GA 324

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ERSTER VORTRAG Stuttgart, 16. März 1921

#G324-1972-SE009 Naturbeobachtung, Experiment, Mathematik und die Erkenntnisstufen der Geistesforschung

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ERSTER VORTRAG

Stuttgart, 16. März 1921

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Verehrte Anwesende, verehrte Kommilitonen! Geisteswissenschaft, wie sie auch durch diese anthroposophischen Hochschulkurse weht, muß sich in der Gegenwart ihr Recht, ihre Geltung im wahren Sinne des Wortes erkämpfen. Es könnte zunächst auffällig erscheinen, daß das so ist, denn derjenige, der die Triebkräfte dieser anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft ein wenig kennengelernt hat, kann ja bemerken, wie sie gerade durchaus sich stellt auf den Boden wissen­schaftlicher und sonstiger Kulturforschungen der Gegenwart, wie sie durchaus rechnet mit alidem, was dem Geistesleben der Gegenwart als Notwendigkeit zugrunde liegt. Wenn sie dennoch zu kämpfen hat, so muß man bedenken, daß sie als solche anthroposophisch orientierte Gei­steswissenschaft zunächst gegen die stärksten in der Gegenwart vor­handenen Vorurteile sich wenden muß. Sie ist gewissermaßen die natur­gemäße Gegnerin alles desjenigen, was noch als reaktionäre Mächte in den Seelen unserer gegenwärtigen Menschen vorhanden ist. Und wer das nur ein wenig zu beachten in der Lage ist, der weiß, daß viel Reak­tionäres in den Seelen der gegenwärtigen Menschen vorhanden ist.

In diesen Vorträgen wird es meine Aufgabe sein, gleich von der wissenschaftlichen Seite her das Recht und die Bedeutung der hier ge­meinten Geisteswissenschaft darzulegen. Ich werde von verhältnis­mäßig elementaren Dingen auszugehen haben, um dann im Laufe der Vorträge allmählich immer weiterzuschreiten zu einer wirklichen Men­schenkenntnis vom Gesichtspunkte dieser anthroposophisch orientier­tierten Geisteswissenschaft. Und ich werde mich bemühen, da ich ja vorzugsweise werde über Methodologie zu sprechen haben, dennoch durch die Wahl der Beispiele, die ich im Verlauf dieser Vorträge ge­brauchen werde, Sie einzuführen in einzelne Kapitel und Sonderfragen dieser Geisteswissenschaft im allgemeinen und in ihrer Bedeutung für die einzelnen Fachwissenschaften der Gegenwart.

Zu alldem möchte ich aber heute, in dem ersten dieser Vorträge, zunächst eine Art von Einleitung geben. Ich möchte zunächst darauf

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hinweisen, wie die gegenwärtige wissenschaftliche Denkungsart immer mehr und mehr dazu gekommen ist, in dem Experiment, in dem wis­senschaftlichen Experiment ihre Hauptstütze zu finden. Damit steht ja gegenwärtiges wissenschaftliches Denken in einem gewissen Gegen­satz zu älteren Erkenntnisarten, zu denjenigen Erkenntnisarten, die vorzugsweise von der Beobachtung, wie sie die Natur und die Welt überhaupt dem Menschen darbieten, ausgegangen sind. Es ist etwas anderes, ob man ausgeht von der von Natur und Welt fertig dargebo­tenen Tatsache und diese beobachtet, oder ob man die Bedingungen eines Vorganges erst herstellt und so unter Kenntnis der Herstellungs­bedingungen eine Tatsache beobachten kann und zu gewissen wissen­schaftlichen Ergebnissen durch diese Beobachtung geführt wird. Sie wissen aber auch, daß die neuere wissenschaftliche Denkweise immer mehr und mehr dazu geführt worden ist, in das Beobachtungsmaterial -überhaupt auf dem Gebiete der Naturwissenschaft selbst - mathema­tische Gedanken, mathematische Ergebnisse einzuführen. Sie kennen ja alle gewiß den von Kant einmal getanen Ausspruch, daß in jeder einzelnen Wissenschaft nur soviel wirkliches Wissen, wirkliche Er­kenntnis stecke, als in ihr Mathematik vorhanden ist. Sowohl in die Beobachtung wie in das Experiment sollen mathematische Gedanken, mathematische Ergebnisse eingeführt werden. Dadurch fühlt man sich in einem gewissen sicheren Element, man fühlt, daß man zu einer Reihe von Tatsachen, die man in der Lage ist mit mathematischen Formeln zu übergreifen, ein ganz anderes Erkenntnisverhältnis hat als zu solchen Tatsachen, die man einfach ihrer empirischen Lage nach beschreibt. Dieses Sicherheitsgefühl, das man im mathematischen Behandeln hat, das ist etwas, was charakteristisch ist für wissenschaftliche Denkweise seit langem schon.

Nun aber kann man nicht sagen, daß heute schon ein deutliches, wirkliches Bewußtsein vorhanden ist von den Gründen, warum man sich mit der mathematischen Behandlung von Natur und Welt so sicher fühlt. Und gerade ein deutliches und klares Erkennen dieser Tatsache des Sich-sicher-Fühlens innerhalb der mathematischen Behandlungs-weise wird uns auch hinführen zu der Anerkennung der Notwendig­keit, daß es eine Geisteswissenschaft in dem hier gemeinten Sinne geben

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müsse. Diese Geisteswissenschaft, sie ist durchaus nicht darauf ange­wiesen etwa, ich möchte sagen, von naturwissenschaftlicher oder son­stiger wissenschaftlicher Fachtüchtigkeit sich ihre Anerkennung er­betteln zu müssen. Diese Geisteswissenschaft will auf jedem ihrer Ge­biete durchaus mit der wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit der mo­dernen Zeit rechnen, und sie will außerdem gegenüber all demjenigen, was diese moderne Wissenschaftlichkeit an Zweifeln, Rätseln und un­erledigten Fragen heraufbringt, eine sichere Stellung gewinnen, sie will gerade Wissenschaft in einem ganz bestimmten Sinne auf eine sichere, auf eine im mathematischen Sinne exakte Grundlage stellen.

Ich brauche Sie nur auf eine ganz einfache Frage hinzuweisen und Sie werden schon sehen, daß gerade das sichere Gefühl im mathema­tischen Behandeln uns ja, ich möchte sagen, auf dem halben Wege des wissenschaftlichen Strebens sogleich in eine Unsicherheit hineinführt. Was sollen wir denn zum Beispiel mit einer Wissenschaft, wie die Ge­schichte es ist, anfangen, wenn in jeder Wissenschaft nur soviel wirk­liche Erkenntnis stecken soll, als in ihr Mathematik drinnen ist? Und wie sollen wir den Tatsachen der menschlichen Seele gegenüber zu­rechtkommen, wenn wir alle, ich möchte sagen, die Plackereien durch­gemacht haben, welche die mathematisierende Psychologie, etwa der Herbartschen Richtung, entwickelt hat, um auch auf diesem Gebiete zu einer Sicherheit zu kommen? Man ist zu nichts anderem gekommen als dazu, einzusehen, daß es auf diesem Felde nicht geht, Mathematik in das Wissen einzuführen. Das ist gewissermaßen die erste Frage, die uns wird beschäftigen müssen: Was bedeutet diese mathematische Si­cherheit gegenüber der menschlichen Erkenntnis? Und diese Frage, wenn wir sie zu einer gewissen Antwort bringen, wird uns gerade in die Berechtigung geisteswissenschaftlicher Untersuchungen hinein­führen.

Ich habe ferner gesagt, daß die neuere Wissenschaftlichkeit das Experiment, bei dem man die Bedingungen eines Vorganges genau kennt, vorzieht der Außenbeobachtung, bei der sich die Bedingungen, ich möchte sagen, mehr in den Untergründen des Daseins verbergen. Selbst auf solchen Gebieten, wie es die Psychologie und wie es die Pädagogik ist, hat man in neueren Zeiten versucht, von der bloßen Beobachtung

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zum Experiment überzugehen. Ich bemerke ausdrücklich, daß Geisteswissenschaft, so wie sie hier gemeint ist, gegen die berechtig­ten Ansprüche des Experiments weder auf dem Gebiete der Psychologie noch auf dem Gebiete der Pädagogik irgend etwas wird einwenden kön­nen oder sollen. Aber es handelt sich darum, zu durchschauen, worauf denn diese Hinneigung zum Experiment gerade auf solchen Gebieten der menschlichen Erkenntnis beruht. Wir können auf diesen Gebieten geradezu die rechte Einsicht gewinnen, worauf dieses Hinneigen zum Experiment beruht. Gehen wir daher für einen Augenblick gerade auf dem Gebiete der Psychologie und der Pädagogik von dem Übergange zum Experiment aus. Wir können da sehen, wie bis vor verhältnis­mäßig noch ganz kurzer Zeit sowohl die Psychologie, die Seelenkunde, wie auch die Pädagogik darauf gesehen haben, sorgfältig das Darleben des Menschen, sei es des erwachsenen oder des werdenden Menschen, des Kindes, zu beobachten. Was ist aber notwendig, wenn man das Seelen-leben sowohl des erwachsenen Menschen wie des Kindes beobachten will? Dazu ist notwendig, daß man mit einem gewissen inneren Anteil sich verhalten kann zu dem, was man beobachtet. Man versetze sich wirklich einmal in ältere Beobachtungsmethoden auf dem Gebiete der Seelenkunde oder auf dem Gebiete des Erziehungs- und Unterrichts­wesens. Man wird da schon wahrnehmen, der innere Anteil, den Mensch an Mensch nimmt, er hat einmal gegen unsere Gegenwart her­auf in der Menschheitsentwickelung abgenommen. Wir stehen nicht mehr so intim in der Objektivität drinnen mit Bezug auf die Seele des anderen Menschen, wie einstmals die Pädagogen oder die Psychologen drinnengestanden haben. Wir fühlen nicht mehr, wenn unsere eigenen Seelenregungen vibrieren, in diesem Vibrieren ein Nachklingen des­jenigen, was die fremde Seele erlebt. Wir sind, ich möchte sagen, ferner-gerückt dem objektiven Seelenleben des anderen, als die Menschen ein­mal waren, die sich überhaupt auf Beobachtungen des Seelenlebens ein­gelassen haben. Und in demselben Maße, in dem man fremd und frem­der geworden ist den Intimitäten des anderen Seelenlebens, in demselben Maße, in dem man nicht mehr kann mit unmittelbarer Intuition, mit tiefem intimem Anteil des eigenen Inneren hineinschauen in das Innere der anderen Seele, in demselben Maße versucht man, mit Hilfe unserer

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allerdings ausgezeichneten Werkzeuge von außen der menschlichen Seele sich zu nähern. Man versucht, durch Apparate die Äußerungen des menschlichen Seelenlebens aufzunehmen, man versucht also, ich möchte sagen, dem Menschen von außen beizukommen. Das ist gewiß berechtigt in begrenztem Sinne und ist vor allen Dingen aus dem Grundcharakter unserer Zeit heraus in seiner Berechtigung voll zu wer­ten. Ist man einmal dem Inneren unmittelbar fremder geworden, so muß man eben die Außerungen dieses Inneren, das Oberflächliche, auch durch äußere Methoden, durch äußeres Experimentieren sich aneignen.

Aber gerade dann, wenn wir in einem gewissen Sinne uns von Geist und Seele des Menschen entfremden und an den mehr materiellen Außerungen des Geistes und der Seele unsere Experimente machen, so haben wir um so mehr notwendig, diese Experimente selber in einem geistigen Sinne deuten und sie mit geistiger Forschung durchdringen zu können. Nicht gegen das Experiment als solches soll daher etwas ein-gewendet werden, sondern die Forderung wird sich ergeben - ich will heute nur einleitungsweise sprechen -, gerade dasjenige, was das Expe­riment zeigt, von innen heraus geistig zu beleuchten. Ich will gerade, um dies zu verdeutlichen, Ihnen ein Beispiel vorbringen.

Die experimentelle Pädagogik hat mit Recht konstatiert, wie die Wachstumsverhältnisse verschieden sind bei Knaben und bei Mädchen. Innerhalb des Schulalters hat sich gezeigt, daß in verschiedenen Lebens-epochen Knaben und Mädchen mit verschiedener Schnelligkeit wach­sen - wir werden von diesen Dingen noch zu sprechen haben -, so daß es im Leben des Knaben Epochen gibt, in denen er, sagen wir, lang­samer wächst, während in derselben Lebensepoche die Mädchen schnel­ler wachsen. Das kann man, wenn man bloß experimentiert, wenn man sozusagen auf die Äußerungen des Seelenlebens bloß hinschaut, als eine Tatsache registrieren. Aber nur derjenige wird im rechten Sinne eine solche Tatsache durchschauend deuten können, der weiß, wie von der Seele aus der Wachstumsprozeß getrieben wird, wie das Seelische des Knaben innerlich ein anderes ist, wie sich die Kraft dieses Seelischen in den verschiedenen Lebensepochen äußert. Und dann wird man ge­rade sehen können, wie durch den Unterschied in den Wachstumsver­hältnissen zwischen Knaben und Mädchen wiederum beleuchtet wird,

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warum Mädchen in denselben Lebensepochen mit verschiedener Ge­schwindigkeit gegenüber den Knaben wachsen, und es wird dann das­jenige beleuchtet, was in der Seele des Mädchens vor sich geht, das­jenige, was in der Seele des Knaben vor sich geht. Man wird wissen, daß ein Wesen, welches zum Beispiel gerade zwischen dem vierzehnten und siebzehnten Jahr besonders schnell wächst, andere Kräfte ent­wickelt, als ein Wesen, das, sagen wir, in einem etwas früheren Lebens­alter besonders schnell wächst.

Gerade ein Zeitalter, welches groß ist im äußeren experimentellen Behandeln der Tatsachen, gerade ein solches Zeitalter muß, wenn es nicht in Oberflächlichkeit und in Äußerlichkeiten versinken will, das­jenige, was es experimentell erkundet, mit geistiger Forschung zu durch­dringen in der Lage sein. All dem gegenüber ist das Bewußtsein, daß man in der Mathematik etwas hat, was einem Forschersicherheit gibt, außerordentlich ausschlaggebend. Wenn man diese Tatsache in ihrer Wesenheit und Bedeutung richtig würdigen will, dann muß man aller­dings sich die Frage stellen: Wie erkennt man gerade mathematisch, wie wendet man Mathematik an auf die äußere, sinnlich gegebene Tat­sachenwelt, und wodurch unterscheidet sich mathematische Behand­lung von anderer Behandlung des uns gegebenen Tatsachenmaterials?

Sehen Sie, zunächst sind dem Menschen durch seine Sinne ja die äußeren Tatsachen der Welt gegeben. So wie wir von Kindheit auf in diese äußere Tatsachenwelt eintreten, stellt sie uns eigentlich zunächst unserer Subjektivität gegenüber eine Art Chaos dar, und erst indem wir innerlich uns erkraften zu allerlei Vorstellungen und Begriffen - ich habe das genauer dargestellt in meinem Büchelchen «Wahrheit und Wissenschaft» -, dadurch eine Tatsache an die andere angliedern, Tat­sachen gruppieren, manchmal Tatsachen, die für die äußere Beobach­tung einander sehr fern stehen, begrifflich zusammenbringen, dadurch schaffen wir eine gewisse ideelle, eine vorstellungsmäßige Ordnung in dem Chaos der unmittelbar sinnlichen Erfahrung.

Nun muß man genau hinsehen, wie zunächst unsere Behandlung der äußeren sinnlichen Tatsachenwelt vor sich geht, wenn wir für unsere Erkenntnis keine Mathematik anwenden, wenn wir also einfach die Außenwelt beobachten, uns Vorstellungen über die Zusammenhänge

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der äußeren Naturtatsachen machen, etwa nach dem gebräuchlichen Gesetze von Ursache und Wirkung und so weiter, auch nach anderen Gesetzen. Wir müssen uns Vorstellungen darüber machen, wie unsere Behandlung der Außenwelt eigentlich dann ist. Was tun wir denn, in­dem wir Ordnung in das sinnliche Chaos hineinbringen? Mir scheint, daß mit Bezug auf dasjenige, was wir da tun, doch David Hume ein sehr richtiges Wort ausgesprochen hat. Sein großer Fehler liegt nur darin, daß er dasjenige, was gerade allein für dieses Gebiet, also für das mathematikfreie Beobachten der äußeren Natur, gilt, daß er das für den ganzen Umfang der menschlichen Erkenntnis gültig dachte.

Darauf beruhen überhaupt die meisten Irrtümer und Einseitig­keiten wissenschaftlicher Denkweise, daß man dasjenige, was auf einem Gebiete ganz berechtigt ist, dann für das Universelle der menschlichen Erkenntnis anwendet. Es ist deshalb so schwierig manchmal, dasjenige, was ja doch dem Universellen gegenüber irrtümlich ist, zu widerlegen, weil es - lassen Sie mich das Paradoxon aussprechen - kaum irgend­einen für das Universelle als Irrtum zu bezeichnenden Satz gibt, der nicht im Speziellen da oder dort seine Berechtigung haben würde, so daß man im Speziellen als solchem durchaus seine guten Gründe für etwas aufbringen kann, das bekämpft werden muß, wenn dafür der Anspruch erhoben wird, daß es universelle Geltung haben soll. So ist es, wenn David Hume sagt: Wir beobachten die äußere Welt, wir glie­dern sie durch unsere Vorstellungen in gesetzmäßiger Weise. Dasjenige aber, was wir dann als Gesetz in unserer Seele anwesend haben, das ist durchaus nicht irgendwie so, daß wir von ihm ohne weiteres sagen können, es entspreche etwas Objektivem in der äußeren Welt, oder es müßte die äußere Welt in ihren Tatsachen immer so verlaufen, wie ein solches Gesetz es besagt. Man könne, meint David Hume, ja eigent­lich nur sagen, bis jetzt habe man an jedem Morgen die Sonne aufgehen sehen. Das ist ein Erfahrungssatz. Man kann alle diese Tatsachen glei­cher Art, die sich einem da dargeboten haben, in einem allgemeinen Gesetze aussprechen, aber nichts bürgt dafür, daß man etwas anderes eben hat, als eine Reihe erfahrener Tatsachen in einer Vorstellung zu­sammengefaßt. - Was ist es denn da eigentlich in uns, was aus den sinn­lich beobachteten Tatsachen gesetzmäßige Zusammenhänge bildet, und

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welche Bedeutung haben diese gesetzmäßigen Zusammenhänge für das eben bezeichnete Gebiet? Wird David Hume wohl recht haben, wenn er sagt: Es liegt in unserer Seelengewohnheit, die Tatsachen, die sich uns darbieten, gesetzmäßig zusammenzufassen, und weil wir dieser Seelengewohnheit entsprechen, bilden wir uns gewisse Naturgesetze aus. Diese Naturgesetze sind aber eben nichts anderes als dasjenige, was durch unsere Seelengewohnheiten aus den einzelnen Tatsachen zu­sammengefaßt worden ist.

So kommt man dazu, sich zu sagen: Der Mensch entwickelt sich zu­nächst in seinem empirischen Leben so, daß er sich innerlich gewöhnt, Ordnung, Harmonie in das Chaos der empirischen Tatsachen hinein­zubringen, und man muß ja sagen, je weiter man in der Erkenntnis vor-rückt, gerade auf dem hier begrenzten Gebiete, desto mehr neigt man zu dieser charakteristischen Seelengewohnheit hin. Man kann es dann nicht erstreben, unzusammenhängende Tatsachen zu erhalten, man will der genannten Seelengewohnheit entsprechen, man will womög­lich Einheit hineinbringen in dasjenige, was uns als sinnlich empirische Mannigfaltigkeit entgegentritt. Man wird sich aber, wenn man mit unbefangener Selbstbesinnung dieses ganze Erkennen durchschaut, doch sagen müssen, man steht, wenn man so erkennt, der Außenwelt gegenüber in der Art, daß diese Außenwelt nicht in unsere Erkenntnis eigentlich eingeht. Man wird immer auf diesem Erkenntnisfelde sich sagen müssen: Da draußen sind die materiellen Tatsachen. Wir glie­dern sie gewohnheitsmäßig ein in unser Vorstellungssystem, wir über­schauen sie dann auch, wir wissen, wenn so und so oft eine Tatsachen-reihe sich abgespielt hat, sie wird sich, wenn die ersten Tatsachen wie­derum vor uns auftreten, auch in ihrer zweiten Partie in einer ähn­lichen Weise abspielen. Aber dennoch, wenn wir auf diesem Felde ste­henbleiben, durchschauen wir das Äußere nicht, machen auch im Grunde genommen gar nicht den Anspruch darauf zunächst, dieses Äußere zu durchschauen. Wir werden aber dann, wenn wir unbe­sonnene metaphysische Hypothesen aufstellen wollen, davon sprechen, Materie ist das oder jenes. Wenn wir aber nicht solche unbesonnenen metaphysischen Hypothesen aufstellen wollen, werden wir gewisser-maßen die Materie draußen liegen lassen. Wir werden uns sagen, wir

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durchschauen dasjenige nicht, was Materie in ihrem Inneren eigentlich ist, aber das, was sie uns gewissermaßen auf der Seite, die sie uns zu­neigt, darbietet, das ordnen wir in gewisse Denkreihen, in gewisse Denkgesetzmäßigkeiten. Wir bleiben also außerhalb der äußeren Wirk­lichkeit so stehen, daß wir uns Bilder von dem Verlauf der Vorgänge an der Außenseite des materiellen Geschehens bilden. Und im Grunde genommen brauchen wir für unser richtiges Menschheitsbewußtsein auch dieses Bewußtsein, daß wir es da mit Bildern zu tun haben. Den­ken Sie nur einmal, was es eigentlich für das Menschheitsbewußtsein bedeuten würde, wenn wir uns nicht hingeben könnten der Erkenntnis, wir haben es nur mit Bildern der Außenwelt zunächst zu tun. Wenn wir jedesmal, wenn wir auf dem Felde, das wir da charakterisieren, uns sagen müßten, es fließe etwas von der Außenwelt in uns ein, so wie etwas in uns einfließt, wenn wir trinken oder essen. Denken Sie nur einmal, wie wenig ein solches Einswerden des inneren und des mate­riellen Daseins entsprechen würde demjenigen, was unsere menschliche Seelenverfassung im Erkennen der Außenwelt sein muß. Wir können in der Lage sein, uns sagen zu müssen: Nichts fließt im Erkennen von der Außenwelt in unser Seelenleben herein. Dasjenige, was wir erleben an der Außenwelt, das formen wir als Bilder, die im Grunde genom­men mit dieser Außenwelt gar nichts zu tun haben.

Ich darf vielleicht für das, was hier vorliegt, ein Bild gebrauchen, das ich von der Kunst hernehmen will. Denken Sie sich, ich male irgend etwas. Dasjenige, was ich dann auf die Leinwand bringe, das ist etwas, um das sich diese Außenwelt, die etwa da auf die Leinwand gebracht wird, wahrhaftig nicht kümmert. Ein paar Bäume, die da draußen sind, die ich auf die Leinwand male, denen ist es ganz gleich­gültig, ob ich sie oder wie ich sie auf die Leinwand male. Es kommt zu dem, was da draußen ist, mein Bild als etwas Fremdes hinzu, etwas, was mit dieser äußeren Wirklichkeit innerlich nicht das geringste zu tun hat. Psychologisch und erkenntnistheoretisch ist es im Grunde ge­nommen auch so mit allem Erkennen, das sich auf dem Felde bewegt, von dem ich eben jetzt hier spreche. Wir würden sofort in die Lage kommen, uns gar nicht mehr von der Außenwelt unterscheiden zu können, mit der Außenwelt zusammenzuwachsen, wie wir es im Essen

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und Trinken auch tun, wenn sich nicht dasjenige, was in unserer Seele sich abspielt während dieses Erkennens, als etwas ganz Fremdes er-wiese für die äußere materielle Welt. Wir werden später sehen, wie dasjenige, was als menschliche Freiheit zu erfassen ist, nur zu verstehen ist unter der Voraussetzung, daß Erkenntnis der materiellen Außen­welt sich so verhält, wie ich es eben jetzt dargelegt habe.

Nun aber, so ist es nicht, wenn ich mathematisch erkenne. Stellen Sie sich nur einmal vor, wie mathematisch erkannt wird, sei es auf dem Felde der Arithmetik, Algebra, oder irgendwelcher höherer Teile der Analysis, oder sei es auf dem Felde der analytischen oder synthe­tischen Geometrie. Da steht uns nicht irgendeine Außenwelt gegenüber, der wir nicht beikommen können, sondern im mathematischen Erken­nen leben wir in allem, was uns Objekt ist, unmittelbar darinnen. Wir formen innerlich die mathematischen Objekte und ihre Zusammen­hänge, und wenn wir die mathematischen Gebilde irgendwie zeichnen, so ist das nur, ich möchte sagen, zu unserer Bequemlichkeit da. Das­jenige, was wir meinen, ist ja niemals dasjenige, was irgendwie der­jenigen Außenwelt angehört, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, sondern dasjenige, was wir meinen im mathematischen Erkennen, ist durchaus ein innerlich Konstruiertes, etwas, was nur lebt in derjenigen Betätigung unseres Seelischen, die etwas gibt von alldem, was den Sin­nen als solchen unzugänglich ist. Wir konstruieren innerlich, indem wir uns das Feld der mathematischen Wissenschaft aufbauen. Das ist ein ganz radikaler Unterschied gegenüber dem ersten Feld des Erkennens, dem Erkennen der empirischen Außenwelt der Sinne gegenüber. Da bleibt das, was Objekt ist, streng außer uns. Im mathematischen Er­kennen stecken wir mit unserer ganzen Seele überall in dem Objektiven drinnen, und dasjenige, was überhaupt zustande kommt als Inhalt der mathematischen Wissenschaft, das ist Ergebnis einer rein in unserer Seele erlebten und vorgenommenen Konstruktion.

Hier liegt ein bedeutsames Problem, und ich möchte sagen, dieses Problem ist die Unterstufe zu dem anderen Problem, das dann die Oberstufe werden wird: Wie steigt man von den gewöhnlichen Wissen­schaften dann zur anthroposophischen Geisteswissenschaft hinauf? Ich glaube nicht, daß irgend jemand sich die letztere Frage sachgemäß und

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echt wissenschaftlich wird beantworten können, der nicht sich zuerst beantwortet hat die Frage: Wie erhebt sich das äußere reine Beobach­ten und das die Beobachtung regelnde Naturerkennen zu demjenigen Naturerkennen, das sich mit Mathematik durchdringt, wie verhält es sich zu dem mathematischen Erkennen als solchem?

Nun entsteht aber eine weitere Frage, eine Frage, die eigentlich der Wissenschafter aus seiner Erfahrung mit dem wissenschaftlichen Arbei­ten heraus sich beantworten muß. Ich sagte schon, Kant hat darauf aufmerksam gemacht, daß in jeder Wissenschaft nur soviel wirkliche Erkenntnis stecke, als Mathematik drinnen ist. Wiederum eine Einsei­tigkeit, denn es gilt dieses auf einem gewissen Felde. Der Kantsche Irrtum besteht darin, daß er dasjenige, was auf einem besonderen Felde gilt, als etwas Universelles angenommen und aufgestellt hat. Aber mit Bezug auf gewisse Partien des äußeren Naturdaseins, wie es durch unsere Sinne uns vermittelt wird, müssen wir uns allerdings sagen: Wir tragen in uns das Bedürfnis - auch von diesem Bedürfnis werden wir später noch genauer sprechen -, das ganz richtig so zu nen­nende wissenschaftliche Bedürfnis tragen wir in uns, die Tatsachen, die sich uns darbieten, auch mathematisch zu durchdringen, nicht nur sie zu messen, die Messungen zu vergleichen, sondern sie zu durchdrin­gen mit demjenigen, was wir erst selber in mathematischen Formeln konstruiert haben.

Was lebt da eigentlich in uns, indem wir so etwas anstreben, indem wir nicht dabei stehenbleiben, gewohnheitsmäßig mit allgemeinen Re­geln die äußeren empirischen Tatsachen zu verknüpfen, sondern diese empirischen Tatsachen zu durchdringen mit dem, was wir erst inner­lich konstruieren, was wir selber mit vollem Dabeisein beim mathema­tischen Objekt mit unserem ganzen Seelenleben formuliert haben? Nun, es liegt da ganz offenbar - das kann jeder, der auf diesem Gebiete wis­senschaftliche Erfahrung durchgemacht hat, sich sagen bei unbefan­gener Selbstbeobachtung -, es liegt da ganz zweifellos das vor, daß wir ja fühlen, zunächst steht die ganze Natur um uns herum eigentlich unserer menschlichen Wesenheit als etwas uns materiell Fremdes ge­genüber. Wenn wir nun bemerken, wir können gewissermaßen unter-tauchen in dieses uns materiell Fremde mit demjenigen, was wir erst

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selbst innerlich konstruiert haben, wir können in einer mathematischen Formel ausdrücken dasjenige, was uns sonst nur seiner Außenseite nach sich darbietet, und das, indem wir es mathematisch aussprechen, so ist, daß der Naturvorgang selbst sich nach dieser mathematischen Formel vollzieht, was liegt da zugrunde? Nun, nichts anderes liegt da zugrunde offenbar, als daß wir uns dadurch den äußeren uns zunächst fremden Naturvorgang innerlich ganz aneignen, daß wir gewisser­maßen streben, mit ihm eins zu werden. Tun wir denn etwas anderes, als daß wir dasjenige, was sich uns zunächst ganz äußerlich darbietet, so erfassen, daß wir sein Abspielen so nachkonstruieren können, wie wir es innerhalb des rein Mathematischen konstruieren? Tun wir denn etwas anderes, als darnach streben, dasjenige, was zunächst nur äußer­lich uns anglotzt, innerlich, und zwar exakt innerlich zu erleben? Dieses Verinnerlichen des Äußeren, das ist dasjenige, was antreibt die mathematische Naturerklärung, das lebt in der mathematischen Natur-erklärung. Es ist für das neuere Wissenschaftsstreben und für sein Ver­hältnis zur Technik - worüber wir auch noch zu sprechen haben wer­den - eben besonders charakteristisch, daß die Sehnsucht eine so inten­sive ist, soviel als möglich in das äußere Geschehen Mathematisches hineinzutragen, das heißt aber, innerlich zunächst Konstruiertes hin-einzutragen; also dasjenige, was sich uns darbietet im Anblick, voll zu durchschauen dadurch, daß wir es anschauen können, wie wenn es von uns selbst in seine Form, in die Formen seines Geschehens gebracht wäre. Und wenn wir es dann dahin gebracht haben, soweit es nur geht, gewissermaßen bis zur Erfüllung eines bestimmten Ideals, Mathematik in das äußere Naturerscheinen hineinzutragen, wenn es uns gelingt, das so weit zu treiben, wie es einmal jetzt ist - wo man das schon nicht mehr so sehr anstrebt, wie es einmal von den Atomisten angestrebt worden ist, die zum Beispiel auf dem Gebiete der Lichterscheinungen alles dasjenige, was sich äußerlich darbot, mit mathematischen For­meln zu durchdringen versucht hatten -, wenn wir dann dazu gekom­men sind, auf einem gewissen Gebiete möglichst dieses Ideal erfüllt zu haben, Mathematik hineingetragen zu haben in das Äußere, was haben wir dann? Dann können wir uns beschauen, was wir haben. Wir kön­nen uns fragen: Was haben wir damit erreicht? - Wir können uns deutlich

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vergegenwärtigen: Was hat eigentlich unsere Seele für einen In­halt, indem sie, statt das Äußerliche anzuschauen, sagen wir, statt die Polarisationserscheinungen anzuschauen, eine Summe von mathema­tischen Formulierungen in sich selber präsent macht? Was hat unsere Seele davon? Wir schauen dieses Gebilde an, diese gewissermaßen ganz in mathematische Formulierungen gebrachte Außenwelt, wir schauen sie an, und wenn wir sie dann unbefangen betrachten und ebenso un­befangen dann imstande sind, unseren Blick nach der Außenwelt zu richten, dann finden wir etwas ganz Eigentümliches. Dann finden wir, daß wir zwar alles dasjenige berücksichtigt haben, was uns an mate­riellen Voraussetzungen die Außenwelt gegeben hat, um unsere mathe­matischen Formulierungen an sie anzuknüpfen, wir finden gewisser­maßen, daß wir erst etwas hatten, was uns innerlich dunkel erschien, und was uns jetzt hell, nämlich mathematisch begrifflich durchhellt erscheint. Wir finden das. Aber wir können uns dann nicht mehr die Tatsache verleugnen, daß wir zu gleicher Zeit nun der Natur, der Außenwelt ein Bild entgegenhalten, das nichts mehr von der Wirk­lichkeit enthält, die sich uns erst dargeboten hat.

Nehmen Sie die optischen Erscheinungen in ihrer Fülle, in ihrer Intensität, nehmen Sie sie so, wie sie uns zunächst entgegentreten, wenn das Auge sie beobachtet, und setzen Sie dagegen dasjenige, was von einem gewissen Gesichtspunkte aus ganz gewiß mit Recht ein innerliches mathematisches Konstruieren herausbringt, sagen wir die mathematische Optik als das Bild, als das nach mathematisch formu­lierten Regeln gestaltete Bild dieser Erscheinungen des Auges. Sie wer­den sich - es gehört ja nur ein bißchen Unbefangenheit dazu - sagen müssen: In diesem mathematischen Bilde steckt nichts mehr von der Fülle der Farbenerscheinungen. Es ist alles dasjenige, was die Sinne, also die äußere Wirklichkeit, zunächst noch dargeboten haben, aus diesem Bilde herausgepreßt. Wir halten der Außenwelt ein Bild ge­genüber, welches ihre innere intensive Fülle nicht mehr hat, welches ihrer intensiven Wirklichkeit entbehrt.

Ich möchte hier einen Vergleich brauchen, von dem Sie erst in den nächstfolgenden Vorträgen sehen werden, daß er nicht bloß ein Ver­gleich ist. Aber als reine Analogie bitte ich, ihn zunächst einmal hinzunehmen.

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Wenn wir nämlich mathematisch die empirischen Tat­sachen durchdringen, dann zerfällt ja unsere Erkenntnis in zwei Etap­pen. Die erste ist: Wir müssen die empirischen Tatsachen, also sagen wir die Tatsachen des Auges, anschauen. Die zweite Etappe ist diese: Wir regeln diese Anschauungen in mathematische Formulierungen und haben dann gewissermaßen als das Ergebnis vor uns diese mathema­tischen Formulierungen. Wir sehen dann nicht mehr hin auf die empi­rische Tatsachenwelt. Es ist genau so, vergleichsweise genau, wie wenn wir den lebenkraftenden Sauerstoff einatmen und unseren Organis­mus mit ihm durchdringen. Er verbindet sich in uns mit dem Kohlen­stoff zur Kohlensäure, wir atmen die Kohlensäure aus, sie ist nicht mehr lebenskräftige Luft, aber der ganze Prozeß war uns für unser inneres Leben notwendig. Wir mußten den lebenskräftigen Sauerstoff einatmen, wir mußten ihn in uns mit etwas verbinden, was in uns ist. Wenn wir dasjenige, was auf diese Weise entstanden ist, jetzt der Außenwelt gegenüberstellen, so ist es für diese Außenwelt in dem­selben Sinne ein Ertötendes, wie die eingeatmete Luft ein Lebenerwek­kendes ist. Zunächst soll es nur als Bild gebraucht sein. So verhalten wir uns im mathematischen Naturerkennen. Wir nehmen in uns herein dasjenige, was sich unseren Sinnen darbietet, wir suchen es ganz intim in uns zu vereinigen mit etwas, was in uns ist, mit etwas, was nur in uns sich findet, mit dem in uns mathematisch Konstruierten. Dadurch entsteht etwas, durch die Verbindung des empirisch Erkannten mit dem in uns Konstruierten, eben das Ergebnis der mathematischen Na­turerkenntnis. Halten wir es der Natur gegenüber: die Natur ist dar­innen nicht in ihrer Lebendigkeit mehr enthalten, wie in der ausge­atmeten Luft nicht mehr die Lebenskraft der eingeatmeten. Es ist ge­wisserrnaßen ein seelisches Einatmen der äußeren Welt, aber ein sol­ches Einatmen, dem ein Ausatmen gegenübersteht, das, in einer gewis­sen Weise umgestaltet, ins Gegenteil verwandelt hat dasjenige, was eingeatmet wie mit dem Organismus der Seele verbunden worden ist. Auf diesen Prozeß, der vorgeht in uns, wenn wir mathematisches Na­turerkennen anstreben, auf diesen Prozeß muß man hinschauen, denn er beweist uns, daß tatsächlich dieses mathematische Naturerkennen ein anderes ist als das bloß empirische Naturerkennen. Das bloß empirische

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Naturerkennen geht bis zu unserer inneren Seelengewohnheit, das mathematische Naturerkennen, das stellt nicht bloß eine der Außenwelt fremde Gewohnheit dieser Außenwelt entgegen, sondern das stellt entgegen etwas innerlich Tüchtiges, Erlebtes, innerlich Aus­gestaltetes, und es will in diesem innerlich Ausgestalteten etwas haben, was diese Außenwelt ihrer eigenen Wesenheit nach erklärt, es will also gewissermaßen Innerliches mit Äußerlichem verbinden.

Wenn man richtig durchschaut, wie die Sehnsucht nach mathema­tischer Naturerklärung auf diesem innerlichen Aneignen der Außen­welt beruht, dann wird man nicht mehr übersehen können, wie man doch eine ganz andere Art von Erkenntnis hat in dem Mathematischen als in dem rein äußerlichen, sinnesgemäßen und die Sinneserfahrung verstandesmäßig zusammenfassenden empirischen Erkennen. Man geht tiefer in das menschliche Innere hinein mit dem mathematischen Er­kennen und glaubt gerade dadurch der Außenwelt entsprechend näher zu kommen, man glaubt gerade dadurch eben innerlich zu erleben, was das Wesen der Außenwelt repräsentiert. Man macht nur dann die Er­fahrung, daß man nun eigentlich mit dem, was man in mathematische Formulierung umgewandelt hat, im Grunde genommen die volle Fülle der Außenwelt verloren hat. Man muß sich bewußt sein: man ver­bindet dasjenige, was einem die Außenwelt gibt, mit etwas rein inner­lich Konstruiertem. Und man muß dasjenige, was da eigentlich in der Seele vorgeht, wenn man mathematische Formulierungen macht, richtig erleben können. Man muß durchschauen, daß das Mathematische ein innerliches Menschheitserzeugnis ist, und daß man dennoch, trotzdem man es in diesem Mathematischen mit einem innerlichen Menschheits­erzeugnis zu tun hat, dennoch ein Gefühl - wir werden später sehen, daß es eine Erkenntnis ist - davon hat, daß mit diesem innerlich mathe­matisch Konstruierten, das ganz abseits von der Außenwelt konstru­iert wird, etwas gegeben ist, was uns näher an die Außenwelt heran-bringt, als wir ihr sonst sind. Aber dennoch, wiederum kann dieses innerlich in solcher Weise mathematisch Konstruierte nicht innerliche Realität sein, wenigstens nicht unmittelbar innerliche Realität der realen Außenwelt gegenüber. Denn sonst müßte man, wenn man das mathematische Bild als Ergebnis der Forschungen vor sich hat, nicht

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das Gefühl haben, jetzt ist die volle Fülle der Außenwelt erblaßt und es steht nur die mathematische Formulierung da, sondern man müßte das Gefühl haben, man hat in dieser mathematischen Formulierung etwas, was innerlich erst recht Realität hat. Denken Sie einmal, wie anders die Sache läge, wenn wir das ganze Feld der Erlebnisse des Auges vor uns hätten mit aller intensiven Farbenempfindung, und wir würden dann noch, wenn wir mathematische Formulierung gepflogen haben, in dieser mathematischen Formulierung geistig dasjenige vor uns sehen, was wir erst aufgenommen haben. Wir würden in unseren mathematischen Formeln der Undulationstheorie die Farben aufblit­zen, aufleuchten sehen, Interferenzerscheinungen erleben und so wei­ter. Das tun wir nicht. Daß wir es nicht tun, bezeugt uns, daß wir zwar die Außenwelt mit unseren mathematischen Formulierungen so durchdringen, daß wir ihr näherkommen, aber daß wir zu gleicher Zeit dies auf Kosten davon tun, daß wir die volle Wirklichkeit der Außen­welt eigentlich dann nicht mehr haben.

Da man nun aufgerückt ist von der gewöhnlichen, der gewohnheits­mäßigen Erkenntnis zu der innerlich mathematisch formulierten Er­kenntnis, der vorausgehen muß ein Formulieren der rein innerlich er­lebten mathematischen Gebilde, so muß doch die Frage entstehen:

Kann denn nun nicht diese Entwickelung weiter fortgesetzt werden im Menschenseelenleben? - Erst haben wir eine Außenwelt vor uns, wir stehen ihr so gegenüber, daß die Regeln und Gesetze, die wir auf Grund unserer Beobachtungen von ihr uns bilden, ganz fremde Gebilde hier sind. Wir schreiten vorwärts, wir können das nur dadurch, daß wir innerlich ganz abseits von der äußeren Außenwelt die mathematischen Formulierungen erleben. Wir durchdringen dann mit diesen mathema­tischen Formulierungen allein diese Außenwelt. Sie sind innerlich offenbar nicht mit Wirklichkeit durchdrungen, sonst würden wir die Wirklichkeit auch haben. Wenn wir sie uns dann vorsetzen, wenn wir sie besonders anschauen, wenn wir auf sie reflektieren: sie können nicht wirklich sein, denn im Gegenteil, sie löschen die Wirklichkeit, auf die wir sie angewendet haben, aus. Die Frage entsteht in diesem Punkte der Erwägungen: Kann es nun möglich sein, daß wir dasjenige, was wir im Innerlichen mathematisch formulieren, was wir zuerst unternehmen,

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um die sinnliche Außenwelt intimer zu durchdringen, daß wir in diesem uns erkraften? Kann es möglich sein, daß dasjenige, was zu­nächst als mathematisch-innerliches Erleben, ich möchte sagen, so blasse Abstraktion ist, daß dadurch uns die Wirklichkeit eben auch verblaßt, könnte es sein, daß das, was da erlebt wird in den mathema­tischen Gebilden, kraftvoller innerlich gegenwärtig gemacht würde? Mit anderen Worten: könnte die Kraft, die wir anwenden müssen, um in Vorbereitung einer mathematischen Naturerkenntnis zu dieser letz­teren zu kommen, wesentlich stärker angewendet werden, so daß wir nicht nur mathematisch Abstraktes, sondern konkret Geistiges inner­lich gestalten? Dann würden wir zwar nicht die sinnliche Außenwelt zunächst wieder erstehen sehen in dem, was wir da innerlich gestaltet haben, aber wir würden etwas vor uns haben, was ja dann wohl kein mathematisches Gebilde ist, denn mathematische Gebilde sind eben abstrakt, sondern das anders gestaltet sein muß. Wir würden etwas vor uns haben, was auf dieselbe Art gewonnen ist wie die mathema­tischen Gebilde, aber gewonnen ist mit dem Charakter der Wirklich­keit. Und vor uns würde stehen, geistig angeschaut, etwas, von dem wir uns sagen können, es erglänzt uns ebenso in Wirklichkeit wie die äußere sinnliche Wirklichkeit, aber wir haben es gewonnen, indem wir aus uns herausgehoben haben nicht nur mathematisch abstrakte Gebilde, son­dern reale Gebilde. Wir haben die mathematisierende Kraft verstärkt und sind dadurch aufgestiegen dazu, innerlich Wirklichkeit aus uns selber hervorzuheben. Das wäre dann eine dritte Stufe unseres Er­kennens.

Die erste Stufe wäre das gewohnheitsmäßige Hinnehmen der realen Außenwelt. Die zweite Stufe wäre das mathematische Durchdringen dieser Außenwelt, nachdem wir zuerst die reine Mathematik ausge­bildet haben. Das dritte wäre ein Erleben des Geistes, eben auch inner­lich, notwendig innerlich intim wie das mathematische Erleben, aber mit dem Charakter der geistigen Wirklichkeit. Und so stünden vor uns die äußere empirische Naturerkenntnis, die mathematisierende Er­kenntnis und die Geisteserkenntnis, diejenige Erkenntnis, in der wir dadurch, daß wir innerlich schöpferisch geworden sind, geistige Welten vor uns haben.

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Eine Vorbereitung, diese Welten für real halten zu dürfen, haben wir schon darin, daß wir das, was wir in der mathematisch gebildeten, allerdings noch bildhaft abstrakten Erkenntnis finden, auf eine äußere Wirklichkeit anwenden und uns so auch sagen: Wie wir mathematisch konstruieren, das hat zwar in sich noch keine Realität, es holt aus un­seren Seelentiefen nicht eine Realität herauf, es holt aber etwas herauf, was Bild ist für eine Realität. In der Geisteswissenschaft holen wir aus unseren Seelenuntergründen dasjenige herauf, was nun nicht nur Bild einer äußeren Realität ist, sondern was selber Realität ist, was Wirk­lichkeit ist. Diese drei Stufen menschlicher Erkenntnis gibt es: Erstens die physische Naturerkenntnis, zweitens das mathematisierende Wis­sen und drittens die Geisteswissenschaft. Und es ist nicht irgendwie aus bloßen Annahmen heraus, daß eine geisteswissenschaftliche Methode als Notwendigkeit konstruiert wird, sondern Sie sehen, es fügt sich gerade für denjenigen, der das Hervorgehen des Mathematisierens aus dem bloß empirischen Forschen versteht, als ein weiterer Fortgang ein Geist-Erkennen an, obzwar man dadurch nicht eine mathematische, sondern etwas ganz anderes, eine wirkliche geistige Welt erhält. Und man muß schon sagen, wer versteht, wie Mathematik entsteht, der wird sich auch zum Verständnis aufschwingen können, wie anthroposo­phisch orientiert genannte Geisteswissenschaft entsteht.

Das wollte ich zu Ihnen heute als eine Einleitung zu diesen Vor­trägen sprechen. Ich wollte Ihnen zeigen, daß diese anthroposophische Geisteswissenschaft weiß, wo ihr Ort ist im ganzen System der Wis­senschaften. Sie ist nicht aus irgendeiner subjektiven Willkür, nicht aus irgendeinem Dilettantismus, sie ist aus einer gründlichen Erkennt­nistheorie herausgeboren, sie ist aus der Erkenntnis herausgeboren, die erst angewendet werden muß, um die Berechtigung des Mathema­tischen selbst zu verstehen. Nicht umsonst hat - allerdings aus älteren, instinktiven Wissenschaftserkenntnissen heraus - Plato von seinen Schülern verlangt, daß sie zuerst eine gute Vorschule in Geometrie oder Mathematik haben sollten. Er wollte damit nicht arithmetische oder geometrische Einzelerkenntnisse bei den Schülern ermöglichen, sondern ein gründliches Verstehen dessen, was im Menschen eigentlich vorgeht, wenn er mathematisiert oder geometrisiert. Und darauf beruht

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im Grunde genommen der scheinbar paradoxe, aber tief bedeut­same Ausspruch Platos: Gott geometrisiert. - Er meinte nicht, daß Gott bloß im Mathematischen Fünf- oder Sechsecke schaffe, sondern daß er schaffe mit einer solchen inneren Kraft, wie wir sie uns, allerdings nur bildlich abstrakt, schon vergegenwärtigen in dem mathematischen Denken. Deshalb glaube ich, daß gerade derjenige, der gründlich ver­steht, wo Mathematik liegt im Felde der Wissenschaften, auch ver­stehen wird, wo Geisteswissenschaft liegt.

Diese Geisteswissenschaft wird ihr Recht erkämpfen, wie auch ihre Widersacher auftreten mögen, denn sie will durchaus nicht auf irgend­welche leichtfertigen oder dilettantischen Grundlagen bauen, sondern sie will gerade auf wirklicher Exaktheit und auf historischer Gründ­lichkeit sich aufbauen. Deshalb darf ich schon sagen: Diejenigen etwaigen Gegner, die wirklich ernsthaft eingehen auf dasjenige, was die hier gemeinte Geisteswissenschaft zu ihrer Rechtfertigung zu sagen hat, können dieser Geisteswissenschaft immer willkommen sein, denn mit denen wird sie gern diskutieren. Sie hat keine Angst vor ihnen, denn sie ist ausgerüstet mit all den wissenschaftlichen Waffen, die in den anderen Wissenschaften vorhanden sind, und kann damit kämpfen. Sie möchte nur nicht just fortwährend aufgehalten sein durch die­jenigen, die nichts von ihr verstehen und gerade von ihrem puren Dilet­tantismus und ihrer niedrigen Gesinnung aus gegen sie auftreten, denn Geisteswissenschaft, so wie sie hier aufgefaßt wird, glaubt, daß sie eine Notwendigkeit für die übrigen Fachwissenschaften ist, und sie hat im Grunde genommen keine Zeit zu verlieren, denn es ist notwendig, daß die Grenzen, in die sich die Fachwissenschaften überall gestellt finden, durch diese Geisteswissenschaft überschritten werden. Daher müssen wir zunächst uns schon ein wenig dazu entschließen, diejenigen, die ohne Gründe gegen diese Geisteswissenschaft auftreten, aus Beweg­gründen heraus, über die vielleicht noch da oder dort auch im Laufe die­ser Vorträge schon eine Andeutung fallen wird, zuweilen unsanft anzu­fassen. Denn im Grunde genommen müßte gerade heute der Mensch­heit so schnell als möglich über Geisteswissenschaft ernsthaft, ganz ernsthaft und exakt wissenschaftlich gesprochen werden, und das kann auch geschehen, wenn man nur auf sie eingeht.

ZWEITER VORTRAG Stuttgart, 17. März 1921

#G324-1972-SE028 Naturbeobachtung, Experiment, Mathematik und die Erkenntnisstufen der Geistesforschung

#TI

ZWEITER VORTRAG

Stuttgart, 17. März 1921

#TX

Ich habe schon gestern in dem einleitenden Vortrage darauf hingewie­sen, wie bei der Betrachtung des Uberganges menschlicher Erkenntnis von dem gewöhnlichen Erkennen der Außenwelt zum mathematischen Erkennen sich die erste Etappe jenes Weges ergibt, der dann weiter verfolgt dazu führt, auch die geisteswissenschaftliche Methode, wie sie hier gemeint ist, zu durchschauen und anzuerkennen. Es wird ja gerade in diesen Vorträgen mein Bestreben sein, die geisteswissen­schaftliche Methode zu charakterisieren und zu rechtfertigen. Das kann im Grunde genommen erst als Ergebnis desjenigen zutage treten, was ich in diesen sieben Vorträgen auseinanderzusetzen habe.

Heute möchte ich noch einmal etwas genauer eingehen auf die erste Etappe. Ich möchte vor Sie eine Betrachtung hinstellen, wie sie heute noch in dem wissenschaftlichen Denken vielleicht da oder dort in Fragmenten wohl zutage tritt, wie sie aber zusammenfassend nicht vor­handen ist, und weil sie zusammenfassend nicht vorhanden ist, so liegt auch das vor, daß man dann nicht in der Lage ist, sich methodisch zu erheben von der Umwandlung noch mathematikfreier Wissenschaft zu mathematischer Wissenschaft, von dieser Umwandlung dann zu der anderen, die wir als ganz sachgemäß aus ihr hervorgehend erkennen werden, vom mathematischen Durchdringen der Objektivität zu einem geisteswissenschaftlichen Durchdringen des wirklichen Seins. Ich werde, wie schon angedeutet, ganz stufenweise und methodisch ver­suchen, diese letzte Etappe durch unsere Betrachtung zu erreichen.

Dazu werden wir heute ausgehen von einer Betrachtung des Men­schen, so wie er sich selber erlebt im Anschauen, im Beobachten der äußeren Welt. Es wird Ihnen aus Vorträgen, die hier gehalten worden sind, oder wenigstens aus Seminarreferaten, dann aber aus der Lektüre meines Buches «Von Seelenrätseln» bekannt sein, daß man zu einer vollständigen und zureichenden Betrachtung des Menschen doch nur dadurch kommt, daß man einsieht, wie die gesamtmenschliche Organi­sation sich für ihn in drei deutlich voneinander unterschiedene Glieder

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spaltet. Wir haben es gewiß zu tun mit dem einheitlichen Menschen. Aber dieser einheitliche Mensch wirkt gerade als der komplizierteste Organismus, der uns zunächst bekannt ist, dadurch, daß er gegliedert ist, ich möchte sagen, in drei Teilorganisationen, die eine gewisse Selb­ständigkeit in sich haben, die aber dann gerade dadurch, daß sie alles das, was in ihnen liegt, durch diese Selbständigkeit ausbilden und dann wiederum zu einem Ganzen zusammenwirkend gestalten, die konkrete Einheitlichkeit der menschlichen Organisation zustande bringen. Wir haben es da zu tun zunächst mit dem, was ich in meinem Buche «Von Seelenrätseln» genannt habe den Nerven-Sinnesmenschen, dasjenige Glied der menschlichen Organisation, das ja zunächst im menschlichen Haupte seinen am meisten adäquaten Ausdruck hat, das aber von da aus sich wiederum erstreckt über die ganze menschliche Organisation. Allein man darf deswegen, weil solch ein Glied der menschlichen Orga­nisation doch wiederum die Gesamtorganisation durchdringt, nicht übersehen, daß solch ein selbständiges Glied vorhanden ist. Wir kön­nen einmal ganz genau unterscheiden von der übrigen menschlichen Organisation - und wir werden auch darüber des weiteren noch zu sprechen haben - den Nerven-Sinnesmenschen, alles dasjenige, was der Vermittler ist unseres Vorstellungslebens. Wir sind vorstellende Men­schen dadurch, daß wir imstande sind, dasjenige, was vorstellendes Le­ben ist, uns selber zu vermitteln durch dasjenige Organ, das man zu­sammenfassen kann als die Sinne und das von den Sinnen nach der in­neren Organisation sich hinziehende Nervensystem.

Nicht in demselben Sinne wie durch das Vorstellungsleben hängen wir mit diesem Nervensystem zusammen durch unser Gefühlsleben. Nur die ungenaue psychologische Betrachtungsweise der neuesten Zeit läßt das übersehen. Das Gefühlsleben ist nicht unmittelbar geknüpft an das Nerven-Sinnessystem, sondern nur mittelbar. Das Gefühlsleben ist unmittelbar geknüpft an alles dasjenige, was wir in der mensch­lichen Organisation nennen können das rhythmische System, das sich am meisten auslebt in Atmung, in Pulsschlag und in der Blutzirkulation. Die Täuschung, daß unser Gefühlsleben als ein Teil unseres Seelen­lebens auch unmittelbar zusammenhänge mit dem Nerven-Sinnes-system, kommt daher, daß wir ja alles dasjenige, was sich in uns als

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Menschen gefühlsmäßig abspielt, fortwährend mit Vorstellungen be­gleiten. Und so wie unser Gefühlsleben seelisch fortwährend von Vor­stellungen begleitet ist, so ist auch organisch unser rhythmisches System, das sich ja über den ganzen Organismus erstreckt, in Verbindung mit unserem Nerven-Sinnessystem. Es ist eine ähnliche Beziehung zwischen dem rhythmischen System und dem Nerven-Sinnessystem im Körper, wie in der Seele die Beziehung ist zwischen dem Gefühlsleben und dem Vorstellungsleben. Dadurch allein aber drückt sich nun mittelbar un­ser Gefühlsleben auch durch das Nerven-Sinnessystem aus, daß eben erst in unserem Organismus vermittelt wird das Erleben des Fühlens, das zu seinem Werkzeug im Organismus das rhythmische System hat, daß dieses nun zurückwirkt auf das Nerven-Sinnessystem und dadurch der Schein entsteht, als ob auch unmittelbar das Gefühlsleben mit dem Nerven-Sinnessystem zusammenhinge. Ich habe in meinem Buche «Von Seelenrätseln» besonders darauf aufmerksam gemacht, daß man zum Beispiel beim Studieren desjenigen, was im Menschen beim musi­kalischen Auffassen vorgeht, gerade auf eine leichte Art darauf kom­men kann, wie dieses eben charakterisierte Verhältnis im Menschen besteht.

Außer diesen beiden Systemen, dem Nerven-Sinnessystem, das das Vorstellungsleben, dem rhythmischen System, das das Gefühlsleben vermittelt, haben wir dann das Stoffwechselsystem. Und in den drei Systemen, Nerven-Sinnessystem, rhythmisches System, Stoffwechsel-system, haben wir restlos in bezug auf alles Funktionelle den mensch­lichen Organismus gegeben. Unmittelbar entspricht das Stoffwechsel-system dem Seelenleben des Wollens, und ein wirkliches Studium des Zusammenhangs zwischen Wollen und menschlichem Organismus wird erst zustande kommen, wenn man die Sache so verfolgen wird, daß man untersuchen wird, wie der Stoffwechselumsatz ist, wenn ein Willensakt oder auch nur ein Willensimpuls sich vollzieht. Jeder Stoff­wechselumsatz ist eigentlich bewußt oder unbewußt die physische Grundlage einer Willenstatsache oder eines Willensimpulses. Es hän­gen zugleich mit dem Stoffwechsel zusammen unsere Bewegungen, und wegen dieser Tatsache, daß mit unserem Stoffwechsel unsere Bewegun­gen zusammenhängen, hängt auch unsere Beweglichkeit seelisch wiederum

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mit der Willensbetätigung zusammen. Man muß sich klar sein darüber, daß, indem wir eine Bewegung im Raume ausführen, dieses, ich möchte sagen, die primitivste Willensbetätigung ist. Aber - um dieses Goethesche Wort zu gebrauchen - bei einer urphänomenalen Willens­betätigung ist eben jener Stoffwechselumsatz, der einer Bewegung in uns zugrunde liegt, als solcher physischer Ausdruck für das Seelische einer Willensbetätigung. Und nur dadurch, daß wir wiederum vor­stellungsgemäß unsere Willensbetätigungen verfolgen, hängen diese Willensbetätigungen nun auch mittelbar zusammen mit dem Nerven­Sinnessystem. So können wir, ich will das zunächst vorbereitend sagen, das seelische Leben und auch das physische Leben des Menschen in einer Art von Gliederung in drei selbständige organische und seelische Glieder betrachten.

Wir wollen nun heute einmal versuchen, wie mit Bezug auf den beobachtenden Menschen von einem gewissen Gesichtspunkt aus sich diese drei Glieder der menschlichen physischen und seelischen Organi­sation verhalten. Da möchte ich vor allen Dingen dasjenige betrach­tend vor Sie hinstellen, was die Anschauung der Dimensionalität des Raumes ist. Wir müssen schon auf diese, ich möchte sagen, exakteren, minuziöseren Dinge eingehen, weil ja gerade diese Vorträge dazu die­nen wollen, geisteswissenschaftliche Betrachtung als Fortsetzung der gewöhnlichen wissenschaftlichen Betrachtung exakt zu zeigen. Wir betrachten da zunächst dasjenige, was ich Nerven-Sinnesorganismus genannt habe. Dieser Nerven-Sinnesorganismus ist ja hauptsächlich, wie ich schon gesagt habe, in der Hauptesorganisation, in der Kopf-Organisation des Menschen enthalten, und von der Kopforganisation, die in der Hauptsache den Nerven-Sinnesmenschen enthält, dehnt sich dann das Nerven-Sinnesleben über den übrigen menschlichen Organis­mus aus, diesen gewissermaßen imprägnierend. Man könnte sagen, für eine nun nicht äußerlich genommene Betrachtung des Menschen setzt sich der Kopf durch den ganzen Menschen fort. Wenn wir zum Bei­spiel innerhalb der Sinnesorganisation die Wärmeperzeption über den ganzen Organismus ausgedehnt haben, so bedeutet das nichts anderes, als daß diejenige Organisationsart, die hauptsächlich im Kopfe für den wichtigsten Teil des Sinnenlebens gelegen ist, für dieses Spezielle

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der Wärmeempfindung sich nun über den ganzen menschlichen Orga­nismus ausdehnt, so daß in gewisser Beziehung mit Bezug auf die Wärmeperzeption der ganze Mensch Kopf ist.

Sehen Sie, diese Auseinandersetzungen werden einem heutzutage außerordentlich übelgenommen. Denn man hat sich so sehr an äußer­liche Betrachtungsweisen gewöhnt, daß man meint, man müsse, wenn von drei Gliedern des menschlichen Organismus geredet wird, diese so ganz räumlich gesondert nebeneinanderstellen können, und ein Pro­fessor der Anatomie, der nach solcher räumlichen Sonderung strebte, hat dann den Geschmack gehabt, zu sagen, es würde geteilt durch An­throposophie der Mensch in ein Kopfsystem, in ein Brustsystem und in ein Bauchsystem. Nun ja, mit solchen Dingen kann man unsachlich Anthroposophie treffen. Aber darum handelt es sich ja gewiß nicht, sondern es handelt sich darum, sachgemäß auf diese Dinge wirklich einzugehen und wissen zu lernen, daß in der Wirklichkeit die Dinge nicht so räumlich gesondert sind, wie man es sich heute vielfach dilet­tantisch vorstellt, sondern daß sie ineinandergreifen, ineinanderflie­ßen - was ja insbesondere auch beachtet werden muß, wenn man rich­tig verstehen will das Ineinanderwirken der drei Glieder des drei­gliedrigen sozialen Organismus.

Nun, die Kopforganisation ist ja ganz gewiß diejenige Organisa­tion, die, zunächst ergibt das der rein empirische Tatbestand, am mei­sten mit dem Erkennen, wenigstens mit dem mathematischen Erken­nen, das zunächst in der äußeren Welt an den Menschen herantritt, zu tun hat. Bei dieser Kopforganisation können wir nun rein empirisch konstatieren, daß dasjenige, was wir Dimensionalität nennen können, uns, ich möchte sagen, zunächst nur in einem Anflug entgegentritt. Wir werden das, um was es sich hier handelt, am besten einsehen, wenn wir drei Betätigungsweisen des Menschen ins Auge fassen; die erste die­jenige, die ich nennen möchte den totalen Sehakt, das Sehen, das Be­obachten der Welt mit den Augen. Aber, wie Sie gleich sehen werden, es handelt sich um den totalen Sehakt, nämlich um das Beobachten der äußeren Objekte mit unseren zwei Augen. Zweitens haben die Arme und Hände des Menschen, obzwar sie am Rumpfe befestigt sind, und obzwar sie in einer gewissen Beziehung durchaus zum Gliedmaßensystem

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gehören, doch auch wiederum eine innige Beziehung zum rhyth­mischen System. Sie sind durch ihr besonderes Ansetzen in der Nähe des rhythmischen Systems gewissermaßen durch das Leben, durch das Funktionelle am Menschen umgestaltet. Sie sind angepaßt als Glied­maßen demjenigen Leben, das wir das rhythmische Leben nennen können, und weil sie nach außen gelegen sind, die Arme und die Hände, so können wir uns an ihnen manches verdeutlichen, was wir uns zu­nächst an den inneren Gliedern des rhythmischen Systems nicht so leicht dürften verdeutlichen können. Also wohlgemerkt, es handelt sich darum, daß wir in Armen und Händen wohl Gliedmaßen haben, daß aber diese Gliedmaßen wegen ihrer besonderen Stellung am menschlichen Organismus, ich möchte sagen, durch das Leben, durch das Funktionelle angepaßt sind dem Rhythmischen. Sie können dieses Rhythmische in den Armen, in den Händen verfolgen, wenn Sie sich sagen, wie stark dasjenige, was wir im Gefühl haben, also in demjeni­gen, was mit dem rhythmischen System zusammenhängt, in der Ge­bärde, in der freien Beweglichkeit der Arme und der Hände zum Aus­druck kommt. Es sind eben im Menschenleben diese Gliedmaßen ganz und gar, m&hte ich sagen, um eine Stufe des Erlebens heraufgehoben. Sie sind veranlagt als Gliedmaßen, sind aber durchaus nicht sowie beim Tiere in den Dienst gestellt, in dem eben die Gliedmaßen stehen, son­dern sind befreit von dem Dienst des Gliedmaßenlebens und werden, ich möchte sagen, wie in einer unsichtbaren Sprache zu einem Ausdruck des menschlichen Gefühlslebens, sind also angepaßt dem rhythmischen System. Als dritte Funktion möchte ich dann vor Sie hinstellen das­jenige, was wir als das Gehen betrachten können, also eine im eminen­testen Sinne durch das Gliedmaßensystem des Menschen vor sich ge­hende Betätigung.

Sehen, Armbewegung und Gehen, wir wollen sie einmal nun wirk­lich wissenschaftlich vor die Seele führen. Das Sehen mit den zwei Augen: Wenn man es betrachtet in seiner Totalität, so kommt man darauf, daß zunächst, völlig von aller Verstandestätigkeit unabhängig, das Gesehene sich uns darstellt in zwei Dimensionen. Ich kann, wenn ich das Gesehene Ihnen darstellen will seiner Dimensionalität nach, einfach die zwei Dimensionen hier auf die Tafel zeichnen (siehe Zeichnung)

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als zwei aufeinander senkrecht stehende Koordinaten. Ich möchte es so zeichnen, daß das mit späteren Ableitungen stimmt, indem ich die beiden Linien nur punktiere. Ich möchte in dieser Tatsache, daß ich die beiden Linien nur punktiere, zum Ausdruck bringen, daß eigentlich in unser Verstandesbewußtsein dieses Zweidimensionale gar nicht aufgenommen wird, wenn wir sehen.

#Bild s. 34

Dagegen liegt es anders mit der dritten Dimension. Die dritte Di­mension, wir können sie nennen die Tiefendimension, also die Tiefe von unseren Augen aus gesehen, diejenige Dimension, die in der Rich­tung von rückwärts nach vorne liegt, steht nicht in gleichem Sinne fertig vor unserer Seele, ganz unabhängig etwa von unserem Verstand. Sie steht vor uns als dasjenige, was wir als innere Verstandesoperation vollziehen, wenn wir die sonst flächenhaft gesehenen Dinge zum Kör­perhaften ergänzen durch die Tiefendimension. Was wir da ausfüh­ren, entzieht sich in einer gröberen Weise allerdings unserer bewußten Tätigkeit. Allein, wenn man in feinerer Art auf die bewußte Tätigkeit eingeht, so wird man durchaus darauf kommen, daß man diese Tiefen-dimension in einer anderen Weise erlebt als die beiden anderen, die ich nennen will die Höhen- und die Breitendimension. Man kann schon gewahr werden, wie man in einer gewissen Weise abschätzt in bezug auf diese Tiefendimension, wie weit irgend etwas von uns entfernt ist. Es kommt zu der gewöhnlichen Anschauung, zu der Augenanschauung etwas hinzu, wenn wir die Flächendimensionalität ergänzen im Be­wußtsein zur körperhaften Dimensionalität, so daß wir sagen kön­nen: Solange wir innerhalb unseres Bewußtseins stehenbleiben, können

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wir nicht sagen, wie dasjenige zustande kommt, was Höhendimension ist und Breitendimension. Wir müssen Höhendimension und Breiten-dimension einfach hinnehmen. Sie sind in der Sehanschauung einfach gegeben. Nicht so die Tiefendimension, also die dritte Dimension. Ich zeichne sie deshalb hier perspektivisch als Vollinie ein, womit ich an­deuten will, daß diese Vollinie als Tiefendimension schon auf einer ins Bewußtsein wenigstens leise hereinspielenden Betätigung, auf einer be­wußten, sagen wir, halbbewußten Betätigung beruht, so daß wir sa­gen können: Wenn wir den Sehakt ins Auge fassen, so sind uns zu­nächst rein gedanklich, nämlich erst wenn wir den Sehakt gedanklich durchdringen, die Höhen- und die Breitendimensionen gegeben. Die Tie­fendimension beruht schon auf einer Betätigung des Bewußtseins, auf einer Betätigung der halbbewußten Verstandesoperation. Daher muß auch, wie Sie ja vielleicht schon gehört haben, die anatomisch-physiolo­gische Ausdeutung des totalen Sehaktes so verfahren, daß sie dem Sehen eigentlich nur zuschreibt - also demjenigen, was Sehen ist noch ohne Verstandestätigkeit - das Zustandekommen der gesehenen Flächen-ausdehnung. Dagegen muß sie zuschreiben schon der Großhirntätig­keit, also nicht mehr der Vierhügeltätigkeit, diesem Organ im mensch­lichen Körper, von welchem die veranschaulichende Augenbetätigung abhängt, das körperliche Verhalten beim Sehen, sondern es muß be­züglich der Tiefendimension dem Großhirn, dem Vermittler auch der willensmäßigen Verstandesoperationen, das Anatomisch-Physiolo­gische zugeschrieben werden. Wir können schon in einer gewissen Weise, wenn auch, ich möchte sagen, leise vom Bewußtsein erfaßt, die Tiefendimension synthetisch und analytisch behandeln. Sie gehört in den Bereich desjenigen, was ich nennen möchte die bewußte Betätigung durch das menschliche Haupt.

Wenn wir nun vom Sehakt übergehen zu demjenigen Akt, der ent­steht durch die Betätigung in der Arme- und Händebewegung, dann handelt es sich darum, daß wir eintauchen in ein allerdings noch schwer mit dem Bewußtsein zu ergreifendes Element. Aber wir können schon immerhin auf dasjenige, was sich vollzieht, indem wir verfolgen unser Gefühlsleben jetzt in freier Betätigung unserer Arme und Hände und der Gebärden, wir können schon ebenso hier auf dasjenige, was eigentlich

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der Mensch tut, aufmerksam werden, wie wir aufmerksam werden auf die Betätigung in bezug auf die Tiefendimension durch die zwei menschlichen Augen. Was ist es denn eigentlich, was uns diese Tiefen-dimension vermittelt? Es ist die Einstellung des linken und des rechten Auges. Es ist die Übereinanderkreuzung der linken und der rechten Augenachse. Ob diese Übereinanderkreuzung in größerer oder gerin­gerer Entfernung von uns selber sich vollzieht, davon hängt die haupt-verstandesmäßige Beurteilung der Tiefendimension ab. Es ist wenig äußerlich anschaulich diejenige Betätigung, die der Beurteilung dieser Tiefendimension eigentlich zugrunde liegt.

Wenn wir nun davon übergehen auf die Betätigung der mensch­lichen Arme und Hände, dann finden wir, daß wir allerdings in deut­licher Weise schon unterscheiden können auch nur bei einer einiger­maßen stattfindenden Anstrengung unseres Bewußtseins, daß wir aller­dings, indem wir die Arme in horizontalem Kreise bewegen, deutlich unterscheiden können, wie sich diese Armbewegung bewußt abspielt in der Dimension des Rechts-Links, also in der Dimension, die ich als die Breitendimension bezeichnen möchte. Wer das menschliche Leben genauer zu analysieren imstande ist, der wird wissen, daß alles das­jenige, was der Mensch beurteilt in bezug auf diese Breitendimension, ja in der Tat zusammenhängt mit demjenigen Fühlen, das wir haben, indem wir uns wissen als ein Mensch, der die volle Breitendimension durchmißt mit einem linken und mit einem rechten Arme. Wir haben ein gefühlsmäßiges Erleben desjenigen, was wir Symmetrie nennen, welches Erleben vorzugsweise ja in der Breitendimension sich abspielt. Wir haben ein solches Erleben vor allen Dingen durch das Gefühl, das wir vermittelt bekommen durch unseren linken und rechten Arm. Allerdings übersetzt sich nun dieses Fühlen unserer eigenen Symmetrie vorzugsweise durch die entsprechenden Bewegungen des linken und rechten Armes, die wir fühlen, so daß wir das Symmetriesein in diesem zusammengehörigen Bewegen des linken und rechten Armes fühlen. Es übersetzt sich uns das gefühlsmäßige Erfassen der Breitendimension vorzugsweise durch die Symmetrie in ein Vorstellungsleben, und wir beurteilen dann die Symmetrie auch im Vorstellungsleben. Allein Sie werden nicht übersehen können, daß dieses Beurteilen der Symmetrien

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der Breitendimension im Grunde genommen etwas Sekundäres ist, und derjenige, der nur anschauen könnte das Symmetrische und nicht ein Gefühl haben würde beim Symmetrischen, beim Entsprechen des sym­metrischen Links dem symmetrischen Rechts, der würde die Sym­metrie doch blaß und trocken und nüchtern und verstandesmäßig bloß erleben. Derjenige lebt richtig in allem drinnen, was uns Symmetrie sagen kann, der symmetrisch auch erfühlen kann. Aber erfühlen kön­nen wir das Symmetrische als Menschen nur dadurch, daß wir uns in einer leisen Weise immer bewußt werden der Zusammengehörigkeit der Bewegungen des linken und des rechten Armes, beziehungsweise der linken und der rechten Hand. Auf das, was wir da gefühlsmäßig erleben, stützt sich eigentlich alles dasjenige, was wir mit Bezug auf die Breitendimension erleben können.

Aber auch dasjenige, was wir vorher in bezug auf den Sehakt die Tiefendimension genannt haben, wird uns in einer gewissen Weise doch bewußt durch etwas, was ja auch mit unseren Armen zustande kommt. Wie wir die Sehlinien, die Visierlinien kreuzen, so kreuzen wir ja auch die Arme, und es ist, ich möchte sagen, die gröbere Über­setzung des Sehaktes, wenn wir die Arme irgendwo kreuzen. Wir kön­nen gerade durch das Aufeinanderfolgen der Punkte, die wir bekom­men, wenn wir die Arme kreuzen, uns hineinleben in dasjenige, was Tiefendimension ist, so daß wir, wenn wir vollständig erleben das­jenige, was wir in unserer Armorganisation haben, nun durchaus nicht fertig vor uns haben die zweite Dimension, die Breitendimension, wie wir sie beim Sehakt fertig vor uns haben, sondern wenn wir symbolisch ausdrücken wollen dasjenige, was nun in bezug auf die Dimensionali­tät beim Arme- und Händeorganismus entsteht, so müßte ich so zeichnen:

#Bild s. 37

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die Breitendimension, die Tiefendimension (voll ausgezogene Li­nien). Und nur die Höhendimension, die ist fertig für dasjenige, was ich erlebe durch meine Armorganisation (punktierte Linie). Wir las­sen, indem wir unsere Gebärden ausführen, indem wir gewissermaßen mit unseren Gebärden bewußt durchsetzen diejenige Fläche, welche sich zusammensetzt aus der Tiefen- und aus der Breitendimension, vollständig im Unbewußten liegen die Höhendimension, die dritte Dimension. Wann tritt diese dritte Dimension eigentlich erst in das deutliche Bewußtsein? Sie tritt in das deutliche Bewußtsein erst beim Gehakt. Wenn wir uns vom Ort bewegen, da wird die Linie, welche in dieser dritten Dimension, in der Höhendimension liegt, fortwährend eine andere, und wenn auch wiederum das Verstandesbewußtsein von dieser dritten Dimension beim Gehen ein außerordentlich leises ist, so können wir doch nicht übersehen, daß es in der Tat halbbewußt inner­halb der Verstandesoperation liegt, diese dritte Dimension in Erwä­gung zu ziehen. Gewiß, im groben äußeren Bewußtsein rechnen wir nicht mit der Veränderung dieser Linie in der Höhendimension. Aber indem wir überhaupt gehen und das Gehen als einen Willensakt ent­wickeln, verändern wir fortwährend diese Linie in der Höhendimen­sion, und wir müssen uns sagen: Es ist ebenso leise bewußt dasjenige, was in dieser dritten Dimension vorgeht, für das Gehen, wie leise be­wußt ist für den Sehakt dasjenige, was in der Tiefendimension vor­geht. Wenn wir also die Dimensionalität jetzt zeichnen wollen für das­jenige, was mit Hilfe des eigentlichen Gliedmaßenorgans geschieht, das nicht an irgend etwas anderes als an die Gliedmaßenbetätigung ange­paßt ist, wenn wir die Dimensionalität studieren am Gehakt, der an die Beine und Füße gebunden ist, dann werden wir sagen können: da

#Bild s. 38

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drinnen, bei diesem Gehakt, fühlen wir verstandesgemäß eine Be­tätigung innerhalb aller drei Dimensionen, so daß ich den Gehakt dann zu zeichnen habe mit drei Vollinien.

Wir erleben also - wenn Sie rückblicken auf dasjenige, was ich gesagt habe, werden Sie ein deutliches Bewußtsein davon bekommen -im Sehakt, der in ganz ausgesprochenem Maße angehört der Hauptes-oder Kopforganisation, eine fertige Zweidimensionalität und eine Be­tätigung zur Herstellung der dritten Dimension, der Tiefe. Wir erleben in demjenigen, was wir als den Ausdruck gebrauchten für das rhyth­mische System, in der Arme- und Händebewegung, die Dimensionali­tät so, daß wir in unserem eigenen Akt zwei Dimensionen voll erleben und die dritte Dimension noch ebenso fertig im Bewußtsein dasteht wie sonst die zwei zur Fläche sich bildenden Dimensionen für die Kopf-Organisation im Sehakt. Erst im eigentlichen Gliedmaßenorganismus, der also zum dritten System, zum Stoffwechselsystem des Menschen gehört - den erkennen wir nur, wenn wir die das Gehen begleitenden Stoffumsetzungen studieren -, in diesem dritten System enthüllt sich uns alles dasjenige, was den Raum durchmißt nach seinen drei Di­mensionen.

Nun brauchen Sie nur noch die folgende Erwägung anzustellen, so werden Sie auf außerordentlich Wichtiges kommen. Alles dasjenige, was in unserem Vorstellungsleben enthalten ist, ist im Grunde genom­men der einzige Inhalt unseres vollen wachenden Bewußtseins. Das­jenige aber, was in unserem Gefühlsleben enthalten ist, kommt nicht mit derselben Deutlichkeit, mit derselben lichten Klarheit in unser Be­wußtsein herein. Wir werden im weiteren Verlauf dieser Betrachtun­gen noch sehen, wie die eigentlichen Gefühle keine stärkere Intensität im Bewußtsein haben als die Träume und genauso wie die Träume dann vom Tagesleben, vom voll erwachten Vorstellungsleben reprodu­ziert werden, dadurch deutliche Vorstellungen werden, also ins klare Bewußtsein hereintreten, so werden fortwährend auch beim wachen Tagesleben die Gefühle begleitet von den sie ausdrückenden Vorstel­lungen. Dadurch werden unsere Gefühle, die sonst nur mit der Inten­sität des Traumlebens auftreten, in das deutliche, helle Bewußtsein eben des Vorstellungslebens hereingezogen.

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Vollständig im Unterbewußtsein bleiben ja die eigentlichen Wil­lensbewegungen ihrer Wesenheit nach. Wodurch wissen wir eigentlich etwas vom Willen? Im Grunde genommen wissen wir von dem Willen selbst seiner Wesenhaftigkeit nach im gewöhnlichen Erkennen ja nichts, und das findet sich, ich möchte sagen, auch dokumentiert, ausgespro­chen in einer solchen Psychologie wie der von Theodor Ziehen, der ja im Grunde genommen in seiner «Physiologischen Psychologie» eigent­lich nur vom Vorstellungsleben spricht. Die Tatsache, die er aber nicht kennt, die ich Ihnen eben jetzt vorgeführt habe, daß das Gefühlsleben eigentlich an den rhythmischen Organismus gebunden ist und nur auf-strahlt in das Vorstellungsleben, die bringt Theodor Ziehen abstrakt so zum Ausdruck, daß er sagt: Eigentlich können wir als Psychologen nur das Vorstellungsleben verfolgen und finden gewisse Vorstellungen ge­fühlsbetont. - Also gewissermaßen wären die Gefühle nur Eigenschaf­ten des Vorstellungslebens. Das alles beruht eben darauf, daß von einem solchen Psychologen die eigentliche menschliche Organisation nicht durchschaut wird, die sich eben durchaus so verhält, wie ich eben jetzt zum Ausdruck gebracht habe. Die Gefühle bleiben, weil sie an den rhythmischen Organismus gebunden sind, im halbbewußten Zu­stand des Traumes, und völlig im Unbewußten bleibt das eigentliche Wesen der Willensakte. Daher werden sie von den gewöhnlichen Psy­chologen überhaupt nicht mehr beschrieben. Lesen Sie die sonderbaren Ausführungen gerade Theodor Ziehens über die Willensbetätigung, so werden Sie sehen, daß dem Beobachtungsvermögen dieser Psychologen die innere Betätigung des Willens - wir werden darauf zu sprechen kommen, welche sie ist - durchaus aus der Hand fällt. In der äußeren Beobachtung haben wir eben nichts anderes gegeben als das, was wir anschauen können, das Ergebnis eines Willensaktes. Wir wissen nicht das Innere, was sich vollzogen hat, wenn ein Willensimpuls unseren Arm bewegt. Wir sehen nur den Arm sich bewegen, also die äußere Tatsache beobachten wir hinterher. Wir begleiten dadurch die Offen­barungen unseres Willens mit Vorstellungen und dadurch betrachten wir sie, die sonst durchaus nur organisch durch das Stoffwechselsystem und das mit dem in Verbindung stehende Gliedmaßensystem vermit­telt sind, auch als zusammenhängend mit dem Vorstellungswesen.

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Aber erst in diesem Gliede des menschlichen Organismus, in dem Stoffwechselsystem, das also körperlich entspricht dem Seelischen des Willensaktes, enthüllt sich uns die Dreidimensionalität, die daher innig zusammenhängt mit einem menschlichen System, dessen Betätigung sich im wesentlichen unbewußt abspielt. Diese Dreidimensionalität kann uns ihrer Wirklichkeit nach also eigentlich nicht für die gewöhn­liche Erkenntnis vorliegen. Sie kann erst enthüllt werden, wie wir sehen werden, wenn wir ebenso mit lichter Klarheit hinschauen in unser Willensleben wie sonst in unser Vorstellungsleben. Das kann mit dem gewöhnlichen Erkennen nicht geschehen, sondern, wie wir sehen wer­den, erst mit dem geisteswissenschaftlichen Erkennen. Darauf aber, auf der Gesamtbetätigung des Menschen, auf alldem, was in seinem Glied­maßen- und Stoffwechselsystem lebt, ruht die Dreidimensionalität als Erleben im Unterbewußtsein. Und was geschieht? Aus dem Unterbe­wußtsein wird sie heraufgehoben zunächst von der Willens-Gliedma­ßensphäre in die rhythmische Sphäre. Da wird sie dann nur noch erlebt als Zweidimensionalität, und die dritte Dimension, die noch im Wil­lenswirken unmittelbar erlebt wird in ihrer Realität, diese dritte Di­mension, die Höhendimension, ist bereits abstrakt geworden.

Sie sehen hier in der menschlichen Organisation das Abstraktwer­den der Realität durch die Betätigung des Menschen selbst. Sie erleben im Unterbewußtsein diese Höhendimension. Durch die menschliche Organisation wird diese Höhendimension schon abstrakt zur bloßen gezogenen Linie, zum bloßen Gedanken in der rhythmischen Organi­sation. Und in der Nerven-Sinnesorganisation, was tritt da ein? Die beiden Dimensionen werden abstrakt. Sie werden nicht mehr erlebt. Sie können nur noch gedacht werden mit dem hinterher an die Sache herankommenden Verstand, so daß wir in dem Organ unserer eigent­lichen gewöhnlichen Erkenntnis, in dem Kopfe, nur die Möglichkeit haben, die zwei Dimensionen abstrakt verstandesmäßig zum Ausdruck zu bringen. Nur von der dritten, der Tiefendimension, haben wir, ich möchte sagen, ein leises Bewußtsein auch noch in unserem Haupte. Sie sehen also, dadurch, daß wir dieses leise Bewußtsein von der Tiefen­dimension in unserem Haupte haben, sind wir in der Lage, überhaupt noch etwas zu wissen im gewöhnlichen Bewußtsein von der Realität

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der Dimensionen. Würde durch unsere Organisation diese Tiefendi­mension, die wir eigentlich nur am Sehakt ordentlich studieren können, ebenso abstrakt, dann würden wir überhaupt nur drei abstrakte Linien haben. Wir würden gar nicht darauf kommen, Realitäten für diese drei abstrakten Linien zu suchen.

Damit habe ich Sie auf die Realität, auf die Wirklichkeit gewiesen für dasjenige, was im Kantianismus in einer unwirklichkeitsgemäßen Weise zutage tritt. Da wird gesagt, der Raum sei mit seinen drei Dimen­sionen a priori in der menschlichen Organisation enthalten, und die menschliche Organisation versetze eigentlich ihre subjektiven Erleb­nisse in den Raum hinein. Warum kam Kant zu dieser Einseitigkeit? Er kam dazu, weil er nicht wußte, daß dasjenige, was wir nur in der leisen Andeutung der Tiefendimension durch die Nerven-Sinnesorga­nisation, aber sonst abstrakt erleben, im Unterbewußten in der Realität erlebt wird, dann heraufgetrieben wird in das Bewußtsein und dadurch zur Abstraktion gebracht wird bis zu diesem kleinen Rest in der Tie­fendimension. Die Dreidimensionalität erleben wir durch unsere eigene menschliche Organisation. Sie ist in ihrer Realität vorhanden in dem Willenssystem und physiologisch-physisch in dem Stoffwechsel-Glied­maßensystem. Sie ist zunächst unbewußt für das gewöhnliche Bewußt­sein und wird diesem gewöhnlichen Bewußtsein nur bewußt in der Ab­straktheit des mathematisch-geometrischen Raumes.

Ich wollte Ihnen damit ein Beispiel zunächst geben von der Art und Weise, wie Geisteswissenschaft auf die menschliche Betätigung einge­hen kann, wie sie eben nicht bei Abstraktionen stehen bleibt wie das Apriori im Kantischen Sinn von Raum und Zeit, sondern wie sie wirk­lich konkret eingeht auf die Wirklichkeit des Menschen und dadurch darauf kommt, wie sich die Dinge eigentlich im Menschen verhalten. Ich wollte Ihnen gerade dieses Beispiel geben, weil uns dieses Beispiel der eigentlichen Bedeutung des Raumes, wie ich noch weiter ausführen werde, nun hineinführt in eine genauere Erkenntnis des Wesens des Mathematischen nach allen Seiten hin.

Davon dann morgen weiter.

DRITTER VORTRAG Stuttgart, 18. März 1921

#G324-1972-SE043 Naturbeobachtung, Experiment, Mathematik und die Erkenntnisstufen der Geistesforschung

#TI

DRITTER VORTRAG

Stuttgart, 18. März 1921

#TX

Ich habe gestern versucht, zunächst einiges von dem zu betrachten, was zum Ursprung der Vorstellung des Dimensionalen innerhalb der menschlichen Wesenheit führen kann. Ich will nun zunächst dasjenige, was ich mir da erlaubte vor Sie hinzustellen, einmal stehen lassen. Denn bei geisteswissenschaftlichen Betrachtungen handelt es sich na­mentlich dann, wenn sie gewissermaßen von der anderen Seite her, von der physisch-empirischen Seite her, beleuchtet werden sollen, darum, daß man sich von verschiedenen Seiten ihnen nähert, und das will ich denn auch in diesen Vorträgen tun, will heute aber zu dem, was ich gestern gesagt habe von einer anderen Seite, einiges hinzufügen, damit wir dann die einzelnen Betrachtungen zuletzt zu einem Ganzen zu­sammenfassen und zu dem Niveau geisteswissenschaftlicher Betrach­tungen emporheben können.

Es wird sehr häufig gesagt, geisteswissenschaftliche Betrachtungen gingen eigentlich nur denjenigen etwas an, der selber irgendwie etwas anfangen könne mit der besonderen Anschauungsform, welche der Darstellung solcher geisteswissenschaftlicher Ergebnisse zugrunde ge­legt wird. Man kann in einem gewissen eingeschränkten Sinne, aber nur in einem sehr eingeschränkten Sinne zugeben, daß jemand diese Emp­findung haben könne. Allein es wird sich immer darum handeln, ob das­jenige, was auf Grund geisteswissenschaftlicher Untersuchungen vor­gelegt wird, in seinem Inhalt allgemein, ohne daß man sich zu einem besonderen Schauen erhebt, verstanden werden könne oder nicht, und das ist es, was ich gerade in diesen Vorträgen bis zu einem gewissen Grade begreiflich machen möchte, daß das Ergebnis geisteswissen­schaftlicher Untersuchungen dem gesunden Menschenverstand durch­aus begreiflich werden kann. Aber dazu ist notwendig, daß man sich wirklich auf dasjenige einläßt, was Geisteswissenschaft zu ihrer Recht­fertigung von den verschiedensten Seiten her zu sagen hat. Und zu denjenigen Dingen, welche angeführt werden können, um gewisser­maßen Geisteswissenschaft zurückzuweisen, gehört der Einwand nicht,

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der etwa darin bestünde, daß man sagt: Wenn wir die uns umgebende Natur, wie sie uns zunächst in der äußeren Erfahrung gegeben ist, be­trachten, dann ist sie aus sich selbst erklärbar, und man hat keine Mög­lichkeit, von dieser Erklärbarkeit aufzusteigen zu irgendwelchen an­deren wesenhaften Voraussetzungen, die erst völlig dasjenige, was uns auch in der Sinnenwelt umgibt, verständlich machen sollen. - Denn ich selbst werde immer der erste sein, welcher betont, daß von einem ge­wissen Gesichtspunkt aus die uns umgebende Sinneswelt aus sich selbst erklärbar ist. Ich habe einmal in einem, ich gestehe es selbst, etwas wenig über das Triviale hinausliegenden Vergleich klargemacht, wie ich dieses meine. Ich sagte einmal: Wenn jemand den Mechanismus einer Uhr überschaut, so hat er nicht nötig, irgendwelche Erklärungs­gründe aus der Welt, die außerhalb der Uhr liegt, zu Hilfe zu nehmen, wenn er den Mechanismus der Uhr aus sich selbst erklären will. Die Uhr ist von einem gewissen Gesichtspunkt aus durchaus aus sich selbst erklärbar. Aber das hindert nicht, daß man von einem gewissen ande­ren Gesichtspunkt aus zur völligen Aufhellung desjenigen, was man eigentlich mit der Uhr in der Hand hat, doch den Verstand des Uhr­machers und dergleichen mehr nötig hat, also etwas, was durchaus außerhalb der Uhr ist. Man kann eben gewisse Dinge nicht so schnell abmachen, wie man gewöhnlich meint, und deshalb ist es schon not­wendig, daß man, wenn man das ganze Gefüge, das eigentliche Wesen geisteswissenschaftlicher Untersuchungen beurteilen will, sich da auch einläßt auf Einzelheiten der Darstellung, daß man sich darauf einläßt, wie diese Geisteswissenschaft selbst dasjenige, was sie auf ihrem über­sinnlichen Gebiete zutage zu fördern denkt, nun anwendet im gewöhn­lichen sinnlichen, empirisch gegebenen Beobachtungsfelde. Uber dieses Thema möchte ich heute einiges zu Ihnen sprechen.

Ich muß da zunächst etwas voraussetzen, was ich in den nächsten Tagen in seiner Entstehungsweise genauer erklären werde. Ich muß zu­nächst voraussetzen, daß die eigentliche Untersuchung des geisteswis­senschaftlichen Feldes zunächst zu einer anderen Erkenntnisweise, ich könnte auch sagen, zu einer anderen Seelenverfassung gegenüber der Wirklichkeit führt, als sie im gewöhnlichen Tagesleben oder in der ge­wöhnlichen Wissenschaft vorhanden ist. Ich habe die erste Stufe dieses -

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wenn man will, kann man es so nennen - übersinnlichen Erken­nens die imaginative Stufe genannt. Nun möchte ich erst später darauf eingehen, wie aus gewissen Verrichtungen der menschlichen Seele her­aus diese imaginative Erkenntnisstufe erreicht wird. Ich möchte aber heute dasjenige auseinandersetzen, was diese imaginative Erkenntnis-stufe eigentlich ihrem Wesen nach ist, und dazu müssen wir noch ein­mal zurückblicken auf dasjenige, was ich hier als Betrachtung ange­stellt habe über das Wesen nicht so sehr der Mathematik als des Mathe­matisierens.

Ich habe versucht, den Unterschied zu charakterisieren, der besteht für unseren Bewußtseinsinhalt, wenn wir uns einerseits versenken in irgend etwas, was uns die äußere Sinneswelt darbietet, und was wir dann innerlich mit unseren Verstandesoperationen durchsetzen, mei­netwegen auch - der Vollständigkeit halber sage ich es - mit Gemüts-und Willensimpulsen durchsetzen, und dem mathematischen Erken­nen andererseits. Und wir können ja leicht einsehen, daß dasjenige, was sich beim ersteren in der Seele des Menschen abspielt, rein äußer­lich ausgedrückt eine Art Wechselwirkung ist, eine unmittelbare Wech­selwirkung zwischen dem Menschen und einer irgendwie gearteten Außenwelt. Bitte, nehmen Sie dasjenige, was ich so sage, nur seinem wirklichen Inhalte nach. Ich will damit keine Hypothesen aufstellen. Ich will damit nicht irgend etwas aussagen über eine hinter der Sache stehende Realität, sondern ich will damit nur zunächst dasjenige an­geben, was in unserem ganz gewöhnlichen Bewußtseinsinhalt eben vor­handen ist, wenn wir in dieser Weise erkennend der Außenwelt gegen­überstehen. Es hätte diese Erkenntnis gar keinen Sinn, wenn wir nicht voraussetzen würden, daß wir in einer unmittelbaren Wechselwirkung stehen mit irgendeiner Außenwelt.

Im mathematischen Erkennen, ich möchte sagen, in dem mathema­tischen Erkennen erster Ordnung, das heißt in dem reinen Mathemati­sieren, liegt die Sache anders. Ich meine dieses Anderssein für den Fall, wenn wir, ohne auf irgendeinen äußerlichen, sinnlichen, konkreten In­halt einzugehen, rein leben und ableiten innerhalb des geometrischen oder innerhalb des arithmetisch-algebraischen Feldes. Dasjenige, was wir da innerhalb des arithmetisch-algebraisch-geometrischen Feldes in

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innerer Anschaulichkeit uns vor die Seele stellen - ganz gleichgültig, ob es auf elementarem Gebiete der pythagoreische Lehrsatz oder ob es irgend etwas aus der höheren Funktionentheorie ist - das ist etwas, das zunächst ganz und gar lebt innerhalb des, wenn ich mich so ausdrücken darf, seelischen Konstruierens, was also erfahren wird im fortwähren­den Tätigsein und im Anschauen der eigenen Tätigkeit. Dieses Mathe­matisieren - wie gesagt, wenn ich mich so ausdrücken darf - erster Ordnung, das ganz innerhalb des seelischen Erlebens verläuft, wenden wir dann in der mathematisierenden Naturwissenschaft oder vielleicht auch auf anderen Gebieten des Daseins auf die äußere Welt an, und wir finden einfach innerhalb des Arbeitens, daß dasjenige, was wir zuerst rein innerlich erlebt haben, auf diese unsere sinnliche Außenwelt an­wendbar ist. Schon daraus, daß es auf die sinnliche Außenwelt anwend­bar ist, geht hervor, daß es einen reinen Bildcharakter haben muß, einen Charakter, der dadurch gekennzeichnet werden kann, daß man sagt: Dasjenige, was wir mathematisch erleben, hat als solches noch nicht irgendeinen Inhalt, nicht irgend etwas von dem Inhalt, den wir draußen innerhalb unserer Umgebung finden. Es ist in dieser Beziehung das im Mathematisieren Enthaltene durchaus inhaltslos, das heißt, es ist bloßes Bild. - Inwiefern sich das Räumliche, das im Mathematischen bloß Bild ist, dennoch einer Realität einordnet, habe ich gestern gezeigt mit Bezie­hung auf die Auffassung des Dimensionalen. Aber innerhalb des Ma­thematischen ist dasjenige, was wir entwickeln, durchaus bloßes Bild. Wäre es nicht Bild, dann könnten wir diejenige Behandlungsweise, die wir vollziehen, wenn wir mathematische Naturwissenschaft zum Bei­spiel treiben, nicht ausführen. Denn es würde eine Wirklichkeit und nicht bloß ein Bildliches zusammenzufließen haben innerhalb des Er­kenntnisaktes. Daß ein Wirkliches aber nicht zusammenfließt mit dem Erkenntnisakt, das wird uns eben bewußt, wenn wir diesen Erkenntnis-akt wirklich arbeitend vollziehen.

Nun, wenn wir diesen Bildcharakter des Mathematischen auf der einen Seite erkennen, auf der anderen Seite aber uns klar sind, daß wir diese mathematischen Bilder erleben, dann haben wir, zunächst zwar ohne einen bestimmten realen Inhalt, aber doch einen Bewußtseins-inhalt, der von uns durchaus in seiner Bildhaftigkeit erlebt werden

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kann, ja, der gerade dadurch in seiner Bildhaftigkeit erlebt werden kann, daß wir ganz und gar durchschauen, wie, ich möchte sagen, ver­borgen bleiben gewisse Dinge, die wir doch vermuten müssen in dem­jenigen, was sich unseren Sinnen darbietet, gegenüber dem, was wir mathematisierend erleben. Im Mathematisieren stehen wir ganz drin­nen in demjenigen, was sich eigentlich abspielt. Im Mathematisieren können wir sagen, daß wir durchaus verbunden sind restlos mit dem­jenigen, was sich abspielt. Das, in Verbindung mit dem Bildcharakter des Mathematischen, gestattet uns, innerhalb unseres Bewußtseins eine recht klare Vorstellung von dem zu bekommen, was wir eigentlich im Mathematisieren erleben, und darauf beruht es, daß man inner­halb des Mathematiktreibens eine so außerordentlich große Sicherheit hat, daß man tatsächlich weiß, indem man Mathematik treibt, man bewegt sich in einem Felde, in dem Erkenntnissicherheiten walten. Es wird vielleicht manchem, der sich mit diesen Dingen befaßt, doch so gegangen sein, daß er den Unterschied gemerkt hat, der im Studium besteht zwischen dem Befassen mit äußeren sinnlichen Realitäten und dem Befassen mit demjenigen, was im Felde der reinen Mathematik liegt. Vor allen Dingen, man kann sicher sein, wenn man mathema­tisiert, daß man fortdauernd alles dasjenige, was man tut, mit vollem, lichtem, klarem Bewußtsein verfolgt, und ich glaube, es ist nicht zu­viel behauptet, wenn man sogar sagt, daß man die Bewußtseinsklarheit ermessen kann dadurch, daß man das Mathematische als dasjenige nimmt, an dem sich diese Bewußtseinsklarheit am deutlichsten aus­spricht. Wir können eigentlich nicht irgendwie daran zweifeln, daß jede einzelne Handhabung, wenn ich mich dieses Ausdrucks bildlich bedienen darf, die wir vollziehen, wenn wir mathematisieren, zu glei­cher Zeit, indem sie innerlich anschaulich ist, auch von unserer inner­lichen willkürlichen Tätigkeit begleitet ist. Wir haben uns gewisser­maßen ganz in der Hand, wenn wir mathematisieren.

Sehen Sie, was da in der Bewußtseinsverfassung vorliegt im Mathe­matischen, das strebt derjenige an, welcher sich hinaufringen will zu dem, was ich nenne imaginatives Vorstellen. Wenn wir mathemati­sieren, so haben wir zum Seeleninhalt das Zahlenmäßige, über das ich noch sprechen werde, und das Räumliche und ähnliches. Wir haben

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also ein gewisses Feld eines ganz bestimmten Bildinhalts innerhalb un­serer Seele. In einer ganz ähnlichen Seelenverfassung einen anderen Bildinhalt anzustreben, das ist dasjenige, was vorschwebt der Ent­wickelung zum imaginativen Erkennen, und da komme ich nun zu folgendem.

Wenn wir das Mathematische auf die äußere Natur anwenden, kön­nen wir doch nicht anders - namentlich werden wir das tun, wenn wir viel nach dieser Richtung gearbeitet haben -, als dieses mathematische Behandeln der äußeren Natur zunächst nur anwenden auf dasjenige, was wir innerhalb der äußeren Natur die mineralische Welt nennen. Die mineralische Welt bietet uns dasjenige dar, was in einer gewissen Weise der rein mathematischen Behandlungsweise durchaus fähig ist. In dem Augenblick, wo wir heraufsteigen von dem bloß Mineralischen zum Vegetabilischen, zu den anderen Naturreichen, läßt uns die ma­thematische Behandlungsweise so, wie wir sie gewöhnt sind, im Stich. Nun möchte derjenige, der sich zur imaginativen Vorstellungsart em­porheben will, etwas in seinem Seelenleben gewinnen, das nun nicht bloß geometrische Gebilde oder Zahlenzusammenhänge umfaßt, son­dern er möchte Gebilde gewinnen, welche ganz in gleicher Art in der Seele leben wie diese mathematischen Gebilde, aber in ihrem Inhalte über das Mathematische hinausgehen. Er möchte Gebilde gewinnen, die er dann auf das Vegetabilische ebenso anwenden kann, wie er die mathematischen Gebilde auf das Mineralische anwendet. Deshalb muß zuerst - wie gesagt, über die einzelnen Methoden, die zum imaginati­ven Erkennen führen, möchte ich später noch sprechen - angestrebt werden, daß alles dasjenige, was zu einem imaginativen Erkennen führt, durchaus in einer solchen Seelenverfassung sich vollziehe, daß diese dem mathematischen Erkennen völlig gleichwertig ist. Es handelt sich darum, daß die beste Art der Vorbereitung für die Heranbildung des imaginativen Erkennens die ist, sich möglichst viel mit Mathema­tisieren befaßt zu haben, nicht so sehr, um zu mathematischen Einzel-erkenntnissen zu kommen, sondern um ein deutliches Erleben von dem zu bekommen, was eigentlich die Menschenseele tut, indem sie in ma­thematischen Gebilden sich bewegt. Dieses Tun der Menschenseele, die­ses vollbewußte Tun der Menschenseele soll nun angewendet werden

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auf ein anderes Gebiet, das soll angewendet werden so, daß wir eben­so, wie wir es in der Mathematik machen, aus unseren inneren Gebil­den, wenn ich jetzt des Ausdrucks in erweitertem Sinne mich bedienen darf, weitere Gebilde konstruieren, durch die wir ebenso in das vege­tabilische Leben eindringen können oder das vegetabilische Leben so durchsetzen können, wie wir durchsetzen können das mineralische Wesen, das chemisch-physikalische Wesen und so weiter mit den ma­thematischen Gebilden.

Dies muß ich aus dem Grund besonders scharf hervorheben, weil ja, indem man einfach im Trivialsinn den Ausdruck «Hellsehen» ge­braucht für dasjenige, was als übersinnliches Schauen in der Geistes­wissenschaft angewendet wird, unter diesem Ausdruck «Hellsehen» eigentlich ziemlich viel Konfuses verstanden wird, und weil namentlich sehr häufig dasjenige, was man ja - auf Worte kommt es nicht an - ge­wiß als Hellsehen bezeichnen kann, sehr leicht verwechselt wird mit all demjenigen, was sich in der menschlichen Konstitution herausstellt, wenn die Bewußtseinsfunktionen herabgestimmt werden, so daß sie ge­wissermaßen unter die Fläche desjenigen fallen, was das Alltagsbe­wußtsein ist, wie in der Hypnose, unter dem Einfluß von suggestiven Vorstellungen und dergleichen. Mit diesem Herabstimmen, mit diesem Eindringen in ein Unterbewußtes, mit diesem Herabdämpfen des Be­wußtseins hat dasjenige, was hier gemeint ist als ein Erreichen des ima­ginativen Lebens, absolut nichts zu tun, sondern es handelt sich bei diesem um ein Heraufheben des Bewußtseins, um ein Sich-Bewegen mit dem Bewußtsein gerade in der entgegengesetzten Richtung als der, die angestrebt wird bei dem, was man im Trivialsinne Hellsehen nennt. Es handelt sich eigentlich bei dem, was man im Trivialsinne Hellsehen nennt, immer um ein Dunkelsehen, und es wäre schon recht, wenn man sagen könnte, ohne mißverstanden zu werden, daß das Hinaufstreben zum imaginativen Erkennen ein wirkliches Erstreben eines Hellsehens ist. Sie brauchen ja nur das, was ich eben Dunkelsehen genannt habe, zu vergleichen mit dem, was ich Ihnen hier mit wenigen Worten cha­rakterisiert habe. Bei alldem, was Ihnen entgegentritt bei einer mehr oder weniger medial gearteten Seelenstimmung, sehen Sie Herabdämp­fen des Bewußtseins, sei es dadurch, daß künstlich das Bewußtsein herabgedämpft

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ist, oder daß derjenige Mensch, welchen man als Medium gebraucht, schon von vornherein etwas schwachsinnig ist, und daß man sehr leicht sein Bewußtsein etwas herabstimmen kann. Es handelt sich immer um etwas, was Sie ganz gewiß nicht vergleichen können mit einer Seelenverfassung, die in so heller Klarheit verläuft, wie nur irgend die mathematisch gestimmte Seelenverfassung verlaufen kann. Das­jenige, was man heute vielfach Hellseherei nennt - Sie werden das er­fahren haben -, hat außerordentlich wenig zu tun mit dem Anstreben einer Seelenstimmung in mathematischer Klarheit, sondern im Gegen­teil, da liegt gewöhnlich das Bestreben vor, soviel als möglich in die Finsternis des Konfusen hinunterzutauchen. Auf entgegengesetzte Art will sich eben dasjenige betätigen, was ich Ihnen nun aufeinanderfol­gend schildern werde als imaginatives Schauen.

Nun, dieses imaginative Schauen ist ja gewiß zunächst etwas, was in der Seele lebt so, daß es nur dadurch in dieser Seele gegenwärtig werden kann, daß es entwickelt wird. Schließlich ist ja das fünfjährige Kind auch noch kein Mathematiker. Es muß die mathematische Bildhaf­tigkeit auch erst entwickelt werden, und es ist nicht weiter wunderbar, daß dasjenige, was vom vormathematischen Zustand zu dem Zustand der Seele hinläuft, der sich im Mathematischen auslebt, in einer gewis­sen Weise fortgesetzt werden kann, daß man also dasjenige, was ich im Mathematischen schon zu einer gewissen lichten Klarheit des inneren Erlebens gebracht habe, auch noch weiter fortsetzen kann. Nun handelt es sich aber darum, ob derjenige, welcher nun sagt: ja, aber die Be­ziehungen müssen hergestellt werden zu demjenigen, was gewöhnliche sinnliche Beobachtung ist -, recht hat. Er hat in einer Weise durchaus recht, und es handelt sich darum, diese Beziehungen auch wirklich in den Einzelheiten zu verfolgen.

Betrachten wir zu diesem Ende noch einmal dasjenige, was ich gestern die Nerven-Sinnesorganisation des Menschen genannt habe. Diese Nerven-Sinnesorganisation des Menschen ist vorzugsweise kon­zentriert im menschlichen Haupte, obwohl ich schon gestern sagte, das­jenige, was nur der Hauptsache nach im menschlichen Haupte sitzt, verbreite sich doch wiederum über die gesamte menschliche Organi­sation. Allein man kann nun diese Hauptesorganisation auch in folgender

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Art betrachten. Da wollen wir einmal ausgehen von etwas, was ja durch lange Zeiten hindurch in der neueren Wissenschaft gewisse Schwierigkeiten gemacht hat. Ich habe diese Schwierigkeiten behan­delt in meinem Buche «Die Rätsel der Philosophie» in dem Kapitel, das ich überschrieben habe «Die Welt als Illusion». Es besteht ja für die moderne Denkweise durchaus eine große Schwierigkeit in dem Her­stellen einer Beziehung zwischen dem Eindrucke, der von der sinn­lichen Außenwelt auf den Menschen gemacht wird, und demjenigen, was eigentlich im Inneren des Menschen dann erlebt wird in der Vor­stellung oder, sagen wir, schon einfach in dem Empfindungsinhalte. Diese Schwierigkeit hat ja dazu geführt, daß man sagte: Dasjenige, was sich da draußen außer uns abspielt, kann überhaupt nicht zum Inhalte unseres Bewußtseins werden, sondern dasjenige, was Inhalt unseres Bewußtseins wird, ist im Grunde genommen hervorgebracht aus dem Seelischen als eine Reaktion auf den Eindruck von der Außen­welt. Denn der Eindruck von der Außenwelt bleibt im Grunde genom­men jenseits des Wahrnehmbaren. Innerhalb des Feldes des Wahrnehm­baren ist eigentlich nur dasjenige enthalten, was als Reaktion aus der Seele auf das Wahrnehmbare herauskommt. - Man hat sich ja eine Zeit­lang in einer etwas groben Weise die Sache so vorgestellt, daß man sagte - und viele sagen noch heute so -: Draußen in der Welt sind Schwingungen irgendeines Mediums vorhanden, Schwingungen von sehr großer Schnelligkeit, und dasjenige, was da draußen als Schwin­gungen vorhanden ist, macht in einer gewissen Weise einen Eindruck auf uns, die Seele reagiert darauf, und wir zaubern aus der Seele die ganze farbige Welt hervor, die ganze Welt, die wir die Welt unserer Augen nennen können. Dasjenige, was wir da ausgebreitet haben um uns herum für unser Bewußtsein, die ganze farbige Welt, sie stellt eigentlich nur die Reaktion der Seele dar auf dasjenige, was durchaus im Unbekannten liegend draußen als irgendwelche Schwingungen eines Mediums, das den Raum ausfüllt, existiert. - Ich führe das nur an als ein Beispiel, wie man sich solche Sachen vorstellt, und möchte nun auf dasjenige eingehen, was Ihnen zunächst nur darstellen soll eine andere Art, die Sache anzusehen.

Wenn Sie wiederum zunächst nehmen dasjenige, wovon ich gestern

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ausgegangen bin, die Betrachtung des totalen Sehaktes, des Sehaktes überhaupt, so werden Sie eine Grundlage haben, um auch denselben Vorgang für die anderen Sinne zu betrachten. Was liegt denn eigent­lich vor, wenn wir hinschauen auf dasjenige, was äußere Sinneswahr­nehmung für den Menschen darstellt? Denken wir, um uns das zu ver­deutlichen, zunächst an die Welt des Auges. Man wird nicht verken­nen können - ich gehe jetzt nur deskriptiv vor -, daß wir, wenn wir das Auge betrachten, trotz des Umstandes, daß wir dieses Auge anzu­sehen haben als ein lebendiges Glied in unserem ganzen lebendigen Organismus, doch innerhalb dieses Auges beim Sehakt zu verzeichnen haben Vorgänge, die wir ebenso verfolgen können wie die Vorgänge in der äußeren, im weitesten Sinne so zu nennenden mineralischen Wirklichkeit. Trotzdem das Auge ein Lebendiges ist, können wir uns konstruieren, wie das Licht in das Auge einfällt, wie durch eine gewisse Art der Einrichtung des Auges etwas Ahnliches hervorgerufen wird, wie wenn wir das Licht einfallen lassen durch irgendeinen Spalt auf eine Wand und ein Bild erzeugen. Kurz, man kann bis zu einem hohen Grade innerhalb des Auges weiter konstruieren dasjenige, was man sich zu konstruieren für befugt hält innerhalb der äußeren mechanischen, mineralischen Welt. Man kann gewissermaßen fortsetzen in den menschlichen Organismus hinein dieses Konstruieren im äußeren me­chanisch-mineralischen Feld. Wenn die Sache auch für die anderen Sinne etwas anders ist als für das Auge, wir können doch das Auge als einen Repräsentanten für eine entsprechende Tatsachenreihe, die hier in Betracht kommt, ansehen. Sehen Sie, dasjenige, was sich da vollzieht und was wir verfolgen mit unseren Konstruktionen, vollzieht sich ja durchaus innerhalb des Auges und damit innerhalb unseres Or­ganismus, und es handelt sich nun darum, ob wir irgendwie beikom­men können demjenigen, was sich da innerhalb unseres Organismus eigentlich vollzieht. Wenn man bei einer ganz äußerlichen Betrach­tungsweise stehenbleibt, so wird man etwa so sagen: Nun ja, irgend­eine unbekannte Außenwelt übt einen Eindruck auf das Auge aus. In­nerhalb des Auges geschieht irgend etwas, das übt wiederum seine Wirkung zurück auf den Sehnerv und so weiter bis zu unseren Zen­tralorganen. Dann kommt auf irgendeine uns unbekannte Weise die

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Reaktion der Seele zustande. Wir zaubern aus der Seele hervor die ganze bunte Farbenwelt als eine Reaktion auf diesen Eindruck.

Das alles ist eigentlich durchaus eine Betrachtungsweise, die in einen Abgrund hineinführt, und es wird ja von zahlreichen Forschern eben durchaus heute schon zugegeben, daß wir mit einer solchen Untersu­chungsmethode, indem wir einfach äußerlich zunächst dasjenige be­trachten, was vor dem Auge steht, dann die Vorgänge im Auge, die Vorgänge, soweit das heute möglich ist, weiter zurückliegend im Ge­hirn und so weiter, daß wir da eigentlich, auch wenn wir bis zum Letz­ten kommen könnten, doch nur zu materiellen Vorgängen oder An­schauungen kommen, und daß der Punkt auf diesem Wege nie gefun­den werden könnte, an dem die Reaktion eines Seelischen auf diesen äußeren Eindruck eigentlich geschieht, so daß wir durch diese Betrach­tungsweise niemals demjenigen beikommen, was wir eigentlich an der Außenwelt erleben. Wir können in dieser Weise die Betrachtung an­stellen, aber wir kommen niemals dem bei, was wir an der Außenwelt erleben.

Wenn nun der Geistesforscher in sich dasjenige entwickelt, was ich imaginatives Erkennen nenne, dann verwandelt sich für ihn das ganze Problem in ein anderes. Dann kommt er dazu, innerhalb des Auges nicht mehr bloß dasjenige sehen zu müssen, was der äußeren physisch-mineralischen Welt nachkonstruiert ist, sondern er kommt dazu, tat­sächlich im Auge etwas zu erfassen, was von ihm durchdrungen werden kann, wenn er das Imaginieren ausgebildet hat. Nicht wahr, auf der einen Seite machen wir es im mathematischen Imaginieren gegenüber der physikalisch-mineralischen Außenwelt so, daß wir diese Außen­welt durchdringen mit dem, was geometrisch, was arithmetisch ist, und wir fühlen, wie zusammenwächst in der Betrachtungsweise dasjenige, was wir erst im Mathematisieren innerhalb unseres Bewußtseinsfeldes ausgearbeitet haben, mit demjenigen, was äußere Vorgänge sind. Aber mit demjenigen, was im Auge Vorgang ist, fällt für den, der die Ima­gination ausgebildet hat, nicht nur unmittelbar zusammen dasjenige, was er mathematisiert, sondern auch noch dasjenige, was er nach dem Muster des Imaginierens in den Bildern des imaginativen Vorstellens sich vorlegt. Mit anderen Worten: Beim Anschauen des Auges hat der

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Imaginierende den weiteren Inhalt, und dieser Inhalt ist so, daß der Betreffende jetzt auch weiß: ich erfasse eine Realität mit meinem Ima­ginieren, wie ich sonst der äußeren physisch-mineralischen Natur ge­genüber eine Realität erfasse mit meinem Mathematisieren.

Also, wir wollen uns gut verstehen: Man wendet zunächst in der Geistesforschung jene Methoden, die man sonst äußerlich mit Hilfe der Mathematik anwendet im Naturforschen, auf die Welt des Auges an. Man sieht aber, wenn man erst das imaginative Vorstellen ausgebil­det hat, daß man dem Auge gegenüber eine Realität hat, die man nicht hat, wenn man sich nur der äußeren physisch-mineralischen Welt ge­genüber befindet. Für denjenigen, der zu imaginativen Vorstellungen vorgeschritten ist, wird nämlich die äußere physische Materie zunächst nichts anderes, als was sie ist für das gewöhnliche Bewußtsein. Halten wir das ganz fest, Sie können noch so scharf in sich entwickelt haben das imaginative Vorstellen, Sie werden, wenn Sie es richtig entwickelt haben und wenn Sie wissen, welches die richtige Seelenverfassung im imaginativen Vorstellen ist, nicht zugeben können, daß Sie in dem, was Sie als einen physikalischen Prozeß, was Sie als einen chemischen Prozeß übersehen oder gar als irgend etwas, was im rein mechanischen Felde abläuft, daß Sie darin mehr sehen zunächst, als derjenige sieht, der seine gesunden Sinne und seinen gesunden Verstand hat. Und der­jenige, der eben für den nächsten Anblick behauptet, daß er innerhalb des anorganischen Feldes etwas anderes sieht als der Nichtschauende, der ist auf einem abschüssigen Wege in der Geisteserkenntnis, nicht auf dem richtigen Wege in der Geisteserkenntnis. Der mag allerlei Gespen­ster sehen, aber die geistigen Entitäten der Welt werden sich ihm in ihrer wahren Gestalt nicht enthüllen. Dagegen in dem Augenblick, wo man in sein Beobachtungsfeld einbezieht das menschliche Auge, da hat man genau dieselbe Erfahrung mit seiner Imagination, die man sonst hat mit dem Mathematisieren gegenüber der äußeren Natur. Mit an­deren Worten: Wenn wir das lebendige menschliche Auge anschauen, wenn wir es zur Beobachtung machen, in unsere Beobachtung herein-nehmen, dann ist das so, daß wir, erst wenn wir die Imagination ent­wickelt haben, wissen, daß wir einer vollen Wirklichkeit gegenüber­stehen, wenn wir nicht nur mathematisches Konstruieren auf das Auge

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ausdehnen können, sondern wenn wir auch auf dieses Auge ausdehnen können das Konstruieren im Imaginativen.

Was folgt daraus? Daraus folgt, daß ich also im Auge meinetwegen konstruieren kann einen Vorgang ganz nach dem Muster von mathe­matischen Konstruktionen innerhalb des empirischen materiellen Fel­des. Ich weiß, daß diese? Vorgang im Auge durchaus so zu konstruie­ren ist, wie irgend etwas in einer Dunkelkammer oder dergleichen, in der äußeren mineralisch-mechanischen Welt. Aber ich weiß auch, daß dieses ganze Feld, in dem ich da konstruiere, noch etwas anderes ent­hält, was ich, wenn ich ebenso vorgehen will wie sonst mit dem Ma­thematischen gegenüber der anorganischen Natur, nur mit dem imagi­nativen Erkennen durchdringen kann. Was heißt das aber? Es ist im menschlichen Auge etwas, was in der anorganischen Natur nicht dar­innen ist, und das, was da im menschlichen Auge darinnen ist, was in der anorganischen Natur nicht vorhanden ist, das wird erst als eine Realität erkannt, wenn man sich ebenso mit ihm zusammenschließt, wie man sich in dem Mathematischen zusammenschließt mit dem An­organischen. Wenn man diesen Akt vollzogen hat, dann sagt man: man ist vorgedrungen bis zum menschlichen Ätherleib. Man hat durch das Imaginieren ergriffen die ätherische Natur des Menschen so, wie man sonst durch das Mathematische ergreift die anorganische Natur draußen.

Also man kann in ganz bestimmter Weise angeben, wie man sich verhält, um in einem Sinnesorgan das Atherische durch Imagination zu entdecken. Es ist durchaus nicht der Fall, daß man in irgendeiner konfusen, phantastischen Weise zu der Vorstellung eines menschlichen Atherleibes kommt, sondern man kommt zu dieser Vorstellung da­durch, daß man zunächst die Imagination ausbildet und dann an einem Objekt, das dazu geeignet ist, zeigt, zunächst für sich selbst zeigt, daß der Inhalt des imaginativen Vorstellens so zusammenwach­sen kann mit dem Objektiven, wie sonst das Mathematische mit seinem Objektiven zusammenwächst.

Was aber folgt jetzt für die menschliche Konstitution daraus? Es folgt für die menschliche Konstitution daraus, daß wir etwas, was in uns lebt, was in uns vorhanden ist, den menschlichen Atherleib, vorrücken

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lassen in einer gewissen Weise, so daß er zusammenfällt mit demjenigen, was äußerliche anorganische Natur ist. Und dasjenige, was wir für das Auge behaupten können, das gilt auch, wenn auch in abgeänderter Form, für die übrigen Sinne. Wir können also sagen: Eigentlich haben wir bei einem unserer Sinne das vorliegend, daß wir zunächst zu rechnen haben gewissermaßen mit einer Aushöhlung, wenn ich mich grob ausdrücken darf, in unserem Organismus. - Da wäre der Organismus also beim Auge dasjenige, was sich im Gehirn, in den Ge­sichtspartien dem Auge anschließt. - In diesen Organismus sind ein­gegliedert gewissermaßen von der Außenwelt Golfe, wenn ich mich so ausdrücken darf. Wie das Meer Golfe hineinträgt in das Land, so trägt die Außenwelt solche Golfe in unseren Organismus hinein, und diese Außenwelt setzt ihre Vorgänge, die Vorgänge des Anorganischen in diese Golfe einfach fort. Wir können dort das nachkonstruieren, was sich als Anorganisches abspielt. Wir konstruieren das Anorganische nicht nur draußen außerhalb des Auges, wir konstruieren es mit Recht hinein in das Auge. Es spaltet sich also innerhalb unseres Auges etwas ab, das wir durchaus ebenso konstruieren können, wie wir im Anorga­nischen mathematisierend konstruieren. Aber dasjenige, was man jetzt durch Imagination erfaßt, deckt sich in der Tat damit bis zur äußeren Grenze des Auges und noch darüber hinaus - davon will ich heute nicht sprechen. So daß also dasjenige, was hereinströmt wie in einen Golf von der wahren Natur der Außenwelt, hier zusammenkommt mit einem Glied der menschlichen Organisation, das zwar nicht Fleisch und Blut zunächst enthält, das aber durchaus zum menschlichen Organismus gehört und durch imaginative Auffassung erkannt werden kann, an­geschaut werden kann. Im Auge und den übrigen Sinnen durchsetzt unsere Atherorganisation dasjenige, was in diese Golfe hineinströmt von der Außenwelt. Es ist tatsächlich eine Begegnung vorhanden zwi­schen einem höheren Übersinnlichen - ich will einstweilen den Aus­druck gebrauchen, ich werde das alles noch genauer erklären -, zwi­schen dem, was man ätherische Organisation nennen kann, es ist ein Zusammenfluß zwischen diesem und zwischen dem, was äußerlich von der Außenwelt in uns hereinkommt, wirklich vorhanden. Wir werden eins mit diesem Geschehen in unserem Auge, das wir rein geometrisch

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nachkonstruieren können. Wir erleben das Anorganische im Felde un­serer Sinne wirklich in uns.

Das ist das Bedeutsame, zu dem zunächst das imaginative Erkennen führt. Es führt durchaus dazu, ein Problem zu lösen, das eine Crux ist für die moderne Physiologie und für dasjenige, was man gerne auch Erkenntnistheorie nennt, deshalb, weil man innerhalb der physiologi­schen und sonstigen Untersuchungen nicht weiß, daß noch ein äthe­rischer Organismus, der aber nur erfaßt werden kann im imaginativen Erkennen, im Menschen vorhanden ist, und daß dieser Organismus ent­gegenkommt dem, was in uns wirklich die Außenwelt hineinschiebt und ganz durchdringt das, was da hineingeschoben wird. Dadurch wird das ganze Problem ein anderes Gesicht bekommen. Denken Sie sich einmal, der Mensch wäre ebenso imstande, durch einen photo­graphischen Apparat seinen ätherischen Leib leiten zu können, so würde er dasjenige, was im photographischen Apparat sich abspielt, in einer ähnlichen Weise in Verbindung mit seinem eigenen Wesen an­schauen, wie er dasjenige, was sich im Auge abspielt, in Verbindung mit seinem eigenen Wesen anschaut.

Es sind wahrhaftig nicht phantastische Probleme, mit denen sich ernst gemeinte anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft be­faßt, sondern es sind gerade diejenigen Probleme, an denen man, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, in einer gewissen Weise innerlich verbluten kann, wenn man nur angewiesen ist auf dasjenige, was mo­derne Wissenschaft in diesem Feld zu bieten in der Lage ist. Wer je­mals wirklich im inneren Erleben dasjenige mitgemacht hat, was eben durchgemacht werden kann, wenn man das Illusionärwerden der Außenwelt im Erkenntnisakt sich wirklich vor die Seele hinstellt, wer gelitten hat unter der Unsicherheit, die sich sofort einstellt, wenn man vom rein physischen Erkennen aus dasjenige begreifen will, was im Sinnesauffassungsvorgang sich abspielt, wer jemals diese Erkenntnis-frage durchlebt hat, der allein weiß, welche starken Kräfte einen hin­ziehen zu dem, was ich nennen möchte und was ich in den nächsten Vorträgen genauer auseinandersetzen werde: das Anstreben einer hö­heren Entwickelung des Erkenntnisvermögens.

Ich habe heute von der ersten Stufe dieses Imaginierens gesprochen

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und auch von dem nur insoweit, als ich es charakterisieren wollte in seiner Ähnlichkeit und doch wiederum Verschiedenheit mit dem Ma­thematisieren. Aber dasjenige, was in dieser Weise erlebt wird, prägt sich deutlich ab in denjenigen Dingen, welche uns als Erkenntnisgren­zen in der heute üblichen Wissenschaft entgegentreten. Wenn wir wirk­lich mit innerer Gewissenhaftigkeit an das Dasein und an die gesamte Welt, insofern sie uns Rätsel aufgibt, herantreten, wenn man erkannt hat, wie hilflos eigentlich doch dasjenige, was die gewöhnliche Logik, was die gewöhnliche Mathematik ist, steht gegenüber dem, was sich abspielt in uns selbst in jedem Augenblick, wo wir sehen, hören und so weiter, wenn wir sehen, wie hilflos man bleibt mit diesem gewöhn­lichen Erkennen gegenüber demjenigen, was eigentlich immer da ist in unserem wachen Bewußtsein, dann kann schon die tiefe Sehnsucht entstehen nach einer Erweiterung und Vertiefung unseres Erkennens. Und ebensowenig wie ja schließlich innerhalb unserer modernen Kul­tur jeder den Anspruch erhebt, ein Forscher zu sein auf irgendeinem anderen Gebiet als auf seinem eigenen, und dasjenige entgegennimmt, was ihm der geschulte Forscher darbietet, so könnte es ja für eine Zeit­lang auch - das gilt nur in eingeschränktem Sinne - gegenüber dem Geistesforscher gelten.

Aber immer wieder und wiederum muß gesagt werden, daß die Welt vor allen Dingen ein Recht hat, von dem Geistesforscher zu ver­langen, daß er ihr sage, wie er zu seinen Resultaten kommt. Dieses, wie er zu seinen Resultaten kommt, kann er in allen Einzelheiten aus­einandersetzen. Und wenn ich zurückschaue auf die Art und Weise, wie ich das versuchte der Welt auseinanderzusetzen seit jetzt wirklich mehr als zwanzig Jahren auch in einer rein anthroposophischen Sprache, dann darf ich wohl sagen: Wenn es meinerseits noch nicht mehr gelungen ist, Widerhall zu finden mit dieser anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft in der Welt, wenn es immer wieder und wiederum notwendig geworden ist, für diejenigen zu sprechen, die weniger auf die Einzelheiten eingehen können, weil sie nicht wissen­schaftlich geschult sind, und wenn es wenig möglich gewesen ist, für die wissenschaftlich Geschulten zu sprechen, so liegt es, wie die Erfah­rung gezeigt hat, im wesentlichen an diesen wissenschaftlich Geschulten.

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Sie haben bisher nur in sehr mäßiger Weise dasjenige hören wollen, was der Geistesforscher über seine Wege zu sagen hat. Hoffen wir, daß das für die Zukunft anders werden kann. Denn es ist durchaus notwendig, daß wir durch tiefere Kräfte zu einem Aufstiege kommen als durch diejenigen, die ja deutlich zeigen, daß sie das nicht vermö­gen, weil sie uns im Grunde genommen doch in einen Niedergang un­serer Kultur hineingeführt haben. Davon dann morgen weiter.

VIERTER VORTRAG Stuttgart, 19. März 1921

#G324-1972-SE060 Naturbeobachtung, Experiment, Mathematik und die Erkenntnisstufen der Geistesforschung

#TI

VIERTER VORTRAG

Stuttgart, 19. März 1921

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Ich habe mich gestern bemüht darzulegen, wie durch die Entwicke­lung des imaginativen Vorstellens es möglich werden kann, die Wesen­heit der menschlichen Sinneswahrnehmung in einer anderen Weise zu durchschauen, als das der Fall sein kann, wenn man nur wiederum mit den Ergebnissen der gewöhnlichen Sinneswahrnehmung und mit dem kombinierenden Verstand an diese Aufgabe herantritt. Ich habe besonders betont, daß dieses imaginative Vorstellen, dessen Entwicke­lung, wie ich schon gesagt habe, ich noch im weiteren schildern werde, im seelischen Erleben so verlaufen muß, daß es nachgebildet ist dem mathematischen Vorstellen, dem Entwickeln, Analysieren und so wei­ter von mathematischen Gebilden.

Nun wird Ihnen ja daraus das weitere klar sein, was ich dann dar­gestellt habe: daß man genau in derselben Weise, wie man sich mit den Ergebnissen innerlich entwickelten Mathematisierens an die äußere sinnliche Wirklichkeit macht im mineralisch-physischen Reiche, man sich mit demjenigen, was dem imaginativen Vorstellen gegeben ist, so an, sagen wir, zunächst das Reich der menschlichen Sinne macht, um dasjenige zu erkennen, was in diesen - ich habe gestern gesagt - Gol­fen, welche die physisch-sinnliche Außenwelt hineinsendet in den menschlichen Organismus, vorgeht. Nun handelt es sich aber darum, daß derjenige, der ein solches imaginatives Vorstellen ausgebildet hat, zu gleicher Zeit mit der Erkenntnis des Wesens der menschlichen Sinne, also der eigentlichen Hauptesorganisation des Menschen, auch zu an­derem kommt. Er kommt zum Beispiel dazu, sich Vorstellungen bilden zu können über das Wesen des Vegetabilischen. Angedeutet habe ich das auch schon gestern. Nicht wahr, wenn wir mit den bloßen Ergeb­nissen räumlicher und algebraischer Mathematik an das Pflanzen-wachstum, an die Pflanzengestaltung und so weiter treten, so können wir ja nicht die Empfindung erhalten, daß in irgendeiner Weise das­jenige, was wir im mathematischen Bewußtsein gegeben haben, unter-tauchen könne in das Pflanzenreich ebenso, wie es untertauchen kann

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in das mineralische Reich. Dagegen in dem Augenblick, wo wir das imaginative Vorstellen zunächst rein innerlich ausbilden, kommen wir dazu, das Pflanzliche uns so zu vergegenwärtigen, wie das sonst im Mineralischen auf die angezeigte Art der Fall ist.

Aber es tritt dann das Eigentümliche ein: Man tritt dann an die Pflanzenwelt so heran, daß einem die einzelne Pflanze eigentlich nur erscheint wie ein Teil eines großen Ganzen. Man bekommt auf diese Art eigentlich erst eine Vorstellung von dem Pflanzlichen innerhalb der Erdenwelt. Man bekommt nämlich die Vorstellung, daß das ge­samte Pflanzenreich der Erdenwelt eigentlich mit dieser Erdenwelt zu­sammen eine große Einheit bildet. Das ergibt sich rein empirisch dem imaginativen Blick. Natürlich, wir können ja niemals mit unserem physischen Dasein mehr umfassen als irgendeinen Teil der Pflanzen­welt der Erde. Wir betrachten die Pflanzenwelt irgendeines Territo­riums; selbst wenn wir Botaniker sind, bleibt unsere empirische Kennt­nis der Pflanzenwelt gegenüber der totalen Pflanzenwelt der Erde immer etwas sehr Partielles. Aber das weiß man auch durch unmittel­bare Anschauung. Man sagt sich: Da hast du kein Ganzes, da hast du etwas, das nur Teil einer Totalität ist, was mit anderem zusammen­gehört. - Es ist etwa einer solchen Teilpflanzenwelt gegenüber der Ein­druck der, wie man ihn bekommen würde, wenn man einem Menschen gegenübertritt, der durch irgend etwas ganz verdeckt ist mit Ausnahme eines einzigen Armes und einer Hand. Man würde da wissen, man hat da keine abgeschlossene Ganzheit vor sich, sondern etwas, was Teil eines Ganzen ist und seine Daseinsmöglichkeit überhaupt nur als ein Teil eines solchen Ganzen hat. Man bekommt dann aber auch noch die Vorstellung, daß man das Irdische überhaupt nicht so denken kann, wie es der Physiker, der Mineraloge oder der Geologe denkt, sondern man bekommt die Vorstellung, daß zum Erdensein geradeso hin-zugehört dasjenige, was sich als Kräfte in der Pflanzenwelt auslebt, wie dasjenige, was sich im Geologischen oder Mineralogischen und so weiter auslebt. Nicht im Sinne einer vagen Analogie, sondern im Sinne eines wirklichen Durchschauens wird einem die Erde eine Art orga­nischen Wesens. Allerdings ein organisches Wesen, welches durch seine verschiedenen Entwickelungsstadien das mineralische Reich aus sich

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herausgesondert und auf der anderen Seite das pflanzliche Reich diffe­renziert hat.

Dasjenige, was ich Ihnen hier entwickle, das kann ja sehr leicht, wie es zum Beispiel bei Gustav Theodor Fechner der Fall ist, durch bloße Analogieschlüsse gewonnen werden. Auf solche bloßen Analogie-schlüsse gibt aber die Geisteswissenschaft, die hier gemeint ist, gar nichts, sondern eben nur auf das unmittelbare Anschauen. Daher muß immer betont werden, daß vorangehen müsse dem Sprechen über so etwas wie zum Beispiel die Erde als Organismus das Sprechen über das imaginative Vorstellen, denn nur dem imaginativen Vorstellen, nicht dem kombinierenden Verstande mit seinen Analogien kann gegeben sein die Erde als ein Gesamtwesen.

Man eignet sich dabei aber auch noch etwas anderes an, und das ist etwas, was ich hier ausdrücklich erwähnen will, weil es eine sehr große methodologische Bedeutung hat, und weil ich vor allen Dingen darauf Rücksicht nehme, daß meine Worte für Studierende gesprochen sind. Es herrscht in den Auseinandersetzungen, die in der Gegenwart über das Gedankliche und auch über das sonstige seelische Erfassen der Welt gegeben werden, im Grunde eine große Unklarkeit. So spricht man zum Beispiel davon, daß man einen Kristall betrachtet, sagen wir einen Salzwürfel, und man will an diesem Salzwürfel irgend etwas sich klar­machen, sagen wir etwas über seine Beziehung zum menschlichen Er­kenntnisvermögen oder über seine Stellung innerhalb des Naturganzen und so weiter. So wie man ungefähr über diesen Salzwürfel spricht, so spricht man oftmals auch - ja man könnte sogar sagen, heute fast aus­schließlich - zum Beispiel über eine Rose, und man hat dabei das Ge­fühl, man dürfe das objektive Sein dem Salzwürfel in derselben Weise zuschreiben wie der Rose. Und dennoch, derjenige, der mit seiner Er­kenntnis nicht irgend etwas Formales anstrebt, sondern der mit seiner Erkenntnis hineinstrebt in die Wirklichkeit, der die Wirklichkeit wirk­lich ergreifen will, der muß sich das Folgende ganz klar vor Augen stellen. Er muß sich sagen: Der Salzwürfel hat einen Bestand inner­halb seiner Grenzen. Die Rose hat keinen Sinn innerhalb derjenigen Grenzen, in denen ich sie hier als Rose mit einem Stengel sehe. Denn als solche Rose kann sie sich nicht in demselben Grade - ich bitte das

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Wort zu beachten - selbständig entwickeln wie der Salzwürfel. Sie muß am Rosenstock sich entwickeln, der Rosenstock gehört zu der Ent­wickelung dieser Rose dazu, und sie ist nicht ein wirkliches Ding außer­halb des Rosenstockes. Sie hat für mich im Grunde genommen, wenn ich sie als abgesonderte Rose ansehe, ein Scheindasein.

Das sage ich zur Verdeutlichung. Es soll nur soviel daraus hervor­gehen, daß wir nötig haben, bei allen Beobachtungen, die wir machen, nicht irgendwie zu theoretisieren über die Beobachtungen, bevor wir das Beobachtete in seine entsprechende Totalität eingefaßt haben. Erst dem gesamten Rosenstock können wir ein Sein von selbständiger Art in demselben Sinne beilegen wie dem Salzwürfel. Wir dürfen also nicht etwa in erkenntnistheoretischer oder anderer Beziehung von der Rose ebenso sprechen wie von dem Salzwürfel. Die Wirklichkeit erleben zu wollen in einer gewissen Abgeschlossenheit, dafür erwirbt man sich einen starken Sinn, wenn man zum imaginativen Vorstellen aufrückt, und mit diesem Sinn ausgerüstet, muß man auch dann dasjenige hin­nehmen, was ich eben jetzt gesagt habe mit Bezug auf die Pflanzen­welt. Die irdische Pflanzenwelt als ein Ganzes, sie ist in einem gewis­sen Sinne nur dann seinsgemäß vor uns gestellt, wenn wir sie mit dem Bewußtsein als ein Ganzes auffassen und wenn wir das Einzelne, was uns entgegentritt, die Gattungen und Arten der Pflanzenwelt gewis­sermaßen nur betrachten als Teil des ganzen Pflanzenorganismus, der die Erde bedeckt, besser gesagt, der aus der Erde herauswächst.

Also nicht nur ein Verständnis der Sinneswelt, sondern auch der äußeren Pflanzenwelt bekommt man durch das imaginative Vorstel­len. Aber man bekommt auch bedeutsame innere Erkenntnisse. Ich möchte zunächst von diesen inneren Erkenntnissen so sprechen, daß ich Ihnen nur das Empirische davon mitteile. Wir sind in der Lage, als Menschen durch unsere gewöhnliche Erinnerung zurückzublicken auf dasjenige, was bis zu einem gewissen Jahre in unserer Kindheit sich ab­gespielt hat während unseres wachen Daseins, und wir können aus dem Strom unserer Erlebnisse durch die Erinnerungskraft das eine oder an­dere Ereignis in bildhafter Form heraufholen. Aber wir haben ein deut­liches Bewußtsein davon, daß wir in diesem Heraufholen die Erinne­rungskraft anstrengen müssen, daß wir die einzelnen Bilder heraufholen

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müssen aus dem zeitlich verlaufenden Strom. Wenn aber das imaginative Anschauen immer mehr und mehr ausgebildet wird, dann kommt man allmählich dazu, daß die Zeit gleichsam zum Raume wird. Die Sache stellt sich sehr allmählich ein, und man soll sich nicht vor­stellen, daß die Ergebnisse von so etwas, wie das imaginative An­schauen es ist, auf einen Schlag kommen. Man braucht sich gar nicht vorzustellen, daß etwa die Aneignung der imaginativen Methode leich­ter ist als diejenige von Laboratoriumsmethoden oder diejenige der Klinik, der Sternwarte und so weiter. Das eine wie das andere braucht jahrelange Arbeit, das eine Gedankenarbeit, das andere seelische innere Arbeit. Aber als Ergebnis dieser seelischen inneren Arbeit ergibt sich dann, daß sich uns die einzelnen Ergebnisse zusammenschließen, daß wir gewissermaßen sehen, wie die Zeit, die wir als verlaufend über-blicken, wenn wir aus dem Strom unserer Erlebnisse die eine oder die andere Erinnerung heraufholen, daß diese Zeit - annähernd wenig­stens - wie zum Raume wird, daß sich zusammenschließt wie in einem bedeutsamen Erinnerungsbilde dasjenige, was wir in dem Leben nahe­zu von unserer Geburt an durchlebt haben. Es wird durch die An­strengung des imaginativen Lebens diese Rückschau, die jetzt etwas anderes ist als eine bloße Rückerinnerung, in einzelnen Momenten vor unsere Seele hingestellt. Tatsächlich liegt zunächst dieses Subjektive vor, daß wir eine Rückschau auf unser bisheriges Erdenleben bekom­men. Das ist, wie gesagt, ein empirisches Ergebnis des imaginativen Vorstellens.

Welches innere Erlebnis oder, ich möchte besser sagen, welche innere Erlebnisart stellt sich nun parallel diesem Anschauen, diesem Pano­rama unserer Erlebnisse ein? Es stellt sich dasjenige ein, daß wir zwar diese Erlebnisbilder als Bilder vor uns haben, daß wir uns aber doch ganz klar sind darüber: Die Kraft unserer Seele, welche uns diese Er­innerungsbilder eben vor das Bewußtsein stellt, die ist durchaus ver­wandt mit der gewöhnlichen hellen und klaren Verstandeskraft. Sie ist nicht selbst die Verstandeskraft, aber sie ist verwandt mit dieser hellen und klaren Verstandeskraft. Man kann durchaus sagen: Das, was man angestrebt hat, daß man in allen Verhältnissen bei diesem imaginativen Vorstellen das Bewußtsein so durchhellt, wie es sonst im Mathematisieren

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ist, das bleibt einem, wenn man zu diesen Erinnerungsbildern kommt. Man hat Bilder, aber man hält sie so fest, wie man sonst die Inhalte des Verstandes festhält. Dadurch aber bekommt man in einer ganz bestimmten Art eine Anschauung von dem Verstandeswirken selber, man bekommt eine Anschauung von der Bedeutung dieses Ver­standeswirkens für den Menschen und seine Selbsterkenntnis. Man blickt nämlich nicht nur auf sein Leben zurück, sondern dieses Leben, das sich einem da wie durch ein Spiegelbild darstellt, zeigt sich einem so, daß man wirklich den Vergleich mit einem Spiegel gebrauchen kann. Wie man bei einem Spiegel davon spricht, daß die sich spiegelnden Gegenstände in ihren Spiegelbildern begriffen werden können dadurch, daß man optische Gesetze anwendet zu diesem Begreifen, so lernt man, indem man zu solchen inneren Anschauungen kommt, das Wirken jener Seelenkraft erkennen, die da so erlebt wird wie sonst der Ver­stand. Man erlebt gewissermaßen den gesteigerten Verstand, einen Verstand, der nicht nur in abstrakten Bildern schaffen kann, sondern der zustande bringt diese sehr konkret sich ausnehmenden Bilder unse­rer Erlebnisse.

Allerdings eines tritt ein, das zunächst eine Art subjektiver Schwie­rigkeit bildet, die aber nur verstanden zu werden braucht, damit man sich in der richtigen Weise hineinfindet. Indem man in diesen Bildern lebt, lebt man schon in ihnen wie in völliger mathematischer Klarheit, aber die Empfindung des freien Seins - nicht des freien Sich-Verhal­tens, aber des freien Seins -, wie man sie hat in der Verstandestätigkeit, die hat man bei dieser Art des Imaginierens dann nicht mehr. Sie müs­sen mich nicht mißverstehen: Die ganze Tätigkeit des Imaginierens, sie verläuft schon durchaus in einer ebenso willkürlichen Weise wie die gewöhnliche Verstandestätigkeit, aber die Sache ist doch so, daß bei der Verstandestätigkeit man immer das subjektive Erlebnis hat - ich sage Erlebnis, weil es mehr ist als eine bloße Empfindung -: Du schwimmst eigentlich im Bilde, du schwimmst in irgend etwas, was der Außenwelt gegenüber eigentlich ein Nichts ist. Dieses Gefühl, die­ses Erlebnis hat man nun nicht gegenüber dem Inhalte der imagina­tiven Welt, sondern man hat durchaus das Erlebnis, daß dasjenige, was man da produziert als Imaginationen, zu gleicher Zeit da ist, daß

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man in etwas Daseiendem drinnen lebt, daß man also lebt und webt in einer Realität, allerdings in einer Realität zunächst, die einen nicht außerordentlich, ich möchte sagen, stark festhält, aber deren Fest­halten eben schon durchaus empfunden werden kann.

Und durch dasjenige, was man nun da, ich möchte sagen, aus der Realität herausschält, was man sich innerlich gegenwärtig macht, in­dem man zurückreflektiert von dem Lebenspanorama zu der inneren Tätigkeit, welche dieses Lebenspanorama schafft, lernt man wiederum innerlich mathematisch kennen dasjenige, was man jetzt wiederum zur Deckung bringen kann - wie man sonst die mathematischen Vorstel­lungen mit der äußeren mineralisch-physischen Wirklichkeit zur Dek­kung bringen kann - mit demjenigen, was in der Bildekraft des Men­schen - auch in der Bildekraft anderer Wesen, davon will ich jetzt nicht sprechen -, was in der Wachstumskraft des Menschen enthalten ist. Man bekommt eine Vorstellung von einer gewissen inneren Verwandt­schaft desjenigen, was im Imaginieren rein seelisch lebt, denn es ist ein rein seelisches Erlebnis, und demjenigen, was den Menschen durch-webt als seine Wachstumskraft, was ihn heranwachsen läßt vom Kinde zum erwachsenen Menschen, was seine Glieder größer werden läßt, was ihn innerlich als Wachstumskraft durchorganisiert. Kurz, man be­kommt dadurch eine unmittelbare Erkenntnis von dem, was als reales Wachstumsprinzip im Menschen wirkt. Und zwar bekommt man die Einsicht zunächst auf einem ganz bestimmten Gebiet, nämlich auf dem Gebiet des Nervenwesens. Dadurch, daß man das Lebenspanorama hat mit demjenigen, was man in der geschilderten Weise daran erlebt, da­durch sieht man dasjenige zunächst ein - von dem anderen werde ich später sprechen -, was als Wachstumsprinzip im Nervenorganismus des Menschen ist, der ja den Sinnesorganismus nach innen fortsetzt. Und man bekommt die Vorstellung: In deinen Sinnesorganen hast du etwas gegeben, was du zunächst durch die Imagination etwas durch­schauen kannst. Das enthält aber jetzt auch die Möglichkeit, den gan­zen Nervenorganismus so zu überblicken wie ein werdendes, ich möchte sagen, synthetisches Sinnesorgan, welches die übrigen Sinnesorgane eben synthetisch umfaßt. Man lernt erkennen, daß unsere Sinne mit unserem Geborenwerden nicht in ihrem vollen Wachstumsergebnis,

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wohl aber in ihren inneren Kräften etwas Abgeschlossenes sind - das geht ja hervor aus der Art, wie ich gesprochen habe über die Stellung der Imagination zur Sinneswelt -, daß aber dasjenige, was in unserem Nervenorganismus lebt, durch dieselbe Kraft wie die Sinnesorgane durchsetzt ist, aber ein Werdendes ist, ein werdendes großes Sinnes­organ. Man bekommt eben die Vorstellung als eine reale Anschauung, daß wir die einzelnen Sinne haben nach außen sich öffnend und nach innen sich fortsetzend in dem Nervenorganismus, so daß während un­seres Lebens noch bis zu einem gewissen Lebensalter dieser Nerven-organismus von der Kraft organisiert wird, die wir in der Imagination auf die charakterisierte Weise kennengelernt haben.

Sie sehen, was da eigentlich angestrebt wird. Es wird angestrebt, daß dasjenige, was einem am Menschen selbst eigentlich wie geistig undurchsichtig entgegentritt - was weiß denn der Mensch eigentlich von sich, was weiß er, wie die Kräfte in seinem eigenen Inneren wir­ken? -, allmählich durchsichtig werde. Dasjenige, was man ein gei­stig-seelisch Undurchsichtiges nennen kann, ein von der gewöhnlichen Erkenntnis nicht zu Bewältigendes, das beginnt geistig-seelisch durch­sichtig zu werden. Man bekommt eine Möglichkeit, mit einer höheren, qualitativen Mathematik, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, zunächst die Welt der Sinne und dann die Welt unseres Nervenorganis­mus zu durchdringen. Und man beginnt jetzt, wenn man zu diesen Dingen kommt, nicht etwa hochmütig und unbescheiden zu werden, sondern man fängt jetzt erst eigentlich an, gerade gegenüber dem Er­kennen des Menschen so recht bescheiden zu werden. Denn dasjenige, was ich Ihnen hier in verhältnismäßig wenigen Worten geschildert habe, das eignet man sich eigentlich im Laufe einer sehr langen Zeit an, und obzwar es bei dem einen früher, bei dem anderen später auf­tritt, wenn er wirklich die Methode der Geistesforschung auf sich an­wenden will, so darf man doch sagen: Gewiß, einem dann außeror­dentlich fundamental und wichtig erscheinende Ergebnisse, sie über­raschen einen oftmals erst, nachdem man innerlich jahrelang an sich gearbeitet hat. Dasjenige, was durch solche innerliche Arbeit zutage tritt, wenn es einigermaßen zutreffend geschildert wird, es kann dem gesunden Menschenverstand durchaus immer begreiflich erscheinen.

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Aber das Daraufkommen, das Heraufholen solcher Ergebnisse aus den Untergründen des Seelendaseins, das ist etwas, was eben doch einer ausdauernden und energischen inneren Seelenarbeit bedarf. Und na­mentlich lernt man nun bescheiden werden, weil man kennenlernt, wie man sich erst Stück für Stück durcharbeiten muß zu einer relativen menschlichen Selbsterkenntnis. Denn durch das, was man so in der imaginativen Vorstellung sich erringt, sieht man ganz genau: Du lernst eigentlich dadurch nur kennen den Nerven-Sinnesorganismus des Men­schen, und du kannst jetzt im Grunde genommen erst ermessen, in welchem Dunkel vor dir steht dasjenige, was sonst der menschlichen Organisation eingegliedert ist.

Dann aber handelt es sich darum, eine höhere Stufe - das Wort «höhere» ist ja nur ein Terminus - in übersinnlicher Erkenntnis zu er­ringen, um eben etwas weiterzukommen als bis zum bloßen Selbster­kennen bezüglich des Nerven-Sinnessystems. Da aber muß ich zu­nächst darauf hinweisen, daß - ich werde es noch genauer schildern -das Erringen der imaginativen Erkenntnis im wesentlichen darauf beruht, daß man immer wieder und wiederum in einer nicht konfusen, sondern methodisch-technisch geführten Meditation, wie ich in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» den Aus­druck gewählt habe, leicht überschaubare Vorstellungen sich vor die Seele hinstellt. Wesentlich ist, daß sie leicht überschaubar sind, nicht irgendwelche Erinnerungen, Reminiszenzen und so weiter - dadurch würde man verleitet sein, eben das mathematische Erleben zu stark in den Hintergrund zurückzudrängen -, also leicht überschaubare Vor­stellungen, am besten, weil diese am leichtesten überschaubar sind, symbolische Vorstellungen. Es kommt darauf an, was wir mit diesen Vorstellungen seelisch erleben. Diese Vorstellungen suchen wir so in unser Bewußtsein hereinzustellen, daß das Anwesendsein im Bewußt­sein nach Art einer sonstigen Erinnerungsvorstellung da ist. Also selbst-gemachte Vorstellungen werden durch willkürliche Tätigkeit so in die menschliche Seele hereingenommen, wie sonst Erinnerungsvorstellungen drinnen stehen. Man ahmt in einer gewissen Weise durchaus dasjenige nach, was im Erinnern geschieht. Im Erinnern werden gewisse Erleb­nisse in Bildern dauernd gemacht. Hinter diese Tätigkeit der menschlichen

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Seele sucht man zu kommen, wie, das werde ich noch darstellen. Indem man dahinter zu kommen sucht, wie das Erinnern sich voll­zieht, wird man dann auch in den Stand kommen, willkürlich solche leicht überschaubaren Vorstellungen ganz nach dem Muster der er­innerten Vorstellungen durch eine gewisse Zeit hindurch - man ge­wöhnt sich immer mehr und mehr, diese Zeit sogar von wenigen Se­kunden bis zu Minuten herauf auszudehnen -, durch eine verhältnis­mäßig also längere Zeit im Bewußtsein festzuhalten. Nicht auf diese Vorstellungen kommt es an, sondern darauf kommt es an, daß an die­sem Vorstellen solcher selbstgewählten Vorstellungen eine gewisse innere Seelenkraft sich entwickelt. Geradeso wie wenn ich die Muskeln meines Armes anstrenge, sich diese Muskeln entwickeln durch die An­strengung, so verstärken sich gewisse Seelenkräfte, wenn sie es zu tun haben mit solchen Vorstellungen, wie ich sie geschildert habe, die im­mer wieder und wiederum willkürlich in das Bewußtsein gerückt wer­den. Die Seele muß sich anstrengen, um diesen Prozeß herbeizuführen und festzuhalten, und auf diese Anstrengung im seelischen Erleben kommt es an. Und indem wir uns so üben an den selbstgemachten Vor­stellungen, tritt eben etwas in uns auf, was die Kraft der Imagination ist, die also nach dem Muster der Erinnerungskraft entwickelt wird, die aber doch nicht zu verwechseln ist mit dieser Erinnerungskraft. Denn wir werden noch zu schildern haben, wie das, was wir in den Imaginatio­nen auffassen - wir haben es zum Teil ja schon geschildert -, eben durchaus reale äußere Dinge sind, nicht etwa wie in den Erinnerungs­vorstellungen unsere bloßen eigenen Erlebnisse. Das ist der Unter­schied im Grunde zwischen den Imaginationen und den Erinnerungs­vorstellungen, daß die Erinnerungsvorstellungen nur im Bilde wieder­geben unsere eigenen Erlebnisse, daß aber die Imaginationen, trotzdem sie zunächst wie Erinnerungsvorstellungen auftreten, durch ihren eige­nen Inhalt klarmachen, daß sie sich nicht beziehen auf unsere eigenen Erlebnisse bloß, sondern daß sie sich beziehen können wenigstens auf uns gegenüber durchaus objektive Tatsachen der Welt.

Sie sehen also, durch ein Weiterbilden des Erinnerungsvermögens bilden wir die imaginative Kraft der Seele. Nun kann man geradeso, wie man weiterbildet die Kraft der Erinnerung, eine andere Kraft weiterbilden.

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Fast wird es Ihnen komisch erscheinen, wenn ich Ihnen diese Kraft nenne. Und dennoch, die Weiterbildung dieser Kraft, sie ist schwieriger als diejenige der Erinnerungskraft. Im gewöhnlichen Leben sorgen ja manche Mächte dafür, daß wir nicht nur erinnern -namentlich die verehrten Kommilitonen werden mir das zugeben -, sondern auch vergessen, und wir brauchen uns zuweilen gar nicht be­sonders anzustrengen, um vergessen zu können. Das ändert sich etwas, wenn wir die weitergebildete Erinnerungskraft in der Meditation aus­bilden. Denn merkwürdigerweise führt diese Kraft des Festhaltens gewisser Imaginationen dazu, daß diese Imaginationen zunächst blei­ben wollen. Sie sind, wenn sie auftreten im Bewußtsein, nicht ohne weiteres leicht wiederum fortzuschaffen, sie machen sich geltend. Das hängt damit zusammen, was ich vorhin charakterisiert habe, daß wir es mit einem Stehen in einer Realität eigentlich zu tun haben. Diese Realität macht sich darin geltend, daß sie auch bleibend sein will. Nun, hat man es dazu gebracht - aber in einer dem mathematischen Vorstel­len nachgebildeten Weise -, die imaginative Kraft auszubilden, dann bringt man es durch eine weitere Anstrengung auch dazu, diese Vor­stellungen ebenso willkürlich, wie man sie gebildet hat, wiederum aus dem Bewußtsein herauszuwerfen. Und diese Kraft des fortgebildeten Vergessens, sie muß ganz besonders gepflegt werden. Es handelt sich durchaus darum, daß, wenn diese inneren Erkenntniskräfte ausgebil­det werden sollen, man wirklich auch alles Nötige anwendet, um nicht innerhalb der Seele gerade Unheil anzurichten. Aber derjenige, der dabei nur auf gewisse Gefahren hinweisen würde, der gliche demjeni­gen, der verbieten würde, im Laboratorium gewisse Versuche zu ma­chen, weil dabei auch das oder jenes einmal explodieren könne. Sehen Sie, ich selbst habe an der Hochschule einen Chemieprofessor gehabt, der einäugig war, weil er bei einem Experiment das eine Auge verloren hatte. Solche Dinge sind natürlich kein Einwand gegen die Notwen­digkeit der Ausbildung gewisser Methoden, und ich darf wohl sagen, wenn alle die Vorsichtsmaßregeln, die ich in meinen Büchern geschil­dert habe mit Bezug auf dieses innere Ausbilden der Seelenkräfte, an­gewendet werden, daß dann durchaus Gefahren für das Seelenleben ganz gewiß nicht eintreten können. Es liegt eben, wenn man nicht auch

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die Methoden des Wiederloswerdens der Vorstellungen entwickelt, die Gefahr vor, daß man schon in einer gewissen Weise gegängelt wird von demjenigen, was man durch seine Meditationen herbeigeführt hat. Aber das darf ja erstens nicht geschehen, und zweitens würde es einen, wenn es geschähe, auf dem Wege der übersinnlichen Erkenntnis nicht weiter­kommen lassen. Denn es ist zu gleicher Zeit eine weitere Etappe, daß diese Fortführung des Vergessens ausgebildet wird.

Nun gibt es eine gewisse Hilfe, welche man anwenden kann, um diese Fortführung der Vergessenskraft wirklich leisten zu können. Da komme ich auf etwas, was vielleicht gerade denjenigen, die in irgend­einer Richtung heutiger moderner Erkenntnistheorie drinnenstecken, als etwas ganz Dilettantisches erscheinen wird. Ich kenne alle die Ein­wände, die gegen solche Dinge gemacht werden können, aber ich bin auch verpflichtet, die Tatsachen zu schildern, wie sie eben sind. Und so muß ich denn sagen, daß man sich in der Erkraftung des Vergessens zu Hilfe kommen kann, wenn man weiterbildet durch eine gewisse Selbstzucht, Zucht des eigenen Selbst, dasjenige, was im gewöhnlichen Leben auftritt als die Fähigkeit der Liebe. Ganz gewiß kann man sagen:

Liebe ist ja keine Erkenntniskraft. - So wie man die Erkenntnis heute auffaßt, so ist sie es vielleicht auch nicht. Aber es handelt sich auch nicht darum, die Liebekraft so beizubehalten, wie sie im gewöhnlichen Leben für dieses gewöhnliche Leben auftritt, sondern darum, diese Liebekraft weiterzubilden durch eine gewisse Selbstzucht. Und man kann das erreichen dadurch, daß man folgendes beachtet.

Nicht wahr, wenn man so als Mensch lebt sein Leben hindurch, so muß man sich ja gestehen, daß man eigentlich mit jedem Jahr doch ein bißchen ein anderer geworden ist, und vergleicht man dasjenige, was man ist in einem gewissen Lebensalter, mit demjenigen, was man war viel­leicht vor zehn Jahren, so wird man schon finden, wenn man nur etwas ehrlich zu Werke geht mit dieser Selbstbeobachtung, daß man im Inhalte seines Seelenlebens, auch in demjenigen, der nicht bloß konturierter Gedanken- oder Empfindungs- oder auch Willensinhalt ist, sondern in demjenigen, was, ich möchte sagen, der Duktus, die ganze Verfas­sung des Seelenlebens ist, daß sich in dem manches im Laufe der Zeit geändert hat. Man ist innerlich ein anderer geworden, und man kann

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ja, wenn man auf die Faktoren hinsehen will, durch die man innerlich ein anderer geworden ist, sich sagen: Erstens ist es das, was mit unse­rem physischen Organismus geschehen ist, der wird ja immer ein an­derer. Er wird in der ersten Lebenshälfte ein anderer durch das fort­schreitende Wachstum, er wird in der zweiten Lebenshälfte immer ein anderer durch das rückschreitende Bilden und so weiter. Aber auch die äußeren Erlebnisse, dasjenige, was einem entgegentritt erstens als Vorstellungswelt, dann aber auch als dasjenige, was Schmerzen, Lei­den, Lust und Freude auf unsere Seele ablagert, dasjenige, was wir ver­sucht haben, als Willenskräfte zu entwickeln und auszuleben, das ist es ja, was uns im Lauf des Lebens immer wieder und wiederum zu einem anderen macht. Und wenn man ehrlich sich gestehen will, was da vor­liegt, so muß man sich sagen: Nun ja, man schwimmt eigentlich so da­hin im Strome des Lebens. - Derjenige, der Geistesforscher werden will, der muß nun in der Tat auch diese seine Selbstentwickelung durch eine gewisse Selbstzucht in die Hand nehmen. Er muß schon auch das in sich ausbilden, daß er sich vorsetzt, in einer gewissen Zeit diese oder jene Gewohnheit - kleine Gewohnheiten sind da manchmal von aus­schlaggebender Bedeutung - durch eigene Arbeit umzugestalten, so daß man sich im Laufe des Lebens metamorphosiert. Nicht nur durch den Strom des Lebens selbst, sondern durch dasjenige, was man mit vollem Bewußtsein an sich selbst tut, kann man dann von irgendeinem Punkt des Lebens mit Hilfe der ja schon vorher entwickelten Rückschau des Lebenspanoramas zurückschauen auf dasjenige, was sich verändert hat im Leben durch diese eigene Selbstzucht. Dann wirkt das in merk­würdiger Weise auf das eigene Seelenleben zurück. Es wirkt dieses zurück nicht etwa im Sinne einer Erhöhung des Egoismus, sondern im Gegenteil, im Sinne der Erhöhung der Liebekraft des Menschen. Man wird immer fähiger und fähiger, mit einer gewissen Liebe die Außen­welt zu umfassen, in die Außenwelt sich zu vertiefen. Und darüber urteilen, was das heißt, kann eigentlich nur derjenige, der in solcher Selbstzucht Anstrengungen gemacht hat. Er kann nur wirklich be­messen, was es bedeutet, die Verstandesvorstellungen, die man sich bildet über irgendeinen Vorgang oder über irgendein Ding, begleitet sein zu lassen von den Ergebnissen solcher Selbstzucht. Man dringt ein mit

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einem viel stärkeren persönlichen Anteil in dasjenige, in das unsere Vorstellungen untertauchen, man dringt sogar in die einen mit den Er­gebnissen der Mathematik sonst gleichgültig lassende physisch-mine­ralische Welt in einer gewissen Liebeentfaltung ein, und man merkt deutlich den Unterschied zwischen dem Eindringen mit dem bloßen blassen Vorstellen und dem Eindringen mit der entwickelten Liebe-kraft.

Sie werden nur dann Anstoß nehmen an demjenigen, was ich hier über diese entwickelte Liebekraft sage, wenn Sie etwa von vornherein das Dogma aufstellen wollen: Diese Liebekraft darf nicht sein bei dem Eindringen in die Außenwelt. - Ja, solch ein Dogma kann man auf­stellen. Man kann sagen, richtige objektive Erkenntnis sei nur diejenige, die im bloßen logischen Vorstellen errungen wird. Gewiß, man braucht auch durchaus diejenige Fähigkeit, die mit Ausschluß jeder anderen Kraft sich durch den bloßen nüchternen Verstand hineinversetzen kann in das Geschehen der äußeren Welt. Aber ihr Ganzes gibt uns diese äußere Welt nicht, wenn wir ihr in dieser Weise beikommen wollen, sondern ihr Ganzes gibt uns die Welt erst dann, wenn wir ihr mit einer die Vorstellungen verstärkenden Liebekraft beikommen. Und es kommt ja nicht darauf an, daß wir unsere Erkenntnis kommandieren, daß wir sagen, die Natur muß sich uns durch diese oder jene Kräfte erschlie­ßen, daß wir gewissermaßen erkenntnistheoretische Dogmen aufstel­len, sondern darauf kommt es an, zu fragen: Wie erschließt sich uns die Natur? Wie ergibt sie sich uns? - Sie ergibt sich uns nur, wenn wir die Vorstellungskräfte von Liebekräften durchdrungen sein lassen.

Aber zunächst spreche ich nur davon, daß man versucht, die Übun­gen des Vergessens mit einer größeren Kraft und sicherer ausbilden zu können mit der Liebekraft als ohne sie. Indem man zu gleicher Zeit diese Selbstzucht, die einen liebefähiger macht, ausbildet, gelangt man dazu, tatsächlich mit einer ebenso starken Willkür das erweiterte, das verstärkte Vergessen in sich erleben zu können wie das weiterentwik­kelte, das verstärkte Erinnern. Und indem man so etwas ganz Be­stimmtes, Positives innerlich seelisch an die Stelle zu setzen vermag, welche sonst im Grunde genommen das Ende unseres Erlebens ist -denn wenn wir etwas vergessen haben, so ist in bezug auf eine gewisse

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Erlebnisreihe dieses Vergessen das Ende -, indem wir so an die Stelle einer Null gleichsam das Positive der ausgebildeten Vergessenskraft setzen, wo wir aktiv etwas ausbilden, was sonst passiv verläuft, wenn wir dazu gekommen sind, dann ist es, wie wenn wir innerlich in uns einen Abgrund übersetzt hätten, wie wenn wir tatsächlich eingedrun­gen wären in eine Region des Erlebens, durch die uns ein neues Dasein zufließt. Und so ist es auch. Wir haben bis dahin gehabt unsere Ima­ginationen. Wenn wir wirklich mit mathematischer Seelenverfassung ausgerüstete Menschen sind innerhalb dieser Imaginationen und nicht Narren, dann werden wir klar durchschauen: In der imaginativen Welt haben wir Bilder. Die Physiologie mag streiten darüber, ob das­jenige, was uns durch unsere Sinne vermittelt wird, als Bilder gegeben ist derart, wie man es meint - ich habe es in meinen «Rätseln der Phi­losophie» dargestellt -, ob das Bilder sind oder eine Realität. Daß das zunächst Bilder sind, die wohl auf eine Realität hinweisen, aber Bilder sind, das weiß man, und gerade darauf beruht das gesunde Erleben in einer solchen Region, daß man zunächst weiß, man hat es mit Bildern zu tun. In dem Augenblick aber, wo ein gewisses Ergebnis der ver­stärkten Vergessenskraft eintritt, da füllen sich diese Bilder gewisser­maßen von der anderen Seite des Lebens aus mit demjenigen, was geistige Realität ist, und da wächst man zusammen mit der geistigen Realität. Man nimmt da sozusagen an dem anderen Ende des Lebens wahr. So wie man wahrnimmt durch die Sinne an dem einen Ende des Lebens, namentlich am physisch-sinnlichen, so lernt man nach der anderen Seite hinschauen und lernt erkennen, wie einfließt in die Bil­der des imaginativen Lebens eine geistige Realität. Dieses Einfließen einer geistigen Realität, dieses, ich möchte sagen, am Abgrund des Seelendaseins Einfließen einer geistigen Realität in dasjenige, was wir gut vorbereitet haben innerhalb unserer Erkenntniskräfte, das habe ich in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und in anderen Büchern Inspiration genannt. Man braucht sich nicht an dem Ausdruck zu stoßen, man muß sich nur an dasjenige halten, was zur Charakteristik solcher Worte gegeben ist. Man soll nicht Re­miniszenzen aufklauben, wo sich dieses Wort auch findet. Wir müssen ja Worte haben für das, was wir vorbringen wollen, und wir müssen

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da oft ältere Worte wählen, und ich habe für dasjenige, was sich so dar­stellt, wie ich es eben geschildert habe, das Wort Inspiration gewählt.

Dasjenige, was ich so geschildert habe als das Erringen der Inspi­ration, das erst führt uns dahin, eine Erkenntnis zu gewinnen von dem­jenigen, was ich genannt habe das rhythmische System im menschlichen Organismus, das in einer gewissen Weise verbunden ist mit der Welt des Fühlens. Und da kommen wir dazu, ausdrücklich betonen zu müs­sen, daß diese Methode zur Inspiration, wie ich sie eben geschildert habe, eigentlich nur von dem modernen Menschen so ausgebildet wer­den kann. In älteren Phasen der Menschheitsentwickelung wurde sie mehr instinktiv ausgebildet, und wir finden eine solche Ausbildung im indischen Jogasystem, das nicht erneuert werden kann. Es ist unhisto­risch und im geisteswissenschaftlichen Sinn so furchtbar dilettantisch, wenn man das alte Jogasystem wiederum erneuern will. Das geht zu Werke mit gewissen menschlichen Kräften, die eben nur einem frühe­ren Entwickelungszustand des Menschen angemessen waren. Es geht zu Werke unmittelbar mit der Entwickelung gewisser rhythmischer Prozesse, mit der Entwickelung methodisch zugerichteter Atmungs­prozesse. Indem der Jogi in bestimmter Weise atmet, will er ausbilden mehr durch das Physisch-Körperliche dasjenige, was der moderne Mensch durch das Seelisch-Geistige ausbilden muß, wie ich es geschil­dert habe. Dennoch können wir sagen, daß die instinktive Inspiration, die wir finden als durchziehend die Vedantaphilosophie oder derglei­chen, für eine frühere Stufe der Menschheitsentwickelung etwas ähn­liches war wie dasjenige, was wir wieder erreichen durch die vollbe­wußte Inspiration, die aber den Weg wählen muß durch dasjenige, was ich geschildert habe.

Wir gelangen gewissermaßen als moderne Menschen dazu, von oben herunter durch rein geistig-seelische Übungen in uns die Kraft auszu­bilden, die sich dann hineinlebt als Kraft der Inspiration in die rhyth­mische Organisation des Menschen, wie der Inder sich unmittelbar ein-leben wollte durch das Jogaatmen in diese rhythmische Organisation des Menschen. Er ging von Physischem aus, wir gehen vom Geistig-Seelischen aus. Beides bezweckt, den Menschen zu erfassen in seinem mittleren System, in dem rhythmischen System, und wir werden sehen,

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wie tatsächlich dasjenige, was uns entgegentritt im imaginativen Er­kennen als ein Erfassen des Sinnessystems und des Nervensystems, wiederum ein Stück ergänzt werden kann, wenn wir durchdringen vom Gesichtspunkt der Inspiration aus das rhythmische System. Und wir werden sehen können zu gleicher Zeit, wie aufleben müssen alte instinktive, mehr kindliche Arten der höheren Erkenntnis, wie sie da waren im indischen Jogasystem, wie die aufleben müssen im vollen, freibewußten Menschen.

Über diese Beziehung des Ausbildens des rhythmischen Systems durch die vorzeitliche Jogaphilosophie zu dem, was sich namentlich heute ergibt durch innere seelisch-geistige Arbeit bis zur Inspiration hin, werde ich mir dann erlauben, das nächste Mal zu sprechen.

FÜNFTER VORTRAG Stuttgart, 21. März 1921

#G324-1972-SE077 Naturbeobachtung, Experiment, Mathematik und die Erkenntnisstufen der Geistesforschung

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FÜNFTER VORTRAG

Stuttgart, 21. März 1921

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Ich habe versucht zu zeigen, wie man aufsteigt zu übersinnlichen Er­kenntnisarten und wie man sich durch diese übersinnlichen Erkennt­nisarten in einer gewissen Beziehung dasjenige erschließt, was sich diesen übersinnlichen Erkenntnisarten allein erst vollständig eben er­gibt. Ich habe gezeigt, wie man imaginative Erkenntnis ausbilden kann und mit Hilfe dieser imaginativen Erkenntnis auf der einen Seite zu-nächst dasjenige verstehen kann, was im Sinnesprozeß des Menschen vor sich geht, wie man aber auch durch diese imaginative Erkenntnis-art erst sich so einleben lernt in das Wesen des Vegetabilischen, der Pflanzenwelt der Erde als eines Ganzen, wie man sich sonst durch das Mathematische in die physikalisch-mineralischen Erscheinungen der Welt einleben lernt. Und ich habe dann darauf aufmerksam gemacht, daß man durch eine gewisse Art der Fortsetzung dieser Übungen zu höherer Erkenntnis, von dem imaginativen Vorstellen zum inspirier­ten Vorstellen kommen kann, und daß sich dadurch ein besonderes in­neres Erleben erschließt, welches nun sich verstehend verhalten kann zu dem, was ich das rhythmische System im Menschen nenne.

Ich möchte das ganze Problem noch einmal von der folgenden Seite aus etwas charakterisieren. Wer versucht, in dasjenige, was das rhyth­mische Verhalten des Menschen umschließt, sich einzuleben, der wird gerade dann, wenn er ehrlich und gegenüber sich selbst aufrichtig zu Werke geht, sehen, daß sich einfach die Prozesse, die sich da abspielen, nicht begreifen lassen etwa in derselben Art wie die physikalischen Pro­zesse durch das mathematische Verstehen, daß sie sich aber auch nicht begreifen lassen durch dasjenige, was ich genannt habe das imaginative Vorstellen. Denn alles das, was im Sinnessystem liegt, was dann ent­wickelt wird, so wie ich es das letzte Mal dargestellt habe, im Nerven­system im Verlauf des Lebens, wodurch auch bei entwickeltem, imagi­nativem Erkennen das Lebenspanorama zustande kommt, alles das macht doch im Grunde genommen nur eben die Sinnesorganisation und die Nervenorganisation klar.

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Die Sinnesorganisation, man kann sie in der Tat verstehen, wenn man das imaginative Vorstellen innehat. Es ist ja von der äußeren Na­turwissenschaft schon bemerkt worden, daß irgendein Sinn eigentlich nicht zu begreifen ist, wenn man ihn so erklären will, daß man ihn aus der menschlichen oder überhaupt aus der Organisation heraus begrei­fen will. Sie werden finden, wenn Sie dasjenige studieren, was mit Be­zug auf dieses Problem von einzelnen Forschern gesagt ist, daß man durchaus durch die Tatsachen darauf hingewiesen worden ist, sowohl durch die Tatsachen der äußeren Phylogenie wie auch durch die Tat­sachen der Embryologie, der Ontogenie, daß man eigentlich begreifen müsse zum Beispiel so etwas wie das Auge als eine Bildung von außen, so daß die Morphologie, die Gestaltung des Auges nicht etwa in dem­selben Sinn aus dem menschlichen Organismus begriffen werden kann wie, sagen wir, die Morphologie, die Form der Leber oder des Magens, sondern begriffen werden muß als entstanden durch Einwirkung, durch Einflüsse von außen. Aber dasjenige, was dann dieses von außen her kommende Einbilden in den menschlichen Organismus oder in den Organismus überhaupt so begreiflich macht wie das Mathematische die physikalischen Tatsachen, das ist das imaginative Erkennen.

Aus diesen Erwägungen heraus werden Sie es jetzt auch begreiflich finden, daß wir im Grunde genommen in der äußeren Wissenschaft nur eine mangelhafte Physiologie der Sinne haben. Mir widerstrebte es im­mer, bevor ich ausbilden konnte diese durch das imaginative Erkennen zu erlangende Sinnesphysiologie, irgendwie die Welt der menschlichen Sinne so durchmessen zu wollen, wie es in unseren gewöhnlichen Phy­siologien und auch in den Psychologien geschieht. Ich habe immer gefunden, daß eigentlich dasjenige, was unsere Physiologien und Psy­chologien aufbringen, um die Sinne zu erklären, im Grunde eigentlich nur ganz unvollkommenerweise angewendet wird zum Beispiel auf den Gehörsinn oder den Gesichtssinn. Namentlich die psychologischen Erwägungen sind in dieser Richtung mangelhaft. Man redet eigentlich immer davon: Wie ist der Sinn des Menschen überhaupt im allgemei­nen konstruiert? - Man spezialisiert dann etwas, nachdem man im all­gemeinen die Charakteristik des Sinnes gegeben hat, für die einzelnen Sinne. Aber man kommt nicht darauf, daß eigentlich dasjenige, was da

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gewöhnlich gesagt wird, namentlich in unseren Psychologien, so ganz prägnant nur anwendbar auf den Tastsinn ist, nicht auf irgendeinen anderen Sinn. Immer stimmt etwas nicht von den Theorien, wenn man, vom Tastsinn absehend, diese Theorien auf einen anderen Sinn ohne weiteres anwenden will. Das ist dann sofort begreiflich, wenn man weiß, daß ja diese Sinnesphysiologien und Sinnespsychologien nur den gewöhnlichen logischen Verstand gebrauchen, um die Tatsachen, die sich der äußeren empirischen Forschung ergeben, zusammenzufassen. Aber für den, der dann wirklich genau zu Werke geht, zeigt sich, daß es eben nicht möglich ist, daß man mit diesem logischen Zusammen­fassen der Tatsachen des Sinnenlebens zurechtkommt. Erst wenn man versucht, in imaginativer Erkenntnis aufzufassen jeden einzelnen Sinn -und ich war dadurch genötigt, die Zahl der Sinne, weil ich so auffas­sen mußte, auf zwölf zu erweitern -, wenn man jeden einzelnen Sinn auffaßt so, daß man nicht bloß verstandesmäßig, sondern imaginativ auffassen will, dann kommt man zu der individuellen Ausgestaltung jedes einzelnen Sinnes. Man begreift dann, wie jeder einzelne Sinn in sich aus gewissen Entitäten, aus gewissen Qualitäten der Außenwelt hereinkonstruiert ist in den Menschen. Man ist da an einer Stelle, an welcher sich zeigt, wie - allerdings für den, der die Dinge sehen will -der Übergang stattfindet, die Brücke geschlagen wird von dem, was ich hier hellseherische Forschung genannt habe, zu dem, was in der äußeren empirischen Beobachtung gegeben ist.

Man kann ja durchaus sagen, es sei für den gesunden Menschenver­stand zunächst, wenn er eben nicht weiter als bis zu einem gewissen Gesichtspunkt kommen will, keine Veranlassung dafür vorhanden, sich auf die hellseherische Forschung einzulassen. Aber dagegen muß man sich doch eigentlich wenden: daß bei einer sorgfältigen, gewissen-haften Analyse und Durchprüfung der gegebenen Tatsachen man eben einfach zu Rande komme, wenn man nur die gewöhnliche Sinnesbe­obachtung und dann den gewöhnlichen, kombinierenden Verstand allein anwendet. - Man wird nicht fertig mit den Problemen. Sie las­sen einen ungelösten Rest. Man muß daher diesen kombinierenden Ver­stand dann weiterbilden zum imaginativen Auffassen. Und ein Teil desjenigen, was da erst sich erschließt mit diesem imaginierenden Auffassen,

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das ist die individuelle Gestaltung der einzelnen menschlichen Sinne, und es ist ferner dasjenige, was sich da erschließt, die allmäh­liche Bildung des menschlichen Nervensystems.

Aber noch etwas anderes liegt eben vor. Ich möchte mich durch eine kleine Erzählung auf diesem Gebiet begreiflich machen. Ich war einmal anwesend in einer Vereinigung, die sich dazumal Giordano Bruno-Vereinigung nannte, in welcher zunächst ein handfester mate­rialistischer Denker die Physiologie des Gehirns auseinandersetzte und nun glaubte, indem er die Physiologie des Gehirns auseinandergesetzt habe, hätte er auch schon die Assoziation der Vorstellungen, überhaupt dasjenige, was im Vorstellungsleben verläuft, in genügender Weise er­klärt. Er zeichnete seine Vorstellungen, die er gewonnen hatte über die verschiedenen Gehirnpartien, wie sie zugeteilt sind die eine dem Sehen, die andere dem Hören und so weiter, auf und versuchte dann zu zeigen, wie man vielleicht im Sinne des alten Gehirnforschers Mey­nert darauf kommen kann, durch die verbindenden Bahnen äußere Gestaltungen für das Verbinden der einzelnen Sinneseindrücke und der einzelnen Vorstellungen zu gewinnen und so weiter. - Wer sich über diese Auffassung unterrichten will, der kann ja die auch heute noch außerordentlich bedeutsamen, ich möchte sagen, selbst für den heuti­gen Tag noch wichtigen Forschungen des Psychiaters Meynert nach­lesen. - Nun, nachdem in dieser Weise, ich möchte sagen, mit einer ma­terialistischen Erklärungsnuance, aber in durchaus geistvoller Art das Gehirn gewissermaßen nicht als Vermittler, sondern als Erzeuger des Vorstellungslebens aufgezeigt war, trat ein Mann auf, der ebenso hand­fester Herbartianer war, wie der vorhergehende Materialist und Phy­siologe war. Und dieser sagte ungefähr das Folgende: Ja, Sie haben uns jetzt da aufgezeichnet die einzelnen Gehirnpartien, ihre Verbin­dungen und so weiter. Wir Herbartianer, die philosophischen Herbar­tianer, könnten eigentlich dieselben Zeichnungen machen. Ich könnte dasselbe aufzeichnen. Nur würde ich niemals meinen, daß das Gehirn-partien wären und Nervenleitungsbahnen, sondern ich würde die Vor­stellungen direkt so zeichnen und würde dann die rein vorstellenden seelischen Kräfte, die von Vorstellungsmassen zu Vorstellungsmassen gehen, so zeichnen. Die Zeichnung kommt eigentlich geradeso heraus,

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sagte er, wenn ich als Herbartianer die seelischen Vorgänge zeichne, wie wenn Sie als Physiologe die Gehirnpartien und ihre Verbindungen zeichnen. - Und es war in der Tat interessant, wie der eine dieselben Dinge hinzeichnete - nun, ich zeichne jetzt schematisch -, und der

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andere dann seine Sachen hinzeichnete. Die Zeichnungen unterschie­den sich gar nicht. Nur meint der eine direkt seelisches Leben, das er auf diese Weise symbolisiert, und der andere meint Gehirnvorgänge, die er auch so symbolisiert. Auf diese Weise setzten sich die beiden dann auseinander, überzeugten sich selbstverständlich nicht, aber sie zeich­neten eigentlich zwei ganz verschiedene Dinge auf ganz dieselbe Weise.

Es war das ein im Grunde genommen außerordentlich charakteristi­sches Erkenntniserlebnis darum, weil man in der Tat dahin kommt, wenn man etwa in Herbartscher Weise - man kann es auch in anderer Weise übrigens machen - versucht, das Vorstellungsleben symbolisch durch Zeichnungen zu veranschaulichen, man bekommt tatsächlich etwas ähnliches heraus, wie man herausbekommt, wenn man die Ge­hirnvorgänge und die Gehirnpartien aufzeichnet. Woher rührt dasP Sehen Sie, das wird erst im imaginativen Vorstellen klar, wenn man im rückschauenden Lebenspanorama sieht, wie die Selbständigkeit des Seelenlebens wird; wie tatsächlich dasjenige, was ja erfaßt wird im sogenannten Atherleib, eigentlich erst durchorganisiert - und bis zu einem gewissen Grade bei der Geburt durchorganisiert hatte - das­jenige, was das Gehirn ist. Dann wundert es einen nicht mehr, daß das Gehirn ähnlich wird in seiner Bildung demjenigen, was sich da hin­einorganisiert. Aber zu einer wirklichen Einsicht in diese Dinge kommt man eben nur, wenn man anschauen kann, wie das Seelische am Gehirn organisiert. Und geradeso wie schließlich mancher auch finden wird, daß, wenn einer einigermaßen malen kann, dasjenige, was er malt, ähnlich ist dem, was er abbildet, weil sein Vorstellen in seiner Malerei weiter wirkt und die Ahnlichkeit macht, so wird auch dasjenige, was

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sich im Gehirn beziehungsweise eigentlich im ganzen Nervensystem ergibt als Folge des seelischen Bildens, ähnlich dem seelischen Bilden beziehungsweise dem seelischen Inhalte selber. Aber das, was da als Tätigkeit sich abspielt, was sich da hineinbildet in das Nervensystem, das versteht man nur dann, wenn man sich sagt: Eigentlich ist das ganze Nervensystem etwas, was in seinem realen Entstehen, in seinem Werden ein Ausdruck für eine Realität ist, die so real abläuft, wie man es im Imaginieren schaut.

Also es geschieht einem einfach dieses, daß man sich sagen muß:

Das Gehirn oder das Nervensystem überhaupt sind zwar äußerliche physische Bildungen. Aber so wie sie da sind, begreift man sie eigent­lich nur, wenn man sie als physisch gewordene Imaginationen begreift. Also dasjenige, was zunächst im allgemeinen der Geistesforscher Imagi­nation nennt, das ist nicht etwa nicht vorhanden in der empirisch ge­gebenen Welt, sondern das ist durchaus in der empirisch gegebenen Welt im Abbild vorhanden, und es zeigt sich eben das manchmal, ich möchte sagen, in so grotesker, merkwürdiger Weise, wie an diesen zwei Menschen, von denen der eine Physiologe, der andere Philosoph war, und die diese Dinge auf gleiche Weise zeichneten.

Aber es liegt noch etwas anderes vor. Ich habe schon hingewiesen auf die Forschungen des Psychiaters, Physiologen und Psychologen Theodor Ziehen. Theodor Ziehen hat das Bestreben, das Vorstellungs­leben so zu erklären, daß er es eigentlich durchaus überall ersetzt durch Gehirnleben. Seine Erklärung besteht im Grunde genommen eigentlich in nichts anderem, als daß er das Vorstellungsleben betrachtet, dann anatomisch und physiologisch das Gehirn, das Nervensystem sich vor-legt, und, soweit das beim Stand der empirischen Forschung heute möglich ist, aufzeigt, welche Vorgänge er glaubt, daß vorhanden seien im Gehirn für irgendeinen Vorstellungsverlauf oder auch für das Ge­dächtnis und so weiter. Aber ich habe darauf aufmerksam gemacht, daß Theodor Ziehen genötigt ist, mit dieser Erklärung, die ja in der Tat etwas sehr Bedeutsames ist für das Vorstellungs- und Gehirnleben, halt zu machen vor dem Gefühlsleben und auch vor dem Willensleben. Das können Sie verfolgen in der «Physiologischen Psychologie» von Theo­dor Ziehen. Ein Mangel liegt allerdings in dieser Psychologie vor. Würde

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Theodor Ziehen bedenken, wie trotz alledem, was ja so bestechend wirkt in der Erklärung des Vorstellungslebens durch die Vorgänge des Ge­hirnlebens, man eigentlich nun doch nicht restlos umfaßt die Formun­gen des Gehirns und so weiter, sondern daß man da nötig hat, ich möchte sagen, ein künstlerisches Prinzip hineinzubringen, das aber nichts anderes ist als der äußere Ausdruck des Imaginativen, so würde seine Erklärung des Vorstellungsleben durch das Gehirn ihn doch auch nicht voll befriedigen können. Und da, wo er übergehen will zur Ge­fühlswelt, läßt ihn sozusagen alles im Stich. Da redet er überhaupt nicht mehr davon, daß er noch irgendwie etwas erklären könne. Des­halb hängt er den Vorstellungen die sogenannte Gefühlsbetonung an. Das ist ja nur ein Wort, wenn man nicht weiterkommt als eben bis zu diesem Worte. Er sagt: Ja, in gewissen Fällen haben wir eben nicht bloß Vorstellungen, sondern gefühlsbetonte Vorstellungen. - Er kommt deshalb dazu, weil er dasjenige, was Gefühl ist, dennoch nicht im Ge­hirn unterbringt in das Vorstellungsleben und auf der anderen Seite nichts hat, was ihm möglich macht, nun ebenso etwas organisch-körper­lich zuzuordnen dem Gefühlsleben, wie er zuordnet das Gehirn-Ner­venleben dem Vorstellungsleben.

Beim Gehirn-Nervenleben geht es eben aus dem Grunde einfacher, weil ja schließlich diese Forscher von der Art des Theodor Ziehen meistens mit Bezug auf die Verstandesauffassung, auch mit Bezug auf die mathematische Auffassung des Naturganzen, außerordentlich ge­scheit sind. Ich sage das selbstverständlich ohne Ironie, sondern ich meine das, was ich damit sage. Wir haben heute in der Wissenschaft nach dieser Richtung einen außerordentlich großen Scharfsinn ange­wendet, und es würde Ihnen klarwerden, wenn Sie, ich möchte sagen, beschließen würden, näher bekanntzuwerden mit dem ganzen Verlauf der anthroposophischen Bewegung, daß ich selber durchaus nicht be­günstige das dilettantische Herumreden in allerlei abstrusen, nebulosen anthroposophischen Vorstellungen bei einem hochmütigen Abweisen desjenigen, was in der heutigen Wissenschaft gegeben ist, wenn man dieses in der heutigen Wissenschaft Gegebene nicht soweit kennt, daß man es in seiner ganzen Bedeutung auch anerkennen kann. Ich stehe durchaus auf dem Standpunkt: Erst dann kann man anthroposophisch

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über die heutige Wissenschaft ein Urteil fällen, wenn man sie kennt. Ich weiß allerdings, wieviel ich im Laufe der Zeit habe im Grunde ge­nommen leiden müssen unter denjenigen Anthroposophen, welche, ohne irgendwelche Ahnung zu haben von der Bedeutung und Aufgabe der heutigen Wissenschaft, immer wieder und wieder über diese Wissen­schaft losgezogen haben und geglaubt haben, sie könnten über das­jenige, was in sorgfältigen, gewissenhaften Methoden erarbeitet wor­den ist, ein Urteil fällen, wenn sie sich ein paar anthroposophische Flos­keln angeeignet haben. Über dieses Stadium müssen wir natürlich durchaus hinauskommen.

Nun was da eigentlich vorliegt, das ist dieses: Man kommt dazu, zu­nächst wenigstens die Beziehungen zu konstruieren, die zwischen dem Vorstellungsleben und dem Nerven-Sinnesleben bestehen. Aber es bleibt eben ein Rest. Dieser Rest entzieht sich in einem gewissen Sinne der Aufmerksamkeit. Denn man schwimmt da so langsam hinein von dem verstandesmäßigen, logischen und mathematischen Konstruieren in dasjenige, wo die Dinge unbestimmt werden, das heißt man macht sich klar: so sind die Sinne, so setzen sich die Sinne fort im Nerven­system - und dann müßte man eigentlich weiter in das imaginative Vorstellen hinein. Jeder Mensch hat aber bis zu einem gewissen Grade ein dunkles Gefühl von der Umgestaltung scharf umrissener, mathema­tisch konstruierbarer Figuren zu dem, was sich zum Beispiel im Mathe­matischen nicht erfassen läßt, was aber deutlich im Gehirn und Ner-venbau zutage tritt, und weil er dieses Gefühl hat, so sagt er sich: Man wird schon auch einmal hineinkommen in diejenigen Partien des Sin­nesleben und des Nervenlebens, welche sich der unmittelbaren rein mathematischen Konstruktion entziehen. Man setzt sozusagen ein fer­nes Ideal an die Stelle desjenigen, was aber durchaus erreicht werden kann jetzt schon, wenn man sich eben gesteht: Mit dem bloß verstan-desmäßigen Erkennen läßt sich prinzipiell nicht hineintauchen in diese Welt der Sinne und des Nervenlebens, sondern da muß eintreten ein­fach das Überführen desjenigen, was solches verstandesmäßige Kon­struieren ist, in das Erfassen eines Bildhaften, das ebenso vollbewußt und willentlich zu erreichen ist wie die mathematische Figur, das aber nicht innerhalb des Mathematischen aufgeht. Ich meine eben das Imaginative.

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Sehen Sie, eine gewisse Hilfe kann vielleicht wenigstens ein Teil von Ihnen haben, wenn er versucht, sich eine genaue Vorstellung von dem zu machen, wie sich verhält die gewöhnliche analytische Geome­trie zu der sogenannten synthetischen Geometrie. Nur ein paar Worte möchte ich über dieses sagen. Wir tun innerhalb der analytischen Geo­metrie eigentlich das Folgende. Wir diskutieren irgendeine Gleichung y = 1(x) oder eine andere Gleichung, und wenn wir innerhalb des ge­wöhnlichen Koordinatensystems bleiben, so sagen wir uns, jedem x entspricht dann ein y, und wir suchen die Endpunkte der Ordinaten als diejenigen Punkte auf, die sich aus unserer Gleichung ergeben. -Was tritt da eigentlich ein? Da müssen wir uns sagen: Wenn wir die Gleichung behandeln, so behandeln wir sie eigentlich so, daß wir inner­halb desjenigen, was wir in der Gleichung handhaben, immer im Auge etwas haben, was außerhalb desselben liegt, was wir zuletzt suchen. Wir suchen zuletzt die Kurve. Aber in der Gleichung liegt ja nicht die Kurve. In der Gleichung liegen die Ordinaten und die Abszissen. Wir bewegen uns eigentlich so, daß wir außerhalb der Kurve konstruieren, und daß wir dasjenige, was wir an den Enden der Ordinaten haben, dann als die Punkte betrachten, die der Kurve angehören. Wir kommen mit unserer Gleichung in der analytischen Geometrie gar nicht hinein in die Kurve selber, in das geometrische Gebilde. Das ist etwas ungeheuer Be­deutsames, wenn es im erkenntnismäßigen Sinne begriffen wird, daß, wenn wir analytische Geometrie treiben, wir Operationen ausführen, die wir dann im Raume wieder aufsuchen, daß wir aber mit alldem, was wir da rechnen, eigentlich außerhalb der Betrachtung geometri­scher Gebilde bleiben. Es ist das etwas, was man auffassen muß aus dem Grunde, weil man dann zu einer ganz anderen Vorstellung kommt, wenn man übergeht von der analytischen Geometrie zur projektiven oder synthetischen Geometrie. Da arbeitet man, wie die meisten von Ihnen wissen werden, nicht mehr mit der Rechnung, sondern da ar­beitet man im Grunde genommen nur mit dem Schneiden von Linien und mit dem Projizieren von Gebilden und kommt dadurch wenigstens zunächst annäherungsweise dazu, aus dem bloßen Herumrechnen um die geometrischen Gebilde etwas hineinzutreten in diese geometrischen Gebilde selber. Das zeigt sich, wenn Sie sich anschauen, wie man in der

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synthetischen Geometrie zum Beispiel nachweist, daß eine gerade Linie nicht zwei unendlich ferne Punkte hat, sondern nur einen unendlich fernen Punkt, so daß man, wenn man nach dieser Richtung fortgeht, ich möchte sagen, «von hinten herum» - das kann man geometrisch ganz gut begreifen - wiederum zurückkommt, so daß man nur einen unendlich fernen Punkt bei einer Geraden hat. Man hat dann bei einer Ebene nur eine unendlich ferne Grenzlinie. Man hat beim ganzen Raum nur eine unendlich ferne Grenzebene.

Zu diesen Vorstellungen, ich will das nur erwähnen, kommt man nicht auf analytische Weise. Das läßt sich gar nicht machen. Man bil­det sich, wenn man schon synthetisch-geometrische Vorstellungen hat, vielleicht ein, man könne dazu kommen. Man kann aber nicht dazu kommen, nur die synthetische Geometrie liefert einem das. Die syn­thetische Geometrie zeigt einem, daß man in der Tat hinein kann in die geometrischen Gebilde, was die analytische Geometrie nicht kann. Und da erwirbt man sich, wenn man sich allmählich so herausringt aus der bloßen analytischen Geometrie in die projektive oder synthetische Geometrie hinein, eine Empfindung dafür, wie die Kurve selber in sich die Elemente des Sich-Biegens, des Sich-Rundens und so weiter hat, was ja nur äußerlich gegeben ist in der analytischen Geometrie. Man dringt also aus der Umgebung der Linie, aus der Umgebung auch des Raumgebildes in das innere Gefüge des Raumgebildes hinein, und man hat dadurch eine Möglichkeit, sich eine erste Stufe zu bilden für den Übergang des rein mathematischen Vorstellens, das ja im eminen­testen Sinne in der analytischen Geometrie gegeben ist, zum imagina­tiven Vorstellen. Man hat das imaginative Vorstellen natürlich noch nicht in der synthetischen, projektiven Geometrie, aber man nähert sich ihm, und das ist, wenn man es innerlich durchmacht, ein außer­ordentlich bedeutsames Erlebnis, ein Erlebnis, welches geradezu ent­scheidend werden kann für die Anerkennung des imaginativen Ele­mentes und auch dafür, daß man sich dann den Weg der Geistes-forschung bestätigt in der Richtung, daß man wirklich eine Vorstel­lung von diesem imaginativen Element bekommt. Ich habe, ich möchte sagen, ein tiefes Mitgefühl gehabt, als ich bei einem eigentlich recht guten Naturforscher und Arzt der Gegenwart, bei Moriz Benedikt, in

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seinen ja so unsympathischen, weil blasierten und hochmütigen Le­benserinnerungen die Stelle fand, die mir ganz Richtiges wiederzuge­ben scheint, wo er sagt, er vermisse so sehr bei den Medizinern die Q Vorbereitung durch das mathematische Studium. Nun wäre es selbst-verständlich außerordentlich gut, wenn die Mediziner mehr mathema­tische Vorbereitung hätten, aber mit Bezug auf diese Dinge haben wir ja in unserem gegenwärtigen Bildungsgang manchen Mangel zu ver­zeichnen. Aber auf der anderen Seite konnte ich von meinem Gesichts­punkt aus, als ich Moriz Benedikts Lebenserinnerungen las, nicht an­ders als sagen: Auch wenn die Mediziner noch so gute mathematische Vorstellungen hätten, sie würden mit diesen mathematischen Vorstel­lungen allein durchaus nicht in der Lage sein, dasjenige zu decken, was zum Beispiel im Sinnessystem und im Nervensystem an Gestaltung gegeben ist. Da muß man eben zu dieser Umbildung des Mathemati­sierens, zu diesem imaginativen Erkennen vorrücken. Dann erst ergibt sich das betreffende Nerven- oder Sinnesgebilde geradeso dem Vor­stellen, wie sonst das physisch-mineralische Gebilde sich eben dem ma­thematischen Vorstellen ergibt.

Das alles sind Dinge, die Ihnen zeigen können, wie in der Tat all-überall, ich möchte sagen, die Türen offen stehen in der gegenwärtigen Wissenschaft, um einzutreten in dasjenige, was die Geistesforschung geben will, und wenn wir erst ein bißchen eingehen können in das eigentlich Medizinisch-Therapeutische in den nächsten Tagen, dann werden Sie sehen, wie da ganz gewaltig diese Türen offen stehen, um einzutreten mit Geistesforschung in dasjenige, was sich ja der ge­wöhnlichen Forschung nicht ergibt. Aber wenn man nun auch auf diesem Wege weiterschreitet und nicht will über das imaginative Vor­stellen hinausgehen in der Art, wie ich es morgen beschreiben will, nämlich nicht vorrücken will zum inspirierten Vorstellen, dann kommt man eben nicht zu irgendeiner Möglichkeit, etwas im menschlichen Organismus nur annähernd als einen Abdruck, als gewissermaßen die Realisierung von etwas Geistig-Seelischem zu erkennen, eine Realisie­rung so stark, daß zwei ganz entgegengesetzt denkende Menschen diese Gebilde ähnlich zeichnen. Man wird erst durch das inspirierte Vor­stellen auf das rhythmische System des Menschen, das in der Hauptsache

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umfaßt den Atmungsprozeß und den Blutzirkulationsprozeß, ge­wiesen. Da erst erträgt man, wenn ich mich so ausdrücken darf, jenes äußerlich fast gar nicht mehr Ahnlichsehen des physischen Gebildes und des Geistig-Seelischen. Es gehört in der Tat unmittelbar das Ge­fühlsleben geradeso zum rhythmischen System wie das Vorstellungsle­ben zum Nerven-Sinnessystem gehört. Aber im Nerven-Sinnessystem haben wir in gewisser Weise ein äußeres physisches Abbild des Vor­stellens. Im rhythmischen System zeigt das, was sich der äußerlichen sinnlich-empirischen Forschung darbietet, kaum mehr etwas Ahnliches mit dem Seelischen des Fühlens. Deshalb, weil das so ist, kommt die äußerliche Forschung auch gar nicht darauf, daß diese Ahnlichkeit dennoch besteht, daß sie sich aber erst enthüllt, wenn man zu einer noch anderen Vorstellungsart kommt, als diejenige des Imaginierens ist. Und da kommt man, wie ich schon gestern angedeutet habe, in die Nähe eines Erkenntnisstrebens, welches auf primitivere Art, instinkti­ver getrieben worden ist im Jogasystem der alten Inder.

Bei all denjenigen, welche dieses Jogasystem pflegen - das durchaus, wie ich schon angedeutet habe, nicht mehr erneuert werden darf, weil es für den modernen Menschen seiner veränderten Organisation gegen­über durchaus nicht mehr angemessen ist -, sehen Sie das Bestreben, für kurze Übungszeiten an die Stelle des gewöhnlichen, normalen, aber zum großen Teil unbewußt verlaufenden Atmungsprozesses einen ge­regelten, mehr in das Bewußtsein heraufgehobenen Atmungsprozeß zu setzen. Man atmet in einer anderen Weise ein, als man gewöhnlich nor­mal und unbewußt atmet. Man hält den Atem zurück, so daß man weiß, wie lange man zurückhält. Man atmet in einer bestimmten Weise aus. Höchstens unterstützt werden kann unser heutiges Geistesleben durch einen solchen Atmungsprozeß. Aber so, wie mit besonderer Be­tonung dieser Prozeß im alten Indien von denjenigen gemacht wurde, welche zu etwas kommen wollten wie die herrliche, gewaltige Vedan­taphilosophie oder wie die philosophischen Grundlagen der Veden, in solcher Weise können wir es heute nicht machen. Das würde wider­sprechen dem, was die heutige menschliche Organisation eigentlich ist. Aber man kann sich doch an diesem durch die Veränderung des nor­malen Atmens aus dem Willen heraus bewußt werdenden rhythmischen

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Prozeß unterrichten. Es wird in einer gewissen Weise dasjenige, was sonst im selbstverständlichen Ablaufe des Lebens sich vollzieht, in das bewußte Willensleben hereingehoben. Man atmet also, das heißt, man vollzieht alles dasjenige, was während des Atmens im Lebensprozeß des Menschen sich vollzieht, in einer gewissen Weise bewußt. Dadurch, daß man es bewußt vollzieht, verändert sich aber im Grunde der ganze Bewußtseinsinhalt. Wie man mit dem Atmen selbst dasjenige, was in der Außenwelt vorhanden ist, in seine eigene Organisation einbezieht, so bezieht man auch, wenn der Atmungsprozeß in dieser Weise, wie ich es geschildert habe, bewußt gestaltet wird, etwas Geistig-Seelisches in die eigene Organisation hinein.

Bedenken Sie nur das Folgende. Wir können eigentlich, wenn wir die gesamte menschliche Organisation betrachten, wenn wir nicht bei Abstraktionen stehenbleiben, sondern zur totalen Wirklichkeit über­gehen wollen, nicht sagen: dasjenige, was da innerhalb unserer Haut ist, sind wir bloß ganz allein. Wir haben in uns dasjenige, was der anfängliche oder schon in seinem Verlaufe befindliche Atmungsprozeß, Umgestaltung des Sauerstoffs und so weiter ist. Aber dasjenige, was jetzt in uns ist, war vorher draußen, gehörte der Welt an, und das­jenige, was wir jetzt in uns haben - wenn wir ausgeatmet haben wer­den, wird es wiederum der Welt angehören. Wir sind in einer gewissen Weise, sobald wir zu diesem rhythmischen System übergehen, nicht mehr in derselben Weise organisch individualisiert, wie wir uns das vorstellen, wenn wir eben nur das Nichtluftmäßige in unserer orga­nischen Bildung innerhalb unserer Haut in Betracht ziehen. Wenn der Mensch sich voll bewußt wird, daß er eigentlich seine Luftorganisation recht rasch wechselt - bald ist die Luft draußen, bald ist sie drinnen und so weiter -, so kann er sich eigentlich nur vorkommen, wie sich der Finger vorkommen würde als Glied unseres Organismus, wenn er ein Bewußtsein erlangen könnte. Er kann nicht sagen: Ich bin etwas Selbständiges -, er kann sich nur fühlen als ein Glied unseres Menschen-Organismus. So müssen wir uns fühlen als Atmungsorganismus. Wir sind eingegliedert unserer kosmischen Umgebung gerade durch diesen Atmungsorganismus, und wir betrachten diese Eingliederung nur aus dem Grunde nicht, weil wir dieses rhythmische Organisieren wie eine

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selbstverständliche, fast unbewußte Tätigkeit ausüben. Wenn sie nun durch den Jogaprozeß heraufgehoben wird zur Bewußtheit, dann ge­schieht das, daß man merkt, man atmet ja nicht bloß die materielle Luft ein und verbindet sie mit sich, sondern mit der Luft atmet man auch Geistig-Seelisches ein, verbindet es mit sich. Im Ausatmen über­gibt man wiederum der Außenwelt Geistig-Seelisches. Man lernt nicht nur seinen materiellen Zusammenhang mit der kosmischen Umgebung kennen, man lernt seinen geistig-seelischen Zusammenhang mit der kosmischen Umgebung kennen. Man verwandelt den ganzen rhyth­mischen Prozeß in etwas, dem sich eingliedert ein Geistig-Seelisches. Genauso wie sich in den Vorstellungsprozeß eingliedert die kosmische Umgebung, so gliedert man dem Atmungsprozeß, der sonst ein innerer physischer organischer Prozeß ist, ein Geistig-Seelisches ein. Dadurch wird allerdings dieser umgewandelte Joga-Atmungsprozeß zu einer, ich möchte sagen, mehr pantheistisch gefärbten, die einzelnen Gebilde weniger individualisierenden Erkenntnis und es bildet sich im Inder ein anderes Bewußtsein, als das gewöhnliche Bewußtsein ist. Er fühlt sich in einem anderen Bewußtsein, in dem er gewissermaßen hingegeben ist an die Welt. Dadurch aber bekommt er ein objektives Verhältnis zu dem, was sonst sein gewöhnliches Vorstellungsleben ist, indem er gewis­sermaßen hinunterrückt mit seinem Bewußtsein in das atmungsrhyth-mische System überhaupt. Vorher lebt er in dem Nerven-Sinnessystem, gegeben als eine Summe von Anschauungen. Jetzt erlebt er sich - was man erlebt, weiß man nicht, aber sobald es objektiv wird, tritt es als An­schauung auf, und so lernt er erkennen dasjenige, in dem er sonst lebt als Anschauung -, jetzt erlebt er sich, ich möchte sagen, eine Stufe tiefer im rhythmischen System. Wenn man diesen inneren Erlebensprozeß kennenlernt, dann versteht man in einer neuen Weise dasjenige, was durch die Veden atmet, was durch die Vedantaphilosophie nicht nur an­ders gestaltet ist, als es die abendländische Bildung gibt, sondern was unmittelbar erfahren ist, aus der Erfahrung, die eben gegeben ist jenem Bewußtsein, das eigentlich sich verlegt hat in den Atmungsprozeß.

Nun kommt man noch zu etwas anderem, wenn man in diesen Atmungsprozeß hinuntersteigt. Das möchte ich aber erst erwähnen, wenn ich noch einmal präziser dasjenige vorausgeschickt habe, was

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ich schon vorgestern angedeutet habe. Ich sagte, dieser Jogaprozeß ist für uns nichts mehr, und die menschliche Organisation ist mittlerweile fortgeschritten. Wir können in unserem Zeitalter nicht mehr in den Jogaprozeß untertauchen, einfach aus dem Grunde, weil wir heute verstandesmäßig so stark organisiert sind, weil unsere Vorstellungen innerlich, ich möchte sagen, soviel Härte haben - das ist bildlich ge­sprochen -, daß wir viel mehr Kraft hineingießen würden in das Atmungssystem, als der Inder mit seinem weicheren Vorstellungsleben hineingegossen hat. Heute würde es bedeuten, daß der Mensch in einer gewissen Weise sich betäuben würde, oder sonst sein rhythmisches System stören würde , wenn er in derselben Weise mit dem Jogaprozeß vorgehen würde wie der Inder. Wir können vorschreiten, wie ich schon angedeutet habe und wie ich später genauer beschreiben werde, von der Nachbildung des Erinnerungsvermögens zum Ausbilden des Ver­gessensprozesses. Dadurch, daß wir da in diesen Abgrund hineinkom­men, in den Vergessensprozeß hineinkommen, ergreifen wir von oben herunter das Atmen, das wir dann so lassen können, wie es ist. Wir brauchen es nicht umzugestalten. Wir können es so lassen, und das ist für den modernen Menschen das Richtige. Aber wir strahlen gewisser­maßen im künstlichen Vergessen herunter in das Atmungssystem. Wir verlegen dort das Bewußtsein in dieselbe Region, nur eben vollbewuß­ter, noch mehr von Willen durchzogen, als es der alte Inder tun konnte.

Man erlebt dadurch die Möglichkeit, jetzt dieses rhythmische System zu erkennen als zugeordnet dem menschlichen Gefühlsleben. Dann, wenn man sich in dieser Region die Möglichkeit erwirbt, noch vorzu­stellen, also wenn man sich die Möglichkeit erwirbt, inspirierte Vor­stellungen zu haben, dann ist nicht mehr die Notwendigkeit vorhan­den, daß das äußere sinnliche Gebilde ähnlich ist dem seelischen Ge­bilde, so wie das Gehirn in seinem Bau ähnlich ist dem Zusammenhang der Vorstellungen, sondern es kann das äußere sinnliche Gebilde im Grunde so verschieden sein von dem Seelischen, daß der gewöhnliche Physiologe das gar nicht merkt, wie es bei Theodor Ziehen der Fall ist. - Indem man aber die Welt viel geistiger anschaut, indem man die Welt anschaut auf rein geistige Art, merkt man doch, wie man gerade mit dem Gefühlsleben bewußt untertauchen kann in das rhythmische

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System, und man merkt dann die unmittelbare Zusammengehörigkeit des Gefühlslebens mit diesem rhythmischen System. Aber daraus wird Ihnen eben - und damit komme ich auf das, was ich vorhin schon angeschlagen habe - begreiflich erscheinen, daß einfach in älteren Zei­ten dann - schließlich sind die Inder ja nur das besonders repräsenta­tive Volk für dasjenige, was die älteren Stadien der Menschheitsent­wickelung ergeben hatten - das Erkennen, das man anstrebte, um über das unmittelbare Erfassen der Welt im alltäglichen Leben hinauszu­kommen, sich einsenkte in das Gefühlsleben. Es war durchaus Vorstel­lungsleben, aber es senkte sich ein in das Gefühlsleben, es war gefühls-durchdrungen. Der moderne Forscher spricht nur von Gefühlsbeto­nung. Dasjenige, was der alte Jogi erlebte und überhaupt derjenige er­lebte, der sein Dasein innerhalb älterer Kulturen hatte, war ein Unter-tauchen in das Gefühlsleben, aber nicht so, daß die Verschwommen­heiten des Gefühlslebens eintraten, sondern daß wirklich die volle Klarheit des Vorstellungslebens da war und dennoch das Fühlen nicht nur nicht ausgelöscht war, sondern sogar intensiver auftrat als im ge­wöhnlichen Alltagsleben, und es wurde durchtränkt dadurch alles das­jenige, was im Alltagsleben, ich möchte sagen, nüchtern, prosaisch auf­gefaßt wurde. Indem sie sich zu gleicher Zeit metamorphosierten, in­dem sie sich vertieften, nahmen die Vorstellungen andere Gestaltungen an, und so durchtränkten sich diese umgewandelten Vorstellungen mit solchem gefühlsmäßigem Inhalt, daß aus diesem gefühlsmäßigen Inhalt der Wille unmittelbar angeregt wurde und von diesem alten Menschen etwas vollzogen wurde, was wir heute in einer abstrakteren Form voll­ziehen, wenn wir irgend etwas, was wir in der Seele tragen, verwenden zum aufzeichnen oder aufmalen. Solches im Jogasystem Ergriffenes wurde so intensiv innerlich erlebt, daß es eine Selbstverständlichkeit war, nicht stehenzubleiben bei etwa dem bloßen Zeichnen oder Malen, sondern es umzugestalten in äußere, durch äußere Gegenstände herge­stellte Symbolik.

Hier haben Sie den psychologischen Ursprung alles desjenigen, was in den alten Kulturen als Kultushandlungen auftrat. Innerlich zu be­greifen hat man dasjenige, was menschlicher Antrieb für Kultushand­lungen war, und man begreift, wie der alte Mensch nicht etwa aus

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Kinderei heraus, sondern aus seiner Art des Erkennens heraus dazu gekommen ist, Kultushandlungen zu vollziehen und in ihnen etwas Reales zu sehen, weil er wußte, dasjenige, was er der Handhabung seines Kultus einbildet, das ist von innen heraus gestaltet dasjenige, was im Grunde genommen entspringt einer Erkenntnis, wo der Mensch nicht mehr abgesondert dasteht, sondern mit der Wirklichkeit verbun­den ist. Er prägte dem Kultus ein dasjenige, was die Welt erst ihm eingeprägt hatte. Indem er zu seinem Erkennen vorgeschritten war, sagte er sich: Jetzt lebt in mir, wie der physische Atem aus dem um­liegenden Kosmos in mir lebt, die geistige Wesenhaftigkeit der Welt in meinem umgestalteten Bewußtseinsprozeß, und indem ich wieder­um in äußerer Konfiguration, in der Kultushandlung dasjenige den Dingen und den Vorgängen einbilde, was sich aus dem geistigen Kos­mos zuerst in mich eingebildet hat, vollziehe ich eine Handlung, stelle ich ein Objekt vor mich hin, das seine unmittelbare Beziehung zum geistigen Inhalt des Kosmos hat. So stand vor diesem Menschen der alten Kultur das äußere Kultusgerät in seiner symbolischen Art, so daß er in ihm empfand den Zusammenhang mit den geistigen Wesenhaftig­keiten des Kosmos, den er zuerst in seinem Erkennen erlebt hat. Und er wußte nun, wie konzentriert, in überschaubarer Weise konzentriert ist im Kultusgerät oder in der Kultushandlung etwas, was so geschieht, daß es sich nicht erschöpft in dem Außerlichen, was ich da vor mir habe, sondern daß geistig-seelische Mächte, die sonst im Kosmos leben, in der sich vollziehenden Kultushandlung leben.

Das, was ich Ihnen erzähle, ging in der Seele derjenigen Menschen vor sich, die auf eine selbstverständliche Art, aus ihrem Erkennen her­aus die alten Kulte bildeten. Man bekommt erst ein psychologisches Verständnis für diese Kulte, wenn man sich einläßt auf inspirierte Er­kenntnis. Diese Dinge dürfen eben nicht in der äußerlichen Weise erklärt werden, wie das im allgemeinen geschieht. Man muß tief hineinschür­fen in des Menschen Wesenheit, und man muß sich fragen, wie sich aufeinanderfolgend die verschiedenen Betätigungen der menschlichen Gesamtorganisation ausbildeten, damit in jenen Zeitaltern solche Dinge entstehen konnten, wie zum Beispiel in einem Zeitalter insbe­sondere entstanden sind die Kulthandlungen. Denn, was heute Kulthandlungen

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sind, sind eigentlich stehengebliebene Reste desjenigen, was in alten Zeiten sich gebildet hat, und deshalb wird das Verständ­nis für die Berechtigung des Kultus dem gegenwärtigen Menschen so schwer, weil er ja mit Recht nicht mehr sich sagen kann, diese Art von Sich-Stellen zur Außenwelt ist heute noch eine berechtigte.

Aber auch in anderer Beziehung können wir sehen, wie das See­lische im Verlauf der Menschheitsentwickelung wirkt. In dem, was dem Herstellen eines Kultusgeräts, dem Vollziehen einer Kulthand­lung zugrunde liegt, lebt innerlich durchdrungene Erkenntnis, so er­rungen, wie ich es dargestellt habe. Dadurch aber nun, daß die Mensch­heit sich weiter entwickelt hat, ist wieder etwas anderes eingetreten. Es liegt heute noch durchaus mehr oder weniger im Unbewußten. Aber dasjenige, was ich schon dargestellt habe, das sich besonders zeigt, wenn man zur imaginativen Erkenntnis vorschreitet, daß sich aus dem See­lisch-Geistigen das Nervenmäßige, die Nervenorganisation herausbil­det, das entwickelt sich auch im Verlauf der Menschheitsgeschichte. Und wir müssen sagen, insbesondere seit der Mitte des 15. Jahrhunderts ist einfach die Menschheit in ihren repräsentativen Gliedern so gewor­den, daß dieses durchaus instinktive Einbilden des Seelisch-Geistigen in das Nervensystem stärker geworden ist, als es früher war. Wir ha­ben heute einfach einen stärkeren Verstand. Das ist mit Händen zu greifen, wenn man Plato und Aristoteles studiert. Wir haben heute einen anders organisierten Verstand. Ich habe das in meinen «Rätseln der Philosophie» dargestellt aus der Geschichte der Philosophie selber. Wir haben eine andere Verstandesbetätigung. Wir überarbeiten einfach das, was seelisch sich im Laufe der Entwickelung verstärkt hat, inten­siver gestaltet hat. Dadurch aber, daß es sich intensiver gestaltet hat, dadurch hat es sich auch selbständiger gemacht. Auf dieses Selbstän­digerwerden gegenüber der menschlichen Nervenorganisation von sei­ten des Verstandes ist das Bewußtsein der Menschheit, auch das philo­sophierende Bewußtsein, noch nicht ganz aufmerksam geworden. Und weil, ich möchte sagen, der Mensch heute nach innen stärker gewor­den ist, weil er vom Seelisch-Geistigen aus sein Nerven-Sinnessystem stärker durchorganisiert, so hat er das Bedürfnis, diese intensivere Ver­standestätigkeit wiederum in der äußeren Welt anzuwenden. Geradeso

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wie man innerlich in alten Zeiten die Erkenntnis, die innerlich errun­gene Erkenntnis anwendete auf das Herstellen des Kultgeräts und auf das Vollziehen der Kultbandlung, wie man so bestrebt war, das, was man erkannt hatte, hinauszutragen in das, was man tat, so hat man in der neueren Zeit die Sehnsucht bekommen, dasjenige, was der selb­ständige, der stärker gewordene Verstand ist, nun auch in der Außen­welt zu befriedigen, von der Außenwelt etwas hereinzubekommen, worauf der Verstand, ohne daß er erst durch das innere Leben getra­gen ist, sich anwenden kann. Der Verstand will etwas haben, worin er so lebt wie früher das heraufgehobene Kosmische im Kultgerät und in der Kulthandlung. Er will etwas vor sich haben, was er hinstellt in der Art, daß es in der entgegengesetzten Art errungen ist wie die Kulthandlung.

Das - bitte ertragen Sie die Paradoxie, aber psychologisch ist das so-, was da angestrebt wird, wo gewissermaßen herausgeschlagen wird dasjenige, was innerlich erlebt wird, wo nur der Verstand zusammen­stellen will die Bewegungen, damit er in dem Objekt lebt, wie früher das Kosmische leben sollte in dem Kultusobjekt, das ist das wissen­schaftliche Gerät, das zum Experimentieren dient, und das Experiment ist dasjenige, worin der moderne Mensch nach dem anderen Pole hin den Verstand, der stärker geworden ist, ebenso befriedigt, wie er sein kosmisches Gefühl einstmals im Kultusgerät und in der Kultushand­lung befriedigt hat. Das sind die entgegengesetzten Pole. In bezug auf eine alte instinktive Hellseherkultur war es der Trieb, äußerlich das innerlich kosmisch Erlebte zu vergegenwärtigen im Kultusgerät und in der Kultushandlung. Dasjenige, was der intensiver gewordene mo­derne Verstand ist, das will sich äußerlich hinstellen in zusammenge­stellten Bewegungen, die abgesondert sind von aller Innerlichkeit, in denen nichts Subjektives lebt, die aber doch gerade aus dem errungenen Subjektiven des Verstandes zusammengestellt werden im Experiment. So sonderbar es Ihnen erscheinen mag, daß aus denselben Untergrün­den heraus auf der einen Seite der Kult, auf der anderen Seite das Experiment hervorgeht, wenn man den totalen Menschen begreift, so wird man auch zu einem Verständnis dieser Polaritäten kommen kön­nen. Auf dieser Grundlage wollen wir dann morgen weitersprechen.

SECHSTER VORTRAG Stuttgart, 22. März 1921

#G324-1972-SE096 Naturbeobachtung, Experiment, Mathematik und die Erkenntnisstufen der Geistesforschung

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SECHSTER VORTRAG

Stuttgart, 22. März 1921

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Ich habe bisher gesprochen von jenen übersinnlichen Erkenntnisfähig­keiten, die ich benenne mit den Ausdrücken imaginative Erkenntnis und inspirierte Erkenntnis. Ich möchte heute zunächst einiges sagen über das Erringen dieser Erkenntnisfähigkeiten. Natürlich kann ich nur Prinzipielles und Einzelnes darüber andeuten. Das Ausführliche finden Sie ja in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höhe­ren Welten?». Aber ich werde heute gerade dasjenige hervorheben, was in dem Zusammenhange, den ich mir vorgesetzt habe in diesen Vor­trägen hier zu behandeln, von Wichtigkeit ist. Dasjenige, was ich Ihnen gewissermaßen in seinem Darinnenstehen im Welterkennen als Imagi­nation geschildert habe, das kann errungen werden dadurch, daß man, wie ich schon andeutete, den Erinnerungsvorgang auf einer anderen Stufe nachbildet. Der Erinnerungsvorgang hat sein Wesentliches dar­innen, daß er dasjenige festhält, was im äußeren Erleben an den Men­schen herantritt. Bildhaft hält der Erinnerungsvorgang dieses fest.

Nun handelt es sich darum, daß wir uns zunächst etwas verstän­digen über gewisse Eigenschaften des gewöhnlichen Erinnerungsvor­gangs, aus dem ja die reine Erinnerung, dasjenige, was in wahrem Sinne des Wortes Erinnerung genannt werden kann auch im gewöhnlichen Leben, erst herausgeschält werden muß. Die Erinnerung hat schon ein­mal die Eigentümlichkeit, daß sie zu einer gewissen Veränderung des Erlebten drängt. Vielleicht brauche ich das nicht besonders weiter aus­zuführen, da ja wohl der Mehrzahl von Ihnen gut bekannt sein könnte, wie bis zur Verzweiflung getrieben man manchmal werden kann, wenn man einem Menschen irgend etwas erzählen will und man aus der Er­zählung selbst gut durchhören kann, was eigentlich geworden ist aus dem, was Sie erlebt haben, im Durchgehen durch Ihr Erinnerungsvermö­gen. Es bedarf sogar für das gewöhnliche Leben einer gewissen Selbster­ziehung, wenn man sich immer mehr und mehr hindurchringen will zu einer reinen Erinnerung, zu der Fähigkeit, die Dinge im Bilde wirklich dann so zur Hand zu haben, daß das Bild eine treue Wiedergabe des

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Erlebten ist. Aber man wird auch wohl unterscheiden können zwischen dem, was gegenüber der Erinnerung die berechtigte und zum Künstle­rischen hinarbeitende Phantasietätigkeit ist, und was das Umfälschen der Erlebnisse ist. Es genügt ja wohl, zunächst darauf hinzuweisen, daß der Unterschied zwischen dem Hinarbeiten zur Phantasietätigkeit und dem Hinarbeiten zur Verfälschung der Erinnerungen subjektives Er­lebnis sein muß, wenn der Mensch überhaupt in gesunder Seelenver­fassung sein will. Man muß sich durchaus bewußt sein, wie man umge­staltet in der Phantasie, und wie dasjenige, was sich nicht unter solcher Willkür vollzieht, was sich, ich möchte sagen, wie mit einer Art von innerer, selbstverständlicher Seelenähnlichkeit vollzieht, immer wah­rer, immer treuer werden müsse. Aber man wird eben, ich möchte sa­gen, sowohl aus dem Guten einerseits, aus dem Hinneigen zur Phan­tasietätigkeit, wie auch aus all denjenigen Kräften, welche wirksam sind im Verfälschen, im Umgestalten der Erinnerungen, man wird aus alldem, wenn man es psychologisch studiert, erkennen können, daß schon dann, wenn in einer ordnungsgemäßen Form aufgenommen wird dasjenige, was in den Erinnerungskräften lebt, da etwas herausgestaltet werden kann, was dann nicht mehr bloße Erinnerung zu sein braucht. Man kann ja auch darauf hinweisen, daß manche Mystiken durchaus im Grunde genommen umgefälschte Erinnerungsvorstellungen sind, daß man aber aus dem Studium solcher umgefälschter Erinnerungs-vorstellungen, die dann wieder auftreten als allerlei mystisches Erle­ben, man wird darauf hinweisen können, daß man aus diesem Studium mancher ja ganz ernsthaft auftretender Mystiken recht viel gewinnen kann. Dasjenige, um was es sich uns in diesem Augenblick handelt, ist, daß man durch dasjenige, was ich schon angedeutet habe, erlangen kann, daß dieselbe seelische Kraft, die im Erinnern lebt, in etwas an­deres metamorphosiert wird. Nur muß die Metamorphose so gesche­hen, daß die ursprüngliche Erinnerungskraft dadurch nicht etwa erst getrieben werde zum Umfälschen, sondern daß diese ursprüngliche Er­innerungskraft dadurch, daß man auch etwas anderes aus ihr zu ma­chen versteht, um so mehr hingetrieben wird zur innerlichen Treue und Wahrhaftigkeit. Ich habe gesagt, wenn man sich immer wiederum be­müht, leicht überschaubare Vorstellungen, die man ebenso leicht und

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mit Willkür aus ihren einzelnen Teilen zusammensetzen und dann überschauen kann wie die mathematischen, wenn man solche Vorstel­lungen in sein Bewußtsein hereinrückt, dann sie im Bewußtsein behält, auf ihnen ruht, aber nicht so ruht, daß man etwa von ihnen fasziniert ist, sondern so, daß man in jedem Augenblick dieses Verhältnis des Ruhens mit innerer Willkür selber hervorruft, dann gelangt man allmählich dazu, den Erinnerungsvorgang in etwas anderes, das man früher nicht gekannt hat, umzugestalten. Wie gesagt, das Genauere ist in dem ge­nannten Buch und auch in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» enthalten.

Fährt man mit solchen Übungen genügend lange fort - und wie lange man das nötig hat, das ist individuell - und hat man die Mög­lichkeit, genügend innere Seelenenergie auf sie zu verwenden, dann kommt man eben dazu, Bilder zu erleben, welche in bezug auf das formale, innere Seelenerleben durchaus Erinnerungsvorstellungen glei­chen. Und allmählich hat man sich angeeignet die Fähigkeit, in solchen zunächst, nicht dem Inhalte nach, selbstgemachten Imaginationen zu leben. Dann geht diese Fähigkeit in die andere über, daß in der Seele auftreten Imaginationen, und man kann wirklich, wenn man sich nur immer forterhält, ich möchte sagen, die mathematische Seelenstim­mung, von der ich gesprochen habe, durchaus jederzeit sich klar sein darüber, ob man von irgendeiner Vorstellung genarrt ist, ob man einer Suggestion oder Autosuggestion unterliegt, oder ob man eben in jener Seelenstimmung ist bei vollständiger innerer Willkür. Man gelangt dazu, Vorstellungen zu haben mit dem formalen Charakter der Er­innerungsvorstellung, nur gradweise intensiver. Ich bemerke ausdrück­lich, zunächst haben diese imaginativen Vorstellungen den Charakter von Erinnerungsvorstellungen. Gesättigter, durchtränkt gewisserma­ßen von einem intensiveren Erleben werden sie erst durch die Inspi­ration. Zunächst haben sie durchaus den Charakter von Erinnerungs-vorstellungen, nur so, daß man weiß, dasjenige, was sie enthalten, be­zieht sich nicht auf irgendwelche Erlebnisse, die man seit seiner Geburt durchgemacht hat. Sie drücken ebenso bildhaft etwas aus, wie die Er­innerungsvorstellungen bildhaft diese persönlichen Erlebnisse aus­drücken. Sie beziehen sich auf etwas Objektives. Aber man weiß ganz

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genau, dieses Objektive ist durchaus nicht enthalten innerhalb der Sphäre, die man sonst durch die Erinnerungsvorstellungen überblickt. Zunächst hat man aber auch das deutliche Bewußtsein davon: in diesen Imaginationen hat man etwas, was eine starke innere Realität hat. Aber andererseits zu gleicher Zeit ist man sich völlig klar bewußt, daß man es mit Bildern, allerdings mit Bildern irgendeiner Wirklichkeit, aber eben mit Bildern zu tun hat.

Es handelt sich darum, daß man Einblick gewinnt in dasjenige, was bei Erinnerungsvorstellungen eben, wenn sie rein sein sollen, be­sonders notwendig ist, daß sie nicht von irgend etwas Fremdem durch­zogen Werden. Ich will jetzt den Vorgang äußerlich schildern. - In ein paar Vorträgen kann man nicht alles im einzelnen darstellen. - Man erlangt gewissermaßen Einsicht, wie man an dem äußeren Erlebnis die Vorstellung sich bildet, wie sie in einem gewissen Sinne übergeht in den Organismus, wie sie da drinnen - ich will jetzt ganz abstrakt sa­gen - ihr weiteres Dasein hat und als Erinnerungsvorstellung wieder hervorgeholt werden kann. Man merkt, daß eine gewisse Abhängig­keit besteht zwischen dem, was in den Erinnerungen lebt, und den auch physischen Zuständen der menschlichen Organisation. Bis hinunter in die physischen Zustände ist man ja abhängig mit Bezug auf die Er­innerungen von der Organisation des Menschen. Man übergibt gewisser­maßen dasjenige, was man erlebt hat, der eigenen Organisation, und man könnte ja jetzt im einzelnen schildern, welche Schicksale diese übergebenen Bilder der Erlebnisse in der menschlichen Organisation er­fahren. Das würde aber selbst schon ein geisteswissenschaftliches Ka­pitel sein. Aber wie sehr auch unser Organismus beteiligt sein mag an dem Aufnehmen desjenigen, was dann als Erinnerung weiterlebt, wie sehr er beteiligt sein mag an dem Inhalt, er darf nicht soweit eben be­teiligt sein, daß er irgend etwas Inhaltliches hinzugibt zu den Erinne­rungen, wenn die Erinnerungen rein und treu sein sollen. Es darf in die Erinnerungen, nachdem die Vorstellungen des Erlebnisses gebildet sind, nichts weiter Inhaltliches einfließen.

Wer sich über dieses Faktum im Erinnerungsleben ganz klar ist, der kann eben unterscheiden, weiß, was es heißt, wenn dann in seinem Be­wußtsein Bilder auftreten mit dem sonstigen formalen Charakter der

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Erinnerungsbilder, die aber einen Inhalt haben, der sich durchaus nicht auf irgend etwas persönlich Erlebtes bezieht, und der gegenüber allem persönlich Erlebten zunächst ein vollständig veränderter ist. Aber in die­sem Erleben der Imagination selbst zeigt sich, wie man nötig hat, die eigentliche seelische Kraft stark zu machen, immer mehr und mehr zu verstärken. Denn, was muß man eigentlich tun? Während sonst unsere fertige Organisation, dasjenige als was man organisiert ist, die Vorstel­lungen, die man sich am Leben gebildet hat, übernimmt und die Er­innerung vermittelt, während also gewissermaßen, wenn ich mich so ausdrücken kann, die am Leben gebildeten Vorstellungen nicht ins Bodenlose sinken, sondern von unserer Organisation aufgehalten wer­den, damit sie im gegebenen Augenblick der Erinnerung wieder zu­rückgestrahlt werden können, darf das gerade bei den imaginierten Vorstellungen nicht der Fall sein. Die müssen wir in der Lage sein auf­zufangen durch bloß innerliche, seelische Kräfte. Dazu ist eben not­wendig, daß wir uns aneignen dasjenige, was uns darin stärker macht, als wir gewöhnlich sind in bezug auf das Auffangen solcher Vorstel­lungen, auf das Halten solcher Vorstellungen. Nun gibt es dafür ver­schiedene Mittel, die ich beschrieben habe in den genannten Büchern. Aber eines will ich Ihnen angeben, und Sie werden aus dem, was ich jetzt sage, erkennen, welche Zusammenhänge bestehen zwischen man­cherlei Lebensforderungen, die einfach von anthroposophischer Gei­steswissenschaft ausgehen müssen, und demjenigen, was die Grundbe­dingungen dieser anthroposophischen Forschung sind.

Derjenige, welcher in der Art der Außenwelt gegenübersteht, daß er an sich herankommen läßt zunächst die sinnlichen Eindrücke der Außenwelt, wie man wohl auch sagt, die Phänomene, und der dann seinen Verstand dazu gebraucht, um über diese Phänomene in allerlei Weise zu spintisieren, was ja manchmal außerordentlich interessant sein kann, der wird kaum die Kraft finden zum imaginativen Vorstel­len. In dieser Beziehung waren manche Vorgänge des neueren Geistes­lebens geradezu dazu angetan, die imaginative Kraft zu unterdrücken. Wenn man nämlich anfängt, nicht die Phänomene der Außenwelt, die sich im mineralisch-physischen Reiche abspielen, mit dem Verstand gewissermaßen nur zu verbinden, den Verstand nur als ein Mittel zu

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gebrauchen, um die Phänomene miteinander zu verbinden, sondern wenn man anfängt, von den Phänomenen aus nach allerlei zu suchen, das hinter den Phänomenen stecken soll und das man konstruieren will, dann zerstört man sich eigentlich das imaginative Vermögen.

Ich darf vielleicht einen Vergleich gebrauchen. Sie haben ja wohl, sich mehr oder weniger beschäftigt mit demjenigen, was man im Sinne der Goetheschen Weltanschauung Phänomenalismus nennen konnte . Goethe gebraucht selbst bei der Anstellung seiner Versuche, bei seinen Beobachtungen den Verstand in anderer Weise, als er oftmals gerade in der abgelaufenen Phase des neueren Denkens gebraucht worden ist. Goethe gebraucht den Verstand so, wie wir ihn etwa - jetzt kommt der Vergleich, den ich gebrauchen will - anwenden im Lesen. Wir lesen so, daß wir ein Ganzes bilden aus den einzelnen Buchstaben, und daß, wenn wir zum Beispiel eine Zeile vor uns haben und es uns ge­lungen ist, ein Ganzes innerlich mit dem Bewußtsein zu ergreifen durch die einzelnen Buchstaben und Worte, wir dann das Rätsel aufge­löst haben, das uns diese Zeile aufgegeben hat. Wir werden uns gar nicht einfallen lassen, etwa zu sagen: Hier ist ein B, ein r, ein o, ein t. Ich will das B ansehen. Dieses B sagt mir ja als solches nichts Beson­deres. Weil es mir nichts sagt, so muß ich forschen nach dem, was hinter diesem B eigentlich steckt, und da muß ich vielleicht darauf kommen, daß hinter diesem B irgendein geheimnisvolles Jenseitiges steckt, was auf mich einen Eindruck macht, und was mir das B vermittelt. - Das tue ich nicht, sondern ich sehe mir die Buchstaben hier an und bilde mir daraus ein Ganzes: ich lese. Goethe macht es so gegenüber den Phäno­menen der Außenwelt. Er nimmt nicht irgendeine Lichterscheinung und philosophiert darüber, welche Schwingungszustände dahinter­stecken können in irgendeinem Jenseitigen. Er gebraucht nicht seinen Verstand dazu, um zu spekulieren, was hinter den Phänomenen stecken könnte, sondern er gebraucht diesen Verstand gerade zu demselben, wozu wir ihn gebrauchen, wenn wir die Buchstaben zusammendenken. So gebraucht er den Verstand bloß als ein Mittel, um die Phänomene zu gruppieren, so daß sie sich gegenseitig selber wie lesen lassen in ihrer Zusammenfügung. Goethe gebraucht also den Verstand der äußeren physisch-mineralisch-phänomenologischen Welt gegenüber, ich möchte

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sagen, als ein kosmisches Lesemittel. Er redet gar nicht von irgendeinem Ding an sich, er redet gar nicht von irgend etwas, das hinter den Phä­nomenen gesucht werden müßte und das dahinter stünde. Dadurch aber kommt er auch, ausgehend von dem Urphänomen, zu einer treuen Auffassung der Phänomene, die etwa verglichen werden können mit den Buchstaben der mineralisch-physischen Welt, bis zu den kompli­zierteren Phänomenen, die er entweder in der Beobachtung sucht, oder die er sich durch das Experiment zusammenstellt. Er liest dasjenige, was ausgebreitet ist im Raum und in der Zeit und gebraucht den Ver­stand ganz vorsätzlich nicht dazu, etwas hinter den Phänomenen zu suchen, sondern dazu, die Phänomene entweder in der Beobachtung so anzuschauen, daß sie sich gegenseitig aufhellen und in einem Ganzen sich selber aussprechen, oder aber um Experimente anzustellen, Ver­suchsanordnungen auszudenken. Ihm soll der Verstand nichts anderes sein als erstens dasjenige, was die Versuchsanordnung macht, zweitens dasjenige, was die Einzelphänomene zusammenstellt, damit sich dann die Phänomene selber aussprechen können. Dadurch, daß man eine solche Anschauungsweise gegenüber den Phänomenen sich zu eigen macht und immer mehr und mehr zu eigen macht und in dieser Auf­fassung der Außenwelt eben versucht, noch über Goethe - denn er stand ja im Anfange einer solchen Denkweise - hinauszukommen, da­durch erwirbt man sich ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl, ein Zusammengehörigkeitserlebnis sogar mit den Phänomenen. Man lebt sich in einer viel intensiveren Weise in die Phänomene ein, als das der Fall ist, wenn man den Verstand sogleich dazu benützt, um eigent­lich die Phänomene zu durchstechen und hinter ihnen allerlei zu su­chen, das dann doch ausspintisiert im Grunde genommen ist. Natürlich trifft dasjenige, was ich sage, immer nur das Ausspintisierte selber.

Es handelt sich darum, sich zu erziehen in Phänomenologie, sich zu erziehen in einem reinen Zusammenwachsen mit den Phänomenen der Außenwelt so, daß man nach und nach eigentlich ein ganz bestimmtes Gefühl bekommt über dieses Zusammengewachsensein. Wenn man, nachdem man sich in dieser Art angeeignet hat das Zusammengewach­sensein mit den Phänomenen als solchen, dann sich an solche Phäno­mene der Außenwelt erinnert, dann tritt einem vor allen Dingen ein

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vollgesättigtes Bild in der Erinnerung auf, während man ja deutlich merkt, daß die Erinnerungsvorstellungen der meisten Leute unserer heutigen Kultur außerordentlich stark an die Wortvorstellungen ge­bunden sind. Indem man die Möglichkeit gewinnt, nicht an Wortvor­stellungen sich zu halten, die durchaus doch im Grunde genommen die Erinnerung nur so gestalten, daß sie aus uns heraus den letzten Zusam­menhang wie aus dem Unterbewußten in das Bewußtsein herein drän­gen, je mehr man dazu gelangt, bildhaft schon die Erinnerung zu ha­ben, je mehr man zum Beispiel dazu gelangt - sagen wir, wenn man als bubiger Nichtsnutz dieses oder jenes Spiel getrieben hat, diese oder jene Neckerei ausgeführt hat -, daß man sich wirklich sieht im Bild, wie man das tut, wie man den anderen zupft - man sieht sich selber, wie man den anderen am Ohrläppchen nimmt, wie man ihm eine her­unterhaut und so weiter -, wenn da nicht bloß verblaßte Erinnerungen auftreten, sondern tatsächlich scharf konturierte Bilder, denen gegen­über man aber die innere Freiheit so erhält, wie sonst den gewöhnlichen Erinnerungsvorstellungen gegenüber, und wenn man merkt, wie an solchem Erinnern die Interessiertheit an der Außenwelt wächst, wie, ich möchte sagen, das intime Zusammenleben mit allerlei kleinen De­tails der Außenwelt in diesen Bildern hereindringt in unser Bewußt­sein, wenn wir, nicht deshalb, weil das unsere Erinnerungen sind, son­dern weil sie auftreten, ich möchte sagen, so objektiv wie sonst ein Erlebnis - nicht wahr, Sie werden mich verstehen. Wenn ich solche Ausdrücke gebrauche, so geschieht es aus dem Grunde, weil unsere Sprache heute eben noch nicht allgemein brauchbare Worte hergibt, und weil man durch allerlei groteske Worte versucht, gerade scharf hinzuweisen auf das, um was es sich hier handelt - wenn wir in der Lage sind, das Gefühl zu haben, solche Erinnerungen streicheln zu kön­nen oder solche Erinnerungen furchtbar ärgern zu können, wenn über­haupt das Seelenleben so lebendig wird in solchen Bilderinnerungen, wie es werden kann, wenn das Erleben der Außenwelt selbst da ist, dann hat man die Kraft verstärkt, welche man braucht, um nun das, was imaginative Vorstellungen sind, in der richtigen Weise im Be­wußtsein festzuhalten.

Und dann kann man daran gehen, immer wieder und wiederum die

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Übung zu machen, solche Imaginationen fortzuschaffen, so daß man gewissermaßen in das leere Bewußtsein immer wieder und wiederum untertaucht. Es ist eine Übung, die außerdem in einem stark das Ge­fühl der inneren Freiheit lebendig macht, wenn man durch Willkür solche Vorstellungen im Bewußtsein präsent macht, dann wiederum herausschafft und auf diese Weise eine Art inneren Rhythmus im Me­ditieren, im Konzentrieren, im Aufstellen von Vorstellungen und Fort­schaffen von Vorstellungen hervorruft. Man ruft dadurch eine starke innere Beweglichkeit der Seele hervor, das gerade Gegenteil jener See­lenverfassung, die bei Psychopathen jeglicher Art vorhanden ist. Es ist wirklich das genaue Gegenteil, und diejenigen, welche das, was ich hier eben beschreibe, mit irgendwelchen psychopathischen Zuständen ver­gleichen, zeigen nur, daß sie eben keine Vorstellung von der Sache haben.

Wenn man dann dazu kommt, auf diese Weise das Vergessen auch zu verstärken, wenn man also dieselbe Tätigkeit, die sonst unwillkür­lich im Vergessen ausgeübt wird, wenn man diese, sagen wir, negative Tätigkeit nun auch wirklich durch Willkür geregelt innerlich auszu­üben vermag, dann erst merkt man, wie das, wovon man vorher wußte, es ist Bild der Wirklichkeit, es ist Imagination, jetzt erfüllt wird von dem, was uns zeigt: dasjenige, was da im Bilde auftritt, ist Realität, geistige Realität. Man ist gekommen bis zu jenem Abgrunde, der einem gewissermaßen von der anderen Seite des Daseins entgegenleuchten läßt die geistige Realität, die aller äußeren physisch-sinnlichen Realität eben doch miteingegliedert ist. So sehen Sie, daß es eigentlich zunächst nötig ist, sich in klarer Art an der Außenwelt den Sinn anzueignen, den man haben muß, um ein richtiges Verhalten zu diesen Imaginatio­nen zu haben. Wer über Phänomene nur spekulieren will, gewisser­maßen sie durchstechen will und dahinter dasjenige, was erst die reale Wirklichkeit sein soll, erspekulieren will, der wird geschwächt in der Kraft des Festhaltens von Imaginationen und auch des Behandelns von Imaginationen.

Wenn man nunmehr dazu gelangt, überzugehen zu dem inspirierten Leben, das heißt, die Realität der geistigen Welt ebenso zu erleben, wie man sonst durch seine äußeren Sinne die physische Welt erlebt, dann

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tritt jenes Eigentümliche auf, durch das man sich sagt: Ja, eigentlich verstehst du jetzt erst dasjenige, was Erinnerung bedeutet. Erinnerung bedeutet eigentlich, daß deine an den Erlebnissen gewonnenen Vorstel­lungen in deinem Organismus untertauchen und da im Organismus tatsächlich - das ist vergleichsweise gesprochen, aber der Vergleich ist eine Art von Terminus, er ist mehr als ein Vergleich, er bezeichnet in gewisser Weise durchaus den Inhalt der Tatsache - wirken wie ein Spiegel in bezug auf die vor dem Spiegel befindlichen Gegenstände. Es wird aufgehalten dasjenige, was vorgestellt wird, von dem Organis­mus, während der Spiegel im Unterschied davon daran gebunden ist, das immer zurückzustrahlen, was vor ihm ist. So besteht für den Men­schen die Möglichkeit, die Spiegelung in eine willkürliche zu verwan­deln, das heißt, aus dem ganzen Organismus herausspiegeln zu lassen, vor allem aus dem Nervenorganismus heraus dasjenige, was er seiner Erinnerung anvertraut hat. Dadurch, können wir sagen, wird das­jenige, was als Vorstellungen aufgenommen ist von dem Organismus, festgehalten so, daß man nicht dahintersehen kann, wie man ja hinter den Spiegel auch nicht sehen kann. Man bekommt in der Tat den Ein­druck: Indem du hinschaust innerlich auf deine Erinnerungen, mußt du dir sagen, der Umstand, daß du ein Erinnerungsvermögen hast, ver­hindert dich, dich in dich selbst hineinschauend zu versenken. Du kommst nicht in dein Inneres herein, wie du nicht hinter den Spiegel kommst mit deinem Sehen der gespiegelten Gegenstände.

Es ist dasjenige, was ich Ihnen sage, natürlich durch Vergleiche aus­gesprochen. Aber die Vergleiche stellen eben wirklich auch den Tat­bestand dar, und das, sehen Sie, merkt man daran, daß in dem Augen­blicke, wo jetzt durch die Inspiration die Imaginationen sich einem als Bilder einer geistigen Realität zeigen, für diese Imaginationen der Spie­gel wegfällt. Jetzt beginnt, wenn das imaginative Vorstellen zum in­spirierten sich erhebt, die Möglichkeit, sich zu durchschauen, und da erst tritt einem das menschliche Innere entgegen in demjenigen, was eigentlich sein geistiger Aspekt ist. Aber was lernt man da kennen?

Nun, man bekommt oftmals, und zwar von einem gewissen Ge­sichtspunkte aus durchaus mit Recht, wenn man solche Mystiker liest, sagen wir wie die Heilige Therese, wie Mechthild von Magdeburg und

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so weiter, außerordentlich schöne Vorstellungen, denen gegenüber man in eine wahrhaft devotionelle Stimmung kommen kann. Für den, der nun anfängt, das zu durchschauen, von dem ich eben jetzt hier ge­sprochen habe, hören gerade solche mystische Schauungen auf, das­jenige zu sein, was sie für den nebulosen Mystiker sehr häufig sind. Denn derjenige, der nicht durch ja auch im Grunde genommen ab­norme Zustände, wie sie bei solchen Mystikern vorhanden sind, son­dern durch Ausbildung seines Erkenntnisvermögens, wie ich es ge­schildert habe, zu dieser Innenschau kommt, der lernt nicht nur das­jenige so schildern, was er im Augenblick bekommt, wie es die Mecht­hild von Magdeburg oder die Heilige Therese und so weiter tun, son­dern er lernt dasjenige erkennen, was das Innere der menschlichen Organisation ist. Mag das den nebulosen Mystikern noch so nüchtern erscheinen, was ich jetzt anstelle ihrer mystischen Nebelbilder setze, das ist doch die Wahrheit, der man eigentlich zustreben muß, wenn man wirkliche Erkenntnis haben will und nicht Berauschung in innerer Mystik. Man lernt jetzt erkennen, weil der Spiegel weg ist, man lernt innerlich anschauen Lunge, Zwerchfell, Leber, Magen. Man lernt die menschliche Organisation innerlich erkennen, und man lernt da auch erkennen, wie im Grunde genommen solche Mystiker wie Mechthild von Magdeburg oder wie die Heilige Therese auch, aber jetzt durch gewisse abnorme Zustände, das Innere schauten, nur daß sich ihnen dieses Innere im Schauen umgab mit allerlei Nebeln. Den Nebel schil­dern sie dann, durch den der wahre Geistesforscher durchdringen muß.

Es ist ja natürlich für den Menschen, der auf solche Dinge nicht eingehen kann, etwas, ich möchte sagen, Schockierendes, wenn irgend jemandem - wir wollen das als Hypothese annehmen - vorgelesen würde ein erhabenes Kapitel aus der Mechthild von Magdeburg, und es würde ihm dann der wahre Geistesforscher sagen: Ja, das sieht man wirklich, wenn man darauf kommt, seine Leber oder seine Niere innerlich anzuschauen. - Aber es nützt nichts, es ist so. Ich sage für denjenigen, der die Sache anders haben möchte: Es nimmt sich die Sache so aus. - Aber für den, der die ganze Sache durchschaut, beginnt dann erst recht das richtige Verhältnis zu den eigentlichen Weltenge­heimnissen. Denn er lernt jetzt erkennen, aus welchen tiefen Untergründen

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des Daseins gerade dasjenige hervorgegangen ist, was diese menschliche Organisation ist, und er lernt erkennen, wie wenig man weiß von menschlicher Leber, von menschlichen Nieren, von anderen Organen ganz zu schweigen, wenn man bloß den Leichnam aufschnei­det oder meinetwegen auch bei Operationen den lebendigen Menschen aufschneidet und von der einen Seite diese menschliche Organisation anschaut. Es ist eben durchaus die Möglichkeit vorhanden, nicht nur von dieser äußeren materiellen Seite die menschliche Organisation zu durchschauen, sondern sie innerlich zu durchschauen. Nur hat man dann geistige Entitäten im Bewußtsein, und man hat sogar solche gei­stige Entitäten im Bewußtsein, die einem zeigen, daß der Mensch, wie er da mit seiner Organisation steht, eben durchaus nicht ein so in der Welt alleinstehendes Wesen ist, das man umfassen kann, wenn man es eingeschlossen denkt in seiner Haut. Sondern im Grunde genommen ist, wenn auch in einem etwas anderen Sinne, die Sache so, daß man jetzt durch eine solche Erkenntnisart die Entdeckung macht, daß ge­radeso wie der Sauerstoff, den ich jetzt in mir habe, vorhin noch draußen war und jetzt in mir arbeitet, so ist, wenn auch ausgedehnt auf lange Zeiträume, dasjenige, was in mir als innere Organisation, als Le­ber, als Niere und so weiter arbeitet, aus dem Kosmos herausgestaltet, hängt zusammen mit dem Kosmos. Ich muß auf den Kosmos und seine Konstitution hinsehen, wenn ich verstehen will, was in Leber, Niere, Magen und so weiter lebt, wie ich auf den Kosmos hinsehen muß mit seiner Luft, wenn ich verstehen will, was eigentlich das ist als Substanz, was da in meiner Lunge arbeitet, dann in meiner Blutzirkulation weiter allerlei trägt und so weiter. Man lernt eben nicht nur kennen, wenn man so durch wahre Geistesforschung vorrückt, etwa irgendwelche engbegrenzten Bilder der einzelnen menschlichen Organe, sondern man lernt Zusammenhänge erkennen, man schaut Zusammenhänge der menschlichen Organisation mit dem Kosmos.

Jetzt ist es von ganz besonderer Wichtigkeit, daß man eines nicht übersieht, daß man zu einem Erlebnisse kommt, das ich Ihnen nur, ich möchte sagen, in seiner schlicht-symbolischen Weise hier im Bilde vor­führen kann. Wenn wir dasjenige zusammennehmen, was wir in diesen Tagen und Stunden betrachtet haben, so können wir folgende Vorstellungen

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uns bilden. Unsere Sinne sind in gewisser Beziehung, wie ich gesagt habe, Golfe, durch welche die Außenwelt mit ihren Gescheh­nissen in uns hineinfließt. Dann setzen sich aber diese Sinne fort nach unserem Inneren, und ich habe Ihnen beschrieben, wie der Mensch dazu kommt, allmählich diese Tätigkeit, die ja mit Bezug auf das mehr ge­genüber den Sinnen innen Gelegene vorhanden ist, subjektiv zu sehen -diese Tätigkeit, die gewirkt hat seit der Geburt auf das Nervensystem, dieses Formende, dieses Bildende -, wie er sie subjektiv als die Rück­schau auf das Leben hat, als Lebenspanorama, wie er da entdeckt in der Konfiguration des Nervensystems, daß dieses Nervensystem selbst die äußerlich realisierten, physisch-sinnlich realisierten Bilder desjenigen darstellt, was eigentlich seelisch-geistig ist, so daß man sagen kann, man erlebt die Imagination und man erlebt dann, wie die Imagination sich auslebt im Formen der Nervensubstanz. Natürlich ist das nicht so im groben Sinne zu nehmen, weil ja die Nervensubstanz auch schon bearbeitet wurde vor der Geburt. Ich werde darauf morgen noch zu sprechen kommen. Aber im wesentlichen gilt doch das, was ich sage. So daß wir also sagen können: Ja, da hinein setzt sich also die Tätig­keit fort, man merkt ganz genau, wie sich da die Tätigkeit fortsetzt. Es ist diejenige Tätigkeit, die sich gewissermaßen eingräbt in das Ner­vensystem. Für diejenigen Teile des Nervensystems, die fertig ausge­bildet sind, ist dieses Eingraben ein Durchlaufen der Nervenbahnen, für dasjenige, was namentlich im Kindesalter noch plastisch ist, ist es ein wirkliches Ausplastizieren, ein noch aus den Imaginationen heraus erfolgendes Bilden. Dem steht dann gegenüber das übrige der mensch­lichen Organisation, von dem ich noch sprechen werde, dasjenige, was Träger ist der Muskeln, Träger der Knochen und so weiter oder andere Träger desjenigen, was das Nervensystem ist, das Ganze des orga­nischen Gewebes. Dann aber kann man folgendes erleben, und um Ihnen noch klarer zu machen, wie dieses Erlebnis ist, möchte ich Ihnen von folgendem sprechen.

Ich habe einmal vorgetragen für die Anthroposophische Gesell­schaft dasjenige, was ich genannt habe in den Vorträgen «Anthropo­sophie». Ich habe damals soviel vorgetragen von dieser Anthroposo­phie, als sich eben meiner Geistesforschung ergeben hatte. Es wurden

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dann diese Vorträge gedruckt verlangt, und ich ging daran, die Sa­chen niederzuschreiben. Im Niederschreiben wurde wiederum etwas anderes daraus. Nicht daß irgend etwas in dem, was zuerst gegeben war, verändert worden wäre, sondern es wurde nur notwendig, einiges hinzuzufügen, was weitere Erklärungen abgab. Aber es wurde auch nötig, die Sache noch genauer zu formulieren. Das nahm ein Jahr in Anspruch. Nun kam wiederum eine Gelegenheit. Es wurde wiederum die Generalversammlung in der Gesellschaft abgehalten. Da sagten denn die Leute, bei der Generalversammlung sollten nun doch die «anthro­posophischen» Vorträge verkauft werden, also müssen sie fertig wer­den. Ich hatte dann angekündigt für diese nächste Generalversamm­lung einen anderen Vortragszyklus, und verschickte die ersten Bogen dieser «Anthroposophie» an die Druckerei. Sie wurden auch sofort gedruckt. Ich dachte, ich würde nun weiterschreiben können. Ich schrieb auch eine Zeitlang weiter. Aber es ergab sich immer mehr und mehr die Notwendigkeit, weiteres hinzuzufügen zu den genaueren Er­klärungen. Das ganze endete dann damit, daß eine ganze Anzahl von Bogen gedruckt waren. Bis dahin hatte ich geschrieben. Ein Bogen kam dann so, daß die sechzehn Seiten nicht mehr voll wurden, sondern nur noch, ich glaube, dreizehn oder vierzehn voll waren. Die anderen waren weiß, und ich sollte weiterschreiben. Mittlerweile hatte sich mir ergeben - es gab auch andere Gründe für das ganze, aber ich will jetzt einen der Gründe, die das Ereignis hervorgerufen haben, eben jetzt mit Bezug auf das, um was es sich hier handelt, Ihnen anführen -es kam die Zeit, in der ich mir sagte: Um die Sache nun wirklich so, wie ich sie jetzt nach einem Jahre haben müßte und haben will, zu Ende zu führen, dazu ist es notwendig, nun im genaueren auszubilden eine gewisse Vorstellungsweise, eine besondere Ausarbeitung des imagi­nativen, inspirierten Erkennens, und gerade mit Bezug auf diese anthro­posophischen Fragen diese Erkenntnisart anzuwenden. Da ging ich denn daran, erst etwas Negatives zu machen: die ganze «Anthroposophie» liegen zu lassen. Sie liegt heute noch so, wie sie dazumal, viele Bogen schon, gedruckt war, und ich dachte daran, zunächst eben die Fort­setzung nun auch wirklich zu erforschen. Da machte ich denn gründ­lich Bekanntschaft mit etwas, was ich Ihnen jetzt schildern möchte.

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Ich kann es Ihnen nur schematisch schildern. Aber dasjenige, was ich Ihnen schematisch schildere, ist eine große Summe von inneren Erleb­nissen, die eigentlich Erkenntnismethoden in der Erforschung des Men­schen sind.

Es zeigte sich nämlich immer klarer und klarer, daß man eine An­throposophie, wie sie dazumal intendiert war, erst dann vollenden kann, wenn man innerlich anschauend darauf kommt zu sehen, wie man dasjenige, was man da wirklich in innerer Schau als geistig-see­lische Tätigkeit arbeitend im Nervensystem erblickt, so weit fort­setzen kann, bis man innerlich hier an einen Punkt kommt - der Punkt ist eigentlich eine Linie, die in vertikaler Richtung liegt, aber ich will hier die Sache nur schematisch geben, der Punkt liegt für gewisse Er­scheinungen weiter oben, dann weiter tiefer und so weiter, das im ein­zelnen zu schildern wird vielleicht bei diesen Vorträgen nicht möglich sein, ich will nur gewissermaßen einen Querschnitt durch das ganze führen -, bis man zu diesem Punkt kommt, wo man dann deutlich merkt, die ganze von außen nach innen vorrückende geistig-seelische Tätigkeit, die man erfaßt im Imaginieren und Inspirieren, die kreuzt sich. Aber indem sie sich kreuzt, ist man dann nicht mehr frei in der Ausübung dieser Tätigkeit. Man ist ja vorher auch nicht ganz frei, wie ich geschildert habe. Jetzt wird man noch unfreier. Man merkt, daß das ganze eine Veränderung erfährt. Man läuft ein in ein stärkeres Festgehaltenwerden im imaginativ-inspirierten Vorstellen. Konkret gesprochen, wenn man dasjenige, was Sinneswahrnehmung und deren verstandesmäßige Fortsetzung für das Auge ist, im imaginativ-inspi­rierten Vorstellen auffaßt und dadurch zu der Imagination des Seh­organs kommt, wenn man also dazu kommt, durch Imagination, die durchinspiriert ist, das Sehorgan aufzufassen, dann setzt sich diese Tätigkeit nach dem Inneren fort, dann tritt hier eine Kreuzung ein, und dann umfaßt man mit der Tätigkeit, mit der man erst hier das Auge umfaßt hat, ein anderes Organ. Es ist im wesentlichen die Niere.

Und so für die anderen Organe. Man findet immer, wenn man diese imaginativ-inspirierte Tätigkeit nach dem Inneren des Menschen fort­setzt, daß man dasjenige, was eben schon fertige Organe sind - in ihrer Anlage wenigstens vollständig fertig, wenn der Mensch geboren ist -,

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gewissermaßen umgreift mit dieser inspirierten Imagination und so zur wirklichen Innenschau des menschlichen Organismus vorrückt. Es ist eine ganz besondere Schwierigkeit, und da ich dazumal nun nicht bloß das Buch fertigschreiben sollte, sondern nun noch einen anderen Vor­tragszyklus, der wiederum Forschungen nötig hatte, halten sollte, so können Sie sich denken, daß es nicht leicht war, mit dieser damals aus­gebildeten Methode - es ist jetzt viele Jahre her - dazumal fertig zu werden.

Ich muß nur noch erwähnen, die Schwierigkeit besteht nämlich darin, daß man zunächst immerfort zurückgeworfen wird. Dieses wirkliche Fortsetzen ist etwas, wo man schon die innere Kraft sehr zusammenhalten muß, wenn man es zuwege bringen soll. Man muß tatsächlich sich immer wieder und wiederum vornehmen, ich möchte sagen, die Kraft des Vorstellens, des inneren Arbeitens in der Seele an der Liebe zur äußeren Natur zu verstärken, intensiver zu machen. Sonst wird man immer leicht einfach zurückgeschlagen. Man merkt, man geht in sich hinein, aber man wird immer wieder zurückgestoßen, und man bekommt eigentlich statt etwas, was ich mit dieser Innen-schau bezeichnen möchte, dieses, was nicht richtig ist. Man muß das überwinden, was sich da als ein Zurückschlagen entwickelt.

Nun, ich wollte Ihnen die Geschichte erzählen aus dem Grunde, damit Sie sehen, daß der Geistesforscher schon hinweisen kann auf diejenigen Momente, wo er mit gewissen Problemen der Geistesfor­schung ringt. Leider ist ja in den Jahren, die dann auf das Ereignis ge­folgt sind, das ich erzählt habe, meine Zeit durch alles mögliche ins­besondere in den letzten Jahren so ausgefüllt worden, daß dasjenige, was ich als eine besonders notwendige, eigentlich unerläßliche Tätig­keit bezeichnen müßte, das Zuendeschreiben dieser #SE324-112

immer größer und größer würde, welche mit uns an den anthropo­sophischen und sozialen Aufgaben arbeiten würden, damit die wenigen Persönlichkeiten, die heute im Zentrum wirklich eigentlich Kräfte aufwenden müssen, die sie gar nicht haben, erstens in fruchtbarer Ar­beit sich entfalten könnten, und dann auch, damit sie ein wenig - was sie sehr nötig haben! - entlastet würden. Wir haben es gar sehr not­wendig, daß namentlich all das Unsachliche, dasjenige, was sich in solchen Dingen abspielt, wie Sie sie ja gerade während Ihrer jetzigen Anwesenheit beobachten können, was zutage tritt bei solchen Schmutz-lingen, wie sie sich jetzt als Verleumder ringsherum geltend machen, was aber doch eben eine Abwehr notwendig macht in unserer jetzigen Zeit, wo die Menschen, die frei sein wollen, so suggestiv beeinflußbar sind durch solche Negationen des Lebens, es wäre schon notwendig, daß wir Unterstützung erhielten in demjenigen, was zur Herausarbei­tung anthroposophischer Weltanschauung und zum Hineinfließenlas­sen anthroposophischen Denkens in das soziale Leben notwendig ist.

Sehen Sie, wenn Sie sich vorstellen, wie auf diese Weise im Grunde genommen hier oben dasjenige erschaut wird in einer, ich möchte sagen, mehr in der Abstraktheit festgehaltenen Form, was unten in ein Organ, in die Umklammerung eines Organs, das schon konkret da ist, sich ein-spinnt, dann werden Sie auch ermessen können, daß tatsächlich in einem solchen Durchschauen des menschlichen Organismus etwas liegt, was die Brücke schlagen kann auch zu den praktischen Betätigungen, die in dem Betrachten des Menschen und seines Verhältnisses zur Welt ihre Grundlage haben müssen. Ich habe Sie in anderem Zusammen-hange schon darauf aufmerksam gemacht, wie man erkennen lernt, in­dem man einfach die Imagination in sich ausbildet, nicht nur die Sin­nessphäre und ihre Fortsetzung in das Nervensystem hinein, sondern auch die Pflanzenwelt. Indem man zur Inspiration vorschreitet und dann ein solches Geistesforschen entfalten kann, lernt man zunächst die ganzen in der Tierwelt wirkenden Kräfte kennen. Man lernt aber auch manches andere kennen, was in der Tierwelt nur seinen äußeren physisch-sinnlichen Ausdruck hat. Man lernt erkennen die Natur des Atmungssystems, begreift die äußere Gestalt dieses Atmungssystems aus diesen Verhältnissen heraus. Diese äußere Gestalt des Atmungs- und Zirkulationssystems­

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ist nicht in unmittelbarer Weise ähnlich in ihrer äußeren Konfiguration dem Vorstellungsleben wie das Nerven­system, von dem ich Ihnen gestern hier zeigte, daß es so ähnlich ist, daß zwei auf verschiedenen Standpunkten stehende Leute ähnliche Bilder hinzeichnen konnten. Indem man so kennenlernt, parallel lau­fend, die äußere Welt in ihren verschiedenen Reichen und den Men­schen innerlich - und ich will morgen hinzufügen, was alles dieses in­nerliche Erkennen gibt für das weitere Durchschauen der ganzen menschlichen Wesenheit und Natur -, und wenn man so den Men­schen kennenlernt in seinem Zusammenhang mit seiner Umgebung, er­öffnet sich eben sehr vieles, was an Beziehungen vorhanden ist vom Menschen zu seiner Umgebung. Es eröffnet sich zum Beispiel vor allen Dingen die Möglichkeit, die Wesenheit eines Organs, den Zusammen­hang dieses Organs mit dem, was draußen im Reiche der Natur ist, auf diese Weise zu durchschauen, und dadurch auf rationelle Weise den Übergang zu finden von einer vergeistigten Physiologie zu einer wirk­lichen Therapie. Da gibt sich die Möglichkeit, dasjenige wieder auszu­bilden, was einstmals durch ein instinktives innerliches Anschauen ge­wonnen worden ist. Ich habe gesprochen vom Jogasystem, und ich könnte andere, ältere Systeme anführen, durch die auf instinktive, kindliche Art der Zusammenhang des Menschen mit der Umgebung geschaut worden ist. Im Grunde genommen rühren aus dieser Zeit noch therapeutische Anweisungen her, die vielleicht heute etwas verändert, aber noch immer zu dem Fruchtbarsten in der Therapie gehören. Die Therapie auszugestalten in einer Weise, wie wir sie brauchen, wird nur auf geisteswissenschaftlichem Wege möglich sein, und es wird durch das Durchschauen des Zusammenhangs der menschlichen Organe mit dem Kosmos wirklich dasjenige herauskommen, was eine nun nicht bloß auf äußerliches Experimentieren, sondern auf innerliches An­schauen gegründete Medizin ist.

Das wollte ich Ihnen nur als Beispiel dafür anführen, wie Geistes­wissenschaft befruchtend in die einzelnen Wissenschaften hineinwir­ken muß. Wie dies heute nötig ist, das zeigt sich daran, wie auf der an­deren Seite durch die äußerliche, empirische Forschung, die ja wirklich nicht müßig war, sondern ihrerseits das, was eben auf ihrem Boden

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möglich war, in großartiger Weise geleistet hat, überall Fragen aufge­worfen werden. Man nehme nur die äußere Physiologie, die äußere Pathologie und so weiter, die Fragen sind überall da. Derjenige, der mit hellen Sinnen die Sachen heute studiert, weiß, die Fragen sind da. Sie heischen Antwort, wie es schließlich auch auf dem Felde des äuße­ren Lebens ist. Die großen Fragen sind da. Sie heischen Antwort. Nun wohl, Geisteswissenschaft will nicht übersehen dasjenige, was Großes, Triumphales in den anderen Wissenschaften vorliegt. Sie will aber auch ihrerseits studieren, was für Fragen sich daraus ergeben, und sie will ihrerseits so exakt, wie das in den anderen Wissenschaften gelehrt wer­den kann, auf den Weg sich begeben zur Lösung desjenigen, was, auch für die sinnlich-empirische Forschung, doch nur durch geistige For­schung gefunden werden kann! Davon dann morgen weiter.

SIEBENTER VORTRAG Stuttgart, 23. März 1921

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SIEBENTER VORTRAG

Stuttgart, 23. März 1921

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Es liegt natürlich an der Kürze der Zeit, wenn ich manches von demje­nigen, was ich mit Bezug auf das so umfassende Thema dieser Vorträge hier vorgebracht habe, nur ganz flüchtig skizzenhaft habe vorbringen können und namentlich, wenn ich gewisse Konsequenzen ja nur habe andeuten können. Es sollen eben einfach einige Anregungen gegeben wer­den über Vorstellungen, die, ich möchte sagen, am Eingange in die an­throposophische Geisteswissenschaft liegen und Sie werden ja aus dem Vorgetragenen das deutliche Gefühl bekommen haben, daß alles, was hier angeschlagen worden ist, durchaus einer weiteren Ausführung bedarf.

Ich habe von dem gesprochen, was sich als besondere Erkenntnis-arten durch eine gewisse innere menschliche Seelenarbeit an das all­tägliche menschliche Erkennen und auch an das gewöhnliche wissen­schaftliche Erkennen anschließt, und ich habe die beiden Erkenntnis-arten, von denen ich zunächst gesprochen habe, genannt die imagina­tive Erkenntnis und die inspirierte Erkenntnis. Ich habe gestern zu zeigen versucht, wie durch dieses Zusammenwirken der imaginativen und der inspirierten Erkenntnis bei Berücksichtigung eines gewissen Erlebnisses, das ich gestern als eine Art innerliches Bewußtseinskreu­zungsverhältnis geschildert habe, ein Erkennen des Menschen im Zu­sammenhang mit dem Erkennen der Umwelt eintreten kann. Wenn nun dasjenige, was man erlebt mit Bezug auf diese inspirierte imaginative Erkenntnis, durch die Fortsetzung gewisser Übungen, die Sie in mei­nen Büchern beschrieben finden, weiter ausgebildet wird, so entsteht dann etwas, wofür man in einer gewissen Beziehung auch schon im ge­wöhnlichen Leben einen Namen hat - und das ist durchaus bezeich­nend -, es entsteht für den, der in höherer Erkenntnisübung drinnen-steht, dasjenige, was er in ganz demselben Sinne, wie er von Imagina­tionen und Inspiration spricht, Intuition nennen kann. Intuition ist ja ein Wort, welches auch für eine allerdings nicht scharf konturierte, son­dern mehr gefühlsmäßige Erkenntnis schon im gewöhnlichen Leben an­gewendet wird. Allerdings diese Intuition, von der man sehr häufig

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spricht, die eine dunkle Art von Erkenntnis ist, meint der Geistesfor­scher nicht, wenn er seinerseits von Intuition spricht, obwohl durchaus eine Berechtigung vorliegt, das unentwickelte Dunkle des gewöhn­lichen intuitiven Vorstellens sich zu denken als eine Art von Vorstufe desjenigen, was in der wirklichen Intuition erreicht wird. Die wirk­liche Intuition ist aber dann eine ebenso von innerlicher Bewußtseins-klarheit durchdrungene Vorstellungsart und Seelenverfassung - wie­derum muß ich das mathematische Denken heranziehen - wie das ma­thematische Denken. Es wird ja namentlich diese Intuition erreicht durch eine Fortsetzung desjenigen, was ich die Übungen zur Erlangung des Vergessens nannte. Diese Übungen müssen so fortgesetzt werden, daß das Vergessen zu einer Art von unegoistischem Selbstvergessen wird. Wenn diese Übungen dann systematisch exakt fortgesetzt wer­den, so entsteht eben dasjenige, was Intuition in diesem höheren Sinn von dem Geistesforscher genannt wird. Es ist dasjenige Erkennen, in das die inspirierte Imagination zuletzt einläuft.

Ich muß, bevor ich mit meinen Auseinandersetzungen weitergehe, noch, um nicht Mißverständnisse hervorzurufen, das Folgende beto­nen. Ich kann mir nämlich leicht vorstellen, daß irgend jemand gegen dasjenige, was ich zuletzt gestern vorgebracht habe, einen gewissen Einwand erhebt. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, mögliche Einwände werden von demjenigen, der gerade gewissenhaft als Gei­stesforscher vorgeht, immer selbst gemacht. Das ist gerade etwas, was der hier gemeinten Geistesforschung eigen sein muß, daß man, ich möchte sagen, bei jedem Schritte, den man vorrückt, immer außer­ordentlich sorgfältig darauf achtgibt, aus welcher Ecke die Einwände herkommen können und wie sich diesen Einwänden begegnen läßt. Ich kann mir leicht den Einwand denken, daß jemand sagt: Nun ja, was da gestern gesagt worden ist von diesem Kreuzungserlebnis beim Nach-innen-Schauen, von diesem Umfassen der inneren Organisation des Menschen, kann ja durchaus auf einer Täuschung beruhen. Denn ge­rade der Geistesforscher, wie er hier gemeint ist, der ja, wie Sie deut­lich gesehen haben, in äußerer Wissenschaftlichkeit kein Dilettant sein darf, wird ja selbstverständlich einiges wissen von der inneren Organisation des Menschen aus der gewöhnlichen Anatomie und Physiologie,

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und man könnte dann leicht glauben, daß er sich gewissen Selbsttäuschungen hingibt, indem er dasjenige, was er schon durch die äußere Wissenschaft weiß, seinem Schauen einfügt. - Nun, alle Selbst-täuschungen sind etwas, was der Geistesforscher durchaus in das Gehen seines Weges einbezieht, und der Einwand, der hier etwa aufgeworfen werden kann, erledigt sich ja dadurch, daß dasjenige, was man da bei dieser Innenschau in dem menschlichen Organismus wahrnimmt, durchaus verschiedeii ist von dem, was man irgend wissen kann durch äußere Anatomie oder äußere Physiologie. Dasjenige, was man als innere Organisation wahrnimmt, ist ja durchaus etwas, was man nen­nen könnte das Anschauen des vergeistigten menschlichen Inneren. Das einzige, worin einem die gewöhnliche Physiologie und Anatomie helfen kann, ist, ich möchte sagen, eine Art mathematischer Punkt. Höchstens daß man irgendwie einen Anhaltspunkt hat, wodurch man dasjenige, was man nun wirklich als eine ganz selbständige, durch Schauen errungene geistige Wahrnehmung in der Seele hat, was also durchaus einen in sich selbst bestimmten Inhalt hat, den man auf dieser Stufe des Erkennens erst eben wahrnehmen kann - wodurch man das, wenn es zum Beispiel das der Lunge entsprechende Innere ist, leichter auf die Lunge wird beziehen können, wenn man schon etwas von der Lunge durch äußere Physiologie und Anatomie weiß, als wenn man nichts davon weiß. Dagegen sind die beiden Dinge, der Inhalt der inneren Anschauung des Lungenwesens und dasjenige, was man aus äußerer Physiologie und Anatomie weiß, zwei durchaus verschiedene Inhalte, die man erst nachträglich zusammenzufügen hat, die gerade zeigen, wie sich auch auf dieser Stufe des Erkennens wiederholt das Verhältnis, in das man eingeht, zwischen dem innerlich mathematisch Erfaßten und dem in der äußeren Anschauung, im physikalisch-mine­ralischen Felde Gegegebenen.

Derselbe Unterschied, der vorliegt zwischen dem innerlich mathe­matisch Ergriffenen und dem in äußerer Anschauung Gegebenen, liegt vor zwischen dem, was man sich erringt auf dem Felde des in­spirierten Imaginierens und demjenigen, was man von anderer Seite her durch äußere Forschung kennt. Es muß natürlich überall voraus­gesetzt werden, daß absolute innere Bewußtseinsklarheit vorliegt.

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Steigt man nun weiter auf von dem inspirierten Imaginieren zu der Intuition, dann stellt sich etwas Ahnliches heraus, wie sich herausge­stellt hat am Beginne unserer Betrachtung. Da haben wir uns gesagt:

Durch die Sinne ragt wie durch Golfe die äußere Welt mit ihren Ge­schehnissen hinein, so daß wir in die Sinne hineinkonstruieren, wie wir etwa äußerlich die Welt mit unseren mathematischen Linien und Ge­bilden konstruieren. - Es ist also vorhanden ein Hineinragen, ein wirk­lich wesenhaftes Hineinragen der äußeren Welt in unsere räumliche innere Organisation auf dieser einen Seite unseres menschlichen Leibes. Wenn nun alles dasjenige, was ich beschrieben habe, gewissermaßen auf der anderen Seite zur Intuition kommt, dann hat man ein ähnliches Erlebnis. Man hat das Erlebnis, daß man vor allen Dingen jetzt weiß, alles das, was man da im Inneren des menschlichen Wesens erlebt, das ist etwas, was durchaus ein in sich selbst Unerklärliches, vielleicht bes­ser gesagt, im Grunde Unfertiges ist. Wenn man durch Intuition sich selber kennenlernt, so ist man, solange man bei dieser Selbsterkenntnis bleibt, im Grunde genommen recht unbefriedigt. Beim inspirierten Imaginieren, wenn es sich auf die Selbsterkenntnis erstreckt, tritt ja eine gewisse Befriedigung ein. Man lernt erkennen, was rhythmische Systeme im Menschen sind. Es ist das ein schwieriges Erkennen. Es ist ein Erkennen, mit dem man eigentlich niemals fertig werden kann, weil es im Grunde genommen in unendliche Entwickelungen hinein-führt. Aber man hat bei diesem Erkennen immerhin das innere Be­wußtsein: Du lernst dich in deinem Zusammenhange mit der Welt ken­nen, du kannst ausbilden ganz bestimmte konkrete Erkenntnisse, wie ich gestern angeführt habe, zum Beispiel über den Zusammenhang des gesunden Organismus mit der kosmischen Umgebung, aber auch über den Zusammenhang des kranken Organismus mit der kosmischen Um­gebung, und du kannst dadurch in einer gewissen Weise vordringen in das menschliche Innere selber.

Ich möchte auch hier etwas anführen, was ich schon beim vorigen Kursus hier angeführt habe. Man kann zum Beispiel durchschauen durch dieses inspirierte Imaginieren, wie eigentlich die menschliche Organisation sich verhalten muß, damit sie aufnehmen kann so etwas wie ein Sinnesorgan. Nun ist die menschliche Organisation nach diesem

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Sinnesorgan hin, gewissermaßen nach außen hin, prädisponiert. Sie äußert sich so, diese menschliche Organisation, daß sie ein gewisses, wenn ich mich des Ausdruckes bedienen darf, Kräftesystem hinsendet nach jedem einzelnen Sinn. Man kann aber die Entdeckung machen, daß auf der anderen Seite, jenseits des Kreuzungsverhältnisses, das bei diesem Kräftesystem für irgendeinen Sinn vorhanden ist, in abnormen Fällen ähnliche Tendenzen auftreten, so daß dasjenige, was ganz nor­mal richtig durchorganisiert für das Sinneswerden sich herausstellt, ge­wissermaßen an einer falschen Stelle auftritt, so daß solch ein Kräfte-system eingegliedert ist irgendeinem menschlichen Organ, das nicht Sin­nesorgan sein soll, das irgendeine andere Organisation haben soll. Dieses Eingegliedertsein eines Kräftesystems an einer anderen Stelle, also ge­wissermaßen das metamorphosische Auftreten eines Kräftesystems, das an einer bestimmten Stelle des menschlichen Organismus begrün­det ist, an einer anderen Stelle, bewirkt Abnormitäten im menschlichen Organismus. Und diese besondere Abnormität, von der ich hier gespro­chen habe, hat zur Folge, daß an der Stelle, wo ein solches deplaciertes Kräftesystem auftritt, sich ergibt eine Geschwulst. Man kommt auf diese Weise darauf, dasjenige, was Goethe immer in seiner Metamor­phosenlehre gesucht hat für einfachere Verhältnisse, in komplizierteren Verhältnissen innerhalb der Organisation wirklich zu entdecken. Man kommt darauf, zu erkennen, wie dasjenige, was als Kräftewachstums­verhältnis nach der einen Seite hin, also in einer gewissen metamor­phosischen Form berechtigt ist, nach der anderen Seite hin die Ver­anlassung zu einer Krankheit wird. Versteht man nun aufzufinden, welche äußeren Kräfte in der Umgebung des Menschen, in den Rei­chen der Natur etwas zu tun haben mit denjenigen Kräften, die zum Beispiel der Sinnesorganisation zugrunde liegen - ich habe gesagt:

Wenn man die Sinnesorganisation durch imaginatives Erkennen über­schaut, und es kommt dann noch die Inspiration dazu, so überschaut man die Sache noch innerlich, und wenn man die Sinnesorganisation überschaut, kann man auch die vegetabilische Organisation über­schauen, man bekommt eine Anschauung von dem Verhältnis der inneren Organisation zur äußeren Organisation -, findet man das, was in der äußeren Welt zugeordnet ist dieser Sinnesorganisation, findet

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man dafür das richtige Verhältnis, dann bekommt man eine An­schauung über das Heilmittel bei krankhaft metamorphorisierter Kräftegestalt.

Sie sehen hier, wie sich erweitert dasjenige, was ich Ihnen geschil­dert habe, nicht phantasierend ins Blaßblaue hinein, um, sagen wir, eine nebulose Mystik zu gewinnen, welche dem Menschen eine gewisse see­lische Wollust geben kann. Das ist eigentlich der hier gemeinten an­throposophisch orientierten Geisteswissenschaft fremd. Diese Geistes-wissenschaft will ernsthaft, exakt in die wirklichen Verhältnisse der Welt eindringen. Mag man hier vieles heute - das muß ohne weiteres als berechtigt zugegeben werden - noch als sehr anfänglich bezeich­nen, was auf diesem Wege geleistet werden kann, allein es hat doch manches, was ich zum Beispiel vorgetragen habe für Ärzte und Medi­zin-Studierende über Pathologisches, Therapeutisches im vorigen Früh­jahrkursus, den ich nächstens fortsetzen werde, einen, wie ich glaube, auf die Zuhörer plausiblen Eindruck gemacht. Es hat auch den Ein­druck gemacht, daß hier etwas vorliegt, was die äußere Beobachtung und das äußere Experimentieren durch das Anschauen der inneren Ver­hältnisse, des Naturwesens und des Wesens der Welt überhaupt, er­gänzen und befruchten kann, und was durchaus so angesehen werden sollte von den Zeitgenossen, daß hier eine Bemühung vorliegt, dasjenige zu finden, wofür uns aus der äußeren Wissenschaft vielfach nur die Fragen vorgelegt werden, ohne daß sich irgendeine Möglichkeit zeigt auf dem Felde der äußeren Wissenschaft, wenigstens durchschaubare Antworten für diese Fragen zu finden.

Rückt man nun weiter in diesem Erkennen, das sich eben überall halten muß nicht abstrakt, sondern im konkreten Ergreifen des Geistig-Wirklichen, so kommt man zunächst eben darauf, sich zu sagen: Auf der anderen Seite der menschlichen Organisation liegt etwas ähnliches, wie es das Hereinragen der Außenwelt in die Sinnesorganisation ist. -Ich sagte: Wenn man mit der Intuition zur Selbsterkenntnis kommt, so erweist sich unbedingt dasjenige, was mit der Intuition als Selbst­erkenntnis gegeben ist, als etwas Unfertiges, und man begreift es erst dann, wenn man einsieht, hier auf der anderen Seite ist in ähnlicher Weise das umgekehrte Verhältnis vorhanden wie auf der einen Seite

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bei der Sinnesorganisation. Die Sinne sind gewissermaßen Golfe, in welche die Außenwelt mit ihrer Gesetzmäßigkeit hereinragt. Auf der anderen Seite liegt die Sache so, daß der ganze Mensch, der ja in der Intuition zum Sinnesorgan wird, jetzt hereinragt in die geistige Welt. Dort ragt die Außenwelt in den Menschen hinein, hier ragt der Mensch in die Außenwelt hinein, allerdings in die geistige Außenwelt. Deshalb ist es hier auch so, daß, während der Mensch da oben - ich habe das für die Augenorganisation ausgeführt - ein gewisses tätiges Verhältnis zu der Tiefendimension hat, er für die Intuition, zunächst, soweit er mit dieser Intuition in der Selbsterkenntnis bleibt, ein gewisses Ver­hältnis zur Höhendimension bekommt.

So ergibt sich etwas dem Sinneswahrnehmen ganz Analoges, nur eben umgekehrt. Es ergibt sich, daß der Mensch durch die Intuition sich in die geistige Welt als Ganzes hineinstellt. So wie durch die Sinne die äußerliche Sinneswelt hineinragt, so stellt er sich durch die In­tuition in die geistige Welt bewußt hinein, und dieses bewußte Hinein­stellen wird ebenso gefühlt von dem Menschen, wie der Mensch sich empfindungsgemäß der Außenwelt in der Wahrnehmung gegenüber fühlt. Und das Sich-Fühlen in der geistigen Welt, das dunkle Erlebnis des Darinnenstehens in der geistigen Außenwelt, das nennt man im ge­wöhnlichen Leben Intuition. Diese Intuition wird eben von heller Klar­heit durchdrungen, wenn eine solche Erkenntnis angestrebt wird, wie ich sie geschildert habe. Dadurch können Sie aber ermessen, daß wir gewissermaßen an der einen Seite des menschlichen Verhältnisses zur Außenwelt die Wahrnehmung haben. An der anderen Seite haben wir für die Wahrnehmung auch etwas Unbestimmtes, was erst verar­beitet werden muß. So wie die Wahrnehmung durch den Verstand, durch die Vernunft verarbeitet wird und man dann in der Wahrneh­mung Gesetze findet, so ist auf der anderen Seite etwas vorhanden, was zunächst zum Menschen in einem ebensolchen unbestimmten Verhält­nis steht wie die Wahrnehmung, was dann aber erst behandelt werden muß, durchdrungen werden muß eben mit der inneren, jetzt errungenen Erkenntnis, wie früher die äußere Wahrnehmung durchdrungen wer­den mußte mit dem Mathematisieren, kurz, mit der durch das gewöhn­liche Erleben zu erringenden inneren Erkenntnis.

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Dasjenige, was man da hat zunächst im gewöhnlichen Erleben in der noch unbestimmten Intuition, das ist das Glaubenserlebnis. Gerade-so wie der eine Pol des menschlichen Wesens, der sich zuwendet der äußeren Sinnenwelt, das Wahrnehmungserlebnis hat, so hat der ganze Mensch durch sein dunkles Drinnenstehen in der geistigen Welt das Glaubenserlebnis, und so wie die Wahrnehmung durchstrahlt werden kann von Verstand und Vernunft, so kann dasjenige, was im unbe­stimmten, dumpfen Glaubenserleben liegt, durchhellt werden von der immer fortschreitenden Erkenntnis, und es wird dann dasjenige, was da Glaubenserlebnis ist, wissenschaftliches Ergebnis so, wie die Wahr­nehmung wissenschaftliches Ergebnis durch die Bearbeitung am ande­ren Pole ist. So verhalten sich die Dinge. Dasjenige, was ich Ihnen hier schildere, ist eben durchaus ein Aufsteigen dazu, das gewöhnliche Glaubenserlebnis umzuwandeln durch innere geistige Arbeit in ein Wissens-, in ein Erkenntniserlebnis. Es ist zunächst für denjenigen, der da aufsteigt in diese Regionen, durchaus etwas Ähnliches, wenn er das Glaubenserlebnis umwandelt in das Erkenntniserlebnis, wie wenn er der Wahrnehmung gegenübersteht und diese bearbeitet mit dem ma­thematisch oder sonst irgendwie logisch Errungenen. Sie sehen, die Dinge gliedern sich innerlich ineinander, und es ist durchaus nicht irgend etwas Konstruiertes, was ich Ihnen hier vortrage, sondern es ist die Beschreibung desjenigen, was ebenso erlebt werden kann vom Men­schen, wie er erlebt dasjenige, was sich entwickelt von der Kindheits­zeit, wo man noch nicht den Verstand und die Vernunft gebraucht, bis zu derjenigen Lebensepoche, wo man eben Verstand und Vernunft ge­braucht

Nun sind aber mit all diesen Erlebnissen andere verbunden. Ver­bunden damit ist zum Beispiel das Folgende. In dem Augenblick, wo man zu dem inspirierten Erkennen vorrückt, hat man ja schon, wie ich Ihnen geschildert habe, dieses Lebenspanorama, welches zurückgeht bis in sehr frühe Kindheitszeiten, zuweilen bis zur Geburt. Man hat also ein innerliches Anschauen gewonnen. Aber erst, wenn das inspi­rierte Erkennen eintritt, dann tritt mit diesem inspirierten Erkennen, das ja gewissermaßen ein fortentwickeltes Vergessen ist, dasjenige ein, was ich charakterisieren muß als ein völliges Auslöschen derjenigen

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Umgebung, die früher durch die Sinne wahrgenommen worden ist. Also es tritt ein Zustand ein, wo das eigene Innere, und zwar das zeit­liche Innere bis zur Geburt hin, Objekt wird, und wo man sich sub­jektiv, aber subjektiv wie innerlich leer zunächst, erfühlt nun eigent­lich in der Außenwelt, nicht innerhalb seines Leibes, sondern in der Außenwelt. Erst wenn man es dazu gebracht hat, ich möchte sagen, dieses verstärkte Vergessen zu erreichen, wodurch wirklich die durch die Sinne gewonnene Außenwelt für die Augenblicke des Erkennens ausgelöscht wird, dann tritt durch die Verbindung dieses Erlebnisses mit dem intuitiv Errungenen dasjenige ein, was ich in der folgenden Weise charakterisieren muß.

Man hat da durchgemacht die Imagination. Man weiß, daß sich diese auf etwas bezieht. Aber man muß sich durchaus klar sein, daß sie zuerst auftritt mit Bildcharakter, daß sie sich zwar auf Realität bezieht, daß wir aber zunächst im Bewußtsein nur präsent haben das Bildhafte. Rückt man durch die Inspiration vor, so rückt man von dem Bildhaf­ten zu dem dazugehörigen Geistig-Realen vor. Hat man den Moment erreicht, wo durch die Inspiration das äußere Sinneswahrnehmen völlig ausgelöscht wird, dann tritt ein Inhalt auf, der sich eigentlich jetzt erst zeigen kann. Es tritt der Inhalt auf, der sich deckt mit unserem Dasein vor der Geburt, oder besser gesagt vor der Konzeption. Wir lernen jetzt hineinschauen in unsere menschliche, seelisch-geistige Wesenheit, wie sie war, bevor sie sich bemächtigt hat aus der Vererbungsströmung heraus einer physischen Organisation. Also es füllt sich die Imagina­tion aus mit einem real-geistigen Inhalt, der unser vorgeburtliches Le­ben darstellt. So charakterisiert, scheint das gewiß für viele Menschen der heutigen Zeit noch etwas Paradoxes zu sein. Allein man kann ja nicht mehr tun, als genau die Stelle angeben, wo im Erkenntnisprozeß eine solche Anschauung des geistig-seelischen Selbstes des Menschen auftritt, wo also dasjenige, was man sonst die Unsterblichkeitsfrage nennt, eigentlich erst einen wirklich realen Gehalt gewinnt. Es tritt dann allerdings auch ein genaueres Durchschauen des anderen Poles der menschlichen Organisation auf. Durchdringt man auf die Art, wie ich es geschildert habe, dasjenige, was zuerst intuitiver Glaube war, erhebt man das zur Erkenntnis, so tritt die Möglichkeit ein, die Imaginationen

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zu beziehen, obwohl in anderer Art wie das beim eben Ge­schilderten der Fall war, auf die Verhältnisse nach dem Tode. Kurz, es wird Anschauung dasjenige, was ich nennen möchte das Ewige im Menschen. Und entwickelt sich die Intuition zu dem Punkt, zu dem sie durchaus kommen kann, dann entwickelt man gewissermaßen inner­lich erst das wahre Ich, und innerhalb dieses wahren Ich wird dann -das kann ich hier nur noch andeuten - anschaulich dasjenige, was ich immer nenne innerhalb anthroposophischer Geisteswissenschaft die Erkenntnis von den wiederholten Erdenleben. Die Erkenntnis, daß man ein geistig-seelisches Wesen war vor der Konzeption, daß man ein geistig-seelisches Wesen sein wird nach dem Tode, diese Erkenntnis ergibt sich dem inspirierten Imaginieren. Die Erkenntnis von den wie­derholten Erdenleben ergibt sich erst der hinzugefügten Intuition.

Ebenso entdeckt man eigentlich erst, wenn man zu diesem Gebiete vorgedrungen ist, die volle Bedeutung von Aufwachen, Einschlafen und vom Schlafzustand überhaupt. Man entdeckt gewissermaßen durch jene Vertiefung, welche das Erkennen an dem Wahrnehmungspol er­fährt, dasjenige, was als Erlebnis des Einschlafens sonst unbewußt ist. Und dann an dem anderen Pol, an deni Intuitionspol entdeckt man das Erlebnis des Aufwachens. Zwischen beiden das Schlaferlebnis. Ich möchte das nur noch in der folgenden Weise charakterisieren. Ich möchte sagen: Wenn der Mensch einschläft mit seinem gewöhnlichen Bewußtsein, so tritt ja der Zustand ein, wo das Bewußtsein völlig her­abgedämmert, herabgedämpft ist. Dieses leere Bewußtsein, in dem der Mensch lebt zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen, ergibt für ihn die Anschauung eines Zustandes, von dem er ja von seinem eigenen subjektiven Gesichtspunkt aus nichts wissen kann. Der Zu­stand, in dem man beim inspirierten Imaginieren ist, ist durchaus ein ähnlicher. Genauso wie beim Schlaf schweigen die Sinne, schweigen die Willensimpulse. Es schweigt wie beim Schlaf dasjenige, was Anteil an der menschlichen subjektiven Betätigung hat, auch bei diesem in­spirierten Imaginieren. Der Unterschied gegenüber dem Schlaf ist der, daß beim Schlaf das Bewußtsein leer ist, in diesem Zustand des inspi­rierten Imaginierens das Bewußtsein erfüllt ist, man tatsächlich in Un­abhängigkeit von Sinneswahrnehmung und Willensimpuls innerliche

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Erlebnisse hat, also gewissermaßen ein waches Schlafen vollführt und dadurch in die Möglichkeit versetzt wird, das Schlafleben eben zu studieren.

Verbunden mit diesen Erlebnissen ist noch etwas anderes, auf das ich nur aphoristisch eingehe - darauf habe ich hier heute morgen hin­weisen können im historischen Seminar -, verbunden ist gerade mit denjenigen Erlebnissen, die ich jetzt hier geschildert habe, daß eben alle historischen Probleme eigentlich neu werden. Sie werden ja vielleicht schon einmal nachgedacht haben, oder es ist leicht darüber nachzuden­ken, wie dasjenige, was wir heute in wissenschaftlichem Sinn Ge­schichte nennen, in solchen Geschichtsschreibern wie Herodot und so weiter doch nur Vorläufer hat, wie unsere Geschichtsschreibung eigent­lich erst entstanden ist, als die besondere Verstandeskultur aufgekom­men ist, die auch im Experiment ihre besondere Befriedigung hat, so daß man sagen kann: Was auf der einen Seite wissenschaftlich sich be­sonders befriedigt im Experiment, das befriedigt sich auf der anderen Seite in dem, was wir heute äußerliche Geschichtsschreibung, Ge­schichtswissenschaft nennen. - Diese Geschichtswissenschaft verfährt, von ihrem Gesichtspunkt aus ja mit Recht, historisch-empirisch, sam­melt die Daten, versucht sich ein Bild des geschichtlichen Verlaufs aus diesen empirischen Daten zusammenzustellen. Allein man kann immer gegen eine solche Interpretation geschichtlicher Art der empirischen Tatsachen der Menschheitsentwickelung einwenden, die Dinge hätten ja auch anders sich abwickeln können, und ich habe heute morgen ge­radezu den Ausdruck gebraucht, es hätte zum Beispiel Dante als Knabe irgendwie sterben können, und wir würden dann durchaus vor der Möglichkeit stehen, daß wir das, was wir äußerlich empirisch in der Geschichtsbetrachtung an Dante erleben, innerhalb unserer Betrach­tung doch mindestens, wie sie uns durch Dante entgegentritt, nicht dar­innen haben können. Es entstehen tatsächlich für denjenigen, der sich nicht etwa mit innerlich gefaßten Tiraden des Erkennens begnügt, sondern der wahrhaft ringt nach Erkenntnis, bei der Anschauung des geschichtlichen Werdens außerordentliche Schwierigkeiten.

Es studieren zum Beispiel die Leute anhand der äußeren historisch-empirischen Tatsachen, sagen wir die Reformation. Aber - ich kann

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nicht alle die einzelnen Dinge hier anführen, dazu reicht die Zeit nicht aus - Sie können sich recht leicht die Tatsachen zusammensuchen in philosophischer oder anderer Beziehung - es ist durchaus eben nicht von der Hand zu weisen: Wenn zum Beispiel der Mönch Luther früh gestorben wäre, ich möchte wissen, was dann eine Geschichtsschrei­bung von der Art, wie man sie eben als rein äußerliche empirische Ge­schichtsschreibung hat, verzeichnen würde! Doch etwas ganz anderes, als man heute zu verzeichnen hat. Da entstehen ganz ernsthafte Schwie­rigkeiten für eine Charakteristik des geschichtlichen Erkennens. Und es handelt sich durchaus darum, einzusehen, daß es voll berechtigt ist, wenn man sagt: Derjenige, der nun anfängt Geschichtsphilosophie zu betreiben und uns entweder aus einer mehr oder weniger abstrakt-ide­ellen Notwendigkeit den Ablauf der geschichtlichen Ereignisse, so wie er sie empirisch verfolgen kann, erklären will, oder der nach dem Muster der Strindbergiade eine Art von Absichtlichkeit entdecken will, dem muß man selbstverständlich einwenden, daß er eine solche Ab­sichtlichkeit oder eine innere ideelle Notwendigkeit auch in dem fin­den würde, was sich abspielen würde anstelle desjenigen, was wir heute als Reformation anschauen, wenn der Mönch Luther als kleiner Knabe gestorben wäre und meinetwegen die anderen Reformatoren auch nicht dagewesen waren.

Diese Sachen müssen schon ganz sorgfältig ins Auge gefaßt werden, und eine Möglichkeit, mit diesen Dingen fertigzuwerden, ergibt sich eben gar nicht auf dem Felde der äußeren empirisch-historischen Be­obachtung. Aber eine Beobachtung des menschlichen Werdens auf der Stufe eines solchen Erkennens, wie ich es Ihnen hier geschildert habe, ergibt doch etwas anderes. Die ergibt zum Beispiel - ich will ein kon­kretes Beispiel nennen -, daß etwa in der Mitte des 4. nachchristlichen Jahrhunderts Kräfte gewaltet haben in der europäischen Zivilisation, welche offenbar ganz anders sich darstellen würden für die äußere Geschichtsforschung, wenn in der Zeit, die etwa verflossen ist zwischen Konstantin und Julian dem Abtrünnigen, zu verzeichnen wäre irgend­eine für die Kontemplation so mächtige Persönlichkeit wie Dante. Es liegt hier ein Problem vor - ich gestehe hier ganz offen, daß ich mit diesem Problem noch nicht fertig bin, aber dieses Problem kann weiter

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verfolgt werden -, es liegt hier ein Problem vor ganz konkreter Art. Ich bin insofern nicht fertig, als ich heute zu Ihnen nicht sagen kann, ob wichtige Urkunden, wichtige Dinge gerade in der Zeit, sagen wir um 340 oder 350, durch irgendeinen Vorgang verschwunden sind, so daß man von den wichtigsten Persönlichkeiten in der äußeren Geschichte nichts weiß, oder ob eben das eingetreten ist, daß eine solche wichtige Persönlichkeit in der Jugend gestorben ist oder viele solche wichtige Persönlichkeiten in der sehr aufgeregten, sehr kriegerischen Zeit zu­grunde gegangen sind. Das aber liegt vor, daß man sieht, da spielen Kräfte in dieser Zeit, die mit der äußeren Geschichte heute nicht ver­folgt werden können, deren Verfolgung durch äußere Geschichte auch eben nur von dem glücklichen Umstand abhängen könnte, daß in die­sem oder jenem Kloster noch irgendwelche Urkunden entdeckt würden. Für den Geistesforscher ist es aber ganz zweifellos, daß diese Kräfte spielen, daß sie da sind, und es bewährt sich da der Geistesforscher in einer Region historischer Betrachtungen, wo er eben gar nicht mehr angewiesen ist auf das Abstrahieren historischer Kräfte von äußeren Verhältnissen.

Wenn man auf Dante hinschaut - man macht sich mit ihm bekannt, man lernt ihn innerlich kennen, man sucht ihn in seiner Seele wieder lebendig zu machen, man macht sich auch mit den waltenden und wer­denden Kräften der Dante-Zeit bekannt, das ist ein äußerliches Er­kennen. Dasjenige, was der Geistesforscher anstrebt auch für die Dante-Zeit, das wird sich zwar noch etwas anders ausnehmen als dasjenige, was nur aus den äußeren Dokumenten, aus der «Commedia> und so weiter gebildet werden kann. Aber man kann ihm natürlich durchaus einwenden, daß er ja selbst konfundieren könnte dasjenige, was er durch äußere Wahrnehmung sich erringt, und dasjenige, was er durch innere Anschauung hat. Wo aber die innere Anschauung so wirkt, daß man ganz genau weiß, in irgendeinem Zeitalter, wie in dem bezeich­neten, decken sich die äußeren Ereignisse gar nicht mit dem inneren Geschehen, da wirken wirklich Geisteskräfte, dann entwickelt sich die Sache so, daß man Geschichte schildert - ich habe gerade diesen Teil der Geschichte auch schon für einen gewissen Kreis von Zuhörern ein­mal geschildert -, indem man nur auf innerlich angeschaute Kräfte

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hinsieht. Man kommt ja dann darauf, wenn man diese Kräfte inner­lich angeschaut hat, daß sie innerlich leben können oder einen durch­dringen. Und hier für diese Zeit liegt die Sache so, daß es schon ein innerliches Erkenntniswunder sein müßte, wenn man ausphantasieren könnte, welche Kräfte eigentlich zum Beispiel in Julian dem Aposta­ten sich geltend machten, also etwas, was für dazumal nur geistig ver­folgt werden kann.

Man erreicht da eine Stufe der historischen Betrachtungsweise, von der man sagen kann, man schaut unmittelbar die urgeistigen Kräfte des geschichtlichen Werdens, und man fühlt eine Erklärung des Wer­dens der Menschheit gerade in solchen Partien, wo Äußerliches, sei es im Schrifttum, sei es durch Menschen, die eben nicht voll sich ausgelebt haben, verlorengegangen ist, wo man mit dem innerlich Angeschauten auch der äußeren Geschichte nachhelfen muß. Gerade in diesem Er­kenntnisergebnis kündigt sich zuerst an dasjenige, was dann mit Be­rechtigung dazu führt, von dem Geistig-Wesenhaften zu sprechen hin­ter denjenigen Erscheinungen, die im geschichtlichen Werden sind. Da ist der Punkt, von dem man aufsteigt, um dann von solchen Wesen­heiten zu sprechen, wie ich sie darstellte in meinem Büchelchen «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit». Solch einem Dar­stellen, wie es gepflegt ist in meinem Büchelchen «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit», muß durchaus vorangehen diese Anschauung von etwas Geschichtlichem, das eigentlich auf äußerem geschichtlichem Wege nicht da ist. Erst dann fühlt man sich, wenn man überhaupt ein für seine Erkenntnis innerlich verantwortlicher Mensch sein will, berechtigt, eben aus der Anschauung heraus zu sagen: Es ist möglich, aufzusteigen aus dem gesunden Menschenverstand jetzt auf die Art, wie ich es wiederholt charakterisiert habe, zu demjenigen, was nun solche wirksamen Kräfte sind.

Nun werden Sie ja natürlich einwenden, dann könnte aber doch nur derjenige von solchen Wesenheiten sprechen, wie ich sie darstelle in «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit», der zu einer solchen Anschauung vorgedrungen ist. Mit der Betonung, daß er aus der Anschauung spricht, kann er allerdings erst auf dieser Stufe der Erkenntnis sprechen, aber es liegt ja das andere vor, was wichtig

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ist zu berücksichtigen: Wenn wir nur ehrlich überhaupt gerade in dem Geschichtlichen zu Werke gehen mit der Anschauung der Tatsachen, wenn wir vernünftig genug sind und philosophisch genügend geschult sind, um uns klarzumachen, welche Zweifel und Rätsel einem aufge­geben werden aus dem äußeren geschichtlichen Werden, wenn man sich dies ehrlich vorlegt, dann kommt man der äußerlichen Geschichte ge­genüber an allen möglichen Punkten zu einem solchen inneren Erleb­nis, wie es etwa der Astronom gehabt hat, der aus den Gravitations­kräften heraus den Neptun vorausgesagt hat. Das Entdecken der be­treffenden Wesenheiten ist im Grunde genommen auf geistigem Gebiet ein ganz ähnliches Ereignis wie beim Astronomen Le Verrier, der den Neptun vorausberechnet hat. Er hat nicht irgendwie aus dem äußeren historisch-empirischen Tatbestand das wissenschaftliche Ergebnis zu­sammenkonstruiert - sei es positivistisch oder sei es skeptisch, indem er einfach Zusammenhänge ablehnte -, sondern hat die Daten, die gege­ben sind, nach ihren wahren Qualitäten verfolgt und sich gesagt: Da muß irgend etwas wirken. - Ebenso wie sich der Astronom sagte, als er den Uranus beobachtete: Der läuft nicht so, wie er nach den Kräften lau­fen sollte, die ich schon kenne, da muß irgend etwas anderes da sein, was in das System dieser Kräfte einwirkt -, so kommt an allen mög­lichen Stellen der geschichtlichen Betrachtung der wirklich gewissen­hafte Forscher dazu, zu erkennen, wie da Kräfte eingreifen. Er sieht das Eingreifen dieser Kräfte etwa so wie derjenige, der, sagen wir, irgendwo im Gestein eine Kalk- oder Kieselschale findet und einfach aus dem, wie diese Kieselschale aussieht, sich auch nicht sagt: Diese Kieselschale ist auskristallisiert aus der mineralischen Umgebung -, sondern er sagt sich: Die war einmal ausgefüllt, die ist in ihrer Form bedingt von irgendeinem Tier, das Tier ist nicht mehr da, aber man kann sich eine Vorstellung bilden von diesem Tiere. Und wenn irgend­ein Wesen kommen würde, das in der Zeit gelebt hätte, wo das Tier lebte und in der Schale drinnen war, und erzählen würde, wie das Tier war, so würde sich ein solcher Anschauer des Tieres mit seiner Er­zählung dem gegenüber, der die Schale hat, die ein deutlicher Abdruck davon ist, so verhalten wie der Geistesforscher, der aus innerer An­schauung zu demjenigen spricht, der die äußeren Tatsachen einfach

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seinem gesunden Menschenverstand vorlegt und aus ihrer Konfigu­ration sich sagt: Da muß ja etwas darin sein. - Was darin ist, das kann ihm nur der Geistesforscher sagen. Aber kontrollieren kann der Mensch, der sich aus dem Anschauen darauf einläßt, mit der gesunden Logik, mit der Tatsachenlogik, mit dem gesunden Menschenverstand aus der Form, die ihm vorliegt, durchaus dasjenige, was ihm der Geistesfor­scher sagt.

Es ist nicht nötig, daß man dem Geistesforscher blind glaubt. Ge­wiß, zum Entdecken solcher Dinge, wie ich sie dargestellt habe in «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit», gehört Geistes-forschung. Wird das aber dargestellt, dann muß der Geistesforscher ganz offen zugestehen demjenigen, der dann die Tatsachen prüft, die der Geistesforscher aus dem, was er die höheren Wesenheiten nennt, erklären will, der die äußeren Tatsachen sieht, der alles sammeln kann, was ihm nur irgend zugänglich ist, er muß ihm zugestehen: Du kannst und darfst mir ordentlich auf die Finger klopfen, wenn du irgend etwas findet, was den äußeren Tatsachenfolgen widerspricht, die ein­treten müssen, wenn meine Anschauung richtig wäre.

Solche Dinge sind ja innerhalb unseres Freundeskreises wiederholt, sagen wir, mit Evangeliendeutungen, die rein aus der Geistesforschung gewonnen worden sind, aufgetreten. Sie sind aufgetreten auch in sol­chen Fällen, wie einer heute morgen angeführt worden ist. Ich habe mich ja mit mancherlei Literatur beschäftigt. Allein das Literaturwerk, das heute morgen Dr. Stein angeführt hat für das Todesdatum Christi, war mir bis zum heutigen Tag dem Verfasser nach unbekannt. Das habe ich niemals gesehen. Aber das ist natürlich nicht etwas, was man in der äußeren, objektiven Beweisführung anführen kann, ich sage das hier nur in Parenthese. Solche Dinge sind aber durchaus schon inner­halb unseres Kreises vorgekommen, daß Verifizierungen eingetreten sind, die auch durchaus objektiv zu nehmen sind. Und davon rührt es ja her, daß dieser rein subjektive Grad der Überzeugung, den viele unserer Freunde haben durch das lebendige Drinnenstehen im geistes-wissenschaftlichen Betrieb, nicht auf blindem Glauben beruht, sondern auf dem Miterleben eben dieses Betriebes der Geisteswissenschaft, und daß daher aus einem anderen Tone heraus diejenigen reden, die diesen

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Betrieb der Geisteswissenschaft seit vielen Jahren mitgemacht haben, als diejenigen, die bloß aus der Theorie heraus reden.

Das sind Dinge, welche, wie ich glaube, durchaus zeigen, wie zu­sammenhängt in der Menschheitsentwickelung dasjenige, was ich nen­nen möchte die heutige wissenschaftliche und die Erkenntnissituation. Gewiß, alles hat Vorstufen. So hat auch das Experimentieren Vorstu­fen. Aber alles dasjenige, was Experimentieren vor der neuesten Epoche der Menschheit war, ist doch etwas Primitives gegen das ausgebildete Experimentieren, in dem wir heute drinnenstehen. Dieses ausgebildete Experimentieren hat, wenn man es, ich möchte sagen, im inneren Er­lebnis in sich aufnimmt, durchaus etwas, was auf der anderen Seite fordert wiederum, daß das im Experiment Gewonnene, in diesem Ex­periment, das vom Verstand zusammengefügt wird - schon in der Versuchsanordnung ist es so, dasjenige, was man erlebt, erlebt man nicht im Experiment, sondern im Experimentieren, in dem Herstellen des Experiments -, daß das in der Seele etwas auslöst, was auf der anderen Seite Geisteserkennen notwendig macht. Wir haben das Erkennen ab­gerückt von der bloßen Beobachtung in das Experimentieren hinein. Erlebt man das, wie sich unterscheidet, was man erfährt durch ein Ex­periment, von dem, was man erfährt durch eine bloße Beobachtung, dann bekommt man einen Drang, auf der anderen Seite auch wieder­um von der gewöhnlichen Selbstanschauung zu der erhöhten Selbst-anschauung zu kommen, welche gegeben ist in dem Erkenntniswege, wie ich ihn geschildert habe. Es hängen diese Dinge zusammen. Ich möchte sagen, der Drang, der, wie ich glaube, heute dem wahrhaft erkennenden Menschen unentbehrlich sein sollte, der Drang nach der anderen Seite des Experimentierens, der liegt durchaus historisch vor aus einem elementarischen Verhältnis zum Experimentieren selber. Und das wissenschaftliche Ergebnis, das wir gewinnen an der äußeren Natur, stellt uns ja in vieler Beziehung eigentlich erst die Fragen. Und von einer richtigen Fragestellung hängt ja sehr viel ab, ob man eine richtige Antwort bekommt.

Dasjenige, was uns vielfach gegeben ist gerade durch die neuere Naturwissenschaft, ist für den Geistesforscher nur im Grunde genom­men Fragestellung. Ob man dasjenige nimmt, was vorliegt, sagen wir

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in der neueren Astronomie, ob man dasjenige nimmt, was vorliegt in den modernen chemischen Anschauungen, wenn man diese Erkennt­nisse in sich aufnimmt, dann entsteht notwendig die Frage: Ja, wie stehen diese Vorgänge zu dem, was im Menschen selber vorgeht? Ge­rade aus den wissenschaftlichen Ergebnissen, die entstanden sind durch das Hinausstellen der Beobachtung ins Experiment hinein, entstehen auf der anderen Seite Fragestellungen, die sich auf das Verhältnis des Menschen zur Welt beziehen. Und so wird man vielfach empfinden, daß die moderne Wissenschaftlichkeit demjenigen, der diese Wissen­schaftlichkeit erlebt und nicht bloß über sie theoretisiert, die geistes-wissenschaftlichen Probleme aufgibt, so daß er gar nicht anders kann, als von den Fragestellungen, die sich ihm ergeben, zu den geisteswis­senschaftlichen Problemen vorzurücken. Im Jahre 1859 mag Darwin stehengeblieben sein bei demjenigen, was er in einer so außerordentlich ausdauernden und bis zu einem gewissen Grade sogar minuziösen Dar­stellung gegeben hat. Für denjenigen, der diese Dinge hinterher studiert, wird jedoch das, was er glaubt, daß es wissenschaftliches Ergebnis ist, zu einer Fragestellung.

Und dann hilft einem das Erlebnis, das man im Experiment hat. Aber man kommt auf der anderen Seite zur Erkenntnis des in sich selb­ständigen Wesens der Mathematik. Untersucht man, auf was eigent­lich diese Mathematik so anwendbar ist, daß eine innerlich befriedi­gende Erkenntnis aus dieser Anwendung sich ergibt, so schließt sich das alles zusammen, was Wesen der Beobachtung, was Wesen des Ma­thematisierens ist, Wesen des durch Mathematik Gewonnenen, Wesen des Naturerkennens. Was aber ist dasjenige, was man im Experiment erlebt? Was entsteht dadurch, daß man sich in die Notwendigkeit ver­setzt fühlt, nun auch an alldem eine solche Erkenntnis zu gewinnen, die sich durchaus hineinwagen darf auch in das geschichtliche Erken­nen? Man wird geneigt sein, überall solche Zusammenhänge zu suchen, deren Fäden eben nicht gegeben sind innerhalb des Materials der heu­tigen Wissenschaft. Erfaßt man aber dasjenige, was in diesem Zusam­menhang Ordnung hineinbringt, so fühlt man, wie ich Ihnen heute angedeutet habe, von dem Naturerkennen des Menschen herauf zum geschichtlichen Erkennen in sich höhere Wesenheiten, rein geistig-seelische

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Wesenheiten sich enthüllen. Kommt man aber dazu, dann er­öffnet sich auch die Pforte zur Betrachtung der in sich selbständigen geistigen Welt selber.

Meine sehr verehrten Anwesenden! Ich weiß sehr genau, wie vieles Unbefriedigende gerade diese skizzenhaften, aphoristischen Vorträge haben müssen. Aber ich habe vorgezogen dem Vortrag über ein eng begrenztes Kapitel das Vortragen von einem größeren Überblick, der allerdings in vielen Einzelheiten unausgefüllt bleiben mußte; damit Sie ein wenig unterrichtet werden dadurch, worin das Vorgehen der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis, wie sie hier gemeint ist, eigent­lich besteht, worauf sie zielt, und damit Sie auch ein Gefühl davon be­kommen, daß schon angestrebt wird etwas, was nicht willkürlich, dilettantisch, phantastisch sein will, sondern was insbesondere in bezug auf seine Methode nachstrebt dem Exaktesten, was wir in dem Wis­senschaftlichen nur haben. Denn daß die Mathematik so exakt ist, wie sie ist, rührt eben doch einzig und allein davon her, daß wir gewisser­maßen dieses Mathematische innerlich erleben. Und so wie man wußte in der platonischen Zeit, warum man den Ausdruck «Gott geometri­siert» als Überschrift an der Schule brauchte, wußte, daß diejenigen, die hineingingen, in einer gewissen Weise geometrisch-mathematisch vorgebildet waren, so weiß die neuere Geisteswissenschaft, warum sie das von innerlicher heller Klarheit beleuchtete Mathematisieren zur Charakteristik desjenigen verwendet, was sie eigentlich will. Wenn Sie den Eindruck bekommen haben, daß namentlich der Methode nach das Vorgehen dieser anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft etwas ist, mit dem man sich irgendwie beschäftigen kann und worüber man so nachdenken kann, daß man sich die Frage aufwirft: Kann von da aus irgendeine Befruchtung ausgehen auf unsere übrigen Wissen­schaften? - die damit nicht herabgesetzt werden sollen, sondern die gerade dadurch zu ihrem wahren Werte gebracht werden sollen, wenn wir das durch diese aphoristischen und, wie ich weiß, in gewisser Be­ziehung sehr ungenügenden Vorträge erreicht haben, dann sind die Absichten doch erfüllt, die ich diesen aphoristischen Betrachtungen zu­grunde legen wollte.

ACHTER VORTRAG Stuttgart, 23. März 1921

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ACHTER VORTRAG

Stuttgart, 23. März 1921

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Wir sind am Ende unserer Hochschulkurse. Wir haben hinter uns eine Anzahl von Vorträgen, die von Persönlichkeiten gehalten worden sind, welche innerhalb unserer anthroposophischen Geisteswissenschaft seit längerer Zeit arbeiten. Wir haben hinter uns auch eine Anzahl von Seminarabhaltungen, welche dazu bestimmt waren, dasjenige auszu­bauen, was durch die verschiedenen Vorträge in einer mehr oder we­niger skizzenhaften Weise ausgeführt wurde. Trotzdem wir ja sagen müssen, daß hinter den verehrten Teilnehmern eine arbeitsreiche Zeit liegt, so muß auf der anderen Seite aber wiederum berücksichtigt wer­den die Art, wie durch die Natur dieser Veranstaltung diese Zeit aus­gefüllt werden mußte. Wir konnten ja doch nichts anderes machen, als gewissermaßen wie durch einzelne Fenster in ein Gebäude hinein­fallen lassen das Licht, von dem wir glauben, daß es in unserer anthro­posophisch orientierten Geisteswissenschaft vorhanden ist. Und wenn Sie bedenken, daß dasjenige, was innerhalb des Raumes liegt, der sich durch solche symbolisch gemeinten Fenster nach der Bewegung der Geisteswissenschaft öffnet, daß innerhalb dieses Raumes reichliche und in sich zusammenhängende Arbeit der verschiedensten Art liegt, die allerdings voraussetzt, daß, weil sie ja erst ein Anfang ist, sich eine weit reichere Arbeit noch an sie anschließe, wenn Sie das alles bedenken, so werden Sie einsehen, daß selbstverständlich nur außerordentlich we­niges zutage treten konnte im Laufe dieser Veranstaltungen von dem, was, ich möchte sagen, mehr den Absichten nach hinter diesen und an­deren ähnlichen unserer Veranstaltungen liegt.

Dasjenige, was in solchen Veranstaltungen, wie diese eine ist, von uns besonders beabsichtigt wird, ist dieses, daß wir nach allen Rich­tungen hin darauf Bedacht haben, daß ja zu diesen Veranstaltungen von uns die Studentenschaft gerufen werde und zu unserer Freude auch nun schon öfter zahlreich erschienen ist. Und wenn Sie auf unseren Willen schauen, werden Sie wenigstens sehen, daß wir uns dieser für unsere Bewegung so außerordentlich erfreulichen und bedeutungsvollen

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Tatsache bewußt sein wollen. Denn das erste, was wir zeigen möchten, wenn auch in einer noch so skizzenhaften Weise, das ist, daß in dieser anthroposophischen Bewegung waltet wirkliche Wissenschaft­lichkeit. Mag auch noch manches andere an geistigen Absichten hinter ihr walten, das wird sie zu zeigen haben auf manche andere Art. Daß hinter ihr wissenschaftliches, ernstes wissenschaftliches Streben wenig­stens dem Willen nach waltet, das vor allen Dingen soll gezeigt wer­den durch diese Veranstaltungen. Aber so wie die heutigen Zeitver­hältnisse sind, muß derjenige, der diese Zeitverhältnisse versteht, sa­gen: Solche Wissenschaftlichkeit, solcher Wissenschaftsgeist, der un­mittelbar Anteil hat an den Lebensbedingungen des Menschen und der Menschheit, der muß sich heute doch auch auf einem ganz bestimmten Felde in einer gewissen Weise bewähren, und es muß gezeigt werden können, daß er sich auf einem bestimmten Felde bewährt. Das ist das soziale Feld.

Es ist notwendig, daß aus dem Wissenschaftsgeiste der heutigen Zeit hervorgehen Ideen, die fähig und mächtig sind, um in das soziale Leben die soziale Gesundung zu tragen. Es genügt heute nicht, daß wir einen Wissenschaftsgeist haben, der den Menschen hineinruft in ein weltfremdes Dasein, sondern wir brauchen einen Wissenschaftsgeist, der dasjenige in der Menschheit heranentwickelt, was dieser Mensch­heit Impulse geben kann für die Gesundung unseres sozialen Daseins. Die soziale Frage steht da, rätselhaft in vieler Beziehung, dringend fordernd, aber auch in vieler Beziehung sogar drohend, und derjenige, der nur ein wenig seine Zeit versteht, muß sich sagen: Fragen fordern heute Lösung, die nur dann gelöst werden können, wenn diejenigen, die wissenschaftlichen Geist in sich aufnehmen, Einsicht haben in die Bedingungen des sozialen Lebens. Das glauben wir zu erkennen aus den bedeutungsvollsten Zeichen der Zeit heraus. Aus dieser Erkennt­nis ist die anthroposophische Bewegung geworden, ist künstlerisch, wis­senschaftlich und sonst kulturell gedacht das Zentrum unseres Wir­kens, der Dornacher Bau, die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft, das Goetheanum in Dornach. Wir wollen uns bewußt sein, daß wir aus echter Wissenschaftlichkeit heraus solche Impulse in uns beleben können, die nun wirklich auch sozial wirksam werden können.

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Nun, wir versuchten unsere Vorträge so zu gestalten, wir ver­suchten die Seminararbeiten so einzuleiten, daß vielleicht doch hat erkannt werden können, wie wir wirklichen wissenschaftlichen Geist für die anthroposophische Bewegung erstreben, wie wir ferne sind aller Sektiererei oder Religionsgründerei und dergleichen Dingen, die man uns von dieser oder jener Seite, auf der man uns gar nicht oder sehr schlecht kennt oder böswillig verleumden will, zuschreibt. Wissen­schaftlicher Geist aber kann sich nicht zeigen in dem erfahrungsge­mäßen Inhalte desjenigen, was wissenschaftlich dargeboten wird, und derjenige, der irgendeinen Erfahrungsinhalt, sei er physisch-sinnlicher oder übersinnlicher Art, von vornherein ausschließen würde von der Wissenschaftlichkeit, der wäre selber nicht von wissenschaftlichem Geiste durchdrungen. Wissenschaftlicher Geist kann sich nur zeigen in der Behandlungsweise. Wissenschaftlicher Geist kann sich nur zeigen in der angestrebten Methodik, und nur daran wird man prüfen kön­nen, ob wir dasjenige, was wir aus sinnlichen oder übersinnlichen Er­fahrungen an die Welt heranbringen, in wissenschaftlichem Geiste vor­bringen, daß man beurteilt, ob wir in der Behandlungsweise, in unserer Methodik erstreben den Geist der Wissenschaftlichkeit, der in den an­erkannten Wissenschaften waltet. Ob wir in der Behandlungsweise, in der Denkweise, in der wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit solches erstreben, das allein behandeln wir als eine berechtigte Diskussions­frage, das betrachten wir als eine Diskussionsfrage insofern auch, als dieser wissenschaftliche Geist etwa, wie er in unserer Mitte getrieben wird, einer Verbesserung bedarf. Und überzeugt kann man sein da­von, daß auf diesem Felde der Behandlungsweise, der Methodik, das­jenige wird ausgemacht werden müssen, was über die Wissenschaft­lichkeit unserer Bewegung zu entscheiden hat, nicht aber auf dem in­haltlichen Gebiete irgendeiner Erfahrung. Kann man uns nachweisen, daß wir auf irgendeinem Feld da oder dort unlogisch, dilettantisch oder sonst irgendwie unwissenschaftlich vorgehen, so tue man das, und wir werden, da es uns im Ernste um den entsprechenden Fortgang unserer geisteswissenschaftlichen Bestrebungen zu tun ist, dann, wenn der Be­weis gelingt, daß wir unlogisch, daß wir dilettantisch zu Werke ge­gangen sind, ohne irgendwie uns dagegen zu sträuben, die entsprechenden

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Verbesserungen in unserer Arbeit eintreten lassen. Wir werden auch in dieser Beziehung das Prinzip des Fortschritts in keinerlei Weise verleugnen. - Soviel über dasjenige, was der Diskussion über Wissen­schaftlichkeit oder Unwissenschaftlichkeit unserer Bestrebungen zu­grunde liegen muß.

Auf sozialem Gebiete haben wir erstrebt, dasjenige im Leben zu bewähren, was uns aus unserer Welterkenntnis hervorzugehen scheint. Wir haben gewissermaßen in die Realdiskussion hineingestellt das­jenige, was wir glauben als die Wahrheit in bezug auf Menschen- und Welterkenntnis anstreben zu müssen. Wir haben in den Seminarübun-gen gezeigt, wie die aus der anthroposophischen Bewegung hervorge­gangene Waldorfschulbewegung in der lebendigen Handhabung der unterrichtlichen und erzieherischen Menschenbehandlung gewisserma­ßen zur realen Diskussion stellt, ob dasjenige, was durch unsere Gei­steswissenschaft gefunden wird, auch sich bewähren kann in der Her­anbildung des werdenden Menschen, und wir möchten, daß man ein­sehe, wie wir durchaus nicht bloß in fruchtlosen theoretischen Dis­kussionen uns erschöpfen möchten, sondern wie wir wollen die Wirk­lichkeit selbst erproben lassen dasjenige, was wir glauben als Wahrheit anstreben zu müssen. «Was fruchtbar ist, allein ist wahr», sagt Goethe. Und an ihrer Fruchtbarkeit muß die Wahrheit auch von demjenigen bewährt werden, der weit entfernt ist von der Philosophie des moder­nen Pragmatismus oder des Als-Ob. In dem Goetheschen Sinne kön­nen wir durchaus uns einverstanden erklären damit, daß, was frucht­bar ist, allein auch vor der Wirklichkeit seinen Wahrheitsbeweis liefert, insbesondere wenn es sich um soziale Wahrheiten handelt. Wenn das­jenige, was lebendig herausfließt aus der Geisteswissenschaft, wieder­um lebendig einfließen kann ins Leben, und wenn das Leben zeigen kann, daß dasjenige, was unter dem Einflusse der erkannten oder der vermeintlichen Wahrheit erfolgt, etwas ist, was den Menschen tüch­tig, lebenskräftig, mit innerer Sicherheit, mit Lust und Kraft zur Ar­beit in das Dasein hineinstellt, dann ist das in einer gewissen Beziehung doch ein realer Beweis für die angestrebte Wahrheit. Auf der anderen Seite haben wir etwas versucht, was ja allerdings noch sehr im Anfang ist: ich möchte sagen, durch den Realbeweis wirken zu können. Wir

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haben ökonomische Dinge versucht im «Kominenden Tag>, im «Fu­turum>, durch die gezeigt werden soll, daß dasjenige, was auf geistige Art aus der Wirklichkeit stammt, daß das auch die Möglichkeit gibt, die Dinge des praktischen Lebens in dem richtigen Lichte zu sehen. Es ist gewiß heute noch nicht an der Zeit, davon zu sprechen, daß diese Dinge etwa schon irgendwie zeigen würden, daß sie die Voraussetzun­gen erfüllen. Aber mindestens das eine darf man uns zugestehen auch auf diesem Gebiete, daß wir es nicht gescheut haben, ein doch eigent­lich auf rein geistigem Gebiet, aber mit Wirklichkeitssinn Gewonnenes, in die praktischen Gebiete des Lebens hineinzutragen, und daß wir dadurch doch immerhin bekunden, daß wir nicht zurückscheuen vor Realbeweisen. Wie die Dinge auf diesem Gebiete sich auch entwickeln mögen, das wird vielleicht im vollen Umfange nicht für das Wollen entscheiden können, weil man in solchen Dingen ja noch viel mehr als in der Erziehungs- und Unterrichtskunde abhängig ist von den Wirkungen des äußeren Lebens und von dem Verständnis, das man bei seiner Mit- und Umwelt findet.

Wenn wir so versuchen, Rechnung zu tragen den Zeichen der Zeit, die unmittelbar, ich möchte sagen, die geisteswissenschaftliche Forde­rung, wie aus verschiedenem, das hier ausgeführt worden ist, hervor­geht, vor uns hinstellen, die auf der anderen Seite die großen sozialen Fragen vor uns hinstellen, so versuchen wir aber auf der anderen Seite vor allen Dingen mit unseren Bestrebungen Rechnung zu tragen den inneren seelischen Bedürfnissen des Menschen. Es ist im Grunde ge­nommen für denjenigen, der in diese Dinge hineinschaut, ein leichtes, auf einem Spezialgebiet, sagen wir auf dem Gebiet der Naturwissen­schaften oder wiederum auf irgendeinem anderen Spezialgebiet, den Glauben zu hegen, daß man in einer unfehlbaren Methode, in einer unfehlbaren wissenschaftlichen Behandlungsart darinnen stehe. Aber ist dasjenige, was als Wissenschaft auftritt, nicht doch zuletzt nur dann wirklich fruchtbar für die ganze Menschheitsentwickelung, wenn es sich so einfügt in diese Menschheitsentwickelung, daß es das Leben des Menschen trägt? Und von dieser Voraussetzung aus frage ich Sie: Gibt es nicht irgend etwas, was in der heutigen Universität oder in ähnlichen Veranstaltungen doch gar sehr beirrend an die Menschenseelen herantreten

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kann? Gewiß, man kann eintreten in das physikalische Labora­torium, man kann arbeiten im Seziersaal und kann meinen, mit einer unbedingt richtigen Methode zu arbeiten, und alle Dinge, die in Be­tracht kommen, wirklich zu überschauen und sie restlos - natürlich relativ restlos, den Zeitverhältnissen und der Stufe der Menschheits­entwickelung angemessen - zu erfassen. Aber für die Menschheitsent­wickelung ist noch ein anderes notwendig. Es ist notwendig etwas, was vielleicht doch nicht in größerem Umfange geschieht, in seiner Bedeu­tung auch nicht richtig gewürdigt wird. Es ist notwendig, daß der­jenige, der mit gutem wissenschaftlichem Geist, mit ernster wissen­schaftlicher Gewissenhaftigkeit gearbeitet hat im chemischen Labo­ratorium, auf der Stemwarte, in der Klinik, nun eventuell auch betre­ten könne den historischen, den literarhistorischen, den kunstwissen­schaftlichen Lehrsaal und dort etwas hören kann, was in einer inneren Gemeinschaft lebt mit demjenigen, was er sich in seinen Instituten er­arbeitet hat. Es ist notwendig ja deshalb, daß eine solche Einheit be­stehe, weil dasjenige, was auf den einzelnen Spezialgebieten erarbeitet wird, im Gesamtprozeß der Menschheitsentwickelung auch dann, wenn sich die einzelnen Menschen noch so sehr spezialisieren, doch schließ­lich zusammenwirken muß, deshalb auch aus einheitlichen Quellen hervorgehen muß.

Weil wir glauben, daß es heute nicht möglich ist, daß man diese Ein­heit unmittelbar erlebt zwischen, sagen wir, der historischen Lehrkan­zel und der naturwissenschaftlichen Lehrkanzel, deshalb erstreben wir etwas, was hinter der Gesamtheit des wissenschaftlichen Betriebes steht und was aus dem, was allen gemeinsam ist, der geistigen Realität, her­aus gewonnen werden kann. Auf das Erkennen dieser geistigen Realität stellen wir unsere Bestrebungen, diesem Erkennen der geistigen Reali­tät suchen wir mit unseren schwachen Kräften seine Geltung und sein Recht zu verschaffen, und wir haben gewissermaßen angestrebt bei dieser und ähnlichen Veranstaltungen, daß Sie, meine verehrten Kom­militonen, zuschauen können, wie wir das treiben, wie wir das ma­chen, und wir sind befriedigt darüber, daß Sie gekommen sind. Und wenn ich, ich möchte sagen, auf Spezielles nur streifend hinweisen darf, so sei es dieses. Ein langjähriger Mitarbeiter unserer geisteswissenschaftlichen

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Bewegung hatte vom kurzem einmal mit mir ein Gespräch. Er wies darauf hin, daß ich ja aus geisteswissenschaftlichen Untergründen her­aus sprechen müsse über zwei Jesusknaben. Er hat mir niemals früher von seinem Absicht gesprochen, dieser Sache auf rein äußerlichem Felde gewissenhaft nachzugehen. Er hat mir erst vor ganz kurzer Zeit davon gesprochen, als er mit seinen Untersuchungen zu Ende war. Er sagte mir, er habe die Evangelien restlos miteinander verglichen und durch einfachen Evangelienvergleich gefunden, daß diese Evangelien nur einen Sinn bekommen mit Bezug auf gewisse Tatsachenemzählungen, wenn man sie betrachtet unter dem Gesichtspunkt, der erst geisteswis­senschaftlich gefunden worden ist.

Möge man so vorgehen auf allen Gebieten. Wenn man das tut, dann haben wir nicht die geringste Sorge darüber, daß unsere Geisteswis­senschaft wird bestehen können. Denn wir fürchten uns nicht vor der Prüfung, wenn sie noch so sehr ins einzelne hineingeht. Wir fürchten uns nicht vor dem Verifizieren. Wir haben nur einige Sorge vor dem­jenigen, was sich an unsere Anschauung hemanmacht, ohne daß es prüft, ohne daß es sich einläßt gerade auf die Prüfung der Einzelheiten. Je sorgfältiger man prüfen wird, desto beruhigter können wir mit un­serer Geistesforschung sein. Das ist dasjenige, was wir als Bewußtsein in unserem Innersten tragen, und nur mit einem solchen Bewußtsein können wir ja schließlich die Verantwortung dafür übernehmen, daß wir Sie hermufen, die Sie stehen in den Bestrebungen, aus dem Wissen­schaft und dem wissenschaftlichen Geist heraus sich Ihr Leben zu zim­mern. Wir haben, meine verehrten Kommilitonen, heute noch nicht die Möglichkeit, in derselben Weise Ihnen Dinge des äußeren Lebens zu bieten, wie sie Ihnen geboten werden können da, wo man unsere Be­strebungen manchmal in so merkwürdiger Weise ablehnt. Aber wir haben vielleicht die Berechtigung, aus Ihrem Erscheinen den Schluß ziehen zu dürfen, daß es unter der gegenwärtigen Jugend doch noch Seelen gibt, denen es vor allen Dingen zu tun ist um die Wahrheit und das Wahrheitsstreben. Deshalb gestehen wir - das darf wohl aus vollem Herzen heraus gesagt werden, und ich weiß, daß ich damit dasselbe sage, was auch die anderen Mitarbeiter an diesen Kursen von sich aus sagen würden -, wir gestehen von Herzen heraus, daß wir außerordentlich

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gerne und freudig hier mit Ihnen zusammengearbeitet haben, und das gereicht uns ja in gewisser Beziehung schon deshalb zu besonderer Befriedigung, weil auf dem anderen Seite aus einem wirklich unsach­lichen Wollen heraus heute die verleumderischen Angriffe nur so reg­nen und man merkwürdigerweise immer wieder und wiederum ver­langt, wir sollten die Angriffe widerlegen. Wir tun in der Widerlegung so viel wir nur können und so viel wir nur Zeit haben. Aber man sollte doch berücksichtigen, daß derjenige, der eine Behauptung aufstellt, seinerseits den Wahrheitsbeweis zu führen hat. Sonst könnte man je­dem jede beliebige Behauptung an den Kopf werfen und könnte von ihm verlangen, daß er all diese Anwümfe widerlege. Anwümfe gehen ja manchmal aus ganz besonderen Ecken hervor. Einem diesem An­griffe, auf den die anderen zumeist zurückgehen, liegt zugrunde, daß der betreffende Herr, der diesen Angriff führt, einmal eines der auf­dringlichsten Mitglieder der anthroposophischen Bewegung war - ich sage das, indem ich mir bewußt bin des ganzes Gewichtes meines for­mulierten Wortes -, eines dem aufdringlichsten Mitglieder der anthro­posophischen Bewegung. Und herangetreten an unseren Philosophisch­Anthmoposophischen Verlag ist der betreffende Herr mit einer Schrift, die zur Hälfte ein Plagiat von meinen noch unveröffentlichten Schrif­ten, zur anderen Hälfte ein spiritistischer Unsinn war. Seine Schrift konnte nicht angenommen werden in unserem Verlag, und er verwan­delte sich in wenigen Wochen aus einem aufdringlichen Anhänger in einen uns mit Schmutz bewerfenden Gegner, der es zuwege bringt, Dinge zu behaupten von dem Kaliber, daß er zum Beispiel mir die Schuld an dem unglückseligen Krankheitszustand einer Persönlichkeit zuschreibt, mit der ich überhaupt wenige Male im Leben nur ganz kurz gesprochen habe. Von dieser Art von Wahrheit sind die Dinge und bei manchen dieser Dinge glaubt die Welt gegenwärtig nur deshalb nicht, daß sie erlogen sind, weil man eigentlich gewöhnlich gar nicht voraussetzt, daß in diesem Intensität gelogen werden kann. Ich will Sie mit diesen Dingen nicht weiter behelligen. Aber ich möchte damit nur hingewiesen haben auf diejenigen Ecken, wo die Gegnerschaft sich ent­lädt in persönlichen Verleumdungen, statt daß der Versuch gemacht würde, ernsthaft diskutierend auf unsere Betrachtungen einzugehen.

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Nun, was man uns so sehr übel nimmt, ist das, daß wir allerdings in einem wichtigen Punkt uns stellen müssen gegen wohlgemeinte Zeitbe­strebungen. Wir können nicht in die allgemeine Bestrebung so ohne weiteres einstimmen, daß man dasjenige, was traditionelle Wissen­schaft auf den verschiedensten Gebieten ist, einfach hinaustrage durch Popularisatomen in die weiteste Welt, sondern wir müssen einmal nach unserer Erkenntnis glauben, daß es schon auch noch nötig ist, in die Stätten, die sich heute so vielfach für unfehlbar halten, denen man so große Autorität entgegenbringt, von denen man glaubt, unverändert nehmen zu können dasjenige, was man hinauspopularisieren will, daß man in diese Stätten einiges Wissenschaftliche hineintrage, was noch nicht in ihnen ist, zur Befruchtung ihrer Wissenschaftlichkeit. Weil wir nicht bloß heraustragen wollen aus gewissen Stätten in die weite Welt den Geist der Wissenschaft, sondern weil wir auch einen anderen Geist der Wissenschaft hineintragen wollen, deshalb ist man uns in vielem Beziehung so furchtbar feind. Diese Dinge sollten ja in aller Ruhe und aller Objektivität von einer weiteren Welt durchschaut werden. Denn wir müssen es unverhohlen gestehen, wir brauchen ganz ernsthaft, wenn auch jeder von uns überzeugt ist von der inneren Wissenschaft­lichkeit unserer Bestrebungen, das Mitwirken weiterer Kreise, und das­jenige, was uns am meisten drückt, was uns am meisten Sorge macht, das ist, daß wir so wenige Mitarbeiter haben, die wirklich ganz auf ihrem Posten stehen können. Deshalb ist es uns so wertvoll, daß jetzt seit einiger Zeit die studierende Jugend zu uns kommt. Wir vertrauen auf diese studierende Jugend. Wir glauben, daß ihrer Jugendkmaft ent­spmießen kann gerade dasjenige, was wir brauchen. Deshalb möchten wir insbesondere mit Ihnen, verehrte Kommilitonen, auf unserem Felde zusammenwirken, soweit es die Zeitverhältnisse gestatten. Von diesem Geiste haben wir versucht durchdrungen sein zu lassen dasjenige, was wir arbeiteii wollten auch innerhalb dieser Kurse. Vielleicht werden Sie doch die Überzeugung mit sich nehmen, daß es wenigstens unser Bestreben ist, in dieser Richtung zu arbeiten.

Ich ging davon aus, daß ich sagte: Dasjenige, was wir Ihnen bieten konnten, ich möchte es vergleichen mit einem abgeschlossenen Raum, der sich durch Fenster in die Außenwelt der Geisteswissenschaft öffnet,

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und wir wollten durch diese Fenster hereinleuchten lassen Fragmente von dem, was wir uns geisteswissenschaftlich als eine Welt der Er­kenntnis zu erarbeiten suchen. - Indem ich wiederum zumückkomme auf diesen Vergleich, von dem ich ausgegangen bin, möchte ich, indem ich Sie herzlich auch am Schlusse dieses Kurses begrüße und Ihnen herzlichst ein «Auf Wiedersehen bei ähnlichen Gelegenheiten» zurufe, noch dieses sagen: Es ist im allgemeinen nicht meine Gewohnheit, mit Phrasen zu rechnen, auch dann, wenn die Phrasen altgeheiligt sind, sondern ich möchte überall auf dasjenige zurückgehen, was der schlichte Ausdruck der Wahrheit ist. Es steht als eine prunkvolle Phrase vielfach in unseren Literatur- und Geistesgeschichten als letztes Wort des ster­benden Goethe: Licht, mehr Licht! - Nun, Goethe lag in einem kleinen Kämmerchen in einer finsteren Ecke, als er am Sterben war, und das gegenüberliegende Fenster hatte zugemachte Fensterläden. Ich habe aus meiner Goethe-Kenntnis heraus alle Ursache zu glauben, daß das Wort in schlichter Wahrheit geheißen hat: Machet die Fensterläden auf! - Aber indem ich damit ketzerisch verfahre mit einer prunkvollen Phrase meinem geliebten und verehrten Goethe gegenüber, möchte ich doch auch das schlichteme Wort am Schlusse unserer Kursarbeit Ihnen zurufen, indem ich sage: Ihnen, meine verehrten Kommilitonen, Ihnen rufe ich zu, indem wir uns mit Ihnen fühlen in dem Raum, der die Fenster öffnet nach geistiger Erkenntnis, durch die wir versucht ha­ben, fragmentarisch das herein zu lassen, von dem wir meinen, daß es Licht ist, Ihnen rufe ich zu aus dem Geist heraus, der uns angeleitet hat dazu, Sie hierher zu rufen, Ihnen rufe ich zu: Machet die Fensterläden auf!

DISKUSSIONSVOTUM im historischen Seminar Stuttgart, 23. März 1921 Über Dante

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DISKUSSIONSVOTUM

im historischen Seminar

Stuttgart, 23. März 1921

Über Dante

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Wenn man in dem gewöhnlichen Stile über Dante sprechen wollte, würde man der Erscheinung durchaus nicht gerecht werden. Man sollte fühlen, daß, wenn man an die großen Erscheinungen der ge­schichtlichen Entwickelung herankommt, es im Grunde notwendig wird, sich auszusprechen über die Art und Weise, wie man das ge­schichtliche Werden im Einzelnen, Konkreten auffaßt. Wenn man den alltäglichen Verlauf betrachtet, kommt das nicht in Betracht.

Herman Grimm führt zum Beispiel fünf Männer an, die ihm wich­tig erscheinen für die Menschheitsentwickelung: David, Homer, Dante, Shakespeare, Goethe.

Man muß sich vor allem darüber klar sein, daß all das, was gesagt wird, unter dem Voraussetzung gesagt wird: Was würde denn eben sein, wenn es keinen Dante gegeben hätte? Es kann hier nur ein ein­ziger Gesichtspunkt gegeben werden.

Sie haben aus den Vorträgen entnehmen können, daß die heutige Zeitepoche annähernd im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts beginnt. Kurz vor diese Zeit - im 13. Jahrhundert - fällt das Wirken Dantes. Es tritt uns hier etwas entgegen, was in eigenartigem Weise einen Zeit­raum abschließt, dem mit dem 8. Jahrhundert v. Chr. beginnt. Es tritt uns eine Persönlichkeit entgegen, die eine so scharfe Trennung zwi­schen dem künstlerisch und imaginativ Angeschauten nicht hat, wie es die späteren Persönlichkeiten haben. Bei ihm fließt zusammen, was er innerlich in Bildern erlebt und was er dann in die Schilderungen vemwebt, die er in der «Divina Commedia» gibt.

Wir müssen uns klar sein, daß er in einer Welt lebte, die heute un­tergegangen ist. Die Welt, die in so großartiger Weise durch Dante zur Offenbarung kommt, ist keine solche, die nur ein einzelner hat, son­dern eine weitverbreitete. Wir können nachweisen, wie die Bilder, die Dante in seinem Werk bringt, in seinen Zeitgenossen lebten, die er

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übernommen hat, nicht etwa so, daß es bei seinen Zeitgenossen in all­gemeinen Mythen gelebt hätte, sondern auch so wie bei Dante. Nur ist diese Welt untergegangen und ist für uns konserviert worden in der «Commedia» Dantes.

Von der mein historischen Forschung ist heute eine Bresche geschla­gen in die Anschauungsweise, als ob das, was dann nach Dante her-aufgezogen ist und für die nächste Kulturepoche charakteristisch ist, nur eine Rennaissance wäre. Konrad Burdach will darstellen, daß dem, was man sonst nur als Renaissance aufgefaßt hat, zugrunde liegt ein Nach-oben-Steigen von elementaren Kräften, daß sich in ver­schiedenen Punkten dem Welt ein Drang bemerkbar macht, der nicht nur ein Zurückkehren zu einer alten Zeit ist.

Das zeigt, wie eine scharfe Trennung zu machen ist zwischen dem, was da hemaufkommt und dem, was vorher liegt. In großartiger Weise tritt einem in Dantes Dichtwerk etwas entgegen, was man nur ver­steht, wenn man sich ganz hineinfindet in das noch Vomwissenschaft­liche und Vorkünstlerische. Es tritt uns etwas entgegen, das man nur ganz vor sich hat, wenn man es aus der ganzen Seelenstimmung auf­faßt, die wie ein mächtiges Aufflammen dessen, was im ganzen frü­heren Zeitraum hervorgetreten ist, sich darlebt. Es bedeutet natürlich durchaus noch viel anderes als das Abstrakte, was wir heute auffassen.

Gesagt darf werden, daß gerade solche Werke wie die «Commedia» Dantes durchaus darauf hinweisen, daß es nötig ist, sich an den histo­rischen Dokumenten zu einem seelischen Erfassen des Inneren solcher Zeiträume heranzuarbeiten. Es ist ja Dante eine Persönlichkeit, die als unal hängig Denkender dasteht, andererseits aber einen stark religiö­sen Zug hat, so daß man sagen muß, man kann an Dante schon studie­ren das religiöse Element dem Zeit. Man braucht ihn bloß zusammen­zuhalten mit anderen Erscheinungen seines Zeitalters, zum Beispiel mit Giotto, und man wird finden, wie dieser bildende Künstler in viel intensiverer Weise im Vomglanz dem Morgenröte des kommenden Zeit­alters darinnen steht, wie er bereits viel stärker Abschied genommen hat vom alten Zeitalter, während man in Dante jene Persönlichkeit sehen kann, durch die man, wenn man sich in sie vertieft, gerade zu einem Erleben des vorhergegangenen Zeitalters kommt.

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Der äußere, empirische Geschichtsvemlauf ist nur dadurch zu ver­stehen, daß auch vieles nicht geschehen ist, für das aber doch die gei­stigen Kräfte vorhanden waren; und wenn man diese Kräfte verfolgen kann bis in die einzelnen Persönlichkeiten hinein, so wird man dann auch etwas Positives antworten können auf die Frage, was geschehen wäre, wenn zum Beispiel Dante nicht gelebt hätte.

Werden die Grundkmäfte, statt sich theoretisch in Begriffen und Vorstellungen zu bewegen, unmittelbar Leben, namentlich in der Ge­schichtsbetrachtung, dann werden sie ein Zusammenwachsen des Men­schen bewirken mit den Werdekräften des Daseins, in denen der Mensch schließlich doch innerlich lebt, und in denen er nicht unwissend bleiben darf, weil auch Niedergangskmäfte wirken, und die Aufgangs­kräfte erfaßt werden sollen.

HINWEISE

#G324-1972-SE147 Naturbeobachtung, Experiment, Mathematik und die Erkenntnisstufen der Geistesforschung

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HINWEISE

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Dieser Kursus wurde von Rudolf Steiner innerhalb des «Freien Anthroposophischen Hochschulkurses» (Stuttgart, 12.-23. März 1921) gehalten. Für die Neuherausgabe innerhalb der Gesamtausgabe wurde der Text auf Grund der vorhandenen Nachschriften neu durchgesehen, wodurch einige in der ersten Buchausgabe (1948) fehlenden Textstellen eingefügt werden konnten.

Der Kurs wurde zum ersten Male veröffentlicht in der Zeitschrift «Die Drei» im 9. Jahrgang (1929-1930) Hefte 9-12 und im 10. Jahrgang (19301931) Hefte 1-3

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10 den von Kant einmal getanen Ausspruch, daß in jeder einzelnen Wissenschaft nur soviel wirkliches Wissen, wirkliche Erkenntnis stecke, als in ihr Mathe­matik vorhanden ist: Wörtlich: «Ich behaupte, daß in jeder besonderen Natur-lehre nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen werden könne, als darin Mathematik anzutreffen ist.» Immanuel Kant, 1724-1804: Vorrede zu «Meta­physische Anfangsgründe der Naturwissenschaft», 1786.

11 Johann Friedrich Herhart, 1776-1841, deutscher Philosoph, Psychologe und Pädagoge.

15 David Hume ein sehr richtiges Wort ausgesprochen hat: David Hume, 1711-1776, englischer Philosoph. In seinem Hauptwerk «Enquiry concerning human understanding» (Untersuchungen über den menschlichen Verstand); erster Teil, fünfter Abschnitt: «Skeptische Lösung dieser Bedenken», 1748.

Wir beobachten die äußere Welt: Siehe vorangehenden Hinweis.

20 worüber wir auch noch zu sprechen hahen werden: Dieses Thema wurde nicht mehr aufgegriffen.

26 Plato von seinen Schülern verlangt: Plato 427-347 v. Chr. «Die Mathematik würdigte Platon gleichsehr als nach ihrer Verwendung im Leben und nach ihrem formalen Bildungsgehalt, wie nach ihrer propädeutischen Stellung zur Spekulation, . . . (als) Umwendung des Geistes vom Materiellen zum Gedank­lichen (Rep. p. 522, sq.) Die Erhebung derselben zu einem Elemente des Gei­stesleben und einer Vorschule der Spekulation wurde, von Pythagoras be­gonnen, erst von Platon durchgeführt.» Siehe «Geschichte des Idealismus« von Otto Willmann, Braunschweig 1894, S.394.

27 Platos Ausspruch «Gott geometrisiert» . Wörtlich «Gott geometrisiert fort­während«. Er ist durch die «Tischgespräche» des Plutarch überliefert, wobei Plutarch bemerkt, daß dies Wort sich zwar in keiner der Schriften Platos finde, aber dennoch sehr echt klinge und ganz aus seinem Geiste sei.

eine Andeutung fallen wird: Siehe den 8. Vortrag dieses Bandes S.134.

28 in diesen sieben Vorträgen: Das von Rudolf Steiner gehaltene Nachwort wurde hier als achter Vortrag angegliedert.

in meinem Buch «Von Seelenrätseln» was im Menschen beim musikalischen Auffassen vorgeht: Siehe «Von Seelenrätseln», Bibl.-Nr. 21, Gesamtausgabe Dornach 1960, S.152.

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31 bei einer urphänomenalen Willensbetätigung: Zum Begriff des Urphänomens siehe das Kapitel «Das Urphänomen» in »Einleitungen zu Goethes Naturwis­senschaftlichen Schriften.»

32 ein Professor der Anatomie: Prof. Dr. Hugo Fuchs, Göttingen; siehe Johannes Walter Stein «Bericht über die Vortragiveranstaltung in Göttingen» in der Zeitschrift «Dreigliederung des sozialen Organismus», 2. Jahrgang, Nr. 5, August 1920.

40 Theodor Ziehen, 1862-1950, Psychologe. In seiner «Physiologischen Psycho­logie», 1. Aufl. Jena 1890, 10. und 16. Vorlesung.

42 Da wird gesagt, der Raum sei . . . a priori in der menschlichen Organisation enthalten: Siehe Immanuel Kant, 1724-1804, «Kritik der reinen Vernunft», Abschnitt «Von dem Raume», 2. Aufl. 1787.

43 Der Anfang des Vortrags nimmt Bezug auf Gegnerfragen und wird zusammen mit anderen ähnlichen Textstellen in einem gesonderten Bande der Gesamt­ausgabe erscheinen.

62 wie es hei Gustav Theodor Fechner der Fall ist: Gustav Theodor Fechner, 1801-1881, Physiker und Philosoph, in seinem Hauptwerk »Zend Avesta oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits», 1851, 4. Aufl. Leipzig 1919, S.139 ff.

70 ich habe . . . einen Chemieprofessor gehabt: Hugo von Gilm. Siehe Rudolf Steiner «Mein Lebenigang», Bibl.-Nr. 28, Gesamtausgabe Dornach 1962, S.43.

78 Phylogenie: Die Lehre von der Stammesgeschichte der Lebewesen.

Onto genie: Die Lehre von der Entwicklung des Einzelindividuums, von der Eizelle bis zum vollentwickelten Zustand.

79 ich war genötigt, die Zahl der Sinne . . . auf zwölf zu erweitern: Nachdem Ru­dolf Steiner bereits im Jahre 1909 in den Vorträgen über «Anthroposophie», die in dem Band «Anthroposophie, Psychosophie, Pneumatosophie», Bibl.-Nr. 115, Gesamtausgabe Dornach 1965, erschienen sind, erstmalig eine Aufstellung von zunächst dreizehn Sinnen gegeben hatte - zehn gewöhnliche und drei «übersinnliche« Sinne -, stellte er ins Jahre 1?16 in dem Zyklus »Weltwesen und Ichheit», Bibl.-Nr. 169, Gesamtausgabe Dornach 1963, zum ersten Male eine Zwölfheit der Sinne auf, eine Anordnung, die er von da an beibehielt. Siehe dazu: Hendrik Knobel «Zur Sinneslehre Rudolf Steiners», in: Nach­richten der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung, Nr. 14, Michaeli 1965.

80 Giordano Bruno-Bund: für einheitliche Weltanschauung (Berlin). Siehe dazu die Ausführungen Rudolf Steiners in »Mein Lebensgang» Kapitel XXIX, Bibl.­Nr.28, Gesamtausgabe Dornach 1962.

der Gehirnforscher Meynert: Theodor Meynert, 1833-1892, Professor der Me­dizin in Wien, Vertreter des erkenntnistheoretischen Idealismus; Schriften:

«Zur Mechanik des Gehirnbaues», 1874, «Gehirn und Gesittung».

Herbartianer: Anhänger des Herbart, siehe Hinweis zu Seite 11. Wer hier ge­meint ist, konnte nicht ermittelt werden.

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82 Theodor Ziehen: Siehe Hinweis zu S.40.

86 Moriz Benedikt in seinen . . . Lebenserinnerun gen: Moriz Benedikt, 1835-1920. «Aus meinem Leben», Wien 1906, S.38.

94 Plato, 427-347v. Chr.

Aristoteles, 384-322 v. Chr.

102 er redet gar nicht von irgend etwas, das hinter den Phänomenen gesucht wer-den müßte: Goethe «Sprüche in Prosa»: »Man suche nur nichts hinter den Phänomenen, sie selbst sind die Lehre.»

105 Heilige Therese (von Avila), 1515-1582.

Mechthild von Magdeburg, um 1212 bis ca. 1280.

108 Ich habe einmal vorgetragen: «Anthroposophie, Psychosophie, Pneumato-sophie». Zwölf Vorträge Berlin 1909/1910/1911, Bibl.-Nr. 115, Gesamtaus­gabe Dornach 1965. Siehe die ersten vier Vorträge über «Anthroposophie» vom 23.-27. Oktober 1909, zur Zeit der Generalversammlung der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, Oktober 1909. Siehe auch Hinweis zu S.79.

109 Es wurde wiederum die Generalversammlung abgehalten: Die Generalversamm­lung der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, November 1910 in Berlin.

Ich hatte dann angekündigt... einen anderen Vortragszyklus: Die vier Vor­träge vom 1.-4. November 1910, die unter dem Titel «Psychosophie» im oben erwähnten Band «Anthroposophie, Psychosophie, Pneumatosophie» erschie­nen sind.

es gab auch andere Gründe: Siehe dazu: Rudolf Steiner/Marie Steiner-von Sivers «Briefwechsel und Dokumente 1901-1925», Bibl.-Nr. 262, Gesamtaus­gabe Dornach 1967. Brief von Rudolf Steiner an Eduard Selander, Helsing­fors, S.301, wie auch: «Grenzen der Naturerkenntnis»,. Acht Vorträge Dorn-ach 1920, Bibl.-Nr. 322, Gesamtausgabe Dornach 1969.S. 105/106.

Sie liegt heute noch so: Dieses bereits in Driickbogen vorliegende Buch wurde aus dem Nachlaß unter dem Titel «Anthroposophie. Ein Fragment» im Jahre 1951 erstmals veröffentlicht. Eine um seitdem neu aufgefundene Texte erwei­terte Neuherausgabe erschien in der Gesamtausgabe Dornach 1970, Bibl.­Nr.45.

110 Es ist im wesentlichen die Niere: Siehe dazu «Das Verhältnis der verschie­denen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astronomie». Achtzehn Vorträge Stuttgart 1921, Schluß des 15. Vortrages. Bibl.-Nr. 323, Gesamtausgabe in Vorbereitung.

111 sondern nun noch einen anderen Vortragszyklus... halten sollte: Siehe Hin­wess zu S.109.

115 die Sie in meinen Büchern beschrieben finden: Siehe die Übersicht über die Rudolf Steiner Gesamtausgabe am Schluß dieses Bandes unter A. Schriften, I. Werke.

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118 was ich schon heim vorigen Kursus hier angeführt habe: Siehe «Grenzen der Naturerkenntnis». Acht Vorträge Dornach 1920, Bibl.-Nr. 322, Gesamtaus­gabe Dornach 1969, im 8. Vortrag Seite 116.

120 was ich vorgetragen habe über Pathologisches: Siehe «Geisteswissenschaft und Medizin». Zwanzig Vorträge Dornach 1920, Bibl.-Nr. 312, Gesamtausgabe Dornach 1961.

den ich nächstens fortsetzen werde: «Geisteswissenschaftliche Gesichtspunkte zur Therapie». Acht Vorträge Dornach 1921, Bibl.-Nr. 313, Gesamtausgabe Dornach 1963.

125 darauf habe ich hier heute morgen hinweisen können im historischen Seminar:

Siehe Anhang Seite 144ff.

Herodot, 484-424 v. Chr., griechischer Geschichtsschreiber, genannt «Vater der Geschichte».

Dante Alighieri, 1265-1321. 126 Martin Luther, 1483-1546.

Konstantin, genannt der Große, um 288-337 n. Chr., römischer Kaiser von

324-337.

Julian der Abtrünnige: Von 361-363 römischer Kaiser.

126/127 Es liegt hier ein Problem vor: Das Problem wurde von Rudolf Steiner

weiter verfolgt und einige Jahre später dargestellt in »Initiations-Erkenntnis»,

13 Vorträge Penmaenmawr 1923, im Vortrag vom 31. August; Bibl.-Nr. 227,

Gesamtausgabe Dornach 1960; und in «Esoterische Betrachtungen karmischer

Zusammenhänge», Band V, 16 Vorträge, Prag, Paris und Breslau 1924, Bibl.-

Nr.239, Gesamtausgabe Dornach 1963, im Vortrag vom 5. April 1924.

127 aus der «Commedia»: «Divina Commedia» von Dante.

127/128 ich habe gerade diesen Teil der Geschichte schon . . . einmal geschildert:

Konnte bis jetzt nicht ermittelt werden.

129 Le Verrier, der den Neptun vorausberechnet hat: Neptun, der äußerste be­kannte Planet, dessen Auffindung gelang auf Grund der Unregelmäßigkeiten, die sich in der Bewegung des 1781 entdeckten Uranus herausstellten. Le Verrier in Paris fing im Sommer 1843 an, sich mit der Uranustheorie zu beschäftigen und seit November 1843 teilte er seine Ergebnisse der Pariser Akademie mit. Am 23. September 1846 fand dann Johann Gottfried Galle (1812-1910), da­mals Observator der Berliner Sternwarte, nahe der ihm von Le Verrier be­zeichneten Stelle ein neues Sternchen achter Größe, dessen planetarische Natur bereits am nächsten Abend an der Ortsveränderung erkannt werden konnte.

130 das Literaturwerk, das heute morgen Dr. Stein angeführt hat: Wohl im histo­rischen Seminar, siehe den Anhang auf S.144. Dr. Johannes Walter Stein war Geschichtslehrer an der Waldorfschule, wo dieses Seminar abgehalten wurde. Der Titel des Werkes konnte bisher nicht ermittelt werden.

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132 Im Jahre 1859 mag Darwin stehengeblieben sein: Charles Darwin, 1809-1882, sn seinem Werk «Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl», Lon­don 1859 (On the Ori gin by means of Natural Seleetion, on the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life).

133 «Gott geometrisiert»: Siehe Hinweis zu S.27.

134 Hochsehulkurse: Siehe Einleitung zu den Hinweisen.

137 Waldorfschulhewegung: Die «Freie Waldorfschule» wurde durch Rudolf Stei­ner im Herbst 1919 in Stuttgart als «Einheitliche Volks- und höhere Schule» begründet. Seither entstanden zahlreiche weitere Waldorf- oder Rudolf Stei­ner-Schulen in vielen Ländern der Erde. Siehe Rudolf Steiner: «Die pädago­gische Grundlage und Zielsetzung der Waldorfschule», Dornach 1970, sowie die grundlegenden pädagogischen Vortragskurse: »Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik», Bibl.-Nr. 293; «Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches», Bibl.-Nr. 294; «Erziehungskunst. Seminarbesprechungen und Lehrplanvorträge», Bibl.-Nr. 295, alle innerhalb der Gesamtausgabe erschienen.

«Was fruchtbar ist, allein ist wahr»: Goethe in seinem Gedicht «Vermächtnis» (Gott und die Welt).

Pragmatismus: Die philosophische Lehre, die das Wissen, das Denken nur unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit betrachtet. Hauptvertreter: William James (1842-1910), nordamerikanischer Philosoph. Vergleiche sein Werk:

«Pragmatisme« 1907, deutsch von Jerusalem unter dem Titel «Pragmatismus» 1908.

die Philosophie . . . des Als-Ob: Die Lehre vom Geistesleben als bewußte Fik­tion. Hans Vaihinger, deutscher Philosoph, (1852-1933) in seinem Werk, «Die Philosophie des Als Ob», 1911.

139 Ein langjähriger Mitarbeiter: Adolf Arenson, 1855-1936. Seine Arbeit ver­öffentlichte er unter dem Titel »Die Kindheitsgeschichte Jesu. Die beiden Jesusknaben», Stuttgart 1921 (vergriffen, Neuauflage in Vorbereitung).

141 herangetreten an unseren Philosophisch-Anthroposophischen Verlag: wurde im Jahre 1908, ausschließlich zur Herausgabe der Werke Rudolf Steiners, als Philosophisch-Theosophischer Verlag von Marie von Sivers (Marie Steiner) gegründet. Im Jahre 1913 wurde der Name in Philosophisch-Anthroposophi­seher Verlag abgeändert, anläßlich der Begründung der Anthroposophischen Gesellschaft.

144 Herman Grimm führt zum Beispiel fünf Männer an: wörtlich: «Die mäch­tigsten Männer, welche die Jahrtausende menschlicher Geschichte kennen, sind fünf vor und nach Christus lobende Dichter gewesen: David, Homer, Dante, Shakespeare, Goethe.» Herman Grimm, (1828-1901) «Raphael als Weltmacht», Aufsatz in «Fragmente», 2 Bände, Berlin 1900-02.

145 Konrad Burdach, 1859-1936, Professor der Sprach- und Literaturforschung in

Halle. Siehe die Ausführungen Rudolf Steiners in «Von der Initiation». Acht

Vorträge München 1912, Bibl.-Nr. 138, Gesamtausgabe Dornach 1959, S.

142/143.

Giotto, 1266-1337, italienischer Maler.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.