Knochen, weil sie auch nicht solche Luftsäcke haben wie die Vögel, diese Tiere sind die Fledermäuse.


Wall' ich auf und ab,  
Die Fledermäuse sind ein ganz merkwürdiges Tiergeschlecht. Die Fledermäuse überwinden gar nicht durch das Innere ihres Körpers die Schwere der Erde. Sie sind nicht lichtleicht wie der Schmetterling, sie sind nicht wärmeleicht wie der Vogel, sie unterliegen schon der Schwere der Erde und fühlen sich auch schon in ihrem Fleisch und Bein. Daher ist den Fledermäusen dasjenige Element, aus dem zum Beispiel der Schmetterling besteht, in dem der Schmetterling ganz und gar lebt, dieses Element des Lichtes, unangenehm. Sie lieben die Dämmerung. Sie müssen die Luft benützen, aber sie haben die Luft am liebsten, wenn die Luft nicht das Licht trägt. Sie übergeben sich der Dämmerung. Sie sind eigentlich Dämmerungstiere. Die Fledermäuse können sich nur dadurch in der Luft halten, daß sie, ich möchte sagen, die etwas karikaturhaft aussehenden Fledermausflügel haben, die ja gar nicht wirkliche Flügel sind, sondern ausgespannte Häute, zwischen den verlängerten Fingern ausgespannte Häute, Fallschirme. Dadurch halten sie sich in


Webe hin und her!
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der Luft. Dadurch überwinden sie, indem sie der Schwere selber etwas, was mit dieser Schwere zusammenhängt, als Gegengewicht entgegen- stellen, die Schwere. Aber sie sind dadurch ganz in den Bereich der Erdenkräfte hereingespannt. Man kann niemals eigentlich nach den physikalisch-mechanischen Konstruktionen den Schmetterlingsflug so ohne weiteres konstruieren, auch den Vogelflug nicht. Es wird niemals vollständig stimmen. Man muß da etwas hineinbringen, das andere Konstruktionen noch enthält. Aber den Fledermausflug, den können Sie durchaus mit irdischer Dynamik und Mechanik konstruieren.


Geburt und Grab,
Die Fledermaus liebt nicht das Licht, die lichtdurchdrungene Luft, sondern höchstens die vom Lichte etwas durchspielte Dämmerungsluft. Die Fledermaus unterscheidet sich dadurch von dem Vogel, daß der Vogel, wenn er schaut, eigentlich immer das im Auge hat, was in der Luft ist. Selbst der Geier, wenn er das Lamm sieht, empfindet das so, daß das Lamm etwas ist, was am Ende des Luftkreises ist, wenn er von oben sieht, was wie an die Erde angemalt ist. Und außerdem ist es kein bloßes Sehen, es ist ein Begehren, was Sie wahrnehmen werden, wenn Sie den Geierflug, der auf das Lamm gerichtet ist, wirklich ansehen, der eine ausgesprochene Dynamik des Wollens, des Willens, des Begehrens ist.


Ein ewiges Meer,
Der Schmetterling sieht überhaupt, was auf der Erde ist, so wie im Spiegel; für den Schmetterling ist die Erde ein Spiegel. Er sieht das, was im Kosmos ist. Wenn Sie den Schmetterling flattern sehen, dann müssen Sie sich eigentlich vorstellen: die Erde, die beachtet er nicht, die ist ein Spiegel. Die Erde spiegelt ihm dasjenige, was im Kosmos ist. Der Vogel sieht nicht das Irdische, aber er sieht das, was in der Luft ist.


Ein wechselnd Weben,
Die Fledermaus erst fängt an, dasjenige wahrzunehmen, was sie durchfliegt, oder an dem sie vorbeifliegt. Und da sie das Licht nicht liebt, so ist sie eigentlich von all dem, was sie sieht, unangenehm berührt. Man kann schon sagen, der Schmetterling und der Vogel sehen auf eine sehr geistige Art. Das erste Tier von oben herunter, das auf irdische Art sehen muß, ist unangenehm von diesem Sehen berührt. Die Fledermaus hat das Sehen nicht gerne, und sie hat daher etwas, ich möchte sagen wie verkörperte Angst vor dem, was sie sieht und nicht sehen will. Sie möchte so vorbeihuschen an den Dingen: sehen müssen und nicht sehen


Ein glühend Leben,
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So schaff' ich am sausenden Webstuhl der Zeit
wollen - da möchte sie sich so überall vorbeidrücken. Deshalb, weil sie sich so vorbeidrücken möchte, möchte sie auf alles so wunderbar hinhören. Die Fledermaus ist tatsächlich ein Tier, das dem eigenen Flug fortwährend zuhört, ob dieser Flug nicht irgendwie gefährdet wird.


Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
Sehen Sie sich die Fledermausohren an. Sie können es den Fledermausohren ansehen, daß sie auf Weltenangst gestimmt sind. Das sind sie, diese Fledermausohren. Das sind ganz merkwürdige Gebilde, sie sind richtig aufs Hinschleichen durch die Welt, auf Weltenangst gestimmt. Das alles versteht man erst, wenn man die Fledermaus in diesem Zusammenhange betrachtet, in den wir sie jetzt hineinstellen.


Ich habe in meiner «Philosophie der Freiheit» darzustel­len versucht, wie die Erkenntnis, daß der Mensch in seinem Tun auf sich selbst gestellt ist, hervorgeht aus dem inner­sten Erlebnis, aus der Anschauung der eigenen Wesenheit. Stirner hat 1844 die Ansicht verteidigt, daß der Mensch, wenn er sich wahrhaft versteht, nur in sich selbst den Grund für seine Wirksamkeit sehen könne. Bei ihm geht aber diese Erkenntnis nicht aus der Anschauung des innersten Erleb­nisses, sondern aus dem Gefühle der Freiheit und Ungebun­denheit gegenüber allen Zwang heischenden Weltmächten hervor. Stirner bleibt bei der Forderung der Freiheit stehen; er wird auf diesem Gebiete zu der denkbar schroffsten Be­tonung der auf sich selbst gestellten Menschennatur ge­führt. Ich versuche auf breiterer Basis das Leben in der Freiheit zu schildern, indem ich zeige, was der Mensch er­blickt, wenn er auf den Grund seiner Seele sieht. Goethe ist bis zu der Anschauung der Freiheit nicht gekommen, weil er eine Abneigung gegen die Selbsterkenntnis hatte. Wäre das nicht der Fall gewesen, so hätte die Erkenntnis des Men­schen als einer freien, auf sich selbst gegründeten Persön­lichkeit die Spitze seiner Weltanschauung bilden müssen. Die Keime zu dieser Erkenntnis treten uns bei ihm überall entgegen; sie sind zugleich die Keime seiner Naturansicht.
Da müssen wir noch etwas sagen. Der Schmetterling gibt fortwährend vergeistigte Materie an den Kosmos ab, und er ist der Liebling der Saturnwirkungen. Nun erinnern Sie sich daran, wie ich hier ausgeführt habe, daß der Saturn der große Träger des Gedächtnisses unseres Planetensystems ist. Der Schmetterling hängt ganz zusammen mit dem Erinnerungsvermögen unseres Planeten. Das sind die Erinnerungsgedanken, die im Schmetterling leben. Der Vogel - ich habe Ihnen das auch schon ausgeführt - ist im Ganzen eigentlich ein Kopf, und in dieser durchwärmten Luft, die er durchfliegt durch den Weltenraum, ist er eigentlich der lebendig fliegende Gedanke. Was wir in uns als Gedanken haben, was ja auch zusammenhängt mit dem Wärmeäther, ist die Vogelnatur, die Adlernatur in uns. Der Vogel ist der fliegende Gedanke. Die Fledermaus aber ist der fliegende Traum, das fliegende Traumbild des Kosmos. So daß Sie sagen können: Die Erde ist umwoben von den Schmetterlingen: sie sind die kosmische Erinnerung; und von dem Vogelgeschlechte: es ist das kosmische Denken; und von der Fledermaus: sie ist der kosmische Traum, das kosmische Träumen. Es sind in der Tat die fliegenden Träume des Kosmos, die als Fledermäuse den Raum durchsausen. Wie der Traum das Dämmerlicht liebt, so liebt der Kosmos das Dämmerlicht, indem er die Fledermaus durch den Raum schickt. Die dauernden Gedanken der Erinnerung, sie sehen wir verkörpert in dem Schmetterlingsgürtel der Erde; die in der Gegenwart lebenden Gedanken in dem Vogelgürtel der Erde; die Träume in der Umgebung der Erde fliegen verkörpert als Fledermäuse herum. Fühlen Sie doch, wenn wir uns so recht in ihre Form vertiefen, wie verwandt


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Innerhalb seiner eigentlichen Naturstudien spricht Goethe nirgends von unerforschlichen Gründen, von verborgenen Triebkräften der Erscheinungen. Er begnügt sich damit, die Erscheinungen in ihrer Folge zu beobachten und sie mit Hilfe derjenigen Elemente zu erklären, die sich den Sinnen und dem Geiste bei der Beobachtung offenbaren. Am 5. Mai 1786 schreibt er in diesem Sinne an Jacobi, daß er den Mut habe, sein «ganzes Leben der Betrachtung der Dinge zu widmen, die er reichen» und von deren Wesenheit er sich « eine adäquate Idee zu bilden hoffen kann», ohne sich im mindesten zu bekümmern, wie weit er kommen werde und was ihm zugeschnitten ist. Wer sich dem Göttlichen in dem einzelnen Naturdinge zu nähern glaubt, der braucht sich nicht mehr eine besondere Vorstellung von einem Gotte zu bilden, der außer und neben den Dingen existiert. Nur wenn Goethe das Gebiet der Natur verläßt, dann hält auch sein Gefühl für die Wesenheit der Dinge nicht mehr stand. Dann führt ihn der Mangel an menschlicher Selbsterkenntnis zu Behauptungen, die weder mit seiner ihm angeborenen Denkweise, noch mit der Richtung seiner Naturstudien zu vereinigen sind. Wer Neigung hat, sich auf solche Behaup­tungen zu berufen, der mag annehmen, daß Goethe an einen menschenähnlichen Gott und eine individuelle Fortdauer derjenigen Lebensform der Seele geglaubt hat, die an die Bedingungen der physischen Leibesorganisation ge­bunden ist. Mit Goethes Naturstudien steht ein solcher Glaube im Widerspruch. Sie hätten nie die Richtung neh­men können, die sie genommen haben, wenn sich Goethe bei ihnen von diesem Glauben hätte bestimmen lassen. Im Sinne seiner Naturstudien liegt es durchaus, das Wesen der menschlichen Seele so zu denken, daß diese nach der Ablegung
dieses Anschauen einer Fledermaus mit dem Träumen ist! Eine Fledermaus kann man gar nicht anders ansehen, als daß einem der Gedanke kommt: du träumst doch; das ist doch eigentlich etwas, was nicht da sein sollte, was so heraus ist aus den übrigen Naturgeschöpfen, wie der Traum heraus ist aus der gewöhnlichen physischen Wirklichkeit.


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Wir können also sagen: Der Schmetterling sendet die vergeistigte Substanz in das Geisterland hinein während seines Lebens; der Vogel sendet sie hinaus nach seinem Tode. Was macht nun die Fledermaus? Die Fledermaus sondert die vergeistigte Substanz, insbesondere jene vergeistigte Substanz, welche in den gespannten Häuten zwischen den einzelnen Fingern lebt, ab während ihrer Lebenszeit, übergibt sie aber nicht dem Weltenall, sondern sondert sie in der Erdenluft ab. Dadurch entstehen fortwährend, ich` möchte sagen, Geistperlen in der Erdenluft. Und so haben wir umgeben die Erde mit diesem kontinuierlichen Glimmen der ausströmenden Geistmaterie des Schmetterlings, hineinsprühend dasjenige, was von den sterbenden Vögeln kommt, aber zurück- strahlend nach der Erde die eigentümlichen Einschlüsse der Luft, da wo die Fledermäuse absondern das, was sie vergeistigen. Das sind die Geistgebilde, die man immer schaut, wenn man eine Fledermaus fliegen sieht. Tatsächlich hat sie immer wie ein Komet etwas wie einen Schwanz hinter sich. Sie sondert Geistmaterie ab, schickt sie aber nicht fort, sondern stößt sie zurück in die physische Erdenmaterie. In die Luft hinein stößt sie sie zurück. Ebenso wie man mit dem physischen Auge die physische Fledermaus flattern sieht, so kann man flattern sehen durch die Luft diese entsprechenden Geistgebilde der Fledermäuse; die sausen durch den Luftraum. Und wenn wir wissen: die Luft besteht aus Sauerstoff, Stickstoff und anderen Bestandteilen, so ist das nicht alles; sie besteht außerdem aus dem Geisteinfluß der Fledermäuse.


des Leibes in einer übersinnlichen Daseinsform lebt. Diese Daseinsform bedingt, daß ihr durch die andern Le­bensbedingungen auch eine andere Bewußtseinsart eigen wird als die ist, die sie durch den physischen Leib hat. So führt die Goethesche Metamorphosenlehre auch zu der Anschauung von Metamorphosen des Seelenlebens. Aber man wird diese Goethesche Unsterblichkeitsidee nur recht ins Auge fassen können, wenn man weiß, daß Goethe zu einer unmetamorphosierten Fortsetzung desjenigen Gei­steslebens, das durch den physischen Leib bedingt ist, durch seine Weltanschauung nicht hat geführt werden können. Weil Goethe in dem hier angedeuteten Sinn eine Anschau­ung des Gedankenlebens nicht versuchte, wurde er auch im Fortgang seiner Lebensführung nicht dazu veranlaßt, die­jenige Unsterblichkeitsidee besonders auszugestalten, wel­che die Fortsetzung seiner Metamorphosengedanken wäre. Diese Idee aber wäre in Wahrheit dasjenige, was in Bezug auf dieses Erkenntnisgebiet aus seiner Weltanschauung folgte. Was er im Hinblick auf die Lebensansicht dieses oder jenes Zeitgenossen, oder aus anderer Veranlassung als Aus­druck einer persönlichen Empfindung gab, ohne dabei an den Zusammenhang mit seiner an den Naturstudien ge­wonnenen Weltanschauung zu denken, darf nicht als cha­rakteristisch für Goethes Unsterblichkeitsidee angeführt werden.
So sonderbar und paradox das klingt: dieses Traumgeschlecht der Fledermäuse sendet kleine Gespenster in die Luft herein, die sich dann vereinigen zu einer gemeinsamen Masse. Man nennt in der Geologie das, was unterhalb der Erde ist und noch eine Gesteinsmasse ist, die breiweich ist, Magma. Man könnte von einem Geistmagma in der Luft sprechen, das von den Ausflüssen der Fledermäuse herrührt.


Für die Wertung eines Goetheschen Ausspruches im Ge­samtbilde seiner Weltanschauung kommt auch in Betracht, daß die Stimmung seiner Seele in seinen verschiedenen Le­bensaltern solchen Aussprüchen besondere Nuancen gibt. Dieses Wandels in der Ausdrucksform seiner Ideen war er sich voll bewußt. Als Förster die Ansicht aussprach, die
Gegen dieses Geistmagma waren in alten Zeiten, in denen es instink-


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Lösung des Faust-Problems werde sich aus dem Worte er­geben: «Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewußt» entgegnete Goethe:
tives Hellsehen gegeben hat, die Menschen sehr empfindlich, geradeso wie heute noch manche Leute gegen Materielleres, zum Beispiel schlechte Düfte, empfindlich sind; nur daß man das als etwas, ich möchte sagen, mehr Plebejisches ansehen könnte, während in der alten instinktiven Hellseherzeit die Menschen empfindlich waren für das, was als Fledermausrest in der Luft vorhanden ist.


«Das wäre ja Aufklärung: Faust endet als Greis, und im Greisenalter werden wir Mystiker»(aus Försters Nachlaß, S.216). Und in den Prosasprüchen lesen wir: «Jedem Alter des Menschen antwortet eine gewisse Philosophie. Das Kind erscheint als Realist; denn es findet sich so überzeugt von dem Dasein der Birnen und Äpfel als von dem seinigen. Der Jüngling, von inneren Leidenschaften bestürmt, muß auf sich selbst merken, sich vorfühlen, er wird zum Ideali­sten umgewandelt. Dagegen ein Skeptiker zu werden, hat der Mann alle Ursache; er tut wohl zu zweifeln, ob das Mittel, das er zum Zwecke gewählt hat, auch das rechte sei. Vor dem Handeln, im Handeln hat er alle Ursache, den Ver­stand beweglich zu erhalten, damit er nicht nachher sich über eine falsche Wahl zu betrüben habe. Der Greis jedoch wird sich immer zum Mystizismus bekennen; er sieht, daß so vieles vom Zufall abzuhängen scheint; das Unvernünf­tige gelingt, das Vernünftige schlägt fehl, Glück und Un­glück stellen sich unerwartet ins gleiche; so ist es, so war es, und das hohe Alter beruhigt sich in dem, der da ist, der da war und der da sein wird» (Kürschner, Band 36,2 S. 454).
Dagegen haben sie sich geschützt. Und in manchen Mysterien gab es ganz besondere Formeln, durch die sich die Menschen innerlich versperrten, damit dieser Fledermausrest keine Gewalt über sie habe. Denn als Menschen atmen wir mit der Luft nicht bloß den Sauerstoff und den Stickstoff ein, wir atmen auch diese Fledermausreste ein. Nur ist die heutige Menschheit nicht darauf aus, sich vor diesen Fledermausresten schützen zu lassen, sondern während sie unter Umständen recht empfindlich ist, ich will sagen für Gerüche, ist sie höchst unempfindlich für Fledermausreste. Die verschluckt sie, man kann schon sagen, ohne daß sIe auch nur irgend etwas von Ekel dabei empfindet. Es ist ganz merkwürdig: Leute, die sonst recht zimperlich sind, verschlucken das, von dem ich hier spreche, was das Zeug hält. Aber das geht dann auch in den Menschen hinein. Es geht nicht in den physischen und in den Ätherleib, aber es geht in den Astralleib hinein.


Ich habe in dieser Schrift die Weltanschauung Goethes im Auge, aus der seine Einsichten in das Leben der Natur hervorgewachsen sind und welche die treibende Kraft in ihm war von der Entdeckung des Zwischenknochens beim Menschen bis zur Vollendung der Farbenlehre. Und ich glaube gezeigt zu haben, daß diese Weltanschauung voll­kommener der Gesamtpersönlichkeit Goethes entspricht, als die Zusammenstellung von Aussprüchen, bei denen man
Ja, Sie sehen, wir kommen da zu merkwürdigen Zusammenhängen. InitiatIonswissenschaft führt eben überall in das Innere der Zusammenhänge hinein: diese Fledermausreste sind die begehrteste Nahrung dessen, was ich Ihnen in den Vorträgen hier geschildert habe als den Drachen. Nur müssen sie zuerst in den Menschen hineingeatmet werden, diese Fledermausreste. Und der Drache hat seine besten Anhaltspunkte in der menschlichen Natur, wenn der Mensch seine Instinkte durchsetzt sein läßt von diesen Fledermausresten. Die wühlen da drinnen. Und die frißt der Drache und wird dadurch fett, natürlich geistig gesprochen, und bekommt Gewalt über den Menschen, bekommt Gewalt in der mannigfaltigsten Weise. Und da ist es so, daß auch der heutige Mensch sich wiederum schützen muß. Der Schutz soll kommen von dem, was hier geschildert worden ist als die neue Form des Streites des Michael mit dem Drachen. Was der Mensch an innerer Erkraftung gewinnt, wenn er den Michael-Impuls so aufnimmt, wie es hier geschildert wor-


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vor allem Rücksicht nehmen müßte, wie solche Gedanken gefärbt sind, durch die Stimmung seiner Jugend- oder sei­ner Altersepoche. Ich glaube, Goethe hat in seinen Naturstudien, wenn auch nicht geleitet von einer klaren, ideengemäßen Selbsterkenntnis, so doch von einem richtigen Gefühle, eine freie, aus dem wahren Verhältnis der mensch­lichen Natur zur Außenwelt fließende Verfahrungsweise beobachtet. Goethe ist sich selbst darüber klar, daß in sei­ner Denkweise etwas Unvollendetes liegt: «Ich war mir edler, großer Zwecke bewußt, konnte aber niemals die Be­dingungen begreifen, unter denen ich wirkte; was mir mangelte, merkte ich wohl, was an mir zu viel sei, gleichfalls; deshalb unterließ ich nicht mich zu bilden, nach außen und von in­nen. Und doch blieb es beim alten. Ich verfolgte jeden Zweck mit Ernst, Gewalt und Treue; dabei gelang mir oft, widerspenstige Bedingungen vollkommen zu überwinden, oft aber auch scheiterte ich daran, weil ich nachgeben und umgehen nicht lernen konnte. Und so ging mein Leben hin unter Tun und Genießen, Leiden und Widerstreben, unter Liebe, Zufriedenheit, Haß und Mißfallen anderer. Hieran spiegele sich, dem das gleiche Schicksal geworden.»
den ist, das schützt ihn gegen die Nahrung, die der Drache bekommen soll; dann schützt er sich gegen den ungerechtfertigten Fledermausrest Innerhalb der Atmosphäre.


= DIE ANSCHAUUNGEN ÜBER NATUR UND ENTWICKLUNG DER LEBEWESEN =
Man darf eben nicht zurückschrecken davor, die Wahrheiten aus dem inneren Weltenzusammenhang hervorzuholen, wenn man wirklich in diesen inneren Weltenzusammenhang eindringen will. Denn diejenige Form des Wahrheitssuchers, die heute die allgemein anerkannte ist, die führt eben zu gar nichts Wirklichem, sondern zumeist nur zu etwas nicht einmal Geträumtem, eben zur Maja. Die Wirklichkeit muß durchaus auf dem Gebiete gesucht werden, wo man auch alles physische Dasein durchspielt sieht von geistigem Dasein. Da kann man an die Wirklichkeit nur herandringen, wenn man sie so betrachtet, wie es nun in diesen Vorträgen geschieht.
<nowiki>#</nowiki>G006-1963-SE099 - Goethes Weltanschauung


<nowiki>#</nowiki>TI
Zu irgend etwas Gutem oder zu irgend etwas Bösem sind die Wesen vorhanden, die irgendwo vorhanden sind. Alles steht so imWeltenzusammenhang drinnen, daß man erkennen kann, wie es mit den anderen Wesen zusammenhängt. Für den materialistisch Gesinnten flattern die Schmetterlinge, fliegen die Vögel, flattern die Flattertiere, die Fledermäuse. Aber da ist es fast so, wie es manchmal bei einem nicht sehr kunstsinnigen Menschen ist, wenn er sich sein Zimmer voll hängt mit allem möglichen Bilderzeugs, das nicht zusammengehört, das keinen inneren Zusammenhang hat. So hat für den gewöhnlichen Weltenbetrachter das, was da durch die Welt fliegt, auch keinen Inneren Zusammenhang, weil er keinen sieht. Aber alles im Kosmos steht an seiner Stelle, weil es von dieser Stelle aus eben einen inneren Zusammenhang mit der Totalität des Kosmos hat. Ob Schmetterling, ob Vogel, ob Fledermaus, alles steht mit irgendeinem Sinn in der Welt darinnen.


DIE ANSCHAUUNGEN ÜBER NATUR UND ENTWICKLUNG DER LEBEWESEN
Mögen diejenigen, die solches heute verspotten wollen, mögen sie es verspotten. Die Menschen haben sich in bezug auf das Verspotten schon anderes geleistet. Berühmte Akademien haben das Urteil abgegeben: es kann keine Meteorsteine geben, weil Eisen nicht vom Himmel fallen kann und so weiter. Warum sollen die Menschen nicht auch spotten über die Funktionen der Fledermäuse, von denen ich heute gesprochen habe? Das alles darf aber nicht beirren darin, tatsächlich unsere Zivilisation zu durchziehen mit der Erkenntnis des Geistigen.


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DIE METAMORPHOSENLEHRE
= SECHSTER VORTRAG Dornach, 28. Oktober 1923 =


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Ehe wir nun dazu kommen, die übrigen mit dem Menschen im Erdendasein verbundenen Tier-, Pflanzen-, Mineralwesen zu betrachten, müssen wir heute einen Blick auf die Entwickelung des Menschen selber werfen, uns einiges vor die Seele stellen, das ja aus den verschiedenen


Man kann Goethes Verhältnis zu den Naturwissenschaften nicht verstehen, wenn man sich bloß an die Einzelentdec­kungen hält, die er gemacht hat. Ich sehe als leitenden Ge­sichtspunkt für die Betrachtung dieses Verhältnisses die Worte an, die Goethe am 18. August 1787 von Italien aus an Knebel gerichtet hat: «Nach dem, was ich bei Neapel, in Sizilien von Pflanzen und Fischen gesehen habe, würde ich, wenn ich zehn Jahre jünger wäre, sehr versucht sein, eine Reise nach Indien zu machen, nicht um etwas Neues zu ent­decken, sondern um das Entdeckte nach meiner Art anzusehen.» Auf die Art, wie Goethe die ihm bekannten Naturerschei­nungen in einer seiner Denkungsart gemäßen Naturansicht zusammengefaßt hat, scheint es mir anzukommen. Wenn alle die Einzelentdeckungen, die ihm gelungen sind, schon vor ihm gemacht gewesen wären, und er uns nichts als seine Na­turansicht gegeben hätte, so schmälerte dies die Bedeutung seiner Naturstudien nicht im geringsten. Ich bin mit Du Bois-­Reymond einer Meinung darüber, daß « auch ohne Goethe die Wissenschaft überhaupt so weit wäre, wie sie ist», daß die ihm gelungenen Schritte früher oder später andere ge­tan hätten. (Goethe und kein Ende, S.1) Ich kann diese Worte nur nicht, wie es Du Bois-Reymond tut, auf den gan­zen Umfang von Goethes naturwissenschaftlichen Arbei­ten beziehen. Ich beschränke sie auf die in ihrem Verlaufe gemachten Einzelentdeckungen. Keine einzige derselben würde uns wahrscheinlich heute fehlen, wenn Goethe sich nie mit Botanik, mit Anatomie usw. beschäftigt hätte. Seine Naturansicht aber ist ein Ausfluß seiner Persönlichkeit; kein anderer hätte zu ihr kommen können. Ihn interessier­ten
Darlegungen, die ich mündlich oder schriftlich gegeben habe, bekannt ist, das aber einmal in einer übersichtlichen Weise hier zusammengestellt werden muß.


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Wenn wir uns heute von der äußeren Wissenschaft belehren lassen wollen, dann ist die Sache gewöhnlich so, daß gesagt wird, man müsse untersuchen, wie die höheren, sogenannten höheren Wesenheiten, sagen wir des Pflanzen reiches, dann des Tierreiches, des Menschenreiches sich entwickelt haben aus den leblosen, aus den sogenannten unorganischen Stoffen oder Kräften.


auch nicht die Einzelentdeckungen. Sie drängten sich ihm während seiner Studien von selbst auf, weil über die Tatsachen, die sie betreffen, zu seiner Zeit Ansichten Gel­tung hatten, die unvereinbar mit seiner Art, die Dinge zu betrachten, waren. Hätte er mit dem, was die Naturwissen­schaft ihm überlieferte, seine Anschauung aufbauen kön­nen: so würde er sich nie mit Detailstudien beschäftigt haben. Er mußte ins Einzelne gehen, weil das, was ihm über das Einzelne von den Naturforschern gesagt wurde, seinen Forderungen nicht entsprach. Und nur wie zufällig ergaben sich bei diesen Detailstudien die Einzelentdeckun­gen. Ihn beschäftigte zunächst nicht die Frage: ob der Mensch wie die übrigen Tiere einen Zwischenkieferknochen in der oberen Kinnlade habe. Er wollte den Plan entdecken, nach dem die Natur die Stufenfolge der Tiere und auf der Höhe dieser Stufenfolge den Menschen bildet. Das gemein­same Urbild, das allen Tiergattungen und zuletzt in seiner höchsten Vollkommenheit auch der Menschengattung zu Grunde liegt, wollte er finden. Die Naturforscher sagten ihm: es besteht ein Unterschied im Bau des tierischen und des menschlichen Körpers. Die Tiere haben in der oberen Kinnlade den Zwischenknochen, der Mensch habe ihn nicht. Seine Ansicht war, daß sich der menschliche phy­sische Bau nur dem Grade der Vollkommenheit nach von dem tierischen unterscheiden könne, nicht aber in Einzel­heiten. Denn, wenn das letztere der Fall wäre, könnte nicht ein gemeinsames Urbild der tierischen und der mensch­lichen Organisation zu Grunde liegen. Er konnte mit der Behauptung der Naturforscher nichts anfangen. Des­halb suchte er nach dem Zwischenknochen bei dem Men­schen und fand ihn. Ähnliches ist bei allen seinen Einzelentdeckungen
Die wirkliche Anschauung der Evolution ergibt etwas wesentlich anderes. Die ergibt, wie Sie schon aus meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» entnehmen können, daß der Mensch, so wie er heute vor uns steht, dasjenige Wesen ist, welches die längste Entwickelung hinter sich hat, dessen Entwickelung zurückgeht bis in die alte Saturnzeit. So daß


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wir also sagen müssen: Der Mensch ist das älteste Geschöpf innerhalb unserer Erdenentwickelung. Erst während der Sonnenzeit ist die Tierheit dazugekommen, während der Mondenzeit die Pflanzenheit; und das mineralische Reich, wie wir es heute haben, ist eigentlich erst ein Erdenergebnis, ist erst während der Erdenentwickelung dazugekommen.


zu beobachten. Sie sind ihm nie Selbstzweck. Sie müssen gemacht werden, um seine Vorstellungen über die Naturerscheinungen als berechtigt erscheinen zu lassen.
Nun wollen wir einmal den Menschen in seiner heutigen Gestalt ansehen und uns fragen: Was ist denn entwickelungsgeschichtlich am Menschen selber der älteste Teil? Das ist das menschliche Haupt. Dieses menschliche Haupt hat seine erste Anlage empfangen in der Zeit, als die Erde eben noch in der Saturnmetamorphose war. Allerdings, die Saturnmetamorphose war lediglich aus Wärmesubstanz bestehend, und das menschliche Haupt war eigentlich wallende, webende, wogende Wärme, hat dann luftförmige Form angenommen während der Sonnenzeit,


Im Gebiete der organischen Naturerscheinungen ist das Bedeutsame in Goethes Ansicht die Vorstellung, die er vom Wesen des Lebens aus bildete. Nicht auf die Betonung der Tat­sache, daß Blatt, Kelch, Krone usw. Organe an der Pflanze sind, die miteinander identisch sind, und sich aus einem gemeinschaftlichen Grundgebilde entwickeln, kommt es an. Sondern darauf, welche Vorstellung Goethe von dem Ganzen der Pflanzennatur als einem Lebendigen hatte und wie er sich das Einzelne aus diesem Ganzen hervorge­hend dachte. Seine Idee von dem Wesen des Organismus ist seine ureigenste zentrale Entdeckung im Gebiete der Bio­logie zu nennen. Daß sich in der Pflanze, in dem Tiere etwas anschauen lasse, was der bloßen Sinnenbeobachtung nicht zugänglich ist, war Goethes Grundüberzeugung. Was das leibliche Auge an dem Organismus beobachten kann, scheint Goethe nur die Folge zu sein des lebendi­gen Ganzen durcheinander wirkender Bildungsgesetze, die dem geistigen Auge allein zugänglich sind. Was er mit dem geistigen Auge an der Pflanze, an dem Tier erschaut, das hat er beschrieben. Nur wer ebenso wie er zu sehen fähig ist, kann seine Idee von dem Wesen des Organismus nachdenken. Wer bei dem stehen bleibt, was die Sinne und das Experi­ment liefern, der kann Goethe nicht verstehen. Wenn wir seine beiden Gedichte lesen «Die Metamorphose der Pflan­zen» und «Die Metamorphose der Tiere», so scheint es zu­nächst, als ob die Worte uns nur von einem Glied des Or­ganismus zum andern führten, als ob bloß äußerlich Tat­sächliches verknüpft werden sollte. Wenn wir uns aber
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hat flüssige Form angenommen, war also ein flüssig verrinnendes Wesen während der Mondenzeit, und hat die feste Gestalt mit dem Knocheneinschluß erhalten während der Erdenzeit, so daß wir also
sagen müssen: Ein Wesen, von dem heute allerdings mit äußeren Erkenntnissen schwer eine Vorstellung zu gewinnen ist, war vorhanden in der alten Saturnzeit, ein Wesen, dessen Nachkomme das menschliche Haupt ist. Gleichzeitig mit dieser Hauptesbildung des Menschen - das können Sie ja aus meinen letzten Darlegungen entnehmen -, mit dieser Hauptesanlage des Menschen sind während der alten Saturnzeit die Anlagen entstanden zu dem Schmetterlingswesen. Wir werden später das andere Insektenwesen noch genauer betrachten; halten wir zunächst an dem Schmetterlingswesen fest. So daß wir die Entwickelung von der alten Saturnzeit bis heute, bis in das Erdendasein verfolgen können und dann sagen müssen: Da bildet sich in einer feinen substantiellen Form der Menschenkopf in seiner Anlage; da bildet sich alles das, was die Luft durchschwirrt als Schmetterlingswesen. - Beide Evolutionen gehen weiter. Der Mensch verinnerlicht sich, so daß er immer mehr und mehr ein Wesen wird, welches die Offenbarung eines Seelischen ausdrückt, das von innen nach außen geht, schematisch etwa so dargestellt: ein Wesen, das sich von innen nach außen strahlend entwickelt (Tafel III, links oben). Das Schmetterlingswesen dagegen, das ist ein Wesen, an dessen Außenseite der KOsmos, ich möchte sagen, all seine Schönheiten ablädt. Ein Wesen ist der Schmetterling, das gewissermaßen mit seInem Flügelstaub angeflogen bekommen hat alles, was an Schönheit und Majestät im Kosmos in der Art vorhanden ist, wie ich es Ihnen dargestellt habe. Wir müssen also das Schmetterlingswesen uns so vorstellen, daß es gewissermaßen ein Spiegelbild der Schönheiten des oberen Kosmos ist. Während der Mensch in sich aufnimmt, in sich verschließt das, was oberer Kosmos ist, innerlich seelisch wird, seelisch wie die Konzentration des Kosmos, die dann nach außen ausstrahlt und sich im Menschenhaupt die Form gibt, so daß wir im Menschenhaupt etwas von Innen nach außen Gebildetes haben, haben wir im Schmetterlingswesen das von außen nach innen Gebildete. Und es ist schon für denjenigen, der diese Dinge sehermäßig betrachtet, so, daß er eigentlich ein Ungeheures lernt, wenn er in der folgenden Art zu Werke geht,


durchdringen mit dem, was Goethe als Idee des Lebewe­sens vorschwebt, dann fühlen wir uns in die Sphäre des Le­bendig-Organischen versetzt, und aus einer zentralen Vor­stellung wachsen die Vorstellungen über die einzelnen Organe hervor.
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wenn er sagt: Ich will die Geheimnisse, die ältesten Geheimnisse, die Saturngeheimnisse des menschlichen Hauptes ergründen, ich will wissen, was da innerhalb der Hirnschale eigentlich für Kräfte gewaltet haben. - Er muß sich hinweisen lassen auf das, was man äußerlich überall sieht, was äußerlich überall einstrahlt, und das Schmetterlingswesen studieren. Um deine eigenen Haupteswunder kennenzulernen, studiere die Wunder, wie der Schmetterling draußen in der Natur wird: das ist etwa die große Lehre, welche der sehermäßigen Beobachtung der Kosmos gibt. dann die Evolution vor von der Saturnzeit zur Sonnenzeit, dann entsteht ein Wesen, das eine weitere Ausbildung, eine Luftumbildung, eine Luftmetamorphose des Hauptes hat; aber es gliedert sich an In eIner feinen Substanz, was dann später zu den Brustgebilden, zu den Atmungs- und Herzgebilden des Menschen wird. Also hier - Im Saturn - haben wir noch wesentlich diejenige Metamorphose, welche das menschliche Haupt darstellt. Aber das ist natürlich die spätere Form. Kommen wir zur Sonnenzeit herauf, so haben wir den KopfBrustmenschen; es gliedert sich an, was nun Brust des Menschen ist. Gleichzeitig aber entsteht schon in der letzten Saturn- und in der ersten Sonnenzeit dasjenige, für das wir nun den Repräsentanten zu sehen haben im Adler. Es entsteht das Vogelgeschlecht in der ersten Sonnenzeit, und es entstehen in der zweiten Sonnenzeit die ersten Anlagen derjenigen Tiergeschlechter, welche eigentliche Brusttiere sind, wie der Löwe zum Beispiel - als Repräsentant der Löwe, aber auch andere Brusttiere. So daß die ersten Anlagen dieser Tiere zurückgehen bis in die alte Sonnenzeit.


Als Goethe anfing, selbständig über die Erscheinungen der Natur nachzusinnen, nahm vor allem andern der Begriff des Lebens seine Aufmerksamkeit in Anspruch. In einem Briefe aus der Straßburger Zeit vom 14. Juli 1770 schreibt er von einem Schmetterling: «Das arme Tier zittert im Netz, streift sich die schönsten Farben ab; und wenn man es ja unver­sehrt erwischt, so steckt es doch endlich steif und leblos da; der Leichnam ist nicht das ganze Tier, es gehört noch etwas dazu, noch ein Hauptstück, und bei der Gelegenheit, wie bei jeder andern, ein sehr hauptsächliches Hauptstück: das Leben.-» Daß ein Organismus nicht wie ein totes Naturprodukt betrachtet werden kann, daß noch mehr darin steckt als die Kräfte, die auch in der unorganischen Natur leben, war Goethe von vornherein klar. Wenn Du Bois­-Reymond meint, daß «die rein mechanische Weltkonstruk­tion, welche heute die Wissenschaft ausmacht, dem Wei­marschen Dichterfürsten nicht minder verhaßt gewesen wäre, als einst Friederikens Freund das systeme de la na­ture», so hat er unzweifelhaft Recht; und nicht minder hat er Recht mit den andern Worten: von dieser Weltkonstruk­tion, die «durch die Urzeugung an die Kant-Laplace'sche Theorie grenzt, von der Entstehung des Menschen aus dem Chaos durch das von Ewigkeit zu Ewigkeit mathematisch be­stimmte 5piel der Atome, von dem eisigen Weltende - von diesen Bildern, welche unser Geschlecht so unfühlend ins
Sie sehen daraus, welch ein gewaltiger Unterschied in der Heranbildung selbst der höheren Tiere und des Menschen vorhanden ist. Ich werde schon über die Übergangstiere, zu denen ja auch das Affengeschlecht gehört, in der Zukunft noch sprechen, aber ich will heute nur einen zusammenfassenden Begriff geben. Sie sehen, welch ein gewaltiger Unterschied da besteht zwischen Menschenbildung und höherer Tieresbildung.


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Beim Menschen ist das erste, daß sich in der Evolution das Haupt ausbildet. Das übrige werden Anhangsorgane, die sich gewissermaßen


Auge faßt, wie es an die Schrecknisse des Eisenbahnfahrens sich gewöhnte - hätte Goethe sich schaudernd abgewandt» (Goethe und kein Ende, S.35 f.). Gewiß hätte er sich schau­dernd abgewandt, weil er einen höheren Begriff des Leben­digen suchte und ihn auch fand als den eines komplizierten, mathematisch bestimmten Mechanismus. Nur wer unfähig ist, einen solchen höhern Begriff zu fassen und das Lebendige mit dem Mechanischen identifiziert, weil er am Organis­mus nur das Mechanische zu sehen vermag, der wird sich für die mechanische Weltkonstruktion und ihr Spiel der Atome erwärmen und unfühlend die Bilder ins Auge fassen, die Du Bois-Reymond entwirft. Wer aber den Begriff des Organischen im Sinne Goethes in sich aufnehmen kann, der wird über seine Berechtigung ebensowenig streiten wie über das Vorhandensein des Mechanischen. Man streitet ja auch nicht mit dem Farbenblinden über die Farbenwelt. Alle Anschauungen, welche das Organische sich mecha­nisch vorstellen, verfallen dem Richterspruch, den Goethe seinen Mephistopheles sagen läßt:
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Wer will was Lebendig's erkennen und beschreiben,
an die Hauptesbildung anhängen. Der Mensch wächst in der kosmischen Evolution von seinem Haupte aus nach unten. Der Löwe dagegen ist zum Beispiel während der alten Sonnenzeit, während des zweiten Teiles der alten Sonnenzeit ein Tier, welches zunächst als Brusttier entsteht, als kräftiges Atmungstier mit einem noch sehr kleinen, verkümmerten Kopf. Erst als die Sonne dann in späteren Zeiten von der Erde sich trennt und von außen wirkt, erst dann entsteht aus der Brust heraus der Kopf. Es wächst also der Löwe so, daß er von der Brust nach aufwärts sich entwickelt, der Mensch, indem er vom Kopf nach unten sich entwickelt. Das ist ein gewaltiger Unterschied in der Gesamtevolution.


Sucht erst den Geist herauszutreiben,
Indem wir weiterschreiten bis zur Mondenmetamorphose der Erde, da erst braucht der Mensch, weil der Mond die Wassermetamorphose darstellt, weil der Mond wässerig ist, allerdings dann verhornt in der späteren Zeit, von jetzt ab die weitere Fortsetzung nach unten. Es bildet sich die Anlage des Verdauungssystems. Während der alten Sonnenzeit, während man nur lichtdurchwelltes, lichtdurchglänztes Luftiges hat, braucht der Mensch auch zu seiner Ernährung nur einen Atmungsapparat, der nach unten abgeschlossen ist; der Mensch ist Kopf- und Atmungsorgan. Jetzt während der Mondenzeit gliedert er sich das Verdauungssystem an. Damit aber kommt der Mensch also dazu, Kopf, Brust und Unterleib zu werden. Und da alles im Monde noch wäßrige Substanz ist, hat der Mensch während dieser Mondenzeit Auswüchse, die ihn schwimmend durch das Wasser tragen. Von Armen und Beinen kann erst während der Erdenzeit gesprochen werden, wenn die Schwer- kraft wirkt und dasjenige herausgestaltet, was sich vor allen Dingen in die Richtungen der Schwerkraft hineinstellt, die Gliedmaßen. Das also gehört erst der Erdenzeit an. Während der Mondenzeit aber bildet sich, noch ganz anders geartet als später, der Verdauungsapparat, so geartet, daß dieser Verdauungsapparat des Menschen noch nicht aufzunehmen braucht alles das, was der Verarbeitung der freien, willkürlichen Beweglichkeit der Glieder dient. Es ist ein wesentlich anderer Verdauungsapparat noch; der metamorphosiert sich später um in den Verdauungsapparat, der der Erdenverdauungsapparat ist. Aber der Mensch gliedert sich während der Mondenzeit den Verdauungsapparat an.


Dann hat er die Teile in der Hand.
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Fehlt, leider! nur das geistige Band.
Wiederum ist es so, daß jetzt zu den Nachkommen von Schmetterlingen, Vögeln und von solchen Geschlechtern, von denen der Löwe ein Repräsentant ist, hinzukommen diejenigen Tiere, die vorzugsweise nach der Verdauung hinneigen. Wir haben also da hinzukommend während der Mondenzeit zum Beispiel das, was wir durch die Kuh repräsentiert haben.


Die Möglichkeit, sich intimer mit dem Leben der Pflanzen zu beschäftigen, fand sich für Goethe, als ihm der Herzog Karl August am 21. April 1776 einen Garten schenkte. Auch durch die Streifzüge im Thüringerwald, auf denen er die Lebenserscheinungen der niederen Organismen beobach­ten konnte, wird Goethe angeregt. Moose und Flechten
Aber wie ist nun im Gegensatze zum Menschen das Wachstum der Kuh? Das ist so, daß die Kuh zunächst während dieser alten Mondenzeit hauptsächlich den Verdauungsapparat ausbildet; dann, nachdem der Mond sich abgetrennt, wachsen aus dem Verdauungsapparat die Brustorgane und der eigentümlich gestaltete Kopf erst heraus. Während der Mensch beim Kopf anfängt sich zu entwickeln, dann daran schließt die Brust, die Brustmetamorphosierungen, dann daran schließt die Verdauungsorgane; während der Löwe mit den Brustorganen anfängt, den Kopf daran schließt, und mit dem Menschen zugleich die Verdauungsorgane bekommt während der Mondenzeit, haben wir bei denjenigen Tieren, deren Repräsentant die Kuh ist, als erste Anlage zunächst die Verdauungsorgane, und dann, aus diesen weiterwachsend, haben wir Brust- und Kopforgane gebildet. Also Sie sehen, der Mensch wächst vom Kopf nach unten, der Löwe von der Brust nach oben und unten; die Kuh wächst von den Verdauungsorganen ganz in die Brust und in den Kopf erst hinein, wächst sozusagen, wenn wir es mit dem Menschen vergleichen, ganz nach aufwärts, wächst gegen Herz und Kopf zu. Das gibt die Anschauung der Entwickelung des Menschen.


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Nun entsteht natürlich die Frage: Ist es nur die Kuh, welche da wie ein Genosse sich hinzugesellt zu der Evolution des Menschen? - Das ist nicht bloß so, sondern immer, wenn irgendeine solche planetarische Metamorphose entsteht, dann entwickeln sich die alten Wesen weiter, aber zugleich entstehen neue. Die Kuh entsteht schon während der ersten Mondenmetamorphose. Dann aber kommen andere Tiere dazu, die in der letzten Mondenmetamorphose ihre allererste Anlage bekommen. Die können nicht mehr zum Beispiel den Hinausgang des Mondes mitmachen, weil er schon draußen ist. Die können daher auch nicht mitmachen, was dieser Hinausgang des Mondes bewirkt, daß er gewissermaßen aus dem Bauch der Kuh herauszieht die Herzorgane und


nehmen seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Am 31. 0ktober bittet er Frau von Stein um Moose von allen Sorten, womöglich mit den Wurzeln und feucht, damit er sie be­nützen könne, um die Fortpflanzung zu beobachten. Es ist wichtig, im Auge zu behalten, daß Goethe sich im Anfange seiner botanischen Studien mit den niederen Pflanzenformen beschäftigte. Denn er hat später bei der Konzeption seiner Idee der Urpflanze nur die höheren Pflanzen berücksich­tigt. Dies kann also nicht davon herrühren, daß ihm das Gebiet der niederen fremd war, sondern davon, daß er die Geheimnisse der Pflanzennatur an den höheren deutlicher ausgeprägt glaubte. Er wollte die Idee der Natur da auf­suchen, wo sie sich am klarsten offenbart und dann von dem Vollkommenen zum Unvollkommenen herabsteigen, um dieses aus jenem zu begreifen. Nicht das Zusammenge­setzte wollte er durch das Einfache erklären; sondern jenes mit einem Blick als wirkendes Ganzes überschauen und dann das Einfache und Unvollkommene als einseitige Ausbil­dung des Zusammengesetzten und Vollkommenen erklären. Wenn die Natur fähig ist, nach unzähligen Pflanzenformen noch eine zu machen, die sie alle enthält, so muß auch dem Geiste beim Anschauen dieser vollkommenen Form das Geheimnis der Pflanzenbildung in unmittelbarer Anschau­ung aufgehen, und er wird dann leicht das an dem Voll­kommenen Beobachtete auf das Unvollkommene anwen­den können. Umgekehrt machen es die Naturforscher, die das Vollkommene nur als eine mechanische Summe der einfachen Vorgänge ansehen. Sie gehen von diesem Ein­fachen aus und leiten das Vollkommene von demselben ab.
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Als sich Goethe nach einem wissenschaftlichen Führer für seine botanischen Studien umsah, konnte er keinen andern
die Kopforgane, sondern die später auftretenden Wesen bleiben auf dem Standpunkt stehen, der beim Menschen fixiert ist durch die Verdauung. So daß also Wesen entstehen, die eigentlich nur Verdauungstiere bleiben, die auf der Stufe bleiben, die der Mensch in seinem Unterleibe mit sich trägt.


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Geradeso wie der Adler und die Schmetterlinge dem Kopf zugeordnet sind, wie der Löwe der Brust zugeordnet ist, die Kuh dem Unterleib zugeordnet ist, aber, ich möchte sagen als das Tier, das zu gleicher Zeit alles Obere in sich hineinwachsen läßt in der späteren Evolution, so sind Amphibien und Reptilien, also Kröten, Frösche, Schlangen, Eidechsen und so weiter zugeteilt, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, nur dem menschlichen Unterleibe, dem menschlichen Verdauungsapparat. Da sind reine Verdauungsapparate als Tiere entstehend.


finden als Linné. Wir erfahren von seiner Beschäfti­gung mit Linné zuerst aus den Briefen an Frau von Stein vom Jahre 1782. Wie ernst es Goethe mit seinen naturwis­senschaftlichen Bestrebungen war, geht aus dem Interesse hervor, das er an Linnés Schriften genommen hat. Er ge­steht, daß nach Shakespeare und Spinoza auf ihn die größte Wirkung von Linné ausgegangen ist. Aber wie wenig konnte ihn Linné befriedigen. Goethe wollte die verschie­denen Pflanzenformen beobachten, um das Gemeinsame, das in ihnen lebt, zu erkennen. Er wollte wissen, was alle diese Gebilde zu Pflanzen macht. Und Linné hatte sich da­mit begnügt, die mannigfaltigsten Pflanzenformen in einer bestimmten Ordnung nebeneinander zu stellen und zu be­schreiben. Hier stieß Goethes naive, unbefangene Naturbeobachtung in einem einzelnen Falle auf die durch einseitig aufgefaßten Platonismus beeinflußte Denkweise der Wis­senschaft. Diese Denkweise sieht in den einzelnen Formen Verwirklichungen ursprünglicher, nebeneinander beste­hender, platonischer Ideen oder Schöpfungsgedanken. Goethe sieht in dem einzelnen Gebilde nur eine besondere Ausgestaltung eines ideellen Urwesens, das in allen Formen lebt. Jene Denkweise will möglichst genau die einzelnen Formen unterscheiden, um die Vielgliedrigkeit der Ideenformen oder des Schöpfungsplanes zu erkennen; Goethe will die Vielgliedrigkeit des Besonderen aus der ursprünglichen Einheit erklären. Daß vieles in mannigfaltigen For­men da ist, ist für jene Denkungsart ohne weiteres klar, denn schon die idealen Urbilder sind für sie das Mannigfal­tige. Für Goethe ist das nicht klar, denn das Viele gehört nach seiner Ansicht nur zusammen, wenn sich Eines darin offenbart. Goethe sagt deshalb, was Linné «mit Gewalt auseinander
{| class="centered center" width="600px"
|Schmetterling || Vogel. Löwe || Kuh. Reptilien, Amphibien. Fische
|-
|Saturn: || Sonne:  ||Mond:
|-
|Kopf || Kopf-Brust || Kopf-Brust-Unterleib
|}


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Sie entstehen auch während der zweiten Mondenzeit in einer höchst plumpen Form, sind eigentlich wandelnde Magen und Gedärme, wandelnder Magen und Darmschlauch. Erst später während der Erdenzeit bekommen sie die ja auch noch nicht besonders vornehm aussehenden Kopfteile. Sehen Sie sich die Frösche und Kröten oder die Schlangen an! Sie entstehen eben durchaus in einer Spätzeit als Verdauungstiere, da, wo der Mensch gewissermaßen sich nur noch anhängen kann seine Verdauungsapparate an das, was er früher schon gehabt hat.


zu halten suchte, mußte nach dem innersten Be­dürfnis meines Wesens zur Vereinigung anstreben». Linné nimmt die vorhandenen Formen einfach hin, ohne danach zu fragen, wie sie aus einer Grundform geworden sind:
In der Erdenzeit, wenn der Mensch sich seine Gliedmaßen ausbildet unter der Schwere und dem Erdmagnetismus, da strecken allerdings auch - meinetwillen nehmen wir die Schildkröte als Repräsentanten - die Schildkröten ihren Kopf heraus über ihren Panzer mehr wie ein Gliedmaßenorgan als einen Kopf. So können wir auch verstehen, wie bei den Amphibien und Reptilien dieser Kopf ungeschlacht gestaltet ist. Er ist eigentlich wirklich so gestaltet, daß man durchaus das Gefühl hat, wie es auch richtig ist: da kommt man aus dem Mund sogleich in den Magen hinein. Da ist nicht viel Vermittelung.


«Spezies zählen wir so viele, als verschiedene Formen im Prinzip geschaffen worden sind »: dies ist sein Grundsatz. Goethe sucht im Pflanzenreich das Wirksame, das durch Spezifizierung der Grundform das Einzelne schafft.
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Ein naiveres Verhältnis zur Pflanzenwelt als bei Linné fand Goethe bei Rousseau. Am i6. Juni 1782 schreibt er an Karl August: «In Rousseaus Werken finden sich ganz aller­liebste Briefe über die Botanik, worin er diese Wissenschaft auf das faßlichste und zierlichste einer Dame vorträgt. Es ist recht ein Muster, wie man unterrichten soll und eine Bei­lage zum Emil. Ich nehme daher Anlaß, das schöne Reich der Blumen meinen schönen Freundinnen aufs neue zu empfehlen.» In seiner «Geschichte meines botanischen Stu­diums»legt Goethe dar, was ihn zu Rousseaus botanischen Ideen hingezogen hat: «Sein Verhältnis zu Pflanzenfreun­den und -kennern, besonders zu der Herzogin von Portland, mag seinen Scharfblick mehr in die Breite gewiesen haben, und ein Geist wie der seinige, der den Nationen Ordnung und Gesetz vorzuschreiben sich berufen fühlt, mußte doch zur Vermutung gelangen, daß in dem unermeßlichen Pflanzenreiche keine so große Mannigfaltigkeit der Formen erscheinen könnte, ohne daß ein Grundgesetz, es sei auch noch so verborgen, sie wieder sämt­lich zur Einheit zurückbrächte.» Ein solches Grundgesetz, das die Mannigfaltigkeit zur Einheit zurückbringt, von der sie ursprünglich ausgegangen ist, sucht auch Goethe.
Wenn man also den Menschen betrachtet und seinem Wesen zu teilt die Tiergenossen, dann muß man demjenigen, was da enthalten ist in den Reptilien und Amphibien, zuteilen die menschliche Verdauungstätigkeit. Und tatsächlich, man kann sagen: So wie der Mensch die Produkte seiner Verdauung in seinen Gedärmen herumträgt, so trägt der Kosmos auf dem Umweg durch die Erde die Kröten, Schlangen und Frösche gewissermaßen in dem kosmischen Gedärm herum, das er sich bildet in dem wäßrig-irdischen Element der Erde. Dagegen dasjenige, was dann mehr zusammenhängt mit der menschlichen Fortpflanzung, was sich überhaupt erst in der allerletzten Mondenzeit in der allerersten Anlage bildet und erst während der Erdenmetamorphose herauskommt, mit dem sind die Fische verwandt, die Fische und noch niedrigere Tiere. So daß wir die Fische anzusehen haben als Spätlinge der Evolution, als solche Wesen, die sich in der Evolution erst da hinzugesellen zu den anderen Tieren, wenn sich beim Menschen die Fortpflanzungsorgane zu den Verdauungsorganen hinzugesellen. Die Schlange ist im wesentlichen der Vermittler zwischen Fortpflanzungsorgan und Verdauungsorgan. Richtig hineingesehen in die menschliche Natur, was stellt die Schlange dar? Die Schlange stellt nämlich den sogenannten Nierenkanal dar; sie ist in derselben Zeit der Weltenevolution entstanden, in der sich beim Menschen der Nierenkanal ausgebildet hat.


Zwei Schriften vom Freiherrn von Gleichen, genannt Rußwurm, fielen damals in Goethes geistigen Horizont. Sie
So können wir richtig verfolgen, wie der Mensch, von seinem Haupte angefangen, nach unten wächst, wie ihm die Erde die Gliedmaßen herausholt und in ihren Dienst stellt, daß diese Gliedmaßen sich hinein- stellen in das Erdengleichgewicht der Schwere und der magnetischen Kräfte. Und gleichzeitig mit diesem Wachsen nach unten bilden sich die verschiedenen Tierklassen.


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Sie sehen, auf diese Weise bekommt man ein wahres Bild der Erdenevolution mit ihren Geschöpfen. Gemäß dieser Evolution haben sich dann diese Geschöpfe so entwickelt, daß sie uns zeigen, was heute ist.


behandeln beide das Leben der Pflanze in einer Weise, die für ihn fruchtbar werden konnte: «Das Neueste aus dem Reiche der Pflanzen»(Nürnberg 1764) und «Auserlesene mikroskopische Entdeckungen bei den Pflanzen» (Nürn­berg 1777-1781). Sie beschäftigen sich mit den Befruch­tungsvorgängen der Pflanzen. Blütenstaub, Staubfäden und Stempel sind in ihnen sorgfältig beschrieben, und in gut aus­geführten Tafeln die Vorgänge bei der Befruchtung darge­stellt. Goethe macht nun selbst Versuche, um die von Glei­chen-Rußwurm beschriebenen Ergebnisse mit eigenen Au­gen zu beobachten. Er schreibt am 12. Januar 1785 an Ja­cobi: «Ein Mikroskop ist aufgestellt, um die Versuche des v. Gleichen, genannt Rußwurm, mit Frühlingseintritt nach­zubeobachten und zu kontrollieren.» Zur selben Zeit stu­diert er die Wesenheit des Samens, wie aus einem Bericht an Knebel vom 2. April 1785 hervorgeht: «Die Materie vom Samen habe ich durchgedacht, so weit meine Erfahrungen reichen.» Diese Beobachtungen Goethes erscheinen erst im rechten Lichte, wenn man berücksichtigt, daß er schon da­zumal nicht bei ihnen stehen geblieben ist, sondern eine Ge­samtanschauung der Naturvorgänge zu gewinnen suchte, der sie zur Stütze und Bekräftigung dienen sollten. Am 8. April desselben Jahres meldet er Merck, daß er nicht nur Tatsachen beobachtet, sondern auch «hübsche Kombinatio­nen» über diese Tatsachen gemacht habe.
Wenn Sie die Schmetterlinge und die Vögel ansehen, so haben sie allerdings irdische Formen; aber Sie wissen aus der früheren Darstellung: der Schmetterling ist eigentlich ein Lichtwesen, und die irdische Materie ist ihm nur angeflogen. Wenn er selber Ihnen sagen könnte, was er ist, so würde er Ihnen verkündigen, daß er einen Leib aus Licht hat, und daß


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Von wesentlichem Einfluß auf die Ausbildung der Ideen Goethes über organische Naturwirkungen war der Anteil, den er an Lavaters großem Werke: «Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und
er, wie ich bereits sagte, das, was ihm als Erdenmaterie angeflogen ist, wIe ein Gepäck, wie etwas Äußeres an sich trägt. Ebenso ist der Vogel eIn warmluftiges Tier, könnte man sagen, denn der wahre Vogel ist die warme Luft, die in dem Vogel ausgebreitet ist; das andere ist sein Gepäck, das er durch die Welt schleppt. Diese Tiere, die also eigentlich heute noch nur mit irdischer Umkleidung, mit Erdenumkleidung, mit Wasserumkleidung sich erhalten haben ihre Lichtes-, ihre Wärmenatur, diese Wesenheiten sind am frühesten in der ganzen Erdenevolution entstanden. Diese Wesenheiten haben auch solche Formen, welche denjenigen, der nun auch hinüberschauen kann in die Zeit, die der Mensch vor seinem Herabstieg in das Erdenleben durchmacht in der geistigen Welt, erinnern an das, was in der geistigen Welt durchgemacht ist. Gewiß, es sind irdische Formen, denn die irdische Materie ist angeflogen. Wenn Sie sich aber richtig vorstellen die schwebenden, webenden Leuchtewesen, die die Schmetterlinge sind, wenn Sie sich wegdenken das, was ihnen vom Irdischen angeflogen ist, wenn Sie sich vom Vogel wegdenken, was ihm vom Irdischen angeflogen ist, wenn Sie sich diese Kraftmasse denken, die den Vogel zum warmen Luftwesen macht, mit dem, was dann sein Gefieder ist, nur als leuchtende Strahlen, wenn Sie sich das denken, dann erinnern diese Wesenheiten, die nur wegen ihrer äußeren Bekleidung so aussehen und auch die Größe, die sie haben, nur eben wegen dieser äußeren Bekleidung haben, denjenigen, der eben auch das Menschenwesen kennt vor seinem Herabstieg auf die Erde, an dieses Menschenwesens Herabstieg auf die Erde. Dann sagt sich derjenige, der so hineinschaut in die geistige Welt: In den Schmetterlingen, in den Vögeln haben wir etwas, was erinnert an jene Geistformen, unter denen der Mensch gelebt hat, bevor er auf die Erde herabgestiegen ist, an die Wesen der höheren Hierarchien. Mit Verständnis Schmetterlinge und Vögel angeschaut, sind sie eine ins Kleine umgesetzte, metamorphosierte Erinnerung derjenigen Formen, die man als Geistformen um sich hatte, als man noch nicht herabgestiegen war in die Erdenentwickelung. Weil die Erdenmaterie schwer ist und überwunden werden muß, so ziehen die Schmetterlinge ihre gigantisch große Gestalt, die sie eigentlich haben, ins Kleine zusammen. Wenn Sie von einem Schmetterlinge absondern könnten alles, was Erdenmaterie ist, so würde er sich allerdings


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Menschenliebe» nahm, das in den Jahren 1775-1778 er­schienen ist. Er hat selbst Beiträge zu diesem Werke gelie­fert. In der Art, wie er sich in diesen Beiträgen ausspricht, ist seine spätere Weise, das Organische anzusehen, schon vorgebildet. Lavater blieb dabei stehen, die Gestalt des menschlichen Organismus als Ausdruck der Seele zu behan­deln. Er wollte aus den Formen der Körper die Charaktere der Seelen deuten. Goethe fing bereits damals an, die äußere Gestalt um ihrer selbst willen zu betrachten, ihre eigene Ge­setzmäßigkeit und Bildungskraft zu studieren. Er beschäf­tigt sich zugleich mit den Schriften des Aristoteles über die Physiognomik und versucht es, auf Grundlage des Stu­diums der organischen Gestalt, den Unterschied des Men­schen von den Tieren festzustellen. Er findet diesen in dem durch das Ganze des menschlichen Baues bedingten Her­vortreten des Kopfes, in der vollkommenen Ausbildung des menschlichen Gehirns, zu dem alle Teile wie zu einem Organ hindeuten, auf das sie gestimmt sind. Im Gegenteil ist bei dem Tiere der Kopf an den Rückgrat bloß angehängt, das Gehirn, das Rückenmark haben nicht mehr Umfang als zur Auswirkung der untergeordneten Lebensgeister und zur Leitung der bloß sinnlichen Verrichtungen unbedingt not­wendig ist. Goethe sucht schon damals den Unterschied des Menschen von den Tieren nicht in irgend einem einzelnen, sondern in dem verschiedenen Grade der Vollkommenheit, den das gleiche Grundgebilde in dem einen oder anderen Fal­le erreicht. Es schwebt ihm bereits das Bild eines Typus vor, der sowohl bei den Tieren wie beim Menschen sich findet, der bei den ersteren so ausgebildet ist, daß der ganze Bau den animalischen Funktionen dient, während bei letzterem der Bau das Grundgerüste für die Entwicklung des Geistes abgibt.
zur Erzengelgestalt als Geistwesen, als Leuchtewesen ausdehnen können. Wir haben schon in denjenigen Tieren, die die Lüfte bewohnen, irdische Abbilder dessen, was in höheren Regionen auf geistgemäße Art vorhanden ist. Daher war es In der instinktiven Hellseherzeit ein selbstverständlich künstlerisches Wirken, aus den Formen der Flugtiere die symbolische Form, die bildliche Form der Geistwesen der höheren Hierarchien zu bilden. Das hat seine innere Begründung. Im Grunde sind die physischen Formen von Schmetterlingen und Vögeln eben die physischen Metamorphosen von Geistwesen. Nicht die Geistwesen haben sich metamorphosiert, aber die metamorphosierten Abbilder davon sind sie; es sind natürlich andere Wesenheiten.


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Daher werden Sie es auch verständlich finden, wenn ich, zurückkommend auf etwas, was ich schon ausgesprochen habe, noch einmal das Folgende Ihnen zeichne. Ich sagte Ihnen, der Schmetterling, der eigentlich ein Lichtwesen ist, schickt fortwährend zeit seines Lebens hinaus die durchgeistigte Erdenmaterie in den Kosmos. Ich möchte nun diese durchgeistigte Erdenmaterie, die da in den Kosmos hinausgeschickt wird, mit Anlehnung an einen gebräuchlichen Ausdruck der Sonnenphysik die Schmetterlingskorona nennen. So strahlt die Schmetterlingskorona fortwährend in den Kosmos hinaus. Aber in diese Schmetterlingskorona strahlt ein, was das Vogelgeschlecht jedesmal, wenn der Vogel stirbt, dem Kosmos übergibt, so daß da hineinstrahlt die vergeistigte Materie vom Vogelgeschlecht, hinaus in den Kosmos. Man hat dann von außen, geistig gesehen, den Anblick einer glimmenden Korona, ausgehend vom Schmetterlingsgeschlecht - nach gewissen Gesetzen erhält sich diese auch im Winter -, und mehr strahlenförmig hineingestellt das, was von den Vögeln ausfließt. (Tafel II / Zeichnung Seite 80.)


Aus solchen Betrachtungen heraus erwächst Goethes Spezialstudium der Anatomie. Am 22. Januar 1776 berich­tet er an Lavater: «Der Herzog hat mir sechs Schädel kom­men lassen, habe herrliche Bemerkungen gemacht, die Euer Hochwürden zu Diensten stehen, wenn dieselben Sie nicht ohne mich fanden.» Im Tagebuche Goethes lesen wir unter dem i Oktober 1781, daß er in Jena mit dem alten Einsie­del Anatomie trieb und in demselben Jahre fing er an, sich von Loder in diese Wissenschaft genauer einführen zu las­sen. Er erzählt davon in Briefen an Frau von Stein vom 29. Oktober 1781 und an den Herzog vom 4. November. Er hat auch die Absicht, den jungen Leuten an der Zeichenaka­demie «das Skelett zu erklären und sie zur Kenntnis des menschlichen Körpers anzuführen». - «Ich tue es», sagt er, «um meinet- und ihretwillen; die Methode, die ich gewählt habe, wird sie diesen Winter über völlig mit den Grundsäulen des Körpers bekannt machen. » Er hat, wie aus dem Tagebuch zu ersehen, diese Vorlesungen auch gehalten. Auch mit Lo­der hat er in dieser Zeit über den Bau des menschlichen Kör­pers manches Gespräch geführt. Und wieder ist es seine allge­meine Naturansicht, die als treibende Kraft und als eigentli­ches Ziel dieser Studien erscheint. Er behandelt die« Knochen als einen Text, woran sich alles Leben und alles Menschliche anhängen läßt» (Briefe an Lavater und Merck vom 14. No­vember 1781). Vorstellungen über das Wirken des Organi­schen, über den Zusammenhang der menschlichen Bildung mit der tierischen beschäftigen damals seinen Geist. Daß der menschliche Bau nur die höchste Stufe des tierischen ist, und daß er durch diesen vollkommeneren Grad des Tierischen die sittliche Welt aus sich hervorbringt, ist eine Idee, die bereits in der Ode «das Göttliche »vom Jahre 1782 niedergelegt ist.
Sehen Sie, wenn der Mensch sich anschickt, herunterzusteigen aus der geistigen Welt in die physische Welt, da ist es zunächst die Schmetterlingskorona, diese eigentümliche Ausstrahlung von vergeistigter Erdenmaterie, die den Menschen ins irdische Dasein ruft. Und die Strahlen der Vogelkorona, die werden mehr empfunden wie Kräfte, die hereinziehen. Nun sehen Sie noch eine höhere Bedeutung desjenigen, was im Luftkreise lebt. Man muß eben überall in dem, was lebt und webt


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Edel sei der Mensch,
in der Wirklichkeit, das Geistige suchen. Und sucht man das Geistige, dann kommt man eigentlich erst darauf, was die einzelnen Wesensgebiete für eine Bedeutung haben. Die Erde lockt gewissermaßen den Menschen zur Wiederverkörperung herein, indem sie die Leuchteausstrahlung der Schmetterlingskorona und die Strahlung der Vogelkorona hinausschickt in den Weltenraum. Das sind die Dinge, die den Menschen, nachdem er eine Zeitlang zugebracht hat in der rein geistigen Welt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, wiederum herein- rufen in das neue Erdendasein. Es ist daher kein Wunder, wenn der Mensch sich schwer enträtseln kann das komplizierte Gefühl, das er mIt Recht hat beim Anblick der Schmetterlings- und der Vogelwelt. Denn dasjenige, was da wirklich ist, sitzt tief im Unterbewußtsein. Das, was da wirklich ist, ist die` Erinnerung an die Sehnsucht nach neuem Erdendasein.


Hilfreich und gut!
Und das wiederum hängt zusammen mit dem, was ich Ihnen auch öfter auseinandergesetzt habe, daß der Mensch, nachdem er von der Erde abgegangen ist durch die Pforte des Todes, seinen Kopf eigentlich zerstreut, daß dann sein übriger Organismus, seinen Kräften nach natürlich, nicht seiner Materie nach, umgebildet wird zu dem Kopf des nächsten Erdendaseins. Der Mensch strebt also eigentlich nach dem Kopf, indem er herunterstrebt. Und der Kopf ist das erste, das sich ausbildet am Menschenembryo in einer Gestalt, die schon der späteren Menschengestalt ähnlich ist. Daß das alles so ist, das hängt damit zusammen, daß innig verwandt ist diese Hinbildung nach dem Kopfe mit dem, was wirkt und webt in der fliegenden Welt, durch die der Mensch eigentlich hereingezogen wird aus dem Übersinnlichen in das sinnliche Dasein.


Denn das allein
Dann, wenn der Mensch während seiner Embryonalzeit zunächst die Kopfesorganisation bekommen hat, dann bildet sich aus dem Erdendasein heraus, plaziert in dem Leibe der Mutter, dasjenige, was Verdauungsorganismus ist und so weiter. Geradeso wie das, was oben ist, die Kopfbildung, zusammenhängt mit dem Wärmeartigen, mit dem Luftartigen, mit dem Wärme-Lichtartigen, so hängt mit dem irdischfeuchten Element zusammen, was dann eine Nachbildung ist dessen, was dem Menschen später während der Evolution angegliedert ist, und


Unterscheidet ihn
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Von allen Wesen,
was sich jetzt neuerdings angliedert während seiner Embryonalzeit. Dieses irdisch-feuchte Element aber muß für den Menschen erst in einer ganz besonderen Weise zubereitet werden; eben in dem Leib der Mutter. Bildet es sich nur an sich aus draußen im Tellurischen, im Irdischen zerstreut, dann bildet es sich aus zu dem, was die niedrigenTierformen, die Amphibien und Reptilien, sind, dann bildet es sich aus zu dem, was die Fische und noch niedrigere Tiere sind.


Die wir kennen.
Wenn der Schmetterling eigentlich sich mit Recht als ein Lichtwesen anschaut, der Vogel als ein warmes Luftwesen, so können das die niedrigeren Tiere, die Amphibien, Reptilien und die Fische, nicht. Sehen wir uns zunächst einmal die Fische an.Wie sie heute sind, werden sie im Entstehen draußen überlassen sozusagen der äußeren Bildung, wo auf sie die Kräfte von außen hereinwirken, die auf den Menschen von innen heraus wirken. Der Fisch lebt vorzugsweise im wäßrigen Elemente. Aber das Wasser ist ja nicht nur das, was Wasserstoff und Sauerstoff in ihrer Zusammensetzung für den Chemiker sind, sondern das Wasser ist durchzogen von allen möglichen kosmischen Kräften. Die Sternenkräfte halten auch ihren Einzug in das Wasser, und im Wasser würden keine Fische leben, wenn das Wasser eben nur die gleichartige Zusammensetzung von Wasserstoff und Sauerstoff wäre. Aber geradeso wie der Schmetterling sich als Lichtwesen, wie der Vogel sich als warmes Luftwesen fühlt, so fühlt


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Nach ewigen, ehrnen,
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Großen Gesetzen
sich der Fisch eigentlich als das irdisch-wäßrige Wesen. Das eigentliche Wasser, das er in sich aufsaugt, das fühlt er nicht als sein Wesen.


Müssen wir alle
Der Vogel fühlt die Luft, die er aufsaugt, als sein Wesen. Der Vogel fühlt also eigentlich, schematisch ausgedrückt, das, was als Luft in ihn eindringt, was sich überall ausbreitet, als sein Wesen; diese sich ausbreitende und von ihm erwärmte Luft (Tafel III/Zeichnung blau), das ist sein Wesen. Der Fisch hat das Wasser in sich, aber der Fisch fühlt sich nicht als das Wasser; der Fisch fühlt sich als das, was das Wasser einschließt, er fühlt sich als die Umgebung des Wassers. Er fühlt sich als diese glitzerige Hülle oder Schale des Wassers. Aber das Wasser fühlt er als ein ihm fremdes Element, das in ihm aus- und eingeht, und indem es aus- und eingeht in ihm, ihm auch zugleich die Luft bringt, die er braucht. Aber Luft und Wasser fühlt er als etwas Fremdes. Er fühlt es zunächst als physischer Fisch als etwas Fremdes. Aber der Fisch hat ja auch seinen Äther- und seinen astralischen Leib. Das ist gerade das Eigentümliche des Fisches: dadurch, daß er sich eigentlich als die Hülle fühlt, und das Wasser ihm verbunden bleibt mit dem übrigen wäßrigen Elemente, fühlt er den Äther als dasjenige, in dem er eigentlich lebt. Das Astralische fühlt er dann nicht als das, was zu ihm gehört. Aber der Fisch ist das eigentümliche Tier, das so recht Äthertier ist. Für sich ist er die physische Schale für das Wasser. Das Wasser, das in ihm ist, fühlt er zusammengehörig mit allen Wassern der Welt. Gewissermaßen überall setzt sich ihm die Feuchtigkeit fort. Feuchtigkeit ist ja überall, und in dieser Feuchtigkeit nimmt er zugleich den Äther (Tafel III / Zeichnung lila) wahr. Die Fische sind allerdings für das irdische Leben stumm, aber wenn sie reden könnten und Ihnen erzählen würden, wie sie sich fühlen, dann würden Ihnen die Fische sagen: Ich bin Schale, aber die Schale trägt ein überall sich ausbreitendes Wasserelement, das der Träger des Ätherelementes ist. In dem Äther schwimme ich eigentlich. - Der Fisch würde sagen: Das Wasser ist nur Maja, die Wirklichkeit ist der Äther, in dem schwimme ich eigentlich. - Also der Fisch fühlt sein Leben als das Leben der Erde. Das ist das Eigentümliche von ihm: er fühlt sein Leben als das Leben der Erde, und daher nimmt er innig teil an alledem, was im Jahreslauf durchgemacht wird von der Erde: dieses Hinausgehen der Ätherkräfte im Sommer, dieses Zurückziehen


Unsers Daseins
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Kreise vollenden.
der Ätherkräfte im Winter. So daß der Fisch etwas fühlt, was in der ganzen Erde atmet. Den Äther empfindet der Fisch als das Atmende der Erde.


Die «ewigen, ehrnen Gesetze» wirken im Menschen ge­rade so wie in der übrigen Organismenwelt; sie erreichen in ihm nur eine Vollkommenheit, durch die es ihm möglich ist, «edel, hilfreich und gut» zu sein.
Es hat hier einmal Dr. Wachsmuth von dem Atmen der Erde gesprochen. Das ist eine sehr schöne Auseinandersetzung gewesen. Aus eigener Erfahrung hätte das ein Fisch hier vortragen können, wenn er die Vortragskunst gelernt hätte; denn er empfindet das alles, was da vorgetragen worden ist, aus der Verfolgung der dazugehörigen Erscheinungen. Der Fisch ist dasjenige Tier, das das Atmungsleben der Erde während des Jahreslaufes in einer ganz außerordentlichen Weise mitmacht, weil für den Fisch das, worauf es ihm ankommt, gerade das ÄtherLebenselement ist, das aus und ein wogt, und das nur das andere Atmende mitreißt.


Während in Goethe sich solche Ideen immer mehr fest­setzten, arbeitete Herder an seinen «Ideen zu einer Philoso­phie der Geschichte der Menschheit». Alle Gedanken dieses Buches wurden von den beiden durchgesprochen. Goethe war von Herders Auffassung der Natur befriedigt. Sie fiel mit seinen eigenen Vorstellungen zusammen. «Herders Schrift macht wahrscheinlich, daß wir erst Pflanzen und Tiere waren... Goethe grübelt jetzt gar denkreich in diesen Dingen und jedes, was erst durch seine Vorstellung gegan­gen ist, wird äußerst interessant», schreibt am 1. Mai 1784 Frau von Stein an Knebel. Wie sehr man berechtigt ist, von Herders Ideen auf die Goethes zu schließen, zeigen die Wor­te, die Goethe am 8. Dez. 1783 an Knebel richtet: «Herder schreibt eine Philosophie der Geschichte, wie Du Dir denken
Anders ist es bei den Reptilien und bei den Amphibien, bei den Fröschen zum Beispiel, die in dieser Beziehung außerordentlich charakteristisch sind. Die hängen weniger zusammen mit dem Ätherelemente des Kosmos, die hängen mehr zusammen mit dem astralischen Element des Kosmos. Wenn man den Fisch frägt: Wie steht es denn eigentlich mit dir? - dann sagt er: Nun ja, hier auf Erden bin ich ein erdgewordenes Geschöpf, gebildet aus dem irdisch-feuchten Elemente; aber mein eigentliches Leben ist das Leben der ganzen Erde mit ihrer kosmischen Atmung. - Beim Frosch ist es nicht so, beim Frosch ist es wesentlich anders. Der Frosch nimmt teil an der allgemein ausgebreiteten Astralität.


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Ich sprach Ihnen ja bei den Pflanzen davon und werde noch weiter davon sprechen, wie die Astralität des Kosmos oben die Blüte berührt. Mit dieser Astralität, gewissermaßen mit dem astralischen Leib der Erde, hängt der Frosch so zusammen wie der Fisch mit dem Ätherleib der Erde. Der Fisch hat mehr seine Astralität für sich. Der Frosch hat eigentlich seinen Ätherleib sehr stark für sich, viel stärker als der Fisch; aber der Frosch lebt in dem allgemein Astralischen; so daß er namentlich jene astralischen Vorgänge miterlebt, die sich im Jahreslaufe abspielen, wo die Erde die Astralität spielen läßt im Verdunsten des Wassers, im Wiederherabkommen des Wassers. Da sagt natürlich der materialistisch denkende Mensch: das Wasser verdunstet durch diese oder jene aerodynamischen meinetwillen oder aeromechanischen Kräfte;


kannst, von Grund aus neu. Die ersten Kapitel haben wir vorgestern zusammen gelesen, sie sind köstlich.» Sätze wie die folgenden liegen ganz in Goethes Denkrichtung. «Das Menschengeschlecht ist der große Zusammenfluß niederer organischer Kräfte.» « Und so können wir den vierten Satz annehmen: daß der Mensch ein Mittelgeschöpf unter den Tie­ren, d. i. die ausgearbeitete Form sei, in der sich die Zuge aller Gat­tungen um ihn her im feinsten Inbegriff sammeln.»
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Mit solchen Vorstellungen war allerdings die Ansicht der damaligen Anatomen nicht zu vereinigen, daß der kleine Knochen, den die Tiere in der oberen Kinnlade haben, der Zwischenkiefer, der die oberen Schneidezähne enthält, dem Menschen fehle. Sömmering, einer der bedeutendsten Ana­tomen der damaligen Zeit, schrieb am 8. Oktober 1782 an
man bekommt den Hinaufstieg. Es formen sich Tropfen; werden die genügend schwer, so fallen sie herab. Aber das ist ja ungefähr ebenso, wie wenn man eine ähnliche Theorie vom Blutlaufe des Menschen aufstellen würde, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, daß da alles lebt im Blutlauf. So lebt im Kreislauf des auf- und abwärtsdringenden Wassers die Astralatmosphäre der Erde, die Astralität der Erde. Ich sage Ihnen nicht etwas Fabelhaftes, wenn ich sage: Gerade die Frösche - bei den anderen Amphibien ist das auch vorhanden, aber mehr zurückgetreten - leben dieses astrale Spiel, das sich in den Witterungsverhältnissen, in der Meteorologie auslebt, mit. Nicht nur, daß man sie, wie Sie wissen, In der bekannten einfachen Weise als Wetterpropheten benutzt, weil sIe dieses Spiel wunderbar miterleben dadurch, daß sie mit ihrer Astralität hineinversetzt sind in die Astralität der Erde; der Frosch sagt gar nicht, er habe ein Gefühl, sondern der Frosch ist nur ein Träger der Gefühle, die die Erde hat in Regenperioden, in trockenen Perioden und so weiter. Daher haben Sie auch unter gewissen Witterungsverhältnissen die mehr oder weniger schönen oder häßlichen Froschkonzerte. Die sind im wesentlichen der Ausdruck der Frösche für das, was sie im Astralleib der Erde miterleben. Sie quaken wahrhaftig nicht, ohne daß sie Veranlassung dazu haben aus dem ganzen Kosmos heraus; sie leben das Astralische der Erde mit.


Merck: «Ich wünschte, daß Sie Blumenbach nachsähen, wegen des ossis intermaxillaris, der ceteris paribus der ein­zige Knochen ist, den alle Tiere vom Affen an, selbst der Orang-Utang eingeschlossen, haben, der sich hingegen nie beim Menschen findet; wenn Sie diesen Knochen abrech­nen, so fehlt Ihnen nichts, um nicht alles vom Menschen auf die Tiere transferieren zu können. Ich lege deshalb einen Kopf von einer Hirschkuh bei, um Sie zu überzeugen, daß dieses os intermaxillare (wie es Blumenbach) oder os incisi­vum (wie es Camper nennt) selbst bei Tieren vorhanden ist, die keine Schneidezähne in der oberen Kinnlade haben.» Das war die allgemeine Meinung der Zeit. Auch der be­rühmte Camper, für den Merck und Goethe die innigste Verehrung hatten, bekannte sich zu ihr. Der Umstand, daß der Zwischenknochen beim Menschen links und rechts mit den Oberkieferknochen verwachsen ist, ohne daß bei einem normal gebildeten Individuum eine deutliche Grenze zu
So können wir sagen: Was in dem irdisch-feuchten Elemente lebt, das ist tatsächlich so, daß es auch mehr das Irdische miterlebt; die irdischen Lebensverhältnisse also beim Fisch, die irdischen Empfindungsverhältnisse beim Frosch und überhaupt beim Reptilien- und Amphibiengeschlechte. Wiederum, will man alles das studieren, was menschlicher Verdauungsorganismus ist, dann muß man sagen: dieser Verdauungsorganismus bildet sich allerdings wiederum nach diesem Schema von innen heraus. Aber wer wirklich studieren will, wie die Dinge funktionieren, der muß sich an das Amphibien- und Reptiliengeschlecht wenden, denn dem fliegt von außen an, was der Mensch als Kräfte durch seine Verdauungswerkzeuge durchdrängt. Mit denselben Kräften, mit denen der Mensch verdaut, bildet der äußere Kosmos, die äußere Natur Schlangen, Kröten und Eidechsen und Frösche. Und wer richtig - verzeihen Sie, aber in der Natur ist nichts häßlich, sondern alles muß in


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sehen ist, hat zu dieser Ansicht geführt. Hätten die Gelehr­ten recht gehabt mit derselben, dann wäre es unmöglich, ein gemeinsames Urbild für den Bau des tierischen und mensch­lichen Organismus aufzustellen; eine Grenze zwischen den beiden Formen müßte angenommen werden. Der Mensch wäre nicht nach dem Urbilde geschaffen, das auch den Tie­ren zu Grunde liegt. Dieses Hindernis seiner Weltanschau­ung mußte Goethe hinwegräumen. Es gelang ihm im Früh­ling 1784 in Gemeinschaft mit Loder. Nach seinem allge­meinen Grundsatze, «daß die Natur kein Geheimnis habe, was sie nicht irgendwo dem aufmerksamen Beobachter nackt vor die Augen stellt», ging Goethe vor. Er fand bei einzelnen abnorm gebildeten Schädeln die Grenze zwischen Ober- und Zwischenkiefer wirklich vorhanden. Freudig be­richtet er von dem Fund am 27. März an Herder und Frau von Stein. An Herder schreibt er: «Es soll Dich auch herz­lich freuen, denn es ist wie der 5chlußstein zum Menschen, fehlt nicht, ist auch da! Aber wie! Ich habe mirs auch in Verbindung mit Deinem Ganzen gedacht, wie schön es da wird.» Und als Goethe die Abhandlung, die er über die Sache geschrieben hat, im November 1784 an Knebel schickt, deutet er die Be­deutung, die er der Entdeckung für seine ganze Vorstel­lungswelt beilegt, mit den Worten an: «Ich habe mich ent­halten, das Resultat, worauf schon Herder in seinen Ideen deutet, schon jetzt merken zu lassen, daß man nämlich den Un­terschied des Menschen vom Tier in nichts einzelnem finden könne.» Goethe konnte erst Vertrauen zu seiner Naturansicht gewinnen, als die irrtümliche Ansicht über das fatale Knöchel­chen beseitigt war. Er gewann allmählich den Mut, seine Ideen über die Art, wie die Natur, mit einer Hauptform gleichsam spielend, das mannigfaltige Leben hervorbringt,
objektiver Weise besprochen werden -, wer die innere Natur, sagen wir, des menschlichen Dickdarmes mit seinen Kräften der Absonderung studieren will, der muß die Kröten äußerlich studieren, denn der Kröte fliegt äußerlich dasjenige an, was 1m menschlichen Dickdarm von innen heraus nach diesem Schema wirkt. Es ist das nicht so schön in der Beschreibung wie das, was ich für die Schmetterlinge zu beschreiben hatte; aber in der Natur muß eben alles in objektiver Gleichheit hingenommen werden.


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Sehen Sie, auf diese Art bekommen Sie nun auch ein Bild davon, wie die Erde das kosmische Leben ihrerseits miterlebt. Denn sehen Sie hin auf die gewissermaßen absondernden Organe der Erde: die Erde sondert nicht nur die geringlebigen menschlichen Absonderungsprodukte ab, sondern sie sondert noch Lebendiges ab, und ihre eigentlichen Absonderungen sind zum Beispiel die Kröten, und in ihnen entledigt sich die Erde dessen, was sie nicht brauchen kann.


«auf alle Reiche der Natur, auf ihr ganzes Reich auszudeh­nen». In diesem Sinne schreibt er im Jahre 1786 an Frau von Stein.
Aus alldem sehen Sie, wie das Außen der Natur überall dem Innen entspricht. Wer da sagt: «Ins Innere der Natur dringt kein erschaffner Geist», der weiß nur nicht, daß überall in der Außenwelt dieses Innere der Natur vorhanden ist. Wir können den ganzen Menschen seinem Innenwesen nach studieren, wenn wir das verstehen, was im Kosmos außen webt und lebt. Wir können ihn studieren, diesen Menschen, vom Kopf bis zu den Gliedmaßen, wenn wir studieren, was in der Außenwelt vorhanden ist. Welt und Mensch gehören eben durchaus zusammen. Und man kann schon sagen, ein Schema könnte man aufstellen, das würde so sein (Tafel III, rechts): Man hat den grOßen Umkreis; der große Umkreis konzentriert seine Kraft in einem Punkte. Der große Umkreis schafft sich im Inneren einen kleineren; der Punkt strahlt dasselbe aus. Der kleinere Umkreis bildet wiederum einen weiteren kleineren Umkreis; das, was im Inneren ist, strahlt dasselbe aus. Dieser Umkreis bildet wiederum einen solchen Umkreis; das, was beim Menschen ist, strahlt weiter nach außen aus: und das Äußere des Menschen berührt sich mit dem Inneren des Kosmos. Da, wo unsere Sinne mit der Welt zusammenkommen, da berührt sich dasjenige, was bei dem Menschen von innen nach außen gegangen ist, mit dem, was im Kosmos von außen nach innen gegangen ist. In diesem Sinne ist der Mensch eine


Immer lesbarer wird Goethe das Buch der Natur, nachdem er den einen Buchstaben richtig entziffert hat. «Mein langes Buchstabieren hat mir geholfen, jetzt wirkts auf einmal und meine stille Freude ist unaussprechlich», schreibt er der Frau von Stein am 15. Mai 1785. Er hält sich jetzt auch be­reits für fähig, eine kleine botanische Abhandlung für Kne­bel zu schreiben. Die Reise, die er 1785 nach Karlsbad mit diesem zusammen unternimmt, wird zu einer förmlichen botanischen Studienreise. Nach der Rückkehr werden mit Hilfe Linnés die Reiche der Pilze, Moose, Flechten und Al­gen durchgegangen. Er teilt am 9. November der Frau von Stein mit: «Ich lese Linné fort, denn ich muß wohl, ich habe kein anderes Buch. Es ist das die beste Art, ein Buch gewiß zu lesen, die ich öfters praktizieren muß, besonders da ich nicht leicht ein Buch auslese. Dieses ist aber vorzüglich nicht zum Lesen, sondern zum Rekapitulieren gemacht und tut mir nun treffliche Dienste, da ich über die meisten Punkte selbst gedacht habe.» Während dieser Studien be­kommt auch die Grundform, aus welcher die Natur alle mannigfaltigen Pflanzengebilde herausarbeitet, einzelne, wenn auch noch nicht deutliche Umrisse in seinem Geiste. In einem Briefe an die Frau von Stein vom 9. Juli 1786 sind die Worte enthalten: «Es ist ein Gewahrwerden der wesent­lichen Form, mit der die Natur gleichsam nur immer spielt und spielend das mannigfaltige Leben hervorbringt.»
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kleine Welt, ein Mikrokosmos gegenüber dem Makrokosmos. Aber er enthält alle Wunder und Geheimnisse dieses Makrokosmos, nur eben in entgegengesetzter Entwickelungsrichtung.


Im April und Mai 1786 beobachtete Goethe durch das Mi­kroskop die niederen Organismen, die sich in Aufgüssen verschiedener Substanzen (Pisangmark, Kaktus, Trüffeln, Pfefferkörnern, Tee, Bier usw.) entwickeln. Er notiert sorg­fältig die Vorgänge, die er an diesen Lebewesen beobachtet und verfertigt Zeichnungen dieser organischen Formen (vgl. Goethes naturwissenschaftliche Schriften in der So­phien-Ausgabe, 2. Abteilung, Band 7, S.289-309). Man kann auch aus diesen Notizen ersehen, daß Goethe der Er­kenntnis des Lebens nicht durch solche Beobachtung niede­rer und einfacher Organismen näher zu kommen sucht. Es ist ganz offenbar, daß er die wesentlichen Züge der Lebens­vorgänge an den höheren Organismen ebenso zu erfassen glaubt, wie an den niederen. Er ist der Ansicht, daß sich an dem Infusionstierchen dieselbe Art von Gesetzmäßigkeit wiederholt, die das Auge des Geistes an dem Hund wahr­nimmt. Die Beobachtung durch das Mikroskop lehrt nur Vorgänge kennen, die im Kleinen das sind, was das unbe­waffnete Auge im Großen sieht. Sie bietet eine Bereicherung der sinnlichen Erfahrung. Einer höheren Art des Anschauens, nicht einer Verfolgung der den Sinnen zugänglichen Vor­gänge bis in ihre kleinsten Bestandteile, offenbart sich das Wesen des Lebens. Goethe sucht dieses Wesen durch die Betrachtung der höheren Pflanzen und Tiere zu erkennen. Er würde diese Erkenntnis ohne Zweifel in derselben Weise gesucht haben, auch wenn zu seiner Zeit die Pflanzen- und Tieranatomie schon ebenso weit vorgeschritten gewesen wäre, wie sie gegenwärtig ist. Wenn Goethe die Zellen, aus denen sich der Pflanzen- und Tierkörper aufbaut, hätte be­obachten können, so würde er erklärt haben, daß sich an diesen elementaren organischen Formen dieselbe Gesetzmäßigkeit
Es würde für die Erde etwas sehr Widriges sein in bezug auf ihre Fortentwickelung, wenn das nur so wäre, wie ich es bis jetzt dargestellt habe; da würde die Erde die Krötenwesenheiten aussondern, und sie würde eines Tages ebenso wie das physische Menschenwesen zugrunde gehen müssen, ohne Fortsetzung zu haben. Wir haben aber jetzt eigentlich nur den Menschen im Zusammenhang mit den Tieren ins Auge gefaßt, und wir haben in diesen Tagen eine kleine Brücke geschlagen zu den Pflanzenwesen hin. Wir werden weiter in das Reich der Pflanzen eindringen müssen, und dann in das Reich der Mineralwesen, und wir werden sehen, wie die Mineralwesen während der Erdenzeit entstanden sind; wie das, was zum Beispiel die Gesteine unserer Urgebirge sind, Stück für Stück von den Pflanzen abgelagert ist, wie die Kalkgebirge Stück für Stück von den späteren Tieren abgelagert sind. Mineralreich ist Ablagerung des Pflanzen- und Tierreiches, und im wesentlichen Ablagerung der niedersten Tiere. Die Kröten geben noch nicht sehr viel her für das Mineralische der Erde, die Fische auch verhältnismäßig wenig; aber die niederen Tiere und die Pflanzen geben sehr viel her. Die niederen Wesen mit Kieselpanzern und Kalkpanzern, Kalkschalen, die lagern dasjenige ab, was sie erst aus ihrem Tierischen, aus ihrem Pflanzlichen heraus bilden, und das Mineralische zerfällt dann. Wenn das Mineralische zerfällt, dann bemächtigt sich gerade der Zerfallsprodukte des Mineralischen eine höchste Kraft und baut neue Welten daraus auf. Das Mineralische an einem bestimmten Orte kann eben vor allen Dingen wichtig werden.


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Wenn wir die Erdenevolution verfolgen - Wärmemetamorphose, Luftmetamorphose, Wassermetamorphose, mineralische, irdische Metamorphose -: das menschliche Haupt hat alle diese Metamorphosen mitgemacht, die mineralische Metamorphose zunächst nach außen in dem verfallenden, aber eigentlich noch immer mit etwas Vitalität durchsetzten Kopfskelett. Aber in einer noch viel deutlicheren Weise hat dieses menschliche Haupt die irdische mineralische Metamorphose mitgemacht. Es gibt in der Mitte des menschlichen Hauptes in der Gehirnbil-


zeigt, die auch am Zusammengesetzten wahrzu­nehmen ist. Er hätte sich durch dieselben Ideen, durch die er sich die Lebensvorgänge der höheren Organismen er­klärte, auch die Erscheinungen an diesen kleinen Wesen be­greiflich gemacht.
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Den lösenden Gedanken des Rätsels, das ihm die organi­sche Bildung und Umbildung aufgegeben hat, findet Goe­the erst in Italien. Am 3. September verläßt er Karlsbad, um nach dem Süden zu gehen. In wenigen, aber bedeutsamen Sätzen schildert er in seiner «Geschichte meines botani­schen Studiums » (Kürschner, Band 33, S. 61 ff.) die Gedan­ken, welche die Beobachtung der Pflanzenwelt in ihm aufregt bis zu dem Augenblicke, da ihm in Sizilien eine klare Vorstellung darüber sich offenbart, wie es möglich ist, daß den Pflanzenformen «bei einer eigensinnigen, generischen und spezifischen Hartnäckigkeit eine glückliche Mobilität und Biegsamkeit verliehen ist, um in so viele Bedingungen, die über dem Erdkreis auf sie einwirken, sich zu fügen und darnach bilden und umbilden zu können». Beim Übergang über die Alpen, im botanischen Garten von Padua und an anderen Orten zeigte sich ihm das «Wechselhafte der Pflan­zengestalten». «Wenn in der tiefern Gegend Zweige und Stengel stärker und mastiger waren, die Augen näher aneinander standen und die Blätter breit waren, so wurden hö­her ins Gebirge hinauf Zweige und Stengel zarter, die Au­gen rückten auseinander, so daß von Knoten zu Knoten ein größerer Zwischenraum stattfand und die Blätter sich lan­zenförmiger bildeten. Ich bemerkte dies bei einer Weide und einer Gentiana und überzeugte mich, daß es nicht etwa verschiedene Arten wären. Auch am Walchensee bemerkte ich längere und schlankere Binsen, als im Unterland» (Italienische­
dung ein pyramidenartig gebildetes Organ, die Zirbeldrüse. Diese Zirbeldrüse in der Nähe des Vierhügelkörpers und der Sehhügel sondert aus sich den sogenannten Gehirnsand ab, zitronengelbe Steinchen, die wie Häufchen an dem einen Ende der Zirbeldrüse liegen und die wirklich das Mineralische im Menschenhaupte sind. Liegen sie nicht da, trägt der Mensch diesen Gehirnsand, dieses Mineralische nicht in sich, dann wird er ein Idiot oder ein Kretin. Die Zirbeldrüse ist verhältnismäßig groß bei den normalen Menschen. Bei Kretins hat man schon bloß hanfkorngroße Zirbeldrüsen gefunden; die können keinen Gehirnsand absondern.


<nowiki>#</nowiki>SE006-118 Reise, 8. Sept.). Am 8. Oktober findet er in Vene­dig am Meere verschiedene Pflanzen, an denen ihm die Wechselbeziehung des Organischen zu seiner Umgebung besonders anschaulich wird. «Sie sind alle zugleich mastig und streng, saftig und zäh, und es ist offenbar, daß das alte Salz des Sandbodens, mehr aber die salzige Luft ihnen diese Eigenschaften gibt; sie strotzen von Säften wie Wasser­pflanzen, sie sind fest und zäh wie Bergpflanzen; wenn ihre Blätterenden eine Neigung zu Stacheln haben, wie Disteln tun, sind sie gewaltig spitz und stark. Ich fand einen solchen Busch Blätter; es schien mir unser unschuldiger Huflattig, hier aber mit scharfen Waffen bewaffnet, und das Blatt wie Leder, so auch die Samenkapseln, die Stiele, alles mastig und fett» (Italienische Reise). Im botanischen Garten zu Pa­dua bekommt der Gedanke in Goethes Geiste eine bestimm­tere Gestalt, wie man sich alle Pflanzengestalten vielleicht aus einer entwickeln könne (Italienische Reise, 27. Sept.); im November teilt er Knebel mit: «So freut mich doch mein bißchen Botanik erst recht in diesen Landen, wo eine fro­here, weniger unterbrochene Vegetation zu Hause ist. Ich habe schon recht artige, ins allgemeine gehende Bemerkun­gen gemacht, die auch Dir in der Folge angenehm sein wer­den.» Am 25. März 1787 kommt ihm eine «gute Erleuch­tung über botanische Gegenstände». Er bittet Herdern zu sagen, daß er mit der Urpflanze bald zustande sei. Nur fürch­tet er, «daß niemand die übrige Pflanzenwelt darin wird er­kennen wollen » (Italienische Reise). Am ,7. April geht er mit dem «festen, ruhigen Vorsatz, seine dichterischen Träu­me fortzusetzen, nach dem öffentlichen Garten». Allein ehe er sichs versieht, erhascht ihn das Pflanzenwesen wie ein Gespenst. «Die vielen Pflanzen, die ich sonst nur in Kü­beln
In diesem mineralischen Einschluß liegt eigentlich der Geistesmensch, da schon andeutend, daß das Lebendige eigentlich zunächst nicht den Geist beherbergen kann, sondern daß der Geist im Menschen als seinen Mittelpunkt ein Unlebendiges braucht, also vor allen Dingen als selbständiger lebendiger Geist da sein muß.


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Es war eine schöne Entwickelung, die uns gebracht hat von der Schmetterlings-Kopfbildung, Vogel-Kopfbildung herunter bis zu Reptilien und Fischen. Wir werden nun wieder aufsteigen, werden das betrachten, was uns ebenso befriedigen kann wie die Tierreihe: die Pflanzenreihe und die Mineralreihe. Und ebenso wie wir Lehren haben ziehen können über die Vergangenheit aus der Tierreihe, so werden wir aus der Mineralreihe Hoffnungen ziehen können für die Erdenzukunft. Dabei werden wir natürlich noch nötig haben, in den nächsten Vorträgen in der mannigfaltigsten Weise auf die Übergangstiere einzugehen, denn ich habe nur die hauptsächlichsten Tiere, die sozusagen an den Knotenpunkten der Entwickelung erscheinen, in dieser Übersicht berühren können.


und Töpfen, ja die größte Zeit des Jahres nur hinter Glasfenstern zu sehen gewohnt war, stehen hier froh und frisch unter freiem Himmel, und indem sie ihre Bestimmung vollkommen erfüllen, werden sie uns deutlicher. Im Angesicht so vielerlei neuen und erneuten Gebildes, fiel mir die alte Grille wieder ein: ob ich nicht unter dieser 5char die Ur­pfianze entdecken könnte? Eine solche muß es denn doch geben! woran würde ich sonst erkennen, daß dieses oder jenes Gebilde eine Pflanze sei, wenn sie nicht alle nach einem Muster gebildet wären.» Er bemüht sich, die abweichenden Gestalten zu unter­scheiden, aber immer wieder werden seine Gedanken zu dem einen Urbild, das ihnen allen zu Grunde liegt, hingelenkt (Italienische Reise, 7. April 1787). Goethe legt sich ein botanisches Tagebuch an, in dem er alle während der Reise über das Pflanzenreich gemachten Erfahrungen und Reflexionen einzeichnet (vgl. Sophien-Ausgabe, 2. Abt., Band 7, S.273 ff.). Diese Tagebuchblätter zeigen, wie un­ermüdlich er damit beschäftigt ist, Pflanzenexemplare aus­findig zu machen, die geeignet sind, auf die Gesetze des Wachstums und der Fortpflanzung hinzuleiten. Glaubt er irgend einem Gesetze auf der Spur zu sein, so stellt er es zu­nächst in hypothetischer Form auf, um es sich dann im Ver­lauf seiner weiteren Erfahrungen bestätigen zu lassen. Die Vorgänge der Keimung, der Befruchtung, des Wachstums notiert er sorgfältig. Daß das Blatt das Grundorgan der Pflanze ist, und daß die Formen aller übrigen Pflanzenor­gane am besten zu verstehen sind, wenn man sie als umge­wandelte Blätter betrachtet, leuchtet ihm immer mehr ein. Er schreibt in das Tagebuch: «Hypothese: Alles ist Blatt und durch diese Einfachheit wird die größte Mannigfaltig­keit möglich.» Und am ,7. Mai teilt er Herder mit: « Ferner
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= III Die Pflanzenwelt und die Naturelementargeister =


muß ich Dir vertrauen, daß ich dem Geheimnis der Pflan­zenzeugung und Organisation ganz nahe bin, und daß es das Einfachste ist, was nur gedacht werden kann. Unter die­sem Himmel kann man die schönsten Beobachtungen ma­chen. Den Hauptpunkt, wo der Keim steckt, habe ich ganz klar und zweifellos gefunden; alles übrige sehe ich auch schon im Ganzen und nur einige Punkte müssen bestimm­ter werden. Die Urpflanze wird das wunderlichste Geschöpf von der Welt, um welches mich die Natur selbst beneiden soll. Mit diesem Modell und dem Schlüssel dazu kann man alsdann noch Pflanzen ins unendliche erfinden, die konse­quent sein müssen, das heißt: die, wenn sie auch nicht existieren, doch existieren könnten, und nicht etwa malerische oder dichterische Schatten und Scheine sind, sondern eine innerliche Wahrheit und Notwendigkeit haben. Dasselbe Gesetz wird sich auf alles übrige Lebendige anwenden las­sen..... «Vorwärts und rückwärts ist die Pflanze immer nur Blatt, mit dem künftigen Keime so unzertrennlich vereint, daß man eins ohne das andere nicht denken darf Einen sol­chen Begriff zu fassen, zu ertragen, ihn in der Natur aufzu­finden, ist eine Aufgabe, die uns in einen peinlich süßen Zustand versetzt» (Italienische Reise).
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Goethe nimmt zur Erklärung der Lebenserscheinungen einen Weg, der gänzlich verschieden ist von denen, welche die Naturforscher gewöhnlich gehen. Diese scheiden sich in zwei Parteien. Es gibt Verteidiger einer in den organischen Wesen wirkenden Lebenskraft, die gegenüber anderen Na­turursachen eine besondere, höhere Kräfteform darstellt. Wie es Schwerkraft, chemische Anziehung und Abstoßung,
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= SIEBENTER VORTRAG Dornach, 2. November 1923 =


Magnetismus usw. gibt, so soll es auch eine Lebenskraft geben, welche die Stoffe des Organismus in eine solche Wechselwirkung bringt, daß dieser sich erhalten, wachsen, nähren und fortpflanzen kann. Die Naturforscher, welche dieser Meinung sind, sagen: in dem Organismus wirken dieselben Kräfte wie in der übrigen Natur; aber sie wirken nicht wie in einer leblosen Maschine. Sie werden von der Lebenskraft gleichsam eingefangen und auf eine höhere Stufe des Wirkens gehoben. Den Bekennern dieser Mei­nung stehen andere Naturforscher gegenüber, welche glau­ben, daß in den Organismen keine besondere Lebenskraft wirke. Sie halten die Lebenserscheinungen für komplizierte chemische und physikalische Vorgänge und geben sich der Hoffnung hin, daß es einst vielleicht gelingen werde, einen Organismus ebenso durch Zurückführung auf unorgani­sche Kraftwirkungen zu erklären wie eine Maschine. Die erste Ansicht wird als Vitalismus, die andere als Mechanis­mus bezeichnet. Von beiden ist die Goethesche Auffassungs­weise durchaus verschieden. Daß in dem Organismus noch etwas anderes wirksam ist, als die Kräfte der unorganischen Natur, erscheint ihm selbstverständlich. Zur mechanischen Auffassung der Lebenserscheinungen kann er sich nicht be­kennen. Ebensowenig sucht er, um die Wirkungen im Or­ganismus zu erklären, nach einer besonderen Lebenskraft. Er ist überzeugt, daß zur Erfassung der Lebensvorgänge eine Anschauung gehört, die anderer Art ist als diejenige, durch welche die Erscheinungen der unorganischen Natur wahrgenommen werden. Wer zur Annahme einer Lebens­kraft sich entschließt, der sieht zwar ein, daß die orga­nischen Wirkungen nicht mechanisch sind, aber es fehlt ihm zugleich die Fähigkeit, jene andere Art der Anschauung­
Zu der äußerlich wahrnehmbaren, sichtbaren Welt gehört die unsichtbare, die mit ihr zusammen ein Ganzes bildet. Zunächst tritt in aller Deutlichkeit hervor, wie sehr das der Fall ist, wenn wir unseren Blick nun von den Tieren abwenden zu den Pflanzen.


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Das pflanzliche Dasein, das den Menschen zunächst erfreut, sproßt und sprießt aus der Erde heraus und bildet eigentlich den Anlaß zu etwas, was als geheimnisvoll empfunden werden muß. Beim Tier kann sich der Mensch, wenn ihm auch der Wille des Tieres, die ganze innere Aktivität des Tieres zunächst etwas Geheimnisvolles schon ist, dennoch sagen: Dieser Wille ist eben da, und aus diesem Willen heraus ist dann die Gestalt, sind die Äußerungen des Tieres eine Folge. - Aber an der Pflanze, die in einer so mannigfaltigen Gestalt an der Oberfläche der Erde erscheint, die in einer so geheimnisvollen Art aus dem Samen mit Hilfe der Erde und mit Hilfe des Luftkreises zunächst sich entwickelt, muß der Mensch empfinden, wie ein anderes vorhanden sein muß, damit diese Pflanzenwelt ihm eben in der Gestalt entgegentreten kann, in der sie ihm entgegentritt.


in sich auszubilden, durch die ihm das Organische er­kennbar werden könnte. Die Vorstellung der Lebenskraft bleibt dunkel und unbestimmt. Ein neuerer Anhänger des Vitalismus, Gustav Bunge, meint: «In der kleinsten Zelle - da stecken schon alle Rätsel des Lebens drin, und bei der Erforschung der kleinsten Zelle - da sind wir mit den bis­herigen Hilfsmitteln bereits an der Grenze angelangt» («Vi­talismus und Mechanismus», Leipzig 1886, S. 7). Es ist durchaus im Sinne der Goetheschen Denkweise, darauf zu antworten: Dasjenige Anschauungsvermögen, welches nur das Wesen der unorganischen Erscheinungen erkennt, ist mit seinen Hilfsmitteln an der Grenze angelangt, die über­schritten werden muß, um das Lebendige zu erfassen. Die­ses Anschauungsvermögen wird aber nie innerhalb seines Bereiches Mittel finden, die zur Erklärung des Lebens auch nur der kleinsten Zelle geeignet sein können. Wie zur Wahr­nehmung der Farbenerscheinungen das Auge gehört, so gehört zur Auffassung des Lebens die Fähigkeit, in dem Sinnlichen ein Übersinnliches unmittelbar anzuschauen. Dieses Übersinnliche wird demjenigen immer entschlüpfen, der nur die Sinne auf die organischen Formen richtet. Goe­the sucht die sinnliche Anschauung der Pflanzengestalten auf eine höhere Art zu beleben und sich die sinnliche Form einer übersinnlichen Urpflanze vorzustellen (vgl.« Geschich­te meines botanischen Studiums»in Kürschner, Band 33, S.80). Der Vitalist nimmt seine Zuflucht zu dem inhaltlee­ren Begriff der Lebenskraft, weil er das, was seine Sinne im Organismus nicht wahrnehmen können, überhaupt nicht sieht. Goethe sieht das Sinnliche von einem Über­sinnlichen so durchdrungen, wie eine gefärbte Fläche von der Farbe.
Die geistige Anschauung führt uns dann, wenn wir auf die Pflanzenwelt blicken, gleich zu einer Fülle von Wesenheiten, die in den alten Zeiten des instinktiven menschlichen Hellsehertums auch gewußt wor-` den sind, erkannt worden sind, dann aber vergessen worden sind, Und heute nur noch Namen darstellen, welche die Dichter verwenden, denen eigentlich eine Realität von der heutigen Menschheit nicht zugeschrieben wird. Aber in demselben Maße, in dem den Wesen, welche die Pflanze umschwirren und umweben, keine Realität zugeschrieben wird, verliert man das Verständnis für die Pflanzenwe`lt; dieses Verständnis für die Pflanzenwelt, das zum Beispiel so notwendig wäre für die Heilkunst, ist ja eigentlich der heutigen Menschheit ganz verlorengegangen.


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Nun haben wir schon einen sehr bedeutsamen Zusammenhang der Pflanzenwelt mit der Schmetterlingswelt erkannt; allein der wird uns


Die Anhänger des Mechanismus sind der Ansicht, daß es einmal gelingen könne, lebende Substanzen auf künst­lichem Wege aus unorganischen Stoffen herzustellen. Sie sagen, vor noch nicht vielen Jahren wurde behauptet, daß es im Organismus Substanzen gebe, die nicht auf künst­lichem Wege, sondern nur durch die Wirkung der Lebens­kraft entstehen können. Gegenwärtig ist man bereits im­stande, einige dieser Substanzen künstlich im Laborato­rium zu erzeugen. Ebenso könne es dereinst möglich sein, aus Kohlensäure, Ammoniak, Wasser und Salzen ein leben­diges Eiweiß herzustellen, welches die Grundsubstanz der einfachsten Organismen ist. Dann, meinen die Mechanisten, werde unbestreitbar erwiesen sein, daß Leben nichts weiter ist, als eine Kombination unorganischer Vorgänge, der Organismus nichts weiter als eine auf natürlichem Wege entstandene Maschine.
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Vom Standpunkte der Goetheschen Weltanschauung ist darauf zu erwidern: die Mechanisten sprechen ineiner Weise von Stoffen und Kräften, die durch keine Erfahrung ge­rechtfertigt ist. Und man hat sich an diese Weise zu sprechen so gewöhnt, daß es sehr schwer wird, diesen Begriffen ge­genüber die reinen Aussprüche der Erfahrung geltend zu machen. Man betrachte aber doch einen Vorgang der Au­ßenwelt unbefangen. Man nehme ein Quantum Wasser von einer bestimmten Temperatur. Wodurch weiß man etwas von diesem Wasser? Man sieht es an und bemerkt, daß es einen Raum einnimmt und zwischen bestimmten Grenzen eingeschlossen ist. Man steckt den Finger oder ein Thermo­meter hinein, und findet es mit einem bestimmten Grade von Wärme behaftet. Man drückt gegen seine Oberfläche und erfährt, daß es flüssig ist. Das sind Aussprüche, welche die
auch erst so recht vor die Seele treten, wenn wir noch tiefer hineinschauen in das ganze Weben und Treiben der Pflanzenwelt.


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Die Pflanze streckt ihre Wurzel in den Boden. Wer das verfolgen kann, was da eigentlich von der Pflanze in den Boden hineingestreckt wird, der kann mit dem geistigen Blick, und ein solcher muß es ja sein, der die Wurzel richtig durchschaut, zugleich verfolgen, wie überall das Wurzelwesen der Pflanze von Naturelementargeistern umgeben und umwoben wird. Und diese Elementargeister, die eine alte Anschauung als Gnomen bezeichnet hat, die wir Wurzelgeister nennen können, können wir mit einer imaginativen und inspirierten Weltanschauung wirklich so verfolgen, wie wir im Physischen das Menschenleben und das Tierleben verfolgen. Wir können gewissermaßen hineinschauen in das Seelenhafte dieser Elementargeister, dieser Wurzelgeisterwelt.


Sinne über den Zustand des Wassers machen. Nun erhitze man das Wasser. Es wird sieden und zuletzt sich in Dampf verwandeln. Wieder kann man sich durch die Wahrneh­mung der Sinne von den Beschaffenheiten des Körpers, des Dampfes, in den sich das Wasser verwandelt hat, Kenntnis verschaffen. Statt das Wasser zu erhitzen, kann man es dem elektrischen Strom unter gewissen Bedingungen aussetzen. Es verwandelt sich in zwei Körper, Wasserstoff und Sauer­stoff. Auch über die Beschaffenheit dieser beiden Körper kann man sich durch die Aussagen der Sinne belehren. Man nimmt also in der Körperwelt Zustände wahr und beob­achtet zugleich, daß diese Zustände unter gewissen Be­dingungen in andere übergehen. Über die Zustände unter­richten die Sinne. Wenn man noch von etwas anderem als von Zuständen, die sich verwandeln, spricht, so beschränkt man sich nicht mehr auf den reinen Tatbestand, sondern man fügt zu demselben Begriffe hinzu. Sagt man, der Sauer­stoff und der Wasserstoff, die sich durch den elektrischen Strom aus dem Wasser entwickelt haben, seien schon im Wasser enthalten gewesen, nur so innig miteinander ver­bunden, daß sie in ihrer Selbständigkeit nicht wahrzu­nehmen waren, so hat man zu der Wahrnehmung einen Be­griff hinzugefügt, durch den man sich das Hervorgehen der beiden Körper aus dem einen erklärt. Und wenn man weiter­geht und behauptet, Sauerstoff und Wasserstoff seien Stoffe, was man schon durch die Namen tut, die man ihnen beilegt, so hat man ebenfalls zu dem Wahrgenommenen einen Be­griff hinzugefügt. Denn tatsächlich ist in dem Raume, der vom Sauerstoff eingenommen wird, nur eine Summe von Zuständen wahrzunehmen. Zu diesen Zuständen denkt man den Stoff hinzu, an dem sie haften sollen. Was man von
Diese Wurzelgeister sind ein ganz besonderes Erdenvolk, für den äußeren Anblick zunächst unsichtbar, aber in ihren Wirkungen um so sichtbarer; denn keine Wurzel könnte entstehen, wenn nicht zwischen der Wurzel und dem Erdreich vermittelt würde durch diese merkwürdigen Wurzelgeister, die das Mineralische der Erde in Strömung bringen, um es an die Wurzeln der Pflanze heranzubringen. Natürlich meIne ich dabei den geistig zugrundeliegenden Vorgang.


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Diese Wurzelgeister, die überall im Erdreich vorhanden sind, die sich ganz besonders wohl fühlen innerhalb der mehr oder weniger durchsichtigen oder auch metallisch durchsetzten Gesteine und Erze, die aber sich am wohlsten fühlen, weil da ihr eigentlicher Platz ist, wenn es sich darum handelt, das Mineralische der Pflanzenwurzel zu vermitteln, diese Wurzelgeister sind ganz erfüllt von e1nem innerlich Geisthaften, das wir nur vergleichen können mit dem, was wir erfassen können im innerlichen Geisthaften des menschlichen Auges, des menschlichen Ohres. Denn diese Wurzelgeister sind in ihrer Geisthaftigkeit ganz Sinn. Sie sind eigentlich sonst gar nichts, als aus Sinn bestehend, s1e sInd ganz Sinn, und ein Sinn, der zugleich Verstand ist, der nicht nur sieht und nicht nur hört, der sogleich im Sehen und im Hören das Gesehene und Gehörte versteht, der überall nicht bloß Eindrücke empfängt, sondern überall Ideen empfängt. - Ja, wir können auch hinweisen auf die Art und Weise, wie diese Wurzelgeister ihre Ideen


dem Sauerstoff und dem Wasserstoff in dem Wasser schon vorhanden denkt, das Stoffliche, ist ein Gedachtes, das zu dem Wahmehmungsinhalt hinzugefügt ist. Wenn man Wasserstoff und Sauerstoff durch einen chemischen Prozeß zu Wasser vereinigt, so kann man beobachten, daß eine Summe von Zuständen in eine andere übergeht. Wenn man sagt: es haben sich zwei einfache Stoffe zu einem zusammen­gesetzten vereinigt, so hat man eine begriffliche Auslegung des Beobachtungsinhaltes versucht. Die Vorstellung« Stoff» erhält ihren Inhalt nicht aus der Wahrnehmung, sondern aus dem Denken. Ein ähnliches wie vom «Stoffe» gilt von der «Kraft». Man sieht einen Stein zur Erde fallen. Was ist der Inhalt der Wahrnehmung? Eine Summe von Sinneseindrücken, Zuständen, die an aufeinanderfolgenden Orten auftreten. Man sucht sich diese Veränderung in der Sinnenwelt zu erklären, und sagt: die Erde ziehe den Stein an. Sie habe eine «Kraft», durch die sie ihn zu sich hinzwingt. Wieder hat unser Geist eine Vorstellung zu dem Tatbestan­de hinzugefügt und derselben einen Inhalt gegeben, der nicht aus der Wahrnehmung stammt. Nicht Stoffe und Kräfte nimmt man wahr, sondern Zustände und deren Übergänge in einander. Man erklärt sich diese Zustandsän­derungen durch Hinzufügung von Begriffen zu den Wahr­nehmungen.
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Man nehme einmal an, es gebe ein Wesen, das Sauerstoff und Wasserstoff wahrnehmen könnte, nicht aber Wasser. Wenn wir vor den Augen eines solchen Wesens den Sauerstoff und Wasserstoff zu Wasser vereinigten, so verschwän­den vor ihm die Zustände, die es an den beiden Stoffen wahrgenommen hat, in nichts. Wenn wir ihm nun die Zu­stände auch beschrieben, die wir am Wasser wahrnehmen:
empfangen. Sehen Sie, da sproßt aus der Erde die Pflanze heraus (Tafel IV, links oben/Zeichnung S. 114). Die Pflanze kommt, wie ich gleich nachher zeigen werde, in Verbindung mit dem außerirdischenWeltenall, und zu gewissen Jahreszeiten besonders strömen gewissermaßen Geistströme (lila) von oben, von der Blüte, von der Frucht der Pflanze bis hinunter zur Wurzel, strömen in die Erde hinein. Und wie wir das Auge dem Lichte entgegenstrecken und sehen, so wenden die Wurzelgeister ihre Wahrnehmungsfähigkeit dem entgegen, was durch die Pflanzen von oben herunter in die Erde hineinträufelt. Was ihnen da entgegenträufelt, das ist das, was das Licht in die Blüten hineingeschickt hat, was die Sonnenwärme in die Pflanzen hineingeschickt hat, was die Luft im Blatte angerichtet hat, ja, was ferne Sterne in der Gestaltung der Pflanzen bewirkt haben. Die Pflanze sammelt die Geheimnisse des Weltenalls, senkt sie in den Boden, und die Gnomen nehmen diese Geheimnisse des Weltenalls aus dem, was ihnen durch die Pflanze geistig zuträufelt, in sich auf. Und indem sie, namentlich vom Herbste an durch den Winter hindurch, auf ihren Wanderungen durch Erz und Gestein tragen, was ihnen durch die Pflanzen zugeträufelt ist, werden sie dadurch zu denjenigen Wesen innerhalb der Erde, die die Ideen des ganzen Weltenalls durch die Erde hindurchströmend wandernd tragen. Wir sehen hinaus in die weite Welt. Die Welt ist aus dem Weltengeiste gebaut, eine Verkörperung der Weltenideen, des Weltengeistes. Die Gnomen nehmen durch die Pflanzen, die ihnen dasselbe sind, was uns die Lichtstrahlen sind, die Ideen des Weltenalls auf und tragen sie im Inneren der Erde in voller Bewußtheit von Erz zu Erz, von Stein zu Stein.


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Wir schauen in die Tiefen der Erde hinunter, nicht indem wir da unten abstrakte Ideen suchen für irgendwelche bloß mechanisch wirkenden Naturgesetze, sondern wir schauen hinunter in die Tiefen der Erde und sehen die wandernden und wandelnden Gnomen, welche die lichtvollen Bewahrer des Weltenverstandes sind innerhalb der Erde. Weil daher diese Gnomen das, was sie sehen, zugleich wissen, haben sie im Vergleich zu den Menschen ein zwar gleichgeartetes Wissen; sie sind die Verstandeswesen katexochen, sie sind ganz Verstand. Alles ist an ihnen Verstand, aber ein Verstand, der universell ist, der daher auf den menschlichen Verstand eigentlich heruntersieht als auf etwas Un


es könnte sich von ihnen keine Vorstellung machen. Das beweist, daß in den Wahrnehmungsinhalten des Sauerstoffes nichts liegt, aus dem der Wahrnehmungsinhalt Wasser ab­zuleiten ist. Ein Ding besteht aus zwei oder mehreren an­deren, heißt: es haben sich zwei oder mehrere Wahrneh­mungsinhalte in einen zusammenhängenden, aber den er­steren gegenüber durchaus neuen, verwandelt.
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Was wäre also erreicht, wenn es gelänge, Kohlensäure, Ammoniak, Wasser und Salze künstlich zu einer lebenden Eiweißsubstanz im Laboratorium zu vereinigen? Man wüßte, daß die Wahrnehmungsinhalte der vielerlei Stoffe sich zu einem Wahmehmungsinhalt vereinigen können. Aber dieser Wahmehmungsinhalt ist aus jenen durchaus nicht abzuleiten. Der Zustand des lebenden Eiweißes kann nur an diesem selbst beobachtet, nicht aus den Zuständen der Kohlensäure, des Ammoniaks, des Wassers und der Salze herausentwickelt werden. Im Organismus hat man etwas von den unorganischen Bestandteilen, aus denen er aufgebaut werden kann, völlig verschiedenes vor sich. Die sinnlichen Wahrnehmungsinhalte verwandeln sich bei der Entstehung des Lebewesens in sinnlich-übersinnliche. Und wer nicht die Fähigkeit hat, sich sinnlich-übersinn­liche Vorstellungen zu machen, der kann von dem Wesen eines Organismus ebensowenig etwas wissen, wie jemand vom Wasser etwas erfahren könnte, wenn ihm die sinnliche Wahrnehmung desselben unzugänglich wäre.
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vollkommenes. Die Gnomenwelt lacht uns eigentlich aus mit unserem würgenden, ringenden Verstande, mit dem wir so dies oder jenes manchmal erfassen, während die Gnomen gar nicht nachzudenken brauchen. Sie sehen das, was verständig ist in der Welt, und sie sind insbesondere dann ironisch, wenn sIe merken, daß der Mensch sich abmühen muß, um erst auf dieses oder jenes zu kommen. Wie kann man das - sagen die Gnomen -, wie kann man erst sich Mühe geben, nachzudenken?


Die Keimung, das Wachstum, die Umwandlung der Or­gane, die Ernährung und Fortpflanzung des Organismus sich als sinnlich-übersinnlichen Vorgang vorzustellen, war
Man weiß ja alles, was man anschaut. Die Menschen sind dumm - so sagen die Gnomen -, denn sie müssen erst nachdenken.


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Und ich möchte sagen, bis zur Ungezogenheit ironisch werden die Gnomen, wenn man ihnen von Logik spricht. Denn wozu soll man so ein überflüssiges Ding brauchen, eine Anleitung zum Denken? Die Ge-


Goethes Bestreben bei seinen Studien über die Pflanzen- und die Tierwelt. Er bemerkte, daß dieser sinnlich-über­sinnliche Vorgang in der Idee bei allen Pflanzen derselbe ist, und daß er nur in der äußeren Erscheinung verschiedene For­men annimmt. Dasselbe konnte Goethe für die Tierwelt feststellen. Hat man die Idee der sinnlich-übersinnlichen Urpflanze in sich ausgebildet, so wird man sie in allen ein­zelnen Pflanzenformen wiederfinden. Die Mannigfaltigkeit entsteht dadurch, daß das der Idee nach Gleiche in der Wahr­nehmungswelt in verschiedenen Gestalten existieren kann. Der einzelne Organismus besteht aus Organen, die auf ein Grundorgan zurückzuführen sind. Das Grundorgan der Pflanze ist das Blatt mit dem Knoten, an dem es sich ent­wickelt. Dieses Organ nimmt in der äußeren Erscheinung verschiedene Gestalten an: Keimblatt, Laubblatt, Kelch­blatt, Kronenblatt usw. «Es mag nun die Pflanze sprossen, blühen oder Früchte bringen, so sind es doch nur immer die selbigen Organe, welche in vielfältigen Bestimmungen und unter oft veränderten Gestalten die Vorschrift der Natur erfüllen.»
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danken sind doch da. Die Ideen strömen durch die Pflanzen. Warum stecken die Menschen nicht ihre Nase so tief in die Erde hinein, wie die Wurzel der Pflanze ist, und lassen sich in die Nase hineinträufeln das, was die Sonne zu den Pflanzen sagt? Dann würden sie etwas wissen! Aber mit Logik - sagen die Gnomen -, da kann man eigentlich immer nur ganz kleine Stücke von Wissen haben.


Um ein vollständiges Bild der Urpflanze zu erhalten, mußte Goethe die Formen im allgemeinen verfolgen, welche das Grundorgan im Fortgang des Wachstums einer Pflanze von der Keimung bis zur Samenreife durchmacht. Im Anfang ihrer Entwicklung ruht die ganze Pflanzengestalt in dem Samen. In diesem hat die Urpflanze eine Gestalt angenom­men, durch die sie ihren ideellen Inhalt gleichsam in der äußeren Erscheinung verbirgt.
So sind die Gnomen eigentlich innerhalb der Erde die Träger der Ideen des Universums, des Weltenalls. Aber die Erde selbst haben sie gar nicht gerne. Sie schwirren herum in der Erde mit Ideen vom Welten- all, hassen aber eigentlich das Irdische. Das ist ihnen etwas, dem sie am liebsten entrinnen möchten. Sie bleiben allerdings dennoch bei diesem Irdischen - Sie werden gleich nachher sehen warum -, aber sie hassen es, denn das Irdische bildet für die Gnomen eine fortwährende Gefahr, und zwar deshalb, weil dieses Irdische fortwährend den Gnomen droht, sIe sollten eine gewisse Gestalt annehmen: nämlich die Gestaltungen derjenigen Wesen, die ich Ihnen in der letzten Stunde hier beschrieben habe, die Gestaltungen der Amphibien, der Frösche und Kröten namentlich. Und die Empfindung der Gnomen in der Erde ist eigentlich diese: Wenn w1r zu stark mit der Erde verwachsen, bekommen wir Froschoder Krötengestalt. Und sie sind fortwährend auf dem Sprunge, zu vermeiden, mit der Erde zu stark zu verwachsen, um nicht diese Gestalt zu bekommen; sie wehren sich fortwährend gegen diese Erdengestalt, die ihnen eben in der Weise drohen würde in dem Elemente, in dem sie sind. In dem irdisch-feuchten Elemente halten sie sich auf; da droht ihnen fortwährend die Amphibiengestaltung. Aus der reißen sie sich fortwährend heraus und erfüllen sich ganz mit den Ideen des außerirdischen Universums. Sie sind eigentlich innerhalb der Erde dasjenige, was darstellt das Außerirdische, weil es fortwährend vermeiden muß, mit dem Irdischen zusammenzuwachsen; sonst bekämen die Einzelwesen eben die Gestalt der Amphibienwelt. Und gerade aus diesem, ich möchte sagen Haßgefühl, Antipathiegefühl gegenüber dem Irdischen gewinnen die Gnomen die Kraft, die Pflanzen aus der Erde herauszutreiben. Sie stoßen fortwährend mit ihrer Grundkraft vom Irdischen ab, und mit diesem Abstoßen ist die Richtung des Wachstums der Pflanzen nach oben gegeben; sie reißen die Pflanzen mit. Es ist die Antipa


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Einfach schlief in dem Samen die Kraft; ein beginnendes Vorbild
thie der Gnomen gegenüber dem Irdischen, was die Pflanzen nur mit ihrer Wurzel im Erdreiche sein läßt, aber dann herauswachsen läßt aus dem Erdreiche, sodaß also eigentlich die Gnomen die Pflanzen aus ihrer ureigenen Gestalt der Erde entreißen und nach oben wachsen machen.


Lag, verschlossen in sich, unter die Hülle gebeugt,  
Ist dann die Pflanze nach oben gewachsen, hat sie den Bereich der Gnomen verlassen und ist übergetreten aus dem Reiche des Feucht-Irdischen in das Reich des Feucht-Luftigen, dann entwickeln die Pflanzen das, was in den Blättern zur äußeren physischen Gestaltung kommt. Aber in alldem, was nun im Blatte tätig ist, wirken wiederum andere Wesenheiten, Wassergeister, Elementargeister des wäßrigen Elementes, welche eine ältere instinktive Hellseherkunst zum Beispiel Undinen genannt hat. Geradeso w1e wir die Wurzel umschwirrt und umwebt von den Gnomenwesen finden, so in der Nähe des Bodens, wohlgefällig das Aufwärtsstreben, das die Gnomen gegeben haben, beobachtend, sehen wir diese Wasserwesen, diese Elementarwesen des Wassers, diese Undinenwesen.


Blatt und Wurzel und Keim, nur halb geformet und farblos
Diese Undinenwesen sind anders ihrer inneren Natur nach als die Gnomen. Sie können sich nicht wie ein Sinnesorgan, wie ein geistiges Sinnesorgan hinauswenden an das Weltenall. Sie können sich eigentlich nur hineinergeben in das Weben und Walten des ganzen Kosmos im luftig-feuchten Elemente, und dadurch sind sie nicht solche helle Geister wie die Gnomen. Sie träumen eigentlich fortwährend, diese Undinen, aber ihr Träumen ist zu gleicher Zeit ihre eigene Gestalt. Sie hassen nicht so stark die Erde wie die Gnomen, aber sie sind sensitiv gegen das Irdische. Sie leben im ätherischen Elemente des Wassers, durchschwimmen und durchschweben es. Und sie sind sehr sensitiv gegen alles, was Fisch ist, denn es droht ihnen die Fischgestalt, die sie auch zuweilen annehmen, aber gleich wieder verlassen, um in eine andere Metamorphose überzugehen. Sie träumen ihr eigenes Dasein. Und im Träumen ihres eigenen Daseins binden sie und lösen sie, binden sie und trennen sie die Stoffe der Luft, die sie auf geheimnisvolle Art in die Blätter hineinbringen und herantragen an dasjenige, was die Gnomen nach aufwärts gestoßen haben. Die Gnomen stoßen das Pflanzenwesen nach aufwärts. (Tafel IV, links oben/Zeichnung S. 114, hell.) Es würde hier verdorren, wenn nicht die Undinenwesen von allen Seiten gewissermaßen herankämen


Trocken erhält so der Kern ruhiges Leben bewahrt,
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Quillet strebend empor, sich milder Feuchte vertrauend,  
und nun in dieser traumhaften Bewußtheit, in der sie die Pflanzen umschwirren, sich erwiesen, man kann nicht anders sagen, als der Weltenchemiker. Die Undinen träumen das Verbinden und Lösen der Stoffe. Und dieser Traum, in dem die Pflanzen leben, in den die Pflanze hineinwächst, wenn sie nach aufwärts den Boden verläßt, dieser Undinentraum ist der Weltenchemiker, der die geheimnisvolle Verbindung und Lösung der Stoffe, vom Blatte ausgehend, in der Pflanze bewirkt. So daß wir sagen können, die Undinen sind die Chemiker des Pflanzenlebens. Sie träumen von Chemie. Es ist in ihnen eine ungemein zarte Geistigkeit, eine Geistigkeit, die eigentlich ihr Element da hat, wo Wasser und Luft sich berühren. Die Undinen leben ganz im feuchten Elemente; aber ihr eigentliches inneres Wohlgefallen haben sie, wenn sie irgendwo an eine Oberfläche, wenn auch nur an die Oberfläche eines Tropfens oder sonst irgendeines Wäßrigen kommen. Denn ihr ganzes Streben besteht darin, sich davor zu bewahren, ganz die Gestalt, die bleibende Gestalt der Fische zu bekommen. Sie wollen in der Metamorphose bleiben, in der ewigen, der immerwährenden Verwandelbarkeit. Aber in dieser Verwandelbarkeit, in der sie von Sternen und von der Sonne, vom Lichte und von der Wärme träumen, werden sie die Chemiker, die vom Blatte aus nun die Pflanze weiterbringen in ihrer Gestaltung, die Pflanze, die von der Gnomenkraft nach oben geschoben worden ist. Und so entwickelt denn die Pflanze das Blattwachstum (Tafel IV, links oben/Zeichnung S. 114), und das Geheimnisvolle enthüllt sich als Undinentraum, in den die Pflanze hineinwächst.


Und erhebt sich sogleich aus der umgebenden Nacht.
In demselben Maße aber, in dem die Pflanze in den Undinentraum hineinwächst, gerät sie nach oben nun in ein anderes Bereich, in das Bereich derjenigen Geister, die nun ebenso im luftartig-wärmehaften Elemente leben, wie die Gnomen im feucht-irdischen, die Undinen im feucht-luftigen leben. So im luftartig-wärmehaften Element leben diejenigen Wesenheiten, die eine ältere, instinktive Hellseherkunst als die Sylphen bezeichnet hat. Diese Sylphen, die im luftartig-warmen Elemente leben, dringen aber, weil die Luft überall durchsetzt ist vom Lichte, zum Lichte vor, werden lichtverwandt, und sind namentlich empfänglich für dasjenige, was die feineren, aber größeren Bewegungen innerhalb des Luftkreises sind.


Kürschner, Band 33, S.105
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Aus dem Samen entwickelt die Pflanze die ersten Orga­ne, die Kotyledonen, nachdem sie «ihre Hüllen mehr oder weniger in der Erde» zurückgelassen und «die Wurzel in den Boden » befestigt hat. Und nun folgt im weiteren Verlau­fe des Wachstums Trieb auf Trieb; Knoten auf Knoten türmt sich übereinander, und an jedem Knoten findet sich ein Blatt. Die Blätter erscheinen in verschiedenen Gestalten. Die unteren noch einfach, die oberen mannigfach gekerbt, eingeschnitten, aus mehreren Blättchen zusammengesetzt. Die Urpflanze breitet auf dieser Stufe der Entwicklung ihren sinnlich-übersinnlichen Inhalt im Raume als äußere sinnliche Erscheinung aus. Goethe stellt sich vor, daß die Blätter ihre fortschreitende Ausbildung und Verfeinerung dem Lichte und der Luft schuldig sind. «Wenn wir jene in der verschlossenen Samenhülle erzeugten Kotyledonen, mit einem rohen Safte nur gleichsam ausgestopft, fast gar nicht oder nur grob organisiert und ungebildet finden, so zeigen sich uns die Blätter der Pflanzen, welche unter dem Wasser wachsen, gröber organisiert als andere, der freien Luft ausgesetzte; ja, sogar entwickelt die selbige Pflanzenart glättere und weniger verfeinerte Blätter, wenn sie in tiefen,
Wenn Sie im Frühling oder Herbst einen Schwalbenschwarm sehen, der in seinem Hinfliegen zugleich den Luftkörper in Schwingungen bringt, einen bewegten Luftstrom hervorruft, so bedeutet dieser bewegte Luftstrom, der aber dann bei jedem Vogel vorhanden ist, für die Sylphen etwas Hörbares. Weltenmusik ertönt daraus den Sylphen.


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Wenn Sie irgendwo, sagen wir, auf dem Schiffe fahren, und die Möwen heranfliegen, dann ist in dem, was durch den Möwenflug erregt wird, ein geistiges Ertönen, eine geistige Musik, die das Schiff begleitet.


feuchten Orten wächst, da sie hingegen, in höhere Gegen­den versetzt, rauhe, mit Haaren versehene, feiner ausgebil­dete Blätter hervorbringt.» (Kürschner, Band 33, S.25 f.) In der zweiten Epoche des Wachstums zieht die Pflanze wieder in einen engeren Raum zusammen, was sie vorher ausgebreitet hat.
Wiederum sind es die Sylphen, welche in diesem Tönen drinnen sich entfalten und entwickeln und in diesen erregten Luftströmen ihre Heimat finden. In dem geistig tönend bewegten Luftelemente finden sie ihre Heimat und nehmen dabei dasjenige auf, was die Kraft des Lichtes in diese Luftschwi`ngungen hineinschickt. Dadurch` aber fühlen sich diese Sylphen, welche im Grunde genommen für sich mehr oder weniger schlafende Wesenheiten sind, überall dort am heimischsten, am meisten zuhause, wo der Vogel die Luft durcheilt. Wenn eine Sylphe gezwungen ist, die vogellose Luft zu durchschwirren, dann ist es für sie so, als ob sie sich selbst verloren hätte. Wenn ihr der Anblick des Vogels in der Luft wird, dann kommt etwas ganz Besonderes über die Sylphe. Ich mußte oftmals einen gewissen Vorgang für den Menschen darstellen, jenen Vorgang, der die Menschenseele dazu führt, zu sich «Ich» zu sagen. Ich habe immer aufmerksam gemacht auf den Ausspruch Jean Pauls, daß da der Mensch, wenn er zum ersten Male zu der Ich-Vorstellung kommt, wie in das verhangenste Allerheiligste der Seele hineinsieht. Die Sylphe sieht nicht in ein solches verhangenes Allerheiliges der eigenen Seele hinein, sondern sie sieht den Vogel, und die IchEmpfindung überkommt sie. In dem, was der Vogel, durch die Luft fliegend, in ihr erregt, findet die Sylphe ihr Ich. Und damit, daß das so ist, daß sie am Äußeren ihr Ich entzündet, wird die Sylphe die Trägerin der kosmischen Liebe durch den Luftraum. Die Sylphe ist zugleich, indem sie etwa so wie ein menschlicher Wunsch lebt, aber das Ich nicht im Inneren hat, sondern in der Vogelwelt hat, die Trägerin der Liebeswünsche durch das Universum hindurch.


Mäßiger leitet sie nun den Saft, verengt die Gefäße,
Deshalb ist zu schauen die tiefste Sympathie der Sylphe mit der Vogelwelt. Wie der Gnom die Amphibienwelt haßt, wie die Undine


Und gleich zeigt die Gestalt zärtere Wirkungen an.
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Stille zieht sich der Trieb der strebenden Ränder zurücke,
sensitiv ist und sich gewissermaßen nicht nähern mag dem Fische, weg will vom Fisch, ein Grauen in gewissem Sinne empfindet, so will die Sylphe zum Vogel hin, fühlt sich wohl, wenn sie an sein Gefieder herantragen kann die schwebend-tönende Luft. Und wenn Sie den Vogel fragen würden, von wem er singen lerne, dann würden Sie von ihm hören, daß er seinen Inspirator in der Sylphe hat. Die Sylphe hat ein Wohlgefallen an der Vogelgestalt. Aber sie ist abgehalten durch die kosmische Ordnung, Vogel zu werden, denn sie hat eine andere Aufgabe. Sie hat die Aufgabe, in Liebe das Licht an die Pflanzen heranzutragen (Tafel IV, links Oben/Zeichnung S. 114, hell und rot). Geradeso wie die Undine der Chemiker ist, ist dadurch die Sylphe für die Pflanze der Lichtträger. Sie durchsetzt die Pflanze mit Licht; sie trägt In die Pflanze das Licht hinein.


Und die Rippe des Stiels bildet sich völliger aus.
Dadurch, daß die Sylphe in die Pflanze das Licht hineinträgt, wird etwas ganz Eigentümliches in der Pflanze geschaffen. Sehen Sie, die Sylphe trägt fortwährend das Licht in die Pflanze hinein. Das Licht, das heißt die Sylphenkraft in der Pflanze, wirkt auf die chemischen Kräfte, welche die Undine in die Pflanze hineinversetzt. Da geschieht das Zusammenwirken von Sylphenlicht und Undinenchemie (Tafel IV, links Oben/Zeichnung S. 114, rot). Das ist eine merkwürdige plastische Tätigkeit. Aus dem Lichte heraus weben die Sylphen mit Hilfe der Stoffe, die da hinaufströmen und von den Undinen bearbeitet werden, da drinnen eine ideale Pflanzengestalt. Die Sylphen weben eigentlich die Urpflanze in der Pflanze aus dem Lichte und aus dem chemischen Arbeiten der Undinen. Und wenn die Pflanze gegen den Herbst hin abwelkt und alles, was physische Materie ist, zerstiebt, dann kommen diese Formen der Pflanzen eben zum Herunterträufeln, und die Gnomen nehmen sie jetzt wahr, nehmen wahr, was die Welt, die Sonne durch die Sylphen, die Luft durch die Undinen, an der Pflanze bewirkt hat. Das nehmen die Gnomen wahr. So daß die Gnomen unten den ganzen Winter hindurch beschäftigt sind, wahrzunehmen, was von den Pflanzen hinunterträufelt in den Erdboden. Da fassen sie die Ideen der Welt in den Pflanzenformen, die mit Hilfe der Sylphen plastisch ausgebildet sind, und die in ihrer Geist-Ideengestalt in den Erdboden hineingehen.


Blattlos aber und schnell erhebt sich der zärtere Stengel,
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Und ein Wundergebild zieht den Betrachtenden an.
Von dieser Geist-Ideengestalt wissen ja diejenigen Menschen natürlich nichts, die die Pflanze nur materiell, als Materielles betrachten. Daher tritt hier an dieser Stelle für die materielle Pflanzenbetrachtung etwas ein, was nichts anderes ist als ein grandioser Irrtum, ein furchtbarer Irrtum. Diesen Irrtum will ich Ihnen skizzieren.


Rings im Kreise stellet sich nun, gezählet und ohne
Sie werden von der materialistischen Wissenschaft überall beschrieben finden: da wurzelt die Pflanze im Boden, darüber entfaltet sie ihre Blätter, zuletzt ihre Blüte, in der Blüte die Staubgefäße, dann den Fruchtknoten, und dann wird in der Regel von einer anderen Pflanze der Staub von den Antheren, von den Staubgefäßen, herangetragen, und der Fruchtknoten wird befruchtet, und dadurch entsteht der Same der neuen Pflanze. So wird das überall beschrieben. Es wird gewissermaßen der Fruchtknoten als das Weibliche und das, was von den Staubgefäßen kommt, als das Männliche angesehen, kann auch nicht anders angesehen werden, solange man im Materialistischen steckenbleibt, denn da sieht dieser Prozeß wirklich aus wie eine Befruchtung. Aber so ist es nicht, sondern wir müssen, um überhaupt die Befruchtung, also die Fortpflanzung des Pflanzlichen einzusehen, uns bewußt sein, daß zunächst aus dem, was die großen Chemiker, die Undinen in den Pflanzen bewirken, was die Sylphen bewirken, die Pflanzenform entsteht, die ideale Pflanzenform, welche in den Erdboden sinkt und von den Gnomen bewahrt wird. Da unten ist sie, diese Pflanzenform. Da drinnen ist sie in der Erde gehütet nun von den Gnomen, nachdem sie sie gesehen haben, geschaut haben. Die Erde wird zum Mutterschoß desjenigen, was da hinunterträufelt. Und hier ist etwas ganz anderes, als was die materialistische Wissenschaft beschreibt.


Zahl, das kleinere Blatt neben dem ähnlichen hin.
Hier oben (Tafel IV, rechts / Zeichnung) kommt die Pflanze, nachdem sie durch den Sylphenbereich gegangen ist, in die Sphäre der Elementar-Feuergeister. Und die Feuergeister, sie sind die Bewohner des Wärmeartig-Lichtartigen; sie sammeln, wenn dieErdenwärme am höchsten gestiegen oder eben geeignet geworden ist, nun die Wärme auf. Eben- so wie die Sylphen das Licht aufgesammelt haben, so sammeln die Feuergeister die Wärme auf und tragen sie in die Blüten der Pflanzen hinein.


Um die Achse gedrängt, entscheidet der bergende
Undinen tragen die Wirkungen des chemischen Äthers in die Pflanzen hinein, Sylphen tragen die Wirkungen des Lichtäthers in die Pflanzen


Kelch sich,
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Der zur höchsten Gestalt farbige Kronen entläßt.
<nowiki>#</nowiki>Bild S. 121


Im Kelch zieht sich die Pflanzengestalt zusammen; in der Blumenkrone breitet sie sich wieder aus. Nun folgt die nächste Zusammenziehung in den Staubgefäßen und dem Stempel, den Organen der Fortpflanzung. Die Bildungskraft der Pflanze entwickelte sich in den vorhergehenden Wachstumsperioden in einerlei Organen als Trieb, das Grundgebilde zu wiederholen. Dieselbe Kraft verteilt sich auf dieser Stufe der Zusammenziehung auf zwei Organe. Das Getrennte sucht sich wieder zusammenzufinden. Dies geschieht im Befruchtungsvorgang. Der in dem Staub­gefäß vorhandene männliche Blütenstaub vereinigt sich mit der weiblichen Substanz, die im Stempel enthalten ist; und damit ist der Keim zu einer neuen Pflanze gegeben.
hinein, die Feuergeister tragen die Wirkungen des Wärmeäthers in die Blüten der Pflanzen hinein. Und der Blütenstaub, der ist dasjenige, was nun gewissermaßen das kleine Luftschiffchen abgibt für die Feuergeister, um hineinzutragen die Wärme in den Samen. Die Wärme wird überall gesammelt mit Hilfe der Staubfäden und von den Staubfäden aus übertragen auf den Samen in dem Fruchtknoten. Und dieses, was hier im Fruchtknoten gebildet wird, das ist im Ganzen das Männliche, das aus dem Kosmos kommt. Nicht der Fruchtknoten ist das Weibliche, und die Antheren des Staubfadens wären das Männliche! Da geschieht überhaupt in der Blüte keine Befruchtung, sondern da wird nur der männliche Same vorgebildet. Was als Befruchtung wirkt, das ist nun dasjenige, was von den Feuergeistern in der Blüte als der der Wärme des Weltenalls entnommene weltenmännliche Same ist, der zusammenge


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Goethe nennt die Befruchtung eine geistige Anastomose und sieht in ihr nur eine andere Form des Vorgangs, der in der Entwicklung von einem Knoten zum andern stattfindet. «An allen Körpern, die wir lebendig nennen, bemerken wir die Kraft, ihresgleichen hervorzubringen. Wenn wir diese Kraft geteilt gewahr werden, bezeichnen wir sie unter dem Namen der beiden Geschlechter.» (Sophien-Ausgabe, 2. Abt., Band 6, S.36i.) Von Knoten zu Knoten bringt die Pflanze ihresgleichen hervor. Denn Knoten und Blatt sind die einfache Form der Urpflanze. In dieser Form heißt die Hervorbringung Wachstum. Ist die Fortpflanzungskraft auf zwei Organe verteilt, so spricht man von zwei Geschlech­tern. Auf diese Weise glaubt Goethe die Begriffe von Wachstum und Zeugung einander näher gerückt zu haben. In dem Stadium der Fruchtbildung erlangt die Pflanze ihre letzte Ausdehnung; in dem Samen erscheint sie wieder zu­sammengezogen. In diesen sechs Schritten vollendet die Natur einen Kreis der Pflanzenentwicklung, und sie be­ginnt den ganzen Vorgang wieder von vorne. In dem Sa­men sieht Goethe nur eine andere Form des Auges, das sich an den Laubblättern entwickelt. Die aus den Augen sich entfaltenden Seitenzweige sind ganze Pflanzen, die, statt in der Erde, auf einer Mutterpflanze stehen. Die Vor­stellung von dem sich stufenweise, wie auf einer «geistigen Leiter » vom Samen bis zur Frucht sich umbildenden Grundorgan ist die Idee der Urpflanze. Gleichsam um die Ver­wandlungsfähigkeit des Grundorgans für die sinnliche An­schauung zu beweisen, läßt die Natur unter gewissen Be­dingungen auf einer Stufe statt des Organs, das nach dem regelmäßigen Wachstumsverlaufe entstehen sollte, ein an­deres sich entwickeln. Bei den gefüllten Mohnen z. B. treten
bracht wird mit dem Weiblichen, das aus der Formung der Pflanze, wie ich Ihnen gesagt habe, schon früher als Ideelles hinuntergeträufelt ist in den Erdboden, da drinnen ruht. Für die Pflanzen ist die Erde Mutter, der Himmel Vater. Und alles das, was außerhalb des Irdischen geschieht, ist für die Pflanze nicht Mutterschoß. Es ist ein kolossaler Irrtum, zu glauben, daß das mütterliche Prinzip der Pflanze im Fruchtknoten ist. Da ist gerade das mit Hilfe der Feuergeister aus dem Universum herausgeholte Männliche. Das Mütterliche wird aus dem Kambium der Pflanze, welches sich sowohl gegen die Rinde wie gegen das Holz hin verbreitet, hinuntergetragen als Idealgestalt in der Pflanze. Und dasjenige, was nun entsteht aus dem Zusammenwirken von Gnomenwirkung und Feuergeisterwirkung, das ist Befruchtung. Im Grunde genommen sind die Gnomen die geistigen Hebammen der Pflanzen-Fortpflanzung. Und die Befruchtung findet statt während des Winters drunten in der Erde, wenn der Samen in die Erde hineinkommt und auftrifft auf die Gestalten, die die Gnomen empfangen haben von den Sylphen- und Undinenwirkungen und hintragen, wo diese Gestalten auftreffen können auf den befruchtenden Samen.


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Sie sehen: dadurch, daß man das Geistige nicht kennt, daß man nicht weiß, wie mitweben und mitleben mit dem Pflanzenwachstum Gnomen, Undinen, Sylphen und Feuergeister - was früher Salamander genannt worden ist -, dadurch ist man sich sogar ganz unklar über den Vorgang der Befruchtung in der Pflanzenwelt. Also da, außerhalb der Erde geschieht eben gar keine Befruchtung, sondern die Erde ist Mutter der Pflanzenwelt, der Himmel ist Vater der Pflanzenwelt. Das ist in ganz wörtlichem Sinne der Fall. Und die Befruchtung der Pflanzen geschieht dadurch, daß die Gnomen von den Feuergeistern dasjenige nehmen, was die Feuergeister in den Fruchtknoten hineingetragen haben auf den kleinen Luftschiffchen des Antherenstaubes als konzentrierte kosmische Wärme. So sind die Feuergeister Wärmeträger.


an der Stelle, wo die Staubgefäße entstehen sollten, Blu­menblätter auf Das Organ, das der Idee nach zum Staubge­fäß bestimmt war, ist ein Blumenblatt geworden. In dem Organ, das im regelmäßigen Fortgang der Pflanzenent­wicklung eine bestimmte Form hat, ist die Möglichkeit enthalten, auch eine andere anzunehmen.
Jetzt werden Sie natürlich leicht einsehen, wie eigentlich das ganze Pflanzenwachstum zustande kommt. Erst beleben unten mit Hilfe dessen, was ihnen von den Feuergeistern wird, die Gnomen die Pflanze und stoßen sie nach aufwärts. Sie sind die Lebenspfleger. Sie tragen heran den Lebensäther an die Wurzel; jenen Lebensäther, in dem sie sel-


Als Illustration seiner Idee von der Urpflanze betrachtet Goethe das Bryophyllum calicinum, die gemeine Keim-Zumpe, eine Pflanzenart, die von den Molukkeninseln nach Kalkutta und von da nach Europa gekommen ist. Aus den Kerben der fetten Blätter dieser Pflanzen entwickeln sich frische Pflänzchen, die, nach ihrer Ablösung, zu voll­ständigen Pflanzen auswachsen. Goethe sieht in diesem Vor­gang sinnlich-anschaulich dargestellt, daß in dem Blatte eine ganze Pflanze der Idee nach ruht (vgl. Goethes Bemerkun­gen über das Bryophyllum calicinum in der Sophien-Aus­gabe, 2. Abt., Band VI, S. 336 ff.).
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Wer die Vorstellung der Urpflanze in sich ausbildet und so beweglich erhält, daß er sie in allen möglichen Formen denken kann, die ihr Inhalt zuläßt, der kann mit ihrer Hilfe sich alle Gestaltungen im Pflanzenreiche erklären. Er wird die Entwicklung der einzelnen Pflanze begreifen; aber er wird auch finden, daß alle Geschlechter, Arten und Varie­täten nach diesem Urbilde geformt sind. Diese Anschauung hat Goethe in Italien ausgebildet und in seiner 1790 erschie­nenen Schrift: «Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu erklären» niedergelegt.
ber leben, den tragen sie an die Wurzel heran. Weiter pflegen in der Pflanze die Undinen den chemischen Äther, die Sylphen den Lichtäther, die Feuergeister den Wärmeäther. Dann verbindet sich wiederum die Frucht des Wärmeäthers mit dem, was unten Leben ist. Und so kann man die Pflanze nur verstehen, wenn man sie Im Zusammenhange betrachtet mit alledem, was sie umschwirrt, umwebt und umlebt. Und sogar auf die richtige Interpretation des bei der Pflanze wichtigsten Vorganges kommt man erst dann, wenn man in diese Dinge eindringt, auf geistige Art eindringt.


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Es ist interessant, wenn dies einmal erkannt wird, jene Notiz bei Goethe wiederzusehen, wo Goethe in Anknüpfung an einen anderen Botaniker sich so furchtbar ärgert, daß die Leute da reden von den ewigen Hochzeiten da oben auf den Pflanzen. Goethe ärgerte sich, daß über eine Wiese da lauter Hochzeiten ausgebreitet sein sollen. Es erschien ihm das als etwas Unnatürliches. Aber das war ein instinktiv sehr sicheres Gefühl. Goethe konnte nur noch nicht wissen, um was es sich eigentlich handelt, aber es war instinktiv sehr sicher. Er konnte aus seinem Instinkt heraus nicht begreifen, daß da oben in den Blüten die Befruchtung vor sich gehen sollte. Er wußte nur noch nicht, was da unten, unterhalb des Bodens vor s1ch geht, daß die Erde der Mutterschoß ist für die Pflanzen. Aber daß das, was da oben ist, das nicht ist, wofür es alle Botaniker ansehen, das ist etwas, was Goethe instinktiv gefühlt hat. Nun erkennen Sie auch den innigen Zusammenhang zwischen der Pflanze und der Erde einerseits. Aber noch etwas anderes müssen Sie ins Auge fassen.


Auch in der Entwicklung seiner Ideen über den mensch­lichen Organismus schreitet Goethe in Italien vor. Am
Sehen Sie, wenn nun da oben die Feuergeister herumschwirren, namentlich wenn sie den Antherenstaub vermitteln, dann haben sie nur ein Gefühl. Das ist ein gesteigertes Gefühl gegenüber dem Sylphengefühl. Die Sylphen empfinden ihr Selbst, ihr Ich, indem sie die Vögel schwirren sehen. Die Feuergeister haben dieses noch gesteigert gegenüber der Schmetterlingswelt und überhaupt der ganzen Insektenwelt. Und sie sind es, diese Feuergeister, welche am liebsten der Insektenspur folgen, um eben die Vermittlung der Wärme zu bewirken für den Fruchtknoten. Um das konzentrierte Warme, das hineinkommen muß in die Erde, um sich da zu verbinden mit der ideellen Gestalt, um das


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20J. anuar schreibt er an Knebel: «Auf Anatomie bin ich so ziemlich vorbereitet, und ich habe mir die Kenntnis des menschlichen Körpers, bis auf einen gewissen Grad, nicht ohne Mühe erworben. Hier wird man durch die ewige Be­trachtung der Statuen immerfort, aber auf eine höhere Weise, hingewiesen. Bei unserer medizinisch-chirurgischen Anatomie kommt es bloß darauf an, den Teil zu kennen, und hierzu dient auch wohl ein kümmerlicher Muskel. In Rom aber wollen die Teile nichts heißen, wenn sie nicht zu­gleich eine edle schöne Form darbieten. - In dem großen Lazarett San Spirito hat man den Künstlern zulieb einen sehr schönen Muskelkörper dergestalt bereitet, daß die Schönheit desselben in Verwunderung setzt. Er könnte wirklich für einen geschundenen Halbgott, für einen Mar­syas gelten. - So pflegt man auch, nach Anleitung der Alten, das Skelett nicht als eine künstlich zusammengereihte Kno­chenmasse zu studieren, vielmehr zugleich mit den Bändern, wodurch es schon Leben und Bewegung erhält.» Auch nach seiner Rückkehr aus Italien treibt Goethe fleißig anatomi­sche Studien. Es drängt ihn, die Bildungsgesetze der tieri­schen Gestalt ebenso zu erkennen, wie ihm dies für diejeni­gen der Pflanze gelungen war. Er ist überzeugt, daß auch die Einheit des Tier-Organismus auf einem Grundorgan be­ruht, welches in der äußeren Erscheinung verschiedene For­men annehmen kann. Verbirgt sich die Idee des Grund-Organs, so erscheint dieses ungeformt. Es stellt dann die ein­facheren Organe des Tieres dar; bemächtigt sich die Idee des Stoffes so, daß sie ihn sich völlig ähnlich macht, dann entstehen die höheren, die edleren Organe. Was in den ein­facheren Organen der Idee nach vorhanden ist, das schließt sich in den höheren nach außen auf. Es ist Goethe nicht geglückt­
hinzutragen, fühlen sich die Feuergeister innig verwandt mit der Schmetterlingswelt und auch überhaupt mit der gesamten Insektenwelt. Sie folgen überall den Spuren der Insekten, die von Blüte zu Blüte schwirren. Und so hat man eigentlich das Gefühl, wenn man diese von Blüte zu Blüte schwirrenden Insekten verfolgt: jedes solche von Blüte zu Blüte schwirrende Insekt hat eigentlich eine ganz besondere Aura, die nicht recht erklärlich ist aus dem bloßen Insekt. Insbesondere die Bienen mit ihrer hellglänzenden, wunderbar leuchtenden, schimmernden, schillernden Aura, die von Pflanze zu Pflanze schwirren, sind außerordentlich schwierig ihrer Aura nach zu erklären. Warum? Weil das Insekt Biene überall begleitet ist von dem Feuergeist, der sich ihm so verwandt fühlt, daß da die Biene ist, und die Biene für das geistige Schauen überall in einer Aura drinnen ist, die eigentlich der Feuergeist ist. Wenn die Biene durch die Luft fliegt von Pflanze zu Pflanze, von Baum zu Baum, so fliegt sie mit einer Aura, die ihr eigentlich von dem Feuergeiste gegeben wird. Der Feuergeist fühlt nicht nur in der Anwesenheit des Insektes sein Ich, sondern er will mit dem Insekt ganz verbunden sein.


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Dadurch bekommen aber auch die Insekten jene Kraft, von der ich Ihnen gesprochen habe, die sich selbst im Hinausschimmern in den


glückt, die Gesetzmäßigkeit der ganzen tierischen Gestalt in eine einzige Vorstellung zu fassen, wie er es für die Pflan­zenform erreicht hat. Nur für einen Teil dieser Gestalt hat er das Bildungsgesetz gefunden, für das Rückenmark und Gehirn mit den diese Organe einschließenden Knochen. In dem Gehirn sieht er eine höhere Ausbildung des Rücken­marks. Jedes Nervenzentrum der Ganglien gilt ihm als ein auf niederer Stufe stehengebliebenes Gehirn. (Vgl. Sophien­-Ausgabe, 2. Abt., Band 8, S. 36o.) Und die das Gehirn ein­schließenden Schädelknochen deutet er als Umformungen der Wirbelknochen, die das Rückenmark umhüllen. Daß er die hintern Schädelknochen (Hinterhauptbein, hinteres und vorderes Keilbein) als drei umgebildete Wirbel anzusehen hat, ist ihm schon früher aufgegangen; für die vorderen Schädelknochen behauptet er dasselbe, als er im Jahre 1790 auf den Dünen des Lido einen Schafschädel findet, der so glücklich geborsten ist, daß in dem Gaumbein, der oberen Kinnlade und dem Zwischenknochen drei Wirbel in ver­wandelter Gestalt unmittelbar sinnlich sich darzustellen scheinen.
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Die Anatomie der Tiere war zu Goethes Zeit noch nicht so weit vorgeschritten, daß er ein Lebewesen hätte anführen können, welches wirklich an Stelle von entwickelten Schä­delknochen Wirbel hat und das also im sinnlichen Bilde das zeigt, was bei den vollkommenen Tieren nur der Idee nach vorhanden ist. Durch die Untersuchungen Carl Gegen­bauers, die im Jahre 1872 veröffentlicht worden sind, ist es gelungen, eine solche Tierform anzugeben. Die Urfische oder Selachier haben Schädelknochen und ein Gehirn, die sich deutlich als Endglieder der Wirbelsäule und des Rüc­kenmarkes erweisen. Nach dem Befund an diesen Tieren
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Kosmos zeigt. Die Insekten bekommen dadurch diese Kraft, die physische Materie, die sich mit ihnen vereinigt, ganz zu durchgeistigen und das durchgeistigte Physische in den Weltenraum hinausstrahlen zu lassen. Aber geradeso wie bei einer Flamme die Wärme es zunächst ist, die das Licht zum Scheinen bringt, so sind es auf der Oberfläche der Erde, wenn die Insekten in den Weltenraum hinausschimmern lassen, was dann den Menschen anzieht, wenn er zur physischen Verkörperung herunterkommen soll: es sind die Insekten (Tafel IV, rechts / Zeichnung, rot und gelb), sind diejenigen Wesenheiten, die entflammt sind zu diesen Taten durch den Kosmos, durch die Feuergeister, die sie umschwirren. Und während die Feuergeister auf der einen Seite tätig sind dafür, daß in den Kosmos die durchfeuerte Materie hinausströmt, sind sie auf der anderen Seite dafür tätig, daß ins Innere der Erde hinein das konzentrierte Feurige, das konzentrierte Warme geht, um aufzuerwecken mit Hilfe der Gnomen die Geistgestalt, die von Sylphen und Undinen hinuntergeträufelt ist in die Erde.


scheint allerdings eine größere Zahl von Wirbeln in die Kopfbildung eingegangen zu sein (mindestens neun), als Goethe angenommen hat. Dieser Irrtum über die Zahl der Wirbel und auch noch die Tatsache, daß im Embryonalzu­stand der Schädel der höheren Tiere keine Spur einer Zu­sammensetzung aus wirbelartigen Teilen zeigt, sondern sich aus einer einfachen knorpeligen Blase entwickelt, ist gegen den Wert der Goetheschen Idee von der Umwandlung des Rückenmarks und der Wirbelsäule angeführt worden. Man gibt zwar zu, daß der Schädel aus Wirbeln entstanden ist. Aber man leugnet, daß die Kopfknochen in der Form, in der sie sich bei den höheren Tieren zeigen, umgebildete Wirbel seien. Man sagt, daß eine vollkommene Verschmel­zung der Wirbel zu einer knorpeligen Blase stattgefunden habe, in der die ursprüngliche Wirbelstruktur vollständig verschwunden sei. Aus dieser Knorpelkapsel haben sich dann die Knochenformen herausgebildet, die an höheren Tieren wahrzunehmen sind. Diese Formen haben sich nicht nach dem Urbilde des Wirbels gebildet, sondern entspre­chend den Aufgaben, die sie am entwickelten Kopfe zu erfül­len haben. Man hätte also, wenn man nach einem Erklä­rungsgrund für irgendeine Schädelknochenform sucht, nicht zu fragen: wie hat sich ein Wirbel umgebildet, um zu dem Kopfknochen zu werden; sondern welche Bedingun­gen haben dazu geführt, daß sich diese oder jene Knochengestalt aus der einfachen Knorpelkapsel herausgetrennt hat? Man glaubt an die Bildung neuer Gestalten, nach neuen Bildungsgesetzen, nachdem die ursprüngliche Wirbelform in eine strukturlose Kapsel aufgegangen ist. Ein Wider­spruch zwischen dieser Auffassung und der Goetheschen kann nur vom Standpunkte des Tatsachenfanatismus aus
Sehen Sie, das ist der geistige Vorgang des Pflanzenwachstums. Und weIl eigentlich das Unterbewußte des Menschen es ahnt, daß mit der blühenden, sprossenden Pflanze es etwas Besonderes ist, erscheint das Pflanzenwesen als ein so Geheimnisvolles. Das Geheimnis wird natürlich nicht zerklüftet, denn den wunderbaren Mysterien wird nicht der Schmetterlingsstaub abgestreift; aber, ich möchte sagen, in einer noch erhöhteren Wunderbarkeit erscheint dasjenige, was sonst in der Pflanze den Menschen entzückt und erhebt, wenn nun eigentlich nicht nur die physische Pflanze da ist, sondern dieses wunderbare Arbeiten da unten der unmittelbar verständigen, ganz Intellekt-bildenden Gnomenwelt, die die Pflanzenkraft zunächst hinausstoßen. So wie gewissermaßen der menschliche Verstand nicht der Schwerkraft unterworfen ist, wie der Kopf getragen wird, ohne daß wir seine Schwere fühlen, so überwinden die Gnomen mit ihrer Lichtintellektualität das Erdenhafte und stoßen die Pflanze heraus. Sie bereiten unten das Leben. Aber das Leben würde ersterben, wenn es nicht vom Chemismus angefacht würde. Den bringen die Undinen heran. Und das Licht muß das durchströmen.


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So sehen wir von unten herauf, ich möchte sagen, im BläulichSchwärzlichen die Schwerkraft (Tafel V/Zeichnung S. 126), der der


gefunden werden. Was in der Knorpelkapsel des Schädels nicht mehr sinnlich wahrnehmbar ist, die Wirbelstruktur, ist in ihr gleichwohl der Idee nach vorhanden und tritt wieder in die Erscheinung, sobald die Bedingungen dazu vorhan­den sind. In der knorpeligen Schädelkapsel verbirgt sich die Idee des wirbelförmigen Grundorgans innerhalb der sinn­lichen Materie; in den ausgebildeten Schädelknochen tritt sie wieder in die äußere Erscheinung.
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Schwung nach oben hin gegeben wird, von den Gnomen ausgehend, und, rings die Pflanze umschwirrend, angedeutet in den Blättern, die Undinenkraft, welche Stoffe mischt und entmischt, indem die Pflanze hinaufwächst. Von oben herunter, von den Sylphengeistern wird hineingeprägt in die Pflanze das Licht, die nun eine plastische Gestalt bilden, die wiederum idealisiert hinuntergeht und vom Mutterschoße der Erde aufgenommen wird. Und dann wiederum wird die Pflanze umschwirrt von den Feuergeistern, die in den kleinen Samenpünktchen konzentrieren die Weltenwärme, die dann mit der Samenkraft den Gnomen hinuntergegeben wird, sodaß die Gnomen aus Feuer und Leben da unten die Pflanzen entstehen lassen können.


Goethe hofft, daß sich ihm die Bildungsgesetze der übrigen Teile des tierischen Organismus in derselben Weise offen­baren werden, wie es diejenigen des Gehirns, Rückenmarks und ihrer Umhüllungsorgane getan haben. Über die am Lido gemachte Entdeckung läßt er am 30.April 1790 Her­dern durch Frau von Kalb sagen, daß er «der Tiergestalt und ihren mancherlei Umbildungen um eine ganze Formel näher ge­rückt ist, und zwar durch den sonderbarsten Zufall» (Goe­the an Frau von Kalb). Er glaubt, seinem Ziele so nahe zu sein, daß er noch in demselben Jahre, das ihm den Fund ge­bracht hat, eine Schrift über die tierische Bildung vollenden will, die sich der «Metamorphose der Pflanzen» an die Seite stellen läßt. (Briefwechsel mit Knebel, S. 98.) In Schlesien, wohin er im Juli 1790 reist, treibt er Studien zur verglei­chenden Anatomie und beginnt an einem Aufsatz « Über die Gestalt der Tiere» zu schreiben. (Sophien-Ausgabe, 2. Abt., Band 8, S. 261 ff.) Es ist Goethe nicht gelungen, von dem glücklich gewonnenen Ausgangspunkte aus zu den Bildungsgesetzen der ganzen Tiergestalt fortzuschreiten. So viel Ansätze er auch dazu macht, den Typus der tieri­schen Gestalt zu finden: etwas der Idee der Urpflanze Ana­loges
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ist nicht zustande gekommen. Er vergleicht die Tiere untereinander und mit dem Menschen und sucht ein allge­meines Bild des tierischen Baues zu gewinnen, nach welchem, als einem Muster, die Natur die einzelnen Gestalten formt. Eine lebendige Vorstellung, die sich nach den Grundgesetzen der tierischen Bildung mit einem Gehalt erfüllt und so das Urtier der Natur gleichsam nachschafft, ist dieses allgemeine Bild des tierischen Typus nicht. Ein allgemeiner Begriff ist es nur, der von den besonderen Erscheinungen abgezogen ist. Er stellt das Gemeinsame in den mannigfaltigen Tierformen fest; aber er enthält nicht die Gesetzmäßigkeit der Tierheit.
Wiederum sehen Sie, wie die Erde ihre abstoßende Kraft, ihre Dichtigkeit, im Grunde genommen der Antipathie der Gnomen und Undinen gegen Amphibien und Fische verdankt. Wenn die Erde dicht ist, so ist die Dichtigkeit diese Antipathie, durch welche Gnomen und Undinen ihre Gestalt aufrecht erhalten. Wenn sich Licht und Wärme heruntersenkt auf die Erde, so ist das zu gleicher Zeit der Ausdruck jener Sympathiekraft, der tragenden Sylphen-Liebekraft, die durch den Luftraum getragen wird, und der tragenden Feuergeist-Opferkraft, welche das Sich-Herunterneigende bringt. So daß man sagen kann: Es wächst über der Erde zusammen dasjenige, was Erdendichte, Erdenmagnetismus, Erdenschwere ist, indem es nach aufwärts strebt, zusammen mit der abwärts strebenden Liebe- und Opferkraft. Und in diesem Ineinanderwirken der abwärtsströmenden Liebe-Opferkraft und der aufwärtsströmenden Dichtigkeit, Schwerekraft und magnetischen Kraft, In diesem Zusammenwirken entwickelt sich über dem Erdboden, wo die beiden sich begegnen, das Pflanzenwesen, das ein äußerer Ausdruck des Zusammenwirkens von Weltenliebe, Weltenopfer, Weltenschwere und Weltenmagnetismus ist.


Alle Glieder bilden sich aus nach ew'gen Gesetzen,  
Damit haben Sie gesehen, um was es sich handelt, wenn wIr unseren Blick auf die uns so entzückende, erhebende und anmutende Pflanzenwelt richten. Durchschauen können wir sie erst, wenn wir 1mstande sind, das Geistige, das Übersinnliche zu dem Physischen, zu dem Sinnlichen hinzuzuschauen. Das macht auch zu gleicher Zeit möglich, den Kapitalirrtum der materialistischen Botanik zu korrigieren, als ob da oben die Befruchtung vor sich gehe. Was da vor sich geht, ist nicht die Befruchtung, sondern die Zubereitung des männlichen Himmelssamens der Pflanze für dasjenige, was im Mutterschoße der Erde für die Pflanze vorbereitet wird.


Und die seltenste Form bewahrt im Geheimen das Urbild.
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Gedicht «Die Metamorpbose der Tiere»
= ACHTER VORTRAG Dornach, 3. November 1923 =


Wie dieses Urbild durch gesetzmäßige Umformung eines Grundgliedes sich als vielgliedrige Urform des tierischen Organismus entwickelt, davon konnte Goethe eine einheit­liche Vorstellung nicht entwickeln. Sowohl der Versuch über «die Gestalt der Tiere» als auch der 1795 in Jena ent­standene «Entwurf einer vergleichenden Anatomie, ausge­hend von der Osteologie» und seine spätere ausführlichere Gestalt «Vorträge über die drei ersten Kapitel des Entwurfs einer allgemeinen Einleitung in die vergleichende Anato­mie» (1796) enthalten nur Anleitungen darüber, wie die Tiere zweckmäßig zu vergleichen sind, um ein allgemeines Schema zu gewinnen, nach dem die schaffende Gewalt die «organischen Naturen erzeugt und entwickelt »,eine Norm, nach welcher die «Beschreibungen auszuarbeiten» und auf welche, «indem solche von der Gestalt der verschiedenen
Gestern sprach ich Ihnen von der anderen Seite des Naturdaseins, von den Wesenheiten, welche als übersinnlich-unsichtbare die Wesen und Vorgänge der sichtbaren, der sinnlichen Natur begleiten. Ein älteres, instinktives Schauen hat zu diesen Wesenheiten der übersinnlichen Welt, die hinter dem Naturdasein stehen, ebenso hingeschaut wie zu den sinnlichen. Heute haben diese Wesenheiten sich gewissermaßen vor dem menschlichen Anschauen zurückgezogen. Allein, daß dieses Volk der Gnomen, Undinen, Sylphen und Feuerwesen nicht ebenso wahrzunehmen ist wie die Tiere, Pflanzen und so weiter der physisch-sinnlichen Welt, daran ist ja nur schuld, daß der Mensch im gegenwärtigen Zeitpunkte seiner Erdenentwickelung nicht in der Lage ist, sein seelisch- geistiges Wesen ohne die Hilfe des physischen und ätherischen Leibes zu entfalten. Der Mensch ist eben in der gegenwärtigen Situation der Erdenentwickelung darauf angewiesen, zum Gebrauche seiner Seele sich des ätherischen Leibes, zum Gebrauche seines Geistes sich des physischen Leibes zu bedienen. Der physische Leib, der für den Geist die Werkzeuge liefert, die Sinnesapparate, ist eben nicht imstande, sich in Verbindung zu setzen mit den Wesenheiten, die der physischen Welt zugrunde liegen. Ebenso nicht der ätherische Leib des Menschen, und den braucht der Mensch, um sich als Seelenwesen zu entfalten. Dadurch entgeht dem Menschen, wenn ich mich so ausdrücken darf, eigentlich die Hälfte seiner irdischen Umgebung. Alles das, was jene Elementar- wesen, von denen ich gestern gesprochen habe, umschließt, entgeht ihm. An das kommt der physische und der Ätherleib nicht heran. Man wird eine Idee bekommen von dem, was dem gegenwärtigen Menschen da eigentlich entgeht, wenn man sich klar darüber ist, was solche Gnomen, Undinen und so weiter eigentlich sind.


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Sehen Sie, wir haben da das ganze Heer der niederen, gegenwärtig niederen Tiere, jener Tiere, welche sozusagen nur aus einer weichen Masse bestehen, im flüssigen Elemente sich betätigen, im flüssigen Elemente leben, die kein irgendwie geartetes Skelett haben, also nichts,


Tiere abgezogen wäre, die verschiedensten Gestalten wie­der zurückzuführen» sind (vgl. die genannten «Vorträge»). Bei der Pflanze hingegen hat Goethe gezeigt, wie ein Urge­bilde durch aufeinanderfolgende Modifikationen sich ge­setzmäßig zu der vollkommenen organischen Gestalt aus­bildet.
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Wenn er auch nicht die schaffende Naturgewalt in ihrer Bil­dungs- und Umbildungskraft durch die verschiedenen Glie­der des tierischen Organismus hindurch verfolgen konnte, so ist es Goethe doch gelungen, einzelne Gesetze zu finden, an die sich die Natur bei der Bildung der tierischen Formen hält, welche die allgemeine Norm zwar festhalten, doch aber in der Erscheinung verschieden sind. Er stellt sich vor, daß die Natur nicht die Fähigkeit habe, das allgemeine Bild be­liebig zu verändern. Wenn sie in einer Form ein Glied in besonders vollkommener Form ausbildet, so kann dies nur auf Kosten eines andern geschehen. Im Urorganismus sind alle Glieder enthalten, die bei irgendeinem Tiere vorkom­men können. Bei der einzelnen Tierform ist das eine ausge­bildet, das andere nur angedeutet; das eine besonders voll­kommen entwickelt, das andere vielleicht für die sinnliche Beobachtung gar nicht wahrzunehmen. Für den letzteren Fall ist Goethe überzeugt, daß in jedem Tiere das, was von dem allgemeinen Typus an ihm nicht sichtbar, doch in der Idee vorhanden ist.
was ihnen eine innerliche Stütze gibt. Es sind Wesenheiten, die zu den spätest entstandenen der Erde gehören, Wesenheiten, die eigentlich jetzt erst unter der schon entwickelten Erde das ausführen, was das älteste Erdenwesen, der Mensch, in bezug auf seine Kopfstruktur während der alten Saturnzeit ausgeführt hat. Dadurch kommen diese Wesenheiten nicht dahin, jene Verhärtungen in sich zu bilden, die zur Skelettstütze werden können.


Siehst du also dem einen Geschöpf besonderen Vorzug
Nun sind die Gnomen diejenigen Wesen, die gewissermaßen äußerlich in der Welt auf geistige Art das ergänzen, was dieser ganz niederen Tierwelt bis herauf zu Amphibien und Fischen selber, die ja nur Andeutungen des Skelettes haben - besonders die Fische -, fehlt, so daß gewissermaßen diese niedere Tierstufe ein Ganzes erst dadurch wird, daß es Gnomen gibt.


Irgend gegönnt, so frage nur gleich, wo leidet es etwa
Und weil schon einmal die Beziehungen der Wesen in der Welt sehr verschieden sind, so spielt eben zwischen diesen niederen Wesen und den Gnomen etwas, was ich gestern als die Antipathie charakterisiert habe. Die Gnomen wollen nicht so werden wie diese niederen Wesen. Sie wollen sich immerdar behüten, die Gestalt dieser niederen Wesen anzunehmen. Diese Gnomen sind, wie ich Ihnen beschrieben habe, außerordentlich kluge, intelligente Wesen. Mit der Wahrnehmung haben sie schon die Intelligenz gegeben; sie sind wirklich in allem das Gegenbild der niederen Tierwelt. Und während sie die Bedeutung für das Pflanzenwachstum haben, das ich gestern charakterisiert habe, bilden sie für die niedere Tierwelt wirklich eine Ergänzung. Sie schaffen sozusagen das hinzu zu der niederen Tierwelt, was diese niedere Tierwelt nicht hat. Diese niedere Tierwelt hat ein dumpfes Bewußtsein; sie, die Gnomen, haben ein hellstes Bewußtsein. Diese niedere Tierwelt hat kein Knochenskelett, keine Knochenstütze; diese Gnomen binden zusammen, möchte ich sagen, alles, was an Schwerkraft vorhanden ist, und formen sich aus der flüchtigen, unsichtbaren Schwerkraft ihren Körper, der übrigens fortwährend in Gefahr ist zu zerfallen, seine Substanz zu verlieren. Die Gnomen müssen sich sozusagen immer wieder und wieder aus der Schwere schaffen, weil sie immerdar in der Gefahr stehen, ihre Substanz zu verlieren. Dadurch sind diese Gnomen, um ihre eigene Existenz zu retten, fortwährend aufmerksam auf das, was um


Mangel anderswo, und suche mit forschendem Geiste.
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Finden wirst du sogleich zu aller Bildung den Schlüssel,
sie herum vor sich geht. Es gibt für die Erdenbeobachtung keine aufmerksameren Wesen als solch einen Gnom. Der paßt auf alles auf, weil er alles kennen muß, alles auffassen muß, um sein Leben zu retten. Er muß immer wachen; wenn er schläfrig würde, wie die Menschen oftmals schläfrig sind, würde er sogleich an seiner Schläfrigkeit sterben.


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Es gibt ein deutsches Sprichwort, das eigentlich, aus sehr alter Zeit stammend, sehr gut ausdrückt diese Eigenschaft der Gnomen, immer aufmerksam sein zu müssen. Man sagt: Gib acht wie ein Wichtelmann. - Und Wichtelmänner sind eben die Gnomen. Also wenn man jemanden zur Aufmerksamkeit mahnen will, dann sagt man ihm: Gib acht wie ein Gnom. - Der ist wirklich ein aufmerksames Wesen. Könnte man als Musterbeispiel in eine Schulklasse so in die erste Bank, daß alle es sehen, einen Gnomen setzen, dann würde der ein vorzügliches Wesen für die Nachahmung aller Schüler in der Klasse sein.


Denn so hat kein Tier, dem sämtliche Zähne den obern
Außer dieser Eigenschaft haben die Gnomen noch die andere, daß sie von einem schier unbesieglichen Freiheitstriebe erfüllt sind. Sie kümmern sich sozusagen wenig umeinander und geben sich mit ihrer Aufmerksamkeit eigentlich nur der anderen Welt, der Welt der Umgebung hin. Ein Gnom interessiert den anderen wenig. Aber alles, was sonst in dieser Welt, in der sie leben, um sie herum ist, das interessiert sie besonders.


Kiefer umzäunen, ein Horn auf seiner Stirne getragen,
Nun, ich sagte Ihnen, der Körper bildet eigentlich ein Hindernis, um solches Volk wahrzunehmen. In dem Augenblicke, wo der Körper ein solches Hindernis nicht mehr bietet, sind diese Wesen da, wie andere Wesen der Natur für die Sichtbarkeit da sind. Und wer es dahin gebracht hat, in voller Bewußtheit den Einschlafetraum zu erleben, der kennt gut diese Gnomen. Sie brauchen sich nur daran zu erinnern, was ich gerade über den Traum im «Goetheanum» ausgeführt habe. Ich sagte, daß der Traum eigentlich durchaus nicht in seiner wahren Gestalt vor das gewöhnliche Bewußtsein tritt, sondern er trägt eine Maske. Der Einschlafetraum trägt auch eine Maske. Wir kommen nicht gleich heraus aus dem, was wir im gewöhnlichen Bewußtsein am Tage erlebt haben, oder was wir sonst erlebt haben; Reminiszenzen, Erinnerungsbilder aus dem Leben, oder aber Symbole, Sinnbilder der inneren Organe, das Herz als Ofen, die Lunge als Flügel und so weiter symbolisie-


Und daher ist den Löwen gehörnt der ewigen Mutter
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Ganz unmöglich zu bilden und böte sie alle Gewalt auf:
ren sich. Das sind Masken. Würde der Mensch den Traum maskenlos sehen, würde er hinüberschlafen und in die Welt eben wirklich eintreten, ohne daß die Wesen, die dort sind, sich maskieren, dann würde der Mensch gerade im Einschlafen dieses ganze Heer der Wichtelmänner schauen; sie würden ihm entgegenkommen.


Denn sie hat nicht Masse genug, die Reihen der Zähne
Aber der Mensch ist eben für das gewöhnliche Bewußtsein sozusagen behütet, diese Dinge unvorbereitet wahrzunehmen, weil er erschrecken würde davor. Denn sie bildeten in der Gestalt, in der sie einem da entgegentreten, eigentlich tatsächliche Abbilder von alledem im Menschen, was in diesem Menschen an zerstörenden Kräften arbeitet. Der Mensch würde alles das zugleich in seiner Wesenheit wahrnehmen, was in ihm als zerstörende Kräfte arbeitet, was fortwährend abbaut. Und diese Gnomen wären, unvorbereitet wahrgenommen, lauter Symbole des Todes. Der Mensch würde davor ungeheuer erschrecken, wenn er von ihnen etwa gar nichts gehört hätte für seinen gewöhnlichen Verstand, und sie nun beim Einschlafen ihm entgegenkommen würden und ihn gewissermaßen begraben würden, denn so nimmt sich die Sache aus, ihn gewissermaßen begraben würden drüben in der Astralwelt. Denn es ist eine Art Begrabenwerden durch die Gnomen, was da beim Einschlafen, von drüben aus gesehen, vor sich geht.


Völlig zu pflanzen und auch ein Geweih und Hörner zu
Nun, das ist eigentlich für den Moment des Einschlafens nur. Eine weitere Ergänzung für die physisch-sinnliche Welt sind die Undinen, die Wasserwesen, diese sich fortwährend verwandelnden, mit dem Was


treiben.
ser ebenso lebenden Wesen, wie die Gnomen mit der Erde leben. Diese Undinen - wir haben wiederum kennengelernt, welche Rolle sie spielen im Pflanzenwachstum; aber sie stehen auch in Beziehung als ergänzende Wesen zu den Tieren, die schon auf einer etwas höheren Stufe stehen, zu den Tieren, welche schon einen mehr differenzierten Erdenleib aufgenommen haben. Diese Tiere, die dann in das höhere Fischwesen hineinwachsen oder auch in das höhere Amphibienwesen, brauchen Schuppen, brauchen irgendeinen harten Panzer. Sie brauchen außen eine harte Schale. Das, was an Kräften vorhanden ist, um diese Außenstütze, gewissermaßen dieses Außenskelett, gewissen Tieren, wie den Insekten, zu verschaffen, das verdankt die Welt der Tätigkeit der Undinen. Die Gnomen stützen gewissermaßen geistig diejenigen Tiere, welche ganz


«Die Metamotphose der Tiere»
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Im Urorganismus sind alle Glieder ausgebildet und hal­ten sich das Gleichgewicht; die Mannigfaltigkeit des Ein­zelnen entsteht dadurch, daß die Kraft der Bildung sich auf das eine Glied wirft und dafür ein anderes in der äußeren Erscheinung gar nicht oder nur andeutungsweise entwik­kelt. Dieses Gesetz des tierischen Organismus nennt man heute das von der Korrelation oder Kompensation der Organe.  
niedrig sind. Diese Tiere, die nun von außen geschützt werden müssen, die zum Beispiel mit einem Panzer umkleidet werden müssen, die verdanken ihre schützenden Hüllen der Tätigkeit der Undinen. Die Undinen sind es dann, welche zu diesen etwas höheren Tieren auf eine primitive Art das hinzufügen, was wir in unserer Schädeldecke haben. Sie machen sie gewissermaßen zum Kopf. All diese Wesen, die da als unsichtbare hinter der sichtbaren Welt sind, haben ihre große Aufgabe im ganzen Zusammenhange des Daseins, und Sie werden überall sehen, wo die materialistische Wissenschaft irgend etwas von der Art erklären soll, wie ich es jetzt angeführt habe, da versagt sie. Sie ist zum Beispiel nicht imstande, zu erklären, wie die niederen Wesenheiten, die kaum viel härter sind als das Element, in dem sie leben, dazu kommen, sich in ihm fortzubewegen, weil sie nicht weiß, daß diese geistige Stützung von den Gnomen vorhanden ist, die ich eben beschrieben habe. Auf der anderen Seite wird die Tatsache des Umpanzertwerdens für eine rein materialistische Wissenschaft immer eine Schwierigkeit bilden, weil nicht bekannt ist, wie im Sensitivwerden, im Vermeiden des eigenen niederen Tierwerdens die Undinen das von sich abstoßen, was dann als Schuppen oder sonstiger Panzer über die etwas höheren Tiere kommt.


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Und wiederum, auch für diese Wesenheiten ist es in bezug auf das gewöhnliche Bewußtsein vom heutigen Menschen nur der Körper, der ein Hindernis bildet, sie so zu schauen wie zum Beispiel die Pflanzenblätter oder die etwas höheren Tiere.


Goethe denkt sich in der Urpflanze die ganze Pflanzenwelt, in dem Urtiere die ganze Tierwelt der Idee nach enthalten. Aus diesem Gedanken entsteht die Frage: wie kommt es, daß in dem einen Falle diese bestimmten Pflanzen- oder Tierformen, in dem andern Falle andere entstehen? Unter welchen Bedingungen wird aus dem Urtiere ein Fisch? Un­ter welchen ein Vogel? Goethe findet zur Erklärung des Baues der Organismen in der Wissenschaft eine Vorstel­lungsart vor, die ihm zuwider ist. Die Anhänger dieser Vorstellungsart fragen bei jedem Organ: wozu dient es dem Lebewesen, an dem es vorkommt? Einer solchen Frage liegt der allgemeine Gedanke zugrunde, daß ein göttlicher Schöpfer oder die Natur jedem Wesen einen bestimmten
Aber wenn der Mensch nun in tiefen traumlosen Schlaf kommt, und nicht der Schlaf für ihn traumlos ist, sondern durch die Gabe der Inspiration dieser Schlaf durchschaut werden kann, dann tauchen empor vor dem geistigen Blicke, vor dem geistigen Menschenblicke aus jenem Meere des Astralischen, in das beim Einschlafen die Gnomen den Menschen gewissermaßen begraben, verborgen haben, diese Wesenheiten der Undinen, und sie werden im tiefen Schlaf sichtbar. Der Schlaf löscht das gewöhnliche Bewußtsein aus. Das für den Schlaf erhellte Bewußtsein hat diese wunderbare Welt des werdenden Flüssigen, des sich in aller möglichen Weise zu den Metamorphosen der Undinen aufbäumenden Flüssigen zum Inhalte. Geradeso wie wir die Wesenheiten mit festen Konturen für das Tagesbewußtsein um uns haben, würde das


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Lebenszweck vorgesetzt und ihm dann einen solchen Bau gegeben habe, daß es diesen Zweck erfüllen könnte. Goethe findet eine solche Frage ebenso ungereimt, wie etwa die: zu welchem Zwecke bewegt sich eine elastische Kugel, wenn sie von einer anderen gestoßen wird? Eine Erklärung der Bewegung kann nur gegeben werden durch Auffinden des Gesetzes, nach welchem die Kugel durch einen Stoß oder eine andere Ursache in Bewegung versetzt worden ist. Man fragt nicht: wozu dient die Bewegung der Kugel, sondern:
erhellte Bewußtsein der Nacht diese sich immer wandelnden, diese selber wie ein Meer wellenwerfenden, sich wieder senkenden Wesenheiten darbieten. Der ganz tiefe Schlaf ist eigentlich ausgefüllt davon, daß in der Umgebung des Menschen ein bewegtes Meer von Lebewesen ist, ein bewegtes Meer von Undinen ist.


woher entspringt sie? Ebenso soll man, nach Goethes Mei­nung, nicht fragen: wozu hat der Stier Hörner, sondern:
Anders liegt die Sache für die Sylphen. Für die Sylphen ist die Sache so, daß sie auch in einer gewissen Weise die Ergänzung bilden von gewissen Tierwesen, aber jetzt nach der anderen Seite hin. Man möchte sagen: Gnomen und Undinen fügen das Kopfmäßige zu denjenigen Tieren hinzu, die des Kopfes entbehren. Die Vögel sind nun, wie ich Ihnen dargestellt habe, eigentlich reiner Kopf; sie sind ganz Kopforganisation. Die Sylphen fügen hinzu zu dem Vogel auf geistige Art, was ihm gewissermaßen als die körperliche Ergänzung der Kopforganisation fehlt. Sie sind also die Ergänzung des Vogelgeschlechts nach demjenigen Gebiete der Organisation, das beim Menschen das StoffwechselGliedmaßensystem ist. Fliegen die Vögel mit verkümmerten Beinen in der Luft herum, so haben um so mehr die Sylphen mächtig ausgebildete Gliedmaßen, und sie stellen auf geistige Art, ich möchte sagen das in den Lüften dar, was die Kuh unten in der physischen Materie darstellt. Daher konnte ich gestern sagen, die Sylphen haben an dem Vogelgeschlechte ihr Ich, das, was sie mit der Erde verbindet. Der Mensch bekommt auf der Erde sein Ich. Was die Sylphen mit der Erde verbindet, das ist das Vogelgeschlecht. Dem Vogelgeschlechte verdanken sie ihr Ich, wenigstens das Bewußtsein ihres Ich.


wie kann er Hörner haben. Durch welche Gesetze tritt in dem Stier das Urtier als hörnertragende Form auf? Goethe hat die Idee der Urpflanze und des Urtiers gesucht, um in ihnen die Erklärungsgründe für die Mannigfaltigkeit der organischen Formen zu finden. Die Urpflanze ist das schaf­fende Element in der Pflanzenwelt. Will man eine einzelne Pflanzenart erklären, so muß man zeigen, wie dieses schaf­fende Element in dem besonderen Falle wirkt. Die Vorstel­lung, ein organisches Wesen verdanke seine Gestalt nicht den in ihm wirkenden und bildenden Kräften, sondern sie sei ihm zu gewissen Zwecken von außen aufgedrängt, wirkt auf Goethe geradezu abstoßend. Er schreibt: «Neulich fand ich in einer leidig apostolisch-kapuzinermäßigen Deklama­tion des Züricher Propheten die unsinnigen Worte: Alles, was Leben hat, lebt durch etwas außer sich. Oder so ungefähr klang's. Das kann nun so ein Heidenbekehrer hinschreiben, und bei der Revision zupft ihn der Genius nicht beim Är­mel.» (Italienische Reise, 5.Oktober 1787.) Goethe denkt sich das organische Wesen als eine kleine Welt, die durch sich selbst da ist und sich nach ihren Gesetzen gestaltet.
Wenn der Mensch nun die Nacht durchschlafen hat, um sich gehabt das astralische Meer, das sich in der mannigfaltigsten Undinenform gestaltet, und dann aufwacht und den Aufwachetraum hat, dann würde er, wenn dieser Aufwachetraum sich nicht wiederum maskierte in Lebensreminiszenzen oder in Sinnbildern von inneren Organen, wenn er den unmaskierten Traum sehen würde, der Welt der Sylphen gegenüberstehen. Aber diese Sylphen würden für ihn eine merkwürdige Gestalt annehmen. Sie würden so sein, wie wenn die Sonne etwas schicken wollte, aber etwas schicken wollte, was eigentlich in einer schwierigen Art auf den Menschen wirkt, was den Menschen in einer gewissen Weise geistig einschläfert. Wir werden gleich nachher hören, warum das der  


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«Die Vorstellungsart, daß ein lebendiges Wesen zu gewis­sen Zwecken nach außen hervorgebracht und seine Gestalt durch eine absichtliche Urkraft dazu determiniert werde, hat uns in der philosophischen Betrachtung der natürlichen Dinge schon mehrere Jahrhunderte aufgehalten, und hält uns noch auf, obgleich einzelne Männer diese Vorstellungs­art eifrig bestritten, die Hindernisse, welche sie in den Weg legt, gezeigt haben... Es ist, wenn man sich so ausdrücken darf, eine triviale Vorstellungsart, die eben deswegen, wie alle trivialen Dinge, trivial ist, weil sie der menschlichen Natur im ganzen bequem und zureichend ist.» (Sophien­-Ausgabe, 2. Abt., Band 7, S. 217 f.) Es ist allerdings bequem zu sagen: ein Schöpfer hat bei Erschaffung einer organi­schen Art einen gewissen Zweckgedanken zu Grunde ge­legt, und ihr deswegen eine bestimmte Gestalt gegeben. Goethe will aber die Natur nicht aus den Absichten irgend­eines außer der Natur befindlichen Wesens, sondern aus den in ihr selbst liegenden Bildungsgesetzen erklären. Eine ein­zelne organische Form entsteht dadurch, daß Urpflanze oder Urtier in einem besonderen Falle sich eine bestimmte Gestalt geben. Diese Gestalt muß eine solche sein, daß die Form innerhalb der Bedingungen, in denen sie lebt, auch leben kann. «... die Existenz eines Geschöpfes, das wir Fisch nennen, sei nur unter der Bedingung eines Elementes, das wir Wasser nennen, möglich ...» (Sophien-Ausgabe, 2. Abt., Band 7, S. 221.) Will Goethe begreifen, welche Bil­dungsgesetze eine bestimmte organische Form hervorbrin­gen, so hält er sich an seinen Urorganismus. In ihm liegt die Kraft, sich in den mannigfaltigsten äußeren Gestalten zu verwirklichen. Um einen Fisch zu erklären, würde Goethe untersuchen, welche Bildungskräfte das Urtier anwendet,
Fall ist. Dennoch würde der Mensch, wenn er den unmaskierten Aufwachetraum wahrnehmen würde, in ihm etwas sehen wie das Hereinflattern, das wesenhafte Hereinflattern des Lichtes. Er würde es unangenehm auch aus dem Grunde empfinden, weil die Gliedmaßen dieser Sylphen ihn gewissermaßen umspinnen, umweben. Er fühlt so, wie wenn das Licht ihn angreifen würde von allen Seiten, wie wenn das Licht etwas wäre, das einen befällt, gegen das man außerordentlich sensitiv ist. Vielleicht würde der Mensch auch hie und da dies wie ein Streicheln des Lichtes empfinden. Aber in all diesen Dingen will ich Ihnen ja nur andeuten, wie dieses tragende, tastende Licht eigentlich herankommt in der Sylphenform.


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Wenn wir dann zu den Feuerwesen kommen, dann ist es bei den Feuerwesen so, daß sie die Ergänzung bilden zu der flüchtigen Schmetterlingsnatur. Der Schmetterling entwickelt sozusagen selber so wenig wie möglich von seinem physischen Leibe, von dem eigentlich physischen Leibe; er läßt ihn ja so dünn sein wie nur möglich; dagegen ist er ein Lichtwesen. Die Feuerwesen stellen sich heraus als Wesen, welche den Schmetterlingsleib ergänzen, so daß man den folgenden Eindruck bekommen kann. Wenn man auf der einen Seite einen physischen Schmetterling sieht und ihn sich entsprechend vergrößert denkt, und auf der anderen Seite ein Feuerwesen - zusammen sind ja diese Wesen selten, nur in den Fällen, die ich Ihnen gestern angeführt habe -, dann hat man das Gefühl, wenn man diese zueinanderbackt, dann bekommt man eigentlich so etwas wie einen geflügelten Menschen, wirklich einen geflügelten Menschen. Man muß nur den Schmetterling entsprechend vergrößern und die Feuerwesen dem Größenmaß des Menschen angepaßt finden, dann bekommt man so etwas wie einen geflügelten Menschen daraus (Tafel VI, Mitte).


um von allen Gestalten, die der Idee nach in ihm liegen, ge­rade die Fischgestalt hervorzubringen. Würde das Urtier innerhalb gewisser Verhältnisse sich in einer Gestalt ver­wirklichen, in der es nicht leben kann, so ginge es zugrunde. Erhalten kann sich eine organische Form innerhalb gewisser Lebensbedingungen nur, wenn es denselben angepaßt ist.
Das zeigt Ihnen wiederum, wie die Feuerwesen eigentlich die Ergänzung dieser ja dem Geistigen am nächsten stehenden Tierwesen sind; sie sind sozusagen die Ergänzung nach unten hin. Gnomen und Undinen sind die Ergänzung nach oben hin, nach der Kopfseite; Sylphen und Feuerwesen sind die Ergänzung von Vögeln und Schmetterlingen nach unten hin. Also die Feuerwesen muß man mit den Schmetterlingen zusammenbringen.


Also bestimmt die Gestalt die Lebensweise des Tieres,
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Und die Weise zu leben, sie wirkt auf alle Gestalten
Auf dieselbe Art nun, wie der Mensch sozusagen den schlafenden Traum durchdringen kann, kann der Mensch auch das wache Tagesleben durchdringen. Da bedient sich der Mensch aber eben in einer ganz robusten Art seines physischen Leibes. Auch das habe ich dargestellt in Aufsätzen im «Goetheanum». Da kommt der Mensch schon ganz und gar nicht dazu, einzusehen, wie er eigentlich fortwährend während des Taglebens die Feuerwesen sehen könnte, denn die Feuerwesen stehen in einer inneren Verwandtschaft mit den Gedanken des Menschen, mit alledem, was aus der Organisation des Kopfes hervorgeht. Und wenn der Mensch es dazu bringt, vollständig im wachen Tagesbewußtsein zu sein und dennoch in einem gewissen Sinne außer sich zu sein, also ganz vernünftig zu sein, fest mit den beiden Beinen auf der Erde zu stehen, und dann wiederum außer sich zu sein gleichzeitig - also er zu sein und sein Gegenüber zu sein, das heißt, sich selber als Gedankenwesen betrachten zu können: dann nimmt der Mensch wahr, wie die Feuerwesen in der Welt dasjenige Element bilden, das, wenn wir es wahrnehmen, nach der anderen Seite unsere Gedanken wahrnehmbar macht.


Mächtig zurück. So zeigt sich fest die geordnete Bildung,
So kann die Wahrnehmung der Feuerwesen den Menschen dazu bringen, sich selber als Denker zu sehen, nicht bloß der Denker zu sein und die Gedanken da auszukochen, sondern sich anzuschauen, wie die Gedanken verlaufen. Nur hören dann die Gedanken auf, an den Menschen gebunden zu sein; sie erweisen sich dann als Weltgedanken; sie wirken und weben als Impulse in der Welt. Man merkt dann, daß der Menschenkopf nur die Illusion hervorruft, als ob da drinnen in diesem Schädel die Gedanken eingeschlossen wären. Da sind sie nur gespiegelt; ihre Spiegelbilder sind da. Das, was den Gedanken zugrunde liegt, gehört der Sphäre der Feuerwesen an. Kommt man in diese Sphäre der Feuer- wesen hinein, dann sieht man in den Gedanken nicht bloß sich selber, sondern man sieht den Gedankengehalt der Welt, der eigentlich zugleich ein imaginativer Gehalt ist. Es ist also die Kraft, aus sich herauszukommen, welche einem die Gedanken als Weltgedanken vorstellt. Ja, vielleicht darf ich sagen: Wenn man nun nicht vom menschlichen Körper aus, sondern von der Sphäre der Feuerwesen, also gewissermaßen von der in die Erde hereinragenden Saturnwesenheit das, was auf der Erde zu sehen ist, anschaut, dann bekommt man genau das Bild,  


Welche zum Wechsel sich neigt durch äußerlich wirkende
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Wesen
das ich geschildert habe von der Erdenevolution in der «Geheimwissenschaft im Umriß». Dieser Umriß einer Geheimwissenschaft ist so aufgezeichnet, daß die Gedanken als der Gedankengehalt der Welt erscheinen, von der Perspektive der Feuerwesen aus gesehen.


«Die Metamorphose der Tiere»
Sie sehen, diese Dinge haben schon eine tief reale Bedeutung. Sie haben aber eine tief reale Bedeutung auch noch sonst für den Menschen. Nehmen Sie die Gnomen und Undinen; sie sind sozusagen in der Welt, die an die Welt des menschlichen Bewußtseins angrenzt, sie liegen schon jenseits der Schwelle. Das gewöhnliche Bewußtsein ist davor geschützt, diese Wesenheiten zu sehen, weil diese Wesenheiten eigentlich nicht alle gutartig sind. Gutartige Wesenheiten sind diejenigen, die ich gestern geschildert habe, die zum Beispiel am Pflanzenwachstum in der verschiedensten Weise arbeiten. Aber nicht alle sind gutartige Wesen. Und in dem Augenblicke, wo man einbricht in die Welt, wo diese Wesenheiten wirken, sind nicht bloß die gutartigen da, sondern es sind auch die bösartigen da. Man muß sich da erst eine Auffassung davon verschaffen, welche von ihnen nun gutartig, welche bösartig sind. Das ist nicht so ganz leicht. Sie werden das daraus sehen, wie ich Ihnen die bösartigen schildern muß. Die bösartigen Wesenheiten unterscheiden sich vor allen Dingen dadurch von den gutartigen Wesenheiten, daß die gutartigen sich mehr an das Pflanzenreich und an das Mineralreich halten; aber die bösartigen Wesenheiten wollen immer heran an das Tierreich und an das Menschenreich; noch bösere dann auch an das Pflanzenreich und an das Mineralreich. Aber man bekommt schon einen ganz respektablen, Begriff von der Bösartigkeit, die Wesenheiten dieses Reiches haben können, wenn man sich auf diejenigen einläßt, die an den Menschen und an die Tiere heran wollen und im Menschen eigentlich das vollbringen wollen, was durch die höheren Hierarchien zugeteilt ist den gutartigen für die Pflanzen- und Mineralwelt.


Die in einem gewissen Lebenselemente dauernden organi­schen Formen sind durch die Natur dieses Elementes be­dingt. Wenn eine organische Form aus einem Lebensele­mente in ein anderes käme, so müßte sie sich entsprechend verändern. Das wird in bestimmten Fällen eintreten kön­nen, denn der ihr zugrunde liegende Urorganismus hat die Fähigkeit, sich in unzähligen Gestalten zu verwirklichen. Die Umwandlung der einen Form in die andere ist aber, nach Goethes Ansicht, nicht so zu denken, daß die äußeren Verhältnisse die Form unmittelbar nach sich umbilden, son­dern so, daß sie die Veranlassung werden, durch die sich die innere Wesenheit verwandelt. Veränderte Lebensbedingun­gen reizen die organische Form, sich nach inneren Gesetzen in einer gewissen Weise umzubilden. Die äußeren Einflüsse wirken mittelbar, nicht unmittelbar auf die Lebewesen. Un­zählige Lebensformen sind in Urpflanze und Urtier der Idee nach enthalten; diejenigen kommen zur tatsächlichen Exi­stenz, auf welche äußere Einflüsse als Reize wirken.
Sehen Sie, da gibt es eben solche bösartigen Wesenheiten aus dem Gnomen- und dem Undinenreich, welche sich an Menschen und Tiere heranmachen und bei Menschen und Tieren bewirken, daß das, was sie eigentlich zu den niederen Tieren hinzufügen sollen, sich im Menschen auf physische Art verwirklicht; im Menschen ist es ohnedies schon da. Im Menschen soll es sich auf physische Art verwirklichen, auch im


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Die Vorstellung, daß eine Pflanzen- oder Tierart sich im Laufe der Zeiten durch gewisse Bedingungen in eine andere verwandle, hat innerhalb der Goetheschen Naturanschau­ung ihre volle Berechtigung. Goethe stellt sich vor, daß die Kraft, welche im Fortpflanzungsvorgang ein neues Indivi­duum hervorbringt, nur eine Umwandlung derjenigen Kraftform ist, die auch die fortschreitende Umbildung der Organe im Verlaufe des Wachstums bewirkt. Die Fortpflan­zung ist ein Wachstum über das Individuum hinaus. Wie das Grundorgan während des Wachstums eine Folge von Veränderungen durchläuft, die der Idee nach gleich sind, so kann auch bei der Fortpflanzung eine Umwandlung der äußeren Gestalt unter Festhaltung des ideellen Urbildes stattfinden. Wenn eine ursprüngliche Organismenform vor­handen war, so konnten die Nachkommen derselben im Laufe großer Zeiträume durch allmähliche Umwandlung in die gegenwärtig die Erde bevölkernden mannigfaltigen Formen übergehen. Der Gedanke einer tatsächlichen Blutsverwandtschaft aller organischen Formen fließt aus den Grundanschauungen Goethes. Er hätte ihn sogleich nach der Konzeption seiner Ideen von Urtier und Urpflanze in vollkommener Form aussprechen können. Aber er drückt sich, wo er diesen Gedanken berührt, zurückhaltend, ja un­bestimmt aus. In dem Aufsatz: «Versuch einer allgemeinen Vergleichungslehre», der nicht lange nach der «Metamor­phose der Pflanzen» entstanden sein dürfte, ist zu lesen:
Tiere. Dadurch, durch die Anwesenheit dieser bösartigen Gnomen- und Undinenwesenheiten, leben dann im Menschen und im Tiere niedrigere Tier- oder Pflanzenwesen, Parasiten. Und so sind die bösartigen Wesenheiten die Hervorbringer der Parasiten. Aber, ich möchte sagen, in dem Augenblicke, wo der Mensch die Schwelle zur geistigen Welt übertritt, kommt er gleich in die Finessen dieser Welt hinein. Da sind überall eigentlich Fallstricke, und man muß schon von den Wichtelmännern erst etwas lernen, nämlich aufzupassen. Das können zum Beispiel die Spiritisten nie. Es sind überall Fallstricke. Es könnte nun einer sagen: Wozu sind denn nun überhaupt diese bösartigen Gnomen- und Undinenwesen da, wenn sie parasitäre Wesenheiten hervorrufen? Ja, wären sie gar nicht da, diese Wesenheiten, dann würde nämlich der Mensch nicht in sich die Kraft entwickeln können, seine Gehirnmasse auszubilden. Und da kommt man auf etwas, was außerordentlich bedeutungsvoll ist.


«Und wie würdig ist es der Natur, daß sie sich immer der­selben Mittel bedienen muß, um ein Geschöpf hervorzu­bringen und es zu ernähren! So wird man auf eben diesen Wegen fortschreiten und, wie man nur erst die unorgani­sierten, undeterminierten Elemente als Vehikel der unorga­nisierten
Ich will Ihnen das schematisch skizzieren (Tafel VI, links). Wenn Sie sich den Menschen denken als Stoffwechsel-Gliedmaßenmenschen, als Brust-, also als rhythmischen Menschen, und dann als Kopfmenschen, also als Nerven-Sinnesmenschen, so müssen Sie sich durchaus klar sein: hier unten gehen Prozesse vor sich - lassen wir den rhythmischen MenSchen aus -, hier oben gehen wiederum Prozesse vor sich. Wenn Sie zusammennehmen die Prozesse, die sich unten abspielen, so ist im wesentlichen ein Ergebnis da, das im gewöhnlichen Leben meistens mißachtet wird: es sind die Ausscheidungsprozesse, Ausscheidungen durch den Darm, Ausscheidungen durch die Nieren und so weiter, alle Ausscheidungsprozesse, die sich nach unten ergießen. Diese Ausscheidungsprozesse betrachtet man meistens eben nur als Ausscheidungsprozesse. Aber das ist ein Unsinn. Es wird nicht bloß ausgeschieden, damit ausgeschieden werden soll, sondern in demselben Maße, in dem Ausscheidungsprodukte erscheinen, erscheint im unteren Menschen geistig etwas Ähnliches, wie oben physisch das Gehirn ist. Das, was im unteren Menschen geschieht, ist ein Vorgang, der auf halbem Wege stehenbleibt in bezug auf seine physische Entwickelung. Es wird ausgeschieden, weil die Sache ins Geistige übergeht. Oben wird der Prozeß vollendet. Da bildet sich physisch das herein, was da unten nur geistig ist. Oben haben wir phy-


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Wesen angesehen, so wird man sich nunmehr in der Betrachtung erheben und wird die organisierte Welt wieder als einen Zusammenhang von vielen Elementen an­sehen. Das ganze Pflanzenreich zum Exempel wird uns wie­der als ein ungeheures Meer erscheinen, welches ebensogut zur bedingten Existenz der Insekten nötig ist als das Welt­meer und die Flüsse zur bedingten Existenz der Fische, und wir werden sehen, daß eine ungeheure Anzahl lebender Ge­schöpfe in diesem Pflanzenozean geboren und ernährt wer­de, ja wir werden zuletzt die ganze tierische Welt wieder nur als ein großes Element ansehen, wo ein Geschlecht auf dem andern und durch das andere, wo nicht entsteht, doch sich erhält.» Rückhaltloser ist folgender Satz der «Vorträge über die drei ersten Kapitel des Entwurfs einer allgemeinen Einleitung in die vergleichende Anatomie»(1796): «Dies also hätten wir gewonnen, ungeschult behaupten zu kön­nen: daß alle vollkommeneren organischen Naturen, wor­unter wir Fische, Amphibien, Vögel, Säugetiere und an der Spitze der letzten den Menschen sehen, alle nach einem Ur­bilde geformt seien, das nur in seinen beständigen Teilen mehr oder weniger hin- und hersieht und sich noch täglich durch Fortpflanzung aus- und umbildet.» Goethes Vorsicht dem Umwandlungsgedanken gegenüber ist begreiflich. Der Zeit, in welcher er seine Ideen ausbildete, war dieser Ge­danke nicht fremd. Aber sie hatte ihn in der wüstesten Weise ausgebildet. «Die damalige Zeit (schreibt Goethe 1807, vgl. Kürschner, Band 33, S. 15) jedoch war dunkler, als man es sich jetzt vorstellen kann. Man behauptete zum Beispiel, es hänge nur vom Menschen ab, bequem auf allen Vieren zu gehen, und Bären, wenn sie sich eine Zeitlang aufrecht hiel­ten, könnten zu Menschen werden. Der verwegene Diderot
sisches Gehirn, unten ein geistiges Gehirn. Und wenn man das, was unten ausgeschieden wird, einem weiteren Prozeß unterwerfen würde, wenn man fortfahren würde, es umzubilden, dann würde die letzte Metamorphose vorläufig sein das menschliche Gehirn.


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Die menschliche Gehirnmasse ist weitergebildetes Ausscheideprodukt. Das ist etwas, was ungeheuer wichtig zum Beispiel auch in medizinischer Beziehung ist, und was im 16., 17. Jahrhundert die damaligen Ärzte noch durchaus gewußt haben. Gewiß, man redet heute in einer sehr abfälligen Weise, und in bezug auf manches auch mit Recht, von der alten «Dreckapotheke». Aber weil man nicht weiß, daß in dem Drecke eben noch vorhanden waren die sogenannten Mumien des Geistes. Natürlich soll das nicht eine Apotheose sein auf das, was in den allerletzten Jahrhunderten als Dreckapotheke figuriert hat, sondern ich weise hin auf viele Wahrheiten, die einen so tiefen Zusammenhang haben wie den, den ich eben ausgeführt habe.


wagte gewisse Vorschläge, wie man ziegenfüßige Faune hervorbringen könne, um solche in Livre'e, zu besonderem Staat und Auszeichnung, den Großen und Reichen auf die Kutsche zu stiften.» Mit solchen unklaren Vorstellungen wollte Goethe nichts zu tun haben. Ihm lag daran, eine Idee von den Grundgesetzen des Lebendigen zu gewinnen. Da­bei wurde ihm klar, daß die Gestalten des Lebendigen nichts Starres, Unveränderliches, sondern daß sie in einer fortwäh­renden Umbildung begriffen sind. Wie diese Umbildung sich im einzelnen vollzieht, festzustellen, dazu fehlten ihm die Beobachtungen. Erst Darwins Forschungen und Haec­kels geistvolle Reflexionen haben einiges Licht auf die tat­sächlichen Verwandtschaftsverhältnisse einzelner organi­scher Formen geworfen. Vom Standpunkte der Goethe­schen Weltanschauung kann man sich den Behauptungen des Darwinismus gegenüber, soweit sie das tatsächliche Hervorgehen einer organischen Art aus der andern betref­fen, nur zustimmend verhalten. Goethes Ideen dringen aber tiefer in das Wesen des Organischen ein als der Darwinismus der Gegenwart. Dieser glaubt die im Organischen gelege­nen inneren Triebkräfte, die sich Goethe unter dem sinn­lich-übersinnlichen Bilde vorstellt, entbehren zu können. Ja, er spricht Goethe sogar die Berechtigung ab, von seinen Voraussetzungen aus von einer wirklichen Umwandlung der Organe und Organismen zu sprechen. Jul. Sachs weist Goe­thes Gedanken mit den Worten zurück, er übertrage «die vom Verstand vollzogene Abstraktion auf das Objekt selbst, indem er diesem eine Metamorphose zuschreibt, die sich im Grunde genommen nur in unserem Begriffe vollzo­gen hat.» Goethe soll, nach dieser Ansicht, nichts weiter ge­tan haben, als Laubblätter, Kelchblätter, Blumenblätter
Das Gehirn ist durchaus höhere Metamorphose der Ausscheidungsprodukte. Daher der Zusammenhang der Gehirnkrankheiten mit den Darmkrankheiten; daher auch der Zusammenhang der Heilung der Gehirnkrankheiten und der Darmkrankheiten.


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Sehen Sie, indem nun Gnomen und Undinen da sind, überhaupt eine Welt da ist, wo Gnomen und Undinen leben können, sind die Kräfte vorhanden, welche gewiß vom unteren Menschen aus Parasiten bewirken können, die aber zu gleicher Zeit die Veranlassung sind, im oberen Menschen die Ausscheidungsprodukte ins Gehirn umzumetamorphosieren. Wir könnten gar nicht ein Gehirn haben, wenn die Welt nicht so eingerichtet wäre, daß es Gnomen und Undinen geben kann.


usw. unter einen allgemeinen Begriff gebracht und mit dem Namen Blatt bezeichnet haben. «Ganz anders freilich wäre die Sache, wenn ... wir annehmen dürften, daß bei den Vor­fahren der uns vorliegenden Pflanzenform die Staubfäden gewöhnliche Blätter waren usw.» (Sachs, «Geschichte der Botanik» 1875, S.169). Diese Ansicht entspringt dem Tat­sachenfanatismus, der nicht einsehen kann, daß die Ideen ebenso objektiv zu den Dingen gehören, wie das, was man mit den Sinnen wahrnehmen kann. Goethe ist der Ansicht, daß von Verwandlung eines Organes in das andere nur ge­sprochen werden kann, wenn beide außer ihrer äußeren Er­scheinung noch etwas enthalten, das ihnen gemeinsam ist. Das ist die sinnlich-übersinnliche Form. Das Staubgefäß einer uns vorliegenden Pflanzenform kann nur dann als das umgewandelte Blatt der Vorfahren bezeichnet werden, wenn in beiden die gleiche sinnlich-übersinnliche Form lebt. Ist das nicht der Fall, entwickelt sich an der uns vor­liegenden Pflanzenform einfach an derselben Stelle ein Staubgefäß, an der sich bei den Vorfahren ein Blatt ent­wickelt hat, dann hat sich nichts verwandelt, sondern es ist an die Stelle des einen Organes ein anderes getreten. Der Zoologe Oskar Schmidt fragt: «Was sollte denn auch nach Goethes Anschauung umgebildet werden? Das Urbild doch wohl nicht» («War Goethe Darwinianer?» Graz 1871, S. 22). Gewiß wandelt sich nicht das Urbild um, denn dieses Ist ja in allen Formen das gleiche. Aber eben weil dieses gleich bleibt, können die äußeren Gestalten verschieden sein und doch ein einheitliches Ganzes darstellen. Könnte man nicht in zwei auseinander entwickelten Formen das gleiche ideelle Urbild erkennen, so könnte keine Beziehung zwischen ihnen angenommen werden. Erst durch die Vorstellung
Das, was für Gnomen und Undinen in bezug auf die Zerstörungskräfte gilt - Zerstörung, Abbau geht ja dann wiederum vom Gehirn aus -, das gilt für Sylphen- und Feuerwesen in bezug auf die Aufbaukräfte. Wiederum, die gutartigen Sylphen- und Feuerwesen halten sich ferne von Menschen und Tieren und beschäftigen sich mit dem Pflanzenwachstum in der Weise, wie ich es angedeutet habe; aber es gibt eben bösartige. Diese bösartigen tragen vor allen Dingen das, was nur in den oberen, in den Luft- und Wärmeregionen sein soll, hinunter in die wäßrigen und irdischen Regionen.


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der ideellen Urform kann man mit der Behauptung, die organischen Formen entstehen durch Umbildung aus­einander, einen wirklichen Sinn verbinden. Wer nicht zu dieser Vorstellung sich erhebt, der bleibt innerhalb der blo­ßen Tatsachen stecken. In ihr liegen die Gesetze der organi­schen Entwicklung. Wie durch Keplers drei Grundgesetze die Vorgänge im Sonnensystem begreiflich sind, so durch Goethes ideelle Urbilder die Gestalten der organischen Na­tur.
Wenn Sie nun studieren wollen, was da geschieht, wenn diese Sylphenwesen zum Beispiel aus den oberen Regionen in die niederen Regionen des wäßrigen und erdigen Elementes das hinuntertragen, was da oben hinaufgehört, dann schauen Sie sich die Belladonna an. Die Belladonna ist diejenige Pflanze, welche in ihrer Blüte, wenn ich mich so ausdrücken darf, von der Sylphe geküßt worden ist, und welche dadurch das, was gutartiger Saft sein kann, in den Giftsaft der Belladonna umgewandelt hat.


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Da haben Sie das, was man eine Verschiebung der Sphäre nennen kann. Oben ist es richtig, wenn die Sylphen ihre Umschlingungskräfte entwickeln, wie ich sie vorhin beschrieben habe, wo man vom Lichte förmlich betastet wird - denn das braucht die Vogelwelt. Kommt sie aber herunter, die Sylphe, und verwendet sie das, was sie oben anwenden sollte, unten in bezug auf die Pflanzenwelt, dann entsteht ein scharfes Pflanzengift. Parasitäre Wesen durch Gnomen und Undinen; durch Sylphen die Gifte, die eigentlich das zu tief auf die Erde geströmte Himmlische sind. Wenn der Mensch oder manche Tiere die Belladonna essen, die aussieht wie eine Kirsche, nur daß sie sich verbirgt im Kelch drinnen - es wird hinuntergedrückt, man kann es noch der Form der Belladonna ansehen, was ich jetzt eben beschrieben habe -, wenn der Mensch oder gewisse Tiere die Belladonna essen, so sterben sie davon. Aber sehen Sie einmal Drosseln und Amseln an: die setzen sich auf die Belladonna und haben daran ihre beste Nahrung in der Welt. In deren Region gehört das, was in der Belladonna ist.


Kant, der dem menschlichen Geiste die Fähigkeit abspricht, ein Ganzes ideell zu durchdringen, durch welches ein Man­nigfaltiges in der Erscheinung bestimmt wird, nennt es ein «gewagtes Abenteuer der Vernunft », wenn jemand die ein­zelnen Formen der organischen Welt aus einem Urorganis­mus erklären wolle. Für ihn ist der Mensch nur imstande, die mannigfaltigen Einzelerscheinungen in einen allgemei­nen Begriff zusammenzufassen, durch den sich der Ver­stand ein Bild macht von der Einheit. Dieses Bild ist aber nur im menschlichen Geiste vorhanden und hat nichts zu tun mit der schaffenden Gewalt, durch welche die Einheit wirklich die Mannigfaltigkeit aus sich hervorgehen läßt. Das «gewagte Abenteuer der Vernunft» bestände darin, daß jemand annehme, die Erde ließe aus ihrem Mutterschoß erst einfache Organismen von minder zweckmäßiger Bil­dung hervorgehen, die aus sich zweckmäßigere Formen ge­bären. Daß ferner aus diesen noch höhere sich entwickeln, bis hinauf zu den vollkommensten Lebewesen. Wenn auch jemand eine solche Annahme machte, meint Kant, so könne er doch nur eine absichtsvolle Schöpferkraft zu Grunde le­gen, welche der Entwicklung einen solchen Anstoß gege­ben
Es ist doch ein merkwürdiges Phänomen, daß die Tiere und die Menschen, die eigentlich mit ihren unteren Organen erdgebunden sind, das, was an der Erde in der Belladonna verdorben ist, als Gift aufnehmen, daß dagegen so repräsentative Vögel wie die Drosseln und Amseln, die also auf geistige Art durch die Sylphen gerade das haben sollen - und durch die gutartigen Sylphen haben sie es auch -, daß die es vertragen können, auch wenn das, was da oben in ihrer Region ist, hinuntergetragen wird. Für sie ist Nahrung, was für die mehr an die Erde gebundenen Wesenheiten Gift ist.


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So bekommen Sie eine Anschauung davon, wie auf der einen Seite durch Gnomen und Undinen das Parasitäre von der Erde nach den


hat, daß sich alle ihre einzelnen Glieder zweckmäßig entwickeln. Der Mensch nimmt eben eine Vielheit mannig­faltiger Organismen wahr; und da er nicht in sie hineindrin­gen kann, um zu sehen, wie sie sich selbst eine Form geben, die dem Lebenselement angepaßt ist, in dem sie sich ent­wickeln, so muß er sich vorstellen, sie seien von außen her so eingerichtet, daß sie innerhalb ihrer Bedingungen leben können. Goethe legt sich die Fähigkeit bei, zu erkennen, wie die Natur aus dem Ganzen das Einzelne, aus dem Innern das Äußere schafft. Was Kant «Abenteuer der Vernunft» nennt, will er deshalb mutig bestehen (vgl. den Aufsatz «Anschauende Urteilskraft», Kürschner, Bd. 33, S.115 f.). Wenn wir keinen anderen Beweis dafür hätten, daß Goethe den Gedanken einer Blutsverwandtschaft aller organischen Formen innerhalb der hier angedeuteten Grenzen als be­rechtigt anerkennt, wir müßten es aus diesem Urteil über Kants «Abenteuer der Vernunft» folgern.
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anderen Wesen hinaufstrebt, wie die Gifte eigentlich von oben herunterträufeln.


Ein noch vorhandener skizzenhafter «Entwurf einer Mor­phologie»läßt erraten, daß Goethe den Plan hatte, die be­sonderen Gestalten in ihrer Stufenfolge darzustellen, die seine Urpflanze und sein Urtier in den Hauptformen der Le­bewesen annehmen (vgl. Sophien-Ausgabe, z. Abt., Band 6, S.321). Er wollte zuerst das Wesen des Organischen schil­dern, wie es ihm bei seinem Nachdenken über Tiere und Pflanzen aufgegangen. Dann «aus einem Punkte ausge­hend» zeigen, wie das organische Urwesen sich nach der einen Seite zu der mannigfaltigen Pflanzenwelt, nach der anderen zu der Vielheit der Tierformen entwickelt, wie die besonderen Formen der Würmer, Insekten, der höheren
Wenn dagegen die Feuerwesen sich mit jenen Impulsen durchdringen, welche in die Region der Schmetterlinge gehören, welche den Schmetterlingen zu ihrer Entwickelung sehr nützlich sind, und das heruntertragen in die Früchte, dann entsteht zum Beispiel das, was wir innerhalb einer Reihe von Mandeln als giftige Mandeln haben. Da wird dieses Gift durch die Tätigkeit der Feuerwesen in die Mandelfrucht hineingetragen. Und wiederum würde die Mandelfrucht überhaupt nicht entstehen können, wenn nicht auf gutartige Weise von denselben Feuerwesen sozusagen das, was wir bei den anderen Früchten essen, verbrannt würde. Sehen Sie sich doch die Mandel an. Bei den anderen Früchten haben Sie in der Mitte den weißen Kern und ringsherum das Fruchtfleisch. Bei der Mandel haben Sie mitten drinnen den Kern, und ringsherum das Fruchtfleisch ist ganz verbrannt. Das ist die Tätigkeit der Feuerwesen. Und artet diese Tätigkeit aus, wird das, was die Feuerwesen vollführen, nicht bloß in die braune Mandelschale hineingearbeitet, wo es noch gutartig sein kann, sondern geht nur etwas von dem, was Schale erzeugen soll, innerlich in den weißen Kern der Mandel hinein, dann wird die Mandel giftig (Tafel VI, rechts).


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So haben Sie ein Bild davon, wie diese Wesenheiten, die da angrenzen in der Welt, die unmittelbar jenseits der Schwelle liegt, eigentlich, wenn sie ihre Impulse durchführen, zu den Trägern des parasitären Wesens, des Giftwesens, und damit zu Trägern von Krankheiten werden. Auf diese Art wird deutlich, inwiefern sich der Mensch als gesundes Wesen heraushebt aus dem, was ihn ergreifen kann in der Krankheit. Denn es hängt das zusammen mit der Entfaltung des Bösartigen in diesen Wesenheiten, die andererseits da sein müssen, um den ganzen Aufbau, um Wachsen und Sprossen der Natur und wiederum Zerstören der Natur möglich zu machen.


Tiere und die Form des Menschen aus dem allgemeinen Ur­bilde abgeleitet werden können. Auch auf die Physiogno­mik und Schädellehre sollte ein Licht fallen. Die äußere Ge­stalt im Zusammenhange mit den inneren geistigen Fähig­keiten darzustellen, machte sich Goethe zur Aufgabe. Es drängte ihn, den organischen Bildungstrieb, der sich in den niederen Organismen in einer einfachen äußeren Erschei­nung darbietet, zu verfolgen in seinem Streben, sich stufen­weise in immer vollkommeneren Gestalten zu verwirkli­chen, bis er sich in dem Menschen eine Form gibt, die diesen zum Schöpfer der geistigen Erzeugnisse geeignet macht.
Das sind die Dinge, die im Grunde genommen aus dem instinktiven Hellsehen heraus solchen Intuitionen zugrunde lagen, wie der indischen von Brahma, Vishnu, Shiva. Brahma stellte dar die wirkende Wesenheit in der Weltensphäre, die an den Menschen heran darf. Vishnu stellte dar diejenige Weltensphäre, die an den Menschen nur heran darf, insofern


Dieser Plan Goethes ist ebensowenig zur Ausführung ge­kommen, wie ein anderer, zu dem das Fragment «Vorarbei­ten zu einer Physiologie der Pflanzen» ein Anlauf ist (vgl. Sophien-Ausgabe, 2. Abt., Band 6, S. 286 ff.). Goethe wollte zeigen, wie alle einzelnen Zweige des Naturerkennens: Na­turgeschichte, Naturlehre, Anatomie, Chemie, Zoonomie und Physiologie zusammenwirken müssen, um von einer höheren Anschauungsweise dazu verwendet zu werden, Gestalten und Vorgänge der Lebewesen zu erklären. Er wollte eine neue Wissenschaft, eine allgemeine Morpholo­gie der Organismen aufstellen, «zwar nicht dem Gegenstande nach, denn derselbe ist bekannt, sondern der Ansicht und der Methode nach, welche sowohl der Lehre selbst eine eigene Gestalt geben muß, als ihr auch gegen andere Wis­senschaften ihren Platz anzuweisen hat ...». Was die Anato­mie, Naturgeschichte, Naturlehre, Chemie, Zoonomie, Physiologie an einzelnen Naturgesetzen darbieten, soll von der lebendigen Vorstellung des Organischen ebenso aufge­nommen und auf eine höhere Stufe gestellt werden, wie das Lebewesen selbst die einzelnen Naturvorgänge in den Kreis
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er fortwährend das Aufgebaute wiederum abtragen muß, insofern das sich fortwährend verwandeln muß. Und Shiva stellte dar alles das, was mit den zerstörenden Kräften zusammenhängt. Und in den älteren Zeiten der indischen Hochkultur sagte man: Brahma ist innig verwandt mit allem, was Feuerwesennatur ist, was Sylphennatur ist; Vishnu mit alledem, was Sylphen- und Undinennatur ist. Shiva mit all demjenigen, was Gnomen- und Undinennatur ist. Überhaupt findet man, wenn man in diese älteren Vorstellungen zurückgeht, überall die bildhaften Ausdrücke für das, was man heute wiederum suchen muß als den Geheimnissen der Natur zugrunde liegend.


seiner Bildung aufnimmt und auf eine höhere Stufe des Wir­kens stellt.
Sie sehen also: Wir haben gestern betrachtet die Verwandtschaft dieses unsichtbaren Volkes mit der Pflanzenwelt; wir haben heute hinzugefügt die Verwandtschaft dieses unsichtbaren Volkes mit der tierischen Welt. Überall greifen ein die Wesenheiten von diesseits der Schwelle in die Wesenheiten von jenseits der Schwelle, die Wesenheiten von jenseits der Schwelle in die Wesenheiten von diesseits der Schwelle, und so fort. Und nur dann, wenn man das lebendige Zusammenwirken dieser beiden Wesensarten kennt, versteht man eigentlich, wie die sichtbare Welt sich entfaltet. Für den Menschen ist schon die Erkenntnis der über- sinnlichen Welt sehr, sehr notwendig, denn in dem Augenblicke, wo er durch die Pforte des Todes tritt, hat er ja nicht mehr die sinnliche Welt um sich, sondern da beginnt zunächst die andere Welt seine Welt zu sein. In seiner gegenwärtigen Entwickelung kann er sich nicht in diese andere Welt begeben, wenn er nicht sozusagen aus den physischen Offenbarungen die Schriftzeichen erkannt hat, die hinüberweisen in diese andere Welt; wenn er nicht lesen gelernt hat in den Tieren der Erde, in den Tieren des Wassers, in den Tieren der Luft und in den Tieren, ich möchte sagen des Lichtes, in den Schmetterlingen das, was hinweist auf die Elementarwesen, die unsere Mitbewohner sind zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Aber was wir von diesen Wesenheiten sehen, ist eigentlich überall hier zwischen der Geburt und dem Tode eben nur, ich möchte sagen das brutale dichte Stück. Das, was hinzugehört vom Übersinnlichen, lernen wir erst erkennen, wenn wir uns hinüberbegeben mit unserer Einsicht, mit unserem Verständnis in diese übersinnliche Welt.


Goethe ist zu den Ideen, die ihm durch das Labyrinth der lebendigen Gestalten durchhalfen, auf eigenen Wegen ge­langt. Die herrschenden Anschauungen über wichtige Ge­biete des Naturwirkens widersprachen seiner allgemeinen Weltanschauung. Deshalb mußte er sich selbst über solche Gebiete Vorstellungen ausbilden, die seinem Wesen gemäß waren. Er war aber überzeugt, daß es nichts Neues unter der Sonne gebe, und daß man «gar wohl in Überlieferungen schon angedeutet finden könne, was man selbst gewahr wird». Er teilt gelehrten Freunden aus diesem Grund seine Schrift über die «Metamorphose der Pflanzen» mit und bittet sie, ihm darüber Auskunft zu geben, ob über den be­handelten Gegenstand schon etwas geschrieben oder über­liefert ist. Er hat die Freude, daß in Friedrich August Wolf auf einen «trefflichen Vorarbeiter», Kaspar Friedrich Wolff, aufmerksam macht. Goethe macht sich mit dessen 1759 er­schienenen «Theoria generationis» bekannt. Gerade an die­sem Vorarbeiter aber ist zu beobachten, wie jemand eine richtige Ansicht über die Tatsachen haben und doch nicht zur vollendeten Idee der organischen Bildung kommen kann, wenn er nicht fähig ist, sich durch ein höheres als das sinnliche Anschauungsvermögen in den Besitz der sinnlich­-übersinnlichen Form des Lebens zu setzen. Wolf ist ein ausge­zeichneter Beobachter. Er sucht durch mikroskopische Un­tersuchungen sich über die Anfänge des Lebens aufzuklä­ren. Er erkennt in dem Kelch, der Blumenkrone, den Staub­gefäßen, dem Stempel, dem Samen, umgewandelte Blätter. Aber er schreibt die Umwandlung einer allmählichen Abnahme
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= NEUNTER VORTRAG Dornach, 4. November 1923 =


der Lebenskraft zu, die in dem Maße sich vermin­dern soll, als die Vegetation länger fortgesetzt wird, um endlich ganz zu verschwinden. Kelch, Krone usw. sind ihm daher eine unvollkommene Ausbildung der Blätter. Wolf ist als Gegner Hallers aufgetreten, der die Präformations­- oder Einschachtelungslehre vertrat. Nach dieser sollten alle Glieder eines ausgewachsenen Organismus im Keim schon im Kleinen vorgebildet sein, und zwar in derselben Gestalt und gegenseitigen Anordnung wie im vollendeten Lebe­wesen. Die Entwicklung eines Organismus ist demzufolge nur eine Auswicklung des schon Vorhandenen. Wolf ließ nur das gelten, was er mit Augen sah. Und da der einge­schachtelte Zustand eines Lebewesens auch durch die sorg­fältigsten Beobachtungen nicht zu entdecken war, betrach­tete er die Entwicklung als eine wirkliche Neubildung. Die Gestalt eines organischen Wesens ist, nach seiner Ansicht, im Keime noch nicht vorhanden. Goethe ist derselben Mei­nung in Bezug auf die äußere Erscheinung. Auch er lehnt die Einschachtelungslehre Hallers ab. Für Goethe ist der Organismus im Keime zwar vorgebildet, aber nicht der äußeren Erscheinung, sondern der Idee nach. Die äußere Er­scheinung betrachtet auch er als eine Neubildung. Aber er wirft Wolf vor, daß dieser da, wo er nichts mit den Augen des Leibes sieht, auch mit Geistesaugen nichts wahr­nimmt. Wolf hatte keine Vorstellung davon, daß etwas der Idee nach doch vorhanden sein kann, auch wenn es nicht in die äußere Erscheinung tritt. «Deshalb ist er immer be­müht, auf die Anfänge der Lebensbildung durch mikrosko­pische Untersuchungen zu dringen, und so die organischen Embryonen von ihrer frühesten Erscheinung bis zur Aus­bildung zu verfolgen. Wie vortrefflich diese Methode auch
Wie man ja die Wesen der Sinnenwelt nur kennenlernt, wenn man sie beobachtet in ihrem Leben und Treiben, so ist das auch bei denjenigen Wesen der Fall, von denen ich in diesen Vorträgen jetzt zu Ihnen gesprochen habe und spreche, bei den Naturelementarwesenheiten, die unsichtbar, übersinnlich hinter dem Sinnlich-Physischen sich befinden und an dem ganzen Geschehen in der Welt ebenso beteiligt sind, oder eigentlich in einem höheren Sinne beteiligt sind als die sinnlich-physischen Wesen.


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Nun können Sie sich ja denken, daß die Welt für diese Wesenheiten etwas anders aussehen wird als für die Wesenheiten der sinnlichen Welt, denn Sie haben ja gesehen: einen physischen Leib, so wie die Wesen der Sinneswelt, haben diese Wesenheiten nicht. Alles, was sie in der Welt auffassen, in der Welt wahrnehmen, muß anders sein als dasjenige, was etwa in Menschenaugen dringt. Und so ist es auch. Der Mensch empfindet zum Beispiel die Erde als den Weltenkörper, auf dem er herumgeht. Er empfindet es schon als eine kleine Unannehmlichkeit, wenn dieser Weltenkörper, wie es zuweilen der Fall ist, durch allerlei Vorgänge der Atmosphäre aufgeweicht wird und der Mensch nur ein ganz klein wenig hineinsinkt. Er möchte diesen Erdboden als hart empfinden, als etwas, in das er nicht hineinsinkt.


sei, durch die er soviel geleistet hat, so dachte der treffliche Mann doch nicht, daß es ein Unterschied sei zwischen Sehen und Sehen, daß die Geistesaugen mit den Augen des Leibes in stetem lebendigen Bunde zu wirken haben, weil man sonst in Gefahr gerät zu sehen und doch vorbeizusehen. - Bei der Pflanzenverwandlung sah er dasselbige Organ sich immerfort zusammenziehen, sich verkleinern; daß aber die­ses Zusammenziehen mit einer Ausdehnung abwechsle, sah er nicht. Er sah, daß es sich an Volum verringere, und be­merkte nicht, daß es sich zugleich veredle, und schrieb da­her den Weg zur Vollendung, widersinnig, einer Verküm­merung zu» (Kürschner, Band 33, S.107 f.).
Diese ganze Empfindungsart, diese ganze Stellung zur Erde, die ist zum Beispiel bei den Gnomen ganz und gar nicht vorhanden; die sinken überall, denn für sie ist der ganze Erdenkörper zunächst wie ein durchgänglicher Hohlraum. Sie können überall hinein; für sie sind nicht Gesteine, für sie sind nicht Metalle irgend etwas, das sie hindert, mit ihrer Wesenheit, ja, soll ich sagen, herumzugehen, soll ich sagen, herumzuschwimmen? Es gibt in unserer Sprache nicht Worte, die das Wandeln dieser Gnomen innerhalb des Erdenkörpers ausdrücken. Nur daß sie eine innerliche Empfindung, ein innerliches Erlebnis haben von den verschiedenen Ingredienzien der Erde; sie fühlen anders, wenn sie einer Metallader entlang wandern, als wenn sie einer Kalkschichte entlang


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Bis zu seinem Lebensende stand Goethe mit zahlreichen Na­turforschern in persönlichem und schriftlichem Verkehre. Er beobachtete die Fortschritte der Wissenschaft von den Lebewesen mit dem regsten Interesse; er sah mit Freuden, wie in diesem Erkenntnisgebiete Vorstellungsarten Ein­gang fanden, die sich der seinigen näherten und wie auch seine Metamorphosenlehre von einzelnen Forschern aner­kannt und fruchtbar gemacht wurde. Im Jahre 1817 begann er seine Arbeiten zu sammeln und in einer Zeitschrift, die er unter dem Titel «Zur Morphologie» begründete, her­auszugeben. Zu einer Weiterbildung seiner Ideen über or­ganische Bildung durch eigene Beobachtung oder Reflexion kam er trotz alledem nicht mehr. Zu einer eingehenderen Beschäftigung mit solchen Ideen fand er sich nur noch zweimal angeregt. In beiden Fällen fesselten ihn wissen­schaftliche Erscheinungen, in denen er eine Bestätigung sei­ner Gedanken fand. Die eine waren die Vorträge, die K. F.
ihren Weg nehmen. Das alles aber fühlen die Gnomen auf innerliche Art; sie dringen durch alles das durch. Sie haben eigentlich gar nicht einmal die Vorstellung davon, daß es die Erde gibt; sie haben die Vorstellung, daß es einen Raum gibt, in dem sie verschiedene Empfindungen erleben: Goldempfindungen, Merkurempfindungen, Zinnempfindungen, Kieselempfindungen und so weiter. Das ist in der Menschensprache gesprochen, nicht in der Sprache der Gnomen. Die ist viel anschaulicher; und sie bekommen gerade dadurch, daß sie eigentlich ihr Leben lang alle Adern, alle Schichten ablaufen, immer wieder und wiederum ablaufen, diese ausgeprägte Intellektualität, von der ich Ihnen gesprochen habe. Sie bekommen dadurch ihr umfassendes Wissen, denn ihnen enthüllt sich im Metall und in der Erde alles das, was draußen im Weltenall ist; wie in einem Spiegel empfinden sie alles das, was draußen im Weltenall ist. Aber für die Erde selbst haben die Gnomen gar keine Anschauung, eben nur für ihre verschiedenen Ingredienzien, verschiedenen Arten des inneren Erlebens.


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Dafür sind aber diese Gnomen ganz besonders begabt für die Eindrücke, die vom Monde herkommen. Der Mond ist ihnen dasjenige, worauf sie fortwährend aufmerksam lauschen. In dieser Beziehung sind sie - die geborenen, kann ich nicht sagen, es ist eben so schwer, die Worte dafür zu finden - sozusagen die gewordenen Neurastheniker. Nicht wahr, was bei uns eine Krankheit ist, das ist für diese Gnomenwesen eigentlich ihr Lebenselement. Das ist bei ihnen keine Krankheit, das ist bei ihnen eine Selbstverständlichkeit. Das gibt ihnen jene innere Empfänglichkeit für alles das, wovon ich Ihnen gesprochen habe. Es gibt ihnen aber auch die innerliche Empfänglichkeit für die Umwandlungen der Mondenerscheinungen. Diese Umwandlung der Mondenerscheinungen verfolgen sie mit einer solchen Aufmerksamkeit, daß dieses innerliche Aufmerken - ich habe Ihnen ja ihre Aufmerksamkeitskraft geschildert - selbst ihre Gestalt verändert. So daß man in der Tat, wenn man das Gnomendasein verfolgt, einen ganz anderen Eindruck hat bei Vollmond und einen ganz anderen Eindruck hat bei Neumond und wiederum bei den dazwischenliegenden Mondesphasen.


Ph.Martius über die «Vertikal- und Spiraltendenz der Ve­getation» auf den Naturforscherversammlungen in den Jahren i 8z8 und 1829 hielt und von denen die Zeitschrift «Isis» Auszüge brachte; die andere ein naturwissenschaft­licher Streit in der französischen Akademie, der im Jahre 1830 zwischen Geoffroy de Saint-Hilaire und Cuvier aus­brach.
Bei Vollmond, da wird es den Gnomen unbehaglich. Das physische Mondenlicht paßt ihnen nicht, und da drängen sie nach außen ihr gan-


Martius dachte sich das Wachstum der Pflanze von zwei Tendenzen beherrscht, von einem Streben in der senkrech­ten Richtung, wovon Wurzel und Stengel beherrscht wer­den; und von einem anderen, wodurch Blätter-, Blütenor­gane usw. veranlaßt werden, sich gemäß der Form einer Spirallinie an die senkrechten Organe anzugliedern. Goethe griff diese Ideen auf und brachte sie mit seiner Vorstellung von der Metamorphose in Verbindung. Er schrieb einen längeren Aufsatz (Kürschner, Band 33), in dem er alle seine Erfahrungen über die Pflanzenwelt zusammenstellte, die ihm auf das Vorhandensein der zwei Tendenzen hinzudeu­ten schienen. Er glaubt, daß er diese Tendenzen in seine Idee der Metamorphose aufnehmen müsse. «Wir mußten annehmen: es walte in der Vegetation eine allgemeine Spi­raltendenz, wodurch, in Verbindung mit dem vertikalen Streben, aller Bau, jede Bildung der Pflanzen nach dem Ge­setze der Metamorphose vollbracht wird.» Das Vorhanden­sein der Spiralgefäße in einzelnen Pflanzenorganen faßt Goethe als Beweis auf, daß die Spiraltendenz das Leben der Pflanze durchgreifend beherrscht. «Nichts ist der Natur ge­mäßer, als daß sie das, was sie im ganzen intentioniert, durch das einzelnste in Wirksamkeit versetzt.» «Man trete zur Sommerzeit vor eine im Gartenboden eingesteckte Stange, an welcher eine Winde (Konvolvel) von unten an sich fortschlängelnd
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zes Seinsgefühl. Sie umspannen sich gewissermaßen mit einer geistigen Haut, sie drängen ihr Seinsgefühl an den Umfang ihres Leibes, wenn Vollmond ist. Und sie erscheinen einem dann, ,wenn man für solche Dinge imaginatives Anschauen hat, ich möchte sagen wie strahlende, gepanzerte kleine Ritter bei Vollmondschein. Da tragen sie etwas wie e1nen geistigen Panzer um sich, und das ist dasjenige, was in ihrer Haut nach außen drängt, um abzuwehren das Mondenlicht, das ihnen unangenehm ist. Nähert sich aber der Mond dem Neumond, dann wird der Gnom geradezu durchsichtig, wunderbar; man sieht in ihm strahlende, glitzernde Farbenspiele. Man sieht, wie eine ganze Welt in ihm vorgeht. Es ist so, wie wenn man, ich möchte sagen, in das menschliche Gehirn hineinschauen würde, aber nicht nur wie ein Anatom, der da Zellengewebe sucht, sondern wie einer, der da die Gedanken drinnen schillern und glitzern sieht: so erscheinen einem wie durchsichtige Männlein diese Gnomen, in denen drinnen das Gedankenspiel erscheint. Gerade bei Neumond sind diese Gnomen außerordentlich interessant, weil sie jeder eine ganze Welt in sich tragen, und man kann sagen: In dieser Welt drinnen ruht eigentlich das Mondengeheimnis.


in die Höhe steigt, sich fest anschließend ihr lebendiges Wachstum verfolgt. Man denke sich Konvolvel und Stange, beide gleich lebendig, aus einer Wurzel aufstei­gend, sich wechselweise hervorbringend und so unaufhalt­sam fortschreitend. Wer sich diesen Anblick in ein inneres Anschauen verwandeln kann, der wird sich den Begriff sehr erleichtert haben. Die rankende Pflanze sucht das außer sich, was sie sich selbst geben sollte und nicht vermag.» Dasselbe Gleichnis wendet Goethe am 5. März 1832 in einem Briefe an den Grafen Sternberg an und setzt die Worte hinzu: «Freilich paßt dies Gleichnis nicht ganz, denn im Anfang mußte die Schlingpflanze um den sich erhebenden Stamm in kaum merklichen Kreisen herauswinden. Je mehr sie sich aber der oberen Spitze näherte, desto schneller mußte die Schraubenlinie sich drehen, um endlich (bei der Blüte) in einem Kreise auf einen Diskus sich zu versammeln, dem Tanze ähnlich, wo man sich in der Jugend gar oft Brust an Brust, Herz an Herz mit den liebenswürdigsten Kindern selbst wider Willen gedrückt sah. Verzeih diese Anthropo­morphismen.» Ferdinand Cohn bemerkt zu dieser Stelle: «Hätte Goethe nur noch Darwin erlebt! ... wie würde er sich des Mannes erfreut haben, der durch streng induktive Methode klare und überzeugende Beweise für seine Ideen zu finden wußte ...» Darwin meint, von fast allen Pflanzenorganen zeigen zu können, daß sie in der Zeit ihres Wachs­tums die Tendenz zu schraubenförmigen Bewegungen ha­ben, die er circummutation nennt.
Enthüllt man es, dieses Mondengeheimnis, dann kommt man auf sehr merkwürdige Ergebnisse; dann kommt man darauf, sich zu sagen, daß der Mond gegenwärtig in einer fortwährenden Annäherung ist - natürlich müssen Sie sich das nicht grobklotzig vorstellen, als ob er da der Erde zulaufen würde -, aber er kommt eigentlich jedes Jahr etwas näher. Und eigentlich ist der Mond jedes Jahr der Erde etwas näher. Das erkennt man an dem immer lebendiger werdenden Spiel der Mondenkräfte während des Neumondes in der Gnomenwelt. Und auf dieses Näherkommen sind auch diese Wichtelmänner ganz besonders aufmerksam; denn aus dem, was an ihnen der Mond tut, Ergebnisse zu ziehen, darin sehen sie eigentlich ihre Hauptmission Im Weltenall. Sie warten mit einer großen Spannung den Zeitpunkt ab, wo sich der Mond wiederum mit der Erde vereinigen wird, und sie sammeln alle ihre Kräfte, um für diesen Zeitpunkt, wenn sich der Mond mit der Erde vereinigt hat, gerüstet zu sein, denn dann werden sie die Mondensubstanz dazu benützen, um die Erde allmählich im Weltenall ihrer ganzen Substanz nach zu zerstreuen. Die Substanz muß fort.


Im September 1830 spricht sich Goethe in einem Aufsatz über den Streit der beiden Naturforscher Cuvier und Geof­froy de Saint-Hilaire aus; im März 1832 setzt er diesen Auf­satz fort. Der Tatsachenfanatiker Cuvier trat im Februar
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Aber indem sie sich diese Aufgabe stellen, fühlen sich diese Kobolde, Gnomen ganz besonders wichtig, denn sie sammeln ja die verschiedensten Erfahrungen im ganzen Erdendasein, und sie bereiten sich vor, wenn nun die ganze Erdensubstanz im Weltenall zerstreut wird, nach dem Jupiter sich hinüberentwickelt, dann in der Struktur der Erde zu bewahren, was in dieser Struktur das Gute ist, und das dann wie eine Art Knochengerüste dem Jupiter einzuverleiben.


und März 1830 in der französischen Akademie gegen die Ausführungen Geoffroy de Saint-Hilaires auf, der, nach Goethes Meinung, zu «einer hohen, der Idee gemäßen Denkweise gelangt» war. Cuvier ist ein Meister im Unter­scheiden der einzelnen organischen Formen. Geoffroy be­müht sich, die Analogien in diesen Formen aufzusuchen und den Nachweis zu führen, die Organisation der Tiere sei «einem allgemeinen, nur hier und da modifizierten Plan, woher die Unterscheidung derselben abzuleiten sei, unter­worfen». Er strebt die Verwandtschaft der Gesetze zu er­kennen und ist der Überzeugung, das Einzelne könne aus dem Ganzen nach und nach entwickelt werden. Goethe be­trachtet Geoffroy als Gesinnungsgenossen; er spricht das am 2August 1830 zu Eckermann mit den Worten aus:
Sehen Sie, wenn man diesen Vorgang den Gnomen abschaut, dann bekommt man erst eine Anregung dazu, nun einmal sich vorzustellen - und man kann das dann -, wie unsere Erde ausschauen würde, wenn man von ihr alles Wasser wegnehmen würde. Denken Sie nur einmal, wie auf der westlichen Halbkugel alles von Norden nach Süden, auf der östlichen Halbkugel alles von Osten nach Westen orientiert ist. Wie also, wenn Sie das Wasser wegtun würden, Sie Amerika mit seinen Gebirgen und mit dem, was unter dem Meere ist, bekommen würden als etwas, was von Norden nach Süden verläuft; und schauen Sie nach Europa hin, so würden Sie entsprechend dem Zug der Alpen, Karpathen und so weiter dasjenige bekommen, was in der östlichen Halbkugel in dieser Richtung ist. Sie würden etwas bekommen wie die Struktur des Kreuzes in der Erde.


«Jetzt ist nun auch Geoffroy de Saint-Hilaire entschieden auf unserer Seite und mit ihm alle seine bedeutenden Schü­1er und Anhänger Frankreichs. Dieses Ereignis ist für mich von ganz unglaublichem Wert und ich juble mit Recht über den endlichen Sieg einer Sache, der ich mein Leben gewid­met habe und die ganz vorzüglich auch die meinige ist.» Geoffroy übt eine Denkweise, die auch die Goethes ist, er sucht in der Erfahrung mit dem sinnlich Mannigfaltigen zugleich auch die Idee der Einheit zu ergreifen; Cuvier hält sich an das Mannigfaltige, an das Einzelne, weil ihm bei des­sen Betrachtung die Idee nicht zugleich aufgeht. Geoffroy hat eine richtige Empfindung von dem Verhältnisse des Sinnlichen zur Idee; Cuvier hat sie nicht. Deshalb bezeich­net er Geoffroys umfassendes Prinzip als anmaßlich, ja, er­klärt es sogar für untergeordnet. Man kann besonders an Naturforschern die Erfahrung machen, daß sie absprechend über ein «bloß»Ideelles, Gedachtes sprechen. Sie haben
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kein Organ für das Ideelle und kennen daher dessen Wir­kungskreise nicht. Goethe wurde dadurch, daß er dieses Organ in besonders vollkommener Ausbildung besaß, von seiner allgemeinen Weltanschauung aus zu seinen tiefen Einsichten in das Wesen des Lebendigen geführt. Seine Fä­higkeit, die Geistesaugen mit den Augen des Leibes in ste­tem lebendigen Bunde wirken zu lassen, machte es ihm möglich, die einheitliche sinnlich-übersinnliche Wesenheit anzuschauen, die sich durch die organische Entwicklung hindurchzieht, und diese Wesenheit auch da anzuerkennen, wo ein Organ sich aus dem andern herausbildet, durch Um­bildung seine Verwandtschaft, seine Gleichheit mit dem vorhergehenden verbirgt, verleugnet und sich in Bestim­mung wie in Bildung in dem Grade verändert, daß keine Vergleichung nach äußeren Kennzeichen mehr mit dem vorhergehenden stattfinden könne. (Vgl. den Aufsatz über Joachim Jungius, Kürschner, Band 33.) Das Sehen mit den Augen des Leibes vermittelt die Erkenntnis des Sinnlichen und Materiellen; das Sehen mit Geistesaugen führt zur Anschauung der Vorgänge im menschlichen Bewußtsein, zur Beobachtung der Gedanken-, Gefühls- und Willenswelt; der lebendige Bund zwischen geistigem und leib­lichem Auge befähigt zur Erkenntnis des Organischen, das als sinnlich-übersinnliches Element zwischen dem rein Sinnlichen und rein Geistigen in der Mitte liegt.  
Und durchdringt man dieses, dann bekommt man davon den Eindruck, daß das eigentlich die vereinigte Gnomenwelt des alten Mondes ist. So daß diejenigen, die die Vorfahren unserer Erdengnomen sind, die Mondengnomen, die Mondenerfahrungen gesammelt haben und diese Struktur, diese feste Struktur des festen Erdgewebes, des festen Erdgebildes aus ihrer Erfahrung heraus gebildet haben, so daß wir eigentlich unsere feste Erdengestalt haben aus den Erfahrungen der alten Mondengnomen.


= DIE BETRACHTUNG DER FARBENWELT =
Das sind die Dinge, die sich da ergeben in bezug auf die Gnomenwelt. Dadurch bekommen die Gnomen eine interessante, außerordentlich interessante Beziehung zu der ganzen Evolution des Weltenalls. Sie tragen gewissermaßen immer das Feste aus dem Früheren in das Feste des Späteren hinüber. Sie sind die Bewahrer der Kontinuität der festen Struktur in der Entwickelung. So von einem Weltenkörper zu dem anderen bewahren sie die feste Struktur. Es gehört zu dem Interessantesten, an diese geistigen Wesenheiten einer übersinnlichen Welt heranzutreten und ihre besondere Aufgabe zu studieren; denn dadurch bekommt man erst den Eindruck, wie alles, was an Wesen in der Welt vorhanden ist, mitarbeitet an der ganzen Gestaltung der Welt.
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Nun gehen wir wiederum von den Gnomen zu den Undinen, zu den Wasserwesen. Da bietet sich einem eigentlich eine sehr merkwürdige Vorstellung. Diese Wesenheiten haben nicht dieses Lebensbedürfnis, das die Menschen haben, auch nicht das Lebensbedürfnis, das die Tiere haben, wenn auch instinktiv, sondern man könnte fast sagen: die Undinen, auch die Sylphen, sie haben eher ein Todesbedürfnis. Sie sind wirklich auf eine kosmische Art so wie die Mücke, die sich in die Flamme stürzt. Sie haben das Gefühl, daß sie eigentlich erst recht ihr Leben haben, wenn sie sterben. Außerordentlich interessant ist es: Hier in der physischen Erde will alles leben, und man schätzt eigentlich alles, was Lebenskraft in sich hat; man schätzt gerade alles, was lebendiges Sprießen und Sprossen hat. Kommt man da hinüber, dann sagen einem alle diese Wesenheiten: das Sterben, das ist eigentlich erst der richtige Anfang des Lebens. Und das können diese Wesenheiten auch empfinden. Denn nehmen wir diese Undinen. Sie wissen ja vielleicht, daß, sagen wir Schiffer, die viel auf dem Meere fahren, finden, daß das Meer


DIE BETRACHTUNG DER FARBENWELT
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so einen eigentümlichen Eindruck macht, auf der Ostsee im Juli, August, September, weiter nach Westen hinüber schon im Juni, und daß diese Leute sagen: das Meer beginnt zu blühen. Es schlägt aus gewissermaßen; aber es schlägt aus von alledem, was im Meer verwest. Die Verwesung des Meeres macht sich da geltend; sie gibt dem Meere einen eigentümlichen fauligen Geruch.


DIE ERSCHEINUNGEN DER FARBENWELT
Aber das ist alles anders für die Undinen. Die Undinen empfinden dabei nichts Unangenehmes, sondern wenn diese Millionen und Millionen von Wassertieren, die da verwesen im Meere, in die Zerstörung hineinkommen, dann wird das Meer für die Undinen ein in den wunderbarsten phosphoreszierenden Farbenspielen erglänzendes. Es glänzt und glitzert alles in allen möglichen Farben. Insbesondere in bläulichen, violettlichen, grünlichen Farben glitzert für sie das Meer innerlich und äußerlich. Das ganze Verwesen im Meere wird ein solches Glimmern und Glitzern in den dunkleren Farben bis zum Grün hin. Aber diese Farben sind Realitäten für die Undinen, und man sieht dann die Undinen, wie sie in diesem Farbenspiele des Meeres selber diese Farben in sich aufnehmen. Sie ziehen diese Farben in ihre eigene Leiblichkeit herein. Sie werden so, wie diese Farbenspiele sind; sie werden selber phosphoreszierend. Und indem sie diese Farbenspiele aufnehmen, indem sie selber phosphoreszierend werden, entsteht in ihnen etwas wie eine Sehnsucht, wie eine ungeheure Sehnsucht, nach oben zu gehen, nach oben zu schweben. Diese Sehnsucht führt sie dazu, nach oben zu schweben, und sie bieten sich mit dieser Sehnsucht den Wesenheiten der höheren Hierarchien, den Angeloi, Archangeloi und so weiter als die Erdennahrung an; sie finden darin ihre Seligkeit. Sie leben dann in den höheren Hierarchien drinnen weiter.


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So ist es merkwürdig, wie aus unergründlichen Tiefen herauf sich diese Wesenheiten, man möchte sagen, mit jedem Frühfrühling entwickeln. Sie machen da mit das Leben der Erde, indem sie in der Weise am Pflanzentum arbeiten, wie ich es beschrieben habe. Dann aber er- gießen sie sich gewissermaßen in das Wasser, nehmen durch ihre eigene Leiblichkeit das Phosphoreszieren des Wassers, das Verwesende auf, tragen es in ungeheurer Sehnsucht hinauf, und man sieht in einem kolossalen, in einem grandiosen Weltenbilde, wie die aus dem Erdenwasser


Goethe wird durch die Empfindung, daß «die hohen Kunstwerke von Menschen nach wahren und natürlichen Gesetzen hervorgebracht» sind, fortwährend angeregt, diese wahren und natürlichen Gesetze des künstlerischen Schaffens auf­zusuchen. Er ist überzeugt, die Wirkung eines Kunstwerkes müsse darauf beruhen, daß aus demselben eine natürliche Gesetzmäßigkeit herausleuchtet. Er will diese Gesetzmä­ßigkeit erkennen. Er will wissen, aus welchem Grunde die höchsten Kunstwerke zugleich die höchsten Naturwerke sind. Es wird ihm klar, daß die Griechen nach eben den Ge­setzen verfuhren, nach denen die Natur verfährt, als sie «aus der menschlichen Gestalt den Kreis göttlicher Bil­dung» entwickelten (Italienische Reise, 28. Januar 1787). Er will sehen, wie die Natur diese Bildung zustande bringt, um sie in den Kunstwerken verstehen zu können. Goethe schildert, wie es ihm in Italien allmählich gelungen ist, zu einer Einsicht in die natürliche Gesetzmäßigkeit des künst­lerischen Schaffens zu kommen (vgl. «Konfession des Ver­fassers», Kürschner, Band 36). «Zum Glück konnte ich mich an einigen von der Poesie herübergebrachten, mir durch inneres Gefühl und langen Gebrauch bewährten Maximen festhalten, so daß es mir zwar schwer, aber nicht unmöglich ward, durch ununterbrochenes Anschauen der Natur und Kunst, durch lebendiges wirksames Gespräch mit mehr oder weniger einsichtigen Kennern, durch stetes Leben mit mehr oder weniger praktischen oder denkenden Künstlern, nach und nach mir die Kunst überhaupt einzuteilen, ohne sie zu zerstückeln, und ihre verschiedenen, lebendig inein­ander greifenden Elemente gewahr zu werden.» Nur ein
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entstehenden, durch die Undinen getragenen Farben, die geistig-substantiell sind, den Wesen der höheren Hierarchien ihre Nahrung bieten, wie die Erde Nahrungsquelle wird für die höheren Hierarchien, indem die Sehnsucht der Undinen gerade darin besteht, sich von den höheren Wesen verzehren zu lassen. Da leben sie dann weiter, da gehen sie gewissermaßen in ihre Ewigkeit ein. So ist eigentlich in jedem Jahre ein fortwährendes Aufströmen von diesen Wesenheiten, deren Inneres aus der Erde heraus gebildet ist, und die aufstrahlen sehnsüchtig, um sich als Nahrung anzubieten den höheren Wesenheiten.


einziges Element will ihm nicht die natürlichen Gesetze of­fenbaren, nach denen es im Kunstwerke wirkt: das Kolorit. Mehrere Gemälde werden «in seiner Gegenwart erfunden und komponiert, die Teile, der Stellung und der Form nach, sorgfältig durchstudiert». Die Künstler können ihm Re­chenschaft geben, wie sie bei der Komposition verfahren. Sobald aber die Rede aufs Kolorit kommt, da scheint alles von der Willkür abzuhängen. Niemand weiß, welcher Be­zug zwischen Farbe und Helldunkel, und zwischen den ein­zelnen Farben herrscht. Worauf es beruht, daß Gelb einen warmen und behaglichen Eindruck macht, Blau die Emp­findung der Kälte hervorruft, daß Gelb und Rotblau neben­einander eine harmonische Wirkung hervorbringen, dar­über kann Goethe keinen Aufschluß gewinnen. Er sieht ein, daß er sich mit der Gesetzmäßigkeit der Farbenwelt in der Natur erst bekannt machen muß, um von da aus in die Geheimnisse des Kolorits einzudringen.
Und gehen wir zu den Sylphen. Wir finden ja im Laufe des Jahres die ersterbenden Vögel. Ich habe Ihnen dargestellt, wie diese ersterbenden Vögel ihre vergeistigte Substanz haben, wie sie diese vergeistigte Substanz übergeben wollen den höheren Welten, damit sie von der Erde hinaufkommt. Aber da bedarf es der Vermittler. Diese Vermittler sind die Sylphen. Es ist so, daß in der Tat durch die sterbende Vogelwelt sich die Luft fortwährend anfüllt mit Astralität, mit einer niedrigeren Astralität, aber mit Astralität eben, mit astralischer Substanz. In dieser astralischen Substanz, ich kann nicht sagen flattern, ich möchte sagen, wenn das Wort nicht häßlich klingen würde, verschweben, es verschweben die Sylphen. Sie nehmen auf, was aus der sterbenden Vogelwelt kommt, tragen es wiederum sehnsüchtig in die Höhe und wollen veratmet sein von den Wesenheiten der höheren Hierarchien. Sie bieten sich als dasjenige an, was Atmungswesen der höheren Hierarchien ist. Wiederum ein grandioses Schauspiel! Indem man die Vogelwelt ersterben sieht, geht diese astralische, innerlich erglänzende Substanz in die Luft über. Die Sylphen zucken wie blaue Blitze durch die Luft, und in ihre blauen Blitze herein, zuerst ergrünend und dann errötend, nehmen sie auf diese Astralität, die von der Vogelwelt kommt, und huschen wIe nach aufwärts zuckende Blitze hinauf. Verfolgt man das bis außerhalb des Raumes, so werden sie dasjenige, was veratmet wird von den Wesenheiten der höheren Hierarchien.


Weder die Begriffe über die physische Natur der Farbenerscheinungen, die Goethe von seiner Studienzeit her noch im Gedächtnis hatte, noch die physikalischen Kompendien, die er um Rat fragte, erwiesen sich für seinen Zweck als fruchtbar. «Wie alle Welt war ich überzeugt, daß die sämt­lichen Farben im Licht enthalten seien; nie war es mir an­ders gesagt worden und niemals hatte ich die geringste Ur­sache gefunden, daran zu zweifeln, weil ich bei der Sache nicht weiter interessiert war» («Konfession des Verfas­sers »,Kürschner, Band 3 6/z). Als er aber anfing, interessiert zu sein, da fand er, daß er aus dieser Ansicht nichts für seinen Zweck entwickeln konnte. Der Begründer dieser Ansicht, die Goethe bei den Naturforschern herrschend fand und die heute noch dieselbe Stellung einnimmt, ist Newton. Sie behauptet,­
So daß man sagen kann: die Gnomen tragen eine Welt in die andere hinüber ihrer Struktur nach. Sie gehen gewissermaßen - das ist aber nur vergleichsweise gesagt - horizontal mit der Evolution weiter. Die anderen Wesenheiten, die Undinen, die Sylphen tragen hinauf dasjenige,  


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das weiße Licht, wie es von der Sonne ausgeht, ist aus farbigen Lichtern zusammengesetzt. Die Farben ent­stehen dadurch, daß die einzelnen Bestandteile aus dem wei­ßen Lichte ausgesondert werden. Läßt man durch eine kleine runde Öffnung Sonnenlicht in ein dunkles Zimmer treten, und fängt es auf einem weißen Schirme, der senk­recht gegen die Richtung des einfallenden Lichtes gestellt wird, aut., so erhält man ein weißes Sonnenbild. Stellt man zwischen die Öffnung und den Schirm ein Glasprisma, durch welches das Licht durchstrahlt, so verändert sich das weiße runde Sonnenbild. Es erscheint verschoben, in die Länge gezogen und farbig. Man nennt dieses Bild Sonnenspektrum. Bringt man das Prisma so an, daß die oberen Par­tien des Lichtes einen kürzeren Weg innerhalb der Glasmasse zurückzulegen haben als die unteren, so ist das far­bige Bild nach unten verschoben. Der obere Rand des Bil­des ist rot, der untere violett; das Rote geht nach unten in Gelb, das Violette nach oben in Blau über; die mittlere Par­tie des Bildes ist im allgemeinen weiß. Nur bei einer gewissen Entfernung des Schirmes vom Prisma verschwindet das Weiße in der Mitte vollständig; das ganze Bild erscheint farbig, und zwar von oben nach unten in der Folge: rot, orange, gelb, grün, hellblau, indigo, violett. Aus diesem Versuche schließen Newton und seine Anhänger, daß die Farben ursprünglich in dem weißen Lichte enthalten seien, aber miteinander vermischt. Durch das Prisma werden sie voneinander gesondert. Sie haben die Eigenschaft, beim Durchgange durch einen durchsichtigen Körper verschie­den stark von ihrer Richtung abgelenkt, das heißt gebro­chen zu werden. Das rote Licht wird am wenigsten, das vio­lette am meisten gebrochen. Nach der Stufenfolge ihrer
was sie als Seligkeit empfinden im eigenen Ersterben, im Genossenwerden, im Eratmetwerden. Da leben sie dann in den höheren Hierarchien weiter; darinnen empfinden sie ihre Ewigkeit.


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Und wenn man übergeht zu den Feuerwesen, ja, meine lieben Freunde, denken Sie nur einmal, wie der Schmetterlingsstaub von den Schmetterlingsflügeln mit den absterben den Schmetterlingen scheinbar in nichts zerfließt. Aber es ist nicht richtig, daß er in nichts zerfließt. Das, was da abstaubt von den Schmetterlingsflügeln, ist höchst vergeistigte Materie. Das alles fließt in den Wärmeäther, der die Erde umgibt, hinein wie winzige Kometen, jedes einzelne Stäubchen wie ein winziger Komet im Erdenwärmeäther. Alles wird, wenn die Schmetterlingswelt ihrem Ende zugeht im Jahreslauf, glitzernd und glimmend, innerliches Glitzern und Glimmen. Und in dieses Glitzern und Glimmen ergießen sich die Feuerwesen, sie nehmen es auf. Es glitzert und glimmert in ihnen weiter, und auch sie bekommen ihre Sehnsucht. Sie tragen das, was sie so aufgenommen haben, in die Höhe. Und man sieht - ich habe es Ihnen schon von einer anderen Seite geschildert -, wie nun das, was von den Schmetterlingsflügeln von den Feuerwesen nach außen getragen ist, in den Weltenraum hinausschimmert. Aber es schimmert nicht nur hinaus, es strömt hinaus, und es ist dasjenige, was den eigentlichen Anblick der Geister der höheren Hierarchien von der Erde ergibt. Die Geister der höheren Hierarchien schauen auf die Erde und sehen vorzugsweise von der Erde dieses von den Feuerwesen hinausgetragene Schmetterlings- und Insektenwesen, und die Feuerwesen finden ihre höchste Wollust darinnen, zu verspüren, wie sie es sind, die sich hinstellen vor die Geistesaugen der höheren Hierarchien. Sie finden es als ihre höchste Wollust, angeschaut zu werden, von den Blicken sozusagen, von den Geistblicken der höheren Hierarchien aufgenommen zu werden. Sie streben diesen höheren Hierarchien zu und führen ihnen das Wissen von der Erde zu.


Brechbarkeit erscheinen sie im Spektrum. Betrachtet man einen schmalen Papierstreifen auf schwarzem Grunde durch das Prisma, so erscheint derselbe ebenfalls abgelenkt. Er ist zugleich breiter und an seinen Rändern farbig. Der obere Rand erscheint violett, der untere rot; das Violette geht auch hier ins Blaue, das Rote ins Gelbe über; die Mitte ist im allgemeinen weiß. Nur bei einer gewissen Entfernung des Prismas von dem Streifen erscheint dieser ganz farbig. In der Mitte erscheint wieder das Grün. Auch hier soll das Weiße des Papierstreifens in seine farbigen Bestandteile zerlegt sein. Daß nur bei einer gewissen Entfernung des Schirmes oder Streifens vom Prisma alle Farben erscheinen, während sonst die Mitte weiß ist, erklären die Newtonianer einfach. Sie sagen: in der Mitte fallen die stärker abgelenk­ten Lichter vom oberen Teil des Bildes mit den schwächer abgelenkten vom unteren zusammen und vermischen sich zu Weiß. Nur an den Rändern erscheinen die Farben, weil hier in die am schwächsten abgelenkten Lichtteile keine stärker abgelenkten von oben und in die am stärksten abge­lenkten keine schwächer abgelenkten von unten hineinfal­len können.
So sehen Sie, wie diese Elementarwesen die Vermittler sind zwischen der Erde und dem Geistkosmos: dieses Schauspiel der hinaufphosphoreszierenden Undinen, die in dem Licht- und Flammenmeer der höheren Hierarchien als Nahrung verschwinden, die hinaufzuckenden grünlich-rötlichen Blitze der Sylphen, die eratmet werden, wo das Irdische


Dies ist die Ansicht, aus der Goethe für seinen Zweck nichts entwickeln kann. Er will deshalb die Erscheinungen selbst beobachten. Er wendet sich an Hofrat Büttner in Jena, der ihm die Apparate leihweise überläßt, mit denen er die nötigen Versuche anstellen kann. Er ist zunächst mit anderen Arbeiten beschäftigt und will, auf Büttners Drän­gen, die Apparate wieder zurückgeben. Vorher nimmt er doch noch ein Prisma zur Hand, um durch dasselbe auf eine völlig geweißte Wand zu sehen. Er erwartet, daß sie in ver­schiedenen Stufen gefärbt erscheine. Aber sie bleibt weiß.
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fortwährend in das Ewige übergeht, das ewige Verbleiben der Feuerwesen, deren Tun von Dauer ist. Denn während sich hier auf Erden nur in einer gewissen Jahreszeit das Sterben der Vögel abspielt, sorgen diese Feuerwesen dafür, daß sich dasjenige, was von ihnen zu schauen ist, das ganze Jahr sozusagen hinaus ins Weltenall ergießt. So trägt die Erde eine Art von Feuermantel um sich. Von außen gesehen, erscheint sie als feurig. Aber das Ganze wird ja von Wesen bewirkt, welche ganz anders die Dinge der Erde sehen, als der Mensch sie sieht. Für den Menschen ist, wie gesagt, die Erde als harte Substanz zu verspüren, auf der er gehen und stehen kann. Für die Gnomen ist sie eine durchlässige Kugel, eine Hohlkugel. Für die Undinen ist das Wasser etwas, in dem sie das Phosphoreszieren wahrnehmen und in sich aufnehmen und erleben können. Für die Sylphen ist das Astralische der Luft, das aus der sterbenden Vogelwelt kommt, dasjenige, wovon sie mehr zuckende Blitze werden, als sie schon gewesen sind; sie sind sonst matte, bläuliche Blitze, die Sylphen. Und wiederum das Zugrundegehen des Schmetterlingswesens ist etwas, was sozusagen dauernd die Erde wie mit einer Feuerschale umgibt. Für die Anschauung ist das so, daß gewissermaßen die Erde von einem wunderbaren feurigen Gemälde umgeben ist, und an der einen Seite, wenn man von der Erde hinaufschaut, sind diese zuckenden Blitze, diese phosphoreszierenden und verschwindenden Undinen. All das ist so, als ob man sagen müßte: Hier auf Erden weben und leben diese Elementargeister; sie streben nach aufwärts und verschwinden im Feuermantel der Erde. Aber sie verschwinden eigentlich nicht in Wirklichkeit, sondern sie finden da ihr ewiges Dasein, indem sie in die Wesenheiten der höheren Hierarchien übergehen.


Nur an den Stellen, wo das Weiße an Dunkles stößt, treten Farben auf. Die Fensterstäbe erscheinen in den allerlebhaf­testen Farben. Aus diesen Beobachtungen glaubt Goethe zu erkennen, daß die Newtonsche Anschauung falsch sei, daß die Farben nicht im weißen Lichte enthalten seien. Die Grenze, das Dunkle, müsse mit der Entstehung der Farben etwas zu tun haben. Er setzt die Versuche fort. Weiße Flä­chen auf schwarzem und schwarze Flächen auf weißem Grunde werden betrachtet. Allmählich bildet er sich eine eigene Ansicht. Eine weiße Scheibe auf schwarzem Grunde erscheint beim Durchblicken durch das Prisma verschoben. Die oberen Partien der Scheibe, meint Goethe, schieben sich über das angrenzende Schwarz des Untergrundes; wäh­rend sich dieser Untergrund über die unteren Partien der Scheibe hinzieht. Sieht man nun durch das Prisma, so er­blickt man durch den oberen Scheibenteil den schwarzen Grund wie durch einen weißen Schleier. Besieht man sich den unteren Teil der Scheibe, so scheint dieser durch das übergelagerte Dunkel hindurch. Oben wird ein Helles über ein Dunkles geführt; unten ein Dunkles über ein Helles. Der obere Rand erscheint blau, der untere gelb. Das Blau geht gegen das Schwarze zu in Violett; das Gelbe nach un­ten in ein Rot über. Wird das Prisma von der beobachteten Scheibe entfernt, so verbreitern sich die farbigen Ränder; das Blau nach unten, das Gelb nach oben. Bei hinreichender Entfernung greift das Gelb von unten über das Blau von oben; durch das Übereinandergreifen entsteht in der Mitte Grün. Zur Bestätigung dieser Ansicht betrachtet Goethe eine schwarze Scheibe auf weißem Grunde durch das Pris­ma. Nun wird oben ein Dunkles über ein Helles, unten ein Helles über ein Dunkles geführt. Oben erscheint Gelb, unten­
Das alles, was man da zuletzt sieht wie ein wunderbares Weltengemälde, das aber der Ausdruck ist dessen, was auf Erden geschieht, das alles spielt sich zunächst in seinem Anfangsstadium auf der Erde ab. Wir Menschen sind immer darinnen in dem, was sich da abspielt, und es ist eigentlich so, wenn der Mensch auch zunächst mit seinem gewöhnlichen Bewußtsein nicht fähig ist, diese Umgebung aufzufassen, daß man jede Nacht in dem Weben und Treiben dieser Wesenheiten drinnensteckt, selber Anteil nimmt als Ich und als astralischer Leib an dem, was diese Wesenheiten treiben.


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Blau. Bei Verbreiterung der Ränder durch Entfernung des Prismas von der Scheibe wird das untere Blau, das all­mählich gegen die Mitte zu in Violett übergeht, über das obere Gelb, das in seiner Verbreiterung nach und nach einen roten Ton erhält, geführt. Es entsteht in der Mitte Pfirsich­blüt. Goethe sagte sich: was für die weiße Scheibe richtig ist, muß auch für die schwarze gelten. «Wenn sich dort das Licht in so vielerlei Farben auflöst... so müßte ja hier auch die Finsternis als in Farben aufgelöst angesehen werden.» («Konfession des Verfassers »,Kürschner, Band 36/2.) Goe­the teilt nun seine Beobachtungen und die Bedenken, die ihm daraus gegen die Newtonsche Anschauung erwachsen sind, einem ihm bekannten Physiker mit. Dieser erklärt die Bedenken für unbegründet. Er leitete die farbigen Ränder und das Weiße in der Mitte, sowie dessen Übergang in Grün, bei gehöriger Entfernung des Prismas von dem be­obachteten Objekt, im Sinne der Newtonschen Ansicht ab. Ähnlich verhalten sich andere Naturforscher, denen Goe­the die Sache vorlegt. Er setzt die Beobachtungen, für die er gerne Beihilfe von kundigen Fachleuten gehabt hätte, allein fort. Er läßt ein großes Prisma aus Spiegelscheiben zusam­mensetzen, das er mit reinem Wasser anfüllt. Weil er be­merkt, daß die gläsernen Prismen, deren Querschnitt ein gleichseitiges Dreieck ist, wegen der starken Verbreiterung der Farbenerscheinung dem Beobachter oft hinderlich sind, läßt er seinem großen Prisma den Querschnitt eines gleich­schenkeligen Dreieckes geben, dessen kleinster Winkel nur fünfzehn bis zwanzig Grade groß ist. Die Versuche, welche in der Weise angestellt werden, daß das Auge durch das Prisma auf einen Gegenstand blickt, nennt Goethe subjektiv. Sie stellen sich dem Auge dar, sind aber nicht in der Außenwelt
Aber insbesondere den Gnomen ist es wirklich eine Art Amüsement, den Menschen schlafend zu beobachten; nicht den physischen Leib im Bette, sondern den Menschen, der außer dem physischen Leib ist als Ich und als astralischer Leib, und nun zu sehen: dieser Mensch, der denkt eigentlich im Geiste und weiß es nicht. Er weiß nicht, daß seine Gedanken im Geistigen leben. Und wiederum den Undinen ist unerklärlich, daß der Mensch so wenig sich selber kennt; den Sylphen ebenso; den Feuerwesen ebenso.


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Sehen Sie, es ist auf dem physischen Plane oftmals unangenehm, um- flattert zu werden in der Nacht von Schnaken und dergleichen. Aber der geistige Mensch, das Ich und der astralische Leib, die werden von diesen elementarischen Wesen in der Nacht umwoben und umlebt, und dieses Umwoben- und Umlebtwerden ist eigentlich eine fortwährende Mahnung, mit seinem Bewußtsein vorzurücken, so daß man mehr weiß von der Welt.


fixiert. Er will zu diesen noch objektive hinzufügen. Dazu bedient er sich des Wasserprismas. Das Licht scheint durch ein Prisma durch, und hinter dem Prisma wird das Farbenbild auf einem Schirme aufgefangen. Goethe läßt nun das Sonnenlicht durch die Öffnungen ausgeschnittener Pappen hindurchgehen. Er erhält dadurch einen erleuchte­ten Raum, der ringsherum von Dunkelheit begrenzt ist. Diese begrenzte Lichtmasse geht durch das Prisma und wird durch dasselbe von ihrer Richtung abgelenkt. Hält man der aus dem Prisma kommenden Lichtmasse einen Schirm entgegen, so entsteht auf demselben ein Bild, das im allgemeinen an den Rändern oben und unten gefärbt ist. Ist das Prisma so gestellt, daß sein Querschnitt von oben nach unten schmäler wird, so ist der obere Rand des Bildes blau, der untere gelb gefärbt. Das Blau geht gegen den dunklen Raum in Violett, gegen die helle Mitte zu in Hellblau über; das Gelbe gegen die Dunkelheit zu in Rot. Auch bei dieser Erscheinung leitet Goethe die Farbenerscheinung von der Grenze her. Oben strahlt die helle Lichtmasse in den dunk­len Raum hinein; sie erhellt ein Dunkles, das dadurch blau erscheint. Unten strahlt der dunkle Raum in die Lichtmasse hinein; er verdunkelt ein Helles und läßt es gelb erscheinen. Durch Entfernung des Schirmes von dem Prisma werden die Farbenränder breiter, das Gelbe nähert sich dem Blauen. Durch Einstrahlung des Blauen in das Gelbe erscheint bei hinlänglicher Entfernung des Schirmes vom Prisma in der Mitte des Bildes Grün. Goethe macht sich das Hineinstrah­len des Hellen in das Dunkle und des Dunklen in das Helle dadurch anschaulich, daß er in der Linie, in welcher die Lichtmasse durch den dunklen Raum geht, eine weiße feine Staubwolke erregt, die er durch feinen trockenen Haarpuder
So daß ich nun versuchen kann, Ihnen einen Begriff zu geben von dem, wie diese Wesenheiten: Gnomen, Undinen, Sylphen, Feuerwesen etwa da schwirren, und wie es wird, wenn man anfängt zu hören, was sie eigentlich an einem amüsiert, und was sie von einem haben wollen, indem sie einen ermahnen, weiterzurücken mit seinem Bewußtsein. Ja, sehen Sie, da kommen die Gnomen, und die sagen etwa:


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Du träumst dich selbst<br>
Und meidest das Erwachen.
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hervorbringt. «Die mehr oder weniger gefärbte Er­scheinung wird nun durch die weißen Atome aufgefangen und dem Auge in ihrer ganzen Breite und Länge darge­stellt.» (Farbenlehre, didaktischer Teil ~ 326.) Goethe findet seine Ansicht, die er an den subjektiven Erscheinungen ge­wonnen, durch die objektiven bestätigt. Die Farben werden durch das Zusammenwirken von Hell und Dunkel hervor­gebracht. Das Prisma dient nur dazu, Hell und Dunkel über­einander zu schieben.
Die Gnomen wissen, daß der Mensch sein Ich eigentlich wie im Traume hat, daß er erst richtig aufwachen muß, um zu diesem wahren Ich zu kommen. Das sehen sie ganz klar ein. Sie rufen ihm zu im Schlafe:


<nowiki>*</nowiki>
<center>Du träumst dich selbst</center>


Goethe kann, nachdem er diese Versuche gemacht hat, die Newtonische Ansicht nicht zu der seinigen machen. Es geht ihm mit ihr ähnlich, wie mit der Hallerschen Einschachte­lungslehre. Wie diese den ausgebildeten Organismus be­reits mit allen seinen Teilen im Keime enthalten denkt, so glauben die Newtonianer, daß die Farben, die unter gewis­sen Bedingungen am Lichte erscheinen, in diesem schon eingeschlossen seien. Er könnte gegen diesen Glauben die­selben Worte gebrauchen, die er der Einschachtelungslehre entgegengehalten hat, sie «beruhe auf einer bloßen außersinnlichen Einbildung, auf einer Annahme, die man zu den­ken glaubt, aber in der Sinnenwelt niemals darstellen kann.» Vgl. den Aufsatz über K. Fr. Wolff, Kürschner, Band 33.) Ihm sind die Farben Neubildungen, die an dem Lichte ent­wickelt werden, nicht Wesenheiten, die aus dem Lichte bloß ausgewickelt werden. Wegen seiner «der Idee gemäßen Denkweise» muß er die Newtonsche Ansicht ablehnen. Diese kennt das Wesen des Ideellen nicht. Nur was tatsäch­lich vorhanden ist, erkennt sie an. Was in derselben Weise vorhanden ist wie das Sinnlich-Wahrnehmbare. Und wo sie die Tatsächlichkeit nicht durch die Sinne nachweisen kann,
- sie meinen bei Tage -


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<center>Und meidest das Erwachen.</center>  


da nimmt sie dieselbe hypothetisch an. Weil am Lichte die Farben sich entwickeln, also der Idee nach schon in demselben enthalten sein müssen, glaubt sie, sie seien auch tatsächlich, materiell in demselben enthalten und werden durch das Pris­ma und die dunkle Umgrenzung nur hervorgeholt. Goethe weiß, daß die Idee in der Sinnenwelt wirksam ist; deshalb versetzt er etwas, was als Idee vorhanden ist, nicht in den Bereich des Tatsächlichen. In der unorganischen Natur wirkt das Ideelle ebenso wie in der organischen, nur nicht als sinnlich-übersinnliche Form. Seine äußere Erscheinung ist ganz materiell, bloß sinnlich. Es dringt nicht ein in das Sinnliche; es durchgeistigt dieses nicht. Die Vorgänge der unorganischen Natur verlaufen gesetzmäßig, und diese Ge­setzmäßigkeit stellt sich dem Beobachter als Idee dar. Wenn man an einer Stelle des Raumes weißes Licht und an einer andern Farben wahrnimmt, die an demselben entstehen, so besteht zwischen den beiden Wahrnehmungen ein gesetz-mäßiger Zusammenhang, der als Idee vorgestellt werden kann. Wenn aber jemand diese Idee verkörperlicht und als Tatsächliches in den Raum hinaus versetzt, das von dem Gegenstande der einen Wahrnehmung in den der andern hinüberzieht, so entspringt das aus einer grobsinnlichen Vorstellungsweise. Dieses Grobsinnliche ist es, was Goethe von der Newtonschen Anschauung zurückstößt. Die Idee ist es, die einen unorganischen Vorgang in den andern hin­überleitet, nicht ein Tatsächliches, das von dem einen zu dem andern wandert.
Dann tönt es durch von den Undinen:


Die Goethesche Weltanschauung kann nur zwei Quellen für alle Erkenntnis der unorganischen Naturvorgänge an­erkennen: dasjenige, was an diesen Vorgängen sinnlich wahrnehmbar ist, und die ideellen Zusammenhänge des Sinnlich-Wahrnehmbaren,
<center>Du denkst die Engelwerke...</center>


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die sich dem Denken offenbaren. Die ideellen Zusammenhänge innerhalb der Sinneswelt sind nicht gleicher Art. Es gibt solche, die unmittelbar einleuch­tend sind, wenn sinnliche Wahrnehmungen nebeneinander oder nacheinander auftreten, und andere, die man erst durchschauen kann, wenn man sie auf solche der ersten Art zurückführt. In der Erscheinung, die sich dem Auge dar­bietet, wenn es ein Dunkles durch ein Helles ansieht und Blau wahrnimmt, glaubt Goethe einen Zusammenhang der ersten Art zwischen Licht, Finsternis und Farbe zu erken­nen. Ebenso ist es, wenn Helles durch ein Dunkles ange­schaut, gelb ergibt. Die Randerscheinungen des Spektrums lassen einen Zusammenhang erkennen, der durch unmittel­bares Beobachten klar wird. Das Spektrum, das in einer Stufenfolge sieben Farben vom Rot bis zum Violett zeigt, kann nur verstanden werden, wenn man sieht, wie zu den Bedingungen, durch welche die Randerscheinungen ent­stehen, andere hinzugefügt werden. Die einfachen Rand­erscheinungen haben sich in dem Spektrum zu einem kom­plizierten Phänomen verbunden, das nur verstanden wer­den kann, wenn man es aus den Grunderscheinungen ablei­tet. Was in dem Grundphänomen in seiner Reinheit vor dem Beobachter steht, das erscheint in dem komplizierten, durch die hinzugefügten Bedingungen, unrein, modifiziert. Die einfachen Tatbestände sind nicht mehr unmittelbar zu erkennen. Goethe sucht daher die komplizierten Phäno­mene überall auf die einfachen, reinen zurückzuführen. In dieser Zurückführung sieht er die Erklärung der unorgani­schen Natur. Vom reinen Phänomen geht er nicht mehr weiter. In demselben offenbart sich ein ideeller Zusammen­hang sinnlicher Wahrnehmungen, der sich durch sich selbst
Der Mensch weiß nicht, daß seine Gedanken bei den Engeln eigentlich sind.


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Du denkst die Engelwerke<br>
Und weißt es nicht.
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erklärt. Das reine Phänomen nennt Goethe Urphänomen. Er sieht es als mäßige Spekulation an, über das Urphäno­men weiter nachzudenken. «Der Magnet ist ein Urphäno­men, das man nur aussprechen darf, um es erklärt zu haben.» (Sprüche in Prosa, Kürschner, Band 36.) Ein zusammenge­setztes Phänomen wird erklärt, wenn man zeigt, wie es sich aus Urphänomenen aufbaut.
Und von den Sylphen, da tönt es an den schlafenden Menschen heran:


Die moderne Naturwissenschaft verfährt anders als Goe­the. Sie will die Vorgänge in der Sinnenwelt auf Bewegun­gen kleinster Körperteile zurückführen und bedient sich zur Erklärung dieser Bewegungen derselben Gesetze, durch die sie die Bewegungen begreift, die sichtbar im Raume vor sich gehen. Diese sichtbaren Bewegungen zu erklären, ist Aufgabe der Mechanik. Wird die Bewegung eines Körpers beobachtet, so fragt die Mechanik: Durch welche Kraft ist er in Bewegung versetzt worden; welchen Weg legt er in einer bestimmten Zeit zurück; welche Form hat die Linie, in der er sich bewegt usw. Die Beziehungen der Kraft, des zurückgelegten Weges, der Form der Bahn sucht sie mathe­matisch darzustellen. Nun sagt der Naturforscher: Das rote Licht kann auf eine schwingende Bewegung kleinster Kör­perteile zurückgeführt werden, die sich im Raume fortpflanzt. Begriffen wird diese Bewegung dadurch, daß man die in der Mechanik gewonnenen Gesetze auf sie anwendet. Die Wissenschaft der unorganischen Natur betrachtet es als ihr Ziel, allmählich vollständig in angewandte Mechanik über­zugehen.
{| class="centered"
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Dir leuchtet die Schöpfermacht,<br>
Du ahnst es nicht;<br>
Du fühlest ihre Kraft
|}


Die moderne Physik fragt nach der Anzahl der Schwingun­gen in der Zeiteinheit, welche einer bestimmten Farbenquali­tät entsprechen. Aus der Anzahl der Schwingungen, die dem
- Schöpfermacht - Kraft -


<nowiki>#</nowiki>SE006-170
<center>Und lebst sie nicht.</center>


Rot entsprechen und aus derjenigen, welche dem Violett entsprechen, sucht sie den physikalischen Zusammenhang der beiden Farben zu bestimmen. Vor ihren Blicken ver­schwindet das Qualitative; sie betrachtet das Räumliche und Zeitliche der Vorgänge. Goethe fragt: Welcher Zu­sammenhang besteht zwischen Rot und Violett, wenn man vom Räumlichen und Zeitlichen absieht und bloß das Qua­litative der Farben betrachtet. Die Goethesche Betrach­tungsweise hat zur Voraussetzung, daß das Qualitative wirklich auch in der Außenwelt vorhanden ist und mit dem Zeitlichen und Räumlichen ein untrennbares Ganzes ist. Die moderne Physik muß dagegen von der Grundanschau­ung ausgehen, daß in der Außenwelt nur Quantitatives, licht- und farblose Bewegungsvorgänge vorhanden seien, und daß alles Qualitative erst als Wirkung des Quantitativen auf den sinn- und geistbegabten Organismus entstehe. Wäre diese Annahme richtig, dann könnten die gesetzmäßigen Zusammenhänge des Qualitativen auch nicht in der Außen­welt gesucht, sie mußten aus dem Wesen der Sinneswerk­zeuge, des Nervenapparates und des Vorstellungsorganes abgeleitet werden. Die qualitativen Elemente der Vorgänge wären dann nicht Gegenstand der physikalischen Untersu­chung, sondern der physiologischen und psychologischen. Dieser Voraussetzung gemäß verfährt die moderne Natur­wissenschaft. Der Organismus übersetzt, nach ihrer An­sicht, entsprechend der Einrichtung seiner Augen, seines Sehnervs und seines Gehirns einen Bewegungsvorgang in die Empfindung des Rot, einen andern in die des Violett. Daher ist alles Äußere der Farbenwelt erklärt, wenn man den Zusammenhang der Bewegungsvorgänge durchschaut hat, von denen diese Welt bestimmt wird.
Das sind die Sylphenworte ungefähr, die Undinenworte, die Gnomenworte.


<nowiki>#</nowiki>SE006-171
Die Worte der Feuerwesen:


Ein Beweis für diese Ansicht wird in folgender Beobach­tung gesucht. Der Sehnerv empfindet jeden äußeren Ein­druck als Lichtempfindung. Nicht nur Licht, sondern auch ein Stoß oder Druck auf das Auge, eine Zerrung der Netz­haut bei schneller Bewegung des Auges, ein elektrischer Strom, der durch den Kopf geleitet wird: das alles bewirkt Lichtempfindung. Dieselben Dinge empfindet ein anderer Sinn in anderer Weise. Stoß, Druck, Zerrung, elektrischer Strom bewirken, wenn sie die Haut erregen, Tastempfin­dungen. Elektrizität erregt im Ohr eine Gehör-, auf der Zunge eine Geschmacksempfindung. Daraus schließt man, daß der Empfindungsinhalt, der im Organismus durch eine Einwirkung von außen auftritt, verschieden ist von dem äußeren Vorgange, durch den er veranlaßt wird. Die rote Farbe wird von dem Organismus nicht empfunden, weil sie an einen entsprechenden Bewegungsvorgang draußen im Raume gebunden ist, sondern weil Auge, Sehnerv und Ge­hirn des Organismus so eingerichtet sind, daß sie einen farb­losen Bewegungsvorgang in eine Farbe übersetzen. Das hiermit ausgesprochene Gesetz wurde von dem Physiolo­gen Johannes Müller, der es zuerst aufgestellt hat, das Ge­setz der spezifischen Sinnesenergien genannt.
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Dir kraftet Götterwille,<br>
Du empfängst ihn nicht;<br>
Du willst mit seiner Kraft
|}


Die angeführte Beobachtung beweist nur, daß der sinn- und geistbegabte Organismus die verschiedenartigsten Ein­drücke in die Sprache der Sinne übersetzen kann, auf die sie ausgeübt werden. Nicht aber, daß der Inhalt jeder Sinnes­empfindung auch nur im Innern des Organismus vorhan­den ist. Bei einer Zerrung des Sehnervs entsteht eine unbe­stimmte, ganz allgemeine Erregung, die nichts enthält, was veranlaßt, ihren Inhalt in den Raum hinaus zu versetzen. Eine Empfindung, die durch einen wirklichen Lichteindruck­
- mit der Kraft des Götterwillens -


<nowiki>#</nowiki>SE006-172
<center>Und stoßest ihn von dir.</center>


entsteht, ist inhaltlich unzertrennlich verbunden mit dem Räumlich-Zeitlichen, das ihr entspricht. Die Bewe­gung eines Körpers und seine Farbe sind auf ganz gleiche Weise Wahmehmungsinhalt. Wenn man die Bewegung für sich vorstellt, so abstrahiert man von dem, was man noch sonst an dem Körper wahrnimmt. Wie die Bewegung, so sind alle übrigen mechanischen und mathematischen Vor­stellungen der Wahrnehmungswelt entnommen. Mathema­tik und Mechanik entstehen dadurch, daß von dem Inhalte der Wahrnehmungswelt ein Teil ausgesondert und für sich betrachtet wird. In der Wirklichkeit gibt es keine Gegen­stände oder Vorgänge, deren Inhalt erschöpft ist, wenn man das an ihnen begriffen hat, was durch Mathematik und Me­chanik auszudrücken ist. Alles Mathematische und Mecha­nische ist an Farbe, Wärme und andere Qualitäten gebun­den. Wenn der Physik nötig ist, anzunehmen, daß der Wahr­nehmung einer Farbe Schwingungen im Raume entspre­chen, denen eine sehr kleine Ausdehnung und eine sehr große Geschwindigkeit eigen ist, so können diese Bewe­gungen nur analog den Bewegungen gedacht werden, die sichtbar im Raume vorgehen. Das heißt, wenn die Körperwelt bis in ihre kleinsten Elemente bewegt gedacht wird, so muß sie auch bis in ihre kleinsten Elemente hinein mit Farbe, Wärme und andern Eigenschaften ausgestattet vorgestellt werden. Wer Farben, Wärme, Töne usw. als Qualitäten auf­faßt, die als Wirkungen äußerer Vorgänge durch den vorstellenden Organismus nur im Innern desselben existieren, der muß auch alles Mathematische und Mechanische, das mit diesen Qualitäten zusammenhängt, in dieses Innere ver­legen. Dann aber bleibt ihm für seine Außenwelt nichts mehr übrig. Das Rot, das ich sehe, und die Lichtschwingungen­
All das ist die Ermahnung, daß man weiterrücken soll mit seinem Bewußtsein. Diese Wesenheiten, die nicht ins physische Dasein kommen, sie wollen, daß der Mensch mit seinem Bewußtsein weiterrückt, damit er auch Anteil haben könne an ihrer Welt.


<nowiki>#</nowiki>SE006-173
Und hat man sich so hineingelebt in das, was sozusagen diese Wesenheiten den Menschen zu sagen haben, dann versteht man auch allmählich, wie sie ihr eigenes Wesen zum Ausdrucke bringen. Die Gnomen zum Beispiel etwa so:


die der Physiker als diesem Rot entsprechend nach­weist, sind in Wirklichkeit eine Einheit, die nur der abstra­hierende Verstand voneinander trennen kann. Die Schwin­gungen im Raume, die der Qualität «Rot» entsprechen, würde ich als Bewegung sehen, wenn mein Auge dazu orga­nisiert wäre. Aber ich würde verbunden mit der Bewegung den Eindruck der roten Farbe haben.
{| class="centered"
|
Ich halte die Wurzelwesenskraft,<br>
Sie schaffet mir den Formenleib.
|}


Die moderne Naturwissenschaft versetzt ein unwirk­liches Abstraktum, ein aller Empfindungsqualitäten entklei­detes, schwingendes Substrat in den Raum und wundert sich, daß nicht begriffen werden kann, was den vorstellenden mit Nervenapparaten und Gehirn ausgestatteten Orga­nismus veranlassen kann, diese gleichgültigen Bewegungs­vorgänge in die bunte, von Wärmegraden und Tönen durchsetzte Sinnenwelt zu übersetzen. Du Bois-Reymond nimmt deshalb an, daß der Mensch wegen einer unüber­schreitbaren Grenze seines Erkennens nie verstehen werde, wie die Tatsache: «ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Rot», zusammenhängt mit bestimmten Bewegungen kleinster Körperteile im Gehirn, welche Be­wegungen wieder veranlaßt werden durch die Schwingun­gen der geschmack-, geruch-, ton- und farbenlosen Ele­mente der äußeren Körperwelt. «Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von Kohlen­stoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- usw. Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewe­gen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden.» («Grenzen des Naturerkennens», Leipzig i88z, 5.33 £) Es liegt aber hier durchaus keine Er­kenntnisgrenze vor. Wo im Raume eine Anzahl von Ato­men in einer bestimmten Bewegung ist, da ist notwendig
Die Undinen:  


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Ich bewege die Wasserwachstumskraft,<br>  
Sie bildet mir den Lebensstoff.
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auch eine bestimmte Qualität (z.B. Rot) vorhanden. Und umgekehrt, wo Rot auftritt, da muß die Bewegung vorhan­den sein. Nur das abstrahierende Denken kann das eine von dem andern trennen. Wer die Bewegung von dem übrigen Inhalte des Vorganges, zu dem die Bewegung gehört, in der Wirklichkeit abgetrennt denkt, der kann den Übergang von dem einen zu dem andern nicht wieder finden.
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Nur was an einem Vorgang Bewegung ist, kann wieder von Bewegung abgeleitet werden; was dem Qualitativen der Farben- und Lichtwelt angehört, kann auch nur auf ein ebensolches Qualitatives innerhalb desselben Gebietes zu­rückgeführt werden. Die Mechanik führt zusammenge­setzte Bewegungen auf einfache zurück, die unmittelbar be­greiflich sind. Die Farbentheorie muß komplizierte Farbenerscheinungen auf einfache zurückführen, die in gleicher Weise durchschaut werden können. Ein einfacher Bewe­gungsvorgang ist ebenso ein Urphänomen, wie das Entste­hen des Gelben aus dem Zusammenwirken von Hell und Dunkel. Goethe weiß, was die mechanischen Urphänomene für die Erklärung der unorganischen Natur leisten können. Was innerhalb der Körperwelt nicht mechanisch ist, das führt er auf Urphänomene zurück, die nicht mechanischer Art sind. Man hat Goethe den Vorwurf gemacht, er habe die mechanische Betrachtung der Natur verworfen und sich nur auf die Beobachtung und Aneinanderreihung des Sinn­lich-Anschaulichen beschränkt. Vgl. z.B. Harnack in sei­nem Buche «Goethe in der Epoche seiner Vollendung», S. 12) Du Bois-Reymond findet («Goethe und kein Ende», Leipzig 1883, S.29): «Goethes Theoretisieren beschränkt sich darauf, aus einem Urphänomen, wie er es nennt, andere Phänomene hervorgehen zu lassen, etwa wie ein Nebelbild
Die Sylphen:  


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{| class="centered"
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Ich schlürfe die luft`ge Lebekraft,<br>
Sie füllet mich mit Seinsgewalt.
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dem andern folgt, ohne einleuchtenden ursächlichen Zu­sammenhang. Der Begriff der mechanischen Kausalität war es, der Goethe gänzlich abging.» Was tut aber die Mechanik an­deres, als verwickelte Vorgänge aus einfachen Ürphänome­nen hervorgehen lassen? Goethe hat auf dem Gebiete der Farbenwelt genau dasselbe gemacht, was der Mechaniker im Gebiete der Bewegungsvorgänge leistet. Weil Goethe nicht der Ansicht ist, alle Vorgänge in der unorganischen Natur seien rein mechanische, deshalb hat man ihm den Be­griff der mechanischen Kausalität aberkannt. Wer das tut, der zeigt nur, daß er selbst im Irrtum darüber ist, was me­chanische Kausalität innerhalb der Körperwelt bedeutet. Goethe bleibt innerhalb des Qualitativen der Licht- und Farbenwelt stehen; das Quantitative, Mechanische, das ma­thematisch auszudrücken ist, überläßt er andern. Er «hat die Farbenlehre durchaus von der Mathematik entfernt zu halten gesucht, ob sich gleich gewisse Punkte deutlich ge­nug ergeben, wo die Beihilfe der Meßkunst wünschenswert sein würde ... Aber so mag auch dieser Mangel zum Vorteil gereichen, indem es nunmehr des geistreichen Mathemati­kers Geschäft werden kann, selbst aufzusuchen, wo denn die Farbenlehre seiner Hilfe bedarf, und wie er zur Vollen­dung dieses Teils der Naturlehre das Seinige betragen kann.» (§ 727 des didaktischen Teiles der Farbenlehre.) Die qualitativen Elemente des Gesichtssinnes: Licht, Finsternis, Farben müssen erst aus ihren eigenen Zusammenhängen begriffen, auf Urphänomene zurückgeführt werden; dann kann auf einer höheren Stufe des Denkens untersucht wer­den, welcher Bezug besteht zwischen diesen Zusammen­hängen und dem Quantitativen, dem Mechanisch-Mathe­matischen in der Licht- und Farbenwelt.
Und die Feuerwesen - da ist es sehr schwer, irgendein Erdenwort zu finden für das, was sie tun, denn sie stehen dem Erdenleben und Erdentreiben ferne. Daher bilde ich aus dem Worte «verdauen» her, aber damit es nicht anklingt an das Verdauen, es ist ein feurig Verzehren: ich däue. «Däuen» muß ein Verbum werden, denn nur so kann das, was hier geschieht, ausgedrückt werden:


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Ich däue die Feuerstrebekraft,<br>
Sie erlöst mich in Seelengeistigkeit.
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Die Zusammenhänge innerhalb des Qualitativen der Far­benwelt will Goethe in ebenso strengem Sinne auf die ein­fachsten Elemente zurückführen, wie das der Mathematiker oder Mechaniker auf seinem Gebiete tut. Die «Bedächtlich­keit, nur das Nächste ans Nächste zu reihen, oder vielmehr das Nächste aus dem Nächsten zu folgern, haben wir von den Mathe­matikern zu lernen und selbst da, wo wir uns keiner Rechnung bedienen, müssen wir immer so zu Werke gehen, als wenn wir dem strengsten Geometer Rechenschaft zu geben schuldig wä­ren. - Denn eigentlich ist es die mathematische Methode, wel­che wegen ihrer Bedächtlichkeit und Reinheit gleich jeden Sprung in der Assertion offenbart, und ihre Beweise sind ei­gentlich nur umständliche Ausführungen, daß dasjenige, was in Verbindung vorgebracht wird, schon in seinen einfachen Teilen und in seiner ganzen Folge da gewesen, in seinem gan­zen Umfange übersehen und unter allen Bedingungen rich­tig und unumstößlich erfunden worden.» (« Der Versuch als Vermittler von Subjekt und Objekt» Kürschner, Band 34).
Ich habe mich, so gut es eben geht, hier bemüht, Ihnen einen Begriff zu geben, wie sich diese Wesenheiten der Elementarreiche selber charakterisieren, und was sie zunächst als Mahnung an den Menschen herantragen. Aber sie sind nicht so unfreundlich, dem Menschen nur Negatives zuzuraunen, sondern es gehen von ihnen gewissermaßen Lapidarsätze aus. Diese Lapidarsätze empfindet man als etwas ungeheuer Gigantisches. Bei solchen Dingen müssen Sie sich schon eine Empfindung dafür aneignen, wie anders es ist, ob man bloß in menschlichen Worten, wenn auch noch so schön, einen Satz ausspricht, oder ob aus dem ganzen mächtigen Gnomenheer ein solcher Satz wie kosmisch ertönt. Die Art und Weise des Entstehens macht eben den Unterschied aus. Und wenn der Mensch auf die Gnomen lauscht, dann tönt ihm der Gnomenchor entgegen, nachdem er ihm die Mahnung, die ich aufgeschrieben habe, gegeben hat; dann tönt ihm der Gnomenchor entgegen:


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<center>Erstrebe zu wachen!</center>


Goethe entnimmt die Erklärungsprinzipien für die Er­scheinungen unmittelbar aus dem Bereich der Beobachtung. Er zeigt, wie innerhalb der erfahrbaren Welt die Er­scheinungen zusammenhängen. Vorstellungen, welche über das Gebiet der Beobachtung hinausweisen, lehnt er für die Naturauffassung ab. Alle Erklärungsarten, die das Feld der Erfahrung dadurch überschreiten, daß sie für die Naturerklärung Faktoren herbeiziehen, die ihrer Wesenheit nach nicht beobachtbar sind, widersprechen der Goetheschen Weltanschauung. Eine solche Erklärungsart ist diejenige, welche das Wesen des Lichtes in einem Lichtstoff
Es ist der mächtige moralische Eindruck, den solche, durch das Welten- all strömende, aus ungeheuer vielen Einzelstimmen sich zusammensetzende Worte zu bedeuten haben.


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Der Undinenchor ertönt:


sucht, der als solcher nicht selbst wahrgenommen, son­dern nur in seiner Wirkungsweise als Licht beobachtet werden kann. Auch gehört zu diesen Erklärungsarten die in der modernen Naturwissenschaft herrschende, nach welcher die Bewegungsvorgänge der Lichtwelt nicht von den wahr­nehmbaren Qualitäten, die dem Gesichtssinn gegeben sind, sondern von den kleinsten Teilen des nicht wahrnehmbaren Stoffes ausgeführt werden. Es widerspricht der Goethe­schen Weltanschauung nicht, sich vorzustellen, daß eine bestimmte Farbe mit einem bestimmten Bewegungsvor­gang im Raume verknüpft sei. Aber es widerspricht ihr durchaus, wenn behauptet wird, dieser Bewegungsvorgang gehöre einem außerhalb der Erfahrung gelegenen Wirklich­keitsgebiete an, der Welt des Stoffes, die zwar in ihren Wir­kungen, nicht aber ihrer eigenen Wesenheit nach beobach­tet werden kann. Für einen Anhänger der Goetheschen Weltanschauung sind die Lichtschwingungen im Raume Vorgänge, denen keine andere Art von Wirklichkeit zu­kommt als dem übrigen Wahmehmungsinhalt. Sie entzie­hen sich der unmittelbaren Beobachtung nicht deshalb, weil sie jenseits des Gebietes der Erfahrung liegen, sondern weil die menschlichen Sinnesorgane nicht so fein organisiert sind, daß sie Bewegungen von solcher Kleinheit noch un­mittelbar wahrnehmen. Wäre ein Auge so organisiert, daß es das Hin- und Herschwingen eines Dinges, das in einer Sekunde sich vierhundert billionenmal wiederholt, noch in allen Einzelheiten beobachten könnte, so würde sich ein sol­cher Vorgang genau so darstellen wie einer der grobsinnlichen Welt. Das heißt, das schwingende Ding würde die­selben Eigenschaften zeigen, wie andere Wahrnehmungs­dinge.
<center>Denke im Geiste!</center>


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Der Sylphenchor - nun aber ist das nicht so einfach, denn gerade dann, wenn im Vollmondschein die Gnomen wie glänzende gepanzerte Ritter


Jede Erklärungsart, welche die Dinge und Vorgänge der Erfahrung aus anderen, nicht innerhalb des Erfahrungsfel­des gelegenen ableitet, kann zu inhaltvollen Vorstellungen von diesem jenseits der Beobachtung befindlichen Wirk­lichkeitsgebiete nur dadurch gelangen, daß sie gewisse Eigenschaften aus der Erfahrungswelt entlehnt und auf das Unerfahrbare überträgt. So überträgt der Physiker Härte, Undurchdringlichkeit auf die kleinsten Körperelemente, denen er außerdem noch die Fähigkeit zuschreibt, ihresgleichen anzuziehen und abzustoßen; dagegen erkennt er diesen Elementen Farbe, Wärme und andere Eigenschaften nicht zu. Er glaubt einen erfahrbaren Vorgang der Natur da­durch zu erklären, daß er ihn auf einen nicht erfahrbaren zurückführt. Nach Du Bois-Reymonds Ansicht ist Naturerkennen Zurückführen der Vorgänge in der Körperwelt auf Bewegungen von Atomen, die durch deren anziehende und abstoßende Kräfte bewirkt werden («Grenzen des Na­turerkennens», Leipzig 1882, S. 10). Als das Bewegliche wird dabei die Materie, der den Raum erfüllende Stoff, angenommen. Dieser Stoff soll von Ewigkeit her dagewesen sein und wird in alle Ewigkeit hinein da sein. Dem Gebiete der Beobachtung soll aber die Materie nicht angehören, son­dern jenseits desselben vorhanden sein. Du Bois-Reymond nimmt deshalb an, daß der Mensch unfähig sei, das Wesen der Materie selbst zu erkennen, daß er also die Vorgänge der Körperwelt auf etwas zurückführe, dessen Natur ihm immer unbekannt bleiben wird. «Nie werden wir besser als heute wissen, was hier im Raume, wo Materie ist, spukt.» («Grenzen des Naturerkennens», S.22.) Vor einer genauen Überlegung löst sich dieser Begriff der Materie in Nichts auf Der wirkliche Inhalt, den man diesem Begriffe gibt, ist
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erscheinen, dann ertönt von ihnen her wie aus Erdentiefen heraus: «Erstrebe zu wachen!» Und wenn die Undinen verschweben nach oben, in Sehnsucht, verzehrt zu werden, dann tönt auf die Erde zurück im Aufwärtsschweben: «Denke im Geiste!» Von den Sylphen, indem sie oben sich eratmen lassen, wie im Weltenlichte als bläulich-rötlich-grünliche Blitze verschwindend, tönt dann, indem sie hineinzucken in das Licht und da drinnen verschwinden, von ihnen herunter aus den Höhen:


aus der Erfahrungswelt entlehnt. Man nimmt Bewegungen innerhalb der Erfahrungswelt wahr. Man fühlt einen Zug, wenn man ein Gewicht in der Hand hält, und einen Druck, wenn man auf die horizontal hingehaltenene Handfläche ein Gewicht legt. Um diese Wahrnehmung zu erklären, bil­det man den Begriff der Kraft. Man stellt sich vor, daß die Erde das Gewicht anzieht. Die Kraft selbst kann nicht wahr­genommen werden. Sie ist ideell. Sie gehört aber doch dem Beobachtungsgebiete an. Der Geist beobachtet sie, weil er die ideellen Bezüge der Wahrnehmungen untereinander an­schaut. Zu dem Begriffe einer Abstoßungskraft wird man geführt, wenn man ein Stück Kautschuk zusammendrückt, und es sich dann selbst überläßt. Es stellt sich in seiner frühe­ren Gestalt und Größe wieder her. Man stellt sich vor, die zusammengedrängten Teile des Kautschuks stoßen sich ab und nehmen den früheren Rauminhalt wieder ein. Sol­che aus der Beobachtung geschöpfte Vorstellungen über­trägt die angedeutete Denkart auf das unerfahrbare Wirk­lichkeitsgebiet. Sie tut in Wirklichkeit also nichts, als ein Erfahrbares aus einem andern Erfahrbaren herleiten. Nur versetzt sie willkürlich das letztere in das Gebiet des Uner­fahrbaren. Jeder Vorstellungsart, die innerhalb der Naturanschauung von einem Unerfahrbaren spricht, ist nachzu­weisen, daß sie einige Lappen aus dem Gebiete der Erfah­rung aufnimmt und in ein jenseits der Beobachtung gelege­nes Wirklichkeitsgebiet verweist. Nimmt man die Erfah­rungslappen aus der Vorstellung des Unerfabrbaren her­aus, so bleibt ein inhaltloser Begriff, ein Unbegriff, zu­rück. Die Erklärung eines Erfahrbaren kann nur darin bestehen, daß man es auf ein anderes Erfahrbares zu­rückführt. Zuletzt gelangt man zu Elementen innerhalb
<center>Lebe schaffend atmendes Dasein!</center>


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Und wie, ich möchte sagen im feurigen Zorne, aber in einem Zorn, den man nicht als etwas Vernichtendes empfindet, sondern als etwas, was der Mensch haben muß vom Kosmos, wie aus feurigem, aber zugleich enthusiastischem Zorn tönt es, wenn die Feuerwesen das ihrige in den Feuermantel der Erde hineintragen. Da tönt es jetzt nicht wie aus Einzelstimmen zusammen, sondern wie eine mächtige Donnerstimme von dem ganzen Umkreis her:


der Erfahrung, die nicht mehr auf andere zurückgeführt werden können. Diese sind nicht weiter zu erklären, weil sie keiner Erklärungbedürftig sind. Sie enthalten ihre Erklärung in sich selbst. Ihr unmittelbares Wesen besteht in dem, was sie der Beobachtung darbieten. Ein solches Element ist für Goethe das Licht. Nach seiner Ansicht hat das Licht erkannt, wer es unbefangen in der Erscheinung wahrnimmt. Die Far­ben entstehen am Lichte und ihre Entstehung wird begriffen, wenn man zeigt, wie sie an demselben entstehen. Das Licht selbst ist in unmittelbarer Wahrnehmung gegeben. Was in ihm ideell veranlagt ist, erkennt man, wenn man beobachtet, welcher Zusammenhang zwischen ihm und den Farben ist. Nach dem Wesen des Lichtes zu fragen, nach einem Uner­fahrbaren, das der Erscheinung «Licht» entspricht, ist vom Standpunkte der Goetheschen Weltanschauung aus unmög­lich. «Denn eigentlich unternehmen wir umsonst, das Wesen eines Dinges auszudrücken. Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges.» Das heißt eine voll­ständige Darstellung der Wirkungen eines Erfahrbaren um­faßt alle Erscheinungen, die in ihm ideell veranlagt sind. «Ver­gebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Taten zusammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegen­treten. - Die Farben sind Taten des Lichtes, Taten und Leiden. In diesem Sinne können wir von denselben Aufschlüsse über das Licht erwarten.» (Didaktischer Teil der Farbenlehre.
<center>Empfange liebend Götterwillenskraft!</center>


Vorwort.) *
Natürlich kann man die Aufmerksamkeit ablenken von alledem, dann vernimmt man es nicht. Es hängt von des Menschen Willkür ab, ob er solche Dinge vernimmt oder nicht. Aber indem er sie vernimmt, weiß er, daß sie Ingredienzien sind des Weltendaseins, daß in der Tat etwas geschieht, indem sich in der geschilderten Weise Gnomen, Undinen, Sylphen, Feuerwesen entfalten. Und die Gnomen sind für den Menschen nicht nur in der Beziehung da, wie ich es schon geschildert habe, sondern sie sind da, um ihre Weltenworte von der Erde aus ertönen zu lassen, die Undinen ihre Weltenworte im Hinaufströmen, die Sylphen von oben, die Feuerwesen wie ein Chor, wie ein Zusammenfluß einer mächtigen Stimmentfaltung.


Das Licht stellt sich der Beobachtung dar als « das einfachste, unzerlegteste, homogenste Wesen, Jas wir kennen.» (Briefwechsel
Ja, das ist so in Worte umgesetzt, wie es einem erscheinen könnte. Aber diese Worte gehören zum Weltenworte, und wenn wir es auch nicht hören mit dem gewöhnlichen Bewußtsein, so sind diese Worte doch nicht ohne Bedeutung für die Menschen. Denn die uralte Anschauung, die instinktivem Hellsehen entsprungen ist, daß die Welt aus dem


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mit Jacobi, 5. 167.) Ihm entgegengesetzt ist die Finsternis. Für Goethe ist die Finsternis nicht die vollkom­men kraftlose Abwesenheit des Lichtes. Sie ist ein Wirksames. Sie stellt sich dem Licht entgegen und tritt mit ihm in Wech­selwirkung. Die moderne Naturwissenschaft sieht die Fin­sternis an als ein vollkommenes Nichts. Das Licht, das in einen finstern Raum einströmt, hat, nach dieser Ansicht, keinen Widerstand der Finsternis zu überwinden. Goethe stellt sich vor, daß Licht und Finsternis sich zueinander. ähnlich verhalten wie der Nord- und Südpol eines Magneten Die Finsternis kann das Licht in seiner Wirkungskraft schwächen. Umgekehrt kann das Licht die Energie der Finsternis beschränken. In beiden Fällen entsteht die Farbe. Eine physikalische Anschauung, die sich die Finsternis als das vollkommen Unwirksame denkt, kann von einer sol­chen Wechselwirkung nicht sprechen. Sie muß daher die Farben allein aus dem Lichte herleiten. Die Finsternis tritt für die Beobachtung ebenso als Erscheinung auf wie das Licht. Das Dunkel ist in demselben Sinne Wahrnehmungs­inhalt wie die Helle. Das eine ist nur der Gegensatz des an­dern. Das Auge, das in die Nacht hinausblickt, vermittelt die reale Wahrnehmung der Finsternis. Wäre die Finsternis das absolute Nichts, so entstände gar keine Wahrnehmung, wenn der Mensch in das Dunkel hinaussieht.
Worte heraus gebildet ist, die ist eben eine tiefe Wahrheit. Aber das Weltenwort ist nicht irgendeine Silbenzusammensetzung aus wenigem, sondern das Weltenwort ist dasjenige, was aus unzähligen und unzähligen Wesen zusammentönt. Unzählige und unzählige Wesenheiten haben etwas zu sagen in der Weltentotalität, und das Weltenwort tönt aus diesen unzähligen Wesenheiten zusammen. Nicht die allgemein abstrakte Wahrheit, daß die Welt aus dem Worte geboren ist, kann uns das vollständig geben, sondern allein das kann es uns vollständig geben, wenn wir nach und nach konkret darauf kommen, wie aus den Stimmen der einzelnen Wesenheiten sich das Weltenwort in seinen verschiedenen Nuancen zusammensetzt, so daß diese verschiedenen Nuancen in die große Weltenharmonie und in die gewaltige Weltenmelodie hineintönen und reden, indem es schafft.


Das Gelb ist ein durch die Finsternis gedämpftes Licht; das Blau eine durch das Licht abgeschwächte Finsternis.
Indem der Gnomenchor sein «Erstrebe zu wachen» ertönen läßt, ist das nur in die Gnomensprache umgesetzt, was als Kraft wirkt, um das menschliche Knochensystem, überhaupt das Bewegungssystem, zustande zu bringen.


Das Auge ist dazu eingerichtet, dem vorstellenden Organis­mus die Erscheinungen der Licht- und Farbenwelt und die Bezüge dieser Erscheinungen zu vermitteln. Es verhält sich
Und indem die Undinen «Denke im Geiste» rufen, rufen sie, ins Undinenhafte übersetzt, dasjenige, was als Weltenwort sich in den Menschen ergießt, um die Stoffwechselorgane zu gestalten.


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Indem die Sylphen, indem sie eratmet werden, herunterströmen lassen ihr «Lebe schaffend atmendes Dasein», durchdringt, durchbebt und durchwebt den Menschen die Kraft, die ihn mit den Organen des rhythmischen Systems begabt.


dabei nicht bloß aufnehmend, sondern tritt in lebendige Wechselwirkung mit den Erscheinungen. Goethe ist be­strebt, die Art dieser Wechselwirkung zu erkennen. Er be­trachtet das Auge als ein durchaus Lebendiges und will seine Lebensäußerungen durchschauen. Wie verhält sich das Auge zu der einzelnen Erscheinung? Wie verhält es sich zu den Bezügen der Erscheinungen? Das sind Fragen, die er sich vorlegt. Licht und Finsternis, Gelb und Blau sind Ge­gensätze. Wie empfindet das Auge diese Gegensätze? Es muß in der Natur des Auges begründet sein, daß es die Wechselbeziehungen, die zwischen den einzelnen Wahrneh­mungen bestehen, auch empfinde. Denn «das Auge hat sein Dasein dem Lichte zu danken. Aus gleichgültigen tierischen Hilfsorganen ruft sich das Licht ein Organ hervor, das sei­nesgleichen werde; und so bildet sich das Auge am Lichte fürs Licht, damit das innere Licht dem äußern entgegentrete.» (Didaktischer Teil der Farbenlehre. Einleitung.)
Und was auf Feuerwesenart vom Weltenfeuermantel hereintönt wie mit Donnerstimme, wenn man darauf aufmerksam ist, das ist dasjenige, was im Abglanze, im Abbilde erscheint - denken Sie sich, es strahlt ja herein vom Weltenfeuermantel! Da strahlt die Kraft dieses Wortes herein! Und jedes Nerven-Sinnessystem des Menschen, sozusagen jeder Menschenkopf ist das kleine, das miniaturhafte Abbild dessen, was da in die Feuerwesensprache übersetzt heißt: «Empfange liebend Götterwillenskraft».. Dieses Wort «Empfange liebend Götterwillenskraft», das ist dasjenige, was in höchsten Weltsubstanzen wirkt, und was, wenn der Mensch zwischen dem Tode und einer neuen Geburt seine Entwickelung durchmacht, umformt dasjenige, was er durch die Pforte des Todes


So wie Licht und Finsternis sich in der äußeren Natur gegensätzlich verhalten, so stehen die beiden Zustände ein­ander entgegen, in die das Auge durch die beiden Erschei­nungen versetzt wird. Wenn man das Auge innerhalb eines finstern Raumes offen hält, so wird ein gewisser Mangel empfindbar. Wird es dagegen einer stark beleuchteten wei­ßen Fläche zugewendet, so wird es für eine gewisse Zeit unfähig, mäßig beleuchtete Gegenstände zu unterscheiden. Das Sehen ins Dunkle steigert die Empfänglichkeit; das­jenige in das Helle schwächt sie ab.
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Jeder Eindruck aufs Auge bleibt eine Zeitlang in dem­selben. Wer ein schwarzes Fensterkreuz auf einem hellen Hintergrunde ansieht, wird, wenn er die Augen schließt, die Erscheinung noch eine Weile vor sich haben. Blickt
hinausträgt, zu dem, was dann später die Nerven-Sinnesorgane des Menschen werden.


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Bewegungssystem


man, während der Eindruck noch dauert, auf eine hellgraue Fläche, so erscheint das Kreuz hell, der Scheibenraum da­gegen dunkel. Es findet eine Umkehrung der Erscheinung statt. Daraus folgt, daß das Auge durch den einen Eindruck disponiert wird, den entgegengesetzten aus sich selbst zu erzeugen. Wie in der Außenwelt Licht und Finsternis in Be­ziehung zu einander stehen, so auch die entsprechenden Zu­stände im Auge. Goethe stellt sich vor, daß der Ort im Au­ge, auf den das dunkle Kreuz fiel, ausgeruht und empfäng­lich für einen neuen Eindruck ist. Deshalb wirkt auf ihn die graue Fläche lebhafter als auf die übrigen Orte im Auge, die vorher das stärkere Licht von den Fensterscheiben empfan­gen haben. Hell erzeugt im Auge die Hinneigung zum Dun­kel; Dunkel die zum Hellen. Wenn man ein dunkles Bild vor eine hellgraue Fläche hält und unverwandt, indem es vor­genommen wird, auf denselben Fleck sieht, so erscheint der Raum, den das dunkle Bild eingenommen hat, um vieles heller als die übrige Fläche. Ein graues Bild auf dunklem Grund erscheint heller als dasselbe Bild auf hellem. Das Au­ge wird durch den dunklen Grund disponiert, das Bild heller; durch den hellenes dunkler zu sehen. Goethe wird durch die­se Erscheinungen auf die große Regsamkeit des Auges ver­wiesen «und den stillen Widerspruch, den jedes Lebendige zu äußern gedrungen ist, wenn ihm irgend ein bestimmter Zustand dargeboten wird. So setzt das Einatmen schon das Ausatmen voraus und umgekehrt... Es ist die ewige Formel des Lebens, die sich auch hier äußert. Wie dem Auge das Dunkle geboten wird, so fordert es das Helle; es fordert Dunkel, wenn man ihm Hell entgegenbringt und zeigt eben dadurch seine Lebendigkeit, sein Recht, das Objekt zu fas­sen, indem es etwas, das dem Objekt entgegengesetzt ist,
<center>Gnomenchor: Erstrebe zu wachen!</center>


<nowiki>#</nowiki>SE006-184
Stoffwechselorganisation


aus sich selbst hervorbringt.» (§ 38 des didaktischen Teiles der Farbenlehre.)
<center>Undinen: Denke im Geiste!</center>


In ähnlicher Weise wie Licht und Finsternis rufen auch Farbenwahmehmungen eine Gegenwirkung im Auge her­vor. Man halte ein kleines Stück gelbgefärbten Papiers vor eine mäßig erleuchtete weiße Tafel, und schaue unverwandt auf die kleine gelbe Fläche. Nach einiger Zeit hebe man das Papier hinweg. Man wird die Stelle, die das Papier ausge­füllt hat, violett sehen. Das Auge wird durch den Eindruck des Gelb disponiert, das Violett aus sich selbst zu erzeugen. Ebenso wird das Blaue das Orange, das Rote das Grün als Gegenwirkung hervorbringen. Jede Farbenempfin­dung hat also im Auge einen lebendigen Bezug zu einer andern. Die Zustände, in die das Auge durch Wahrneh­mungen versetzt wird, stehen in einem ähnlichen Zu­sammenhange wie die Inhalte dieser Wahrnehmun­gen in der Außenwelt.
Rhythmisches System


<nowiki>*</nowiki>
<center>Sylphen: Lebe schaffend atmendes Dasein!</center>


Wenn Licht und Finsternis, Hell und Dunkel aufs Auge wirken, so tritt ihnen dieses lebendige Organ mit seinen For­derungen entgegen; wirken sie auf die Dinge draußen im Raume, so treten diese mit ihnen in Wechselwirkung. Der leere Raum hat die Eigenschaft der Durchsichtigkeit. Er wirkt auf Licht und Finsternis gar nicht. Diese scheinen durch ihn in ihrer eigenen Lebhaftigkeit durch. Anders ist es, wenn der Raum mit Dingen gefüllt ist. Diese Füllung kann eine solche sein, daß das Auge sie nicht gewahr wird, weil Licht und Finsternis in ihrer ursprünglichen Gestalt durch sie hindurch scheinen. Dann spricht man von durch­sichtigen Dingen. Scheinen Licht und Finsternis nicht un­geschwächt
Nerven-Sinnessystem


<nowiki>#</nowiki>SE006-185
<center>Feuerwesen: Empfange liebend Götterwillenskraft!</center>


durch ein Ding hindurch, so wird es als trüb bezeichnet. Die trübe Raumausfüllung bietet die Möglich­keit, Licht und Finsternis, Hell und Dunkel in ihrem gegen­seitigen Verhältnis zu beobachten. Ein Helles durch ein Trübes gesehen, erscheint gelb, ein Dunkles blau. Das Trübe ist ein Materielles, das vom Lichte durchhellt wird. Gegen­über einem hinter ihm befindlichen helleren, lebhafteren Licht ist das Trübe dunkel; gegen eine durchscheinende Finsternis verhält es sich als Helles. Es wirken also, wenn ein Trübes sich dem Licht oder der Finsternis entgegenstellt, wirklich ein vorhandenes Helles und ein ebensolches Dunk­les ineinander.
So sehen Sie, wie das, was jenseits der Schwelle liegt, zu unserer Natur hinzugehört, wie das uns hinein führt in die schaffenden Götterkräfte, in das, was in allem anderen wirkt und lebt. Man möchte schon sagen, wenn man sich erinnert an all das, was ein anderes Zeitalter er- sehnt hat, und was in den Worten liegt, daß ich


Nimmt die Trübe, durch welche das Licht scheint, all­mählich zu, so geht das Gelb in Gelbrot und dann in Rubin­rot über. Vermindert sich die Trübe, durch die das Dunkel dringt, so geht das Blau in Indigo und zuletzt in Violett über. Gelb und Blau sind Grundfarben. Sie entstehen durch Zusammenwirken des Hellen oder Dunklen mit der Trübe. Beide können einen rötlichen Ton annehmen, jenes durch Vermehrung, dieses durch Verminderung der Trübe. Das Rot ist somit keine Grundfarbe. Es erscheint als Farbenton an dem Gelben oder Blauen. Gelb mit seinen rötlichen Nu­ancen, die sich bis zum reinen Rot steigern, steht dem Lichte nahe, Blau mit seinen Abtönungen ist der Finsternis ver­wandt. Wenn sich Blau und Gelb vermischen entsteht Grün; mischt sich das bis zum Violetten gesteigerte Blau mit dem zum Roten verfinsterten Gelb, so entsteht die Purpurfarbe.
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Schau alle Wirkenskraft und Samen<br>
Und tu nicht mehr in Worten kramen, -
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Diese Grunderscheinungen verfolgt Goethe innerhalb der Natur. Die helle Sonnenscheibe durch einen Flor von trü­ben Dünsten gesehen, erscheint gelb. Der dunkle Weltraum
das muß sich im Fortgang der Menschheitsentwickelung, der Menschheitsentfaltung verwirklichen. Wir kramen sonst in allem Wissen in Worten, wenn wir nicht hineinschauen in die Samenkräfte, die den Menschen in der verschiedensten Weise aufbauen.


<nowiki>#</nowiki>SE006-186 durch die vom Tageslicht erleuchteten Dünste der Atmosphäre angeschaut, stellt sich als das Blau des Himmels dar. «Ebenso erscheinen uns auch die Berge blau: denn, indem wir sie in einer solchen Ferne erblicken, daß wir die Lokalfarben nicht mehr sehen, und kein Licht von ihrer Oberfläche mehr auf unser Auge wirkt, so gelten sie als ein reiner finsterer Gegenstand, der nun durch die dazwischen tretenden Dünste blau erscheint.» (~ j ~ 6 des didaktischen Teiles der Farbenlehre.)
So daß wir sagen können: Bewegungssystem, Stoffwechselsystem, rhythmisches System, Nerven-Sinnessystem ist eine Einheit, die zusammenströmt, indem von unten herauf ertönt: «Erstrebe zu wachen»; «Denke im Geiste» - von oben herunter sich mit den aufstrebenden Worten vermischt das andere: «Lebe schaffend atmendes Dasein»; «Empfange liebend Götterwillenskraft».


Aus der Vertiefung in die Kunstwerke der Maler ist Goethe das Bedürfnis erwachsen, in die Gesetze einzu­dringen, denen die Erscheinungen des Gesichtssinnes un­terworfen sind. Jedes Gemälde gab ihm Rätsel auf. Wie verhält sich das Hell-Dunkel zu den Farben? In welchen Beziehungen stehen die einzelnen Farben zueinander? War­um bewirkt Gelb eine heitere, Blau eine ernste Stimmung? Aus der Newtonschen Farbenlehre war kein Gesichtspunkt zu gewinnen, von dem aus diese Geheimnisse zu lüften ge­wesen wären. Sie leitet alle Farben aus dem Licht ab, stellt sie stufenweise nebeneinander und sagt nichts über ihre Be­ziehungen zum Dunkeln und auch nichts über ihre leben­digen Bezüge zueinander. Aus den auf eigenem Wege ge­wonnenen Einsichten konnte Goethe die Rätsel lösen, die ihm die Kunst aufgegeben hatte. Das Gelb muß eine heitere, muntere, sanft reizende Eigenschaft besitzen, denn es ist die nächste Farbe am Licht. Es entsteht durch die gelindeste Mäßigkeit desselben. Das Blau weist auf das Dunkle hin, das in ihm wirkt. Deshalb gibt es ein Gefühl von Kälte, so wie «es auch an Schatten erinnert». Das rötliche Gelb ent­steht durch Steigerung des Gelben nach der Seite des Dunkeln. Durch diese Steigerung wächst seine Energie.
Dieses «Empfange liebend Götterwillenskraft», das ist das im Haupte ruhig Schaffende. Namentlich das von unten hinaufstrebende «Denke im Geiste», von oben herunterströmende «Lebe schaffend atmendes Dasein», ist dasjenige, was im Zusammenwirken so webt und lebt, daß es  


<nowiki>#</nowiki>SE006-187
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Das Heitere, Muntere geht in das Wonnige über. Sobald die Steigerung noch weitergeht, vom Rotgelben ins Gelbrote, verwandelt sich das heitere, wonnige Gefühl in den Eindruck des Gewaltsamen. Das Violett ist das zum Hellen strebende Blau. Die Ruhe und Kälte des Blauen wird da­durch zur Unruhe. Eine weitere Zunahme erfährt diese Un­ruhe im Blauroten. Das reine Rot steht in der Mitte zwi­schen Gelbrot und Blaurot. Das Stürmische des Gelben er­scheint gemindert, die lässige Ruhe des Blauen belebt sich. Das Rote macht den Eindruck der idealen Befriedigung, der Ausgleichung der Gegensätze. Ein Gefühl der Befrie­digung entsteht auch durch das Grün, das eine Mischung von Gelb und Blau ist. Weil aber hier das Heitere des Gel­ben nicht gesteigert, die Ruhe des Blauen nicht gestört durch den rötlichen Ton ist, so wird die Befriedigung eine reinere sein als die, welche das Rot hervorbringt.
sich ein Abbild schafft in derArt undWeise, wie das menschliche Atmen in das menschliche Wirken im Blute übergeht, rhythmisch übergeht. Und was uns einpflanzt die Sinneswerkzeuge, das ist dasjenige, was von oben herunterströmt: « Empfange liebend Götterwillenskraft. » Das aber, was wirkt in unserem Gehen, in unserem Stehen, in unserem Bewegen der Arme und Hände, dasjenige, was den Menschen überhaupt in die Auslebung seines Willensmäßigen bringt, das ertönt in dem «Erstrebe zu wachen».


<nowiki>*</nowiki>
So sehen Sie, wie der Mensch ein Zusammenklang jenes Weltenwortes ist, das auf seiner niedersten Stufe also, wie ich es Ihnen dargestellt habe, interpretiert werden kann. Dieses Weltenwort geht dann hinauf bis zu den höheren Hierarchien, die eben anderes noch als Weltenwort entfalten müssen, damit der Kosmos erstehe und entstehe. Aber dasjenige, was diese Elementarwesen sozusagen in die Welt hineingerufen haben, das ist der letzte Ausklang dessen, was das schaffende, bildende, gestaltende Weltenwort ist, das zugrunde liegt allem Wirken und allem Dasein.


Das Auge fordert, wenn ihm eine Farbe entgegengebracht wird, sogleich eine andere. Erblickt es Gelb, so entsteht in ihm die Sehnsucht nach dem Violetten; nimmt es Blau wahr, so verlangt es Orange; sieht es Rot, so begehrt es Grün. Es ist begreiflich, daß das Gefühl der Befriedigung entsteht, wenn neben einer Farbe, die dem Auge dargeboten wird, eine andere gesetzt wird, die es seiner Natur nach erstrebt. Aus dem Wesen des Auges ergibt sich das Gesetz der Far­benharmonie. Farben, die das Auge nebeneinander fordert, wirken harmonisch. Treten zwei Farben nebeneinander auf, von denen die eine nicht die andere fordert, so wird das Auge zur Gegenwirkung aufgeregt. Die Zusammenstellung von Gelb und Purpur hat etwas Einseitiges, aber Heiteres
{| class="centered"
|valign="top"|Gnomen
|
<poem>
Du träumst dich selbst
Und meidest das Erwachen.


<nowiki>#</nowiki>SE006-188
Ich halte die Wurzelwesenskraft -
Sie schaffet mir den Formenleib
</poem>
|-
|valign="top"|Undinen
|
<poem>
Du denkst die Engelwerke
Und weißt es nicht.


und Prächtiges. Das Auge will Violett neben Gelb, um sich naturgemäß ausleben zu können. Tritt Purpur an die Stelle des Violetten, so macht der Gegenstand seine An­sprüche gegenüber denen des Auges geltend. Er fügt sich den Forderungen des Organs nicht. Zusammenstellungen dieser Art dienen dazu, auf das Bedeutende der Dinge hinzu­weisen. Sie wollen nicht unbedingt befriedigen, sondern charakterisieren. Zu solchen charakteristischen Verbindun­gen eignen sich Farben, die nicht in vollem Gegensatz zu­einander stehen, die aber doch auch nicht unmittelbar in­einander übergehen. Zusammenstellungen der letzteren Art geben den Dingen, an denen sie vorkommen, etwas Cha­rakterloses.
Ich bewege die Wasserwachstumskraft -
Sie bildet mir den Lebensstoff
</poem>
|-
|valign="top"|Sylphen
|
<poem>
Dir leuchtet die Schöpfermacht,
Du ahnst es nicht;


<nowiki>*</nowiki>
Du fühlest ihre Kraft
Und lebst sie nicht.


Das Werden und Wesen der Licht- und Farbenerscheinun­gen hat sich Goethe in der Natur offenbart. Er hat es auch wiedererkannt in den Schöpfungen der Maler, in denen es auf eine höhere Stufe gehoben, ins Geistige übersetzt ist. Einen tiefen Einblick in das Verhältnis von Natur und Kunst hat Goethe durch seine Beobachtungen der Gesichtswahrnehmungen gewonnen. Daran mag er wohl gedacht haben, als er nach Vollendung der «Farbenlehre » über diese Beobachtungen an Frau von Stein schrieb: «Es reut mich nicht, ihnen soviel Zeit aufgeopfert zu haben. Ich bin da­durch zu einer Kultur gelangt, die ich mir von einer andern Seite her schwerlich verschafft hätte.»
Ich schlürfe die luft`ge Lebekraft -  
Sie füllet mich mit Seinsgewalt
</poem>
|}


Die Goethesche Farbenlehre ist verschieden von derjeni­gen Newtons und derjenigen Physiker, die auf Newtons Vorstellungen ihre Anschauungen aufbauen, weil der er­stere von einer andern Weltanschauung ausgeht als die letz­teren. Wer nicht den hier dargestellten Zusammenhang zwischen
{{SE|158}}


<nowiki>#</nowiki>SE006-189
{| class="centered"
|valign="top"|Feuerwesen
|
<poem>
Dir kraftet Götterwille,
Du empfängst ihn nicht;
Du willst mit seiner Kraft
Und stoßest ihn von dir.


Goethes allgemeinen Naturvorstellungen und seiner Farbenlehre ins Auge faßt, der wird nicht anders können, als glauben, Goethe sei zu seinen Farbenanschauungen ge­kommen, weil ihm der Sinn für die echten Beobachtungs­methoden des Physikers gemangelt habe. Wer diesen Zu­sammenhang durchschaut, der wird auch einsehen, daß in­nerhalb der Goetheschen Weltanschauung keine andere Farbenlehre möglich ist als die seinige. Er würde über das Wesen der Farbenerscheinungen nicht anders haben denken können, als er es tat, auch wenn alle seit seiner Zeit gemach­ten Entdeckungen auf diesem Gebiete vor ihm wären ausge­breitet gewesen, und wenn er die gegenwärtig so vervoll­kommneten Versuchsmethoden hätte selbst exakt handha­ben können. Wenn er auch, nachdem er mit der Entdeckung der Frauenhoferschen Linien bekannt wird, diese auch im Sinne seiner Naturanschauung nicht völlig in diese einrei­hen kann, so sind doch weder sie noch sonst eine Entdek­kung auf optischem Gebiete ein Einwand gegen seine Auf­fassung. Es handelt sich bei alledem nur darum, diese Goe­thesche Auffassung so auszubauen, daß diese Erscheinun­gen in ihrem Sinne in sie sich einfügen. Zuzugeben ist, daß wer auf dem Gesichtspunkte der Newtonschen Auffassung steht, sich bei Goethes Farbenansichten nichts vorstellen könne. Das rührt aber nicht davon her, weil ein solcher Phy­siker Erscheinungen kennt, die der Goetheschen Auffas­sung widersprechen, sondern weil er sich in eine Naturan­schauung eingewöhnt hat, die ihn verhindert, zu erkennen, was die Goethesche Naturansicht eigentlich will.
Ich däue die Feuerstrebekraft,
Sie erlöst mich in Seelengeistigkeit.
</poem>
|-
|Gnomenchor:
|Erstrebe zu wachen!
|-
|Undinen:
|Denke im Geiste!
|-
|Sylphen:
|Lebe schaffend atmendes Dasein!
|-
|Feuerwesen:
|Empfange liebend Götterwillenskraft!
|}


= GEDANKEN ÜBER ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DER ERDE UND LUFTERSCHEINUNGEN =
= IV Die Geheimnisse der menschlichen Organisation =
<nowiki>#</nowiki>G006-1963-SE191 - Goethes Weltanschauung
= ZEHNTER VORTRAG Dornach, 9. November 1923 =
<nowiki>#</nowiki>G230,1985,SE161 - Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes


<nowiki>#</nowiki>TI  
<nowiki>#</nowiki>TI  


GEDANKEN ÜBER ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DER ERDE UND LUFTERSCHEINUNGEN
IV


<nowiki>#</nowiki>SE006-193
Die Geheimnisse der menschlichen Organisation


GEDANKEN ÜBER ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DER ERDE
ZEHNTER VORTRAG


<nowiki>#</nowiki>TX
Dornach, 9. November 1923


Durch seine Beschäftigung mit dem Ilmenauer Bergbau wurde Goethe angeregt, das Reich der Mineralien, Gesteine und Felsarten, sowie die übereinander geschichteten Mas­sen der Erdrinde zu betrachten. Im Juli 1776 begleitete er den Herzog Karl August nach Ilmenau. Sie wollten sehen, ob das alte Bergwerk wieder in Bewegung gesetzt werden könne. Goethe widmete dieser Bergwerksangelegenheit auch weiter seine Fürsorge. Dabei wuchs in ihm immer mehr der Trieb, zu erkennen, wie die Natur bei der Bildung der Stein- und Gebirgsmassen verfährt. Er bestieg die ho­hen Gipfel und kroch in die Tiefen der Erde, um «der gro­ßen formenden Hand nächste Spuren zu entdecken». Seine Freude, die schaffende Natur auch von dieser Seite kennen zu lernen, teilte er am 8. September 1780 von Ilmenau aus der Frau von Stein mit. «Jetzt leb' ich mit Leib und Seel in Stein und Bergen und bin sehr vergnügt über die weiten Aussichten, die sich mir auftun. Diese zwei letzten Tage ha­ben mir ein groß Fleck erobert und können auf vieles schlie­ßen. Die Welt kriegt mir nun ein neu ungeheuer Ansehen.» Immer mehr befestigt sich bei ihm die Hoffnung, daß es ihm gelingen werde, einen Faden zu spinnen, der durch die un­terirdischen Labyrinthe durchführen und eine Übersicht in der Verwirrung geben könne. (Brief an Frau von Stein vom 12. Juni 1784.) Allmählich dehnt er seine Beobachtungen über weitere Gebiete der Erdoberfläche aus. Auf seinen Harzreisen glaubt er zu erkennen, wie sich große anorgani­sche Massen gestalten. Er schreibt ihnen die Tendenz zu, sich, «in mannigfachen, regelmäßigen Richtungen zu tren­nen
Sie werden gesehen haben, daß in diesen Vorträgen, die ich in der letzten Zeit gehalten habe, alles dahin drängt, die Welterscheinungen so zusammenzufassen, daß zuletzt dadurch eine wirkliche umfassende Menschenkenntnis herauskommt. Nach Menschenkenntnis drängt alles, was wir betrachtet haben, hin. Eine Menschenerkenntnis wird erst möglich sein, wenn sie beginnen kann mit den untersten Formen der Erscheinungswelt, mit alldem, was sich dem Menschen offenbart als die stoffliche Welt. Und was so beginnt mit der Betrachtung dessen, was sich als die stoffliche Welt offenbart, das muß schließen mit der Betrachtung der Hierarchienwelt. Von den untersten Formen des stofflichen Daseins bis hinauf zu den höchsten Formen des geistigen Daseins, bis zu der Welt der Hierarchien muß dasjenige gesucht werden, was dann zur wirklichen Menschenerkenntnis führen kann. Augenblicklich werden wir eine Art von Skizze entwerfen für eine solche Menschenerkenntnis in den Vorträgen, die ich jetzt vor Ihnen halten kann.


<nowiki>#</nowiki>SE006-194
Wir müssen uns klar darüber sein, daß dasjenige, was als Mensch heute vor uns steht, das Ergebnis jener langen kosmischen Entwickelung ist, die ich immer zusammengefaßt habe als Saturn-, Sonnen-, Mond- und Erdenentwickelung. Die Erdenentwickelung ist noch nicht vollendet. Aber seien wir uns darüber klar, was eigentlich der Mensch der Erdenentwickelung im engeren Sinne, die also auf die Mondenentwickelung gefolgt ist, verdankt.


so daß Parallelepipeden entstehen, welche wieder in der Diagonale sich zu durchschneiden die Geneigtheit ha­ben.» (Vergl. den Aufsatz «Gestaltung großer anorganischer Massen», Kürschner, Band 34.) Er denkt sich die Steinmassen von einem ideellen Gitterwerk durchzogen, und zwar sechsseitig. Dadurch werden kubische, parallel­epipedische, rhombische, rhomboidische, säulen- und plat­tenförmige Körper aus einer Grundmasse herausgeschnit­ten. Er stellt sich innerhalb dieser Grundmasse Kräftewir­kungen vor, die sie in dem Sinne trennen, wie das ideelle Gitterwerk es veranschaulicht. Wie in der organischen Na­tur, so sucht Goethe auch in dem Steinreiche das wirksame Ideelle. Auch hier forscht er mit Geistesaugen. Wo die Tren­nung in regelmäßige Formen nicht in die Erscheinung tritt, da nimmt er an, daß sie ideell in den Massen vorhanden ist. Auf einer Harzreise, die er 1784 unternimmt, läßt er von dem ihn begleitenden Rat Kraus Kreidezeichnungen aus­führen, in denen das Unsichtbare, Ideelle durch das Sicht­bare verdeutlicht und zur Anschauung gebracht ist. Er ist der Ansicht, daß das Tatsächliche vom Zeichner nur dann wahrhaft dargestellt werden kann, wenn dieser auf die In­tentionen der Natur achtet, die in der äußeren Erscheinung oft nicht deutlich genug hervortreten.«... im Übergang aus dem Weichen in das Starre ergibt sich eine Scheidung, sie sei nun dem Ganzen angehörig oder sie ereigne sich im Inner­sten der Massen.» (Kürschner, Band 34. Aufsatz: «Gebirgs­-Gestaltung im ganzen und einzelnen.») In den organischen Formen ist, nach Goethes Ansicht, ein sinnlich-übersinn­liches Urbild lebendig gegenwärtig; ein Ideelles tritt in die sinnliche Wahrnehmung ein und durchsetzt sie. In der regel­mäßigen Gestaltung anorganischer Massen wirkt ein Ideelles,
Sehen Sie, wenn Sie Ihre Arme ausbreiten und bewegen, wenn Sie die Finger bewegen, wenn Sie irgendeine äußere Bewegung ausführen: alles, was in Ihrem Organismus dazu notwendig ist, daß Sie Arme und Beine, den Kopf, die Lippen und so weiter bewegen können - und die Kräfte zu solchen menschlichen Äußerungen gehen ja in die innersten Partien des menschlichen Organismus hinein -, alles das ist dem Menschen durch die Erdenentwickelung im engeren Sinne beschieden. Sehen Sie dagegen hinein in alles, was Stoffwechselentwickelung ist, in den Raum, der von der äußersten menschlichen Haut abgeschlossen ist, sehen


<nowiki>#</nowiki>SE006-195
162


das als solches nicht in die sinnliche Form eingeht, aber doch eine sinnliche Form schafft. Die unorganische Form ist in der Erscheinung nicht sinnlich-übersinnlich, sondern nur sinnlich; sie muß aber als Wirkung einer übersinnlichen Kraft aufgefaßt werden. Sie ist ein Zwischending zwischen dem unorganischen Vorgang, dessen Verlauf noch von ei­nem Ideellen beherrscht wird, der aber von demselben eine geschlossene Form erhält, und dem Organischen, in dem das Idelle selbst zur sinnlichen Form wird.
Sie auf alles das, was da im physisch-körperlichen inneren Menschen vor sich geht als Stoffwechselentwickelung, dann haben Sie darin ein Bild von dem, was der Mensch der Mondenentwickelung verdankt. Und Sie haben ein Bild von dem, was der Mensch der alten Sonnenentwickelung verdankt, wenn Sie auf alles das hinschauen, was im Menschen irgendwie ein rhythmischer Vorgang ist. Atmungsvorgang, Blutzirkulationsvorgänge sind ja die wichtigsten rhythmischen Vorgänge; alle diese rhythmischen Vorgänge verdankt der Mensch der alten Sonnenentwikkelung. Und alles, was Nerven- und Sinnesentwickelung ist, wiederum über den ganzen Körper des heutigen Menschen ausgebreitet, das verdankt der Mensch der alten Saturnentwickelung.


Die Bildung zusammengesetzter Gesteine denkt sich Goethe dadurch bewirkt, daß die ursprünglich nur ideell in einer Masse vorhandenen Substanzen tatsächlich auseinan­der getrennt werden. In einem Briefe an Leonhard, vom 25. November 1807, schreibt er: «So gestehe ich gern, daß ich da noch oft simultane Wirkungen erblicke, wo andere schon eine sukzessive sehen; daß ich in manchem Gestein, das andere für ein Konglomerat, für ein aus Trümmern Zu­sammengeführtes und Zusammengebackenes halten, ein aus einer heterogenen Masse in sich selbst Geschiedenes und Getrenntes und sodann durch Konsolidation Festgehalte­nes zu schauen glaube.»
Aber bei alledem müssen Sie ins Auge fassen, daß der Mensch ein Ganzes ist, und daß die Weltenentwickelung ein Ganzes ist. Wenn wir heute so, wie ich es in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» getan habe, auf die alte Saturnentwickelung hinweisen, so meinen wir diejenige Entwickelung, die vor uralten Zeiten einmal der Sonnen- und Monden- und Erdenentwickelung vorangegangen ist. Aber das ist im Grunde genommen nur die eine Saturnentwickelung, die es bis zur Erde gebracht hat. Während sich die Erde entwickelt, entsteht ja auch eine Saturnentwickelung. Diese neue Saturnentwickelung ist in der Erdenentwickelung darinnen; sie ist sozusagen die jüngste Saturnentwickelung. Diejenige, die bis zu der Erdenentwickelung gekommen ist, ist die älteste. Diejenige, die als Saturnentwickelung in der alten Sonne gesteckt hat, ist die jüngere; die im Monde gesteckt hat, ist wieder jünger; und der Saturn, der heute die Erde ausfüllt, der im wesentlichen gewisse Wärmeorganisationen der Erde in Anspruch nimmt, der ist die jüngste Saturnentwickelung. Aber wir stecken mit unserem Menschen in dieser Saturnentwickelung drinnen.


Goethe ist nicht dazu gekommen, diese Gedanken für eine größere Zahl unorganischer Formenbildungen fruchtbar zu machen. Es ist seiner Denkweise gemäß, auch die Anordnung der geologischen Schichten aus ideellen Bil­dungsprinzipien zu erklären, die dem Stoff, seinem Wesen nach, innewohnen. Den damals weit verbreiteten geologi­schen Ansichten Werners konnte er sich aus dem Grunde nicht anschließen, weil dieser solche Bildungsprinzipien nicht kannte, sondern alles auf die rein mechanischen Wirkun­gen des Wassers zurückführte. Noch unsympathischer war
So stecken wir in der kosmischen Entwickelung drinnen. Aber wir stecken auch in dem, was uns räumlich auf Erden umgibt. Nehmen Sie zum Beispiel das mineralische Reich. Wir stehen mit dem mineralischen Reich in Wechselwirkung. Wir nehmen die Mineralität durch Nahrung auf. Wir nehmen sie auch sonst auf durch die Atmung und so weiter. Wir verarbeiten das Mineralische in uns.


<nowiki>#</nowiki>SE006-196
Aber alle Entwickelung, alle Weltenvorgänge sind anders im Men


ihm der von Hutton aufgestellte und von Alexander von Humboldt, Leopold von Buch und anderen verteidigte Vul­kanismus, der die Entwicklung der einzelnen Erdperioden durch gewaltsame, von materiellen Ursachen bewirkte Re­volutionen erklärte. Durch vulkanische Kräfte läßt diese Anschauung große Gebirgssysteme plötzlich aus der Erde emporschießen. Solche unermeßliche Kraftleistungen schie­nen Goethe dem Wesen der Natur zu widersprechen. Er sah keinen Grund, warum die Gesetze der Erdentwicklung sich zu gewissen Zeiten plötzlich ändern und nach langandau­ernder allmählicher Wirksamkeit sich in einem gewissen Zeit­punkte durch «Heben und Drängen, Aufwälzen und Quet­schen, Schleudern und Schmeißen» äußern sollen. Die Na­tur erschien ihm in allen ihren Teilen konsequent, so daß selbst eine Gottheit an den ihr eingeborenen Gesetzen nichts ändern könnte. Ihre Gesetze hält er für unwandelbar. Die Kräfte, die heute an der Bildung der Erdoberfläche wirken, müssen dem Wesen nach, zu allen Zeiten gewirkt haben.
163


Von diesem Gesichtspunkte aus kommt er auch zu einer naturgemäßen Ansicht darüber, auf welche Weise die Ge­steinblöcke an ihre Plätze gelangt sind, die in der Nähe des Genfer Sees zerstreut sich vorfinden und die, ihrer Beschaf­fenheit nach, von weit entfernten Gebirgen abgetrennt sind. Es trat ihm die Meinung entgegen, daß diese Gesteinsmas­sen bei dem tumultarischen Aufstand der weit rückwärts im Lande gelegenen Gebirge an ihren jetzigen Ort geschleu­dert worden seien. Goethe suchte nach Kräften, die gegen­wärtig beobachtet werden können, und die geeignet sind, diese Erscheinung zu erklären. Er fand solche bei der Bil­dung der Gletscher tätig. Nun brauchte er nur anzunehmen, daß die Gletscher, die heute noch das Gestein vom Gebirge
schen als außerhalb des Menschen. Ich habe schon bemerkt: es ist die reine Lächerlichkeit, wenn wir heute im chemischen Laboratorium chemische Vorgänge studieren und dann uns denken, daß diese chemischen Vorgänge sich einfach, wenn der Mensch die Nahrungsmittel ißt, in das Innere des Menschen hinein fortsetzen. Der Mensch ist nicht irgendein Zusammenfluß von chemischen Wirkungen; da ändert sich ja alles, innerhalb des Menschen. Und von einem gewissen Gesichtspunkte aus erscheint diese Änderung in der folgenden Weise.


<nowiki>#</nowiki>SE006-197
Nehmen Sie an, wir nehmen Mineralisches auf. Alles, was wir an Mineralischem aufnehmen, muß im Menschen so weit getrieben werden, daß folgendes Geltung hat. Sie wissen, wir haben eine Eigenwärme; wir haben in unserer Blutwärme beim gesunden Menschen ungefähr siebenunddreißig Grad. Wir haben in unserer Blutwärme etwas, was die äußere Wärme im Mittel überragt. Alles, was wir mineralisch aufnehmen, muß aber in unserem Organismus so verwandelt, so metamorphosiert werden, daß das, was in unserer Blutwärme über die mittlere Wärme der äußeren Umgebung geht, was höher ist als die mittlere Wärme der äußeren Umgebung, daß das wohlgefällig das Mineralische aufnimmt. Wenn Sie ein Bröselchen Kochsalz genießen, so muß dieses Kochsalz von Ihrer Eigenwärme, nicht von der Wärme, die Sie mit der äußeren Welt gemein haben, sondern von Ihrer eigenen Wärme aufgesogen werden, muß wohlgefällig aufgenommen werden. Alles Mineralische muß sich in Wärmeäther verwandeln. Und in dem Augenblicke, wo der Mensch in seinem Organismus etwas hat, was irgendein Mineral verhindert, daß es sich in Wärmeäther verwandelt, in dem Augenblicke ist er krank.


in die Ebenen befördern, einstmals eine ungeheuer viel grö­ßere Ausdehnung gehabt haben als gegenwärtig. Sie haben dann die Steinmassen viel weiter von den Gebirgen wegge­tragen, als sie es in der Gegenwart tun. Als die Gletscher wieder an Ausdehnung verloren, sind diese Gesteine liegen geblieben. In analoger Weise, dachte Goethe, müssen auch die in der norddeutschen Tiefebene umherliegenden Gra­nitblöcke an ihre jetzigen Fundorte gelangt sein. Um sich vorstellen zu können, daß die von erratischen Blöcken be­deckten Landesteile einst von Gletschereis bedeckt waren, bedarf es der Annahme einer Epoche großer Kälte. Ge­meingut der Wissenschaft wurde diese Annahme durch Agas­siz, der selbständig auf sie kam und sie 1837 in der Schwei­zerischen Gesellschaft für Naturforschung darlegte. In neue­rer Zeit ist diese Kälteepoche, die über die Kontinente der Erde hereinbrach, als bereits ein reiches Tier- und Pflanzenleben entwickelt war, zum Lieblingsstudium bedeutender Geologen geworden. Was Goethe im einzelnen über die Er­scheinungen dieser «Eiszeit» vorbringt, ist gegenüber den Beobachtungen, die spätere Forscher gemacht haben, be­langlos.
Gehen wir weiter, gehen wir zu dem Pflanzlichen, das der Mensch aufnimmt. Das Pflanzliche nimmt der Mensch auf; er selber gehört der Welt an, indem er das Pflanzliche auch in sich entwickelt. Der Mensch enthält Mineralisches, das aber hinneigt, fortwährend hintendiert, Wärmeäther zu werden. Das Pflanzliche tendiert fortwährend hin im Menschen, luftig zu werden, gasartig zu werden. So daß der Mensch das Pflanzliche in sich hat als Luftreich. Alles, was im Menschen von Pflanzen hineinkommt, oder was er selbst als innere Pflanzenorganisation entwickelt, muß luftig werden, muß in ihm Luftgestalt annehmen kön


Ebenso wie zur Annahme einer Epoche großer Kälte wird Goethe durch seine allgemeine Naturanschauung zu einer richtigen Ansicht über das Wesen der Versteinerun­gen geführt. Zwar haben schon frühere Denker in diesen Gebilden Überreste vorweltlicher Organismen erkannt. Diese richtige Ansicht ist aber so langsam allgemein herr­schend geworden, daß noch Voltaire die versteinerten Mu­scheln als Naturspiele ansehen konnte. Goethe erkannte bald, nachdem er einige Erfahrung auf diesem Gebiete ge­wonnen hatte, daß die Versteinerungen als Reste von Or­ganismen
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<nowiki>#</nowiki>SE006-198
nen. Wenn es nicht Luftgestalt annimmt, wenn seine Organisation so ist, daß sie ihn verhindert, alles, was pflanzlich sein will in ihm, in Luftgestalt übergehen zu lassen, ist er krank. Alles Tierische, das der Mensch aufnimmt, oder das er selber in sich ausbildet als Tierisches, alles das muß im Menschen, wenigstens zu irgendeiner Zeit, die flüssige, die wäßrige Form annehmen. Der Mensch darf nichts in sich haben von Tierischem, nicht von innerlich erzeugtem Tierischen, nicht von aufgenommenem Tierischen, das nicht in ihm den Vorgang durchmacht, daß es einmal in ihm flüssig wird. Ist der Mensch nicht imstande, sein eigenes Tierisches oder fremdes Tierisches flüssig zu machen, um es dann wiederum in Festes überzuführen, dann ist er krank. Nur das, was im Men


in einem naturgemäßen Zusammenhange mit denjenigen Erdschichten stehen, in denen sie gefunden wer­den. Das heißt, daß diese Organismen in den Epochen der Erde gelebt haben, in denen sich die entsprechenden Schich­ten gebildet haben. In dieser Weise spricht er sich über Ver­steinerungen in einem Briefe an Merck vom 27. Oktober 1782 aus: «Alle die Knochentrümmer, von denen Du sprichst und die in dem oberen Sande des Erdreichs überall gefunden werden, sind, wie ich völlig überzeugt bin, aus der neuesten Epoche, welche aber doch gegen unsere gewöhn­liche Zeitrechnung ungeheuer alt ist. In dieser war das Meer schon zurückgetreten; hingegen flossen Ströme noch in gro­ßer Breite, doch verhältnismäßig zum Niveau des Meeres, nicht schneller und vielleicht nicht einmal so schnell als jetzt. Zu derselbigen Zeit setzte sich der Sand, mit Leimen ge­mischt, in allen breiten Tälern nieder, die nach und nach, als das Meer sank, von dem Wasser verlassen wurden und die Flüsse sich in ihrer Mitte nur geringe Beete gruben. Zu je­ner Zeit waren die Elefanten und Rhinozerosse auf den entblößten Bergen bei uns zu Hause, und ihre Reste konn­ten gar leicht durch die Waldströme in jene großen Stromtäler oder Seeflächen heruntergespült werden, wo sie mehr oder weniger mit dem Steinsaft durchdrungen sich erhiel­ten und wo wir sie nun mit dem Pfluge oder durch andere Zufälle ausgraben. In diesem Sinne sagte ich vorher, man finde sie in dem oberen Sande, nämlich in dem, der durch die alten Flüsse zusammengespült worden, da schon die Hauptrinde des Erdbodens völlig gebildet war. Es wird nun bald die Zeit kommen, wo man Versteinerungen nicht mehr durcheinander werfen, sondern verhältuismäßig zu den Epochen der Welt rangieren wird.»
schen die rein menschliche Form gebiert, was beim Menschen davon herkommt, daß er ein aufrecht gehendes Wesen ist, daß er in sich Impulse zum Sprechen und Denken hat, nur das, was ihn zum eigentlichen Menschen macht, was ihn über das Tier hinaushebt, das darf in das feste Irdische - und das macht nur zehn Prozent unserer Gesamtorganisation höchstens aus -, das darf in das Feste, in das Festgestaltete, in die Form hineingehen. Geht irgend etwas vom Tierischen oder Pflanzlichen in die menschliche feste Form hinein, so ist der Mensch krank.


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Alles Mineralische muß im Mensch einmal Wärmeäther werden. Alles Pflanzliche muß im Menschen das Durchgangsstadium des Luftartigen durchmachen. Alles Tierische muß im Menschen das Durchgangsstadium des Wäßrigen durchmachen. Alles Menschliche darf allein die irdisch-feste Form in ihm immer behalten. Das ist eines der Geheimnisse der menschlichen Organisation.


Goethe ist wiederholt ein Vorläufer der durch Lyell be­gründeten Geologie genannt worden. Auch diese nimmt nicht mehr gewaltsame Revolutionen oder Katastrophen an, um die Entstehung einer Erdperiode aus der andern zu erklären. Sie führt die früheren Veränderungen der Erd­oberfläche auf dieselben Vorgänge zurück, die sich auch jetzt noch abspielen. Es darf aber nicht außer acht gelassen werden, daß die moderne Geologie bloß physikalische und chemische Kräfte heranzieht, um die Erdbildung zu erklä­ren. Daß dagegen Goethe gestaltende Kräfte annimmt, die innerhalb der Massen wirksam sind und die eine höhere Art von Bildungsprinzipien darstellen, als die Physik und Che­mie sie kennen.
Nun lassen wir zunächst dasjenige weg - die spätere Betrachtung wird das um so reichlicher machen -, was der Mensch von der Erde hat, nehmen wir das, was im Menschen Stoffwechselorganisation ist, was er allerdings während der Erdenorganisation umbildet, aber in der Anlage aus der alten Mondenzeit hat, nehmen wir also das, was sich als Stoffwechsel im engeren Sinne vollzieht innerhalb der menschlichen Haut, wobei wir die Ausscheidungen durchaus mit zum Stoffwechsel zu rechnen haben, so wird dieses, ich möchte sagen, fortwährend geändert durch die Aufnahme der Nahrungsstoffe. Die Nahrungsstoffe,  


= BETRACHTUNGEN ÜBER ATMOSPHÄRISCHE ERSCHEINUNGEN =
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<nowiki>#</nowiki>G006-1963-SE200 - Goethes Weltanschauung


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die zunächst außerhalb des Menschen sind, gehen in den Menschen ein und gliedern sich zunächst diesem Stoffwechselsystem ein.
 
Dieses Stoffwechselsystem verarbeitet das, was menschliche Umgebung ist, in Menschliches hinüber. Es beginnt alles Mineralische dem Wärmeäther anzunähern, alles Pflanzliche dem Gasig-Luftförmig-Duftigen anzunähern, es beginnt alles, was tierisch ist, namentlich was eigentierisch Erzeugtes ist, dem Wäßrigen anzunähern, und bildet als eine organisierte Formgestaltung das eigentlich Menschliche zum Festen. Das alles liegt der Tendenz nach im Stoffwechsel. Und der Stoffwechsel ist in dieser Beziehung etwas, was außerordentlich interessant ist.
 
Wenn wir den Stoffwechsel heraufverfolgen bis zum Atmen, so finden wir, daß der Mensch aus sich herausgestaltet den Kohlenstoff, der überall im Menschen zu finden ist. Er wird vom Sauerstoff aufgesucht, wird in Kohlensäure verwandelt, die dann der Mensch ausatmet. Die Kohlensäure ist die Verbindung des Kohlenstoffes mit dem Sauerstoff. Der Sauerstoff, der durch die Atmung eingesogen wird, macht sich über den Kohlenstoff her, nimmt den Kohlenstoff in sich auf; der Mensch atmet die Kohlensäure, die Verbindung, die der Sauerstoff mit dem Kohlenstoff eingegangen hat, aus. Aber bevor die Ausatmung geschieht, wird der Kohlenstoff sozusagen noch zum Wohltäter der menschlichen Natur. Denn dieser Kohlenstoff, indem er sich mit dem Sauerstoff verbindet, indem er gewissermaßen verbindet, was die Blutzirkulation bewirkt, mit dem, was die Atmung dann aus der Blutzirkulation macht, dieser Kohlenstoff, er wird zum Wohltäter der menschlichen Organisation; denn bevor er den menschlichen Organismus verläßt, verbreitet er in dem ganzen menschlichen Organismus eine Ausströmung von Äther. Die physische Wissenschaft sagt bloß: der Kohlenstoff wird mit der Kohlensäure ausgeatmet. Das ist aber nur die eine Seite des ganzen Vorganges. Der Mensch atmet die Kohlensäure aus, aber in seinem ganzen Organismus wird durch das Ausatmen zurückgelassen von dem Kohlenstoff, der in Anspruch genommen wird von` dem Sauerstoff, Äther. Dieser Äther dringt in den Ätherleib des Menschen ein. Und dieser Äther, der immerzu von dem Kohlenstoff erzeugt wird, ist dasjenige, was nun die menschliche Organisation geeignet macht, sich den geistigen Einflüssen zu öffnen, was die astral-ätherischen Wirkungen
 
166
 
aus dem Kosmos aufnimmt. Da werden von diesem Äther, den der Kohlenstoff zurückläßt, die kosmischen Impulse angezogen, jene kosmischen Impulse, die wiederum gestaltend auf den Menschen wirken, die zum Beispiel sein Nervensystem so bereiten, daß es der Träger der Gedanken werden kann. Dieser Äther muß fortwährend unsere Sinne, zum Beispiel unser Auge, durchdringen, damit die Augen sehen können, damit die Augen den äußeren Lichtäther aufnehmen können. Wir verdanken es also dem Kohlenstoff, daß wir eine Ätherbereitung in uns haben, die der Welt entgegenkommen kann.
 
<nowiki>#</nowiki>Bild S. 166
 
Alles das wird schon im Stoffwechselsystem vorbereitet. Aber das Stoffwechselsystem ist als menschliches System in den ganzen Kosmos so hineingestellt, daß es für sich selbst nicht bestehen könnte. Das Stoffwechselsystem könnte nicht für sich selbst bestehen. Daher ist es auch erst als Drittes im Menschen gebildet worden in der Anlage. Die erste Anlage für das Nerven-Sinnessystem wurde gebildet während der alten Saturnzeit, die zweite Anlage für das rhythmische System während der alten Sonnenzeit, und erst, nachdem diese anderen Systeme da waren, konnte das Stoffwechselsystem im Menschen bewirkt werden, weil das Stoffwechselsystem
 
167
 
für sich nicht bestehen könnte. Das Stoffwechselsystem ist, wenn wir zunächst die willkürlichen Bewegungen auslassen, im kosmischen Zusammenhang für den Menschen für die Ernährung berechnet. Aber diese Ernährung kann nicht für sich bestehen. Diese Ernährung braucht der Mensch, aber sie kann nicht für sich bestehen. Denn wenn man das Stoffwechselsystem beim Menschen für sich studiert - Sie werden in den nächsten Vorträgen sehen, wie notwendig das wiederum für die ganze menschliche Organisation ist -, so ist es fortwährend von allen möglichen Neigungen durchdrungen, den Menschen krank zu machen. Den Ursprung der inneren Krankheiten, die also nicht durch äußere Verletzungen entstehen, den müssen wir immer im Stoffwechselsystem suchen. Wer daher wirklich eine rationelle Krankheitsbeobachtung anstellen will, muß ausgehen vom Stoffwechselsystem, und er muß eigentlich jede einzelne Erscheinung im Stoffwechselsystem daraufhin fragen: Auf welchem Weg bist denn du? - Wenn wir alle Erscheinungen von dem Aufnehmen der Nahrung im Munde, von dem Verarbeiten der Nahrung, indem wir gewisse Stoffe in uns in Stärke und Zucker und so weiter verwandeln, wenn wir das Einhüllen der Speisen im Munde durch Ptyalin nehmen, wenn wir weitergehen, wenn wir das Einpepsinieren im Magen nehmen, wenn wir weitergehen und die Verarbeitung der Stoffwechselprodukte wiederum im Verdauungssystem nehmen, bei ihrem Übergang in die Lymphgefäße, bei ihrem Übergang ins Blut, dann müssen wir jeden einzelnen Vorgang suchen, und es sind unzählige Vorgänge, die da in Betracht kommen. Die Vermischung der Stoffwechselprodukte mit dem Sekret der Bauchspeicheldrüse, die dann noch hinzukommt, die Durchmischung der Stoffe mit der Gallenabsonderung und so weiter, jeden einzelnen Vorgang müssen wIr fragen: Was willst denn du eigentlich? - Und er wird uns antwor
 
ten: Wenn ich allein bin, so bin ich ein solcher Prozeß, der immer den Menschen krank macht. - Kein Stoffwechselvorgang darf in der mensch
 
lichen Natur bis zu Ende kommen, denn jeder Stoffwechselvorgang, wenn er zu Ende kommt, macht den Menschen krank. Die menschliche Natur ist nur gesund, wenn die Stoffwechselvorgänge auf einer gewissen Stufe gestoppt werden.
 
Wir werden dieses, was vielleicht zunächst als Torheit der Weltorga
 
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nisation erscheinen könnte: daß da im Menschen etwas beginnt, was, wenn es nicht auf halbem Wege aufgehalten würde, den Menschen krank machen würde, wir werden das als etwas vom Weisesten in den nächsten Vorträgen kennenlernen. Aber jetzt wollen wir es einstweilen der Tatsächlichkeit nach betrachten, wollen in Betracht ziehen, daß uns die Einzelheiten der Stoffwechselvorgänge, wenn wir sie innerlich ihrem Wesen nach studieren, antworten würden: Wir sind auf dem Wege, den ganzen Organismus krank zu machen. Jeder Stoffwechselvorgang, fortgesetzt, macht den Organismus krank. Es müssen eben schon, wenn überhaupt Stoffwechsel im Menschen sein soll, andere Prozesse da sein, die vorher in ihren Anlagen entwickelt sein müssen, und das sind die Vorgänge, welche in der Zirkulation vorhanden sind; das sind die Zirkulationsvorgänge. Die Zirkulationsvorgänge enthalten fortwährend heilende Prozesse. So daß der Mensch tatsächlich auch so beschrieben werden kann, daß man sagt: Der Mensch ist während der alten Mondenentwickelung als Patient geboren worden, und ihm ist vorausgeschickt worden in seiner eigenen Natur während der alten Sonnenentwickelung der Arzt. Während der alten Sonnenentwickelung ist der Mensch in bezug auf seine eigene Natur als Arzt geboren worden. Es ist sehr vorsichtig gewesen in der Weltenentwickelung, daß der Arzt vor dem Patienten entstanden ist, denn während der alten Mondenentwickelung ist der Patient im Menschen selber dazugekommen. Man muß, wenn man den Menschen richtig beschreiben will, auf- rücken von den Stoffwechselvorgängen zu den Zirkulationsvorgängen, natürlich zu alledem, was als Impulse den Zirkulationsvorgängen zugrunde liegt. Der eine Stoff bewirkt schnellere, der andere langsamere Zirkulation im weitesten Sinne. Wir haben ja auch ganz kleine Zirkulationsvorgänge in uns. Nehmen Sie irgendwelche mineralischen Stoffe, nehmen Sie Gold, nehmen Sie Kupfer, alles ist, wenn es dem Menschen auf die eine oder andere Weise innerlich oder durch Injektion oder sonst irgendwie zugeführt wird, die Veranlassung, daß irgend etwas in der Zirkulation sich gestaltet, ändert, gesundend wirkt und so weiter. Und was man kennen muß, um hineinzuschauen in die eigentlichen Heilungsprozesse des Menschen, das ist, was jeder einzelne Stoff der Weltumgebung des Menschen auslöst im Menschen in bezug auf Zirkula
 
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tionsänderungen. So daß wir sagen können: die Zirkulation ist ein fortwährender Heilungsprozeß.
 
Sie können es, ich möchte sagen, errechnen, wenn Sie es wollen. Bedenken Sie, was ich Ihnen gesagt habe: im Durchschnitt hat der Mensch achtzehn Atemzüge in der Minute. Das gibt in außerordentlich regelmäßiger Anpassung an den Kosmos während des Tages so viel AtemZüge, als der Zirkulationsrhythmus der Sonne beim Durchgehen durch das Sonnenjahr ausmacht. Da aber geht die Sonne in ihrem Frühlingsaufgangspunkt in 25920 Jahren durch das Ganze durch. Der Mensch hat in seinem mittleren Alter am Tage durchschnittlich 25920 Atemzüge. Die Pulsschläge sind viermal mehr. Die andere Zirkulation, die mehr innerlich konzentrierte Zirkulation, ist beeinflußt von dem Stoffwechsel. Die Atmungszirkulation ist das, was dem äußeren Verkehre des Menschen mit der Außenwelt entspricht, was das Wechselverhältnis zur Außenwelt ist. Dieser Atmungsrhythmus muß fortwährend den Zirkulationsrhythmus bändigen, daß er bei seinen vieren bleibt, sonst kommt der Mensch mit seinem Zirkulationsrhythmus in einen ganz unregelmäßigen Rhythmus, nicht in die Zahl 103680 hinein. Das ist et- was, dem nichts im Kosmos entspricht. Da reißt sich der Mensch ganz aus dem Kosmos heraus. Sein Stoffwechsel reißt ihn aus dem Kosmos heraus, macht ihn fremd dem Kosmos, und der Atmungsrhythmus reißt fortwährend in den Kosmos hinein. In diesem Dividieren und in diesem Bändigen des Zirkulationsrhythmus durch den Atmungsrhythmus sehen Sie den Urheilungsprozeß, der fortwährend in dem Menschen ausgeführt wird. Aber in einer gewissen feineren Weise muß man mit jeder inneren Heilung dem Atmungsprozeß, der sich ja in einer gewissen Weise in den ganzen Körper hinein fortsetzt, so zu Hilfe kommen, daß er überall im Menschen den Zirkulationsprozeß bändigt, ihn zurück- führt auf die allgemeinen Verhältnisse des Kosmos.
 
So daß wir sagen können: Wir gehen von der Ernährung über in die Heilung, indem der Mensch von unten herauf immer eigentlich die Tendenz hat, krank zu werden, und in seinem mittleren Organismus, in dem Zirkulationsorganismus fortwährend die Tendenz entwickeln muß, gesund zu bleiben. Indem so in unserem mittleren Organismus fortwährend die Impulse der Gesundung entstehen, lassen sie etwas gerade
 
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nach dem Kopfnerven-Sinnessystem zurück; und wir kommen dann als Drittes zu dem Nerven-Sinnessystem. Was für Kräfte finden wir dann im Nerven-Sinnessystem? Wir finden im Nerven-Sinnessystem diejenigen Kräfte, die sozusagen der Arzt in uns zurückläßt. Er wirkt auf der einen Seite gesundend hinunter auf den Stoffwechselprozeß. Aber indem er gesundend auf den Stoffwechselprozeß wirkt, tut er ja etwas, was im ganzen Kosmos nun einer Beurteilung unterliegt. Und ich sage Ihnen nichts Phantastisches, sondern ich sage Ihnen etwas, was durchaus eine Realität ist: Es ruft dieser Vorgang, daß fortwährend in uns Gesundungsprozesse nach unten stattfinden, das Wohlgefallen der höheren Hierarchien hervor. Das ist die Freude der höheren Hierarchien an der Erdenwelt. Die schauen herunter und fühlen fortwährend das Aufsteigen der Krankheit aus demjenigen, was hinaufströmt in den Menschen vom Irdischen, was dableibt von den irdischen Eigenschaften der Stoffe. Sie sehen, wie die Impulse der aus dem Irdischen wirkenden Kräfte, die in der umkreisenden Luft und so weiter liegen, fortwährend Gesundungsprozesse sind. Das ruft das Wohlgefallen der höheren Hierarchien hervor.
 
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Jetzt stellen Sie sich vor, was Sie studieren können an demjenigen Weltenkörper, der gewissermaßen als das würdigste geistige Studienobjekt
 
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an die Grenze unseres Planetensystems hingestellt worden ist. Da steht in der Mitte dasjenige, was in sich birgt die Kräfte, die, wenn wir sie auf Erden konzentriert denken, krankmachende Kräfte sind, und in der Umgebung zeigen sich die kreisenden Kräfte des Gesundmachens. Und wer für solche Sachen Empfänglichkeit hat, der sieht an den Saturnringen in einer solchen Ausprägung, wie man sie in dem, was die Erde umgibt, nicht wahrnehmen kann, weil man darinnen steht, das, was die kreisende Gesundheit ist. Dieser Saturnring ist noch etwas wesentlich anderes, als was die Astronomen von ihm sagen. Dieser Saturnring ist kreisende Gesundheit, und das Innere des Saturns ist das Kränkende, das Krankmachende, in reinster Konzentration gesehen.
 
Und so sieht man an dem Saturn, der an das äußerste Ende unseres Planetensystems hingestellt ist, den gleichen Prozeß sich abspielen, den wir fortwährend durch unseren Stoffwechsel und durch unseren Zirkulationsorganismus in uns tragen. Aber wir sehen auch, wenn wir auf das hinschauen, wie unser geistiger Blick hingelenkt wird auf die Welt namentlich der zweiten Hierarchie und der ersten Hierarchie; der zweiten Hierarchie: Kyriotetes, Dynamis, Exusiai; der ersten Hierarchie: Seraphim, Cherubim, Throne. Wenn wir aufmerksam sind mit dem geistigen Auge auf den Saturn und seinen Ring, werden wir hingelenkt auf diese oberen Hierarchien, wie sie, ich möchte sagen, wohlgefällig auf dieses Krankmachende und Gesundende hinblicken.
 
Dieses Wohlgefallen, das ist nun eine Kraft im Weltenall. Dieses Wohlgefallen der höheren Hierarchien durchströmt dann unser Nerven-Sinnessystem und bildet darinnen die Kräfte der geistigen Entwickelung des Menschen. Das sind die Kräfte, die gewissermaßen hinausblühen aus der Heilung, die fortwährend im Menschen vor sich geht. So daß wir drittens die geistige Entwickelung haben.
 
1. Stoffwechsel Ernährung
 
2. Zirkulation Heilung
 
3. Nerven-Sinnesorganisation Geistige Entwickelung
 
Wenn wir jetzt den Menschen durch Saturn-, Sonnen- und Mondenzeit beschreiben, dann müssen wir sagen: Der Mensch ist zunächst aus dem Kosmos herausgeborener Geist, der in sich den Heiler entwickelt,
 
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der dadurch dann aufnehmen kann den kosmischen Patienten. Und durch die Zusammenwirkung von all diesem wird dann das hergestellt, was auf der Erde der in willkürlicher Bewegung befindliche Mensch ist.
 
Jedes einzelne Glied der Menschenerkenntnis muß, ich möchte sagen, in einer gewissen Weise inspiriert sein von demjenigen, was zugrunde liegt dem, was ich hier gesagt habe. Nehmen Sie an, es will jemand ein System der Heilkunde aufstellen, ein wirklich rationelles System der Heilkunde. Was wird denn das enthalten müssen? Natürlich in der Hauptsache die Heilungsprozesse. Aber die Heilungsprozesse, wovon werden die denn ausgehen müssen? Sie werden ausgehen müssen von den Stoffwechselvorgängen, und das andere kann höchstens Voraussetzung sein, wir werden darüber auch noch zu sprechen haben; das Anatomische, selbst das feiner Anatomische, das kann nur, weil es das Festgestaltete ist, der Ausgangspunkt sein. Das macht sich schon selbst menschlich. Aber die Stoffwechselvorgänge müssen zunächst von einem rationellen System der Medizin so studiert werden, daß man in ihnen immer die Tendenz wahrnimmt, wie sie zum Krankmachenden hingehen. So daß ein heutiges System der Medizin, das aufgestellt werden kann, durchaus mit dem Stoffwechselsystem, das heißt, zunächst mit den normalen Stoffwechselvorgängen zu beginnen hat, und daß von da aus geschöpft werden muß die Erkenntnis der Möglichkeit, wie nun innere Krankheiten aus dem Stoffwechsel heraus im weitesten Sinne entstehen können. Dann muß sich daraus durch eine intime Erkenntnis dessen, was die rhythmischen Prozesse machen, das ergeben, was die eigentliche Therapie ist. So daß bei einem heutigen System der Medizin begonnen werden muß mit dem Studium der Stoffwechselvorgänge, und dann von da aus der Übergang gemacht werden muß zu alldem, was im Bereich der rhythmischen Vorgänge im Menschen vorkommen kann. Und dann, möchte ich sagen, wird eine Art von Krönung des Ganzen erreicht werden, indem man zeigt, wie ein gesundes Entwickeln der geistigen Anlagen des Menschen voraussetzt die Erkenntnis desjenigen, was aus den heilenden Kräften kommt. Sie können heute gar keine Pädagogik, das heißt, keine Kunst der gesunden Entwickelung der Geistesnatur des Menschen finden, wenn Sie nicht ausgehen von den Heilungsprozessen; denn die Heilungsprozesse sind nichts anderes, als auf
 
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die Mittelnatur des Menschen das angewendet, was schon im reinen Denken verwendet werden muß bei der Ausbildung der geistigen Vorgänge des Menschen.
 
Der pädagogische Künstler muß auf geistige Art durchaus arbeiten mit den Kräften, die, ins Physische verdichtet, oder ins Ätherische verdichtet, Heilungsvorgänge sind. Tue ich irgend etwas an einem Kinde in pädagogischer Kunst, so ist das ein Vorgang, dem etwas Geistiges zugrunde liegt. Wenn ich mir diesen Vorgang übersetze, so daß ich das, was ich da im Geiste aus führe, jetzt dadurch ausführe, daß ich irgendein Stoffliches oder einen Prozeß anwende, so ist dieser Prozeß oder dieser Stoff ein Heilmittel. Man könnte auch sagen: Medizin ist die Metamorphosierung der geistigen Behandlung des Menschen hinunter ins Stoffliche. Wenn Sie sich erinnern, wie ich die Dinge angedeutet habe in dem Lehrerkursus, der dazumal für die englischen Besucher abgehalten wurde, so werden Sie sehen, wie ich überall darauf aufmerksam gemacht habe, wie in dem, was der Lehrer tut, mit einer Art allgemeiner menschlicher Therapie begonnen wird, wie diese oder jene pädagogische Maßnahme im späteren Lebensalter ungesunde Stoffwechselablagerungen oder Aufsaugen des unregelmäßigen Stoffwechsels verursachen kann. So daß das, was der Pädagoge tut, nach unten fortgesetzt, Therapie gibt. Und das Gegenbild der Therapie, das, was von unten nach oben strebt, das sind die Stoffwechselvorgänge.
 
Sie sehen also auch, wie ein System der Medizin heute herausgeboren werden muß aus einer gesamten Menschenerkenntnis. Das kann es. Das fühlen manche. Aber etwas erreicht wird erst sein, wenn tatsächlich ein solches System der Medizin ausgebildet ist. Und es gehört in der Gegenwart schon zu dem Notwendigsten. Wenn Sie heute Handbücher der Heilkunde ansehen, so werden Sie sehen, daß in der Regel nicht mit dem Stoffwechselsystem oder wenigstens in den seltensten Fällen mit dem Stoffwechsel begonnen wird. Aber davon muß ausgegangen werden, sonst lernt man nicht erkennen, worin überhaupt die Natur der Krankheit besteht.
 
Sehen Sie, diese ganze Sache ist wiederum so, daß tatsächlich Ernährungsvorgänge in Heilungsvorgänge, Heilungsvorgänge in geistige Vorgänge und wieder zurück geistige Vorgänge in Heilungsvorgänge übergehen
 
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können; oder wenn die geistigen Vorgänge direkt Stoffwechselstörungen bewirken, so gehen geistige Vorgänge auch wiederum in ein Stadium über, wo sie durch den mittleren Organismus des Menschen geheilt werden müssen. Alle diese Dinge gehen im Menschen ineinander über, und die ganze menschliche Organisation ist fortwährend eine wunderbare Metamorphose. Nehmen Sie zum Beispiel die Vorgänge, die in dieser ganzen wunderbaren Zirkulation des menschlichen Blutes liegen. Was sind denn das für Vorgänge?
 
Nun, fassen Sie zunächst ganz abgesondert vom übrigen menschlichen Organismus das Blut auf, wie es durch die Adern strömt, fassen Sie auf die menschliche Gestalt, also sagen wir, das Adernsystem und das, was als Muskelsystem sich anschließt, Knochensystem und so weiter, also das, was feste Bildung ist, und das, was flüssig da durchströmt. Bleiben wir beim flüssigen Zustand, beim Blute, stehen; es sind ja auch andere Flüssigkeiten da, aber bleiben wir beim Blute stehen. In diesem strömenden Flüssigen, was geschehen denn da drinnen fortwährend für Prozesse? Es spielen sich fortwährend Prozesse ab. Dieselben Prozesse, die sich abspielen im flüssigen Blut, die können nun nach irgendwelchen Seiten hin das, was nur Wandung oder Gerüst oder irgend etwas Fest- gebildetes, Gestaltetes im Menschen sein kann, ergreifen, dann ist das, was ins Blut hineingehört, in der Gefäßwandung oder im Muskel oder irgendwo im Knochen drinnen oder in irgendeinem Umhüllungsorgan. Was wird es denn da? Da wird es der Impuls für Entzündungserscheinungen. Was wir als die Impulse von Entzündungserscheinungen da oder dort finden, wir finden es fortwährend im flüssigen Blute als die normalen Vorgänge. Was da an Entzündung erscheint, das sind an unrechte Stellen, das heißt, an die gestalteten festen Stellen hingedrängte Vorgänge, die fortwährend im fließenden Blute stattfinden müssen. Ein absolut normaler, gesunder Prozeß disloziert, an eine andere Stelle gestellt, wo er nicht hingehört, ist ein krankmachender Prozeß. Und gewisse Krankheiten des Nervensystems bestehen gerade darin, daß das Nervensystem, das polarisch entgegengesetzt ist in seiner ganzen Organisation dem Blutsystem, die Einwanderung der im Blute normalen Prozesse erfahren muß. Wenn diese Prozesse, die in den Blutbahnen normale Prozesse sind, sich hinüberdrängen in die Nervenbahnen, dann
 
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werden die Nervenbahnen, und das geschieht beim leisesten Eindringen, von Entzündungen ergriffen, die ganz im Anfange der Entzündlichkeit stehen, und wir bekommen die verschiedenen Formen des kranken Nervensystems heraus.
 
Ich sagte, in den Nerven sind ganz andere Vorgänge als im Blute, die entgegengesetzten Vorgänge. Im Blut sind nach dem Phosphorigen hindrängende Vorgänge, Vorgänge, die eben, wenn sie als phosphorige Vorgänge das das Blut Umgebende oder das dem Blute Benachbarte ergreifen, zu Entzündlichem führen. Wenn Sie die Vorgänge in den Nervenbahnen verfolgen und diese auswandern in die anderen benachbarten Organe oder auch ins Blut hinein, dann entstehen die Impulse für alle Geschwulstbildungen beim Menschen. Wenn das ins Blut hinübergetragen wird, so daß das Blut dann in ungesunder Weise die anderen Organe versorgt, dann entstehen die Geschwulstbildungen. So daß wir sagen können: Jede Geschwulstbildung ist ein metamorphosierter Nervenprozeß an unrechter Stelle im menschlichen Organismus.
 
Sie sehen, was im Nerv läuft, muß im Nerv bleiben, was im Blute läuft, muß im Blute bleiben. Geht, was dem Blute angehört, hinüber in die Nachbarschaft, entstehen Entzündungen. Geht, was dem Nerv angehört, hinüber in die Nachbarschaft, so entstehen allerlei Bildungen, die man nur unter dem Trivialnamen Geschwulstbildung zusammenfassen kann. Aber es muß gerade zwischen den Vorgängen im Nerven- system und zwischen den Vorgängen im Blutsystem ein richtiger Rhythmus stattfinden.
 
Wir haben nicht nur im allgemeinen den Atmungsrhythmus in Kontrast mit dem Blutrhythmus, sondern wir haben im zirkulierenden Blute feine Vorgänge, die, wenn sie aus dem Blute herausgehen, Entzündungsvorgänge werden. Diese feinen Vorgänge müssen ebenso in einem gewissen rhythmischen Zusammenhange stehen mit dem, was im benachbarten Nerv vorgeht, wie die Atmung in einem Zusammenhange stehen muß mit der Blutzirkulation. Und in dem Augenblicke, wo das gestört ist zwischen dem Blutrhythmus und Nervenrhythmus, muß es wiederum hergestellt werden.
 
Sie sehen, da kommen wir wieder hinein in ein Gebiet der Therapie, der Heilungsprozesse. Das alles zeigt Ihnen, wie im Menschen alles da
 
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sein muß: das am meisten Kranke muß da sein, damit es an anderer Stelle ein Gesundes sein kann; es ist nur durch einen unrechten Prozeß an eine falsche Stelle gekommen. Denn wäre es gar nicht da, könnte der Mensch nicht bestehen. Der Mensch könnte nicht bestehen, wenn er nicht Entzündungen kriegen könnte, denn die Entzündung erregenden Kräfte müssen fortwährend im Blute sein. So ist es gedacht gewesen, wenn ich oftmals gesagt habe: aus einer wirklichen Menschenerkenntnis heraus muß alles entstehen, was der Mensch eigentlich an Erkenntnis erwirbt. Sie sehen da, worin die Gründe liegen, warum eigentlich eine Pädagogik, ich möchte sagen, so obenauf, abstrakt getrieben, ein ziemlicher Unsinn ist. Eigentlich müßte man Pädagogik so treiben, daß man überall ausgeht von gewissen pathologischen Prozessen im Menschen und von der Möglichkeit ihrer Heilung.
 
Wenn man eine Gehirnkrankheit und die Möglichkeit der Heilung der Gehirnkrankheit kennt, dann hat man im Groben - das ist wieder nach anderer Art fein, selbstverständlich, aber in bezug darauf, daß es ein physischer Vorgang ist, sage ich «grob» - in der Behandlung des Gehirns das, was genau just ausgeführt werden muß in der pädagogischen Kunst. Daher ist es so, daß eigentlich, wenn man einmal ein wirkliches pädagogisches Seminar einrichtet, man auf der einen Seite den Lehrern Pathologisch-Therapeutisches beibringen müßte: da würden sie ihr Denken schulen erst an Anschaulicherem, weil mehr im Stoffe Wurzelndem, für das, was sie nun begreifen sollen in der eigentlichen Pädagogik. Und wiederum ist nichts nützlicher für die Therapie, namentlich für die Therapie der inneren Krankheiten, als wenn man weiß, wie das oder jenes in der pädagogischen Kunstbehandlung wirkt. Denn findet man die Brücke hinüber zum Stofflichen, so findet man gerade an der Art und Weise, wie man im Pädagogischen behandeln soll, auch das Heilmittel.
 
Wenn man zum Beispiel die richtigen pädagogischen Mittel findet, um gewissen Trägheitserscheinungen bei Kindern pädagogisch zu begegnen, die von Störungen im Verdauungssystem herrühren, dann bekommt man ganz merkwürdige innere Tendenzen; wenn man so wirklich drinnen lebt in der Pädagogik, natürlich nicht, wenn man so äußerlich lernt und eigentlich lieber, wenn die Schule aus ist, am Abend im
 
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«Gemeindestübel» sitzt und vergißt, was in der Schule vorgeht. Man bekommt von der Behandlungsweise, die man da angedeihen läßt einem solchen Kinde, die Tendenz, das ganze Wirken der Kopfvorgänge, den ganzen Zusammenhang der Kopfvorgänge und der Unterleibsvorgänge, ich möchte sagen, zu sehen. Und wenn man dann wiederum in der Mineralogie studiert zum Beispiel die Vorgänge, die in dem Kupfer vor sich gehen, indem das Kupfer im Erdreich dies oder jenes bildet: dann ist es fast so, daß in alledem, was das Kupfer ausführt, indem es zu dem oder jenem Kupfererze wird, daß in diesem Werden der Erze zu dem Kupfererz oder zu den anderen Erzen es einem dann so erscheint, daß man sagt: Da tut ja die Kupferkraft in der Erde dasjenige, was du als Pädagoge mit dem Knaben oder dem Mädchen tust! Man sieht förmlich ein Abbild von dem, was man selber tut, in den Kupferprozessen. Und es ist außerordentlich reizvoll, als Pädagoge sich eine intuitive, eine gefühls- und instinktmäßige Klarheit zu verschaffen über das, was man tut, um dann entzückt in die Natur hinauszugehen und zu sehen, wie eigentlich da draußen die Natur im Großen pädagogisch handelt; wie überall dort, wo durch irgendeinen Kalkprozeß etwas Schlimmes geschehen könnte, irgendwie ein Kupferprozeß da hineingefügt wird. Ja, in diesen Kupferprozessen, in diesen Erzbildungsprozessen innerhalb der übrigen Erdenprozesse liegen auch fortwährende Heilungen. Und es ist entzückend, wenn man irgendwo Pyriterze oder irgend etwas anderes findet, nun sich zu sagen: Das ist gerade so, wie wenn man in der richtigen Weise Menschen behandelt. Da behandeln die Geister der Natur von den Hierarchien herunter bis zu jenen Elementargeistern, von denen ich Ihnen gesprochen habe, als Heiler das, was auch eben im Leben als störende, krankmachende Prozesse auftreten könnte. Es ist eigentlich dann schon gar nicht mehr etwas anderes als ein Ablesen. Denn wenn man sieht, was da draußen geschieht, wenn man dann diesen oder jenen Stoff als Heilmittel anspricht oder ihn verarbeitet als Heilmittel, dann stellt man sich einfach hin und frägt sich: Wo er- scheint das Eisen? Wo erscheint dieses oder jenes Metall in den Adern? - studiert dann die Umgebung, und man findet dann immer, wenn irgend- ein Metallisches da oder dort erscheint in dieser oder jener Verarbeitung von der Natur: da drinnen ist ein Heilungsprozeß; nimm ihn nur, setze
 
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ihn fort, hinein in den menschlichen Organismus, dann schaffst du eine Therapie, die dir die Natur draußen vorgezeigt hat.


BETRACHTUNGEN ÜBER ATMOSPHÄRISCHE ERSCHEINUNGEN
Ja, alles Gehen durch die Welt ist in Wirklichkeit ein richtiges Studieren des Ernährenden, des Heilenden, des Geistigen; denn in der Na- tur wird fortwährend krank gemacht und fortwährend geheilt. Da draußen sind sie, die großen kosmischen Heilungsprozesse. Wir müssen sie nur anwenden auf den Menschen. Das ist das wunderbare Zusammenwirken des Makrokosmos mit dem Mikrokosmos. Es ist in der Tat tief wahr, was ich zu manchen von Ihnen in dieser oder jener Form gesagt habe:


<nowiki>#</nowiki>TX
Willst du dich selber erkennen,


Im Jahre 1815 lernt Goethe Luke Howards «Versuch einer Naturgeschichte und Physik der Wolken» kennen. Er wird dadurch zu schärferem Nachdenken über Wolkenbildungen und Witterungsverhältnisse angeregt. Zwar hat er schon früher mancherlei Beobachtungen über diese Erscheinun­gen gemacht und aufgezeichnet. Das Erfahrene jedoch zu­sammenzustellen fehlten ihm «Umsicht und wissenschaft­liche Verknüpfungszweige». In dem Howardschen Auf­satze sind die mannigfaltigen Wolkenbildungen auf gewisse Grundformen zurückgeführt. Goethe findet nun einen Ein­gang in die Witterungskunde, die ihm bisher fremd geblie­ben ist, weil es seiner Natur unmöglich war, aus der Art, wie dieser Wissenszweig zu seiner Zeit behandelt wurde, etwas zu gewinnen. «Den ganzen Komplex der Witterungskunde, wie er tabellarisch durch Zahlen und Zeichen aufgestellt wird, zu erfassen ... war meiner Natur unmöglich; ich freute mich, einen integrierenden Teil derselben meiner Neigung und Lebensweise angemessen zu finden, und weil in diesem unendlichen All alles in ewiger, sicherer Beziehung steht, eins das andere hervorbringt oder wechselweise hervorge­bracht wird, so schärfte ich meinen Blick auf das dem Sinne der Augen Erfaßliche und gewöhnte mich, die Bezüge der atmosphärischen und irdischen Erscheinungen mit Baro­meter und Thermometer in Einklang zu setzen...»
Blicke in der Welt nach allen Seiten. Willst du die Welt erkennen,


Da der Stand des Barometers in genauem Bezug zu allen Witterungsverhälmissen steht, so tritt er auch bald für Goe­the in den Mittelpunkt seiner Beobachtungen über atmo­sphärische Verhältnisse. Je länger er diese Beobachtungen
Schaue in alle deine eigenen Tiefen.


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Das können Sie aber auf alles anwenden: Willst du den Menschen heilen, blicke in die Welt nach allen Seiten, blicke hin darauf, wie die Welt nach allen Seiten Heilung entwickelt. Willst du die Geheimnisse derWelt als Krankheits- und Heilungsprozesse erkennen, so blicke in alle die Tiefen der menschlichen Natur hinunter. - Sie können das auf alles anwenden, was Menschenwesen ist. Aber Sie müssen den Blick hinaus- richten auf die große Natur und den Menschen in lebendigem Zusammenhang sehen mit dieser großen Natur.


fortsetzt, um so mehr glaubt er zu erkennen, da das Steigen und Fallen des Quecksilbers im Barometer an verschiedenen «näher und ferner, nicht weniger in unterschiedenen Län­gen, Breiten und Höhen gelegenen Beobachtungsorten» so geschieht, daß einem Steigen oder Fallen an einem Orte ein fast gleich großes Steigen oder Fallen an allen andern Orten zu gleichen Zeiten entspricht. Aus dieser Regelmäßigkeit der Barometerveränderungen zieht Goethe die Folgerung, daß auf dieselben keine außerirdischen Einflüsse wirken können. Wenn man dem Monde, den Planeten, den Jahreszeiten einen solchen Einfluß zuschreibt, wenn man von Ebbe und Flut in der Atmosphäre spricht, so wird die Re­gelmäßigkeit nicht erklärt. Alle diese Einflüsse müßten sich zu gleichen Zeiten in der verschiedensten Weise an verschie­denen Orten geltend machen. Nur wenn innerhalb der Erde selbst die Ursache für diese Veränderungen liegt, sind sie erklärbar, meint Goethe. Da nun der Stand des Quecksil­bers von dem Druck der Luft abhängt, so stellt sich Goethe vor, daß die Erde abwechselnd die ganze Atmosphäre zu­sammenpreßt und wieder ausdehnt. Wird die Luft zusam­mengepreßt, so erhöht sich ihr Druck und das Quecksilber steigt; das Umgekehrte findet bei der Ausdehnung statt. Goethe schreibt diese abwechselnde Zusammenziehung und Ausdehnung der ganzen Luftmasse einer Veränderlich­keit zu, welcher die Anziehungskraft der Erde unterworfen ist. Das Vermehren und Vermindern dieser Kraft sieht er in einem gewissen Eigenleben der Erde begründet und ver­gleicht es mit dem Ein- und Ausatmen eines Organismus.
Man hat sich heute etwas anderes angewöhnt. Man geht weg von der Natur, so weit als möglich; man macht etwas, was einem selbst den Blick von der Natur abschließt, denn das, was man untersuchen will, das legt man unter ein Glas da unten auf ein kleines Tischchen; das Auge, das blickt nicht hinaus in die Natur, sondern blickt da hinein. Selbst der Blick noch ist abgeschnürt von der Natur. Man nennt das ein Mikroskop. Man könnte es ebensogut in einer gewissen Beziehung ein Nulloskop nennen, denn man schließt sich ab von der großen Natur. Und man weiß nicht, wenn man da unten das vergrößert hat, daß man in der Tat für die geistige Erkenntnis dasselbe hat, was geschehen würde, wenn der Vorgang in der Natur sich abspielte. Denken Sie doch nur einmal, wenn Sie irgendein kleines winziges Dingchen vom Menschen


Demnach denkt sich Goethe auch die Erde nicht in bloß mechanischer Weise wirksam. So wenig er die geologischen Vorgänge rein mechanisch und physikalisch erklärt, ebensowenig
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da drinnen vergrößern, damit Sie es beobachten können, so vollführen Sie ja mit diesem Winzigen des Menschen dasselbe, was Sie mit dem Menschen vollführen würden, wenn Sie ihn so weit auseinanderzerren und -reißen würden! Sie wären etwas viel Schrecklicheres noch als der Prokrustes, wenn Sie den Menschen so auseinanderzerren und -reißen würden, damit er so vergrößert ist, wie da dieses winzige Dingchen da unten unter dem Rohr vergrößert ist. Aber glauben Sie, daß Sie da den Menschen noch hätten? Es ist natürlich keine Rede davon, daß Sie den Menschen noch hätten. Ebensowenig haben Sie die Wahrheit da unten unter dem Mikroskop. Die vergrößerte Wahrheit ist nicht mehr die Wahrheit, ist ein Scheingebilde. Man darf nicht weggehen von der Natur und sich selbst noch den Blick einsperren. Gewiß, das alles kann für andere Dinge nützlich sein, aber für das, was eine wirkliche Menschenerkenntnis ist, ist es zunächst etwas, was ungeheuer von dieser wirklichen Menschenerkenntnis hinwegführt.


tut er dies bei den Barometerschwankungen. Seine Naturansicht steht in scharfem Gegensatz zu der modernen. Diese sucht, ihren allgemeinen Grundsätzen gemäß, die at­mosphärischen Vorgänge physikalisch zu begreifen. Die Temperaturunterschiede in der Atmosphäre bewirken eine Verschiedenheit des Luftdrucks an verschiedenen Orten, erzeugen Luftströmungen von wärmeren nach kälteren Ge­bieten, vermehren oder vermindern den Feuchtigkeitsge­halt, bringen Wolkenbildungen und Niederschläge hervor. Aus solchen und ähnlichen Faktoren werden die Schwan­kungen des Luftdrucks und damit das Steigen und Fallen des Barometers erklärt. Auch widerspricht Goethes Vor­stellung von einer Vermehrung und Verminderung der An­ziehungskraft den modernen mechanischen Begriffen. Nach diesen ist die Stärke der Anziehungskraft an einem Orte stets dieselbe
Die wirkliche Menschenerkenntnis muß so gesucht werden, wie wir es angedeutet haben. Sie muß führen von den Ernährungsvorgängen durch die Heilungsvorgänge zu den Vorgängen der Menschen- und Weltpädagogik im weitesten Sinne, wir können sagen, von der Ernährung durch die Heilung zu der Zivilisation und Kultur. Denn es ist alles wie eine untere Grundlage der physischen Vorgänge, die im Menschen in der Ernährung konzentriert sind; derHeilungsvorgänge, die aus dem, was immer umkreist, hervorgehen, was im Menschen in den rhythmischen Vorgängen konzentriert ist; und desjenigen, was von oben kommt, was im Menschen durch die Nerven-Sinnesprozesse konzentriert ist. Dreistufig richtet sich so die Welt auf.


Goethe wendet mechanische Vorstellungen nur so weit an, als es ihm durch die Beobachtung geboten erscheint.  
Das wollte ich Ihnen zunächst als eine Art Grundlage geben. Wir wollen dann darauf weiter aufbauen. Wir wollen sehen, wie wir wirklich von solchen Ausgangspunkten hinaufkommen können in etwas, was sozusagen die Handhabung der Sache im praktischen Leben ist und was dann übergeführt werden kann zu dem, was Hierarchienerkenntnis ist.  


= GOETHE UND HEGEL =
= ELFTER VORTRAG Dornach, 10. November 1923 =
<nowiki>#</nowiki>G006-1963-SE205 - Goethes Weltanschauung
<nowiki>#</nowiki>G230,1985,SE180 - Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes


<nowiki>#</nowiki>TI
<nowiki>#</nowiki>TI


GOETHE UND HEGEL
ELFTER VORTRAG
 
Dornach, 10. November 1923
 
Aus den bisherigen Darstellungen werden Sie haben entnehmen können, daß die Beziehungen derWeltumgebung des Menschen zu diesem Menschen selbst denn doch andere sind, als man sich nach den heutigen Begriffen oftmals ausmalt. Man denkt ja so leicht: dasjenige, was in der menschlichen Umgebung lebt, was dem mineralischen, dem pflanzlichen, dem tierischen Reiche angehört und dann von dem Menschen aufgenommen wird, das setze gewissermaßen seine Vorgänge, seine äußerlich stofflichen Vorgänge, die der Physiker, der Chemiker und so weiter untersuchen, im Menschen selber fort. Davon kann aber gar nicht die Rede sein, sondern man muß sich klar sein, daß innerhalb der menschlichen Hautvorgänge alles anders ist als außerhalb derselben, daß innerhalb dieser Hautvorgänge eine ganz andere Welt vorliegt als außerhalb. Solange man sich dessen nicht gewahr ist, wird man Immer wieder und wiederum darüber nachdenken, wie das oder jenes, das man in der Retorte oder sonst irgendwie untersucht, sich im menschlichen Organismus fortsetzt, und man wird den menschlichen Organismus selber nur wie eine kompliziertere Anordnung von Retortenvorgängen ansehen.
 
Allein erinnern Sie sich nur an das, was ich in der gestrigen Betrachtung schon sagte: alles Mineralische muß im Menschen umgesetzt werden bis zum Wärmeäther hin. Das heißt, alles, was in den menschlichen Organismus eindringt an Mineralischem, muß so weit metamorphosiert, umgewandelt werden, daß es wenigstens durch eine gewisse Zeit hindurch reine Wärme ist, und zwar eins mit der Wärme, die der Mensch als seine eigene Wärme über die Wärme seiner Umgebung hinaus entw1ckelt. Ob wir ein Salz, ob wir irgend etwas anderes Mineralisches in unserem Organismus aufnehmen, es muß die wärmeätherische Form irgendwie annehmen, und zwar annehmen, bevor es verwendet wird im menschlichen Organismus selber zu seinem Aufbau, zu seiner Gestaltung.
 
Wenn wir also irgendein Mineral außerhalb des menschlichen Organismus haben und uns vorstellen, dieses Mineral wandere da einfach
 
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hinein und bilde irgendeine Partie seiner Knochen, seiner Zähne und so weiter, so ist das der reine Unsinn; sondern was da in der menschlichen Gestaltung wiedererscheint, muß zunächst in die völlig flüchtig wärmeätherische Form übergegangen sein und dann zurückverwandelt werden in dasjenige, als das es dann in lebendiger Gestaltung im menschlichen Organismus auftritt.
 
Aber damit ist noch etwas ganz anderes verbunden; damit ist verbunden, daß zum Beispiel etwas, was feste Form hat, was sich schon im Munde in Wässeriges verwandelt, dann weiter verwandelt wird bis zum Wärmeäther hin, daß das allmählich im Menschen, indem es zunächst in die wäßrige Form übergeht, an Schwere verliert, daß es erdenfremder wird; und bis es hinaufkommt in die wärmeätherische Form, ist es völlig bereit, das Geistige, das von oben kommt, das aus den Weltenweiten kommt, in sich aufzunehmen.
 
Also wenn Sie sich vorstellen wollen, wie ein Mineralisches im Menschen verwendet wird, so müssen Sie sich folgendes sagen (es wird gezeichnet): Da ist das Mineralische; dieses Mineralische geht in den Menschen ein. Im Menschen wird es durch das Flüssige und so weiter bis zum Wärmeäther verwandelt; da ist es Wärmeäther. Dieser Wärmeäther hat die größte Neigung, dasjenige, was aus den Weltenweiten an Kräften hereinstrahlt und hereinströmt, in sich aufzunehmen. Er nimmt also die Kräfte des Weltenalls auf. Diese Kräfte des Weltenalls bilden sich nun als die Geistkräfte, die hier die wärmeätherisierte Erdenmaterie durchgeistigen. Und von da aus dringt dann mit Hilfe der wärmeätherisierten Erdensubstanz dasjenige erst in den Körper, was der Körper nun braucht zu seiner Gestaltung.
 
Also denken Sie sich, wenn w1r im alten Sinne Wärme als Feuer bezeichnen, so können wir sagen: Was mineralisch vom Menschen aufgenommen wird, das wird im Menschen hinaufgetragen bis zur feurigen Natur. Die feurige Natur ist geneigt, die Einflüsse der höheren Hierarchien in sich aufzunehmen, und dieses Feuer erst strömt dann wiederum in alle menschlichen Innenregionen aus und bildet, indem es sich neuerdings verhärtet, dasjenige, was im Menschen die substantielle Grundlage der einzelnen Organe ist. Nichts, was der Mensch in sich aufnimmt, bleibt so, wie es ist; nichts bleibt irdisch. Alles verwandelt
 
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sich, namentlich aus dem mineralischen Reiche, so weit, daß es das Geistig-Kosmische in sich aufnehmen kann und mit Hilfe des Geistig-Kosmischen es erst wiederum zurückverhärtet zum Irdischen.
 
Nehmen Sie also aus einem Knochen irgendein Stück phosphorsauren Kalk, so ist dieser nicht etwa der phosphorsaure Kalk, den Sie draußen in der Natur finden oder den Sie im Laboratorium meinetwillen herstellen, sondern es ist der phosphorsaure Kalk, welcher entstanden ist aus dem, was äußerlich aufgenommen worden ist mit Hilfe der Kräfte, die dann, während das äußerlich Aufgenommene in den wärmeätherischen Zustand übergegangen war, eingedrungen sind und erst in die Menschenbildung eingegriffen haben.
 
Sehen Sie, daher braucht der Mensch im Laufe seines Lebens die verschiedensten Substanzen, um, je nachdem er nach seinem Lebensalter organisiert ist, das Leblose umwandeln zu können in Wärmeätherisches. Das Kind könnte überhaupt noch nicht Lebloses in Wärmeätherisches umwandeln; es hat noch nicht Kraft genug in seinem Organismus. Es muß die noch der menschlichen Organisation selbst so nahestehende Milch aufnehmen, um diese nun bis zum Wärmeätherischen zu bringen und seine Kräfte dazu verwenden zu können, das wirklich ausgebreitete Plastizieren, das notwendig ist während des kindlichen Alters in bezug auf die Körpergestaltung, ausführen zu können. Man sieht erst hinein in die menschliche Natur, wenn man weiß, daß alles, was von außen aufgenommen wird, gründlich umgearbeitet werden muß. Nehmen Sie daher einen äußeren Stoff und wollen Sie ihn auf seinen Wert für das Menschenleben prüfen, so können Sie das zunächst mit der gewöhnlichen Chemie gar nicht tun, weil Sie wissen müssen, wieviel Kraft der menschliche Organismus aufwenden muß, um einen äußerlich mineralischen Stoff bis zu der Flüchtigkeit des Wärmeäthers zu bringen. Kann er das nicht, dann lagert sich dieser äußere mineralische Stoff in ihm ab, wird schwerer Erdenstoff, bevor er in Wärme übergegangen ist, und durchsetzt, als dem menschlichen Organismus fremd gebliebener unorganischer Stoff, die menschlichen Gewebe.
 
Ein solches kann zum Beispiel eintreten, wenn der Mensch nicht imstande ist, dasjenige, was mineralisiert - es ist ja ursprünglich organisch -, aber mineralisiert als Zucker in ihm auftritt, bis zu der Flüch
 
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tigkeit des Wärmeätherischen zu bringen. Dann setzt es sich vor jenem Zustande ab im Organismus, zu dem es kommen muß, wenn der ganze Organismus beteiligt sein soll an alldem, was da in ihm ist, und es entsteht die so schlimme Zuckerruhr, Diabetes mellitus. M`an muß also bei jedem Stoff ins Auge fassen, inwiefern der menschliche Organismus imstande sein kann, das Unlebendige, das entweder der Stoff schon bildet, wenn wir zum Beispiel Kochsalz essen, oder das es wird, wie beim Zucker, bis zur Wärmematerie hinzubringen, wo dann der Organismus, der auf der Erde eingewurzelt ist, seinen Anschluß findet an den geistigen Kosmos.
 
Jede solche Ablagerung im Menschen, die dann unverarbeitet bleibt wie diejenige, die bei Diabetes eintritt, bedeutet, daß der Mensch in sich nicht für die in ihm vorhandenen Stoffe den Anschluß an das Geistige des Kosmos findet. Das ist nur, ich möchte sagen, eine Einzelanwendung des allgemeinen Satzes, daß dasjenige, was äußerlich an den Menschen herantritt, im Inneren vom Menschen ganz durchgearbeitet werden muß. Man muß, wenn man für die Gesundheit eines Menschen sorgen will, vor allem dafür sorgen, daß nichts in den Menschen hinein- kommt, was so bleibt, wie es ist, was nicht bis in das geringste Atom hinein vom menschlichen Organismus umgearbeitet werden kann. Das bezieht sich nicht nur auf Stoffe, das bezieht sich zum Beispiel auch auf Kräfte.
 
Die äußere Wärme, die Wärme, die wir fühlen, wenn wir die Dinge angreifen, die äußere Wärme, die die Luft hat, sie muß, wenn sie vom menschlichen Organismus aufgenommen wird, umgewandelt werden so, daß tatsächlich die Wärme selbst im Menschen, wenn ich mich so ausdrücken darf, auf einem anderen Niveau liegt als außerhalb. Wenn ich das Wärmeniveau, das die äußere Wärme hat, mit diesem bezeichne (es wird gezeichnet), so muß sie, wenn sie von uns aufgenommen wird, innerlich etwas umgewandelt werden, so daß überall in das, worinnen wir nicht sind, in der äußeren Wärme, der Organismus eingreift. Auch in jedes kleinste Wärmequantum muß der Organismus eingreifen.
 
Nun denken Sie sich, ich gehe durch die Kälte, und weil die Kälte zu groß ist, oder weil die Kälte in bewegter Luft oder im Luftzug flackert, bin ich nicht imstande, so schnell, wie es notwendig wäre, die Welten
 
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wärme in meine eigene Wärme zu verwandeln. Dabei komme ich in die Gefahr, von der Weltenwärme erwärmt zu werden wie ein Stück Holz oder gar wie ein Stein, die von außen erwärmt werden. Das darf nicht sein. Ich darf nicht der Gefahr ausgesetzt werden, die äußere Wärme bloß wie einen Gegenstand in mich überfließen zu lassen. Ich muß in jedem Augenblicke in der Lage sein, von den Stellen meiner Haut an sofort die Wärme zu ergreifen und zu meiner eigenen zu machen. Bin ich das nicht imstande, so tritt die Erkältung ein.
 
Das ist der innere Vorgang der Erkältung. Die Erkältung ist eine Vergiftung durch äußere Wärme, die nicht vom Organismus in Besitz genommen worden Ist.
 
Sie sehen, alles das, was draußen in der Welt ist, ist Gift für den Menschen, richtige`s Gift, und wird erst dadurch etwas für den Menschen Brauchbares, daß der Mensch Besitz von ihm ergreift durch seine eigenen Kräfte. Denn nur vom Menschen gehen die Kräfte dann in menschlicher Weise hinauf zu den höheren Hierarchien; während sie draußen bei den elementarischen Naturwesen, bei den Elementargeistern bleiben. Beim Menschen muß diese wunderbare Umwandelung geschehen, daß die Elementargeister in der menschlichen Organisation ihre Arbeit den höheren Hierarchien übergeben können. Das kann für das Mineralische nur der Fall sein, wenn das Mineralische ganz und gar in Wärmeätherisches umgewandelt wird.
 
Sehen wir uns die Pflanzenwelt an. Diese Pflanzenwelt hat in der Tat etwas für den Menschen in mannigfaltiger Weise Bezauberndes, wenn er beginnt, mit dem Auge des Geistes die Pflanzendecke der Erde zu betrachten. Wir gehen hinaus auf die Wiese oder irgendwohin in den Wald. Wir graben uns meinetwillen eine Pflanze mit der Wurzel aus. Schauen wir das, was wir da ausgegraben haben, mit dem Auge des Geistes an, so haben wir eigentlich eine wunderbare zauberische Zusammenstellung. Die Wurzel erweist sich als etwas, von dem man eigentlich sagen kann: es ist ganz und gar aufgegangen in dem Irdischen. Ach, eine Pflanzenwurzel, je brutaler sie sich vor uns hinstellt, ist eigentlich etwas so furchtbar Irdisches. Denn es erinnert einen eine Pflanzenwurzel, besonders, sagen wir eine Rübenwurzel, eigentlich immer an einen satten Bankier. Ja, es ist so; es ist die Pflanzenwurzel so ungeheuer be
 
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häbig, so zufrieden mit sich. Sie hat die Salze der Erde in sich aufgenommen und fühlt sich so wohlig in diesem Gefühl, die Erde in sich aufgesogen zu haben. Es gibt eigentlich unter allem Irdischen nichts Zufriedeneres als solch eine Rübenwurzel, sie ist der Repräsentant des Wurzelhaften.
 
Schauen wir dagegen die Blüte an. Wir können eigentlich nicht anders, wenn wir ihr gegenüberstehen mit dem Auge des Geistes, als sie zu empfinden wie unsere eigene Seele, wenn diese die zartesten Wünsche hegt. Sehen Sie sich nur einmal so eine richtige Frühlingsblüte an; sie ist ja im Grunde genommen ein Wunschhauch; sie ist die Verkörperung einer Sehnsucht. Und es gießt sich eigentlich, wenn wir dazu zarten Seelensinn genug haben, über die Blütenwelt, die uns umgibt, etwas Wunderbares aus.
 
Wir sehen im Frühling das Veilchen oder meinetwillen den Märzbecher oder das Maiglöcklein oder manches gelbblühende Pflänzchen, und wir werden ergriffen davon, so wie wenn uns alle diese frühlingsblühenden Pflanzen sagen wollten: Ach, Mensch, wie rein und unschuldig kannst du eigentlich deine Wünsche nach dem Geistigen hin richten. - Die geistige Wunschnatur, ich möchte sagen, die in Frömmigkeit getauchte Wunschnatur sprießt und sproßt aus jeder Frühlingsblüte.
 
Wenn dann die späteren Blüten kommen - nehmen wir gleich das Extrem, nehmen wir die Herbstzeitlose -, ja, kann man denn mit Seelensinn die Herbstzeitlose anschauen, ohne ein leises Schamgefühl zu haben? Mahnt sie uns denn nicht daran, daß unsere Wünsche unrein werden können, daß unsere Wünsche durchzogen werden können von den mannigfaltigsten Unlauterkeiten? Man möchte sagen, die Herbst- zeitlosen sprechen von allen Seiten so zu uns, als wenn sie uns fortwährend zuraunen wollten: Schaue auf deine Wunschwelt hin, o Mensch, wie leicht du ein Sünder werden kannst.
 
Und so ist eigentlich die Pflanzenwelt der äußere Naturspiegel des menschlichen Gewissens. Man kann sich nichts Poetischeres denken, als diese im Inneren wie aus einem Punkt herauskommende Gewissensstimme verteilt zu denken auf die mannigfaltigsten Pflanzenblütenformen, die uns die Jahreszeiten hindurch so zur Seele reden, in der mannigfaltigsten
 
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Weise zur Seele reden. Die Pflanzenwelt ist der ausgebreitete Spiegel des Gewissens, wenn wir nur die Pflanzenwelt in der richtigen Weise anzusehen wissen.
 
Wenn wir dies ins Auge fassen, dann wird es uns besonders wichtig werden, auf die Pflanzenblüte hinzuschauen, zu vergleichen, wie die Blüte eigentlich die Sehnsucht ist nach den Lichtweiten des Weltenalls, wie die Blüte förmlich hinaufwächst, um die Wünsche der Erde den Lichtweiten des Weltenalls entgegenzuströmen, und wie auf der an- deren Seite die behäbige Wurzel die Pflanze erdengefesselt macht; wie die Wurzel es ist, welche fortdauernd der Pflanze abringt ihr Himmels- wünschen und es in Erdenbehaglichkeit umgestalten will.
 
Wir lernen begreifen, warum das so ist, wenn wir in der Evolutionsgeschichte der Erde darauf kommen, daß dasjenige, was in der Wurzel der Pflanze vorliegt, immer veranlagt worden ist in der Zeit, als der Mond noch bei der Erde war. In der Zeit, als der Mond noch bei der Erde war, wirkten die im Monde verankerten Kräfte innerhalb des Erdenkörpers so stark, daß sie die Pflanzen fast nur zur Wurzel werden ließen. Als der Mond noch bei der Erde war und die Erde noch eine ganz andere Substanz hatte, da breitete sich mächtig nach dem Unteren hin das Wurzelhafte aus. Und man kann dies so darstellen, daß man sagt, nach unten hin breitete sich das Pflanzen-Wurzelhafte mächtig aus, und nach oben guckten die Pflanzen nur heraus in das Weltenall (Tafel VII links, blau). Ich möchte sagen, wie feine Härchen trieben die Pflanzen ihre Triebe nach dem Weltenall hinaus. So daß man das Gefühl hat: während der Mond noch bei der Erde ist, fesselt dieser Mond, fesseln diese Mondenkräfte, die im Erdenkörper selber enthalten sind, das Pflanzliche an das Irdische. Und dasjenige, was dazumal sich in das Pflanzliche hineinversetzt hat, das bleibt dann in der Anlage im Wurzelhaften weiter.
 
Aber seit jener Zeit, wo der Mond die Erde verlassen hat, da entfaltet sich die Sehnsucht in den früher nur kleinen, winzigen Trieben, die hinauslugten nach dem Weltenall, da entfaltete sich die Sehnsucht nach den Weiten, nach den Lichtweiten des Weltenalls, und es entstand das Blütenhafte. So daß gewissermaßen der Mondenausgang für das Pflanzenreich eine Art von Befreiung war, eine richtige Befreiung.
 
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Aber wir müssen dabei doch ins Auge fassen, wie alles, was irdisch ist, in dem Geiste urständet. Während der alten Saturnzeit - nehmen Sie nur die Beschreibung, die ich in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» gegeben habe - war die Erde völlig geistig, lebte nur im wärmeätherischen Elemente, war ganz geistig. Aus dem Geistigen heraus hat sich ja erst das Irdische gebildet.
 
Nun schauen wir uns die Pflanze an. Sie trägt in ihrer Gestalt die lebendige Erinnerung an die Evolution mit sich. Sie trägt in ihrem Wurzelhaften mit sich das Erdigwerden, das Physisch-Stofflichwerden. Schauen wir die Pflanzenwurzel an, so finden wir des weiteren, daß sie uns sagt, sie ist nur möglich geworden dadurch, daß sich aus dem Geistigen heraus das Irdisch-Stoffliche entwickelt hat. Kaum ist aber die Erde entlastet vom Mondenhaften, da strebt die Pflanze wiederum zurück zu den Lichtweiten.
 
Wenn man nun das Pflanzliche als Nahrung genießt, dann gibt man der Pflanze Gelegenheit, das, was sie außen in der Natur schon begonnen hat, richtig fortzusetzen, zurückzustreben nicht nur zu den Licht- weiten des Kosmos, sondern zu den Geistweiten des Kosmos. Daher kommt es, daß wir das Pflanzliche, wie ich gestern gesagt habe, bis zum Luftartigen, bis zum Gasigen treiben müssen, damit das Pflanzliche seiner Sehnsucht nach den Lichtes-Geistesweiten folgen kann.
 
Ich gehe hinaus auf die Wiese. Ich schaue es der Blumenblüte, der Pflanzenblüte ab, wie sie nach dem Lichte strebt. Der Mensch genießt die Pflanze. Er hat in sich eine ganz andere Welt als draußen in der Umgebung. Er kann das, was die Pflanze draußen als Sehnsucht in der Blüte ausdrückt, in sich zur Erfüllung bringen. Wir sehen die in der Natur ausgebreitete Sehnsuchtswelt der Pflanzen. Wir genießen die Pflanzen. Wir treiben diese Sehnsucht der geistigen Welt in uns entgegen. Wir müssen dazu die Pflanzen ins Luftreich erheben, damit sie im leichteren Luftreiche die Möglichkeit haben, dem Geistigen entgegenzustreben.
 
Da macht die Pflanze einen sonderbaren Prozeß durch. Da geschieht, wenn der Mensch das Pflanzliche genießt, das Folgende: Wenn wir hier schematisch das Wurzelhafte haben (Tafel VII, Mitte rechts), dann dasjenige, was durch das Blatt zur Blüte strebt, dann haben wir bei diesem Luftartigwerden des Pflanzlichen innerlich ein völliges Umstülpen
 
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des Pflanzenwesens zu durchleben. Die Wurzel, die eben dadurch, daß sie in der Erde lebt, erdengefesselt ist, sie strebt hinauf; sie strebt am mächtigsten hinauf nach dem Geistigen und läßt das Blüten- streben hinter sich zurück. Es ist tatsächlich so, wie wenn Sie das Pflanzliche sich vorstellen würden in dieser Weise nach unten entfaltet, und Sie das Untere hier innen durchstecken könnten, so daß das Obere unten und das Untere oben wird [umgekehrtes Taschentuch]. Die Pflanze stülpt sich vollständig um. In sich selber gestaltet sie sich so, daß das Untere oben und das Obere unten ist. Was schon bis zur Blüte gediehen ist, das hat sozusagen im materiellen Streben das Licht genossen, hat die Materie bis zum Licht hinaufgebracht. Dadurch muß es zur Strafe das erleiden, daß es jetzt auch unten bleiben muß. Die Wurzel ist der Sklave des 'Irdischen gewesen; aber, das sehen Sie schon aus
 
Goethes Pflanzenmetamorphosenlehre, sie trägt zugleich die gesamte Pflanzennatur in sich. Sie strebt nach aufwärts.
 
Ja, wenn der Mensch einmal ein hartnäckiger Sünder ist, dann will er es auch bleiben. Die Wurzel der Pflanze, die, solange sie erdengefesselt ist, auf einen den Eindruck eines satten Bankiers macht, wird sofort, wenn der Mensch sie ißt, umgewandelt und strebt nach oben, während dasjenige, was die Materie ins Licht gebracht hat, die Blüte, unten bleiben muß. So daß wir an dem, was in der Pflanze wurzelhaft ist, etwas haben, was, wenn es genossen wird, eigentlich durch seine eigene Wesenheit nach dem Kopfe des Menschen hinstrebt, während dasjenige, was gegen die Blüte zu liegt, in den unteren Regionen bleibt; das kommt im Gesamtstoffwechsel nicht bis zur Kopfbildung hinauf.
 
Und so haben wir das merkwürdige, wunderbare Schauspiel, daß, wenn der Mensch das Pflanzliche genießt - er braucht natürlich nicht die ganze Pflanze zu genießen, denn jedes einzelne Stück der Pflanze enthält die ganze Pflanze; wie gesagt, sehen Sie sich da Goethes Metamorphosenlehre an -, wenn der Mensch die Pflanze genießt, verwandelt sie sich in ihm in Luft, in eine Luft, die von oben nach unten pflanzlich weiterschreitet, die von oben nach unten gewissermaßen blüht.
 
In Zeiten, in denen man solche Dinge durch das alte instinktive Hell- sehen gewußt hat, hat man die Pflanzen nach ihrer äußeren Beschaffenheit darauf angesehen, ob sie so sind, daß sie für den Kopf des Menschen
 
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etwas sein können, ob sie stark schon in der Wurzel angezeigt haben, daß sie Sehnsucht haben nach dem Geistigen. Dann wird dasjenige, was wIr von ihnen genießen, sich den Kopf des Menschen gewissermaßen bei der vollen Verdauung aufsuchen und bis in den Kopf dringen, um da hinaufzustreben nach dem geistigen Kosmos und mit dem die nötige Verbindung eingehen.
 
Bei Pflanzen, bei denen schon ein starkes Durchdrungensein mit Astralischem, wie zum Beispiel bei den Hülsenfrüchten, da ist, da wird selbst die Frucht in den unteren Regionen bleiben, nicht hinauf wollen bis zum Kopfe, dadurch aber den Schlaf dumpf und damit den Kopf, wenn der Mensch erwacht, dumpf machen. Die Pythagoreer wollten reine Denker bleiben, nicht die Verdauung zu Hilfe nehmen bei der Kopffunktion; daher haben sie die Bohnen verboten.
 
In dieser Weise kann man aus dem, was da ist in der Natur, die Beziehung zum Menschlichen und zu dem, was im Menschen geschieht, ahnen. Man weiß eigentlich, wenn man geistige Initiationswissenschaft hat, gar nicht, wie die materialistische Wissenschaft zurechtkommt bei der menschlichen Verdauung - gewiß, bei der Kuhverdauung ist es anders, davon werden wir auch noch sprechen - damit, daß sie meint, das Pflanzliche wird einfach aufgenommen. Es wird nicht aufgenommen bloß, es wird total vergeistigt. Es wird in sich selber so gestaltet, daß das Unterste sich zum Obersten und das Oberste sich zum Untersten kehrt. Man kann sich keine größere Umbildung denken. Und der Mensch wird sofort krank, wenn er auch nur das kleinste Quantum einer Pflanze genießt, bei der nicht das Unterste zuoberst und das Oberste zuunterst gekehrt wird.
 
Daraus aber ersehen Sie, daß der Mensch nichts in sich trägt, was nicht der Geist macht, denn dasjenige, was der Mensch stofflich aufnimmt, dem muß er erst eine Form geben, so daß der Geist seinen Einfluß darauf haben kann.
 
Wenn wir ans Tierische herangehen, dann müssen wir uns klar sein, daß das Tierische selbst zunächst die Verdauung hat, daß das Tierische aufnimmt zunächst das Pflanzliche. Sehen wir auf die Pflanzenfresser. Das Tierische nimmt das Pflanzliche in sich auf. Das ist wiederum ein sehr komplizierter Vorgang, denn indem das Tier das Pflanzliche in
 
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sich aufnimmt, kann ja das Tier keine menschliche Gestalt dem Pflanzlichen entgegensetzen. Daher kann sich im Tiere das Pflanzliche nicht von unten nach oben und von oben nach unten kehren. Das Tier hat seine Wirbelsäule parallel der Erdoberfläche. Dadurch wird dasjenige, was da geschehen will beim Verdauen, im Tiere ganz in Unordnung gebracht. (Tafel VII, rechts.) Da will das Untere nach oben, und es will das Obere nach unten, und die Sache staut sich, staut sich in sich selber, so daß die tierische Verdauung etwas wesentlich anderes ist als die menschliche Verdauung. Bei der tierischen Verdauung staut sich dasjenige, was in der Pflanze lebt. Die Folge davon ist, daß beim Tier dem Pflanzenwesen das Versprechen gegeben wird: du darfst deiner Sehnsucht nach den Weltenweiten genügen - aber es wird ihm das Versprechen nicht gehalten. Die Pflanze wird wiederum zurück zur Erde geworfen.
 
Dadurch aber, daß im tierischen Organismus die Pflanze zurück zur Erde geworfen wird, dringen sofort in die Pflanze, statt daß wie beim Menschen, wenn die Umkehr stattfindet, von oben die Weltengeister mit ihren Kräften eindringen, beim Tier gewisse Elementargeister ein. Und diese Elementargeister, die sind Angstgeister, Angstträger. So daß für die geistige Anschauung dieses Merkwürdige zu verfolgen ist: Das Tier selbst genießt die Nahrung, genießt sie in innerer Behaglichkeit; und während der Strom der Nahrung nach der einen Seite geht, geht ein Angststrom von Angst-Elementargeistern nach der anderen Seite. Fortwährend strömt in der Richtung der Verdauung durch den Verdauungskanal des Tieres das Wohlbehagen der Nahrungsaufnahme, und entgegengesetzt der Verdauung strömt eine furchtbare Strömung von Angst-Elementargeistigem.
 
Das ist auch dasjenige, was die Tiere zurücklassen, wenn sie sterben. Indem die Tiere, die also nicht denjenigen Ordnungen angehören, die ich in anderer Weise schon beschrieben habe, aber auch solche, die zum Beispiel den vierfüßigen Säugetieren angehören, indem diese Tiere sterben, stirbt immer, man könnte eigentlich sagen, lebt auf in ihrem Sterben ein Wesen, das ganz aus Ängstlichkeit zusammengesetzt ist. Mit dem Tier stirbt Angst, das heißt, lebt Angst auf. Bei Raubtieren ist es so, daß sie schon diese Angst mitgenießen. Das Raubtier, das seine
 
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Beute zerreißt, genießt mit Wohlbehagen das Fleisch. Und diesem Wohlgefallen am Fleischgenusse strömt entgegen die Angst, die Furcht, die das pflanzenfressende Tier erst beim Tode von sich gibt, die das Raubtier bereits ausströmt während seines Lebens. Daher sind solche Tiere, wie Löwen, Tiger, in ihrem astralischen Leibe von Angst durchsetzt, die sie zunächst nicht spüren während ihres Lebens, die aber nach ihrem Tode diese Tiere, weil es eben entgegengesetzt dem Wohlbehagen geht, zurücktreiben; so daß die fleischfressenden Tiere sogar noch ein Nach- leben haben in ihrer Gruppenseele, ein Nachleben, das ein viel furchtbareres Kamaloka darstellt, könnte man sagen, als es die Menschen jemals durchleben können, einfach dadurch, daß die Raubtiere diese Natur haben, die sie schon einmal haben.
 
Natürlich müssen Sie sich bei solchen Dingen vorstellen, daß das ja In einem anderen Bewußtsein erlebt wird. Also wenn Sie gleich wiederum materialistisch werden und nun anfangen zu denken, was das Raubtier erleben muß, indem Sie sich an seine Stelle versetzen, und jetzt sich denken: Wie muß solch ein Kamaloka für mich sein? - und dann anfangen, das Raubtier danach zu beurteilen, wie für Sie solch ein Kamaloka sein könnte, dann sind Sie natürlich materialistisch, eigentlich animalistisch; dann versetzen Sie sich in die tierische Natur. Natürlich, man muß diese Dinge verstehen, wenn man die Welt verstehen will, aber man darf nicht sozusagen in diese Dinge sich hineinversetzen, wie sich der Materialist für die ganze Welt in die leblose Materie hineinversetzt.
 
Hier beginnt ein Kapitel, über das ich ja nicht anders als seelisch spreche, denn Anthroposophie soll niemals agitatorisch auftreten, nicht für das eine und nicht für das andere eintreten, sondern nur eben die Wahrheit hinstellen. Was der Mensch dann für seine Lebensart für Konsequenzen zieht, das ist seine Sache, denn Anthroposophie gibt keine Vorschriften, sondern spricht die Wahrheiten aus. Daher werde ich niemals für die Fanatiker selber nun gewissermaßen Gebote aufstellen, die da folgen aus dem, was ein Tier gestaltet aus der Pflanzennahrung. Ich werde also von diesem Gesichtspunkte aus nicht in gebothafter Weise über Vegetarismus, Fleischessen und dergleichen sprechen, denn diese Dinge müssen schon durchaus in die Sphäre des eigenen Erwägens
 
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gelegt werden und haben eigentlich nur einen Wert, wenn sie in die Sphäre des eigenen Erlebens gelegt werden. Ich erwähne das, damit eben nicht die Meinung entsteht, Anthroposophie bedeute, für diese oder jene Ernährungsweise und dergleichen einzutreten, während sie in der Tat nur jede Art von Ernährungsweise begreiflich macht.
 
Dasjenige aber, was ich eben zeigen wollte, war, daß wir das Mineralische bis zum Wärmeätherischen treiben müssen, damit es das Geistige aufnehmen kann; dann wird vom Mineralischen aus, nach Aufnahme des Geistigen, der Mensch aufgebaut. Wenn der Mensch noch ganz jung ist, sagte ich, so hat er noch nicht die Kraft, das ganz Mineralische zum Wärmeätherischen zu treiben. Es wird ihm vorgearbeitet, indem er die Milch in sich aufzunehmen hat, in der schon eine Verwandlung geschehen ist; wodurch dann dasjenige, was in Wärmeätherisches verwandelt werden muß, leichter verwandelt werden kann, so daß beim Kinde die genossene Milch mit ihren Kräften sich rasch nach dem Haupte ergießt und vom Haupte aus die formbildenden Impulse entwickeln kann, wie sie beim Kinde notwendig sind. Denn die ganze Organisation des Kindes geht vom Haupte aus.
 
Wenn der Mensch sich diese formbildenden Kräfte in einem späteren Alter erhalten will, so tut er nicht gut, das durch den Milchgenuß zu befördern; denn dasjenige, was beim Kinde nach dem Haupte geht und durch die bis zum Zahnwechsel vorhandenen Kräfte des Hauptes in der Lage ist, gestaltend auszustrahlen in den ganzen Körper, das ist beim späteren, beim älteren Menschen nicht mehr vorhanden. Da muß dann der ganze übrige Organismus die gestaltenden Kräfte ausstrahlen. Und diese gestaltenden Kräfte für den übrigen Organismus, die können ganz besonders dadurch in ihrer Impulsivität gefördert werden, daß man irgend etwas nimmt, was anders wirkt als der Kopf.
 
Sehen Sie, der Kopf ist ringsherum geschlossen. In diesem Kopfe sind die kindlichen Impulse für die Gestaltung des Körpers. Im übrigen Körper, da haben wir Knochen innen, die gestaltenden Kräfte sind außen. (Tafel VII, links, gelb/weiß.) Da muß dasjenige, was die gestaltenden Kräfte sind, von außen angeregt werden. Wenn wir in den Menschen Milch hineinbringen, so werden diese gestaltenden Kräfte im Kopf angeregt, solange wir Kind sind. Wenn wir nicht mehr Kind sind,
 
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sind sie nicht mehr da. Was sollen wir denn da eigentlich dann tun, damit wir diese gestaltenden Kräfte mehr von außen anregen können?
 
Da wäre offenbar gut, wenn man in der Lage wäre, das, was da der Kopf tut, indem er von der Schädeldecke eingeschlossen ist, was er da ganz im Inneren drinnen tut, wenn man das in der äußeren Form haben könnte; wenn irgendwo von außen das gemacht würde, was der Kopf da im Inneren tut. Die Kräfte, die da drinnen sind, die sind für den Milchgenuß gut; wenn da die Milch in ihrer ätherischen Verwandlung drinnen ist, dann gibt sie eine gute Grundlage ab für diese Entwickelung der Kopfkräfte. Wir müßten zum Beispiel so etwas haben wie die Milch, was aber nicht im Inneren des Menschen fabriziert wird, sondern von außen fabriziert wird.
 
Da gibt es in der Natur etwas, was ein Kopf ist ohne die Schädeldecke, wo also von außen dieselben Kräfte wirken, die im Kopfe drinnen wirken, wo sie die Milch brauchen, sogar die Milch wieder erzeugen; denn das Kind muß die Milch erst in den wärmeätherischen Zustand überführen und sie dann wieder erzeugen. - Nun, ein Kopf, der nach allen Seiten offen ist, ist der Bienenstock. (Tafel VII, Mitte links.) Dasjenige, was die Bienen treiben, ist eigentlich dasselbe, nur in der äußeren Welt - wir geben ihnen höchstens als Unterstützung den Bienenkorb -, was der Kopf im Inneren treibt; nur ist es da nicht abgeschlossen, sondern von außen bewirkt. Wir haben dann im Bienenstock drinnen unter dem schon äußeren geistigen Einfluß dasselbe, was wir hier im Kopf unter dem geistigen Einfluß haben. Wir haben da den Honig drinnen im Bienenstock, und wenn wir den Honig nehmen und genießen ihn als älterer Mensch, dann gibt er uns für das, was jetzt mehr von außen die gestaltenden Kräfte geben muß, dieselbe Macht und Gewalt, die uns die Milch für den Kopf während des kindlichen Alters gibt.
 
Während wir also Kinder sind, fördern wir vom Kopfe aus die plastischen Kräfte durch den Milchgenuß; brauchen wir im späteren Alter noch plastizierende Kräfte, dann müssen wir Honig essen, und wir brauchen ihn nicht in furchtbaren Quantitäten zu essen, weil es nur darauf ankommt, die Kräfte zu haben von ihm.
 
Also man sieht der äußeren Natur ab, wie man dem menschlichen Leben Förderungsimpulse zuführen muß, wenn man diese äußere Natur
 
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völlig versteht. Und wenn man ein Land ausdenken wollte, wo es schöne Kinder und schöne alte Leute gibt, was müßte das für ein Land sein? Das müßte ein Land sein, wo «Milch und Honig fließt»! Sie sehen also, ein altes instinktives Schauen hat gar nicht mit Unrecht gesagt von solchen Ländern, nach denen man sich sehnte: das sind solche, «wo Milch und Honig fließt».
 
Manches solches einfache Wort enthält ungeheuer tiefe Weisheiten, und man hat eigentlich keine schöneren Erlebnisse, als zuerst mit aller möglichen Anstrengung die Wahrheit zu erforschen und dann irgendwo ein uralt heiliges Wahrwort zu finden, das von tiefer Weisheit strotzt, wie das von dem Lande, wo «Milch und Honig fließt». Denn das ist wirklich ein seltenes Land: da sind nur schöne Kinder und nur schöne Greise.
 
Sie sehen, den Menschen verstehen, setzt voraus, die Natur verstehen. Die Natur verstehen, gibt die Grundlage zum Menschenverständnis. Da führt immer das unterste Stoffliche bis hinauf zum höchsten Geistigen: die Reiche der Natur, mineralisches, tierisches, pflanzliches Reich an dem einen, unteren Pol, die Hierarchien an dem anderen, oberen Pol.
 
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= ZWÖLFTER VORTRAG Dornach, 11. November 1923 =
 
Wenn man sieht, wie im menschlichen Organismus das Äußerlich-Natürliche umgewandelt wird, zum Beispiel so radikal wie das Mineralische, das bis zum Wärmeätherischen hin kommen muß, dann wird man auch finden, wie dasjenige, was im natürlichen, im organisierten Menschen lebt, sich anschließt an das Geistige. Wenn man, wie man es so häufig im Sinne hat nach den Abbildungen, die etwa in den gebräuchlichen Handbüchern über Anatomie und Physiologie sind, sich vorstellt: der Mensch ist ein festes Gebilde und nimmt dann die äußeren Naturbestandteile auf, hält sie in sich fast unverwandelt, dann wird man natürlich immer unter dem Mangel einer Brücke leiden, die geschlagen werden muß hinüber von dem, was im natürlichen Menschen ist, zu dem, womit der Mensch verbunden ist seinem eigentlich Seelischen nach.
 
Zunächst wird man die Verbindung des Knochensystems, des Muskelsystems, die man sich so als feste Körper vorstellt, zum Beispiel mit der moralischen Weltordnung nicht finden können. Man wird sagen: das eine ist eben Natur, das andere ist etwas, was radikal verschieden ist von der Natur. Aber wenn man sich klar darüber ist, daß im Menschen alle Arten von Substantialität vorhanden sind, und daß alles durchgehen muß durch auch flüchtigere Arten von Substantialität, als die Muskeln und die Knochen sind, dann wird man finden, daß allerdings dasjenige, was flüchtiger, ätherischer ist, eine Verbindung eingehen kann mit dem, was die Impulse der moralischen Weltordnung sind.
An diesen Gedanken muß man anknüpfen, wenn man die Betrachtungen, die wir bereits angestellt haben, zu derjenigen Verbindung hinführen will, die der Mensch nach oben, nach dem Geistigen des Kosmos hat, nach denjenigen Wesenheiten, die wir als die Wesenheiten der höheren Hierarchien bezeichnet haben. Und so wollen wir denn, wie wir bei den verflossenen Vorträgen mehr ausgegangen sind von dem Natürlichen, heute ausgehen, sagen wir von dem, was geistig-moralisch unter den Menschen wirkt.
 
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Geistig, moralisch: das sind eigentlich für die moderne Zivilisation schon mehr oder weniger Begriffe geworden, die ein Konventionelles darstellen. Immer mehr und mehr ist zurückgegangen das ursprüngliche elementarische Fühlen des Moralisch-Geistigen in der menschlichen Wesenheit. Die moderne Zivilisation weist den Menschen zum Beispiel schon seiner ganzen Erziehung nach immer mehr und mehr darauf hin, zu fragen: Was ist üblich? Was hat sich konventionell festgesetzt? Was ist Gebot? Was ist Gesetz? und so weiter. - Sie geht weniger auf das, was aus dem Menschen eben herauskommt als Impulse, die da wurzeln an derjenigen Stelle, an die man sehr häufig in unbestimmter Art das Gewissen zum Beispiel verlegt. Dieses innerliche Sich-selber-Richtung-und-Ziel-Setzen, das ist etwas, was immer mehr und mehr in der modernen Zivilisation zurückgegangen ist. Daher ist schließlich das Geistig-Moralische etwas geworden, was heute mehr oder weniger im Konventionell-Traditionellen lebt.
 
Ältere Weltanschauungen, namentlich diejenigen, welche noch von instinktivem Hellsehen getragen waren, die brachten aus dem Inneren des Menschen die moralischen Impulse hervor, die zeitigten moralische Impulse. Diese moralischen Impulse sind da; aber sie sind heute traditionell geworden. Man muß sich nur klar darüber sein, wie stark das Moralische zum Beispiel traditionell geworden ist. Es soll damit selbstverständlich gar nichts gesagt werden gegen das Traditionelle im Moralischen - aber bedenken Sie nur, wie alt sind denn die Zehn Gebote? Sie werden gelehrt als etwas, das verzeichnet ist aus alten Zeiten her. Können wir sagen, daß heute es etwas Gewöhnliches ist, daß aus der ursprünglichen elementarischen Menschennatur etwas dergleichen hervorquillt, wie es einmal mit dem Dekalog, mit den Zehn Geboten war? Und aus was quillt denn das Moralisch-Geistige, das die Menschen sozial verbindet, das die sozialen Fäden schlägt von Person zu Person, hervor unter den Menschen?
Es gibt als die eigentlichen Quellen des Moralisch-Geistigen in der Menschheit nur dasjenige, was man Menschenverständnis nennen kann, gegenseitiges Menschenverständnis, und die auf dieses Verständnis der Menschen gebaute Menschenliebe. Wir mögen noch so sehr uns umsehen in der Entstehung der moralisch-geistigen Impulse der Menschen, inso-
 
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fern diese im sozialen Leben eine Rolle spielen, wir werden überall finden, daß da, wo elementar diese moralischen Impulse aus der Menschheit entsprungen sind, sie hervorkamen aus Menschenverständnis und aus Menschenliebe. Diese letzteren sind das eigentlich Treibende des sozial Geistig-Moralischen innerhalb der Menschheit. Und im Grunde genommen lebt der Mensch, insofern er ein geistiges Wesen ist, unter anderen Menschen nur davon, daß er Menschenverständnis und Menschenliebe entwickelt.
 
Nun können Sie eine bedeutungsvolle Frage aufwerfen, eine Frage, die zwar nicht immer aufgeworfen wird, die aber gerade dem Gesagten gegenüber eigentlich jedem auf der Zunge liegen müßte: Wenn Menschenliebe und Menschenverständnis die eigentlichen Impulse des menschlichen Zusammenlebens sind, woher kommt es denn, daß das Gegenteil, Menschenunverständnis und Menschenhaß, innerhalb unserer sozialen Ordnung auftreten?
 
Das ist eine Frage, welche am meisten von allen Menschen gerade die Initiierten beschäftigt hat. Die Initiationswissenschaft hat zu allen Zeiten, wo sie ursprünglich war, dies gerade als eine ihrer wichtigsten Fragen betrachtet. Aber diese Initiationswissenschaft hatte, als sie ursprünglich war, auch noch gewisse Mittel, hinter die Lösung dieser Frage zu kommen. Wenn man heute die gebräuchliche Wissenschaft anschaut, so kommt man eigentlich dazu, wenn man den Menschen betrachtet - die Gott-geschaffene Seele ist ja eigentlich veranlagt zu Menschenverständnis und Menschenliebe -, zu fragen: Warum wirken denn diese nicht als Selbstverständliches innerhalb der sozialen Ordnung? Woher kommt denn Menschenhaß und Menschenunverständnis? Und wenn wir sie nicht im Geistigen, im Seelischen suchen können, diesen Menschenunverstand und diesen Menschenhaß, müssen wir sie natürlich im Physisch-Leiblichen suchen.
 
Ja, aber nun antwortet uns die heutige gebräuchliche Wissenschaft, was das Physisch-Leibliche des Menschen ist: Blut, Nerven, Muskeln, Knochen. Man kann einen Knochen noch so lange anschauen, wenn man nur mit dem Auge der heutigen Naturwissenschaft blickt, man wird nicht sagen können: Dieser Knochen, der ist der Verführer des Menschen zum Haß. - Oder man wird das Blut noch so sehr nach den
 
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Prinzipien untersuchen können, nach denen heute untersucht wird, man wird nicht feststellen können auf diese Weise: Dieses Blut ist der Verführer des Menschen zum Menschenunverstand.
Das war allerdings in den Zeiten, in denen die Initiationswissenschaft ursprünglich war, ganz anders. Da sah man hin auf das Physisch-Leibliche des Menschen, und man hatte da das Gegenbild dessen, was man durch instinktiv es Hellsehen im Geistigen hatte. Wenn heute der Mensch vom Geistigen spricht, so redet er ja höchstens von abstrakten Gedanken; die sind ihm das Geistige. Und wenn ihm diese Gedanken zu dünn sind, dann bleiben ihm nur die Worte noch übrig, und er schreibt eine «Kritik der Sprache», wie es Fritz Mauthner getan hat. Durch eine solche Kritik der Sprache kommt man in die Möglichkeit, den Geist, der ohnedies schon dünn genug geworden ist, völlig verdunsten zu lassen in den bloß abstrakten Gedanken. Die mit instinktivem Hellsehen durchsetzte Initiationswissenschaft sah das Geistige nicht in abstrakten Gedanken. Sie sah das Geistige in Gestalten, in dem, was bildhaft war, was selber sprechen, tönen konnte. Sie sah das Geistige in Lebendigkeit. Dadurch, daß das Geistige in Lebendigkeit gesehen wurde, konnte auch noch das Physische, der Knochen, das Blut in Geistigkeit gesehen werden. Es gab in dieser Initiationswissenschaft nicht diese Gedanken, diese Vorstellung des Skelettes, die man heute hat. Dieses Skelett ist heute etwas, das betrachtet wird wie von einem rechnenden Architekten aufgebaut für den Anatomen oder für den Physiologen. Aber das ist es ja nicht. Dieses Skelett ist, wie Sie gesehen haben,- dadurch gestaltet, daß das Mineralische bis hinauf zum Wärmeäther getrieben wird, daß in den Wärmeäther die Kräfte der geistigen Hierarchien eingreifen, und dann daraus die Knochenformen gebildet werden.


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Wer also das Skelett richtig anschauen kann, dem verrät es den geistigen Ursprung. Und es ist wirklich so, daß derjenige, der das Skelett in der heutigen Form anschaut, ich meine in der Form, wie es die heutige Wissenschaft anschaut, einem Menschen gleicht, der da sagt: Hier habe ich eine bedruckte Seite, da sind Buchstabenformen. - Er beschreibt diese Buchstaben formen, aber er liest nicht, weil er nicht lesen kann. Er bezieht nicht das, was da in den Buchstabenformen sich ausdrückt, auf


Goethes Weltbetrachtung geht nur bis zu einer gewissen Grenze. Er beobachtet die Licht- und Farbenerscheinungen und dringt bis zum Urphänomen vor; er sucht sich innerhalb der Mannigfaltigkeit des Pflanzenwesens zurechtzufin­den und gelangt zu seiner sinnlich-übersinnlichen Urpflan­ze. Von dem Urphänomen oder der Urpflanze steigt er nicht zu höheren Erklärungsprinzipien auf. Das überläßt er den Philosophen. Er ist befriedigt, wenn «er sich auf der empi­rischen Höhe befindet, wo er rückwärts die Erfahrung in allen ihren Stufen überschauen, und vorwärts in das Reich der Theorie, wo nicht eintreten, doch einblicken kann». Goethe geht in der Betrachtung des Wirklichen so weit, bis ihm die Ideen entgegenblicken. In welchem Zusammenhange die Ideen untereinander stehen; wie innerhalb des Ideellen das eine aus dem andern hervorgeht; das sind Auf­gaben, die auf der empirischen Höhe erst beginnen, auf der Goethe stehen bleibt. «Die Idee ist ewig und einzig», meint er, « daß wir auch den Plural brauchen, ist nicht wohlgetan. Alles, was wir gewahr werden und wovon wir reden kön­nen, sind nur Manifestationen der Idee.» Da aber doch in der Erscheinung die Idee als eine Vielheit von Einzelideen auftritt, z. B. Idee der Pflanze, Idee des Tieres, so müssen diese sich auf eine Grundform zurückführen lassen, wie die Pflanze sich auf das Blatt zurückführen läßt. Auch die ein­zelnen Ideen sind nur in ihrer Erscheinung verschieden; in ihrem wahren Wesen sind sie identisch. Es ist also ebenso im Sinne der Goetheschen Weltanschauung, von einer Meta­morphose der Ideen wie von einer Metamorphose der Pflan­zen zu reden. Der Philosoph, der diese Metamorphose der
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das ihnen Zugrundeliegende; er beschreibt nur die Buchstabenformen. So beschreibt der heutige Anatom, der heutige Naturforscher die Knochen, als wenn sie auf gar nichts hindeuteten; sie deuten aber auf ihren Ursprung aus dem Geistigen hin.


Ideen darzustellen versucht hat, ist Hegel. Er ist dadurch der Philosoph der Goetheschen Weltanschauung. Von der einfachsten Idee, dem reinen «Sein» geht er aus. In diesem verbirgt sich die wahrhafte Gestalt der Welterscheinungen vollständig. Deren reicher Inhalt wird zum blutarmen Ab­straktum. Man hat Hegel vorgeworfen, daß er aus dem reinen «Sein» die ganze inhaltvolle Welt der Ideen ableitet. Aber das reine Sein enthält «der Idee nach» die ganze Ideenwelt, wie das Blatt der Idee nach die ganze Pflanze enthält. Hegel verfolgt die Metamorphosen der Idee von dem reinen ab­strakten Sein bis zu der Stufe, in der die Idee unmittelbar wirkliche Erscheinung wird. Er betrachtet als diese höchste Stufe die Erscheinung der Philosophie selbst. Denn in der Philosophie werden die in der Welt wirksamen Ideen in ih­rer ureigenen Gestalt angeschaut. In Goethes Weise gespro­chen könnte man etwa sagen: die Philosophie ist die Idee in ihrer größten Ausbreitung; das reine Sein ist die Idee in ih­rer äußersten Zusammenziehung. Daß Hegel in der Philo­sophie die vollkommenste Metamorphose der Idee sieht, beweist, daß ihm die wahre Selbstbeachtung ebenso ferne liegt wie Goethe. Ein Ding hat seine höchste Metamorphose erreicht, wenn es in der Wahrnehmung, im unmittelbaren Leben seinen vollen Inhalt herausarbeitet. Die Philosophie aber enthält den Ideengehalt der Welt nicht in Form des Le­bens, sondern in Form von Gedanken. Die lebendige Idee, die Idee als Wahrnehmung, ist allein der menschlichen Selbstbeobachtung gegeben. Hegels Philosophie ist keine Weltanschauung der Freiheit, weil sie den Weltinhalt in sei­ner höchsten Form nicht auf dem Grunde der menschlichen Persönlichkeit sucht. Auf diesem Grunde wird aller Inhalt ganz individuell. Nicht dieses Individuelle sucht Hegel, son­dern
So ist es mit allem, was physische Naturgesetze, was ätherische Naturgesetze sind. Alles ist wie das Schriftzeichen von dem, was geistige Welt ist. Und erst dann versteht man diese Dinge, wenn man sie auffassen kann als Schriftzeichen aus den geistigen Welten.


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Dann aber, wenn man so hinschauen kann auf den menschlichen physischen Organismus, dann wird man etwas gewahr, was in jenes Gebiet gehört, von dem die Initiierten allerZeiten - das heißt diejenigen eben, die es wirklich waren - gesagt haben: Übertritt man die Schwelle in die geistige Welt, dann wird man zunächst gewahr etwas, was schreckhaft ist, was gar nicht einmal leicht zunächst zu ertragen ist. Die Menschen wollen ja zumeist von dem, was ihnen erstrebenswert erscheint, wohlgefällig berührt werden. Allein es ist schon so, daß man durch den Schrecken durchgehen muß, wenn man die geistige Wirklichkeit, das heißt, überhaupt die wahre Wirklichkeit kennenlernen will. Denn mit Bezug auf die Menschengestalt, wie sie anatomisch-physiologisch sich uns vor Augen stellt, merkt man: sie ist aufgebaut aus der geistigen Welt heraus aus zwei Elementen, die da sind moralische Kälte und Haß.
Wir tragen wirklich in der Seele die Anlage zur Menschenliebe und zu jener Wärme, zu jener moralischen Wärme, die den anderen Menschen versteht. Wir tragen aber in unseren festen Bestandteilen des Organismus die moralische Kälte. Das ist jene Kraft, die gewissermaßen aus der geistigen Welt heraus unsere physische Organisation zusammenbackt. Und wir tragen in uns den Impuls des Hasses. Der ist dasjenige, was aus der geistigen Welt heraus die Zirkulation des Blutes bewirkt. Und während wir vielleicht mit einer sehr liebenden Seele, mit einer Seele, die nach Menschenverständnis dürstet, durch die Welt gehen, müssen wir gewahr werden, daß im Unterbewußten unten, da, wo die Seele hineinströmt und hineinimpulsiert in das Körperliche, damit wir überhaupt einen Körper an uns tragen können, die Kälte sitzt. Ich werde immer von Kälte sprechen, ich meine die moralische Kälte, die aber allerdings auf dem Umwege durch den Wärmeäther in die physi-


das Allgemeine, die Gattung. Er verlegt den Ursprung des Sittlichen daher auch nicht in das menschliche Individu­um, sondern in die außer dem Menschen liegende Weltord­nung, welche die sittlichen Ideen enthalten soll. Der Mensch gibt sich nicht selbst sein sittliches Ziel, sondern er hat sich der sittlichen Weltordnung einzugliedern. Das Einzelne, In­dividuelle gilt Hegel geradezu als das Schlechte, wenn es in seiner Einzelheit verharrt. Erst innerhalb des Ganzen erhält es seinen Wert. Dies ist die Gesinnung der Bourgeoisie, meint Max Stirner «und ihr Dichter Goethe, wie ihr Philo­soph Hegel haben die Abhängigkeit des Subjekts vom Ob­jekte, den Gehorsam gegen die objektive Welt usw. zu ver­herrlichen gewußt». Damit ist wieder eine andere einseitige Vorstellungsart hingestellt. Hegel wie Goethe fehlt die An­schauung der Freiheit, weil beiden die Anschauung des in­nersten Wesens der Gedankenwelt abgeht. Hegel fühlt sich durchaus als Philosoph der Goetheschen Weltanschauung. Er schreibt am 20. Februar 1821 an Goethe: «Das Einfache und Abstrakte, was Sie sehr treffend das Urphänomen nen­nen, stellen Sie an die Spitze, zeigen dann die konkreteren Erscheinungen auf als entstehend durch das Hinzukommen weiterer Einwirkungsweisen und Umstände und regieren den ganzen Verlauf so, daß die Reihenfolge von den einfa­chen Bedingungen zu den zusammengesetztem fortschrei­tet und so rangiert, das Verwickelte nun durch diese De­komposition in seiner Klarheit erscheint. Das Urphänomen auszuspüren, es von den andern, ihm selbst zufälligen Um­gebungen zu befreien, - es abstrakt, wie wir dies heißen, aufzufassen, dies halte ich für eine Sache des großen geisti­gen Natursinns, sowie jenen Gang überhaupt für das wahr­haft Wissenschaftliche der Erkenntnis in diesem Felde.»
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sche Kälte übergehen kann. Da unten in uns sitzt im Unterbewußten die moralische Kälte und der Haß, und der Mensch bringt in seine Seele leicht dasjenige herein, was in seinem Körper sitzt, so daß seine Seele gewissermaßen angesteckt werden kann von Menschenunverständnis; das ist aber das Ergebnis von der moralischen Kälte und vom Menschenhaß. Weil das so ist, muß der Mensch moralische Wärme, das heißt, Menschenverständnis und Liebe eigentlich erst in sich heranerziehen, denn diese müssen besiegen, was aus dem Körperlichen kommt.


«Darf ich Ew. usw. aber nun auch noch von dem besondern Interesse sprechen, welches ein so herausgehobenes Urphä­nomen für uns Philosophen hat, daß wir nämlich ein solches Präparat geradezu in den philosophischen Nutzen verwen­den können! - Haben wir nämlich endlich unser zunächst austernhaftes, graues oder ganz schwarzes ... Absolutes doch gegen Luft und Licht hingearbeitet, daß es desselben be­gehrlich geworden, so brauchen wir Fensterstellen, um es vollends an das Licht des Tages herauszuführen; unsere Schemen würden zu Dunst verschweben, wenn wir sie so geradezu in die bunte verworrene Gesellschaft der wider­hältigen Welt versetzen wollten. Hier kommen uns nun Ew. usw. Urphänomene vortrefflich zustatten; in diesem Zwie­lichte, geistig und begreiflich durch seine Einfachheit, sicht­lich oder greiflich durch seine Sinnlichkeit - begrüßen sich die beiden Welten, unser Abstruses und das erscheinende Dasein, einander.»
Nun kann eben nicht geleugnet werden - das stellt sich dem geistigen Blicke mit aller Klarheit dar -, daß mit unserer Zeit, mit unserer Zivilisation, die mit dem 15.Jahrhundert begonnen hat, und auf der einen Seite intellektualistisch, auf der anderen Seite materialistisch geworden ist, verbunden ist, daß auf dem Grunde der Seelen vieles an Menschenunverständnis und Menschenhaß vorhanden ist. Mehr als man glaubt, ist das der Fall. Denn gewahr wird man eigentlich erst, wieviel im menschlichen Unbewußten Menschenunverständnis und Menschenhaß vorhanden ist, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geschritten ist. Da zieht er heraus sein Seelisch-Geistiges aus dem Physisch-Leiblichen. Das Physisch-Leibliche legt er ab. Die Impulse der Kälte, die Impulse des Hasses zeigen sich dann als bloße Naturkräfte; sie sind dann bloße Naturkräfte.


Wenn auch Goethes Weltanschauung und Hegels Philo­sophie einander vollkommen entsprechen, so würde man sich doch sehr irren, wenn man den Gedanken-Leistungen Goethes und denen Hegels den gleichen Wert zuerkennen wollte. In beiden lebt dieselbe Vorstellungsweise. Beide wollen die Selbstwahrnehmung vermeiden. Doch hat Goe­the seine Reflexionen auf Gebieten angestellt, in denen der Mangel der Wahrnehmung nicht schädlich wirkt. Hat er auch nie die Ideenwelt als Wahrnehmung gesehen; er hat doch in der Ideenwelt gelebt und seine Beobachtungen von ihr durchdringen lassen. Hegel hat die Ideenwelt ebenso­wenig wie Goethe als Wahrnehmung, als individuelles Geist-Dasein geschaut. Er hat aber gerade über die Ideen­welt seine Reflexionen angestellt. Diese sind daher nach vielen­
Sehen wir uns den Leichnam an. Sehen wir uns mit dem geistigen Auge selbst den ätherischen Leichnam an. Wir haben da hinzuschauen auf etwas, was ein moralisches Urteil nicht mehr hervorruft, ebensowenig wie die Pflanze, wie der Stein. Was da an Moralischem darinnensteckte, das hat sich in Naturkräfte verwandelt. Aber der Mensch hat viel herausgesogen während seines Lebens; das nimmt er mit durch die Pforte des Todes. Und so ziehen sich das Ich und der astralische Leib zurück, und sie nehmen mit, indem sie es herausziehen, was während des Lebens unbemerkt geblieben ist, weil es immer wiederum ganz in den physischen und ätherischen Leib untertauchte. Sie nehmen mit, dieses Ich und der astralische Leib, in die geistige Welt hinein all die Impulse des Menschenhasses und der Kälte gegenüber den Menschen, die eben in der Seele Platz gegriffen haben. Ich sagte, man merkt erst, wieviel gerade in unserer Zivilisation durch verschiedene Dinge, von denen


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Richtungen hin schief und unwahr. Hätte Hegel Beob­achtungen über die Natur angestellt, so wären sie wohl ebenso wertvoll geworden wie diejenigen Goethes; hätte Goethe ein philosophisches Gedankengebäude aufstellen wollen, so hätte ihn wohl die sichere Anschauung der wah­ren Wirklichkeit verlassen, die ihn bei seinen Naturbetrach­tungen geleitet hat.  
wir noch sprechen werden, eingepflanzt wird im Menschen an Menschenunverstand und Menschenhaß, wenn man den Menschen durch die Pforte des Todes gehen sieht. Denn der heutige Mensch trägt viel von diesen beiden Impulsen durch die Pforte desTodes hindurch, ungeheuer viel.


= NACHWORT ZUR NEUAUFLAGE 1918 =
Aber das, was er da mitträgt, ist ja der geistige Rest desjenigen, was im Physischen sein soll, was den physischen und ätherischen Leib ausmachen soll. Der Mensch trägt in dem Menschenunverstande und im Menschenhasse die Reste dessen in die geistige Welt hinein, was eigentlich der physischen Welt angehört; und er trägt es auf eine geistige Weise hinein. Es könnte dem Menschen niemals frommen, das weiter durch den Zeitenlauf zu tragen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, denn er könnte gar nicht weiterkommen, er würde bei jedem weiteren Schritte in seiner 'Fortentwickelung zwischen dem Tode und einer neuen Geburt straucheln, wenn er diesen Menschenunverstand und diesen Menschenhaß weitertragen müßte. In der übersinnlichen Welt, in die die sogenannten Toten eintreten, sieht man eigentlich heute fortwährend lauter Ströme, die, wenn sie so wirken würden, wie sie unmittelbar sind, die Menschen aufhalten würden in ihrem Fortschritte. Diese Ströme, von was rühren sie denn her?
<nowiki>#</nowiki>G006-1963-SE210 - Goethes Weltanschauung
Will man wissen, wovon sie herrühren, so braucht man sich nur das heutige Leben anzuschauen. Die Menschen gehen aneinander vorbei, sie sehen wenig hin, welche Eigentümlichkeiten der andere hat. Sind denn die Menschen heute nicht meistens so geartet, daß ein jeder richtig und gut findet, wie er selber ist? Und wenn der andere anders ist, so geht er nicht liebevoll auf diesen anderen ein, sondern er kommt nur zu dem Urteil, der sollte anders sein, wobei zuletzt meistens das dahinter ist, daß er sich sagt: Der sollte so sein wie ich. - Man bringt sich das nicht immer zum Bewußtsein, aber es steckt gerade im gesellschaftlichen Verkehre, im sozialen Verkehre der Menschen darinnen. In demjenigen, was heute zutage gefördert wird, ich möchte sagen in der Form der Menschensprache, lebt ja so wenig von dem, was Verständnis des anderen Menschen ist. Die Menschen brüllen in die Welt hinaus, wie sie sich vorstellen, daß der Mensch sein soll, wobei meistens nichts anderes dahinter ist, als das: wie man selber ist, so sollen alle Menschen sein. Wenn dann irgend jemand kommt, der ganz anders ist, so ist er nun gleich,


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wenn man sich das auch nicht voll zum Bewußtsein bringt, ein Feind, ein Mensch, gegen den man Antipathie entwickelt. Da fehlt es an Menschenverständnis, an der moralischen Wärme, da fehlt es an Liebe. Und im selben Maße, in dem es an diesem fehlt, geht moralische Kälte, geht Menschenhaß mit dem Menschen durch die Pforte des Todes, hält ihn dort auf.
 
Aber da findet der Mensch zunächst, da seine Weiterentwickelung nicht nur sein Eigenziel ist, sondern seine Weiterentwickelung das Ziel der ganzen Weltenordnung ist, der weisheitsvollen Weltenordnung, da findet er dort zunächst die Wesenheiten der dritten Hierarchie, die Angeloi, Archangeloi, Archai. In der ersten Zeit, nachdem der Mensch durchgegangen ist durch die Pforte des Todes in die Welt, die zwischen dem Tod und einer neuen Geburt liegt, neigen sie sich dem Menschen zu und nehmen ihm gnadevoll die Kälte, die vom Menschenunverstand kommt, ab. Und wir sehen, wie die Wesenheiten der dritten Hierarchie sich belasten mit dem, was ihnen der Mensch auf die geschilderte Weise hineinträgt in die geistige Welt, indem er durch die Pforte des Todes geht.
 
Länger muß er die Reste des Menschenhasses forttragen, denn die können ihm nur abgenommen werden durch die Gnade der zweiten Hierarchie, der Exusiai, der Kyriotetes, der Dynamis. Die nehmen ihm dann ab alles das, was geblieben ist von Menschenhaß.
 
Dann aber ist der Mensch mittlerweile ungefähr bis in diejenige Region gekommen zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, in der ihren Aufenthaltsort haben die Wesenheiten der ersten Hierarchie, die Seraphim, Cherubim, Throne: das, was ich in meinen Mysterien die Mitternachtsstunde des geistigen Daseins genannt habe. Der Mensch könnte gar nicht durch diese Region der Seraphim, Cherubim und Throne durchgehen, ohne innerlich völlig vernichtet zu werden, das heißt, ausgelöscht zu werden, wenn er nicht vorher gnadevoll abgenommen erhalten hätte durch die Wesen der dritten und der zweiten Hierarchie Menschenunverständnis, das heißt moralische Kälte und Menschenhaß. So sehen wir denn, wie der Mensch, damit er den Anschluß findet an diejenigen Impulse, die zu seiner Weiterentwickelung beitragen können, zunächst beladen muß die Wesenheiten der höheren Hierarchien
 
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mit dem, was er aus seiner physischen und ätherischen Natur, wo es hingehört, hinaufträgt in die geistigen Welten.
 
Allerdings, wenn man dies alles durchschaut, wenn man da nun sieht, wie diese moralische Kälte in der geistigen Welt waltet, dann weiß man auch zu beurteilen die Verwandtschaft dieser geistigen Kälte mit dem, was physische Kälte hier unten ist. Diese physische Kälte, die in Schnee und Eis ist, ist ja nur das physische Abbild dieser moralisch- geistigen Kälte, die da oben ist. Hat man beide vor sich, so kann man sie vergleichen. Während der Mensch in dieser Weise abgenommen erhält Menschenunverstand und Menschenhaß, kann man ihn mit dem geistigen Auge verfolgen, wie er allmählich seine Gestalt sozusagen zunächst wie verliert, wie diese Gestalt mehr oder weniger abschmilzt, möchte man sagen.
Für den geistigen Blick der Imagination sieht der Mensch, wenn er durch die Pforte des Todes geschritten ist, eigentlich noch ähnlich aus, wie er hier auf Erden war. Denn das, was der Mensch hier auf Erden in sich trägt, das sind die Substanzen, die mehr oder weniger in körniger Form, sagen wir, in atomistischer Form in ihm sitzen; aber die Gestalt des Menschen, die ist ja geistig. Wir müssen uns klar sein darüber: es ist einfach Unsinn, sich die Gestalt des Menschen physisch vorzustellen; (Tafel VIII)
 
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wir müssen uns die Gestalt des Menschen geistig vorstellen. Das Physische darinnen, das ist gewissermaßen überall in kleinen Partikelchen drinnen. Die Gestalt, die nur ein Kraftkörper ist, hält dies, was sonst in einen Haufen auseinanderfallen würde, gestaltmäßig zusammen. Wenn man einen jeden von Ihnen beim Schopfe fassen und ihm die Gestalt wegziehen könnte, dann fiele das Physische und auch das Ätherische wie ein Sandhaufen hinunter. Daß das kein Sandhaufen ist, daß das verteilt ist und Gestalt annimmt, das rührt von nichts Physischem her, das rührt von Geistigem her. Der Mensch geht ja als Geistiges hier in der physischen Welt herum. Es ist Unsinn, daß der Mensch bloß ein physisches Wesen ist; seine Gestalt ist rein geistig. Das Physische ist, annähernd ausgedrückt, ein Haufen von Bröselchen.
 
Diese Gestalt aber, die hat der Mensch noch, wenn er durch die Pforte des Todes gegangen ist. Man sieht sie schimmernd, schillernd, in Farben glänzend. Nur daß der Mensch zuerst dasjenige verliert, was die Gestalt seines Hauptes ist; dann schmilzt allmählich das andere ab. Und es ist der Mensch vollständig metamorphosiert, wie zu einer Art Abbild des Kosmos geworden in der Zeit, in der er zwischen dem Tod und einer neuen Geburt in die Region der Seraphim, Cherubim und Throne kommt.
So sieht man also, wenn man den Menschen verfolgt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, ihn zunächst, ich möchte sagen, weiter weben, indem er seine Gestalt nach und nach verliert von oben nach unten. Aber indem sozusagen das Letzte von unten verlorengeht, hat sich schon etwas gebildet, was eine wunderbare Geistgestalt ist, die in sich wie ein Abbild ist der ganzen Weltensphäre und die zu gleicher Zeit das Vorbild ist des künftigen Kopfes, den der Mensch an sich tragen wird. Da ist der Mensch eingewoben in eine Tätigkeit, an der sich nicht nur die Wesen der unteren Hierarchien, sondern die Wesen der höchsten Hierarchien, der Seraphim, Cherubim und Throne beteiligen.
Was geschieht da? Da geschieht eigentlich das Wunderbarste, was man sich überhaupt vorstellen kann als Mensch. Denn da geht dasjenige, was der Mensch als unterer Mensch hier im Leben gewesen ist, in die Kopfbildung über. Wenn wir hier auf Erden herumgehen, da haben wir nur unseren armen Kopf als das Organ des Vorstellens, als das Organ, das Ge-
 
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danken trägt. Aber Gedanken sind auch die Begleiter unserer Brust, Gedanken sind die Begleiter namentlich unserer Gliedmaßen. Aber in dem Augenblicke, wo wir nun nicht bloß mit dem Kopf denken, sondern mit den Gliedmaßen zum Beispiel anfangen zu denken, in diesem Augenblicke geht uns die ganze Realität des Karma auf. Wir wissen nichts von unserem Karma, weil wir immer nur mit diesem eigentlich oberflächlichsten Organ, mit dem Gehirn denken. In dem Augenblicke, wo wir mit den Fingern zu denken beginnen - und man kann gerade mit den Fingern, mit den Zehen viel heller denken, wenn man sich dazu aufgeschwungen hat, als mit den Nerven des Kopfes -, in dem Augenblicke, wo wir mit dem, was nicht ganz Materie geworden ist, mit dem unteren Menschen anfangen zu denken, sind unsere Gedanken die Gedanken unseres Karma. Wenn wir mit der Hand nicht bloß greifen, sondern denken, dann verfolgen wir mit der Hand denkend unser Karma. Und insbesondere mit den Füßen, wenn wir nicht bloß gehen, sondern wenn wir mit den Füßen denken, verfolgen wir mit besonderer Klarheit unser Karma. Daß der Mensch auf Erden so borniert ist - verzeihen Sie, es fällt mir halt kein anderes Wort ein -, das rührt davon her, daß er all sein Denken in diese Region des Kopfes einschließt. Aber man kann mit dem ganzen Menschen denken. Und wenn man mit dem ganzen Menschen denkt, so ist hier für die mittlere Partie eine ganze Kosmologie, eine wunderbare Weltenweisheit unser eigen. Und für die unteren Partien und für die Gliedmaßen überhaupt ist das Karma unser eigen. (Tafel VIII / Zeichnung S. 203.)
 
Wir tun ja schon viel, wenn wir hier auf Erden einen gehenden Menschen betrachten und nicht ganz stumpf sind, sondern die Schönheit des Schrittes, das Charakteristische des Schrittes verfolgen, und wenn wir zum Beispiel seine Hände auf uns wirken lassen und diese Hände interpretieren und finden, daß die wunderbarsten Zeugnisse für das Menscheninnere in jeder Fingerbewegung liegen. Aber das ist nur der kleinste Teil dessen, was mit dem gehenden, mit dem greifenden, mit dem fingerbewegenden Menschen sich mitbewegt. Da bewegt sich ja sein ganzer moralischer Mensch, da bewegt sich sein Schicksal mit, da bewegt sich alles dasjenige mit, was er geistig ist. Und wenn wir, nachdem der Mensch durch die Pforte des Todes geschritten ist, verfolgen kön-
 
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nen, wie die Gestalt da abschmilzt - es schmilzt zuerst das ab, was an die physische Gestalt erinnert -, dann kommt dasjenige zur Erscheinung, was allerdings mehr der physischen Gestaltung ähnlich ist, aber durch seine innere Natur, durch seine innere Wesenheit ankündigt, daß es eigentlich die Gestalt des Moralischen ist. Und so wird der Mensch, indem er sich der Mitternachtsstunde des Daseins nähert, indem er in die Sphäre der Seraphim, Cherubim und Throne kommt. Dann sehen wir, wie da die wunderbare Metamorphose vor sich geht, wie da, ich kann sagen, abschmilzt die Gestalt. Aber das ist nicht das eigentlich Wichtige. Es sieht aus, wie wenn sie abschmelzen würde, aber in Wahrheit arbeiten da die geistigen Wesenheiten der höheren Welten mit dem Menschen zusammen, mit denjenigen Menschen, die selber an sich arbeiten, aber auch mit denen, die karmisch verbunden sind - ein Mensch arbeitet an dem anderen - aus der früheren Gestalt des Menschen, aus der Gestalt des vorhergehenden Erdenlebens dasjenige aus, was dann die Gestalt der nächsten Inkarnation, zunächst geistig, wird.
 
Diese Geistgestalt, die verbindet sich dann erst mit dem, was im physischen Leben als Embryo dem Menschen gegeben wird. Aber da oben in der geistigen Welt, da wandelt sich Fuß und Bein um zum Kiefer des Kopfes. Da wandelt sich der Arm und die Hand um zu dem Jochknochen des Kopfes. Da wandelt sich der ganze untere Mensch um in das, was jetzt Geistanlage für den späteren Kopf wird. Das ist, sage ich, das Wunderbarste, das man aus der Welt heraus erkennend erleben kann, wie da diese Metamorphose geschieht: wie gewissermaßen zuerst ein Abbild der ganzen Welt geschaffen wird, und wie das hineindifferenziert wird in die Gestalt, an der alles Moralische haftet - nachdem aber alles das abgenommen worden ist, was ich gesagt habe -, wie sich das, was da war, umwandelt in das, was da wird. Und dann sieht man den Menschen als Geistgestalt weiterwandeln, wiederum zurück in die Region der zweiten Hierarchie, in die Region der dritten Hierarchie. Jetzt muß dieser umgewandelten Geistgestalt gewissermaßen das angesetzt werden - denn sie ist im Grunde nur die Anlage für den künftigen Kopf -, was Brustorgane werden, was Gliedmaßenorgane, Stoffwechselorgane werden. Das muß angesetzt werden. Woher kommen die geistigen Impulse zu diesem Ansetzen?
 
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Ja, die haben die Wesenheiten der zweiten und der dritten Hierarchie gnadevoll aufgesammelt, als der Mensch auf der ersten Hälfte des Weges war. Sie haben sie seinem Moralischen abgenommen; sie bringen sie jetzt wiederum herab und formen daraus die Anlage für den rhythmischen und für den Stoffwechsel-Gliedmaßenmenschen. Dann erhält der Mensch in dieser späteren Zeit des Daseins zwischen dem Tod und einer neuen Geburt die Ingredienzien, die geistigen Ingredienzien für den physischen Organismus. In das Embryonale fährt hinein diese Geistgestalt und trägt hinein das, was nun physische Kräfte, ätherische Kräfte werden, die aber nur das physische Abbild sind von dem, was wir aus dem früheren Leben mittragen als Menschenunverständnis und Menschenhaß, aus dem unsere Gliedmaßen geistig gebildet worden sind.
 
Wenn man solche Anschauungen haben will, muß man sich eigentlich eine ganz andere Art des Empfindens aneignen, als man sie für die physische Welt braucht. Denn man muß hinschauen können auf das, was am Menschen in der angedeuteten Weise aus dem Geiste heraus physisch wird, und man muß ertragen können, daß in den Knochen Kälte, moralische Kälte im physischen Abbild lebt, daß im Blute moralischer Haß im physischen Abbild lebt. Man muß gewissermaßen wiederum lernen, ganz objektiv auf diese Dinge hinzuschauen.
 
Allerdings, wenn man in diese Dinge so hineinblickt, dann merkt man im Grunde genommen erst den Unterschied zwischen dem Menscheninneren und dem, was äußere Natur ist.
 
Gedenken Sie doch der Tatsache, die ich erwähnte, daß wir in den Blüten des Pflanzen reiches etwas erblicken wie das auseinandergelegte Gewissen des Menschen. Das, was da draußen ist, ist gewissermaßen das Bild unseres Seelischen. Was wir zunächst in unserem Inneren haben, das sind Kräfte, die nur der äußeren Natur nicht verwandt ausschauen. Der Knochen kann nur dadurch Knochen sein, daß er den kohlensauren und den phosphorsauren Kalk, wenn sie mineralisch auftreten, haßt, sich vor ihnen zurückzieht, sich in sich selber zusammenzieht und etwas anderes wird, als was kohlensaurer und phosphorsaurer Kalk draußen in der Natur sind. Man muß sich zu der Anschauung aufschwingen können, daß, damit der Mensch eine physische Gestalt haben kann, in seinem Physischen Haß und Kälte sein müssen.
 
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Da gewinnen unsere Worte, ich möchte sagen eine innere Bedeutung. Wenn unsere Knochen eine bestimmte Härte haben, ist es gut für sie; sie haben diese Härte als ein physisches Abbild der geistigen Kälte. Wenn unsere Seele eine gewisse Härte hat, ist es für das soziale Leben nicht gut. Das physische Wesen des Menschen muß eben anders sein als sein Seelisches. Darin besteht gerade die Möglichkeit, daß der Mensch Mensch ist, daß sein physisches Wesen anders ist als sein Seelisch-Geistiges. Dieses physische Wesen des Menschen ist auch anders als die um- liegende physische Natur. Darauf beruht die Notwendigkeit der Umwandelung, von der ich Ihnen gesprochen habe.
 
Aber Sie sehen, diese wichtige Ergänzung zu dem, was ich einstmals in dem Kursus, der über Kosmologie, Philosophie und Religion handelte, gesagt habe, diese notwendige Ergänzung für die Verbindung des Menschen mit den Hierarchien, die mußten wir einmal anbringen. Wir konnten sie aber nur anbringen, wenn wir gerade solche Ausgangspunkte gewonnen hatten, wie diejenigen der letzten Vorträge sind. Geradeso wie man mit dem geistigen Blick durchschaut, was die einzelnen Wesen des mineralischen, tierischen, pflanzlichen Reiches hier auf der Erde sind, so schaut man hinein in die Arbeit der Hierarchien, die von Zeit zu Zeit ebenso verläuft, wie von Zeit zu Zeit hier unten das physische Naturgeschehen und die Menschenarbeit verlaufen.
 
Wenn man so das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, das heißt, das Leben in der geistigen Welt anschaut, dann kann man in einer ebensolchen Weise in Einzelheiten beschreiben, was der Mensch durchmacht zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, wie man biographisch beschreiben kann, was er hier auf der Erde zwischen Geburt und Tod durchmacht. Und so müßte eigentlich, ich möchte sagen, gehofft werden, daß alles das, was an Menschenunverstand und Menschenhaß durch die Menschen, wenn sie durch die Pforte des Todes gehen, hinaufgetragen wird in die geistige Welt, daß das auch wiederum dem Menschen mitgegeben wird, das heißt, daß daraus, es veredelnd, Menschengestalten geschaffen werden.
Nun hat sich aber im Laufe von langen Jahrhunderten für die gegenwärtige Entwickelung der Erdenmenschheit etwas sehr Sonderbares ergeben. Es konnten in der geistigen Welt nicht alle Menschenunver-
 
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ständnis- und Menschenhasseskräfte für neue Menschenbildungen, für neue Menschengestalten aufgebraucht werden. Es blieb ein Rest. Dieser Rest ist im Laufe der letzten Jahrhunderte auf die Erde heruntergeströmt, so daß in der geistigen Erdenatmosphäre, ich möchte sagen im Astrallicht der Erde, sich als Einschlag befindet eine Summe von Impulsen von außer dem Menschen vorhandenen Menschenhaß und Menschenverachtung. Die sind nicht menschliche Gestalten geworden; die strömen im Astrallicht um die Erde herum. Die wirken in die Menschen herein, aber jetzt nicht in dasjenige, was der einzelne Mensch ist; sie wirken in das herein, was die Menschen miteinander auf der Erde formen. Sie wirken in die Zivilisation herein. Und innerhalb der Zivilisation haben sie das angerichtet, was mich in die Notwendigkeit versetzt hat, im Frühling 1914 in Wien davon zu sprechen, daß unsere gegenwärtige Zivilisation durchsetzt ist von einem geistigen Karzinom, von einer geistigen Krebskrankheit, von geistigen Geschwüren.
 
Dazumal hat man nicht gern hingehorcht darauf, daß dies ausgesprochen wurde in Wien in dem Zyklus, der gehandelt hat über die Erscheinungen zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Aber seither haben die Menschen schon einiges von dem erfahren, was die Wahrheit des damals getanen Ausspruches war. Dazumal lebten nur die Menschen in Gedankenlosigkeit über dasjenige, was durch die Zivilisation strömt. Sie sahen nicht, daß wirkliche Geschwürbildungen der Zivilisation da waren: sie sind nur von 1914 an aufgebrochen. Sie zeigen sich heute als ganz verdorbene geistige Zivilisationssubstanzen. Man kann allerdings das, was in der Zivilisation lebt, auch als ein einheitliches geistiges Gebilde anschauen. Ja, dann stellt sich gerade für diese moderne Zivilisation heraus, in die eingeströmt sind die Strömungen von Menschenhaß und von Menschenkälte, die nicht verwendet worden sind bei Menschenbildungen: das, was da eingeströmt ist, lebt sich aus als das Parasitäre der modernen Zivilisation.


NACHWORT ZUR NEUAUFLAGE 1918
Die moderne Zivilisation hat etwas tief Parasitäres; sie ist wie das Stück eines Organismus, das von Parasiten, von Bazillen durchzogen ist. Was an Gedanken die Menschen angehäuft haben, das ist da, ohne in lebendiger Verbindung mit den Menschen zu sein. Denken Sie nur einmal, wie es in den allertäglichsten Erscheinungen zutage tritt. Ein


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Von Beurteilern dieser Schrift wurde gleich nach ihrem Erscheinen gesagt, daß sie nicht ein Bild von Goethes «Weltanschauung», sondern nur von seiner «Naturanschauung» gebe. Ich bin nicht der Ansicht, daß dieses Urteil von einem berechtigten Gesichtspunkte aus gefällt ist, wenn auch, äu­ßerlich betrachtet, in dem Buche fast ausschließlich von Goethes Naturideen die Rede ist. Denn ich glaube im Ver­laufe meiner Ausführungen gezeigt zu haben, daß diese Na­turideen auf einer ganz bestimmten Art, die Welterschei­nungen anzusehen, beruhen. Und ich meine, durch die Schrift selbst, angedeutet zu haben, daß das Einnehmen ei­nes Gesichtspunktes gegenüber den Naturerscheinungen, wie ihn Goethe gehabt hat, zu bestimmten Ansichten, über psychologische, historische und weitergehende Weltener­scheinungen führen kann. Was sich in Goethes Naturan­schauung auf einem bestimmten Gebiete aus spricht, ist eben eine Weltanschauung, nicht eine bloße Naturanschauung, die auch eine Persönlichkeit haben könnte, deren Gedanken für ein weiteres Weltbild keine Bedeutung haben. Andrer­seits aber glaubte ich in diesem Buche nichts anderes dar­stellen zu sollen, als was sich in unmittelbarem Anschlusse an das Gebiet sagen läßt, das Goethe selbst aus dem Gesamtumfange seiner Weltanschauung herausgearbeitet hat. Das Weltbild zu zeichnen, das sich in Goethes Dichtungen, in seinen kunstgeschichtlichen Ideen usw. offenbart, ist selbstverständlich durchaus möglich und zweifellos von dem al­lerhöchsten Interesse. Wer die Haltung der vorliegenden Schrift ins Auge faßt, wird in derselben ein solches Weltbild aber nicht suchen. Ein solcher wird erkennen, daß ich mir
Mensch, der etwas lernen muß, weil der Inhalt des zu Lernenden nun schon einmal da ist, der aber nicht mit Enthusiasmus lernt, sondern der sich hinsetzen muß und eben lernen muß, um durch ein Examen zu gehen, oder um einen richtigen Beamten vorzustellen oder dergleichen mehr: ja, für den ist keine elementare Verbindung da zwischen dem, was er aufnimmt, und dem, was in seiner Seele eigentlich an Begehrungsvermögen nach Aufnehmen des Geistigen lebt. Es ist gerade so, wie wenn ein Mensch, der nicht eingerichtet ist darauf, Hunger zu haben, fortwährend Nahrungsmittel in sich hineinstopft. Sie machen die Verwandlungen nicht durch, von denen ich gesprochen habe, sie werden Ballast in seinem Wesen, sie werden zuletzt etwas, was gerade die Parasiten herbeiruft.


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Vieles in unserer modernen Zivilisation, das wie abgesondert vom Menschen bleibt, das wie, ich möchte sagen, lauter Mistelpflanzen - geistig gedacht - auf dem lebt, was der Mensch aus den ursprünglichen Impulsen seines Herzens, seines Gemütes hervorbringt, vieles von dem lebt so, daß es sich als parasitäres Dasein unserer Zivilisation auslebt. Und wer das mit geistigem Blicke anschaut, wer unsere Zivilisation sozusagen im Astrallichte schaut, für den war eben schon 1914 eine hochgradige Krebs-, eine Karzinombildung vorhanden, für den war die ganze Zivilisation von etwas Parasitärem durchzogen. Aber nun tritt zu dem Parasitären etwas anderes hinzu.


zur Aufgabe gemacht habe, denjenigen Teil des Goethe­schen Weltbildes nachzuzeichnen, für den in seinen eigenen Schriften Ausführungen vorhanden sind, deren eine aus der anderen lückenlos hervorgeht. Ich habe ja auch an den ver­schiedensten Stellen angedeutet, wo die Punkte liegen, an denen Goethe steckengeblieben ist in dieser lückenlosen Herausarbeitung seines Weltbildes, die ihm für gewisse Na­turgebiete gelungen ist. Goethes Ansichten über die Welt und das Leben offenbaren sich in weitestem Umfange. Das Hervorgehen dieser Ansichten aus seiner ihm ureigenen Weltanschauung ist aber aus seinen Werken über das Ge­biet der Naturerscheinungen hinaus nicht in der gleichen Art anschaulich wie auf diesem Gebiete. Auf anderen Ge­bieten wird anschaulich, was Goethes Seele der Welt zu offenbaren hatte; auf dem Gebiete seiner Naturideen wird ersichtlich, wie der Grundzug seines Geistes eine Weltan­schauung bis zu einer gewissen Grenze Schritt für Schritt sich erobert. Gerade dadurch, daß man in der Zeichnung von Goethes Gedankenarbeit einmal nicht weiter geht als in der Ausführung desjenigen liegt, was sich in ihm selbst zu einem gedanklich geschlossenen Stück Weltanschauung herausgebildet hat, wird man ein Licht gewinnen für die be­sondere Färbung dessen, was sich sonst in seinem Lebenswerk offenbart. Deshalb wollte ich nicht das Weltbild ma­len, das aus Goethes Lebenswerk im Ganzen spricht, son­dern denjenigen Teil, der bei ihm selbst in der Form zu Tage tritt, in der man eine Weltanschauung gedanklich zum Aus­drucke bringt. Aus einer noch so großen Persönlichkeit hervorquellende Anschauungen sind noch nicht Teile eines in sich geschlossenen und von der Persönlichkeit selbst zu­sammenhängend gedachten Weltanschauungsbildes. Aber
Ich habe Ihnen sozusagen geistig-physiologisch dargestellt, wie aus der Natur der Gnomen und Undinen, die von unten heraufwirken,- im Menschen organisch die Möglichkeit entsteht, parasitäre Impulse zu haben. Dann aber, sagte ich, entsteht das Gegenbild. Dann wird von oben heruntergetragen durch Sylphen und Wärme-Elementarwesen das Giftige. Und so wird in einer Zivilisation, die den parasitären Charakter trägt, wie die unsrige, das, was von oben, das heißt, was als spirituelle Wahrheit hineinströmt, nicht durch sich zum Gift, aber in Gift verwandelt im Menschen, so daß er es, wie ich es beschrieben habe im «Goetheanum», in Angst zurückweist und sich allerlei Gründe erfindet, um es zurückzuweisen. Die zwei Dinge gehören zusammen: parasitäre Kultur unten, nicht aus dem elementarischen Gesetze hervorspringend, daher Parasiten in sich enthaltend, und sich senkendes Gift, sich senkende


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Goethes Naturideen sind ein solches in sich geschlossenes Stück eines Weltanschauungsbildes. Und sie sind als Be­leuchtung von Naturerscheinungen nicht eine bloße Naturansicht, sondern das Glied einer Weltanschauung.
Spiritualität von oben, die, indem sie in die Zivilisation eindringt, von den Menschen so aufgenommen wird, daß sie zum Gifte wird. Dann haben Sie, wenn Sie dies bedenken, das wichtigste Symptomatische für unsere gegenwärtige Zivilisation. Und es ergibt sich, wenn man die Dinge durchschaut, einfach ganz von selbst das Kulturpädagogische, das dagegen als Heilmittel auftreten muß. Wie sich aus der wirklichen Diagnose, der wirklichen Pathologie ergibt die rationelle Therapie, so ergibt sich aus der Diagnose der Kulturkrankheit die Therapie, indem das eine das andere herbeizieht. (Tafel VIII, rechts oben.)


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Es ist ganz klar, daß die Menschheit heute wiederum etwas von einer Zivilisation braucht, die ganz nahe an das Menschengemüt und Menschenherz herankommt, die unmittelbar aus Menschengemüt und Menschenherz hervorkommt. Wenn man das Kind heute, wenn es In die Volksschule hereinkommt, heranbringt an diese ja einer Hochzivilisation angehörigen Buchstabenformen, die es jetzt lernen soll als A, B, C, da hat es ja gar nichts in seinem Herzen, in seinem Gemüt damit zu tun. Es hat gar keine Beziehung dazu. Das, was es da in seinem Kopf, in seinem Gemüt entwickelt, indem es A, B, C lernen muß, das ist Parasit in der menschlichen Natur, geistig-seelisch gedacht.


Daß man mir auch angesichts dieses Buches vorgeworfen hat, meine Anschauungen haben sich seit dem Erscheinen desselben geändert, wundert mich nicht, da ich nicht unbe­kannt bin mit den Voraussetzungen, von denen man sich bei solchen Urteilen leiten läßt. Ich habe mich in der Vor­rede zum ersten Bande meiner «Rätsel der Philosophie» und in einem Aufsatze in der Zeitschrift «Das Reich»(«Die Geisteswissenschaft als Anthroposophie und die zeitgenös­sische Erkenntnistheorie», 2. Jahrgang, 2. Buch des «Rei­ches») über dieses Suchen nach Widersprüchen in meinen Schriften ausgesprochen. Ein solches Suchen ist nur bei Be­urteilern möglich, die völlig verkennen, wie gerade meine Weltanschauung sich verhalten muß, wenn sie verschiedene Gebiete des Lebens ins Auge fassen will. Ich will hier nicht im allgemeinen auf diese Frage noch einmal eingehen, son­dern nur kurz einiges mit Bezug auf dieses Goethebuch be­merken. Ich selber sehe in der anthroposophisch orientier­ten Geisteswissenschaft, die ich in meinen Schriften seit 16 Jahren zur Darstellung bringe, diejenige Erkenntnisart für den dem Menschen zugänglichen geistigen Weltgehalt, zu welcher derjenige kommen muß, der die Goetheschen Natur­ideen als etwas ihm Gemäßes in seiner Seele belebt hat und von da ausgehend zu Erkennmiserlebnissen über das Geistgebiet der Welt strebt. Ich bin der Ansicht, daß diese Geisteswissenschaft eine Naturwissenschaft voraussetzt, die der
So ist ja durch unsere ganze Bildungszeit hindurch vieles, was parasitisch heute aus der Zivilisation an den Menschen herandringt. Daher müssen wir, wenn das Kind in die Schule kommt, solche pädagogische Kunst entwickeln, welche aus dem kindlichen Gemüte heraus schafft. Wir müssen das Kind Farben formen lassen, und dann diese Farben- formen, die aus Freude, aus Enttäuschung, aus allen möglichen Gefühlen entstehen, zu Papier bringen lassen: Freude - Schmerz! Was da das (Tafel VIII)


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Goetheschen entspricht. Nicht so nur meine ich das, daß die von mir zur Darstellung gebrachte Geisteswissenschaft die­ser Naturwissenschaft nicht widerspricht. Denn ich weiß, daß es wenig besagen will, wenn zwischen verschiedenen Behauptungen nur kein logischer Widerspruch ist. Sie könn­ten deshalb doch in der Wirklichkeit durchaus unverträglich sein. Sondern ich glaube einzusehen, daß Goethes Ideen über das Naturgebiet, wirklich erlebt, zu den von mir darge­legten anthroposophischen Erkenntnissen notwendig füh­ren müssen, wenn man, was Goethe noch nicht getan hat, die Erlebnisse im Naturgebiet überleitet zu Erlebnissen im Geistgebiet. Wie diese letzteren Erlebnisse geartet sind, das findet man in meinen geisteswissenschaftlichen Werken be­schrieben. Aus diesem Grunde findet man den wesentlichen Inhalt des vorliegenden Buches, das ich 1897 zum ersten Male veröffentlicht habe, als meine Wiedergabe der Goethe­schen Weltanschauung auch jetzt, nach der Veröffentli­chung meiner geisteswissenschaftlichen Schriften, wieder abgedruckt. Alle darin dargestellten Gedanken gelten mir unverändert auch heute. Ich habe nur an einzelnen Stellen Änderungen angebracht, die sich nicht auf die Haltung der Gedanken, sondern nur auf Stilisierung einzelner Ausfüh­rungen erstrecken. Und daß man, nach zwanzig Jahren, bei einem Buche da oder dort einiges anders zu stilisieren wünscht, kann am Ende begreiflich erscheinen. Was sonst in der Neuauflage anders ist als in der vorigen sind einige Erweiterungen, nicht Änderungen des Inhalts. Ich bin der Meinung, daß wer einen naturwissenschaftlichen Unterbau für die Geisteswissenschaft sucht, ihn durch Goethes Welt­anschauung finden kann. Deshalb scheint mir, daß eine Schrift über Goethes Weltanschauung auch dem von Bedeutung­
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Kind, indem es einfach sein Gemüt entfalten läßt, zu Papier bringt, das steht mit dem Menschen in Verbindung; das gibt kein Parasitäres. Das gibt etwas, was aus dem Menschen herauswächst wie seine Finger, wie seine Nase, während das, was der Mensch annimmt, indem er geführt wird an die Ergebnisse einer Hochzivilisation in den Buchstaben, zu Parasitärem führt.


sein kann, der sich mit der anthroposophisch orien­tierten Geisteswissenschaft beschäftigen will. Meine Schrift ist aber so gehalten, daß sie Goethes Weltanschauung ganz für sich, ohne Bezug zur eigentlichen Geisteswissenschaft, betrach­ten will. (Einiges von dem, was von besonderem geisteswis­senschaftlichen Gesichtspunkte über Goethe zu sagen ist, wird man in meiner Schrift über «Goethes Faust und das Märchen von der grünen Schlange» finden.)
Und in dem Augenblicke, wo wir dieses Anknüpfen der pädagogischen Kunst an das haben, was dem Menschengemüte und Menschenherzen ganz nahe liegt, bringen wir auch das Spirituelle an den Menschen heran, ohne daß es in ihm zum Gift wird. Und Sie haben da zuerst die Diagnose, die da findet: unsere Zivilisation ist von Karzinomen durchzogen, und dann die Therapie - nun, die Waldorfschul-Pädagogik!
Die Waldorfschul-Pädagogik ist nicht anders aufgebaut, meine lieben Freunde. Aus ganz derselben Denkweise heraus, aus der man medizinisch denkt, ist da über die Kultur gedacht. Und so sehen Sie hier im speziellen Falle angewendet, was ich vor ein paar Tagen gesagt habe: daß eigentlich das Menschenwesen von unten, von der Ernährung an durch die Heilung nach oben in die geistige Entwickelung geht, und daß man die Pädagogik als eine ins Geistige übersetzte Medizin anzusehen hat. Das aber tritt uns mit besonderer Schärfe hervor, wenn wir die Kulturtherapie finden wollen. Denn diese Kulturtherapie können wir nur denken als die Waldorfschul-Pädagogik.


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Natürlich können Sie sich denken, wie es einem zumute ist, wenn- man diesen Zusammenhang nicht nur durchschaut, sondern in diesem Zusammenhang diese Waldorfschul-Pädagogik praktisch auszubauen versuchte, und jetzt unter dem allgemeinen Ergebnis des Zivilisationskarzinoms in Mitteleuropa Zustände eintreten, die ja, wie Sie selbst heute wohl schon begreifen werden, wahrscheinlich das, was praktische Waldorfschul-Pädagogik ist, recht sehr gefährden, wenn nicht gar unmöglich machen werden.
Solche Gedanken sollten wir nicht von uns weisen. Wir sollten sie in uns gerade als Impulse sein lassen, überall da, wo wir noch können, mitzuwirken an der Therapie unserer Kultur. Vielfach ist es ja heute aber wirklich so: Wie aus einer gewissen geistigen Erkenntnis heraus


Nachträgliche Anmerkung: Ein Kritiker dieses meines Goe­thebuches (in den Kantstudien III, 1898) hat geglaubt, einen besonderen Fund in bezug auf meine «Widersprüche» zu machen, indem er, was ich in diesem Buche über den Plato­nismus sage (in der ersten Auflage 1897) zusammenstellt mit einem Ausspruche, dem ich fast ganz zur selben Zeit in meiner Einleitung zum 4. Band von Goethes naturwissen­schaftlichen Schriften (Kürschnersche Ausgabe) getan ha­be: «Die Philosophie Platos ist eines der erhabensten Ge­dankengebäude, die je aus dem Geiste der Menschheit ent­sprungen sind. Es gehört zu den traurigsten Zeichen unse­rer Zeit, daß platonische Anschauungsweise in der Philoso­phie geradezu für das Gegenteil von gesunder Vernunft gilt.» Es wird gewissen Geistern eben schwer begreiflich, daß ein jeglich Ding von verschiedenen Seiten betrachtet, verschieden sich darstellt. Daß meine verschiedenen Aus­sprüche über den Platonismus keinen wirklichen Wider­spruch darstellen, wird derjenige leicht einsehen, der nicht an die bloßen Wortklänge sich hält, sondern auf die ver­schiedenen Beziehungen eingeht, in die ich das eine und das andere Mal den Platonismus, durch seine eigene Wesenheit,
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von mir während meines Helsingforser Zyklus 1913 die Inferiorität des Woodrow Wlson ausgesprochen wurde, der dann eine Art weltlicher Herrgott geworden ist für viele Zivilisationsmenschen und über den die Menschen erst jetzt, weil sie nicht mehr anders können, sich einige Klarheit machen -, wie es da gegangen ist, so ist es auch mit demjenigen gegangen, was dazumal über das Zivilisationskarzinom gesagt worden ist. Nun, dazumal ist es halt mit diesen Dingen so gegangen; heute geht es mit den Dingen, die für unsere Zeit gelten, ebenso: Es wird geschlafen. Uns geziemt aber denn doch das Erwachen. Und Anthroposophie hat alle Impulse für ein richtiges Kulturerwachen in sich, für ein richtiges Kulturerwachen des Menschen!


bringen mußte. Es ist einerseits ein trauriges Zeichen, wenn man den Platonismus als der gesunden Vernunft widerstre­bend ansieht, weil man dieser nur gemäß findet das Stehen­bleiben bei der bloßen Sinnesanschauung als der einzigen Wirklichkeit. Und es ist auch einer gesunden Anschauung von Idee und Sinneswelt widerstrebend, wenn man den Pla­tonismus so wendet, daß durch ihn eine ungesunde Tren­nung von Idee und Sinnesanschauung bewirkt wird. Wer auf eine solche Art gedanklicher Durchdringung der Er­scheinungen des Lebens nicht eingehen kann, der bleibt, mit dem, was er begreift, immer außerhalb der Wirklichkeit stehen. Wer - um mit Goethe zu reden - einen Begriff hin­pfahlt, um einen reichen Lebensinhalt zu begrenzen, der hat keinen Sinn dafür, daß sich das Leben in Beziehungen aus­gestaltet, die nach den verschiedenen Richtungen hin ver­schieden wirken. Es ist allerdings bequemer, an die Stelle einer Ansicht des vollen Lebens einen schematischen Begriff zu setzen; man kann mit solchen Begriffen eben leicht sche­matisch urteilen. Man lebt aber durch einen solchen Vor­gang in wesenlosen Abstraktionen. Die menschlichen Be­griffe werden gerade dadurch zu solchen Abstraktionen, daß man meint, man könne sie im Verstande so behandeln, wie die Dinge einander behandeln. Aber diese Begriffe gleichen vielmehr Bildern, die man von verschiedenen Seiten her von einem Dinge aufnimmt. Das Ding ist eines; der Bilder sind viele. Und nicht die Einstellung auf ein Bild, sondern das Zusammenschauen mehrerer Bilder führt zu einer An­schauung des Dinges. Da ich nun leider sehen mußte, wie viel Neigung bei manchen Beurteilern vorhanden ist, aus einer solchen, nach Durchdringung mit der Wirklichkeit strebenden Betrachten einer Erscheinung unter verschiedenen­
Das ist es, was ich Ihnen nun in dem letzten dieser Vorträge sagen wollte.


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Gesichtspunkten «Widersprüche» zu konstruieren, so fühlte ich mich veranlaßt, in dieser Neuauflage bei den Aus­führungen über den Platonismus erstens durch eine etwas veränderte Stilisierung der in der ersten Auflage gegebenen Darstellung dasjenige noch besonders deutlich zu machen, was mir vor zwanzig Jahren wahrlich klar genug aus dem Zusammenhange, in dem er steht, zu sein schien; zweitens durch unmittelbares Setzen des Ausspruches aus meiner an­dern Schrift neben das, was in diesem Buche gesagt ist, zu zeigen, wie die beiden Aussprüche in vollem Einklang mit­einander stehen. Wer nun aber doch den Geschmack hat, in solchen Dingen Widersprüche zu finden, dem habe ich dadurch die Mühe erspart, sie erst aus zwei Büchern zusam­mensuchen zu müssen.
= HINWEISE =


= Literatur =
= Literatur =
* [[a:Rudolf Steiner|Rudolf Steiner]]: ''Goethes Weltanschauung'', [[GA 6]] (1990), ISBN 3-7274-0060-9; '''Tb 625''', ISBN 978-3-7274-6250-4 {{Schriften|006}}
* [[a:Rudolf Steiner|Rudolf Steiner]]: ''Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes'', [[GA 230]] (1993), ISBN 3-7274-2300-5 {{Vorträge|230}}


{{GA}}
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== Originalausgaben ==
[[Kategorie:GA 230 Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes|!]]
* [https://www.odysseetheater.org/ftp/anthroposophie/Rudolf_Steiner/Faksimiles/GA006_1897.pdf Ausgabe 1897]
[[Kategorie:GA]] [[Kategorie:GA (Mitgliedervorträge)]] [[Kategorie:Gesamtausgabe]] [[Kategorie:Taschenbücher]]
* [https://www.odysseetheater.org/ftp/anthroposophie/Rudolf_Steiner/Faksimiles/GA006_1918.pdf Ausgabe 1918]
[[en:GA 230]]
* [https://www.odysseetheater.org/ftp/anthroposophie/Rudolf_Steiner/Faksimiles/GA006_1921.pdf Ausgabe 1921]
 
[[Kategorie:GA 6 Goethes Weltanschauung|!|!]] [[Kategorie:GA (Schriften)|GA 006]] [[Kategorie:GA|GA 006]] [[Kategorie:Gesamtausgabe|GA 006]] [[Kategorie:Taschenbücher|GA 006]]
[[en:GA 6]]

Version vom 22. Oktober 2023, 11:19 Uhr

ansehen im RUDOLF STEINER VERLAG

RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Der Mensch als Zusammenklang
des schaffenden, bildenden und gestaltenden
Weltenwortes

Zwölf Vorträge, gehalten in Dornach
vom 19. Oktober bis 11. November 1923

GA 230

1985

Inhaltsverzeichnis


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I Der Zusammenhang der Weltenverhältnisse, der Erdenverhältnisse und der Tierwelt mit dem Menschen

10


11

ERSTER VORTRAG Dornach, 19. Oktober 1923

Es ist in unseren Betrachtungen öfter gesagt worden und spielte auch in den letzten Vorträgen über den Jahreslauf und das Michael-Problem eine gewisse Rolle, daß der Mensch in seinem ganzen Bau, in seinen Lebensverhältnissen, eigentlich in allem, was er ist, eine kleine Welt darstellt, einen Mikrokosmos gegenüber dem Makrokosmos, daß er wirklich in sich enthält alle Gesetzmäßigkeit der Welt, alle Geheimnisse der Welt. Nur müssen Sie sich nicht vorstellen, daß das vollständige Verstehen dieses ja ganz abstrakten Satzes ein einfaches ist. Man muß schon sozusagen in die Mannigfaltigkeit der Weltengeheimnisse eindringen, um dann diese Geheimnisse im Menschen wiederzufinden.

Nun wollen wir heute einmal diese Sache so betrachten, daß wir auf der einen Seite von gewissen Ausgangspunkten aus uns die Welt anschauen und dann den Menschen anschauen, um zu finden, wie der Mensch als eine kleine Welt in der großen Welt darinnen ist. Natürlich ist dasjenige, was man von der großen Welt sagen kann, ja immer ein kleiner Ausschnitt. Es kann nie ein Vollständiges darstellen, sonst müßte man in der Betrachtung wenigstens die ganze Welt durchwandeln.

Sehen wir zuerst einmal hin auf dasjenige, was sich uns am allernächsten Oberen, wenn ich so sagen darf, darstellt. Sehen wir auf diejenige menschliche Umgebung, die in der Tierreihe das Leben sozusagen in den Lüften hat, und zwar diejenige Klasse, welche in der auffallendsten Art das Leben in den Lüften hat: das ist das Vogelgeschlecht.

Es kann einem nicht entgehen, daß der Vogel, der in den Lüften wohnt, der aus den Lüften seine Daseinsbedingungen schöpft, als Tier wesentlich anders gebaut ist als die Tiere, die unmittelbar über dem Erdboden wohnen, oder die etwa gar unter dem Erdboden wohnen. Und wenn wir hinschauen auf das Vogelgeschlecht, so finden wir uns natürlich nach allgemeinen, menschlich üblichen Ansichten genötigt, beim Vogel auch von Kopf und Gliedmaßen und dergleichen zu sprechen. Aber das ist eigentlich im Grunde eine recht unkünstlerische Betrachtungsweise. Und darauf habe ich schon öfter aufmerksam gemacht,

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daß, wenn man die Welt eigentlich wirklich kennenlernen will, man bei dem intellektualistischen Begreifen nicht stehenbleiben kann, daß das Intellektualistische allmählich hinübergleiten muß in das künstlerische Auffassen der Welt.

Nun, da werden Sie doch nicht den wirklich im Verhältnis zum Haupte, zum Kopfe der anderen Tiere doch außerordentlich verkrüppelten sogenannten Vogelkopf als einen wirklichen Kopf auffassen. Gewiß, äußerlich intellektualistisch betrachtet, kann man sagen: Der Vogel hat einen Kopf, einen Rumpf, der Vogel hat Gliedmaßen. Aber bedenken Sie, wie verkümmert, sagen wir zum Beispiel in bezug auf die Beine eines Kamels oder eines Elefanten die Vogelbeine sind, und wie verkümmert gegenüber meinetwillen dem Haupte eines Löwen, eines Hundes, der Vogelkopf ist. Es ist fast gar nichts Ordentliches darinnen in einem solchen Vogelkopf; es ist eigentlich im Grunde genommen kaum mehr darinnen als das, was beim Hund oder meinetwillen beim Elefanten oder bei der Katze die vordere Maulpartie ist. Ich möchte sagen, ein wenig komplizierter die Mundpartie eines Säugetieres, das ist der Vogelkopf. Und was die Gliedmaßen eines Säugetieres sind, das ist ja vollständig verkümmert beim Vogel. Gewiß, eine unkünstlerische Betrachtungsweise spricht einfach davon, die vorderen Gliedmaßen seien zu Flügeln umgestaltet. Aber das alles ist eben durchaus unkünstlerische Anschauung, unimaginative Anschauung. Will man die Natur wirklich verstehen, will man in den Kosmos wirklich eindringen, so muß man die Dinge schon tiefer, vor allen Dingen in ihren Gestaltungsund Bildungskräften betrachten.

Die Anschauung, daß einfach der Vogel auch einen Kopf und Rumpf und Gliedmaßen habe, führt niemals dazu, zum Beispiel die Anschauung des Ätherleibes eines Vogels wirklich begreifen zu können. Denn geht man über durch imaginative Anschauung von dem Sehen dessen, was am Vogel physisch ist, zu dem, was am Vogel ätherisch ist, so hat man eben im ätherischen Vogel nur einen Kopf. Vom ätherischen Vogel aus ist der Vogel nur Kopf; vom ätherischen Vogel aus begreift man sogleich, daß der Vogel sich nicht vergleichen läßt mit Kopf, Rumpf und Gliedmaßen anderer Tiere, sondern daß er aufzufassen ist als ein bloßer Kopf, der eben umgestaltet ist, der als Kopf umgestaltet ist. So daß der

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eigentliche Vogelkopf nur Gaumen und die vorderen Partien, die Mundpartien darstellt, und dasjenige, was weiter nach rückwärts geht, alle die rippenähnlich und rückgratähnlich aussehenden Teile des Skeletts, das ist anzusehen als zwar metamorphosierter, umgestalteter, aber doch als Kopf. Der ganze Vogel ist eigentlich Kopf. Das rührt davon her, daß in der Tat, wenn wir einen Vogel verstehen wollen, wir sehr> sehr weit zurückgehen müssen in der Erden-, in der planetarischen Erdenentwickelung.

Der Vogel hat eine lange planetarische Geschichte hinter sich. Der Vogel hat eine viel längere planetarische Geschichte hinter sich als zum Beispiel, sagen wir das Kamel. Das Kamel ist ein viel später entstandenes Tier als jeglicher Vogel. Diejenigen Vögel, die zur Erde niedergezwungen sind wie der Strauß, das sind die spätest entstandenen Vögel. Diejenigen Vögel, die frei in den Lüften wohnen, Adler, Geier, sind sehr alte Erdentiere. Während sie in früheren Erdperioden, Mondperioden, Sonnenperioden eben durchaus noch alles das an sich hatten, was dann in sie übergegangen ist von Innen nach auswärts bis zur Haut, hat sich später im Vogelgeschlecht im wesentlichen das ausgebildet, was Sie heute in den Federn sehen, was Sie im hornigen Schnabel sehen. Das Äußere des Vogels ist späteren Ursprungs, ist dadurch gekommen, daß der Vogel seine Kopfnatur verhältnismäßig früh ausgebildet hat, und unter den Bedingungen, in die er dann in späteren Zeiten der Erdenentwickelung hineingekommen ist, konnte er nur noch außen dasjenige hinzufügen, was in seinem Gefieder liegt. Dieses Gefieder ist dem Vogel zum Beispiel vom Mond und der Erde gegeben worden, während er seine übrige Natur aus viel früheren Zeiten hat.

Aber die Sache hat noch eine viel tiefere Seite. Schauen wIr uns einmal den Vogel in den Lüften, sagen wir, den majestätisch dahinfliegenden Adler an, dem gewissermaßen wie ein äußeres Gnadengeschenk die Sonnenstrahlen mit ihrer Wirkung sein Gefieder gegeben haben - ich werde die anderen Wirkungen noch nennen -, seinen hornigen Schnabel gegeben haben; schauen wir uns diesen Adler an, wie er in den Lüften fliegt. Da wirken auf ihn gewisse Kräfte. Die Sonne hat nicht nur jene physischen Licht- und Wärmekräfte, von denen wir gewöhnlich sprechen. Ich habe Sie aufmerksam gemacht damals, als ich über

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die Druidenmysterien sprach, daß von der Sonne auch geistige Kräfte ausgehen. Auf diese geistigen Kräfte müssen wir hinschauen. Sie sind es, welche den verschiedenen Vogelgeschlechtern ihre Vielfarbigkeit, die besondere Gestaltung ihres Gefieders geben. Wir begreifen, wenn wir dasjenige, was die Sonnenwirkungen sind, geistig durchschauen, warum der Adler gerade sein Gefieder hat.

Dann, wenn wir uns so richtig versenken in diese Adlernatur, wenn wIr verstehen, inneres künstlerisches Naturverständnis zu entwickeln, welches das Geistige mitenthält, wenn wir hinschauen können, wie künstlerisch herausgebildet wird aus den Sonnenimpulsen, die verstärkt sind durch andere Impulse, die ich nachher nennen werde, wenn wIr das sehen, wie gleichsam diese Sonnenimpulse hinfluten über den Adler, schon bevor er aus dem Ei gekrochen ist, wie sie das Gefieder herauszaubern oder eigentlich, besser gesagt, hineinzaubern In seine Fleischesgestalt, und uns dann fragen: Was bedeutet denn das für den Menschen? - Ja, das bedeutet für den Menschen dasjenige, was sein Gehirn zum Träger der Gedanken macht. Und Sie sehen richtig hin in den Makrokosmos, in die große Natur, wenn Sie den Adler so ansehen, daß Sie sagen: Der Adler hat sein Gefieder, seine vielfarbigen, bunten Federn; in denen lebt dieselbe Kraft, die in dir lebt, indem sie dein Gehirn zum Gedankenträger macht. Dasjenige, was dein Gehirn faltet, was dein Gehirn fähig macht, jene innere Salzkraft aufzunehmen, die die Grundlage des Denkens ist, was dein Gehirn überhaupt dazu macht, dich zu einem Denker zu bilden, das ist dieselbe Kraft, die dem Adler in den Lüften sein Gefieder gibt. - So fühlen wir uns verwandt, indem wir denken, gewissermaßen den menschlichen Ersatz in uns fühlend für das Adlergefieder; unsere Gedanken strömen von dem Gehirn so aus, wIe ausfluten von dem Adler die Federn.

Wenn wir von dem physischen Niveau heraufgehen in das astralische Niveau, dann müssen wir den paradoxen Satz aussprechen: Auf dem physischen Plan bewirken dieselben Kräfte die Federnbildung, die auf dem astralischen Plan die Gedankenbildung bewirken. Die Federnbildung geben sie dem Adler; das ist der physische Aspekt der Gedankenbildung. Dem Menschen geben sie die Gedanken; das ist der astralische Aspekt der Federnbildung. Solche Dinge liegen manchmal in

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einer wunderbaren Weise im Genius der Volkssprache ausgedrückt.

Wenn man eine Feder oben abschneidet und herausnimmt das, was da drinnen ist, so nennt das Volk das die Seele. Gewiß werden, manche eine äußerliche Bezeichnung in diesem Namen Seele sehen. Es ist keine äußere Bezeichnung, sondern eine Feder enthält für denjenigen, der die Sache durchschaut, etwas Ungeheures: sie enthält das Geheimnis der Gedankenbildung.

Sehen wir jetzt weg von dem Adler, der in den Lüften wohnt, sehen wir, um wieder einen Repräsentanten zu haben, ein solches Säugetier wie den Löwen an. Man kann eigentlich den Löwen nur verstehen, wenn man ein Gefühl dafür entwickelt, welche Freude> welche innere Befriedigung der Löwe hat, mit seiner Umgebung zu leben. Es gibt eigentlich kein Tier, welches nicht löwenverwandt ist, das eine so wundervolle, geheimnisvolle Atmung hat. Es müssen überall beim tierischen Wesen die Atmungsrhythmen zusammenstimmen mit den Zirkulationsrhythmen, nur daß die Zirkulationsrhythmen schwer werden durch den an ihnen hängenden Verdauungsapparat, die Atmungsrhythmen leicht werden dadurch, daß sie anstreben, hinauf in die Leichtigkeit der Gehirnbildungen zu kommen. Es ist beim Vogel so, daß dasjenige, was in seinem Atmen lebt, eigentlich zugleich in seinem Kopfe lebt. Der Vogel ist ganz Kopf, und er trägt sozusagen den Kopf äußerlich für die Welt hin. Seine Gedanken sind die Formen seines Gefieders. Es gibt eigentlich für ein richtiges Naturgefühl, das in Schönheit leben kann, nichts Rührenderes, als die innige Verwandtschaft dessen zu fühlen, was Menschengedanke ist, wenn er so ganz konkret wird, wenn er so ganz innerlich lebendig wird, mit einem Vogelgefieder. Derjenige, der in solchen Dingen eine innere Praxis hat, der weiß ganz genau, wann er pfauenmäßig denkt und wann er adlermäßig denkt und wann er spatzenhaft denkt. Die Dinge sind durchaus so, daß mit Ausnahme davon, daß das eine astralisch, das andere physisch ist, sich die Dinge in einer wunderbaren Art entsprechen. Es ist so. So daß man sagen kann: Der Vogel hat ein so überwiegendes Leben in der Atmung, daß das andere, Blutzirkulation und so weiter, fast verschwindet. Alle Schwere der Verdauung, ja selbst die Schwere der Blutzirkulation ist eigentlich von dem In-sich-Fühlen beim Vogel weggefegt, ist nicht da.

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Beim Löwen ist das so, daß eine Art von Gleichgewicht besteht zwischen dem Atmen und der Blutzirkulation. Allerdings, die Blutzirkulation wird auch beim Löwen schwer gemacht, aber nicht so schwer wie, sagen wir bei dem Kamel oder bei dem Rind. Da ist die Verdauung etwas, was die Blutzirkulation ungemein belastet. Beim Löwen, der einen verhältnismäßig sehr kurzen Verdauungsapparat hat und der ganz so gebaut ist, daß die Verdauung auch möglichst schnell sich vollzieht, ist das so, daß die Verdauung keine starke Belastung ist für die Zirkulation. Dagegen ist es wiederum so, daß nach der anderen Seite im Löwenkopf eine solche Entfaltung des Kopfmäßigen ist, daß die Atmung im Gleichgewichte mit dem Zirkulationsrhythmus gehalten ist. Der Löwe ist dasjenige Tier, das am allermeisten einen inneren Rhythmus des Atmens und einen Rhythmus des Herzschlages hat, die sich innerlich die Waage halten, die sich innerlich harmonisieren. Der Löwe hat deshalb auch, wenn wir, ich möchte sagen, auf sein subjektives Leben eingehen, diese eigentümliche Art, mit einer schier unbegrenzten Gier seine Nahrung zu verschlingen, weil er eigentlich froh ist, wenn er sie drunten hat. Er ist gierig auf die Nahrung, weil ihm natürlich der Hunger viel mehr Pein macht als einem anderen 'Tiere; er ist gierig auf die Nahrung, aber er ist nicht versessen darauf, ein besonderer Gourmand zu sein. Er ist gar nicht darauf versessen, viel zu schmecken, weil er ein Tier ist, das seine innere Befriedigung aus dem Gleichmaß von Atmung und Blutzirkulation hat. Erst wenn der Fraß beim Löwen übergegangen ist in das Blut, das den Herzschlag reguliert, und dieser Herzschlag in ein Wechselverhältnis kommt mit der Atmung, an der der Löwe wieder seine Freude hat, indem er den Atmungsstrom mit einer tiefen inneren Befriedigung in sich hereinnimmt, erst dann, wenn er in sich fühlt die Folge des Fraßes, dieses innere Gleichgewicht zwischen Atmung und Blutzirkulation, dann lebt der Löwe in seinem Elemente. Er lebt eigentlich ganz als Löwe, wenn er die tiefe innere Befriedigung hat, daß ihm sein Blut heraufschlägt, daß ihm seine Atmung hinunterpulsiert. Und in diesem gegenseitigen Berühren zweier Wellenschläge lebt der Löwe.

Sehen Sie sich ihn an, diesen Löwen, wie er läuft, wie er springt, wie er seinen Kopf hält, selbst wie er blickt, so werden Sie sehen, daß

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das alles zurückführt auf ein fortwährendes rhythmisches Wechselspiel von etwas Aus-dem-Gleichgewicht-Kommen und wieder Ins-Gleichgewicht-Kommen. Es gibt vielleicht kaum etwas, was so geheimnisvoll einen anmuten kann als dieser merkwürdige Löwenblick, der so viel aus sich herausschaut, der herausschaut aus sich etwas von innerlicher Bewältigung, von Bewältigung von entgegengesetzt Wirksamem. Das ist dasjenige, was der Löwenblick nach außen schaut: diese Bewältigung des Herzschlages durch den Atmungsrhythmus in einer schier ganz vollkommenen Weise.

Und wiederum, wer Sinn für künstlerische Auffassung von Gestaltungen hat, der schaue sich das Maul des Löwen an, diesen Bau im Maul des Löwen, der so zeigt: der Herzschlag pulsiert herauf bis zu diesem Maul, aber die Atmung hält ihn zurück. Wenn Sie sich dieses Gegenseitig-sich-Berühren von Herzschlag und Atmung ausmalen, so kommen Sie auf das Löwenmaul.

Der Löwe ist eben ganz Brustorgan. Er ist wirklich das Tier, welches in seiner äußeren Gestalt, in seiner Lebensweise das rhythmische System ganz zum Ausdrucke bringt. Der Löwe ist so organisiert, daß sich dieses Wechselspiel von Herzschlag und Atmen auch in dem gegenseitigen Verbältnis von seinem Herzen und seiner Lunge zum Ausdrucke bringt.

So daß wir wirklich sagen müssen: Wenn wir am Menschen etwas suchen, was dem Vogel am ähnlichsten ist, was nur metamorphosiert ist, so ist es der Menschenkopf; wenn wir am Menschen etwas suchen, was dem Löwen am ähnlichsten ist, so ist es die menschliche Brustgegend, da, wo die Rhythmen sich begegnen, die Rhythmen der Zirkulation und der Atmung.

Und jetzt lenken wir den Blick ab von alledem, was sich uns darbietet oben in den Lüften als das Vogelgeschlecht; was eigentlich, weil es in der Luft, die in der unmittelbaren Umgebung der Erde ist, mit dem Luftkreislauf lebt wie im Löwen; sehen wir uns das Rind an. Ich habe schon öfter in anderen Zusammenhängen darauf hingewiesen, wie reizvoll es ist, eine gesättigte Herde, hingelagert auf der Weide, zu betrachten, dieses Geschäft des Verdauens zu beobachten, das sich in der Lage wiederum, in dem Augenausdruck, in jeder Bewegung ausdrückt.

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Versuchen Sie es einmal, eine Kuh, die auf der Weide liegt, anzuschauen, wenn meinetwillen etwas da oder dort irgendein Geräusch gab. Es ist ja so wunderbar, zu sehen, wie die Kuh den Kopf hebt, wie in diesem Heben das Gefühl liegt, daß das alles schwer ist, daß man den Kopf nicht leicht heben kann, wie ein ganz Besonderes noch da drinnen liegt. Man kann, wenn man eine Kuh so in einer Störung auf der Weide den Kopf hochheben sieht, auf nichts anderes kommen, als sich sagen: Diese Kuh ist erstaunt darüber, daß sie den Kopf zu etwas anderem als zum Abgrasen heben soll. Warum hebe ich denn jetzt eigentlich den Kopf? Ich grase ja nicht, und es hat keinen Zweck, den Kopf zu heben, wenn ich nicht grase. - Sehen Sie nur, wie das ist! Das ist im Kopfheben des Tieres drinnen. Aber es ist nicht nur im Kopfheben des Tieres drinnen. Sie können sich ni`cht vorstellen, daß der Löwe den Kopf so hebt, wie die Kuh ihn hebt. Das ist in der Form des Kopfes drinnen. Und geht man weiter, geht man auf die ganze Form des Tieres ein - es ist ja das ganze Tier der, ich möchte sagen ausgewachsene Verdauungsapparat! Die Schwere der Verdauung lastet so auf der Blutzirkulation, daß das alles Kopf und Atmung überwältigt. Es ist ganz Verdauung, das Tier. Es ist wirklich, wenn man das nun geistig anschaut, unendlich wunderbar, wenn man den Blick hinaufwendet zum Vogel, und dann herunterschaut auf die Kuh.

Natürlich, wenn man die Kuh physisch noch so hoch hebt, sie wird kein Vogel. Aber wenn man zu gleicher Zeit das Physische an der Kuh übergehen lassen könnte - zunächst indem man sie in die Lüfte bringt, die der Erde unmittelbar nahe sind, in das Luft-Feuchtige, und wenn man das zugleich überführen könnte in eine Verwandlung ihrer Äthergestalt, die nun angemessen wäre dem Feuchtigen, und sie dann weiterheben würde und würde sie bis zum Astralischen bringen können, dann würde hoch oben die Kuh ein Vogel. Astralisch würde sie ein Vogel.

Sehen Sie, da drängt sich einem eben das Wunderbare auf, daß man sich sagt, wenn man das nun durchschaut: Was der Vogel da oben astralisch hat aus seinem Astralleib, was da arbeitet, wie ich gesagt habe, an der Gestaltung seines Gefieders, das hat die Kuh ins Fleisch, in die Muskeln, in die Knochen hineingebracht. Physisch geworden ist an

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der Kuh dasjenige, was astralisch ist am Vogel. Es sieht natürlich in der Astralität anders aus, aber es ist so.

Wiederum, wenn ich umgekehrt dasjenige, was der Astralität eines Vogels angehört, herunterfallen ließe, dabei die Umwandelung ins Ätherische und Physische vornehmen würde, dann würde der Adler eine Kuh werden, weil das, was astralisch am Adler ist, verfleischt, verkörperlicht ist in der Kuh, die am Boden liegt, wenn sie verdaut; denn es gehört zu diesem Verdauen bei der Kuh, eine wunderbare Astralität zu entwickeln. Die Kuh wird schön im Verdauen. Es liegt, astralisch angesehen, etwas ungeheuer Schönes darinnen in diesem Verdauen. Und wenn man so aus den gewöhnlichen Philisterbegriffen heraus eben in Philisteridealismus sich sagt: Das Verdauungsgeschäft ist das niedrigste -, dann wird man Lügen gestraft, wenn man von einer höheren Warte aus In geistiger Anschauung dieses Verdauungsgeschäft bei der Kuh anschaut. Das ist schön, das ist großartig, das ist etwas ungeheuer Geistiges.

Zu dieser Geistigkeit bringt es der Löwe nicht; der Vogel erst recht nicht. Beim Vogel ist das Verdauungsgeschäft fast etwas ganz Physisches. Man findet natürlich den Ätherleib im Verdauungsapparat des Vogels, aber man findet sehr wenig, fast gar nichts von Astralität in den Verdauungsvorgängen des Vogels. Dagegen bei der Kuh ist in den Verdauungsvorgängen etwas, was, astralisch angesehen, ganz großartig ist, eine ganze Welt ist. Und da hat man, wenn man jetzt das Ähnliche beim Menschen ansehen will, wiederum diese Korrespondenz zwischen dem, was die Kuh einseitig ausbildet, die physische Verfleischung eines gewissen Astralischen, da hat man das beim Menschen harmonisch zu dem anderen hinzuverwebt in seinen Verdauungsorganen und in ihrer Fortsetzung, in den Gliedmaßen. So daß wirklich das, was ich schaue hoch oben in den Lüften im Adler, was ich schaue da, wo das Tier sich unmittelbar an der Luft erfreut wie beim Löwen, was ich schaue dann, wenn das Tier verbunden ist mit den unterirdischen Erdenkräften, die weiterwirken in seinen Verdauungsorganen, wenn ich also statt in die Höhe, hinunter in die Tiefe schaue und verständnisvoll von da aus das Wesen der Kuh durchdringe, dann habe ich die drei Gestalten, die im Menschen zu einer Harmonie vereinigt sind und sich dadurch ausglei-

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chen: die Metamorphose des Vogels im Menschenhaupt, die Metamorphose des Löwen in der Menschenbrust, die Metamorphose der Kuh in dem Verdauungs- und Gliedmaßenapparat des Menschen, natürlich im Gliedmaßenapparat wieder kolossal metamorphosiert, kolossal umgestaltet.

Wenn man so heute hinschaut auf diese Dinge und wiederum darauf kommt, wie der Mensch eigentlich aus der ganzen Natur heraus geboren ist und in sich die ganze Natur wiederum trägt, so wie ich es dargestellt habe, wie er das Vogelreich, das Löwen reich, das Kuhwesen in sich trägt, dann bekommt man die einzelnen Bestandteile dessen, was der abstrakte Satz sagt: Der Mensch ist eine kleine Welt. - Er ist schon eine kleine Welt, und die große Welt ist in ihm, und all das Getier, welches in den Lüften wohnt, und das Getier, welches um die Erde herum in der kreisenden Luft sein hauptsächlichstes Element hat, und das Getier, welches unter dem Erdboden in den Kräften der Schwere sein hauptsächlichstes Element hat, sie wirken im Menschen zu einer harmonischen Ganzheit zusammen. Und der Mensch ist dann die Zusammenfassung von Adler, Löwe, Stier oder Kuh.

Wenn man das wiederum aus neuerer Geisteswissenschaft heraus erforscht, durchschaut, dann bekommt man diesen großen Respekt, von dem ich öfter gesprochen habe, vor den alten instinktiven hellseherischen Einsichten in den Kosmos; dann bekommt man den großen Respekt zum Beispiel vor so etwas, wie das gewaltige Bild ist von dem Bestehen des Menschen aus Adler, Löwe, Kuh oder Stier, die zusammen, entsprechend sich harmonisierend, den Menschen als eine Ganzheit bilden.

Aber bevor ich übergehe dazu - das kann auch morgen sein -, die einzelnen Impulse zu besprechen, die zum Beispiel in den Kräften, die den Adler umschweben, sind, die in den Kräften sind, die den Löwen umschweben, welche die Kuh umschweben, möchte ich noch eine andere Korrespondenz des Innerlich-Menschlichen mit dem, was draußen im Kosmos ist, besprechen.

Wir bekommen ja jetzt nach dem, was wir schon wissen, die Vorstellung davon. Das menschliche Haupt sucht das seiner Natur Entsprechende: es muß den Blick hinaufrichten zu dem Vogelgeschlecht.

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Die menschliche Brust, der Herzschlag, die Atmung muß, wenn es s1ch begreifen will als Geheimnis in den Naturgeheimnissen, hinwenden den Blick zu so etwas, was der Löwe ist. Der Mensch muß 5einen Stoffwechselapparat versuchen zu verstehen aus der Konstitution, aus der Organisation des Rindes. Aber der Mensch hat in seinem Haupte die Träger seiner Gedanken, in seiner Brust die Träger seiner Gefühle, in seinem Stoffwechselapparat die Träger seines Willens. So daß also auch seelisch der Mensch ein Abbild ist der mit dem Vogelgeschlecht die Welt durchwebenden Vorstellungen, die sich im Gefieder der Vögel ausdrücken; der die Erde umkreisenden Gefühlswelt, die sich im inneren Ausgleichsleben zwischen Herzschlag und Atmung beim Löwen findet, die gemildert ist beim Menschen, die aber beim Menschen eben das innerliche Mutvolle - die griechische Sprache hatte das Wort mutvoll für die Herzenseigenschaften, für die Brusteigenschaften gebildet - darstellt. Und wenn er seine Willensimpulse finden will, die vorzugsweise in seinem Stoffwechsel sitzen, wenn er diese äußerlich gestaltet, schaut er hin auf dasjenige, was fleischlich in der Kuh gestaltet ist.

Das, was heute grotesk, paradox klingt, was vielleicht wahnsinnig erscheint für eine Zeit, die so gar keinVerständnis mehr hat für die geistigen Zusammenhänge der Welt, enthält aber doch eine Wahrheit, auf die alte Gebräuche hindeuten. Sehen Sie, es ist doch eine auffallende Erscheinung, daß jener Mahatma Gandhi, den jetzt mehr schlecht als recht Romain Rolland in einer wenig erfreulichen Schrift der Welt beschrieben hat, daß jener Mahatma Gandhi, der seine Tätigkeit zwar ganz nach außen gewendet hat, aber dabei, innerhalb des indischen Volkes, ich möchte sagen, wie ein nach Indien hinüber versetzter Aufklärer des 18. Jahrhunderts gegenüber der alten Hindureligion dasteht, daß der in seinem aufklärerischen Hinduismus aber eines bewahrt hat: die Verehrung der Kuh. Von der könne man nicht abkommen, sagt der Mahatma Gandhi, der, wie Sie wissen, von den Engländern sechs Jahre schweren Kerkers bekommen hat für seine politische Tätigkeit in Indien. Die Verehrung der Kuh behält er bei.

Solche Dinge, die mit einer Zähigkeit in geistigeren Kulturen sich erhalten haben, begreift man nur, wenn man diese Zusammenhänge kennt, wenn man wirklich weiß, welche ungeheuren Geheimnisse in

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dem Verdauungstier, der Kuh, leben, und wie man verehren kann, ich möchte sagen, ein irdisch gewordenes und deshalb nur niedrig gewordenes, ein irdisch gewordenes hoch Astralisches in der Kuh. Aus solchen Dingen heraus begreift man auch die religiöse Verehrung, die im Hinduismus der Kuh zukommt, während sie aus all dem rationalistischen und intellektualistischen Begriffsgestrüppe, das man daran hängt, niemals begriffen werden kann.

Und so sehen wir eben, wie Wille, Gefühl, Gedanke gesucht werden können draußen im Kosmos, gesucht werden können im Mikrokosmos in ihrer Korrespondenz.

Aber sehen Sie, wir haben auch noch mancherlei andere Kräfte im Menschen, und wir haben mancherlei anderes in der Natur draußen. Da bitte ich Sie, einmal folgendes zu beachten. Beachten Sie einmal jene Metamorphose, die durchgemacht wird von dem Tiere, das dann ein Schmetterling wird.

Sie wissen, der Schmetterling legt sein Ei. Aus dem Ei kommt die Raupe heraus. Die Raupe also ist aus dem Ei herausgekommen; das Ei enthält ringsum geschlossen alles dasjenige, was Anlage des späteren Tieres ist. Nun kommt die Raupe aus dem Ei. Sie kommt an die lichtdurchflossene Luft. Das ist die Umgebung, in die sie hineinkommt, die Raupe. Da müssen Sie eben ins Auge fassen, wie eigentlich diese Raupe nun in der sonnendurchleuchteten Luft lebt. Das müssen Sie dann studieren, wenn Sie, sagen wir, des Nachts im Bette liegen, die Lampe angezündet haben und eine Motte nach der Lampe fliegt, dem Lichte zufliegt und den Tod findet im Lichte. Dieses Licht wirkt auf die Motte so, daß sie sich unterwirft dem Tod-Suchen. Damit haben wir schon die Wirkung des Lichtes auf das Lebendige.

Nun, die Raupe - ich deute diese Dinge nur aphoristisch an, wir werden sie morgen und übermorgen etwas genauer betrachten - kann nicht zur Lichtquelle hinauf, um sich hineinzustürzen, zur Sonne nämlich, aber sie möchte es; sie möchte es ebenso stark, wie es die Motte will, die sich in die Flamme neben Ihrem Bette wirft und darinnen umkommt. Die Motte wirft sich in die Flamme und findet den Tod im physischen Feuer. Die Raupe sucht ebenso die Flamme, jene Flamme, die ihr entgegenkommt von der Sonne. Aber sie kann sich nicht in die

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Sonne werfen; der Übergang ins Licht und in die Wärme bleibt bei ihr etwas Geistiges. Die ganze Sonnenwirkung geht auf sie über als eine geistige. Sie verfolgt jeden Sonnenstrahl, diese Raupe, sie geht bei Tag mit dem Sonnenstrahl mit. Geradeso wie sich die Motte einmal ins Licht stürzt und ihre ganze Mottenmaterie hingibt dem Lichte, so webt die Raupe ihre Raupenmaterie langsam in das Licht hinein, setzt bei Nacht ab, webt bei Tag weiter, und spinnt und webt um sich herum den ganzen Kokon. Und im Kokon, in den Kokonfäden haben wir darinnen dasjenige, was aus ihrer eigenen Materie die Raupe, indem sie fortspinnt im strömenden Sonnenlicht, aus sich heraus webt. Jetzt hat die Raupe, die zur Puppe geworden ist, sich die Sonnenstrahlen, die sie nur verkörperlicht hat, aus ihrer eigenen Raupensubstanz um sich herumgewoben. Die Motte verbrennt schnell im physischen Feuer. Die Raupe stürzt sich hinein, sich opfernd, in das Sonnenlicht, und webt um sich in der Richtung des jeweiligen Sonnenlichts, das sie verfolgt, die

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Fäden des Sonnenlichts. Wenn Sie den Kokon des Seidenspinners nehmen und sehen ihn an: das ist gewobenes Sonnenlicht, nur daß das Sonnenlicht verkörpert ist durch die Substanz der seidenspinnenden Raupe selber. Damit aber ist der Raum innerlich abgeschlossen. Das äußere Sonnenlicht ist überwunden gewissermaßen. Aber dasjenige, was vom Sonnenlichte, wie ich Ihnen gesagt habe, in die Kromlechs hineingeht - ich habe es Ihnen bei den Auseinandersetzungen über die Drui

denmysterien gesagt -, das ist jetzt da innerlich. Und jetzt hat die Sonne, während sie früher die physische Gewalt ausübte und die Raupe

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zum Spinnen ihres eigenen Kokons veranlaßte, Gewalt über das Innerliche, schafft aus dem Innerlichen heraus den Schmetterling, der nun auskriecht. Und der Kreislauf beginnt von neuem. Sie haben auseinandergelegt vor sich dasjenige, was im Vogelei zusammengeschoben ist.

Vergleichen Sie mit diesem ganzen Vorgang den Vorgang beim eierlegenden Vogel. Da wird innerhalb des Vogels selber noch durch einen Vorgang, der metamorphosiert ist, die Kalkschale herum gebildet. Da wird die Substanz des Kalkes von den Kräften des Sonnenlichtes verwendet, um eben den ganzen Prozeß desjenigen zusammenzuschieben, was hier auseinandergelegt ist in Ei, Raupe, Kokon. Das alles ist zusammengeschoben da, wo sich, wie zum Beispiel im Vogelei, direkt die harte Schale ringsherum bildet. Da, durch dieses Zusammen schieben eines auseinandergelegten Prozesses, ist der ganze Embryonalvorgang beim Vogel eben ein anderer. Beim Schmetterling haben Sie auseinandergelegt, was beim Vogel sich vollzieht bis hierher, bis zum dritten Stadium; das haben Sie auseinandergelegt beim Schmetterling in die Eibildung, Raupenbildung, Puppenbildung, Kokonbildung. Da können Sie es äußerlich anschauen. Und dann schlüpft der Schmetterling aus.

Wenn man jetzt den ganzen Vorgang astralisch verfolgt, was sieht man dann? Ja, dann stellt der Vogel in seiner ganzen Bildung einen menschlichen Kopf dar. Das Organ der Gedankenbildung stellt er dar. Was stellt der Schmetterling dar, der auch in den Lüften wohnt, aber in seiner Embryonalbildung etwas ungeheuer Komplizierteres ist? Man kommt darauf, daß der Schmetterling dasjenige darstellt, was sozusagen die Kopffunktion in ihrer Fortsetzung zeigt, die Kräfte des Kopfes gewissermaßen ausgedehnt auf den ganzen Menschen. Da geschieht dann etwas im ganzen Menschen, was einem anderen Vorgang in der Natur als der Vogelbildung entspricht.

Im menschlichen Haupte haben wir, wenn wir das Ätherische und Astralische dazunehmen, etwas sehr Ähnliches wie in der Eibildung, nur metamorphosiert. Aber wenn wir bloß die Funktion des Kopfes hätten, würden wir nur augenblickliche Gedanken bilden. Es würden sich nicht die Gedanken mehr in uns hinuntersetzen, den ganzen Menschen in Anspruch nehmen und dann als Erinnerungen wieder auftauchen. Schaue ich meine augenblicklichen Gedanken an, die ich mir

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an der Außenwelt bilde, und schaue zum Adler auf, dann sage ich: In dem Gefieder des Adlers sehe ich außer mir die verkörperten Gedanken; in mir werden es Gedanken, aber es werden die augenblicklichen Gedanken. Sehe ich auf dasjenige, was ich in mir trage als meine Erinnerungen, so geht ein komplizierterer Prozeß vor sich. Unten im physischen Leib geschieht, auf eine allerdings geistige Art, eine Art Eibildung, die allerdings etwas ganz anderes ist im Ätherischen, etwas, was äußerlich physisch der Raupenbildung ähnlich ist, im astralischen Leib, was innerlich ähnlich ist der Puppenbildung, der Kokonbildung; und dasjenige, was, wenn ich eine Wahrnehmung habe, in mir einen Gedanken auslöst, hinunterschiebt, das ist so, wie wenn der Schmetterling ein Ei legt. Die Umwandlung ist etwas Ähnliches wie das, was mit der Raupe vor sich geht: das Leben im Ätherleib opfert sich hin dem geistigen Lichte, umwebt gewissermaßen den Gedanken mit innerem, astralem Kokongewebe, und da schlüpfen die Erinnerungen aus. Wenn wir das Vogelgefieder sehen in den augenblicklichen Gedanken, so müssen wir den Schmetterlingsflügel, den in Farben schillernden Schmetterlingsflügel, auf geistige Art zustande gekommen sehen in unseren Erinnerungsgedanken.

So blicken wir hinaus und fühlen die Natur ungeheuer verwandt mit uns. So denken wir und sehen die Welt des Gedankens in den fliegenden Vögeln. Und so erinnern wir uns, so haben wir ein Gedächtnis, und sehen die Welt der in uns lebenden Erinnerungsbilder in den im Sonnenlichte schimmernd flatternden Schmetterlingen. Ja, der Mensch ist ein Mikrokosmos und enthält die Geheimnisse der großen Welt draußen. Und es ist so, daß wir gewissermaßen dasjenige, was wir von innen anschauen, unsere Gedanken, unsere Gefühle, unseren Willen, unsere Erinnerungsvorstellungen, daß wir das, wenn wir es von der anderen Seite, von außen, makrokosmisch ansehen, in dem Reiche der Natur wiedererkennen.

Das heißt hinschauen auf die Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit läßt sich mit bloßen Gedanken nicht begreifen, denn dem bloßen Gedanken ist die Wirklichkeit gleichgültig; er hält nur auf die Logik. Aber mit derselben Logik kann man das Verschiedenste in der Wirklichkeit belegen. Um das zu veranschaulichen, lassen Sie mich mit einem Bilde

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schließen, das dann den Übergang zu den morgigen Auseinandersetzungen bilden soll.

Es gibt bei einem afrikanischen Negerstamme, den Fellatas, ein sehr schönes Bild, welches vieles darstellt. Es begaben sich einmal ein Löwe, ein Wolf und eine Hyäne auf die Wanderung. Sie trafen eine Antilope. Die Antilope wurde von einem der Tiere zerrissen. Sie waren gut miteinander befreundet, die drei Tiere, und nun handelte es sich darum, diese zerrissene Antilope zu teilen unter dem Löwen, dem Wolf und der Hyäne. Da sagte der Löwe zunächst zur Hyäne: Teile du. - Die Hyäne hatte ihre Logik. Sie ist dasjenige Tier, welches sich nicht an das Lebende hält, welches sich an das Tote hält. Ihre Logik wird wohl durch diese Art ihres Mutes, eher ihrer Feigheit, bestimmt sein. Je nachdem dieser Mut so oder so ist, geht er so oder so auf das Wirkliche. Die Hyäne sagte: Wir teilen die Antilope in drei gleiche Teile. Einen Teil bekommt der Löwe, einen Teil bekommt der Wolf, einen Teil bekommt die Hyäne, ich selber. - Da zerriß der Löwe die Hyäne, machte sie tot. Jetzt war sie weg. Und nun sollte geteilt werden. Da sagte der Löwe zum Wolf: Sieh einmal, mein lieber Wolf, jetzt müssen wir ja anders teilen. Teile du jetzt. Wie würdest du teilen? - Da sagte der Wolf: Ja, w1r müssen jetzt anders teilen, es kann nicht mehr jeder dasselbe bekommen wie früher, und da du uns von der Hyäne befreit hast, mußt du selbstverständlich als Löwe bekommen das erste Drittel. Das zweite Drittel hättest du ja sowieso bekommen, wie die Hyäne sagte, und das dritte Drittel mußt du bekommen, weil du das weiseste und tapferste unter allen Tieren bist. - So teilte der Wolf nun. Da sagte der Löwe: Wer hat dich so teilen gelehrt? - Da sagte der Wolf: die Hyäne hat mich so teilen gelehrt! - Und der Löwe fraß den Wolf nicht auf und nahm die drei Teile nach der Logik des Wolfes.

Ja, die Mathematik, das Intellektualistische war gleich bei der Hyäne und beim Wolf. Sie machten eine Dreiteilung, sie dividierten. Aber sie wendeten diesen Intellekt, die Mathematik, in verschiedener Weise auf die Wirklichkeit an. Dadurch änderte sich auch das Schicksal wesentlich. Die Hyäne wurde gefressen, weil sie in der Beziehung ihres Teilungsprinzipes zur Wirklichkeit eben etwas anderes gab als der Wolf, der nicht gefressen wurde, weil er in dem Verhältnis seiner Hyänenlogiker

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sagt ja selbst, die Hyäne habe es ihn gelehrt - diese Logik auf eine ganz andere Wirklichkeit bezog. Er bezog sie eben so auf die Wirklichkeit, daß der Löwe nicht mehr nötig hatte, auch ihn zu fressen.

Sie sehen: Hyänenlogik da, Hyänenlogik auch beim Wolf; aber in der Anwendung auf die Wirklichkeit wird das Intellektualistische, das Logische ein ganz Verschiedenes.

So ist es mit allen Abstraktionen. Sie können mit Abstraktionen alles in der Welt machen, je nachdem Sie sie in dieser oder jener Weise auf die Wirklichkeit anwenden. Daher muß man schon auf so etwas hinschauen können wie die Realität im Entsprechen des Menschen als Mikrokosmos mit dem Makrokosmos. Nicht nur logisch muß man den Menschen betrachten können, sondern In e1nem Sinne, der niemals ohne das Überführen des Intellektualismus in das Künstlerische der Welt zu erreichen ist. Dann aber, wenn Sie vom Intellektualistischen gewissermaßen die Metamorphose vollziehen können ins künstlerische Erfassen und das Künstlerische als Erkenntnisprinzip ausbilden können, dann finden Sie das, was im Menschen auf eine menschliche Art, nicht auf eine naturhafte Art lebt, im Makrokosmos draußen, in der großen Welt. Dann finden Sie die Verwandtschaft des Menschen mit der großen Welt in einem wahrhaften Sinne.

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ZWEITER VORTRAG Dornach, 20. Oktober 1923

Nachdem wir gestern das Verhältnis der Tiere der Höhe, die im Adler repräsentiert sind, der Tiere der Mitte, die im Löwen repräsentiert sind, und der Tiere der Erdentiefe, die im Rind, in der Kuh repräsentiert sind, kennengelernt haben, können wir ja gerade heute des Menschen Beziehung zum Weltenall ins Auge fassen von dem Gesichtspunkte aus, der sich eben aus der inneren gestaltmäßigen Beziehung des Menschen zu diesen Repräsentanten der Tierwelt ergibt.

Richten wir einmal den Blick hinauf in diejenigen Regionen, von denen wir gestern sagen mußten: wenn sie die Regionen sind, aus denen heraus das Tier seine besonderen Kräfte zieht, daß sie dann eigentlich das ganze Tier zur Kopfesorganisation machen. Richten wir den Blick hinauf in diese Regionen. Wir sehen da, wie das Tier das, was es ist, der sonnendurchglänzten Atmosphäre verdankt. Die sonnendurchglänzte Atmosphäre muß es sein, alles das, was gewissermaßen von dem Tiere dadurch bezogen werden kann, daß es die Hauptsache seines Daseins der Atmosphäre, die sonnendurchströmt ist, verdankt. Ich habe Ihnen gestern gesagt: Davon rührt ja die eigentliche Gestaltung des Gefieders her. Das Tier hat gewissermaßen sein Wesen im Äußeren. Was die Außenwelt aus ihm macht, verkörpert sich in seinem Gefieder. Und wenn dasjenige, was aus dieser sonnendurchglänzten Luft gemacht werden kann, nicht von außen an das Wesen herangetragen wird wie beim Adler, sondern im Inneren erregt wird, wie aus dem menschlichen Nervensystem heraus, dann entstehen, sagte ich Ihnen, die Gedanken, die Gedanken des Augenblicks, die Gedanken der unmittelbaren Gegenwart.

Nun, wenn wir unseren Blick in dieser Weise, ich möchte sagen, beschwert mit alledem, was sich durch eine solche Betrachtung ergibt, in die Höhe wenden, werden wir eben verwiesen auf die ruhende Atmosphäre und auf das durchströmende Sonnenlicht. Aber wir können in einem solchen Falle nicht die Sonne so für sich betrachten. Die Sonne erhält ja ihre Kraft dadurch, daß sie in Beziehung tritt zu den verschie-

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denen Gegenden des Universums. Ausgedrückt wird diese Beziehung dadurch, daß der Mensch mit seinen Erkenntnissen die Sonnenwirkungen bezieht auf den sogenannten Tierkreis, so daß, wenn der Sonnenschein zur Erde fällt aus dem Löwen, aus der Waage, aus dem Skorpion, er immer etwas anderes für die Erde bedeutet. Aber er bedeutet auch etwas anderes für die Erde, je nachdem er verstärkt oder entkräftet wIrd durch die anderen Planeten unseres Planetensystems. Und da bestehen verschiedene Beziehungen zu den verschiedenen Planeten unseres Planetensystems. Es bestehen andere Beziehungen zu den sogenannten äußeren Planeten Mars, Jupiter, Saturn, und andere Beziehungen zu den sogenannten inneren Planeten Merkur, Venus und dem Mond.

Wenn wir nun die Organisation des Adlers ins Auge fassen, dann haben wir vor allen Dingen darauf zu sehen, inwiefern die Sonnenkräfte modifiziert werden, verstärkt oder geschwächt werden durch das Zusammenwirken der Sonne mit Saturn, Jupiter, Mars. Nicht umsonst spricht die Legende davon, daß der Adler eigentlich Jupiters Vogel ist.

Der Jupiter steht überhaupt da als Repräsentant für die äußeren Planeten. Wenn wir uns schematisch das hinzeichnen, um was es sich dabei handelt, dann müssen wir uns hinzeichnen die Sphäre, die im Weltenraum, im Kosmos der Saturn hat, die Sphäre, die der Jupiter hat, die Sphäre, die der Mars hat (Tafel I / Zeichnung S. 30).

Stellen wir das einmal vor unser Auge hin: die Saturnsphäre, die Jupitersphäre, die Marssphäre; dann finden wir den Übergang zur Sonnensphäre, und wir haben sozusagen im Äußersten unseres Planetensystems ein Zusammenwirken vOn Sonne, Mars, Jupiter, Saturn. Und wenn wir den Adler in den Lüften kreisen sehen, dann sprechen w1r durchaus eine Realität aus, wenn wir sagen: Diejenigen Kräfte, die von der Sonne aus die Luft durchströmen, so daß sie zusammengesetzt sind aus dem Zusammenwirken von Sonne mit Mars, Jupiter und Saturn, die sind es, die in der ganzen Gestalt, in der Wesenheit des Adlers leben. Sie leben aber zugleich in dem Gebilde des menschlichen Hauptes. Und wenn wir den Menschen hineinstellen in bezug auf sein wirkliches Dasein - man möchte sagen, auf Erden ist er ja nur in seinem Miniaturbilde - in das Weltenall, dann müssen wir ihn hineinstellen in die Adlersphäre seinem Haupte nach. Wir müssen uns also den

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#Bild S. 30

Menschen seinem Haupte nach hineingestellt vorstellen in die Adlersphäre, und haben damit dasjenige im Menschen gegeben, was mit den Kräften nach oben zusammenhängt.

Der Löwe ist der Repräsentant desjenigen Getiers, das im eigentlichen Sinne Sonnengetier ist, wo die Sonne gewissermaßen ihre eigene Kraft entfaltet. Der Löwe gedeiht am besten, wenn die Gestirne über der Sonne, die Gestirne unter der Sonne so in Konstellation vorhanden sind, daß sie am wenigsten Einfluß auf die Sonne selber ausüben. Dann entsteht jenes Eigentümliche, was ich Ihnen gestern beschrieben habe, daß die Kräfte der Sonne selber, die die Luft durchdringen, gerade ein solches Atmungssystem in dem Löwen anregen, daß dieses Atmungssystem in seinem Rhythmus in vollständigem Gleichgewichte ist mit dem Blutzirkulationsrhythmus, nicht der Zahl nach, aber der Dynamik nach. Das gleicht sich beim Löwen wunderschön aus. Der Löwe setzt der Blutzirkulation die Atmungshemmung entgegen, und die Blutzirkulation regt fortwährend die Atmungsströmung an. Ich sagte Ihnen, daß man das der Form nach sogar in der Gestaltung des Löwenmauls

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sehen kann. Da drückt sich diese wunderbare Beziehung des Blutrhythmus und des Atmungsrhythmus der Form nach schon aus. Man kann es sehen aus dem eigentümlichen, in sich ruhenden und doch wiederum kühn nach auswärts gewendeten Blick des Löwen. Aber dasjenige, was da im Löwen im Blick lebt, lebt wiederum angeschlossen an die anderen Elemente der Menschennatur, an die Hauptesorganisation, an die Stoffwechselorganisation, in der Brust- oder Herzorganisation, in der rhythm1schen Organisation des Menschen.

Stellen wir daher vor uns hin die eigentliche Sonnenwirkung, so müssen wir der Sonnensphäre entsprechend den Menschen uns so eInzeIchnen, daß wir sein Herz, die dazugehörige Lunge in die Region der Sonnenwirksamkeit stellen, und wir haben in diesem Gebiete die Löwen- natur des Menschen.

Wenn wir übergehen zu den inneren Planeten, zu den erdennahen Planeten, dann haben wir zunächst die Merkursphäre, welche es nun schon zu tun hat namentlich mit den feineren Partien des Stoffwechselsystems, des Stoffwechselorganismus des Menschen, da wo die Nahrungsstoffe umgewandelt werden in den lymphartigen Stoff, wo sie dann übertragen werden in die Blutzirkulation hinein.

Wenn wir dann weitergehen, kommen wir In die Region des Venuswirkens. Wir kommen zu den etwas gröberen Partien des Stoffwechselsystems des Menschen, wir kommen zu dem, was im menschlichen Organismus die aufgenommenen Nahrungsmittel zunächst verarbeitet vom Magen aus. Wir kommen dann in die Sphäre des Mondes. Ich zeichne diese Folge so, wie sie heute in der Astronomie üblich ist; ich könnte sie auch anders zeichnen. Wir kommen also nun in die Sphäre des Mondes und kommen da in diejenige Region, wo auf den Menschen wirkt und gewirkt wird in jenen Stoffwechselvorgängen, die mit dem Monde zusammenhängen.

Wir haben den Menschen auf diese Weise hineingestellt in das gesamte Weltenall. Indem wir uns an diejenigen kosmischen Wirkungen wenden, die die Sonne im Verein mit Merkur, Venus, Mond vollführt, kommen wir dann hinein in das Gebiet, das die Kräfte enthält, die jenes Getier aufnimmt, das uns repräsentiert wird durch die Kuh in dem Sinne, wie ich das gestern auseinandergesetzt habe. Da haben wir das,

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was die Sonne nicht durch sich selbst machen kann, sondern was die Sonne machen kann, wenn sie durch die erdennahen Planeten in ihren Kräften gerade an die Erde herangeführt wird. Wenn diese Kräfte alle dann wirken, wenn sie nicht nur die Luft durchströmen, sondern die Oberfläche der Erde in verschiedener Art durchsetzen, dann wirken diese Kräfte herauf aus den Erdentiefen. Und das, was da heraufwirkt aus den Erdentiefen, das gehört der Region an, die wir äußerlich verkörpert sehen eben in der Organisation der Kuh.

Die Kuh ist das Verdauungstier. Aber die Kuh ist zugleich dasjenige Tier, welches die Verdauung in einer solchen Weise ausführt, daß in diesem Verdauungsvorgange die irdische Abbildung eines wirklich Überirdischen liegt, daß dieser ganze Verdauungsvorgang der Kuh durchsetzt ist von einer Astralität, hell und wunderbar abbildend den ganzen Kosmos. Es ist - wie ich schon gestern sagte - eine ganze Welt in diesem astralischen Organismus der Kuh, aber alles getragen von Schwere, alles so eingerichtet, daß die Schwere der Erde sich auswirken kann. Sie brauchen nur zu bedenken, daß die Kuh genötigt ist, jeden Tag etwa ein Achtel ihres Körpergewichtes an Nahrungsstoffen aufzunehmen. Der Mensch kann sich mit einem Vierzigstel begnügen und gesund bleiben dabei. Die Kuh braucht also, damit sie ihre Organisation voll ausfüllen kann, Erdenschwere. Ihre Organisation ist daraufhin orientiert, daß die Stoffe Schwere haben. Ein Achtel muß jeden Tag an Schwere ausgewechselt werden bei der Kuh. Das bindet die Kuh mit ihren Materien an die Erde, während sie durch ihre Astralität zu gleicher Zeit eben ein Abbild der Höhen, des Kosmos ist.

Deshalb ist die Kuh für den Bekenner der Hindureligion - wie ich gestern sagte - ein so verehrungswürdiges Objekt, weil er sich sagen kann: Die Kuh lebt hier auf der Erde; allein indem sie hier auf der Erde lebt, bildet sie in der physischen Schwere-Materie ab, man kann schon sagen, ein Überirdisches, wenn man im Sinne des Bekenners der Hindureligion redet. Und es ist durchaus so, daß die menschliche Natur dann ihre Normalorganisation hat, wenn der Mensch diese drei in Adler, Löwe und Kuh vereinseitigten kosmischen Wirkungen in Harmonie bringen kann, wenn er also wirklich der Zusammenfluß der Adler-, Löwen- und Kuh- oder Stierwirkungen ist.

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Aber nach dem allgemeinen Weltengang leben wir in einer Zeit, in welcher der Entwickelung der Welt eine gewisse - wenn ich mich so ausdrücken darf - Gefahr droht: die Gefahr, daß die einseitigen Wirkungen auch wirklich im Menschen einseitig zum Ausdrucke kommen. Seit dem 14., 15. Jahrhundert, bis in unsere Tage sich immer mehr und mehr verstärkend, ist die Sache so in der irdischen Menschheitsentwikkelung, daß die Adlerwirkungen das menschliche Haupt einseitig in Anspruch nehmen wollen, die Löwenwirkungen den menschlichen Rhythmus einseitig in Anspruch nehmen wollen, die Kuhwirkungen den menschlichen Stoffwechsel und das ganze menschliche Wirken auf Erden einseitig in Anspruch nehmen wollen.

Das ist die Signatur unserer Zeit, daß der Mensch sozusagen durch die kosmischen Mächte dreigeteilt werden soll, und daß immer die eine Form der kosmischen Mächte das Bestreben hat, die anderen Elemente zu unterdrücken. Der Adler hat das Bestreben, Löwe und Kuh in die Geltungslosigkeit hinunterzuwerfen; ebenso haben die anderen das Bestreben, jeweilig die beiden anderen Elemente in die Bedeutungslosigkeit versinken zu lassen. Und auf dasjenige, was menschliches Unterbewußtsein ist, wirkt eigentlich fortwährend gerade in der heutigen Zeit außerordentlich Verlockendes; verlockend schon aus dem Grunde, weil es auch in gewisser Beziehung schön ist. Im Oberbewußtsein nimmt es der Mensch heute nicht wahr, aber für sein Unterbewußtsein durchwellt und durchtönt die Welt eine Dreiheit der Rufe, die den Menschen locken wollen. Und ich möchte sagen, es ist das Geheimnis der heutigen Zeit, daß aus der Adlerregion herunter dasjenige tönt, was den Adler eigentlich zum Adler macht, was dem Adler sein Gefieder gibt, was den Adler astralisch umschwebt. Die Adlerwesenheit selber ist es, die hörbar wird für das Unterbewußtsein des Menschen. Das ist der verlockende Ruf:

Lerne mein Wesen erkennen!
Ich gebe dir die Kraft,
Im eignen Haupte
Ein Weltenall zu schaffen.

So spricht der Adler. Das ist der Ruf von oben, der heute die Menschen vereinseitigen will.

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Und es gibt einen zweiten Lockruf. Das ist derjenige, der aus der mittleren Region kommt, da, wo die Kräfte des Kosmos die Löwennatur formen, da, wo die Kräfte des Kosmos aus dem Zusammenflusse von Sonne und Luft jenes Gleichmaß der Rhythmen, der Atmung und der Blutzirkulation bewirken, wie es die Löwennatur konstituiert. Was da die Luft durchzittert, ich möchte sagen, im Löwensinne, was des Menschen eigenes rhythmisches System vereinseitigen will, das spricht zum Unterbewußtsein des Menschen heute verlockend also:

Lerne mein Wesen erkennen!
Ich gebe dir die Kraft,
Im Schein des Luftkreises
Das Weltenall zu verkörpern.
So spricht der Löwe.

Und mehr als man glaubt, haben diese Stimmen, die zum Unterbewußtsein des Menschen sprechen, Wirkung. Ja, meine lieben Freunde, es sind verschiedene Menschenorganisationen auf Erden besonders dazu organisiert, diese Wirkungen aufzunehmen. So zum Beispiel ist besonders organisiert, verlockt zu werden, verführt zu werden durch die Stimme des Adlers alles, was den Westen bewohnt. Namentlich die amerikanische Kultur ist durch die besondere Organisation ihrer Menschheit ausgesetzt der Verführung dessen, was der Adler spricht. Die europäische Mitte, die vieles von dem in sich enthält, was antike Kultur ist, die vieles von dem in sich enthält, was Goethe zum Beispiel veranlaßt hat, zur Befreiung seines Lebens den Zug nach Italien zu machen, die ist besonders ausgesetzt dem, was da spricht der Löwe.

Die orientalische Zivilisation ist vor allen Dingen ausgesetzt dem, was da spricht die Kuh. Und ebenso, wie die beiden anderen Tiere in ihrer kosmischen Repräsentanz ertönen, ertönt, man möchte sagen, unten aus Erdentiefen heraus wie grollend, gröhlend der Ruf dessen, was in der Schwere der Kuh lebt. Es ist wirklich so, wie ich es Ihnen gestern schon beschrieben habe: daß man die Herde, die gesättigt weidet, in ihrer eigentümlichen, sich der Erdenschwere hingebenden Art lagern sieht in einer Gestalt, welche ausdrückt dieses der Erdenschwere Unterliegen, dieses dem Umstande Unterliegen, daß es jeden Tag ein

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Achtel seines eigenen Körpergewichtes zu seiner Beschwerung in sich auswechseln muß. Zu dem kommt hinzu, daß die Tiefen der Erde, die unter dem Einfluß von Sonne, Merkur, Venus und Mond all das in der Ernährungsorganisation der Kuh bewirken, daß diese Tiefen der Erde wie mit dämonisch grollender Kraft eine solche Herde durchtönen mit den Worten:

Lerne mein Wesen erkennen!
Ich gebe dir die Kraft,
Waage, Meßlatte und Zahl
Dem Weltenall zu entreißen.
So spricht die Kuh.

Und ausgesetzt ist dem Lockruf besonders der Orient. Nur ist die Sache` so gemeint, daß der Orient zwar zunächst ausgesetzt ist diesem Lockruf der Kuh, weil er die alte Kuhverehrung hat in dem Hinduismus, daß aber, wenn dieser Lockruf wirklich die Menschheit so ergreifen würde, daß dasjenige, was aus diesem Lockruf entsteht, siegen würde, dann würde gerade dasjenige, was aus dem Orient wirkt, über die Mitte und den Westen sich als eine den Fortschritt hemmende, Niedergang bewirkende Zivilisation kundgeben. Einseitig würden die erdendämonischen Kräfte auf die Erdenzivilisation wirken. Denn, was würde dann eigentlich geschehen?

Was dann geschehen würde, das ist das Folgende: Wir haben auf der Erde im Laufe der letzten Jahrhunderte eine unter dem Einfluß der äußeren Wissenschaft stehende Technik bekommen, e1n äußeres technisches Leben. Wunderbar ist ja unsere Technik auf allen Gebieten. Die Naturkräfte wirken in der Technik in ihrer leblosen Gestaltung. Und was da gilt, um diese Naturkräfte ins Spiel zu bringen, sozusagen ganz und gar zu einer Zivilisationsschichtung über der Erde zu machen, das ist Waage, Meßlatte und Zahl.

Waage, der Maßstab, Wägen, Zählen, Messen, das ist das Ideal des heutigen Wissenschafters, des heutigen Technikers, der von der äußeren Wissenschaft eigentlich seinen ganzen Beruf heute hat. Wir haben es so weit gebracht, daß ein bedeutender Mathematiker der Gegenwart auf die Frage: Was verbürgt das Sein? - die folgende Antwort gibt. Nun, die Philosophen aller Zeiten haben versucht, die Frage: Was ist denn

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eigentlich wirklich? - zu beantworten. Dieser bedeutende Physiker sagt:

Dasjenige ist wirklich, was man messen kann; was man nicht messen kann, ist nicht wirklich. - Es ist das Ideal sozusagen, alles Sein so anzusehen, daß man es in das Laboratorium hereinbringen und wiegen, messen und zählen kann, und aus dem, was gewogen und gemessen und gezählt ist, wird dann eigentlich das zusammengestellt, was man als Wissenschaft, die dann in die Technik ausströmt, noch gelten läßt. Zahl, Maß und Gewicht ist dasjenige geworden, was sozusagen orientierend für die ganze Zivilisation wirken soll.

Nun, solange die Menschen nur allein mit ihrem Verstande das Messen, Zählen und Wiegen anwenden, so lange ist es nicht besonders schlimm. Die Menschen sind zwar sehr gescheit, aber so gescheit wie das Weltenall eben` noch lange nicht. Daher kann es nicht besonders schlimm werden, solange nur sozusagen dem Weltenall gegenüber herumdilettiert wird in bezug auf Messen, Wiegen und Zählen. Aber wenn sich gerade die heutige Zivilisation in Einweihung verwandeln würde, dann würde es schlimm, wenn sie bei ihrer Gesinnung bliebe. Und das kann entstehen, wenn die Zivilisation des Westens, die ganz im Zeichen von Waage, Maßstab und Zählen steht, überflutet würde von dem, was immerhin im Orient passieren könnte: daß durch Initiationswissenschaft ergründet werden könnte, was eigentlich geistig in der Organisation der Kuh lebt. Denn dringen Sie in die Organisation der Kuh ein, lernen Sie erkennen, wie da dieses Achtel an Nahrungsstoffen, belastet mit irdischer Schwere, mit alledem, was man wägen, messen und zählen kann, lernen Sie das, was geistig dieses Erdenschwere in der Kuh organisiert, lernen Sie diesen ganzen Organismus der Kuh erkennen, wie er auf der Weide liegt und verdaut und In seiner Verdauung Wunderbares aus dem Weltenall astralisch zur Offenbarung bringt: dann lernen Sie erkennen, einzuspannen das Gewogene, Gemessene, Gezählte in ein System, mit dem Sie überwinden können alles andere an Zivilisation, und dem ganzen Erdball einzig und allein eine Zivilisation geben, die nur mehr wiegt, zählt und mißt und alles andere aus der Zivilisation verschwinden macht. Denn, was würde die Initiation der Kuhorganisation ergeben? Das ist eine tief eingreifende Frage, eine ungeheuer bedeutungsvolle Frage. Was würde die ergeben?

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Ja, die Art und Weise, wie man zum Beispiel Maschinen konstruiert, die ist sehr verschieden, je nach den einzelnen Maschinen; aber alles tendiert darauf hin, daß die noch unvollkommenen, primitiven Maschinen allmählich solche werden, die auf Schwingungen beruhen: wo irgend etwas schwingt, und wo durch Schwingungen, durch Oszillation, durch periodisch verlaufende Bewegungen der Effekt der Maschine erzielt wird. Auf solche Maschinen läuft alles hinaus. Wenn man aber einmal diese Maschinen in ihrem Zusammenwirken wird so konstruieren können, wie man es lernen kann an der Verteilung der Nahrungsmittel in der Organisation der Kuh, dann werden die Schwingungen, die auf dem Erdball durch die Maschinen erzeugt werden, diese kleinen Erdenschwingungen werden so verlaufen, daß mittönt, mitschwingt mit dem, was auf der Erde geschieht, dasjenige, was über der Erde ist; daß unser Planetensystem 1n seinen Bewegungen mitschwingen wird müssen mit unserem Erdensystem, wie mitklingt eine entsprechend gestimmte Saite, wenn eine andere in demselben Raum angeschlagen wird.

Das ist das furchtbare Gesetz des Zusammenklingens der Schwingungen, welches sich erfüllen würde, wenn der Lockruf der Kuh den Orient verführen würde, so daß er dann in überzeugender Weise durchdringen könnte die geistlose, rein mechanistische Zivilisation des Westens und der Mitte, und dadurch auf der Erde ein mechanistisches System erzeugt werden könnte, das genau eingepaßt ist in das mechanistische System des Weltenalls. Damit würde alles, was Luftwirkung ist, Umkreiswirkung ist, und alles, was Sternenwirkung ist, in der Menschheitszivilisation ausgerottet werden. Das, was der Mensch zum Beispiel erlebt durch den Jahreslauf, das, was er erlebt, indem er mitmacht das sprießende, sprossende Leben des Frühlings, das sich ertötende, erlähmende Leben des Herbstes, das alles würde seine Bedeutung für den Menschen verlieren. Es würde die menschliche Zivilisation durchtönen das Geklimmgeklapper der schwingenden Maschinen und das Echo dieses Geklimmgeklappers, das aus dem Kosmos herein auf die Erde als eine Reaktion des Erdenmechanismus strömen würde.

Wenn Sie einen Teil dessen, was in der Gegenwart wirkt, betrachten, dann werden Sie sich sagen: Ein Teil unserer gegenwärtigen Zivilisation

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ist durchaus auf dem Wege, dieses furchtbare Niedergangsmäßige als Ziel zu haben.

Nun denken Sie sich einmal, wenn die Mitte verlockt würde durch dasjenige, was der Löwe spricht, dann würde zwar die Gefahr nicht vorhanden sein, die ich eben geschildert habe. Es würden die Mechanismen allmählich wiederum vom Erdboden verschwinden. Die Zivilisation würde keine mechanische werden, aber der Mensch würde in einer einseitigen Stärke hingegeben werden alldem, was in Wind und Wetter, was Im Jahreslauf lebt. Der Mensch würde eingespannt werden in den Jahreslauf, und er würde dadurch insbesondere in der Wechselbeziehung seines Atmungsrhythmus und Zirkulationsrhythmus leben müssen. Er würde dasjenige in sich ausbilden, was sein unwillkürliches Leben ihm geben kann. Er würde gewissermaßen die Brustnatur besonders ausbilden. Dadurch aber würde beim Menschen ein solcher Egoismus über die Erdenzivilisation kommen, daß eigentlich jeder nur sich selbst leben wollte, daß kein Mensch sich auch kümmerte um etwas anderes als um das Wohlsein der Gegenwart. Dem ist ausgesetzt die Zivilisation der Mitte, die durchaus ein solches Leben über die Erdenzivilisation verhängen könnte.

Und hinwiederum, wenn der Lockruf des Adlers verlocken würde den Westen, so daß es ihm gelingen würde, seine Denkweise und Gesinnung über die ganze Erde zu verbreiten und sich selber in dieser Denkweise und Gesinnung zu vereinseitigen, dann würde überhaupt in der Menschheit der Drang entstehen, sich in der Weise unmittelbar mit der über- irdischen Welt in Verbindung zu setzen, die einmal da war, die da war am Erdenausgang, am Erdenanfang. Man würde den Drang bekommen, auszulöschen, was der Mensch in seiner Freiheit und Selbständigkeit errungen hat. Man würde dazu kommen, ganz nur in jenem unbewußten Willen zu leben, der die Götter in den menschlichen Muskeln, Nerven leben läßt. Man würde zu primitiven Zuständen, zu ursprünglichem, primitivem Hellsehen zurückkommen. Der Mensch würde suchen, von der Erde dadurch loszukommen, daß er an den Erdenanfang zurückkehrte.

Ich möchte sagen, für den exakt clairvoyanten Blick wird das noch erhärtet dadurch, daß ihn eigentlich die weidende Kuh immer fort und

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fort wiederum mit einer Art von Stimme durchdringt, die da sagt: Schaue nicht nach oben; alle Kraft kommt von der Erde. Mache dich bekannt mit alledem, was in den Erdenwirkungen liegt. Du wirst der Herr der Erde. Du wirst dasjenige zum Dauernden machen, was du dir auf Erden erarbeitest. - Ja, wenn der Mensch unterliegen würde diesem Lockruf, dann würde eben jene Gefahr nicht beseitigt werden können, von der ich gesprochen habe: die Mechanisierung der Erdenzivilisation. Denn das Astralische des Verdauungstieres will das Gegenwärtige dauernd machen, das Gegenwärtige verewigen. Aus der Löwenorganisation geht dasjenige hervor, was nicht das Gegenwärtige dauernd machen will, aber was die Gegenwart so flüchtig als möglich machen will, was alles zu einem Spiel des Jahreslaufes, der sich immer wiederholt, machen will, was aufgehen will in Wind und Wetter, in dem Spiel des Sonnenstrahls, in den Lüften. Diesen Charakter würde auch die Zivilisation annehmen.

Der Adler, wenn man ihn wirklich verständnisvoll betrachtet, wie er die Lüfte durchschwebt, erscheint so, wie wenn er auf seinem Gefieder trüge das Gedächtnis von dem, was am Erdenausgangspunkte da war. Er hat bewahrt in seinem Gefieder die Kräfte, die von oben gewirkt haben noch in die Erde herein. Man möchte sagen, jedem Adler sieht man die Erdenjahrtausende an, und er hat die Erde mit seinem Physischen nicht berührt als höchstens zum Erfassen der Beute, jedenfalls nicht zum Befriedigen des Eigenlebens. Er aber kreist in den Lüften, wenn er dieses Eigenleben pflegen will, weil ihm dasjenige, was auf der Erde geworden ist, gleichgültig ist, weil er seine Freude und seine Begeisterung von den Kräften der Lüfte hat, weil er das Erdenleben sogar verachtet und leben will in demjenigen Element, in dem die Erde selber gelebt hat, als sie noch nicht Erde war, sondern als sie im Beginn ihres Erdendaseins noch mit himmlischen Kräften sich selber durchsetzte. Der`Adler ist das stolze Tier, das nicht mitmachen wollte die feste Erdenentwickelung, das sich entzog dem Einflusse dieser festeren Erdenentwickelung, und das nur mit denjenigen Kräften vereint bleiben wollte, die am Erdenausgangspunkte waren.

Das sind die Lehren, die uns dieses Dreigetier gibt, wenn wir es betrachten können als eine große, mächtige Schrift, die zur Erklärung

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der Weltenrätsel in das Weltenall hineingeschrieben ist. Denn im Grunde genommen ist jegliches Ding im Weltenall ein Schriftzeichen, wenn wir es lesen können; namentlich, wenn wir den Zusammenhang lesen können, dann verstehen wir die Rätsel des Weltenalls.

Wie ist es doch bedeutungsvoll, sich sagen zu müssen: Was wir da tun, wenn wir messen mit dem Zirkel oder Maßstab, wenn wir mit der Waage wiegen, wenn wir zählen -, da stellen wir eigentlich etwas zusammen, was ja alles nur Fragment ist; ein Ganzes wird es, wenn wir die Kuhorganisation begreifen in ihrer inneren Geistigkeit. Das heißt lesen in den Geheimnissen des Weltenalls. Und dieses Lesen in den Geheimnissen des Weltenalls führt hinein in das Verständnis des Welten- und des Menschendaseins. Das ist moderne Initiationsweisheit. Das ist, was heute aus den Tiefen des Geisteslebens heraus gesprochen werden muß.

Es ist dem Menschen heute eigentlich schwer, Mensch zu sein. Denn, ich möchte sagen, der Mensch nimmt sich heute gegenüber dem Dreigetier aus wie die Antilope in der gestrigen Fabel, die ich Ihnen erzählt habe. Was sich vereinseitigen will, das nimmt besondere Form an. Der Löwe bleibt als Löwe, aber er will seine Raubtiergenossen als Metamorphosen haben für das andere Getier. Er verwendet für das, was eigentlich Adler ist, einen Raubtiergenossen, die Hyäne, die im Grunde genommen von dem Toten lebt, von jenem Toten, das in unserem Haupte erzeugt wird, das zu unserem Sterben fortwährend atomistische Stücke in jedem Augenblicke liefert. So daß diese Fabel den Adler durch die Hyäne ersetzt, durch die Verwesung verzehrende Hyäne, und an die` Stelle der Kuh setzt der Löwe, dem Niedergange entsprechend - die Legende konnte aus der Negerkultur heraus entstehen -, seinen Raubtiergenossen, den Wolf. Und so haben wir In der Fabel das andere Dreigetier: den Löwen, die Hyäne, den Wolf. Wie heute sich die Lockrufe gegenüberstehen, so eigentlich steht sich gegenüber, ich möchte sagen, der kosmische Symbolismus, indem allmählich, wenn die Lockrufe ertönen, der Adler sich zur Erde senkt und zur Hyäne wird, und das Rind nicht mehr in heiliger geduldiger Art das Weltenall abbilden will, sondern zum reißenden Wolfe wird.

Dann haben wir die Möglichkeit, jene Legende, die ich Ihnen gestern

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am Schlusse erzählt habe, zu übersetzen aus der Negersprache in unsere moderne Zivilisationssprache. Gestern mußte ich Ihnen, ich möchte sagen, in der Negergesinnung erzählen: Es gingen auf die Jagd Löwe, Wolf und Hyäne. Sie erlegten eine Antilope. Die Hyäne sollte zunächst teilen; sie teilte nach Hyänenlogik und sagte: Ein Drittel einem jeden; eIn Drittel dem Löwen, ein Drittel dem Wolf, ein Drittel mir. - Da wurde die Hyäne gefressen. Jetzt sagte der Löwe zum Wolf: Nun teile du. - Der Wolf sagte jetzt: Das erste Drittel bekommst du, weil du die Hyäne getötet hast, so gebührt dir auch der Anteil der Hyäne. Das zweite Drittel bekommst du, weil du ja ohnedies ein Drittel bekommen hättest nach dem Ausspruch der Hyäne, jeder hätte ein Drittel zu bekommen, so bekommst du also ein zweites Drittel. Das dritte Drittel bekommst auch du, weil du der Weiseste und Tapferste der Tiere bist. - Und der Löwe Sagte zum Wolf: Wer hat dich so vorzüglich das Teilen gelehrt? - Der Wolf sagte: Das hat mich die Hyäne gelehrt. - Die Logik ist bei beiden gleich, aber es kommt in der Wirklichkeitsanwendung etwas ganz anderes heraus, je nachdem die Hyäne, oder, mit den Erfahrungen der Hyäne, der Wolf die Logik anwendet. In der Anwendung der Logik auf die Wirklichkeit liegt das Wesentliche.

Nun, wir können auch, ich möchte sagen, ins modern Zivilisatorische übersetzt, etwas anders die Sache erzählen. Aber ich erzähle immer, beachten Sie das, ich erzähle immer dasjenige, worum es sich im großen Gang der Kultur handelt. Und da möchte ich sagen, modern ausgedrückt ließe sich die Erzählung vielleicht so machen: Die Antilope wird erlegt. Die Hyäne zieht sich zurück und gibt ein stummes Urteil ab; sie wagt es nicht, erst den Groll des Löwen zu erregen: sie zieht sich zurück. Sie gibt ein stummes Urteil ab, wartet im Hintergrunde.

Der Löwe und der Wolf fangen nun an zu kämpfen um die Beute der Antilope, und kämpfen und kämpfen, und kämpfen so lange, bis sie sich so stark verwundet haben, daß sie beide an den Wunden sterben. Nun kommt die Hyäne und verzehrt Antilope und Wolf und Löwen, nachdem sie in die Verwesung übergegangen sind. Die Hyäne verbildlicht dasjenige, was im menschlichen Intellekt liegt, was das Ertötende in der Menschennatur ist. Sie ist die Kehrseite, die Karikatur der Adlerzivilisation.

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Wenn Sie fühlen, was ich mit dieser Europäisierung der alten Negerfabel sagen will, dann werden Sie verstehen, daß heute eigentlich diese Dinge richtig verstanden werden sollten. Sie werden nur richtig verstanden, wenn dem dreifachen Lockruf, dem des Adlers, dem des Löwen, dem der Kuh, der Mensch entgegensetzen lernt seinen Spruch, den Spruch, der heute das Schibboleth des menschlichen Kraftens und Denkens und Wirkens sein sollte:

Ich muß lernen:
O Kuh,
Deine Kraft aus der Sprache,
Die die Sterne in mir offenbaren.

Nicht Erdenschwere, nicht bloß Wiegen, Zählen und Messen, nicht bloß dasjenige lernen, was in der physischen Organisation der Kuh liegt, sondern dasjenige, was in ihr verkörpert ist, das scheue Abwenden des Blicks von der Kuhorganisation zu dem, was sie verkörpert; hin- aufwenden den Blick in die Höhen: dann, dann wird vergeistigt, was sonst mechanistische Zivilisation der Erde würde.

Das Zweite, wovon der Mensch sich sagen muß:

Ich muß lernen:
O Löwe,
Deine Kraft aus der Sprache,
Die in Jahr und Tag
Der Umkreis in mir wirket.

Achten Sie auf das «offenbaren», auf das «wirken»! Und das Dritte, was der Mensch lernen muß, ist:

O Adler:
Deine Kraft aus der Sprache,
Die das Erd-Entsprossene in mir erschafft.

So muß der Mensch seinen Dreispruch entgegensetzen den einseitigen Lockrufen, jenen Dreispruch, dessen Sinn die Einseitigkeiten zum harmonischen Ausgleich bringen kann. Er muß lernen, zur Kuh zu schauen, aber von der Kuh, nachdem er sie gründlich empfunden hat, aufzu

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schauen zu dem, was die Sprache der Sterne offenbart. Er muß lernen, aufzurichten den Blick zum Adler, und, nachdem er die Natur des Adlers gründlich in sich empfunden hat, mit dem Blick, mit dem, was ihm die Natur des Adlers gegeben hat, hinunterzuschauen auf das, was in der Erde sprießt und sproßt und auch im Menschen in seiner Organisation wirkt von unten herauf. Und er muß lernen, den Löwen so anzuschauen, daß ihm vom Löwen geoffenbart wird, was ihn umweht im Winde, anblitzt im Blitze, was um ihn herum grollt im Donner, was Wind und Wetter im Jahreslaufe in dem ganzen Erdenleben, in das der Mensch eingespannt ist, bewirken. Wenn der Mensch also - physischen Blick nach aufwärts mit nach abwärts gerichtetem Geistesblick, physischen Blick nach abwärts mit nach aufwärts gerichtetem Geistesblick, geradeaus nach Osten gerichteten physischen Blick mit geradeaus entgegengesetzt nach Westen gerichtetem Geistesblick -, wenn der Mensch also imstande ist, oben und unten und vorne und rückwärts, Geistesblick und physischen Blick einander durchdringen zu lassen, dann vermag er die wirklichen, die ihn kräftigenden und nicht schwächenden Rufe des Adlers aus den Höhen, des Löwen aus dem Umkreis, der Kuh aus dem Inneren der Erde zu vernehmen.

Das ist es, was der Mensch lernen soll über sein Verhältnis zum Weltenall, auf daß er immer geeigneter werde im Wirken für die Erdenzivilisation, und nicht dem Niedergange, sondern dem Aufgange diene.

Lerne mein Wesen erkennen!
Ich gebe dir die Kraft,
So spricht der Adler
Im eignen Haupte
Ein Weltenall zu schaffen.
Westen
Lerne mein Wesen erkennen!
Ich gebe dir die Kraft,
So spricht der Löwe
Im Schein des Luftkreises
Das Weltenall zu verkörpern.
Mitte
Lerne mein Wesen erkennen!
Ich gebe dir die Kraft,
So spricht die Kuh
Waage, Meßlatte und Zahl
Dem Weltenall zu entreißen.
Orient
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Ich muß lernen

O Kuh: deine Kraft
Aus der Sprache,
Die die Sterne in mir offenbaren -

O Löwe: deine Kraft
Aus der Sprache,
Die in Jahr und Tag
Der Umkreis in mir wirket -

O Adler: deine Kraft
Aus der Sprache,
die das Erd-Entsprossene in mir erschafft.

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DRITTER VORTRAG Dornach, 21. Oktober 1923

Wir haben versucht, den Menschen wiederum von einem gewissen Gesichtspunkte aus in das Weltenall hineinzustellen. Wir wollen heute eIne Betrachtung anstellen, die das Ganze, ich möchte sagen, zusammenfassen kann. Wir leben innerhalb unseres physischen Lebens auf der Erde, sind umgeben von denjenigen Ereignissen und Tatsachen, welche da sind durch den physischen Stoff der Erde, der in der verschiedensten Weise geformt, gestaltet wird zu den Wesen der Naturreiche, zu der menschlichen Gestalt selber. In alledem west eben der physische Stoff der Erde. Nennen wir ihn heute einmal, diesen physischen Stoff, weil w1r gleich nachher von seinem Gegensatze werden sprechen müssen, die physische Substanz der Erde, dasjenige also, was den verschiedenen Gestaltungen der Erde stofflich zugrunde liegt, und unterscheiden wir davon das, was als der Gegensatz dieser physischen Substanz im Weltenall vorhanden ist, die geistige Substanz, die zum Beispiel unserer eigenen Seele zugrunde liegt, die aber auch sonst im Weltenall denjenigen Gestaltungen zugrunde liegt, die sich als geistige mit den physischen Gestaltungen verbinden.

Man kommt nicht zurecht, wenn man nur von einem physischen Stoff oder einer physischen Substanz spricht. Sie brauchen ja nur daran zu denken, daß wir in das Gesamtbild unserer Welt hineinstellen mußten die Wesenheiten der höheren Hierarchien. Diese Wesenheiten der höheren Hierarchien haben nicht Erdensubstanz, nicht physische Substanz in dem, was wir bei ihnen Leiblichkeit nennen würden. Sie haben eben geistige Substanz. So daß wir sehen können auf das Irdische, und wir werden physische Substanz gewahr; so daß wir sehen können auf das Außerirdische, und wir werden geistige Substanz gewahr.

Heute kennt man wenig von geistiger Substanz, und so spricht man auch von demjenigen Erdenwesen, das zugleich der physischen und der geistigen Welt angehört, von dem Menschen, so, als ob er eben nur physische Substanz hätte. Das ist aber nicht der Fall. Der Mensch trägt durchaus in sich geistige und physische Substanz, und er trägt sogar

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diese geistige und physische Substanz in einer so eigenartigen Weise in sich, daß es zunächst überraschend sein muß für denjenigen, der auf solche Dinge nicht gewöhnt ist zu achten. Wenn wir nämlich dasjenige am Menschen in Betracht ziehen, was gerade den Menschen überführt in die Bewegung, was also am Menschen Gliedmaßen sind, und was sich dann von den Gliedmaßen aus nach innen fortsetzt als die Stoffwechseltätigkeit, so ist es unrichtig, wenn wir da in der Hauptsache von physischer Substanz reden. Sie werden gleich nachher das noch genauer durchschauen. Wir reden von dem Menschen nur richtig, wenn wir gerade seine sogenannte niedere Natur so sehen, daß ihr eine im Grunde genommen geistige Substanz zugrunde liegt. So daß, wenn wir uns schematisch den Menschen aufzeichnen wollen, wir das in der folgenden Weise tun müssen.

Wir müssen sagen: Der untere Mensch stellt uns eigentlich ein Gebilde in geistiger Substanz vor, und je weiter wir gegen das Haupt des Menschen zu kommen, desto mehr ist der Mensch aus physischer Substanz gebildet. Das Haupt ist im wesentlichen aus physischer Substanz ge`bildet. Aber die Beine, von denen müssen wir doch sagen, trotzdem es grotesk klingt: sie sind im wesentlichen aus geistiger Substanz gebildet; wie gesagt, so grotesk es klingt. So daß, wenn wir gegen das Haupt zu gehen, wir den Menschen so zeichnen müssen (es wird gezeichnet), daß wir die geistige Substanz in die physische Substanz übergehen lassen; und insbesondere ist die physische Substanz in dem Haupte des Menschen enthalten. Dagegen ist die geistige Substanz besonders schön ausgebreitet, möchte ich sagen, da, wo der Mensch seine Beine in den Raum hineinstreckt, oder seine Arme in den Raum hineinstreckt. Es ist wirklich so, wie wenn das für Arm und Bein die Hauptsache wäre, daß da diese geistige Substanz sie erfüllt, ihr Wesentliches ist. Es ist wirklich so,daß für Arm und Bein die physische Substanz gewissermaßen da nur in der geistigen Substanz drinnen schwimmt, während das Haupt in der Tat sozusagen ein kompaktes Gebilde aus physischer Substanz ist. - Wir haben aber an einem solchen Gebilde, wie der Mensch es ist, nicht bloß zu unterscheiden die Substanz, sondern wir haben in seiner Gestaltung die Kräfte zu unterscheiden. Auch da müssen wir wiederum unterscheiden zwischen geistigen Kräften und irdisch-physischen Kräften.

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Nun ist es bei den Kräften gerade umgekehrt. Während für Glied maßen und Stoffwechsel die Substanz geistig ist, sind die Kräfte da drinnen, zum Beispiel für die Beine die Schwere, physisch. Und während die Substanz des Hauptes physisch ist, sind die Kräfte, die darinnen spielen, geistig. Geistige Kräfte durchspielen das Haupt, physische Kräfte durchspielen die geistige Substanz des Gliedmaßen-Stoffwechselmenschen. Nur dadurch kann der Mensch völlig verstanden werden, daß man in ihm unterscheidet seine oberen Gebiete, sein Haupt und auch die oberen Brustgebiete, welche eigentlich physische Substanz sind, durcharbeitet von geistigen Kräften - ich möchte sagen, die niedersten geistigen Kräfte arbeiten in der Atmung -, und den unteren Menschen müssen wir ansehen als ein Gebilde von geistiger Substanz, in der physische Kräfte drinnen arbeiten. Nur müssen wir natürlich uns klar darüber sein, wie es sich bei diesen Dingen eigentlich beim Menschen verhält. Der Mensch erstreckt nämlich seine Hauptesnatur in seinen ganzen Organismus, so daß der Kopf allerdings auch dasjenige, was er dadurch ist, daß er physische Substanz, durcharbeitet von geistigen Kräften, ist, daß er dies sein ganzes Wesen auch in das Untere des Menschen hinein erstreckt. Das, was der Mensch durch seine Geistessubstanz ist, in der physische Kräfte arbeiten, wird wiederum herauf- gespielt nach dem oberen Menschen. Was da im Menschen wirkt, das durchdringt sich gegenseitig. Aber verstehen kann man den Menschen doch nur, wenn man ihn in dieser Weise als physisch-geistiges Substantielles und Dynamisches, das heißt Kräftewesen, betrachtet.

Das hat schon auch seine große Bedeutung. Denn wenn man von den äußeren Erscheinungen absieht und auf das innere Wesen eingeht, so zeigt sich uns zum Beispiel, daß keine Unregelmäßigkeit eintreten darf in dieser Verteilung des Substantiellen und des Kräftemäßigen beim Menschen.

Dringt zum Beispiel in dasjenige, was reine Substanz, rein geistige Substanz sein soll beim Menschen, der physische Stoff, die physische Substanz ein, macht sich also zum Beispiel im Stoffwechselsystem die physische Substanz zu stark geltend, die eigentlich nach dem Haupte hin führt, wird gewissermaßen der Stoffwechsel zu stark von der Haupteswesenheit durchdrungen, dann wird der Mensch krank, dann ent

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stehen ganz bestimmte Krankheitstypen. Und die Aufgabe der Heilung besteht dann darin, diese im geistig Substantiellen sich breitmachende physische Substanzgestaltung wiederum zu paralysieren, herauszutreiben. Andererseits, wenn das Verdauungssystem des Menschen In seiner eigentümlichen Art, durcharbeitet zu sein von physischen Kräften in geistiger Substanz, wenn dieses hinaufgeschickt wird nach dem Haupte, dann wird das menschliche Haupt zu stark, wenn ich mich so ausdrücken darf, spiritualisiert, dann tritt eine zu starke Spiritualisierung des Hauptes ein. Dann muß man dafür sorgen, weil das einen Krankheitszustand darstellt, genügend physische Ernährungskräfte dem Haupte zuzusenden, so daß diese beim Haupte so ankommen, daß sie nicht spiritualisiert werden.

Wer auf den gesunden und kranken Menschen blickt, wird die Nützlichkeit dieser Unterscheidung sehr bald einsehen können, wenn es ihm überhaupt um die Wahrheit, nicht bloß um den äußeren Schein zu tun ist. Aber in dieser Sache spielt noch etwas wesentlich anderes. Das, was da spielt, als was der Mensch sich fühlt dadurch, daß er ein so geartetes Wesen ist, wie ich es dargestellt habe, das bleibt zunächst bei dem gewöhnlichen heutigen Bewußtsein eben im Unterbewußtsein. Da ist es schon vorhanden. Da tritt es als eine Art Stimmung, Lebensstimmung des Menschen auf. Aber zum vollen Bewußtsein bringt es doch nur die geistige Anschauung, und diese geistige Anschauung kann ich Ihnen nur so schildern: Derjenige, der aus der heutigen InitiationswIssenschaft heraus dieses Geheimnis vom Menschen weiß, daß eigentlich das hauptsächlichste, das wesentlichste Organ, welches der physischen Substanz bedarf, das Haupt ist, damit es diese physische Substanz mit den geistigen Kräften durcharbeiten kann, und wer weiter weiß, daß im Gliedmaßen-Stoffwechselmenschen das Wesentliche die geistige Substanz ist, die der physischen Kräfte bedarf, der Schwerkräfte, der Gleichgewichtskräfte und der anderen physischen Kräfte, um zu bestehen, derjenige, der so dieses Geheimnis des Menschen geistig durchschaut und dann zurückblickt auf dieses menschliche irdische Dasein, der kommt eigentlich sich als Mensch selber wie ein ungeheurer Schuldner gegenüber der Erde vor. Denn auf der einen Seite muß er sich sagen, er bedarf, damit er sein Menschenwesen aufrecht erhalten

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kann, gewisser Bedingungen; aber durch diese Bedingungen wird er eigentlich der Schuldner der Erde. Er entzieht fortwährend etwas der Erde. Er kommt nämlich darauf, sich sagen zu müssen: 4as, was er an geistiger Substanz in sich trägt während des Erdendaseins, das braucht eigentlich die Erde. Das sollte er eigentlich, wenn er durch den Tod geht, der Erde zurücklassen, denn die Erde bedarf zu ihrer Erneuerung fortwährend geistiger Substanz. Er kann es nicht, denn er würde seinen Menschenweg durch die Zeit nach dem Tode nicht zurücklegen können. Er muß diese geistige Substanz mitnehmen für das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, weil er sie braucht, weil er sozusagen verschwinden würde nach dem Tode, wenn er diese geistige Substanz nicht mitnehmen würde durch den Tod.

Nur dadurch kann er jene` Veränderungen durchmachen, die er durchmachen muß, daß er diese geistige Substanz seines Gliedmaßen-Stoffwechselmenschen durch die Pforte des Todes hinüberträgt in die geistige Welt. Und so würde der Mensch nicht künftigen Inkarnationen unterliegen können, wenn er der Erde das, was er ihr eigentlich schuldet, diese geistige Substanz, geben würde. Er kann es nicht. Er bleibt e1n Schuldner. Das ist etwas, was zunächst durch nichts zu verbessern ist, soweit die Erde in ihrem Mittelzustande ist. Am Ende des Erdendaseins wird es anders sein.

Es ist einmal so, meine lieben Freunde, daß derjenige, der mit der Geistesschau das Leben ansieht, nicht allein jene Schmerzen und Leiden, meinetwillen auch jenes Glück und jene Freude hat, die so das gewöhnliche Leben gibt, sondern daß mit dem Schauen des Geistigen kosmische Gefühle, kosmische Leiden und Freuden auftreten. Und Initiation ist n1cht trennbar von dem Auftreten solcher kosmischer Leiden, zum Beispiel wie das ist, daß man sich sagt: Einfach dadurch, daß ich mein Menschenwesen aufrecht erhalte, muß ich mich zum, Schuldner der Erde gestalten. Ich kann der Erde das nicht geben, was ich ihr eigentlich, wenn ich kosmisch ganz rechtschaffen wäre, geben müßte.

Ein Ähnliches ist mit dem, was in der Kopfsubstanz da ist. Dadurch, daß das ganze Erdenleben hindurch geistige Kräfte in der materiellen Kopfsubstanz arbeiten, dadurch wird diese Kopfsubstanz der Erde entfremdet. Der Mensch muß ja die Substanz für seinen Kopf der Erde

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entnehmen. Aber er muß auch, um Mensch zu sein, diese Substanz seines Kopfes fortwährend mit den geistigen Kräften des Außerirdischen durchdringen. Und wenn der Mensch stirbt, ist, es für die Erde etwas außerordentlich Störendes, daß sie jetzt zurücknehmen muß die Kopfmaterie des Menschen, die ihr so fremd geworden ist. Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen ist und er seine Hauptessubstanz der Erde übergibt, dann wirkt diese Hauptessubstanz, die eigentlich durchaus vergeistigt ist, die geistige Ergebnisse in sich trägt, im Grunde genommen im Ganzen des Erdenlebens vergiftend, eigentlich störend dieses Erdenleben. Der Mensch muß sich eigentlich sagen, wenn er diese Dinge durchschaut: rechtschaffen wäre es von ihm, diese Substanz nun mitzunehmen gerade durch die Pforte des Todes, weil sie eigentlich viel besser passen würde in die geistige Region hinein, die der Mensch durchschreitet zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Das kann er nicht. Denn der Mensch würde, wenn er diese vergeistigte Erdensubstanz mitnehmen würde, sich fortwährend einen Feind schaffen für all seine Entwickelung zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Es wäre das Furchtbarste, was dem Menschen passieren könnte, wenn er diese vergeistigte Kopfsubstanz mitnehmen würde. Das würde fortwährend an der Vernichtung seiner geistigen Entwickelung zwischen dem Tod und einer neuen Geburt arbeiten.

So muß man sich sagen, wenn man diese Dinge durchschaut: Man wird auch dadurch ein Schuldner an der Erde; denn etwas, was man ihr verdankt, aber unbrauchbar für sie gemacht hat, muß man fortwährend zurücklassen, kann es nicht mitnehmen. Das, was man ihr lassen soll, entzieht man ihr; dasjenige, was man mitnehmen soll, was man unbrauchbar für sie gemacht hat, das übergibt man mit seinem Erdenstaub dieser Erde, die in ihrem Gesamtleben, als Gesamtwesen ungeheuer darunter leidet.

Es ist schon so,daß sich zunächst gerade durch die Geistesschau etwas auf die Menschenseelen lagert, was wie eine ungeheure tragische Empfindung ist. Und nur wenn man größere Zeiträume übersieht, die Entwickelung ganzer Systeme überschaut, dann stellt sich einem der Ausblick dar, daß man zum Beispiel, wenn die Erde einmal ihrem Ende entgegengegangen sein wIrd, diese Schuld in den späteren Stufen der

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Menschheitsentwickelung, in der Jupiter-, Venus-, Vulkanstufe, sozusagen wird ausgleichen, ablegen können.

Also nicht nur dadurch, daß man ein einzelnes Erdenleben durchmacht, schafft man Karma, sondern man schafft Karma, Weltenkarma, kosmisches Karma überhaupt dadurch, daß man Erdenmensch ist, daß man die Erde bewohnt und aus der Erde seine Substanzen zieht.

Da ist es dann möglich, von dem Menschen hinwegzuschauen und auf die übrige Natur zu schauen und zu sehen, wie zwar der Mensch, ich möchte sagen, diese Schuld auf sich laden muß, von der ich Ihnen eben jetzt erzählt habe, wie aber dennoch fortwährend durch die kosmischen Wesenheiten ein Ausgleich geschaffen wird. Da dringt man ein in wunderbare Geheimnisse des Daseins, in Geheimnisse, die in der Tat, wenn man sie zusammenfaßt, erst das werden, was man als Vorstellung bekommt von der Weisheit der Welt.

Wenden wir den Blick vom Menschen weg auf etwas, worauf wir In den letzten Tagen vielfach diesen Blick gewendet haben, wenden wir den Blick zur Vogelwelt, die uns repräsentiert war in den letzten Tagen durch den Adler. Wir sprachen von dem Adler als dem Repräsentanten der Vogelwelt, als demjenigen Tier, das sozusagen zusammenfaßt die Eigenschaften und Kräfte der Vogelwelt. Und indem wir den Adler betrachten, betrachten wir eigentlich dasjenige, was im kosmischen Zusammenhange der ganzen Vogelwelt obliegt. Ich werde also in Zukunft einfach vom Adler sprechen. - Ich habe Ihnen davon gesprochen, wie eigentlich der Adler dem Kopf des Menschen entspricht, und wie diejenigen Kräfte, die im Menschenkopf die Gedanken auslösen, bei dem Adler das Gefieder auslösen. So daß eigentlich in dem Adlergefieder die sonnendurchströmten Luftkräfte, die lichtdurchströmten Luftkräfte wirken. Das schimmert in dem Adlergefieder: die Luftkraft lichtdurchdrungen.

Nun hat der Adler, dem man ja manche schlimmen Eigenschaften zuschreiben kann, eben doch die merkwürdige Eigenschaft in bezug auf sein kosmisches Dasein, daß gewissermaßen außerhalb seiner Haut, in der Gestaltung des Gefieders alles dasjenige bleibt, was diese sonnendurchwirkten Luftkräfte an ihm bilden. Was da geschieht, merkt man nämlich erst, wenn der Adler stirbt.

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Wenn der Adler stirbt, wird einem erst klar, was für eine merkwürdige, ich möchte sagen, oberflächliche Verdauung der Adler hat gegenüber der gründlichen Verdauung der Kuh mit ihrem Wiederkäuen. Die Kuh ist wirklich das Verdauungstier - wiederum als Repräsentant für viele aus dem Tiergeschlechte. Da wird gründlich verdaut. Der Adler verdaut wie jeder Vogel oberflächlich. Es wird alles nur angefangen sozusagen, das Verdauungsgeschäft nur angefangen. Und ich möchte sagen, es ist im Adlersein dieses Verdauen, wenn wir auf das Ganze sehen, eigentlich ein Nebengeschäft des Daseins; es wird überall im Adler als ein Nebengeschäft behandelt. Dagegen verläuft gründlich im Adler alles, was auf sein Gefieder verwendet wird. Bei anderen Vögeln ist gerade das noch stärker. Da wird mit ungeheurer Sorgfalt alles in den Federn ausgearbeitet. Und solch eine Vogelfeder ist eigentlich ein wunderbares Gebilde. Da kommt nämlich am stärksten zustande dasjenige, was man irdische Materie nennen möchte, die der Adler der Erde entnimmt, und die von den oberen Kräften durchgeistigt wird, aber so, daß es nicht angeeignet wird von dem Adler; denn der Adler macht keinen Anspruch auf Reinkarnation. Ihn braucht es daher nicht zu genieren, was dann geschieht durch das, was da durch die oberen geistigen Kräfte an der irdischen Materie in seinem Gefieder bewirkt wird; ihn braucht nicht zu genieren, wie das nun weiterwirkt in der geistigen Welt.

So sehen wir denn, wenn der Adler stirbt und sein Gefieder nun auch zugrunde geht - wie gesagt, es gilt das für jeden Vogel -, daß da die vergeistigte irdische Materie in das Geisterland hinausgeht, zurückverwandelt wird in geistige Substanz.

Sie sehen, wir haben eine merkwürdige verwandtschaftliche Beziehung in bezug auf unser Haupt zum Adler. Was wir nicht können, der Adler kann es: Der Adler schafft fortwährend von der Erde fort dasjenige, was in der Erde durch die geistigen Kräfte an physischer Substanz vergeistigt wird.

Das ist es auch, weshalb wir mit unserer Empfindung so merkwürdig den Adler in seinem Flug betrachten. Wir empfinden ihn als etwas Erdenfremdes, als etwas, was mit dem Himmel mehr zu tun hat als mit der Erde, obwohl er ja von der Erde seine Substanz holt. Aber wie holt er

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sie? Er holt sie so, daß er für die Erdensubstanz nur ein Räuber ist. Ich möchte sagen, es ist nicht im gewöhnlichen banalen Gesetz des Erdendaseins vorgesehen, daß der Adler auch noch etwas bekommt. Er stiehlt sich, er raubt sich seine Materie, wie überhaupt das Vogelgeschlecht vielfach die Materie raubt. Aber er gleicht aus, der Adler. Er raubt sich seine Materie, aber er läßt sie vergeistigen von den Kräften, die als geistige Kräfte in den oberen Regionen sind, und er entführt nach seinem Tode diese vergeisteten Erdenkräfte, die er geraubt hat, ins Geisterland. Mit den Adlern zieht die vergeistigte Erdenmaterie hinaus ins Geisterland.

Das Leben der Tiere ist auch nicht abgeschlossen, wenn sie sterben. Sie haben ihre Bedeutung im Weltenall. Und fliegt der Adler als physischer Adler, so ist er gewissermaßen nur ein Sinnbild seines Daseins; so fliegt er als physischer Adler. Oh, er fliegt weiter nach seinem Tode! Es fliegt die vergeistigte physische Materie der Adlernatur hinein in die Weiten, um sich zu vereinigen mit der Geistmaterie des Geisterlandes.

Sie sehen, man kommt auf wunderbare Geheimnisse im Weltenall, wenn man diese Dinge durchschaut. Dann erst sagt man sich, warum denn eigentlich diese verschiedenen Tier- und anderen Gestaltungen der Erde da sind. Sie haben alle ihre große, ihre ungeheure Bedeutung im ganzen Weltenall.

Gehen wir jetzt zu dem anderen Extrem, das wir auch in diesen Tagen betrachtet haben, gehen wir zu der von dem Hindu so verehrten Kuh. Da haben wir allerdings das andere Extrem. Wie der Adler dem menschlichen Kopfe sehr ähnlich ist, ist die Kuh sehr ähnlich dem menschlichen Stoffwechselsystem. Sie ist das Verdauungstier. Und, so sonderbar es klingt, dieses Verdauungstier besteht eigentlich wesenhaft aus geistiger Substanz, in die nur eingespannt und eingestreut ist die physische Materie, die aufgezehrt wird. Da ist in der Kuh die geistige Substanz (es wird gezeichnet), und die physische Materie dringt hier überall ein und wird von der geistigen Substanz aufgenommen, verarbeitet. Damit das ganz gründlich geschieht, ist das Verdauungsgeschäft der Kuh ein so ausführliches, gründliches. Es ist das gründlichste Verdauungsgeschäft, das man sich denken kann, und in dieser Beziehung besorgt wirklich die Kuh am gründlichsten das Tiersein. Die Kuh

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ist gründlich Tier. Sie bringt tatsächlich das Tiersein, diesen Tieregoismus, diese Tier-Ichheit aus dem Weltenall auf die Erde in den Bereich der Schwerkraft der Erde herunter.

Kein anderes Tier hat dasselbe Verhältnis zwischen dem Blutgewichte und dem gesamten Körpergewichte wie die Kuh; entweder hat es weniger oder mehr Blut im Verhältnis zum Körpergewichte als die Kuh; und Gewicht hat mit der Schwere zu tun, und das Blut mit der Egoität. Nicht mit dem Ego, das hat ja nur der Mensch, aber mit der Egoität, mit dem Einzelsein. Das Blut macht auch das Tier zum Tiere, das höhere Tier wenigstens. Man möchte sagen: die Kuh hat das Weltenrätsel gelöst, wie man gerade das richtige Verhältnis hält zwischen der Schwere des Blutes und der Schwere des ganzen Körpers, wenn man so gründlich wie möglich Tier sein will.

Sehen Sie, die Alten haben nicht umsonst den Tierkreis «Tierkreis» genannt. Der ist zwölfgliedrig, verteilt gewissermaßen sein gesamtes Sein auf zwölf einzelne Teile. Diese Kräfte, die aus dem Kosmos, von dem Tierkreis kommen, die gestalten sich eben aus in den Tieren. Aber die anderen Tiere richten sich nicht so genau darnach. Die Kuh hat das Zwölftel ihres Körpergewichtes in ihrem Blutgewicht. Das Gewicht des Blutes bei der Kuh ist das Zwölftel ihres Körpergewichtes, beim Esel nur das Dreiundzwanzigstel, beim Hund das Zehntel. Alle anderen Tiere haben ein anderes Verhältnis. Beim Menschen ist das Blut ein Dreizehntel des Körpergewichtes.

Sie sehen, die Kuh hat es abgesehen darauf, in der Schwere das ganze Tiersein auszudrücken, so gründlich als möglich Kosmisches auszudrücken. Was ich in diesen Tagen immer gesagt habe, daß man es am astralischen Leib der Kuh sieht, daß sie eigentlich das Obere im Physisch-Materiellen verwirklicht, das drückt sich selbst darin aus, daß sie in ihrem eigenen inneren Gewichtsverhältnisse die Zwölfteilung aufrecht erhält. Da ist sie kosmisch drinnen. Alles an der Kuh ist so, daß in die geistige Substanz hineingearbeitet werden die Kräfte der Erde. Der Erdenschwere wird es aufgedrungen, sich im Tierkreisverhältnis in der Kuh zu verteilen. Die Erdenschwere muß sich fügen, ein Zwölftel auf die Egoität entfallen zu lassen. Alles zwingt die Kuh herein in die irdischen Verhältnisse, was sie an geistiger Substanz hat.

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So ist die Kuh, die auf der Weide liegt, in der Tat geistige Substanz, welche die Erdenmaterie in sich aufnimmt, absorbiert, sich ähnlich macht.

Wenn die Kuh stirbt, dann ist diese geistige Substanz, die die Kuh in sich trägt, fähig, mit der Erdenmaterie zur Wohltat des Lebens der ganzen Erde von dieser Erde aufgenommen zu werden. Und man tut recht, wenn man der Kuh gegenüber die Empfindung hat: Du bist das wahre Opfertier, denn du gibst im Grunde genommen der Erde fortwährend das, was sie braucht, ohne das sie nicht weiter bestehen könnte, ohne das sie verhärten und vertrocknen würde. Du gibst ihr fortwährend geistige Substanz und erneuerst die innere Regsamkeit, die innere Lebendigkeit der Erde.

Und wenn Sie schauen auf der einen Seite die Weide mit den Kühen, auf der anderen Seite den fliegenden Adler, dann haben Sie da merkwürdige Gegenbilder: der Adler, der die für die Erde unbrauchbar gewordene Erdenmater1e - weil diese Materie vergeistigt ist - hinausträgt in die Weiten des Geisterlandes, wenn er stirbt; die Kuh, wenn sie stirbt, welche die Himmelsmaterie der Erde gibt und so die Erde erneuert. Der Adler entnimmt der Erde das, was sie nicht mehr brauchen kann, was zurück muß ins Geisterland. Die Kuh trägt in die Erde das herein, was die Erde fortwährend an erneuernden Kräften aus dem Geisterland braucht.

Sie sehen hier etwas wie das Auftauchen von Empfindungen aus der Initiationswissenschaft heraus. Denn man hat so gewöhnlich den Glauben: diese Initiationswissenschaft, nun, die studiert man halt, aber sIe gibt eigentlich nichts als Begriffe, als Ideen. Man füllt sich seinen Kopf mit Ideen über das Übersinnliche an, wie man seinen Kopf sonst anfüllt mit Ideen über das Sinnliche. Aber so ist es nicht. Immer weiterdringend in dieser Initiationswissenschaft kommt man dazu, Empfindungen, von denen man früher keine Ahnung hatte, die aber unbewußt doch in jedem Menschen sind, aus den Tiefen der Seele heraufzuholen; man kommt dazu, alle Wesen anders zu empfinden, als man sie vorher empfunden hat. So kann ich Ihnen eine Empfindung schildern, die eben zum lebendigen Ergreifen der Geisteswissenschaft, der Initiationswissenschaft, dazugehört. Das ist diese, daß man sich sagen

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muß: Wenn nur der Mensch auf Erden wäre, dann müßte man, wenn man die wahre Natur des Menschen erkennt, eigentlich daran verzweifeIn, daß die Erde überhaupt das bekommt, was, sie braucht, daß ihr in der richtigen Zeit die vergeistete Materie entnommen wird und Geistmaterie gegeben wird. Man müßte eigentlich einen solchen Gegensatz zwIschen dem menschlichen und dem irdischen Dasein empfinden, der sehr, sehr weh tut, der deshalb sehr, sehr weh tut, weil man sich sagt: Soll der Mensch richtig Mensch sein auf Erden, so kann die Erde nicht richtig Erde sein durch den Menschen. Mensch und Erde brauchen einander, Mensch und Erde können sich nicht gegenseitig stützen! Was das eine Wesen braucht, geht dem anderen verloren; was das andere braucht, geht dem einen verloren. Und man hätte keine Sicherheit für den Lebenszusammenhang zwischen Mensch und Erde, wenn nicht auftauchen würde die Umwelt und man sich sagen müßte: Was der Mensch nicht vermag in bezug auf die Hinausführung der vergeistigten Erdensubstanz ins Geisterland, das vollbringt die Vogelwelt. Und was der Mensch nicht vermag der Erde zu geben an geistiger Substanz, vollbringen die wiederkäuenden Tiere, und als ihr Repräsentant: die Kuh.

Sehen Sie, dadurch rundet sich die Welt sozusagen zu einem Ganzen. Schaut man bloß auf den Menschen, bekommt man Unsicherheit in seine Empfindung herein über das Erdendasein; schaut man auf das, was den Menschen umgibt, gewinnt man wieder die Sicherheit.

Jetzt werden Sie sich noch weniger wundern, daß eine so tief ins Geistige hineingehende religiöse Weltanschauung, wie der Hinduismus, die Kuh verehrt; denn sie ist das Tier, das die Erde fortwährend vergeistigt, fortwährend der Erde jene Geistsubstanz gibt, welche sie selber aus dem Kosmos entnimmt. Und man müßte eigentlich tatsächlich das Bild real werden lassen, wie unter einer weidenden Kuhherde unten die Erde freudig erregt lebt, die Elementargeister drunten jauchzen, weil sie ihre Nahrung aus dem Kosmos versprochen erhalten durch das DaseIn der Wesen, die da weiden. Man müßte eigentlich den tanzendjauchzenden Luftkreis der Elementargeister malen, umschwebend den Adler. Dann hätte man geistige Realitäten wiederum gemalt, und man würde das Physische in den geistigen Realitäten drinnen sehen; man würde den Adler fortgesetzt sehen in seiner Aura, und in die Aura

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hereinspielend das Jauchzen der elementaren Luftgeister und Feuergeister der Luft.

Man würde diese merkwürdige Aura der Kuh sehen, die so sehr wIderspricht dem irdischen Dasein, weil sie ganz kosmisch ist, und man würde das erregt Heitere der Sinne der irdischen Elementargeister sehen, die hier dessen ansichtig werden, was ihnen dadurch verlorengegangen ist, daß sie in der Finsternis der Erde ihr Dasein fristen müssen. Das ist ja für diese Geister Sonne, was in den Kühen erscheint. Diese in der Erde hausenden Elementargeister können sich nicht über die physIsche Sonne freuen, aber über die Astralleiber der Wiederkäuer.

Ja, meine lieben Freunde, es gibt eben noch eine andere Naturgeschichte als diejenige, die heute in den Büchern steht. Und was ist denn schließlich das Endergebnis der Naturgeschichte, die heute in den Büchern steht?

Es ist eben erschienen die Fortsetzung jenes Buches von Albert Schweitzer, das ich einmal besprochen habe. Sie erinnern sich vielleicht an meine Besprechung dieses Büchelchens über die gegenwärtigen Kulturzustände vor einiger Zeit im «Goetheanum». Die Vorrede dieser Fortsetzung ist eigentlich ein ziemlich trauriges Kapitel gegenwärtiger Geistesproduktion; denn, hat das erste Bändchen, das ich damals besprochen habe, wenigstens noch eine gewisse Kraft und eine Einsicht, um das zuzugeben, was unserer Kultur fehlt, so ist diese Vorrede wirklich ein recht trauriges Kapitel. Denn da renommiert Schweitzer damit, daß er der erste sei, der eingesehen habe, daß im Grunde genommen das Wissen gar nichts geben könne, daß man von irgendwo anders Weltanschauung und Ethik gewinnen müsse als von der Erkenntnis.

Nun, erstens ist ja von Grenzen der Erkenntnis viel gesprochen worden, und es gehört schon ein bißchen, wie soll ich sagen, Kurzsichtigkeit dazu, zu glauben, daß man der erste ist, der von Grenzen der Erkenntnis gesprochen hat. Das haben doch die Naturforscher in allen möglichen Tonarten getan. Also man braucht sich nicht zu rühmen, daß man diesen kolossalen Irrtum zuerst gefunden hat.

Aber wenn man davon absieht, so zeigt sich eben gerade dieses, daß eIn so ausgezeichneter Denker wie Schweitzer - denn ein ausgezeichneter Denker ist er ja doch nach diesem ersten Bändchen - dazu kommt,

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zu sagen: Wenn wir Weltanschauung haben wollen, wenn wir Ethik haben wollen, da sehen wir ganz ab von Wissen und Erkenntnis; denn die geben uns doch nichts. Wissen und Erkenntnis, wie sie eben heute in den Büchern stehen und offiziell anerkannt sind, diese Wissenschaften und diese Erkenntnisse führen nicht dazu, einen Sinn - wie Schweitzer sagt - in der Welt zu entdecken. Denn im Grunde, wenn man so hinschaut, wie diese Persönlichkeiten hinschauen auf die Welt, kann einem ja nichts aufgehen, als: es ist sinnlos, daß Adler fliegen, abgesehen davon, daß man Wappentiere aus ihnen machen kann; es ist irdisch nützlich, daß Kühe Milch geben und so weiter. Aber da der Mensch auch nur ein physisches Wesen ist, so hat es nur e1ne physische Nützlichkeit; irgendeinen Sinn für das Weltenganze gibt das ja nicht.

Allerdings, wenn man eben nicht weitergehen will, so steht man nicht auf dem Niveau, wo ein Sinn der Welt erscheinen kann. Man muß eben übergehen zu dem, was einem das Geistige, was einem die Initiationswissenschaft über die Welt sagen kann; dann findet man schon diesen Sinn der Welt. Dann findet man diesen Sinn der Welt sogar, indem man wunderbare Geheimnisse in allem Dasein entdeckt, solche Geheimnisse wie jenes, das sich abspielt mit dem sterbenden Adler und der sterbenden Kuh, zwischen denen der sterbende Löwe drinnen- steht, der wiederum so in sich geistige Substanz und physische Substanz im Gleichgewichte hält durch seinen Gleichklang zwischen Atmungsund Blutrhythmus, daß er es nun ist, der durch seine Gruppenseele regelt, wieviel Adler notwendig sind und wieviel Kühe notwendig sind, um den richtigen Prozeß nach oben und nach unten, wie ich Ihnen geschildert habe, vor sich gehen zu lassen.

Sie sehen, die drei Tiere, Adler, Löwe, Stier oder Kuh, sie sind aus einer wunderbaren instinktiven Erkenntnis heraus eben geschaffen. Ihre Verwandtschaft mit dem Menschen ist gefühlt. Denn der Mensch müßte sich eigentlich sagen, wenn er diese Dinge durchschaut: Der Adler nimmt mir ab die Aufgaben, die ich nicht selber erfüllen kann durch mein Haupt; die Kuh nimmt mir ab die Aufgaben, die ich nicht selber erfüllen kann durch meinen Stoffwechsel, durch mein Gliedmaßensystem; der Löwe nimmt mir ab diejenigen Aufgaben, die ich nicht selber erfüllen kann durch mein rhythmisches System. So wird

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aus mir und den drei Tieren ein Ganzes im kosmischen Zusammenhange. So lebt man sich hinein in den kosmischen Zusammenhang. So fühlt man die tiefe Verwandtschaft in der Welt und lernt erkennen, wie weise eigentlich diejenigen Kräfte sind, welche das Dasein durchwalten, in das der Mensch hineinverwoben ist, und von dem der Mensch wiederum umwallt und umwogt ist.

Sie sehen, wir konnten in dieser Weise zusammenfassen, was uns da entgegengetreten ist, indem wir aufgesucht haben die Beziehung des Menschen zu dem Dreigetier, von dem wir in den verflossenen Wochen gesprochen haben.

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II Der innere Zusammenhang der Welterscheinungen und Weltwesen

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VIERTER VORTRAG Dornach, 26. Oktober 1923

Wir haben den Zusammenhang der Erdenverhältnisse, der Weltenverhältnisse und der Tierwelt mit dem Menschen in einer gewissen Weise betrachtet. Wir werden an kommenden Tagen gerade in diesen Betrachtungen fortfahren; heute möchte ich aber den Übergang finden zu weiteren Bereichen, die uns in der Zukunft werden beschäftigen müssen. Und da möchte ich zunächst hinweisen darauf, wie ja schon In meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» die Entwickelung der Erde im Kosmos so dargestellt worden ist, daß wir den Ausgangspunkt zu nehmen haben, wenn diese Erdenentwickelung in Frage kommt, von der uralten Saturnmetamorphose der Erde. Diese Saturnmetamorphose ist ja so vorzustellen, daß in ihr noch alles das enthalten ist, was überhaupt zu unserem Planetensystem gehört. Die einzelnen Planeten unseres Planetensystems vom Saturn bis herein zum Mond sind damals noch im alten Saturn - der, wie Sie wissen, nur aus Wärmeäther bestand - aufgelöste Weltenkörper. Also der Saturn, der noch nicht einmal die Luftdichtigkeit erlangt hat, sondern eben Wärmeäther ist, der enthält ebenfalls ätherisch aufgelöst alles das, was sich später selbständig gestaltet, individualisiert in den einzelnen Planeten.

Wir unterscheiden dann als die zweite Metamorphose der ErdenentwIckelung, was zusammenfassend von mir genannt wird die alte Sonnenmetamorphose der Erde. Da hat man es damit zu tun, daß allmähIich aus der Feuerkugel des Saturn sich herausgestaltet die Luftkugel, die lichtdurchströmte, lichtdurchglänzte und -durchglitzerte Luftkugel Sonne.

Dann haben wir eine dritte Metamorphose, wo sich herausbildet, nachdem die alten Zustände wiederholt worden sind, auf der einen Seite das Sonnenhafte, das dazumal noch die Erde und den Mond umspannt, und dasjenige, was äußerlich ist - nun, Sie haben es ja in der «Geheimwissenschaft» beschrieben -, wozu dann eben der Saturn in seiner Abspaltung gehört.

Aber wir haben es zu gleicher Zeit damals in dieser Mondenmeta-

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morphose damit zu tun, daß die Sonne und dasjenige, was dann ein Zusammenhang ist zwischen Erde und Mond, sich trennen. Und ich habe ja öfters beschrieben, wie die Reiche der Natur, die wir heute kennen, damals nicht vorhanden waren, wie namentlich die Erde nicht eine Mineralmasse einschloß, sondern - wenn ich mich so ausdrücken darf - hornartig war, so daß die festen Bestandteile hornartig sich ablösten, hornige Felsen gewissermaßen herausragten aus der schon wässerig gewordenen Mondmasse. Dann sind die Verhältnisse entstanden in der vierten Metamorphose, die unsere heutigen irdischen Verhältnisse sind.

Nun haben wir, wenn wir diese vier Metamorphosen hintereinander aufzeichnen, zunächst also die Saturnmetamorphose, den Wärmekörper, der noch alles aufgelöst hat, was später in unserem Planetensystem enthalten ist, die Sonnenmetamorphose, die Mondenmetamorphose und die Erdenmetamorphose. Wir können in dieser Vierheit zweierlei voneinander unterscheiden. (Es wird gezeichnet.)

Bedenken Sie nur, wie wir es bei der Entwickelung des Saturn bis zur Sonne hin zu tun haben mit dem, was erst bis zur luftartigen Substanz vorgerückt ist! Von der Feuerkugel geht die Entwickelung aus; die Feuerkugel metamorphosiert, verdichtet sich bis zur Luftkugel, die aber bereits lichtdurchsetzt, lichterglitzernd ist. Da haben wir den ersten Teil der Entwickelung.

Dann haben wir diesen Teil der Entwickelung, wo der Mond seine erste Rolle spielt. Denn der Mond spielt eben die Rolle, die es ihm möglich machte, jene hornigen Felsengebilde zu gestalten. Der Mond tritt ja während der Erdenmetamorphose heraus, wird Nebenplanet und läßt der Erde die inneren Erdenkräfte zurück. Zum Beispiel sind die Kräfte der Schwere durchaus etwas, was vom Monde zurückgeblieben ist in physischer Beziehung. Die Erde würde nicht die Kräfte der Schwere entwickeln, wenn nicht zurückgeblieben wären die Reste des alten Mondeneinschlusses; er selber ist fortgegangen. Der Mond ist jene Kolonie im Weltenraum, von der ich Ihnen vom geistigen Aspekte aus in den jüngst verflossenen Tagen gesprochen habe. Er hat eine ganz andere Substantialität als die Erde, aber er hat in der Erde zurückgelassen das, was man 1m weiteren Sinne den Erdenmagnetismus nennen kann; die Kräfte der Erde, namentlich die Schwerkräfte der Erde, die Wirkun-

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gen, die man als die Gewichtswirkungen bezeichnet, sind vom Monde zurückgeblieben. So können wir sagen: Wir haben hier (siehe Zeichnung Seite 71) Saturn- und Sonnenzustand, die im wesentlichen warme, lichtdurchglänzte Metamorphose, wenn wir die beiden zu`sammennehmen; wir haben hier, Monden- und Erdzustand, die mondgetragene, wässerige Metamorphose, das Wäßrige, das sich herausbildet während der Mondmetamorphose und dann während der Erdenmetamorphose bleibt; das Feste wird ja gerade durch die Schwerkräfte hervorgerufen.

Diese beiden Metamorphosen unterscheiden sich eigentlich beträchtlich voneinander, und man muß sich klar darüber sein, daß alles, was e1nmal war, in dem Späteren wiederum drinnensteckt. Dasjenige, was die alte Feuerkugel Saturn war, blieb als Wärmesubstanz in allen folgenden Metamorphosen drinnen, und wenn wir heute innerhalb des Erdengebietes herumgehen und überall noch auf Wärme auftreffen, so ist die Wärme, die wir überall finden, der Rest der alten Saturnentw1ckelung. Überall, wo wir Luft oder nur luftförmige Körper finden, haben wir die Reste der alten Sonnenentwickelung. Wenn wir hinaus- sehen in die sonnendurchglänzte Luft, dann sollten wir eigentlich, indem wir uns mit Empfindungen von dieser Evolution durchdringen> uns sagen: In dieser sonnendurchglänzten Luft haben wir die Überreste der alten Sonnenentwickelung; denn wäre diese alte Sonnenentwickelung nicht gewesen, es wäre nicht die Verwandtschaft unserer Luft mit den Sonnenstrahlen vorhanden, die nun draußen sind. Nur dadurch, daß die Sonne einmal mit der Erde verbunden war, daß das Licht der Sonne in der Erde, die noch luftförmig war, selber erglänzte, so daß die Erde eine Luftkugel war, welche inneres Licht in den Weltenraum hinausstrahlte, nur dadurch konnte die spätere Metamorphose eintreten, die jetzige Erdenmetamorphose, wo die Erde von einer Luftatmosphäre umschlungen wird, in die von außen die Sonnenstrahlen hineinfallen. Aber diese Sonnenstrahlen haben eine tiefe innere Verwandtschaft zur Erdenatmosphäre. Diese Sonnenstrahlen treffen nicht etwa so, wie die heutigen Physiker grobschlächtig sagen, wie Strahlen, so wie kleine Geschoßkugeln etwa durch die gasige Atmosphäre durch, sondern diese Sonnenstrahlen haben eine tiefe innere Verwandtschaft

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mit der Atmosphäre. Und diese Verwandtschaft ist eben die Nachwirkung des einstmaligen Beisammenseins während der Sonnenmetamorphose. So ist alles miteinander dadurch verwandt, daß die früheren Zustände immer wiederum in die späteren Zustände auf eine mannigfaltige Weise hineinspielen. Aber während der Zeit, wo im großen und ganzen die Erdenentwickelung so vor sich gegangen ist, wie Sie es in der «Geheimwissenschaft» finden und wie ich es Ihnen hier kurz skizziert habe, hat sich alles dasjenige entwickelt, was auf der Erde und um die Erde herum ist, was auch innerhalb der Erde ist.

Und nun können wir sagen, wenn wir die heutige Erde anschauen, so haben wir innerhalb der Erde das, was das Feste bewirkt, den inneren Mond, wesentlich verankert im Erdenmagnetismus; den inneren Mond, der ja bewirkt, daß es überhaupt Festes gibt, daß es etwas gibt, was Gewicht hat, und die Gewichtskräfte sind es ja, die aus dem Flüssigen das Feste machen. Wir haben dann das eigentliche Erdengebiet, das Wäßrige, das in der mannigfaltigsten Weise wieder vorkommt, als Grundwasser zum Beispiel, aber auch als dasjenige Wasser, welches in den Dunstmassen ist, die aufsteigen, in den Regenmassen, die herab- fallen und so weiter. Wir haben weiter im Umkreise das, was luftförmig ist, und haben das alles durchdrungen von dem Feurigen, den Resten des alten Saturn. So daß wir auch in der heutigen Erde anzugeben haben etwas, was da oben Sonne-Saturn oder Saturn-Sonne ist. Wir können uns immer sagen, alles, was da in der warmen Luft ist, die von Licht durchglänzt ist, ist Saturn-Sonne. Und wir schauen hinauf und finden eigentlich unsere Luft durchsetzt von dem, was Saturnwirkung ist, was Sonnenwirkung ist, und was dann sich im Laufe der Zeit als der eigentliche Luftkreis entwickelt hat, der aber auch nur eine Nachwirkung der Sonnenmetamorphose ist. Das haben wir gewissermaßen, wenn wir den Blick aufwärts richten. (Es wird gezeichnet.)

Richten wir den Blick abwärts, dann haben wir mehr die Nachfolge dessen, was während der zwei letzten Metamorphosen eingetreten ist. Wir haben das Schwere, Feste, besser gesagt das Schwere Wirkende, ins Feste Gehende; wir haben das Flüssige, wir haben die Mond-Erde. Diese zwei Partien sozusagen des Erdendaseins können wir streng voneinander unterscheiden. Wenn Sie die «Geheimwissenschaft» noch einmal

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daraufhin durchlesen, so werden Sie sehen, daß dort einfach durch die ganze Stilisierung ein tiefer Einschnitt gemacht ist an der Stelle, wo die Sonnenmetamorphose in die Mondenmetamorphose ükergeht. So ist auch heute noch eine Art scharfer Kontrast zwischen dem, was oben ist, dem Saturnhaften, und dem, was unten ist, dem Irdisch-MondhaftWäßrigen. Wir können also ganz gut unterscheiden zwischen dem Saturn-Sonnenhaften-Luftartigen und dem Mond-Erdigen-Wäßrigen. Das eine ist oben, das andere ist unten.

Indem sich in der Erdenentwickelung im großen ganzen auch alles

das mitentwickelt hat, was zur Erde gehört, fällt der Blick desjenigen, der in diese Dinge mit der Initiationswissenschaft hineinschaut, zunächst auf die Mannigfaltigkeit der Insektenwelt. Man sollte glauben, daß schon das bloße Gefühl diese flatternde, flimmernde Insektenwelt In einen gewissen Zusammenhang bringen müßte mit dem Oberen, mit dem saturn-Sonnenhaft-Luftartigen. Es ist das durchaus der Fall. Wenn w1r uns den Schmetterling ansehen: er flattert in der Luft, in der lichtdurchflossenen, lichtdurchglänzten Luft mit seinen schillernden Farben. Er wird getragen von den Wogen der Luft. Er berührt eigentlich kaum, was mond-erdig-wäßrig ist. Sein Element ist dasjenige, was oben ist.

Wenn man dann nachforscht, wie eigentlich die Entwickelung ist, so kommt man gerade bei dem kleinen Insekt merkwürdigerweise in sehr frühe Zeiten der Erdenmetamorphose. Was heute in der lichtdurchglänzten Luft als Schmetterlingsflügel schimmert, das hat sich zuerst in der Anlage gebildet während des alten Saturn, hat sich weiter entwickelt während der alten Sonnenzeit. Da ist das entstanden, was heute noch dem Schmetterling möglich macht, eigentlich ein Licht-Luft-Geschöpf zu sein. Die Sonne verdankt die Gabe, daß sie Licht verbreitet, sich selbst. Die Sonne verdankt die Gabe, daß ihr Licht in den Substanzen Feuriges, Schimmerndes hervorruft, der Saturn-Jupiter-Mars-Einwirkung. Und eigentlich versteht derjenige die Schmetterlingsnatur nicht, der sie auf Erden sucht. Die Kräfte, die wirksamen Kräfte in der Schmetterlingsnatur müssen wir oben suchen, müssen wir bei Sonne, Mars, Jupiter, Saturn suchen. Wenn wir genauer eingehen auf diese wunderbare Schmetterlingsentwickelung - ich habe sie im Zusammenhange mit dem Menschen gewissermaßen als die kosmische Verkör-

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perung des Gedächtnisses hier schon einmal geschildert -, aber wenn wir genauer eingehen, so finden wir: der Schmetterling flattert zunächst lichterschimmernd, luftgetragen oben über der Erde. Er legt sein Ei ab. Ja, der grobmaterialistische Mensch sagt: Der Schmetterling legt sein Ei ab -, weil die hauptsächlichsten Dinge überhaupt nicht studiert werden unter dem Einflusse der gegenwärtigen Unwissenschaft. Die Frage ist diese: Wem vertraut der Schmetterling eigentlich sein Ei an, wenn er es ablegt?

Nun, durchforschen Sie alles, wo Schmetterlingseier abgelegt werden; überall werden Sie finden: das Schmetterlingsei wird so abgelegt, daß es dem Sonneneinfluß nicht entzogen werden kann. Der Sonneneinfluß auf die Erde ist ja nicht nur da, wenn die Sonne unmittelbar auf die Erde scheint. Ich habe schon öfter aufmerksam darauf gemacht, wie die Bauern ihre Kartoffeln im Winter in die Erde hineinlegen, zudecken mit Erde, weil dasjenige, was als Sonnenwärme und Sonnenlichtkraft herankommt während des Sommers, gerade während des Winters im Inneren der Erde drinnen ist. Die Kartoffeln erfrieren auf der Oberfläche der Erde. Die Kartoffeln erfrieren nicht, sondern bleiben richtige gute Kartoffeln, wenn man sie in einer Grube eingräbt und Erde darüber legt, weil die Sonnenwirkung den Winter über in der Erde drinnen ist. Den Winter hindurch müssen wir die Sonnenwirkung des Sommers unter der Erde suchen. Kommen wir zum Beispiel im Dezember in eine gewisse Tiefe der Erde, dann haben wir im Dezember die Juliwirkung der Sonne. Im Juli strahlt die Sonne ihr Licht und ihre Wärme auf die Oberfläche. Die Wärme und das Licht dringen allmählich tiefer ein. Wollen wir im Dezember dasjenige suchen, was wir an Sonnenkräften auf der Erdoberfläche der Erde im Juli erleben, dann müssen wir eine Grube graben, und dann ist in einer gewissen Tiefe das, was Im Juli auf der Oberfläche der Erde war, im Dezember unter der Erde. Da ist die Kartoffel eingebettet in die Julisonne. Also die Sonne ist nicht etwa nur da, wo man sie mit grobmaterialistischem Verstande sucht, sondern die Sonne ist eigentlich in vielen Gebieten da; nur eben ist das nach den Jahreszeiten im Kosmos streng geregelt.

Aber der Schmetterling legt nirgends sein Ei hin, wo nicht das Ei in irgendeiner Weise im Zusammenhang bleiben kann mit der Sonne. So

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daß man schlecht sich ausdrückt, wenn man sagt, der Schmetterling legt sein Ei in das Erdengebiet. Das tut er gar nicht. Er legt sein Ei ins Sonnengebiet. Der Schmetterling geht gar nicht bis zur Erde herunter. Überall, wo im Irdischen Sonne ist, da sucht er seine Orte` auf, um seine Eier hinzulegen, so daß dieses Schmetterlingsei durchaus nur unter dem Einfluß der Sonne steht. Es kommt gar nicht unter den Einfluß der Erde.

Dann wissen Sie, daß aus diesem Schmetterlingsei die Raupe aus- kriecht. Die Raupe kommt also heraus und bleibt unter dem Einfluß der Sonne, aber gerät nun unter einen anderen Einfluß mit. Die Raupe würde nicht kriechen können, wenn sie nicht noch unter einen anderen Einfluß mit käme. Und das ist der Marseinfluß.

Wenn Sie sich die Erde vorstellen (es wird gezeichnet) und den Mars sie umkreisend, so sind die Marsströmungen oben überall und bleiben auch. Es kommt nicht darauf an, daß der Mars irgendwo ist, sondern wir haben die ganze Marssphäre, und wenn die Raupe dahinkriecht, so kriecht sie im Sinne der Marssphäre dahin. Dann verpuppt sich die Raupe, bildet um sich einen Kokon. Wir bekommen einen Kokon. Ich habe Ihnen beschrieben, wie das eine Hingabe der Raupe an die Sonne ist, wie der Faden, der da gesponnen wird, in der Richtung der Lichtlinie gesponnen wird. Die Raupe ist dem Lichte ausgesetzt, verfolgt die Lichtstrahlen, spinnt, hält an, wenn es dunkel ist, spinnt weiter. Das alles ist eigentlich kosmisches Sonnenlicht, Sonnenlicht, das mit Materie durchdrungen ist. Wenn Sie also zum Beispiel den Kokon der Seidenraupe haben, der zu Ihren Seidenkleidern verwendet wird, dann ist das, was in der Seide liegt, durchaus Sonnenlicht, hineingesponnen die Materie der Seidenraupe. Aus ihrem eigenen Leib heraus spinnt die Seidenraupe ihre Substanz in die Sonnenstrahlenrichtung hinein, und dadurch bildet sie den Kokon um sich. Aber es bedarf, damit das geschieht, der Jupitereinwirkung. Die Sonnenstrahlen müssen modifiziert sein durch die Jupitereinwirkung.

Dann kriecht, wie Sie wissen, aus dem Kokon, aus der Puppe, der Schmetterling aus, der Falter, der ja lichtgetragen, lichterglänzend ist. Er verläßt die Dunkelkammer, in die nur das Licht so hineingekonnt hat, wie in die Kromlechs, wie ich Ihnen das beschrieben habe bei den

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Kromlechs der alten Druiden. Da kommt die Sonne unter den Einfluß des Saturn, und nur mit dem Saturn zusammen kann die Sonne das Licht so in die Luft senden, daß der Falter in der Luft erglänzen kann in seinen mancherlei Farben.

So sehen Sie, wenn wir uns jenes wunderbare Meer der fliegenden Schmetterlinge in der Atmosphäre anschauen, so haben wir darinnen etwas, wovon wir sagen müssen: Das ist im Grunde genommen gar nicht Erdengebilde. Das wird in die Erde hineingeboren von oben her. Der Schmetterling geht mit seinem Ei gar nicht weiter hinunter als bis zu dem, was von der Sonne zur Erde kommt. Der Kosmos schenkt der Erde das Schmetterlingsmeer. Saturn gibt die Farben der Schmetterlinge. Die Sonne gibt die Kraft des Fliegens, hervorgerufen durch die tragende Kraft des`Lichtes und so weiter.

Wir haben also in dem Schmetterling tatsächlich, ich möchte sagen, die kleinen Wesen zu sehen, die wie auf die Erde hereingestreut werden durch dasjenige, was Sonne und über der Sonne in unserem Planetensystem ist. Die Schmetterlinge, die Insekten überhaupt, die Libellen, ebenso die anderen Insekten sind durchaus die Gaben von Saturn, Jupiter, Mars und Sonne. Und die Erde könnte kein einziges Insekt hervorbringen, nicht einmal einen Floh, wenn nicht die über der Sonne befindlichen Planeten mit der Sonne zusammen der Erde diese Gabe des Insektenwesens schenken würden. Tatsächlich, daß Saturn, Jupiter und so weiter so freigebig sein können, daß sie hereinflattern lassen können die Insektenwelt, das ist verdankt den ersten beiden Metamorphosen, welche die Erdenentwickelung erlebt hat. (Siehe Zeichnung.)

Und schauen wir uns jetzt an, wie mitgewirkt haben die zwei letzten Metamorphosen, die Mondenmetamorphose und die Erdenmetamorphose. Nun, wenn das Schmetterlingsei eben nicht der Erde anvertraut wird, so muß doch darauf hingewiesen werden, daß in der Zeit, als die Mondenmetamorphose, die dritte Metamorphose, in ihrem Anfange war, die Schmetterlinge noch nicht so waren wie heute. Es war auch die Erde nicht so abhängig von der Sonne. Die Sonne war eigentlich im Beginn der dritten Metamorphose noch mit der Erde zusammen, hat sich erst dann getrennt. Daher waren die Schmetterlinge auch noch nicht so spröde, daß sie der Erde gar nicht ihre Keime anvertraut hätten.

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Sie vertrauten sie ja zugleich der Sonne an, indem sie sie der Erde anvertrauten. So kam da eine Differenzierung zustande. Hier, bei den ersten beiden Metamorphosen, kann nur gesprochen werden von den Urahnen der Insektenwelt. Aber dem Kosmos, den äußeren Planeten und der Sonne anvertrauen, bedeutete damals noch der Erde anvertrauen. Erst als die Erde dicht wurde, Wasser bekam, als sie die magnetischen Kräfte des Mondes bekam, da wurde die Sache anders, und da trat eine Differenzierung ein.

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Nun, nehmen wir an, das alles gehört dem Oberen an: Wärme-Luft; jetzt nehmen wir das Untere: Wasser-Erde. Nehmen wir diejenigen Keime, die das Schicksal hatten, nun der Erde anvertraut zu werden,

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während eben andere zurückgehalten wurden und nicht der Erde, sondern nur der Sonne innerhalb des Irdischen anvertraut wurden.

Nehmen wir nun diejenigen Keime, die der Erde anvertraut wurden in der Zeit, als die dritte Metamorphose, die Mondenmetamorphose, entstand. Sehen Sie, diese Keime, die kamen nun ebenso unter den Einfluß der Erdenwirkung, der wäßrigen Erd-Mondwirkung, wie die Insektenkeime nur unter den Einfluß der Sonnenwirkung und dessen, was über der Sonne ist, kamen. Und dadurch, daß diese Keime in den Bereich der Erden-Wasserwirkungen kamen, wurden sie Pflanzenkeime. Und diejenigen Keime, die zurückblieben im Oberen, die blieben Insektenkeime. Und als die dritte Metamorphose dann begann, entstanden so durch das, was dazumal aus dem, was sonnenhaft war, umgewandelt wurde zum Mondig-Irdischen, die Pflanzenkeime innerhalb der dritten Metamorphose der Erdenentwickelung. Was Sie nun hier haben unter dem Einflusse des außerirdischen Kosmos, diese ganze Entwickelung vom Keim durch Raupe, durch Puppe zum Schmetterling, das können Sie nun da verfolgen: Indem der Same irdisch wird, entwickelt sich nicht der Schmetterling, sondern indem der Same irdisch wird, der Erde anvertraut wird - nun nicht der Sonne -, entwickelt sich die Pflanzenwurzel, das erste, was aus dem Keim entsteht. Und statt daß die Raupe kriecht in den Kräften, die vom Mars ausgehen, entsteht das Blatt, das in Spiralstellung heraufkriecht. Das Blatt ist die unter den irdischen Einfluß gekommene Raupe. Sehen Sie sich die kriechende Raupe an, dann haben Sie dasjenige, was im Oberen entspricht dem Unteren, dem Pflanzenblatte, das sich herausmetamorphosiert aus dem, was Wurzel geworden ist durch den Samen, der aus dem Sonnenbereich in den Erdenbereich versetzt worden ist.

Gehen Sie weiter hinauf, dann haben Sie, zusammengezogen immer mehr bis oben, wo der Kelch ist, dasjenige, was Puppe ist. Und endlich entwickelt sich der Falter in der Blüte, die ebenso farbig ist wie der Falter oben in den Lüften. Der Kreislauf ist geschlossen. Wie der Schmetterling sein Ei legt, so entwickelt sich in der Blüte wiederum der Same zu dem Künftigen. Sie sehen: wir blicken hinauf in die Luft zum Schmetterling, wir verstehen ihn als die in die Luft erhobene Pflanze. Der Schmetterling, vom Ei bis zum Falter, ist dasselbe unter dem Einfluß

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der Sonne mit den oberen Planeten, was unten die Pflanze unter dem Erdeneinfluß ist. Wenn das zum Blatte kommt (siehe Zeichnung), haben wir von der Erde den Mondeinfluß, dann den Venuseinfluß und den Merkureinfluß. Dann geht es wieder zum Erdeneinfluß zurück. Der Same ist wieder der Erdeneinfluß.

Sie sehen also, wir können zwei Sätze vor uns hinstellen, die ein großes Geheimnis der Natur ausdrücken:

Schaue die Pflanze!
Sie ist der von der Erde
Gefesselte Schmetterling.

Schaue den Schmetterling!
Er ist die vom Kosmos
Befreite Pflanze.

Die Pflanze - der durch die Erde gefesselte Falter! Der Falter - die durch den Kosmos von der Erde befreite Pflanze!

Schaue man den Schmetterling, das Insekt überhaupt, von dem Keim bis zum flatternden Insekt hin an: es ist die in die Luft hinaufgehobene, vom Kosmos in der Luft gestaltete Pflanze. Schaue man die Pflanze an: es ist der Schmetterling, der unten gefesselt wird. Das Ei wird von der Erde in Anspruch genommen. Die Raupe wird metamorphosiert in die Blattbildungen. In das, was zusammengezogen ist, wird die Puppenbildung metamorphosiert. Dann wird das, was sich im Falter entfaltet, in der Blüte bei der Pflanze entwickelt. Kein Wunder, daß jene innige Beziehung besteht zwischen der Schmetterlings- und Insektenwelt überhaupt und der Pflanzenwelt. Denn eigentlich müssen ja jene geistigen Wesenheiten, welche den Insekten, den Schmetterlingen zugrunde liegen, sich sagen: Hier unten sind unsere Verwandten, mit denen müssen wir es halten, wir müssen uns mit ihnen verbinden, wir müssen, genießend ihre Säfte und so weiter, uns mit ihnen verbinden, denn sie sind unsere Brüder. Sie sind die Brüder, die hinuntergewandelt sind in das Erdenbereich, die von der Erde gefesselt sind, die das andere Dasein gewonnen haben.

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Und wiederum, es könnten die Geister, welche die Pflanzen beseelen, hinaufschauen zu den Schmetterlingen und könnten sagen: Das sind die Himmelsverwandten der Erdenpflanze.

Sehen Sie, man kann schon sagen: Verständnis der Welt kann nicht entstehen mit Abstraktionen, denn die Abstraktionen reichen nicht zum Verständnisse hin. Denn das, was im Kosmos wirkt, ist schon die größte Künstlerin. Der Kosmos gestaltet alles nach Gesetzen, die im tiefsten Sinne auch den Künstlersinn befriedigen. Niemand kann den in die Erde versenkten Falter verstehen anders, als indem er im Künstlersinne metamorphosiert, was abstrakte Gedanken sind. Niemand kann verstehen den in die Luft vom Lichte und von den kosmischen Kräften hinaufgehobenen Pflanzenblüteninhalt in dem Schmetterling, der nicht wiederum in künstlerische Bewegung bringen kann die abstrakten Gedanken. Es bleibt aber immerhin etwas ungeheuer Erhebendes, wenn wir diese tiefe innere Verwandtschaft der Naturdinge und Naturwesen ins Auge fassen.

Es ist etwas ganz Eigenes, das Insekt auf der Pflanze sitzen zu sehen, und zu gleicher Zeit dann zu sehen, wie über der Pflanzenblüte das Astralische waltet. Da strebt die Pflanze aus dem Irdischen hinaus. Die Sehnsucht der Pflanze nach dem Himmel waltet über den farbenschimmernden Blütenblättern. Die Pflanze selber kann diese Sehnsucht nicht befriedigen. Da strahlt ihr entgegen aus dem Kosmos dasjenige, was der Schmetterling ist. In dem sieht sie, ihn anschauend, die Befriedigung ihrer eigenen Wünsche. Das ist jene wunderbare Verbindung innerhalb der Erdenumgebung, daß die Sehnsuchten der Pflanzenwelt gestillt werden im Anblicke der Insekten, namentlich der Schmetterlingswelt. Das, was die Blumenblütenfarbe ersehnt, indem sie hinausstrahlt in den Weltenraum ihre Farbe, das wird ihr wie eine Erkenntniserfüllung ihrer Sehnsucht, indem ihr der Falter mit seinem Farbenschimmer entgegenkommt. Ausstrahlende, Wärme ausstrahlende Sehnsucht, vom Himmel hereinstrahlende Befriedigung: das ist der Verkehr der Pflanzenblütenwelt mit der Schmetterlingsfalterwelt. Das ist dasjenige, was wir sehen sollen in der Erdenumgebung.

Ich werde nun, nachdem der Übergang zur Pflanzenwelt gewonnen ist, in der Lage sein, die Betrachtungen, die vom Menschen bis zu den

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Tieren gegangen sind, in der nächsten Zeit zu erweItern. Wir können nun die Pflanzenwelt einbeziehen und werden so allmählich zu dem Verhältnis des Menschen zu der ganzen Erde kommen. Aber dazu war es notwendig, daß sozusagen die Brücke geschlagen wurde von der flatternden Pflanze der Luft, dem Schmetterling, zu dem in der Erde fest- sitzenden Schmetterling, zu der Pflanze hin. Die Erdenpflanze ist der festsitzende Schmetterling. Der Schmetterling ist die fliegende Pflanze. Haben wir diesen Zusammenhang zwischen der erdgebundenen Pflanze und dem himmelbefreiten Schmetterling erkannt, dann haben wir eben erst die Brücke geschlagen zwischen der Tierwelt und der Pflanzenwelt, und dann können wir ganz gewiß mit einer gewissen Gleichgültigkeit auf all die Trivialitäten herunterschauen, die immerzu wiederum sagen, wIe die Urzeugung und dergleichen war. Mit diesen Prosabegriffen reicht man nicht in die Gebiete des Universums hinein, in die man hineinreichen muß. Da hinein reicht man erst, wenn man die Prosabegriffe überführen kann in künstlerische Begriffe und dann zu der Vorstellung kommen kann, wie von dem himmelentsprungenen Schmetterlingsei, das nur der Sonne anvertraut wird, die Pflanze erst später entsteht, indem dieses Schmetterlingsei metamorphosiert wird dadurch, daß es, während es früher nur sonnenvertraut war, jetzt erdenvertraut wird.

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FÜNFTER VORTRAG Dornach, 27. Oktober 1923

Diese Vorträge handeln von dem inneren Zusammenhang der Welterscheinungen und Weltwesen, und Sie haben schon gesehen, daß sich mancherlei ergibt, von dem derjenige, der nur die äußere Erscheinungswelt ins Auge faßt, zunächst keine Ahnung haben kann. Wir haben gesehen, wie im Grunde genommen e1ne jede Wesensart - wir haben es an ein paar Beispielen gezeigt - ihre Aufgabe hat im ganzen Zusammenhange des kosmischen Daseins. Nun wollen wir heute gewissermaßen rekapitulierend noch einmal hinschauen auf Wesensarten, von denen wIr schon gesprochen haben, wollen ins Auge fassen dasjenige, was ich in den letzten Tagen über die Schmetterlingsnatur gesagt habe. Ich habe gerade im Gegensatz zur Pflanzenwesenheit diese Schmetterlingsnatur entwickelt, und wir haben uns sagen können, wie der Schmetterling eigentlich ein Wesen ist, welches dem Lichte angehört, dem Lichte, insofern es modifiziert wird von der Kraft der äußeren Planeten, des Mars, des Jupiter, des Saturn. So daß wir eigentlich, wenn wir den Schmetterling in seiner Wesenheit verstehen wollen, hinaufschauen müssen in die höheren Regionen des Kosmos und uns sagen müssen: diese höheren Regionen des Kosmos beschenken die Erde, begnaden die Erde mit der Schmetterlingswesenheit.

Nun geht aber, ich möchte sagen, diese Begnadung der Erde eigentlich noch viel tiefer. Erinnern wIr uns, wie wir sagen mußten, der Schmetterling beteilige sich eigentlich nicht an dem unmittelbar irdischen Dasein, sondern nur mittelbar, insofern die Sonne mit ihrer Wärme und Leuchtekraft eben im irdischen Dasein tätig ist. Der Schmetterling legt sogar seine Eier dahin, wo sie aus der Region der Sonnenwirksamkeit nicht herauskommen, wo sie in der Region der Sonnenwirksamkeit bleiben, so daß der Schmetterling sein Ei nicht der Erde, sondern eigentlich nur der Sonne übergibt. Dann kriecht die Raupe aus, die unter dem Einfluß der Marswirkung steht; natürlich, die Sonnenwirkung bleibt immer vorhanden. Es bildet sich die Puppe, die unter der Jupitereinwirkung steht. Es kriecht aus der Puppe der Schmet-

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terling aus, der dann in seinem Farbenschillern das in der Umgebung der Erde wiedergibt, was die mit der Saturnkraft vereinigte Sonnenleuchtekraft der Erde sein kann.

So sehen wir eigentlich unmittelbar wirksam innerhalb des irdischen Daseins, in der Umgebung des irdischen Daseins, die Saturnwirksamkeit in den mannigfaltigen Farben des Schmetterlingsdaseins. Aber erinnern wir uns daran, daß ja die Substanzen, die in Betracht kommen für das Weltendasein, zweierlei sind. Wir haben es zu tun mit den rein stofflichen Substanzen der Erde, und wir haben es zu tun mit den geistigen Substanzen, und ich habe Ihnen gesagt, daß das Merkwürdige darinnen besteht, daß der Mensch in bezug auf seinen StoffwechselGliedmaßenorganismus die geistige Substanz zugrundeliegend hat, während seinem Haupte, seinem Kopfe die physische Substanz zugrunde liegt. In der unteren Natur des Menschen wird die geistige Substanz durchdrungen mit physischer Kraftwirkung, mit Schwerewirkung, mit den anderen irdischen Kraftwirkungen. Im Haupte wird die irdische Substanz, die durch den ganzen Stoffwechsel, die Zirkulation, die Nerventätigkeit und so weiter hinaufgeschafft wird in das Haupt des Men- schen, durchdrungen von übersinnlichen geistigen Kräften, die sich widerspiegeln in unserem Denken, in unserem Vorstellen. So daß wir also im Haupte des Menschen vergeistigte physische Materie haben, und daß wir im Stoffwechsel-Gliedmaßensystem verirdischte - wenn ich das Wort bilden darf -, verirdischte geistig-spirituelle Substantialität haben.

Nun, diese vergeistigte Materie haben wir vor allen Dingen beim Schmetterlingswesen. Indem das Schmetterlingswesen überhaupt im Bereich des Sonnendaseins bleibt, bemächtigt es sich der irdischen Materie, ich möchte sagen - es ist natürlich noch bildlich gesprochen - nur wie im feinsten Staub. Der Schmetterling eignet sich die irdische Materie an nur wie im feinsten Staub. Er verschafft sich auch seine Nahrung aus denjenigen Substanzen der Erde, welche sonnendurcharbeitet sind. Er vereinigt mit seiner eigenen Wesenheit nur, was sonnendurcharbeitet ist; er entnimmt schon allem Irdischen das Feinste sozusagen und treibt es bis zur vollständigsten Vergeistigung. In der Tat hat man, wenn man den Schmetterlingsflügel ins Auge faßt, im Grunde die

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vergeistigteste Erdenmaterie vor sich. Dadurch, daß die Materie des Schmetterlingsflügels farbdurchdrungen ist, ist sie die vergeistigteste Erdenmaterie.

Der Schmetterling ist eigentlich diejenige Wesenheit, die ganz in vergeistigter Erdenmaterie lebt. Man kann es sogar geistig sehen, wie der Schmetterling seinen Körper, den er inmitten seiner Farbflügel hat, in e1ner gewissen Weise verachtet, weil seine ganze Aufmerksamkeit, sein ganzes Gruppenseelentum eigentlich im freudigen Genießen seiner Flügelfarben ruht.

Ebenso wie man dem Schmetterling folgen kann in der Bewunderung seiner schillernden Farben, kann man ihm folgen in der Bewunderung der flatternden Freude über diese Farben. Das ist etwas, was im Grunde genommen bei den Kindern schon kultiviert werden sollte, diese Freude an der Geistigkeit, die herumflattert in der Luft, und die eigentlich flatternde Freude ist, Freude am Farbenspiel. In dieser Beziehung nuanciert sich das Schmetterlingsmäßige in einer ganz wunderbaren Weise. Und dem allem liegt dann etwas anderes zugrunde.

Wir konnten vom Vogel, den wir im Adler repräsentiert fanden, sagen, daß er bei seinem Tode die vergeistigte Erdensubstanz in die geistige Welt hineintragen kann, daß er dadurch seine Aufgabe im kosmischen Dasein hat, daß er als Vogel die Erdenmaterie vergeistigt und dasjenige tun kann, was der Mensch nicht tun kann. Der Mensch hat in seinem Kopfe auch die Erdenmaterie bis zu einem gewissen Grade vergeistigt, aber er kann diese Erdenmaterie nicht hineinnehmen in die Welt, die er durchlebt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, denn er würde fortwährend einen unsäglichen, nicht erträglichen, zerstörenden Schmerz aushalten müssen, wenn er diese vergeistigte Erdenmaterie seines Kopfes hineintragen wollte in die geistige Welt.

Die Vogelwelt, durch den Adler repräsentiert, kann das, so daß in der Tat dadurch ein Zusammenhang geschaffen wird zwischen dem, was irdisch ist, und dem, was außerirdisch ist. Die irdische Materie wird zunächst gewissermaßen langsam in den Geist übergeführt, und das Vogelgeschlecht hat die Aufgabe, diese vergeistigte irdische Materie dem Weltenall zu übergeben. Man wird schon sagen können, wenn einmal die Erde am Ende ihres Daseins angekommen ist: diese Erdenma

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terie ist vergeistigt worden, und das Vogelgeschlecht war da innerhalb der ganzen Ökonomie des Erdendaseins, um die vergeistigte Erdenmaterie in das Geisterland zurückzutragen.

Mit den Schmetterlingen ist es noch etwas anderes. Der Schmetterling vergeistigt noch mehr die irdische Materie als der Vogel. Der Vogel kommt immerhin dazu, viel näher der Erde zu stehen als der Schmetterling. Ich werde das nachher ausführen. Aber der Schmetterling ist imstande, dadurch, daß er eben die Sonnenregion gar nicht verläßt, seine Materie so weit zu vergeistigen, daß er nun nicht erst bei seinem Tode, wie der Vogel, sondern schon während seines Lebens fortwährend vergeistigte Materie an die Erdenumgebung, an die kosmische Erdenumgebung abgibt.

Denken Sie einmal, wie das eigentlich ein Großartiges ist in der ganzen kosmischen Ökonomie, wenn wir uns vorstellen können: die Erde, durchflattert von der Schmetterlingswelt in der mannigfaltigsten Weise und fortwährend in den Weltenraum hinausströmend vergeistigte Erdenmaterie, die die Schmetterlingswelt an den Kosmos abgibt! So daß wir also diese Region der Schmetterlingswelt um die Erde herum durch eine solche Erkenntnis mit noch ganz anderen Gefühlen betrachten können.

Wir können hineinschauen in diese flatternde Welt und können uns sagen: Ihr Flattertiere, ihr strahlt sogar Besseres als das Sonnenlicht, ihr strahlet Geistlicht in den Kosmos hinaus! - Das Geistige wird ja von unserer materialistischen Wissenschaft wenig berücksichtigt. Und so hat eigentlich diese materialistische Wissenschaft gar keine Handhabe, um auf diese Dinge, die zum Ganzen der Weltökonomie gehören, auch nur irgendwie zu kommen. Aber sie sind ja da, wie die physischen Wirkungen da sind, und sie sind wesentlicher als die physischen Wirkungen. Denn das, was da hinausstrahlt in das Geisterland, das wird fortwirken, wenn die Erde längst zugrunde gegangen ist; das, was heute der Physiker, der Chemiker konstatiert, das wird seinen Abschluß finden mit dem Erdendasein. So daß also, wenn irgendein Beobachter draußen im Kosmos säße und eine lange Zeit zur Beobachtung hätte, er sehen würde, wie etwas wie eine kontinuierliche Ausstrahlung von Geistmaterie in das Geisterland, von geistig gewordener Materie in das Geisterland

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stattfindet, wie die Erde ihr eigenes Wesen hinaus in den Weltenraum, in den Kosmos ausstrahlt, und wie, sprühenden Funken gleich, immerfort aufleuchtenden Funken, das, was das Vogelgeschlecht, jeder Vogel nach seinem Tode, aufglänzen läßt, in dieses Weltenall nunmehr strahlenförmig hinausgeht: ein Glimmern von Schmetterlingsgeisteslicht und ein Sprühen von Vogelgeisteslicht! (Tafel II)

Das sind die Dinge, die aber zu gleicher Zeit dahin die Aufmerksamkeit lenken könnten, daß, wenn man nun zur anderen Sternenwelt hinausschaut, man auch nicht glauben soll, daß da nur das herunterstrahlt,

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was das Spektroskop zeigt, oder vielmehr, was in das Spektroskop der Spektroskopiker hineinphantasiert, sondern das, was von den anderen Sternenwelten zur Erde herunterstrahlt, ist ebenso das Ergebnis von Lebewesen in anderen Welten, wie das, was von der Erde hinausstrahlt in den Weltenraum, das Ergebnis von Lebewesen ist. Wir schauen einen Stern an und stellen uns mit dem heutigen Physiker so etwas vor, wie eine entzündete unorganische Flamme - so ähnlich. Es ist natürlich völliger Unsinn. Denn, was da geschaut wird, das ist durchaus das Ergebnis von Belebtem, Beseeltem, Vergeistigtem.

Gehen wir nun herein von diesem Schmetterlingsgürtel, wenn ich so sagen darf, der die Erde umgürtet, noch einmal zu dem Vogelgeschlechte. Wenn w1r uns das, was wir schon wissen, vorstellen, so haben wir drei aneinandergrenzende Regionen. Über demselben sind andere Regionen, unter demselben wieder andere Regionen. Wir haben den Lichtäther, wir haben den Wärmeäther, der aber eigentlich zwei Teile hat, zwei Schichten; die eine ist die irdische Wärmeschicht, die andere ist die kosmische Wärmeschicht, und die spielen fortwährend ineinander. Wir haben in der Tat nicht einerlei, sondern zweierlei Wärme, diejenige Wärme, die eigentlich irdischen, tellurischen Ursprungs ist, und solche, die kosmischen Ursprungs ist. Die spielen fortwährend ineinander. Dann haben wir angrenzend an den Wärmeäther die Luft. Dann kämen Wasser und Erde, und oben käme chemischer Äther, Lebensäther.

Wenn wir nun das Schmetterlingsgeschlecht nehmen, so gehört es vorzugsweise dem Lichtäther an, und der Lichtäther selber ist das Mittel, in dem die Leuchtekraft hervorholt aus dem Schmetterlingsei die Raupe; die Leuchtekraft im wesentlichen holt das hervor. Das ist schon nicht so beim Vogelgeschlecht. Die Vögel legen ihre Eier. Die müssen nun von Wärme ausgebrütet werden. Das Schmetterlingsei wird einfach der Sonnennatur überlassen; das Vogelei kommt in die Region der Wärme. In der Region des Wärmeäthers ist der Vogel vorhanden, und er überwindet eigentlich das, was bloße Luft ist.

Der Schmetterling fliegt auch in der Luft, aber er ist im Grunde genommen ganz ein Lichtgeschöpf. Und indem die Luft durchdrungen wird vom Lichte, wählt der Schmetterling innerhalb dieses Licht-Luftdaseins nicht das Luftdasein, sondern das Lichtdasein; die Luft ist ihm

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nur der Träger. Die Luft sind die Wogen, auf denen er gewissermaßen herumschwimmt, aber sein Element ist das Licht. Der Vogel fliegt in der Luft, aber sein Element ist eigentlich die Wärme, die verschiedenen Wärmedifferenzen in der Luft, und er überwindet in einem gewissen Grade die Luft. Der Vogel ist ja auch innerlich ein Luftwesen. Im hohen Grade ist er ein Luftwesen. Sehen Sie sich einmal die Knochen der Säugetiere, die Knochen des Menschen an: sie sind von Mark erfüllt. Wir werden davon noch sprechen, warum sie von Mark erfüllt sind. Die Vogelknochen sind hohl und nur mit Luft ausgefüllt. Wir bestehen also, insofern das in Betracht kommt, was innerhalb unserer Knochen Ist, aus Markmäßigem, der Vogel besteht aus Luft, und sein Markmäßiges ist reine Luft. Wenn Sie die Vogellungen nehmen, so finden Sie in dieser Vogellunge eine ganze Menge von Säcken, die ausgehen von der Lunge; das sind Luftsäcke. Wenn der Vogel einatmet, dann atmet er nicht nur in die Lunge ein, sondern er atmet in diese Luftsäcke die Luft hinein, und von den Luftsäcken geht es in die hohlen Knochen. So daß, wenn man alles Fleisch und alle Federn von dem Vogel loslösen und die Knochen wegnehmen könnte, so würde man noch ein aus Luft bestehendes Tier bekommen, das die Form hätte der inneren Lungenausfüllung und auch der inneren Ausfüllung aller Knochen. Sie hätten, wenn man es In der Form vorstellt, ganz die Form des Vogels. Im Fleisch- und Beinadler sitzt ein Luftadler drinnen. Das ist nun nicht bloß aus dem Grunde, daß da noch ein Luftadler drinnen ist, sondern nun atmet der Vogel; durch die Atmung erzeugt er Wärme. Diese Wärme, die teilt er- seiner Luft mit, die er nun in alle seine Gliedmaßen preßt. Da entsteht der Wärmeunterschied gegenüber der äußeren Umgebung. Da hat er seine Innenwärme, da hat er die äußere Wärme. In diesem Niveauunterschiede zwischen der äußeren Wärme der Luft und der Wärme, die er seiner eigenen Luft drinnen gibt, in diesem Niveauunterschiede, also in einem Niveauunterschiede innerhalb der Wärme, des Wärmeelementes lebt eigentlich der Vogel. Und wenn Sie den Vogel fragen würden in entsprechender Weise, wie es ihm eigentlich mit seinem Körper ist, dann würde er Ihnen - wenn Sie die Vogelsprache verstünden, würden Sie schon sehen, daß er das tut - so antworten, daß Sie erkennen würden, er redet von den fest substantiellen Knochen und von dem, was

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er sonst an sich trägt, etwa so, wie wenn Sie bepackt sind links und rechts und auf dem Rücken und auf dem Kopf mit lauter Koffern. Da sagen Sie auch nicht: Das ist mein Leib, der rechte Koffer, der linke Koffer und so we1ter. - Geradesowenig wie Sie von diesen Dingen, mit denen Sie bepackt sind, als von Ihrem Leibe reden, sondern wie Sie das an sich tragen, so redet der Vogel, wenn er von sich redet, bloß von der von ihm erwärmten Luft, und von dem anderen als von dem Gepäck, das er mitträgt im irdischen Dasein. Diese Knochen, die diesen eigentlichen Vogelluftleib umhüllen: das ist sein Gepäck. So daß wir also durchaus sagen müssen: im Grunde genommen lebt der Vogel ganz und gar im Wärmeelemente, und der Schmetterling im Lichtelemente. Für den Schmetterling ist alles, was physische Substanz ist, die er vergeistigt, vor der Vergeistigung eigentlich erst recht, man möchte sagen nicht einmal Gepäck, sondern Hauseinrichtung. Noch ferner steht sie ihm.

Also indem wir in diese Region hinaufkommen, zu dem Getier in diesen Regionen, kommen wir zu etwas, was wir gar nicht auf physische Art beurteilen dürfen. Wenn wir es auf physische Art beurteilen, so ist es etwa so, wie wenn wir einen Menschen so zeichnen wollten, daß wir seine Haare hineingewachsen malen würden in das, was er auf dem Kopfe tragen würde, seine Koffer zusammengewachsen mit den Armen, seinen Rücken mit irgend etwas, was er als Rucksack trägt, so daß wir ihn ganz buckelig machen würden, als ob der Rucksack hinten hinausgewachsen wäre. Wenn wir den Menschen so zeichnen würden, so würde das entsprechen der Vorstellung, die man sich als Materialist über den Vogel eigentlich macht. Das ist gar nicht der Vogel, das ist das Gepäck des Vogels. Der Vogel fühlt sich eigentlich auch so, als ob er furchtbar schleppt an diesem seinem Gepäck, denn er möchte am liebsten frank und frei, gar nicht belastet, als ein warmes Luftgetier durch die Welt seine Wanderung vollführen. Das andere ist ihm eine Last. Und er bringt den Tribut dem Weltendasein, indem er ihm diese Last vergeistigt und ins Geisterland hinausschickt, wenn er stirbt; der Schmetterling noch während seiner Lebenszeit.

Sehen Sie, der Vogel atmet und verwendet die Luft auf die Weise, wie ich es Ihnen gesagt habe. Beim Schmetterling ist es noch anders. Der Schmetterling atmet überhaupt nicht durch solche Vorrichtungen, wie

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sie die sogenannten höheren Tiere haben; es sind ja nur die voluminöseren Tiere, es sind nicht die höheren Tiere in Wirklichkeit. Der Schmetterling atmet eigentlich nur durch Röhren, die von seiner äußeren Umhüllung nach innen hineingehen, und die etwas aufgeblasen sind, so daß er die Luft aufspeichern kann, wenn er fliegt, so daß ihn das nicht stört, daß er da nicht immer zu atmen braucht. Er atmet eigentlich immer nur durch Röhren, die in sein Inneres hineingehen. Dadurch, daß er durch Röhren atmet, die in sein Inneres hineingehen, hat er die Möglichkeit, mit der Luft, die er einatmet, zugleich das Licht, das in der Luft ist, in seinen ganzen Körper aufzunehmen. Da ist auch ein großer Unterschied vorhanden.

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Schematisch dargestellt: Stellen Sie sich ein höheres Tier vor; das hat die Lunge. In die Lunge kommt der Sauerstoff hinein und verbindet sich da mit dem Blute auf dem Umweg durch das Herz. Das Blut muß in Herz und Lunge einfließen, um mit dem Sauerstoff in Berührung zu kommen bei diesen voluminöseren Tieren und auch beim Menschen. Beim Schmetterling muß ich ganz anders zeichnen. Da muß ich so zeichnen: Wenn das der Schmetterling ist, gehen da überall die Röhren

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herein; diese Röhren verästeln sich weiter. Und der Sauerstoff geht nun da überall hinein, verästelt sich selber mit; die Luft dringt überall in den Körper ein.

Bei uns und bei den sogenannten höheren Tieren kommt die Luft nur als Luft bis in die Lungen; bei dem Schmetterling breitet sich die äußere Luft mit ihrem Inhalte an Licht im ganzen inneren Leib aus. Der Vogel breitet die Luft bis in seine hohlen Knochen hinein aus; der Schmetterling ist nicht nur nach außen hin das Lichttier, sondern er breitet das Licht, das von der Luft getragen wird, in seinem ganzen Körper überallhin aus, so daß er auch innerlich Licht ist. Wenn ich Ihnen schildern konnte, daß der Vogel eigentlich innerlich erwärmte Luft ist, so ist der Schmetterling eigentlich ganz Licht. Es besteht auch sein Körper aus Licht, und die Wärme ist für den Schmetterling eigentlich Last, Gepäck. Er flattert ganz und gar im Lichte und baut seinen Leib eigentlich ganz aus dem Lichte herein auf. Und wir müßten, wenn wir den Schmetterling in der Luft flattern sehen, eigentlich bloße Lichtwesen flattern sehen, über ihre Farben, ihr Farbenspiel sich freuende Lichtwesen. Das andere ist Bekleidung und Gepäck. Man muß erst darauf kommen, aus was eigentlich die Wesen der Erdenumgebung bestehen, denn der äußere Schein täuscht.

Diejenigen, die heute so oberflächlich dies oder jenes gelernt haben, sagen wir aus morgenländischer Weisheit, die sprechen davon, daß die Welt Maja ist. Aber das ist nun wirklich nichts, wenn man sagt: die Welt ist Maja. Man muß in den Einzelheiten sehen, wie sie Maja ist. Maja versteht man, wenn man weiß, der Vogel schaut eigentlich gar nicht in seiner Wesenheit so aus, wie er außen erscheint, sondern er ist eIn warmes Luftwesen. Der Schmetterling schaut gar nicht so aus, wie er da erscheint, sondern er ist ein Lichtwesen, das da herumflattert, und das im wesentlichen eigentlich aus der Freude an dem Farbenspiel besteht, an jenem Farbenspiel, das an dem Schmetterlingsflügel entsteht, indem die irdische Staubmaterie vom Farbigen durchdrungen wird und dadurch auf der ersten Stufe der Vergeistigung hinaus ins geistige Weltenall, in den geistigen Kosmos ist.

Sehen Sie, da haben Sie, ich möchte sagen, zwei Stufen: den Schmetterling, den Bewohner des Lichtäthers in unserer Erdenumgebung; den

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Vogel, den Bewohner des Wärmeäthers in unserer Erdenumgebung. Und nun die dritte Sorte. Wenn wir herunterkommen in die Luft, da kommen wir dann zu jenen Wesen, welche in einer bestimmten Periode unserer Erdenevolution noch gar nicht da sein konnten, zum Beispiel in der Zeit, in der der Mond noch bei der Erde war, in der der Mond sich noch nicht von der Erde getrennt hatte. Da kommen wir zu Wesen, die zwar auch Luftwesen sind, das heißt, in der Luft leben, aber eigentlich schon durchaus hart berührt sind von dem, was der Erde eigentümlich ist, von der Erdenschwere. Der Schmetterling ist noch gar nicht von der Erdenschwere berührt. Der Schmetterling flattert freudig im Lichtäther und fühlt sich selber als ein Geschöpf, aus dem Lichtäther heraus geboren. Der Vogel überwindet die Schwere, indem er die Luft in seinem Inneren erwärmt, dadurch warme Luft ist, und warme Luft wird von der kalten Luft getragen. Er überwindet noch die Erdenschwere.

Diejenigen Tiere, welche zwar ihrer Abstammung gemäß noch in der Luft leben müssen, aber die Erdenschwere nicht überwinden können, weil sie nicht hohle Knochen haben, sondern markerfüllte Knochen, weil sie auch nicht solche Luftsäcke haben wie die Vögel, diese Tiere sind die Fledermäuse.

Die Fledermäuse sind ein ganz merkwürdiges Tiergeschlecht. Die Fledermäuse überwinden gar nicht durch das Innere ihres Körpers die Schwere der Erde. Sie sind nicht lichtleicht wie der Schmetterling, sie sind nicht wärmeleicht wie der Vogel, sie unterliegen schon der Schwere der Erde und fühlen sich auch schon in ihrem Fleisch und Bein. Daher ist den Fledermäusen dasjenige Element, aus dem zum Beispiel der Schmetterling besteht, in dem der Schmetterling ganz und gar lebt, dieses Element des Lichtes, unangenehm. Sie lieben die Dämmerung. Sie müssen die Luft benützen, aber sie haben die Luft am liebsten, wenn die Luft nicht das Licht trägt. Sie übergeben sich der Dämmerung. Sie sind eigentlich Dämmerungstiere. Die Fledermäuse können sich nur dadurch in der Luft halten, daß sie, ich möchte sagen, die etwas karikaturhaft aussehenden Fledermausflügel haben, die ja gar nicht wirkliche Flügel sind, sondern ausgespannte Häute, zwischen den verlängerten Fingern ausgespannte Häute, Fallschirme. Dadurch halten sie sich in

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der Luft. Dadurch überwinden sie, indem sie der Schwere selber etwas, was mit dieser Schwere zusammenhängt, als Gegengewicht entgegen- stellen, die Schwere. Aber sie sind dadurch ganz in den Bereich der Erdenkräfte hereingespannt. Man kann niemals eigentlich nach den physikalisch-mechanischen Konstruktionen den Schmetterlingsflug so ohne weiteres konstruieren, auch den Vogelflug nicht. Es wird niemals vollständig stimmen. Man muß da etwas hineinbringen, das andere Konstruktionen noch enthält. Aber den Fledermausflug, den können Sie durchaus mit irdischer Dynamik und Mechanik konstruieren.

Die Fledermaus liebt nicht das Licht, die lichtdurchdrungene Luft, sondern höchstens die vom Lichte etwas durchspielte Dämmerungsluft. Die Fledermaus unterscheidet sich dadurch von dem Vogel, daß der Vogel, wenn er schaut, eigentlich immer das im Auge hat, was in der Luft ist. Selbst der Geier, wenn er das Lamm sieht, empfindet das so, daß das Lamm etwas ist, was am Ende des Luftkreises ist, wenn er von oben sieht, was wie an die Erde angemalt ist. Und außerdem ist es kein bloßes Sehen, es ist ein Begehren, was Sie wahrnehmen werden, wenn Sie den Geierflug, der auf das Lamm gerichtet ist, wirklich ansehen, der eine ausgesprochene Dynamik des Wollens, des Willens, des Begehrens ist.

Der Schmetterling sieht überhaupt, was auf der Erde ist, so wie im Spiegel; für den Schmetterling ist die Erde ein Spiegel. Er sieht das, was im Kosmos ist. Wenn Sie den Schmetterling flattern sehen, dann müssen Sie sich eigentlich vorstellen: die Erde, die beachtet er nicht, die ist ein Spiegel. Die Erde spiegelt ihm dasjenige, was im Kosmos ist. Der Vogel sieht nicht das Irdische, aber er sieht das, was in der Luft ist.

Die Fledermaus erst fängt an, dasjenige wahrzunehmen, was sie durchfliegt, oder an dem sie vorbeifliegt. Und da sie das Licht nicht liebt, so ist sie eigentlich von all dem, was sie sieht, unangenehm berührt. Man kann schon sagen, der Schmetterling und der Vogel sehen auf eine sehr geistige Art. Das erste Tier von oben herunter, das auf irdische Art sehen muß, ist unangenehm von diesem Sehen berührt. Die Fledermaus hat das Sehen nicht gerne, und sie hat daher etwas, ich möchte sagen wie verkörperte Angst vor dem, was sie sieht und nicht sehen will. Sie möchte so vorbeihuschen an den Dingen: sehen müssen und nicht sehen

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wollen - da möchte sie sich so überall vorbeidrücken. Deshalb, weil sie sich so vorbeidrücken möchte, möchte sie auf alles so wunderbar hinhören. Die Fledermaus ist tatsächlich ein Tier, das dem eigenen Flug fortwährend zuhört, ob dieser Flug nicht irgendwie gefährdet wird.

Sehen Sie sich die Fledermausohren an. Sie können es den Fledermausohren ansehen, daß sie auf Weltenangst gestimmt sind. Das sind sie, diese Fledermausohren. Das sind ganz merkwürdige Gebilde, sie sind richtig aufs Hinschleichen durch die Welt, auf Weltenangst gestimmt. Das alles versteht man erst, wenn man die Fledermaus in diesem Zusammenhange betrachtet, in den wir sie jetzt hineinstellen.

Da müssen wir noch etwas sagen. Der Schmetterling gibt fortwährend vergeistigte Materie an den Kosmos ab, und er ist der Liebling der Saturnwirkungen. Nun erinnern Sie sich daran, wie ich hier ausgeführt habe, daß der Saturn der große Träger des Gedächtnisses unseres Planetensystems ist. Der Schmetterling hängt ganz zusammen mit dem Erinnerungsvermögen unseres Planeten. Das sind die Erinnerungsgedanken, die im Schmetterling leben. Der Vogel - ich habe Ihnen das auch schon ausgeführt - ist im Ganzen eigentlich ein Kopf, und in dieser durchwärmten Luft, die er durchfliegt durch den Weltenraum, ist er eigentlich der lebendig fliegende Gedanke. Was wir in uns als Gedanken haben, was ja auch zusammenhängt mit dem Wärmeäther, ist die Vogelnatur, die Adlernatur in uns. Der Vogel ist der fliegende Gedanke. Die Fledermaus aber ist der fliegende Traum, das fliegende Traumbild des Kosmos. So daß Sie sagen können: Die Erde ist umwoben von den Schmetterlingen: sie sind die kosmische Erinnerung; und von dem Vogelgeschlechte: es ist das kosmische Denken; und von der Fledermaus: sie ist der kosmische Traum, das kosmische Träumen. Es sind in der Tat die fliegenden Träume des Kosmos, die als Fledermäuse den Raum durchsausen. Wie der Traum das Dämmerlicht liebt, so liebt der Kosmos das Dämmerlicht, indem er die Fledermaus durch den Raum schickt. Die dauernden Gedanken der Erinnerung, sie sehen wir verkörpert in dem Schmetterlingsgürtel der Erde; die in der Gegenwart lebenden Gedanken in dem Vogelgürtel der Erde; die Träume in der Umgebung der Erde fliegen verkörpert als Fledermäuse herum. Fühlen Sie doch, wenn wir uns so recht in ihre Form vertiefen, wie verwandt

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dieses Anschauen einer Fledermaus mit dem Träumen ist! Eine Fledermaus kann man gar nicht anders ansehen, als daß einem der Gedanke kommt: du träumst doch; das ist doch eigentlich etwas, was nicht da sein sollte, was so heraus ist aus den übrigen Naturgeschöpfen, wie der Traum heraus ist aus der gewöhnlichen physischen Wirklichkeit.

Wir können also sagen: Der Schmetterling sendet die vergeistigte Substanz in das Geisterland hinein während seines Lebens; der Vogel sendet sie hinaus nach seinem Tode. Was macht nun die Fledermaus? Die Fledermaus sondert die vergeistigte Substanz, insbesondere jene vergeistigte Substanz, welche in den gespannten Häuten zwischen den einzelnen Fingern lebt, ab während ihrer Lebenszeit, übergibt sie aber nicht dem Weltenall, sondern sondert sie in der Erdenluft ab. Dadurch entstehen fortwährend, ich` möchte sagen, Geistperlen in der Erdenluft. Und so haben wir umgeben die Erde mit diesem kontinuierlichen Glimmen der ausströmenden Geistmaterie des Schmetterlings, hineinsprühend dasjenige, was von den sterbenden Vögeln kommt, aber zurück- strahlend nach der Erde die eigentümlichen Einschlüsse der Luft, da wo die Fledermäuse absondern das, was sie vergeistigen. Das sind die Geistgebilde, die man immer schaut, wenn man eine Fledermaus fliegen sieht. Tatsächlich hat sie immer wie ein Komet etwas wie einen Schwanz hinter sich. Sie sondert Geistmaterie ab, schickt sie aber nicht fort, sondern stößt sie zurück in die physische Erdenmaterie. In die Luft hinein stößt sie sie zurück. Ebenso wie man mit dem physischen Auge die physische Fledermaus flattern sieht, so kann man flattern sehen durch die Luft diese entsprechenden Geistgebilde der Fledermäuse; die sausen durch den Luftraum. Und wenn wir wissen: die Luft besteht aus Sauerstoff, Stickstoff und anderen Bestandteilen, so ist das nicht alles; sie besteht außerdem aus dem Geisteinfluß der Fledermäuse.

So sonderbar und paradox das klingt: dieses Traumgeschlecht der Fledermäuse sendet kleine Gespenster in die Luft herein, die sich dann vereinigen zu einer gemeinsamen Masse. Man nennt in der Geologie das, was unterhalb der Erde ist und noch eine Gesteinsmasse ist, die breiweich ist, Magma. Man könnte von einem Geistmagma in der Luft sprechen, das von den Ausflüssen der Fledermäuse herrührt.

Gegen dieses Geistmagma waren in alten Zeiten, in denen es instink-

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tives Hellsehen gegeben hat, die Menschen sehr empfindlich, geradeso wie heute noch manche Leute gegen Materielleres, zum Beispiel schlechte Düfte, empfindlich sind; nur daß man das als etwas, ich möchte sagen, mehr Plebejisches ansehen könnte, während in der alten instinktiven Hellseherzeit die Menschen empfindlich waren für das, was als Fledermausrest in der Luft vorhanden ist.

Dagegen haben sie sich geschützt. Und in manchen Mysterien gab es ganz besondere Formeln, durch die sich die Menschen innerlich versperrten, damit dieser Fledermausrest keine Gewalt über sie habe. Denn als Menschen atmen wir mit der Luft nicht bloß den Sauerstoff und den Stickstoff ein, wir atmen auch diese Fledermausreste ein. Nur ist die heutige Menschheit nicht darauf aus, sich vor diesen Fledermausresten schützen zu lassen, sondern während sie unter Umständen recht empfindlich ist, ich will sagen für Gerüche, ist sie höchst unempfindlich für Fledermausreste. Die verschluckt sie, man kann schon sagen, ohne daß sIe auch nur irgend etwas von Ekel dabei empfindet. Es ist ganz merkwürdig: Leute, die sonst recht zimperlich sind, verschlucken das, von dem ich hier spreche, was das Zeug hält. Aber das geht dann auch in den Menschen hinein. Es geht nicht in den physischen und in den Ätherleib, aber es geht in den Astralleib hinein.

Ja, Sie sehen, wir kommen da zu merkwürdigen Zusammenhängen. InitiatIonswissenschaft führt eben überall in das Innere der Zusammenhänge hinein: diese Fledermausreste sind die begehrteste Nahrung dessen, was ich Ihnen in den Vorträgen hier geschildert habe als den Drachen. Nur müssen sie zuerst in den Menschen hineingeatmet werden, diese Fledermausreste. Und der Drache hat seine besten Anhaltspunkte in der menschlichen Natur, wenn der Mensch seine Instinkte durchsetzt sein läßt von diesen Fledermausresten. Die wühlen da drinnen. Und die frißt der Drache und wird dadurch fett, natürlich geistig gesprochen, und bekommt Gewalt über den Menschen, bekommt Gewalt in der mannigfaltigsten Weise. Und da ist es so, daß auch der heutige Mensch sich wiederum schützen muß. Der Schutz soll kommen von dem, was hier geschildert worden ist als die neue Form des Streites des Michael mit dem Drachen. Was der Mensch an innerer Erkraftung gewinnt, wenn er den Michael-Impuls so aufnimmt, wie es hier geschildert wor-

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den ist, das schützt ihn gegen die Nahrung, die der Drache bekommen soll; dann schützt er sich gegen den ungerechtfertigten Fledermausrest Innerhalb der Atmosphäre.

Man darf eben nicht zurückschrecken davor, die Wahrheiten aus dem inneren Weltenzusammenhang hervorzuholen, wenn man wirklich in diesen inneren Weltenzusammenhang eindringen will. Denn diejenige Form des Wahrheitssuchers, die heute die allgemein anerkannte ist, die führt eben zu gar nichts Wirklichem, sondern zumeist nur zu etwas nicht einmal Geträumtem, eben zur Maja. Die Wirklichkeit muß durchaus auf dem Gebiete gesucht werden, wo man auch alles physische Dasein durchspielt sieht von geistigem Dasein. Da kann man an die Wirklichkeit nur herandringen, wenn man sie so betrachtet, wie es nun in diesen Vorträgen geschieht.

Zu irgend etwas Gutem oder zu irgend etwas Bösem sind die Wesen vorhanden, die irgendwo vorhanden sind. Alles steht so imWeltenzusammenhang drinnen, daß man erkennen kann, wie es mit den anderen Wesen zusammenhängt. Für den materialistisch Gesinnten flattern die Schmetterlinge, fliegen die Vögel, flattern die Flattertiere, die Fledermäuse. Aber da ist es fast so, wie es manchmal bei einem nicht sehr kunstsinnigen Menschen ist, wenn er sich sein Zimmer voll hängt mit allem möglichen Bilderzeugs, das nicht zusammengehört, das keinen inneren Zusammenhang hat. So hat für den gewöhnlichen Weltenbetrachter das, was da durch die Welt fliegt, auch keinen Inneren Zusammenhang, weil er keinen sieht. Aber alles im Kosmos steht an seiner Stelle, weil es von dieser Stelle aus eben einen inneren Zusammenhang mit der Totalität des Kosmos hat. Ob Schmetterling, ob Vogel, ob Fledermaus, alles steht mit irgendeinem Sinn in der Welt darinnen.

Mögen diejenigen, die solches heute verspotten wollen, mögen sie es verspotten. Die Menschen haben sich in bezug auf das Verspotten schon anderes geleistet. Berühmte Akademien haben das Urteil abgegeben: es kann keine Meteorsteine geben, weil Eisen nicht vom Himmel fallen kann und so weiter. Warum sollen die Menschen nicht auch spotten über die Funktionen der Fledermäuse, von denen ich heute gesprochen habe? Das alles darf aber nicht beirren darin, tatsächlich unsere Zivilisation zu durchziehen mit der Erkenntnis des Geistigen.

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SECHSTER VORTRAG Dornach, 28. Oktober 1923

Ehe wir nun dazu kommen, die übrigen mit dem Menschen im Erdendasein verbundenen Tier-, Pflanzen-, Mineralwesen zu betrachten, müssen wir heute einen Blick auf die Entwickelung des Menschen selber werfen, uns einiges vor die Seele stellen, das ja aus den verschiedenen

Darlegungen, die ich mündlich oder schriftlich gegeben habe, bekannt ist, das aber einmal in einer übersichtlichen Weise hier zusammengestellt werden muß.

Wenn wir uns heute von der äußeren Wissenschaft belehren lassen wollen, dann ist die Sache gewöhnlich so, daß gesagt wird, man müsse untersuchen, wie die höheren, sogenannten höheren Wesenheiten, sagen wir des Pflanzen reiches, dann des Tierreiches, des Menschenreiches sich entwickelt haben aus den leblosen, aus den sogenannten unorganischen Stoffen oder Kräften.

Die wirkliche Anschauung der Evolution ergibt etwas wesentlich anderes. Die ergibt, wie Sie schon aus meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» entnehmen können, daß der Mensch, so wie er heute vor uns steht, dasjenige Wesen ist, welches die längste Entwickelung hinter sich hat, dessen Entwickelung zurückgeht bis in die alte Saturnzeit. So daß

wir also sagen müssen: Der Mensch ist das älteste Geschöpf innerhalb unserer Erdenentwickelung. Erst während der Sonnenzeit ist die Tierheit dazugekommen, während der Mondenzeit die Pflanzenheit; und das mineralische Reich, wie wir es heute haben, ist eigentlich erst ein Erdenergebnis, ist erst während der Erdenentwickelung dazugekommen.

Nun wollen wir einmal den Menschen in seiner heutigen Gestalt ansehen und uns fragen: Was ist denn entwickelungsgeschichtlich am Menschen selber der älteste Teil? Das ist das menschliche Haupt. Dieses menschliche Haupt hat seine erste Anlage empfangen in der Zeit, als die Erde eben noch in der Saturnmetamorphose war. Allerdings, die Saturnmetamorphose war lediglich aus Wärmesubstanz bestehend, und das menschliche Haupt war eigentlich wallende, webende, wogende Wärme, hat dann luftförmige Form angenommen während der Sonnenzeit,

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hat flüssige Form angenommen, war also ein flüssig verrinnendes Wesen während der Mondenzeit, und hat die feste Gestalt mit dem Knocheneinschluß erhalten während der Erdenzeit, so daß wir also sagen müssen: Ein Wesen, von dem heute allerdings mit äußeren Erkenntnissen schwer eine Vorstellung zu gewinnen ist, war vorhanden in der alten Saturnzeit, ein Wesen, dessen Nachkomme das menschliche Haupt ist. Gleichzeitig mit dieser Hauptesbildung des Menschen - das können Sie ja aus meinen letzten Darlegungen entnehmen -, mit dieser Hauptesanlage des Menschen sind während der alten Saturnzeit die Anlagen entstanden zu dem Schmetterlingswesen. Wir werden später das andere Insektenwesen noch genauer betrachten; halten wir zunächst an dem Schmetterlingswesen fest. So daß wir die Entwickelung von der alten Saturnzeit bis heute, bis in das Erdendasein verfolgen können und dann sagen müssen: Da bildet sich in einer feinen substantiellen Form der Menschenkopf in seiner Anlage; da bildet sich alles das, was die Luft durchschwirrt als Schmetterlingswesen. - Beide Evolutionen gehen weiter. Der Mensch verinnerlicht sich, so daß er immer mehr und mehr ein Wesen wird, welches die Offenbarung eines Seelischen ausdrückt, das von innen nach außen geht, schematisch etwa so dargestellt: ein Wesen, das sich von innen nach außen strahlend entwickelt (Tafel III, links oben). Das Schmetterlingswesen dagegen, das ist ein Wesen, an dessen Außenseite der KOsmos, ich möchte sagen, all seine Schönheiten ablädt. Ein Wesen ist der Schmetterling, das gewissermaßen mit seInem Flügelstaub angeflogen bekommen hat alles, was an Schönheit und Majestät im Kosmos in der Art vorhanden ist, wie ich es Ihnen dargestellt habe. Wir müssen also das Schmetterlingswesen uns so vorstellen, daß es gewissermaßen ein Spiegelbild der Schönheiten des oberen Kosmos ist. Während der Mensch in sich aufnimmt, in sich verschließt das, was oberer Kosmos ist, innerlich seelisch wird, seelisch wie die Konzentration des Kosmos, die dann nach außen ausstrahlt und sich im Menschenhaupt die Form gibt, so daß wir im Menschenhaupt etwas von Innen nach außen Gebildetes haben, haben wir im Schmetterlingswesen das von außen nach innen Gebildete. Und es ist schon für denjenigen, der diese Dinge sehermäßig betrachtet, so, daß er eigentlich ein Ungeheures lernt, wenn er in der folgenden Art zu Werke geht,

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wenn er sagt: Ich will die Geheimnisse, die ältesten Geheimnisse, die Saturngeheimnisse des menschlichen Hauptes ergründen, ich will wissen, was da innerhalb der Hirnschale eigentlich für Kräfte gewaltet haben. - Er muß sich hinweisen lassen auf das, was man äußerlich überall sieht, was äußerlich überall einstrahlt, und das Schmetterlingswesen studieren. Um deine eigenen Haupteswunder kennenzulernen, studiere die Wunder, wie der Schmetterling draußen in der Natur wird: das ist etwa die große Lehre, welche der sehermäßigen Beobachtung der Kosmos gibt. dann die Evolution vor von der Saturnzeit zur Sonnenzeit, dann entsteht ein Wesen, das eine weitere Ausbildung, eine Luftumbildung, eine Luftmetamorphose des Hauptes hat; aber es gliedert sich an In eIner feinen Substanz, was dann später zu den Brustgebilden, zu den Atmungs- und Herzgebilden des Menschen wird. Also hier - Im Saturn - haben wir noch wesentlich diejenige Metamorphose, welche das menschliche Haupt darstellt. Aber das ist natürlich die spätere Form. Kommen wir zur Sonnenzeit herauf, so haben wir den KopfBrustmenschen; es gliedert sich an, was nun Brust des Menschen ist. Gleichzeitig aber entsteht schon in der letzten Saturn- und in der ersten Sonnenzeit dasjenige, für das wir nun den Repräsentanten zu sehen haben im Adler. Es entsteht das Vogelgeschlecht in der ersten Sonnenzeit, und es entstehen in der zweiten Sonnenzeit die ersten Anlagen derjenigen Tiergeschlechter, welche eigentliche Brusttiere sind, wie der Löwe zum Beispiel - als Repräsentant der Löwe, aber auch andere Brusttiere. So daß die ersten Anlagen dieser Tiere zurückgehen bis in die alte Sonnenzeit.

Sie sehen daraus, welch ein gewaltiger Unterschied in der Heranbildung selbst der höheren Tiere und des Menschen vorhanden ist. Ich werde schon über die Übergangstiere, zu denen ja auch das Affengeschlecht gehört, in der Zukunft noch sprechen, aber ich will heute nur einen zusammenfassenden Begriff geben. Sie sehen, welch ein gewaltiger Unterschied da besteht zwischen Menschenbildung und höherer Tieresbildung.

Beim Menschen ist das erste, daß sich in der Evolution das Haupt ausbildet. Das übrige werden Anhangsorgane, die sich gewissermaßen

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an die Hauptesbildung anhängen. Der Mensch wächst in der kosmischen Evolution von seinem Haupte aus nach unten. Der Löwe dagegen ist zum Beispiel während der alten Sonnenzeit, während des zweiten Teiles der alten Sonnenzeit ein Tier, welches zunächst als Brusttier entsteht, als kräftiges Atmungstier mit einem noch sehr kleinen, verkümmerten Kopf. Erst als die Sonne dann in späteren Zeiten von der Erde sich trennt und von außen wirkt, erst dann entsteht aus der Brust heraus der Kopf. Es wächst also der Löwe so, daß er von der Brust nach aufwärts sich entwickelt, der Mensch, indem er vom Kopf nach unten sich entwickelt. Das ist ein gewaltiger Unterschied in der Gesamtevolution.

Indem wir weiterschreiten bis zur Mondenmetamorphose der Erde, da erst braucht der Mensch, weil der Mond die Wassermetamorphose darstellt, weil der Mond wässerig ist, allerdings dann verhornt in der späteren Zeit, von jetzt ab die weitere Fortsetzung nach unten. Es bildet sich die Anlage des Verdauungssystems. Während der alten Sonnenzeit, während man nur lichtdurchwelltes, lichtdurchglänztes Luftiges hat, braucht der Mensch auch zu seiner Ernährung nur einen Atmungsapparat, der nach unten abgeschlossen ist; der Mensch ist Kopf- und Atmungsorgan. Jetzt während der Mondenzeit gliedert er sich das Verdauungssystem an. Damit aber kommt der Mensch also dazu, Kopf, Brust und Unterleib zu werden. Und da alles im Monde noch wäßrige Substanz ist, hat der Mensch während dieser Mondenzeit Auswüchse, die ihn schwimmend durch das Wasser tragen. Von Armen und Beinen kann erst während der Erdenzeit gesprochen werden, wenn die Schwer- kraft wirkt und dasjenige herausgestaltet, was sich vor allen Dingen in die Richtungen der Schwerkraft hineinstellt, die Gliedmaßen. Das also gehört erst der Erdenzeit an. Während der Mondenzeit aber bildet sich, noch ganz anders geartet als später, der Verdauungsapparat, so geartet, daß dieser Verdauungsapparat des Menschen noch nicht aufzunehmen braucht alles das, was der Verarbeitung der freien, willkürlichen Beweglichkeit der Glieder dient. Es ist ein wesentlich anderer Verdauungsapparat noch; der metamorphosiert sich später um in den Verdauungsapparat, der der Erdenverdauungsapparat ist. Aber der Mensch gliedert sich während der Mondenzeit den Verdauungsapparat an.

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Wiederum ist es so, daß jetzt zu den Nachkommen von Schmetterlingen, Vögeln und von solchen Geschlechtern, von denen der Löwe ein Repräsentant ist, hinzukommen diejenigen Tiere, die vorzugsweise nach der Verdauung hinneigen. Wir haben also da hinzukommend während der Mondenzeit zum Beispiel das, was wir durch die Kuh repräsentiert haben.

Aber wie ist nun im Gegensatze zum Menschen das Wachstum der Kuh? Das ist so, daß die Kuh zunächst während dieser alten Mondenzeit hauptsächlich den Verdauungsapparat ausbildet; dann, nachdem der Mond sich abgetrennt, wachsen aus dem Verdauungsapparat die Brustorgane und der eigentümlich gestaltete Kopf erst heraus. Während der Mensch beim Kopf anfängt sich zu entwickeln, dann daran schließt die Brust, die Brustmetamorphosierungen, dann daran schließt die Verdauungsorgane; während der Löwe mit den Brustorganen anfängt, den Kopf daran schließt, und mit dem Menschen zugleich die Verdauungsorgane bekommt während der Mondenzeit, haben wir bei denjenigen Tieren, deren Repräsentant die Kuh ist, als erste Anlage zunächst die Verdauungsorgane, und dann, aus diesen weiterwachsend, haben wir Brust- und Kopforgane gebildet. Also Sie sehen, der Mensch wächst vom Kopf nach unten, der Löwe von der Brust nach oben und unten; die Kuh wächst von den Verdauungsorganen ganz in die Brust und in den Kopf erst hinein, wächst sozusagen, wenn wir es mit dem Menschen vergleichen, ganz nach aufwärts, wächst gegen Herz und Kopf zu. Das gibt die Anschauung der Entwickelung des Menschen.

Nun entsteht natürlich die Frage: Ist es nur die Kuh, welche da wie ein Genosse sich hinzugesellt zu der Evolution des Menschen? - Das ist nicht bloß so, sondern immer, wenn irgendeine solche planetarische Metamorphose entsteht, dann entwickeln sich die alten Wesen weiter, aber zugleich entstehen neue. Die Kuh entsteht schon während der ersten Mondenmetamorphose. Dann aber kommen andere Tiere dazu, die in der letzten Mondenmetamorphose ihre allererste Anlage bekommen. Die können nicht mehr zum Beispiel den Hinausgang des Mondes mitmachen, weil er schon draußen ist. Die können daher auch nicht mitmachen, was dieser Hinausgang des Mondes bewirkt, daß er gewissermaßen aus dem Bauch der Kuh herauszieht die Herzorgane und

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die Kopforgane, sondern die später auftretenden Wesen bleiben auf dem Standpunkt stehen, der beim Menschen fixiert ist durch die Verdauung. So daß also Wesen entstehen, die eigentlich nur Verdauungstiere bleiben, die auf der Stufe bleiben, die der Mensch in seinem Unterleibe mit sich trägt.

Geradeso wie der Adler und die Schmetterlinge dem Kopf zugeordnet sind, wie der Löwe der Brust zugeordnet ist, die Kuh dem Unterleib zugeordnet ist, aber, ich möchte sagen als das Tier, das zu gleicher Zeit alles Obere in sich hineinwachsen läßt in der späteren Evolution, so sind Amphibien und Reptilien, also Kröten, Frösche, Schlangen, Eidechsen und so weiter zugeteilt, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, nur dem menschlichen Unterleibe, dem menschlichen Verdauungsapparat. Da sind reine Verdauungsapparate als Tiere entstehend.

Schmetterling Vogel. Löwe Kuh. Reptilien, Amphibien. Fische
Saturn: Sonne: Mond:
Kopf Kopf-Brust Kopf-Brust-Unterleib

Sie entstehen auch während der zweiten Mondenzeit in einer höchst plumpen Form, sind eigentlich wandelnde Magen und Gedärme, wandelnder Magen und Darmschlauch. Erst später während der Erdenzeit bekommen sie die ja auch noch nicht besonders vornehm aussehenden Kopfteile. Sehen Sie sich die Frösche und Kröten oder die Schlangen an! Sie entstehen eben durchaus in einer Spätzeit als Verdauungstiere, da, wo der Mensch gewissermaßen sich nur noch anhängen kann seine Verdauungsapparate an das, was er früher schon gehabt hat.

In der Erdenzeit, wenn der Mensch sich seine Gliedmaßen ausbildet unter der Schwere und dem Erdmagnetismus, da strecken allerdings auch - meinetwillen nehmen wir die Schildkröte als Repräsentanten - die Schildkröten ihren Kopf heraus über ihren Panzer mehr wie ein Gliedmaßenorgan als einen Kopf. So können wir auch verstehen, wie bei den Amphibien und Reptilien dieser Kopf ungeschlacht gestaltet ist. Er ist eigentlich wirklich so gestaltet, daß man durchaus das Gefühl hat, wie es auch richtig ist: da kommt man aus dem Mund sogleich in den Magen hinein. Da ist nicht viel Vermittelung.

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Wenn man also den Menschen betrachtet und seinem Wesen zu teilt die Tiergenossen, dann muß man demjenigen, was da enthalten ist in den Reptilien und Amphibien, zuteilen die menschliche Verdauungstätigkeit. Und tatsächlich, man kann sagen: So wie der Mensch die Produkte seiner Verdauung in seinen Gedärmen herumträgt, so trägt der Kosmos auf dem Umweg durch die Erde die Kröten, Schlangen und Frösche gewissermaßen in dem kosmischen Gedärm herum, das er sich bildet in dem wäßrig-irdischen Element der Erde. Dagegen dasjenige, was dann mehr zusammenhängt mit der menschlichen Fortpflanzung, was sich überhaupt erst in der allerletzten Mondenzeit in der allerersten Anlage bildet und erst während der Erdenmetamorphose herauskommt, mit dem sind die Fische verwandt, die Fische und noch niedrigere Tiere. So daß wir die Fische anzusehen haben als Spätlinge der Evolution, als solche Wesen, die sich in der Evolution erst da hinzugesellen zu den anderen Tieren, wenn sich beim Menschen die Fortpflanzungsorgane zu den Verdauungsorganen hinzugesellen. Die Schlange ist im wesentlichen der Vermittler zwischen Fortpflanzungsorgan und Verdauungsorgan. Richtig hineingesehen in die menschliche Natur, was stellt die Schlange dar? Die Schlange stellt nämlich den sogenannten Nierenkanal dar; sie ist in derselben Zeit der Weltenevolution entstanden, in der sich beim Menschen der Nierenkanal ausgebildet hat.

So können wir richtig verfolgen, wie der Mensch, von seinem Haupte angefangen, nach unten wächst, wie ihm die Erde die Gliedmaßen herausholt und in ihren Dienst stellt, daß diese Gliedmaßen sich hinein- stellen in das Erdengleichgewicht der Schwere und der magnetischen Kräfte. Und gleichzeitig mit diesem Wachsen nach unten bilden sich die verschiedenen Tierklassen.

Sie sehen, auf diese Weise bekommt man ein wahres Bild der Erdenevolution mit ihren Geschöpfen. Gemäß dieser Evolution haben sich dann diese Geschöpfe so entwickelt, daß sie uns zeigen, was heute ist.

Wenn Sie die Schmetterlinge und die Vögel ansehen, so haben sie allerdings irdische Formen; aber Sie wissen aus der früheren Darstellung: der Schmetterling ist eigentlich ein Lichtwesen, und die irdische Materie ist ihm nur angeflogen. Wenn er selber Ihnen sagen könnte, was er ist, so würde er Ihnen verkündigen, daß er einen Leib aus Licht hat, und daß

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er, wie ich bereits sagte, das, was ihm als Erdenmaterie angeflogen ist, wIe ein Gepäck, wie etwas Äußeres an sich trägt. Ebenso ist der Vogel eIn warmluftiges Tier, könnte man sagen, denn der wahre Vogel ist die warme Luft, die in dem Vogel ausgebreitet ist; das andere ist sein Gepäck, das er durch die Welt schleppt. Diese Tiere, die also eigentlich heute noch nur mit irdischer Umkleidung, mit Erdenumkleidung, mit Wasserumkleidung sich erhalten haben ihre Lichtes-, ihre Wärmenatur, diese Wesenheiten sind am frühesten in der ganzen Erdenevolution entstanden. Diese Wesenheiten haben auch solche Formen, welche denjenigen, der nun auch hinüberschauen kann in die Zeit, die der Mensch vor seinem Herabstieg in das Erdenleben durchmacht in der geistigen Welt, erinnern an das, was in der geistigen Welt durchgemacht ist. Gewiß, es sind irdische Formen, denn die irdische Materie ist angeflogen. Wenn Sie sich aber richtig vorstellen die schwebenden, webenden Leuchtewesen, die die Schmetterlinge sind, wenn Sie sich wegdenken das, was ihnen vom Irdischen angeflogen ist, wenn Sie sich vom Vogel wegdenken, was ihm vom Irdischen angeflogen ist, wenn Sie sich diese Kraftmasse denken, die den Vogel zum warmen Luftwesen macht, mit dem, was dann sein Gefieder ist, nur als leuchtende Strahlen, wenn Sie sich das denken, dann erinnern diese Wesenheiten, die nur wegen ihrer äußeren Bekleidung so aussehen und auch die Größe, die sie haben, nur eben wegen dieser äußeren Bekleidung haben, denjenigen, der eben auch das Menschenwesen kennt vor seinem Herabstieg auf die Erde, an dieses Menschenwesens Herabstieg auf die Erde. Dann sagt sich derjenige, der so hineinschaut in die geistige Welt: In den Schmetterlingen, in den Vögeln haben wir etwas, was erinnert an jene Geistformen, unter denen der Mensch gelebt hat, bevor er auf die Erde herabgestiegen ist, an die Wesen der höheren Hierarchien. Mit Verständnis Schmetterlinge und Vögel angeschaut, sind sie eine ins Kleine umgesetzte, metamorphosierte Erinnerung derjenigen Formen, die man als Geistformen um sich hatte, als man noch nicht herabgestiegen war in die Erdenentwickelung. Weil die Erdenmaterie schwer ist und überwunden werden muß, so ziehen die Schmetterlinge ihre gigantisch große Gestalt, die sie eigentlich haben, ins Kleine zusammen. Wenn Sie von einem Schmetterlinge absondern könnten alles, was Erdenmaterie ist, so würde er sich allerdings

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zur Erzengelgestalt als Geistwesen, als Leuchtewesen ausdehnen können. Wir haben schon in denjenigen Tieren, die die Lüfte bewohnen, irdische Abbilder dessen, was in höheren Regionen auf geistgemäße Art vorhanden ist. Daher war es In der instinktiven Hellseherzeit ein selbstverständlich künstlerisches Wirken, aus den Formen der Flugtiere die symbolische Form, die bildliche Form der Geistwesen der höheren Hierarchien zu bilden. Das hat seine innere Begründung. Im Grunde sind die physischen Formen von Schmetterlingen und Vögeln eben die physischen Metamorphosen von Geistwesen. Nicht die Geistwesen haben sich metamorphosiert, aber die metamorphosierten Abbilder davon sind sie; es sind natürlich andere Wesenheiten.

Daher werden Sie es auch verständlich finden, wenn ich, zurückkommend auf etwas, was ich schon ausgesprochen habe, noch einmal das Folgende Ihnen zeichne. Ich sagte Ihnen, der Schmetterling, der eigentlich ein Lichtwesen ist, schickt fortwährend zeit seines Lebens hinaus die durchgeistigte Erdenmaterie in den Kosmos. Ich möchte nun diese durchgeistigte Erdenmaterie, die da in den Kosmos hinausgeschickt wird, mit Anlehnung an einen gebräuchlichen Ausdruck der Sonnenphysik die Schmetterlingskorona nennen. So strahlt die Schmetterlingskorona fortwährend in den Kosmos hinaus. Aber in diese Schmetterlingskorona strahlt ein, was das Vogelgeschlecht jedesmal, wenn der Vogel stirbt, dem Kosmos übergibt, so daß da hineinstrahlt die vergeistigte Materie vom Vogelgeschlecht, hinaus in den Kosmos. Man hat dann von außen, geistig gesehen, den Anblick einer glimmenden Korona, ausgehend vom Schmetterlingsgeschlecht - nach gewissen Gesetzen erhält sich diese auch im Winter -, und mehr strahlenförmig hineingestellt das, was von den Vögeln ausfließt. (Tafel II / Zeichnung Seite 80.)

Sehen Sie, wenn der Mensch sich anschickt, herunterzusteigen aus der geistigen Welt in die physische Welt, da ist es zunächst die Schmetterlingskorona, diese eigentümliche Ausstrahlung von vergeistigter Erdenmaterie, die den Menschen ins irdische Dasein ruft. Und die Strahlen der Vogelkorona, die werden mehr empfunden wie Kräfte, die hereinziehen. Nun sehen Sie noch eine höhere Bedeutung desjenigen, was im Luftkreise lebt. Man muß eben überall in dem, was lebt und webt

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in der Wirklichkeit, das Geistige suchen. Und sucht man das Geistige, dann kommt man eigentlich erst darauf, was die einzelnen Wesensgebiete für eine Bedeutung haben. Die Erde lockt gewissermaßen den Menschen zur Wiederverkörperung herein, indem sie die Leuchteausstrahlung der Schmetterlingskorona und die Strahlung der Vogelkorona hinausschickt in den Weltenraum. Das sind die Dinge, die den Menschen, nachdem er eine Zeitlang zugebracht hat in der rein geistigen Welt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, wiederum herein- rufen in das neue Erdendasein. Es ist daher kein Wunder, wenn der Mensch sich schwer enträtseln kann das komplizierte Gefühl, das er mIt Recht hat beim Anblick der Schmetterlings- und der Vogelwelt. Denn dasjenige, was da wirklich ist, sitzt tief im Unterbewußtsein. Das, was da wirklich ist, ist die` Erinnerung an die Sehnsucht nach neuem Erdendasein.

Und das wiederum hängt zusammen mit dem, was ich Ihnen auch öfter auseinandergesetzt habe, daß der Mensch, nachdem er von der Erde abgegangen ist durch die Pforte des Todes, seinen Kopf eigentlich zerstreut, daß dann sein übriger Organismus, seinen Kräften nach natürlich, nicht seiner Materie nach, umgebildet wird zu dem Kopf des nächsten Erdendaseins. Der Mensch strebt also eigentlich nach dem Kopf, indem er herunterstrebt. Und der Kopf ist das erste, das sich ausbildet am Menschenembryo in einer Gestalt, die schon der späteren Menschengestalt ähnlich ist. Daß das alles so ist, das hängt damit zusammen, daß innig verwandt ist diese Hinbildung nach dem Kopfe mit dem, was wirkt und webt in der fliegenden Welt, durch die der Mensch eigentlich hereingezogen wird aus dem Übersinnlichen in das sinnliche Dasein.

Dann, wenn der Mensch während seiner Embryonalzeit zunächst die Kopfesorganisation bekommen hat, dann bildet sich aus dem Erdendasein heraus, plaziert in dem Leibe der Mutter, dasjenige, was Verdauungsorganismus ist und so weiter. Geradeso wie das, was oben ist, die Kopfbildung, zusammenhängt mit dem Wärmeartigen, mit dem Luftartigen, mit dem Wärme-Lichtartigen, so hängt mit dem irdischfeuchten Element zusammen, was dann eine Nachbildung ist dessen, was dem Menschen später während der Evolution angegliedert ist, und

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was sich jetzt neuerdings angliedert während seiner Embryonalzeit. Dieses irdisch-feuchte Element aber muß für den Menschen erst in einer ganz besonderen Weise zubereitet werden; eben in dem Leib der Mutter. Bildet es sich nur an sich aus draußen im Tellurischen, im Irdischen zerstreut, dann bildet es sich aus zu dem, was die niedrigenTierformen, die Amphibien und Reptilien, sind, dann bildet es sich aus zu dem, was die Fische und noch niedrigere Tiere sind.

Wenn der Schmetterling eigentlich sich mit Recht als ein Lichtwesen anschaut, der Vogel als ein warmes Luftwesen, so können das die niedrigeren Tiere, die Amphibien, Reptilien und die Fische, nicht. Sehen wir uns zunächst einmal die Fische an.Wie sie heute sind, werden sie im Entstehen draußen überlassen sozusagen der äußeren Bildung, wo auf sie die Kräfte von außen hereinwirken, die auf den Menschen von innen heraus wirken. Der Fisch lebt vorzugsweise im wäßrigen Elemente. Aber das Wasser ist ja nicht nur das, was Wasserstoff und Sauerstoff in ihrer Zusammensetzung für den Chemiker sind, sondern das Wasser ist durchzogen von allen möglichen kosmischen Kräften. Die Sternenkräfte halten auch ihren Einzug in das Wasser, und im Wasser würden keine Fische leben, wenn das Wasser eben nur die gleichartige Zusammensetzung von Wasserstoff und Sauerstoff wäre. Aber geradeso wie der Schmetterling sich als Lichtwesen, wie der Vogel sich als warmes Luftwesen fühlt, so fühlt

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sich der Fisch eigentlich als das irdisch-wäßrige Wesen. Das eigentliche Wasser, das er in sich aufsaugt, das fühlt er nicht als sein Wesen.

Der Vogel fühlt die Luft, die er aufsaugt, als sein Wesen. Der Vogel fühlt also eigentlich, schematisch ausgedrückt, das, was als Luft in ihn eindringt, was sich überall ausbreitet, als sein Wesen; diese sich ausbreitende und von ihm erwärmte Luft (Tafel III/Zeichnung blau), das ist sein Wesen. Der Fisch hat das Wasser in sich, aber der Fisch fühlt sich nicht als das Wasser; der Fisch fühlt sich als das, was das Wasser einschließt, er fühlt sich als die Umgebung des Wassers. Er fühlt sich als diese glitzerige Hülle oder Schale des Wassers. Aber das Wasser fühlt er als ein ihm fremdes Element, das in ihm aus- und eingeht, und indem es aus- und eingeht in ihm, ihm auch zugleich die Luft bringt, die er braucht. Aber Luft und Wasser fühlt er als etwas Fremdes. Er fühlt es zunächst als physischer Fisch als etwas Fremdes. Aber der Fisch hat ja auch seinen Äther- und seinen astralischen Leib. Das ist gerade das Eigentümliche des Fisches: dadurch, daß er sich eigentlich als die Hülle fühlt, und das Wasser ihm verbunden bleibt mit dem übrigen wäßrigen Elemente, fühlt er den Äther als dasjenige, in dem er eigentlich lebt. Das Astralische fühlt er dann nicht als das, was zu ihm gehört. Aber der Fisch ist das eigentümliche Tier, das so recht Äthertier ist. Für sich ist er die physische Schale für das Wasser. Das Wasser, das in ihm ist, fühlt er zusammengehörig mit allen Wassern der Welt. Gewissermaßen überall setzt sich ihm die Feuchtigkeit fort. Feuchtigkeit ist ja überall, und in dieser Feuchtigkeit nimmt er zugleich den Äther (Tafel III / Zeichnung lila) wahr. Die Fische sind allerdings für das irdische Leben stumm, aber wenn sie reden könnten und Ihnen erzählen würden, wie sie sich fühlen, dann würden Ihnen die Fische sagen: Ich bin Schale, aber die Schale trägt ein überall sich ausbreitendes Wasserelement, das der Träger des Ätherelementes ist. In dem Äther schwimme ich eigentlich. - Der Fisch würde sagen: Das Wasser ist nur Maja, die Wirklichkeit ist der Äther, in dem schwimme ich eigentlich. - Also der Fisch fühlt sein Leben als das Leben der Erde. Das ist das Eigentümliche von ihm: er fühlt sein Leben als das Leben der Erde, und daher nimmt er innig teil an alledem, was im Jahreslauf durchgemacht wird von der Erde: dieses Hinausgehen der Ätherkräfte im Sommer, dieses Zurückziehen

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der Ätherkräfte im Winter. So daß der Fisch etwas fühlt, was in der ganzen Erde atmet. Den Äther empfindet der Fisch als das Atmende der Erde.

Es hat hier einmal Dr. Wachsmuth von dem Atmen der Erde gesprochen. Das ist eine sehr schöne Auseinandersetzung gewesen. Aus eigener Erfahrung hätte das ein Fisch hier vortragen können, wenn er die Vortragskunst gelernt hätte; denn er empfindet das alles, was da vorgetragen worden ist, aus der Verfolgung der dazugehörigen Erscheinungen. Der Fisch ist dasjenige Tier, das das Atmungsleben der Erde während des Jahreslaufes in einer ganz außerordentlichen Weise mitmacht, weil für den Fisch das, worauf es ihm ankommt, gerade das ÄtherLebenselement ist, das aus und ein wogt, und das nur das andere Atmende mitreißt.

Anders ist es bei den Reptilien und bei den Amphibien, bei den Fröschen zum Beispiel, die in dieser Beziehung außerordentlich charakteristisch sind. Die hängen weniger zusammen mit dem Ätherelemente des Kosmos, die hängen mehr zusammen mit dem astralischen Element des Kosmos. Wenn man den Fisch frägt: Wie steht es denn eigentlich mit dir? - dann sagt er: Nun ja, hier auf Erden bin ich ein erdgewordenes Geschöpf, gebildet aus dem irdisch-feuchten Elemente; aber mein eigentliches Leben ist das Leben der ganzen Erde mit ihrer kosmischen Atmung. - Beim Frosch ist es nicht so, beim Frosch ist es wesentlich anders. Der Frosch nimmt teil an der allgemein ausgebreiteten Astralität.

Ich sprach Ihnen ja bei den Pflanzen davon und werde noch weiter davon sprechen, wie die Astralität des Kosmos oben die Blüte berührt. Mit dieser Astralität, gewissermaßen mit dem astralischen Leib der Erde, hängt der Frosch so zusammen wie der Fisch mit dem Ätherleib der Erde. Der Fisch hat mehr seine Astralität für sich. Der Frosch hat eigentlich seinen Ätherleib sehr stark für sich, viel stärker als der Fisch; aber der Frosch lebt in dem allgemein Astralischen; so daß er namentlich jene astralischen Vorgänge miterlebt, die sich im Jahreslaufe abspielen, wo die Erde die Astralität spielen läßt im Verdunsten des Wassers, im Wiederherabkommen des Wassers. Da sagt natürlich der materialistisch denkende Mensch: das Wasser verdunstet durch diese oder jene aerodynamischen meinetwillen oder aeromechanischen Kräfte;

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man bekommt den Hinaufstieg. Es formen sich Tropfen; werden die genügend schwer, so fallen sie herab. Aber das ist ja ungefähr ebenso, wie wenn man eine ähnliche Theorie vom Blutlaufe des Menschen aufstellen würde, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, daß da alles lebt im Blutlauf. So lebt im Kreislauf des auf- und abwärtsdringenden Wassers die Astralatmosphäre der Erde, die Astralität der Erde. Ich sage Ihnen nicht etwas Fabelhaftes, wenn ich sage: Gerade die Frösche - bei den anderen Amphibien ist das auch vorhanden, aber mehr zurückgetreten - leben dieses astrale Spiel, das sich in den Witterungsverhältnissen, in der Meteorologie auslebt, mit. Nicht nur, daß man sie, wie Sie wissen, In der bekannten einfachen Weise als Wetterpropheten benutzt, weil sIe dieses Spiel wunderbar miterleben dadurch, daß sie mit ihrer Astralität hineinversetzt sind in die Astralität der Erde; der Frosch sagt gar nicht, er habe ein Gefühl, sondern der Frosch ist nur ein Träger der Gefühle, die die Erde hat in Regenperioden, in trockenen Perioden und so weiter. Daher haben Sie auch unter gewissen Witterungsverhältnissen die mehr oder weniger schönen oder häßlichen Froschkonzerte. Die sind im wesentlichen der Ausdruck der Frösche für das, was sie im Astralleib der Erde miterleben. Sie quaken wahrhaftig nicht, ohne daß sie Veranlassung dazu haben aus dem ganzen Kosmos heraus; sie leben das Astralische der Erde mit.

So können wir sagen: Was in dem irdisch-feuchten Elemente lebt, das ist tatsächlich so, daß es auch mehr das Irdische miterlebt; die irdischen Lebensverhältnisse also beim Fisch, die irdischen Empfindungsverhältnisse beim Frosch und überhaupt beim Reptilien- und Amphibiengeschlechte. Wiederum, will man alles das studieren, was menschlicher Verdauungsorganismus ist, dann muß man sagen: dieser Verdauungsorganismus bildet sich allerdings wiederum nach diesem Schema von innen heraus. Aber wer wirklich studieren will, wie die Dinge funktionieren, der muß sich an das Amphibien- und Reptiliengeschlecht wenden, denn dem fliegt von außen an, was der Mensch als Kräfte durch seine Verdauungswerkzeuge durchdrängt. Mit denselben Kräften, mit denen der Mensch verdaut, bildet der äußere Kosmos, die äußere Natur Schlangen, Kröten und Eidechsen und Frösche. Und wer richtig - verzeihen Sie, aber in der Natur ist nichts häßlich, sondern alles muß in

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objektiver Weise besprochen werden -, wer die innere Natur, sagen wir, des menschlichen Dickdarmes mit seinen Kräften der Absonderung studieren will, der muß die Kröten äußerlich studieren, denn der Kröte fliegt äußerlich dasjenige an, was 1m menschlichen Dickdarm von innen heraus nach diesem Schema wirkt. Es ist das nicht so schön in der Beschreibung wie das, was ich für die Schmetterlinge zu beschreiben hatte; aber in der Natur muß eben alles in objektiver Gleichheit hingenommen werden.

Sehen Sie, auf diese Art bekommen Sie nun auch ein Bild davon, wie die Erde das kosmische Leben ihrerseits miterlebt. Denn sehen Sie hin auf die gewissermaßen absondernden Organe der Erde: die Erde sondert nicht nur die geringlebigen menschlichen Absonderungsprodukte ab, sondern sie sondert noch Lebendiges ab, und ihre eigentlichen Absonderungen sind zum Beispiel die Kröten, und in ihnen entledigt sich die Erde dessen, was sie nicht brauchen kann.

Aus alldem sehen Sie, wie das Außen der Natur überall dem Innen entspricht. Wer da sagt: «Ins Innere der Natur dringt kein erschaffner Geist», der weiß nur nicht, daß überall in der Außenwelt dieses Innere der Natur vorhanden ist. Wir können den ganzen Menschen seinem Innenwesen nach studieren, wenn wir das verstehen, was im Kosmos außen webt und lebt. Wir können ihn studieren, diesen Menschen, vom Kopf bis zu den Gliedmaßen, wenn wir studieren, was in der Außenwelt vorhanden ist. Welt und Mensch gehören eben durchaus zusammen. Und man kann schon sagen, ein Schema könnte man aufstellen, das würde so sein (Tafel III, rechts): Man hat den grOßen Umkreis; der große Umkreis konzentriert seine Kraft in einem Punkte. Der große Umkreis schafft sich im Inneren einen kleineren; der Punkt strahlt dasselbe aus. Der kleinere Umkreis bildet wiederum einen weiteren kleineren Umkreis; das, was im Inneren ist, strahlt dasselbe aus. Dieser Umkreis bildet wiederum einen solchen Umkreis; das, was beim Menschen ist, strahlt weiter nach außen aus: und das Äußere des Menschen berührt sich mit dem Inneren des Kosmos. Da, wo unsere Sinne mit der Welt zusammenkommen, da berührt sich dasjenige, was bei dem Menschen von innen nach außen gegangen ist, mit dem, was im Kosmos von außen nach innen gegangen ist. In diesem Sinne ist der Mensch eine

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kleine Welt, ein Mikrokosmos gegenüber dem Makrokosmos. Aber er enthält alle Wunder und Geheimnisse dieses Makrokosmos, nur eben in entgegengesetzter Entwickelungsrichtung.

Es würde für die Erde etwas sehr Widriges sein in bezug auf ihre Fortentwickelung, wenn das nur so wäre, wie ich es bis jetzt dargestellt habe; da würde die Erde die Krötenwesenheiten aussondern, und sie würde eines Tages ebenso wie das physische Menschenwesen zugrunde gehen müssen, ohne Fortsetzung zu haben. Wir haben aber jetzt eigentlich nur den Menschen im Zusammenhang mit den Tieren ins Auge gefaßt, und wir haben in diesen Tagen eine kleine Brücke geschlagen zu den Pflanzenwesen hin. Wir werden weiter in das Reich der Pflanzen eindringen müssen, und dann in das Reich der Mineralwesen, und wir werden sehen, wie die Mineralwesen während der Erdenzeit entstanden sind; wie das, was zum Beispiel die Gesteine unserer Urgebirge sind, Stück für Stück von den Pflanzen abgelagert ist, wie die Kalkgebirge Stück für Stück von den späteren Tieren abgelagert sind. Mineralreich ist Ablagerung des Pflanzen- und Tierreiches, und im wesentlichen Ablagerung der niedersten Tiere. Die Kröten geben noch nicht sehr viel her für das Mineralische der Erde, die Fische auch verhältnismäßig wenig; aber die niederen Tiere und die Pflanzen geben sehr viel her. Die niederen Wesen mit Kieselpanzern und Kalkpanzern, Kalkschalen, die lagern dasjenige ab, was sie erst aus ihrem Tierischen, aus ihrem Pflanzlichen heraus bilden, und das Mineralische zerfällt dann. Wenn das Mineralische zerfällt, dann bemächtigt sich gerade der Zerfallsprodukte des Mineralischen eine höchste Kraft und baut neue Welten daraus auf. Das Mineralische an einem bestimmten Orte kann eben vor allen Dingen wichtig werden.

Wenn wir die Erdenevolution verfolgen - Wärmemetamorphose, Luftmetamorphose, Wassermetamorphose, mineralische, irdische Metamorphose -: das menschliche Haupt hat alle diese Metamorphosen mitgemacht, die mineralische Metamorphose zunächst nach außen in dem verfallenden, aber eigentlich noch immer mit etwas Vitalität durchsetzten Kopfskelett. Aber in einer noch viel deutlicheren Weise hat dieses menschliche Haupt die irdische mineralische Metamorphose mitgemacht. Es gibt in der Mitte des menschlichen Hauptes in der Gehirnbil-

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dung ein pyramidenartig gebildetes Organ, die Zirbeldrüse. Diese Zirbeldrüse in der Nähe des Vierhügelkörpers und der Sehhügel sondert aus sich den sogenannten Gehirnsand ab, zitronengelbe Steinchen, die wie Häufchen an dem einen Ende der Zirbeldrüse liegen und die wirklich das Mineralische im Menschenhaupte sind. Liegen sie nicht da, trägt der Mensch diesen Gehirnsand, dieses Mineralische nicht in sich, dann wird er ein Idiot oder ein Kretin. Die Zirbeldrüse ist verhältnismäßig groß bei den normalen Menschen. Bei Kretins hat man schon bloß hanfkorngroße Zirbeldrüsen gefunden; die können keinen Gehirnsand absondern.

In diesem mineralischen Einschluß liegt eigentlich der Geistesmensch, da schon andeutend, daß das Lebendige eigentlich zunächst nicht den Geist beherbergen kann, sondern daß der Geist im Menschen als seinen Mittelpunkt ein Unlebendiges braucht, also vor allen Dingen als selbständiger lebendiger Geist da sein muß.

Es war eine schöne Entwickelung, die uns gebracht hat von der Schmetterlings-Kopfbildung, Vogel-Kopfbildung herunter bis zu Reptilien und Fischen. Wir werden nun wieder aufsteigen, werden das betrachten, was uns ebenso befriedigen kann wie die Tierreihe: die Pflanzenreihe und die Mineralreihe. Und ebenso wie wir Lehren haben ziehen können über die Vergangenheit aus der Tierreihe, so werden wir aus der Mineralreihe Hoffnungen ziehen können für die Erdenzukunft. Dabei werden wir natürlich noch nötig haben, in den nächsten Vorträgen in der mannigfaltigsten Weise auf die Übergangstiere einzugehen, denn ich habe nur die hauptsächlichsten Tiere, die sozusagen an den Knotenpunkten der Entwickelung erscheinen, in dieser Übersicht berühren können.

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III Die Pflanzenwelt und die Naturelementargeister

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SIEBENTER VORTRAG Dornach, 2. November 1923

Zu der äußerlich wahrnehmbaren, sichtbaren Welt gehört die unsichtbare, die mit ihr zusammen ein Ganzes bildet. Zunächst tritt in aller Deutlichkeit hervor, wie sehr das der Fall ist, wenn wir unseren Blick nun von den Tieren abwenden zu den Pflanzen.

Das pflanzliche Dasein, das den Menschen zunächst erfreut, sproßt und sprießt aus der Erde heraus und bildet eigentlich den Anlaß zu etwas, was als geheimnisvoll empfunden werden muß. Beim Tier kann sich der Mensch, wenn ihm auch der Wille des Tieres, die ganze innere Aktivität des Tieres zunächst etwas Geheimnisvolles schon ist, dennoch sagen: Dieser Wille ist eben da, und aus diesem Willen heraus ist dann die Gestalt, sind die Äußerungen des Tieres eine Folge. - Aber an der Pflanze, die in einer so mannigfaltigen Gestalt an der Oberfläche der Erde erscheint, die in einer so geheimnisvollen Art aus dem Samen mit Hilfe der Erde und mit Hilfe des Luftkreises zunächst sich entwickelt, muß der Mensch empfinden, wie ein anderes vorhanden sein muß, damit diese Pflanzenwelt ihm eben in der Gestalt entgegentreten kann, in der sie ihm entgegentritt.

Die geistige Anschauung führt uns dann, wenn wir auf die Pflanzenwelt blicken, gleich zu einer Fülle von Wesenheiten, die in den alten Zeiten des instinktiven menschlichen Hellsehertums auch gewußt wor-` den sind, erkannt worden sind, dann aber vergessen worden sind, Und heute nur noch Namen darstellen, welche die Dichter verwenden, denen eigentlich eine Realität von der heutigen Menschheit nicht zugeschrieben wird. Aber in demselben Maße, in dem den Wesen, welche die Pflanze umschwirren und umweben, keine Realität zugeschrieben wird, verliert man das Verständnis für die Pflanzenwe`lt; dieses Verständnis für die Pflanzenwelt, das zum Beispiel so notwendig wäre für die Heilkunst, ist ja eigentlich der heutigen Menschheit ganz verlorengegangen.

Nun haben wir schon einen sehr bedeutsamen Zusammenhang der Pflanzenwelt mit der Schmetterlingswelt erkannt; allein der wird uns

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auch erst so recht vor die Seele treten, wenn wir noch tiefer hineinschauen in das ganze Weben und Treiben der Pflanzenwelt.

Die Pflanze streckt ihre Wurzel in den Boden. Wer das verfolgen kann, was da eigentlich von der Pflanze in den Boden hineingestreckt wird, der kann mit dem geistigen Blick, und ein solcher muß es ja sein, der die Wurzel richtig durchschaut, zugleich verfolgen, wie überall das Wurzelwesen der Pflanze von Naturelementargeistern umgeben und umwoben wird. Und diese Elementargeister, die eine alte Anschauung als Gnomen bezeichnet hat, die wir Wurzelgeister nennen können, können wir mit einer imaginativen und inspirierten Weltanschauung wirklich so verfolgen, wie wir im Physischen das Menschenleben und das Tierleben verfolgen. Wir können gewissermaßen hineinschauen in das Seelenhafte dieser Elementargeister, dieser Wurzelgeisterwelt.

Diese Wurzelgeister sind ein ganz besonderes Erdenvolk, für den äußeren Anblick zunächst unsichtbar, aber in ihren Wirkungen um so sichtbarer; denn keine Wurzel könnte entstehen, wenn nicht zwischen der Wurzel und dem Erdreich vermittelt würde durch diese merkwürdigen Wurzelgeister, die das Mineralische der Erde in Strömung bringen, um es an die Wurzeln der Pflanze heranzubringen. Natürlich meIne ich dabei den geistig zugrundeliegenden Vorgang.

Diese Wurzelgeister, die überall im Erdreich vorhanden sind, die sich ganz besonders wohl fühlen innerhalb der mehr oder weniger durchsichtigen oder auch metallisch durchsetzten Gesteine und Erze, die aber sich am wohlsten fühlen, weil da ihr eigentlicher Platz ist, wenn es sich darum handelt, das Mineralische der Pflanzenwurzel zu vermitteln, diese Wurzelgeister sind ganz erfüllt von e1nem innerlich Geisthaften, das wir nur vergleichen können mit dem, was wir erfassen können im innerlichen Geisthaften des menschlichen Auges, des menschlichen Ohres. Denn diese Wurzelgeister sind in ihrer Geisthaftigkeit ganz Sinn. Sie sind eigentlich sonst gar nichts, als aus Sinn bestehend, s1e sInd ganz Sinn, und ein Sinn, der zugleich Verstand ist, der nicht nur sieht und nicht nur hört, der sogleich im Sehen und im Hören das Gesehene und Gehörte versteht, der überall nicht bloß Eindrücke empfängt, sondern überall Ideen empfängt. - Ja, wir können auch hinweisen auf die Art und Weise, wie diese Wurzelgeister ihre Ideen

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empfangen. Sehen Sie, da sproßt aus der Erde die Pflanze heraus (Tafel IV, links oben/Zeichnung S. 114). Die Pflanze kommt, wie ich gleich nachher zeigen werde, in Verbindung mit dem außerirdischenWeltenall, und zu gewissen Jahreszeiten besonders strömen gewissermaßen Geistströme (lila) von oben, von der Blüte, von der Frucht der Pflanze bis hinunter zur Wurzel, strömen in die Erde hinein. Und wie wir das Auge dem Lichte entgegenstrecken und sehen, so wenden die Wurzelgeister ihre Wahrnehmungsfähigkeit dem entgegen, was durch die Pflanzen von oben herunter in die Erde hineinträufelt. Was ihnen da entgegenträufelt, das ist das, was das Licht in die Blüten hineingeschickt hat, was die Sonnenwärme in die Pflanzen hineingeschickt hat, was die Luft im Blatte angerichtet hat, ja, was ferne Sterne in der Gestaltung der Pflanzen bewirkt haben. Die Pflanze sammelt die Geheimnisse des Weltenalls, senkt sie in den Boden, und die Gnomen nehmen diese Geheimnisse des Weltenalls aus dem, was ihnen durch die Pflanze geistig zuträufelt, in sich auf. Und indem sie, namentlich vom Herbste an durch den Winter hindurch, auf ihren Wanderungen durch Erz und Gestein tragen, was ihnen durch die Pflanzen zugeträufelt ist, werden sie dadurch zu denjenigen Wesen innerhalb der Erde, die die Ideen des ganzen Weltenalls durch die Erde hindurchströmend wandernd tragen. Wir sehen hinaus in die weite Welt. Die Welt ist aus dem Weltengeiste gebaut, eine Verkörperung der Weltenideen, des Weltengeistes. Die Gnomen nehmen durch die Pflanzen, die ihnen dasselbe sind, was uns die Lichtstrahlen sind, die Ideen des Weltenalls auf und tragen sie im Inneren der Erde in voller Bewußtheit von Erz zu Erz, von Stein zu Stein.

Wir schauen in die Tiefen der Erde hinunter, nicht indem wir da unten abstrakte Ideen suchen für irgendwelche bloß mechanisch wirkenden Naturgesetze, sondern wir schauen hinunter in die Tiefen der Erde und sehen die wandernden und wandelnden Gnomen, welche die lichtvollen Bewahrer des Weltenverstandes sind innerhalb der Erde. Weil daher diese Gnomen das, was sie sehen, zugleich wissen, haben sie im Vergleich zu den Menschen ein zwar gleichgeartetes Wissen; sie sind die Verstandeswesen katexochen, sie sind ganz Verstand. Alles ist an ihnen Verstand, aber ein Verstand, der universell ist, der daher auf den menschlichen Verstand eigentlich heruntersieht als auf etwas Un

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#Bild S. 114

vollkommenes. Die Gnomenwelt lacht uns eigentlich aus mit unserem würgenden, ringenden Verstande, mit dem wir so dies oder jenes manchmal erfassen, während die Gnomen gar nicht nachzudenken brauchen. Sie sehen das, was verständig ist in der Welt, und sie sind insbesondere dann ironisch, wenn sIe merken, daß der Mensch sich abmühen muß, um erst auf dieses oder jenes zu kommen. Wie kann man das - sagen die Gnomen -, wie kann man erst sich Mühe geben, nachzudenken?

Man weiß ja alles, was man anschaut. Die Menschen sind dumm - so sagen die Gnomen -, denn sie müssen erst nachdenken.

Und ich möchte sagen, bis zur Ungezogenheit ironisch werden die Gnomen, wenn man ihnen von Logik spricht. Denn wozu soll man so ein überflüssiges Ding brauchen, eine Anleitung zum Denken? Die Ge-

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danken sind doch da. Die Ideen strömen durch die Pflanzen. Warum stecken die Menschen nicht ihre Nase so tief in die Erde hinein, wie die Wurzel der Pflanze ist, und lassen sich in die Nase hineinträufeln das, was die Sonne zu den Pflanzen sagt? Dann würden sie etwas wissen! Aber mit Logik - sagen die Gnomen -, da kann man eigentlich immer nur ganz kleine Stücke von Wissen haben.

So sind die Gnomen eigentlich innerhalb der Erde die Träger der Ideen des Universums, des Weltenalls. Aber die Erde selbst haben sie gar nicht gerne. Sie schwirren herum in der Erde mit Ideen vom Welten- all, hassen aber eigentlich das Irdische. Das ist ihnen etwas, dem sie am liebsten entrinnen möchten. Sie bleiben allerdings dennoch bei diesem Irdischen - Sie werden gleich nachher sehen warum -, aber sie hassen es, denn das Irdische bildet für die Gnomen eine fortwährende Gefahr, und zwar deshalb, weil dieses Irdische fortwährend den Gnomen droht, sIe sollten eine gewisse Gestalt annehmen: nämlich die Gestaltungen derjenigen Wesen, die ich Ihnen in der letzten Stunde hier beschrieben habe, die Gestaltungen der Amphibien, der Frösche und Kröten namentlich. Und die Empfindung der Gnomen in der Erde ist eigentlich diese: Wenn w1r zu stark mit der Erde verwachsen, bekommen wir Froschoder Krötengestalt. Und sie sind fortwährend auf dem Sprunge, zu vermeiden, mit der Erde zu stark zu verwachsen, um nicht diese Gestalt zu bekommen; sie wehren sich fortwährend gegen diese Erdengestalt, die ihnen eben in der Weise drohen würde in dem Elemente, in dem sie sind. In dem irdisch-feuchten Elemente halten sie sich auf; da droht ihnen fortwährend die Amphibiengestaltung. Aus der reißen sie sich fortwährend heraus und erfüllen sich ganz mit den Ideen des außerirdischen Universums. Sie sind eigentlich innerhalb der Erde dasjenige, was darstellt das Außerirdische, weil es fortwährend vermeiden muß, mit dem Irdischen zusammenzuwachsen; sonst bekämen die Einzelwesen eben die Gestalt der Amphibienwelt. Und gerade aus diesem, ich möchte sagen Haßgefühl, Antipathiegefühl gegenüber dem Irdischen gewinnen die Gnomen die Kraft, die Pflanzen aus der Erde herauszutreiben. Sie stoßen fortwährend mit ihrer Grundkraft vom Irdischen ab, und mit diesem Abstoßen ist die Richtung des Wachstums der Pflanzen nach oben gegeben; sie reißen die Pflanzen mit. Es ist die Antipa

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thie der Gnomen gegenüber dem Irdischen, was die Pflanzen nur mit ihrer Wurzel im Erdreiche sein läßt, aber dann herauswachsen läßt aus dem Erdreiche, sodaß also eigentlich die Gnomen die Pflanzen aus ihrer ureigenen Gestalt der Erde entreißen und nach oben wachsen machen.

Ist dann die Pflanze nach oben gewachsen, hat sie den Bereich der Gnomen verlassen und ist übergetreten aus dem Reiche des Feucht-Irdischen in das Reich des Feucht-Luftigen, dann entwickeln die Pflanzen das, was in den Blättern zur äußeren physischen Gestaltung kommt. Aber in alldem, was nun im Blatte tätig ist, wirken wiederum andere Wesenheiten, Wassergeister, Elementargeister des wäßrigen Elementes, welche eine ältere instinktive Hellseherkunst zum Beispiel Undinen genannt hat. Geradeso w1e wir die Wurzel umschwirrt und umwebt von den Gnomenwesen finden, so in der Nähe des Bodens, wohlgefällig das Aufwärtsstreben, das die Gnomen gegeben haben, beobachtend, sehen wir diese Wasserwesen, diese Elementarwesen des Wassers, diese Undinenwesen.

Diese Undinenwesen sind anders ihrer inneren Natur nach als die Gnomen. Sie können sich nicht wie ein Sinnesorgan, wie ein geistiges Sinnesorgan hinauswenden an das Weltenall. Sie können sich eigentlich nur hineinergeben in das Weben und Walten des ganzen Kosmos im luftig-feuchten Elemente, und dadurch sind sie nicht solche helle Geister wie die Gnomen. Sie träumen eigentlich fortwährend, diese Undinen, aber ihr Träumen ist zu gleicher Zeit ihre eigene Gestalt. Sie hassen nicht so stark die Erde wie die Gnomen, aber sie sind sensitiv gegen das Irdische. Sie leben im ätherischen Elemente des Wassers, durchschwimmen und durchschweben es. Und sie sind sehr sensitiv gegen alles, was Fisch ist, denn es droht ihnen die Fischgestalt, die sie auch zuweilen annehmen, aber gleich wieder verlassen, um in eine andere Metamorphose überzugehen. Sie träumen ihr eigenes Dasein. Und im Träumen ihres eigenen Daseins binden sie und lösen sie, binden sie und trennen sie die Stoffe der Luft, die sie auf geheimnisvolle Art in die Blätter hineinbringen und herantragen an dasjenige, was die Gnomen nach aufwärts gestoßen haben. Die Gnomen stoßen das Pflanzenwesen nach aufwärts. (Tafel IV, links oben/Zeichnung S. 114, hell.) Es würde hier verdorren, wenn nicht die Undinenwesen von allen Seiten gewissermaßen herankämen

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und nun in dieser traumhaften Bewußtheit, in der sie die Pflanzen umschwirren, sich erwiesen, man kann nicht anders sagen, als der Weltenchemiker. Die Undinen träumen das Verbinden und Lösen der Stoffe. Und dieser Traum, in dem die Pflanzen leben, in den die Pflanze hineinwächst, wenn sie nach aufwärts den Boden verläßt, dieser Undinentraum ist der Weltenchemiker, der die geheimnisvolle Verbindung und Lösung der Stoffe, vom Blatte ausgehend, in der Pflanze bewirkt. So daß wir sagen können, die Undinen sind die Chemiker des Pflanzenlebens. Sie träumen von Chemie. Es ist in ihnen eine ungemein zarte Geistigkeit, eine Geistigkeit, die eigentlich ihr Element da hat, wo Wasser und Luft sich berühren. Die Undinen leben ganz im feuchten Elemente; aber ihr eigentliches inneres Wohlgefallen haben sie, wenn sie irgendwo an eine Oberfläche, wenn auch nur an die Oberfläche eines Tropfens oder sonst irgendeines Wäßrigen kommen. Denn ihr ganzes Streben besteht darin, sich davor zu bewahren, ganz die Gestalt, die bleibende Gestalt der Fische zu bekommen. Sie wollen in der Metamorphose bleiben, in der ewigen, der immerwährenden Verwandelbarkeit. Aber in dieser Verwandelbarkeit, in der sie von Sternen und von der Sonne, vom Lichte und von der Wärme träumen, werden sie die Chemiker, die vom Blatte aus nun die Pflanze weiterbringen in ihrer Gestaltung, die Pflanze, die von der Gnomenkraft nach oben geschoben worden ist. Und so entwickelt denn die Pflanze das Blattwachstum (Tafel IV, links oben/Zeichnung S. 114), und das Geheimnisvolle enthüllt sich als Undinentraum, in den die Pflanze hineinwächst.

In demselben Maße aber, in dem die Pflanze in den Undinentraum hineinwächst, gerät sie nach oben nun in ein anderes Bereich, in das Bereich derjenigen Geister, die nun ebenso im luftartig-wärmehaften Elemente leben, wie die Gnomen im feucht-irdischen, die Undinen im feucht-luftigen leben. So im luftartig-wärmehaften Element leben diejenigen Wesenheiten, die eine ältere, instinktive Hellseherkunst als die Sylphen bezeichnet hat. Diese Sylphen, die im luftartig-warmen Elemente leben, dringen aber, weil die Luft überall durchsetzt ist vom Lichte, zum Lichte vor, werden lichtverwandt, und sind namentlich empfänglich für dasjenige, was die feineren, aber größeren Bewegungen innerhalb des Luftkreises sind.

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Wenn Sie im Frühling oder Herbst einen Schwalbenschwarm sehen, der in seinem Hinfliegen zugleich den Luftkörper in Schwingungen bringt, einen bewegten Luftstrom hervorruft, so bedeutet dieser bewegte Luftstrom, der aber dann bei jedem Vogel vorhanden ist, für die Sylphen etwas Hörbares. Weltenmusik ertönt daraus den Sylphen.

Wenn Sie irgendwo, sagen wir, auf dem Schiffe fahren, und die Möwen heranfliegen, dann ist in dem, was durch den Möwenflug erregt wird, ein geistiges Ertönen, eine geistige Musik, die das Schiff begleitet.

Wiederum sind es die Sylphen, welche in diesem Tönen drinnen sich entfalten und entwickeln und in diesen erregten Luftströmen ihre Heimat finden. In dem geistig tönend bewegten Luftelemente finden sie ihre Heimat und nehmen dabei dasjenige auf, was die Kraft des Lichtes in diese Luftschwi`ngungen hineinschickt. Dadurch` aber fühlen sich diese Sylphen, welche im Grunde genommen für sich mehr oder weniger schlafende Wesenheiten sind, überall dort am heimischsten, am meisten zuhause, wo der Vogel die Luft durcheilt. Wenn eine Sylphe gezwungen ist, die vogellose Luft zu durchschwirren, dann ist es für sie so, als ob sie sich selbst verloren hätte. Wenn ihr der Anblick des Vogels in der Luft wird, dann kommt etwas ganz Besonderes über die Sylphe. Ich mußte oftmals einen gewissen Vorgang für den Menschen darstellen, jenen Vorgang, der die Menschenseele dazu führt, zu sich «Ich» zu sagen. Ich habe immer aufmerksam gemacht auf den Ausspruch Jean Pauls, daß da der Mensch, wenn er zum ersten Male zu der Ich-Vorstellung kommt, wie in das verhangenste Allerheiligste der Seele hineinsieht. Die Sylphe sieht nicht in ein solches verhangenes Allerheiliges der eigenen Seele hinein, sondern sie sieht den Vogel, und die IchEmpfindung überkommt sie. In dem, was der Vogel, durch die Luft fliegend, in ihr erregt, findet die Sylphe ihr Ich. Und damit, daß das so ist, daß sie am Äußeren ihr Ich entzündet, wird die Sylphe die Trägerin der kosmischen Liebe durch den Luftraum. Die Sylphe ist zugleich, indem sie etwa so wie ein menschlicher Wunsch lebt, aber das Ich nicht im Inneren hat, sondern in der Vogelwelt hat, die Trägerin der Liebeswünsche durch das Universum hindurch.

Deshalb ist zu schauen die tiefste Sympathie der Sylphe mit der Vogelwelt. Wie der Gnom die Amphibienwelt haßt, wie die Undine

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sensitiv ist und sich gewissermaßen nicht nähern mag dem Fische, weg will vom Fisch, ein Grauen in gewissem Sinne empfindet, so will die Sylphe zum Vogel hin, fühlt sich wohl, wenn sie an sein Gefieder herantragen kann die schwebend-tönende Luft. Und wenn Sie den Vogel fragen würden, von wem er singen lerne, dann würden Sie von ihm hören, daß er seinen Inspirator in der Sylphe hat. Die Sylphe hat ein Wohlgefallen an der Vogelgestalt. Aber sie ist abgehalten durch die kosmische Ordnung, Vogel zu werden, denn sie hat eine andere Aufgabe. Sie hat die Aufgabe, in Liebe das Licht an die Pflanzen heranzutragen (Tafel IV, links Oben/Zeichnung S. 114, hell und rot). Geradeso wie die Undine der Chemiker ist, ist dadurch die Sylphe für die Pflanze der Lichtträger. Sie durchsetzt die Pflanze mit Licht; sie trägt In die Pflanze das Licht hinein.

Dadurch, daß die Sylphe in die Pflanze das Licht hineinträgt, wird etwas ganz Eigentümliches in der Pflanze geschaffen. Sehen Sie, die Sylphe trägt fortwährend das Licht in die Pflanze hinein. Das Licht, das heißt die Sylphenkraft in der Pflanze, wirkt auf die chemischen Kräfte, welche die Undine in die Pflanze hineinversetzt. Da geschieht das Zusammenwirken von Sylphenlicht und Undinenchemie (Tafel IV, links Oben/Zeichnung S. 114, rot). Das ist eine merkwürdige plastische Tätigkeit. Aus dem Lichte heraus weben die Sylphen mit Hilfe der Stoffe, die da hinaufströmen und von den Undinen bearbeitet werden, da drinnen eine ideale Pflanzengestalt. Die Sylphen weben eigentlich die Urpflanze in der Pflanze aus dem Lichte und aus dem chemischen Arbeiten der Undinen. Und wenn die Pflanze gegen den Herbst hin abwelkt und alles, was physische Materie ist, zerstiebt, dann kommen diese Formen der Pflanzen eben zum Herunterträufeln, und die Gnomen nehmen sie jetzt wahr, nehmen wahr, was die Welt, die Sonne durch die Sylphen, die Luft durch die Undinen, an der Pflanze bewirkt hat. Das nehmen die Gnomen wahr. So daß die Gnomen unten den ganzen Winter hindurch beschäftigt sind, wahrzunehmen, was von den Pflanzen hinunterträufelt in den Erdboden. Da fassen sie die Ideen der Welt in den Pflanzenformen, die mit Hilfe der Sylphen plastisch ausgebildet sind, und die in ihrer Geist-Ideengestalt in den Erdboden hineingehen.

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Von dieser Geist-Ideengestalt wissen ja diejenigen Menschen natürlich nichts, die die Pflanze nur materiell, als Materielles betrachten. Daher tritt hier an dieser Stelle für die materielle Pflanzenbetrachtung etwas ein, was nichts anderes ist als ein grandioser Irrtum, ein furchtbarer Irrtum. Diesen Irrtum will ich Ihnen skizzieren.

Sie werden von der materialistischen Wissenschaft überall beschrieben finden: da wurzelt die Pflanze im Boden, darüber entfaltet sie ihre Blätter, zuletzt ihre Blüte, in der Blüte die Staubgefäße, dann den Fruchtknoten, und dann wird in der Regel von einer anderen Pflanze der Staub von den Antheren, von den Staubgefäßen, herangetragen, und der Fruchtknoten wird befruchtet, und dadurch entsteht der Same der neuen Pflanze. So wird das überall beschrieben. Es wird gewissermaßen der Fruchtknoten als das Weibliche und das, was von den Staubgefäßen kommt, als das Männliche angesehen, kann auch nicht anders angesehen werden, solange man im Materialistischen steckenbleibt, denn da sieht dieser Prozeß wirklich aus wie eine Befruchtung. Aber so ist es nicht, sondern wir müssen, um überhaupt die Befruchtung, also die Fortpflanzung des Pflanzlichen einzusehen, uns bewußt sein, daß zunächst aus dem, was die großen Chemiker, die Undinen in den Pflanzen bewirken, was die Sylphen bewirken, die Pflanzenform entsteht, die ideale Pflanzenform, welche in den Erdboden sinkt und von den Gnomen bewahrt wird. Da unten ist sie, diese Pflanzenform. Da drinnen ist sie in der Erde gehütet nun von den Gnomen, nachdem sie sie gesehen haben, geschaut haben. Die Erde wird zum Mutterschoß desjenigen, was da hinunterträufelt. Und hier ist etwas ganz anderes, als was die materialistische Wissenschaft beschreibt.

Hier oben (Tafel IV, rechts / Zeichnung) kommt die Pflanze, nachdem sie durch den Sylphenbereich gegangen ist, in die Sphäre der Elementar-Feuergeister. Und die Feuergeister, sie sind die Bewohner des Wärmeartig-Lichtartigen; sie sammeln, wenn dieErdenwärme am höchsten gestiegen oder eben geeignet geworden ist, nun die Wärme auf. Eben- so wie die Sylphen das Licht aufgesammelt haben, so sammeln die Feuergeister die Wärme auf und tragen sie in die Blüten der Pflanzen hinein.

Undinen tragen die Wirkungen des chemischen Äthers in die Pflanzen hinein, Sylphen tragen die Wirkungen des Lichtäthers in die Pflanzen

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hinein, die Feuergeister tragen die Wirkungen des Wärmeäthers in die Blüten der Pflanzen hinein. Und der Blütenstaub, der ist dasjenige, was nun gewissermaßen das kleine Luftschiffchen abgibt für die Feuergeister, um hineinzutragen die Wärme in den Samen. Die Wärme wird überall gesammelt mit Hilfe der Staubfäden und von den Staubfäden aus übertragen auf den Samen in dem Fruchtknoten. Und dieses, was hier im Fruchtknoten gebildet wird, das ist im Ganzen das Männliche, das aus dem Kosmos kommt. Nicht der Fruchtknoten ist das Weibliche, und die Antheren des Staubfadens wären das Männliche! Da geschieht überhaupt in der Blüte keine Befruchtung, sondern da wird nur der männliche Same vorgebildet. Was als Befruchtung wirkt, das ist nun dasjenige, was von den Feuergeistern in der Blüte als der der Wärme des Weltenalls entnommene weltenmännliche Same ist, der zusammenge

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bracht wird mit dem Weiblichen, das aus der Formung der Pflanze, wie ich Ihnen gesagt habe, schon früher als Ideelles hinuntergeträufelt ist in den Erdboden, da drinnen ruht. Für die Pflanzen ist die Erde Mutter, der Himmel Vater. Und alles das, was außerhalb des Irdischen geschieht, ist für die Pflanze nicht Mutterschoß. Es ist ein kolossaler Irrtum, zu glauben, daß das mütterliche Prinzip der Pflanze im Fruchtknoten ist. Da ist gerade das mit Hilfe der Feuergeister aus dem Universum herausgeholte Männliche. Das Mütterliche wird aus dem Kambium der Pflanze, welches sich sowohl gegen die Rinde wie gegen das Holz hin verbreitet, hinuntergetragen als Idealgestalt in der Pflanze. Und dasjenige, was nun entsteht aus dem Zusammenwirken von Gnomenwirkung und Feuergeisterwirkung, das ist Befruchtung. Im Grunde genommen sind die Gnomen die geistigen Hebammen der Pflanzen-Fortpflanzung. Und die Befruchtung findet statt während des Winters drunten in der Erde, wenn der Samen in die Erde hineinkommt und auftrifft auf die Gestalten, die die Gnomen empfangen haben von den Sylphen- und Undinenwirkungen und hintragen, wo diese Gestalten auftreffen können auf den befruchtenden Samen.

Sie sehen: dadurch, daß man das Geistige nicht kennt, daß man nicht weiß, wie mitweben und mitleben mit dem Pflanzenwachstum Gnomen, Undinen, Sylphen und Feuergeister - was früher Salamander genannt worden ist -, dadurch ist man sich sogar ganz unklar über den Vorgang der Befruchtung in der Pflanzenwelt. Also da, außerhalb der Erde geschieht eben gar keine Befruchtung, sondern die Erde ist Mutter der Pflanzenwelt, der Himmel ist Vater der Pflanzenwelt. Das ist in ganz wörtlichem Sinne der Fall. Und die Befruchtung der Pflanzen geschieht dadurch, daß die Gnomen von den Feuergeistern dasjenige nehmen, was die Feuergeister in den Fruchtknoten hineingetragen haben auf den kleinen Luftschiffchen des Antherenstaubes als konzentrierte kosmische Wärme. So sind die Feuergeister Wärmeträger.

Jetzt werden Sie natürlich leicht einsehen, wie eigentlich das ganze Pflanzenwachstum zustande kommt. Erst beleben unten mit Hilfe dessen, was ihnen von den Feuergeistern wird, die Gnomen die Pflanze und stoßen sie nach aufwärts. Sie sind die Lebenspfleger. Sie tragen heran den Lebensäther an die Wurzel; jenen Lebensäther, in dem sie sel-

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ber leben, den tragen sie an die Wurzel heran. Weiter pflegen in der Pflanze die Undinen den chemischen Äther, die Sylphen den Lichtäther, die Feuergeister den Wärmeäther. Dann verbindet sich wiederum die Frucht des Wärmeäthers mit dem, was unten Leben ist. Und so kann man die Pflanze nur verstehen, wenn man sie Im Zusammenhange betrachtet mit alledem, was sie umschwirrt, umwebt und umlebt. Und sogar auf die richtige Interpretation des bei der Pflanze wichtigsten Vorganges kommt man erst dann, wenn man in diese Dinge eindringt, auf geistige Art eindringt.

Es ist interessant, wenn dies einmal erkannt wird, jene Notiz bei Goethe wiederzusehen, wo Goethe in Anknüpfung an einen anderen Botaniker sich so furchtbar ärgert, daß die Leute da reden von den ewigen Hochzeiten da oben auf den Pflanzen. Goethe ärgerte sich, daß über eine Wiese da lauter Hochzeiten ausgebreitet sein sollen. Es erschien ihm das als etwas Unnatürliches. Aber das war ein instinktiv sehr sicheres Gefühl. Goethe konnte nur noch nicht wissen, um was es sich eigentlich handelt, aber es war instinktiv sehr sicher. Er konnte aus seinem Instinkt heraus nicht begreifen, daß da oben in den Blüten die Befruchtung vor sich gehen sollte. Er wußte nur noch nicht, was da unten, unterhalb des Bodens vor s1ch geht, daß die Erde der Mutterschoß ist für die Pflanzen. Aber daß das, was da oben ist, das nicht ist, wofür es alle Botaniker ansehen, das ist etwas, was Goethe instinktiv gefühlt hat. Nun erkennen Sie auch den innigen Zusammenhang zwischen der Pflanze und der Erde einerseits. Aber noch etwas anderes müssen Sie ins Auge fassen.

Sehen Sie, wenn nun da oben die Feuergeister herumschwirren, namentlich wenn sie den Antherenstaub vermitteln, dann haben sie nur ein Gefühl. Das ist ein gesteigertes Gefühl gegenüber dem Sylphengefühl. Die Sylphen empfinden ihr Selbst, ihr Ich, indem sie die Vögel schwirren sehen. Die Feuergeister haben dieses noch gesteigert gegenüber der Schmetterlingswelt und überhaupt der ganzen Insektenwelt. Und sie sind es, diese Feuergeister, welche am liebsten der Insektenspur folgen, um eben die Vermittlung der Wärme zu bewirken für den Fruchtknoten. Um das konzentrierte Warme, das hineinkommen muß in die Erde, um sich da zu verbinden mit der ideellen Gestalt, um das

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hinzutragen, fühlen sich die Feuergeister innig verwandt mit der Schmetterlingswelt und auch überhaupt mit der gesamten Insektenwelt. Sie folgen überall den Spuren der Insekten, die von Blüte zu Blüte schwirren. Und so hat man eigentlich das Gefühl, wenn man diese von Blüte zu Blüte schwirrenden Insekten verfolgt: jedes solche von Blüte zu Blüte schwirrende Insekt hat eigentlich eine ganz besondere Aura, die nicht recht erklärlich ist aus dem bloßen Insekt. Insbesondere die Bienen mit ihrer hellglänzenden, wunderbar leuchtenden, schimmernden, schillernden Aura, die von Pflanze zu Pflanze schwirren, sind außerordentlich schwierig ihrer Aura nach zu erklären. Warum? Weil das Insekt Biene überall begleitet ist von dem Feuergeist, der sich ihm so verwandt fühlt, daß da die Biene ist, und die Biene für das geistige Schauen überall in einer Aura drinnen ist, die eigentlich der Feuergeist ist. Wenn die Biene durch die Luft fliegt von Pflanze zu Pflanze, von Baum zu Baum, so fliegt sie mit einer Aura, die ihr eigentlich von dem Feuergeiste gegeben wird. Der Feuergeist fühlt nicht nur in der Anwesenheit des Insektes sein Ich, sondern er will mit dem Insekt ganz verbunden sein.

Dadurch bekommen aber auch die Insekten jene Kraft, von der ich Ihnen gesprochen habe, die sich selbst im Hinausschimmern in den

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Kosmos zeigt. Die Insekten bekommen dadurch diese Kraft, die physische Materie, die sich mit ihnen vereinigt, ganz zu durchgeistigen und das durchgeistigte Physische in den Weltenraum hinausstrahlen zu lassen. Aber geradeso wie bei einer Flamme die Wärme es zunächst ist, die das Licht zum Scheinen bringt, so sind es auf der Oberfläche der Erde, wenn die Insekten in den Weltenraum hinausschimmern lassen, was dann den Menschen anzieht, wenn er zur physischen Verkörperung herunterkommen soll: es sind die Insekten (Tafel IV, rechts / Zeichnung, rot und gelb), sind diejenigen Wesenheiten, die entflammt sind zu diesen Taten durch den Kosmos, durch die Feuergeister, die sie umschwirren. Und während die Feuergeister auf der einen Seite tätig sind dafür, daß in den Kosmos die durchfeuerte Materie hinausströmt, sind sie auf der anderen Seite dafür tätig, daß ins Innere der Erde hinein das konzentrierte Feurige, das konzentrierte Warme geht, um aufzuerwecken mit Hilfe der Gnomen die Geistgestalt, die von Sylphen und Undinen hinuntergeträufelt ist in die Erde.

Sehen Sie, das ist der geistige Vorgang des Pflanzenwachstums. Und weIl eigentlich das Unterbewußte des Menschen es ahnt, daß mit der blühenden, sprossenden Pflanze es etwas Besonderes ist, erscheint das Pflanzenwesen als ein so Geheimnisvolles. Das Geheimnis wird natürlich nicht zerklüftet, denn den wunderbaren Mysterien wird nicht der Schmetterlingsstaub abgestreift; aber, ich möchte sagen, in einer noch erhöhteren Wunderbarkeit erscheint dasjenige, was sonst in der Pflanze den Menschen entzückt und erhebt, wenn nun eigentlich nicht nur die physische Pflanze da ist, sondern dieses wunderbare Arbeiten da unten der unmittelbar verständigen, ganz Intellekt-bildenden Gnomenwelt, die die Pflanzenkraft zunächst hinausstoßen. So wie gewissermaßen der menschliche Verstand nicht der Schwerkraft unterworfen ist, wie der Kopf getragen wird, ohne daß wir seine Schwere fühlen, so überwinden die Gnomen mit ihrer Lichtintellektualität das Erdenhafte und stoßen die Pflanze heraus. Sie bereiten unten das Leben. Aber das Leben würde ersterben, wenn es nicht vom Chemismus angefacht würde. Den bringen die Undinen heran. Und das Licht muß das durchströmen.

So sehen wir von unten herauf, ich möchte sagen, im BläulichSchwärzlichen die Schwerkraft (Tafel V/Zeichnung S. 126), der der

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Schwung nach oben hin gegeben wird, von den Gnomen ausgehend, und, rings die Pflanze umschwirrend, angedeutet in den Blättern, die Undinenkraft, welche Stoffe mischt und entmischt, indem die Pflanze hinaufwächst. Von oben herunter, von den Sylphengeistern wird hineingeprägt in die Pflanze das Licht, die nun eine plastische Gestalt bilden, die wiederum idealisiert hinuntergeht und vom Mutterschoße der Erde aufgenommen wird. Und dann wiederum wird die Pflanze umschwirrt von den Feuergeistern, die in den kleinen Samenpünktchen konzentrieren die Weltenwärme, die dann mit der Samenkraft den Gnomen hinuntergegeben wird, sodaß die Gnomen aus Feuer und Leben da unten die Pflanzen entstehen lassen können.

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Wiederum sehen Sie, wie die Erde ihre abstoßende Kraft, ihre Dichtigkeit, im Grunde genommen der Antipathie der Gnomen und Undinen gegen Amphibien und Fische verdankt. Wenn die Erde dicht ist, so ist die Dichtigkeit diese Antipathie, durch welche Gnomen und Undinen ihre Gestalt aufrecht erhalten. Wenn sich Licht und Wärme heruntersenkt auf die Erde, so ist das zu gleicher Zeit der Ausdruck jener Sympathiekraft, der tragenden Sylphen-Liebekraft, die durch den Luftraum getragen wird, und der tragenden Feuergeist-Opferkraft, welche das Sich-Herunterneigende bringt. So daß man sagen kann: Es wächst über der Erde zusammen dasjenige, was Erdendichte, Erdenmagnetismus, Erdenschwere ist, indem es nach aufwärts strebt, zusammen mit der abwärts strebenden Liebe- und Opferkraft. Und in diesem Ineinanderwirken der abwärtsströmenden Liebe-Opferkraft und der aufwärtsströmenden Dichtigkeit, Schwerekraft und magnetischen Kraft, In diesem Zusammenwirken entwickelt sich über dem Erdboden, wo die beiden sich begegnen, das Pflanzenwesen, das ein äußerer Ausdruck des Zusammenwirkens von Weltenliebe, Weltenopfer, Weltenschwere und Weltenmagnetismus ist.

Damit haben Sie gesehen, um was es sich handelt, wenn wIr unseren Blick auf die uns so entzückende, erhebende und anmutende Pflanzenwelt richten. Durchschauen können wir sie erst, wenn wir 1mstande sind, das Geistige, das Übersinnliche zu dem Physischen, zu dem Sinnlichen hinzuzuschauen. Das macht auch zu gleicher Zeit möglich, den Kapitalirrtum der materialistischen Botanik zu korrigieren, als ob da oben die Befruchtung vor sich gehe. Was da vor sich geht, ist nicht die Befruchtung, sondern die Zubereitung des männlichen Himmelssamens der Pflanze für dasjenige, was im Mutterschoße der Erde für die Pflanze vorbereitet wird.

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ACHTER VORTRAG Dornach, 3. November 1923

Gestern sprach ich Ihnen von der anderen Seite des Naturdaseins, von den Wesenheiten, welche als übersinnlich-unsichtbare die Wesen und Vorgänge der sichtbaren, der sinnlichen Natur begleiten. Ein älteres, instinktives Schauen hat zu diesen Wesenheiten der übersinnlichen Welt, die hinter dem Naturdasein stehen, ebenso hingeschaut wie zu den sinnlichen. Heute haben diese Wesenheiten sich gewissermaßen vor dem menschlichen Anschauen zurückgezogen. Allein, daß dieses Volk der Gnomen, Undinen, Sylphen und Feuerwesen nicht ebenso wahrzunehmen ist wie die Tiere, Pflanzen und so weiter der physisch-sinnlichen Welt, daran ist ja nur schuld, daß der Mensch im gegenwärtigen Zeitpunkte seiner Erdenentwickelung nicht in der Lage ist, sein seelisch- geistiges Wesen ohne die Hilfe des physischen und ätherischen Leibes zu entfalten. Der Mensch ist eben in der gegenwärtigen Situation der Erdenentwickelung darauf angewiesen, zum Gebrauche seiner Seele sich des ätherischen Leibes, zum Gebrauche seines Geistes sich des physischen Leibes zu bedienen. Der physische Leib, der für den Geist die Werkzeuge liefert, die Sinnesapparate, ist eben nicht imstande, sich in Verbindung zu setzen mit den Wesenheiten, die der physischen Welt zugrunde liegen. Ebenso nicht der ätherische Leib des Menschen, und den braucht der Mensch, um sich als Seelenwesen zu entfalten. Dadurch entgeht dem Menschen, wenn ich mich so ausdrücken darf, eigentlich die Hälfte seiner irdischen Umgebung. Alles das, was jene Elementar- wesen, von denen ich gestern gesprochen habe, umschließt, entgeht ihm. An das kommt der physische und der Ätherleib nicht heran. Man wird eine Idee bekommen von dem, was dem gegenwärtigen Menschen da eigentlich entgeht, wenn man sich klar darüber ist, was solche Gnomen, Undinen und so weiter eigentlich sind.

Sehen Sie, wir haben da das ganze Heer der niederen, gegenwärtig niederen Tiere, jener Tiere, welche sozusagen nur aus einer weichen Masse bestehen, im flüssigen Elemente sich betätigen, im flüssigen Elemente leben, die kein irgendwie geartetes Skelett haben, also nichts,

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was ihnen eine innerliche Stütze gibt. Es sind Wesenheiten, die zu den spätest entstandenen der Erde gehören, Wesenheiten, die eigentlich jetzt erst unter der schon entwickelten Erde das ausführen, was das älteste Erdenwesen, der Mensch, in bezug auf seine Kopfstruktur während der alten Saturnzeit ausgeführt hat. Dadurch kommen diese Wesenheiten nicht dahin, jene Verhärtungen in sich zu bilden, die zur Skelettstütze werden können.

Nun sind die Gnomen diejenigen Wesen, die gewissermaßen äußerlich in der Welt auf geistige Art das ergänzen, was dieser ganz niederen Tierwelt bis herauf zu Amphibien und Fischen selber, die ja nur Andeutungen des Skelettes haben - besonders die Fische -, fehlt, so daß gewissermaßen diese niedere Tierstufe ein Ganzes erst dadurch wird, daß es Gnomen gibt.

Und weil schon einmal die Beziehungen der Wesen in der Welt sehr verschieden sind, so spielt eben zwischen diesen niederen Wesen und den Gnomen etwas, was ich gestern als die Antipathie charakterisiert habe. Die Gnomen wollen nicht so werden wie diese niederen Wesen. Sie wollen sich immerdar behüten, die Gestalt dieser niederen Wesen anzunehmen. Diese Gnomen sind, wie ich Ihnen beschrieben habe, außerordentlich kluge, intelligente Wesen. Mit der Wahrnehmung haben sie schon die Intelligenz gegeben; sie sind wirklich in allem das Gegenbild der niederen Tierwelt. Und während sie die Bedeutung für das Pflanzenwachstum haben, das ich gestern charakterisiert habe, bilden sie für die niedere Tierwelt wirklich eine Ergänzung. Sie schaffen sozusagen das hinzu zu der niederen Tierwelt, was diese niedere Tierwelt nicht hat. Diese niedere Tierwelt hat ein dumpfes Bewußtsein; sie, die Gnomen, haben ein hellstes Bewußtsein. Diese niedere Tierwelt hat kein Knochenskelett, keine Knochenstütze; diese Gnomen binden zusammen, möchte ich sagen, alles, was an Schwerkraft vorhanden ist, und formen sich aus der flüchtigen, unsichtbaren Schwerkraft ihren Körper, der übrigens fortwährend in Gefahr ist zu zerfallen, seine Substanz zu verlieren. Die Gnomen müssen sich sozusagen immer wieder und wieder aus der Schwere schaffen, weil sie immerdar in der Gefahr stehen, ihre Substanz zu verlieren. Dadurch sind diese Gnomen, um ihre eigene Existenz zu retten, fortwährend aufmerksam auf das, was um

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sie herum vor sich geht. Es gibt für die Erdenbeobachtung keine aufmerksameren Wesen als solch einen Gnom. Der paßt auf alles auf, weil er alles kennen muß, alles auffassen muß, um sein Leben zu retten. Er muß immer wachen; wenn er schläfrig würde, wie die Menschen oftmals schläfrig sind, würde er sogleich an seiner Schläfrigkeit sterben.

Es gibt ein deutsches Sprichwort, das eigentlich, aus sehr alter Zeit stammend, sehr gut ausdrückt diese Eigenschaft der Gnomen, immer aufmerksam sein zu müssen. Man sagt: Gib acht wie ein Wichtelmann. - Und Wichtelmänner sind eben die Gnomen. Also wenn man jemanden zur Aufmerksamkeit mahnen will, dann sagt man ihm: Gib acht wie ein Gnom. - Der ist wirklich ein aufmerksames Wesen. Könnte man als Musterbeispiel in eine Schulklasse so in die erste Bank, daß alle es sehen, einen Gnomen setzen, dann würde der ein vorzügliches Wesen für die Nachahmung aller Schüler in der Klasse sein.

Außer dieser Eigenschaft haben die Gnomen noch die andere, daß sie von einem schier unbesieglichen Freiheitstriebe erfüllt sind. Sie kümmern sich sozusagen wenig umeinander und geben sich mit ihrer Aufmerksamkeit eigentlich nur der anderen Welt, der Welt der Umgebung hin. Ein Gnom interessiert den anderen wenig. Aber alles, was sonst in dieser Welt, in der sie leben, um sie herum ist, das interessiert sie besonders.

Nun, ich sagte Ihnen, der Körper bildet eigentlich ein Hindernis, um solches Volk wahrzunehmen. In dem Augenblicke, wo der Körper ein solches Hindernis nicht mehr bietet, sind diese Wesen da, wie andere Wesen der Natur für die Sichtbarkeit da sind. Und wer es dahin gebracht hat, in voller Bewußtheit den Einschlafetraum zu erleben, der kennt gut diese Gnomen. Sie brauchen sich nur daran zu erinnern, was ich gerade über den Traum im «Goetheanum» ausgeführt habe. Ich sagte, daß der Traum eigentlich durchaus nicht in seiner wahren Gestalt vor das gewöhnliche Bewußtsein tritt, sondern er trägt eine Maske. Der Einschlafetraum trägt auch eine Maske. Wir kommen nicht gleich heraus aus dem, was wir im gewöhnlichen Bewußtsein am Tage erlebt haben, oder was wir sonst erlebt haben; Reminiszenzen, Erinnerungsbilder aus dem Leben, oder aber Symbole, Sinnbilder der inneren Organe, das Herz als Ofen, die Lunge als Flügel und so weiter symbolisie-

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ren sich. Das sind Masken. Würde der Mensch den Traum maskenlos sehen, würde er hinüberschlafen und in die Welt eben wirklich eintreten, ohne daß die Wesen, die dort sind, sich maskieren, dann würde der Mensch gerade im Einschlafen dieses ganze Heer der Wichtelmänner schauen; sie würden ihm entgegenkommen.

Aber der Mensch ist eben für das gewöhnliche Bewußtsein sozusagen behütet, diese Dinge unvorbereitet wahrzunehmen, weil er erschrecken würde davor. Denn sie bildeten in der Gestalt, in der sie einem da entgegentreten, eigentlich tatsächliche Abbilder von alledem im Menschen, was in diesem Menschen an zerstörenden Kräften arbeitet. Der Mensch würde alles das zugleich in seiner Wesenheit wahrnehmen, was in ihm als zerstörende Kräfte arbeitet, was fortwährend abbaut. Und diese Gnomen wären, unvorbereitet wahrgenommen, lauter Symbole des Todes. Der Mensch würde davor ungeheuer erschrecken, wenn er von ihnen etwa gar nichts gehört hätte für seinen gewöhnlichen Verstand, und sie nun beim Einschlafen ihm entgegenkommen würden und ihn gewissermaßen begraben würden, denn so nimmt sich die Sache aus, ihn gewissermaßen begraben würden drüben in der Astralwelt. Denn es ist eine Art Begrabenwerden durch die Gnomen, was da beim Einschlafen, von drüben aus gesehen, vor sich geht.

Nun, das ist eigentlich für den Moment des Einschlafens nur. Eine weitere Ergänzung für die physisch-sinnliche Welt sind die Undinen, die Wasserwesen, diese sich fortwährend verwandelnden, mit dem Was

ser ebenso lebenden Wesen, wie die Gnomen mit der Erde leben. Diese Undinen - wir haben wiederum kennengelernt, welche Rolle sie spielen im Pflanzenwachstum; aber sie stehen auch in Beziehung als ergänzende Wesen zu den Tieren, die schon auf einer etwas höheren Stufe stehen, zu den Tieren, welche schon einen mehr differenzierten Erdenleib aufgenommen haben. Diese Tiere, die dann in das höhere Fischwesen hineinwachsen oder auch in das höhere Amphibienwesen, brauchen Schuppen, brauchen irgendeinen harten Panzer. Sie brauchen außen eine harte Schale. Das, was an Kräften vorhanden ist, um diese Außenstütze, gewissermaßen dieses Außenskelett, gewissen Tieren, wie den Insekten, zu verschaffen, das verdankt die Welt der Tätigkeit der Undinen. Die Gnomen stützen gewissermaßen geistig diejenigen Tiere, welche ganz

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niedrig sind. Diese Tiere, die nun von außen geschützt werden müssen, die zum Beispiel mit einem Panzer umkleidet werden müssen, die verdanken ihre schützenden Hüllen der Tätigkeit der Undinen. Die Undinen sind es dann, welche zu diesen etwas höheren Tieren auf eine primitive Art das hinzufügen, was wir in unserer Schädeldecke haben. Sie machen sie gewissermaßen zum Kopf. All diese Wesen, die da als unsichtbare hinter der sichtbaren Welt sind, haben ihre große Aufgabe im ganzen Zusammenhange des Daseins, und Sie werden überall sehen, wo die materialistische Wissenschaft irgend etwas von der Art erklären soll, wie ich es jetzt angeführt habe, da versagt sie. Sie ist zum Beispiel nicht imstande, zu erklären, wie die niederen Wesenheiten, die kaum viel härter sind als das Element, in dem sie leben, dazu kommen, sich in ihm fortzubewegen, weil sie nicht weiß, daß diese geistige Stützung von den Gnomen vorhanden ist, die ich eben beschrieben habe. Auf der anderen Seite wird die Tatsache des Umpanzertwerdens für eine rein materialistische Wissenschaft immer eine Schwierigkeit bilden, weil nicht bekannt ist, wie im Sensitivwerden, im Vermeiden des eigenen niederen Tierwerdens die Undinen das von sich abstoßen, was dann als Schuppen oder sonstiger Panzer über die etwas höheren Tiere kommt.

Und wiederum, auch für diese Wesenheiten ist es in bezug auf das gewöhnliche Bewußtsein vom heutigen Menschen nur der Körper, der ein Hindernis bildet, sie so zu schauen wie zum Beispiel die Pflanzenblätter oder die etwas höheren Tiere.

Aber wenn der Mensch nun in tiefen traumlosen Schlaf kommt, und nicht der Schlaf für ihn traumlos ist, sondern durch die Gabe der Inspiration dieser Schlaf durchschaut werden kann, dann tauchen empor vor dem geistigen Blicke, vor dem geistigen Menschenblicke aus jenem Meere des Astralischen, in das beim Einschlafen die Gnomen den Menschen gewissermaßen begraben, verborgen haben, diese Wesenheiten der Undinen, und sie werden im tiefen Schlaf sichtbar. Der Schlaf löscht das gewöhnliche Bewußtsein aus. Das für den Schlaf erhellte Bewußtsein hat diese wunderbare Welt des werdenden Flüssigen, des sich in aller möglichen Weise zu den Metamorphosen der Undinen aufbäumenden Flüssigen zum Inhalte. Geradeso wie wir die Wesenheiten mit festen Konturen für das Tagesbewußtsein um uns haben, würde das

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erhellte Bewußtsein der Nacht diese sich immer wandelnden, diese selber wie ein Meer wellenwerfenden, sich wieder senkenden Wesenheiten darbieten. Der ganz tiefe Schlaf ist eigentlich ausgefüllt davon, daß in der Umgebung des Menschen ein bewegtes Meer von Lebewesen ist, ein bewegtes Meer von Undinen ist.

Anders liegt die Sache für die Sylphen. Für die Sylphen ist die Sache so, daß sie auch in einer gewissen Weise die Ergänzung bilden von gewissen Tierwesen, aber jetzt nach der anderen Seite hin. Man möchte sagen: Gnomen und Undinen fügen das Kopfmäßige zu denjenigen Tieren hinzu, die des Kopfes entbehren. Die Vögel sind nun, wie ich Ihnen dargestellt habe, eigentlich reiner Kopf; sie sind ganz Kopforganisation. Die Sylphen fügen hinzu zu dem Vogel auf geistige Art, was ihm gewissermaßen als die körperliche Ergänzung der Kopforganisation fehlt. Sie sind also die Ergänzung des Vogelgeschlechts nach demjenigen Gebiete der Organisation, das beim Menschen das StoffwechselGliedmaßensystem ist. Fliegen die Vögel mit verkümmerten Beinen in der Luft herum, so haben um so mehr die Sylphen mächtig ausgebildete Gliedmaßen, und sie stellen auf geistige Art, ich möchte sagen das in den Lüften dar, was die Kuh unten in der physischen Materie darstellt. Daher konnte ich gestern sagen, die Sylphen haben an dem Vogelgeschlechte ihr Ich, das, was sie mit der Erde verbindet. Der Mensch bekommt auf der Erde sein Ich. Was die Sylphen mit der Erde verbindet, das ist das Vogelgeschlecht. Dem Vogelgeschlechte verdanken sie ihr Ich, wenigstens das Bewußtsein ihres Ich.

Wenn der Mensch nun die Nacht durchschlafen hat, um sich gehabt das astralische Meer, das sich in der mannigfaltigsten Undinenform gestaltet, und dann aufwacht und den Aufwachetraum hat, dann würde er, wenn dieser Aufwachetraum sich nicht wiederum maskierte in Lebensreminiszenzen oder in Sinnbildern von inneren Organen, wenn er den unmaskierten Traum sehen würde, der Welt der Sylphen gegenüberstehen. Aber diese Sylphen würden für ihn eine merkwürdige Gestalt annehmen. Sie würden so sein, wie wenn die Sonne etwas schicken wollte, aber etwas schicken wollte, was eigentlich in einer schwierigen Art auf den Menschen wirkt, was den Menschen in einer gewissen Weise geistig einschläfert. Wir werden gleich nachher hören, warum das der

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Fall ist. Dennoch würde der Mensch, wenn er den unmaskierten Aufwachetraum wahrnehmen würde, in ihm etwas sehen wie das Hereinflattern, das wesenhafte Hereinflattern des Lichtes. Er würde es unangenehm auch aus dem Grunde empfinden, weil die Gliedmaßen dieser Sylphen ihn gewissermaßen umspinnen, umweben. Er fühlt so, wie wenn das Licht ihn angreifen würde von allen Seiten, wie wenn das Licht etwas wäre, das einen befällt, gegen das man außerordentlich sensitiv ist. Vielleicht würde der Mensch auch hie und da dies wie ein Streicheln des Lichtes empfinden. Aber in all diesen Dingen will ich Ihnen ja nur andeuten, wie dieses tragende, tastende Licht eigentlich herankommt in der Sylphenform.

Wenn wir dann zu den Feuerwesen kommen, dann ist es bei den Feuerwesen so, daß sie die Ergänzung bilden zu der flüchtigen Schmetterlingsnatur. Der Schmetterling entwickelt sozusagen selber so wenig wie möglich von seinem physischen Leibe, von dem eigentlich physischen Leibe; er läßt ihn ja so dünn sein wie nur möglich; dagegen ist er ein Lichtwesen. Die Feuerwesen stellen sich heraus als Wesen, welche den Schmetterlingsleib ergänzen, so daß man den folgenden Eindruck bekommen kann. Wenn man auf der einen Seite einen physischen Schmetterling sieht und ihn sich entsprechend vergrößert denkt, und auf der anderen Seite ein Feuerwesen - zusammen sind ja diese Wesen selten, nur in den Fällen, die ich Ihnen gestern angeführt habe -, dann hat man das Gefühl, wenn man diese zueinanderbackt, dann bekommt man eigentlich so etwas wie einen geflügelten Menschen, wirklich einen geflügelten Menschen. Man muß nur den Schmetterling entsprechend vergrößern und die Feuerwesen dem Größenmaß des Menschen angepaßt finden, dann bekommt man so etwas wie einen geflügelten Menschen daraus (Tafel VI, Mitte).

Das zeigt Ihnen wiederum, wie die Feuerwesen eigentlich die Ergänzung dieser ja dem Geistigen am nächsten stehenden Tierwesen sind; sie sind sozusagen die Ergänzung nach unten hin. Gnomen und Undinen sind die Ergänzung nach oben hin, nach der Kopfseite; Sylphen und Feuerwesen sind die Ergänzung von Vögeln und Schmetterlingen nach unten hin. Also die Feuerwesen muß man mit den Schmetterlingen zusammenbringen.

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Auf dieselbe Art nun, wie der Mensch sozusagen den schlafenden Traum durchdringen kann, kann der Mensch auch das wache Tagesleben durchdringen. Da bedient sich der Mensch aber eben in einer ganz robusten Art seines physischen Leibes. Auch das habe ich dargestellt in Aufsätzen im «Goetheanum». Da kommt der Mensch schon ganz und gar nicht dazu, einzusehen, wie er eigentlich fortwährend während des Taglebens die Feuerwesen sehen könnte, denn die Feuerwesen stehen in einer inneren Verwandtschaft mit den Gedanken des Menschen, mit alledem, was aus der Organisation des Kopfes hervorgeht. Und wenn der Mensch es dazu bringt, vollständig im wachen Tagesbewußtsein zu sein und dennoch in einem gewissen Sinne außer sich zu sein, also ganz vernünftig zu sein, fest mit den beiden Beinen auf der Erde zu stehen, und dann wiederum außer sich zu sein gleichzeitig - also er zu sein und sein Gegenüber zu sein, das heißt, sich selber als Gedankenwesen betrachten zu können: dann nimmt der Mensch wahr, wie die Feuerwesen in der Welt dasjenige Element bilden, das, wenn wir es wahrnehmen, nach der anderen Seite unsere Gedanken wahrnehmbar macht.

So kann die Wahrnehmung der Feuerwesen den Menschen dazu bringen, sich selber als Denker zu sehen, nicht bloß der Denker zu sein und die Gedanken da auszukochen, sondern sich anzuschauen, wie die Gedanken verlaufen. Nur hören dann die Gedanken auf, an den Menschen gebunden zu sein; sie erweisen sich dann als Weltgedanken; sie wirken und weben als Impulse in der Welt. Man merkt dann, daß der Menschenkopf nur die Illusion hervorruft, als ob da drinnen in diesem Schädel die Gedanken eingeschlossen wären. Da sind sie nur gespiegelt; ihre Spiegelbilder sind da. Das, was den Gedanken zugrunde liegt, gehört der Sphäre der Feuerwesen an. Kommt man in diese Sphäre der Feuer- wesen hinein, dann sieht man in den Gedanken nicht bloß sich selber, sondern man sieht den Gedankengehalt der Welt, der eigentlich zugleich ein imaginativer Gehalt ist. Es ist also die Kraft, aus sich herauszukommen, welche einem die Gedanken als Weltgedanken vorstellt. Ja, vielleicht darf ich sagen: Wenn man nun nicht vom menschlichen Körper aus, sondern von der Sphäre der Feuerwesen, also gewissermaßen von der in die Erde hereinragenden Saturnwesenheit das, was auf der Erde zu sehen ist, anschaut, dann bekommt man genau das Bild,

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das ich geschildert habe von der Erdenevolution in der «Geheimwissenschaft im Umriß». Dieser Umriß einer Geheimwissenschaft ist so aufgezeichnet, daß die Gedanken als der Gedankengehalt der Welt erscheinen, von der Perspektive der Feuerwesen aus gesehen.

Sie sehen, diese Dinge haben schon eine tief reale Bedeutung. Sie haben aber eine tief reale Bedeutung auch noch sonst für den Menschen. Nehmen Sie die Gnomen und Undinen; sie sind sozusagen in der Welt, die an die Welt des menschlichen Bewußtseins angrenzt, sie liegen schon jenseits der Schwelle. Das gewöhnliche Bewußtsein ist davor geschützt, diese Wesenheiten zu sehen, weil diese Wesenheiten eigentlich nicht alle gutartig sind. Gutartige Wesenheiten sind diejenigen, die ich gestern geschildert habe, die zum Beispiel am Pflanzenwachstum in der verschiedensten Weise arbeiten. Aber nicht alle sind gutartige Wesen. Und in dem Augenblicke, wo man einbricht in die Welt, wo diese Wesenheiten wirken, sind nicht bloß die gutartigen da, sondern es sind auch die bösartigen da. Man muß sich da erst eine Auffassung davon verschaffen, welche von ihnen nun gutartig, welche bösartig sind. Das ist nicht so ganz leicht. Sie werden das daraus sehen, wie ich Ihnen die bösartigen schildern muß. Die bösartigen Wesenheiten unterscheiden sich vor allen Dingen dadurch von den gutartigen Wesenheiten, daß die gutartigen sich mehr an das Pflanzenreich und an das Mineralreich halten; aber die bösartigen Wesenheiten wollen immer heran an das Tierreich und an das Menschenreich; noch bösere dann auch an das Pflanzenreich und an das Mineralreich. Aber man bekommt schon einen ganz respektablen, Begriff von der Bösartigkeit, die Wesenheiten dieses Reiches haben können, wenn man sich auf diejenigen einläßt, die an den Menschen und an die Tiere heran wollen und im Menschen eigentlich das vollbringen wollen, was durch die höheren Hierarchien zugeteilt ist den gutartigen für die Pflanzen- und Mineralwelt.

Sehen Sie, da gibt es eben solche bösartigen Wesenheiten aus dem Gnomen- und dem Undinenreich, welche sich an Menschen und Tiere heranmachen und bei Menschen und Tieren bewirken, daß das, was sie eigentlich zu den niederen Tieren hinzufügen sollen, sich im Menschen auf physische Art verwirklicht; im Menschen ist es ohnedies schon da. Im Menschen soll es sich auf physische Art verwirklichen, auch im

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Tiere. Dadurch, durch die Anwesenheit dieser bösartigen Gnomen- und Undinenwesenheiten, leben dann im Menschen und im Tiere niedrigere Tier- oder Pflanzenwesen, Parasiten. Und so sind die bösartigen Wesenheiten die Hervorbringer der Parasiten. Aber, ich möchte sagen, in dem Augenblicke, wo der Mensch die Schwelle zur geistigen Welt übertritt, kommt er gleich in die Finessen dieser Welt hinein. Da sind überall eigentlich Fallstricke, und man muß schon von den Wichtelmännern erst etwas lernen, nämlich aufzupassen. Das können zum Beispiel die Spiritisten nie. Es sind überall Fallstricke. Es könnte nun einer sagen: Wozu sind denn nun überhaupt diese bösartigen Gnomen- und Undinenwesen da, wenn sie parasitäre Wesenheiten hervorrufen? Ja, wären sie gar nicht da, diese Wesenheiten, dann würde nämlich der Mensch nicht in sich die Kraft entwickeln können, seine Gehirnmasse auszubilden. Und da kommt man auf etwas, was außerordentlich bedeutungsvoll ist.

Ich will Ihnen das schematisch skizzieren (Tafel VI, links). Wenn Sie sich den Menschen denken als Stoffwechsel-Gliedmaßenmenschen, als Brust-, also als rhythmischen Menschen, und dann als Kopfmenschen, also als Nerven-Sinnesmenschen, so müssen Sie sich durchaus klar sein: hier unten gehen Prozesse vor sich - lassen wir den rhythmischen MenSchen aus -, hier oben gehen wiederum Prozesse vor sich. Wenn Sie zusammennehmen die Prozesse, die sich unten abspielen, so ist im wesentlichen ein Ergebnis da, das im gewöhnlichen Leben meistens mißachtet wird: es sind die Ausscheidungsprozesse, Ausscheidungen durch den Darm, Ausscheidungen durch die Nieren und so weiter, alle Ausscheidungsprozesse, die sich nach unten ergießen. Diese Ausscheidungsprozesse betrachtet man meistens eben nur als Ausscheidungsprozesse. Aber das ist ein Unsinn. Es wird nicht bloß ausgeschieden, damit ausgeschieden werden soll, sondern in demselben Maße, in dem Ausscheidungsprodukte erscheinen, erscheint im unteren Menschen geistig etwas Ähnliches, wie oben physisch das Gehirn ist. Das, was im unteren Menschen geschieht, ist ein Vorgang, der auf halbem Wege stehenbleibt in bezug auf seine physische Entwickelung. Es wird ausgeschieden, weil die Sache ins Geistige übergeht. Oben wird der Prozeß vollendet. Da bildet sich physisch das herein, was da unten nur geistig ist. Oben haben wir phy-

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sisches Gehirn, unten ein geistiges Gehirn. Und wenn man das, was unten ausgeschieden wird, einem weiteren Prozeß unterwerfen würde, wenn man fortfahren würde, es umzubilden, dann würde die letzte Metamorphose vorläufig sein das menschliche Gehirn.

Die menschliche Gehirnmasse ist weitergebildetes Ausscheideprodukt. Das ist etwas, was ungeheuer wichtig zum Beispiel auch in medizinischer Beziehung ist, und was im 16., 17. Jahrhundert die damaligen Ärzte noch durchaus gewußt haben. Gewiß, man redet heute in einer sehr abfälligen Weise, und in bezug auf manches auch mit Recht, von der alten «Dreckapotheke». Aber weil man nicht weiß, daß in dem Drecke eben noch vorhanden waren die sogenannten Mumien des Geistes. Natürlich soll das nicht eine Apotheose sein auf das, was in den allerletzten Jahrhunderten als Dreckapotheke figuriert hat, sondern ich weise hin auf viele Wahrheiten, die einen so tiefen Zusammenhang haben wie den, den ich eben ausgeführt habe.

Das Gehirn ist durchaus höhere Metamorphose der Ausscheidungsprodukte. Daher der Zusammenhang der Gehirnkrankheiten mit den Darmkrankheiten; daher auch der Zusammenhang der Heilung der Gehirnkrankheiten und der Darmkrankheiten.

Sehen Sie, indem nun Gnomen und Undinen da sind, überhaupt eine Welt da ist, wo Gnomen und Undinen leben können, sind die Kräfte vorhanden, welche gewiß vom unteren Menschen aus Parasiten bewirken können, die aber zu gleicher Zeit die Veranlassung sind, im oberen Menschen die Ausscheidungsprodukte ins Gehirn umzumetamorphosieren. Wir könnten gar nicht ein Gehirn haben, wenn die Welt nicht so eingerichtet wäre, daß es Gnomen und Undinen geben kann.

Das, was für Gnomen und Undinen in bezug auf die Zerstörungskräfte gilt - Zerstörung, Abbau geht ja dann wiederum vom Gehirn aus -, das gilt für Sylphen- und Feuerwesen in bezug auf die Aufbaukräfte. Wiederum, die gutartigen Sylphen- und Feuerwesen halten sich ferne von Menschen und Tieren und beschäftigen sich mit dem Pflanzenwachstum in der Weise, wie ich es angedeutet habe; aber es gibt eben bösartige. Diese bösartigen tragen vor allen Dingen das, was nur in den oberen, in den Luft- und Wärmeregionen sein soll, hinunter in die wäßrigen und irdischen Regionen.

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Wenn Sie nun studieren wollen, was da geschieht, wenn diese Sylphenwesen zum Beispiel aus den oberen Regionen in die niederen Regionen des wäßrigen und erdigen Elementes das hinuntertragen, was da oben hinaufgehört, dann schauen Sie sich die Belladonna an. Die Belladonna ist diejenige Pflanze, welche in ihrer Blüte, wenn ich mich so ausdrücken darf, von der Sylphe geküßt worden ist, und welche dadurch das, was gutartiger Saft sein kann, in den Giftsaft der Belladonna umgewandelt hat.

Da haben Sie das, was man eine Verschiebung der Sphäre nennen kann. Oben ist es richtig, wenn die Sylphen ihre Umschlingungskräfte entwickeln, wie ich sie vorhin beschrieben habe, wo man vom Lichte förmlich betastet wird - denn das braucht die Vogelwelt. Kommt sie aber herunter, die Sylphe, und verwendet sie das, was sie oben anwenden sollte, unten in bezug auf die Pflanzenwelt, dann entsteht ein scharfes Pflanzengift. Parasitäre Wesen durch Gnomen und Undinen; durch Sylphen die Gifte, die eigentlich das zu tief auf die Erde geströmte Himmlische sind. Wenn der Mensch oder manche Tiere die Belladonna essen, die aussieht wie eine Kirsche, nur daß sie sich verbirgt im Kelch drinnen - es wird hinuntergedrückt, man kann es noch der Form der Belladonna ansehen, was ich jetzt eben beschrieben habe -, wenn der Mensch oder gewisse Tiere die Belladonna essen, so sterben sie davon. Aber sehen Sie einmal Drosseln und Amseln an: die setzen sich auf die Belladonna und haben daran ihre beste Nahrung in der Welt. In deren Region gehört das, was in der Belladonna ist.

Es ist doch ein merkwürdiges Phänomen, daß die Tiere und die Menschen, die eigentlich mit ihren unteren Organen erdgebunden sind, das, was an der Erde in der Belladonna verdorben ist, als Gift aufnehmen, daß dagegen so repräsentative Vögel wie die Drosseln und Amseln, die also auf geistige Art durch die Sylphen gerade das haben sollen - und durch die gutartigen Sylphen haben sie es auch -, daß die es vertragen können, auch wenn das, was da oben in ihrer Region ist, hinuntergetragen wird. Für sie ist Nahrung, was für die mehr an die Erde gebundenen Wesenheiten Gift ist.

So bekommen Sie eine Anschauung davon, wie auf der einen Seite durch Gnomen und Undinen das Parasitäre von der Erde nach den

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anderen Wesen hinaufstrebt, wie die Gifte eigentlich von oben herunterträufeln.

Wenn dagegen die Feuerwesen sich mit jenen Impulsen durchdringen, welche in die Region der Schmetterlinge gehören, welche den Schmetterlingen zu ihrer Entwickelung sehr nützlich sind, und das heruntertragen in die Früchte, dann entsteht zum Beispiel das, was wir innerhalb einer Reihe von Mandeln als giftige Mandeln haben. Da wird dieses Gift durch die Tätigkeit der Feuerwesen in die Mandelfrucht hineingetragen. Und wiederum würde die Mandelfrucht überhaupt nicht entstehen können, wenn nicht auf gutartige Weise von denselben Feuerwesen sozusagen das, was wir bei den anderen Früchten essen, verbrannt würde. Sehen Sie sich doch die Mandel an. Bei den anderen Früchten haben Sie in der Mitte den weißen Kern und ringsherum das Fruchtfleisch. Bei der Mandel haben Sie mitten drinnen den Kern, und ringsherum das Fruchtfleisch ist ganz verbrannt. Das ist die Tätigkeit der Feuerwesen. Und artet diese Tätigkeit aus, wird das, was die Feuerwesen vollführen, nicht bloß in die braune Mandelschale hineingearbeitet, wo es noch gutartig sein kann, sondern geht nur etwas von dem, was Schale erzeugen soll, innerlich in den weißen Kern der Mandel hinein, dann wird die Mandel giftig (Tafel VI, rechts).

So haben Sie ein Bild davon, wie diese Wesenheiten, die da angrenzen in der Welt, die unmittelbar jenseits der Schwelle liegt, eigentlich, wenn sie ihre Impulse durchführen, zu den Trägern des parasitären Wesens, des Giftwesens, und damit zu Trägern von Krankheiten werden. Auf diese Art wird deutlich, inwiefern sich der Mensch als gesundes Wesen heraushebt aus dem, was ihn ergreifen kann in der Krankheit. Denn es hängt das zusammen mit der Entfaltung des Bösartigen in diesen Wesenheiten, die andererseits da sein müssen, um den ganzen Aufbau, um Wachsen und Sprossen der Natur und wiederum Zerstören der Natur möglich zu machen.

Das sind die Dinge, die im Grunde genommen aus dem instinktiven Hellsehen heraus solchen Intuitionen zugrunde lagen, wie der indischen von Brahma, Vishnu, Shiva. Brahma stellte dar die wirkende Wesenheit in der Weltensphäre, die an den Menschen heran darf. Vishnu stellte dar diejenige Weltensphäre, die an den Menschen nur heran darf, insofern

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er fortwährend das Aufgebaute wiederum abtragen muß, insofern das sich fortwährend verwandeln muß. Und Shiva stellte dar alles das, was mit den zerstörenden Kräften zusammenhängt. Und in den älteren Zeiten der indischen Hochkultur sagte man: Brahma ist innig verwandt mit allem, was Feuerwesennatur ist, was Sylphennatur ist; Vishnu mit alledem, was Sylphen- und Undinennatur ist. Shiva mit all demjenigen, was Gnomen- und Undinennatur ist. Überhaupt findet man, wenn man in diese älteren Vorstellungen zurückgeht, überall die bildhaften Ausdrücke für das, was man heute wiederum suchen muß als den Geheimnissen der Natur zugrunde liegend.

Sie sehen also: Wir haben gestern betrachtet die Verwandtschaft dieses unsichtbaren Volkes mit der Pflanzenwelt; wir haben heute hinzugefügt die Verwandtschaft dieses unsichtbaren Volkes mit der tierischen Welt. Überall greifen ein die Wesenheiten von diesseits der Schwelle in die Wesenheiten von jenseits der Schwelle, die Wesenheiten von jenseits der Schwelle in die Wesenheiten von diesseits der Schwelle, und so fort. Und nur dann, wenn man das lebendige Zusammenwirken dieser beiden Wesensarten kennt, versteht man eigentlich, wie die sichtbare Welt sich entfaltet. Für den Menschen ist schon die Erkenntnis der über- sinnlichen Welt sehr, sehr notwendig, denn in dem Augenblicke, wo er durch die Pforte des Todes tritt, hat er ja nicht mehr die sinnliche Welt um sich, sondern da beginnt zunächst die andere Welt seine Welt zu sein. In seiner gegenwärtigen Entwickelung kann er sich nicht in diese andere Welt begeben, wenn er nicht sozusagen aus den physischen Offenbarungen die Schriftzeichen erkannt hat, die hinüberweisen in diese andere Welt; wenn er nicht lesen gelernt hat in den Tieren der Erde, in den Tieren des Wassers, in den Tieren der Luft und in den Tieren, ich möchte sagen des Lichtes, in den Schmetterlingen das, was hinweist auf die Elementarwesen, die unsere Mitbewohner sind zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Aber was wir von diesen Wesenheiten sehen, ist eigentlich überall hier zwischen der Geburt und dem Tode eben nur, ich möchte sagen das brutale dichte Stück. Das, was hinzugehört vom Übersinnlichen, lernen wir erst erkennen, wenn wir uns hinüberbegeben mit unserer Einsicht, mit unserem Verständnis in diese übersinnliche Welt.

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NEUNTER VORTRAG Dornach, 4. November 1923

Wie man ja die Wesen der Sinnenwelt nur kennenlernt, wenn man sie beobachtet in ihrem Leben und Treiben, so ist das auch bei denjenigen Wesen der Fall, von denen ich in diesen Vorträgen jetzt zu Ihnen gesprochen habe und spreche, bei den Naturelementarwesenheiten, die unsichtbar, übersinnlich hinter dem Sinnlich-Physischen sich befinden und an dem ganzen Geschehen in der Welt ebenso beteiligt sind, oder eigentlich in einem höheren Sinne beteiligt sind als die sinnlich-physischen Wesen.

Nun können Sie sich ja denken, daß die Welt für diese Wesenheiten etwas anders aussehen wird als für die Wesenheiten der sinnlichen Welt, denn Sie haben ja gesehen: einen physischen Leib, so wie die Wesen der Sinneswelt, haben diese Wesenheiten nicht. Alles, was sie in der Welt auffassen, in der Welt wahrnehmen, muß anders sein als dasjenige, was etwa in Menschenaugen dringt. Und so ist es auch. Der Mensch empfindet zum Beispiel die Erde als den Weltenkörper, auf dem er herumgeht. Er empfindet es schon als eine kleine Unannehmlichkeit, wenn dieser Weltenkörper, wie es zuweilen der Fall ist, durch allerlei Vorgänge der Atmosphäre aufgeweicht wird und der Mensch nur ein ganz klein wenig hineinsinkt. Er möchte diesen Erdboden als hart empfinden, als etwas, in das er nicht hineinsinkt.

Diese ganze Empfindungsart, diese ganze Stellung zur Erde, die ist zum Beispiel bei den Gnomen ganz und gar nicht vorhanden; die sinken überall, denn für sie ist der ganze Erdenkörper zunächst wie ein durchgänglicher Hohlraum. Sie können überall hinein; für sie sind nicht Gesteine, für sie sind nicht Metalle irgend etwas, das sie hindert, mit ihrer Wesenheit, ja, soll ich sagen, herumzugehen, soll ich sagen, herumzuschwimmen? Es gibt in unserer Sprache nicht Worte, die das Wandeln dieser Gnomen innerhalb des Erdenkörpers ausdrücken. Nur daß sie eine innerliche Empfindung, ein innerliches Erlebnis haben von den verschiedenen Ingredienzien der Erde; sie fühlen anders, wenn sie einer Metallader entlang wandern, als wenn sie einer Kalkschichte entlang

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ihren Weg nehmen. Das alles aber fühlen die Gnomen auf innerliche Art; sie dringen durch alles das durch. Sie haben eigentlich gar nicht einmal die Vorstellung davon, daß es die Erde gibt; sie haben die Vorstellung, daß es einen Raum gibt, in dem sie verschiedene Empfindungen erleben: Goldempfindungen, Merkurempfindungen, Zinnempfindungen, Kieselempfindungen und so weiter. Das ist in der Menschensprache gesprochen, nicht in der Sprache der Gnomen. Die ist viel anschaulicher; und sie bekommen gerade dadurch, daß sie eigentlich ihr Leben lang alle Adern, alle Schichten ablaufen, immer wieder und wiederum ablaufen, diese ausgeprägte Intellektualität, von der ich Ihnen gesprochen habe. Sie bekommen dadurch ihr umfassendes Wissen, denn ihnen enthüllt sich im Metall und in der Erde alles das, was draußen im Weltenall ist; wie in einem Spiegel empfinden sie alles das, was draußen im Weltenall ist. Aber für die Erde selbst haben die Gnomen gar keine Anschauung, eben nur für ihre verschiedenen Ingredienzien, verschiedenen Arten des inneren Erlebens.

Dafür sind aber diese Gnomen ganz besonders begabt für die Eindrücke, die vom Monde herkommen. Der Mond ist ihnen dasjenige, worauf sie fortwährend aufmerksam lauschen. In dieser Beziehung sind sie - die geborenen, kann ich nicht sagen, es ist eben so schwer, die Worte dafür zu finden - sozusagen die gewordenen Neurastheniker. Nicht wahr, was bei uns eine Krankheit ist, das ist für diese Gnomenwesen eigentlich ihr Lebenselement. Das ist bei ihnen keine Krankheit, das ist bei ihnen eine Selbstverständlichkeit. Das gibt ihnen jene innere Empfänglichkeit für alles das, wovon ich Ihnen gesprochen habe. Es gibt ihnen aber auch die innerliche Empfänglichkeit für die Umwandlungen der Mondenerscheinungen. Diese Umwandlung der Mondenerscheinungen verfolgen sie mit einer solchen Aufmerksamkeit, daß dieses innerliche Aufmerken - ich habe Ihnen ja ihre Aufmerksamkeitskraft geschildert - selbst ihre Gestalt verändert. So daß man in der Tat, wenn man das Gnomendasein verfolgt, einen ganz anderen Eindruck hat bei Vollmond und einen ganz anderen Eindruck hat bei Neumond und wiederum bei den dazwischenliegenden Mondesphasen.

Bei Vollmond, da wird es den Gnomen unbehaglich. Das physische Mondenlicht paßt ihnen nicht, und da drängen sie nach außen ihr gan-

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zes Seinsgefühl. Sie umspannen sich gewissermaßen mit einer geistigen Haut, sie drängen ihr Seinsgefühl an den Umfang ihres Leibes, wenn Vollmond ist. Und sie erscheinen einem dann, ,wenn man für solche Dinge imaginatives Anschauen hat, ich möchte sagen wie strahlende, gepanzerte kleine Ritter bei Vollmondschein. Da tragen sie etwas wie e1nen geistigen Panzer um sich, und das ist dasjenige, was in ihrer Haut nach außen drängt, um abzuwehren das Mondenlicht, das ihnen unangenehm ist. Nähert sich aber der Mond dem Neumond, dann wird der Gnom geradezu durchsichtig, wunderbar; man sieht in ihm strahlende, glitzernde Farbenspiele. Man sieht, wie eine ganze Welt in ihm vorgeht. Es ist so, wie wenn man, ich möchte sagen, in das menschliche Gehirn hineinschauen würde, aber nicht nur wie ein Anatom, der da Zellengewebe sucht, sondern wie einer, der da die Gedanken drinnen schillern und glitzern sieht: so erscheinen einem wie durchsichtige Männlein diese Gnomen, in denen drinnen das Gedankenspiel erscheint. Gerade bei Neumond sind diese Gnomen außerordentlich interessant, weil sie jeder eine ganze Welt in sich tragen, und man kann sagen: In dieser Welt drinnen ruht eigentlich das Mondengeheimnis.

Enthüllt man es, dieses Mondengeheimnis, dann kommt man auf sehr merkwürdige Ergebnisse; dann kommt man darauf, sich zu sagen, daß der Mond gegenwärtig in einer fortwährenden Annäherung ist - natürlich müssen Sie sich das nicht grobklotzig vorstellen, als ob er da der Erde zulaufen würde -, aber er kommt eigentlich jedes Jahr etwas näher. Und eigentlich ist der Mond jedes Jahr der Erde etwas näher. Das erkennt man an dem immer lebendiger werdenden Spiel der Mondenkräfte während des Neumondes in der Gnomenwelt. Und auf dieses Näherkommen sind auch diese Wichtelmänner ganz besonders aufmerksam; denn aus dem, was an ihnen der Mond tut, Ergebnisse zu ziehen, darin sehen sie eigentlich ihre Hauptmission Im Weltenall. Sie warten mit einer großen Spannung den Zeitpunkt ab, wo sich der Mond wiederum mit der Erde vereinigen wird, und sie sammeln alle ihre Kräfte, um für diesen Zeitpunkt, wenn sich der Mond mit der Erde vereinigt hat, gerüstet zu sein, denn dann werden sie die Mondensubstanz dazu benützen, um die Erde allmählich im Weltenall ihrer ganzen Substanz nach zu zerstreuen. Die Substanz muß fort.

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Aber indem sie sich diese Aufgabe stellen, fühlen sich diese Kobolde, Gnomen ganz besonders wichtig, denn sie sammeln ja die verschiedensten Erfahrungen im ganzen Erdendasein, und sie bereiten sich vor, wenn nun die ganze Erdensubstanz im Weltenall zerstreut wird, nach dem Jupiter sich hinüberentwickelt, dann in der Struktur der Erde zu bewahren, was in dieser Struktur das Gute ist, und das dann wie eine Art Knochengerüste dem Jupiter einzuverleiben.

Sehen Sie, wenn man diesen Vorgang den Gnomen abschaut, dann bekommt man erst eine Anregung dazu, nun einmal sich vorzustellen - und man kann das dann -, wie unsere Erde ausschauen würde, wenn man von ihr alles Wasser wegnehmen würde. Denken Sie nur einmal, wie auf der westlichen Halbkugel alles von Norden nach Süden, auf der östlichen Halbkugel alles von Osten nach Westen orientiert ist. Wie also, wenn Sie das Wasser wegtun würden, Sie Amerika mit seinen Gebirgen und mit dem, was unter dem Meere ist, bekommen würden als etwas, was von Norden nach Süden verläuft; und schauen Sie nach Europa hin, so würden Sie entsprechend dem Zug der Alpen, Karpathen und so weiter dasjenige bekommen, was in der östlichen Halbkugel in dieser Richtung ist. Sie würden etwas bekommen wie die Struktur des Kreuzes in der Erde.

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Und durchdringt man dieses, dann bekommt man davon den Eindruck, daß das eigentlich die vereinigte Gnomenwelt des alten Mondes ist. So daß diejenigen, die die Vorfahren unserer Erdengnomen sind, die Mondengnomen, die Mondenerfahrungen gesammelt haben und diese Struktur, diese feste Struktur des festen Erdgewebes, des festen Erdgebildes aus ihrer Erfahrung heraus gebildet haben, so daß wir eigentlich unsere feste Erdengestalt haben aus den Erfahrungen der alten Mondengnomen.

Das sind die Dinge, die sich da ergeben in bezug auf die Gnomenwelt. Dadurch bekommen die Gnomen eine interessante, außerordentlich interessante Beziehung zu der ganzen Evolution des Weltenalls. Sie tragen gewissermaßen immer das Feste aus dem Früheren in das Feste des Späteren hinüber. Sie sind die Bewahrer der Kontinuität der festen Struktur in der Entwickelung. So von einem Weltenkörper zu dem anderen bewahren sie die feste Struktur. Es gehört zu dem Interessantesten, an diese geistigen Wesenheiten einer übersinnlichen Welt heranzutreten und ihre besondere Aufgabe zu studieren; denn dadurch bekommt man erst den Eindruck, wie alles, was an Wesen in der Welt vorhanden ist, mitarbeitet an der ganzen Gestaltung der Welt.

Nun gehen wir wiederum von den Gnomen zu den Undinen, zu den Wasserwesen. Da bietet sich einem eigentlich eine sehr merkwürdige Vorstellung. Diese Wesenheiten haben nicht dieses Lebensbedürfnis, das die Menschen haben, auch nicht das Lebensbedürfnis, das die Tiere haben, wenn auch instinktiv, sondern man könnte fast sagen: die Undinen, auch die Sylphen, sie haben eher ein Todesbedürfnis. Sie sind wirklich auf eine kosmische Art so wie die Mücke, die sich in die Flamme stürzt. Sie haben das Gefühl, daß sie eigentlich erst recht ihr Leben haben, wenn sie sterben. Außerordentlich interessant ist es: Hier in der physischen Erde will alles leben, und man schätzt eigentlich alles, was Lebenskraft in sich hat; man schätzt gerade alles, was lebendiges Sprießen und Sprossen hat. Kommt man da hinüber, dann sagen einem alle diese Wesenheiten: das Sterben, das ist eigentlich erst der richtige Anfang des Lebens. Und das können diese Wesenheiten auch empfinden. Denn nehmen wir diese Undinen. Sie wissen ja vielleicht, daß, sagen wir Schiffer, die viel auf dem Meere fahren, finden, daß das Meer

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so einen eigentümlichen Eindruck macht, auf der Ostsee im Juli, August, September, weiter nach Westen hinüber schon im Juni, und daß diese Leute sagen: das Meer beginnt zu blühen. Es schlägt aus gewissermaßen; aber es schlägt aus von alledem, was im Meer verwest. Die Verwesung des Meeres macht sich da geltend; sie gibt dem Meere einen eigentümlichen fauligen Geruch.

Aber das ist alles anders für die Undinen. Die Undinen empfinden dabei nichts Unangenehmes, sondern wenn diese Millionen und Millionen von Wassertieren, die da verwesen im Meere, in die Zerstörung hineinkommen, dann wird das Meer für die Undinen ein in den wunderbarsten phosphoreszierenden Farbenspielen erglänzendes. Es glänzt und glitzert alles in allen möglichen Farben. Insbesondere in bläulichen, violettlichen, grünlichen Farben glitzert für sie das Meer innerlich und äußerlich. Das ganze Verwesen im Meere wird ein solches Glimmern und Glitzern in den dunkleren Farben bis zum Grün hin. Aber diese Farben sind Realitäten für die Undinen, und man sieht dann die Undinen, wie sie in diesem Farbenspiele des Meeres selber diese Farben in sich aufnehmen. Sie ziehen diese Farben in ihre eigene Leiblichkeit herein. Sie werden so, wie diese Farbenspiele sind; sie werden selber phosphoreszierend. Und indem sie diese Farbenspiele aufnehmen, indem sie selber phosphoreszierend werden, entsteht in ihnen etwas wie eine Sehnsucht, wie eine ungeheure Sehnsucht, nach oben zu gehen, nach oben zu schweben. Diese Sehnsucht führt sie dazu, nach oben zu schweben, und sie bieten sich mit dieser Sehnsucht den Wesenheiten der höheren Hierarchien, den Angeloi, Archangeloi und so weiter als die Erdennahrung an; sie finden darin ihre Seligkeit. Sie leben dann in den höheren Hierarchien drinnen weiter.

So ist es merkwürdig, wie aus unergründlichen Tiefen herauf sich diese Wesenheiten, man möchte sagen, mit jedem Frühfrühling entwickeln. Sie machen da mit das Leben der Erde, indem sie in der Weise am Pflanzentum arbeiten, wie ich es beschrieben habe. Dann aber er- gießen sie sich gewissermaßen in das Wasser, nehmen durch ihre eigene Leiblichkeit das Phosphoreszieren des Wassers, das Verwesende auf, tragen es in ungeheurer Sehnsucht hinauf, und man sieht in einem kolossalen, in einem grandiosen Weltenbilde, wie die aus dem Erdenwasser

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entstehenden, durch die Undinen getragenen Farben, die geistig-substantiell sind, den Wesen der höheren Hierarchien ihre Nahrung bieten, wie die Erde Nahrungsquelle wird für die höheren Hierarchien, indem die Sehnsucht der Undinen gerade darin besteht, sich von den höheren Wesen verzehren zu lassen. Da leben sie dann weiter, da gehen sie gewissermaßen in ihre Ewigkeit ein. So ist eigentlich in jedem Jahre ein fortwährendes Aufströmen von diesen Wesenheiten, deren Inneres aus der Erde heraus gebildet ist, und die aufstrahlen sehnsüchtig, um sich als Nahrung anzubieten den höheren Wesenheiten.

Und gehen wir zu den Sylphen. Wir finden ja im Laufe des Jahres die ersterbenden Vögel. Ich habe Ihnen dargestellt, wie diese ersterbenden Vögel ihre vergeistigte Substanz haben, wie sie diese vergeistigte Substanz übergeben wollen den höheren Welten, damit sie von der Erde hinaufkommt. Aber da bedarf es der Vermittler. Diese Vermittler sind die Sylphen. Es ist so, daß in der Tat durch die sterbende Vogelwelt sich die Luft fortwährend anfüllt mit Astralität, mit einer niedrigeren Astralität, aber mit Astralität eben, mit astralischer Substanz. In dieser astralischen Substanz, ich kann nicht sagen flattern, ich möchte sagen, wenn das Wort nicht häßlich klingen würde, verschweben, es verschweben die Sylphen. Sie nehmen auf, was aus der sterbenden Vogelwelt kommt, tragen es wiederum sehnsüchtig in die Höhe und wollen veratmet sein von den Wesenheiten der höheren Hierarchien. Sie bieten sich als dasjenige an, was Atmungswesen der höheren Hierarchien ist. Wiederum ein grandioses Schauspiel! Indem man die Vogelwelt ersterben sieht, geht diese astralische, innerlich erglänzende Substanz in die Luft über. Die Sylphen zucken wie blaue Blitze durch die Luft, und in ihre blauen Blitze herein, zuerst ergrünend und dann errötend, nehmen sie auf diese Astralität, die von der Vogelwelt kommt, und huschen wIe nach aufwärts zuckende Blitze hinauf. Verfolgt man das bis außerhalb des Raumes, so werden sie dasjenige, was veratmet wird von den Wesenheiten der höheren Hierarchien.

So daß man sagen kann: die Gnomen tragen eine Welt in die andere hinüber ihrer Struktur nach. Sie gehen gewissermaßen - das ist aber nur vergleichsweise gesagt - horizontal mit der Evolution weiter. Die anderen Wesenheiten, die Undinen, die Sylphen tragen hinauf dasjenige,

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was sie als Seligkeit empfinden im eigenen Ersterben, im Genossenwerden, im Eratmetwerden. Da leben sie dann in den höheren Hierarchien weiter; darinnen empfinden sie ihre Ewigkeit.

Und wenn man übergeht zu den Feuerwesen, ja, meine lieben Freunde, denken Sie nur einmal, wie der Schmetterlingsstaub von den Schmetterlingsflügeln mit den absterben den Schmetterlingen scheinbar in nichts zerfließt. Aber es ist nicht richtig, daß er in nichts zerfließt. Das, was da abstaubt von den Schmetterlingsflügeln, ist höchst vergeistigte Materie. Das alles fließt in den Wärmeäther, der die Erde umgibt, hinein wie winzige Kometen, jedes einzelne Stäubchen wie ein winziger Komet im Erdenwärmeäther. Alles wird, wenn die Schmetterlingswelt ihrem Ende zugeht im Jahreslauf, glitzernd und glimmend, innerliches Glitzern und Glimmen. Und in dieses Glitzern und Glimmen ergießen sich die Feuerwesen, sie nehmen es auf. Es glitzert und glimmert in ihnen weiter, und auch sie bekommen ihre Sehnsucht. Sie tragen das, was sie so aufgenommen haben, in die Höhe. Und man sieht - ich habe es Ihnen schon von einer anderen Seite geschildert -, wie nun das, was von den Schmetterlingsflügeln von den Feuerwesen nach außen getragen ist, in den Weltenraum hinausschimmert. Aber es schimmert nicht nur hinaus, es strömt hinaus, und es ist dasjenige, was den eigentlichen Anblick der Geister der höheren Hierarchien von der Erde ergibt. Die Geister der höheren Hierarchien schauen auf die Erde und sehen vorzugsweise von der Erde dieses von den Feuerwesen hinausgetragene Schmetterlings- und Insektenwesen, und die Feuerwesen finden ihre höchste Wollust darinnen, zu verspüren, wie sie es sind, die sich hinstellen vor die Geistesaugen der höheren Hierarchien. Sie finden es als ihre höchste Wollust, angeschaut zu werden, von den Blicken sozusagen, von den Geistblicken der höheren Hierarchien aufgenommen zu werden. Sie streben diesen höheren Hierarchien zu und führen ihnen das Wissen von der Erde zu.

So sehen Sie, wie diese Elementarwesen die Vermittler sind zwischen der Erde und dem Geistkosmos: dieses Schauspiel der hinaufphosphoreszierenden Undinen, die in dem Licht- und Flammenmeer der höheren Hierarchien als Nahrung verschwinden, die hinaufzuckenden grünlich-rötlichen Blitze der Sylphen, die eratmet werden, wo das Irdische

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fortwährend in das Ewige übergeht, das ewige Verbleiben der Feuerwesen, deren Tun von Dauer ist. Denn während sich hier auf Erden nur in einer gewissen Jahreszeit das Sterben der Vögel abspielt, sorgen diese Feuerwesen dafür, daß sich dasjenige, was von ihnen zu schauen ist, das ganze Jahr sozusagen hinaus ins Weltenall ergießt. So trägt die Erde eine Art von Feuermantel um sich. Von außen gesehen, erscheint sie als feurig. Aber das Ganze wird ja von Wesen bewirkt, welche ganz anders die Dinge der Erde sehen, als der Mensch sie sieht. Für den Menschen ist, wie gesagt, die Erde als harte Substanz zu verspüren, auf der er gehen und stehen kann. Für die Gnomen ist sie eine durchlässige Kugel, eine Hohlkugel. Für die Undinen ist das Wasser etwas, in dem sie das Phosphoreszieren wahrnehmen und in sich aufnehmen und erleben können. Für die Sylphen ist das Astralische der Luft, das aus der sterbenden Vogelwelt kommt, dasjenige, wovon sie mehr zuckende Blitze werden, als sie schon gewesen sind; sie sind sonst matte, bläuliche Blitze, die Sylphen. Und wiederum das Zugrundegehen des Schmetterlingswesens ist etwas, was sozusagen dauernd die Erde wie mit einer Feuerschale umgibt. Für die Anschauung ist das so, daß gewissermaßen die Erde von einem wunderbaren feurigen Gemälde umgeben ist, und an der einen Seite, wenn man von der Erde hinaufschaut, sind diese zuckenden Blitze, diese phosphoreszierenden und verschwindenden Undinen. All das ist so, als ob man sagen müßte: Hier auf Erden weben und leben diese Elementargeister; sie streben nach aufwärts und verschwinden im Feuermantel der Erde. Aber sie verschwinden eigentlich nicht in Wirklichkeit, sondern sie finden da ihr ewiges Dasein, indem sie in die Wesenheiten der höheren Hierarchien übergehen.

Das alles, was man da zuletzt sieht wie ein wunderbares Weltengemälde, das aber der Ausdruck ist dessen, was auf Erden geschieht, das alles spielt sich zunächst in seinem Anfangsstadium auf der Erde ab. Wir Menschen sind immer darinnen in dem, was sich da abspielt, und es ist eigentlich so, wenn der Mensch auch zunächst mit seinem gewöhnlichen Bewußtsein nicht fähig ist, diese Umgebung aufzufassen, daß man jede Nacht in dem Weben und Treiben dieser Wesenheiten drinnensteckt, selber Anteil nimmt als Ich und als astralischer Leib an dem, was diese Wesenheiten treiben.

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Aber insbesondere den Gnomen ist es wirklich eine Art Amüsement, den Menschen schlafend zu beobachten; nicht den physischen Leib im Bette, sondern den Menschen, der außer dem physischen Leib ist als Ich und als astralischer Leib, und nun zu sehen: dieser Mensch, der denkt eigentlich im Geiste und weiß es nicht. Er weiß nicht, daß seine Gedanken im Geistigen leben. Und wiederum den Undinen ist unerklärlich, daß der Mensch so wenig sich selber kennt; den Sylphen ebenso; den Feuerwesen ebenso.

Sehen Sie, es ist auf dem physischen Plane oftmals unangenehm, um- flattert zu werden in der Nacht von Schnaken und dergleichen. Aber der geistige Mensch, das Ich und der astralische Leib, die werden von diesen elementarischen Wesen in der Nacht umwoben und umlebt, und dieses Umwoben- und Umlebtwerden ist eigentlich eine fortwährende Mahnung, mit seinem Bewußtsein vorzurücken, so daß man mehr weiß von der Welt.

So daß ich nun versuchen kann, Ihnen einen Begriff zu geben von dem, wie diese Wesenheiten: Gnomen, Undinen, Sylphen, Feuerwesen etwa da schwirren, und wie es wird, wenn man anfängt zu hören, was sie eigentlich an einem amüsiert, und was sie von einem haben wollen, indem sie einen ermahnen, weiterzurücken mit seinem Bewußtsein. Ja, sehen Sie, da kommen die Gnomen, und die sagen etwa:

Du träumst dich selbst
Und meidest das Erwachen.

Die Gnomen wissen, daß der Mensch sein Ich eigentlich wie im Traume hat, daß er erst richtig aufwachen muß, um zu diesem wahren Ich zu kommen. Das sehen sie ganz klar ein. Sie rufen ihm zu im Schlafe:

Du träumst dich selbst

- sie meinen bei Tage -

Und meidest das Erwachen.

Dann tönt es durch von den Undinen:

Du denkst die Engelwerke...
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Der Mensch weiß nicht, daß seine Gedanken bei den Engeln eigentlich sind.

Du denkst die Engelwerke
Und weißt es nicht.

Und von den Sylphen, da tönt es an den schlafenden Menschen heran:

Dir leuchtet die Schöpfermacht,
Du ahnst es nicht;
Du fühlest ihre Kraft

- Schöpfermacht - Kraft -

Und lebst sie nicht.

Das sind die Sylphenworte ungefähr, die Undinenworte, die Gnomenworte.

Die Worte der Feuerwesen:

Dir kraftet Götterwille,
Du empfängst ihn nicht;
Du willst mit seiner Kraft

- mit der Kraft des Götterwillens -

Und stoßest ihn von dir.

All das ist die Ermahnung, daß man weiterrücken soll mit seinem Bewußtsein. Diese Wesenheiten, die nicht ins physische Dasein kommen, sie wollen, daß der Mensch mit seinem Bewußtsein weiterrückt, damit er auch Anteil haben könne an ihrer Welt.

Und hat man sich so hineingelebt in das, was sozusagen diese Wesenheiten den Menschen zu sagen haben, dann versteht man auch allmählich, wie sie ihr eigenes Wesen zum Ausdrucke bringen. Die Gnomen zum Beispiel etwa so:

Ich halte die Wurzelwesenskraft,
Sie schaffet mir den Formenleib.

Die Undinen:

Ich bewege die Wasserwachstumskraft,
Sie bildet mir den Lebensstoff.

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Die Sylphen:

Ich schlürfe die luft`ge Lebekraft,
Sie füllet mich mit Seinsgewalt.

Und die Feuerwesen - da ist es sehr schwer, irgendein Erdenwort zu finden für das, was sie tun, denn sie stehen dem Erdenleben und Erdentreiben ferne. Daher bilde ich aus dem Worte «verdauen» her, aber damit es nicht anklingt an das Verdauen, es ist ein feurig Verzehren: ich däue. «Däuen» muß ein Verbum werden, denn nur so kann das, was hier geschieht, ausgedrückt werden:

Ich däue die Feuerstrebekraft,
Sie erlöst mich in Seelengeistigkeit.

Ich habe mich, so gut es eben geht, hier bemüht, Ihnen einen Begriff zu geben, wie sich diese Wesenheiten der Elementarreiche selber charakterisieren, und was sie zunächst als Mahnung an den Menschen herantragen. Aber sie sind nicht so unfreundlich, dem Menschen nur Negatives zuzuraunen, sondern es gehen von ihnen gewissermaßen Lapidarsätze aus. Diese Lapidarsätze empfindet man als etwas ungeheuer Gigantisches. Bei solchen Dingen müssen Sie sich schon eine Empfindung dafür aneignen, wie anders es ist, ob man bloß in menschlichen Worten, wenn auch noch so schön, einen Satz ausspricht, oder ob aus dem ganzen mächtigen Gnomenheer ein solcher Satz wie kosmisch ertönt. Die Art und Weise des Entstehens macht eben den Unterschied aus. Und wenn der Mensch auf die Gnomen lauscht, dann tönt ihm der Gnomenchor entgegen, nachdem er ihm die Mahnung, die ich aufgeschrieben habe, gegeben hat; dann tönt ihm der Gnomenchor entgegen:

Erstrebe zu wachen!

Es ist der mächtige moralische Eindruck, den solche, durch das Welten- all strömende, aus ungeheuer vielen Einzelstimmen sich zusammensetzende Worte zu bedeuten haben.

Der Undinenchor ertönt:

Denke im Geiste!

Der Sylphenchor - nun aber ist das nicht so einfach, denn gerade dann, wenn im Vollmondschein die Gnomen wie glänzende gepanzerte Ritter

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erscheinen, dann ertönt von ihnen her wie aus Erdentiefen heraus: «Erstrebe zu wachen!» Und wenn die Undinen verschweben nach oben, in Sehnsucht, verzehrt zu werden, dann tönt auf die Erde zurück im Aufwärtsschweben: «Denke im Geiste!» Von den Sylphen, indem sie oben sich eratmen lassen, wie im Weltenlichte als bläulich-rötlich-grünliche Blitze verschwindend, tönt dann, indem sie hineinzucken in das Licht und da drinnen verschwinden, von ihnen herunter aus den Höhen:

Lebe schaffend atmendes Dasein!

Und wie, ich möchte sagen im feurigen Zorne, aber in einem Zorn, den man nicht als etwas Vernichtendes empfindet, sondern als etwas, was der Mensch haben muß vom Kosmos, wie aus feurigem, aber zugleich enthusiastischem Zorn tönt es, wenn die Feuerwesen das ihrige in den Feuermantel der Erde hineintragen. Da tönt es jetzt nicht wie aus Einzelstimmen zusammen, sondern wie eine mächtige Donnerstimme von dem ganzen Umkreis her:

Empfange liebend Götterwillenskraft!

Natürlich kann man die Aufmerksamkeit ablenken von alledem, dann vernimmt man es nicht. Es hängt von des Menschen Willkür ab, ob er solche Dinge vernimmt oder nicht. Aber indem er sie vernimmt, weiß er, daß sie Ingredienzien sind des Weltendaseins, daß in der Tat etwas geschieht, indem sich in der geschilderten Weise Gnomen, Undinen, Sylphen, Feuerwesen entfalten. Und die Gnomen sind für den Menschen nicht nur in der Beziehung da, wie ich es schon geschildert habe, sondern sie sind da, um ihre Weltenworte von der Erde aus ertönen zu lassen, die Undinen ihre Weltenworte im Hinaufströmen, die Sylphen von oben, die Feuerwesen wie ein Chor, wie ein Zusammenfluß einer mächtigen Stimmentfaltung.

Ja, das ist so in Worte umgesetzt, wie es einem erscheinen könnte. Aber diese Worte gehören zum Weltenworte, und wenn wir es auch nicht hören mit dem gewöhnlichen Bewußtsein, so sind diese Worte doch nicht ohne Bedeutung für die Menschen. Denn die uralte Anschauung, die instinktivem Hellsehen entsprungen ist, daß die Welt aus dem

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Worte heraus gebildet ist, die ist eben eine tiefe Wahrheit. Aber das Weltenwort ist nicht irgendeine Silbenzusammensetzung aus wenigem, sondern das Weltenwort ist dasjenige, was aus unzähligen und unzähligen Wesen zusammentönt. Unzählige und unzählige Wesenheiten haben etwas zu sagen in der Weltentotalität, und das Weltenwort tönt aus diesen unzähligen Wesenheiten zusammen. Nicht die allgemein abstrakte Wahrheit, daß die Welt aus dem Worte geboren ist, kann uns das vollständig geben, sondern allein das kann es uns vollständig geben, wenn wir nach und nach konkret darauf kommen, wie aus den Stimmen der einzelnen Wesenheiten sich das Weltenwort in seinen verschiedenen Nuancen zusammensetzt, so daß diese verschiedenen Nuancen in die große Weltenharmonie und in die gewaltige Weltenmelodie hineintönen und reden, indem es schafft.

Indem der Gnomenchor sein «Erstrebe zu wachen» ertönen läßt, ist das nur in die Gnomensprache umgesetzt, was als Kraft wirkt, um das menschliche Knochensystem, überhaupt das Bewegungssystem, zustande zu bringen.

Und indem die Undinen «Denke im Geiste» rufen, rufen sie, ins Undinenhafte übersetzt, dasjenige, was als Weltenwort sich in den Menschen ergießt, um die Stoffwechselorgane zu gestalten.

Indem die Sylphen, indem sie eratmet werden, herunterströmen lassen ihr «Lebe schaffend atmendes Dasein», durchdringt, durchbebt und durchwebt den Menschen die Kraft, die ihn mit den Organen des rhythmischen Systems begabt.

Und was auf Feuerwesenart vom Weltenfeuermantel hereintönt wie mit Donnerstimme, wenn man darauf aufmerksam ist, das ist dasjenige, was im Abglanze, im Abbilde erscheint - denken Sie sich, es strahlt ja herein vom Weltenfeuermantel! Da strahlt die Kraft dieses Wortes herein! Und jedes Nerven-Sinnessystem des Menschen, sozusagen jeder Menschenkopf ist das kleine, das miniaturhafte Abbild dessen, was da in die Feuerwesensprache übersetzt heißt: «Empfange liebend Götterwillenskraft».. Dieses Wort «Empfange liebend Götterwillenskraft», das ist dasjenige, was in höchsten Weltsubstanzen wirkt, und was, wenn der Mensch zwischen dem Tode und einer neuen Geburt seine Entwickelung durchmacht, umformt dasjenige, was er durch die Pforte des Todes

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hinausträgt, zu dem, was dann später die Nerven-Sinnesorgane des Menschen werden.

Bewegungssystem

Gnomenchor: Erstrebe zu wachen!

Stoffwechselorganisation

Undinen: Denke im Geiste!

Rhythmisches System

Sylphen: Lebe schaffend atmendes Dasein!

Nerven-Sinnessystem

Feuerwesen: Empfange liebend Götterwillenskraft!

So sehen Sie, wie das, was jenseits der Schwelle liegt, zu unserer Natur hinzugehört, wie das uns hinein führt in die schaffenden Götterkräfte, in das, was in allem anderen wirkt und lebt. Man möchte schon sagen, wenn man sich erinnert an all das, was ein anderes Zeitalter er- sehnt hat, und was in den Worten liegt, daß ich

Schau alle Wirkenskraft und Samen
Und tu nicht mehr in Worten kramen, -

das muß sich im Fortgang der Menschheitsentwickelung, der Menschheitsentfaltung verwirklichen. Wir kramen sonst in allem Wissen in Worten, wenn wir nicht hineinschauen in die Samenkräfte, die den Menschen in der verschiedensten Weise aufbauen.

So daß wir sagen können: Bewegungssystem, Stoffwechselsystem, rhythmisches System, Nerven-Sinnessystem ist eine Einheit, die zusammenströmt, indem von unten herauf ertönt: «Erstrebe zu wachen»; «Denke im Geiste» - von oben herunter sich mit den aufstrebenden Worten vermischt das andere: «Lebe schaffend atmendes Dasein»; «Empfange liebend Götterwillenskraft».

Dieses «Empfange liebend Götterwillenskraft», das ist das im Haupte ruhig Schaffende. Namentlich das von unten hinaufstrebende «Denke im Geiste», von oben herunterströmende «Lebe schaffend atmendes Dasein», ist dasjenige, was im Zusammenwirken so webt und lebt, daß es

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sich ein Abbild schafft in derArt undWeise, wie das menschliche Atmen in das menschliche Wirken im Blute übergeht, rhythmisch übergeht. Und was uns einpflanzt die Sinneswerkzeuge, das ist dasjenige, was von oben herunterströmt: « Empfange liebend Götterwillenskraft. » Das aber, was wirkt in unserem Gehen, in unserem Stehen, in unserem Bewegen der Arme und Hände, dasjenige, was den Menschen überhaupt in die Auslebung seines Willensmäßigen bringt, das ertönt in dem «Erstrebe zu wachen».

So sehen Sie, wie der Mensch ein Zusammenklang jenes Weltenwortes ist, das auf seiner niedersten Stufe also, wie ich es Ihnen dargestellt habe, interpretiert werden kann. Dieses Weltenwort geht dann hinauf bis zu den höheren Hierarchien, die eben anderes noch als Weltenwort entfalten müssen, damit der Kosmos erstehe und entstehe. Aber dasjenige, was diese Elementarwesen sozusagen in die Welt hineingerufen haben, das ist der letzte Ausklang dessen, was das schaffende, bildende, gestaltende Weltenwort ist, das zugrunde liegt allem Wirken und allem Dasein.

Gnomen

Du träumst dich selbst
Und meidest das Erwachen.

Ich halte die Wurzelwesenskraft -
Sie schaffet mir den Formenleib

Undinen

Du denkst die Engelwerke
Und weißt es nicht.

Ich bewege die Wasserwachstumskraft -
Sie bildet mir den Lebensstoff

Sylphen

Dir leuchtet die Schöpfermacht,
Du ahnst es nicht;

Du fühlest ihre Kraft
Und lebst sie nicht.

Ich schlürfe die luft`ge Lebekraft -
Sie füllet mich mit Seinsgewalt

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Feuerwesen

Dir kraftet Götterwille,
Du empfängst ihn nicht;
Du willst mit seiner Kraft
Und stoßest ihn von dir.

Ich däue die Feuerstrebekraft,
Sie erlöst mich in Seelengeistigkeit.

Gnomenchor: Erstrebe zu wachen!
Undinen: Denke im Geiste!
Sylphen: Lebe schaffend atmendes Dasein!
Feuerwesen: Empfange liebend Götterwillenskraft!

IV Die Geheimnisse der menschlichen Organisation

ZEHNTER VORTRAG Dornach, 9. November 1923

#G230,1985,SE161 - Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes

#TI

IV

Die Geheimnisse der menschlichen Organisation

ZEHNTER VORTRAG

Dornach, 9. November 1923

Sie werden gesehen haben, daß in diesen Vorträgen, die ich in der letzten Zeit gehalten habe, alles dahin drängt, die Welterscheinungen so zusammenzufassen, daß zuletzt dadurch eine wirkliche umfassende Menschenkenntnis herauskommt. Nach Menschenkenntnis drängt alles, was wir betrachtet haben, hin. Eine Menschenerkenntnis wird erst möglich sein, wenn sie beginnen kann mit den untersten Formen der Erscheinungswelt, mit alldem, was sich dem Menschen offenbart als die stoffliche Welt. Und was so beginnt mit der Betrachtung dessen, was sich als die stoffliche Welt offenbart, das muß schließen mit der Betrachtung der Hierarchienwelt. Von den untersten Formen des stofflichen Daseins bis hinauf zu den höchsten Formen des geistigen Daseins, bis zu der Welt der Hierarchien muß dasjenige gesucht werden, was dann zur wirklichen Menschenerkenntnis führen kann. Augenblicklich werden wir eine Art von Skizze entwerfen für eine solche Menschenerkenntnis in den Vorträgen, die ich jetzt vor Ihnen halten kann.

Wir müssen uns klar darüber sein, daß dasjenige, was als Mensch heute vor uns steht, das Ergebnis jener langen kosmischen Entwickelung ist, die ich immer zusammengefaßt habe als Saturn-, Sonnen-, Mond- und Erdenentwickelung. Die Erdenentwickelung ist noch nicht vollendet. Aber seien wir uns darüber klar, was eigentlich der Mensch der Erdenentwickelung im engeren Sinne, die also auf die Mondenentwickelung gefolgt ist, verdankt.

Sehen Sie, wenn Sie Ihre Arme ausbreiten und bewegen, wenn Sie die Finger bewegen, wenn Sie irgendeine äußere Bewegung ausführen: alles, was in Ihrem Organismus dazu notwendig ist, daß Sie Arme und Beine, den Kopf, die Lippen und so weiter bewegen können - und die Kräfte zu solchen menschlichen Äußerungen gehen ja in die innersten Partien des menschlichen Organismus hinein -, alles das ist dem Menschen durch die Erdenentwickelung im engeren Sinne beschieden. Sehen Sie dagegen hinein in alles, was Stoffwechselentwickelung ist, in den Raum, der von der äußersten menschlichen Haut abgeschlossen ist, sehen

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Sie auf alles das, was da im physisch-körperlichen inneren Menschen vor sich geht als Stoffwechselentwickelung, dann haben Sie darin ein Bild von dem, was der Mensch der Mondenentwickelung verdankt. Und Sie haben ein Bild von dem, was der Mensch der alten Sonnenentwickelung verdankt, wenn Sie auf alles das hinschauen, was im Menschen irgendwie ein rhythmischer Vorgang ist. Atmungsvorgang, Blutzirkulationsvorgänge sind ja die wichtigsten rhythmischen Vorgänge; alle diese rhythmischen Vorgänge verdankt der Mensch der alten Sonnenentwikkelung. Und alles, was Nerven- und Sinnesentwickelung ist, wiederum über den ganzen Körper des heutigen Menschen ausgebreitet, das verdankt der Mensch der alten Saturnentwickelung.

Aber bei alledem müssen Sie ins Auge fassen, daß der Mensch ein Ganzes ist, und daß die Weltenentwickelung ein Ganzes ist. Wenn wir heute so, wie ich es in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» getan habe, auf die alte Saturnentwickelung hinweisen, so meinen wir diejenige Entwickelung, die vor uralten Zeiten einmal der Sonnen- und Monden- und Erdenentwickelung vorangegangen ist. Aber das ist im Grunde genommen nur die eine Saturnentwickelung, die es bis zur Erde gebracht hat. Während sich die Erde entwickelt, entsteht ja auch eine Saturnentwickelung. Diese neue Saturnentwickelung ist in der Erdenentwickelung darinnen; sie ist sozusagen die jüngste Saturnentwickelung. Diejenige, die bis zu der Erdenentwickelung gekommen ist, ist die älteste. Diejenige, die als Saturnentwickelung in der alten Sonne gesteckt hat, ist die jüngere; die im Monde gesteckt hat, ist wieder jünger; und der Saturn, der heute die Erde ausfüllt, der im wesentlichen gewisse Wärmeorganisationen der Erde in Anspruch nimmt, der ist die jüngste Saturnentwickelung. Aber wir stecken mit unserem Menschen in dieser Saturnentwickelung drinnen.

So stecken wir in der kosmischen Entwickelung drinnen. Aber wir stecken auch in dem, was uns räumlich auf Erden umgibt. Nehmen Sie zum Beispiel das mineralische Reich. Wir stehen mit dem mineralischen Reich in Wechselwirkung. Wir nehmen die Mineralität durch Nahrung auf. Wir nehmen sie auch sonst auf durch die Atmung und so weiter. Wir verarbeiten das Mineralische in uns.

Aber alle Entwickelung, alle Weltenvorgänge sind anders im Men

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schen als außerhalb des Menschen. Ich habe schon bemerkt: es ist die reine Lächerlichkeit, wenn wir heute im chemischen Laboratorium chemische Vorgänge studieren und dann uns denken, daß diese chemischen Vorgänge sich einfach, wenn der Mensch die Nahrungsmittel ißt, in das Innere des Menschen hinein fortsetzen. Der Mensch ist nicht irgendein Zusammenfluß von chemischen Wirkungen; da ändert sich ja alles, innerhalb des Menschen. Und von einem gewissen Gesichtspunkte aus erscheint diese Änderung in der folgenden Weise.

Nehmen Sie an, wir nehmen Mineralisches auf. Alles, was wir an Mineralischem aufnehmen, muß im Menschen so weit getrieben werden, daß folgendes Geltung hat. Sie wissen, wir haben eine Eigenwärme; wir haben in unserer Blutwärme beim gesunden Menschen ungefähr siebenunddreißig Grad. Wir haben in unserer Blutwärme etwas, was die äußere Wärme im Mittel überragt. Alles, was wir mineralisch aufnehmen, muß aber in unserem Organismus so verwandelt, so metamorphosiert werden, daß das, was in unserer Blutwärme über die mittlere Wärme der äußeren Umgebung geht, was höher ist als die mittlere Wärme der äußeren Umgebung, daß das wohlgefällig das Mineralische aufnimmt. Wenn Sie ein Bröselchen Kochsalz genießen, so muß dieses Kochsalz von Ihrer Eigenwärme, nicht von der Wärme, die Sie mit der äußeren Welt gemein haben, sondern von Ihrer eigenen Wärme aufgesogen werden, muß wohlgefällig aufgenommen werden. Alles Mineralische muß sich in Wärmeäther verwandeln. Und in dem Augenblicke, wo der Mensch in seinem Organismus etwas hat, was irgendein Mineral verhindert, daß es sich in Wärmeäther verwandelt, in dem Augenblicke ist er krank.

Gehen wir weiter, gehen wir zu dem Pflanzlichen, das der Mensch aufnimmt. Das Pflanzliche nimmt der Mensch auf; er selber gehört der Welt an, indem er das Pflanzliche auch in sich entwickelt. Der Mensch enthält Mineralisches, das aber hinneigt, fortwährend hintendiert, Wärmeäther zu werden. Das Pflanzliche tendiert fortwährend hin im Menschen, luftig zu werden, gasartig zu werden. So daß der Mensch das Pflanzliche in sich hat als Luftreich. Alles, was im Menschen von Pflanzen hineinkommt, oder was er selbst als innere Pflanzenorganisation entwickelt, muß luftig werden, muß in ihm Luftgestalt annehmen kön

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nen. Wenn es nicht Luftgestalt annimmt, wenn seine Organisation so ist, daß sie ihn verhindert, alles, was pflanzlich sein will in ihm, in Luftgestalt übergehen zu lassen, ist er krank. Alles Tierische, das der Mensch aufnimmt, oder das er selber in sich ausbildet als Tierisches, alles das muß im Menschen, wenigstens zu irgendeiner Zeit, die flüssige, die wäßrige Form annehmen. Der Mensch darf nichts in sich haben von Tierischem, nicht von innerlich erzeugtem Tierischen, nicht von aufgenommenem Tierischen, das nicht in ihm den Vorgang durchmacht, daß es einmal in ihm flüssig wird. Ist der Mensch nicht imstande, sein eigenes Tierisches oder fremdes Tierisches flüssig zu machen, um es dann wiederum in Festes überzuführen, dann ist er krank. Nur das, was im Men

schen die rein menschliche Form gebiert, was beim Menschen davon herkommt, daß er ein aufrecht gehendes Wesen ist, daß er in sich Impulse zum Sprechen und Denken hat, nur das, was ihn zum eigentlichen Menschen macht, was ihn über das Tier hinaushebt, das darf in das feste Irdische - und das macht nur zehn Prozent unserer Gesamtorganisation höchstens aus -, das darf in das Feste, in das Festgestaltete, in die Form hineingehen. Geht irgend etwas vom Tierischen oder Pflanzlichen in die menschliche feste Form hinein, so ist der Mensch krank.

Alles Mineralische muß im Mensch einmal Wärmeäther werden. Alles Pflanzliche muß im Menschen das Durchgangsstadium des Luftartigen durchmachen. Alles Tierische muß im Menschen das Durchgangsstadium des Wäßrigen durchmachen. Alles Menschliche darf allein die irdisch-feste Form in ihm immer behalten. Das ist eines der Geheimnisse der menschlichen Organisation.

Nun lassen wir zunächst dasjenige weg - die spätere Betrachtung wird das um so reichlicher machen -, was der Mensch von der Erde hat, nehmen wir das, was im Menschen Stoffwechselorganisation ist, was er allerdings während der Erdenorganisation umbildet, aber in der Anlage aus der alten Mondenzeit hat, nehmen wir also das, was sich als Stoffwechsel im engeren Sinne vollzieht innerhalb der menschlichen Haut, wobei wir die Ausscheidungen durchaus mit zum Stoffwechsel zu rechnen haben, so wird dieses, ich möchte sagen, fortwährend geändert durch die Aufnahme der Nahrungsstoffe. Die Nahrungsstoffe,

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die zunächst außerhalb des Menschen sind, gehen in den Menschen ein und gliedern sich zunächst diesem Stoffwechselsystem ein.

Dieses Stoffwechselsystem verarbeitet das, was menschliche Umgebung ist, in Menschliches hinüber. Es beginnt alles Mineralische dem Wärmeäther anzunähern, alles Pflanzliche dem Gasig-Luftförmig-Duftigen anzunähern, es beginnt alles, was tierisch ist, namentlich was eigentierisch Erzeugtes ist, dem Wäßrigen anzunähern, und bildet als eine organisierte Formgestaltung das eigentlich Menschliche zum Festen. Das alles liegt der Tendenz nach im Stoffwechsel. Und der Stoffwechsel ist in dieser Beziehung etwas, was außerordentlich interessant ist.

Wenn wir den Stoffwechsel heraufverfolgen bis zum Atmen, so finden wir, daß der Mensch aus sich herausgestaltet den Kohlenstoff, der überall im Menschen zu finden ist. Er wird vom Sauerstoff aufgesucht, wird in Kohlensäure verwandelt, die dann der Mensch ausatmet. Die Kohlensäure ist die Verbindung des Kohlenstoffes mit dem Sauerstoff. Der Sauerstoff, der durch die Atmung eingesogen wird, macht sich über den Kohlenstoff her, nimmt den Kohlenstoff in sich auf; der Mensch atmet die Kohlensäure, die Verbindung, die der Sauerstoff mit dem Kohlenstoff eingegangen hat, aus. Aber bevor die Ausatmung geschieht, wird der Kohlenstoff sozusagen noch zum Wohltäter der menschlichen Natur. Denn dieser Kohlenstoff, indem er sich mit dem Sauerstoff verbindet, indem er gewissermaßen verbindet, was die Blutzirkulation bewirkt, mit dem, was die Atmung dann aus der Blutzirkulation macht, dieser Kohlenstoff, er wird zum Wohltäter der menschlichen Organisation; denn bevor er den menschlichen Organismus verläßt, verbreitet er in dem ganzen menschlichen Organismus eine Ausströmung von Äther. Die physische Wissenschaft sagt bloß: der Kohlenstoff wird mit der Kohlensäure ausgeatmet. Das ist aber nur die eine Seite des ganzen Vorganges. Der Mensch atmet die Kohlensäure aus, aber in seinem ganzen Organismus wird durch das Ausatmen zurückgelassen von dem Kohlenstoff, der in Anspruch genommen wird von` dem Sauerstoff, Äther. Dieser Äther dringt in den Ätherleib des Menschen ein. Und dieser Äther, der immerzu von dem Kohlenstoff erzeugt wird, ist dasjenige, was nun die menschliche Organisation geeignet macht, sich den geistigen Einflüssen zu öffnen, was die astral-ätherischen Wirkungen

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aus dem Kosmos aufnimmt. Da werden von diesem Äther, den der Kohlenstoff zurückläßt, die kosmischen Impulse angezogen, jene kosmischen Impulse, die wiederum gestaltend auf den Menschen wirken, die zum Beispiel sein Nervensystem so bereiten, daß es der Träger der Gedanken werden kann. Dieser Äther muß fortwährend unsere Sinne, zum Beispiel unser Auge, durchdringen, damit die Augen sehen können, damit die Augen den äußeren Lichtäther aufnehmen können. Wir verdanken es also dem Kohlenstoff, daß wir eine Ätherbereitung in uns haben, die der Welt entgegenkommen kann.

#Bild S. 166

Alles das wird schon im Stoffwechselsystem vorbereitet. Aber das Stoffwechselsystem ist als menschliches System in den ganzen Kosmos so hineingestellt, daß es für sich selbst nicht bestehen könnte. Das Stoffwechselsystem könnte nicht für sich selbst bestehen. Daher ist es auch erst als Drittes im Menschen gebildet worden in der Anlage. Die erste Anlage für das Nerven-Sinnessystem wurde gebildet während der alten Saturnzeit, die zweite Anlage für das rhythmische System während der alten Sonnenzeit, und erst, nachdem diese anderen Systeme da waren, konnte das Stoffwechselsystem im Menschen bewirkt werden, weil das Stoffwechselsystem

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für sich nicht bestehen könnte. Das Stoffwechselsystem ist, wenn wir zunächst die willkürlichen Bewegungen auslassen, im kosmischen Zusammenhang für den Menschen für die Ernährung berechnet. Aber diese Ernährung kann nicht für sich bestehen. Diese Ernährung braucht der Mensch, aber sie kann nicht für sich bestehen. Denn wenn man das Stoffwechselsystem beim Menschen für sich studiert - Sie werden in den nächsten Vorträgen sehen, wie notwendig das wiederum für die ganze menschliche Organisation ist -, so ist es fortwährend von allen möglichen Neigungen durchdrungen, den Menschen krank zu machen. Den Ursprung der inneren Krankheiten, die also nicht durch äußere Verletzungen entstehen, den müssen wir immer im Stoffwechselsystem suchen. Wer daher wirklich eine rationelle Krankheitsbeobachtung anstellen will, muß ausgehen vom Stoffwechselsystem, und er muß eigentlich jede einzelne Erscheinung im Stoffwechselsystem daraufhin fragen: Auf welchem Weg bist denn du? - Wenn wir alle Erscheinungen von dem Aufnehmen der Nahrung im Munde, von dem Verarbeiten der Nahrung, indem wir gewisse Stoffe in uns in Stärke und Zucker und so weiter verwandeln, wenn wir das Einhüllen der Speisen im Munde durch Ptyalin nehmen, wenn wir weitergehen, wenn wir das Einpepsinieren im Magen nehmen, wenn wir weitergehen und die Verarbeitung der Stoffwechselprodukte wiederum im Verdauungssystem nehmen, bei ihrem Übergang in die Lymphgefäße, bei ihrem Übergang ins Blut, dann müssen wir jeden einzelnen Vorgang suchen, und es sind unzählige Vorgänge, die da in Betracht kommen. Die Vermischung der Stoffwechselprodukte mit dem Sekret der Bauchspeicheldrüse, die dann noch hinzukommt, die Durchmischung der Stoffe mit der Gallenabsonderung und so weiter, jeden einzelnen Vorgang müssen wIr fragen: Was willst denn du eigentlich? - Und er wird uns antwor

ten: Wenn ich allein bin, so bin ich ein solcher Prozeß, der immer den Menschen krank macht. - Kein Stoffwechselvorgang darf in der mensch

lichen Natur bis zu Ende kommen, denn jeder Stoffwechselvorgang, wenn er zu Ende kommt, macht den Menschen krank. Die menschliche Natur ist nur gesund, wenn die Stoffwechselvorgänge auf einer gewissen Stufe gestoppt werden.

Wir werden dieses, was vielleicht zunächst als Torheit der Weltorga

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nisation erscheinen könnte: daß da im Menschen etwas beginnt, was, wenn es nicht auf halbem Wege aufgehalten würde, den Menschen krank machen würde, wir werden das als etwas vom Weisesten in den nächsten Vorträgen kennenlernen. Aber jetzt wollen wir es einstweilen der Tatsächlichkeit nach betrachten, wollen in Betracht ziehen, daß uns die Einzelheiten der Stoffwechselvorgänge, wenn wir sie innerlich ihrem Wesen nach studieren, antworten würden: Wir sind auf dem Wege, den ganzen Organismus krank zu machen. Jeder Stoffwechselvorgang, fortgesetzt, macht den Organismus krank. Es müssen eben schon, wenn überhaupt Stoffwechsel im Menschen sein soll, andere Prozesse da sein, die vorher in ihren Anlagen entwickelt sein müssen, und das sind die Vorgänge, welche in der Zirkulation vorhanden sind; das sind die Zirkulationsvorgänge. Die Zirkulationsvorgänge enthalten fortwährend heilende Prozesse. So daß der Mensch tatsächlich auch so beschrieben werden kann, daß man sagt: Der Mensch ist während der alten Mondenentwickelung als Patient geboren worden, und ihm ist vorausgeschickt worden in seiner eigenen Natur während der alten Sonnenentwickelung der Arzt. Während der alten Sonnenentwickelung ist der Mensch in bezug auf seine eigene Natur als Arzt geboren worden. Es ist sehr vorsichtig gewesen in der Weltenentwickelung, daß der Arzt vor dem Patienten entstanden ist, denn während der alten Mondenentwickelung ist der Patient im Menschen selber dazugekommen. Man muß, wenn man den Menschen richtig beschreiben will, auf- rücken von den Stoffwechselvorgängen zu den Zirkulationsvorgängen, natürlich zu alledem, was als Impulse den Zirkulationsvorgängen zugrunde liegt. Der eine Stoff bewirkt schnellere, der andere langsamere Zirkulation im weitesten Sinne. Wir haben ja auch ganz kleine Zirkulationsvorgänge in uns. Nehmen Sie irgendwelche mineralischen Stoffe, nehmen Sie Gold, nehmen Sie Kupfer, alles ist, wenn es dem Menschen auf die eine oder andere Weise innerlich oder durch Injektion oder sonst irgendwie zugeführt wird, die Veranlassung, daß irgend etwas in der Zirkulation sich gestaltet, ändert, gesundend wirkt und so weiter. Und was man kennen muß, um hineinzuschauen in die eigentlichen Heilungsprozesse des Menschen, das ist, was jeder einzelne Stoff der Weltumgebung des Menschen auslöst im Menschen in bezug auf Zirkula

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tionsänderungen. So daß wir sagen können: die Zirkulation ist ein fortwährender Heilungsprozeß.

Sie können es, ich möchte sagen, errechnen, wenn Sie es wollen. Bedenken Sie, was ich Ihnen gesagt habe: im Durchschnitt hat der Mensch achtzehn Atemzüge in der Minute. Das gibt in außerordentlich regelmäßiger Anpassung an den Kosmos während des Tages so viel AtemZüge, als der Zirkulationsrhythmus der Sonne beim Durchgehen durch das Sonnenjahr ausmacht. Da aber geht die Sonne in ihrem Frühlingsaufgangspunkt in 25920 Jahren durch das Ganze durch. Der Mensch hat in seinem mittleren Alter am Tage durchschnittlich 25920 Atemzüge. Die Pulsschläge sind viermal mehr. Die andere Zirkulation, die mehr innerlich konzentrierte Zirkulation, ist beeinflußt von dem Stoffwechsel. Die Atmungszirkulation ist das, was dem äußeren Verkehre des Menschen mit der Außenwelt entspricht, was das Wechselverhältnis zur Außenwelt ist. Dieser Atmungsrhythmus muß fortwährend den Zirkulationsrhythmus bändigen, daß er bei seinen vieren bleibt, sonst kommt der Mensch mit seinem Zirkulationsrhythmus in einen ganz unregelmäßigen Rhythmus, nicht in die Zahl 103680 hinein. Das ist et- was, dem nichts im Kosmos entspricht. Da reißt sich der Mensch ganz aus dem Kosmos heraus. Sein Stoffwechsel reißt ihn aus dem Kosmos heraus, macht ihn fremd dem Kosmos, und der Atmungsrhythmus reißt fortwährend in den Kosmos hinein. In diesem Dividieren und in diesem Bändigen des Zirkulationsrhythmus durch den Atmungsrhythmus sehen Sie den Urheilungsprozeß, der fortwährend in dem Menschen ausgeführt wird. Aber in einer gewissen feineren Weise muß man mit jeder inneren Heilung dem Atmungsprozeß, der sich ja in einer gewissen Weise in den ganzen Körper hinein fortsetzt, so zu Hilfe kommen, daß er überall im Menschen den Zirkulationsprozeß bändigt, ihn zurück- führt auf die allgemeinen Verhältnisse des Kosmos.

So daß wir sagen können: Wir gehen von der Ernährung über in die Heilung, indem der Mensch von unten herauf immer eigentlich die Tendenz hat, krank zu werden, und in seinem mittleren Organismus, in dem Zirkulationsorganismus fortwährend die Tendenz entwickeln muß, gesund zu bleiben. Indem so in unserem mittleren Organismus fortwährend die Impulse der Gesundung entstehen, lassen sie etwas gerade

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nach dem Kopfnerven-Sinnessystem zurück; und wir kommen dann als Drittes zu dem Nerven-Sinnessystem. Was für Kräfte finden wir dann im Nerven-Sinnessystem? Wir finden im Nerven-Sinnessystem diejenigen Kräfte, die sozusagen der Arzt in uns zurückläßt. Er wirkt auf der einen Seite gesundend hinunter auf den Stoffwechselprozeß. Aber indem er gesundend auf den Stoffwechselprozeß wirkt, tut er ja etwas, was im ganzen Kosmos nun einer Beurteilung unterliegt. Und ich sage Ihnen nichts Phantastisches, sondern ich sage Ihnen etwas, was durchaus eine Realität ist: Es ruft dieser Vorgang, daß fortwährend in uns Gesundungsprozesse nach unten stattfinden, das Wohlgefallen der höheren Hierarchien hervor. Das ist die Freude der höheren Hierarchien an der Erdenwelt. Die schauen herunter und fühlen fortwährend das Aufsteigen der Krankheit aus demjenigen, was hinaufströmt in den Menschen vom Irdischen, was dableibt von den irdischen Eigenschaften der Stoffe. Sie sehen, wie die Impulse der aus dem Irdischen wirkenden Kräfte, die in der umkreisenden Luft und so weiter liegen, fortwährend Gesundungsprozesse sind. Das ruft das Wohlgefallen der höheren Hierarchien hervor.

#Bild S. 170

Jetzt stellen Sie sich vor, was Sie studieren können an demjenigen Weltenkörper, der gewissermaßen als das würdigste geistige Studienobjekt

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an die Grenze unseres Planetensystems hingestellt worden ist. Da steht in der Mitte dasjenige, was in sich birgt die Kräfte, die, wenn wir sie auf Erden konzentriert denken, krankmachende Kräfte sind, und in der Umgebung zeigen sich die kreisenden Kräfte des Gesundmachens. Und wer für solche Sachen Empfänglichkeit hat, der sieht an den Saturnringen in einer solchen Ausprägung, wie man sie in dem, was die Erde umgibt, nicht wahrnehmen kann, weil man darinnen steht, das, was die kreisende Gesundheit ist. Dieser Saturnring ist noch etwas wesentlich anderes, als was die Astronomen von ihm sagen. Dieser Saturnring ist kreisende Gesundheit, und das Innere des Saturns ist das Kränkende, das Krankmachende, in reinster Konzentration gesehen.

Und so sieht man an dem Saturn, der an das äußerste Ende unseres Planetensystems hingestellt ist, den gleichen Prozeß sich abspielen, den wir fortwährend durch unseren Stoffwechsel und durch unseren Zirkulationsorganismus in uns tragen. Aber wir sehen auch, wenn wir auf das hinschauen, wie unser geistiger Blick hingelenkt wird auf die Welt namentlich der zweiten Hierarchie und der ersten Hierarchie; der zweiten Hierarchie: Kyriotetes, Dynamis, Exusiai; der ersten Hierarchie: Seraphim, Cherubim, Throne. Wenn wir aufmerksam sind mit dem geistigen Auge auf den Saturn und seinen Ring, werden wir hingelenkt auf diese oberen Hierarchien, wie sie, ich möchte sagen, wohlgefällig auf dieses Krankmachende und Gesundende hinblicken.

Dieses Wohlgefallen, das ist nun eine Kraft im Weltenall. Dieses Wohlgefallen der höheren Hierarchien durchströmt dann unser Nerven-Sinnessystem und bildet darinnen die Kräfte der geistigen Entwickelung des Menschen. Das sind die Kräfte, die gewissermaßen hinausblühen aus der Heilung, die fortwährend im Menschen vor sich geht. So daß wir drittens die geistige Entwickelung haben.

1. Stoffwechsel Ernährung

2. Zirkulation Heilung

3. Nerven-Sinnesorganisation Geistige Entwickelung

Wenn wir jetzt den Menschen durch Saturn-, Sonnen- und Mondenzeit beschreiben, dann müssen wir sagen: Der Mensch ist zunächst aus dem Kosmos herausgeborener Geist, der in sich den Heiler entwickelt,

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der dadurch dann aufnehmen kann den kosmischen Patienten. Und durch die Zusammenwirkung von all diesem wird dann das hergestellt, was auf der Erde der in willkürlicher Bewegung befindliche Mensch ist.

Jedes einzelne Glied der Menschenerkenntnis muß, ich möchte sagen, in einer gewissen Weise inspiriert sein von demjenigen, was zugrunde liegt dem, was ich hier gesagt habe. Nehmen Sie an, es will jemand ein System der Heilkunde aufstellen, ein wirklich rationelles System der Heilkunde. Was wird denn das enthalten müssen? Natürlich in der Hauptsache die Heilungsprozesse. Aber die Heilungsprozesse, wovon werden die denn ausgehen müssen? Sie werden ausgehen müssen von den Stoffwechselvorgängen, und das andere kann höchstens Voraussetzung sein, wir werden darüber auch noch zu sprechen haben; das Anatomische, selbst das feiner Anatomische, das kann nur, weil es das Festgestaltete ist, der Ausgangspunkt sein. Das macht sich schon selbst menschlich. Aber die Stoffwechselvorgänge müssen zunächst von einem rationellen System der Medizin so studiert werden, daß man in ihnen immer die Tendenz wahrnimmt, wie sie zum Krankmachenden hingehen. So daß ein heutiges System der Medizin, das aufgestellt werden kann, durchaus mit dem Stoffwechselsystem, das heißt, zunächst mit den normalen Stoffwechselvorgängen zu beginnen hat, und daß von da aus geschöpft werden muß die Erkenntnis der Möglichkeit, wie nun innere Krankheiten aus dem Stoffwechsel heraus im weitesten Sinne entstehen können. Dann muß sich daraus durch eine intime Erkenntnis dessen, was die rhythmischen Prozesse machen, das ergeben, was die eigentliche Therapie ist. So daß bei einem heutigen System der Medizin begonnen werden muß mit dem Studium der Stoffwechselvorgänge, und dann von da aus der Übergang gemacht werden muß zu alldem, was im Bereich der rhythmischen Vorgänge im Menschen vorkommen kann. Und dann, möchte ich sagen, wird eine Art von Krönung des Ganzen erreicht werden, indem man zeigt, wie ein gesundes Entwickeln der geistigen Anlagen des Menschen voraussetzt die Erkenntnis desjenigen, was aus den heilenden Kräften kommt. Sie können heute gar keine Pädagogik, das heißt, keine Kunst der gesunden Entwickelung der Geistesnatur des Menschen finden, wenn Sie nicht ausgehen von den Heilungsprozessen; denn die Heilungsprozesse sind nichts anderes, als auf

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die Mittelnatur des Menschen das angewendet, was schon im reinen Denken verwendet werden muß bei der Ausbildung der geistigen Vorgänge des Menschen.

Der pädagogische Künstler muß auf geistige Art durchaus arbeiten mit den Kräften, die, ins Physische verdichtet, oder ins Ätherische verdichtet, Heilungsvorgänge sind. Tue ich irgend etwas an einem Kinde in pädagogischer Kunst, so ist das ein Vorgang, dem etwas Geistiges zugrunde liegt. Wenn ich mir diesen Vorgang übersetze, so daß ich das, was ich da im Geiste aus führe, jetzt dadurch ausführe, daß ich irgendein Stoffliches oder einen Prozeß anwende, so ist dieser Prozeß oder dieser Stoff ein Heilmittel. Man könnte auch sagen: Medizin ist die Metamorphosierung der geistigen Behandlung des Menschen hinunter ins Stoffliche. Wenn Sie sich erinnern, wie ich die Dinge angedeutet habe in dem Lehrerkursus, der dazumal für die englischen Besucher abgehalten wurde, so werden Sie sehen, wie ich überall darauf aufmerksam gemacht habe, wie in dem, was der Lehrer tut, mit einer Art allgemeiner menschlicher Therapie begonnen wird, wie diese oder jene pädagogische Maßnahme im späteren Lebensalter ungesunde Stoffwechselablagerungen oder Aufsaugen des unregelmäßigen Stoffwechsels verursachen kann. So daß das, was der Pädagoge tut, nach unten fortgesetzt, Therapie gibt. Und das Gegenbild der Therapie, das, was von unten nach oben strebt, das sind die Stoffwechselvorgänge.

Sie sehen also auch, wie ein System der Medizin heute herausgeboren werden muß aus einer gesamten Menschenerkenntnis. Das kann es. Das fühlen manche. Aber etwas erreicht wird erst sein, wenn tatsächlich ein solches System der Medizin ausgebildet ist. Und es gehört in der Gegenwart schon zu dem Notwendigsten. Wenn Sie heute Handbücher der Heilkunde ansehen, so werden Sie sehen, daß in der Regel nicht mit dem Stoffwechselsystem oder wenigstens in den seltensten Fällen mit dem Stoffwechsel begonnen wird. Aber davon muß ausgegangen werden, sonst lernt man nicht erkennen, worin überhaupt die Natur der Krankheit besteht.

Sehen Sie, diese ganze Sache ist wiederum so, daß tatsächlich Ernährungsvorgänge in Heilungsvorgänge, Heilungsvorgänge in geistige Vorgänge und wieder zurück geistige Vorgänge in Heilungsvorgänge übergehen

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können; oder wenn die geistigen Vorgänge direkt Stoffwechselstörungen bewirken, so gehen geistige Vorgänge auch wiederum in ein Stadium über, wo sie durch den mittleren Organismus des Menschen geheilt werden müssen. Alle diese Dinge gehen im Menschen ineinander über, und die ganze menschliche Organisation ist fortwährend eine wunderbare Metamorphose. Nehmen Sie zum Beispiel die Vorgänge, die in dieser ganzen wunderbaren Zirkulation des menschlichen Blutes liegen. Was sind denn das für Vorgänge?

Nun, fassen Sie zunächst ganz abgesondert vom übrigen menschlichen Organismus das Blut auf, wie es durch die Adern strömt, fassen Sie auf die menschliche Gestalt, also sagen wir, das Adernsystem und das, was als Muskelsystem sich anschließt, Knochensystem und so weiter, also das, was feste Bildung ist, und das, was flüssig da durchströmt. Bleiben wir beim flüssigen Zustand, beim Blute, stehen; es sind ja auch andere Flüssigkeiten da, aber bleiben wir beim Blute stehen. In diesem strömenden Flüssigen, was geschehen denn da drinnen fortwährend für Prozesse? Es spielen sich fortwährend Prozesse ab. Dieselben Prozesse, die sich abspielen im flüssigen Blut, die können nun nach irgendwelchen Seiten hin das, was nur Wandung oder Gerüst oder irgend etwas Fest- gebildetes, Gestaltetes im Menschen sein kann, ergreifen, dann ist das, was ins Blut hineingehört, in der Gefäßwandung oder im Muskel oder irgendwo im Knochen drinnen oder in irgendeinem Umhüllungsorgan. Was wird es denn da? Da wird es der Impuls für Entzündungserscheinungen. Was wir als die Impulse von Entzündungserscheinungen da oder dort finden, wir finden es fortwährend im flüssigen Blute als die normalen Vorgänge. Was da an Entzündung erscheint, das sind an unrechte Stellen, das heißt, an die gestalteten festen Stellen hingedrängte Vorgänge, die fortwährend im fließenden Blute stattfinden müssen. Ein absolut normaler, gesunder Prozeß disloziert, an eine andere Stelle gestellt, wo er nicht hingehört, ist ein krankmachender Prozeß. Und gewisse Krankheiten des Nervensystems bestehen gerade darin, daß das Nervensystem, das polarisch entgegengesetzt ist in seiner ganzen Organisation dem Blutsystem, die Einwanderung der im Blute normalen Prozesse erfahren muß. Wenn diese Prozesse, die in den Blutbahnen normale Prozesse sind, sich hinüberdrängen in die Nervenbahnen, dann

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werden die Nervenbahnen, und das geschieht beim leisesten Eindringen, von Entzündungen ergriffen, die ganz im Anfange der Entzündlichkeit stehen, und wir bekommen die verschiedenen Formen des kranken Nervensystems heraus.

Ich sagte, in den Nerven sind ganz andere Vorgänge als im Blute, die entgegengesetzten Vorgänge. Im Blut sind nach dem Phosphorigen hindrängende Vorgänge, Vorgänge, die eben, wenn sie als phosphorige Vorgänge das das Blut Umgebende oder das dem Blute Benachbarte ergreifen, zu Entzündlichem führen. Wenn Sie die Vorgänge in den Nervenbahnen verfolgen und diese auswandern in die anderen benachbarten Organe oder auch ins Blut hinein, dann entstehen die Impulse für alle Geschwulstbildungen beim Menschen. Wenn das ins Blut hinübergetragen wird, so daß das Blut dann in ungesunder Weise die anderen Organe versorgt, dann entstehen die Geschwulstbildungen. So daß wir sagen können: Jede Geschwulstbildung ist ein metamorphosierter Nervenprozeß an unrechter Stelle im menschlichen Organismus.

Sie sehen, was im Nerv läuft, muß im Nerv bleiben, was im Blute läuft, muß im Blute bleiben. Geht, was dem Blute angehört, hinüber in die Nachbarschaft, entstehen Entzündungen. Geht, was dem Nerv angehört, hinüber in die Nachbarschaft, so entstehen allerlei Bildungen, die man nur unter dem Trivialnamen Geschwulstbildung zusammenfassen kann. Aber es muß gerade zwischen den Vorgängen im Nerven- system und zwischen den Vorgängen im Blutsystem ein richtiger Rhythmus stattfinden.

Wir haben nicht nur im allgemeinen den Atmungsrhythmus in Kontrast mit dem Blutrhythmus, sondern wir haben im zirkulierenden Blute feine Vorgänge, die, wenn sie aus dem Blute herausgehen, Entzündungsvorgänge werden. Diese feinen Vorgänge müssen ebenso in einem gewissen rhythmischen Zusammenhange stehen mit dem, was im benachbarten Nerv vorgeht, wie die Atmung in einem Zusammenhange stehen muß mit der Blutzirkulation. Und in dem Augenblicke, wo das gestört ist zwischen dem Blutrhythmus und Nervenrhythmus, muß es wiederum hergestellt werden.

Sie sehen, da kommen wir wieder hinein in ein Gebiet der Therapie, der Heilungsprozesse. Das alles zeigt Ihnen, wie im Menschen alles da

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sein muß: das am meisten Kranke muß da sein, damit es an anderer Stelle ein Gesundes sein kann; es ist nur durch einen unrechten Prozeß an eine falsche Stelle gekommen. Denn wäre es gar nicht da, könnte der Mensch nicht bestehen. Der Mensch könnte nicht bestehen, wenn er nicht Entzündungen kriegen könnte, denn die Entzündung erregenden Kräfte müssen fortwährend im Blute sein. So ist es gedacht gewesen, wenn ich oftmals gesagt habe: aus einer wirklichen Menschenerkenntnis heraus muß alles entstehen, was der Mensch eigentlich an Erkenntnis erwirbt. Sie sehen da, worin die Gründe liegen, warum eigentlich eine Pädagogik, ich möchte sagen, so obenauf, abstrakt getrieben, ein ziemlicher Unsinn ist. Eigentlich müßte man Pädagogik so treiben, daß man überall ausgeht von gewissen pathologischen Prozessen im Menschen und von der Möglichkeit ihrer Heilung.

Wenn man eine Gehirnkrankheit und die Möglichkeit der Heilung der Gehirnkrankheit kennt, dann hat man im Groben - das ist wieder nach anderer Art fein, selbstverständlich, aber in bezug darauf, daß es ein physischer Vorgang ist, sage ich «grob» - in der Behandlung des Gehirns das, was genau just ausgeführt werden muß in der pädagogischen Kunst. Daher ist es so, daß eigentlich, wenn man einmal ein wirkliches pädagogisches Seminar einrichtet, man auf der einen Seite den Lehrern Pathologisch-Therapeutisches beibringen müßte: da würden sie ihr Denken schulen erst an Anschaulicherem, weil mehr im Stoffe Wurzelndem, für das, was sie nun begreifen sollen in der eigentlichen Pädagogik. Und wiederum ist nichts nützlicher für die Therapie, namentlich für die Therapie der inneren Krankheiten, als wenn man weiß, wie das oder jenes in der pädagogischen Kunstbehandlung wirkt. Denn findet man die Brücke hinüber zum Stofflichen, so findet man gerade an der Art und Weise, wie man im Pädagogischen behandeln soll, auch das Heilmittel.

Wenn man zum Beispiel die richtigen pädagogischen Mittel findet, um gewissen Trägheitserscheinungen bei Kindern pädagogisch zu begegnen, die von Störungen im Verdauungssystem herrühren, dann bekommt man ganz merkwürdige innere Tendenzen; wenn man so wirklich drinnen lebt in der Pädagogik, natürlich nicht, wenn man so äußerlich lernt und eigentlich lieber, wenn die Schule aus ist, am Abend im

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«Gemeindestübel» sitzt und vergißt, was in der Schule vorgeht. Man bekommt von der Behandlungsweise, die man da angedeihen läßt einem solchen Kinde, die Tendenz, das ganze Wirken der Kopfvorgänge, den ganzen Zusammenhang der Kopfvorgänge und der Unterleibsvorgänge, ich möchte sagen, zu sehen. Und wenn man dann wiederum in der Mineralogie studiert zum Beispiel die Vorgänge, die in dem Kupfer vor sich gehen, indem das Kupfer im Erdreich dies oder jenes bildet: dann ist es fast so, daß in alledem, was das Kupfer ausführt, indem es zu dem oder jenem Kupfererze wird, daß in diesem Werden der Erze zu dem Kupfererz oder zu den anderen Erzen es einem dann so erscheint, daß man sagt: Da tut ja die Kupferkraft in der Erde dasjenige, was du als Pädagoge mit dem Knaben oder dem Mädchen tust! Man sieht förmlich ein Abbild von dem, was man selber tut, in den Kupferprozessen. Und es ist außerordentlich reizvoll, als Pädagoge sich eine intuitive, eine gefühls- und instinktmäßige Klarheit zu verschaffen über das, was man tut, um dann entzückt in die Natur hinauszugehen und zu sehen, wie eigentlich da draußen die Natur im Großen pädagogisch handelt; wie überall dort, wo durch irgendeinen Kalkprozeß etwas Schlimmes geschehen könnte, irgendwie ein Kupferprozeß da hineingefügt wird. Ja, in diesen Kupferprozessen, in diesen Erzbildungsprozessen innerhalb der übrigen Erdenprozesse liegen auch fortwährende Heilungen. Und es ist entzückend, wenn man irgendwo Pyriterze oder irgend etwas anderes findet, nun sich zu sagen: Das ist gerade so, wie wenn man in der richtigen Weise Menschen behandelt. Da behandeln die Geister der Natur von den Hierarchien herunter bis zu jenen Elementargeistern, von denen ich Ihnen gesprochen habe, als Heiler das, was auch eben im Leben als störende, krankmachende Prozesse auftreten könnte. Es ist eigentlich dann schon gar nicht mehr etwas anderes als ein Ablesen. Denn wenn man sieht, was da draußen geschieht, wenn man dann diesen oder jenen Stoff als Heilmittel anspricht oder ihn verarbeitet als Heilmittel, dann stellt man sich einfach hin und frägt sich: Wo er- scheint das Eisen? Wo erscheint dieses oder jenes Metall in den Adern? - studiert dann die Umgebung, und man findet dann immer, wenn irgend- ein Metallisches da oder dort erscheint in dieser oder jener Verarbeitung von der Natur: da drinnen ist ein Heilungsprozeß; nimm ihn nur, setze

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ihn fort, hinein in den menschlichen Organismus, dann schaffst du eine Therapie, die dir die Natur draußen vorgezeigt hat.

Ja, alles Gehen durch die Welt ist in Wirklichkeit ein richtiges Studieren des Ernährenden, des Heilenden, des Geistigen; denn in der Na- tur wird fortwährend krank gemacht und fortwährend geheilt. Da draußen sind sie, die großen kosmischen Heilungsprozesse. Wir müssen sie nur anwenden auf den Menschen. Das ist das wunderbare Zusammenwirken des Makrokosmos mit dem Mikrokosmos. Es ist in der Tat tief wahr, was ich zu manchen von Ihnen in dieser oder jener Form gesagt habe:

Willst du dich selber erkennen,

Blicke in der Welt nach allen Seiten. Willst du die Welt erkennen,

Schaue in alle deine eigenen Tiefen.

Das können Sie aber auf alles anwenden: Willst du den Menschen heilen, blicke in die Welt nach allen Seiten, blicke hin darauf, wie die Welt nach allen Seiten Heilung entwickelt. Willst du die Geheimnisse derWelt als Krankheits- und Heilungsprozesse erkennen, so blicke in alle die Tiefen der menschlichen Natur hinunter. - Sie können das auf alles anwenden, was Menschenwesen ist. Aber Sie müssen den Blick hinaus- richten auf die große Natur und den Menschen in lebendigem Zusammenhang sehen mit dieser großen Natur.

Man hat sich heute etwas anderes angewöhnt. Man geht weg von der Natur, so weit als möglich; man macht etwas, was einem selbst den Blick von der Natur abschließt, denn das, was man untersuchen will, das legt man unter ein Glas da unten auf ein kleines Tischchen; das Auge, das blickt nicht hinaus in die Natur, sondern blickt da hinein. Selbst der Blick noch ist abgeschnürt von der Natur. Man nennt das ein Mikroskop. Man könnte es ebensogut in einer gewissen Beziehung ein Nulloskop nennen, denn man schließt sich ab von der großen Natur. Und man weiß nicht, wenn man da unten das vergrößert hat, daß man in der Tat für die geistige Erkenntnis dasselbe hat, was geschehen würde, wenn der Vorgang in der Natur sich abspielte. Denken Sie doch nur einmal, wenn Sie irgendein kleines winziges Dingchen vom Menschen

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da drinnen vergrößern, damit Sie es beobachten können, so vollführen Sie ja mit diesem Winzigen des Menschen dasselbe, was Sie mit dem Menschen vollführen würden, wenn Sie ihn so weit auseinanderzerren und -reißen würden! Sie wären etwas viel Schrecklicheres noch als der Prokrustes, wenn Sie den Menschen so auseinanderzerren und -reißen würden, damit er so vergrößert ist, wie da dieses winzige Dingchen da unten unter dem Rohr vergrößert ist. Aber glauben Sie, daß Sie da den Menschen noch hätten? Es ist natürlich keine Rede davon, daß Sie den Menschen noch hätten. Ebensowenig haben Sie die Wahrheit da unten unter dem Mikroskop. Die vergrößerte Wahrheit ist nicht mehr die Wahrheit, ist ein Scheingebilde. Man darf nicht weggehen von der Natur und sich selbst noch den Blick einsperren. Gewiß, das alles kann für andere Dinge nützlich sein, aber für das, was eine wirkliche Menschenerkenntnis ist, ist es zunächst etwas, was ungeheuer von dieser wirklichen Menschenerkenntnis hinwegführt.

Die wirkliche Menschenerkenntnis muß so gesucht werden, wie wir es angedeutet haben. Sie muß führen von den Ernährungsvorgängen durch die Heilungsvorgänge zu den Vorgängen der Menschen- und Weltpädagogik im weitesten Sinne, wir können sagen, von der Ernährung durch die Heilung zu der Zivilisation und Kultur. Denn es ist alles wie eine untere Grundlage der physischen Vorgänge, die im Menschen in der Ernährung konzentriert sind; derHeilungsvorgänge, die aus dem, was immer umkreist, hervorgehen, was im Menschen in den rhythmischen Vorgängen konzentriert ist; und desjenigen, was von oben kommt, was im Menschen durch die Nerven-Sinnesprozesse konzentriert ist. Dreistufig richtet sich so die Welt auf.

Das wollte ich Ihnen zunächst als eine Art Grundlage geben. Wir wollen dann darauf weiter aufbauen. Wir wollen sehen, wie wir wirklich von solchen Ausgangspunkten hinaufkommen können in etwas, was sozusagen die Handhabung der Sache im praktischen Leben ist und was dann übergeführt werden kann zu dem, was Hierarchienerkenntnis ist.

ELFTER VORTRAG Dornach, 10. November 1923

#G230,1985,SE180 - Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes

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ELFTER VORTRAG

Dornach, 10. November 1923

Aus den bisherigen Darstellungen werden Sie haben entnehmen können, daß die Beziehungen derWeltumgebung des Menschen zu diesem Menschen selbst denn doch andere sind, als man sich nach den heutigen Begriffen oftmals ausmalt. Man denkt ja so leicht: dasjenige, was in der menschlichen Umgebung lebt, was dem mineralischen, dem pflanzlichen, dem tierischen Reiche angehört und dann von dem Menschen aufgenommen wird, das setze gewissermaßen seine Vorgänge, seine äußerlich stofflichen Vorgänge, die der Physiker, der Chemiker und so weiter untersuchen, im Menschen selber fort. Davon kann aber gar nicht die Rede sein, sondern man muß sich klar sein, daß innerhalb der menschlichen Hautvorgänge alles anders ist als außerhalb derselben, daß innerhalb dieser Hautvorgänge eine ganz andere Welt vorliegt als außerhalb. Solange man sich dessen nicht gewahr ist, wird man Immer wieder und wiederum darüber nachdenken, wie das oder jenes, das man in der Retorte oder sonst irgendwie untersucht, sich im menschlichen Organismus fortsetzt, und man wird den menschlichen Organismus selber nur wie eine kompliziertere Anordnung von Retortenvorgängen ansehen.

Allein erinnern Sie sich nur an das, was ich in der gestrigen Betrachtung schon sagte: alles Mineralische muß im Menschen umgesetzt werden bis zum Wärmeäther hin. Das heißt, alles, was in den menschlichen Organismus eindringt an Mineralischem, muß so weit metamorphosiert, umgewandelt werden, daß es wenigstens durch eine gewisse Zeit hindurch reine Wärme ist, und zwar eins mit der Wärme, die der Mensch als seine eigene Wärme über die Wärme seiner Umgebung hinaus entw1ckelt. Ob wir ein Salz, ob wir irgend etwas anderes Mineralisches in unserem Organismus aufnehmen, es muß die wärmeätherische Form irgendwie annehmen, und zwar annehmen, bevor es verwendet wird im menschlichen Organismus selber zu seinem Aufbau, zu seiner Gestaltung.

Wenn wir also irgendein Mineral außerhalb des menschlichen Organismus haben und uns vorstellen, dieses Mineral wandere da einfach

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hinein und bilde irgendeine Partie seiner Knochen, seiner Zähne und so weiter, so ist das der reine Unsinn; sondern was da in der menschlichen Gestaltung wiedererscheint, muß zunächst in die völlig flüchtig wärmeätherische Form übergegangen sein und dann zurückverwandelt werden in dasjenige, als das es dann in lebendiger Gestaltung im menschlichen Organismus auftritt.

Aber damit ist noch etwas ganz anderes verbunden; damit ist verbunden, daß zum Beispiel etwas, was feste Form hat, was sich schon im Munde in Wässeriges verwandelt, dann weiter verwandelt wird bis zum Wärmeäther hin, daß das allmählich im Menschen, indem es zunächst in die wäßrige Form übergeht, an Schwere verliert, daß es erdenfremder wird; und bis es hinaufkommt in die wärmeätherische Form, ist es völlig bereit, das Geistige, das von oben kommt, das aus den Weltenweiten kommt, in sich aufzunehmen.

Also wenn Sie sich vorstellen wollen, wie ein Mineralisches im Menschen verwendet wird, so müssen Sie sich folgendes sagen (es wird gezeichnet): Da ist das Mineralische; dieses Mineralische geht in den Menschen ein. Im Menschen wird es durch das Flüssige und so weiter bis zum Wärmeäther verwandelt; da ist es Wärmeäther. Dieser Wärmeäther hat die größte Neigung, dasjenige, was aus den Weltenweiten an Kräften hereinstrahlt und hereinströmt, in sich aufzunehmen. Er nimmt also die Kräfte des Weltenalls auf. Diese Kräfte des Weltenalls bilden sich nun als die Geistkräfte, die hier die wärmeätherisierte Erdenmaterie durchgeistigen. Und von da aus dringt dann mit Hilfe der wärmeätherisierten Erdensubstanz dasjenige erst in den Körper, was der Körper nun braucht zu seiner Gestaltung.

Also denken Sie sich, wenn w1r im alten Sinne Wärme als Feuer bezeichnen, so können wir sagen: Was mineralisch vom Menschen aufgenommen wird, das wird im Menschen hinaufgetragen bis zur feurigen Natur. Die feurige Natur ist geneigt, die Einflüsse der höheren Hierarchien in sich aufzunehmen, und dieses Feuer erst strömt dann wiederum in alle menschlichen Innenregionen aus und bildet, indem es sich neuerdings verhärtet, dasjenige, was im Menschen die substantielle Grundlage der einzelnen Organe ist. Nichts, was der Mensch in sich aufnimmt, bleibt so, wie es ist; nichts bleibt irdisch. Alles verwandelt

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sich, namentlich aus dem mineralischen Reiche, so weit, daß es das Geistig-Kosmische in sich aufnehmen kann und mit Hilfe des Geistig-Kosmischen es erst wiederum zurückverhärtet zum Irdischen.

Nehmen Sie also aus einem Knochen irgendein Stück phosphorsauren Kalk, so ist dieser nicht etwa der phosphorsaure Kalk, den Sie draußen in der Natur finden oder den Sie im Laboratorium meinetwillen herstellen, sondern es ist der phosphorsaure Kalk, welcher entstanden ist aus dem, was äußerlich aufgenommen worden ist mit Hilfe der Kräfte, die dann, während das äußerlich Aufgenommene in den wärmeätherischen Zustand übergegangen war, eingedrungen sind und erst in die Menschenbildung eingegriffen haben.

Sehen Sie, daher braucht der Mensch im Laufe seines Lebens die verschiedensten Substanzen, um, je nachdem er nach seinem Lebensalter organisiert ist, das Leblose umwandeln zu können in Wärmeätherisches. Das Kind könnte überhaupt noch nicht Lebloses in Wärmeätherisches umwandeln; es hat noch nicht Kraft genug in seinem Organismus. Es muß die noch der menschlichen Organisation selbst so nahestehende Milch aufnehmen, um diese nun bis zum Wärmeätherischen zu bringen und seine Kräfte dazu verwenden zu können, das wirklich ausgebreitete Plastizieren, das notwendig ist während des kindlichen Alters in bezug auf die Körpergestaltung, ausführen zu können. Man sieht erst hinein in die menschliche Natur, wenn man weiß, daß alles, was von außen aufgenommen wird, gründlich umgearbeitet werden muß. Nehmen Sie daher einen äußeren Stoff und wollen Sie ihn auf seinen Wert für das Menschenleben prüfen, so können Sie das zunächst mit der gewöhnlichen Chemie gar nicht tun, weil Sie wissen müssen, wieviel Kraft der menschliche Organismus aufwenden muß, um einen äußerlich mineralischen Stoff bis zu der Flüchtigkeit des Wärmeäthers zu bringen. Kann er das nicht, dann lagert sich dieser äußere mineralische Stoff in ihm ab, wird schwerer Erdenstoff, bevor er in Wärme übergegangen ist, und durchsetzt, als dem menschlichen Organismus fremd gebliebener unorganischer Stoff, die menschlichen Gewebe.

Ein solches kann zum Beispiel eintreten, wenn der Mensch nicht imstande ist, dasjenige, was mineralisiert - es ist ja ursprünglich organisch -, aber mineralisiert als Zucker in ihm auftritt, bis zu der Flüch

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tigkeit des Wärmeätherischen zu bringen. Dann setzt es sich vor jenem Zustande ab im Organismus, zu dem es kommen muß, wenn der ganze Organismus beteiligt sein soll an alldem, was da in ihm ist, und es entsteht die so schlimme Zuckerruhr, Diabetes mellitus. M`an muß also bei jedem Stoff ins Auge fassen, inwiefern der menschliche Organismus imstande sein kann, das Unlebendige, das entweder der Stoff schon bildet, wenn wir zum Beispiel Kochsalz essen, oder das es wird, wie beim Zucker, bis zur Wärmematerie hinzubringen, wo dann der Organismus, der auf der Erde eingewurzelt ist, seinen Anschluß findet an den geistigen Kosmos.

Jede solche Ablagerung im Menschen, die dann unverarbeitet bleibt wie diejenige, die bei Diabetes eintritt, bedeutet, daß der Mensch in sich nicht für die in ihm vorhandenen Stoffe den Anschluß an das Geistige des Kosmos findet. Das ist nur, ich möchte sagen, eine Einzelanwendung des allgemeinen Satzes, daß dasjenige, was äußerlich an den Menschen herantritt, im Inneren vom Menschen ganz durchgearbeitet werden muß. Man muß, wenn man für die Gesundheit eines Menschen sorgen will, vor allem dafür sorgen, daß nichts in den Menschen hinein- kommt, was so bleibt, wie es ist, was nicht bis in das geringste Atom hinein vom menschlichen Organismus umgearbeitet werden kann. Das bezieht sich nicht nur auf Stoffe, das bezieht sich zum Beispiel auch auf Kräfte.

Die äußere Wärme, die Wärme, die wir fühlen, wenn wir die Dinge angreifen, die äußere Wärme, die die Luft hat, sie muß, wenn sie vom menschlichen Organismus aufgenommen wird, umgewandelt werden so, daß tatsächlich die Wärme selbst im Menschen, wenn ich mich so ausdrücken darf, auf einem anderen Niveau liegt als außerhalb. Wenn ich das Wärmeniveau, das die äußere Wärme hat, mit diesem bezeichne (es wird gezeichnet), so muß sie, wenn sie von uns aufgenommen wird, innerlich etwas umgewandelt werden, so daß überall in das, worinnen wir nicht sind, in der äußeren Wärme, der Organismus eingreift. Auch in jedes kleinste Wärmequantum muß der Organismus eingreifen.

Nun denken Sie sich, ich gehe durch die Kälte, und weil die Kälte zu groß ist, oder weil die Kälte in bewegter Luft oder im Luftzug flackert, bin ich nicht imstande, so schnell, wie es notwendig wäre, die Welten

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wärme in meine eigene Wärme zu verwandeln. Dabei komme ich in die Gefahr, von der Weltenwärme erwärmt zu werden wie ein Stück Holz oder gar wie ein Stein, die von außen erwärmt werden. Das darf nicht sein. Ich darf nicht der Gefahr ausgesetzt werden, die äußere Wärme bloß wie einen Gegenstand in mich überfließen zu lassen. Ich muß in jedem Augenblicke in der Lage sein, von den Stellen meiner Haut an sofort die Wärme zu ergreifen und zu meiner eigenen zu machen. Bin ich das nicht imstande, so tritt die Erkältung ein.

Das ist der innere Vorgang der Erkältung. Die Erkältung ist eine Vergiftung durch äußere Wärme, die nicht vom Organismus in Besitz genommen worden Ist.

Sie sehen, alles das, was draußen in der Welt ist, ist Gift für den Menschen, richtige`s Gift, und wird erst dadurch etwas für den Menschen Brauchbares, daß der Mensch Besitz von ihm ergreift durch seine eigenen Kräfte. Denn nur vom Menschen gehen die Kräfte dann in menschlicher Weise hinauf zu den höheren Hierarchien; während sie draußen bei den elementarischen Naturwesen, bei den Elementargeistern bleiben. Beim Menschen muß diese wunderbare Umwandelung geschehen, daß die Elementargeister in der menschlichen Organisation ihre Arbeit den höheren Hierarchien übergeben können. Das kann für das Mineralische nur der Fall sein, wenn das Mineralische ganz und gar in Wärmeätherisches umgewandelt wird.

Sehen wir uns die Pflanzenwelt an. Diese Pflanzenwelt hat in der Tat etwas für den Menschen in mannigfaltiger Weise Bezauberndes, wenn er beginnt, mit dem Auge des Geistes die Pflanzendecke der Erde zu betrachten. Wir gehen hinaus auf die Wiese oder irgendwohin in den Wald. Wir graben uns meinetwillen eine Pflanze mit der Wurzel aus. Schauen wir das, was wir da ausgegraben haben, mit dem Auge des Geistes an, so haben wir eigentlich eine wunderbare zauberische Zusammenstellung. Die Wurzel erweist sich als etwas, von dem man eigentlich sagen kann: es ist ganz und gar aufgegangen in dem Irdischen. Ach, eine Pflanzenwurzel, je brutaler sie sich vor uns hinstellt, ist eigentlich etwas so furchtbar Irdisches. Denn es erinnert einen eine Pflanzenwurzel, besonders, sagen wir eine Rübenwurzel, eigentlich immer an einen satten Bankier. Ja, es ist so; es ist die Pflanzenwurzel so ungeheuer be

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häbig, so zufrieden mit sich. Sie hat die Salze der Erde in sich aufgenommen und fühlt sich so wohlig in diesem Gefühl, die Erde in sich aufgesogen zu haben. Es gibt eigentlich unter allem Irdischen nichts Zufriedeneres als solch eine Rübenwurzel, sie ist der Repräsentant des Wurzelhaften.

Schauen wir dagegen die Blüte an. Wir können eigentlich nicht anders, wenn wir ihr gegenüberstehen mit dem Auge des Geistes, als sie zu empfinden wie unsere eigene Seele, wenn diese die zartesten Wünsche hegt. Sehen Sie sich nur einmal so eine richtige Frühlingsblüte an; sie ist ja im Grunde genommen ein Wunschhauch; sie ist die Verkörperung einer Sehnsucht. Und es gießt sich eigentlich, wenn wir dazu zarten Seelensinn genug haben, über die Blütenwelt, die uns umgibt, etwas Wunderbares aus.

Wir sehen im Frühling das Veilchen oder meinetwillen den Märzbecher oder das Maiglöcklein oder manches gelbblühende Pflänzchen, und wir werden ergriffen davon, so wie wenn uns alle diese frühlingsblühenden Pflanzen sagen wollten: Ach, Mensch, wie rein und unschuldig kannst du eigentlich deine Wünsche nach dem Geistigen hin richten. - Die geistige Wunschnatur, ich möchte sagen, die in Frömmigkeit getauchte Wunschnatur sprießt und sproßt aus jeder Frühlingsblüte.

Wenn dann die späteren Blüten kommen - nehmen wir gleich das Extrem, nehmen wir die Herbstzeitlose -, ja, kann man denn mit Seelensinn die Herbstzeitlose anschauen, ohne ein leises Schamgefühl zu haben? Mahnt sie uns denn nicht daran, daß unsere Wünsche unrein werden können, daß unsere Wünsche durchzogen werden können von den mannigfaltigsten Unlauterkeiten? Man möchte sagen, die Herbst- zeitlosen sprechen von allen Seiten so zu uns, als wenn sie uns fortwährend zuraunen wollten: Schaue auf deine Wunschwelt hin, o Mensch, wie leicht du ein Sünder werden kannst.

Und so ist eigentlich die Pflanzenwelt der äußere Naturspiegel des menschlichen Gewissens. Man kann sich nichts Poetischeres denken, als diese im Inneren wie aus einem Punkt herauskommende Gewissensstimme verteilt zu denken auf die mannigfaltigsten Pflanzenblütenformen, die uns die Jahreszeiten hindurch so zur Seele reden, in der mannigfaltigsten

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Weise zur Seele reden. Die Pflanzenwelt ist der ausgebreitete Spiegel des Gewissens, wenn wir nur die Pflanzenwelt in der richtigen Weise anzusehen wissen.

Wenn wir dies ins Auge fassen, dann wird es uns besonders wichtig werden, auf die Pflanzenblüte hinzuschauen, zu vergleichen, wie die Blüte eigentlich die Sehnsucht ist nach den Lichtweiten des Weltenalls, wie die Blüte förmlich hinaufwächst, um die Wünsche der Erde den Lichtweiten des Weltenalls entgegenzuströmen, und wie auf der an- deren Seite die behäbige Wurzel die Pflanze erdengefesselt macht; wie die Wurzel es ist, welche fortdauernd der Pflanze abringt ihr Himmels- wünschen und es in Erdenbehaglichkeit umgestalten will.

Wir lernen begreifen, warum das so ist, wenn wir in der Evolutionsgeschichte der Erde darauf kommen, daß dasjenige, was in der Wurzel der Pflanze vorliegt, immer veranlagt worden ist in der Zeit, als der Mond noch bei der Erde war. In der Zeit, als der Mond noch bei der Erde war, wirkten die im Monde verankerten Kräfte innerhalb des Erdenkörpers so stark, daß sie die Pflanzen fast nur zur Wurzel werden ließen. Als der Mond noch bei der Erde war und die Erde noch eine ganz andere Substanz hatte, da breitete sich mächtig nach dem Unteren hin das Wurzelhafte aus. Und man kann dies so darstellen, daß man sagt, nach unten hin breitete sich das Pflanzen-Wurzelhafte mächtig aus, und nach oben guckten die Pflanzen nur heraus in das Weltenall (Tafel VII links, blau). Ich möchte sagen, wie feine Härchen trieben die Pflanzen ihre Triebe nach dem Weltenall hinaus. So daß man das Gefühl hat: während der Mond noch bei der Erde ist, fesselt dieser Mond, fesseln diese Mondenkräfte, die im Erdenkörper selber enthalten sind, das Pflanzliche an das Irdische. Und dasjenige, was dazumal sich in das Pflanzliche hineinversetzt hat, das bleibt dann in der Anlage im Wurzelhaften weiter.

Aber seit jener Zeit, wo der Mond die Erde verlassen hat, da entfaltet sich die Sehnsucht in den früher nur kleinen, winzigen Trieben, die hinauslugten nach dem Weltenall, da entfaltete sich die Sehnsucht nach den Weiten, nach den Lichtweiten des Weltenalls, und es entstand das Blütenhafte. So daß gewissermaßen der Mondenausgang für das Pflanzenreich eine Art von Befreiung war, eine richtige Befreiung.

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Aber wir müssen dabei doch ins Auge fassen, wie alles, was irdisch ist, in dem Geiste urständet. Während der alten Saturnzeit - nehmen Sie nur die Beschreibung, die ich in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» gegeben habe - war die Erde völlig geistig, lebte nur im wärmeätherischen Elemente, war ganz geistig. Aus dem Geistigen heraus hat sich ja erst das Irdische gebildet.

Nun schauen wir uns die Pflanze an. Sie trägt in ihrer Gestalt die lebendige Erinnerung an die Evolution mit sich. Sie trägt in ihrem Wurzelhaften mit sich das Erdigwerden, das Physisch-Stofflichwerden. Schauen wir die Pflanzenwurzel an, so finden wir des weiteren, daß sie uns sagt, sie ist nur möglich geworden dadurch, daß sich aus dem Geistigen heraus das Irdisch-Stoffliche entwickelt hat. Kaum ist aber die Erde entlastet vom Mondenhaften, da strebt die Pflanze wiederum zurück zu den Lichtweiten.

Wenn man nun das Pflanzliche als Nahrung genießt, dann gibt man der Pflanze Gelegenheit, das, was sie außen in der Natur schon begonnen hat, richtig fortzusetzen, zurückzustreben nicht nur zu den Licht- weiten des Kosmos, sondern zu den Geistweiten des Kosmos. Daher kommt es, daß wir das Pflanzliche, wie ich gestern gesagt habe, bis zum Luftartigen, bis zum Gasigen treiben müssen, damit das Pflanzliche seiner Sehnsucht nach den Lichtes-Geistesweiten folgen kann.

Ich gehe hinaus auf die Wiese. Ich schaue es der Blumenblüte, der Pflanzenblüte ab, wie sie nach dem Lichte strebt. Der Mensch genießt die Pflanze. Er hat in sich eine ganz andere Welt als draußen in der Umgebung. Er kann das, was die Pflanze draußen als Sehnsucht in der Blüte ausdrückt, in sich zur Erfüllung bringen. Wir sehen die in der Natur ausgebreitete Sehnsuchtswelt der Pflanzen. Wir genießen die Pflanzen. Wir treiben diese Sehnsucht der geistigen Welt in uns entgegen. Wir müssen dazu die Pflanzen ins Luftreich erheben, damit sie im leichteren Luftreiche die Möglichkeit haben, dem Geistigen entgegenzustreben.

Da macht die Pflanze einen sonderbaren Prozeß durch. Da geschieht, wenn der Mensch das Pflanzliche genießt, das Folgende: Wenn wir hier schematisch das Wurzelhafte haben (Tafel VII, Mitte rechts), dann dasjenige, was durch das Blatt zur Blüte strebt, dann haben wir bei diesem Luftartigwerden des Pflanzlichen innerlich ein völliges Umstülpen

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des Pflanzenwesens zu durchleben. Die Wurzel, die eben dadurch, daß sie in der Erde lebt, erdengefesselt ist, sie strebt hinauf; sie strebt am mächtigsten hinauf nach dem Geistigen und läßt das Blüten- streben hinter sich zurück. Es ist tatsächlich so, wie wenn Sie das Pflanzliche sich vorstellen würden in dieser Weise nach unten entfaltet, und Sie das Untere hier innen durchstecken könnten, so daß das Obere unten und das Untere oben wird [umgekehrtes Taschentuch]. Die Pflanze stülpt sich vollständig um. In sich selber gestaltet sie sich so, daß das Untere oben und das Obere unten ist. Was schon bis zur Blüte gediehen ist, das hat sozusagen im materiellen Streben das Licht genossen, hat die Materie bis zum Licht hinaufgebracht. Dadurch muß es zur Strafe das erleiden, daß es jetzt auch unten bleiben muß. Die Wurzel ist der Sklave des 'Irdischen gewesen; aber, das sehen Sie schon aus

Goethes Pflanzenmetamorphosenlehre, sie trägt zugleich die gesamte Pflanzennatur in sich. Sie strebt nach aufwärts.

Ja, wenn der Mensch einmal ein hartnäckiger Sünder ist, dann will er es auch bleiben. Die Wurzel der Pflanze, die, solange sie erdengefesselt ist, auf einen den Eindruck eines satten Bankiers macht, wird sofort, wenn der Mensch sie ißt, umgewandelt und strebt nach oben, während dasjenige, was die Materie ins Licht gebracht hat, die Blüte, unten bleiben muß. So daß wir an dem, was in der Pflanze wurzelhaft ist, etwas haben, was, wenn es genossen wird, eigentlich durch seine eigene Wesenheit nach dem Kopfe des Menschen hinstrebt, während dasjenige, was gegen die Blüte zu liegt, in den unteren Regionen bleibt; das kommt im Gesamtstoffwechsel nicht bis zur Kopfbildung hinauf.

Und so haben wir das merkwürdige, wunderbare Schauspiel, daß, wenn der Mensch das Pflanzliche genießt - er braucht natürlich nicht die ganze Pflanze zu genießen, denn jedes einzelne Stück der Pflanze enthält die ganze Pflanze; wie gesagt, sehen Sie sich da Goethes Metamorphosenlehre an -, wenn der Mensch die Pflanze genießt, verwandelt sie sich in ihm in Luft, in eine Luft, die von oben nach unten pflanzlich weiterschreitet, die von oben nach unten gewissermaßen blüht.

In Zeiten, in denen man solche Dinge durch das alte instinktive Hell- sehen gewußt hat, hat man die Pflanzen nach ihrer äußeren Beschaffenheit darauf angesehen, ob sie so sind, daß sie für den Kopf des Menschen

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etwas sein können, ob sie stark schon in der Wurzel angezeigt haben, daß sie Sehnsucht haben nach dem Geistigen. Dann wird dasjenige, was wIr von ihnen genießen, sich den Kopf des Menschen gewissermaßen bei der vollen Verdauung aufsuchen und bis in den Kopf dringen, um da hinaufzustreben nach dem geistigen Kosmos und mit dem die nötige Verbindung eingehen.

Bei Pflanzen, bei denen schon ein starkes Durchdrungensein mit Astralischem, wie zum Beispiel bei den Hülsenfrüchten, da ist, da wird selbst die Frucht in den unteren Regionen bleiben, nicht hinauf wollen bis zum Kopfe, dadurch aber den Schlaf dumpf und damit den Kopf, wenn der Mensch erwacht, dumpf machen. Die Pythagoreer wollten reine Denker bleiben, nicht die Verdauung zu Hilfe nehmen bei der Kopffunktion; daher haben sie die Bohnen verboten.

In dieser Weise kann man aus dem, was da ist in der Natur, die Beziehung zum Menschlichen und zu dem, was im Menschen geschieht, ahnen. Man weiß eigentlich, wenn man geistige Initiationswissenschaft hat, gar nicht, wie die materialistische Wissenschaft zurechtkommt bei der menschlichen Verdauung - gewiß, bei der Kuhverdauung ist es anders, davon werden wir auch noch sprechen - damit, daß sie meint, das Pflanzliche wird einfach aufgenommen. Es wird nicht aufgenommen bloß, es wird total vergeistigt. Es wird in sich selber so gestaltet, daß das Unterste sich zum Obersten und das Oberste sich zum Untersten kehrt. Man kann sich keine größere Umbildung denken. Und der Mensch wird sofort krank, wenn er auch nur das kleinste Quantum einer Pflanze genießt, bei der nicht das Unterste zuoberst und das Oberste zuunterst gekehrt wird.

Daraus aber ersehen Sie, daß der Mensch nichts in sich trägt, was nicht der Geist macht, denn dasjenige, was der Mensch stofflich aufnimmt, dem muß er erst eine Form geben, so daß der Geist seinen Einfluß darauf haben kann.

Wenn wir ans Tierische herangehen, dann müssen wir uns klar sein, daß das Tierische selbst zunächst die Verdauung hat, daß das Tierische aufnimmt zunächst das Pflanzliche. Sehen wir auf die Pflanzenfresser. Das Tierische nimmt das Pflanzliche in sich auf. Das ist wiederum ein sehr komplizierter Vorgang, denn indem das Tier das Pflanzliche in

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sich aufnimmt, kann ja das Tier keine menschliche Gestalt dem Pflanzlichen entgegensetzen. Daher kann sich im Tiere das Pflanzliche nicht von unten nach oben und von oben nach unten kehren. Das Tier hat seine Wirbelsäule parallel der Erdoberfläche. Dadurch wird dasjenige, was da geschehen will beim Verdauen, im Tiere ganz in Unordnung gebracht. (Tafel VII, rechts.) Da will das Untere nach oben, und es will das Obere nach unten, und die Sache staut sich, staut sich in sich selber, so daß die tierische Verdauung etwas wesentlich anderes ist als die menschliche Verdauung. Bei der tierischen Verdauung staut sich dasjenige, was in der Pflanze lebt. Die Folge davon ist, daß beim Tier dem Pflanzenwesen das Versprechen gegeben wird: du darfst deiner Sehnsucht nach den Weltenweiten genügen - aber es wird ihm das Versprechen nicht gehalten. Die Pflanze wird wiederum zurück zur Erde geworfen.

Dadurch aber, daß im tierischen Organismus die Pflanze zurück zur Erde geworfen wird, dringen sofort in die Pflanze, statt daß wie beim Menschen, wenn die Umkehr stattfindet, von oben die Weltengeister mit ihren Kräften eindringen, beim Tier gewisse Elementargeister ein. Und diese Elementargeister, die sind Angstgeister, Angstträger. So daß für die geistige Anschauung dieses Merkwürdige zu verfolgen ist: Das Tier selbst genießt die Nahrung, genießt sie in innerer Behaglichkeit; und während der Strom der Nahrung nach der einen Seite geht, geht ein Angststrom von Angst-Elementargeistern nach der anderen Seite. Fortwährend strömt in der Richtung der Verdauung durch den Verdauungskanal des Tieres das Wohlbehagen der Nahrungsaufnahme, und entgegengesetzt der Verdauung strömt eine furchtbare Strömung von Angst-Elementargeistigem.

Das ist auch dasjenige, was die Tiere zurücklassen, wenn sie sterben. Indem die Tiere, die also nicht denjenigen Ordnungen angehören, die ich in anderer Weise schon beschrieben habe, aber auch solche, die zum Beispiel den vierfüßigen Säugetieren angehören, indem diese Tiere sterben, stirbt immer, man könnte eigentlich sagen, lebt auf in ihrem Sterben ein Wesen, das ganz aus Ängstlichkeit zusammengesetzt ist. Mit dem Tier stirbt Angst, das heißt, lebt Angst auf. Bei Raubtieren ist es so, daß sie schon diese Angst mitgenießen. Das Raubtier, das seine

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Beute zerreißt, genießt mit Wohlbehagen das Fleisch. Und diesem Wohlgefallen am Fleischgenusse strömt entgegen die Angst, die Furcht, die das pflanzenfressende Tier erst beim Tode von sich gibt, die das Raubtier bereits ausströmt während seines Lebens. Daher sind solche Tiere, wie Löwen, Tiger, in ihrem astralischen Leibe von Angst durchsetzt, die sie zunächst nicht spüren während ihres Lebens, die aber nach ihrem Tode diese Tiere, weil es eben entgegengesetzt dem Wohlbehagen geht, zurücktreiben; so daß die fleischfressenden Tiere sogar noch ein Nach- leben haben in ihrer Gruppenseele, ein Nachleben, das ein viel furchtbareres Kamaloka darstellt, könnte man sagen, als es die Menschen jemals durchleben können, einfach dadurch, daß die Raubtiere diese Natur haben, die sie schon einmal haben.

Natürlich müssen Sie sich bei solchen Dingen vorstellen, daß das ja In einem anderen Bewußtsein erlebt wird. Also wenn Sie gleich wiederum materialistisch werden und nun anfangen zu denken, was das Raubtier erleben muß, indem Sie sich an seine Stelle versetzen, und jetzt sich denken: Wie muß solch ein Kamaloka für mich sein? - und dann anfangen, das Raubtier danach zu beurteilen, wie für Sie solch ein Kamaloka sein könnte, dann sind Sie natürlich materialistisch, eigentlich animalistisch; dann versetzen Sie sich in die tierische Natur. Natürlich, man muß diese Dinge verstehen, wenn man die Welt verstehen will, aber man darf nicht sozusagen in diese Dinge sich hineinversetzen, wie sich der Materialist für die ganze Welt in die leblose Materie hineinversetzt.

Hier beginnt ein Kapitel, über das ich ja nicht anders als seelisch spreche, denn Anthroposophie soll niemals agitatorisch auftreten, nicht für das eine und nicht für das andere eintreten, sondern nur eben die Wahrheit hinstellen. Was der Mensch dann für seine Lebensart für Konsequenzen zieht, das ist seine Sache, denn Anthroposophie gibt keine Vorschriften, sondern spricht die Wahrheiten aus. Daher werde ich niemals für die Fanatiker selber nun gewissermaßen Gebote aufstellen, die da folgen aus dem, was ein Tier gestaltet aus der Pflanzennahrung. Ich werde also von diesem Gesichtspunkte aus nicht in gebothafter Weise über Vegetarismus, Fleischessen und dergleichen sprechen, denn diese Dinge müssen schon durchaus in die Sphäre des eigenen Erwägens

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gelegt werden und haben eigentlich nur einen Wert, wenn sie in die Sphäre des eigenen Erlebens gelegt werden. Ich erwähne das, damit eben nicht die Meinung entsteht, Anthroposophie bedeute, für diese oder jene Ernährungsweise und dergleichen einzutreten, während sie in der Tat nur jede Art von Ernährungsweise begreiflich macht.

Dasjenige aber, was ich eben zeigen wollte, war, daß wir das Mineralische bis zum Wärmeätherischen treiben müssen, damit es das Geistige aufnehmen kann; dann wird vom Mineralischen aus, nach Aufnahme des Geistigen, der Mensch aufgebaut. Wenn der Mensch noch ganz jung ist, sagte ich, so hat er noch nicht die Kraft, das ganz Mineralische zum Wärmeätherischen zu treiben. Es wird ihm vorgearbeitet, indem er die Milch in sich aufzunehmen hat, in der schon eine Verwandlung geschehen ist; wodurch dann dasjenige, was in Wärmeätherisches verwandelt werden muß, leichter verwandelt werden kann, so daß beim Kinde die genossene Milch mit ihren Kräften sich rasch nach dem Haupte ergießt und vom Haupte aus die formbildenden Impulse entwickeln kann, wie sie beim Kinde notwendig sind. Denn die ganze Organisation des Kindes geht vom Haupte aus.

Wenn der Mensch sich diese formbildenden Kräfte in einem späteren Alter erhalten will, so tut er nicht gut, das durch den Milchgenuß zu befördern; denn dasjenige, was beim Kinde nach dem Haupte geht und durch die bis zum Zahnwechsel vorhandenen Kräfte des Hauptes in der Lage ist, gestaltend auszustrahlen in den ganzen Körper, das ist beim späteren, beim älteren Menschen nicht mehr vorhanden. Da muß dann der ganze übrige Organismus die gestaltenden Kräfte ausstrahlen. Und diese gestaltenden Kräfte für den übrigen Organismus, die können ganz besonders dadurch in ihrer Impulsivität gefördert werden, daß man irgend etwas nimmt, was anders wirkt als der Kopf.

Sehen Sie, der Kopf ist ringsherum geschlossen. In diesem Kopfe sind die kindlichen Impulse für die Gestaltung des Körpers. Im übrigen Körper, da haben wir Knochen innen, die gestaltenden Kräfte sind außen. (Tafel VII, links, gelb/weiß.) Da muß dasjenige, was die gestaltenden Kräfte sind, von außen angeregt werden. Wenn wir in den Menschen Milch hineinbringen, so werden diese gestaltenden Kräfte im Kopf angeregt, solange wir Kind sind. Wenn wir nicht mehr Kind sind,

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sind sie nicht mehr da. Was sollen wir denn da eigentlich dann tun, damit wir diese gestaltenden Kräfte mehr von außen anregen können?

Da wäre offenbar gut, wenn man in der Lage wäre, das, was da der Kopf tut, indem er von der Schädeldecke eingeschlossen ist, was er da ganz im Inneren drinnen tut, wenn man das in der äußeren Form haben könnte; wenn irgendwo von außen das gemacht würde, was der Kopf da im Inneren tut. Die Kräfte, die da drinnen sind, die sind für den Milchgenuß gut; wenn da die Milch in ihrer ätherischen Verwandlung drinnen ist, dann gibt sie eine gute Grundlage ab für diese Entwickelung der Kopfkräfte. Wir müßten zum Beispiel so etwas haben wie die Milch, was aber nicht im Inneren des Menschen fabriziert wird, sondern von außen fabriziert wird.

Da gibt es in der Natur etwas, was ein Kopf ist ohne die Schädeldecke, wo also von außen dieselben Kräfte wirken, die im Kopfe drinnen wirken, wo sie die Milch brauchen, sogar die Milch wieder erzeugen; denn das Kind muß die Milch erst in den wärmeätherischen Zustand überführen und sie dann wieder erzeugen. - Nun, ein Kopf, der nach allen Seiten offen ist, ist der Bienenstock. (Tafel VII, Mitte links.) Dasjenige, was die Bienen treiben, ist eigentlich dasselbe, nur in der äußeren Welt - wir geben ihnen höchstens als Unterstützung den Bienenkorb -, was der Kopf im Inneren treibt; nur ist es da nicht abgeschlossen, sondern von außen bewirkt. Wir haben dann im Bienenstock drinnen unter dem schon äußeren geistigen Einfluß dasselbe, was wir hier im Kopf unter dem geistigen Einfluß haben. Wir haben da den Honig drinnen im Bienenstock, und wenn wir den Honig nehmen und genießen ihn als älterer Mensch, dann gibt er uns für das, was jetzt mehr von außen die gestaltenden Kräfte geben muß, dieselbe Macht und Gewalt, die uns die Milch für den Kopf während des kindlichen Alters gibt.

Während wir also Kinder sind, fördern wir vom Kopfe aus die plastischen Kräfte durch den Milchgenuß; brauchen wir im späteren Alter noch plastizierende Kräfte, dann müssen wir Honig essen, und wir brauchen ihn nicht in furchtbaren Quantitäten zu essen, weil es nur darauf ankommt, die Kräfte zu haben von ihm.

Also man sieht der äußeren Natur ab, wie man dem menschlichen Leben Förderungsimpulse zuführen muß, wenn man diese äußere Natur

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völlig versteht. Und wenn man ein Land ausdenken wollte, wo es schöne Kinder und schöne alte Leute gibt, was müßte das für ein Land sein? Das müßte ein Land sein, wo «Milch und Honig fließt»! Sie sehen also, ein altes instinktives Schauen hat gar nicht mit Unrecht gesagt von solchen Ländern, nach denen man sich sehnte: das sind solche, «wo Milch und Honig fließt».

Manches solches einfache Wort enthält ungeheuer tiefe Weisheiten, und man hat eigentlich keine schöneren Erlebnisse, als zuerst mit aller möglichen Anstrengung die Wahrheit zu erforschen und dann irgendwo ein uralt heiliges Wahrwort zu finden, das von tiefer Weisheit strotzt, wie das von dem Lande, wo «Milch und Honig fließt». Denn das ist wirklich ein seltenes Land: da sind nur schöne Kinder und nur schöne Greise.

Sie sehen, den Menschen verstehen, setzt voraus, die Natur verstehen. Die Natur verstehen, gibt die Grundlage zum Menschenverständnis. Da führt immer das unterste Stoffliche bis hinauf zum höchsten Geistigen: die Reiche der Natur, mineralisches, tierisches, pflanzliches Reich an dem einen, unteren Pol, die Hierarchien an dem anderen, oberen Pol.

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ZWÖLFTER VORTRAG Dornach, 11. November 1923

Wenn man sieht, wie im menschlichen Organismus das Äußerlich-Natürliche umgewandelt wird, zum Beispiel so radikal wie das Mineralische, das bis zum Wärmeätherischen hin kommen muß, dann wird man auch finden, wie dasjenige, was im natürlichen, im organisierten Menschen lebt, sich anschließt an das Geistige. Wenn man, wie man es so häufig im Sinne hat nach den Abbildungen, die etwa in den gebräuchlichen Handbüchern über Anatomie und Physiologie sind, sich vorstellt: der Mensch ist ein festes Gebilde und nimmt dann die äußeren Naturbestandteile auf, hält sie in sich fast unverwandelt, dann wird man natürlich immer unter dem Mangel einer Brücke leiden, die geschlagen werden muß hinüber von dem, was im natürlichen Menschen ist, zu dem, womit der Mensch verbunden ist seinem eigentlich Seelischen nach.

Zunächst wird man die Verbindung des Knochensystems, des Muskelsystems, die man sich so als feste Körper vorstellt, zum Beispiel mit der moralischen Weltordnung nicht finden können. Man wird sagen: das eine ist eben Natur, das andere ist etwas, was radikal verschieden ist von der Natur. Aber wenn man sich klar darüber ist, daß im Menschen alle Arten von Substantialität vorhanden sind, und daß alles durchgehen muß durch auch flüchtigere Arten von Substantialität, als die Muskeln und die Knochen sind, dann wird man finden, daß allerdings dasjenige, was flüchtiger, ätherischer ist, eine Verbindung eingehen kann mit dem, was die Impulse der moralischen Weltordnung sind. An diesen Gedanken muß man anknüpfen, wenn man die Betrachtungen, die wir bereits angestellt haben, zu derjenigen Verbindung hinführen will, die der Mensch nach oben, nach dem Geistigen des Kosmos hat, nach denjenigen Wesenheiten, die wir als die Wesenheiten der höheren Hierarchien bezeichnet haben. Und so wollen wir denn, wie wir bei den verflossenen Vorträgen mehr ausgegangen sind von dem Natürlichen, heute ausgehen, sagen wir von dem, was geistig-moralisch unter den Menschen wirkt.

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Geistig, moralisch: das sind eigentlich für die moderne Zivilisation schon mehr oder weniger Begriffe geworden, die ein Konventionelles darstellen. Immer mehr und mehr ist zurückgegangen das ursprüngliche elementarische Fühlen des Moralisch-Geistigen in der menschlichen Wesenheit. Die moderne Zivilisation weist den Menschen zum Beispiel schon seiner ganzen Erziehung nach immer mehr und mehr darauf hin, zu fragen: Was ist üblich? Was hat sich konventionell festgesetzt? Was ist Gebot? Was ist Gesetz? und so weiter. - Sie geht weniger auf das, was aus dem Menschen eben herauskommt als Impulse, die da wurzeln an derjenigen Stelle, an die man sehr häufig in unbestimmter Art das Gewissen zum Beispiel verlegt. Dieses innerliche Sich-selber-Richtung-und-Ziel-Setzen, das ist etwas, was immer mehr und mehr in der modernen Zivilisation zurückgegangen ist. Daher ist schließlich das Geistig-Moralische etwas geworden, was heute mehr oder weniger im Konventionell-Traditionellen lebt.

Ältere Weltanschauungen, namentlich diejenigen, welche noch von instinktivem Hellsehen getragen waren, die brachten aus dem Inneren des Menschen die moralischen Impulse hervor, die zeitigten moralische Impulse. Diese moralischen Impulse sind da; aber sie sind heute traditionell geworden. Man muß sich nur klar darüber sein, wie stark das Moralische zum Beispiel traditionell geworden ist. Es soll damit selbstverständlich gar nichts gesagt werden gegen das Traditionelle im Moralischen - aber bedenken Sie nur, wie alt sind denn die Zehn Gebote? Sie werden gelehrt als etwas, das verzeichnet ist aus alten Zeiten her. Können wir sagen, daß heute es etwas Gewöhnliches ist, daß aus der ursprünglichen elementarischen Menschennatur etwas dergleichen hervorquillt, wie es einmal mit dem Dekalog, mit den Zehn Geboten war? Und aus was quillt denn das Moralisch-Geistige, das die Menschen sozial verbindet, das die sozialen Fäden schlägt von Person zu Person, hervor unter den Menschen? Es gibt als die eigentlichen Quellen des Moralisch-Geistigen in der Menschheit nur dasjenige, was man Menschenverständnis nennen kann, gegenseitiges Menschenverständnis, und die auf dieses Verständnis der Menschen gebaute Menschenliebe. Wir mögen noch so sehr uns umsehen in der Entstehung der moralisch-geistigen Impulse der Menschen, inso-

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fern diese im sozialen Leben eine Rolle spielen, wir werden überall finden, daß da, wo elementar diese moralischen Impulse aus der Menschheit entsprungen sind, sie hervorkamen aus Menschenverständnis und aus Menschenliebe. Diese letzteren sind das eigentlich Treibende des sozial Geistig-Moralischen innerhalb der Menschheit. Und im Grunde genommen lebt der Mensch, insofern er ein geistiges Wesen ist, unter anderen Menschen nur davon, daß er Menschenverständnis und Menschenliebe entwickelt.

Nun können Sie eine bedeutungsvolle Frage aufwerfen, eine Frage, die zwar nicht immer aufgeworfen wird, die aber gerade dem Gesagten gegenüber eigentlich jedem auf der Zunge liegen müßte: Wenn Menschenliebe und Menschenverständnis die eigentlichen Impulse des menschlichen Zusammenlebens sind, woher kommt es denn, daß das Gegenteil, Menschenunverständnis und Menschenhaß, innerhalb unserer sozialen Ordnung auftreten?

Das ist eine Frage, welche am meisten von allen Menschen gerade die Initiierten beschäftigt hat. Die Initiationswissenschaft hat zu allen Zeiten, wo sie ursprünglich war, dies gerade als eine ihrer wichtigsten Fragen betrachtet. Aber diese Initiationswissenschaft hatte, als sie ursprünglich war, auch noch gewisse Mittel, hinter die Lösung dieser Frage zu kommen. Wenn man heute die gebräuchliche Wissenschaft anschaut, so kommt man eigentlich dazu, wenn man den Menschen betrachtet - die Gott-geschaffene Seele ist ja eigentlich veranlagt zu Menschenverständnis und Menschenliebe -, zu fragen: Warum wirken denn diese nicht als Selbstverständliches innerhalb der sozialen Ordnung? Woher kommt denn Menschenhaß und Menschenunverständnis? Und wenn wir sie nicht im Geistigen, im Seelischen suchen können, diesen Menschenunverstand und diesen Menschenhaß, müssen wir sie natürlich im Physisch-Leiblichen suchen.

Ja, aber nun antwortet uns die heutige gebräuchliche Wissenschaft, was das Physisch-Leibliche des Menschen ist: Blut, Nerven, Muskeln, Knochen. Man kann einen Knochen noch so lange anschauen, wenn man nur mit dem Auge der heutigen Naturwissenschaft blickt, man wird nicht sagen können: Dieser Knochen, der ist der Verführer des Menschen zum Haß. - Oder man wird das Blut noch so sehr nach den

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Prinzipien untersuchen können, nach denen heute untersucht wird, man wird nicht feststellen können auf diese Weise: Dieses Blut ist der Verführer des Menschen zum Menschenunverstand. Das war allerdings in den Zeiten, in denen die Initiationswissenschaft ursprünglich war, ganz anders. Da sah man hin auf das Physisch-Leibliche des Menschen, und man hatte da das Gegenbild dessen, was man durch instinktiv es Hellsehen im Geistigen hatte. Wenn heute der Mensch vom Geistigen spricht, so redet er ja höchstens von abstrakten Gedanken; die sind ihm das Geistige. Und wenn ihm diese Gedanken zu dünn sind, dann bleiben ihm nur die Worte noch übrig, und er schreibt eine «Kritik der Sprache», wie es Fritz Mauthner getan hat. Durch eine solche Kritik der Sprache kommt man in die Möglichkeit, den Geist, der ohnedies schon dünn genug geworden ist, völlig verdunsten zu lassen in den bloß abstrakten Gedanken. Die mit instinktivem Hellsehen durchsetzte Initiationswissenschaft sah das Geistige nicht in abstrakten Gedanken. Sie sah das Geistige in Gestalten, in dem, was bildhaft war, was selber sprechen, tönen konnte. Sie sah das Geistige in Lebendigkeit. Dadurch, daß das Geistige in Lebendigkeit gesehen wurde, konnte auch noch das Physische, der Knochen, das Blut in Geistigkeit gesehen werden. Es gab in dieser Initiationswissenschaft nicht diese Gedanken, diese Vorstellung des Skelettes, die man heute hat. Dieses Skelett ist heute etwas, das betrachtet wird wie von einem rechnenden Architekten aufgebaut für den Anatomen oder für den Physiologen. Aber das ist es ja nicht. Dieses Skelett ist, wie Sie gesehen haben,- dadurch gestaltet, daß das Mineralische bis hinauf zum Wärmeäther getrieben wird, daß in den Wärmeäther die Kräfte der geistigen Hierarchien eingreifen, und dann daraus die Knochenformen gebildet werden.

Wer also das Skelett richtig anschauen kann, dem verrät es den geistigen Ursprung. Und es ist wirklich so, daß derjenige, der das Skelett in der heutigen Form anschaut, ich meine in der Form, wie es die heutige Wissenschaft anschaut, einem Menschen gleicht, der da sagt: Hier habe ich eine bedruckte Seite, da sind Buchstabenformen. - Er beschreibt diese Buchstaben formen, aber er liest nicht, weil er nicht lesen kann. Er bezieht nicht das, was da in den Buchstabenformen sich ausdrückt, auf

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das ihnen Zugrundeliegende; er beschreibt nur die Buchstabenformen. So beschreibt der heutige Anatom, der heutige Naturforscher die Knochen, als wenn sie auf gar nichts hindeuteten; sie deuten aber auf ihren Ursprung aus dem Geistigen hin.

So ist es mit allem, was physische Naturgesetze, was ätherische Naturgesetze sind. Alles ist wie das Schriftzeichen von dem, was geistige Welt ist. Und erst dann versteht man diese Dinge, wenn man sie auffassen kann als Schriftzeichen aus den geistigen Welten.

Dann aber, wenn man so hinschauen kann auf den menschlichen physischen Organismus, dann wird man etwas gewahr, was in jenes Gebiet gehört, von dem die Initiierten allerZeiten - das heißt diejenigen eben, die es wirklich waren - gesagt haben: Übertritt man die Schwelle in die geistige Welt, dann wird man zunächst gewahr etwas, was schreckhaft ist, was gar nicht einmal leicht zunächst zu ertragen ist. Die Menschen wollen ja zumeist von dem, was ihnen erstrebenswert erscheint, wohlgefällig berührt werden. Allein es ist schon so, daß man durch den Schrecken durchgehen muß, wenn man die geistige Wirklichkeit, das heißt, überhaupt die wahre Wirklichkeit kennenlernen will. Denn mit Bezug auf die Menschengestalt, wie sie anatomisch-physiologisch sich uns vor Augen stellt, merkt man: sie ist aufgebaut aus der geistigen Welt heraus aus zwei Elementen, die da sind moralische Kälte und Haß. Wir tragen wirklich in der Seele die Anlage zur Menschenliebe und zu jener Wärme, zu jener moralischen Wärme, die den anderen Menschen versteht. Wir tragen aber in unseren festen Bestandteilen des Organismus die moralische Kälte. Das ist jene Kraft, die gewissermaßen aus der geistigen Welt heraus unsere physische Organisation zusammenbackt. Und wir tragen in uns den Impuls des Hasses. Der ist dasjenige, was aus der geistigen Welt heraus die Zirkulation des Blutes bewirkt. Und während wir vielleicht mit einer sehr liebenden Seele, mit einer Seele, die nach Menschenverständnis dürstet, durch die Welt gehen, müssen wir gewahr werden, daß im Unterbewußten unten, da, wo die Seele hineinströmt und hineinimpulsiert in das Körperliche, damit wir überhaupt einen Körper an uns tragen können, die Kälte sitzt. Ich werde immer von Kälte sprechen, ich meine die moralische Kälte, die aber allerdings auf dem Umwege durch den Wärmeäther in die physi-

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sche Kälte übergehen kann. Da unten in uns sitzt im Unterbewußten die moralische Kälte und der Haß, und der Mensch bringt in seine Seele leicht dasjenige herein, was in seinem Körper sitzt, so daß seine Seele gewissermaßen angesteckt werden kann von Menschenunverständnis; das ist aber das Ergebnis von der moralischen Kälte und vom Menschenhaß. Weil das so ist, muß der Mensch moralische Wärme, das heißt, Menschenverständnis und Liebe eigentlich erst in sich heranerziehen, denn diese müssen besiegen, was aus dem Körperlichen kommt.

Nun kann eben nicht geleugnet werden - das stellt sich dem geistigen Blicke mit aller Klarheit dar -, daß mit unserer Zeit, mit unserer Zivilisation, die mit dem 15.Jahrhundert begonnen hat, und auf der einen Seite intellektualistisch, auf der anderen Seite materialistisch geworden ist, verbunden ist, daß auf dem Grunde der Seelen vieles an Menschenunverständnis und Menschenhaß vorhanden ist. Mehr als man glaubt, ist das der Fall. Denn gewahr wird man eigentlich erst, wieviel im menschlichen Unbewußten Menschenunverständnis und Menschenhaß vorhanden ist, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geschritten ist. Da zieht er heraus sein Seelisch-Geistiges aus dem Physisch-Leiblichen. Das Physisch-Leibliche legt er ab. Die Impulse der Kälte, die Impulse des Hasses zeigen sich dann als bloße Naturkräfte; sie sind dann bloße Naturkräfte.

Sehen wir uns den Leichnam an. Sehen wir uns mit dem geistigen Auge selbst den ätherischen Leichnam an. Wir haben da hinzuschauen auf etwas, was ein moralisches Urteil nicht mehr hervorruft, ebensowenig wie die Pflanze, wie der Stein. Was da an Moralischem darinnensteckte, das hat sich in Naturkräfte verwandelt. Aber der Mensch hat viel herausgesogen während seines Lebens; das nimmt er mit durch die Pforte des Todes. Und so ziehen sich das Ich und der astralische Leib zurück, und sie nehmen mit, indem sie es herausziehen, was während des Lebens unbemerkt geblieben ist, weil es immer wiederum ganz in den physischen und ätherischen Leib untertauchte. Sie nehmen mit, dieses Ich und der astralische Leib, in die geistige Welt hinein all die Impulse des Menschenhasses und der Kälte gegenüber den Menschen, die eben in der Seele Platz gegriffen haben. Ich sagte, man merkt erst, wieviel gerade in unserer Zivilisation durch verschiedene Dinge, von denen

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wir noch sprechen werden, eingepflanzt wird im Menschen an Menschenunverstand und Menschenhaß, wenn man den Menschen durch die Pforte des Todes gehen sieht. Denn der heutige Mensch trägt viel von diesen beiden Impulsen durch die Pforte desTodes hindurch, ungeheuer viel.

Aber das, was er da mitträgt, ist ja der geistige Rest desjenigen, was im Physischen sein soll, was den physischen und ätherischen Leib ausmachen soll. Der Mensch trägt in dem Menschenunverstande und im Menschenhasse die Reste dessen in die geistige Welt hinein, was eigentlich der physischen Welt angehört; und er trägt es auf eine geistige Weise hinein. Es könnte dem Menschen niemals frommen, das weiter durch den Zeitenlauf zu tragen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, denn er könnte gar nicht weiterkommen, er würde bei jedem weiteren Schritte in seiner 'Fortentwickelung zwischen dem Tode und einer neuen Geburt straucheln, wenn er diesen Menschenunverstand und diesen Menschenhaß weitertragen müßte. In der übersinnlichen Welt, in die die sogenannten Toten eintreten, sieht man eigentlich heute fortwährend lauter Ströme, die, wenn sie so wirken würden, wie sie unmittelbar sind, die Menschen aufhalten würden in ihrem Fortschritte. Diese Ströme, von was rühren sie denn her? Will man wissen, wovon sie herrühren, so braucht man sich nur das heutige Leben anzuschauen. Die Menschen gehen aneinander vorbei, sie sehen wenig hin, welche Eigentümlichkeiten der andere hat. Sind denn die Menschen heute nicht meistens so geartet, daß ein jeder richtig und gut findet, wie er selber ist? Und wenn der andere anders ist, so geht er nicht liebevoll auf diesen anderen ein, sondern er kommt nur zu dem Urteil, der sollte anders sein, wobei zuletzt meistens das dahinter ist, daß er sich sagt: Der sollte so sein wie ich. - Man bringt sich das nicht immer zum Bewußtsein, aber es steckt gerade im gesellschaftlichen Verkehre, im sozialen Verkehre der Menschen darinnen. In demjenigen, was heute zutage gefördert wird, ich möchte sagen in der Form der Menschensprache, lebt ja so wenig von dem, was Verständnis des anderen Menschen ist. Die Menschen brüllen in die Welt hinaus, wie sie sich vorstellen, daß der Mensch sein soll, wobei meistens nichts anderes dahinter ist, als das: wie man selber ist, so sollen alle Menschen sein. Wenn dann irgend jemand kommt, der ganz anders ist, so ist er nun gleich,

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wenn man sich das auch nicht voll zum Bewußtsein bringt, ein Feind, ein Mensch, gegen den man Antipathie entwickelt. Da fehlt es an Menschenverständnis, an der moralischen Wärme, da fehlt es an Liebe. Und im selben Maße, in dem es an diesem fehlt, geht moralische Kälte, geht Menschenhaß mit dem Menschen durch die Pforte des Todes, hält ihn dort auf.

Aber da findet der Mensch zunächst, da seine Weiterentwickelung nicht nur sein Eigenziel ist, sondern seine Weiterentwickelung das Ziel der ganzen Weltenordnung ist, der weisheitsvollen Weltenordnung, da findet er dort zunächst die Wesenheiten der dritten Hierarchie, die Angeloi, Archangeloi, Archai. In der ersten Zeit, nachdem der Mensch durchgegangen ist durch die Pforte des Todes in die Welt, die zwischen dem Tod und einer neuen Geburt liegt, neigen sie sich dem Menschen zu und nehmen ihm gnadevoll die Kälte, die vom Menschenunverstand kommt, ab. Und wir sehen, wie die Wesenheiten der dritten Hierarchie sich belasten mit dem, was ihnen der Mensch auf die geschilderte Weise hineinträgt in die geistige Welt, indem er durch die Pforte des Todes geht.

Länger muß er die Reste des Menschenhasses forttragen, denn die können ihm nur abgenommen werden durch die Gnade der zweiten Hierarchie, der Exusiai, der Kyriotetes, der Dynamis. Die nehmen ihm dann ab alles das, was geblieben ist von Menschenhaß.

Dann aber ist der Mensch mittlerweile ungefähr bis in diejenige Region gekommen zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, in der ihren Aufenthaltsort haben die Wesenheiten der ersten Hierarchie, die Seraphim, Cherubim, Throne: das, was ich in meinen Mysterien die Mitternachtsstunde des geistigen Daseins genannt habe. Der Mensch könnte gar nicht durch diese Region der Seraphim, Cherubim und Throne durchgehen, ohne innerlich völlig vernichtet zu werden, das heißt, ausgelöscht zu werden, wenn er nicht vorher gnadevoll abgenommen erhalten hätte durch die Wesen der dritten und der zweiten Hierarchie Menschenunverständnis, das heißt moralische Kälte und Menschenhaß. So sehen wir denn, wie der Mensch, damit er den Anschluß findet an diejenigen Impulse, die zu seiner Weiterentwickelung beitragen können, zunächst beladen muß die Wesenheiten der höheren Hierarchien

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mit dem, was er aus seiner physischen und ätherischen Natur, wo es hingehört, hinaufträgt in die geistigen Welten.

Allerdings, wenn man dies alles durchschaut, wenn man da nun sieht, wie diese moralische Kälte in der geistigen Welt waltet, dann weiß man auch zu beurteilen die Verwandtschaft dieser geistigen Kälte mit dem, was physische Kälte hier unten ist. Diese physische Kälte, die in Schnee und Eis ist, ist ja nur das physische Abbild dieser moralisch- geistigen Kälte, die da oben ist. Hat man beide vor sich, so kann man sie vergleichen. Während der Mensch in dieser Weise abgenommen erhält Menschenunverstand und Menschenhaß, kann man ihn mit dem geistigen Auge verfolgen, wie er allmählich seine Gestalt sozusagen zunächst wie verliert, wie diese Gestalt mehr oder weniger abschmilzt, möchte man sagen. Für den geistigen Blick der Imagination sieht der Mensch, wenn er durch die Pforte des Todes geschritten ist, eigentlich noch ähnlich aus, wie er hier auf Erden war. Denn das, was der Mensch hier auf Erden in sich trägt, das sind die Substanzen, die mehr oder weniger in körniger Form, sagen wir, in atomistischer Form in ihm sitzen; aber die Gestalt des Menschen, die ist ja geistig. Wir müssen uns klar sein darüber: es ist einfach Unsinn, sich die Gestalt des Menschen physisch vorzustellen; (Tafel VIII)

#Bild s. 203

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wir müssen uns die Gestalt des Menschen geistig vorstellen. Das Physische darinnen, das ist gewissermaßen überall in kleinen Partikelchen drinnen. Die Gestalt, die nur ein Kraftkörper ist, hält dies, was sonst in einen Haufen auseinanderfallen würde, gestaltmäßig zusammen. Wenn man einen jeden von Ihnen beim Schopfe fassen und ihm die Gestalt wegziehen könnte, dann fiele das Physische und auch das Ätherische wie ein Sandhaufen hinunter. Daß das kein Sandhaufen ist, daß das verteilt ist und Gestalt annimmt, das rührt von nichts Physischem her, das rührt von Geistigem her. Der Mensch geht ja als Geistiges hier in der physischen Welt herum. Es ist Unsinn, daß der Mensch bloß ein physisches Wesen ist; seine Gestalt ist rein geistig. Das Physische ist, annähernd ausgedrückt, ein Haufen von Bröselchen.

Diese Gestalt aber, die hat der Mensch noch, wenn er durch die Pforte des Todes gegangen ist. Man sieht sie schimmernd, schillernd, in Farben glänzend. Nur daß der Mensch zuerst dasjenige verliert, was die Gestalt seines Hauptes ist; dann schmilzt allmählich das andere ab. Und es ist der Mensch vollständig metamorphosiert, wie zu einer Art Abbild des Kosmos geworden in der Zeit, in der er zwischen dem Tod und einer neuen Geburt in die Region der Seraphim, Cherubim und Throne kommt. So sieht man also, wenn man den Menschen verfolgt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, ihn zunächst, ich möchte sagen, weiter weben, indem er seine Gestalt nach und nach verliert von oben nach unten. Aber indem sozusagen das Letzte von unten verlorengeht, hat sich schon etwas gebildet, was eine wunderbare Geistgestalt ist, die in sich wie ein Abbild ist der ganzen Weltensphäre und die zu gleicher Zeit das Vorbild ist des künftigen Kopfes, den der Mensch an sich tragen wird. Da ist der Mensch eingewoben in eine Tätigkeit, an der sich nicht nur die Wesen der unteren Hierarchien, sondern die Wesen der höchsten Hierarchien, der Seraphim, Cherubim und Throne beteiligen. Was geschieht da? Da geschieht eigentlich das Wunderbarste, was man sich überhaupt vorstellen kann als Mensch. Denn da geht dasjenige, was der Mensch als unterer Mensch hier im Leben gewesen ist, in die Kopfbildung über. Wenn wir hier auf Erden herumgehen, da haben wir nur unseren armen Kopf als das Organ des Vorstellens, als das Organ, das Ge-

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danken trägt. Aber Gedanken sind auch die Begleiter unserer Brust, Gedanken sind die Begleiter namentlich unserer Gliedmaßen. Aber in dem Augenblicke, wo wir nun nicht bloß mit dem Kopf denken, sondern mit den Gliedmaßen zum Beispiel anfangen zu denken, in diesem Augenblicke geht uns die ganze Realität des Karma auf. Wir wissen nichts von unserem Karma, weil wir immer nur mit diesem eigentlich oberflächlichsten Organ, mit dem Gehirn denken. In dem Augenblicke, wo wir mit den Fingern zu denken beginnen - und man kann gerade mit den Fingern, mit den Zehen viel heller denken, wenn man sich dazu aufgeschwungen hat, als mit den Nerven des Kopfes -, in dem Augenblicke, wo wir mit dem, was nicht ganz Materie geworden ist, mit dem unteren Menschen anfangen zu denken, sind unsere Gedanken die Gedanken unseres Karma. Wenn wir mit der Hand nicht bloß greifen, sondern denken, dann verfolgen wir mit der Hand denkend unser Karma. Und insbesondere mit den Füßen, wenn wir nicht bloß gehen, sondern wenn wir mit den Füßen denken, verfolgen wir mit besonderer Klarheit unser Karma. Daß der Mensch auf Erden so borniert ist - verzeihen Sie, es fällt mir halt kein anderes Wort ein -, das rührt davon her, daß er all sein Denken in diese Region des Kopfes einschließt. Aber man kann mit dem ganzen Menschen denken. Und wenn man mit dem ganzen Menschen denkt, so ist hier für die mittlere Partie eine ganze Kosmologie, eine wunderbare Weltenweisheit unser eigen. Und für die unteren Partien und für die Gliedmaßen überhaupt ist das Karma unser eigen. (Tafel VIII / Zeichnung S. 203.)

Wir tun ja schon viel, wenn wir hier auf Erden einen gehenden Menschen betrachten und nicht ganz stumpf sind, sondern die Schönheit des Schrittes, das Charakteristische des Schrittes verfolgen, und wenn wir zum Beispiel seine Hände auf uns wirken lassen und diese Hände interpretieren und finden, daß die wunderbarsten Zeugnisse für das Menscheninnere in jeder Fingerbewegung liegen. Aber das ist nur der kleinste Teil dessen, was mit dem gehenden, mit dem greifenden, mit dem fingerbewegenden Menschen sich mitbewegt. Da bewegt sich ja sein ganzer moralischer Mensch, da bewegt sich sein Schicksal mit, da bewegt sich alles dasjenige mit, was er geistig ist. Und wenn wir, nachdem der Mensch durch die Pforte des Todes geschritten ist, verfolgen kön-

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nen, wie die Gestalt da abschmilzt - es schmilzt zuerst das ab, was an die physische Gestalt erinnert -, dann kommt dasjenige zur Erscheinung, was allerdings mehr der physischen Gestaltung ähnlich ist, aber durch seine innere Natur, durch seine innere Wesenheit ankündigt, daß es eigentlich die Gestalt des Moralischen ist. Und so wird der Mensch, indem er sich der Mitternachtsstunde des Daseins nähert, indem er in die Sphäre der Seraphim, Cherubim und Throne kommt. Dann sehen wir, wie da die wunderbare Metamorphose vor sich geht, wie da, ich kann sagen, abschmilzt die Gestalt. Aber das ist nicht das eigentlich Wichtige. Es sieht aus, wie wenn sie abschmelzen würde, aber in Wahrheit arbeiten da die geistigen Wesenheiten der höheren Welten mit dem Menschen zusammen, mit denjenigen Menschen, die selber an sich arbeiten, aber auch mit denen, die karmisch verbunden sind - ein Mensch arbeitet an dem anderen - aus der früheren Gestalt des Menschen, aus der Gestalt des vorhergehenden Erdenlebens dasjenige aus, was dann die Gestalt der nächsten Inkarnation, zunächst geistig, wird.

Diese Geistgestalt, die verbindet sich dann erst mit dem, was im physischen Leben als Embryo dem Menschen gegeben wird. Aber da oben in der geistigen Welt, da wandelt sich Fuß und Bein um zum Kiefer des Kopfes. Da wandelt sich der Arm und die Hand um zu dem Jochknochen des Kopfes. Da wandelt sich der ganze untere Mensch um in das, was jetzt Geistanlage für den späteren Kopf wird. Das ist, sage ich, das Wunderbarste, das man aus der Welt heraus erkennend erleben kann, wie da diese Metamorphose geschieht: wie gewissermaßen zuerst ein Abbild der ganzen Welt geschaffen wird, und wie das hineindifferenziert wird in die Gestalt, an der alles Moralische haftet - nachdem aber alles das abgenommen worden ist, was ich gesagt habe -, wie sich das, was da war, umwandelt in das, was da wird. Und dann sieht man den Menschen als Geistgestalt weiterwandeln, wiederum zurück in die Region der zweiten Hierarchie, in die Region der dritten Hierarchie. Jetzt muß dieser umgewandelten Geistgestalt gewissermaßen das angesetzt werden - denn sie ist im Grunde nur die Anlage für den künftigen Kopf -, was Brustorgane werden, was Gliedmaßenorgane, Stoffwechselorgane werden. Das muß angesetzt werden. Woher kommen die geistigen Impulse zu diesem Ansetzen?

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Ja, die haben die Wesenheiten der zweiten und der dritten Hierarchie gnadevoll aufgesammelt, als der Mensch auf der ersten Hälfte des Weges war. Sie haben sie seinem Moralischen abgenommen; sie bringen sie jetzt wiederum herab und formen daraus die Anlage für den rhythmischen und für den Stoffwechsel-Gliedmaßenmenschen. Dann erhält der Mensch in dieser späteren Zeit des Daseins zwischen dem Tod und einer neuen Geburt die Ingredienzien, die geistigen Ingredienzien für den physischen Organismus. In das Embryonale fährt hinein diese Geistgestalt und trägt hinein das, was nun physische Kräfte, ätherische Kräfte werden, die aber nur das physische Abbild sind von dem, was wir aus dem früheren Leben mittragen als Menschenunverständnis und Menschenhaß, aus dem unsere Gliedmaßen geistig gebildet worden sind.

Wenn man solche Anschauungen haben will, muß man sich eigentlich eine ganz andere Art des Empfindens aneignen, als man sie für die physische Welt braucht. Denn man muß hinschauen können auf das, was am Menschen in der angedeuteten Weise aus dem Geiste heraus physisch wird, und man muß ertragen können, daß in den Knochen Kälte, moralische Kälte im physischen Abbild lebt, daß im Blute moralischer Haß im physischen Abbild lebt. Man muß gewissermaßen wiederum lernen, ganz objektiv auf diese Dinge hinzuschauen.

Allerdings, wenn man in diese Dinge so hineinblickt, dann merkt man im Grunde genommen erst den Unterschied zwischen dem Menscheninneren und dem, was äußere Natur ist.

Gedenken Sie doch der Tatsache, die ich erwähnte, daß wir in den Blüten des Pflanzen reiches etwas erblicken wie das auseinandergelegte Gewissen des Menschen. Das, was da draußen ist, ist gewissermaßen das Bild unseres Seelischen. Was wir zunächst in unserem Inneren haben, das sind Kräfte, die nur der äußeren Natur nicht verwandt ausschauen. Der Knochen kann nur dadurch Knochen sein, daß er den kohlensauren und den phosphorsauren Kalk, wenn sie mineralisch auftreten, haßt, sich vor ihnen zurückzieht, sich in sich selber zusammenzieht und etwas anderes wird, als was kohlensaurer und phosphorsaurer Kalk draußen in der Natur sind. Man muß sich zu der Anschauung aufschwingen können, daß, damit der Mensch eine physische Gestalt haben kann, in seinem Physischen Haß und Kälte sein müssen.

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Da gewinnen unsere Worte, ich möchte sagen eine innere Bedeutung. Wenn unsere Knochen eine bestimmte Härte haben, ist es gut für sie; sie haben diese Härte als ein physisches Abbild der geistigen Kälte. Wenn unsere Seele eine gewisse Härte hat, ist es für das soziale Leben nicht gut. Das physische Wesen des Menschen muß eben anders sein als sein Seelisches. Darin besteht gerade die Möglichkeit, daß der Mensch Mensch ist, daß sein physisches Wesen anders ist als sein Seelisch-Geistiges. Dieses physische Wesen des Menschen ist auch anders als die um- liegende physische Natur. Darauf beruht die Notwendigkeit der Umwandelung, von der ich Ihnen gesprochen habe.

Aber Sie sehen, diese wichtige Ergänzung zu dem, was ich einstmals in dem Kursus, der über Kosmologie, Philosophie und Religion handelte, gesagt habe, diese notwendige Ergänzung für die Verbindung des Menschen mit den Hierarchien, die mußten wir einmal anbringen. Wir konnten sie aber nur anbringen, wenn wir gerade solche Ausgangspunkte gewonnen hatten, wie diejenigen der letzten Vorträge sind. Geradeso wie man mit dem geistigen Blick durchschaut, was die einzelnen Wesen des mineralischen, tierischen, pflanzlichen Reiches hier auf der Erde sind, so schaut man hinein in die Arbeit der Hierarchien, die von Zeit zu Zeit ebenso verläuft, wie von Zeit zu Zeit hier unten das physische Naturgeschehen und die Menschenarbeit verlaufen.

Wenn man so das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, das heißt, das Leben in der geistigen Welt anschaut, dann kann man in einer ebensolchen Weise in Einzelheiten beschreiben, was der Mensch durchmacht zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, wie man biographisch beschreiben kann, was er hier auf der Erde zwischen Geburt und Tod durchmacht. Und so müßte eigentlich, ich möchte sagen, gehofft werden, daß alles das, was an Menschenunverstand und Menschenhaß durch die Menschen, wenn sie durch die Pforte des Todes gehen, hinaufgetragen wird in die geistige Welt, daß das auch wiederum dem Menschen mitgegeben wird, das heißt, daß daraus, es veredelnd, Menschengestalten geschaffen werden. Nun hat sich aber im Laufe von langen Jahrhunderten für die gegenwärtige Entwickelung der Erdenmenschheit etwas sehr Sonderbares ergeben. Es konnten in der geistigen Welt nicht alle Menschenunver-

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ständnis- und Menschenhasseskräfte für neue Menschenbildungen, für neue Menschengestalten aufgebraucht werden. Es blieb ein Rest. Dieser Rest ist im Laufe der letzten Jahrhunderte auf die Erde heruntergeströmt, so daß in der geistigen Erdenatmosphäre, ich möchte sagen im Astrallicht der Erde, sich als Einschlag befindet eine Summe von Impulsen von außer dem Menschen vorhandenen Menschenhaß und Menschenverachtung. Die sind nicht menschliche Gestalten geworden; die strömen im Astrallicht um die Erde herum. Die wirken in die Menschen herein, aber jetzt nicht in dasjenige, was der einzelne Mensch ist; sie wirken in das herein, was die Menschen miteinander auf der Erde formen. Sie wirken in die Zivilisation herein. Und innerhalb der Zivilisation haben sie das angerichtet, was mich in die Notwendigkeit versetzt hat, im Frühling 1914 in Wien davon zu sprechen, daß unsere gegenwärtige Zivilisation durchsetzt ist von einem geistigen Karzinom, von einer geistigen Krebskrankheit, von geistigen Geschwüren.

Dazumal hat man nicht gern hingehorcht darauf, daß dies ausgesprochen wurde in Wien in dem Zyklus, der gehandelt hat über die Erscheinungen zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Aber seither haben die Menschen schon einiges von dem erfahren, was die Wahrheit des damals getanen Ausspruches war. Dazumal lebten nur die Menschen in Gedankenlosigkeit über dasjenige, was durch die Zivilisation strömt. Sie sahen nicht, daß wirkliche Geschwürbildungen der Zivilisation da waren: sie sind nur von 1914 an aufgebrochen. Sie zeigen sich heute als ganz verdorbene geistige Zivilisationssubstanzen. Man kann allerdings das, was in der Zivilisation lebt, auch als ein einheitliches geistiges Gebilde anschauen. Ja, dann stellt sich gerade für diese moderne Zivilisation heraus, in die eingeströmt sind die Strömungen von Menschenhaß und von Menschenkälte, die nicht verwendet worden sind bei Menschenbildungen: das, was da eingeströmt ist, lebt sich aus als das Parasitäre der modernen Zivilisation.

Die moderne Zivilisation hat etwas tief Parasitäres; sie ist wie das Stück eines Organismus, das von Parasiten, von Bazillen durchzogen ist. Was an Gedanken die Menschen angehäuft haben, das ist da, ohne in lebendiger Verbindung mit den Menschen zu sein. Denken Sie nur einmal, wie es in den allertäglichsten Erscheinungen zutage tritt. Ein

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Mensch, der etwas lernen muß, weil der Inhalt des zu Lernenden nun schon einmal da ist, der aber nicht mit Enthusiasmus lernt, sondern der sich hinsetzen muß und eben lernen muß, um durch ein Examen zu gehen, oder um einen richtigen Beamten vorzustellen oder dergleichen mehr: ja, für den ist keine elementare Verbindung da zwischen dem, was er aufnimmt, und dem, was in seiner Seele eigentlich an Begehrungsvermögen nach Aufnehmen des Geistigen lebt. Es ist gerade so, wie wenn ein Mensch, der nicht eingerichtet ist darauf, Hunger zu haben, fortwährend Nahrungsmittel in sich hineinstopft. Sie machen die Verwandlungen nicht durch, von denen ich gesprochen habe, sie werden Ballast in seinem Wesen, sie werden zuletzt etwas, was gerade die Parasiten herbeiruft.

Vieles in unserer modernen Zivilisation, das wie abgesondert vom Menschen bleibt, das wie, ich möchte sagen, lauter Mistelpflanzen - geistig gedacht - auf dem lebt, was der Mensch aus den ursprünglichen Impulsen seines Herzens, seines Gemütes hervorbringt, vieles von dem lebt so, daß es sich als parasitäres Dasein unserer Zivilisation auslebt. Und wer das mit geistigem Blicke anschaut, wer unsere Zivilisation sozusagen im Astrallichte schaut, für den war eben schon 1914 eine hochgradige Krebs-, eine Karzinombildung vorhanden, für den war die ganze Zivilisation von etwas Parasitärem durchzogen. Aber nun tritt zu dem Parasitären etwas anderes hinzu.

Ich habe Ihnen sozusagen geistig-physiologisch dargestellt, wie aus der Natur der Gnomen und Undinen, die von unten heraufwirken,- im Menschen organisch die Möglichkeit entsteht, parasitäre Impulse zu haben. Dann aber, sagte ich, entsteht das Gegenbild. Dann wird von oben heruntergetragen durch Sylphen und Wärme-Elementarwesen das Giftige. Und so wird in einer Zivilisation, die den parasitären Charakter trägt, wie die unsrige, das, was von oben, das heißt, was als spirituelle Wahrheit hineinströmt, nicht durch sich zum Gift, aber in Gift verwandelt im Menschen, so daß er es, wie ich es beschrieben habe im «Goetheanum», in Angst zurückweist und sich allerlei Gründe erfindet, um es zurückzuweisen. Die zwei Dinge gehören zusammen: parasitäre Kultur unten, nicht aus dem elementarischen Gesetze hervorspringend, daher Parasiten in sich enthaltend, und sich senkendes Gift, sich senkende

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Spiritualität von oben, die, indem sie in die Zivilisation eindringt, von den Menschen so aufgenommen wird, daß sie zum Gifte wird. Dann haben Sie, wenn Sie dies bedenken, das wichtigste Symptomatische für unsere gegenwärtige Zivilisation. Und es ergibt sich, wenn man die Dinge durchschaut, einfach ganz von selbst das Kulturpädagogische, das dagegen als Heilmittel auftreten muß. Wie sich aus der wirklichen Diagnose, der wirklichen Pathologie ergibt die rationelle Therapie, so ergibt sich aus der Diagnose der Kulturkrankheit die Therapie, indem das eine das andere herbeizieht. (Tafel VIII, rechts oben.)

Es ist ganz klar, daß die Menschheit heute wiederum etwas von einer Zivilisation braucht, die ganz nahe an das Menschengemüt und Menschenherz herankommt, die unmittelbar aus Menschengemüt und Menschenherz hervorkommt. Wenn man das Kind heute, wenn es In die Volksschule hereinkommt, heranbringt an diese ja einer Hochzivilisation angehörigen Buchstabenformen, die es jetzt lernen soll als A, B, C, da hat es ja gar nichts in seinem Herzen, in seinem Gemüt damit zu tun. Es hat gar keine Beziehung dazu. Das, was es da in seinem Kopf, in seinem Gemüt entwickelt, indem es A, B, C lernen muß, das ist Parasit in der menschlichen Natur, geistig-seelisch gedacht.

So ist ja durch unsere ganze Bildungszeit hindurch vieles, was parasitisch heute aus der Zivilisation an den Menschen herandringt. Daher müssen wir, wenn das Kind in die Schule kommt, solche pädagogische Kunst entwickeln, welche aus dem kindlichen Gemüte heraus schafft. Wir müssen das Kind Farben formen lassen, und dann diese Farben- formen, die aus Freude, aus Enttäuschung, aus allen möglichen Gefühlen entstehen, zu Papier bringen lassen: Freude - Schmerz! Was da das (Tafel VIII)

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Kind, indem es einfach sein Gemüt entfalten läßt, zu Papier bringt, das steht mit dem Menschen in Verbindung; das gibt kein Parasitäres. Das gibt etwas, was aus dem Menschen herauswächst wie seine Finger, wie seine Nase, während das, was der Mensch annimmt, indem er geführt wird an die Ergebnisse einer Hochzivilisation in den Buchstaben, zu Parasitärem führt.

Und in dem Augenblicke, wo wir dieses Anknüpfen der pädagogischen Kunst an das haben, was dem Menschengemüte und Menschenherzen ganz nahe liegt, bringen wir auch das Spirituelle an den Menschen heran, ohne daß es in ihm zum Gift wird. Und Sie haben da zuerst die Diagnose, die da findet: unsere Zivilisation ist von Karzinomen durchzogen, und dann die Therapie - nun, die Waldorfschul-Pädagogik! Die Waldorfschul-Pädagogik ist nicht anders aufgebaut, meine lieben Freunde. Aus ganz derselben Denkweise heraus, aus der man medizinisch denkt, ist da über die Kultur gedacht. Und so sehen Sie hier im speziellen Falle angewendet, was ich vor ein paar Tagen gesagt habe: daß eigentlich das Menschenwesen von unten, von der Ernährung an durch die Heilung nach oben in die geistige Entwickelung geht, und daß man die Pädagogik als eine ins Geistige übersetzte Medizin anzusehen hat. Das aber tritt uns mit besonderer Schärfe hervor, wenn wir die Kulturtherapie finden wollen. Denn diese Kulturtherapie können wir nur denken als die Waldorfschul-Pädagogik.

Natürlich können Sie sich denken, wie es einem zumute ist, wenn- man diesen Zusammenhang nicht nur durchschaut, sondern in diesem Zusammenhang diese Waldorfschul-Pädagogik praktisch auszubauen versuchte, und jetzt unter dem allgemeinen Ergebnis des Zivilisationskarzinoms in Mitteleuropa Zustände eintreten, die ja, wie Sie selbst heute wohl schon begreifen werden, wahrscheinlich das, was praktische Waldorfschul-Pädagogik ist, recht sehr gefährden, wenn nicht gar unmöglich machen werden. Solche Gedanken sollten wir nicht von uns weisen. Wir sollten sie in uns gerade als Impulse sein lassen, überall da, wo wir noch können, mitzuwirken an der Therapie unserer Kultur. Vielfach ist es ja heute aber wirklich so: Wie aus einer gewissen geistigen Erkenntnis heraus

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von mir während meines Helsingforser Zyklus 1913 die Inferiorität des Woodrow Wlson ausgesprochen wurde, der dann eine Art weltlicher Herrgott geworden ist für viele Zivilisationsmenschen und über den die Menschen erst jetzt, weil sie nicht mehr anders können, sich einige Klarheit machen -, wie es da gegangen ist, so ist es auch mit demjenigen gegangen, was dazumal über das Zivilisationskarzinom gesagt worden ist. Nun, dazumal ist es halt mit diesen Dingen so gegangen; heute geht es mit den Dingen, die für unsere Zeit gelten, ebenso: Es wird geschlafen. Uns geziemt aber denn doch das Erwachen. Und Anthroposophie hat alle Impulse für ein richtiges Kulturerwachen in sich, für ein richtiges Kulturerwachen des Menschen!

Das ist es, was ich Ihnen nun in dem letzten dieser Vorträge sagen wollte.

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HINWEISE

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.